Die Bildung des Freistaates Sachsen: Friedliche Revolution, Föderalisierung, deutsche Einheit 1989/90 9783666369001, 352536900X, 9783525369005

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Die Bildung des Freistaates Sachsen: Friedliche Revolution, Föderalisierung, deutsche Einheit 1989/90
 9783666369001, 352536900X, 9783525369005

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Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung Herausgegeben von Gerhard Besier Band 24

Vandenhoeck & Ruprecht

Michael Richter

Die Bildung des Freistaates Sachsen Friedliche Revolution, Föderalisierung, deutsche Einheit 1989/90

Mit 16 Abbildungen, 8 Karten und einem Dokumententeil auf CD

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 3-525-36900-X

© 2004, Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Satz: Hannah-Arendt-Institut, Dresden Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen Umschlagkonzeption: Groothuis, Lohfert, Consorten, Hamburg Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Vorbemerkung Die wissenschaftliche Bearbeitung des Themas geht auf die Initiative des früheren Vorstandsmitglieds des Demokratischen Aufbruchs und heutigen sächsischen Staatsministers für Wissenschaft und Kunst, Dr. Matthias Rößler, zurück. Maßgebliche Unterstützung erfuhr das Projekt von Anfang an auch durch den früheren Sprecher des Dresdner Neuen Forums und Leiter des Koordinierungsausschusses zur Bildung des Landes Sachsen, Herrn Staatsminister a. D. Arnold Vaatz, sowie durch andere zentrale Akteure der Umbruchzeit. Ihnen gilt ebenso mein Dank wie allen anderen Zeitzeugen, die mir in Interviews oder beim Workshop des Hannah-Arendt-Instituts bereitwillig Auskunft gaben. Stellvertretend seien hier Herr Altbundeskanzler Dr. Helmut Kohl, Herr Ministerpräsident a. D. Prof. Dr. Kurt Biedenkopf, Herr Ministerpräsident Prof. Dr. Georg Milbradt und Herr Landtagspräsident Erich Iltgen genannt. Bedanken möchte ich mich bei allen Ansprechpartnern und Helfern in Archiven und Bibliotheken. Dank gilt auch dem Bundesministerium des Innern, dem Staatsministerium Baden-Württembergs, der Bayerischen Staatskanzlei sowie dem Bayerischen Innenministerium, die eine Auswertung relevanter Bestände ermöglichten. Die Fertigstellung des Manuskriptes verdanke ich auch der Hilfe zahlreicher Kolleginnen und Kollegen im Hause. Bei Seminaren, Gesprächen und der redaktionellen Bearbeitung erhielt ich wichtige Hinweise und Anregungen. In der Endphase der Arbeit erfuhr ich Unterstützung durch unseren Direktor, Herrn Prof. Dr. Dr. Gerhard Besier. Die Drucklegung lag in bewährter Weise in den Händen von Herrn Dipl.-Ing. Walter Heidenreich. Frau Christine Lehmann und Frau Sigrid Boden sorgten für die Bearbeitung der Dokumente und des Namensregisters sowie für Korrekturarbeiten. Unterstützt wurden sie dabei von Frau Adrienne Buchwald und Frau Constanze Sturm. Herr Peter W. Baumann erstellte die Karten im Text. Unsere Bibliothekarinnen Frau Claudia Kegel und Frau Gabriele Schmidt erfüllten klaglos selbst ungewöhnliche Literaturwünsche. Frau Elvira Dobrowolski, Frau Hannelore Georgi und Frau Ingeborg Gäbler kümmerten sich um organisatorische und finanzielle Fragen. Allen sei an dieser Stelle gedankt. Ein besonderer Dank gilt schließlich meiner Frau Veronika und meiner Tochter Susanne, denen ich etliche Wochenenden vorenthielt, die ihnen eigentlich zustanden. Dresden, im Februar 2004

Michael Richter

Inhalt 1.

Einleitung

13

2.

Sachsen – Land mit Geschichte

31

2.1 2.2 2.3

Geschichte Sachsens bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges im Überblick Land der SBZ/DDR 1945–1952 Zeit der Nichtstaatlichkeit

31 39 57

3.

Von der Herbstrevolte zur Märzwahl

69

3.1 Neubildung Sachsens als Forderung der friedlichen Revolution 3.1.1 Die Herbstdemonstrationen 3.1.2 National-föderative Wende in der friedlichen Revolution Ende November 1989 3.1.3 Haltung der neuen politischen Parteien und Gruppierungen zur Länderbildung 3.1.4 Bildung von Landesverbänden 3.2 Auseinandersetzungen um die Landesbildung bis zur Wahl am 18. März 1990 3.2.1 Verwaltungsreform der Regierung Modrow im Dezember 1989 3.2.2 Proteste, Forderungen und die Krise der Staatlichkeit Anfang des Jahres 1990 3.2.3 Machtkampf in den sächsischen Bezirken und Eigeninitiativen der Räte zur Neubildung Sachsens 3.2.4 Ausrichtung der politischen Kräfte Sachsens am bundesdeutschen Parteiensystem 3.2.5 CDU-Beitritt von Dresdner Bürgerrechtlern und 1. Landesparteitag der CDU 3.2.6 Koordinierte Aktivitäten der Räte zur Landesbildung 3.2.7 Konkurrierende Arbeiten an einer sächsischen Landesverfassung 3.3 Sachsens Partner Baden-Württemberg und Bayern in der Frühphase der Landesbildung 3.3.1 Innerdeutsche Vereinbarungen über die Bildung von Regionalausschüssen 3.3.2 Bayern und die sächsischen Bezirke 3.3.3 Baden-Württemberg und die Bildung einer Gemischten Kommission mit Sachsen

69 69 74 87 93 100 100 108 121 135 146 160 166 170 170 176 184

8 4.

Inhalt

Zeit der Doppelherrschaft von Räten und Runden Tischen

209

4.1 Neue Lage nach der ersten freien Volkskammerwahl 4.1.1 Volkskammerwahl am 18. März 1990 4.1.2 Arbeiten der Räte am Modell einer sächsischen Landesregierung März/April 1990 4.1.3 Auseinandersetzungen um die Dominanz im Landesbildungsprozess 4.1.4 Entwurf einer Landesverfassung der Gruppe der 20 4.1.5 Bayern hilft und setzt auf neue politische Kräfte 4.1.6 Rottenburger Erklärung und Machtkampf in der Gemischten Kommission Sachsen/Baden-Württemberg 4.1.7 Verhinderung der Bildung eines „Kuratoriums Land Sachsen“ in Meißen 4.1.8 Entwurf einer Landesverfassung der Räte der Bezirke 4.1.9 Beginnende Koordinierung der Landesbildung durch die Runden Tische der Bezirke 4.2 Regierungspolitik zwischen zentralistischer Tradition und föderativem Neuanfang 4.2.1 Diskussion über Form und Anzahl der künftigen Länder bis zur Bildung der Regierung de Maizière 4.2.2 Entscheidung des Ministerrates für fünf Länder einschließlich Sachsen-Anhalts 4.2.3 Auseinandersetzungen über Zeitpunkt und Modalitäten der Länderbildung 4.2.4 Fortgang der Länderdiskussion nach der Regierungserklärung vom 19. April 1990 4.2.5 Bundesdeutsche Interessenpolitik zwischen Länderneugliederung und Länderfinanzausgleich 4.3 Dresdner Aufbegehren gegen eine Landesbildung „von oben“ im Mai 1990 4.3.1 Regierung beschließt Einsetzung von Regierungsbevollmächtigten in den Bezirken 4.3.2 Arbeiten des Dresdner Rates an einer Landesverfassung und Landesregierung ab Mai 1990 4.3.3 Dresdner Runder Tisch beschließt Koordinierungsausschuss und Vorparlamentarischen Ausschuss 4.3.4 Dresdner Rat unterstützt Beschluss des Runden Tisches und Phalanx der sächsischen Bezirke 4.3.5 Dresdner Runder Tisch widersetzt sich seiner Auflösung

209 209 215 224 232 235 239 251 261 265 274 274 285 296 301 308 316 316 320 328 334 340

Inhalt

5.

5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.1.5 5.1.6 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4

5.2.5 5.2.6 5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.3

5.3.4 5.3.5 5.3.6 5.3.7

Landesbildung zwischen Regierungsanspruch und sächsischem Eigensinn Regierungsbevollmächtigte, Koordinierungsausschuss und Sächsisches Forum Einsetzung von Regierungsbevollmächtigten in den Bezirken am 6. Juni Stellvertretende Regierungsbevollmächtigte Vaatz wird Stellvertretender Dresdner Regierungsbevollmächtigter für Landesbildung Umstrukturierung der Räte in Bezirksverwaltungsbehörden Etablierung des Koordinierungsausschusses sowie Koordinierungsprobleme mit Chemnitz und Leipzig Bildung des Sächsischen Forums und Frage der Legitimierung des Koordinierungsausschusses Ländereinführungsgesetz und Bestimmung der Grenzen Sachsens Bestimmungen des Ländereinführungsgesetzes vom 22. Juli 1990 Zuordnung von Kreisen mit unklarer Landeszugehörigkeit im Vorfeld des Ländereinführungsgesetzes Bürgerbefragungen und Kreistagsbeschlüsse vor Verabschiedung des Ländereinführungsgesetzes Bestätigung der Kreistagsbeschlüsse durch Ländereinführungsgesetz und Proteste gegen Haltung von Volkskammer und Kreistagen Bestimmungen des Ländereinführungsgesetzes über „Anspruchs- und Ermessensgemeinden“ Separatismus- und Autonomiebestrebungen in der Lausitz und in Niederschlesien Sächsische Landesbildung im Sommer 1990 Berufung der Landesstrukturbeauftragten des Koordinierungsausschusses Arbeit des Koordinierungsausschusses mit westlicher Unterstützung Beschluss über die Einsetzung von Landessprechern und Versuch zentraler Steuerung des Aufbaus der Landesverwaltung durch die Regierung Koordinierung der Arbeit zwischen Chemnitz, Dresden und Leipzig Arbeit der einzelnen Strukturbereiche des Koordinierungsausschusses Regierungspräsidien sowie Landes- und Sonderbehörden – Diskussionen und Konzepte Arbeit der Gemischten Kommission Sachsen/BadenWürttemberg von April bis November 1990

9

355

355 355 362 367 370 374 381 392 392 397 401

434 447 453 485 485 492

498 506 512 537 553

10

Inhalt

5.3.8 Personalhilfe und Informationsbüros Baden-Württembergs und Bayerns 5.3.9 Vorstellung des Gohrischer Verfassungsentwurfs und des Entwurfs von Leipziger Hochschullehrern 5.4 Politische Entwicklungen im Vorfeld des Einigungsvertrages 5.4.1 Kampf um den CDU-Kandidaten für das Amt des sächsischen Ministerpräsidenten 5.4.2 Parteienentwicklungen und -fusionen im Vorfeld der Landtagswahl 5.4.3 Verhandlungen zum Einigungsvertrag: Länderbildung ohne die neuen Länder 5.5 Zwischen Einigungsvertrag und DDR-Beitritt: Kampfplatz Interessen- und Personalpolitik 5.5.1 Regierung beruft Landessprecher und Arbeitsstäbe 5.5.2 Übernahme von DDR-Einrichtungen durch das Land Sachsen, Gemeinsame Einrichtungen und Gemeinschaftsstelle der neuen Bundesländer 5.5.3 Personaleinsatz Baden-Württembergs und Bayerns sowie Streit um Einfluss 5.5.4 Erste Ausschreibungen zur Personalgewinnung 5.5.5 Biedenkopf in aktiver Wartestellung

6.

Sachsen im Interregnum – Bundesland ohne Staatlichkeit

6.1 Gründung des Bundeslandes Sachsen 6.1.1 Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland und Länderbildung 6.1.2 Zentrale und dezentrale Kräfte der Länderbildung – die neuen Länder im Vergleich 6.1.3 Staatsrechtlicher Status des Landes Sachsen nach dem 3. Oktober 1990 6.1.4 Veränderungen des föderativen Systems im vereinten Deutschland 6.1.5 Fortgang der Diskussion über eine Länderneugliederung nach der Einheit 6.2 Exekutivstrukturen und Landesbildungsfunktionen im Interregnum 6.2.1 Landesbevollmächtigter unter Kontrolle des Clearingkoordinators der Bundesregierung 6.2.2 Trennung des Koordinierungsausschusses von der Bezirksverwaltungsbehörde Dresden 6.2.3 Koordinierungsausschuss als oberste Landesbehörde mit exekutiven Vollmachten

589 602 612 612 654 671 699 699

709 720 728 733

737 737 737 745 764 767 772 778 778 793 802

Inhalt

11

6.2.4 Arbeitsstäbe des Koordinierungsausschusses

806

7.

Sachsen – Freistaat der Bundesrepublik Deutschland

823

7.1 7.1.1 7.1.2 7.1.3 7.1.4

7.2.3 7.2.4 7.2.5 7.2.6 7.2.7 7.2.8 7.3 7.4

Sächsischer Landtag 823 Landtagswahl am 14. Oktober 1990 823 Wohin mit dem Landtag? 834 Konstituierung des Landtages im Oktober 1990 842 Vorschaltgesetz, Wahl Iltgens und Biedenkopfs sowie Beschluss „Freistaat Sachsen“ 848 Ausarbeitung von Landesgesetzen und fortgeltendes DDR-Recht 861 Sächsische Staatsregierung 865 Ende der Clearingstelle und Koordinierungsausschuss als Übergangsregierung 865 Auswahl der Staatsminister, Staatssekretäre und Parlamentarischen Staatssekretäre 871 Beginn der Arbeit des Kabinetts unter Kurt Biedenkopf 879 Ministerien und Staatskanzlei 885 Regierungspräsidien 943 Allgemeine Aspekte des Aufbaus der Landesverwaltung 961 Partnerländer Baden-Württemberg und Bayern nach der Einheit 966 Erneuerung und Kompetenz – Probleme der Personalgewinnung 976 Sächsische Justiz 996 Sächsische Verfassung 1007

8.

Resümee

1021

9.

Anhang

1039

9.1 9.2 9.3 9.4 9.5 9.6 9.7 9.8 9.9 9.10

Tabellen Unveröffentlichte Quellen Unveröffentlichte Interviews und Auskünfte Literatur Abkürzungen Verzeichnis der Karten im Text Bildnachweis Verzeichnis der Dokumente Personenregister mit Kurzbiogrammen Sachregister

1039 1062 1072 1074 1105 1111 1111 1112 1125 1171

7.1.5 7.2 7.2.1 7.2.2

1.

Einleitung

Aufbau und Methodik: Um die Ereignisse der Bildung des Freistaates Sachsen zu schildern, müsste man, so Arnold Vaatz, eigentlich einen Abenteuerroman schreiben. Da aber auch die Grundlage eines guten historischen Romans die genaue Kenntnis von Handlungen und Personen ist, soll der erste vor dem zweiten Schritt getan werden und letzterer Romanciers vorbehalten bleiben. Freilich kann und will sich auch die wissenschaftliche Darstellung der Spannung und Dramatik nicht verschließen, die einigen historischen Entscheidungen oder konfliktbeladenen Akteurskonstellationen bei der Neugründung des Landes Sachsen zu eigen war. Anders als der Roman ist eine geschichtswissenschaftliche Untersuchung jedoch den in empirischer Detailarbeit festgestellten Tatsachen verpflichtet. Damit sollte sich aber tunlichst nicht der Anspruch verbinden, vergangene Realität tatsächlich rekonstruieren zu können. Wirklichkeit ist in ihrer Mehrdimensionalität viel zu komplex, als dass sie auch nur annähernd adäquat beschrieben werden könnte. Es kann nur darum gehen, vergangene Entwicklungen unter einem bestimmten Aspekt zu veranschaulichen. Aus umfassenden Abläufen in all ihren Ebenen, Zusammenhängen, Geheimnissen und Unwägbarkeiten werden Handlungslinien und -ebenen selektiert und zu einem der Objektivität verpflichteten Ereignisbild verdichtet. Bei aller versuchten Analyse und Deutung ist die Aufgabe der Geschichtswissenschaft zunächst immer erst die Rekonstruktion vergangener Abläufe und die Hebung von Fakten. Der empirische Teil der Arbeit des Historikers besteht darin, Dinge aus den Tiefen der Archive, der Erinnerungen oder überwucherter Schlachtfelder ans Tageslicht zu bringen, um so eine Kenntnisnahme überhaupt erst zu ermöglichen. Hier hat die Disziplin ihren methodisch ausgefeilten Mittelpunkt, hier gleicht ihre Arbeit aber gelegentlich auch mehr der einer „Sonderkommission Geschichte“ der Kriminalpolizei als der von Ingenieuren theoretisch-methodischer Konstrukte großer Reichweite und kürzerer Haltbarkeit. Sie darf sich nur nicht auf diesen wichtigen Teil ihrer Arbeit beschränken. Zur Deutung der gehobenen Fakten sind geschichtsphilosophische Überlegungen ebenso notwendig wie die Anwendung von Methoden benachbarter Disziplinen. Wie der Sozialwissenschaftler die empirische Forschung des Zeithistorikers gelegentlich für seine Theoriebildung nutzt, so bedient sich dieser der Methodik anderer Disziplinen bei der Deutung geschichtlicher Prozesse. Dabei betreibt er empirische Forschung nicht in theoriebildender Absicht, sondern nutzt Theorieansätze zur Erklärung historischer Zusammenhänge. Nicht Verallgemeinerung durch methodische Abstrahierung ist sein Geschäft, sondern Erkenntniszuwachs durch Differenzierung. Dem dient auch der dabei zur Anwendung kommende Mix verschiedener Ansätze und Theorien anderer Disziplinen, wobei sich die Mixtur in Abhängigkeit vom untersuchten Gegenstand stets neu ergibt. Angewandte Methoden werden in einer historischen Arbeit nicht speziell ausgewiesen; sie sind deren immanen-

14

Einleitung

te Bestandteile und fließen als durch Analyse aufgewertete Empirie zurück in die Theoriebildung damit befasster Wissenschaften. Für die Untersuchung der Landesbildung Sachsens waren Erkenntnisse verschiedener Nachbardisziplinen von Nutzen. Auf einige sei exemplarisch hingewiesen. Dank fortgeschrittener Forschungen im Bereich der Verwaltungswissenschaft stand hier eine Fülle plausibler Interpretationen zur Verfügung. Diese betrafen zum Beispiel den Übergang vom DDR-Staatsapparat zur klassischwestlichen Verwaltung im Transformationsprozess, die Einschätzung der Funktionseliten des DDR-Apparates vor dem Hintergrund der Diskussion über fachliche Kompetenz oder „ideologisierte Inkompetenz“ oder die Aktualität der von Max Weber konstatierten Tatsache, wonach Politik geht, Verwaltung aber bleibt. Ein Blick in wissenschaftliche Dispute mit dem Thema befasster Geographen half, strittige Länderaufteilungspläne unter Gesichtspunkten der Raumordnung oder unter historischen Aspekten zu betrachten. Die Landeskunde lieferte Informationen über frühere Formen und Strukturen sächsischer Verwaltungen unter dem Aspekt der Übertragung auf die Situation des Jahres 1990. Ohne Kenntnisse finanz- und wirtschaftswissenschaftlicher Zusammenhänge wäre eine Bewertung der entsprechenden Ausgangsbedingungen in Sachsen schwierig geworden. Von Nutzen für die Bewertung des Status Sachsens nach dem Beitritt der DDR waren entsprechende Debatten unter Staatsrechtlern. Sie halfen auch bei der rechtlichen Deutung der Beziehungen zwischen Bundesländern und DDR-Bezirken, der Rolle der Länder im bisherigen und neuen föderalen System sowie relevanter Paragraphen des Einigungsvertrages. Überhaupt erschließt sich das Thema nur bei einem Mindestmaß an verwaltungsjuristischen Kenntnissen. Die Anwendung der Transformationstheorie half bei der Deutung des Prozesses des Verwaltungsaufbaus in Sachsen als eines mehr oder weniger zielgerichteten Prozesses, mit Hilfe totalitarismustheoretischer Instrumentarien konnte gefragt werden, wann und wodurch es zur Erosion der Diktatur kam, wie der Zustand der DDR 1989 vor Ausbruch der Herbstereignisse zu definieren sei und welches die Motive der bislang Herrschenden waren. Hier können die Erkenntnisse aus der Untersuchung des Transformationsprozesses ihrerseits helfen, den Charakter der überwundenen Diktatur genauer zu bestimmen. Bei der Beantwortung der Frage, ob und inwieweit es innerhalb des SEDHerrschaftsapparates einheitliche Handlungsmuster und Motivationen gab, halfen Fragestellungen der Transitionstheorie weiter, die sich mit dem Verhältnis von Elitenspaltung und Massenmobilisierung als Auslöser von Liberalisierungsund Demokratisierungsprozessen befasst. Dieser theoretische Ansatz half, die wachsenden Interessengegensätze zwischen der Modrow-Regierung und den Räten der Bezirke ebenso zu deuten wie das Verhalten der Funktionseliten des SED-Staates im Übergang vom kommunistisch geprägten Staatsapparat in die Landesverwaltung freiheitlich-demokratischer Länder. Der akteurszentrierte Rational-Choice-Ansatz half Motivstrukturen der Akteure im Transformationsprozess zu interpretieren. Aus dem breiten Spektrum der demokratietheoretischen Diskussion sei nur auf das Verhältnis von direkter und repräsentativer

Aufbau und Methodik

15

Demokratie verwiesen, das sich sowohl im Gegenüber von Regierung und Runden Tischen bzw. dem Koordinierungsausschuss, aber auch in den Entscheidungen von Kreisen und Kommunen über ihre Landeszugehörigkeit niederschlug. Je stärker sich die zeithistorische Forschung der vielfältigen Methoden andere Disziplinen bedient, desto aussagekräftiger sind ihre Ergebnisse. Grundlage der historischen Arbeit aber bleibt die Methodik des Faches. Ohne eine den hier gültigen Normen der Quellenarbeit verpflichtetes Vorgehen führen Methoden anderer Fachbereiche schnell zu Überinterpretationen für wichtig erachteter Einzelaspekte. Bei der Arbeit handelt es sich um eine zeitgeschichtlich konzipierte Einjahresstudie. Behandelt wird der historische Umbruch von 1989/90, ein Jahr also, das es in jeder Hinsicht in sich hat. Die Untersuchung setzt – nach einer kurzen historischen Retrospektive – mit den ersten Forderungen nach Länderbildung im Herbst 1989 ein und endet mit der Konstituierung des Landtages, der Bildung der Staatsregierung, der beginnenden Herausbildung judikativer Institutionen und der Verabschiedung der Landesverfassung. Der Rückblick in die ältere Geschichte Sachsens ist mit Bedacht vorgenommen worden. Angesichts des kurzen zeitlichen Abstandes zwischen Ereignis und Zeitpunkt der Betrachtung wird so zumindest die Möglichkeit genutzt, die Ereignisse des Jahres 1989/90 in Sachsen auf einer in die Vergangenheit verlängerten Zeitschiene zu betrachten. Durch die so verlängerte Perspektive werden Kontinuitäten und Diskontinuitäten deutlich, die helfen, die Bildung des Freistaates Sachsen nicht als punktuelles Ereignis zu sehen, sondern den Vorgang mit Blick auf seine Vergangenheit historisch zu verorten. Die Gliederung ergibt sich im wesentlichen aus dem Handlungsablauf. Auf eine zunächst erwogene stärker systematische Strukturierung wurde bald verzichtet. Angesichts der extrem hohen Ereignisdichte auf mehreren Handlungsebenen und einer kurzen Zeitschiene hätte diese den Eindruck von Gleichzeitigkeit verstärkt und die oft engen und subtilen Handlungszusammenhänge im Ablaufgeschehen nicht differenziert genug zur Geltung gebracht. Da wie in den Sozialwissenschaften auch in der Geschichtswissenschaft Längsschnittlichkeit und Mehrebenenfähigkeit (Mikro-Meso-Makro-Designs) Kriterien einer anspruchsvollen Forschungsarbeit sind,1 wurden unterschiedliche Handlungsebenen von der Bundespolitik bis zu personellen Konstellationen auf regionaler Ebene in Beziehung zueinander gesetzt und Prozesslinien herausgearbeitet. Das Geschehen auf unterschiedlichen Handlungsebenen korrespondiert dabei mit einer multifaktoriellen Analyse der Länderbildung als Teil des Umbruchs am Ende der Sowjetherrschaft.2 Zum einen geht es um die Beschreibung von Kontinuitäten und Diskontinuitäten im Handlungsprofil der unterschiedlichen, phasenbezogen auch wechselnden Akteure. Das betrifft deren Motive, Ziele und Konzepte, aber auch ihre Akzeptanz seitens der Bevölkerung, die Legitimität ih1 2

Vgl. Eisen/Kaase, Transformation und Transition, S. 13. Vgl. Pollack, Bedingungsfaktoren der friedlichen Revolution 1989/90, S. 189.

16

Einleitung

res Handelns, ihre Kompetenz, ihren tatsächlichen Einfluss sowie zeitweilige oder kontinuierliche Konfliktkonstellationen. Die Kürze der behandelten Zeitspanne lässt dabei Motivations- und Einstellungssprünge im Spannungsfeld zwischen Opportunismus und dem Festhalten an Grundüberzeugungen bei sich schnell ändernden Rahmenbedingungen gut verfolgen. Im Rahmen des Geschehens spielen eine Fülle ständig wechselnder, teils auch gleichbleibender, sich überlappender und gegenseitig bedingender Akteurskonstellationen eine Rolle. Um Interaktionen folgender Akteursgruppen untereinander geht es vor allem: Bundesregierung, DDR-Regierungen unter Modrow und de Maizière, Landesregierungen von Baden-Württemberg und Bayern, Räte, Bezirkstage, Runde Tische der Bezirke Dresden, Karl-Marx-Stadt/Chemnitz und Leipzig, Koordinierungsausschuss zur Bildung Sachsens sowie Sachsen als neues Bundesland. Die oft konfliktbeladenen Interaktionen sind doppelt gebrochen durch Parteikonstellationen und durch den Kampf „alter“ und „neuer“ Kräfte untereinander. In dem manchmal – auch für die Akteure – schwer überschaubaren und rasanten Geschehen war letzterer ein wesentliches äußeres Merkmal des gesamten Umbruchprozesses. Dabei ist die Definition von „alt“ und „neu“ schillernd. Sie hatte im Rahmen der damaligen Auseinandersetzungen eher eine funktionale als eine erklärende Funktion und trägt deswegen gelegentlich willkürliche Züge. In der Darstellung werden als „neue politische Kräfte“ oder „neue Kräfte“ unspezifisch Mitglieder neuer politischer Gruppierungen oder Parteien benannt, einschließlich derer, die sich, wie in Dresden, der CDU anschlossen. In diesem Zusammenhang ist auch die Rede von „neuen politischen Kräften“ in der CDU, hier in der Regel vom Personenkreis um Arnold Vaatz, später auch von denen des mit der CDU fusionierten Demokratischen Aufbruchs. „Altfunktionär“ meint, zunächst ohne weitere Implikationen, die Tatsache, dass Personen vor dem Herbst 1989 Funktionen in Parteien oder Massenorganisationen innehatten, in der Regel auf Bezirksebene oder aufwärts. Die Begrifflichkeit „alte Kräfte“ intendiert dabei keine Gleichsetzung von Mitgliedern und Funktionsträgern der SED und der verschiedenen Blockparteien. Ziel ist es vielmehr, pauschalen Urteilen über „die SED“ oder „die CDU“ zu begegnen und Unterschiede wie Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten. Sortierungen sind dabei nur bedingt und nach formalen Kriterien möglich. Systemtreue mit allen ihren Folgerungen war in der DDR ebenso wenig zwangsläufig an ein bestimmtes Parteibuch gebunden wie menschliche Eigenheiten. Aber natürlich war die SED als die Partei der Kommunisten deren wichtigstes Sammelbecken. Andererseits gab es auch in der CDU Funktionäre, die sich größere Meriten im „Klassenkampf“ erworben hatten als manche SED-Kader. Überall gab es Personen, die sich ihren Mitmenschen gegenüber mehr oder weniger verantwortungsvoll verhielten. So wenig Altfunktionäre per se moralische Defizite hatten, so wenig betraten mit den „neuen politischen Kräften“ oder mit westlichen Experten zwangsläufig integere Personen die politische Arena. Untersucht werden wechselnde und interdependente Konfliktkonstellationen bezogen auf drei Hauptabschnitte des so definierten Gesamtprozesses vom

Fragestellungen

17

Herbst 1989 bis zur Konstituierung des Freistaates Sachsen. Eine erste Phase umfasst die Liberalisierung und Demokratisierung vom revolutionären Herbst 1989 bis zur ersten freien Volkskammerwahl am 18. März 1990, eine zweite Phase beschreibt die erstmals demokratische DDR im Systemgrenzen überschreitenden Transformationsprozess zur Bundesrepublik bis zum 3. Oktober 1990, eine dritte Phase die beginnende Entwicklung Sachsens als Bundesland. Dieser Einteilung entsprechen die im Buch gewählten Kapitel, wobei den letzten beiden Phasen je zwei Kapitel gewidmet sind und sich ein erstes Kapitel mit der Vorgeschichte befasst. Die Zäsuren zwischen diesen Abschnitten sind markant und bringen einschneidende Veränderungen der Bewertungsgrundlagen für das Handeln aller beschriebenen Akteursgruppen. Fragestellungen: Fragen werden formuliert, wenn man mit der Arbeit fertig ist. Dieses Argument ist nicht ganz falsch, auch wenn gelegentlich erwartet wird, bereits mit einem fertigen Fragengerüst an die Arbeit zu gehen. Der Erfahrung vieler Historiker dürfte es aber wohl eher entsprechen, sich dem Stoff zunächst mit Hypothesen zu nähern. Aus der Arbeit ergeben sich dann neue, auf Grund des gewonnenen Wissens ausgefeiltere und konkrete Fragen. Das gilt insbesondere, wenn es sich, wie im vorliegenden Fall, um einen wenig untersuchten Gegenstand handelt. Bei bereits ausführlich analysierten und diskutierten Themen spielt die eigene Ausgangsfragestellung wegen der aus der Literatur vorab zu entnehmenden Thesen und Gegenthesen eine größere Rolle. Hier geht es oft weniger um neu gefundene Fakten als um die Deutung bekannter Tatsachen in unterschiedlich definierten Zusammenhängen. Wird, wie im Fall der Bildung des Freistaates Sachsen, vor allem Neuland betreten, dominiert zunächst die Empirie. Wichtige Fragen ergaben sich hier erst während der Arbeit, wurden dann aber rückwirkend an die gesamte Untersuchung gestellt. Insofern entstand das Manuskript nicht in einem linearen Prozess, vielmehr folgte die Arbeit dem Rhythmus „zwei Schritte vor, einen zurück“. Aus später bearbeiteten Kapiteln ergaben sich Zusammenhänge, die Fragen an Sachverhalte in früheren Kapiteln aufwarfen. Die gestellten Fragen orientierten sich am Kenntnisstand, der sich während der Arbeit verbesserte. Das selbe galt im Übrigen auch für die Zeitzeugeninterviews. Neben echten Ausgangsfragen wurden im Folgenden in rhetorischer Absicht auch die während der Arbeit gefundenen Antworten als Fragen formuliert, um dem Leser die Orientierung im Manuskript zu erleichtern. Generell ist die Frage zu beantworten, warum es im Umbruchprozess 1989/90 in der DDR überhaupt zur Länderbildung gekommen ist. Was sind die Grundprobleme des Prozesses? Worum ging es? Die Neubildung der Länder, im hier untersuchten Fall Sachsens, ist vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte zu hinterfragen. Zeigen sich hier Kontinuitäten deutscher Geschichte oder ging es eher um die Lösung aktueller Probleme? Handelt es sich um die Wiederkehr von etwas, das es bereits früher gab, oder ist etwas Neues entstanden? Wie verhalten sich beide Aspekte zueinander? Wenn etwas früher Vorhandenes wieder entstanden ist, woran wurde dann angeknüpft, an die Länder der

18

Einleitung

SBZ/DDR vor 1952 oder an ältere sächsische Traditionen? Was würde ein Unterschied in der Beantwortung dieser Frage über die Bildung des Freistaates Sachsen 1989/90 aussagen? Vollzog sich die Wiederkehr eines Regionalismus, und wenn ja, wie ist er zu bewerten? Gab es einen Zusammenhang von Forderungen nach regionaler Selbständigkeit (und kommunaler Selbstverwaltung) und freiheitlich-demokratischen Prinzipien? Wurde hier von unten die Forderung nach Subsidiarität erhoben? War die Forderung der Demonstranten nach Länderbildung Ausdruck eines von der Frage der Demokratie losgelösten typisch deutschen Regionalismus oder drückte sich darin eine Tendenz aus, die gegen die zentralistische Komponente der kommunistischen Diktatur gerichtet war? In diesem Zusammenhang stellt sich vor dem Hintergrund des Systemgrenzen überschreitenden Transformationsprozesses die Frage nach dem Verhältnis von zentralistischer Diktatur und Föderalismus. Wie schon das Beispiel der zentralistisch organisierten Demokratie Frankreichs zeigt, kann kein funktionales Junktim zwischen Demokratie und Föderalismus behauptet werden. Wie aber steht es um das Verhältnis von Diktatur und Föderalismus? Schließen beide sich aus? Steht der Föderalismus der Diktatur, zumal einer totalitären wie in der DDR, im Wege? Ergibt sich daraus ein demokratieförderlicher Charakter föderaler Strukturen? In der Arbeit geht es auch um die Bestimmung von Rolle und Bedeutung der Föderalisierung im Transformations- bzw. Transitionsprozess. Hier ist zu fragen, wie sich die Föderalisierung in den Ablauf Liberalisierung, Demokratisierung und Konsolidierung einordnet. Ein anderer wesentlicher Punkt der Auseinandersetzungen im Prozess der Neubildung Sachsens betraf das Verhältnis von zentralistischen und regionalen Aktivitäten zur Länderbildung. Hier ist zu fragen, wie sich beide in den unterschiedlichen Phasen der Entwicklung zueinander verhielten. Was waren die Gründe für die zentrale Steuerung der Länderbildung durch die DDR-Regierung? Hatte sich die Länderbildung den zeitlichen Zwängen des international eingebundenen Wiedervereinigungsprozesses im von Hans-Dietrich Genscher so bezeichneten „window of opportunity“ zu fügen? Wurde die Regierung de Maizière in ihrer Haltung von der Bundesregierung unterstützt? Welche Bedeutung hatten vor diesem Hintergrund die regionalen Bemühungen zur Bildung Sachsens? Gab es auch in anderen Ländern Sonderentwicklungen oder war die sächsische Entwicklung singulär? Welche Bedeutung hatte die Frage der Übernahme bundesdeutscher Strukturen im Zusammenhang mit der angestrebten Wiedervereinigung nach Artikel 28 des Grundgesetzes? Wurden die Länder nur gebildet, um passförmig zu bundesdeutschen Strukturen zu sein? Warum aber wurde dann die Forderung nach Länderbildung bereits im Herbst 1989 erhoben? Warum waren die Forderungen in Sachsen recht stark, in Sachsen-Anhalt und Brandenburg dagegen eher verhalten? Waren die Forderungen nach Länderbildung ab November 1989 un-

Fragestellungen

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abhängig von denen nach deutscher Einheit oder lassen sie sich bereits als Wetterleuchten am gesamtdeutsche Horizont deuten? Der zweite große Fragenkomplex betrifft die Akteure der Länderbildung. Welches waren die maßgeblichen politischen Kräfte in den einzelnen Phasen der Länderbildung? Lassen sich Akteursgruppen definieren? Welche politischen Kräfte trafen zu welchem Zeitpunkt aufeinander? Welche Absichten und Ziele hatten sie? Wie waren sie demokratisch legitimiert? Was hat es mit den „neuen politischen Kräften“ auf sich? Handelt es sich um eine homogene Gruppe? In welcher Hinsicht ist es sinnvoll, verschiedene politische Gruppierungen unter einem solchen Sammelbegriff zu subsumieren? Was ist andererseits unter „Altkadern“, „alten Kräften“ oder „Altfunktionären“ zu verstehen? Werden damit nicht Funktionsträger aus der SED und aus Blockparteien wie der OstCDU unzulässig begriffsmäßig subsumiert? Was waren die Motive der verschiedenen Akteursgruppen in den unterschiedlichen Phasen der Länderbildung? Welche Ziele hatten die Bundesregierung, die Regierungen unter Modrow und de Maizière, die westlichen Bundesländer und die konkurrierenden regionalen Kräfte in Sachsen? Wie sahen und beurteilten die „Altkader“ ihr Vorgehen während der Länderbildung? Hatten sie ein gutes Gewissen hinsichtlich ihrer politischen Vergangenheit? Fühlten sie sich durch die demokratischen Wahlen rehabilitiert und in ihrem bisherigen Handeln bestätigt? Sahen sie es als normal an, die Länderbildung vorzunehmen? Wie war die Situation in den Bezirken außerhalb Sachsens? Was sagt ihr Vorgehen über das Verständnis ihrer bisherigen Rolle in der Diktatur aus? Welche Veränderungen der Motivstrukturen lassen sich bei den Akteuren feststellen? Gab es eigentliche, abweichende hinter den behaupteten Motiven? Wie war es um Akzeptanz und Legitimität der Akteure bestellt? Was sagt der Konflikt zwischen repräsentativ-demokratischen und direkten Demokratiekonzepten darüber aus? Was waren die Gründe für die von der Ost-CDU dominierte Regierung de Maizière, sich immer wieder über neue politische Kräfte und Strukturen aus der friedlichen Revolution hinwegzusetzen? Gab es trotz formaler Legitimierung durch die Volkskammerwahlen demokratische Defizite hinsichtlich ihrer Kompetenz in einem so einschneidenden Vorgang wie dem der Länderbildung? Hätten hier, wie vom Grundgesetz in solchen Fällen verlangt, Formen direkter Demokratie in Anwendung kommen müssen? Wer war berechtigt, die Länder zu bilden? Wer definierte die Legitimierung? Wie wurde sie definiert? Der Streit um Legitimierung und personellen Neuanfang im Länderbildungsprozess verband sich in allen Phasen mit der Frage nach der dafür notwendigen fachlichen und moralischen Kompetenz und der Qualität der Konzepte zur Länderbildung. Gab es dabei fundamentale programmatische Unterschiede zwischen den politisch polarisierten Akteursgruppen oder ging es im Streit um etwas anderes? Wer verfügte über die inhaltliche Kompetenz zur Bildung des Landes? Wie verbanden sich Legitimität und Kompetenz in den phasenbezogen wechselnden Akteurskonstellationen? Wer verbündete sich wann und zu wel-

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Einleitung

chem Zweck mit wem? Welche politischen Kräfte und Interessen spielten eine Rolle und prallten aufeinander? Welche Kräftekoalitionen ergaben sich aus welchen Interessenlagen? Wo lagen wesentliche Macht- und Entscheidungszentren? Welche Akteure waren, obwohl sie es vielleicht selbst anders einschätzten, bereits marginalisiert? Welche Bedeutung hatte der Wille zu aktivem Handeln in einer Zeit des Umbruchs und der allgemeinen Verunsicherung? Waren aktiv Handelnde von vornherein im Vorteil? Schließlich ist vor dem Hintergrund der vollzogenen Länderbildung zu fragen, welche Ergebnisse die unterschiedlichen Ziele, Konzepte, Kompetenzen, Aktionen, Konstellationen oder Einflussnahmen schließlich brachten. Lässt sich erkennen, welche Auswirkungen andere Akteurskonstellationen und Kräfteverhältnisse gezeitigt hätten? Wer setzte sich im Landesbildungsprozess durch, wer war Gewinner, wer Verlierer? Ist ein personeller Neuanfang in Sachsen geglückt? Welche Konzepte setzten sich durch, welche blieben auf der Strecke? Welche Rolle spielten einstige Träger und Mitläufer der SED-Diktatur im neu gebildeten Freistaat Sachsen? Hatte die hart erkämpfte Stellung der neuen Kräfte bleibende Auswirkungen auf die Strukturen Sachsens im Vergleich zu Ländern mit abweichenden Landesbildungsprozessen? Quellenlage: Angesichts der verschiedenen Akteursgruppen und Handlungsebenen der Länderbildung mussten Unterlagen der Bundesregierung, der Bundesländer Baden-Württemberg und Bayern, der DDR-Regierungen und des ihr nachgeordneten Staatsapparates, aber auch von Runden Tischen, Parteien und neuen politischen Gruppierungen eingesehen werden. Hinsichtlich der Unterlagen aus der DDR gab es keine Nutzungsprobleme, eher schon wegen der durch Vernichtung entstandenen Lücken in einzelnen Aktenbeständen. Wesentliche Unterlagen des DDR-Staatsapparates sind im Bundesarchiv Berlin, im Sächsischen Hauptstaatsarchiv sowie in den Staatsarchiven Chemnitz und Leipzig zugänglich. Die Bestände der Bezirksverwaltungsbehörde Leipzig befinden sich im dortigen Regierungspräsidium. Dies ist verwunderlich, hat das Regierungspräsidium als Mittelbehörde des Freistaates Sachsen doch nichts mit der Bezirksverwaltungsbehörde der DDR-Regierung für den früheren Bezirk Leipzig zu tun. Da der Bestand des Rates des Bezirkes Leipzig im Staatsarchiv jedoch aufgrund der Vernichtungsarbeit eines früheren Direktors die im Vergleich der drei Bezirke größten Lücken aufweist, hat die wohl mit personellen Kontinuitäten zusammenhängende Deponierung im Regierungspräsidium andererseits wichtige Unterlagen vor der Zerstörung bewahrt. Wegen der Befürchtung einer unsachgemäßen Behandlung übergab Arnold Vaatz die Akten des Koordinierungsausschusses zur Bildung des Landes Sachsen Anfang der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts nicht an staatliche Archive, sondern zur wissenschaftlichen Aufarbeitung an das neugebildete Hannah-Arendt-Institut. Es folgten andere Sammlungen wichtiger Akteure der Länderbildung wie etwa die von Erich Iltgen und Steffen Heitmann. Neben diesen standen aber auch zahlreiche Privatbestände zentraler Akteure zur Verfügung (siehe Anhang). Hervorzuheben ist der Privatbestand von Manfred Kolbe,

Quellenlage

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dessen Wochenberichte an die Bayerische Staatskanzlei genaue Darstellungen mit bemerkenswerten Analysen und wichtigen Hintergrundinformationen verbinden. Um einen vergleichenden Blick auf die Bildung der anderen neuen Bundesländer zu ermöglichen, wurden auch Unterlagen anderer Landesarchive eingesehen. Bei der Beschreibung der Entwicklung der Parteien und neuen politischen Gruppierungen halfen Akten aus den einschlägigen Parteiarchiven, der CDU-Geschäftsstelle Dresden und aus Archiven der Bürgerbewegungen. Hinzu kamen zu regionalen Aspekten der Länderbildung einige Kreis- und Ortsarchive. Anders als für den Umgang mit staatlichen Unterlagen aus der DDR gab es für den Zugriff auf bundesdeutsche Akten keinen rechtlichen Anspruch. Hier mussten Sondergenehmigungen eingeholt werden.3 Einsicht wurde in ausgesuchte Unterlagen der Bundesministerien des Innern und für innerdeutsche Beziehungen gestattet. Diese erlaubten ergänzende Hinweise zur Haltung beider Ministerien im Prozess der Länderbildung, machten aber auch deutlich, dass sich die Bundesregierung erst im Sommer 1990 offensiv in den Prozess der Länderbildung einschaltete, nämlich als klar war, dass sie durch den vorgezogenen Beitritt vorübergehend für die neuen Länder zuständig sein würde. Eine abschließende Bewertung der Politik der Bundesregierung im Prozess der Herausbildung der neuen Bundesländer ist beim derzeitigen Stand des Aktenzugriffs nicht möglich. Leider konnten die für die Länderbildung bedeutsamen Akten der Clearingstelle des Bundes und der Länder nicht eingesehen werden, was bedeutet, dass sie – Gleichbehandlung vorausgesetzt – für zwei weitere Jahrzehnte unter Verschluss bleiben. Entschieden weniger restriktiv war – aus schwer nachvollziehbaren Gründen – der Umgang mit den bereits seit einigen Jahren freigegebenen und veröffentlichten Akten des Bundeskanzleramtes.4 Der eher restriktive Zugriff auf Akten des für die Länderbildung zuständigen Bundesministeriums des Innern konnte teilweise dadurch kompensiert werden, dass sich Unterlagen der Bundesregierung, bedingt durch den Einigungsprozess, auch in den Beständen der DDR-Regierung befinden und hier zugänglich sind. Eine hinreichende Beschreibung der Haltung von Bund und Ländern war aber auch dank des Zugangs zu Akten der Landesregierung von Baden-Württemberg und Bayern möglich. Vor allem die Unterlagen aus dem Staatsministerium in Stuttgart lieferten wichtige ergänzende Hinweise zur Haltung der Bundesrepublik im Prozess der Länderbildung. Darüber hinaus befinden sich hier wie in der Bayerischen Staatskanzlei und im Bayerischen Innenministerium bedeutsame Akten zur Bildung des Freistaates Sachsen, waren beide Partnerländer doch intensiv und direkt in diesen Prozess involviert. Die insgesamt sehr ergiebigen Bestände an Primärquellen unterschiedlichster Gattungen wurden ergänzt durch eine be3 4

Zum Problem der archivalischen Erschließung bundesdeutscher Akten und der „Schieflage“ bei der Nutzung der Akten aus Ost und West vgl. Buchholz, Anmerkungen zur Problematik der „DDR-Archive“, S. 388 f. Dokumente zur Deutschlandpolitik. Deutsche Einheit. Sonderedition aus den Akten des Bundeskanzleramtes 1989/90.

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reits recht beachtliche Memoirenliteratur,5 veröffentlichte Interviews sowie durch mehrere regionale und überregionale Tageszeitungen. Forschungsstand: Im Jahr 1995 stellte Hartmut Zwahr fest, dass „die Phase des nationaldemokratischen Umschlags zur Vereinigungs- bzw. Wiedervereinigungsrevolution [...] verlaufsgeschichtlich vergleichend noch nicht untersucht“ worden sei.6 An diesem Tatbestand hat sich hinsichtlich der innenpolitischen Entwicklung wenig geändert. Nach wie vor fokussieren die meisten Darstellungen, politischen Vorlieben und Deutungsvorgaben folgend, auf den Herbst 1989. Die Folge ist eine ungleiche Bewertung der Faktoren im Transformationsprozess. Oft folgt einem positiv bewerteten Herbst 1989 das angebliche Ende der Revolution durch bundesdeutsche Vereinnahmung.7 Entstanden ist so ein zweigeteiltes Bild von den Ereignissen. Herbstrevolte 1989 und Vereinigungsprozess 1990 stehen bestenfalls nebeneinander, als hätten sie wenig miteinander zu tun. In den meisten Legenden aber begeht die Bevölkerung Verrat an den hehren Ideen progressiver Intellektueller. Vielleicht ist das ein Grund für den allgemeinen Unwillen, sich überhaupt mit dem Thema zu befassen. Stattdessen greift Ostalgie Raum.8 Vor dem Hintergrund einer allgemeinen Verdrängung der Ereignisse verwundert es kaum, dass auch die Länderbildung als Teilaspekt der deutschen Einheit politikgeschichtlich bisher nur in Detailstudien oder als Aspekt in Untersuchungen mit anderen Themenschwerpunkten betrachtet worden ist. Die meisten Arbeiten liegen in diesem Zusammenhang noch zur Neubildung Sachsens vor. 1994 legte Markus Schubert eine unveröffentlichte politikwissenschaftliche Magisterarbeit über den Koordinierungsausschuss zur Bildung des Landes Sachsen vor. Sie lieferte erstmals eine durchgängige Beschreibung des Prozesses, kam zu bis heute wichtigen Bewertungen, blendete durch die Konzentrierung auf den Koordinierungsausschuss aber die Rahmenentwicklungen aus. Der Wert der ansonsten wichtigen Arbeit wird dadurch gemindert, dass der Autor die Quellen der von ihm zitierten Dokumente nicht angibt. Wo diese dennoch nach Schubert zitiert wurden, geschah es unter Vorbehalt und nur, wenn wichtige Dokumente in anderer Form nicht vorlagen.9 1995 folgte ein Beitrag des Autors über die Entwicklung der staatlichen Strukturen im Bezirk Dresden bis zur Wahl des sächsischen Landtages im Oktober 1990.10 Recht allgemein 5 Vgl. u. a. Berghofer, Meine Dresdner Jahre; Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch; Fuchs, Mut zur Macht; Kohl, Mein Tagebuch 1998–2000; Kunckel, Die Herausforderung heißt Sachsen; Mengele, Wer zu Späth kommt; Milbradt, Kraft der Visionen; Schäuble, Der Vertrag. Mehrfach Vaatz, Heitmann, Iltgen oder Modrow. 6 Zwahr, Die Revolution in der DDR, S. 220. 7 Vgl. Richter, Die Revolution in Deutschland, S. 13–17; ders. Revolution und Transformation, S. 935 f. 8 Vgl. Regina Mönch: „Zonensucht und Revolutionsallergie. Rückblickseuphorie eint das Land: Forschungen über das Sonderbewusstsein der Ostdeutschen, das den Blick auf 1989 verstellt.“ In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 14. 3. 2004. 9 Schubert, Der Koordinierungsausschuss. 10 Richter, Räte, „Volksvertretungen“, Runde Tische.

Forschungsstand

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blieb eine 1999 von Ralph Kleimeier vorgelegte Magisterarbeit über die Entwicklung in Sachsen 1989/90. Sie fasste die bisherige Forschung zusammen, basierte vor allem auf veröffentlichten Quellen, enthielt aber einige interessante Interviews.11 Im selben Jahr beschrieb der Autor Hauptentwicklungslinien der Bildung Sachsens im Zusammenhang mit der friedlichen Revolution12 und die Entwicklung der Staatsorgane im Bezirk Dresden im Zusammenhang mit der Landesbildung.13 2002 befasste er sich mit Konflikten in Grenzkreisen und -kommunen bei der Bildung des Freistaates Sachsen 1989–1994.14 Gut untersucht sind die Entstehung der Sächsischen Verfassung und die damaligen Verfassungsdiskussionen.15 Zur Entwicklung von Parteien und neuen politischen Gruppierungen, die Aspekte für den Prozess der Neubildung Sachsens beisteuern, liegen ebenfalls erste Untersuchungen vor. 1997 erschienen Studien zur Entwicklung von CDU und SPD. Ute Schmidt legte eine wichtige politikwissenschaftliche Untersuchung über den Wandel der CDU von einer Block- zur Volkspartei vor. Sie ging dabei unter anderem auf die für die Landesbildung Sachsens entscheidenden internen Auseinandersetzungen zwischen Altfunktionären und neu zur Partei gestoßenen Bürgerrechtlern ein.16 Michael Rudloff und Mike Schmeitzner beschrieben die Entwicklung der SPD im Sächsischen Landtag.17 Die für die Frühgeschichte der Landesbildung wichtige Entwicklung der Dresdner Gruppe der 20, aus der unter anderem der erste Entwurf einer Sächsischen Verfassung hervorging, untersuchten der Autor und Erich Sobeslavsky 1999.18 Karin Urich legte 2002 eine ausführliche Studie über die Bürgerbewegungen in Dresden vor, in der auch Aspekte der Länderbildung anklingen.19 Reiner Marcowitz beschrieb 2002 den auch für die sächsische Landesbildung wichtigen Prozess der Vereinigung der liberalen Parteien.20 Leider ist bis heute keine ausführliche Arbeit zur Entwicklung der DSU und CSU in Sachsen bekannt. Ausführlich und analytisch anspruchsvoll ist der Prozess der Länderbildung und der damit verbundene Transfer bundesdeutscher Institutionen im Bereich der Verwaltungswissenschaft untersucht worden. Hier konstatierte Heinz Eggert 1993, dass allein die Entwicklung der Verwaltung in den neuen Bundesländern „gleich für mehrere Dissertationen herhalten“ könnte.21 So war die Verwaltungsentwicklung im vereinten Deutschland auch in den folgenden Jahren 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21

Kleimeier, Sachsen. Richter, Von der friedlichen Revolution zum Freistaat Sachsen. Ders., Das Ende von Bezirkstag und Rat des Bezirkes Dresden 1990. Ders., Entscheidung für Sachsen. Degenhart / Meissner, Handbuch der Verfassung des Freistaates Sachsen; Guggenberger / Stein, Die Verfassungsdiskussion im Jahr der deutschen Einheit; mehrfach auch Heitmann, Mampel und von Mangoldt, siehe dazu die entsprechenden Kapitel. Schmidt, Von der Blockpartei zur Volkspartei. Rudloff/Schmeitzner, Die Wiedergründung der sächsischen Sozialdemokratie 1989/90. Richter/Sobeslavsky, Die Gruppe der 20. Urich, Die Bürgerbewegung in Dresden. Marcowitz, Der schwierige Weg zur Einheit. Eggert, Die Entwicklung der Verwaltung, S. 378.

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ein ständiges Thema, war es doch wegen der politischen Praxis unerlässlich, sich mit Fragen der Verwaltung oder des Rechtes in seinen diversen Facetten zu befassen. Diesen Arbeiten, in denen Sachsen in der Regel neben den anderen neuen Bundesländern abgehandelt wird, wurde wichtiges methodisches Rüstzeug entnommen.22 Auf die Entstehung der Umweltverwaltung in Sachsen ging dezidiert Dieter Angst ein.23 Diverse Untersuchungen liegen auch zu staatsrechtlichen Aspekten der Länderbildung im Einigungsprozess, zur Föderalismus-Problematik und zur Frage der Neustrukturierung der Länder, unter anderem im Zusammenhang mit dem Länderfinanzausgleich, und zu Fragen der territorialen Struktur der entstehenden Länder vor.24 Die Länderbildungspolitik von Bund, westlichen Bundesländern und der DDR-Regierung ist bislang unzureichend untersucht. 1991/92 setzte sich Karlheinz Blaschke kritisch mit der Länderneubildungspolitik der DDR-Regierung auseinander.25 2001 folgte ein ebenfalls kritischer Beitrag des Autors.26 Die bundesdeutsche Haltung reflektierte Wolfgang Jäger beiläufig.27 Untersuchungen zur Bildung der anderen neuen Bundesländer liegen bislang ebenfalls kaum vor. Zu Mecklenburg-Vorpommern existiert eine kleinere Studie im Zusammenhang mit einer Ausstellung der Landeszentrale für politische Bildung.28 Ausführliche Arbeiten sind derzeit weder im Entstehen begriffen noch in Planung.29 Für Sachsen-Anhalt ging Mathias Tullner beiläufig auf die Thematik im Zusammenhang umfassenderer Darstellungen zur Landesgeschichte ein.30 Ausführliche Untersuchungen sind auch hier nicht in Arbeit oder Planung.31 Für Brandenburg behandelte Detlef Kortsch im Rahmen einer Untersuchung über Brandenburg zwischen Auflösung und Wiedergründung kurz die Aktivitäten der Räte der Bezirke und des von ihnen gebildeten Koordinierungsausschusses zur Landesbildung.32 Ansonsten liegen auch zu Brandenburg keine Untersuchungen vor und sind auch nicht in Arbeit.33 Ebenso wenig Inte22 Siehe die verschiedenen Beiträge im Literaturverzeichnis von Benz, Derlien, Eisen, Häußer, König, Lehmbruch, Mäding, Seibel, Wollmann u. a. 23 Angst, Aufbau und Struktur der Umweltverwaltung. 24 Siehe u. a. die Arbeiten von Blaschke, Greulich, Rutz oder Scherf im Literaturverzeichnis. 25 Blaschke, Das Werden der neuen Bundesländer. 26 Richter, Zwischen zentralistischer Tradition und föderativem Neuanfang. 27 Jäger, Die Überwindung der Teilung. 28 Mecklenburg & Vorpommern 1990. Entstehung eines neuen Bundeslandes. Hg. Landeszentrale für politische Bildung, Schwerin o. D. 29 Schreiben der Landeszentrale für politische Bildung Schwerin vom 6. 5. 2002; Schreiben des Landesarchivs Greifswald vom 24. 4. 2002; Schreiben des Landeshauptarchivs Schwerin vom 15. 4. 2002. 30 Tullner, Geschichte des Landes Sachsen-Anhalt, S. 171–183. 31 Schreiben des Landeshauptarchivs Sachsen-Anhalt Magdeburg vom 23. 4. 2002; Schreiben des Landeshauptarchivs Sachsen-Anhalt, Abteilung Merseburg, vom 11. 4. 2002; Email von Mathias Tullner vom 14. 5. 2002. 32 Kotsch, Das Land Brandenburg. 33 Email des Brandenburgischen Landeshauptarchivs vom 8. 4. 2002.

Forschungsstand

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resse fand das Thema bislang in Thüringen.34 Neben einer kleineren Darstellung der Landesbildung35 liegt hier eine knappe Darstellung des Neubeginns der Arbeit des Thüringer Landtages vor.36 Generell lässt sich feststellen, dass hinsichtlich des komplexen Transformationsgeschehens im Übergang von der DDR zum vereinten Deutschland aus historischer Sicht noch ganze Komplexe – wie die hier beschriebenen Länderbildung – weitgehend unerforscht geblieben sind. Deswegen ist auch einer Sichtweise wie der von Detlef Pollack zu widersprechen, es komme in Zukunft weniger darauf an, den bereits vorliegenden historischen Untersuchungen weitere Fall-, Regional- und Detailstudien hinzuzufügen. Auch wenn „hier und da noch weiße Flecken in der Erforschung der Umbruchereignisse anzutreffen“ seien, dürfte sich das Bild nach Meinung Pollacks „durch empirische und zeithistorische Arbeit kaum noch entscheidend ändern“.37 Eine solche Sichtweise macht den schwer überbrückbaren Unterschied zwischen theoretisch-methodischer Forschung im Bereich der Sozialwissenschaften und dem Verständnis differenzierender zeitgeschichtlicher Forschung deutlich. Pollacks Sichtweise kann aber auch unter dem Gesichtspunkt der Theoriebildung nicht zugestimmt werden. Die Untersuchung des Prozesses der Föderalisierung und regionaler Besonderheiten im Umbruchprozess etwa dürften zu einer Differenzierung der in der Transformationsforschung behaupteten Zielgerichtetheit des Transformationsprozesses führen und damit weitere Aspekte zum Vergleich der ehemaligen Ostblockstaaten liefern. Vor allem im kommunalen Bereich entstanden in der Demokratisierungsphase eine Vielzahl an Formen von Gremien politischer und gesellschaftlicher Mitwirkung, die Aussagen über die Richtung des Veränderungswillens und die angestrebten Formen politischer und gesellschaftlicher Partizipation treffen helfen. Außerdem liegt noch nicht einmal eine genauere Bewertung des Handelns der Transformationsregierung unter de Maizière vor. Die Akten der Bundesregierung und der Länder harren zum großen Teil der Aufarbeitung, die systemüberschreitenden Umbruchprozesse in Bereichen wie Justiz, Polizei, Bildung, Wirtschaft etc. sind noch kaum ansatzweise untersucht.38 Eine Ursache für Pollacks Haltung dürfte die auch von ihm vorgenommene Fokussierung auf die Herbstereignisse sein, die zugleich Mängel in seiner Theoriebildung bedingt. Eine Modifizierung seiner methodischen Prämissen dürfte die unausweichliche Folge der Ausweitung empirischer Forschungen auf das Jahr 1990 und auf den folgenden Konsolidierungsprozess sein, zumal, wenn 34 Schreiben des Thüringischen Hauptstaatsarchivs Weimar vom 15. 4. 2002; Schreiben des Thüringischen Staatsarchivs Meiningen vom 26. 4. 2002; Schreiben des Thüringischen Staatsarchivs Rudolstadt vom 17. 4. 2002. 35 Marek/Schilling, Neubildung des Landes. 36 Linck, Haus demokratischer Willensbildung. 37 Pollack, Bedingungsfaktoren der friedlichen Revolution 1989/90, S. 195. 38 Für die Umwandlung der Volkspolizei in die sächsische Landespolizei entsteht derzeit eine vom Hannah-Arendt-Institut unterstützte Dissertation von Edward Hamelrath (University of Memphis, Tennessee).

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dieser die anderen früheren Ostblockstaaten in vergleichender Perspektive einbezieht. Probleme einer zeitnahen Arbeit: Der Zeitgeschichte, so Konrad H. Jarausch, haftet bei manchen Kollegen trotz des Quellenzugangs im Fall der DDR noch immer ein Hauch von Unseriosität an.39 Dabei liegt es doch eigentlich auf der Hand, dass angesichts einer seit nunmehr fast 15 Jahren abgeschlossenen Epoche deutscher Geschichte und des bezogen auf die DDR weitgehend ungehinderten Aktenzugangs Interesse an der Beantwortung der Frage besteht, was es mit diesem Staat auf sich hatte. Vorteile wie Nachteile halten sich hier – wie im Übrigen auch in bezug auf die Beschäftigung mit der ebenfalls zeitnahen NSDiktatur – die Waage. Vorteile liegen zum Beispiel in der Frische der Eindrücke und der Möglichkeit, Zeitzeugen zu befragen, ein wichtiger Nachteil besteht in der fehlenden zeitlichen Distanz, die bekanntlich den Blickwinkel verändert und gerade Vergangenes auch in Bezug zu Geschehnissen setzt, die erst noch passieren werden. Im vorliegenden Fall der Beschreibung der Herausbildung des Freistaates Sachsen müssen noch weitere Unwägbarkeiten ins Kalkül gezogen werden. Problematisch ist vor allem, dass Teile der Darstellung heute aktive Politiker betreffen und ein Einfluss auf gegenwärtiges Geschehen nicht ganz auszuschließen ist. Es ist nun aber gerade nicht die Aufgabe des Historikers, das laufende politische Geschäft mittels zeitnaher Darstellungen anders als durch aufklärende Information zu beeinflussen. Hier helfen die Ratschläge Hermann Webers. In der Öffentlichkeit wie in der Politik, so der Mentor der DDR-Forschung, mögen monokausale Erklärungen für komplexe Vorgänge gefragt sein, der Historiker aber hat tunlichst eine kritische Differenzierung vorzunehmen. Anstelle simpler Schwarz-Weiß-Malerei sind Grautöne und Zwischentöne zu beachten. Die Wissenschaft muss sich vor der Vereinnahmung durch die Politik ebenso hüten wie vor dem jeweiligen Zeitgeist.40 Dem Autor, der diesen Prämissen uneingeschränkt zustimmt, bleibt nur die Möglichkeit, sich kommender Kritik zu stellen und zu hoffen, diesbezüglich als kritischer Zeitgenosse zu gelten. Dabei sind entsprechende Gefährdungen keinesfalls theoretischer Natur. An eine Darstellung wie die vorliegende sind unterschiedlichste und sich widersprechende Erwartungen geknüpft. Vertreter „neuer Kräfte“ wollen ihren Kurs bestätigt sehen. Akteure aus der Block-CDU setzen auf eine ausgewogene Darstellung, die auch ihre Haltung und Leistung würdigt. Vertreter der Landtagsopposition werden darauf achten, dass die Darstellung, die sich zwangsläufig eher um die CDU dreht, politisch ausgeglichen ist und ihre Partei angemessen berücksichtigt. Viele der im einzelnen beschriebenen Politiker werden mit Hilfe des Namensregisters als erstes nachsehen, was über sie geschrieben steht. Hinzu kommen berechtigte Anfragen aus der eigenen Zunft oder benachbarten Disziplinen. Dabei geht es um plausible Methoden oder Schlüsse, um eine

39 Vgl. Jarausch, Implosion oder Selbstbefreiung? S. 16. 40 Vgl. Weber, Historische DDR-Forschung, S. 942 f.

Probleme einer zeitnahen Arbeit

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angemessene Quellenarbeit und -bewertung sowie vor allem um die Frage, ob und in welchen Bereichen die Arbeit die Forschung voranbringt. Diese Kritik ist dauerhaft bedeutsamer als kaum vermeidbare Einwände missverstandener oder im Detail besserwissender Akteure. Aber nicht nur deswegen ist die Frage nach den Unwägbarkeiten zeitnaher Arbeit für die zeitgeschichtliche Forschung ernst zu nehmen. Vor- und Nachteile müssen abgewogen werden. Von einer Historisierung der DDR, das zeigt schon ein Blick auf diverse Ostalgie-Veranstaltungen und die Fülle apologetischer Literatur ehemaliger Klassenkämpfer, kann keine Rede sein. Andererseits hängt diese auch nicht nur mit einer bestimmten zeitlichen Distanz zusammen. Es handelt sich vielmehr um einen differenzierten Prozess, dessen erste simple Voraussetzung für den Historiker der Zugang zu den Quellen ist. Im vorliegenden Fall war diese ausreichend gegeben. Es macht aber auch deswegen bereits Sinn, die DDR zu untersuchen, weil eine tiefgreifende, Systemgrenzen überschreitende Zäsur zwischen ihr und der heutigen deutschen Wirklichkeit liegt. Die Bundesrepublik hat das Erbe der DDR angetreten, sieht sich aber keinesfalls in deren Tradition. Die Bildung des Freistaates Sachsen gehört zu diesem Systemgrenzen überschreitenden Transformationsprozess, der freilich noch ein weiteres Problem birgt. Nur die erste Hälfte der Landesbildung handelt in der DDR. Mit dem Augenblick seiner Wiedergeburt wurde das Land Sachsen Teil der Bundesrepublik Deutschland. Der Überwindung der Welten und Räume trennenden Mauer am 9. November 1989 folgte die Überschreitung der zeitlichen Grenze am 3. Oktober 1990. Was blieb, waren alte deutsche Territorien in Form neuer Bundesländer. Damit handelt es sich im zweiten Teil seiner Genese um einen Aspekt der Frühgeschichte des vereinten Deutschlands. Gerade diese doppelte Dimension des Transformationsprozesses macht das Geschehen interessant und untersuchenswert. Zwangsläufig werden spätere Arbeiten zum Thema veränderten Sichtweisen folgen und die vorliegende Untersuchung vielleicht selbst der Aufarbeitung in der Konsolidierungsphase des Transformationsprozesses zurechnen. Ein Hauptproblem zeitnaher Arbeit ist die fehlende Möglichkeit, die Ereignisse in Beziehung zu Geschehnissen zu setzen, die erst noch eintreten werden, aus zukünftiger Perspektive und Distanz gesehen aber im Zusammenhang mit ihnen stehen. Im vorliegenden Fall könnte beispielsweise eine irgendwann erfolgende Länderreform die Bewertungsgrundlage für die Entscheidung zur Bildung von fünf Ländern samt Sachsen verändern. Ebenso könnte die künftige Rolle der Regionen im zusammenwachsenden Europa Perspektiven und Interpretationen modifizieren. Schon jetzt werden die Auswirkungen der Bildung der neuen Bundesländer auf das föderative System der Bundesrepublik anders – und negativer – beurteilt als unmittelbar nach der Einheit. Schließlich wäre es möglich, dass soziale Friktionen ungeahnten Ausmaßes die Bedeutung eines Prozesses wie den der Länderbildung marginalisieren. Meist sind es jedoch unvorhersehbare Entwicklungen, die späteren Lesern heute Selbstverständliches als merkwürdig Altertümliches erscheinen lässt. Sicher scheint nur zu sein, dass die Beurteilung

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der Länderbildung auch in Zukunft eng mit der Bewertung des gesamten Umbruchs am Ende des sowjetischen Imperiums verbunden bleibt. Zeitzeugenbefragungen: Ein wichtiger Vorteil zeitnaher Arbeit ist die Möglichkeit, Zeitzeugen nach ihren Erinnerungen und Bewertungen zu befragen. So können Erkenntnisse festgehalten werden, bei denen Historiker, die jenseits der Grenze der Zeitgeschichte forschen, auf Spekulationen angewiesen bleiben. Durch Zeitzeugenbefragungen entstehen neue schriftliche Quellen. Autorisierte Interviews legen authentische Zeugnisse von Erinnerungen und Interpretationen zum Zeitpunkt der Befragung ab. Befragungen nur wenige Jahre nach den beschriebenen Ereignissen liefern oft noch erstaunlich klare Erinnerungen und Bewertungen. Sie sind weniger verblasst, durch spätere Ereignisse überlagert oder durch Darstellungen wie die vorliegende beeinflusst, als bei Interviews, in denen im Alter nach Erlebnissen aus der Jugendzeit gefragt wird. Auch steckt die Legendenbildung sowohl hinsichtlich des Gesamtgeschehens als auch der Rolle der befragten Personen noch in den Anfängen, was hilft, ihre Ursprünge und ihren Zweck aufzudecken. Da sich das Geschehen aus den schriftlichen Akten in wesentlichen Zügen recht gut rekonstruieren lässt, sind es vor allem Hintergrundinformationen, Deutungen und Bewertungen, die die Interviews so wichtig machen. Sie helfen zugleich, die Rolle des befragten Akteurs im damaligen Geschehen zu deuten. In Schriftform gefasste Interviews sind Zeitdokumente aus der Zeit der Befragung, nicht aus der des nachgefragten Geschehens und als solche dem Bereich veröffentlichter Memoiren zuzuordnen. Anders als diese bieten sie durch ihre Diskretion – sofern nicht ausdrücklich anders verfügt, bleiben sie unter Verschluss – jedoch auch Informationen, die zwar im Text nicht unbedingt direkt erscheinen müssen, hier und da aber helfen, Dinge anders zu bewerten oder besser gar nicht zu schreiben. Die Aussagen der Zeitzeugen, in den meisten Fällen wichtige Akteure des Geschehens, bringen außerdem im wahrsten Sinne des Wortes Leben in den Text. Mit ihrer Hilfe konnte ein wesentlich dichteres Bild der Ereignisse geschaffen werden als dies durch schriftliche Überlieferungen allein möglich gewesen wäre. Einige Kapitel stützen sich geradezu auf die Interviews, besonders wenn es um personelle Auseinandersetzungen geht, die keinen Niederschlag in den Akten gefunden haben und so auch niemals finden würden. Meist ergänzen sich konkurrierende Aussagen zu einem ausgewogenen Bild. Die Zitierung der Zeitzeugen bindet sie mit ihren aktuellen Deutungen in die Darstellung ein und macht sie so ein zweites Mal zu Mitgestaltern der nun zur Geschichte erstarrenden Ereignisse. Dem dabei gelegentlich zu beobachtenden Drang einseitiger Deutung stellt der Historiker seine Sichtweisen und Interpretationen entgegen. Insofern wird er durch die Art der Beschreibung zu dem, was er beim eigentlichen Geschehen nicht war, zum Mitgestalter. Hinsichtlich des Rekapitulierens befindet sich der Zeithistoriker in einer grundsätzlich anderen Situation als der Akteur oder Zeitzeuge. Er rekonstruiert Ereignisse und Zusammenhänge nicht aus eigenem Erleben, sondern stützt sich auf schriftliche Überlieferungen und Berichte von Zeitzeugen. Gerade letztere

Zeitzeugenbefragungen

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zeigen, dass es neben einem Überlappungsbereich identischer Erinnerungen auch Deutungen und Bewertungen gibt, die, bedingt durch unterschiedliche Orte, Rollen, Standpunkte oder in der Persönlichkeit begründete subjektive Wahrnehmungsweisen und Auffassungen divergieren. Um ein möglichst genaues Bild der vergangenen Ereignisse entstehen zu lassen, nimmt der Historiker, gestützt auf schriftliche Überlieferungen, einen gedachten Standpunkt jenseits der subjektiven Erfahrungen von Zeitzeugen ein. Er verbindet Ereignisse, die unabhängig voneinander stattfanden, aber zu einem gemeinsamen Ergebnis führten, und beschreibt Zusammenhänge, die erst im Nachhinein als solche erkennbar sind, aber den Handlungslauf bestimmten. Unterschiedliche Handlungsfelder und -ebenen, die von jeweils verschiedenen Akteuren getrennt oder teils auch gemeinsam erfahren wurden, werden zu einer Gesamtschau verknüpft. Dabei wird von subjektiven Sichtweisen und Erfahrungsbereichen abstrahiert und ein Handlungszusammenhang festgestellt, der jedoch keine deterministische Handlungslogik behauptet wie im teleologischen Geschichtsbild ideologischer Welterklärungsmodelle. Der Vorteil der abstrakt-jenseitigen Position ist die Chance des Überblicks, ihr Nachteil die fehlende Kenntnis oft wichtiger Details und subtiler Zusammenhänge. Dem Zeitzeugen ermöglicht die daraus resultierende Darstellungsart eine kritische Einordnung des selbst Erlebten, für die Geschichtswissenschaft stellt es die selbstverständliche Grundlage für Darstellungen und abstrahierende Interpretationen dar, in denen die Landesbildung als einer von mehreren Faktoren komplexerer Beschreibungen und Interpretationen dient. Nicht, was wirklich war, bleibt über Generationen in Erinnerung, sondern wie es dargestellt wird. Deswegen gibt es oft heftige Auseinandersetzungen um die Deutung vergangener Ereignisse. Viele Politiker beschäftigen schon zu ihren Amtszeiten Ghostwriter damit, ihre tatsächlichen oder vermeintlichen Verdienste ins rechte Licht zu rücken. Einige wenige Zeitzeugen versuchten auch, den unabhängigen Wissenschaftler in diesem Sinne von ihren Sichtweisen zu überzeugen. Dessen Geschäft aber ist der Versuch der Objektivität. Diese wiederum kann aber tatsächlich erst das Ergebnis eines Diskurses sich ergänzender und relativierender Argumentationen sein, ein Prozess, an dem schließlich auch die Zeitzeugen beteiligt sind. Ihr Part besteht hier oft darin, sich gegen von ihren Erfahrungen und Deutungen abweichende Darstellungen zu wehren. Sie tun dies meist aus zwei Gründen. Abgesehen davon, dass der Historiker als nicht in die Ereignisse involvierter Außenseiter gelegentlich auf Akzeptanzprobleme stößt, bedeutet er eine Gefährdung aus dem Geschehen hergeleiteter Deutungshoheiten. Diese Gefahr nimmt mit dem Abstand zu den Ereignissen und dem Grad der Legendenbildung sogar noch zu. Hinzu kommt, dass der Zeitzeuge von seinem jeweiligen Ereignisumfeld ein authentischeres Bild vor Auge hat, als dies der Historiker je darstellen könnte oder wollte. Hier ergeben sich zwangsläufig Reibungspunkte. Beim Workshop mit Zeitzeugen am HannahArendt-Institut im Juni 2002 brachte der als Gast teilnehmende norwegische Parlamentspräsident, Inge Lønning, das Problem auf den Punkt. Er meinte, es sei leichter, mit alten Quellen zu arbeiten, weil es möglich sei, diesen eine Inter-

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pretation aufzuzwingen. Mit lebendigen Quellen sei das sehr viel schwieriger, da diese protestieren könnten.41 Konrad H. Jarausch hat zurecht darauf hingewiesen, dass der Zeithistoriker in Gesprächen und Interviews immer wieder auf Erzählungen und Interpretationsfragmente stößt, die ein persönliches Erlebnis hervorheben, das sich tief ins Gedächtnis eingegraben hat, aber nur eine partielle Sicht widerspiegelt.42 Auch Psychologen und Theologen können ein Lied davon singen. Hier kann eine Darstellung zu interessanten Einsichten führen, die und insofern sie Zusammenhänge aufzeigt, die zum Zeitpunkt des Geschehens nicht erkennbar waren. Dem Drang von Zeitzeugen, Deutungshoheit über bestimmte Aspekte des Geschehens zu beanspruchen, ist dabei ebenso entgegenzutreten wie der im Fall der Neubildung Sachsens bereits eingesetzten Legendenbildung. Auch eine legendenfreie Gründungsgeschichte des Freistaates Sachsen ist bemerkenswert genug, wie ein Blick in die nachfolgenden Kapitel hoffentlich zeigt.

41 Inge Lønning beim HAIT-Workshop 15. 6. 2002. 42 Vgl. Jarausch, Implosion oder Selbstbefreiung? S. 17.

2.

Sachsen – Land mit Geschichte

2.1

Geschichte Sachsens bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges im Überblick1

Drei Bundesländer führen die Bezeichnung „Sachsen“ in ihrem Namen: Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Sachsen. Die Verbreitung des Namens hat mit der Wanderung des germanischen Stammes der Sachsen zu tun, der um 150 n. Chr. in den Schriften des griechischen Naturforschers Ptolemäus erstmals erwähnt wurde. Der Name geht ursprünglich auf einen kleinen germanischen Stamm auf der Jütischen Halbinsel zurück. Die Sachsen breiteten sich von Holstein unter anderem auf die britischen Inseln und über Teile Nordwestdeutschlands an der unteren Elbe aus. Nach Widukind von Corvey geht der Name sprachlich auf das für den Stamm typische Kurzschwert (althochdeutsch: sahs) zurück.2 Bis ins 15. Jahrhundert bezog sich die Geschichte Sachsens, bedingt durch die Siedlungsgebiete der Sachsen, geographisch auch auf die Gebiete des heutigen Niedersachsens, Teile Westfalens und Sachsen-Anhalts. Von der Stammesgeschichte zu unterscheiden ist die Landesgeschichte des heutigen sächsischen Territoriums, die im Frühmittelalter begann, als der slawische Stamm der Sorben aus Böhmen in das Dresdner Elbtal und andere westslawische Stämme aus Schlesien in die Oberlausitz einwanderten und dort sesshaft wurden. Im Lauf der Zeit breiteten sie sich entlang der Flussläufe bis zur Saale aus. Viele der damals gegründeten Siedlungen bestehen noch heute und tragen ihre ursprünglichen Namen. Im 6. Jahrhundert waren die Sachsen in Thüringen, Hessen und am Niederrhein in kriegerische Auseinandersetzungen mit den Franken verwickelt, bis sie von Karl dem Großen (772–804) unterworfen und schrittweise christianisiert wurden. Im 9. Jahrhundert gewannen die zwischen Harz und Weser begüterten Liudolfinger (Liudolf, 805–866) die Stellung eines Stammesherzogs der Sachsen. Der zweite ostfränkisch-deutsche König, Heinrich I. (919–936), stammte aus dem mächtigen sächsischen Herzogtum und war Stammvater der Ottonischen Könige und Kaiser. Heinrich I. bemühte sich, die Ostgrenze des ostfränkisch-deutschen Reiches gegen die Slawen zu sichern. Er befestigte sie an der Saale, drang weiter nach Osten vor und setzte sich an der Elbe bei Meißen fest. Sein Feldzug endete mit der Unterwerfung örtlicher Slawenstämme und der Errichtung der Burg Meißen 929, die um 960 zum Mittelpunkt der gleichnamigen Markgrafschaft und damit zum Kern des späteren Sachsen wurde. 968 gründete Kaiser Otto I. die für die Sorbenmission bestimmten Bis1

2

Vgl. Kötzschke/Kretzschmar, Sächsische Geschichte; Blaschke, Geschichte Sachsens im Mittelalter; Kaemmel, Sächsische Geschichte; Köbler, Historisches Lexikon, S. 543– 548; Naumann, Sächsische Geschichte in Daten; Czok, Geschichte Sachsens; von Sachsen, Die Albertinischen Wettiner; Groß, Geschichte Sachsens; Keller, Landesgeschichte Sachsen. Vgl. Mühlpfordt, Die Sachsen – Weltwanderung eines Stammesnamens, S. 11–40.

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Sachsen – Land mit Geschichte

tümer Merseburg, Zeitz und Meißen. Heinrich I. von Eilenburg (1089–1103), 1089 mit der Markgrafschaft belehnt, war der Stammvater der Wettiner, die die Markgrafschaft Meißen bzw. das spätere Sachsen von 1124 (Konrad der Große 1123–1156/57) bis 1918 rund achthundert Jahre ununterbrochen regierten. Der ersten Welle der deutschen Ostbewegung folgte in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts die Einwanderung deutscher Bauern aus Flandern, Niedersachsen, Thüringen und Oberfranken ins Gebiet des heutigen Sachsen. Rodungen, Dorfgründungen und die Einführung des Ackerbaus prägten das Land. Im 13. Jahrhundert wurden die meisten Städte angelegt und Sachsen in das entstehende zentraleuropäische Fernstraßennetz einbezogen. Im 12. und 13. Jahrhundert kam es durch den Silberbergbau in der Mark Meißen zum wirtschaftlichen Aufschwung. Otto der Reiche gründete 1180 eigens für den Silberbergbau die Stadt Freiberg. Nach dem Sturz Heinrichs des Löwen im stauffisch-welfischen Konflikt wurde Sachsen am Ausgang des 12. Jahrhunderts geteilt. Die Dynastie der Askanier übertrug dabei den Titel des Herzogs von Sachsen auf ihre Besitzungen um Wittenberg. Heinrich der Erlauchte (1221–1288) erwarb zu den Marken Meißen und Ostmark (Lausitz) die Landgrafschaft Thüringen mit der Pfalzgrafschaft Sachsen und das Pleißenland mit den Städten Altenburg, Chemnitz und Zwickau hinzu. Der Silberbergbau trug im 14. wie 15. Jahrhundert zur Gründung weiterer Bergstädte wie Aue und Schneeberg sowie zum wirtschaftlichen Aufschwung bei. Er sicherte den Markgrafen reiche Einkünfte und regte, weil der größte Teil des gewonnenen Silbers vermünzt wurde, Geldumlauf und Geldwirtschaft an. Um 1300 lebte etwa ein Fünftel der sächsischen Bevölkerung in Städten. Leipzig erhielt 1497 und 1507 erste Messeprivilegien und errang in der Wirtschaft des deutschen Ostens eine zentrale Stellung. Die Hussitenkriege brachten dem Land schwere Verwüstungen. Im Lauf der Abwehrkämpfe gegen die böhmischen Hussiten wurde der Kurfürst von Sachsen, Friedrich I. der Streitbare (1381–1428), im Jahre 1423 nach dem Tode des Herzogs von Sachsen-Wittenberg mit dessen Herzogtum belehnt und erlangte damit die Kurwürde. Damit gab es erstmals eine Verbindung des sächsischen Namens mit dem Gebiet des heutigen Freistaates. In den folgenden Jahrzehnten setzte sich der Name Sachsen gegen den der Markgrafschaft Meißen durch. Seit dieser Zeit war der jeweils älteste Nachkomme aus dem Geschlecht der Wettiner auch Kurfürst, und seine Besitzungen gehörten zum sächsischen Kurfürstentum. Die Mitte des Wettinischen Landes lag etwa bei Altenburg, wo der erste Kurfürst auch vorzugsweise residierte. Der Name „Sachsen“ ging neben den meißnischen auch auf den thüringischen Besitz über. Die wettinische Nebenlinie, die in den thüringischen Landen relativ unabhängig regiert hatte, starb 1482 aus. Dadurch fielen die Gebiete wieder an die wettinische Hauptlinie zurück, der die beiden Brüder Kurfürst Ernst (1464–1485) und Herzog Albrecht der Beherzte (1485–1500) vorstanden. Neben dem habsburgischen Herrschaftsbereich zur bedeutendsten Macht im Reich geworden, hätte Sachsen zweifellos eine beherrschende Stellung behal-

Geschichte Sachsens bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges

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ten, wenn nicht 1485 die Leipziger Teilung den wettinischen Besitz dauerhaft zersplittert hätte. Das Land wurde unter den Brüdern Ernst und Albrecht aufgeteilt. Ernst erhielt neben der Kurwürde die Gebiete um Wittenberg und Torgau, Gotha, Weimar, Jena, Coburg und das Vogtland. Die Mark Meißen und frühere Landgrafschaft Thüringen im Norden Thüringens fielen an Albrecht. Wittenberg wurde Residenz der Ernestiner, Dresden Residenz der Albertiner. Entgegen der ursprünglichen Absicht, durch die Streuung des Besitzes dessen Zusammengehörigkeit zu manifestieren, verfestigte sich die Teilung in den kommenden Jahrhunderten und schwächte die starke Stellung des Kurfürstentums Sachsen im Reich. Die damalige Trennung zwischen Thüringen und Sachsen prägt bis heute die Gliederung der mitteldeutschen Bundesländer. Der bei den Ernestinern verbliebene Teil, zu dem bis zur Reformation und der Niederlage Kursachsens im Schmalkaldischen Krieg die Kurwürde gehörte, verlor durch weitere Teilungen zunehmend an Bedeutung. Die sächsischen Herzogtümer zersplitterten und wurden erst 1920, gemeinsam mit anderen Territorien, zum Land Thüringen zusammengeschlossen. Der ernestinische Teil des im Vergleich zu den übrigen deutschen Ländern wirtschaftlich, kulturell und staatlich weit fortgeschrittenen Sachsen wurde im 16. Jahrhundert Ausgangspunkt der Reformation, Sachsen insgesamt zum führenden Land des deutschen Protestantismus. Durch die Reformation, die von der 1502 gegründeten Universität Wittenberg ausging, rückte Sachsen vorübergehend in den Brennpunkt europäischer Politik. Der Ernestiner Friedrich der Weise (1486–1525) schützte Martin Luther; der albertinische Herzog Georg der Bärtige (1500–1539) bekämpfte ihn. Erst nach Georgs Tod wurde die Reformation auch im albertinischen Landesteil eingeführt. Luthers Bibelübersetzung, die in der Meißner Kanzleisprache erfolgte, wurde prägend für das heutige Deutsch. Sachsens Theologen vertraten auf dem Augsburger Reichstag 1530 die Sache der evangelischen Reichsstände, und der sächsische Kurfürst schuf mit dem Passauer Vertrag von 1552 die Grundlagen für den Augsburger Religionsfrieden von 1555. Im Schmalkaldischen Krieg von 1546/47 besiegte der albertinische Herzog Moritz von Sachsen (1547–1553) als Verbündeter von Kaiser Karl dem V. seinen Vetter, den ernestinischen Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen-Wittenberg (1532–1547) in der Schlacht bei Mühlberg. Dadurch ging die Kurwürde und die Hälfte des ernestinischen Gebietes (u. a. Torgau und Wittenberg) an Moritz über, der eine Verwaltungsreform einleitete und die Wirtschaft ankurbelte. Seit 1559 wurden die Gebiete der evangelisch gewordenen Bistümer Meißen, Merseburg sowie Naumburg dem Kurstaat einverleibt und 1596 das Vogtland endgültig erworben. Territorial arrondiert, widmeten sich die sächsischen Kurfürsten nun erfolgreich dem Landesausbau. Sachsen wurde auf der Grundlage seines Handels, Gewerbes und des Bergbaus zum reichsten deutschen Land dieser Zeit. Im Dreißigjährigen Krieg (1618–1648) wurde Sachsen zum Hauptkriegsschauplatz. Es erlitt schwere Schäden, und die Pest wütete. In den Jahren 1619/20 unterstützte das sächsische Kurfürstentum offen die Partei der Habsburger und besetzte im Herbst 1620 Schlesien und die beiden Lausitzen. Letz-

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Sachsen – Land mit Geschichte

tere erhielt Sachsen zunächst zum Pfand; 1635 wurden sie sächsische Landesteile. Der Besitz der Albertiner wurde so zwar vermehrt, andererseits verlor Sachsen etwa die Hälfte seiner Bevölkerung und büßte politisch gegenüber Brandenburg-Preußen an Bedeutung im Reich ein. Es dauerte über ein halbes Jahrhundert, bis die Schäden annähernd beseitigt und die alten Bevölkerungszahlen wieder erreicht waren. Sachsens politische Bedeutung im Reich war weitgehend geschwunden. Außerdem geriet es nun in eine politische Mittelposition zwischen Brandenburg-Preußen und dem Habsburgerreich, die seine Entwicklung bis in das 19. Jahrhundert nachteilig bestimmte. Vorerst jedoch erlebte das Land unter Kurfürst Friedrich August I. dem Starken (1694–1735), der 1697 nach seinem Übertritt zum Katholizismus und dem Einsatz erheblicher Geldsummen die polnische Königskrone erwarb, einen vorübergehenden Aufschwung, ohne freilich seine frühere Bedeutung zu erlangen. Zur Konjunktur trugen böhmische Glaubensflüchtlinge bei, die sich in Sachsen niederließen. In Dresden entstanden barocke Bauten, und das Meißener Porzellan errang Weltruhm. In der Regierungszeit von Friedrich August II. geriet Sachsen in die militärpolitischen Auseinandersetzungen zwischen Österreich und dem erstarkenden Brandenburg-Preußen um die Vorherrschaft im Reich. Dabei stand Sachsen auf der Seite des habsburgischen Verlierers und wurde zeitweilig zum Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen Österreich und Preußen. Im Nordischen Krieg wurde das Land von Schweden besetzt. Im Siebenjährigen Krieg wurde Sachsen von Preußen okkupiert und zur Finanzierung preußischer Kriegskosten herangezogen. Mit dem Tod von Kurfürst Friedrich August II. (1733–1763) endete 1763 das polnische Abenteuer. Unter Kurfürst Friedrich Christian, der freilich 1763 nur wenige Monate regierte, wurde nach dem Krieg eine Neuordnung der zerrütteten Staatsfinanzen, der Wiederaufbau der Wirtschaft und eine umfassende Staatsreform eingeleitet. Das weitgesteckte Programm des „Retablissements“ zielte auf die Beseitigung feudaler Privilegien sowie die Stärkung des bürgerlichen Einflusses und war damit ein Vorbote des Reformwerkes nach 1831. 1806 verlor Sachsen, nun an der Seite Preußens, den Krieg gegen Napoleon I., woraufhin es erneut die Fronten wechselte und dem Rheinbund beitrat. Zur Belohnung wurde Kurfürst Friedrich August III. 1806 durch Napoleon I. im Friedensvertrag von Posen zum König gekrönt. Sächsische Truppen kämpften nun auf französischer Seite gegen Österreich und Russland. Auch in den Befreiungskriegen 1812/13 hielt der sächsische König am Bündnis mit Napoleon I. fest. Die pro-napoleonische Haltung des sächsischen Monarchen und seine ablehnende Position, dem zwischen Russland und Preußen geschlossenen Vertrag von Kalisch vom 28. Februar 1813 zur Befreiung Deutschlands von der französischen Vorherrschaft beizutreten, führten nach der Völkerschlacht bei Leipzig 1813 zum Zusammenbruch des sächsischen Staates. Der König wurde von den verbündeten Truppen gefangengenommen und bis 1815 unter Hausarrest gestellt, das Land zunächst von einem russischen Generalgouverneur, dann von preußischen Administratoren verwaltet.

Karte 1: Gebietsverluste Sachsens 1815.

Erfurt

le

Saa

Hof

1

Peter W. Baumann: verändert nach Folienatlas Geschichte, Frühe Neuzeit, 1998.

Suhl

Jena

Plauen

Zeitz

Zwickau

burg

Alten-

Leipzig

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Annaberg

Chemnitz

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0

Freiberg

Dresden

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K g r.

50

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Görlitz

100 km

Böhmen

Bautzen

ße

Staaten

Weimar

Naumburg

Merseburg

Halle

Cottbus

Oder

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Eisenach

Langensalza

Mühlhausen

Frankenhausen

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Frankfurt

ei

Stolberg

Potsdam

Wittenberg

Berlin

Brandenburg

N

Nordhausen

Elbe

K u r f s m.

H z m.

Thüringische

1

Gebietsgewinn Hzm. Sachsen-Weimar-Eisenach

Gebietsgewinne Kgr. Preußen

Magdeburg

e

Königreich Sachsen nach 1815

al Sa

Kurfürstentum Sachsen um 1800 (Albertiner)

Geschichte Sachsens bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges

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n

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Sachsen – Land mit Geschichte

Auf dem Wiener Kongress 1814/15 stand im Rahmen der territorialen Neustrukturierung Deutschlands auch die Zukunft des sächsischen Staates zur Disposition. Als Ausgleich für die im Frieden von Tilsit 1807 von Preußen zur Bildung des Herzogtums Warschau, ein aus der Gunst Napoleons für den sächsischen König entstandenes Nebenland, an Russland abgetretenen Gebietsteile sollte nach Verabredung zwischen Preußen und Rußland die Entschädigung Preußens durch sächsische Areale vorgenommen werden. Preußische Forderungen, den sächsischen Staat insgesamt aufzulösen und sein Territorium vollständig dem eigenen Staat einzuverleiben, konnten sich gegen den Widerstand Frankreichs, Englands und Österreichs nicht durchsetzen. Hier wurde ein zu großer Machtzuwachs Preußens befürchtet. Nach schwierigen Verhandlungen einigte man sich auf eine einschneidende Flächenreduzierung. Sachsen wurde von Preußen und Rußland im Preßburger Vertrag von 1815 gezwungen, ca. drei Fünftel seines Territoriums, vorwiegend im Norden bzw. Nordwesten, zwischen Wittenberg und Görlitz, und damit 42 Prozent seiner Bevölkerung an Preußen abzutreten. Diese Gebiete wurden zusammen mit der ehemaligen brandenburgischen Altmark und dem Territorium des vormaligen Erzbistums Magdeburg in der neu gebildeten preußischen Provinz Sachsen zusammengefasst. Die Niederlausitz und die östliche Oberlausitz mit den Gebieten um Görlitz und Lauban kam zur preußischen Provinz Schlesien. Damit wurde der Hauptteil des sorbischen Siedlungsraumes preußisch. Dem drastisch verkleinerten Königreich Sachsen verblieben neben dem Kern seines Territoriums, der historischen Burg- und Markgrafschaft Meißen, nur die Gebiete des Erzgebirgischen und des Vogtländischen Kreises, die größeren Restflächen des Leipziger und des Meißnischen Kreises sowie die westliche Oberlausitz. Damit war im Wesentlichen der Gebietsumfang erreicht, der in dieser Form bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges Bestand hatte. Mit den Entscheidungen vom Beginn des 19. Jahrhunderts wurde eine seit dem 15. Jahrhundert andauernde Rivalität zwischen Brandenburg-Preußen und Sachsen entschieden. Fortan spielte das wesentlich verkleinerte Königreich in der deutschen Politik keine markante Rolle mehr. Eine Ausnahme bildeten die gescheiterten Bemühungen von König Johann um ein eigenständiges Handeln mitteldeutscher Staaten gegen Brandenburg-Preußen um 1863. Im Krieg von 1866 stand Sachsen erneut an der Seite Österreichs. Die Folge war, dass sein Territorium abermals von preußischen Truppen besetzt und als ein erobertes Land angesehen wurde. Nach dem Sieg Preußens bei Königgrätz musste Sachsen deshalb erneut um seine politische Selbständigkeit fürchten. Im Präliminarfrieden von Nikolsburg gelang es dem österreichischen Kaiser Franz Joseph 1866, die territoriale Integrität Sachsens gegenüber neuerlichen preußischen Annexionsversuchen zu bewahren. Allerdings musste sich Sachsen verpflichten, dem Norddeutschen Bund mit Preußen als Hegemonialmacht beizutreten. Die Bildung eines preußisch-deutschen Nationalstaates war nicht mehr aufzuhalten. Bismarck setzte im Nikolsburger Frieden jedoch durch, dass der Gebietsstand Sachsens über die Reichsgründung 1871 hinaus erhalten blieb.

Geschichte Sachsens bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges

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Ungeachtet seiner relativen politischen Bedeutungslosigkeit im Reich erlebte Sachsen im 19. Jahrhundert einen bemerkenswerten wirtschaftlichen Aufschwung und entwickelte sich zum Zentrum der deutschen Industrialisierung. Früher als anderswo setzte hier um 1830 die industrielle Revolution ein. Mit Textilgewerbe und Bergbau, um den sich mittlerweile Hüttenwesen und seit dem 16. Jahrhundert Ansätze einer Schwerindustrie entwickelt hatten, waren günstige Voraussetzungen gegeben. Hinzu kamen eigene Vorkommen an sächsischer Stein- und Braunkohle. An einem ungehinderten Zugang zu den außersächsischen Märkten zwecks Rohstoffbezug und Absatz der eigenen Produkte interessiert, initiierte Sachsen zusammen mit anderen Staaten 1828 in Abgrenzung zum preußischen Zollverband den Mitteldeutschen Handelsverein. Nach einigen Jahren seines Bestehens löste sich dieser jedoch 1831 wieder auf. Aber erst nachdem auch die Länder des angrenzenden süddeutschen Zollvereins dem unter preußischer Vorherrschaft bestehenden Zollverein beigetreten waren und Sachsen für sich keinen Ausweg mehr sah, vollzog es 1833 ebenfalls diesen Schritt. Durch die Reichsgründung von 1871 weiter gefördert und mit einem florierenden Kapitalmarkt ausgestattet, wurde Sachsen die am stärksten industrialisierte und wirtschaftlich entwickeltste Region Deutschlands. 1872 wurde die Dresdner Bank gegründet. Flexible Betriebe kleinerer und mittlerer Größe, kleinere Industriestandorte, Industriedörfer und eine große Bevölkerungsdichte auch der Mittelgebirgsregionen bestimmten das Bild. Zwischen 1837 und 1839 entstand zwischen Dresden und Leipzig die erste deutsche Ferneisenbahnlinie. Mit der Ausbeutung der Erzgebirgischen Silbervorräte bildete sich dort überdies eine Vielzahl von in Heimarbeit betriebenen Produktionen heraus. 1895 waren insgesamt 58 Prozent der in Sachsen Erwerbstätigen, gegenüber 39 Prozent im Reichsdurchschnitt, in der Industrie beschäftigt. Nach einer Unterbrechung durch den Ersten Weltkrieg stellte Sachsen in den zwanziger Jahren zusammen mit Thüringen und einigen angrenzenden Teilregionen Nordbayerns und der Provinz Sachsen noch vor dem Ruhrgebiet das größte zusammenhängende Industriegebiet des Reiches dar. Schon 1900 hatten ländliche und städtische Bevölkerung einen zahlenmäßigen Gleichstand erreicht. Seiner Wirtschaftskraft gemäß war im Jahr 1934 in Sachsen das Volkseinkommen pro Einwohner zirka neun Prozent größer als im Reichsdurchschnitt. Die Industrialisierung und eine damit einhergehende Hebung des Bildungsstandes stärkten das sächsische Bürgertum und führten zur frühzeitigen Verbreitung liberaler, demokratischer und sozialistischer Ideen. Das Jahr 1831 brachte eine durch die Bürger in Aufständen erstrittene liberale Verfassung, ein Wahlgesetz und eine Reform der Regierung mit der Schaffung von sechs Ressortministerien. Die liberale Opposition gewann bis 1848 an Boden. Sachsen, vor allem Dresden, wurde zu einem der Hauptschauplätze der liberalen und demokratischen Revolution von 1848/49. Nach deren Niederschlagung blieb es liberal und wurde mit dem Aufkommen der sozialen Frage auch Hochburg der Sozialdemokratie, weshalb es auch als „rotes Königreich“ apostrophiert wurde. 1863 gründete Ferdinand Lassalle in Leipzig den „Allgemeinen Deutschen Ar-

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Sachsen – Land mit Geschichte

beiterverein“. Bei den Reichstagswahlen von 1903 erhielt die SPD rund sechzig Prozent aller Stimmen. Am Ende des Ersten Weltkrieges wurde am 10. November 1918 in Dresden die Republik Sachsen ausgerufen. Zwei Tage nach der offiziellen Abdankung des letzten Königs, Friedrich August III. (1904–1918), am 15. November 1918, übernahmen zunächst sechs sozialdemokratische Volksbeauftragte, die von Arbeiter- und Soldatenräten in Leipzig, Dresden und Chemnitz entsandt worden waren, die Regierung. Entgegen einer ersten Proklamation, die eine Liquidierung Sachsens forderte, hielten sie an der sächsischen Staatlichkeit innerhalb einer „einheitlichen großdeutschen Volksrepublik“ fest. Am 2. Februar 1919 wurde die erste Sächsische Volkskammer mit einer Mehrheit von SPD und USPD gewählt. Sie beschloss am 28. Februar 1919 ein „Vorläufiges Grundgesetz“ für das nun „Freistaat“ genannte Sachsen. Knapp zwei Jahre später, am 26. Oktober 1920, verabschiedete die Volkskammer endgültig eine Landesverfassung. Trotz Grundlegung der parlamentarischen Demokratie geriet Sachsen in den frühen 20er Jahren zum Schauplatz linksradikaler, antidemokratischer Aktionen. So kam es im Gefolge des Kapp-Putsches vom März 1920 im Vogtland zu einem kommunistischen Aufstandsversuch unter Führung von Max Hölz. Im Krisenjahr 1923 konzentrierte sich die Gefahr eines kommunistischen Umsturzversuches wiederum auf Sachsen, als die Moskauer Führung der Komintern die KPD beauftragte, auf legalem und illegalem Wege die Macht zu ergreifen. Sachsens Kommunisten traten im Oktober 1923 in die SPD-Minderheitsregierung Erich Zeigner ein und bereiteten zeitgleich einen Aufstandsversuch vor. In dieser Situation reagierten Reichspräsident Ebert (SPD) und die im Reich regierende Große Koalition mit der militärischen Besetzung Sachsens und der Verhängung der Reichsexekution gegen den Freistaat: Am 29. Oktober 1923 wurde ein Reichskommissar eingesetzt, und die Reichswehr zwang die sächsischen Minister aus ihren Ämtern. Unter diesem Druck trat die Regierung Erich Zeigner auch formal zurück. Die Bildung einer neuen SPD-Minderheitsregierung ohne kommunistische Beteiligung führte zu einer Beruhigung der Lage. Ab 1924 folgten Koalitionsregierungen von SPD und bürgerlich-liberalen Parteien, später überparteiliche Beamtenregierungen. Der Einfluss des Reiches nahm zu. Bis 1929 stellte die SPD bzw. ihre reichsweit einzigartige Rechtsabspaltung, die „Alte Sozialdemokratische Partei“ (ASP), den Ministerpräsidenten. 1930 konnte die NSDAP ihre Anteile bei den letzten Landtagswahlen erstmals auf über 14 Prozent steigern und wurde bis zur Kanzlerschaft Hitlers stärkste Partei in Sachsen. Bei den letzten freien Reichstagswahlen im März 1933 erhielt die NSDAP in Sachsen 45 Prozent, SPD und KPD gemeinsam 43 Prozent der Stimmen. Mit der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten erlosch das politische Eigenleben Sachsens sehr schnell. Dem Amtsantritt Adolf Hitlers auf zentraler Ebene am 31. Januar 1933 folgte am 9. März die Amtsübernahme im Freistaat durch den sächsischen SA-Führer Manfred von Killinger, der an diesem Tag den bisher amtierenden Chef eines Beamtenkabinetts, Walther Schieck, zum Rücktritt zwang. Nach der „Verordnung zum Schutz von Volk und Reich“ vom

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28. Februar 1933 und dem „Ermächtigungsgesetz“ vom 24. März 1933 verlor Sachsen, nunmehr als „Reichsgau“, mit dem Gesetz „Über die Gleichschaltung der Länder mit dem Reich“ vom 31. März 1933 einen großen Teil an Eigenständigkeit: Seinen Bestimmungen zufolge musste so der Sächsische Landtag auf der Grundlage der Ergebnisse der Reichstagswahlen vom 5. März 1933 neu gebildet werden; fortan fungierte er als reines Akklamationsorgan der NSDAP. Infolge des „Zweiten Gesetzes zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich“ vom 7. April 1933 erwuchs dem bisherigen NS-Ministerpräsidenten von Killinger durch die Ernennung des sächsischen Gauleiters der NSDAP, Martin Mutschmann, zum „Reichsstatthalter“ für Sachsen ein innerparteilicher Rivale im Kampf um die Macht im Staat. Der von Hitler bewusst geförderte Ämter- und Personenkonflikt mündete 1934/35 in der Ausschaltung von Killingers. Endgültig besiegelt wurde die Gleichschaltungspolitik und die Errichtung von Gauen als Verwaltungsbezirke schließlich mit dem Gesetz „Über den Neuaufbau des Reiches“ vom 30. Januar 1934 sowie mit der „Deutschen Gemeindeordnung“ vom 30. Januar 1935. Damit waren alle Hoheitsrechte der Länder auf die Zentralverwaltung übergegangen, die Landtage aufgelöst und die formal weiterbestehenden Länderregierungen der Reichsregierung unterstellt. Der gegen von Killinger siegreich gebliebene Mutschmann trat in der Folge als einer der mächtigsten Regionalpotentaten des Dritten Reiches in Erscheinung: Als Reichsstatthalter für den Gau Sachsen, als nunmehriger Ministerpräsident und als Gauleiter der NSDAP. Das Land verlor seine Selbständigkeit an die Zentralgewalt, blieb als „Gau“ aber bis 1945 formal bestehen.

2.2

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Die alliierten Besatzungstruppen fanden nach ihrem Einmarsch ins Deutsche Reich 1945 auf dem Gebiet der späteren Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) Mecklenburg, Preußen, Anhalt, Thüringen und Sachsen vor. Nach dem baldigen Abzug von Amerikanern und Briten übernahm die sowjetische Besatzungsmacht im Wesentlichen die vorgefundene territoriale Gliederung. Mit dem Befehl Nr. 5 vom 9. Juli 1945 setzte die „Sowjetische Militäradministration in Deutschland“ (SMAD) für die „Verwaltung der Provinzen und Sicherung der Kontrolle über die Arbeit der Selbstverwaltungsorgane“ regionale Militäradministrationen (SMA) ein. Sie unterteilte ihr Besatzungsgebiet in die fünf Verwaltungseinheiten Mecklenburg-Vorpommern (ab 1947 nur noch Mecklenburg genannt), Sachsen, Thüringen, Provinz Brandenburg und Provinz Sachsen.3 Die preußischen Provinzen Brandenburg und Sachsen erhielten 1947 den Status von Ländern, Sachsen-Anhalt unter Einbeziehung des ehemaligen Fürstentums Anhalt, das 1944 in die Provinzen Magdeburg und Halle/Merseburg aufgeteilt 3

Befehl Nr. 5 der SMAD vom 9. 7.1945. Zit. in Geschichte des Staates und des Rechts 1945–1949, S. 33.

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Sachsen – Land mit Geschichte

worden war.4 Die föderative Struktur wurde auf der Potsdamer Konferenz vom 17. Juli bis 2. August 1945 bestätigt. Hier wurde vereinbart, die Verwaltung Deutschlands „in Richtung auf eine Dezentralisation der politischen Struktur und der Entwicklung einer örtlichen Selbstverwaltung“ durchzuführen.5 Bereits die in Jalta im Februar 1945 formulierten „Vier D“ als allgemeine alliierte Kriegsziele (Demilitarisierung, Denazifizierung, Dezentralisierung/Dekartellisierung und Demokratisierung) enthielten in politischer wie wirtschaftlicher Hinsicht ausgeprägte Elemente einer Föderalisierung. An sich hatte die sowjetische Besatzungsmacht wegen ihres zentralistischen Partei- und Staatsverständnisses6 kein Interesse an föderativen Strukturen im besetzten Deutschland.7 Tatsächlich ist auch bis heute nur unzureichend erklärt, was sie überhaupt zur Bildung von Ländern bewog. Ausschlaggebend waren wahrscheinlich zwei Gründe. So galt es in den ersten Nachkriegsjahren, aus deutschlandpolitischen Erwägungen Rücksicht auf die Vorstellungen der westlichen Alliierten zu nehmen und die eigenen zentralistischen Intentionen zunächst zurückzuhalten. Hinzu kamen immanente Gründe. Es galt, das eroberte Territorium nicht nur durch Truppen zu sichern, sondern möglichst bald politisch und administrativ unter Kontrolle zu bringen.8 Vor diesem Hintergrund wurde am 6. Juli 1945 auch das „Bundesland Sachsen“ gebildet. Bevor dieses in seiner Gesamtheit Bestandteil der sowjetischen Besatzungszone wurde, waren die zunächst von den Amerikanern besetzten westsächsischen Gebiete kurzzeitig in das Verwaltungsgebiet Thüringens einbezogen gewesen. Unter sowjetischem Besatzungsregime änderte Sachsen seine äußere Form. Nach einem Beschluss der Alliierten auf der Konferenz von Jalta 1945 wurde auf der Potsdamer Konferenz 1945 das östlich der Lausitzer Neiße gelegene sächsische Territorium, ein Teil des Kreises Zittau mit 135 km², unter polnische Verwaltung gestellt. Damit verlor Sachsen einerseits ca. ein Prozent seiner Fläche mit 25 Kommunen, in denen rund 25 000 Menschen gelebt hatten. Die größte war das von Webereien und Färbereien geprägte Industriedorf Reichenau mit knapp 7 000 Einwohnern.9 Andererseits wurden dem Land am 9. Juli 1945 zunächst provisorisch und im Februar 1947 mit dem Kontrollratsgesetz über die Auflösung Preußens die westlich 4

5 6 7 8 9

Kontrollratsgesetz Nr. 46 über die Auflösung des Staates Preußen vom 25. 2.1947. In: Amtsblatt des Kontrollrates in Deutschland, 1947, Nr. 14, S. 262. Vgl. Befehl Nr. 180 der SMAD vom 21. 6.1947. In: Gesetzblatt des Landes Sachsen-Anhalt, Teil 1, 1947, Nr. 17, S. 127. Vgl. Schulze, Wieder Länder und neue Verwaltungen, S. 288. Mitteilung über die Dreimächtekonferenz von Berlin am 2. 8.1945, Punkt 9. In: Amtsblatt des Kontrollrates in Deutschland, 1945, Ergänzungsblatt Nr. 1, S. 14. Auch die sowjetischen Republiken waren Teile eines zentralistischen Systems. Vgl. Kleßmann, Thesen, S. 265. Vgl. Först, Zwischen Reichsreformdiskussion und Wiedervereinigung, S. 949; Creuzberger, Die sowjetische Besatzungsmacht, S. 154. Die anderen Gemeinden waren: Blumberg, Dornhennersdorf, Friedersdorf, Grunau, Kleinschönau, Königshain, Lichtenberg, Markersdorf, Maxdorf, Neugersdorf, Oberullersdorf, Oppelsdorf, Poritzsch, Reibersdorf, Reutnitz, Rußdorf, Schönberg, Seitendorf, Sommerau, Trattlau, Wald-Oppelsdorf, Wanscha, Weigsdorf, Zittel. Vgl. Klaus Keßler: „Dörfer, die keiner mehr kennt.“ In: Sachsen-Spiegel vom 20. 7.1990.

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der Lausitzer Neiße gelegenen Gebiete angegliedert. Es handelt sich um die bislang zum Regierungsbezirk Liegnitz der preußischen Provinz Schlesien gehörenden Teile der Oberlausitz mit dem Kreis Hoyerswerda, Teile des Kreises Rothenburg sowie Stadt und Landkreis Görlitz mit 2190 km². Damit kamen Gebiete zu Sachsen, die bereits bis 1815 schon einmal sächsisch gewesen waren.10 Im Sommer 1945 beauftragte die SMA Sachsen den Dresdner Oberbürgermeister Rudolf Friedrichs (SPD) mit der Bildung einer Landesverwaltung als Vollzugsorgan der Besatzungsmacht, kurze Zeit später bestätigte die SMA Friedrichs als Präsident der sächsischen Landesverwaltung.11 Am 22. Oktober 1945 übertrug die SMA der sächsischen Landesverwaltung, analog der Entwicklung in den anderen Ländern und Provinzen der SBZ, das Recht, Gesetze und Verordnungen zu erlassen. Die letzte Kontrolle aller Aktivitäten der neuen deutschen Verwaltungsorgane in der SBZ verblieb freilich bei den sowjetischen Stellen.12 Außerdem standen diese von Anfang an unter zentraler Leitung und Kontrolle der KPD/SED. Die im Juli 1945 errichteten „Deutschen Zentralverwaltungen“ tendierten seit ihrer Gründung ebenfalls dazu, in die Kompetenzen aller Landes- und Provinzialverwaltungen hineinzuregieren. So stand die neue sächsische Landesbehörde von Beginn an unter zentralistischem Druck aus Berlin. Vor allem seit dem Herbst 1946 waren Zentralisierungstendenzen zu erkennen. Noch vor den Landtagswahlen schlug Walter Ulbricht der sowjetischen Führung vor, ein zentrales Planungsamt für die SBZ zu errichten. Auch die SMAD dachte zu diesem Zeitpunkt über Vorstufen einer sowjetzonalen Regierung nach.13 An diesen Tendenzen änderte auch die Legitimation nichts, die die Landesregierungen im Herbst 1946 erhielten. Im Oktober fanden in Sachsen manipulierte Landtagswahlen statt, in deren Folge es zu parlamentarisch verantwortlichen Regierungen kam, die von den Landtagen eingesetzt und kontrolliert wurden. In Sachsen errang die SED mit 49,1 Prozent der Stimmen 59 der 120 Sitze, die CDU erzielt 23,3, die LDPD 24,7 Prozent. Am 11. Dezember 1946 wurde Friedrichs, inzwischen SED, zum Ministerpräsidenten gewählt.14 Die im November 1946 konstituierten Landtage, die von ihnen gebildeten Landesregierungen und -verfassungen boten zwar formal staatsrechtliche Möglichkeiten einer föderalen Entwicklung, entsprechende Ansätze wurden jedoch in der Praxis durch die zunehmende Sowjetisierung von Staat und Verwaltung ausgehöhlt und durch Elemente des „demokratischen Zentralismus“ überlagert. Die zwischen Dezember 1946 und Februar 1947 angenommenen Landesverfassungen wiesen im Wesentlichen die gleiche Grundstruktur auf und gingen auf eine Vorlage der SED zurück. Es gelang den beiden bürgerlichen Parteien CDU 10 Kontrollratsgesetz Nr. 46 über die Auflösung des Staates Preußen vom 25. 2.1947. In: Amtsblatt des Kontrollrates in Deutschland, 1947, Nr. 14, S. 262. 11 Vgl. Richter/Schmeitzner, Einer von beiden, S. 50 f. 12 Das Verhältnis der Länder zur Besatzungsmacht war im übrigen nicht genau geregelt. Vgl. Kaufmann, Bundesstaat, S. 30. 13 Vgl. Creuzberger, Die sowjetische Besatzungsmacht, S. 155. 14 Vgl. Richter/Schmeitzner, Einer von beiden, S. 101–213

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und LDP jedoch noch, eigene Vorstellungen geltend zu machen. Die Dokumente enthielten Bekenntnisse zu einer deutschen, demokratischen Republik und bezeichneten die Länder und Provinzen der SBZ als Gebietskörperschaften eines einigen Deutschland. Auf dem Papier garantierten sie bürgerliche Freiheiten sowie eine Wahlrechtsdemokratie, enthielten aber von vornherein auch formale Mängel, vor allem in Fragen der nur ansatzweise geregelten Gewaltenteilung.15 Ein Blick auf die Verfassung ist wegen der 1990 geführten Diskussion über die Frage geboten, ob die neue sächsische Verfassung an den Text von 1947 anknüpfen sollte. So war in der am 28. Februar 1947 vom sächsischen Landtag verabschiedeten, von Elementen der Weimarer Reichsverfassung geprägten sächsischen Verfassung nach Art. 59 Abs. 1 ein Volksbegehren bereits dann erfolgreich, wenn ein Zehntel der Stimmberechtigten zustimmte oder Organisationen einen Antrag stellten, in dem sie glaubhaft machten, wenigstens ein Fünftel aller Stimmberechtigten zu vertreten.16 Für den Volksentscheid war, abgesehen von Verfassungsänderungen, die die Beteiligung der Mehrheit der Stimmberechtigten erforderten, ein Beteiligungsquorum nicht vorgesehen (Art. 59 Abs. 4). Gemäß Art. 58 konnte eine qualifizierte Minderheit im Landtag nach der Verabschiedung eines Gesetzes die Verkündung aussetzen und ein plebiszitäres Verfahren auslösen. Besondere Bedeutung kam den Regelung zu, nach denen neben der Gesetzgebung der Landtag nach Art. 26 die Kontrolle über alle Regierungsmaßnahmen, die gesamte Verwaltung sowie die Rechtsprechung ausübte. Nach Art. 8 Abs. 3 wurden Personen ihre staatsbürgerlichen Rechte aberkannt und ihnen das Wahlrecht entzogen, die eines Verbrechens oder wegen nazistischer oder militaristischer Betätigung überführt wurden. Durch die genannten Vorschriften ebnete die Verfassung der nachfolgenden Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR den Weg und ist deswegen wohl zu Recht als „das zweifelhafteste Stück Verfassungsgeschichte“ charakterisiert worden, das in Sachsen je galt.17 In der Praxis degenerierten die Ministerpräsidenten in Folge der in der gesamten SBZ ähnlich angelegten Verfassungen zunehmend zu „Statthaltern der Zentralverwaltungen“, die Fachressorts auf Länderebene wurden schrittweise marginalisiert.18 Es gab einen Prozess „der schleichenden Transformation“, der vom Föderalismus nur eine „ausgehöhlte Fassade“ übrig ließ.19 Der Föderalismus erwies sich von Beginn an als ein „taktisches, nur für eine begrenzte Zeit praktiziertes Manöver“.20 Im Frühjahr 1947 mehrten sich die Anzeichen für eine konkrete Entmachtung der neukonstituierten Landesparlamente und Selbstverwaltungsorgane. Ausgangspunkt war auch hier die sowjetische Besatzungsmacht, die drängte, die Arbeit der deutschen Verwaltungen zu vereinheitlichen und zentral zu steuern. 15 16 17 18 19 20

Vgl. Creuzberger, Die sowjetische Besatzungsmacht, S. 124 f. Text in: Verfassungen in der DDR, S. 197–120. Drehwald/Jestaedt, Sachsen, S. 58. Vgl. Sampels, Bürgerpartizipation, S. 108. Lapp, Die DDR geht, S. 14. Mielke, Die Auflösung der Länder, S. 65. Först, Zwischen Reichsreformdiskussion, S. 952.

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Auslöser waren die Sowjets alarmierende Situationsberichte, wonach von stabilen kommunistischen Machtverhältnissen keine Rede sein konnte. Ende April 1947 legte die SMAD der SED-Führung einen ganzen Maßnahmenkatalog nahe, der auf die Schaffung zentralistischer Leitungs- und Verwaltungsstrukturen zielte. Bei den Deutschen Zentralverwaltungen sollte nun ein Koordinierungsorgan geschaffen werden, das die Tätigkeit der Länderministerien und die gesetzgebende Arbeit der Landtage zu koordinieren hatte. Kurz darauf einigten sich zonale SED-Führungsgremien und SED-Ländervertreter darauf, die Gesetzgebung der Länder untereinander abzustimmen und anzugleichen.21 Dies war ein wichtiger Schritt bei der Marginalisierung föderalistischer Strukturen im politisch-administrativen System der SBZ. Die sich im Verlauf des Jahres 1947 verstärkende Zentralisierung erhielt durch die Errichtung der „Deutschen Wirtschaftskommission“ (DWK) im Juni 1947 eine weitere Beschleunigung. Mit Hilfe der DWK wurden von nun an Wirtschaftsplanung und -lenkung im Gesamtmaßstab der östlichen Besatzungszone im Rahmen von Wirtschaftsplänen zentral organisiert. Da die DWK zudem die Befugnis erhielt, allgemeinverbindliche Rechtsvorschriften zu erlassen, sanken die Länder noch mehr zu unselbständigen Verwaltungseinheiten herab, die lediglich der strukturellen Untergliederung des Besatzungsgebietes dienten.22 Ohnehin besaßen sie niemals Staatsqualität. Sowohl nach der Verfassungsrealität als auch nach der allgemeinen Tendenz der Verfassungsentwicklung waren sie, wie auch die Kreise und Gemeinden, als Glieder eines Gesamtstaatsverbandes konzipiert. Im Rahmen der für eine Übergangsphase bis zur endgültigen Etablierung der Diktatur geschaffenen „antifaschistisch-demokratischen“ Ordnung erfüllten sie die Funktion von territorialen Verwaltungssprengeln eines einheitlich organisierten Staatswesens.23 Im Februar 1948 wurde die DWK mit weiteren Kompetenzen gegenüber den Ländern ausgestattet und erhielt mit Zustimmung der Landtage gesetzgebende Vollmachten.24 Um die beginnende zentrale Wirtschaftsplanung zu effektivieren, verfügte die SMAD nun eine Angleichung der Verwaltungsstrukturen der Länder an die der DWK, die in Folge sogar Landeskontrollkommissionen ins Leben rief.25 Die wirtschaftspolitische Eigenständigkeit der Länder war seit 1948 endgültig aufgehoben.26 21 22 23 24

Vgl. Creuzberger, Die sowjetische Besatzungsmacht, S. 155–159. Vgl. Bernet, Aspekte der Wiedereinführung der Länder, S. 4. Vgl. Kaufmann, Bundesstaat, S. 36 u. 73. Befehl Nr. 32 der SMAD über die Zusammensetzung und Vollmachten der DWK vom 12. 2.1948. In: Zentralverordnungsblatt, 1948, Nr. 8, S. 89. Bestätigung der SMAD über das Erlassen verbindlicher Verordnungen und Anordnungen durch die DWK vom 20. 4.1948. In: ebd., Nr. 15, S. 138. Vgl. Schulze, Entwicklung der Verwaltungsstruktur in der DDR, S. 48. 25 Vgl. Schulze, Entwicklung der Verwaltungsstruktur in der DDR, S. 48. 26 Beschluss des Sekretariats der DWK über die Vereinheitlichung zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen der DWK und den Wirtschaftsverwaltungsorganen der Länder vom 9. 6.1948. In: Geschichte des Staates und des Rechts der DDR 1945–1949, S. 157 f. Vgl. Creuzberger, Die sowjetische Besatzungsmacht, S. 165.

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Zur selben Zeit zeichnete sich durch neue parlamentarische Arbeitsformen auch ein Autoritätsverlust der Landesparlamente ab. Bereits zu diesem Zeitpunkt konnten die Landtage die ihnen verfassungsrechtlich garantierten Funktionen als oberste Gesetzgebungs- und Kontrollorgane in den Ländern kaum mehr beanspruchen. Die Arbeit der Landtage, so ein CDU-Kreisvorsitzender Mitte Februar 1948, sei „eigentlich nur noch Theater“, weil nur verhandelt werde, was die SMA zuvor gestattet habe.27 Die Zahl der Plenarsitzungen nahm drastisch ab, die Arbeit verlagerte sich in die von der SED dominierten Ausschüsse. Gleichzeitig wurden mit der Volkskongressbewegung und dem daraus hervorgehenden Volksrat die Weichen in Richtung zentralisierter pseudoparlamentarischer Exekutivorgane der kommunistischen Alleinherrschaft gestellt.28 Nach der Bildung der DWK stand vor allem die Gründung der DDR für den Niedergang der Länder als eigenständige politische Größen.29 Während die im September 1949 gegründete Bundesrepublik Deutschland auf im Grundgesetz verankerten föderalen Traditionen und Prinzipien beruhte, war die Bildung des zweiten deutschen Staates am 7. Oktober 1949 unverkennbar darauf ausgerichtet, föderale und regionale Elemente weiter zurückzudrängen. Nicht zufällig fiel das Datum der Staatsbildung auf den Termin eigentlich anstehender Wahlen, die bereits 1948 um ein Jahr verschoben worden waren. Nun wurden sie erneut um ein Jahr verlegt, befürchtete die SMAD doch Mehrheiten für CDU und LDPD.30 Wie in den anderen Länder wurde auch in Sachsen ein entsprechendes Gesetz über die Verlängerung der Wahlperiode bis zum 15. Oktober 1950 erlassen.31 Nach Konstituierung der DDR übernahm die provisorische Regierung eine Reihe von Funktionen, die bislang im eingeschränkten Maße noch den Länderregierungen verblieben waren. Dazu gehörten die Bereiche Polizei, Verkehrs- und Nachrichtenwesen, Finanzen sowie Lenkung der landeseigenen Industrie. Am 11. Dezember 1949 wurde in diesem Zusammenhang das sächsische Justizministerium aufgelöst.32 Ungeachtet der Tendenz zum zentralistischen Einheitsstaat blieben die Länder zunächst bestehen, und auch die erste Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949 enthielt föderalistische Züge. Hier hieß es im Artikel 1, Absatz 1, Deutschland sei „eine unteilbare demokratische Republik“, die sich auf den deutschen Ländern aufbaue.33 Dieser Grundsatz wurde in einer Reihe weiterer Vorschriften über „Republik und Länder“ sowie über die Verwaltung der Republik konkretisiert. Folgt man dem Verfassungstext, so waren die Länder nicht nur territoriale Einheiten, sondern den Staat 27 28 29 30 31

Zit. in Creuzberger, Die sowjetische Besatzungsmacht, S. 167. Vgl. Frank, Verwaltungsreform, S. 14. Vgl. Thüsing, Landesverwaltung, S. 350. Vgl. Richter, Die Ost-CDU, S. 191–197. Gesetz des Landes Sachsen über die Verlängerung der Wahlperiode der Landtage, der Kreistage und der Gemeindevertretungen vom 10.10.1949. In: Gesetz- und Verordnungsblatt des Landes Sachsen, 1949, Nr. 28, S. 657. 32 Vgl. Drehwald/Jestaedt, Sachsen, S. 176. 33 GBl. DDR 1949, Nr. 1, S. 6.

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konstituierende Elemente mit Verfassungsautonomie. Ihnen wurde ein eigener Aufgabenbereich übertragen, sie erhielten eine eigene Gesetzgebungskompetenz und wurden über eine Länderkammer an der Wahl des DDR-Staatspräsidenten wie an der Gesetzgebung der Republik beteiligt. Die DDR erfüllte damit zwar formal die Merkmale einer föderativen Struktur,34 in der Praxis freilich erwies sich der Föderalismus der Verfassung als Pseudoföderalismus.35 So fanden sich im Verfassungstext keine Garantien für einen echten Föderalismus und für einen dauerhaften Bundesstaat. Der Text enthielt auch keine vergleichbare Bestimmung wie in Artikel 79 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland, wonach eine Änderung des Grundgesetzes, „durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden“, unzulässig ist. In der DDR, das zeigte die Realität bald deutlich, standen Länder und föderalistische Verfassungselemente zur Disposition. Erschien die DDR zunächst noch als dezentralisierter Einheitsstaat, so waren die Weichen doch von Anfang an in Richtung eines völlig zentralisierten Einheitsstaates gestellt.36 Die SED machte selbst auch keinen Hehl aus ihrer Überzeugung, wonach die Länder fest in das diktatorisch-zentralistische System staatlicher Leitung zu integrieren waren und nicht den Status im Rahmen eines demokratischen Bundesstaates besitzen konnten. Nach DDR-Staatsrecht waren sie „politisch-territoriale Einheiten innerhalb einer einheitlichen Republik“, die „von Anfang an ein Einheitsstaat“ war.37 Auch der Mentor des SED-Staatsrechts, Karl Polak, erklärte, die Grundeinstellung seiner Partei zum staatlichen Aufbau sei immer die des zentralisierten Einheitsstaates gewesen.38 Ungeachtet aller so erklärten Absichten wurde mit DDR-Gründung allerdings auch eine Länderkammer eingerichtet,39 die, wie die Länder selbst, im Sinne sowjetischer Optionspolitik wohl primär als Zugeständnis gegenüber den westlichen Alliierten hinsichtlich der strukturellen Einheitlichkeit Deutschlands zu deuten war. Die Länderkammer diente nach dem Verfassungstext als Organ für die Vertretung der Länder (Art. 71–80). Ihre Abgeordneten wurden von den Landtagen gewählt, ihre Kompetenzen bestanden im Gesetzesinitiativrecht und im aufschiebenden Einspruchsrecht gegen Beschlüsse der Volkskammer. Neben dieser an sich schon bescheidenen verfassungsrechtlichen Ausstattung kennzeichnete es den Zustand der Länderkammer im Spannungsfeld zwischen formalem Föderalismus und tatsächlicher kommunistischer Diktatur, dass in ihr niemals Einspruch gegen einen Gesetzesbeschluss der Volkskammer erhoben wurde. 34 35 36 37 38

Vgl. Mampel, Föderalismus, S. 114. Vgl. Häußer, Die Staatskanzleien, S. 111. Vgl. Laufer/Münch, Das föderative System, S. 73. Staatsrecht der DDR, S. 259. Länderkammer der DDR, Sekretariat, 3. WP., 1. (konstituierende) Sitzung der Länderkammer, Manuskript, 10.12.1958 (BArch B, DA 2, 15). 39 Gesetz über die Bildung einer Provisorischen Länderkammer der DDR vom 7.10.1949. In: GBl. DDR 1949, Nr. 1, S. 3.

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Angesichts der ideologischen Doktrin, der die DDR bei ihrer Gründung folgte, ist, fasst man die bisherige Entwicklung zusammen, weniger die baldige Beseitigung der Länder verwunderlich, sondern eher die Tatsache ihrer, wenn auch kurzen, Existenz. Wie die gesamte Entwicklung zur zentralistisch organisierten Diktatur, so resultierte auch die Auflösung der Länder, die seit der DDR-Gründung systematisch weitergetrieben wurde, aus dem kommunistischen Machtstreben. Wollte die SED ihre Diktatur ausbauen, brauchte sie eine straff organisierte, gut kontrollierbare, mit Repressionsmechanismen versehene, einheitliche Struktur. Zentralisierung war eine Grundbedingung für die Durchsetzung und den Erhalt der totalitären Diktatur. Nach der DDR-Gründung dauerte es auch nicht lange, bis mit den Gesetzen „über die Abgaben der Republik und der übrigen Gebietskörperschaften sowie über die Errichtung einer Abgabenverwaltung der Republik“ und „über den Haushaltsplan der DDR“ vom 9. Februar 1950 die Kontrolle aller wichtigen und einnahmeträchtigen Steuern von den Ländern auf die DDR übergingen. Die Länder wurden ihrer entscheidenden Einnahmequellen beraubt und ihre Finanzressorts demontiert. Der sächsische Finanzminister Gerhard Rohner (CDU) floh nach einer Kampagne gegen ihn in die Bundesrepublik. Mit dem Haushaltsgesetz vom 15. Dezember 1950 verloren die Länder auch formal die letzten Reste ihrer Finanzhoheit, mit dem ersten „5-Jahr-Plan“ vom 1. Januar 1951 degenerierten die Wirtschaftsverwaltungen der Länder zu Befehlsempfängern der zentralen Wirtschaftsplanung, Geld- und Kreditwesen wurden zentralisiert.40 Parallel dazu wurde der Einfluss der Landtage, die das Recht besaßen, der Volkskammer Gesetzesvorlagen zu unterbreiten und die Möglichkeit des „aufschiebbaren Einspruchsrechts“ besaßen, bereits 1950 weitgehend abgeschafft. Die Ausschaltung der Landtage fand mit den „Einheitslistenwahlen“ vom 15. Oktober 1950 ihren Höhepunkt, als Volkskammer, Land- und Kreistage sowie die Gemeindevertretungen der DDR gemeinsam nach Einheitslisten bestimmt wurden. Durch einen zuvor festgelegten Verteilerschlüssel für die Kandidaten der Einheitsliste sicherte sich die SED die absolute Vorherrschaft in den zentralistischen Staatsorganen der verschiedenen Ebenen. Gestützt wurde die kommunistische Alleinherrschaft durch die bereits erfolgte politische Gleichschaltung sämtlicher Parteien und Massenorganisationen.41 Ein Blick in die Landtagsprotokolle des Jahres 1950 macht deutlich, dass selbst von Resten parlamentarischen Lebens oder von Föderalismus keine Spuren mehr geblieben, Demokratie und Föderalismus zur Farce geraten waren.42 In dieser Situation war es die logische Konsequenz, dass das Politbüro der SED schließlich am 11. April 1952 die Zergliederung der Länder in Bezirke beschloss.43 Der Übergang zu den Bezirken wurde in einer Arbeitsgruppe des ZK 40 41 42 43

Vgl. Thüsing, Landesverwaltung, S. 351 f.; Richter, Die Ost-CDU, S. 223–227. Vgl. Rutz/Scherf/Strenz, S. 55 f.; Richter, Die Ost-CDU, S. 289–333. Vgl. Laufer/Münch, Das föderative System, S. 73 f.; Lapp, Die DDR geht, S. 15. Vgl. Mielke, Die Auflösung der Länder, S. 70.

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der SED und des Ministeriums des Innern unter strengster Geheimhaltung bei ständiger Konsultation mit der Sowjetischen Kontrollkommission beraten. Anfang Juli 1952 erhielt der Kreis in Moskau entsprechende Instruktionen, die Vorsitzenden der Blockparteien wurden bei einer Sitzung des „Demokratischen Blocks“ am 13. Juni in Umrissen informiert und am 7. Juli vor vollendete Tatsachen gestellt. Erst in den letzten Wochen vor dem 23. Juli 1952 wurden nach und nach eine Reihe von zentralen und bezirklichen Unterkommissionen in die regionalen Entscheidungsfindungsprozesse einbezogen. Über wissenschaftliche Expertisen zum Thema ist nichts bekannt,44 und auch die Bevölkerung bezog man nicht einmal symbolisch in die Diskussion oder gar in den Entscheidungsprozess ein. Auf ihrer 2. Parteikonferenz am 12. Juli 1952 bekannte sich die SED offen zum „Aufbau der Grundlagen des Sozialismus“ und „empfahl“ der Volkskammer in diesem Zusammenhang die Verabschiedung eines „Gesetzes über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe in den Ländern der DDR“. Ministerpräsident Otto Grotewohl schlug „unter grundsätzlicher Aufrechterhaltung der Länder“ vor, „die Arbeit der Landtage und Regierungen innerhalb der fünf Länderterritorien auf 14 kleinere Bezirke zu verteilen“, die je etwa 15 Kreise umfassen sollten.45 Damit war klar, dass die DDR-Regierung zwar Landtage und Landesregierungen als politische Institutionen, zunächst aber nicht die Länder als Organisationseinheiten abzuschaffen gedachte. Am 23. Juli 1952 beschloss die Volkskammer das entsprechende Gesetz, in dessen Präambel es hieß, dass das „noch vom kaiserlichen Deutschland stammende System der administrativen Gliederung in Länder mit eigenen Landesregierungen“ die Lösung der neuen Aufgaben des Staates nicht mehr gewährleiste.46 Das Gesetz übertrug die Aufgaben der Landesregierungen auf „Organe der Bezirke“ und lenkte den für die Länder vorgesehenen Teil des Staatsetats auf die Bezirke um. Damit kollidierte es direkt mit den Verfassungen der formal weiterbestehenden Länder. Da es keinen Schutzmechanismus wie entsprechende Kompetenzen der Länderkammer oder eine Verfassungsgerichtsbarkeit gab, setzte es in der folgenden Rechtspraxis faktisch die Verfassungen der Länder außer Kraft, ohne dies freilich formal und ausdrücklich zu tun.47 Am gleichen Tag befasste sich auch die Länderkammer mit dem Gesetz. Staatssekretär Fritz Geyer erklärte, an der grundsätzlichen verfassungsmäßigen Zuständigkeit der Länderkammer werde nichts geändert, da ja auch die Länder grundsätzlich aufrecht blieben, künftig allerdings in der Form „Bezirk Dresden (Land Sachsen)“. Das Gesetz, so der frühere Vertraute des sächsischen Ministerpräsidenten Rudolf Friedrichs, bedeute einen entscheidenden Schritt in der Entwicklung zu einer „wirklichen, tief im Volk verwurzelten Demokratie“. Es 44 45 46 47

Vgl. Hajna, Länder oder Bezirke?, S. 47. Protokoll der II. Parteikonferenz, S. 341 f. GBl. DDR 1952, Nr. 99, S. 613 f. Vgl. Vorschlag von Arnold Vaatz zum Verfahren der Länderbildung im Falle des Landes Sachsen vom Mai 1990 (Dok. 68).

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handele sich um eine „folgerichtige Fortentwicklung“ der Entwicklung seit 1945. Ein Ziel sei es, den Staatsapparat den bestehenden Verhältnissen anzupassen, habe sich doch die wirtschaftliche Entwicklung weit von der bisherigen territorialen Ordnung entfernt. Wie erwartet, stimmte die Länderkammer dem Gesetz einstimmig zu.48 Sie selbst wurde noch nicht abgeschafft, sondern führte noch weitere sechs Jahre ein „Schattendasein“.49 Wahrscheinlich diente ihr Erhalt dazu, in der Bevölkerung den Eindruck eines Weiterbestehens der Länder zu erwecken, um eventuellen Widerständen zu begegnen.50 Unmut in der Bevölkerung über die Auflösung der Länder wurde freilich kaum laut. Zum einen war es inzwischen gefährlich, Widerspruch zu äußern, zum anderen waren die meisten Menschen von existentiellen Lebensfragen in Anspruch genommen. Am 24. Juli beschloss auch das sächsische Kabinett den Entwurf eines Gesetzes „über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe im Lande Sachsen“51 und orientierte sich dabei am Musterentwurf des SED-Politbüros für entsprechende Landesgesetze vom 15. Juli. Am 25. Juli 1952 kam der sächsische Landtag zur 28., außerordentlichen Sitzung der zweiten Legislaturperiode zusammen. Unter dem Vorsitz von Landtagsvizepräsident Magnus Dedek52 brachte Ministerpräsident Max Seydewitz den Regierungsentwurf ein. Obwohl Seydewitz nach Auskunft seines Sohnes von der Dezentralisierung des Landes Sachsen „nicht sonderlich erbaut“ gewesen sein soll, weil er wirtschaftliche Rückschläge befürchtete,53 sprach er sich für das Gesetz aus und nannte die föderative Gliederung eine „Fessel der neuen Entwicklung“. Die Länder hätten nach dem Krieg „eine große geschichtliche Aufgabe“ zu erfüllen gehabt, die mit der DDR-Gründung und der „Schaffung der festen Grundsätze für die antifaschistisch demokratische Ordnung“ im Wesentlichen erfüllt sei.54 Das Gesetz wurde ohne Gegenstimmen und Enthaltungen angenommen,55 nach der Entscheidung minutenlang applaudiert. Die Abgeordneten vertuschten die Beseitigung des sächsischen Landtags und des von 48 Länderkammer der DDR, 9. Sitzung (stenographische Niederschrift), 23. 7.1952 (BArch B, DA 2, 85). Vgl. Niederschrift über die 8. Sitzung des Präsidiums der Länderkammer gemeinsam mit den Vorsitzenden der Fraktionen am 23. 7.1952 (BArch B, DA 2, 80, Bl. 29 f.). 49 Lapp, Die DDR geht, S. 17. Vgl. Blaschke, Sächsische Verwaltungsgeschichte, S. 158; Thüsing, Landesverwaltung, S. 362. 50 Vgl. Mielke, Auflösung der Länder, S. 81. 51 Max Seydewitz an Otto Buchwitz vom 25. 7.1952 (SächsHStA, LT, 186). 52 Landtagspräsident Buchwitz hielt sich zu einem Urlaub in der Sowjetunion auf, den er trotz Auflösung des Landtages nicht unterbrach. Vgl. Blaschke, Landstände, Landtag, Volksvertretung, S. 16 f. 53 Interview Fridolin Seydewitz am 7.9.2000 (M. Schmeitzner). Auch Alfred Fellisch, 1948/ 49 sächsischer Wirtschaftsminister, lehnte die Selbstauflösung des Sächsischen Landtages 1952 als „völlig unverständlich“ ab. Zit. in Schmeitzner, Alfred Fellisch, S. 480. 54 Vgl. Thüsing, Landesverwaltung, S. 362 f. 55 Gesetz über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe im Lande Sachsen vom 25. 7.1952. Text in: Amtliche Nachrichten Sachsen Nr. 15/1952 vom 28. 7.1952.

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ihm repräsentierten Landes Sachsen dadurch, dass sie die zweite Sitzungsperiode des Landtags für beendet erklärten und feststellten, die Abgeordneten würden ihre Arbeit in den Bezirkstagen von Dresden, Chemnitz und Leipzig fortsetzen.56 Die Sitzung dauerte ganze achtzig Minuten. Eine Beratung des Gesetzes erfolgte nicht. Auch in den Ausschüssen des Landtages fanden vor dem 25. Juli 1952 keine Besprechungen oder gar Diskussionen statt. Die Landtagssitzung war bereits kein Ausdruck föderaler Entscheidungsfreiheit mehr, sondern diente als „parlamentarisches Feigenblatt für eine allein von der SED initiierte und von ihr durchgeführte grundlegende Änderung der staatlichen Struktur der DDR“.57 Am 4. August 1952 konstituierte sich der Bezirkstag Dresden und bestimmte „einmütig“ den fünfzehnköpfigen Rat des Bezirkes.58 „Die Diktatoren von 1933“, so resümierte der erste sächsische Landtagspräsident nach der Neubildung Sachsens 1990, Erich Iltgen, „hatten sich damit begnügt, den Landtag einfach abzuschaffen. Die Machthaber des totalitären Regimes von 1952 verlangten die ausdrückliche Zustimmung der Betroffenen, ihr formales Bekenntnis zur Unterwerfung und Entmündigung.“59 Hart war auch das Urteil, das später Mitglieder der Dresdner Gruppe der 20 trafen. Die Länder hätten seinerzeit selbst mitgewirkt, indem ihre Landtage entgegen den Bestimmungen ihrer Verfassungen ihre Selbstauflösung beschlossen. Sich derart widerstandslos aufgebende Organe der Länder seien es wert gewesen, ihren eigenen Untergang besiegelt zu haben.60 Die föderal-demokratischen Strukturen der Länder, die gesetzgebenden Landtage und die einzelnen Landesverfassungen sowie die auf Eigenständigkeit bedachten Länderregierungen hatten die Entwicklung der zentralistischen Diktatur gestört.61 Bis 1950 hatten Landtage und Länderregierungen noch immer Reste einer gewissen Selbständigkeit wahren und Länderinteressen anmelden können. Selbst in demontierter Form hatten Landtage und Länderregierungen „so etwas wie eine Tradition und Würde aufzuweisen“.62 Die Auflösung der Länder war nicht nur eine Verwaltungsreform. Vielmehr sollte sie die in den Ländern abgestützte politische Vielfalt und Gewaltenteilung aus dem Staatsleben austreiben, um das politische Leben ganz dem Zugriff des „demokratischen Zentralismus“ auszuliefern.63 Das landsmannschaftliche und regional-geschichtlich geprägte Heimatgefühl sowie damit verbundene Denk- und Handlungswei56 Vgl. Iltgen, Die Bedeutung des Landtages, S. 15. 57 Thüsing, Landesverwaltung, S. 363. Vgl. Heitmann, Geschichtliche Entwicklung, P. 15; Drehwald/Jestaedt, Sachsen, S. 65. Zur Umgestaltung der sächsischen Verwaltung ab 1952 vgl. Thüsing, Landesverwaltung, S. 366–377. 58 Sächsische Zeitung vom 5. 8.1952. Analog in den Bezirken Chemnitz und Leipzig. 59 Vgl. Iltgen, Die Bedeutung des Landtages, S. 15. 60 Überlegungen der AG Recht der Dresdener Stadtverordnetenversammlung zur Wiedererstehung der Länder in der DDR vom 26. 2.1990 (Dok. 15). 61 Lapp, Die DDR geht, S. 18. 62 Ebd., S. 16. 63 Vgl. Rudolph Hermann, „Die DDR-Länder leben wieder auf.“ In: Süddeutsche Zeitung vom 4.1.1990.

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sen der Menschen sollten eingeengt werden,64 war die Auflösung der Länder doch auch vom politischen Willen getragen, radikal mit den bisherigen historischen Traditionen zu brechen. Der SED-Landeshistoriker Karl Czok nannte die Länderauflösung einen „revolutionären Schlussstrich unter diese jahrhundertelange Territorialentwicklung“. In der deutschen Geschichte habe es „erst die Herrschaft der Arbeiterklasse“ vermocht, die Territorialstaatsentwicklung endgültig zu beseitigen.65 Nach dem Willen der SED sollte deutlich werden, dass mit der DDR ein völlig neuer Staat entstanden war, der mit seinen Vorläufern nichts mehr gemeinsam hatte. Die offizielle Geschichtsschreibung der DDR erklärte später, die Größe der Länder und Kreise habe „die Verwirklichung der in den Gesetzen der Volkskammer und in den Beschlüssen der Regierung zum Ausdruck kommenden einheitlichen Staatspolitik“ gehemmt und „bürokratischadministrative Leitungsmethoden“ begünstigt. Die Beibehaltung überkommener administrativ-territorialer Gliederungen, die an bürgerlich-parlamentarische Traditionen anknüpften, habe sich mit der Errichtung des sozialistischen Staates als überholt erwiesen.66 Aus Sicht der SED sollte durch die Auflösung der Länder „eine größere Annäherung von Bürgern und staatlichen, gesellschaftlichen und Parteiorganen und damit eine höhere Bürgernähe der Verwaltung erreicht“, die „unter feudalistischen und bürgerlich-demokratischen Verhältnissen entstandenen bzw. erhaltenen Regionalstrukturen geschwächt, andererseits der Aufbau bestehender und neuer Zentren der Arbeiterklasse und deren Partei (SED) sowie der Industrie gestärkt“ werden.67 Bemerkenswert ist, dass selbst der von Ministerpräsident de Maizière mit der Länderneubildung betraute Minister Manfred Preiß noch 1990 zur zentralistischen Struktur der Diktatur erklärte: „Wir hatten in der Vergangenheit Bezirke gebildet, um bürgernah am Bürger dran zu sein. Seit 1952 bestehen diese Bezirke, und wenn wir heute resümieren, so ist es sicherlich an vielen Stellen gelungen, diese Bürgernähe auch zu praktizieren.“68 Aus ideologischen Gründen wurden die Länder als „Hemmnisse der Entwicklung“ beseitigt, ohne dass auch nur ein einziges Wort zur Würdigung der geschichtlichen Leistung einer seit tausend Jahren bestehenden politischen Einheit des Landes und der demokratischen Tradition gesagt worden wäre.69 Sachsen hatte keine Chance, in diese Prozesse einzugreifen. Es war Gegenstand der großen Politik und als Akteur ausgeschlossen.70 „Unter den historischen Begriff Sachsen“, so Erich Loest, „wurde 1952 ein Schlusspunkt gesetzt, die Akte ge64 Scherf/Zaumseil, Zur politisch-administrativen Neugliederung, S. 233. 65 Czok, Über Traditionen sächsischer Landesgeschichte, S.5 f. 66 Wietstruk u. a., Entwicklung des Arbeiter-und-Bauern-Staates der DDR. Zit. in adn-Hintergrund: Die früheren Länder in der Deutschen Demokratischen Republik vom 9. 7. 1990. 67 Zit. in Rutz/Scherf/Strenz, Die fünf neuen Bundesländer, S. 59 f. 68 BPA/DDR-Informationen 14. 5.1990. In: Deutschland 1990, Band 8, S. 4655. 69 Vgl. Iltgen, Die Bedeutung des Landtages, S. 15. 70 Thüsing, Landesverwaltung, S. 397.

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schlossen und im Keller, Abteilung Tote Staaten, unfeierlich beigesetzt. Lange Jahre senkte sich Staub darauf, Flugasche, Braunkohlendreck.“71 Für Sachsen begannen Jahrzehnte ohne Staatlichkeit.72 An die Stelle der Länder traten nun Bezirke, die noch einige Zeit das Land als Zusatz im Namen führten, zu dem sie formal gehörten. Mit der „Bekanntmachung über die einheitliche Bezeichnung der örtlichen Organe der Staatsgewalt“ vom 16. August 1952 wurden die bezirklichen Organe der Staatsgewalt verpflichtet, die Bezeichnung „Rat des Bezirkes ... (Land ... )“ zu führen.73 Anfang Dezember 1952 erfolgte mit der „Verordnung zur Änderung von Bezirksund Kreisgrenzen“ durch den Ministerrat die endgültige Festlegung der neuen staatlichen Strukturen. Die Abgrenzung der Bezirke sollte nach dem Gesetz so vorgenommen werden, dass sie den wirtschaftlichen Erfordernissen entsprachen und die Durchführung aller staatlichen Aufgaben gewährleisteten. Mit der Verwaltungsreform wurden vierzehn Bezirke auf der Grundlage der bestehenden fünf Länder ohne Berlin gebildet. Aus hundertzwanzig Land- und zwanzig Stadtkreisen wurden 191 Land- und 27 Stadtkreise gebildet.74 Eine Verschlankung der Verwaltung, wie sie durch die DWK angemahnt worden war, wurde durch die Erhöhung der Zahl der Kreise in ihr Gegenteil verkehrt. Die Zahl der in der Verwaltung Tätigen stieg bis 1954 um cirka zwanzig Prozent.75 Bei der Neueinteilung in Bezirke hielten sich die Länder im Allgemeinen an die ehemaligen Ländergrenzen, jedoch gab es auch eine Reihe von zum Teil erheblichen Abweichungen und „Grenzüberschreitungen“, mit denen komplizierte Grenzverläufe bereinigt werden sollten.76 Das Land Sachsen wurde in die drei Bezirke Dresden, Chemnitz (1953– 1990 Karl-Marx-Stadt) und Leipzig aufgegliedert. Die Kreise Delitzsch, Eilenburg und Torgau (bis 1815 sächsisch, dann preußische Provinz Sachsen, nach 1945 bis 1952 zum Land Sachsen-Anhalt) wurden dem Bezirk Leipzig eingegliedert. Ebenso kamen die Kreise Altenburg und Schmölln zum Bezirk Leipzig. Diese Gebiete gehörten seit dem Mittelalter mit Ausnahme der Jahre 1547 bis 1554 zu den ernestinisch-thüringischen Staaten bzw. zum Land Thüringen. Teile des Kreises Greiz (Thüringen) wurden dem Bezirk Chemnitz (Karl-MarxStadt) zugeordnet. Umgekehrt kamen Teile des sächsischen Vogtlandes zum Bezirk Gera. Die nach dem Krieg zu Sachsen gekommenen Kreise Hoyerswerda und Weißwasser kamen 1952 vollständig zum Bezirk Cottbus, ebenso die nörd71 Zit. in Rellecke, Freistaat Sachsen, S. 87. 72 Vgl. Thomas Pfeiffer. In: Zehn Jahre Sächsischer Landtag, S. 11. 73 GBl. DDR 1951 1 114, S. 750. Vgl. BT, RTB, RdB Halle. Grundsätzlicher Standpunkt zum Land Sachsen-Anhalt und zur Landeshauptstadt Halle (LA Merseburg, Rep. RdB / BT, 21129/8). 74 Vgl. Gemeinschaftsstelle der Länder für Landes- und Kommunalfragen: Territorialvergleich 1952 und 1990 der Land- und Stadtkreise der Länder Brandenburg, MecklenburgVorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. November 1990 (BArch B, DO 5, 216). 75 Hajna, Länder, Bezirke, Länder, S.157. 76 Lapp, Die DDR geht, S. 16.

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lich der Linie Dürrbach-Steinbach gelegenen Gemeinden des Kreises Niesky. Obwohl sich der Zuschnitt der Bezirke nur grob an den Ländergrenzen orientierte, blieb eine Ähnlichkeit zwischen Gruppen von Bezirken und ehemaligen Ländern bestehen.77 Auffällig war das relativ geringe Bezirkseinzugsgebiet von Leipzig, was in der „heimlichen Hauptstadt der DDR“ zur Vermutung führte, die Stadt solle in ihrer weiteren Entwicklung – vor allem in Relation zu Ost-Berlin – gehemmt werden. In der Tat nahm Leipzig von allen Bezirksstädten die, gemessen an ihrer bisherigen Bedeutung, ungünstigste Entwicklung.78 Die Struktur der Bezirke war von der SED-Führung mit dem Ziel ausgearbeitet worden, gegenüber den bisherigen Ländern eine engmaschigere politischstaatliche Struktur der Zentralgewalt zu bilden, die von der Zentrale und den Parteikräften vor Ort leichter zu steuern war. Außerdem wurde die Umorganisierung von der SED genutzt, unliebsame Vertreter von CDU und LDPD aus Verwaltungen und Behörden zu entfernen.79 Sämtliche Vorsitzende der Räte der Bezirke wurden von Anfang an und bis zum Ende des Regimes ausschließlich von der SED gestellt. Die Besetzung der Räte war Gegenstand der Kaderpolitik und eines zentral gesteuerten Selektionsverfahrens, das als Nomenklatursystem kennzeichnend für alle sozialistischen Staaten war. Dabei wurden Personalentscheidungen in ein langfristiges Auswahlkonzept eingebunden, in dem vor allem politische, in zweiter Linie auch fachliche Kriterien angewandt wurden. In eingeschränktem Maße wurden auch Mitglieder der Blockparteien bei Staatsfunktionen berücksichtigt. Vor allem aber galt es, den Einfluss der „Partei der Arbeiterklasse“ auf den Staatsapparat systematisch zu erhöhen. In einem DDR-Lehrbuch zum Verwaltungsrecht hieß es, alle Staatsorgane seien „ständig und systematisch klassenmäßig zu stärken“. Das erfordere, die Leitungsfunktionen mit „fähigen, der Sache der Arbeiterklasse und ihrer Partei treu ergebenen Kadern“ zu besetzen.80 Die Bezirke, Kreise und Gemeinden waren zu keinem Zeitpunkt selbstverwaltete Gebietskörperschaften, sondern von zentral gelenkten staatlichen Organen verwaltete Territorien.81 Entsprechend waren die Räte der Bezirke fest in die Struktur des demokratischen Zentralismus eingebundene Organe der zentralistischen Staatsmacht. Laut Beschluss des Ministerrates vom Februar 1955 erteilte dieser direkte Weisungen an die Räte der Bezirke und Kreise.82 Parallel dazu standen auch die Bezirkstage unter dem Kuratel der Volkskammer, deren Gesetze und Verordnungen für alle nachgeordneten „Volksvertretungen“ verbind77 Rutz/Scherf/Strenz, Die fünf neuen Bundesländer, S. 57. 78 Vgl. ebd., S. 60. 79 Vgl. „‚Säuberung‘ in der Verwaltung.“ In: Der Tag vom 15. 8.1952; „Bürgerliche Wahlangestellte in Sorge um ihr Schicksal.“ In: Informationsbüro West vom 9. 7.1952. 80 Zit. in Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 28. 81 Vgl. Mampel, Föderalismus, S. 117. 82 Beschluss der Ministerrates der DDR über die Anleitung und Kontrolle der Räte der Bezirke und Kreise durch den Ministerrat vom 3. 2.1955. In: GBl. DDR II 1955, Nr. 11, S. 65 f.

Karte 2: Land Sachsen bis 1952 und Bezirke ab 1952.

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lich waren.83 Die Räte der Bezirke wurden zwar formal von den nach Einheitslisten „gewählten“ Bezirkstagen bestimmt, für ihre Arbeit war aber die doppelte Unterstellung unter den Ministerrat und vor allem unter die Bezirksleitungen der SED entscheidend. Dadurch besaßen die Fachabteilungen der Räte der Bezirke eine doppelte Nachordnung. Sie unterstanden gleichzeitig den zentralen Fachministerien der Regierung und der Leitung der Räte der Bezirke. Die Räte der Kreise und Kommunen waren entsprechend strukturiert und den übergeordneten Ebenen unterstellt. Parallel zum Staatsaufbau organisierten sich spiegelbildlich der Parteiapparat der SED, der Blockparteien und Massenorganisationen. Alles zusammen führte zu einer gewaltigen Aufblähung des Verwaltungsapparates auf zentraler sowie auf der Bezirks- und Kreisebene, wohingegen die Verwaltung auf der kommunalen Ebene in den kreisangehörigen Stadt- und Landgemeinden stark eingeengt und vernachlässigt wurde.84 Zunächst war die Entwicklung von 1952 bis 1958 vom Dualismus einer formal fortexistierenden Länderkammer und der neugeschaffenen Bezirksstruktur geprägt. Die meisten Abgeordneten der fünf Landtage waren auf die neugebildeten Bezirkstage verteilt worden, ein Teil der Mitglieder der Landesregierungen hatte Aufgaben in den neuen Räten der Bezirke übernommen.85 Die Abgeordneten der Bezirkstage, deren Territorien zu einem Land zusammengeschlossen wurden, bestimmten von nun an gemeinsam die „Länder“-Vertreter für die Länderkammer.86 Nach Artikel 72 der DDR-Verfassung von 1949 waren die Abgeordneten der Länderkammer von den Landtagen im Verhältnis der Fraktionen auf die Dauer der Wahlperiode (4 Jahre) zu wählen. Bei den Einheitslistenwahlen 1954 traten, da die Landtage nicht mehr existierten, aber dennoch eine Neuwahl von Abgeordneten der Länderkammer vorgenommen werden sollte, die Bezirkstage länderweise zu gemeinsamen Sitzungen zusammen, um die „Volksvertreter“ der Länderkammer zu bestimmen.87 1958 „wählten“ die Bezirkstage noch einmal einzeln die Abgeordneten der Länderkammer. Die absurd anmutende Prozedur fand ihr Ende, als die Länderkammer auf ihrer ersten, konstituierenden Sitzung der neuen Wahlperiode am 10. Dezember 1958 schließlich „einmütig“ ihre eigene Auflösung beschloss.88 Dieses „reichlich kuriose Nachspiel“89 der administrativen Neuordnung von 1952 geschah nicht aus eigenem Antrieb, sondern als Folge eines entsprechenden Gesetzes vom 8. Dezember 1958. Demnach war

83 Gesetz über die örtlichen Organe der Staatsmacht vom 17.1.1957. In: GBl. DDR I 1957, Nr. 8, S. 66–71. 84 Vgl. Rutz/Scherf/Strenz, Die fünf neuen Bundesländer, S. 57. 85 Länderkammer der DDR, Sekretariat, 3. WP., 1. (konstituierende) Sitzung der Länderkammer, Manuskript, 10.12.1958 (BArch B, DA 2, 15). 86 Blaschke, Sächsische Verwaltungsgeschichte, S. 158. Vgl. Thüsing, Landesverwaltung, S. 362. 87 Länderkammer der DDR, Sekretariat, 3. WP., 1. (konstituierende) Sitzung der Länderkammer, Manuskript, 10.12.1958 (BArch B, DA 2, 15). 88 Ebd. Der Terminus „einmütig“ zeigt, dass es Gegenstimmen/Enthaltungen gab. 89 Kleßmann, Thesen, S. 268.

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die Auflösung der Länderkammer das „Ergebnis der Festigung des Arbeiter-undBauern-Staates und der Entfaltung der sozialistischen Demokratie“.90 Immer wieder einmal ist über mögliche Gründe für die Länderauflösung, jenseits ideologischer Floskeln, spekuliert und darauf hingewiesen worden, dass auch aus Sicht der SED eine Reihe von Gesichtspunkten gegen die zur Begründung der Länderauflösung angeführten Argumente sprachen. Neben der Verteuerung der Verwaltung führte die Änderung der staatlichen Struktur dazu, dass völlig neue Verwaltungsbehörden aufgebaut werden mussten, nachdem wenige Jahre zuvor erst der mit erheblichem Aufwand betriebene Aufbau der Landesverwaltungen abgeschlossen worden war. Da die SED in den Regierungen und Verwaltungen der Länder zuletzt ohnehin uneingeschränkt dominierte, war es unter diesem Gesichtspunkt nicht notwendig, die bisherigen Administrationen zur Stärkung ihrer eigenen Position zu zerschlagen. Auch die von der SED vorgebrachten sicherheits- und wirtschaftspolitischen Argumente konnten kaum überzeugen. Das Vorbild Sowjetunion bestand selbst aus einer Vielzahl von Republiken, war also formal föderal strukturiert.91 Die Sowjetrepubliken waren dennoch in ein zentralistisches System eingebunden – ein Modell, das auf die DDR übertragbar gewesen wäre. Die Länder hätten durchaus als Verwaltungseinheiten ohne föderative Kompetenz fortexistieren können. Zudem widersprach die Änderung der staatlichen Strukturen dem noch immer postulierten Ziel der Wiedervereinigung. Eine zentralistisch gegliederte DDR entfernte sich in ihrem Staatsaufbau von dem der Bundesrepublik. Bis zur Abschaffung der Länderkammer hatte die DDR noch ein „föderatives Gepräge“, das sich bei einer Wiedervereinigung hätte günstig auswirken können.92 Unklar aber unwahrscheinlich ist, ob es in der Geschichte der Bemühungen beider deutscher Staaten um Annäherung in den 50er Jahren Pläne einer Reföderalisierung der DDR gegeben hat.93 Die SED-Führung begründete sowohl das Volkskammergesetz als auch das vom sächsischen Landtag verabschiedete Gesetz vor allem mit ökonomischen Erfordernissen. Sie waren in der Vergangenheit bereits Motiv für die Änderung von Kreisgrenzen in Sachsen gewesen.94 Die neue Bezirksgliederung bezweckte demnach vor allem, die politisch-administrative Gliederung stärker der zunehmend zentralistisch strukturierten Wirtschaft anzupassen, ihre einheitliche Steuerung zu gewährleisten und ein produktionsorientiertes Zweigprinzip zentralistischer Leitung und Planung der Wirtschaft durchzusetzen. So sollte z. B. der Bezirk Cottbus durch die Zusammenlegung von Teilregionen der Länder Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt zum Braunkohlen-Energiezentrum der DDR entwickelt

90 Gesetz über die Auflösung der Länderkammer der DDR vom 8.12.1958. In: GBl. DDR I 1958, Nr. 71, S. 867. 91 Vgl. Thüsing, Landesverwaltung, S. 364 f. 92 Darauf verweist Siegfried Mampel. Zit. in Lapp, Die DDR geht, S. 20 f. 93 So Kilper/Lhotta, Föderalismus, S. 241. 94 Vgl. Thüsing, Landesverwaltung, S. 364.

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werden.95 Neben wirtschaftspolitischen Erwägungen spielten auch die Vorbereitungen auf die Aufstellung der NVA eine Rolle, sollte doch die zivile Verwaltungsstruktur künftig den militärischen Wehrkreisen entsprechen.96 Insgesamt aber dürften für die SED-Führung politisch-ideologische Motive dominiert haben. Darauf deutet die Begründung des Nestors des DDR-Staatsrechts, Karl Polak, bei der Auflösung der Länderkammer hin. Es sei, so der SED-Funktionär, „gesetzmäßig“, wenn durch die Auflösung der Länderkammer die letzten Reste des föderativen Aufbaus beseitigt würden. Mit der Auflösung der Länderkammer erfahre der demokratische Zentralismus seine „volle staatsorganisatorische Ausbildung“. Marx und Engels hätten gelehrt, „dass nicht im Willen des Volkes und nicht im Wesen der Nation die föderative Aufspaltung Deutschlands in Länder gelegen ist, sondern dass es die feudal-dynastischen Kräfte waren, die – entgegen dem Willen von Nation und Volk wirkend – die Aufrechterhaltung der Vielstaatlichkeit bewirkten, um damit ihre Macht gegenüber der revolutionären Macht des Volkes, das zu staatlicher Einheit drängte, aufrecht zu erhalten“. Deutschland sei eine einheitliche Nation. Die Teilung in Fürstentümer und Länder sei nie gerechtfertigt gewesen. Die notwendige „straffe zentrale Leitung“ des Staates habe die Ländereinteilung „schon früh problematisch“ werden lassen. Das föderative Prinzip der länderweisen Vertretungen der Interessen der örtlichen Organe gegenüber der Zentralgewalt durch eine zweite Kammer sei überholt und veraltet. Die neuen sozialistischen Vertretungsorgane seien die „geschichtlich höheren Formen“. Sekundiert wurde Polak vom Präsidenten der Länderkammer und kommissarischen CDU-Vorsitzenden, August Bach, der erklärte, man wolle „den Leidensweg der Weimarer Republik nicht ein zweites Mal durchlaufen“ und jedes Moment ausschalten, das einer zentralen Staatsgewalt hindernd im Wege stehe. Die historische Mission der deutschen Länder sei erfüllt. Es sei nun Aufgabe der Staatsmacht, „volle Klarheit über den Grundcharakter unseres Staates und seiner kommenden Entwicklung zu schaffen“.97 Damit war klar, dass der diktatorische Durchgriff der SED-Führung nicht mehr durch föderalistisch-demokratische Strukturen erschwert werden sollte.98 Ziel war eine Verstärkung der allseitigen Beeinflussung und der Kontrolle der Bürger durch den Parteiund Staatsapparat.99

95 Vgl. Scherf / Zaumseil, Zur politisch-administrativen Neugliederung, S. 233; Laufer / Münch, Das föderative System, S. 75. 96 Vgl. Thüsing, Landesverwaltung, S. 364. 97 Länderkammer der DDR, Sekretariat, 3. WP., 1. (konstituierende) Sitzung der Länderkammer, Manuskript, 10.12.1958 (BArch B, DA 2, 15). 98 Laufer/Münch, Das föderative System, S. 75. 99 Scherf/Zaumseil, Zur politisch-administrativen Neugliederung, S. 233.

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Im offiziellen Leben der DDR spielten die Länder über lange Zeit keine Rolle mehr, die SED blendete das Thema einfach aus und versuchte, die geschichtliche Entwicklung der Regionen aus dem Blickfeld der Bevölkerung zu rücken. Heimat- und Landesgeschichte, Volkskunde und ähnliches fanden kaum Beachtung. Die zweite DDR-Verfassung vom 6. April 1968 erwähnte weder die Länder noch die Länderkammer oder andere föderative Elemente. Hier war nun auch verfassungsoffiziell von „zentraler staatlicher Leitung und Planung der Grundfragen der gesellschaftlichen Entwicklung“ die Rede. Die Volkskammer wurde nun auch formal zum einzigen gesetzgebenden Organ der DDR. Damit war auch die Fiktion des Föderalismus endgültig aufgegeben worden, und die SED vermied nun bis zur friedlichen Revolution alles, was staatsrechtlich und psychologisch auf eine Wiederbelebung von Länderstrukturen in der DDR hätte hindeuten können. Andererseits ging die SED keinesfalls so radikal mit Ländertraditionen um wie mit politischer Opposition. Zwar hatte man offiziell mit der föderalistischen Tradition Deutschlands gebrochen, die Landesnamen dienten aber auch weiterhin als regionale Bezeichnungen. In diesem Sinne gab es Sachsen während der gesamten DDR-Zeit als Landschaft.100 Im Gegensatz zur Tilgung aller Hinweise auf die früheren Ostgebiete (so war weder von Vorpommern noch von Niederschlesien die Rede; selbst Tilsiter Käse und Königsberger Klopse mussten umbenannt werden) gab es weiterhin den Thüringer Wald, die Sächsische Schweiz und die Mecklenburgische Seenplatte. In Sachsen fand man überall ungetilgte Hinweise auf das frühere Land. So blieben an den Bahnhöfen die Zusatzbezeichnung „(Sachs.)“ erhalten. Es erschienen Tageszeitungen mit Namen wie „Sächsische Zeitung“ und „Sächsisches Tageblatt“ oder sogar die „Mitteldeutschen Neuesten Nachrichten“. Auch in wissenschaftlichen Publikationen der Geographie und anderer Regionalwissenschaften wie Regionalgeschichte, Regionalökonomie und -soziologie oder Rechtsgeschichte blieb der Bezug zur Länderstruktur zumindest fragmentarisch erhalten.101 Neben dem Kulturbund waren die Kulturämter der Städte Initiatoren von Heimatspiegeln und -blättern. In Sachsen gab der „Deutsche Kulturbund, Bezirkskommissionen Natur- und Heimatfreunde Dresden, Karl-Marx-Stadt und Leipzig“ in Verbindung mit der „Deutschen HistorikerGesellschaft“ seit 1954 die „Sächsischen Heimatblätter“ heraus. Blätter wie dieses erhielten zwar in den fünfziger Jahren über den Kulturbund Anleitungen zur nicht landesbezogenen Heimatgeschichte, doch konnten sie relativ selbständig agieren, was die Heimatblätter auch nutzten, um sächsische Landschaften zur Geltung zu bringen.102 Sie erwarben sich in der Nachfolge der „Mitteilungen 100 Vgl. Geleitwort von Steffen Heitmann. In: Stober, Handbuch, S. 5. 101 Vgl. Rutz/Scherf/Strenz, Die fünf neuen Bundesländer, S. 57. 102 Vgl. Bramke, Einleitung. In: Bramke/Heß, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 10.

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des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz“ „unbestreitbare Verdienste“ um die Fortführung der Geschichtspflege in Sachsen, auch wenn sie sich formal an die Abgrenzung der drei Bezirksverbände des Kulturbundes halten mussten.103 Auch andere vergleichbare Blätter in der DDR hatten Bezüge zu den ehemaligen Ländern.104 Die Urania organisierte Vorträge über Sachsen. Auch das „Landesmuseum für Vorgeschichte“ führte bis 1990 zwar den Untertitel „Forschungsstelle für die Bezirke Dresden, Karl-Marx-Stadt und Leipzig“, betreute als staatliche Behörde aber die ur- und frühgeschichtlichen Bodendenkmale Sachsens.105 Daneben gehörte das „Institut für Denkmalpflege Dresden“, bis 1952 „Landesamt für Denkmalpflege Sachsen“, zu den wenigen Institutionen, die auch nach Beseitigung der Länderstruktur 1952 ihre Zuständigkeit für das gesamte Territorium des ehemaligen Landes Sachsen bewahrten. Seine Tätigkeit war nach eigenem Bekunden „stets auf die Erhaltung sächsischer landesgeschichtlicher Traditionen und kulturelle Identität über Bezirksgrenzen hinweg“ gerichtet.106 Es gab Landesarchive in Schwerin, Greifswald, Magdeburg, Dresden und Weimar, letzteres mit verschiedenen Außenstellen in den ehemaligen thüringischen Einzelstaaten. In Sachsen arbeitete das Sächsische Landeshauptarchiv. Erhalten blieben auch die Aufgaben der Museen für Ur- und Frühgeschichte, die Zuständigkeit der Institute für Denkmalpflege sowie die Herausgabe der Regionalbibliographien auf der Grundlage der Länderstruktur. Auch bereits bestehende oder später gegründete Handwerksvereinigungen waren vielfach nicht auf Bezirks- sondern auf Landesebene organisiert.107 Ebenso behielten die Kirchen ihre an früheren Ländergrenzen orientierten territorialen Strukturen bei, von denen eine kulturelle Klammerwirkung über die Bezirkseinteilung im Sinne des gemeinsamen historischen Raumes und gemeinsamer Geschichte ausging. Aus dem Westteil der Kirchenprovinz Schlesien der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union entstand mit der ersten Provinzialsynode 1951 die „Evangelische Kirche von Schlesien“, die 1968 in „Evangelische Kirche des Görlitzer Kirchengebietes“ umbenannt werden musste. Die kirchenrechtliche Eigenständigkeit der preußischen Oberlausitz blieb bis nach 1990 erhalten. In der katholischen Kirche entstand die Apostolische Administratur Görlitz. Die sächsische Landeskirche umfasste auch nicht die nordsächsischen Kreise Eilen-

103 Blaschke, Karlheinz: „Wie steht es um die sächsische Geschichte? Zu Forschungen und Veröffentlichungen der letzten vierzig Jahre.“ In: Die Union vom 28./29. 4.1990. 104 Vgl. Sperling, Landeskunde, S. 49–51. 105 Vgl. Runder Tisch des Landesmuseums für Vorgeschichte Sachsens an die Gruppe der 20, AG Verfassung. Februar 1990 (HAIT, KA, 11.3). 106 Diskussionsbeitrag des Instituts für Denkmalpflege Dresden zu einem künftigen Land Sachsen aus kulturgeographischer und kulturhistorischer Sicht vom 20. 3.1990 (Dok. 26). Vgl. Institut für Denkmalpflege Dresden an das Büro des Ministerpräsidenten der DDR vom 20. 3.1990. Anlage: Überlegungen des Instituts für Denkmalpflege zu einem künftigen Land Sachsen aus kulturgeographischer und kulturhistorischer Sicht (BArch B, DO 5, 145). 107 Vgl. Hajna, Länder, Bezirke, Länder, S. 11.

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Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsen

Peter W. Baumann

Karte 3: Grenzen des Bistums Dresden-Meißen und der EvangelischLutherischen Landeskirche Sachsen in der DDR(vereinfacht).

burg, Torgau und Delitzsch, die zur Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen bzw. zur Bischöflichen Administratur Magdeburg gehörten.108 In der Geschichtsschreibung der DDR wurde Sachsen als Thema ebenfalls nie völlig tabuisiert. So erschienen bis in die siebziger Jahre immer wieder Beiträge oder Bücher, die sich auf Sachsen bezogen. Dabei war nicht immer klar erkennbar, ob das aufgelöste Land Sachsen oder Sachsen als Landschaftsbegriff gemeint war.109 1965 wurde der Band „Sachsen“ des Dehio-Handbuchs der deutschen Kunstdenkmäler veröffentlicht, der sich allerdings schon an die drei sächsischen Bezirke anlehnte, diese aber als geschichtliche Einheit darstellte. Die nach dem Zweiten Weltkrieg wiederaufgenommene Arbeit an der sächsischen Landesgeschichte trug auch nach 1952 dazu bei, dass der Begriff Sachsen lebendig blieb. 1957 erschien das Historische Ortsverzeichnis von Sachsen als ein Nachschlagewerk sächsischer Geschichte, das alle Orte innerhalb des

108 Vgl. ebd., S. 21 f. 109 Vgl. Hentschel, Bibliographie; Neef, Bibliographie; Dehio, Handbuch; Deutsche Kunstdenkmäler. Sachsen. Weitere Titel in: Sperling, Landeskunde, S. 454.

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ehemaligen Landes erfasste und auch die alte Verwaltungsgliederung nach Amtshauptmannschaften beibehielt. Freilich nahmen die Schwierigkeiten zu. In dem Maße, in dem die SED die Geschichtswissenschaft der kommunistischen Ideologie unterwarf, wurde der im Partei- und Staatsaufbau herrschende Zentralismus auch hier durchgesetzt. Die Länder waren beseitigt, also konnte es keine Landesgeschichte mehr geben. So verschwand 1969 unter anderen das renommierte Leipziger Seminar für Landesgeschichte und Siedlungskunde endgültig und wurde durch eine Karl Czok unterstehende Lehrgruppe zur „Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung ersetzt.110 Ein gewisser Ersatz wurde mit dem 1961 eingeführten Begriff der Regionalgeschichte gefunden,111 die sich schon bald auf die Bezirke zu orientieren begann. Wer zur Anpassung bereit war, verstand sich jetzt als „Regionalhistoriker“. Unter diesen Bedingungen gingen die Arbeiten an der sächsischen Geschichte dennoch im Rahmen der Vorgeschichte, der Namenkunde und Siedlungsforschung, der Geographie und der Kunstgeschichte und Denkmalpflege weiter. Das Staatsarchiv Dresden brachte in einer neuen Reihe Beiträge zur sächsischen Geschichte heraus; die Sächsische Landesbibliothek begründete mit ihrer jährlich erscheinenden Sächsischen Bibliographie ein nützliches Hilfsmittel für die Forschung. Es gab die „Sächsische Akademie der Wissenschaften Leipzig“,112 deren Historische Kommission als einzige derartige Einrichtung weiterarbeitete.113 Die 1896 gegründete Sächsische Kommission für Geschichte konnte ihre Arbeit in Anlehnung an die Sächsische Akademie der Wissenschaften ebenfalls fortführen, alte Forschungs- und Publikationsvorhaben wieder aufnehmen und wichtige Grundlagen für die Landesgeschichte bereitstellen, wie die großen Bibliographien von Dresden und Leipzig und die politische Korrespondenz des Kurfürsten Moritz.114 Vor allem seit den siebziger Jahren kamen, zusammen mit der Wiederentdeckung der Heimat- und Regionalgeschichtsschreibung, auch die Länder wieder mehr zu Ehren. 1981 gab der Chefideologe der SED, Kurt Hager, das Zeichen für „eine neue Hinwendung zur Landesgeschichte“. Nachdem ihr geschichtspropagandistischer Wert im Zusammenhang mit der damals laufenden Diskussion um Tradition und Erbe plötzlich wieder entdeckt worden war, durfte der zwanzig Jahre lang verpönt gewesene Begriff wieder verwendet werden. Es wurde sogar gefordert, Werke über die Geschichte der ehemaligen Länder der DDR zu schreiben.115 Anfang der achtziger Jahre setzte daher parallel zur PreußenRenaissance eine regelrechte Sachsen-Renaissance ein. Die Rückbesinnung war 110 Vgl. Held, Das Seminar für Landesgeschichte und Siedlungskunde, S. 230 f. 111 Vgl. Blaschke, Zwischen Tradition und neuem Anfang, S. 19; Held, Das Seminar für Landesgeschichte und Siedlungskunde, S. 231. 112 Vgl. Blaschke, Die Sächsische Akademie der Wissenschaften, S. 281–309; Wiemers, Die Sächsische Akademie der Wissenschaften, S. 190 f. 113 Vgl. Groß, Die Historische Kommission, S. 175. 114 Blaschke, Karlheinz: „Wie steht es um die sächsische Geschichte? Zu Forschungen und Veröffentlichungen der letzten vierzig Jahre.“ In: Die Union vom 28./29. 4.1990. 115 Ebd.

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von oben gelenkt und gewollt, um mehr DDR-Identität und ein auf die DDR bezogenes Nationalbewusstsein herauszubilden.116 In der marxistisch-leninistischen Dialektik von Erbe und Tradition wurden nun landesgeschichtliche Aspekte als Bausteine einer sozialistischen Nationalgeschichte verstärkt untersucht. 1981 forderte Horst Bartel, bis zu seinem Tod 1984 Direktor des Zentralinstituts für Geschichte der Akademie der Wissenschaften, neben der Geschichte Preußens unter anderem auch die Geschichte Sachsens und Augusts des Starken genauer zu untersuchen. Sozialistischer Patriotismus und Heimatliebe hätten „eine wichtige Wurzel in der Kenntnis der Geschichte des eigenen Territoriums“.117 Der sächsische Landeshistoriker Karl Czok erklärte, regionale Geschichte besitze eine große Ausstrahlungskraft auf viele historisch interessierte Menschen. In der DDR formten sich Geschichtsbild und Geschichtsbewusstsein bei einem großen Teil der Bürger aller Altersgruppen in erheblichem Maße über heimatgeschichtliche Kenntnisse und Erkenntnisse heraus. Daher seien der marxistische Heimatbegriff noch gründlicher zu analysieren und die „Heimat als regionale Gemeinschaft innerhalb des sozialistischen Vaterlandes zu sehen, die unter bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen und natürlichen Bedingungen existiert“.118 Auch Gottfried Dittrich wies auf regionales Bewusstsein von DDR-Bewohnern hin. Das „Volk der DDR“ bestehe nicht aus Deutschen und Sorben schlechthin, seine Angehörigen empfänden ihre „Zugehörigkeit zu bzw. ihre Abkunft von den Berlinern, Sachsen, Vogtländern usw. auch außerhalb der Folklorepflege als etwas Faktisches, wohl nicht unbedingt Wesentliches, aber doch Bemerkenswertes“. Er setzte sich dafür ein, den spezifischen Beitrag der Bezirke zur DDR-Geschichte hervorzuheben, um bei den Bürgern „unverwechselbar das Gefühl und das Bewusstsein der gesamtstaatlichen Verantwortung ihres Territoriums zu entwickeln“.119 Ein Jahr später konstatierte auch Walter Schmidt, seit 1984 Nachfolger Horst Bartels, die Bürger hätten ein besonderes Interesse an der Geschichte ihres Territoriums. Was hier in der deutschen Geschichte vor sich gegangen sei, stehe ihnen unbestritten näher als gleichartige historische Vorgänge in Bayern, Baden oder Schleswig-Holstein. Die Einordnung Preußens oder Sachsens in die deutsche Geschichte, die Einschätzung der Hohenzollernherrscher oder der Wettiner bewege sie mehr als „das Schalten und Walten der Wittelsbacher“. Es gehe darum, das progressive Erbe der Territorialstaaten zu bewahren und sie als Vorstufen des sozialistischen Nationalstaates zu interpretieren. An einer „Wiederbelebung provinzieller oder territorialstaatlicher Traditionen“ sei die sozialistische Gesellschaft allerdings nicht interessiert.120 Im Bemühen um eine historische Fundierung der SED-Diktatur als eigenständige DDR-Nation sahen die Parteihistoriker plötzlich einen interes116 Vgl. Neuhäußer-Wespy, Geschichte, S. 913; Erdmann, Der gescheiterte Nationalstaat, S. 233; Blaschke, Zwischen Tradition und neuem Anfang, S. 23. 117 Bartel, Erbe und Tradition, S. 392 f. 118 Czok, Forschungen zur Regionalgeschichte, S. 720 f. 119 Dittrich, Zur Geschichte der DDR, S. 714. 120 Schmidt, Nationalgeschichte, S. 402 f.

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santen Aspekt der Abgrenzung zur Bundesrepublik Deutschland darin, dass die meisten Länder auf dem Gebiet der DDR niemals Teil der Bundesrepublik waren und sich so eine gesonderte historische Kontinuität der DDR herleiten ließ. Dass dies in keiner Weise eine Reminiszenz an die abgeschafften Länder bedeutete, machte Mitte der achtziger Jahre Helga Schulz klar. In der DDR habe eine neue Etappe der Regionalgeschichtsforschung begonnen, und die Geschichte der historischen Regionen selbst werde zu einem wichtigen Gegenstand. Die zeigten vor allem die Arbeit an marxistischen Landesgeschichten, die für Sachsen und Thüringen weit fortgeschritten seien.121 Allerdings bestehe kein Zweifel, dass die Reste des früheren Föderalismus durch die staatliche Gliederung des demokratischen Zentralismus endgültig überwunden wurden. Das heiße nicht, dass das Regionale in der Geschichte der DDR bedeutungslos geworden wäre. Regionale Traditionen hätten „historisch langfristige Wirkungen auf Lebensweise und Kultur der Werktätigen“. Sie prägten „Reichtum und Vielfalt der sozialistischen Nationalkultur“.122 Sie schlug vor, statt von „Territorialgeschichte“ oder „Landesgeschichte“ von „Regionalgeschichte“ zu sprechen, da dies nicht an die 1952 aufgelösten Länder erinnere.123 Bis Ende der achtziger Jahre hatte sich endgültig die Erkenntnis durchgesetzt, dass, so Walter Schmidt 1989, sozialistisches Nationalbewusstsein „in beträchtlichem Maße aus den Quellen von Lokal- und Heimatgeschichte gespeist“ werde.124 1989 erschien im Böhlau-Verlag in Weimar die erste zusammenhängende sächsische Geschichte nach dem Krieg, freilich aus marxistisch-leninistischer Sicht. Der Bedarf an einem solchen Buch war sehr groß, war doch seit der Sächsischen Geschichte von Kötzschke und Kretzschmar 1935 nichts derartiges erschienen.125 Den von Karl Czok herausgegebenen Band, der in Sachsen nur unterm Ladentisch zu haben war, hatten führende Wissenschaftler der sächsischen Universitäten erarbeitet. Manfred Arthur Fellisch, Sohn des früheren sächsischen Ministerpräsidenten Alfred Fellisch,126 zu DDR-Zeiten als Buchhändler tätig und Mitglied der Medienkommission des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR, erinnert sich: „Publikationen über Regionalgeschichte mehrten sich, das Interesse beim Publikum war riesig. Ich konnte in meiner damaligen Tätigkeit als Buchhändler miterleben, wie Neuerscheinungen buchstäblich nach Stunden vergriffen waren. Es war erfreulich zu sehen, dass es nicht gelungen war, eine DDR-Identität an die Stelle einer wirklichen Heimatidentität zu setzen.“127 Karlheinz Blaschke, der an der Kirchlichen Hochschule in Leipzig als nichtmarxistischer Landeshistori121 122 123 124 125

Schulz, Zu Inhalt und Begriff, S. 877. Ebd., S. 882 f. Ebd., S. 886 f. Schmidt, Deutsche Geschichte, S. 250. Kötzschke/Kretzschmar, Sächsische Geschichte. Vgl. Karlheinz Blaschke, „Wie steht es um die sächsische Geschichte? Zu Forschungen und Veröffentlichungen der letzten vierzig Jahre.“ In: Die Union vom 28./29. 4.1990. 126 Vgl. Schmeitzner, Alfred Fellisch. 127 Fellisch, Sachsen, S. 278.

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ker wirkte, urteilte 1990 über den von Czok herausgegebenen Band, diese „im Parteiauftrag hergestellte Geschichte Sachsens“ entspreche in den ersten, bis 1307 reichenden Kapiteln dem Wissens- und Problemstand aktueller landesgeschichtlicher Forschung, der von den drei Verfassern in jahrzehntelanger eigener Forschungstätigkeit erarbeitet und zum großen Teil mitbestimmt worden sei. Die Verfasser der folgenden Kapitel hätten hingegen zum großen Teil „nur angelesenes, nicht in der Tiefe erarbeitetes Wissen“ wiedergegeben, das „viele sachliche Fehler und Schwächen“ enthalte und sich seit dem 19. Jahrhundert auf eine Darstellung aus der Sicht der Arbeiterbewegung, seit 1918 der KPD und seit 1945 der SED verenge. „Gehässige Verleumdungen der Sozialdemokratie, die Verherrlichung der KPD-SED und des DDR-Sozialismus“ gehörten ebenso zu diesen Passagen wie die „Verunglimpfung des sächsischen CDU-Vorsitzenden Hugo Hickmann“ als „Wortführer reaktionärer Kräfte“, weil er sich den Gleichschaltungsversuchen der SED widersetzt hatte. Dass von 1307 ab die Kirchengeschichte Sachsens fast nicht vorkomme, die Namen Herrnhut und Zinzendorf nicht auftreten und die Rolle der Juden mit keinem Wort erwähnt werde, kennzeichne die „Enge der SED-Geschichtsschreibung“, zu der sich Czok als Herausgeber ausdrücklich bekenne, ebenso wie er die Existenz der Länder als Relikte des Kapitalismus bezeichne und den Föderalismus verurteile. Die letzten Abschnitte des Buches seien nur noch „im Stil von Leitartikeln einer SED-Tageszeitung verfasst und für den heutigen Leser eine Zumutung“.128 Angesichts des Wettin-Gedenkjahres 1989 setzte der 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Dresden, Hans Modrow, zusammen mit gleichgesinnten Kulturfunktionären gegen das anfängliche Verbot der Berliner Zentrale durch, dass die den Wettinern gewidmete Ausstellung „Kunst und Bergbau in Sachsen“ sowie ein mehrtägiges Kolloquium über die Wettiner und viele andere Veranstaltungen zu diesem Thema durchgeführt werden konnten. Die als Leitfaden hierfür gedachten Thesen „Sachsen und die Wettiner“ wurden von einer ausschließlich aus SED-Mitgliedern bestehenden Arbeitsgruppe verfasst, die „ein in der Konzentration schwaches, in den Einzelheiten sehr fehlerhaftes Ergebnis“ vorlegten.129 Im Westen Deutschlands sorgten vor allem sächsische Flüchtlinge und ihre Verbände dafür, dass Sachsen nicht aus dem Bewusstsein verschwand. Der Erinnerung an Mitteldeutschland, worunter in Abgrenzung zu den abgetrennten ostdeutschen Gebieten meist das gesamte DDR-Gebiet subsumiert wurde, fühlte sich unter anderem der 1955 in Hannover gegründete „Mitteldeutsche Kulturrat e. V.“ verpflichtet, aus dem 1976 die „Stiftung Mitteldeutscher Kulturrat“ hervorging. Zweck der Stiftung war „die länderübergreifende Pflege der mitteldeutschen Beiträge zur deutschen Kultur“. Dazu wurden Vorträge, Symposien

128 Karlheinz Blaschke, „Wie steht es um die sächsische Geschichte? Zu Forschungen und Veröffentlichungen der letzten vierzig Jahre.“ In: Die Union vom 28./29. 4.1990. Vgl. Held, Das Seminar für Landesgeschichte und Siedlungskunde, S. 232. 129 Karlheinz Blaschke, „Wie steht es um die sächsische Geschichte? Zu Forschungen und Veröffentlichungen der letzten vierzig Jahre.“ In: Die Union vom 28./29. 4.1990.

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und Ausstellungen veranstaltet und Veröffentlichungen herausgegeben.130 In ähnlicher Weise wurde die Landsmannschaft Sachsen des Bundes der Mitteldeutschen aktiv. Sie gab seit 1954 die in Hamburg erscheinende Zeitschrift „Sächsische Heimat. Mitteilungsblatt der Bundeslandsmannschaft der Sachsen und der Stiftung Land Sachsen“ heraus. Daneben erschien der „Neue Sachsenspiegel“ der Stiftung Land Sachsen. Regelmäßig wurden von der Bundeslandsmannschaft Sachsen „Sachsentage“ veranstaltet. Am 32. Sachsentag, der am 24. Juni 1990 in Fulda stattfand, beteiligten sich bereits wieder zahlreiche Besucher aus der DDR. Ebenso erinnerte das Kuratorium Unteilbares Deutschland über Jahrzehnte an die föderalistische Tradition im Gebiet der DDR. 1965 erschien im Kröner-Verlag Stuttgart der Band Sachsen des Handbuchs der Historischen Stätten Deutschlands, an dem zahlreiche in Sachsen verbliebene Fachleute wie Karl Heinz Blaschke mitgearbeitet hatten. Der Band hielt sich an die Landesgrenzen von 1952. Professor Walter Schlesinger aus Glauchau, dem die Weiterarbeit auf seinem Leipziger Lehrstuhl für Landesgeschichte verwehrt worden war, wirkte in der von ihm in Marburg begründeten Forschungsstelle für historische Landeskunde Mitteldeutschlands. Die von ihm herausgegebenen „Mitteldeutschen Forschungen“ enthalten in ihren fast hundert Bänden wichtige Beiträge zur sächsischen Geschichte. Auch Zeitschriften und Jahrbücher in der Bundesrepublik brachten in den vergangenen Jahrzehnten ungezählte Aufsätze zu diesem Thema heraus. Ihre Verfasser lebten weiterhin in der DDR, wo es entsprechende Publikationsmöglichkeiten nicht gab.131 Von Bayern aus engagierten sich die Nachfahren der Wettiner für Sachsen. Im Januar 1961 gründeten Prinz Friedrich Christian von Sachsen Herzog zu Sachsen und seine Söhne, die Prinzen Maria Emanuel und Albert von Sachsen Herzöge zu Sachsen gemeinsam mit Vertretern verschiedener sächsischer Organisationen in München die „Studiengruppe für Sächsische Geschichte und Kultur e. V. München“. Diese gab seit 1961 in loser Folge die „Blätter für Sächsische Heimatkunde. Mitteilungen der Studiengruppe für Sächsische Geschichte und Kultur e. V. München“ heraus. Verantwortlich dafür war Albert Prinz von Sachsen, der lange Zeit auch als Landesvorsitzender der sächsischen Landsmannschaft in Bayern fungierte. Im September 1965 wurde durch die Studiengruppe eine „Sachsenbibliothek“ und ein „Sachsenmuseum“ im Nymphenbur130 Vgl. Informationsblatt der Stiftung Mitteldeutscher Kulturrat vom Januar 1995 (PB Michael Richter); Bibliographie des Mitteldeutschen Kulturrates. Herausgegeben wurden die Reihen „Gedenktage des Mitteldeutschen Raumes“, „Mitteldeutsche Hochschulen“, „Mitteldeutsche Vorträge“, „Die Mitte, Jahrbuch für Geschichte, Kunst- und Kulturgeschichte des mitteldeutschen Raumes“, das „Mitteldeutsche Jahrbuch für Kultur und Geschichte“, das Jahrbuch „Aus Deutschlands Mitte“, „Bild- und Wortessays“, „Berichte, Mittelungen, Beiträge, Ein Mitteldeutsches Periodikum“ sowie die „Historische Landeskunde Mitteldeutschlands“, in der u. a. ein Band über Sachsen erschien (Vgl. Heckmann, Sachsen). 131 Vgl. Karlheinz Blaschke, „Wie steht es um die sächsische Geschichte? Zu Forschungen und Veröffentlichungen der letzten vierzig Jahre.“ In: Die Union vom 28./29. 4.1990; Gockel, Die Anfänge des „Mitteldeutschen Arbeitskreises“, S. 223–232.

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ger Schloss in München eingeweiht, das über Jahrzehnte von der Studiengruppe betreut wurde.132 1988 war Albert Prinz von Sachsen Mitbegründer des „König-Friedrich-August-Instituts für Sächsische Geschichts- und Kulturforschung e. V. Würzburg“. Nach eigenem Bekunden war es sein Anliegen, die Geschichte und kulturellen Traditionen Sachsen zu pflegen und wissenschaftliche Ergebnisse durch Vorträge und Publikationen der Öffentlichkeit näher zu bringen.133 Alle Bemühungen verhinderten freilich nicht, dass Sachsen in der bundesdeutschen Geschichtsschreibung in eine Abseitsstellung geriet.134 Auch in den politischen Parteien und in den Gewerkschaften wurde lange Zeit an die Länder in der DDR erinnert. Vor allem in den fünfziger Jahren waren auf Parteitagen und Kongressen Grußadressen an die „mitteldeutschen Landsleute“ üblich. Innerhalb der bundesdeutschen CDU / CSU gab es seit 1950 einen Landesverband Sachsen der Exil-CDU der SBZ.135 Er gehörte fest zur Organisation der Union und war auf allen Bundesparteitagen präsent. Vor allem aber blieben das Regionalbewusstsein und das Gefühl geschichtlicher Verbundenheit in der DDR selbst lebendig. „Viele Menschen“, so Bundespräsident Rau, „pflegten heimatliche Bräuche und Traditionen; viele hatten sich einen wachen Sinn dafür bewahrt, dass alle ostdeutschen Länder und Landschaften ihren eigenen Weg durch die Jahrhunderte genommen hatten und dass diese unverwechselbaren Geschichten der Länder noch immer im Alltag der Menschen gegenwärtig waren und auch Zusammengehörigkeit stifteten“.136 Sie fühlten sich trotz intensiver Migrations- und Vermischungsprozesse in der Nachkriegszeit weiterhin als alteingesessene Sachsen, Thüringer oder Mecklenburger.137 Obwohl wiederholt tiefe Einschnitte in der Geschichte des Königreiches Sachsen verheerende Auswirkungen auf die Staatlichkeit (Gebietsstand, Abtrennung von Landesvolk) Sachsens gehabt hatten, blieb vor allem auch hier ein ausgeprägtes Identitätsgefühl der Bevölkerung erhalten.138 Kurt Biedenkopf nannte als Ursache für sächsische Identität eine tausendjährige staatliche Verfasstheit der Region, die Sachsen, ähnlich wie Bayern, von vielen anderen Regionen unterscheide.139 Thomas Hirschle, der 1990 als baden-württembergischer Verwaltungshelfer nach Sachsen kam, fand „ein extremes, ausgeprägtes Bewusstsein für Sachsen und sein Geschichte“ vor, viel ausgeprägter als das, was er aus dem Westen kannte.140 Besonders in den Städten, aber auch im erzgebirgisch-vogtlän132 Vgl. Blätter für Sächsische Heimatkunde, Sonderheft 1987, S. 64 und 69–71. 133 Interview Albert Prinz von Sachsen Herzog zu Sachsen. Vgl. ders., Die Albertinischen Wettiner, S. 401. 134 Vgl. Bramke, Einleitung. In: Bramke/Heß, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 10. 135 Vgl. Richter, Die Ost-CDU, S. 264. 136 Johannes Rau, „Geprägte Form, die lebend sich entwickelt. Vor zehn Jahren beschloss die Volkskammer die Bildung von Ländern in der DDR.“ In: Thüringer Allgemeine vom 22. 7. 2000. 137 Vgl. Rutz/Scherf/Strenz, Die fünf neuen Bundesländer, S. 57. 138 Vgl. Tautz, Die Entstehung einer Verfassung, S. 25 f. 139 Interview Kurt Biedenkopf. In: Der Spiegel vom 5. 8.1996, S. 38. 140 Interview Thomas Hirschle.

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dischen Raum existierte ein ausgeprägtes Heimatgefühl. Das isolierte Dasein – in Teilgebieten Sachsens waren lange Zeit keine westlichen Fernsehsender zu empfangen – in einem durch feststehende innere und äußere Grenzen geprägten Staatsgebiet förderte die Herausbildung einer sächsischen Identität.141 Das Sächsische diente oft als Selbstschutz, Abgrenzung oder Nische. Dabei entwickelte sich aber auch „eine Kultur des Kleinen, die sich manchmal in einer schrecklichen Enge wiederfand“. Dieser Enge versuchte man zu entfliehen, indem man sich immer wieder der Größe der eigenen Geschichte, besonders der Kunst- und Kulturgeschichte, besann.142 Allerdings war die Ausprägung und Betonung der regionalen Identität der Sachsen „nicht nur ein Ergebnis der längeren sächsischen Geschichte und größerer wirtschaftlicher, kultureller und semantischer Geschlossenheit in einem reduzierten Kernraum“, sondern „vor allem auch das Resultat der kritischen und in den letzten Jahren stark angewachsenen oppositionellen Stellung vieler im sächsischen Raum lebenden Bürger zur bisherigen Territorialpolitik in der DDR“. Sachsen, die mit Ausnahme Ost-Berlins wirtschaftlich, sozial und kulturell am höchsten entwickelte und reichste Region, wurde im Zuge der angestrebten Verringerung des historisch-geographisch entstandenen Süd-Nord-Gefälles durch die territoriale, interregionale Umverteilung von Nationaleinkommen, Fachkräften und Baukapazitäten in unzulässig hohem Maße benachteiligt.143 So mussten zum Beispiel alle Bezirke Handwerker, Bauleute und Material zum Aufbau Ost-Berlins zur Verfügung stellen, obwohl der Verfall der einheimischen Städte erschreckende Ausmaße angenommen hatte. Der Berlin-Zentralismus der SED-Diktatur förderte eine „gefühlsmäßige Abgrenzung nach Norden“ und führte zu unschönen Auswüchsen. So konnte es passieren, dass Berliner Gäste in Dresdner Restaurants nicht bedient und Pkws in Sachsen nicht repariert wurden. Vereinzelt wurden Reifen von Pkw mit Berliner Kennzeichen zerstochen. Dies waren „Ergebnisse einer Gesellschaftsordnung, die Wurzeln kappen wollte, ohne Nährboden für einen neuen positiven Selbstfindungsprozess der Bevölkerung bieten zu können“.144 Zur materiellen Bevorzugung Berlins kam, dass

141 Fellisch, Sachsen, S. 278. Anderer Meinung ist Ellwein, Die Wiedervereinigung Deutschlands, S. 112, der die Geschichtsträchtigkeit Sachsens völlig verkennt. Wegen des angeblich kurzen Lebens und der fehlenden Geschichtstradition der meisten Länder könne „kaum von einem prägenden Landesbewusstsein gesprochen werden, das sich über knapp 40 Jahre und fast zwei Generationen erhalten haben soll“. Ähnlich argumentiert Kaufmann, Bundesstaat, S. 74, der meint, dass viele überrascht waren, weil die Bevölkerung ihren Wunsch nach einer Wiedereinführung der Länder von 1946/47 so deutlich artikulierte. Kleßmann, Thesen, S. 269, verweist darauf, dass das Problem der indirekten und verdeckten Fortexistenz regionaler Traditionen und Identitäten, einschließlich der Frage, ob und inwieweit die DDR-Struktur ansatzweise neue Formen regionaler Identitätsbildung produzierte und alte landesgeschichtliche Identifikationen verdrängte, noch kaum aufgearbeitet worden ist. 142 Fellisch, Sachsen, S. 278. 143 Vgl. Scherf/Zaumseil, Zur politisch-administrativen Neugliederung, S. 233. 144 Fellisch, Sachsen, S. 278.

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sich in den sächsischen industriellen Ballungs- und Dichtegebieten negative Strukturveränderungen in der Industrie, besonders in Teilen der umweltbelastenden Energie- und Grundstoffindustrie sowie der hier regional konzentrierten und stark vernachlässigten Leicht-, Konsumgüter- und Zulieferindustrie mit gravierenden Rückständen bei der einfache und erweiterten Reproduktion (Erhaltung, Erneuerung, Ersatz und Erweiterung) der sozialen und technischen Infrastruktur potenzierten. Dies war verbunden mit dem zunehmenden Verfall wertvoller Bausubstanz in Städten und Dörfern sowie der Verschlechterung der Lebens- und Umweltqualität.145

145 Vgl. Scherf/Zaumseil, Zur politisch-administrativen Neugliederung, S. 233.

3.

Von der Herbstrevolte zur Märzwahl

3.1

Neubildung Sachsens als Forderung der friedlichen Revolution

3.1.1 Die Herbstdemonstrationen In Sachsen lagen die wesentlichen Zentren der friedlichen Revolution. Von hier gingen zentrale Impulse für die Entwicklung in der gesamten DDR aus. Vor allem in Leipzig, Dresden und Plauen revoltierte die Bevölkerung seit Anfang Oktober gegen das Regime. In der Diskussion über die friedliche Revolution1 herrscht Konsens, dass diese Revolte, obwohl zunächst nur gesellschaftliche Reformen gefordert wurden, einen revolutionären Impetus hatte. Hinter den Forderungen nach einer Reform der Gesellschaft verbargen sich bei einem großen Teil der Demonstranten revolutionäre, weil systemverändernde Ziele; ein anderer, kleinerer Teil wünschte sich eine Reformierung des sozialistischen Regimes. Beide Tendenzen oszillierten zunächst und waren bis zur Phase der Ausdifferenzierung der Ziele nicht klar zu trennen. Die Ursache dafür lag in der prinzipiellen Ablehnung politisch-gesellschaftlicher Veränderung durch die Führungsriege um Erich Honecker, wegen der auch Reformen nur durch eine Revolte auf den Weg gebracht werden konnten. Hinzu kam, dass viele, die eigentlich ein Ende des sozialistischen Regimes wünschten, zunächst nur auf eine gesellschaftliche Öffnung im Sinne der sowjetischen Reformpolitik setzten, war doch angesichts der internationalen Dimension der deutschen Frage nicht klar, ob und in welchem Maße Veränderungen des Systems überhaupt möglich sein würden. Ungeachtet dessen, welche gesellschaftlichen Veränderungen für erreichbar gehalten wurden, wünschte eine Mehrheit der Bevölkerung ein Ende des „real existierenden Sozialismus“, freiheitlich-demokratische Verhältnisse und Marktwirtschaft wie in der Bundesrepublik.2 Zunächst aber ging es ohnehin weniger um Inhalte als um die Möglichkeit, die drängenden Probleme der DDR überhaupt ungestraft diskutieren zu können. Deswegen war der Kampf um die Beseitigung des alten Systems zunächst ein Kampf um die Öffentlichkeit, genauer „ein Kampf um die Außerkraftsetzung des Parteilichkeitsprinzips als unabdingbare Voraussetzung legitimen öffentlichen Agierens“ und gegen das Monopol der Partei, über Öffentlichkeit und Macht zu verfügen. Der Kern der revolutionären Situation war das Begehren aus der Gesellschaft, sich den öffentlichen Raum anzueignen.3 Dabei ging es bei den ersten Demonstrationen aber auch darum auszuprobie1

2 3

Als Revolutionen werden hier fundamentale und abrupte Veränderungen der Struktur eines Systems verstanden. Vgl. Wolf/Zürn, Revolutionstheorien, S. 552–561. Zur genaueren Definition des benutzten Revolutionsbegriffs vgl. Richter, Die Revolution in Deutschland, S. 6 f.; ders., Friedliche Revolution und Transformation, S. 931. Vgl. Opp/Voß, Die volkseigene Revolution, S. 105; Heydemann/Schaarschmidt, Innenpolitische Voraussetzungen, S. 48. Oberreuter, Vom „sozialistischen“ zum demokratischen Parlamentarismus, S. 292 f.

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ren, bis wohin man gehen könnte, Mut zu beweisen, sich der eigenen Kraft bewusst zu werden, sich als Masse zu konstituieren und nicht zu weichen. Die ersten Rufe wie „Wir bleiben hier“, „Wir sind das Volk“, „Wir sind keine Rowdies“, „Reiht euch ein“ bezogen sich durchweg auf die „Formierung der Demonstranten zu einer ihrer selbst bewussten Kraft“.4 Erst nachdem die SED samt ihrem Repressionsapparat Ende Oktober in die Defensive gedrängt worden war, trat die Frage nach alternativen politischen Konzepten stärker in den Vordergrund. Im Laufe des Novembers kam es in dieser Hinsicht sowohl bei den Demonstranten als auch in den sich in Gruppen und Parteien organisierenden neuen politischen Kräften zu einer programmatischen Ausdifferenzierung. Schon die Kundgebung am 4. November in Berlin manifestierte eine breite Palette divergierender, teils konträrer Postulate. Seit der Maueröffnung am 9. November bestand die Möglichkeit, jenseits des „antifaschistischen Schutzwalls“ Eindrücke zu sammeln. Bis Ende November änderte sich die DDR-Gesellschaft in einem Maße, das es erlaubte, nahezu jede politische Forderung öffentlich zu formulieren. Seit Beginn der Ausformulierung der politischen Ziele tauchte frühzeitig, wenn auch zunächst nicht sehr nachdrücklich artikuliert, jedoch lange bevor das Thema deutsche Einheit thematisiert wurde, die Forderung nach Wiederherstellung der Länder auf. Treibende Kraft war auch hier die demonstrierende Bevölkerung, die sich in Sachsen seit Anfang November 1989 die Forderung nach Wiederherstellung des Landes auf ihre nun wieder weiß-grünen Fahnen schrieb. Erstmals tauchten die alten Farben Sachsens auf der ersten Montagsdemonstration am 6. November in Dresden auf. Hier waren noch vor den schwarz-rot-goldenen Fahnen und dem Ruf „Deutschland – einig Vaterland“ Schilder zu sehen, auf denen die Wiedererrichtung des Landes Sachsen verlangt wurde.5 Die Forderungen drückten ein breites Bedürfnis in der Bevölkerung aus, das sich auch in Briefen an den Vorsitzenden der SED-Bezirksleitung Dresden, Hans Modrow, niederschlug. Bereits am 7. November plädierte z. B. Johannes Müller aus Werdau für die Wiederherstellung Sachsens.6 In Dresden griffen Arnold Vaatz und Dieter Reinfried im Neuen Forum frühzeitig den Wunsch nach Wiederherstellung des Landes Sachsen auf. Der aus Thüringen stammende Diplom-Mathematiker und Theologe Arnold Vaatz gehörte seit Jahren zu den Gegnern des Regimes und war wegen der Verweigerung des Reservistendienstes zeitweilig inhaftiert gewesen.7 Er wurde „sehr bald der politische Kopf“ für Abläufe und Taktik des Neuen Forums. Er nahm regelmäßig an den Koordinierungstreffen der neuen Gruppen jeden Sonnabendnachmittag 17 Uhr im Dresdner Kulturpalast teil, bei denen die einzelnen Gruppen die Strategie 4 5 6 7

Pollack, Der Zusammenbruch der DDR, S. 52 f. Vgl. Fellisch, Sachsen, S. 278; Rudloff/Schmeitzner, Die Wiedergründung, S. 18. Ein früherer Nachweis von Forderungen nach Länderbildung auf Demonstrationen wurde nicht gefunden. BArch B, DO 5, 140/142. Vgl. Interview Arnold Vaatz in: Richter / Wonneberger / Vaatz / Rößler, Opposition in Sachsen, S. 257–270.

Die Herbstdemonstrationen

Bild 1:

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Demonstration auf dem Theaterplatz in Dresden.

für die nächste Montagsdemonstration miteinander absprachen.8 Dieter Reinfried arbeitete als Diplom-Physiker am Zentralinstitut für Kernforschung in Rossendorf und gehörte seit Anfang der siebziger Jahre der CDU an. Er hatte seine Mitgliedschaft aber über Jahre ruhen lassen und aktivierte sie erst Anfang 1990 wieder. Seit Ende September 1989 unterstützte er das Neue Forum in Dresden und setzte sich hier neben Vaatz frühzeitig für die deutsche Einheit ein. Am 13. November forderte Vaatz auf der zweiten Dresdner Montagsdemonstration im Namen des Neuen Forums die Wiederherstellung der Länder Mecklenburg/Pommern, Anhalt, Preußen, Thüringen und Sachsen. Unterstützt wurde der Vorschlag vom NDPD-Sprecher Frank Tellkamp.9 Schon in den ersten Novembertagen hatten Vaatz und Reinfried intern durchgesetzt, dass sich das Neue Forum für die Wiederherstellung der Länder einsetzen und am 6. Mai Kommunal-, am 13. August Länder- und am 7. Oktober Volkskammerwahlen verlangen sollte. „Mit diesem Zeitplan“, so Vaatz später, bekamen „wir in Dresden und meiner Meinung nach auch in Sachsen das Heft des Handelns in die Hand“. Der Vorschlag sei „der absolute Schlüssel zum Erfolg“ gewesen und stand am nächsten Tag in der Zeitung. „Wir hatten jetzt wirklich die strategische 8 9

Interview Hans Geisler. Vgl. Die Union vom 15.11.1989.

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Neubildung Sachsens als Forderung der Revolution

Initiative in der Hand.“10 Überall in Sachsen wurden nun bald die gleichen Forderungen erhoben.11 In Leipzig sah man am 13. November ein großes Spruchband mit dem Rautenwappen und der Aufschrift „Schwarz-rot-gold, Sachsen Freistaat, Freies Europa!“.12 In Oschatz wurde am selben Tag bei einer Demonstration ein grün-weißes Transparent13 mit der Aufschrift „Sachsen bleibt wachsam“ getragen.14 In Meißen gingen einen Tag später Sprecher einer Demonstration von ca. 3 000 Bürgern vor dem Gebäude des Rates des Kreises in ihren Ausführungen, so die SED-Kreisleitung, neben „Angriffen auf die Partei [...] bis zur Schaffung des Freistaates Sachsen“.15 In Leipzig war am 15. November ein Transparent mit der Aufschrift „Es lebe die sächsische Revolution!“ zu sehen,16 und auf der Dresdner Montagsdemonstration am 20. November wurden unter den ca. 50 000 Teilnehmern bereits etliche weiß-grüne Fahnen geschwenkt.17 Bei einem Bürgergespräch mit Funktionären auf dem Mittweidaer Markt am 22. November war die alte Länderstruktur neben der deutschen Einheit und freien Wahlen eine der wichtigsten Forderungen.18 Am 27. November stand die Dresdner Montagsdemonstration unter dem Motto „Suche nach einer neuen Verfassung“. Mit den Slogans wie „Deutschland, einig Vaterland“ oder „Eine Nation, ein Volk, ein Land – Deutschland“ wurde die Forderung nach deutscher Einheit erhoben.19 Werner Gängler (CDU) forderte in diesem Zusammenhang die Wiedereinführung des Landes Sachsen und die Ausarbeitung einer neuen Verfassung. Für die Wiedereinführung der Länder sprachen sich auch Teilnehmer der Demonstration aus, die weiß-grüne Fahnen trugen.20 Der Leipziger Superintendent, Johannes Richter, erklärte am 24. November, es liege auf der Hand, dass „viele Fragen neu aufkommen, die bisher so nicht gestellt waren“. Die Bildung von Ländern müsse reflektiert werden, sie mache Sinn. Kein Sachse empfinde sich als Bürger der Bezirke Leipzig, Dresden oder Karl-MarxStadt.21 Freilich empfand sich umgekehrt auch nicht jeder Bewohner der drei Bezirke als Sachse. Teile der Bevölkerung der Kreise Schmölln und Altenburg des 10 Interview Arnold Vaatz am 9. 6.1999. 11 Die folgenden Beispiele beschränken sich zwangsläufig auf in den Akten bzw. in der Presse vermerkte Fälle und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. 12 Zwahr, Ende einer Selbstzerstörung, S. 162. 13 Anfänglich wurden die sächsischen Farben aus Unkenntnis oft in „grün-weiß“ vertauscht, gelegentlich auch noch wesentlich später. So selbst Bramke, Einleitung. In: Bramke/Heß, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 9. 14 Kupke/Richter, Der Kreis Oschatz, S. 84. 15 SED-BL Dresden an das ZK der SED: Aktuelle Information über die politische Lage und das Stimmungsbild im Bezirk vom 15.11.1989 (BStU, ASt. Dresden, BV, AKG, 7001, Bl. 7, 14). 16 Zwahr, Die Revolution in der DDR, S. 206. 17 Vgl. Die Union vom 22.11.1990; Rein, Die Opposition, S. 184. 18 Vgl. Freie Presse, Ausgabe Hainichen, vom 23.11.1989. 19 Losungen im Demonstrationszug am 27.11.1989 (BStU, ASt. Dresden, BV, KD Dresden-Stadt, 91047, Bl. 3–6). 20 Tonbandprotokoll der Demonstration vom 27.11.1989 (ebd., BV, AKG, 7002, Band 3, Bl. 35–48). 21 Interview Johannes Richter. In Rein, Die Opposition, S. 185.

Die Herbstdemonstrationen

Bild 2:

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Montagsdemonstration in Leipzig, November 1989.

Bezirkes Leipzig drängten nach Thüringen,22 in Niederschlesien und im Vogtland gab es frühzeitig Forderungen nach regionaler Autonomie. So war im vogtländischen Auerbach am 17. November auf einem Transparent „Vogtland unsere Heimat, Deutschland unser Vaterland, Europa unsere Zukunft“ zu lesen.23 Hinsichtlich der künftigen nationalen Strukturen kristallisierten sich auf den Demonstrationen drei Hauptrichtungen heraus. Eine wünschte eine demokratisch-sozialistische Gesellschaft in einer eigenständigen DDR, eine andere eine eigenständige DDR mit einem neuen, von der Bundesrepublik unterschiedenen demokratischen System, eine dritte, von der Bevölkerungsmehrheit bestimmte Richtung, strebte auf dem Weg einer Revision der staatlichen Rahmenbedingungen über alle bisherigen Forderungen hinaus eine grundlegende revolutionäre Veränderung der gesamten Verhältnisse durch die staatliche Einheit Deutschlands an. Durch diesen Wunsch wurden Systemfrage und nationale Frage gleichermaßen virulent. Mit der durch die Mehrheitsmeinung bewirkten Trendwende modifizierte sich die Zielsetzung der Revolution und wandte sich von der Verbesserung der inneren Situation zur grundsätzlichen Änderung der äußeren Verfasstheit der DDR.24 Ausdruck fand der Wandel im Übergang von der Forderung „Wir sind das Volk“ zu „Wir sind ein Volk“. 22 Vgl. Richter, Entscheidung für Sachsen, S. 48 f. 23 Vgl. Zwahr, Die demokratische Revolution, S. 36. 24 Vgl. Fiedler, Die deutsche Revolution von 1989, § 184, S. 20.

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3.1.2 National-föderative Wende in der friedlichen Revolution Ende November 1989 In Bonn wie in Ost-Berlin wurde der Stimmungsumschwung akribisch beobachtet. Im Bundeskanzleramt konstatierte man, in der politischen Führungselite der DDR herrsche der Eindruck, dass „nichts mehr kalkulierbar“ sei. Niemand wage noch Prognosen, wohin die Entwicklung gehe. Bei den „intellektuell-moralischen Leitfiguren der Protest- und Erneuerungsbewegung“ machten sich „Zeichen eines depressiven Stimmungsumschwungs“ bemerkbar, weil die Zustimmung zu den Zielen einer demokratischen oder sozialistisch erneuerten DDR in der Bevölkerung mehr und mehr schwinde.25 Vor allem aber sahen die Nutznießer der kommunistischen Diktatur ihre Felle davonschwimmen. Der Parteisekretär des Rates des Bezirkes Erfurt brachte die Stimmung Ende November auf den Punkt: „Die Ereignisse dieser Tage tragen den Charakter einer Revolution. Unsere Partei hat die Prüfung nicht bestanden, hat die Initiative verloren, sie steht vor dem Abgrund [...] Die tiefe Krise macht um niemanden einen Bogen, jeder ehrliche Kommunist muss tiefe innere Konflikte austragen, und das geht bis zu echten gesundheitlichen Beschwerden: Schlafstörungen sind das wenigste, Übelkeit, Magenbeschwerden und Erbrechen häufen sich [...] Die Gefahr für die weitere Existenz unserer sozialistischen DDR ist riesengroß. Mit der Öffnung der Grenzen überschlagen sich die Wogen in Richtung Wiedervereinigung.“26 In der Tat stand die Revolution Ende November am Wendepunkt.27 War ihr Ziel eine demokratische, eine demokratisch-sozialistische DDR oder die staatliche Einheit in einem freiheitlich-demokratischen Deutschland? Zwei programmatische Erklärungen brachten die beiden wichtigsten Alternativen auf den Punkt: Der „Zehn-Punkte-Plan“ des Bundeskanzlers und die von DDR-Intellektuellen und SED-Funktionären getragene Erklärung „Für unser Land“. Die wachsenden Forderungen nach deutscher Einheit hatten die Bundesregierung unter Handlungsdruck gesetzt, verfügte sie doch für solch einen Fall weder über brauchbare Konzepte noch über Vorarbeiten, Krisenszenarien oder Ablaufpläne neueren Datums. Zunächst hatte sich der Bundeskanzler zurückgehalten, um die Stimmung in der DDR nicht anzuheizen. Umfrageergebnisse signalisierten ihm aber die Gefahr, in der deutschen Öffentlichkeit die Meinungsführerschaft in der nationalen Frage zu verlieren. Im Bundeskanzleramt wurde deswegen ein programmatisches Papier vorbereitet, das einen realistischen Weg zur nationalen Einheit aufzeigen sollte.28 Am 28. November legte Kohl dieses „ZehnPunkte-Programm zur Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas“ 25 Vorlage an Bundeskanzler Helmut Kohl. Zit. in Dokumente zur Deutschlandpolitik. Deutsche Einheit, Sonderedition aus den Akten des Bundeskanzleramtes 1989/90, S. 548 f. 26 Rede auf der Gesamtmitgliederversammlung der BPO am 25.11.1989 (ThHStA, BT/ RdB, 040899). 27 Vgl. Zwahr, Ende einer Selbstzerstörung, S. 165. 28 Vgl. Küsters, Entscheidung, S. 59–63; März, Kanzlerschaft im Wiedervereinigungsprozess, S. 61.

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vor.29 Kern des Konzeptes war es, über die Schaffung konföderativer Strukturen zwischen beiden Staaten in Deutschland, also über Strukturen eines Staatenbundes, wie es sie bereits von 1815 bis 1866 im Deutschen Bund gegeben hatte, in fünf bis zehn Jahren zur staatlichen Einheit zu gelangen.30 Der ZehnPunkte-Plan stand in der Tradition der durch das Grundgesetzes vom Mai 1949 auf Wiedervereinigung verpflichteten Deutschlandpolitik der Bundesregierung, bedeutete aber den Übergang von der bisherigen Politik der kleinen Schritte mit dem Ziel des Erhalts der nationalen Zusammengehörigkeit der Menschen in beiden deutschen Staaten zur aktiven Wiedervereinigungspolitik. In der SED, bei den demokratisch-sozialistischen Reformkräften, aber auch bei denen, die sich eine demokratische DDR als Alternative zur Bundesrepublik wünschten, stieß der Plan auf entschiedene Ablehnung. Die DDR-Regierung nannte Kohls Erklärung unrealistisch. Lösungen, so Modrow, könne es nur „in den Grenzen von heute geben und nichts anderes. Und keine Wiedervereinigung.“31 Sekundiert wurde er von den DDR-Intellektuellen, die sich mit dem Appell „Für unser Land“ für die Schaffung einer demokratisch-sozialistischen DDR einsetzten. Am 28. November verlas Stefan Heym den Appell und kritisierte die Bundesregierung, die mit der „Ouvertüre zur Vereinnahmung“ der DDR begonnen habe.32 Persönlichkeiten wie Wolfgang Berghofer, Volker Braun, Sebastian Pflugbeil, Friedrich Schorlemmer, Konrad Weiß, Christa Wolf und andere sprachen sich darin gegen eine „Vereinnahmung“ der DDR durch die Bundesrepublik und für deren Entwicklung zur sozialistischen Alternative auf deutschem Boden aus.33 Beide Erklärungen markierten die Hauptströmungen des unterschiedlich intensiven Veränderungswillens und boten der Bevölkerung eine klare Alternative. Weniger Bedeutung erlangten die politischen Kräfte, die nicht für eine demokratisch-sozialistische, sondern für eine freiheitlich-demokratische, jedoch stärker von basisdemokratischen Elementen geprägte politisch-gesellschaftliche Ordnung im Rahmen der DDR-Staatlichkeit plädierten. Viele von ihnen orientierten sich bald an der Entwicklung in Richtung staatliche Einheit und Übernahme des bundesdeutschen Demokratiemodells, sahen sie doch auch hier Möglichkeiten der Umsetzung eigener politischer Vorstellungen. War der Zehn-Punkte-Plan der Bundesregierung selbst eine Reaktion auf entsprechende Forderungen der demonstrierenden Bevölkerung in der DDR gewesen, so gab er der friedlichen Revolution seinerseits einen starken Richtungsimpuls. Die daraus erwachsende Politik der Bundesregierung wurde nun selbst zum dominanten Faktor der weiteren Entwicklung. Die Bundesregierung trug damit in der entscheidenden Phase der Revolution ihrer gesamtdeutschen Ver29 Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 11. Wahlperiode, Stenographische Berichte, Band 151, S. 13510–13513. In: Texte zur Deutschlandpolitik, Reihe III / Band 7 – 1989, S. 426–433. 30 Vgl. Teltschik, 329 Tage, S. 52. 31 Zit. in Informationen des BMB 23 vom 20.12.1989, S. 17. 32 Berliner Zeitung vom 29.11.1989. 33 Für unser Land. Text in: Zimmerling, Neue Chronik DDR. 3. Folge, S. 15 f.

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antwortung Rechnung. Das von vielen bereits aufgegebene Staatsverständnis der Bundesrepublik als demokratischer Kernstaat eines wiederzuvereinigenden Deutschlands wurde revitalisiert und stellte die wichtigste westliche Hilfe zum Gelingen der demokratischen Revolution dar.34 Bei der Suche nach politischen Kräften, die bereit und in der Lage waren, den errungenen Teilsieg über die kommunistische Diktatur nicht durch Orientierungslosigkeit und gesellschaftliche Experimente gefährden zu lassen, setzte die Bevölkerungsmehrheit in einer Situation, die Rainer Eppelmann Anfang Dezember 1989 zu der Feststellung veranlasste, in der DDR liege die Macht auf der Straße, auf die Bundesregierung und wandte sich damit sowohl gegen die Alternativen einer demokratisierten DDR als auch eines demokratischen Sozialismus, von dem angesichts der Bestrebungen der SED-PDS nicht einmal bekannt war, wie demokratisch er überhaupt sein würde. Kohl übernahm die Meinungsführerschaft in der deutschen Frage35 und löste in der DDR eine „nationale Welle“ aus.36 Die politische Initiative ging deutschlandweit auf die Bundesregierung über, die auf Grundlage der Volksbewegung von nun an die revolutionäre Entwicklung in der DDR gleichermaßen als exogener wie endogener Faktor entscheidend mitbestimmte.37 Just in dem Moment, als der revolutionäre Aufbruch in Modellen einer Reform der DDR zu versickern drohte, erhielt die Entwicklung durch die Orientierung auf Wiedervereinigung eine neue revolutionäre Dynamik, wurde aus der auf die DDR begrenzte eine hinsichtlich ihrer Aktivposten und in ihren Folgen ganz Deutschland erfassende Bewegung.38 Der Zehn-Punkte-Plan läutete die zweite Phase der Revolution ein, in der der demokratische Charakter der Revolution im nationalen Sinne interpretiert wurde.39 Mit dem Sprechchor „Deutschland einig Vaterland“ und dem Transparent „Dass die Sonne schön wie nie über Deutschland scheint“,40 brach eine national-demokratische Revolution durch, mit der die Überwindung der staatlichen Teilung eingeleitet und dazu beigetragen wurde, die europäische Nachkriegsordnung von Grund auf zu verändern.41 Demokratisch-freiheitliche und nationale Ziele verbanden sich. 34 Vgl. Wilke, Die bundesdeutschen Parteien und die demokratische Revolution in der DDR, S. 120–122. 35 Vgl. Teltschik, 329 Tage, S. 58; Küsters, Entscheidung, S. 64. 36 So Walter Jens, der Kohl einen „fahrlässigen Zündler“ nannte. Vgl. FR vom 15.12.1989. 37 Vgl. Wiesenthal, Die Transformation der DDR, S. 340. Müller-Enbergs spricht in diesem Zusammenhang von einer „Revolution in der Revolution“, die mit der Forderung nach deutscher Einheit stattgefunden habe und in deren Folge die „revolutionären Eliten“ ausgetauscht wurden. Vgl. Müller-Enbergs, Schritte auf dem Weg zur Demokratie, S. 96. 38 Vgl. Fiedler, Die deutsche Revolution, S. 5; Richter, Die Revolution in Deutschland. 39 So, kritisch, Lutz Niethammer. In: FR vom 8.1.1990. 40 Seit Jahrzehnten war die DDR-Nationalhymne wegen ihres Textes nicht mehr gesungen worden. 41 Kocka, Revolution und Nation 1989, S. 479–499, sprach bereits 1990 von einer national-demokratischen Wende der Revolution. So auch Zwahr, Die Revolution in der DDR 1989/90, S. 132 f. u. 205; ders., Ende einer Selbstzerstörung, S. 139 u. 166; ders., Die Revolution in der DDR im Demonstrationsvergleich, S. 336 u. 347 f.; ders., Vertragsgemeinschaft, S. 709–729; Jarausch, Die unverhoffte Einheit, S. 206; Richter, Die Revolution in Deutschland, S. 21–29.

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Schon in der Revolution von 1848 waren liberale und demokratische Elemente fest mit nationalen Hoffnungen verbunden gewesen. Die lange Unterdrückung patriotischer Loyalitäten durch die sowjetische Besatzung in Ostmittel- und Südosteuropa im Namen des sozialistischen Internationalismus, so zeigte sich jetzt, hatte nationale Emotionen nur in den Untergrund treiben können. Nun brachen sie auch in der DDR mit elementarer Gewalt hervor.42 Allerdings geriet die nationale Wende der Revolution, anders als oft behauptet, nicht in Konflikt mit dem Streben nach Demokratisierung und Liberalisierung, im Gegenteil. In der Konstellation von 1989/90 verbanden sich die Unterstützung nationaler Ziele und der Einsatz für Menschen- und Bürgerrechte, parlamentarische Demokratie und freiheitlichen Verfassungsstaat miteinander. Die Vereinigung mit der Bundesrepublik Deutschland und ihrem eingespielten parlamentarisch-demokratischen System schien der DDR-Bevölkerung der Erfolg versprechendste Weg, die Bürde von vielen Jahrzehnten Diktatur zu überwinden und neben materiellem Wohlstand wichtige demokratisch-liberale Errungenschaften ihrer Revolution zu sichern. In Revision des Musters von 1848, aber im Gegensatz zum Wilhelminischen Reich, zur Weimarer Republik und zur NS-Diktatur, standen nationale und liberal-demokratische Forderungen 1989/90 in engster Allianz und bester deutscher Tradition.43 Freilich ist die Entwicklung mit Hinweis auf die Verbindung von freiheitlichdemokratischen und nationalen Zielen noch nicht vollständig charakterisiert. Eine weitere Besonderheit der friedlichen Revolution in ihrer zweiten Phase war neben der Verbindung von liberal-demokratischen und nationalen Intentionen ihr strikt national-föderativer Charakter. Zu keinem Zeitpunkt zielte die Revolution auf ein zentralistisches Gesamtdeutschland, immer auf einen föderal strukturierten, in die europäische Gemeinschaft integrierten Nationalstaat. Weil Nationalstaatlichkeit und Föderalismus als Forderungen fest miteinander verwoben waren, bedeutete die nationale Wende Ende November auch eine Zäsur hinsichtlich der föderalen Entwicklung. Die national-föderative Wende der Revolution beschleunigte nicht mehr nur die Entwicklung zur nationalstaatlichen Einheit, sondern auch den Prozess der Länderbildung, welcher wiederum nicht mehr nur als Beitrag zur Zerschlagung des SED-Zentralismus angesehen wurde, sondern als Teil der Wiedervereinigung. Für die Mehrheit der demonstrierenden Bevölkerung stand fest, dass es sich bei den angestrebten Ländern um Bundesländer und nicht um Länder einer demokratisch-sozialistischen DDR handeln sollte. Während die Regierung Modrow noch über eine Reform der DDR-Verwaltung im Rahmen der Bezirke sinnierte, orientierten sich die Forderungen der Demonstranten schon an Ländern eines vereinten Deutschlands, wurde doch ein Zusammenhang zwischen staatlicher Einheit und Re-Föderalisierung gesehen. Nach der Verkündung des Zehn-Punkte-Planes der Bundesregierung nahmen auch die Forderungen nach Neubildung Sachsens ab Ende November wei42 Vgl. Jarausch, Implosion oder Selbstbefreiung, S. 28 f.; Merkel, Warum brach das SEDRegime zusammen, S. 20 f. 43 Vgl. Kocka, Revolution und Nation 1989, S. 488.

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ter zu. Inzwischen hatte sich die politische Landschaft deutlich polarisiert. Auf einer Demonstration des Neuen Forums am 30. November in Sebnitz forderten die Teilnehmer „in äußerst scharfer Form“ die Wiedervereinigung Deutschlands, gleichzeitig aber auch ein Bundesland Sachsen und die Boykottierung des Aufrufs „Für unser Land“.44 In Stollberg verlangten am 1. Dezember rund 5 000 Demonstranten die Einheit Deutschlands, eine Auflösung der drei Bezirksräte und die Bildung einer sächsischen Landesverwaltung.45 In Leipzig kam es am 4. Dezember praktisch zu einer Spaltung der Demonstration. Studenten riefen „Für unser Land“ und bezeichneten Demonstranten, die die deutsche Einheit forderten, als Nazis. Ein Student warf den „Wiedervereinigern“ vor, sie trauten sich erst jetzt raus, nachdem „wir“ die Straße „freidemonstriert“ hätten.46 Das suggerierte sowohl, die Studenten hätten bei den Demonstrationen eine wesentliche Rolle gespielt, als auch, die Forderung nach deutscher Einheit käme von Personengruppen, die sich bislang nicht an den Demonstrationen beteiligt hatten. Tatsächlich war die Zusammensetzung der großen Demonstrationen nicht wesentlich verändert. Ein großer Teil der „Oktoberdemonstranten“ wandte sich „aus der Bewegung heraus“ dem neuen Ziel der deutschen Einheit zu, andere kamen hinzu.47 Angesichts der bereits eingetretenen Veränderungen machte es erst jetzt Sinn, für Wiedervereinigung und Länderbildung zu demonstrieren. Revolutionäre Höhepunkte der gesamten Entwicklung waren die Besetzungen der Bezirks- und Kreisämter des in Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) umgenannten MfS.48 Auch in Dresden war der 5. Dezember „das entscheidende Datum [...], an dem die ‚Wende‘ unumkehrbar vollzogen wurde“.49 In Leipzig versammelten sich am 11. Dezember mehr als 100 000 Menschen zur Montagsdemonstration. Erstmals dominierte die Forderung nach deutscher Einheit. Die Regierung konstatierte, die Wiedervereinigung werde „äußerst massiv“ gefordert und die Auseinandersetzungen zwischen Befürwortern und Gegnern der Einheit nähmen zu.50 In Dresden wurden am selben Tag neben weiß-grünen Fahnen auch Transparente mit Aufschriften wie „Freistaat Sachsen. Ohne SED“ getragen.51 Auf Auto-Demo-Fahrten führte ein Teilnehmer eine weiß-grüne Fahne mit, die im weißen Streifen in einem blauen Uno-Kreis als Quadrat die deutschen Nationalfarben zeigte.52 Bei einem Gespräch am Runden Tisch in Crimmitschau forderten Bürgervertreter am 13. Dezember die Wiedererrichtung Sachsens, damit die Bürger „besser als bisher Heimatverbundenheit und 44 45 46 47 48

BStU, ZA HA VIII- AKG, 1672, Bl. 303. Vgl. Freie Presse, Ausgabe Stollberg, vom 6.12.1989. Vgl. Tetzner, Leipziger Ring, S. 66 und 72; Rein, Die protestantische Revolution, S. 305 f. Zwahr, Die Revolution in der DDR, S. 132 f. u. 205. Joachim Gauck. In: „Am Tag, als die Stasizentrale gestürmt wurde.“ In: ORB vom 20.1.1996, 20.45–22.00 Uhr. 49 Wagner, Die Novemberrevolution in Dresden, S. 14 f. 50 Sekretariat des Ministerrates der DDR, Informationszentrum: Einschätzung der Lage in den Bezirken am 12.12.1989 (BStU, ZKG, 129, Bl. 20 f.). 51 Vgl. Richter/Sobeslavsky, Entscheidungstage in Sachsen, S. 177. 52 Vgl. Dr. Krell an den Koordinierungsausschuss (HAIT, KA, 11.3).

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Heimatliebe entwickeln und beweisen“ könnten.53 Ende Dezember rief das Neue Forum in Hohenstein-Ernstthal die Bürger zur Beteiligung an der Aktion „Für ein Land Sachsen“ durch das Hissen der weiß-grünen Fahne auf.54 Beim Besuch Kohls in Dresden zeigten etliche Demonstranten ebenfalls Sachsen-Fahnen.55 Die Forderung nach Länderbildung ging erkennbar aus den Demonstrationen hervor, gehörte zu deren staatspolitischen und -organisatorischen Grundforderungen56 und entsprach somit „dem erklärten Willen des Volkes“ als dem „Träger der Revolution“.57 In der bundesdeutschen Öffentlichkeit wurde der Wunsch nach Wiederherstellung der früheren Länder teils mit Erstaunen registriert. In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ konstatierte Helmut Herles am 3. Januar, nicht nur die Sprachkraft sei das typisch Deutsche dieser Revolution, ein weiteres Erfolgsgeheimnis sei die Wiedereinsetzung des Föderalismus als eines prägenden historischen Prinzips. Das Erstaunliche an dem Ruf nach den Ländern, so Hermann Rudolph einen Tag später in der „Süddeutschen Zeitung“, sei nicht, dass er sich erhoben habe, sondern die Schnelligkeit, mit der er sich verbreite. Nach den Journalisten suchten Wissenschaftler nach Erklärungen. Bei einem Kolloquium der Berliner Humboldt-Universität hieß es, die Forderung nach Wiedereinführung der Länder werde von der Bevölkerung mit der Notwendigkeit begründet, bestehende Strukturen konsequent zu zerschlagen, die staatsorganisatorischen Voraussetzungen für eine Konföderation mit der Bundesrepublik zu schaffen sowie traditionellen und ethnischen Gesichtspunkten im Denken und Fühlen der Bürger bestimmter Regionen der DDR Rechnung zu tragen.58 Tatsächlich dominierten bei den Forderungen nach Wiederbelebung der Länder drei miteinander verwobene Argumentationsebenen. Historische Begründungen verwiesen auf die föderalistischen Traditionen in Deutschland, emotionale Begründungen sahen die Wiedererrichtung der Länder als Bruch mit der oktroyierten DDR-Identität und als Ausdruck eines freien Heimat- und Nationalgefühls, und politische Begründungen verwiesen auf die gebotene Zerschlagung der SED-Apparate sowie auf die Funktion neuer Länder beim Aufbau eines freiheitlich-demokratischen Gemeinwesens.59 Vordergründig dominierte allerdings der Wunsch nach Zerschlagung der zentralistischen Diktatur. Selbst in Sachsen und Thüringen, wo das Bewusstsein regionaler Eigenheit besonders ausgeprägt war, stand zunächst der Wille im Vordergrund, den „demokratischen Zentralismus“ samt der 53 RdS Crimmitschau an Hans Modrow vom 18.12.1990 (BArch B, DO 5, 141). Vgl. Freie Presse, Ausgabe Werdau, vom 19.12.1989. 54 Vgl. Freie Presse, Ausgabe Hohenstein-Ernstthal, vom 28.12.1989. 55 Der Tagesspiegel vom 31.12.1989. 56 Vgl. König, Aufbau, S. 226; Dietlein, Die Verfassungsgebung, S. 401; Schulze, Wieder Länder und neue Verwaltungen, S. 287. 57 Blaschke, Das Werden der neuen Bundesländer, S. 128. 58 Thesen von Siegfried Grundmann, Heidrun Pohl und Konrad Scherf zum Kolloquium am 16. 2.1990 in Berlin. Zur Neugestaltung der politisch-territorialen Gliederung der DDR von Januar 1990. (BArch B, DO 5, 137). 59 Vgl. Kühnhardt, Föderalismus, S. 37.

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Bild 3: Demonstration in Dresden am 11. Dezember 1989.

Verwaltungsstruktur des zentralistischen SED-Staates zu beseitigen,60 gehörte das bürokratisch-zentralistische System der Staatsverwaltung doch neben dem Parteiapparat und dem Staatssicherheitsapparat zu den Hauptstützen des alten Regimes.61 Im revolutionären Veränderungswillen spielte die Dezentralisierung der unter dem kommunistischen Regime hochzentralisierten Politik- und Verwaltungsstrukturen eine Schlüsselrolle,62 bot sie doch die Möglichkeit, den alltäglichen Ost-Berlin-Zentralismus des Regimes zu überwinden, der in Sachsen dazu geführt hat, dass einst blühende Industrieregionen dem Verfall preisgegeben wurden. So war es kaum verwunderlich, dass Sachsen auch hinsichtlich der Forderung nach Wiederherstellung der Länder eine Schrittmacherfunktion übernahm. In seiner Stoßrichtung gegen die zentralistische Diktatur zeigte sich aber zugleich auch der demokratische Impetus der Forderung nach Länderbildung. Föderalisierung erschien mal als Mittel, mal als Zweck der Demokratisierung.63 Länder wie Sachsen gewannen, weil sie beiden deutschen Diktaturen im Wege gestanden hatten, aus Sicht der Bevölkerung eine Nähe zu Demokratie und Rechtsstaat, die, das zeigt ein Blick auf die sächsische Geschichte, nicht unbedingt gerechtfertigt war.64 Dabei war das Gegenbild zur zentralistisch erstarrten SED-Diktatur geprägt von selbstbestimmten Kommunen, Kreisen und Ländern, wie man sie in der Bundesrepublik vor Augen hatte. Die Menschen wollten ihre regionalen und lokalen Angelegenheiten wieder bzw. so wie jetzt in 60 Vgl. Blaschke, Das Werden der neuen Bundesländer, S. 128; Frank, Verwaltungsreform, S. 13. 61 Vgl. Melzer, Die Verwaltungsreform in der DDR, S. 405. 62 Vgl. Wollmann, Institutioneller Umbruch, S. 525 f. 63 Vgl. Schubert, Der Koordinierungsausschuss S. 21. 64 Vgl. Drehwald / Jestaedt, Sachsen, S. 65; Jestaedt, Zur Geschichte des Sächsischen Staats- und Verwaltungsrechts, S. 38 f.

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der Bundesrepublik selbst regeln, kommunale Interessen verwirklichen und die engere Heimat aufwerten.65 Der Wunsch nach regionaler Selbstständigkeit verband sich aber auch mit dem Bedürfnis nach Heimat und Überschaubarkeit des Lebensraumes. Kommunen, Regionen und Länder gaben „eine Art emotionale Auffangstellung“ ab „nach all dem scheinbaren Internationalismus der vergangenen Jahre“.66 Auch in anderer Hinsicht hatten Länder eine Bedeutung. Ein Zugehörigkeitsgefühl zur DDR hatte sich nur bei einem Teil der Bevölkerung entwickelt, ein wiedervereinigtes Deutschland schien vielen „noch zu weit weg, zu hoch gegriffen“. Da boten sich die Länder geradezu an. „Als Sachse, Mecklenburger oder Brandenburger“, so kommentierte die „Süddeutsche Zeitung“ Anfang 1990, „mag der DDR-Deutsche am besten einen Rückhalt gewinnen, der Vergangenheit sichert, der, vielleicht, Zukunft verspricht“.67 Viele Menschen suchten nach neuen oder überkommenen Werten, Sitten und Gebräuchen, die man in regionalem oder Landesbezug zu finden hoffte. So gesehen drückte der Ruf nach regionaler Identität und nach Länderbildung im klassischen Sinne des Revolutionsbegriffs den Wunsch nach Rückkehr an den Ort ursprünglicher Freiheit aus.68 Dabei waren es keinesfalls nur ältere Menschen, die die Länder noch erlebt hatten, sondern auch die jüngeren Generationen, die mit ihrem Bekenntnis zur Geschichte und zur Verwurzelung in einer Landestradition ihre „Abwendung vom kalten Rationalismus eines künstlichen Staatsgebildes“ ausdrückten.69 Auch bei ihnen hatten die zentralistischen Verwaltungsbezirke kaum identitätsstiftend gewirkt und waren als Teil der Diktatur politisch diskreditiert. Daher artikulierte eine breite, alle Altersschichten umfassende Mehrheit nachdrücklich ihr Selbstverständnis als Bürger der im Bewusstsein lebendig gebliebenen Länder und historischen Kulturlandschaften.70 In Sachsen machte sich die Erinnerung an frühere Staatlichkeit zunächst vordergründig an der Zeit von 1945 bis 1952 fest. In dieser Rückbesinnung aber kamen längerfristige Orientierungen und historische Verortungen zum Ausdruck. Über die Zeit der beiden deutschen Diktaturen hinaus trat ein tief in der Bevölkerung verwurzeltes Landesbewusstsein mit der friedlichen Revolution wieder ans Licht.71 Es ging um ein Sich-Wiedereinwurzeln in die Kontinuität der Geschichte, die vor den beiden Diktaturen lag. War im Herbst 1989 noch offen geblieben, ob die geforderten Länder Teil einer erneuerten DDR oder eines vereinten Deutschlands sein sollten, wurde spätestens zum Jahresende klar, dass sich die künftige politischterritoriale Gliederung der DDR am Ziel der Wiedervereinigung orientierte. Die Beitrittsmöglichkeit von Ländern der DDR nach Artikel 23 des Grundgesetzes trat in den Vordergrund. Die Überlegung gewann an Bedeutung, in der 65 Vgl. Lapp, Die DDR geht, S. 7. 66 Fellisch, Sachsen, S. 278. 67 Hermann Rudolph, „Die DDR-Länder leben wieder auf.“ In: Süddeutsche Zeitung vom 4.1.1990. 68 Vgl. Künhardt, Föderalismus, S. 37. 69 Blaschke, Das Werden der neuen Bundesländer, S. 128. 70 Vgl. Marek/Schilling, Neubildung, S. 61. 71 Vgl. von Mangoldt, Die Verfassung, S. 25 u. 221.

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DDR eine ähnliche Gliederung wie in der Bundesrepublik und vergleichbare staatliche Strukturen einzurichten, damit die Länderbildung zur Beschleunigung des Zusammenwachsens der beiden Staaten beitragen konnte. Dabei wurde kaum reflektiert, dass nach Artikel 23 des Grundgesetzes in der Auslegung durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 31. Juli 1973 auch der Beitritt der DDR als Ganzes möglich war.72 Aber selbst in diesem Fall hätte die Bevölkerung wegen der zahlreichen anderen Motive und Implikationen nicht vom Ziel der Länderbildung Abstand genommen. Freilich führte die nun einsetzende Richtung der Entwicklung zur Enttäuschung der Anhänger eines demokratischen bzw. demokratisch-sozialistischen Weges in einer eigenständigen DDR. Da viele Linke, „im linearen Fortschrittsdenken befangen“, Schwierigkeiten hatten, in der Wende zu nationaler Einheit, Marktwirtschaft, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit eine Revolution zu erkennen,73 setzte eine teils polemische Auseinandersetzung mit der Entwicklung und der sie tragenden Bevölkerungsmehrheit ein. Die Stimmen, die das Ende der Revolution gekommen sahen, mehrten sich, und Begriffe wie „Herbstrevolution“ oder „Oktoberrevolution“ wurden geprägt. Nach dem Herbst setzte nach Auffassung vieler eine „national-restaurative“ Entwicklung in Richtung auf „vorsozialistische Verhältnisse“ ein,74 und die Entwicklung „verkam“ zur „Konterrevolution“.75 Die Revolution fand durch die Anschlusspolitik ihren Abschluss, „weil die nationale Frage die politische und soziale Frage sehr schnell überlagerte und kein autonomer Raum für eine eigenständige Entwicklung blieb“.76 Die Transformation in Richtung Bundesrepublik stellte demnach keinen revolutionären Akt dar.77 Die „friedliche Revolution“ wurde den oppositionellen Kräften, die „Für unser Land“ auf die Straße gegangen waren, aus der Hand genommen.78 Der Ärger richtete sich gegen die Bevölkerung, die nicht erneut intellektuell modellierten Gesellschaftskonzepten folgen mochte. Deren Wunsch nach deutscher Einheit schien den Intellektuellen kurzsichtig und von vordergründigen materiellen Interessen bestimmt. Christa Wolf sprach von „unreflektiertem Wiedervereinigungsgeschrei“,79 und Konrad Weiß sah die Revolution missglückt, da sie von den Warenbergen, die die darauf unvorbereiteten DDR-Bürger zu Gesicht bekamen, erdrückt wurde.80 Sie fand, so Stefan Heym oder BerndLutz Lange, in bundesdeutschen Kaufhäusern ihr beschämendes Ende.81 Auf72 Text in: Texte zur Deutschlandpolitik II/1, S. 79–110, hier S. 103 f. 73 Von Beyme, Das politische System der Bundesrepublik Deutschland nach der Vereinigung, S. 11. 74 Höpcke, Die Kühnheit, richtig zu denken, S. 57. 75 Junge Welt vom 5.1.1990. Heiner Müller erklärte, man müsse sich von der „linken Zuordnung des Begriffes Revolution verabschieden“, wir lebten im „Jahrhundert der Konterrevolution“. Zit. in Schirrmacher, Im Osten erwacht die Geschichte, S. 229 f. 76 Glaeßner, Demokratie nach dem Ende des Kommunismus, S. 22. 77 Vgl. Reißig, Der Umbruch in der DDR, S. 37. 78 Vgl. Krenz, Wenn Mauern fallen, S. 199. 79 Zit. in Fiedler, Die deutsche Revolution, S.21. 80 Vgl. Konrad Weiß. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 5 (1990), S. 555. 81 Zit. in Tetzner, Leipziger Ring, S. 117.

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Bild 4: PKW Anfang des Jahres 1990.

schlussreich hinsichtlich der politischen Ziele Modrows in seiner Zeit als Ministerpräsident der DDR ist, dass auch er die Ereignisse während seiner Amtszeit, die ihn an der Durchsetzung seiner Ziele hinderten, nicht als Teil einer Revolution ansah. Revolution bedeute, den gesellschaftlichen Fortschritt voranzubringen, was 1989/90 nicht geschehen sei. „Elemente des Fortschritts“ wurden „im Verlauf der Übergabe der DDR und ihres Anschlusses an die BRD an die Seite gedrängt oder beseitigt“.82 Die Übernahme des freiheitlich-demokratischen und rechtsstaatlichen Systems der Bundesrepublik stellten für ihn wie für viele andere im Vergleich zur DDR keinen Fortschritt dar. So unterschiedlich die Sichtweisen im Einzelnen begründet wurden, lehnten sie es doch gemeinsam ab, den gesamten politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbruch im Zusammenhang mit der deutschen Vereinigung als Revolution anzusehen. Die friedliche Revolution wurde auf den politischen Umbruch im Herbst reduziert, die zweite Phase revolutionärer Forderungen nach Systemwandel durch staatliche Einheit ignoriert, weil sie nicht mit den eigenen Zielvorstellungen übereinstimmte. Die Sichtweise setzte sich bald durch und prägt die öffentliche Meinung bis heute. Nur selten wird das Jahr 1990 dem Umbruchprozess zugerechnet, der Blick bleibt auf den ohne Zweifel entscheidenden Herbst 1989 verengt. Das Argument, die Revolution sei mit ihrer national82 Modrow, Die politische Wende in der DDR 1989/90, S. 308.

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demokratischen Wende abgebrochen, wird sowohl von den Anhängern einer Reform des Sozialismus als auch von denen vertreten, die die DDR zu einer demokratischen Alternative zur Bundesrepublik wandeln wollten. Dabei darf nicht übersehen werden, dass der politische Teil der Revolution mit der Entmachtung der Staatspartei und der Durchsetzung demokratischer Verhältnisse in der DDR spätestens bis zur Volkskammerwahl am 18. März 1990 abgeschlossen war. Die DDR hatte sich in einer politischen Revolution demokratisiert. Aus der revolutionären Demokratisierungsbewegung heraus aber hatte sich das alternative Modell einer Demokratisierung durch Übernahme der bundesdeutschen Ordnung an die Spitze gesetzt und die Bestrebungen der Demokratisierung der DDR deplaziert. Die Übernahme der demokratischen Ordnung der Bundesrepublik stellte in diesem Sinne keinen revolutionären, eher einen transformatorischen Akt dar, wurde doch nur noch ein Demokratiemodell durch ein anderes ersetzt. Die zweite Phase der Revolution vollzog sich vor allem als Systemumbruch in den Bereichen Wirtschaft, Finanzen, Gesellschaft, Recht etc. Die Grundlage für diese revolutionäre Umstrukturierung aber war mit der politischen Revolution bereits gelegt, die noch ein eigenständiges DDR-Produkt war. Die relative Eigenständigkeit der politischen Revolution wird auch deutlich, führt man sich die Möglichkeit vor Augen, die UdSSR hätte die Herstellung der staatlichen Einheit unterbunden. Es gäbe keinen Zweifel, dass der Prozess der Demokratisierung der DDR auch für sich als revolutionärer Akt anzusehen wäre. Tatsächlich aber kam es anders, und auch die Demokratisierung trug von Beginn an nicht nur Züge einer Demokratisierung der DDR, sondern hatte, das zeigt schon ein Blick auf die Akteure im Wahlkampf, auch eine gesamtdeutsche Dimension. Auf jeden Fall aber bildeten der Herbstaufbruch hin zu einer besseren DDR wie auch die national-föderative Phase ab Ende November, die sogar als „Hochzeit der gesellschaftlichen Mobilisierung“ bezeichnet worden ist,83 ereignisgeschichtlich ein Ganzes.84 Die Revolution ging weiter und intensivierte sich sogar, wenn auch nicht unbedingt in die von vielen DDR-Intellektuellen und SED-Reformern gewünschte Richtung. Obwohl die Revolution im Herbst und Winter mit der Zerschlagung der Grundlagen der SED-Herrschaft ihre erste, entscheidende Phase durchlief, taugt der Begriff der „Herbstrevolution“ deswegen nicht für eine Gesamtbeschreibung des revolutionären Geschehens. Vielleicht hilft das von Rainer Eckert formulierte Paradoxon der „Herbstrevolution von 1989/90“ als Brücke zu einem erweiterten Verständnis der Revolution.85 Es ist nicht plausibel, zwar die Forderungen nach tiefgreifenden Veränderungen und die Phase der Demokratisierung dem revolutionären Prozess zuzurechnen, nicht aber die Zeit der Umsetzung der revolutionären Forderungen nach Marktwirtschaft und deutscher Einheit. Nicht nur die zu Recht bewunderten Phasen der Revolution im Herbst und Winter 1989/90, sondern auch die 1990 folgen83 Wiesenthal, Die Transformation der DDR, S. 28. 84 Vgl. Zwahr, Die Revolution in der DDR, S. 226; Jarausch, Implosion oder Selbstbefreiung, S. 29; Rupieper, Friedliche Revolution 1989/90 in Sachsen-Anhalt, S. 8. 85 Eckert, Straßenumbenennung, S. 218.

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den tiefgreifenden Veränderungen der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialstruktur, die in der politischen, staatlichen und rechtlichen Einheit Deutschlands mündeten, stellen einen Teil des Umbruchs dar. Auch Begriffe wie „abwickeln“ und andere bürokratische Termini aus dem Repertoire des Einigungsvertrages kennzeichnen wie die Demonstrationen des Herbstes und des Winters ein Stück Revolution. Wenn darunter nicht nur ein Volksaufstand und Veränderungen der Machtstrukturen verstanden werden, sondern der völlige Untergang der alten Staats- und Gesellschaftsordnung sowie die Konstituierung neuer politischer, wirtschaftlicher, sozialer und gesellschaftlicher Strukturen und Institutionen, dann muss von einem Fortgang dieses grundlegenden gesellschaftlichen Wandels noch während des gesamten Jahres 1990 gesprochen werden. Die Wiedervereinigung selbst stellt so die zweite Phase der deutschen Revolution dar.86 Es sind sogar Gründe geltend gemacht worden, davon zu sprechen, dass die friedliche Revolution erst nach der Wiedervereinigung zum Abschluss gebracht wurde.87 In Sachsen war auch die Länderbildung Teil der revolutionären Auseinandersetzungen mit dem alten Apparat. So meint auch Steffen Heitmann, „die Revolution hat für uns nach dem 18. März nicht aufgehört, sondern ist fortgesetzt worden. Und die Okkupation der Länderbildung durch die Opposition war der entscheidende Schritt hier in Dresden und dann für ganz Sachsen. Die Revolution ging weiter und stellte ihre Aktivitäten auf konstruktive Arbeit um.“88 Die revolutionäre Umwandlung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft verlief nun in den staatlichen Bahnen und im Rahmen des Prozesses der Vereinigung Deutschlands. Aus Bonner Beamten und Politikern wurden von der nach Veränderung drängenden DDR-Bevölkerung in Dienst genommene Akteure eines revolutionären Umbruchs, die Treuhandanstalt und das neue deutsch-deutsche Vertragswerk zu wichtigen Institutionen einer nicht nur „nachholenden“, sondern sich im Sinne des Anschließens an die westliche Gesellschaft wiederholenden bürgerlichen Revolution. Die Auffassung von einem Fortgang der Revolution auch nach der nationalen Wende in der friedlichen Revolution basiert auf einer im normativen Sinne positiven Interpretation der Ereignisse im Sinne eines bürgerlichen, demokratischen, freiheitlichen und national-föderativen Charakters der Entwicklung,89 das den völligen Umbruch der politischen, wirtschaftlichen 86 87 88 89

Vgl. Neubert, Ein politischer Zweikampf, S. 195. Vgl. Derlien, Elitezirkulation zwischen Implosion und Integration, S. 409. Steffen Heitmann beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. Nach Meinung von Isensee, Verfassungsrechtliche Wege zur deutschen Einheit, S. 310, richtete sich die friedliche Revolution auf ein dreifaches Ziel: Sie sei eine „Revolution für die freiheitliche Demokratie, Revolution für die soziale Marktwirtschaft, Revolution für die staatliche Einheit des deutschen Volkes“ gewesen. Auch ließen sich der demokratische und nationale Charakter der Revolution in der DDR nicht voneinander trennen. Meuschel, Revolution in der DDR, S. 5, meint, von einer Revolution in der DDR könne wegen des „umfassenden, systemüberwindenden Umbruchs aller Strukturen“ gesprochen werden, die zweitens „von unten“ erzwungen wurde und drittens durch eine „enorme Beschleunigung der Zeit, die alle Revolutionen kennzeichnet“, bestimmt war. Viertens schließlich „revolutionierte der Umbruch in der DDR auch den internationalen Kontext und hob die Nachkriegsordnung aus den Angeln“.

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und gesellschaftlichen Strukturen durch den Prozess der deutschen Vereinigung konstatiert und dem revolutionären Prozess zurechnet. Diese Sicht bezieht nicht nur revolutionäre Situationen, sondern auch und vor allem die revolutionären Ergebnisse bei der Bewertung der Ereignisse ein.90 Auch der rechtliche Charakter des Umbruchs steht nicht, wie gelegentlich behauptet, im Widerspruch zur These einer revolutionären Transformation. Der formal-legalistische Charakter war eine Besonderheit der friedlichen Revolution, stand aber gerade nicht im Gegensatz zur angestrebten und auch durchgehaltenen Friedfertigkeit des Prozesses, der deswegen zu Recht als formal-legalistische Revolution bezeichnet worden ist.91 Vielmehr war die rechtliche Bindung des Transformationsprozesses sowohl Steuerungs- als auch Strukturelement der Neuordnung.92 Für den Übergang wurde der Weg der verfahrensrechtlichen (formalen) Legalität bei der Verfassungsablösung und Verfassungsgebung gewählt. Diese „legalrevolutionäre Verfassungsablösung“ zerstörte die alte Verfassung und ihre Legitimationsbasis.93 Revolutionär, aber friedlich wurden Grundstrukturen eines neuen Verfassungsstaates teils rechtstextlich durch die im Frühjahr 1990 erstmals frei gewählte DDR-Volkskammer, teils jenseits des Formaljuristischen durchgesetzt bzw. schlicht gelebt.94 Die SED-Diktatur erhielt einen legalistischen Abschied. Die jeweils veränderte politische Wirklichkeit wurde unverzüglich in Verfassungsnormen gegossen, personelle und organisatorische Veränderungen wurden per Geschäftsordnungen und andere Rechtsordnungen abgewickelt, Regierungsmitglieder und Spitzenfunktionäre nicht formlos aus den Ämtern gejagt, das staatliche Monopol auf Gesetzgebung und Gewaltanwendung wurde prinzipiell nicht angetastet; die gesellschaftliche und staatliche Umgestaltung erfolgte im Gegenteil in Form einer „rekordverdächtigen Gesetzesproduktion“.95 Somit unterschied sich die Revolution in der DDR auch im Hinblick auf die politische Säuberung in einem systematischen Verfahren ab Mitte 1990 von allen anderen früheren Ostblockstaaten.96 Der friedlich-legalistische Charakter der Revolution prägte den gesamten Verlauf der Transformation, von der politischen „Säuberung“ der Verwaltungsspitze, die unter rechtsstaatlichen Bedin90 Vgl. Tilly, Die europäischen Revolutionen, S. 335 f. 91 Vgl. König, Aufbau der Landesverwaltung nach Leitbildern, S. 224; Quaritsch, Eigenarten und Rechtsfragen der DDR-Revolution, S. 314 f.; Heitmann, Die Revolution in der Spur des Rechts. 92 Vgl. Bayer, Die Konstituierung der Bundesländer, S. 1014. 93 Würtenberger, Die Verfassung der DDR zwischen Revolution und Beitritt, § 187, S. 121. 94 Vgl. Häberle, Die Verfassungsbewegung in den fünf neuen Bundesländern, S. 73. Fiedler, Die deutsche Revolution, S. 30 f. zählt die Beseitigung der geltenden Verfassung und des gesamten Rechtssystems nicht zu den Folgen der Revolution. Die Verfassung sei zwar in mehreren Schüben geändert worden, insgesamt aber in Geltung geblieben. Auch für das allgemeine Rechtssystem sei bei zum Einigungsvertrag „von prinzipieller Fortgeltung“ zu sprechen, Die Revolution beschritt demnach „den denkbaren Weg des völligen Rechtsbruchs nicht, verhielt sich nur in bezug auf zentrale Forderungen ‚illegal‘“. 95 König/Messmann, Organisations- und Personalprobleme der Verwaltungstransformation, S. 22 f. 96 Vgl. Derlien, Elitezirkulation, S. 399.

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gungen anders ausfallen musste als unter totalitären Regimes, wo „kurzer Prozess“ gemacht wird, bis hin zum Qualifikationsproblem neuer Verwaltungseliten, die sich öffentlicher Ämter nicht „mit dem Gewehr in der Hand“ bedienten.97

3.1.3 Haltung der neuen politischen Parteien und Gruppierungen zur Länderbildung So sehr das Thema Länderbildung seit Ende November und im Dezember an Bedeutung gewann, die politischen Auseinandersetzungen wurden vordergründig sehr viel stärker von Themen wie der MfS-Auflösung, der Rolle der SED, Korruption und Amtsmissbrauch, aber auch dem der deutschen Einheit bestimmt. In den Kreisen, die frühzeitig auf Wiedervereinigung setzten, war das Thema Länderbildung virulent, weniger jedoch bei den Anhängern fortdauernder Zweistaatlichkeit, und es gab regionale Schwerpunkte in Sachsen, Thüringen sowie im Norden der DDR, weniger in den früheren preußischen Provinzen. Kaum verbreitet war die Forderung nach Länderbildung zunächst in den Bürgerbewegungen, in denen weiterhin die Auseinandersetzung mit dem alten Machtapparat dominierte. Hier setzte sich erst schrittweise die Erkenntnis durch, dass Föderalismus den Intentionen der Bürgerbewegung entsprach, beinhaltete die Zerschlagung der zentralistischen Diktatur doch einen wesentlichen antizentralistischen Aspekt. Eindeutige Ausgangspunkte der Forderung nach Länderbildung waren die Demonstrationen. Nahezu alle entsprechenden Postulate von Parteien, Organisationen und Gruppierungen stellten Reaktionen darauf dar. Dabei machten sich die neuen politischen Gruppierungen die Forderungen der Bevölkerung in unterschiedlichem Maße, verschiedener Ausprägung und zu recht unterschiedlichen Zeiten zu eigen. Vielleicht war es kein Zufall, dass die Idee der Rückkehr der Länder schon lange vor dem Herbst 1989 vom Aktivisten der Berliner Umweltbibliothek, Wolfgang Rüddenklau, erhoben wurde, der sich später selbst als „Vertreter des anarchistischen Diskussionsflügels“ der Vereinigten Linken bezeichnete. Als er im Herbst 1989 einen entsprechenden Beitrag in den „Umweltblättern“ abdrucken wollte, wurde ihm von seinem Mitstreiter Tom Sello bedeutet, dass der Gedanke „wirklich allzu absurd“ sei.98 So blieb es beim Manuskript in der Schublade. Erst später wurde der Beitrag veröffentlicht, in dem es hieß, dass das Gebiet der DDR für die Bevölkerung keine akzeptable Einheit sei, sondern „mit seinen synthetischen Verwaltungseinheiten ein auf die Ausbeutung durch die Zentral-Spinne Berlin zugeschnittenes Gebilde“ darstelle. Rüddenklau hatte vorschlagen wollen, sich auf „die einzigen Einheiten unseres Gebietes“ zu stützen, die für die Bevölkerung noch „präsent und identitätsstiftend“ seien, die deutschen Länder. Sein Modell war von der völli97 König/Messmann, Organisations- und Personalprobleme der Verwaltungstransformation, S. 22 f. 98 Rüddenklau, Störenfried, S. 269. Gespräch des Autors mit Tom Sello am 12.11. 2000.

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gen staatlichen Selbständigkeit der Länder ausgegangen. Erst zu einem späteren Zeitpunkt hatte er die Bildung eines Staatenbundes für denkbar gehalten.99 Mehr Wirkung als die mit Verspätung veröffentlichten anarchistischen Postulate Rüddenklaus entfalteten die ebenfalls bereits vor dem revolutionären Herbst 1989 erhobenen Forderungen der SDP-Gründer. Schon im „Aufruf zur Bildung einer Initiativgruppe mit dem Ziel, eine Sozialdemokratische Partei – SDP ins Leben zu rufen“ wurde Ende Juli 1989 die „relative Selbständigkeit der Regionen (Länder), Kreise, Städte und Kommunen (finanziell, wirtschaftlich, kulturell)“ bei Anerkennung der Zweistaatlichkeit Deutschlands gefordert.100 Hier ging es noch dezidiert um die Schaffung von DDR-Ländern und um eine föderativ strukturierte DDR. Bei der Gründungsveranstaltung der SDP am 7. Oktober 1989 in Schwante betonte Markus Meckel, alle Entscheidungen in Staat und Gesellschaft müssten „so dezentral wie möglich und so zentral wie nötig“ getroffen werden. Dieses Prinzip werde eine relative Selbständigkeit der Regionen, Städte und Gemeinden, sowohl in finanzieller, wirtschaftlicher als auch kultureller Hinsicht zur Folge haben.101 Der SDP-Gründungsaufruf nahm die Forderung nach Ländern auf, und auch bei später von der Partei organisierten Demonstrationen und Kundgebungen gehörte sie zum Repertoire.102 Auf dem 1. Parteitag der inzwischen in SPD umbenannten Partei Ende Februar 1990 verabschiedeten die Delegierten ein Organisationsstatut und ein Grundsatzprogramm, in denen sie sich für einen föderativen Aufbau im Rahmen eines deutschen Bundesstaates aussprachen.103 Anders als die SDP/SPD, in der die frühe Forderung nach Länderbildung im Schwanter Gründungsaufruf auf spätere Gliederungen vereinheitlichend wirkte, kam es im Neuen Forum im Laufe des Herbstes 1989 zu einer Ausdifferenzierung der Meinungen. Während der Berliner Führungszirkel sich die Forderung nach Länderbildung erst Ende Januar 1990 zu Eigen machte,104 übernahmen verschiedene Gründungsinitiativen in Sachsen und Thüringen hierbei eine Schrittmacherfunktion. Im Dresdner Neuen Forum setzten, wie bereits erwähnt, Vaatz und Reinfried Anfang November 1989 eine Orientierung auf Länderbildung durch. Die am 13. November von Vaatz auf der Dresdner Montagsdemonstration vorgetragene Forderung wurde durch die Presse publik gemacht und entfaltete so öffentliche Wirkung.105 Im November 1989 legte auch eine Fachgrup99 Vgl. Rüddenklau, Störenfried, S. 307–312. 100 Aufruf zur Bildung einer Initiativgruppe mit dem Ziel, eine Sozialdemokratische Partei – SDP ins Leben zu rufen, Niederdodeleben am 24. 7.1989 (UB. Grohedo, 4.1.6). 101 Das Anknüpfen an die deutsche sozialdemokratische Tradition. Programmatischer Vortrag von Markus Meckel anläßlich der Gründung der SDP am 7.10.1989 in Schwante (ebd.). 102 Vgl. u. a. die SPD-Veranstaltung am 1.1.1990 in Karl-Marx-Stadt (SächsStC, Chef BDVP KMS I/351, S.13). 103 Parteitag der SPD vom 22.2. bis 25. 2.1990 in Leipzig (ABL, Hefter IV, SPD). Vgl. Leonhard, Eine junge Partei, S. 507 f. 104 Programmerklärung des Neuen Forum 1990 (ABL, H IV.28.233) (UB. Grohedo, 3.11.1). 105 Die Union vom 15.11.1989.

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pe für Wirtschaft und Finanzen der Initiativgruppe Dresden-Nord/Klotzsche des Neuen Forums „Thesen zur Wirtschaftsreform/Wirtschaftsführung“ vor, in denen ein föderativer Staatsaufbau und die Wiederbelebung der Länder gefordert wurden. Nach dem Dresdner trat auch das Leipziger Neue Forum für eine Wiederaufnahme der 1952 aufgehobenen Länderstrukturen ein und begann, sich auf Kreis-, Bezirks- und Länderebene zu organisieren.106 Bald gehörte die Forderung nach Neubildung Sachsens zur Normalität bei Veranstaltungen und in programmatischen Entwürfen des Neuen Forums.107 So hieß es auch im vorläufigen Entwurf einer programmatischen Grundsatzerklärung des Neuen Forums in Dresden vom 21. Dezember, das Neue Forum fordere eine Verwaltungsreform, die zur Wiederherstellung der Länder führe.108 An der Frage der Deutschen Einheit wurden die Unterschiede zwischen dem Neuen Forum in Berlin und in den Regionen im Süden der DDR besonders deutlich. Während das Neue Forum in Berlin den Aufruf „Für unser Land“ unterstützte, setzten die Dresdner dem einen eigenen Aufruf unter dem Stichwort „Keine Experimente mehr“ entgegen, in dem sie einen Beitritt der neu zu bildenden Länder nach Artikel 23 des Grundgesetzes forderten.109 Unterschiedliche politische Vorstellungen zwischen Berlin und Sachsen schlugen sich auch in sächsischen Initiativen vom Dezember nieder, das Neue Forum zu einer in fünf Landesverbände gegliederten Partei zu wandeln, die Autonomiestatus haben und sich gemeinsam über die große Linie einigen sollten.110 Am 13. Dezember wurde in Karl-Marx-Stadt der Gründungsaufruf für eine Partei Neues Forum veröffentlicht, in dem eine weitgehende Selbständigkeit der Kommunen und Wirtschaftseinheiten, eine territoriale Neugliederung nach einem Volksentscheid und die Wiedervereinigung, beginnend mit konföderativen Strukturen gefordert wurde. Am 10. Februar beschlossen Sprecher des Neuen Forums der drei sächsischen Bezirke die Bildung eines Landesverbandes Sachsen und eines provisorischen Landessprecherrates. Sie forderten eine stärkere Selbständigkeit der Landesverbände innerhalb des Neuen Forums und kritisierten den Leitungsstil des Republiksprecherrates in Berlin. Im Mittelpunkt der künftigen Arbeit müssten kommunale Fragen des Landes Sachsen sowie seiner Städte und Gemeinden stehen. Vom Republiksprecherrat wurde gefordert, die Meinung der Mitgliedermehrheit im Neuen Forum in den Medien zu vertreten und „nicht nur linke Positionen einer kleinen, nicht repräsentativen Gruppe“.111 Am 17. Februar folgte die Gründungsver106 Jürgen Tallig, Programmgruppe Leipzig: Programmatische Arbeitspunkte, o. D. (ABL, H XIX). 107 BStU, ZA HA VIII- AKG 1672, Bl. 303. Vgl. Freie Presse, Ausgabe Flöha, vom 19.1.1990. 108 Neues Forum Dresden, AG Grundsatzfragen: Programmatische Grundsatzerklärung des Neuen Forums, vorläufiger Entwurf vom 21.12.1989 (UB. Grohedo, 4.1.1.3). 109 Vgl. Schulz, Das Neue Forum, S. 47. 110 Initiativgruppe Neues Forum Sachsen im zentralen Koordinierungsausschuss Dresden. Von Alexander Schintlmeister, o. D. (UB. Grohedo, 4.1.1.3). Vgl. Neues Forum Dresden: Statutenentwurf zur Verhinderung einer Spaltung des Neuen Forums (Diskussionsgrundlage) vom 27.12.1989 (ebd. 4.1.1). 111 Presserklärung: Neues Forum in Sachsen für Sachsen, o. D. (ABL, H XIX).

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sammlung des Landesverbandes Sachsen des Neuen Forums.112 Auf dem 1. Landesforum Sachsen des Neuen Forums am 3. März erklärte Werner Schulz, die Wiederherstellung der Länder werde den Verwaltungsaufwand deutlich senken. Nicht zulassen dürfe man hingegen einen neuen Lokalpatriotismus.113 Im Gründungsaufruf der aus dem Neuen Forum hervorgegangenen Deutschen Forumpartei (DFP) hieß es, Deutschland entstehe „als Bundesstaat mit weitgehend unabhängigen Ländern“. Die Forumpartei forderte eine Volksabstimmung über die Wiederherstellung des Landes Sachsen, seine Gliederung in lebensfähige Landkreise und eine weitgehende Selbständigkeit der Kommunen.114 Ähnliche Unterschiede zwischen Zentrale und regionalen Gründungsinitiativen gab es auch im Demokratischen Aufbruch. Zunächst war weder im Gründungsaufruf noch in einer programmatischen Erklärung des Demokratischen Aufbruchs vom 2. Oktober oder im Statut vom 29. Oktober von Ländern die Rede. Lediglich in einem Flugblatt forderte der Demokratische Aufbruch Ende Oktober neben einer „sozialistischen Gesellschaft auf demokratischer Basis“ auch politische Reformen, die den staatlichen Zentralismus der SED beseitigen sollten.115 Anders war die Lage in Dresden, wo die lokalen Organisationen des Demokratischen Aufbruchs und von Demokratie Jetzt am 21. November ihren Zusammenschluss unter dem Namen „Demokratischer Aufbruch“ verkündeten, dabei die Wiederherstellung der Länder als ein wesentliches Ziel nannten und die „Unteilbarkeit der Nation“ betonten.116 Auf DDR-Ebene forderte die Programmkommission des Demokratischen Aufbruchs am 9. Dezember erstmals eine Dezentralisierung mit dem Ziel ausgeprägter regionaler und kommunaler Selbstverwaltung, die Neuordnung der Verwaltung nach traditionellen Ländergrenzen und eine politische Neuordnung nach föderativen Prinzipien.117 Gleichzeitig plädierte Rainer Eppelmann für den Erhalt der DDR als gesellschaftlicher Alternative zur „kapitalistischen BRD“.118 Die bis in den Dezember heterogene Positionierung des DA, der sich am 3. Dezember auch für die Einberufung einer „Deutschen Nationalversammlung“ ausgesprochen hatte,119 endete mit dem auf dem Gründungsparteitag verabschiedeten Programm. Darin setzte sich der DA für eine föderative Grundordnung des Staates, die Verwaltung nach Län112 Protokoll der Gründungsversammlung des LV Sachsen des Neuen Forums am 17. 2. 1990 (Dok. 11). 113 Protokoll des 1. Landesforums Sachsen am 3. 3.1990 (ABL, H XIX) (UB. Grohedo, 4.1.1.3). 114 DFP, LV Sachsen: DFP eine Partei der Mitte [Flugschrift, März 1990] (PB Silke Naumann). Vgl. Bochmann, Strukturen, S. 39 f. Vgl. Marcowitz, Der schwierige Weg, S. 47–53. 115 DA: Flugblatt für Demokratie, o. D. (UB. Grohedo, 4.1.10). Vgl. Rein, Die Opposition, S. 34–48. 116 Vgl. Lagefilm Neues Forum, geplante/durchgeführte Aktivitäten (BStU, ASt. Dresden, BV, Abt. XX, 9269, Bl. 89); Informationsblatt von Fritz Kuhn: Demokratischer Aufbruch und Demokratie Jetzt, o. D. (HdG/Projektgruppe Leipzig, Objekt Franke 6). 117 Programmkommission des DA: Entwurf zum Leipziger Programm des DA – sozial, ökologisch vom 9.12.1989. Zit. in Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 23. 118 Interview Rainer Eppelmann. In: Junge Welt vom 9./10.12.1989. 119 Vgl. FAZ vom 4.12.1989.

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dern und gegen zentralistische Strukturen ein.120 Allerdings entspricht die Behauptung aus dem Demokratischen Aufbruch Dresden, der DA sei „die erste Partei, die für die Schaffung der alten Länderstrukturen eintrat, zunächst Anfang Dezember formal und programmatisch festgeschrieben auf dem Leipziger Parteitag vom 17.12.1989“,121 wohl eher dem Wunschdenken als der Realität. Für Demokratie Jetzt erklärte Konrad Weiß Ende September 1989: „Wir möchten kein Bundesland der Bundesrepublik Deutschland werden, sondern wir möchten unseren eigenen Weg gehen.“122 Am 14. Dezember verlangte Demokratie Jetzt einen deutsch-deutschen Volksentscheid nach mehrjähriger Vorbereitungszeit und einem Drei-Stufen-Plan über die politische Einheit in einem „Bund deutscher Länder“. In einer ersten Stufe sollte die Zentralgewalt in der DDR reduziert und die früheren fünf Länder wiederhergestellt werden.123 Im Wahlprogramm forderte Demokratie Jetzt die Gliederung der Republik in die früheren fünf Länder mit Verfassung, Parlament und Regierung. Auch die Böhlener Plattform forderte im Sinne der „Verwirklichung der sozialistischen Demokratie“ eine „Bundesstaatlichkeit auf der Grundlage der Länderstrukturen von 1949“ und die Bildung einer DDR-Länderkammer.124 Am 21. Dezember wählte die Vereinigte Linke einen provisorischen Sprecherrat, der unter anderem die „Zerschlagung des alten Staatsapparats durch Einführung der Länder“, die Ablehnung eines Parteienmonopols und einen Rechtsstaat, „aber links“ forderte.125 Erst spät, als der Unabhängige Frauenverband gemeinsam mit der Grünen Partei eine „Wahlkampfplattform“ bildete, forderte der UFV eine kommunale, regionale sowie Länderselbstverwaltung und befürwortete die Wiederherstellung der Länder.126 Am Runden Tisch des Bezirkes Karl-Marx-Stadt lehnten kommunistische Gruppierungen wie „Die Nelken“ Art und Weise der Länderbildung ab. „Uns“, so ihr dortiger Vertreter, „schien die Länderbildung ein weniger drängendes Problem zu sein als z. B. die Beschäftigung mit dubiosen Versorgungsengpässen im Vorfeld der Währungsunion, ja, es schien uns sogar so, als sollten diese Aktivitäten zur Länderbildung die Bürger von den eigentlichen Problemen ablenken. Für uns bedeutete die Länderbildung auch gleichzeitig das Aus für die DDR als Staat. Alle Vertreter der linken Parteien und Gruppierungen, eingeschlossen wir, waren jedoch vorerst für den Erhalt der DDR.“127 In 120 Programm des DA – sozial, ökologisch. Freiheit – Gerechtigkeit – Solidarität. Beschlossen auf dem Gründungsparteitag in Leipzig am 17.12.1989 (ACDP, VI 061–007/3). 121 Initiative für den Sächsischen Landtag (ISL), [gez.] Matthias Hübner, DA Dresden (PB Horst Rasch). Text in: Die Union vom 9. 2.1990. 122 Interview Konrad Weiß. In: Rein, Die Opposition, S. 72. 123 Demokratie Jetzt: Dreistufenplan der nationalen Einigung vom 14.12.1989 (RHA, 3.2.02.01. Dok. 77). Vgl. Der Tagesspiegel vom 15.12.1989. 124 Text in Rein, Die Opposition, S. 110. 125 Handschriftliche Aufzeichnungen zur VL-Sitzung vom 20.12.1989 (HAIT, Pröhl, Dokumente VL Dresden). 126 UFV: Wahlkampfplattform gemeinsam mit der Grünen Partei, Berlin 1990 (UB. Grohedo, 4.1.9). 127 Interview Andreas Stein, Vertreter der „Nelken“ am RTB KMS/Chemnitz. In: Scherf, Der Runde Tisch, S. 122–125.

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einem Konzept der Grünen Partei zur Bildung des Landes Sachsen vom April hieß es schließlich, das Land Sachsen solle nach dem Willen des Volkes ein eigenständiger Teil der Republik werden. Nach dem Prinzip der „Demokratie von unten“ plädierte die Partei für „ein eigenständiges, freies und demokratisches Wachsen des zukünftigen Landes“. Die Bildung des Landes Sachsen sei keine bloße Zusammenfassung von drei Bezirken, sondern bedeute die „Entstehung eines neuen Landes mit jahrhundertelangen Traditionen“.128 Die Initiative Frieden und Menschenrechte sprach sich im Februar 1990 für eine weitgehende Dezentralisierung der Staatsmacht sowie für starke und unabhängige, territoriale und kommunale Vertretungen aus.129 Anders als die im Herbst entstandenen Bürgergruppen plädierte die FDP der DDR bereits seit ihrer Bildung für Länder und organisierte sich in Landesverbänden. Am 27. Januar trafen sich Vertreter von sechs Landesverbänden zu einer konstituierenden Sitzung der Partei. Dabei forderten sie eine baldige staatliche Einheit sowie die Wiederherstellung der Länder und beschlossen einen „Länderrat“, in dem je drei Vertreter der FDP der Länder in der DDR ihren Sitz haben sollten. In ihrem Wahlprogramm wiederholten die Freien Demokraten ihre Forderung nach einer Verwaltungsreform und der Schaffung von Ländern bis März 1990.130 Auch die verschiedenen neuen christlichen und konservativen Parteien als Vorläufer der DSU setzen sich seit ihrer Gründung durchweg für eine Föderalisierung ein. Die früheren Länder der DDR, so zum Beispiel die CSPD, sollten demnach Ausgangspunkt für eine grundlegende, alle gesellschaftlichen Bereiche erfassende Verwaltungsreform sein.131 Die DSU bekannte sich schließlich in ihrem Grundsatzprogramm „in Vorbereitung auf die Einheit Deutschlands“ zur Länderbildung und betonte, dass das Wiedererstehen der Länder „gerade im Blick auf das sich einigende Deutschland“ erfolgen müsse.132 Nur ein föderativer Aufbau der DDR wie ganz Deutschlands gewährleiste ein notwendiges Gegengewicht zum Zentralismus. Föderalismus teile die Macht, sichere Vielfalt demokratischer Meinungsbildung und mache staatliches Handeln überschaubar. Hier war deutlich die Handschrift der bayerischen Schwesterpartei zu erkennen. Frühzeitig setzte sich die DSU auch für die Bildung eines „Freistaates Sachsen“ ein.133 Insgesamt bleibt anzumerken, dass der SDP-Gründerkreis sowie die Gründungsinitiativen des Neuen Forums und anderer Bürgerbewegungen in Sachsen 128 Konzeption der Grünen Partei zum Aufbau des Landes Sachsen von April 1990 (Dok. 63). 129 Initiative Frieden und Menschenrechte: Wahlprogramm vom Februar 1990 (UB. Grohedo, 4.1.1). 130 BFD: Ablösung des alten Staatsapparates durch Gründung der Länder vom 14. 3.1990 (ADL, L1–47). Vgl. Myritz/Nolden, 18. März 1990, S. 79 f.; Sächsisches Tageblatt vom 22.1.1990. 131 Aufruf der CSPD an alle Einwohner unseres Landes. Zit. in Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 24. 132 DSU-Kurier von Februar 1990. 133 Auszüge aus DSU-Grundsatzprogramm vom 17.1.1990. Zit. in Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 24.

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und Thüringen frühzeitig für die Bildung von Ländern eintraten. Die anderen neuen Parteien und Bewegungen folgten erst dem ab Dezember einsetzenden national-föderativen Mainstream, der seinerseits Parteien hervorbrachte, die sich bereits ab ihrer Gründung die Rückkehr zu den alten Ländern auf die Fahne schrieben. Vereinzelt verband sich die Forderung nach Länderbildung Ende 1989 und Anfang 1990 noch mit dem Postulat nach Erhalt der DDR-Staatlichkeit, mehrheitlich aber wurden die angestrebten Länder bereits als Bundesländer eines wiedervereinigten Deutschlands angesehen.

3.1.4 Bildung von Landesverbänden Wie breit und intensiv die Forderungen nach Neubildung Sachsens in der Bevölkerung verankert war, zeigte auch die Tatsache, dass sowohl alte als auch neue Parteien, Verbände und Organisationen frühzeitig Landesverbände gründeten, ohne dass es bereits Länder gab oder entsprechende definitive Entscheidungen getroffen worden waren. Politiker und Funktionäre strebten bereits Anfang des Jahres 1990 Ämter in Ländern an, die es noch gar nicht gab. Die politische Szene war diesbezüglich „sehr schnell von Vorstellungen, Aktivitäten und Interessen beherrscht“, in denen „in starkem Maße massenpsychologisch zu erklärende und emotional bedingte Vorgänge abliefen“. Eine rationale Bewältigung der Länderbildung, so Blaschke, war unter diesen Bedingungen bald weitgehend ausgeschlossen. „Ohne sich überhaupt Gedanken über die Zweckmäßigkeit ihres Tuns zu machen,“ bildeten die Parteien Landesverbände, ohne dass es überhaupt Länder gab.134 Von den bisherigen Blockparteien verankerte als erste die CDU auf ihrem Sonderparteitag Mitte Dezember 1989 die Landesstruktur in der Satzung. Dort hieß es, die Partei gliedere sich künftig in Orts-, Kreis- und Landesverbände.135 Die Landesstruktur der Union entstand zwischen Januar und März 1990. Am 5. Januar beschlossen die drei Bezirkssekretariate der CDU die Einberufung einer Tagung mit dem Ziel der Gründung eines Landesverbandes.136 Am 30. Januar wurde in Leipzig der Landesverband Sachsen der CDU gegründet,137 und am 3. März fand im Dresdner Hygienemuseum ein Landesparteitag zur Neukonstituierung des Landesverbandes statt.138 Am 24. April folgte die Bildung einer Fraktionsgruppe Sachsen der CDU Volkskammerfraktion.139 In der NDPD 134 Blaschke, Das Werden der neuen Bundesländer, S. 129. 135 Satzung der CDU auf Beschluss des Sonderparteitages am 15./16.12.1989 (ACDP, VII011–3911). 136 Länderreform, maschinen- und handschriftliche Notiz von Erich Iltgen, o. D. (HAIT, Iltgen, 1). 137 Vgl. Die Union vom 31.1.1990. 138 CDU-Landesgeschäftsstelle Sachsen: 1. Landesparteitag am 3. 3.1990 in Dresden. 139 LV der CDU Sachsen, Landessekretariat: Festlegungsprotokoll zur Beratung des LV Sachsen am 21. 4.1990 (CDU-Landesgeschäftsstelle Sachsen, Protokolle und Festlegungen vom 28. 3.1990 bis 10. 9.1990).

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konstituierte sich am 18. Dezember ein Initiativausschuss zur Gründung des Landesverbandes Sachsen der NDPD, der sich auch für die Neubildung des Landes Sachsen einsetzte,140 und am 24. Februar wurde in Karl-Marx-Stadt ein Landesverband Sachsen der LDP durch Delegationen der drei Bezirksverbände gegründet. Dietmar Schicke (Karl-Marx-Stadt) wurde Landesvorsitzender, seine Stellvertreter wurden Ludwig Rade (Dresden) und Uwe Rantzsch (Leipzig).141 Am 8. März folgte die konstituierende Sitzung des Landesvorstandes.142 Als letzte von allen Parteien, aber immer noch zwei Monate vor der Landesbildung, gründete die PDS am 28. Juli in Dresden einen Landesverband Sachsen. Auch die neuen Parteien und Gruppierungen orientierten sich frühzeitig an Landesverbandsstrukturen und schufen damit in Fragen der Länderbildung vollendete Tatsachen. In der SDP/SPD wurde die Leipziger SDP wegen ihrer treibenden Rolle beim Organisationsaufbau zum Impulsgeber für den Aufbau von Bezirksstrukturen und eines Landesverbandes der SDP. Bereits im Dezember gab es hier Diskussionen darüber, ob ein Landesverband oder Bezirksverbände der SDP gegründet werden sollten. August Kamilli favorisierte Bezirksstrukturen, der spätere Bezirksgeschäftsführer Nikolaus Voss einen Landesverband.143 Im Namen der Leipziger SDP informierte Voss die Vorstände der SDP in Dresden und Karl-Marx-Stadt schließlich am 15. Dezember über den Beschluss des Leipziger Kreisparteirates vom 14. Dezember, „auf die Bildung eines SDP-Landesverbandes Sachsen zuzuarbeiten“. Für den 6. Januar wurde ein Treffen der SDP-Ortsverbände mit dem Ziel vereinbart, zunächst einen Parteibezirk Sachsen-West (Bezirk Leipzig) aufzubauen und erste Schritte zur Bildung eines Landesverbandes zu verabreden.144 Bei einer Konsultation von SDP-Vertretern aus Leipzig, Dresden und Karl-Marx-Stadt in Leipzig kam man überein, in den drei sächsischen Bezirken parallel Bezirksorganisationen mit dem Ziel der Gründung eines Landesverbandes Sachsen der SDP zu bilden. Um dieses Ziel zu verdeutlichen, erhielten die Bezirksorganisationen die Namen „Regionalverband Sachsen-West“ für Leipzig, „Sachsen-Mitte“ oder „Sachsen-Ost“ für Dresden und „Sachsen-Süd“ für Karl-Marx-Stadt. Die Gründung des Landesverbandes sollte nach der Volkskammerwahl auf einer Delegiertenkonferenz der drei Bezirke erfolgen. Auf dem Weg zum Landesverband kam es ab Anfang Januar 1990 zum organisatorischen Aufbau einer Bezirksstruktur, die im Gegensatz zu den Altparteien nicht vorhanden war. In Leipzig wurde noch am 6. Januar ein Bezirksverband konstituiert und ein provisorischer Vorstand mit Christian Steinbach als Vorsitzendem gewählt. In Dresden konstituierte sich am 19. Januar der 140 Vgl. Sächsische Neueste Nachrichten, Ausgabe Dresden, vom 19.12.1989; Die Union vom 22.12.1989. 141 Vgl. Sächsisches Tageblatt vom 26. 2.1990; Bochmann, Strukturen, S. 42 f. 142 Vgl. Sächsisches Tageblatt vom 9. 3.1990. 143 Vgl. Voss, Aufbruch und Stagnation, S. 179. 144 SDP-Kreisverband Leipzig, gez. Nikolaus Voss, an die Vorstände der SDP der Ortsverbände in Dresden und Karl-Marx-Stadt vom 15.12.1989 (AdSD, SPD-LV Sachsen, 20). Vgl. Schmeitzner/Rudloff, Geschichte der Sozialdemokratie, S. 150 f.

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Bezirksverband Sachsen-Ost, der bis zur Wahl von Peter Adler am 21. Juli in Bautzen von Günter Neumann geführt wurde. In Karl-Marx-Stadt wählte der erste ordentliche Bezirksparteitag am 10. Februar Volkmar Wohlgemut zum Vorsitzenden. Ihm folgte im Frühjahr Michael Lersow als Vorsitzender.145 Auf der Sitzung des SPD-Bezirksvorstandes Leipzig am 20. März wurde nochmals bekräftigt, man wolle sich für die zügige Bildung eines Landesverbandes mit den Bezirksverbänden Leipzig, Chemnitz und Dresden mit Sitz in Dresden einsetzen.146 Der Vorstand verabschiedete ein Positionspapier, das die Auflösung der Bezirksverbände zum Zeitpunkt der Länderbildung vorsah.147 Am 24. März fand erstmals eine Vorbesprechung zur Vorbereitung der Gründung eines Landesverbandes Sachsen der SPD statt.148 Die Bezirksvorstände beschlossen am 24./25. März, den Landesverband in die derzeitigen drei Bezirke mit Unterbezirken und Ortsverbänden zu gliedern. Sitz des Landesvorstandes sollte Dresden sein.149 Die Bildung des SPD-Landesverbandes war ursprünglich für den 28. April vorgesehen gewesen und, „vielleicht wegen der Schwere der ersten Wahlniederlage“, überraschend verlegt worden.150 Am 26. Mai fand nun in Chemnitz der 1. Landesparteitag der sächsischen SPD statt. Vorsitzender wurde der Chemnitzer SPD-Bezirkschef, Michael Lersow, der sich damit gegen seine Dresdner und Leipziger Mitkonkurrenten Karl-Heinz Kunckel und Ernst Benedict durchsetzte.151 In einer „Sachsenerklärung“ unterstrich der neugewählte Vorsitzende, dass das künftige Land Sachsen auf Grund seines wirtschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Potentials gute Chancen habe, eine bedeutende Stellung in Deutschland zu erlangen.152 Am 6./7. Januar wurde im Pfarrhaus St. Georg in Wiederitzsch bei Leipzig zunächst die CSU-FDU als Zusammenschluss von DSU, FDU, von Gründungsgruppen der CSU Leipzig, Sonneberg und Arnstadt, die PWD, einer CSUFreundesgruppe Dresden und der Jungen Union Thüringen konstituiert. Es wurde vereinbart, dass sich die CSU in Sachsen und Thüringen, die FDU in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt organisiert. Der Vertreter der CSPD, der Pfarrer der Leipziger Thomas-Gemeinde, Hans-Wilhelm Ebeling, beteiligte sich nicht am Zusammenschluss, da er gegen die Bildung einer CSU Sachsens und Thüringens war.153 Da die bayerische CSU die 145 Vgl. ebd., S. 151 f. 146 Protokoll der Sitzung des Bezirksvorstandes Leipzig am 20. 3.1990, Anlage: Beschlussvorlage zur Vorstandssitzung des BV Sachsen-West am 20. 3.1990 (AdSD, SPD-LV Sachsen, 31, 3/9.1.). 147 SPD-Pressedienst 55/90 (ebd., 5). 148 Vgl. Rudloff/Schmeitzner, Die Wiedergründung, S. 20. 149 Vgl. Sächsisches Tageblatt vom 28. 3.1990. 150 Vgl. Schmeitzner/Rudloff, Geschichte der Sozialdemokratie, S. 153 f. 151 Protokoll des Landesparteitages Sachsen der SPD am 26. 5.1990 (AdSD, SPD-LV Sachsen, SPD-Unterbezirk Leipzig, Signatur 59 [vorläufig]). Vgl. Lersow, Von der Bürgerbewegung, S. 39. 152 Vgl. Sächsisches Tageblatt vom 28. 5.1990; Rudloff/Schmeitzner, Die Wiedergründung, S. 22. 153 Vgl. Myritz/Nolden, 18. März 1990, S. 51.

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Neubildung Sachsens als Forderung der Revolution

Bildung von Landesverbänden in der DDR verhindern wollte, schlossen sich Ende Januar in Leipzig unter dem Einfluss der bayerischen CSU etwa ein Dutzend christlich-konservativer Basisgruppen und Parteien zur „Deutschen Sozialen Union“ (DSU) zusammen, die von Anfang an in Landesverbände gegliedert war. Zum Vorsitzenden wurde Hans-Wilhelm Ebeling gewählt. Generalsekretär wurde der bisherige Generalsekretär der CSPD, Peter-Michael Diestel.154 Der Landesverband Sachsen der DSU hatte im Februar 1990 seinen Sitz in Dresden. Ansprechpartner war Reiner Hoelzer.155 Auf der Montagsdemonstration am 29. Januar in Leipzig trat auch eine Gruppierung auf, die zur Gründung von Landesverbänden einer CDU/CSU in der DDR aufforderte. Im Aufruf hieß es, „die bundesdeutsche CDU / CSU“ brauche Landesverbände in der DDR.156 Trotz fehlender Unterstützung der bayerischen CSU konstituierte sich am 10. Juli in Auerbach ein CSU-Landesverband Sachsen.157 Bereits zuvor hatte sich in Klingenthal ein kommissarischer CSU-Landesvorstand unter dem Vorsitz des Industriekaufmanns Manfred Helbig gebildet. Helbig war in Lengenfeld zum stellvertretenden Landrat gewählt worden, sein Stellvertreter, Karl-Heinrich Hoyer, war Bürgermeister von Mark-Neukirchen.158 Damit existierte neben der DSU als offiziellem Partner der bayerischen CSU gegen deren Willen ein sächsischer Landesverband der CSU, der allerdings – wie die DSU – nie wirkliche politische Bedeutung erlangte. Der Gründungsparteitag des Demokratischen Aufbruchs am 17. Dezember verabschiedete ein Statut, wonach sich die Partei in Orts-, Kreis- und Landesverbände gliederte.159 Der Landesverband Sachsens des DA beschloss auf seinem Wahlparteitag in Dresden am 11. März ein Wahlprogramm.160 Am 10. Februar fand in Chemnitz ein Treffen von Sprechern des Neuen Forums der drei sächsischen Bezirke statt, bei dem beschlossen wurde, am 17. Februar einen Landesverband Sachsen und einen provisorischen Landessprecherrat zu bilden. Die sächsischen Vertreter forderten zugleich eine stärkere Selbständigkeit der Landesverbände innerhalb des Neuen Forums.161 In Dresden konstituierte sich daraufhin am 17. Februar der Landesverband Sachsen des Neuen Forums.162 154 Vgl. Statut der DSU von Februar 1990; Berliner Zeitung vom 22.1.1990; FAZ vom 16.6.1990; Jäger/Walter, Die Allianz, S. 159 f.; Myritz/Nolden, 18. März 1990, S. 50. Zu den bundespolitischen Implikationen vgl. Falter/Schumann, Konsequenzen, S. 33–45. 155 DSU-Kurier von Februar 1990. 156 Vgl. FAZ vom 31.1.1990. 157 Wahlkampfmaterial CSU Sachsen (SLUB, 1 D 145 Mappe Allianzparteien/Flugblattsammlung Mappe DSU). Auch in Thüringen konstituierte sich ein CSU-Landesverband (BArch B, DO 1, 52445). 158 „CSU macht sich breit.“ In: Die Welt vom 9. 7.1990. 159 Statut des DA (ACDP, VII 061–007/3). 160 Die Union vom 12. 3.1990. 161 Presseerklärung: Neues Forum in Sachsen für Sachsen, o. D. (ABL, H. XIX); Neues Forum Sachsen, i.A. Gerald Scholz, Republiksprecherrat, o. D. (ebd.). 162 Protokoll der Gründungsversammlung des LV Sachsen des Neuen Forums am 17. 2.1990 (Dok. 11). Vgl. Information vom Bezirkssprechertreffen am 15. 2.1990 (UB. Grohedo, 4.1.8).

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Am 3. März folgte das erste Landesforum.163 Auch im Statut des Neuen Forums auf Ebene der DDR hieß es, das Neue Forum untergliedere sich in Basisgruppen, Regionalorganisationen, Landesorganisationen und die Republikorganisation.164 Am 20. Januar konstituierte sich in Karl-Marx-Stadt die Deutsche Forumpartei (DFP), Bezirk Karl-Marx-Stadt, als Teil des Landesverbandes Sachsen. Am 27. Januar folgte ebenfalls in Karl-Marx-Stadt die DDR-Gründung der DFP.165 Im März beschlossen die Vorstände der DFP Leipzig, Dresden und KarlMarx-Stadt die Gründung eines Landesverbandes Sachsen. Der bisher schon amtierende Landesvorstand wurde bestätigt.166 Die „Freie Demokratische Partei“ (FDP) gründete im Februar einen Landesverband Sachsen. DDR-weit entstanden im Februar FDP-Landesverbände nach dem Vorbild der Länder bis 1952 (plus Berlin) sowie ein Länderrat.167 Es folgte am 10. Mai in Chemnitz die Bildung des Landesverbandes Sachsen der Grünen Partei.168 Neben den Parteien bildeten auch Organisationen und Verbände Landesstrukturen. Dies war sowohl bei Altorganisationen der DDR, genuinen OstNeuschöpfungen, als auch bei importierten westdeutschen Organisationen der Fall. Am 6. Januar gründete sich in Leipzig der „Bund stalinistischer Verfolgter“. Das Kontaktbüro des „Landesverbandes Sachsen“ befand sich in KarlMarx-Stadt.169 Am 7. Februar wurde der Einzelhandelsverband Sachsen gegründet.170 Der „Bund Umwelt- und Naturschutz Sachsen“ veröffentlichte am 12. Februar seinen Gründungsaufruf.171 Die Bezirksvorstände der VdgB Dresden, Karl-Marx-Stadt und Leipzig informierten am 19. Februar über die Bildung eines Sächsischen Bauernverbandes, dessen erster Landesbauerntag im Mai 1990 stattfand.172 Am selben Tag konstituierte sich ein sächsischer Landesverband des Mieterbundes.173 Wenig später kündigten auch die Vermieter die Bildung eines Landesverbandes an.174 Am 24./25. Februar gründete sich in

163 Protokoll des 1. Landesforums Sachsen am 3. 3.1990 (ABL, H XIX) (UB. Grohedo, 4.1.1.3). 164 Statut des Neuen Forums, Berlin, o. D. (UB. Grohedo, 4.1.1). 165 DFP, LV Sachsen: DFP eine Partei der Mitte [Flugschrift, März 1990] (PB Silke Naumann). Vgl. Bochmann, Strukturen, S. 39 f. Vgl. Marcowitz, Der schwierige Weg, S. 47. 166 Vgl. Sächsisches Tageblatt vom 13. 3.1990. 167 Ergebnisprotokoll der Sitzung des Länderrates der FDP vom 26. 2.1990 (ADL, L1–39). Vgl. Wahlkampfziele des LV Sachsen der FDP (SLUB, 1 D 145 Mappe Bündnis 90); Protokoll über die 1. Tagung der AG Satzung des Vereinigungsausschusses der FDP der BRD, des BFD, der DFP sowie der FDP in der DDR am 2. und 3. 5.1990 in Berlin (ADL, L1–40). Vgl. FAZ vom 8. 2.1990; Sächsisches Tageblatt vom 28. 5.1990; Marcowitz, Der schwierige Weg, S. 55–58. 168 Vgl. Sächsisches Tageblatt vom 18. 6.1990. 169 Vgl. ebd. vom 22. 2.1990. 170 Vgl. Die Union vom 14. 2.1990. 171 Vgl. Sächsisches Tageblatt vom 17./18. 2.1990. 172 Bezirksvorstand Dresden der VdgB an den Präsidenten des BT Dresden, Manfred Rentsch vom 19. 2.1990 (SächsHStA, BT/RdB, 46123, Bl. 196 f.). 173 Vgl. Die Union vom 19. 2.1990. 174 Vgl. ebd. vom 24./25. 2.1990.

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Leipzig der Landesverband Sachsen des Unternehmerverbandes der DDR.175 Am 26. Februar folgte die Gründungsversammlung des Landesverbandes Sächsischer Mietervereine.176 Bis März bildeten verschiedene berufsständige Vertretungen (Kammern, Innungen, Verbände) Landesverbände, die an den Territorialbestand von 1952 anknüpften. Am 3./4. März gründete sich in Leipzig der „Hartmannbund Landesverband Sachsen“.177 Am 4./5. März veröffentlichten Heinrich Magirius, Karlheinz Blaschke und Karlheinz Eichler den Aufruf zur Neugründung des Landesvereins Sächsischer Heimatschutz. Am 7. April 1990 fand dessen erste Hauptversammlung in Dresden statt. Den Vorsitz übernahm Matthias Griebel, Stellvertreter wurden Karlheinz Blaschke und Gerhart Pasch. Der Verein knüpfte an die frühere Arbeit in der Zeit von 1908 bis 1945 an.178 Am 11. März gründete sich der „Sachsenbund“, in dem die „Sachsenpartei“ aufging,179 nachdem am 22. Januar ein Gründungsausschuss der Sachsenpartei (SP) allen Mitgliedern und Sympathisanten den Übertritt in den Sachsenbund empfohlen hatte.180 Am 20. März konstituierte sich ein Initiativkomitee zur Gründung eines „Landkreistages der DDR“ in Moritzburg.181 Am 26. März wurde die „Landesverkehrswacht Sachsen“ gegründet, in der sich die Polizei-Bezirksämter von Dresden, Karl-Marx-Stadt und Leipzig zusammenschlossen.182 Ebenfalls im März bildete sich ein „Landeskuratorium Unteilbares Deutschland Sachsen“.183 Dem Rat des Bezirkes Dresden lagen Mitte März Unterlagen zur Gründung des „Sächsischen Landesverbandes Tanz“, des „Sächsischen Bergsteigerbundes“, der „Verbraucherzentrale Sachsen“, der „Gesellschaft zur Förderung der Sächsischen Gastronomie“, des „Verbandes Sächsischer Schafzüchter“, des „Sächsischen Bildungsvereins für Kunst und Kultur“ und des „Verbandes Sächsischer Carneval“ vor.184 Nach einem Aufruf vom März185 wurde auf Initiative der drei Räte der Bezirke186 am 1. April in Dresden der „Sächsische Städ175 Vgl. Sächsisches Tageblatt vom 26. 2.1990. Nach Henneberger, Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände, S. 129 u. 133 konstituierte sich der Verband bereits am 27. Januar in Chemnitz. 176 Vgl. 15. Sitzung des ZRT am 5. 3.1990: Information 15/3 (BArch B, DA 3, 96, Bl. 89). 177 Vgl. Sächsisches Tageblatt vom 6. 3.1990. 178 Landesverein Sächsischer Heimatschutz e. V. (MAO, Schriftverkehr Länderzugehörigkeit bis 1990, I). 179 Vgl. Sächsisches Tageblatt vom 5. 2.1990. 180 Sachsenpartei wird Sachsenbund. Überparteilicher Verband der Sachsen, Dresden am 22.1.1990 (MAO, Schriftverkehr Länderzugehörigkeit bis 1990, I). 181 Jürgen Neumann an Sabine Bergmann-Pohl vom 23. 5.1990 (BArch B, DO 5, 46). 182 Vgl. Sächsisches Tageblatt vom 30. 3.1990. 183 Landeskuratorium Unteilbares Deutschland Sachsen: Pressemitteilung, o. D. (HAIT, KA, VII.2). 184 RdB Dresden, Abt. Innere Angelegenheiten, an das Kreisgericht Dresden-Mitte vom 14. 3.1990: Übergabe von Unterlagen zur Gründung von Vereinigungen (SächsHStA, BT/RdB, 47693). 185 Sächsischer Städte- und Gemeindetag. Aufruf zur Gründung. Dresden, im März 1990 (PB Silke Naumann). 186 Information und Festlegungen des Vorsitzenden des RdB Dresden zur Umsetzung der Beratung zwischen den drei Vorsitzenden der RdB Sachsens am 9. 3.1990 (Dok. 19).

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te- und Gemeindetag“ gegründet. 284 der insgesamt 1 632 Städte und Gemeinden hatten spontan ihre Bereitschaft erklärt, dem Verband beizutreten.187 Als Ziele nannten die Gründer die Pflege des Selbstverwaltungsgedankens sowie der Verwirklichung und Wahrung des Rechts auf kommunale Selbstverwaltung im Land Sachsen.188 Der Verband gab an, eine selbstverwaltete Kommunalpolitik auf der Basis der Mitbestimmung von Städten und Gemeinden bei Kreisbzw. Landtagsentscheidungen ermöglichen zu wollen. Mitglied konnte jede Gemeinde oder Stadt innerhalb des sächsischen Territoriums werden.189 Bereits am 17. Februar waren etwa 60 Bürgermeister und Kommunaltätige zur Konstituierung eines Ausschusses zusammengekommen, der die Gründung vorbereitete.190 Dem Gründungsvorstand gehörten Detlef Dix und als amtierender Geschäftsleiter Richard Franz an. Bei der Wahl des Vorstandes Ende September 1990 wurde Landrat Reinhard Geistlinger zum Präsidenten und Eduard Bahsler zum Geschäftsführenden Präsidialmitglied gewählt.191 Anfang April berichtete die Presse, in Sachsen gebe es keine FDJ-Bezirksleitung mehr. Die derzeit 1 500 eingeschriebenen Mitglieder im Bezirk Dresden würden sich in einem zukünftigen Landesverband Sachsen Ende April organisieren.192 Am 21. April gründete sich in Karl-Marx-Stadt schließlich der „Sächsische Bauernverband“ als erster Landesbauernverband der DDR,193 am 2. Mai folgte mit bayerischer Unterstützung in Dresden die Bildung des „Verbandes der Sächsischen Metall- und Elektroindustrie“,194 und am 19. Mai die des Landesverbandes Sachsen der Berufssoldaten der DDR e. V.195 Nicht nur Parteien, Verbände und Organisationen schufen vollendete Tatsachen. Hörfunk und Fernsehen riefen Anfang des Jahres Länderspiegel ins Leben, Landesrundfunkanstalten und Landesuniversitäten wurden geplant, in Zeitungen und Zeitschriften erschienen immer mehr Länderseiten.196 Im März erschien auf Initiative der Gruppe der 20 mit westlicher Unterstützung die erste Ausgabe des „Sachsenspiegels“.197 Die Bevölkerung wartete nicht auf eine Länderbildung von oben. In Sachsen wie in anderen Regionen wurde sie selbst aktiv und sorgte für eine lebendige, in der Gesellschaft verankerte Bildung des Landes.

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FAZ vom 3. 4.1990. Vgl. Sächsisches Tageblatt vom 3. 4.1990. Vgl. ebd. vom 21. 3.1990. Vgl. ebd. vom 28. 3.1990. BArch B, DO 5, 55. Vgl. Sächsisches Tageblatt vom 4. 4.1990. Vgl. ebd. vom 23. 4.1990. Henneberger, Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände, S. 131. Vgl. Freie Presse, Ausgabe Marienberg, vom 31. 5.1990. Vgl. Lapp, Die DDR geht, S. 7. Vgl. Wagner, 20 gegen die SED, S. 165–171.

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Auseinandersetzungen um die Landesbildung

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Auseinandersetzungen um die Landesbildung bis zur Wahl am 18. März 1990

3.2.1 Verwaltungsreform der Regierung Modrow im Dezember 1989 Nach dem Rücktritt der Stoph-Regierung und dem Fall der Mauer hatte der als Reformkommunist geltende Erste Sekretär der SED-Bezirksleitung Dresden, Hans Modrow, die Amtsgeschäfte des durch den Machtverlust der Staatspartei aufgewerteten Ministerrates übernommen. Sein Nachfolger in Dresden wurde Hansjoachim Hahn. Von Modrow war bekannt, dass er für eine Verschlankung und Modernisierung des Staatsapparates plädierte. Unter seinem Einfluss hatte der Rat des Bezirkes Dresden bereits am 1. November Vorschläge zur Veränderung der staatlichen Leitungstätigkeit unterbreitet. Danach bedurfte die Planung in den Bezirken, Kreisen, Städten und Gemeinden einer „grundsätzlichen Neugestaltung mit dem Ziel, die Autorität der örtlichen Volksvertretungen im Planungsprozess bedeutend zu stärken, die Entscheidungsrechte entsprechend ihrer Verantwortung für die komplexe ökonomische und soziale Entwicklung im Territorium zu erhöhen und bürokratische Auswüchse im System der Planung und Abrechnung zu beseitigen“.198 Nun kündigte Modrow in seiner Regierungserklärung eine „demokratische Erneuerung des gesamten öffentlichen Lebens“ an.199 Ziel seiner Regierung war eine „neue sozialistische Gesellschaft“. Wesentliche Grundlagen des bisherigen Regimes wie die Planwirtschaft sollten beibehalten, in diesem Rahmen jedoch Meinungs-, Versammlungs - und Vereinigungsfreiheit sowie Rechtssicherheit gewährleistet werden. Wie alle Protagonisten eines demokratischen Sozialismus blieb Modrow Erklärungen schuldig, wie er Demokratie und Sozialismus bei einer Bevölkerung verbinden wollte, die nach vierzig Jahren diktatorischer Bevormundung strikt gegen neue Modelle einer sozialistischen Ordnung eingestellt war. Mit der Bundesrepublik wünschte Modrow eine „Vertragsgemeinschaft“, die „weit über den Grundlagenvertrag und die bislang geschlossenen Verträge und Abkommen beider Staaten hinaus“ gehen sollte. Deutlich sprach er sich für den Erhalt der Staatlichkeit der DDR und gegen eine Wiedervereinigung aus. Von Länderbildung war keine Rede. Modrow konzentrierte sich auf die „Frage der Wirksamkeit der gegenwärtigen politischterritorialen Gliederung des Staatsaufbaus in Kreise, Stadtkreise, Stadtbezirke, Städte und Gemeinden“. Am 23. November traf der Ministerrat grundsätzliche Entscheidungen zur Vorbereitung und Durchführung einer Verwaltungsreform, als deren Schwerpunkte die Erhöhung der Eigenständigkeit von Kreisen und Kommunen, Betrieben und anderen Einrichtungen sowie die Beseitigung von Doppelarbeit in den Verwaltungsorganen genannt wurden. Die Länderbildung

198 Vorschläge des RdB Dresden an den Ministerrat der DDR zur Veränderung der staatlichen Leitungstätigkeit vom 1.11.1989 (SächsHStA, BT/RdB, 46149, Bl. 234–242). 199 Volkskammer der DDR, 9. Wahlperiode, 12. Tagung am 17./18.11.1989, S. 272.

Verwaltungsreform der Regierung Modrow

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war auch hier kein Thema,200 wenngleich die Regierung offenbar bereits Möglichkeiten einer Wiederherstellung der Länder sondierte. So erklärte ein Regierungsvertreter gegenüber der Illustrierten „Stern“, man wolle sich der bundesdeutschen Verwaltungsstruktur angleichen, daher sei eine Wiederbelebung der Länderkammer nicht auszuschließen.201 Am selben Tag informierte Modrow die Vorsitzenden der Räte der Bezirke über die geplante Reform. Die Ratsvorsitzenden wurden instruiert, nach dem Vorbild des Ministerrates, den Modrow in seiner Regierungserklärung als „eine Regierung der Koalition, eines neuverstandenen kreativen politischen Bündnisses“ bezeichnete, Koalitionsregierungen zu bilden.202 Bereits am 15. November hatte der Erste Stellvertreter des Ministerpräsidenten, Günter Kleiber, den Vorsitzenden der Räte der Bezirke erklärt, bei der Vorbereitung der Verwaltungsreform dürfe nicht „anarchisch“ und „auf eigene Faust“ vorgegangen werden.203 In Sachen Länderbildung wurde Modrow zunächst nicht von der Räten der Bezirke, wohl aber von den Partnern seiner ungleichen „Koalitionsregierung“ unter Druck gesetzt. Angesichts der allgemeinen Forderungen nach Wiedervereinigung und Föderalisierung auf den Demonstrationen, versuchten sich als erste NDPD und CDU entsprechend zu profilieren. Bereits in der Aussprache zur Regierungserklärung Modrows machten die NDPD- und CDU-Vorsitzenden Günter Hartmann und Lothar de Maizière der Volkskammer den Vorschlag, über die Wiedergründung von Ländern nachzudenken. Am 9. Dezember sprach sich Hartmann für die Schaffung von Ländern, „freien Städten“ sowie einer Länderkammer aus.204 Ziel war zu diesem Zeitpunkt eine Länderstruktur auf der Grundlage eines „demokratischen, zutiefst menschlichen Sozialismus“.205 Am 18. Dezember konstituierte sich unter Leitung der NDPD-Bezirksvorsitzenden von Karl-Marx-Stadt, Dresden und Leipzig, Karl Blau, Christian Schmidt und Siegfried Krause, ein Initiativausschuss zur Gründung des Landes Sachsen, dessen erklärte Ziele die Bildung einer Länderkammer, Veränderungen der administrativen Strukturen, ein Volksentscheid über die Bildung Sachsens mit Landtag in Dresden, die Rückbenennung von Karl-Marx-Stadt in Chemnitz und 200 Vorsitzender des RdB Erfurt vom 7.12.1989: Aufgaben im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Durchführung der Verwaltungsreform im Verantwortungsbereich des RdB (ThHStA, BT/RdB, 046246). 201 Vgl. Pragal, Peter: „... und Sachsen wäre wieder da.“ In: Stern vom 23.11.1989. 202 Beratung des Ministerrates der DDR mit den Vorsitzenden der RdB am 22.11.1989, Ausführungen Hans Modrows, Mitschrift von Herbert Tzschoppe (Brandenburg. LHA, A/3274); Beschlussprotokoll der 102. Sitzung des RdB Erfurt am 24.11.1989 (ThHStA, BT/RdB, 041288). 203 RdB KMS, 1. Stellvertreter des Vorsitzenden: Aktennotiz über eine Beratung bei Günter Kleiber am 15.1.89 (SächsStC, BT/RdB, 128707). 204 Interview Günter Hartmann. In: Brandenburgische Neueste Nachrichten vom 9./10.12. 1990. Vgl. „Weniger Administration und Zentralisation. Vorschläge der Kommission Kommunalpolitik für die Ausgestaltung einer sozialen Kommunalpolitik.“ In: National Zeitung vom 14.12.1989. 205 Was die NDPD will [Flugschrift] (HAIT, Plakate und Flugschriften der friedlichen Revolution).

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Auseinandersetzungen um die Landesbildung

die Bildung von Regierungsbezirken waren.206 Im NDPD-Wahlprogramm vom 1. Januar votierte die Partei für einen Bund zweier unabhängiger Staaten deutscher Nation mit unterschiedlichen sozialen Ordnungen, die Wiederherstellung der Länder sowie die Selbstverwaltung der Städte und Gemeinden.207 Immer wieder fand die Problematik auch in der „National Zeitung“ ihren Niederschlag.208 Am 24. November regte erstmals auch das CDU-Blatt „Neue Zeit“ an, „im Interesse der Rationalisierung auf allen Gebieten wie auch zur Ausprägung des Heimatbewusstseins“ sowie unter dem Aspekt einer Vertragsgemeinschaft mit der Bundesrepublik über die Wiedereinführung der Länder nachzudenken.209 In ihren „Grundsätzen für das Programm der CDU“ von Mitte Dezember hieß es, die CDU trete ein „für Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit, die unter Auflösung der Bezirke die bis 1952 vorhandenen Länder wiederherstellt“.210 Neben einer Länderkammer wurden territoriale Strukturen gefordert, die Heimatbewusstsein und demokratische Selbstständigkeit gegenüber zentralen Organen fördern.211 Auch die LDPD in Leipzig verteilte bereits am 24. November Flugblätter, auf denen sie sich für die Wiederherstellung der Länder einsetzte.212 Die LDPD auf DDR-Ebene favorisierte die Länderbildung seit Dezember.213 Am 18. Januar setzte sich der LDPD-Kreisvorstand Dresden dafür ein, dass das Land Sachsen als selbständiges Verwaltungsgebiet wieder hergestellt und Dresden Landeshauptstadt wird.214 Länger brauchte die DBD, die sich auf einem außerordentlichen Parteitag am 27./28. Januar für die Schaffung der deutschen Einheit und die Wiederherstellung der Länder aussprach.215 Aus eigenem Antrieb, aber auch wegen der Haltung seiner Regierungspartner, die sich nicht nur in Sachen Länderbildung profilierten, setzte Modrow eine 206 Fernschreiben des NDPD-Bezirksverbandes an den Rechtsausschuss der Volkskammer vom 18.12.1989 (BArch B, DO 5, 142). Vgl. Länderreform, Notiz von Erich Iltgen, o. D. (HAIT, Iltgen, 1); Sächsische Neueste Nachrichten vom 19.12.1989; Freie Presse, Ausgabe Brand-Erbisdorf, vom 21.12.1989. 207 Vgl. Fischbach, DDR-Almanach, S. 317. 208 Vgl. „Fünf Länder der DDR – wie sie waren und woher sie kamen, Tatsachen und Überlegungen zu einem NDPD-Vorschlag.“ In: National Zeitung vom 18.1.1990. 209 Dietrich Schulz, „Warum eigentlich keine Gliederung in Länder?“ In: Neue Zeit vom 24.11.1989. Vgl. „Positionen der CDU zu Gegenwart und Zukunft.“ In: Thüringer Tageblatt vom 28.11.1989. 210 Geschäftsstelle des Parteivorstandes der CDU (Hg.): Grundsätze für das Programm der CDU, S. 5. Vgl. „Wir sind für die alte Länderstruktur.“ In: Neue Zeit vom 16./17.12. 1989. 211 Erneuerung und Zukunft. Positionen vom CDU-Sonderparteitag am 15. und 16.12. 1989 in Berlin (ACDP, VII-011–3911) 212 Interview Johannes Richter. Text in: Rein, Die Opposition, S. 185. 213 „Leitsätze liberaldemokratischer Politik heute, Positionen der LDPD im Prozess der demokratischen Erneuerung unseres Landes.“ In: Der Morgen, Sonderausgabe vom 12.12.1989. 214 Vgl. Sächsisches Tageblatt vom 18.1.1990. 215 „DBD-Parteitag: Keine weitere Zusammenarbeit mehr mit SED.“ In: Informationen des BMB 3 vom 9. 2.1990.

Verwaltungsreform der Regierung Modrow

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„Regierungskommission zur Vorbereitung und Durchführung der Verwaltungsreform“ ein, die am 11. Dezember erste „Grundsätze und Maßnahmen“ vorlegte. Erstmals war hier regierungsoffiziell von Länderbildung die Rede. Nach den Vorschlägen lag die Verantwortung dafür bei den vorhandenen staatlichen Organen; von einer Einbeziehung neuer politischer Kräfte war keine Rede. Allerdings war das Bemühen um eine Demokratisierung, mehr Eigenverantwortung der staatlichen Gremien und eine Stärkung der Kommunen auf sozialistischer Grundlage unverkennbar. Teilweise konnten sich die Experten auf Vorarbeiten aus den achtziger Jahren stützen. Unter den DDR-Staatswissenschaftlern hatte es seinerzeit Meinungsunterschiede und Diskussionen über eine Verwaltungsreform gegeben, die freilich die Diktatur nie in Frage gestellt hatten.216 Überflüssige Leitungen im Staatsaufbau sollten nun abgebaut und dabei die Zweckmäßigkeit der Neubildung von Ländern geprüft werden. Die Kommission empfahl die Vorbereitung eines Gesetzes über eine Veränderung des Staatsaufbaus bis 1991.217 Der stellvertretende sowjetische Botschafter notierte am 12. Dezember, dass seitens der Regierung die Wiederherstellung von Ländern entworfen werde.218 Nun intensivierte sich innerhalb der SED im Staatsapparat die Diskussion um die Zweckmäßigkeit einer Wiedereinführung der Länder. Weniger unter den Mitgliedern, wohl aber im Apparat stieß die Idee zunächst auf Ablehnung. „Es gab“, so Vaatz, „massiven Widerstand aus allen Ecken des etablierten Verwaltungsapparates gegen die Wiederherstellung der Länder. Das ging in der Stadt los, setzte sich über den Runden Tisch des Bezirkes fort und quoll überdeutlich aus den Bezirksverwaltungen heraus.“219 Am 13. Dezember sprach sich Professor Rudolf Krönert vom Institut für Geographie und Geoökologie der Akademie der Wissenschaften entschieden dagegen aus, die Bezirksstruktur zugunsten von Ländern aufzugeben.220 Aber es gab auch in der SED andere Stimmen. So plädierte der Dresdner Oberbürgermeister, Wolfgang Berghofer, der durch seine Gespräche mit der Gruppe der 20 weit über die Grenzen Dresdens hinaus bekannt geworden war,221 bereits am 24. November für die Wiedereinführung der Länder und eine Stärkung der in Sachsen ungebrochenen regionalen Identität.222 Auf dem Sonderparteitag der SED unterstützte Gregor Gysi Mitte Dezember eine Wiedereinführung der Länder, die Apparate abbaue, für Verwurzelung der Menschen in der DDR sorge, Verantwortung tei-

216 Vgl. Pohl, Entwicklung des Verwaltungsrechts, S. 239 f.; Schulze, Staat und Verwaltung, S. 322 f. 217 Regierungskommission zur Vorbereitung und Durchführung der Verwaltungsreform: Grundsätze und Maßnahmen zur Durchführung einer Verwaltungsreform in der DDR sowie Vorschläge zur Rang- und Reihenfolge ihrer rechtlichen Ausgestaltung, Entwurf vom 11.12.1989 (BArch B, DO 5, 134). 218 Vgl. Maximytschew, Vom Mauerfall bis Archys, S. 34. 219 Interview Arnold Vaatz am 9. 6.1999. 220 Rudolf Krönert an Hans Modrow vom 13.12.1989 (BArch B, DO 5, 142). 221 Vgl. Richter/Sobeslavsky, Gruppe der 20, S. 66–72. 222 Notiz: Länderreform (HAIT, Iltgen, 1). Vgl. dpa vom 28.11.1989.

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le und zu mehr Demokratie in den Kommunen führe. Die SED sollte diese Frage gründlich diskutieren und nicht von vornherein verwerfen.223 Am 15. Dezember erläuterte Modrow den Vorsitzenden der Räte der Bezirke die Ziele der Verwaltungsreform und informierte über die Konstituierung der Regierungskommission am 18. Dezember. Es gehe darum, die Verwaltung demokratischer zu gestalten und den Verwaltungsaufwand zu senken. Prämissen der künftigen Arbeit seien die kommunale Selbstverwaltung, eine Veränderung der territorialen Planung sowie die Schaffung von „Strukturen, die kollektive Leitung festigen, Verantwortung der Ratsmitglieder ausprägen und Doppelarbeit beseitigen“. Bei der Besprechung sah sich Modrow erstmals auch seitens der Ratsvorsitzenden mit Forderungen zur Bildung von Landesregierungen konfrontiert. Den SED-Bezirksbürokraten dämmerte, in welche Richtung die Entwicklung gehen könnte, und so versuchten sie nun, sich durch die Überleitung der Staatsapparate auf Bezirksebene in die neuen Länderverwaltungen ihren Einfluss auf den weiteren Verlauf der Dinge zu sichern.224 Der Ratsvorsitzende von Karl-Marx-Stadt forderte zur Vorbereitung der Bildung Sachsens eine baldige Zusammenkunft mit seinen Kollegen aus Leipzig und Dresden.225 Die Sorgen um die Zukunft der Bezirksapparate formulierte der Leipziger Ratsvorsitzende. Unter den Mitarbeitern des Staatsapparates sei durch die angekündigte, aber bisher nicht klar definierte Verwaltungsreform Unruhe eingetreten, weil Entlassungen wie im Übrigen Partei- und Staatsapparat befürchtet würden.226 In Dresden beauftragte der Bezirkstag den Rat des Bezirkes, ein eigenes Konzept für die demokratische Erneuerung auszuarbeiten.227 Noch im Dezember legte der Rat Grundsätze zur Verwaltungsreform vor, die „von unten nach oben in einem einheitlichen Rahmen, z. B. Gemeinde/Stadt – Kreis – Bezirke/Länder – Republik“ durchgeführt werden und historisch gewachsene Strukturen und die Identifikation der Bürger mit dem Territorium beachten sollte. Erstmals wurden die Bezirke als „Übergangsform zur Bildung einer Landesregierung mit wesentlich vereinfachter Struktur und reduziertem Mitarbeiterbestand“ bezeichnet.228 Die Vorschläge gingen, wie alle entsprechenden Aktivitäten von Räten der Bezirke, grundsätzlich von der Kontinuität der Verwaltung und des Mitarbeiterstammes aus. Auf Grundlage der neuen Orientierung des Rates wurden noch im Dezember in einzelnen Vorschlägen der Abteilungen Überlegungen

223 Zit. in Märkische Volksstimme vom 19.12.1989. 224 Vgl. Jestaedt, Zur Geschichte des Sächsischen Staats- und Verwaltungsrechts, S. 39 f. 225 RdB Dresden: Information zur Beratung Modrows mit den Vorsitzenden der RdB am 15.12.1989 (SächsHStA, BT/RdB, 46150). 226 Beschlussprotokoll der Sitzung des RdB Leipzig am 15.12.1989 (SächsStAL, BT/RdB, 22265). 227 Beschlussprotokoll der 16. Tagung des BT Dresden am 14.12.1989 (SächsHStA, BT/ RdB, 46070). 228 RdB Dresden: Arbeitsgrundlage für die Vorbereitung von Maßnahmen zur Verwaltungsreform im Bezirk Dresden, o. D. (ebd., 46150).

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hinsichtlich einer Länderstruktur bzw. Landesgesetzgebung angestellt.229 In Leipzig verharrten zu diesem Zeitpunkt Arbeitsaufträge des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes, Joachim Draber, an die Ratsmitglieder „zur Vorbereitung und Durchführung der Verwaltungsreform im Verantwortungsbereich des Rates des Bezirkes“230 noch „in den Planungs-, Kontroll- und Berechnungsmodellen der staatlichen und wirtschaftleitenden Verwaltungsstrukturen“.231 Damit übernahm der Rat des Bezirkes Dresden hinsichtlich der Länderbildung DDRweit eine Vorreiterrolle. Treibende Kraft war hier der Stellvertreter des Vorsitzenden für Kultur, Klaus Schumann, später Leiter der Arbeitsgruppe des Rates für Länderbildung. Die Staatsfunktionäre im Rat des Bezirkes hatten den Trend zur Länderbildung erkannt und „sahen darin eine Chance, ihre Macht, die ja in Berlin zunehmend zu bröckeln begann, auf dieser Ebene zu festigen und zu sichern“.232 Das bestätigte im Nachhinein Heidrun Lotze, damals Mitarbeiterin beim Rat des Bezirkes. Sie habe im Dezember miterlebt „wie der Rat des Bezirkes die Straße beobachtet und darauf reagiert hat und sich mit inneren eigenen Maßnahmen des Aufgreifens der Idee Land Sachsen bereits im Dezember begonnen hat zu beschäftigen“. Der Rat des Bezirkes begann, „mit einem eigenen Arbeitsstab Verwaltungsstrukturen für die Zukunft zu entwickeln, wo jeder sein Pöstchen suchte“ und „sich einbaute“.233 Aber nicht nur in Berlin bröckelte der Staatsapparat. Überall wurden Partei und Staatsfunktionäre von der aufgebrachten Bevölkerung zum Rücktritt gezwungen. Bis zum 14. Dezember waren bereits vier Vorsitzende der Räte der Bezirke, etwa fünfzig Vorsitzende der Räte der Kreise und zehn Oberbürgermeister größerer Städte zurückgetreten. Vor allem im Bezirk Karl-Marx-Stadt, wo am 21. Dezember erstmals ein Runder Tisch des Bezirkes zusammentrat,234 stellte die Regierung „verstärkt Erscheinungen von Anarchie“ fest. Staatliche Entscheidungen würden in Frage gestellt und Gesetze missachtet.235 Ratsvorsitzender Fichtner erklärte am 20. Dezember, es gelte der „krisenhaften und teilweise anarchischen Entwicklung“ Herr zu werden. Zurückzuweisen seien vor allem „Erscheinungen der Gewaltandrohung, des Neofaschismus und Antikommunismus“ sowie Forderungen nach Wiedervereinigung.236 In Leipzig wurde 229 RdB Dresden, Abteilung Wismutangelegenheiten/Sektor Bergbau: Gegenwärtig dringende Aufgaben der Staatsorgane auf dem Gebiet des Bergbaus vom 20.12.1989 (HAIT, KA, 55). 230 Beschlüsse des BT Leipzig vom 21.12.1989 zur Abberufung von Rolf Opitz und zur Wahl von Joachim Draber als Vorsitzender des Rates des Bezirkes. Zit. in Welzel, Verwaltung und Management, S. 148. 231 Ebd. 232 Steffen Heitmann. In: Reden zum 4. Jahrestag der Gründung des Koordinierungsausschusses, S. 23. 233 Heidrun Lotze beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 234 Protokoll des RTB KMS am 21.12.1989 (PB Wolf-Dieter Beyer). 235 Sekretariat des Ministerrates der DDR, Informationszentrum: Einschätzung der Lage in den Bezirken am 15.12.1989 (BStU, ZA ZKG, 127, Bl. 184). 236 Bericht des Vorsitzenden des RdB KMS an die 16. Tagung des BT für den Zeitraum 31.10.–20.12.1989 (SächsStAC, BT/RdB, 126369).

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am 15. Dezember der Vorsitzende des Rates des Bezirkes Leipzig, Rolf Opitz, verhaftet. Einen Tag zuvor hatte der Leipziger Bezirkstag ein Aktionsprogramm beraten, wobei die Fraktionen von CDU und LDPD forderten, inaktive Abgeordnete und Nachfolgekandidaten aus dem Bezirkstag abzuberufen und durch Vertreter der neuen Parteien und Gruppierungen zu ersetzen. Die SED wies die Forderung wegen fehlender gesetzlicher Grundlagen zurück. Allerdings konnte sie eine Abstimmung nicht verhindern, bei der der Vorschlag mit 83 gegen 64 Stimmen bei 4 Enthaltungen angenommen wurde. Die SED in Leipzig „befürchtete“ durch diese Demokratisierung des Bezirkstages eine „Kettenreaktion“ seitens der örtlichen Volksvertretungen, statt sie, wie zum Beispiel in Halle, zu begrüßen.237 In Dresden wurde Ratsvorsitzender Günter Witteck auf der 16. Tagung des Bezirkstages am 14. Dezember abberufen und durch Professor Wolfgang Sieber ersetzt. Bereits zu diesem Zeitpunkt sprach sich Karl-Ernst Militzer (NDPD) dafür aus, Kontakte zu den Räten der Bezirke Karl-Marx-Stadt und Leipzig aufzunehmen, um sich gemeinsam auf die Verwaltungsreform einzustellen.238 Auf einer Beratung des Ministerrates mit den Vorsitzenden der Räte der Bezirke am 14. Dezember wies Moreth darauf hin, dass den örtlichen Räten immer mehr die Legitimation abgesprochen werde, wodurch deren Handlungsfähigkeit gefährdet sei. Zu viele Räte verharrten noch in alten Strukturen. Es gelte jetzt, die Arbeit der Runden Tische zu unterstützen, um die Arbeit der staatlichen Leitung auf allen Ebenen zu gewährleisten. Moreth forderte die Ratsvorsitzenden auf, die Bürgerkomitees als „ernsthafte Partner“ in die Verantwortung zu nehmen und in die Arbeit einzubeziehen. Auf Kreis- und Gemeindeebene sei eine „Sicherheitspartnerschaft“ zwischen Bürgerkomitees und staatlichen Organen anzustreben.239 Ziel der Modrowschen Politik in dieser Phase war die Erhaltung der staatlichen Strukturen unter dem Einfluss seiner Regierung. Am 14. Dezember erklärte er: „Bestimmte Kräfte wollen uns lahm legen [...] wir müssen handeln, wir dürfen uns nicht selber aufgeben, op. Arbeit so gestalten, dass wir alles weiter zusammenhalten.“240 Am 18. Dezember konstituierte sich, wie angekündigt, die Regierungskommission unter Leitung von Modrows Stellvertreter für örtliche Staatsorgane, Peter Moreth (LDPD). Ihn vertraten die Stellvertreter des Ministers für Innere Ange237 Fernschreiben des Vorsitzenden des RdB Leipzig, Draber, an Modrow, den Präsidenten der Volkskammer, Günther Maleuda, und den Vorsitzenden des Staatsrates, Manfred Gerlach, o. D. (SächsStAL, BT/RdB, 38212). 238 Beschlussprotokoll der 16. Tagung des BT Dresden vom 14.12.1989 (SächsHStA, BT/ RdB, 46070). Vgl. Die Union vom 16./17.12.1989. 239 Ausführungen von Peter Moreth auf der Beratung des Ministerrates der DDR mit den Vorsitzenden der RdB am 14.12.1989, Mitschrift Herbert Tzschoppe (Brandenburg. LHA, A/3274). Vgl. Protokoll der Beratung des RdB Schwerin mit dem OB der Stadt Schwerin und den Vorsitzenden der RdK am 15.12.1989 (MLHA, BT/RdB, Z 22/91 (2) B/49). 240 Ausführungen Modrows auf der Beratung des Ministerrates der DDR mit den Vorsitzenden der RdB am 14.12.1989, Mitschrift Herbert Tzschoppe (Brandenburg. LHA, A / 3274).

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legenheiten, Generalleutnant Egon Grüning, und des Justizministers, Wolfgang Peller. Sekretär wurde Rainer Dudek. Die Kommission bildete eine „Arbeitsgruppe administrativ-territoriale Gliederung“ unter Leitung des Rostocker Oberbürgermeisters Hennig Schleiff.241 Einen Tag später besuchte Bundeskanzler Kohl Dresden und sprach vor etwa hunderttausend Menschen an der Ruine der Frauenkirche. Er dankte der Bevölkerung für die friedliche Revolution. Sein Ziel bleibe die Einheit der Nation, die erreichbar sei, wenn man gemeinsam dafür arbeite.242 Kohl und Modrow vereinbarten in Dresden einen Vertrag über Zusammenarbeit und gute Nachbarschaft mit dem Ziel der Entwicklung einer Vertragsgemeinschaft.243 Aus Modrows Sicht diente diese der Konsolidierung einer demokratisch-sozialistischen DDR um den Preis westlicher Öffnung. Nach dem Vorbild eines Staatenbundes sollten gemeinsame Institutionen dafür als eine lockere Klammer dienen.244 Kohl griff Modrows Vorschlag auf, gab dem Konzept jedoch die Dimension einer schrittweisen Wiedervereinigung. Nach dem Kohl-Besuch weiteten sich die Forderungen nach Länderbildung auch in den Parteien immer mehr aus. Dies schlug sich bis Ende Dezember in vielfältigen Positionspapieren, Leitsätzen, Wahlprogrammen, Vorschlägen von Kommissionen zur Kommunalpolitik sowie Berichten und Diskussionen von Sonderparteitagen nieder.245 Die Motive dabei waren oft konträr. Zielten die neuen Kräfte auf eine Zerschlagung des zentralistischen Systems, hofften viele Träger der bisherigen Diktatur, ihren Einfluss in die künftige politische Ordnung hinüberzuretten. Ähnlich war die Rollenverteilung bereits im „Dialog“ bis Ende Oktober gewesen, den beide Seiten für ihre politischen Ziele genutzt hatten. Die stärker werdenden Forderungen nach deutscher Einheit und Länderbildung sogar in der eigenen Regierung setzten Modrow unter Druck. Selbst das in einen Verfassungsschutz umgewandelte MfS246 empfahl der Modrow-Regierung nach der Weihnachtspause, zur Bildung von Länderparlamenten Stellung zu nehmen und sie nicht generell abzulehnen, da sonst Tatsachen vor Ort geschaffen würden. In der Bevölkerung meine man, „dass die SED-PDS die Gliederung nach Bezirken vorgenommen hat, um das Land besser beherrschen zu können“. Daher solle die Bildung von Länderparlamenten als „Endziel der Verwaltungsreform“ genannt werden.247 241 Zusammensetzung der Regierungskommission zur Vorbereitung und Durchführung der Verwaltungsreform (BArch B, DO 5, 134). 242 Text der Rede in: Wagner, Zwanzig gegen die SED, S. 114–118. 243 Vgl. Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 20. u. 22.12.1989. 244 Vgl. Beschluss des Ministerrates der DDR 7/2/89 vom 21.12.1989 zur konzeptionellen Orientierung zur Umsetzung der Regierungserklärung vom 17.11.1989 auf dem Gebiet der Außenpolitik im Prozess der Erneuerung des Sozialismus in der DDR (BArch B, DC 20, I/3–2883). 245 Vgl. Hajna, Länder, Bezirke, Länder, S. 184. 246 Vgl. Richter, Die Staatssicherheit im letzten Jahr der DDR, S. 110. 247 Sekretariat des Ministerrates der DDR, Informationszentrum: Einschätzung der Lage in den Bezirken am 27.12.1989 (BStU, ZKG, 128, Bl. 311).

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3.2.2 Proteste, Forderungen und die Krise der Staatlichkeit Anfang des Jahres 1990 Der Januar 1990 war von einer sprunghaften Zunahme revolutionärer Massendemonstrationen und Streiks gegen die SED-PDS und die Regierung Modrow geprägt, deren Kurs das Klima erkennbar umschlagen ließ. Statt eine wirkliche Zusammenarbeit mit den anderen politischen Kräften zu suchen, hatte die SEDPDS die bisherige Kooperation in der Regierung und am Zentralen Runden Tisch dazu genutzt, ihren Einfluss zu stabilisieren und Schritte in Richtung eines demokratisch-sozialistischen Regimes einzuleiten. Die Bereitwilligkeit der anderen politischen Kräfte erschöpfte sich nun schnell, und die Auseinandersetzungen mit der Regierung spitzten sich zu. Der erneut einsetzende Protest der Bevölkerung gegen den Kurs Modrows und die SED-PDS, deren neuer Namenszusatz als „Partei der Stasi“ übersetzt wurde, war für die weitere Entwicklung von zentraler Bedeutung. Die Proteste machten sich Anfang Januar vor allem an der vom Ministerrat „in nicht demokratischer Weise und unter Missachtung der Meinung großer Teile der Bevölkerung“ beschlossenen Zahlung von Übergangsgeldern an MfS-Mitarbeiter fest.248 Ebenso stieß eine Kampagne der SED-PDS von Anfang Januar, bei der Wiedervereinigungsbestrebungen mit rechtsradikalen Positionen gleichgesetzt wurden, auf den entschiedenen Widerstand von Demonstranten und Parteien. Beginnend mit der CDU sprachen sich ab dem 6. Januar sämtliche Parteien gegen eine Zusammenarbeit mit der SED-PDS nach den ersten freien Wahlen aus. Das war eine klare Antwort auf deren Versuch, ihre Macht durch ein demokratisch-sozialistisches Regime zu sichern und den Einfluss anderer politischer Kräfte zu begrenzen. Der Vorstand des Demokratischen Aufbruchs stellte am 6. Januar besorgt eine rückläufige Tendenz bei der Demokratisierung fest. Die SED-PDS baue ihre Stellung in den Medien wieder aus und teile die Gesellschaft in „Links- und Rechtskräfte“, wobei „die Rechten die Feinde“ seien. Das Feindbild der SED-PDS diene zur Abqualifizierung und Spaltung der Opposition.249 In der Tat machte die SED-PDS keinen Unterschied zwischen rechtsextremen Positionen und Befürwortern der nationalen Einheit. Grundlage der Haltung war Modrows Zielmodell eines demokratischen Sozialismus, in dem nichtsozialistische Parteien nicht vorkamen. Eingebettet in die sonstigen Forderungen spielte die Länderbildung im Januar eine ständig wachsende Rolle. Binnen Wochen wurde daraus „eine wahre Massenbewegung“.250 Auf einer von der SDP organisierten Demonstration in Karl-Marx-Stadt wurden am 1. Januar auf Transparenten die Wiedervereini248 Sekretariat des Ministerrates der DDR, Informationszentrum: Einschätzung der Lage in den Bezirken am 4.1.1990 (ebd., Bl. 105 f./109). 249 Erklärung des Vorstandes des DA vom 6.1.1990: An alle DA-Gruppen und Verbände! (ABL, H. IV, DA). Vgl. Berliner Zeitung vom 8.1.1990. 250 Johannes Rau, „Geprägte Form, die lebend sich entwickelt. Vor zehn Jahren beschloss die Volkskammer die Bildung von Ländern in der DDR.“ In: Thüringer Allgemeine vom 22. 7. 2000.

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gung, die Bildung des Staates Sachsen und die Rückbenennung von Karl-MarxStadt in Chemnitz gefordert.251 Am 3. Januar beteiligten sich rund 3 000 Personen an einer Kundgebung der Deutschen Forumpartei in Limbach-Oberfrohna. Hauptforderungen der Demonstranten waren auch hier die Wiedervereinigung Deutschlands, die Bildung von Ländern und die Rückbenennung in Chemnitz.252 Am 4. Januar konstatierte die „Süddeutsche Zeitung“, es gebe bereits Regionalzeitungen, die die Bezirke, in denen sie erschienen, durch Ländernamen ersetzt hätten. Die Länder, so das Blatt, seien ins Leben getreten, bevor überhaupt eine rechtliche oder politische Grundlage dafür existiere.253 An der ersten Leipziger Montagsdemonstration des Jahres am 8. Januar nahmen rund 100 000 Personen teil. Der Platz vor der Oper war mit Fahnen und Transparenten übersät. Zehntausende riefen „Nieder mit der SED“ und „Gysi weg“. Das Transparent „Zwei Montage nicht auf der Straße, schon hebt die SED die Nase“ las sich wie das Motto der Demonstration. Die Einrichtung eines Verfassungsschutzes vor freien Wahlen und einer neuen Verfassung sowie die undifferenzierte Warnung der SED-PDS und der weiterhin von ihr gelenkten Medien vor einer Gefahr von rechts hatten die Menschen aufgebracht. In Dresden forderten am 8. Januar rund 10 000 Bürger „Deutschland einig Vaterland“, „Weg mit der SED“ und schwenkten schwarz-rot-goldene sowie weiß-grüne Fahnen.254 Ebenso war die Stimmung in Karl-Marx-Stadt, wo neben weiß-grünen Fahnen Plakate wie „Deutschland, Sachsen, Chemnitz“ zu sehen waren.255 Auch auf den Demonstrationen am 9. Januar dominierten Forderung nach Abschaffung der SED-PDS, ihrer Nichtwahl am 6. Mai und nach deutscher Einheit.256 Vor dem Hintergrund wachsender Forderungen nach Länderbildung setzte die Regierung ihre Arbeiten an einer Verwaltungsreform fort. Unter dem Einfluss der allgemeinen revolutionären Entwicklung gingen Anfang des Jahres 1990 auch bisherige Protagonisten der zentralistischen Struktur des Staates auf Distanz. Professor Siegfried Grundmann, Leiter der Forschungsgruppe „Territorium, Sozialstruktur und Lebensweise“ im Institut für Soziologie an der Akademie der Wissenschaften der DDR, nannte die Wiedereinführung der Länderstruktur am 2. Januar die möglicherweise beste Lösung und plädierte für einen Volksentscheid zur Verwaltungsreform.257 Die Akademie Staat und Recht sprach 251 SächsStAC, BDVP, Chef BDVP I/351, S.13. 252 Vgl. MdI: Information vom 4.1.1990: Gewährleistung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit (BArch B, DO 1, 52445). 253 Hermann Rudolph, „Die DDR-Länder leben wieder auf.“ In: Süddeutsche Zeitung vom 4.1.1990. 254 MdI: Information vom 9.1.1990: Gewährleistung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit (BArch B, DO1, 52445). 255 Reum/Geißler, Auferstanden aus Ruinen, S. 136 und 144. 256 Sekretariat des Ministerrates der DDR, Informationszentrum: Einschätzung der Lage in den Bezirken am 9.1.1990 (BStU, ZKG, 129, Bl. 107). 257 Siegfried Grundmann, „Braucht die DDR neue innere Grenzen?“ In: National Zeitung vom 2.1.1990. Vgl. ders.: Zur politisch-territorialen Gliederung der DDR und Fragen ihrer Neugestaltung im Rahmen der Verwaltungsreform (BArch B, DO 5, 142).

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sich zwei Tage später für die Bildung von DDR-Ländern aus.258 Die „Arbeitsgruppe administrativ-territoriale Gliederung“ der Regierungskommission Verwaltungsreform beschloss Anfang Januar die Bildung einer eigenen „Gruppe Länder“, der unter anderem die Professoren Heidrun Pohl und Konrad Scherf angehörten.259 Der Inhaber des Lehrstuhls für Verwaltungsrecht der Sektion Rechtswissenschaft der Humboldt-Universität Berlin, Professor Norbert Frank, befürwortete eine Verwaltungsreform einschließlich der Bildung von Ländern.260 Für ihn lag „der rationale Kern“ der Entwicklung zu Länderstrukturen im Februar 1990 „in dem Willen, die kommunale Selbstverwaltung zu entwickeln und dafür eine Voraussetzung zu schaffen“. Die Länder sollten demnach eine „Pufferfunktion“ zwischen Zentralgewalt und Kommunen ausfüllen.261 Die Regierung wandte sich dem Thema nun zwar etwas intensiver zu, ging aber nach wie vor von einem langen Beratungszeitraum aus. Gegenüber den Ratsvorsitzenden der Bezirke erklärte Moreth, als Erstes sei eine umfassende Analyse erforderlich, die Länderbildung stelle bis zur Wahl „keine Tagesaufgabe“ dar.262 Zunächst werde eine Rahmenstruktur für den Staatsapparat erarbeitet. In Sachen Länderbildung dürfe „nichts überstürzt werden“.263 Auch Professor Gerhard Riege von der Universität Jena bezeichnete die Länderbildung zwar als zweckmäßig, lehnte aber einen „Sturmschritt zu den Ländern“ ab.264 Die Haltung der Regierung zu Veränderungen jeglicher Art brachte am 9. Januar der Minister für Innere Angelegenheiten, Lothar Ahrendt, auf den Nenner. Mit Rückblick auf die untergehende SED-Diktatur meinte er, es müsse „erst einmal gründlich geprüft werden“, ob das, „was an die Stelle des in Jahrzehnten Bewährten treten soll, besser und zweckmäßiger“ sei.265 Die zögerliche Haltung der SED-PDS hinsichtlich von Erneuerungen in Richtung einer freiheitlich-demokratischen Ordnung wurden im Januar aber auch zum Nährboden ernsthafter Spannungen zwischen Regierung und Zentralem Runden Tisch. Ingrid Köppe konstatierte hier am 10. Januar für das Neue Forum eine Verhärtung der Beziehungen zwischen Opposition und SED-PDS. Noch vor einiger Zeit sei die SED-PDS bereit gewesen, die Opposition anzuhören, inzwischen werde diese in den Medien nur noch durch die SED-PDS dargestellt und komme selbst kaum zu Wort. Das Neue Forum werde den Zentra258 ASR-IVB: Zu Grundsätzen der Verwaltungsreform in der DDR, Leipzig am 4.1.1990 (ebd., 134). 259 Zu Ergebnissen der Beratung der AG administrativ-territoriale Gliederung am 5.1.1990 (ebd., 137). 260 Vgl. Frank, Verwaltungsreform, S. 13 f. 261 Ebd., S. 14. 262 Zit. in dem Protokoll der 106. Sitzung des RdB Erfurt am 8.1.1990 [handschr. Notizen] (ThHStA, BT/RdB, 043072). 263 Zit. in den Ausführungen des Vorsitzenden des RdB Potsdam, Herbert Tzschoppe, bei der Beratung mit den Vorsitzenden der RdK und Städte Potsdam und Brandenburg am 12.1.1990 (Brandenburg. LHA, A/3271). 264 Gerhard Riege, „Im Sturmschritt zu den Ländern?“ In: Volkswacht vom 12.1.1990. 265 Ausführungen von Lothar Ahrendt auf einer Arbeitstagung mit den Leitern der BDVP am 9.1.1990, Bl. 5 (BArch B, DO 1, 52444).

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len Runden Tisch verlassen, wenn die Regierung Modrow auf Einrichtung eines Verfassungsschutzes vor den Wahlen bestehe.266 Zum selben Zeitpunkt war die politische Lage im Lande durch das massive Auftreten von Betriebsbelegschaften gegen die Regierung gekennzeichnet.267 Der DDR-Verfassungsschutz konstatierte, es mehrten sich Anzeichen, „in Betrieben und Einrichtungen gezielte Aktionen gegen die SED-PDS durchzuführen“.268 In der „Berliner Zeitung“ protestierte die SDP am 11. Januar gegen die Haltung der SED-PDS: „Die SED hat noch immer den kompletten Apparat. Wir haben nicht einmal ein Telefon! Die SED beherrscht fast alle Zeitungen im Land. Wir müssen um ein paar Spalten kämpfen! Die Staatssicherheit arbeitet einfach weiter. Die friedliche Revolution unseres Volkes muss endlich auch in den Amtsstuben und Betriebsleitungen wirken! Uns reicht’s jetzt! Darum gehen wir auf die Straße!“ Am 15. Januar kam es in allen Bezirken erneut zu Demonstrationen und Kundgebungen gegen die SED-PDS, auf denen die Bestrafung ehemaliger SED-Funktionäre, die sofortige Auflösung des Verfassungsschutzes, eine Wiedervereinigung Deutschlands und die Bildung von Ländern gefordert wurden. Insgesamt registrierte das Ministerium für Innere Angelegenheiten (ehemals MdI) an diesem Tag 153 Demonstrationen und Kundgebungen mit etwa 1,5 Millionen Teilnehmern.269 Im gesamten Süden der DDR stand Mitte Januar ein flächendeckender Generalstreik auf der Tagesordnung. In den Bezirken Gera und Karl-Marx-Stadt liefen für den Fall eines Eklats zwischen Regierung und Opposition bereits alle Vorbereitungen.270 In Karl-Marx-Stadt nahmen am 15. Januar etwa hundertfünfzigtausend Bürger an Demonstrationen teil. Fast eine halbe Million Bürger gingen allein in den drei sächsischen Bezirksstädten auf die Straße. Die Montagsdemonstration in Dresden richtete sich „in nie gekannter Schärfe“ gegen eine „Aushöhlung unserer erkämpften Demokratie“ durch die SED-PDS.271 In Leipzig demonstrierten die Bürger mehrheitlich für die Vereinigung beider deutscher Staaten und gegen die SED-PDS. Ganze Betriebsbelegschaften reisten inzwischen zu den Montagsdemonstrationen nach Leipzig. Auf einer Demonstration am 17. Januar in Flöha, zu der unter anderen Gunda Röstel vom Neuen Forum aufgerufen hatte, wurden unter Protesten gegen die SED Deutschland- und Sachsen-Fahnen geschwenkt.272 In Dresden konstituierte sich am 24. Januar eine „Sachsen Partei“. Ihr Ziele war nach Aussage des Initiators, Bernd Warwzinek, unter anderem ein Freistaat Sachsen in einem vereinten Deutschland und die Rückbenennung von Karl-Marx-Stadt in Chemnitz. Besonderes Augenmerk wolle die Partei auf die Pflege sächsischer Kultur und Geschichte legen und Kontakte 266 Interview Ingrid Köppe. In: taz vom 10.1.1990. 267 Vgl. Bericht des Vorsitzenden des RdB Suhl an den Vorsitzenden des Ministerrates der DDR, Hans Modrow, zur Lage im Bezirk am 10.1.1990 (ThSTAM, BT/RdB, 2647). 268 Sekretariat des Ministerrates der DDR, Informationszentrum: Einschätzung der Lage in den Bezirken am 10.1.1990 (BStU, ZKG, 129, Bl. 164). 269 BArch B, DO 1, 52445. 270 Vgl. Frankfurter Rundschau/Das Volk vom 13.1.1990. 271 Vgl. Die Union vom 17.1.1990. 272 Vgl. Freie Presse, Ausgabe Flöha, vom 19.1.1990.

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zum Hause Wettin pflegen.273 Daneben bildeten sich Parteien, die wie die „Volksunion Sachsens“274 um den Dresdner Norbert Koch später in der DSU aufgingen. In Leipzig demonstrierten am 22. Januar über 100 000 Menschen für eine Wiedervereinigung Deutschlands, für ein Land Sachsen und gegen die SED-PDS. In Dresden beteiligten sich etwa 50 000 Menschen an einer Montagsdemonstration, bei der Albert Prinz von Sachsen Herzog zu Sachsen offener Beifall entgegenschlug. Es gab Hochrufe, als der in München lebende Prinz am Mikrofon die Neubildung des Landes Sachsens forderte. Erstmals seit der Abdankung seines Großvaters, Friedrich Augusts III. im Jahr 1918, wurde einem Wettiner in Sachsen auf offener Straße Beifall gezollt. Albert plädierte im Übrigen nicht für eine Wiederkehr der Monarchie in Sachsen, sondern für einen Freistaat analog dem Freistaat Bayern. Die Bedingungen für eine Monarchie seien nicht gegeben.275 Auch in Karl-Marx-Stadt war an diesem Tag das weiß-grüne Fahnenmeer unübersehbar, und auf Plakaten hieß es „Unsere Heimat ist Sachsen“.276 In Döbeln stand am selben Tag die Demonstration unter dem Motto „Für ein Land Sachsen“.277 Ebenso wurden bei einer Demonstration am 25. Januar in Brand-Erbisdorf weiß-grüne Fahnen getragen und die Bildung eines Freistaates Sachsen gefordert.278 Überall gehörten die sächsischen Farben bald zur Grundausstattung. Dazu trug auch die DSU bei, die in der Radebeuler Fahnenfabrik Sachsen-Fahnen orderte und bei Kundgebungen verkaufte.279 Der Vorsitzende des Rates des Bezirkes Dresden konstatierte, dass die auf den Demonstrationen erhobenen politischen Forderungen zur sofortigen Einheit Deutschlands, zur Auflösung der SED-PDS sowie zur baldigen Bildung des Landes Sachsen „schärfer gestellt“ würden und zum Teil eskalierten.280 Unter dem Einfluss der Januar-Proteste verschärfte sich die Krise der Staatlichkeit. Während Räte und „Volksvertretungen“ an Bedeutung verloren, nahm der Einfluss der auf allen Ebenen entstehenden Runden Tische schnell zu. Auf Bezirksebene existierten ab Dezember 1989 mit den Bezirkstagen und den Runden Tischen teils konkurrierende, teil kooperierende parlamentarische Institutionen mit höchst unterschiedlicher Legitimation. Beide stellten keine gewählten Vertretungskörperschaften dar. Während die Runden Tische ihre Legitimität aus der revolutionären Situation herleiteten, blieb den Bezirkstagen bis zu ihrer Auflösung selbst das geringste Gütesiegel einer demokratischen Legitimierung verwehrt. Trotz dieses Mankos war der ebenfalls demokratisch nicht legitimier273 Vgl. Sächsisches Tageblatt vom 19.1.1990; Die Union vom 24.1.1990. 274 Vgl. Berliner Zeitung vom 22.1.1990; Winkler, Sozialreport, S. 294; Myritz/Nolden, 18. März 1990, S. 50. 275 „Urenkel Augusts des Starken für Föderalismus in geeintem Deutschland.“ In: Neue Zeit vom 6. 4.1990. 276 Reum/Geißler, Auferstanden aus Ruinen, S. 158. 277 LVZ, Ausgabe Döbeln, vom 24.1.1990. 278 Vgl. Freie Presse, Ausgabe Brand-Erbisdorf, vom 27.1.1990. 279 Interview Günter Pawlitzki am 31. 3. 2001. 280 Monatsbericht Januar 1990 des Vorsitzenden des RdB Dresden, Wolfgang Sieber, an Ministerpräsident Hans Modrow vom 31.1.1990 (SächsHStA, BT/RdB, 46994, Bl. 18–24).

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te Ministerrat am Erhalt der Bezirkstage interessiert, stand der Arbeit der Runden Tische skeptisch gegenüber und versuchte, deren Einfluss auf die Arbeit der bezirklichen „Volksvertretungen“ und ihrer Räte möglichst zu begrenzen. Obwohl die Regierung auf einer Beratung mit den Vorsitzenden der Räte der Bezirke am 5. Januar selbst feststellen musste, dass einige Bezirkstage, wie zum Beispiel von Karl-Marx-Stadt, nur noch bedingt handlungsfähig waren und ihre Legitimation nicht mehr anerkannt wurde, lehnte sie eine nachträgliche demokratische Legitimierung der Bezirkstage durch das Nachrücken neuer politischer Kräfte als „gesetzeswidrig“ ab und betonte die Notwendigkeit, die Bezirkstage in ihrer bisherigen Zusammensetzung bis zu den Wahlen funktionsfähig zu halten. Peter Moreth betonte zwar die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den Runden Tischen und Bürgerbewegungen, erklärte aber zugleich, dass dadurch die Handlungsfähigkeit der Regierung und der örtlichen Räte nicht eingeschränkt werden dürfe. Diese trügen auch weiterhin die alleinige Verantwortung. Die neuen politischen Kräfte wurden lediglich zur Mitarbeit als Fraktionen ohne Stimm- oder gar Vetorecht eingeladen. Die avisierte „Koalition der Vernunft“ diene ausschließlich dazu, die Handlungsfähigkeit der Regierung und der Räte zu sichern und bedeute „keine Doppelherrschaft“.281 Der Präsident des Bezirkstages Dresden schlug nach den entsprechenden Richtlinien des Ministerrates den neuen politischen Gruppierungen und Parteien am 9. Januar vor, künftig im Bezirkstag mit beratender Stimme, aber ohne Stimmrecht, mitzuwirken und kompetente Bürger in die Kommissionen des Bezirkstages zu entsenden.282 Die Vertreter des Demokratischen Aufbruchs, der SDP und der Grünen Partei machten von diesem Angebot einer Mitwirkung ohne Stimmrecht Gebrauch.283 Während Modrow die Ratsvorsitzenden instruierte, den Einfluss der neuen Parteien und Bewegungen auf eine beratende Teilnahme zu beschränken und wiederholt darauf hinwies, dass es bei allen Maßnahmen der staatlichen Stellen „immer wieder um die Frage geht, dass nichts überstürzt werden soll“,284 machte die revolutionäre Entwicklung seine Anweisungen zu Makulatur. Es zeigte sich deutlich, dass der Versuch, die alten staatlichen Institutionen durch eine nicht-gleichberechtigte Mitarbeit der neuen politischen Kräfte zu stabilisieren, nicht griff. Stattdessen führten die Januar-Proteste zum weiteren Autoritätsverlust und zum Zerfall der Handlungsfähigkeit der Räte und „Volksvertretungen“ 281 Beschlussprotokoll der Sitzung des RdB Leipzig vom 12.1.1990 (SächsStAL, BT/RdB, 21318). Vgl. Protokoll über die Beratung des RdB Schwerin mit dem OB der Stadt Schwerin und den Vorsitzenden der RdK am 10.1.1990 (MLHA, BT / RdB, Z 26/91 36659); Hans Modrow auf der Beratung des Ministerrates der DDR mit den Vorsitzenden der RdB am 5.1.1990, Mitschrift Herbert Tzschoppe (Brandenburg. LHA, A / 3274); Richter, Räte, „Volksvertretungen“, Runde Tische, S. 162 f. 282 Kommunique über die Beratung des Präsidiums des BT Dresden am 9.1.1990 (SächsHStA, BT/RdB, 46123, Bl. 168 f.). 283 Vgl. Manfred Rentsch an Erich Iltgen vom 25.1.1990 (ebd., Bl. 207); Kommunique über die Beratung des Präsidiums des BT Dresden am 9.1.1990 (ebd., Bl. 168 f.). 284 Zit. in Ausführungen des Vorsitzenden des RdB Potsdam, Herbert Tzschoppe, zur Beratung mit den Vorsitzenden der RdK und Städte Potsdam und Brandenburg am 12.1. 1990 (Brandenburg. LHA, A/3271).

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auf allen Ebenen. Überall lösten sich kommunale „Volksvertretungen“ auf und legten Abgeordnete sowie Bürgermeister ihre Ämter nieder.285 Es war kaum noch möglich, Personen zu finden, die Ratsfunktionen übernahmen. Die Proteste und der wachsende Einfluss der Runden Tische veranlassten die Regierung seit Mitte Januar, die neuen politischen Kräfte doch stärker als geplant in die staatlichen Strukturen einzubinden. Auf der Sitzung des Zentralen Runden Tisches am 15. Januar gab Modrow eine Erklärung ab, die einer Kapitulation glich.286 Er setzte sich nun für eine gemeinsame Lösung aller anstehenden Probleme und eine enge Kooperation des Zentralen Runden Tisches mit der Regierung ein. Den Teilnehmern schlug er eine unmittelbare und verantwortliche Teilnahme an der Regierungsarbeit vor. Von nun an empfahl die Regierung den Räten, die Tätigkeit der Runden Tische auf alle Ebenen auszudehnen und durch die Einbeziehung kompetenter Vertreter der neuen Bewegungen die Handlungsfähigkeit der Staatsorgane zu stärken. Die Regierung nahm nun sogar selbst Einfluss auf die Bildung Runder Tische,287 die oft durch die Räte ins Leben gerufen wurden und oft kaum mehr als Legitimationsorgane staatlicher Institutionen oder wie in Dresden, wo die Gründungsinitiative „klar“ von den „alten Machthabern“ ausging,288 „eine Art Domestizierungsinstitut der SED für die Revolution“289 und „ein Produkt der SED“ waren, „um noch schnell etwas zu retten“.290 Anders als die SED-PDS, von der die Runden Tische vor allem unter dem Gesichtspunkt des Machterhalts genutzt wurden, verstanden die neuen Parteien und Gruppen sie als „Geburtsstätten der jungen Demokratie“ und als „Übungsfeld demokratischer Formen im Umgang mit politisch Andersdenkenden“. Da viele Bürgergruppen nicht die Absicht hatten, Macht zu übernehmen, sondern lediglich die Verantwortlichen des alten Systems kontrollieren wollten, sicherte die Arbeit der Runden Tische zwar den inneren Frieden,291 gab dadurch den SED-Vertretern jedoch weitgehende Möglichkeiten, Einfluss auf die Entwicklung zu nehmen. Da die Bürgerbewegungen keine wirkliche Einsicht in die Datengrundlagen staatlicher Entscheidungen hatten, konnten sie der Strategie der staatlichen Institutionen keine geschlossene Gegenstrategie entgegensetzen und verfügten nicht über ein adäquates Macht- und Sanktionspotential. So wurde an den Runden Tischen mit ungleichen Waffen gekämpft. Da die Repräsentanten des Staates und der staatstragenden Parteien auf Bezirksebene angesichts der 285 Telegramm des Bezirksinstrukteurs des RdB Potsdam an den Ministerrat, Bereich örtliche Staatsorgane, vom 2. 2.1990 (ebd., A/4100). 286 Vgl. Unterlagen der 7. Sitzung des ZRT am 15.1.1990 (ACDP, VII 012–3524). Text in: Thaysen, Der Zentrale Runde Tisch, S. 346–409. 287 Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrats für örtliche Staatsorgane/Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft: Empfehlungen für die Zusammenarbeit der örtlichen Staatsorgane mit basisdemokratischen Gruppen und Bürgerinitiativen vom 4.1.1990 (ThSTAM, BT/RdB, 2626). 288 Erich Iltgen. Zit. in Lesch, Die CDU-Reformer in Sachsen, S. 39. 289 Steffen Heitmann. In: Reden zum 4. Jahrestag der Gründung des Koordinierungsausschusses, S. 18. 290 Interview Arnold Vaatz am 9. 6.1999. 291 Vgl. Iltgen, Neue Politik, S. 154.

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zentralen Anleitung außerdem nicht die wirklichen Entscheidungsträger waren, verbreitete sich auch an den Runden Tischen der Bezirke der Eindruck, hier „träfen sich jene, die nicht genau wüssten, was sie wollten mit jenen, die nichts zu sagen hätten“.292 Trotzdem nutzten zum Beispiel in Dresden Vertreter der neuen politischen Kräfte die Chance, am Runden Tisch mitzuwirken, denn, so Vaatz, „wenn wir gänzlich abgelehnt hätten, dort mitzumachen, dann hätten sich andere hingesetzt und sich reklamiert, als Opposition zu sprechen“.293 Auf der 9. Sitzung des Zentralen Runden Tisches wiederholte Modrow am 22. Januar seinen Vorschlag, die neuen Gruppierungen und Parteien an der Regierungsarbeit zu beteiligen.294 Das bis dahin gezeigte Selbstbewusstsein Modrows war verschwunden. Ohne den sonst „üblichen Witz und die zeitweiligen Mätzchen“295 forderte er die Runde auf, „mit uns keinen Existenzkampf zu führen“. Moreth schlug vor, die örtlichen „Volksvertretungen“ zu ermächtigen, Vertreter der neuen Parteien und Gruppierungen zu kooptieren, um so auf allen Ebenen handlungs- und beschlussfähige „Volksvertretungen“ zu erhalten.296 Die Räte der Bezirke beschlossen daraufhin Maßnahmen zur Unterstützung der Arbeit der Runden Tische der Bezirke.297 Bei einem Koalitionsgespräch am 24. Januar verteilte Modrow ein Papier, das mit „Kriterien einer Notsituation in der DDR“ überschrieben war. Darin machte er den Vorschlag, die am Zentralen Runden Tisch sitzenden Bürgerbewegungen an einer Großen Koalitionsregierung zu beteiligen und in Regierungsentscheidungen einzubinden.298 Am 25. Januar beschloss der Ministerrat, seine Zusammenarbeit mit dem Runden Tisch und den oppositionellen Gruppen und Parteien weiter zu verstärken.299 Der Volkskammer wurde ein Beschlussentwurf vorgelegt, wonach bis zur Wahl örtliche „Volksvertretungen“ Vertreter aus allen Parteien und Gruppierungen der Runden Tische als Abgeordnete mit allen Rechten und Pflichten für freigewordene Mandate kooptieren konnten. In Territorien, in den die Pseudo-Parlamente nicht mehr beschlussfähig oder aufgelöst waren, konnten demnach Vertreter der an den Runden Tischen beteiligten Parteien und Gruppen zu neuen Abgeordneten ernannt werden.300 Auf der 15. Tagung der Volkskammer, die diese Vorschläge 292 Arnold Vaatz, „Die friedliche Revolution war ein guter Anfang.“ In: FAZ vom 19.5.1994. 293 Interview Arnold Vaatz am 9. 6.1999. 294 Unterlagen der 9. Sitzung des ZRT. Text in: Thaysen, Der Zentrale Runde Tisch, S. 471– 547. Vgl. Modrow, Aufbruch und Ende, S. 74. 295 Thaysen, Der Runde Tisch. Oder: Wer war das Volk? Band 1, S. 96. 296 1. Stellvertreter des Vorsitzenden an die Mitglieder des RdB und Vorsitzenden des Präsidiums des BT Frankfurt (Oder) vom 23.1.1990 (Brandenburg. LHA, Rep. 601, 49125). 297 Beschluss des RdB KMS vom 8.1.1990 (Endred. 18.1.1990) über Maßnahmen zur Unterstützung der Arbeit des RTB KMS (SächsStAC, BT/RdB, 11501). 298 Vgl. Gerlach, Mitverantwortlich, S. 411–413. 299 Beschluss des Ministerrates der DDR 11/1/90 vom 25.1.1990: Einschätzung der Lage und Auswertung des Runden Tisches (BArch B, C 20, I/3–2901, Bl. 40–42). 300 Beschluss des Ministerrates der DDR 11/2/90 vom 25.1.1990: Beschluss über Vorschläge über die Tätigkeit von Vertretern aller Parteien, gesellschaftlichen Vereinigungen und politischen Gruppierungen der Runden Tische in den örtlichen Volksvertretungen und ihren Räten (ebd.).

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bestätigte, gab Modrow am 29. Januar die Vorverlegung der Wahlen zur Volkskammer vom 6. Mai auf den 18. März bekannt und resümierte die bisherige Arbeit seiner Regierung. Die gegenwärtige Regierungskoalition erweise sich zunehmend als zerbrechlich. Die ökonomischen und sozialen Spannungen in der Gesellschaft nähmen zu. Mit Blick auf Forderungen nach freiheitlicher Demokratie und Wiedervereinigung erklärte er, es würden in wachsendem Maße Forderungen erhoben, die „die Möglichkeiten des Staates bei weitem übersteigen und, wenn ihnen nachgegeben wird, die Existenz der DDR gefährden“. Die Lage verschlechtere sich besorgniserregend, weil Streiks, befristete Arbeitsniederlegungen, langsameres Arbeiten und andere Störungen zu erheblichen Produktionsausfällen führten. In einer Reihe von Kreisen hätten sich örtliche „Volksvertretungen“ aufgelöst oder seien nicht mehr beschlussfähig. Überprüfungen von Wahlmanipulationen während der Kommunalwahlen im vergangenen Jahr beschleunigten den Prozess der Demontage örtlicher „Volksvertretungen“. Er gebe Unsicherheit im gesamten Staatsapparat. Die Zahl von Bombendrohungen gegen Betriebe, örtliche Räte sowie öffentliche Einrichtungen nehme zu und die Ausreisewelle dauere unvermindert an.301 In den Räten der Bezirke und Kreise kam es Ende Januar im Zusammenhang mit der Umbenennung der SEDPDS in PDS zu einer Austrittswelle ehemaliger SED-Funktionäre. Weniger spektakulär, weil weniger medienwirksam inszeniert als der Austritt einer Gruppe von Funktionären um Berghofer, war der Austritt von elf Mitgliedern des Rates des Bezirkes Leipzig am 30. Januar, unter ihnen Joachim Draber. Die SEDPDS, so der Ratsvorsitzender, sei durch ihre Vergangenheit schwer belastet und „zur radikalen Erneuerung offensichtlich nicht fähig“. Sie stehe der Erneuerung des Landes im Wege.302 Nach dem Volkskammerbeschluss über die Einbeziehung der neuen politischen Kräfte bezeichnete plötzlich auch der Rat des Bezirkes Dresden den Runden Tisch als „effektive Form der Meinungs- und Entscheidungsfindung“, an dem unter „direkter Teilnahme der Räte“ zur „Beherrschung der komplizierten Lage und zur Stabilität der Organe der Staatsmacht“ gesorgt werden könnte. Der Rat hatte nicht viele Alternativen, registrierte er doch auch im Bezirk Dresden eine um sich greifende Verunsicherung unter Abgeordneten und Mitarbeitern. In Folge der Rücktritte hatte die Zahl unbesetzter hauptamtlicher „Wahlfunktionen“ schnell zugenommen. In einigen Territorien des Bezirkes wurde von der Bevölkerung bereits die vollständige Auflösung der Organe der diktatorischen Staatsmacht gefordert. Unter dem Druck öffentlicher Proteste löste sich zum Beispiel der Rat des Kreises Zittau weitgehend auf und war kaum noch funktionsfähig.303 Die Stadtverordnetenversammlung Meißen und ihr Rat standen Ende Ja-

301 Texte zur Deutschlandpolitik, Reihe III/Band 8a – 1990 S. 45–48. 302 Die Union vom 1. 2.1990. 303 Information zur Sitzung des RdB Dresden am 14. 2.1990 über die Lage und die Tätigkeit der örtlichen Staatsorgane im Kreis Zittau (SächsHStA, BT/RdB, 47118/3, Bl. 230).

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nuar kurz vor der Auflösung,304 und auch vor dem Dresdner Bezirkstag machte die Erosion der staatlichen Struktur nicht halt. Zahlreiche Abgeordnete traten aus der bisherigen Staatspartei aus und legten ihr Mandat nieder. Auf allen Sitzungen des Bezirkstages kam es zu Kaderveränderungen und zur Zunahme vakanter „Mandate“.305 Die Regierung konstatierte, dass DDR-weit angesichts des Zerfalls der Staatlichkeit der Drang nach Entscheidungen zunehme und erhebliche Verunsicherungen in örtlichen Räten vorhanden wären.306 Die Entwicklung Ende Januar, Anfang Februar brachte Zäsuren in der friedlichen Revolution, die auch den Prozess der Länderbildung beeinflussten und nochmals verdeutlichten, in welchem Maße die Veränderungen in der DDR von der internationalen Entwicklung abhängig waren. Vor allem die sowjetische Ablehnung einer Wiedervereinigung Deutschlands hatte entscheidenden Einfluss auf die Richtung des Prozesses. So war noch Ende Januar 1990 unklar, ob die Entwicklung hin zu einer erneuerten DDR oder aber zu einem staatlich vereinten Deutschland gehen könnte. Möglich waren bis dahin allenfalls transformatorische Schritte, die die künftige staatliche Verfassung Deutschlands und seine internationale Einbindung nicht berührten. Sie bestanden in einer revolutionären Demokratisierung des Systems im Rahmen der DDR-Staatlichkeit, unabhängig ob diese oder die deutsche Einheit als Ziel angesehen wurde.307 Aber auch die Demokratisierung der DDR war kein Selbstläufer, vielmehr prallten dabei Anhänger eines freiheitlich-demokratischen Systems und „demokratische Sozialisten“ à la Modrow aufeinander.308 Der Versuch der SED-PDS wie des von ihr gestellten letzten, nicht demokratisch legitimierten Ministerpräsidenten der DDR, ein demokratisch-sozialistisches System samt Verfassungsschutz zur Abwehr nicht-sozialistischer Richtungen zu etablieren, wurde in dieser Zeit von einer breiten Allianz demokratischer Kräfte in den alten wie neuen Parteien verhindert.309 Erst nach der zweiten Entmachtung der SED-PDS Ende Januar, inzwischen in „PDS“ umbenannt, waren die Grundlagen der SED-Diktatur wirklich überwunden. Nun standen nur noch die Optionen einer freiheitlich-demokratischen, föderal strukturierten DDR oder die staatliche Einheit eines föderalen Deutschlands zur Disposition. Um den Einfluss auf die Entwicklung nicht völlig zu verlieren, schlug Modrow nach einer entsprechenden Abstimmung mit Gorbatschow am 1. Februar 304 Entwurf des Berichts des RdB Dresden vor dem BT am 1. 2.1990 vom 25.1.1990 (Ebd, 47117/3, Bl. 277–279). 305 Ebd., 46073. 306 Niederschrift über eine Beratung mit den Vorsitzenden der RdB beim Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates der DDR für örtliche Staatsorgane, Peter Moreth, am 31.1.1990 (SächsStAC, BT/RdB, 140074). 307 Vgl. Richter, Friedliche Revolution und Transformation, S. 940. 308 Das von der SED-PDS und einigen anderen politischen Kräften propagierte demokratisch-sozialistische Modell ist nicht mit demokratisch-sozialistischen Zielen westlicher sozialdemokratischer Parteien zu verwechseln. Es fällt auf, dass sich gerade die SDP/ SPD von Anfang an dezidiert für freiheitlich-demokratische und nicht für demokratischsozialistische Ziele einsetzte. 309 Vgl. Richter, Die Staatssicherheit im letzten Jahr der DDR, S. 110–152.

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einen Weg zur deutschen Einheit vor.310 Danach sollte Deutschland in vier Schritten zum „einig Vaterland aller Bürger deutscher Nation“ werden. Der erste Schritt sah die Bildung einer Vertragsgemeinschaft vor, die wesentliche konföderative Elemente wie Wirtschafts-, Währungs- und Verkehrsunion sowie eine Rechtsangleichung enthalten sollte. Als zweiter Schritt war die Bildung einer Konföderation beider Staaten mit gemeinsamen Organen und Institutionen wie einem parlamentarischen Ausschuss, einer Länderkammer und gemeinsamen Exekutivorganen vorgesehen. In einem dritten Schritt sollten Souveränitätsrechte beider Staaten an Machtorgane der Konföderation übertragen werden. Viertens sollte schließlich ein einheitlicher Staat in Form einer Föderation oder eines Bundes geschaffen werden. Modrows Plan verriet deutlich die sowjetische Handschrift. So sollten beide deutsche Staaten bereits im Stadium der Konföderation ihre Bündnisverpflichtungen gegenüber dritten Ländern aufgeben und militärisch neutral werden. Abgesehen von der Forderung nach Neutralität entsprach das Vereinigungsmodell Modrows jedoch in substantiellen Punkten dem Zehn-Punkte-Plan Kohls.311 Im Bundeskanzleramt sah man in Modrows Vorschlag deswegen eine ungewollte Unterstützung der eigenen Positionen,312 begrüßte die Wende Modrows in der Frage der deutschen Einheit, lehnte eine Neutralisierung allerdings strikt ab. Auch SPD-Ehrenvorsitzender Willy Brandt wies den Modrow-Vorschlag als „keinen hilfreichen Vorschlag“ zurück.313 War der Plan Modrows seinerseits eine Reaktion Gorbatschows und seiner politischen Partner in der SED-PDS auf den wachsenden Wiedervereinigungsdruck der Bevölkerung, so setzte der Plan Kohl unter Handlungsdruck. Der Kanzler musste ein aktualisiertes Wiedervereinigungskonzept vorlegen, schmolzen sein Popularitätsvorsprung und die mit dem Zehn-Punkte-Plan errungene Meinungsführerschaft doch angesichts der Dynamik der Entwicklung bereits dahin. Seine Mitarbeiter schlugen dem Kanzler deshalb vor, er solle seine bisher geübte Zurückhaltung hinsichtlich der Wiedervereinigung endgültig aufgeben, die Einheit mit voller Kraft propagieren und mit Blick auf den Wahlkampf ein griffiges Wiedervereinigungskonzept vorlegen.314 Am 7. Februar beschloss das Bundeskabinett, der DDR Verhandlungen über eine Währungsunion vorzuschlagen. Vorbereitungen dafür hatte es bereits seit Mitte Dezember 1989 im Bundesfinanzministerium gegeben.315 Waigel begründete den Schritt mit der Entwicklung in der DDR, die der Bundesregierung keine andere Wahl lasse.316 Am selben Tag trat ein Kabinettsauschuss „Deutsche Einheit“ mit sechs Arbeitsgruppen zusammen.317 Nun begann das Bundesinnenministerium „in aller Heimlichkeit“ 310 311 312 313 314 315 316

Für Deutschland, einig Vaterland. Text in: Modrow, Aufbruch und Ende, S. 186–188. Vgl. Schäuble, Der Vertrag, S. 28. Vgl. Teltschik, 329 Tage, S. 124. FR vom 5. 2.1990. Vgl. Küsters, Entscheidung für die deutsche Einheit, S. 89 f.; März, Kanzlerschaft, S. 66. Vgl. ebd. Vgl. Protokoll der 193. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 7. 2.1990; FAZ vom 26.1.1990. 317 Vgl. Küsters, Entscheidung für die deutsche Einheit, S. 94.

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damit, die Wiedervereinigung rechtlich vorzubereiten. Bald wurden andere Ministerien in die Vorbereitungen einbezogen.318 Unter dem Druck der Ereignisse stimmte Gorbatschow Kohl bei einem Besuch in Moskau am 10. Februar zu, dass es das alleinige Recht des deutschen Volkes sei, zu entscheiden, ob es in einem Staat zusammenleben wolle. Kohl erklärte danach, Gorbatschow habe ihm zugesagt, es sei Sache der Deutschen, den Zeitpunkt und den Weg der Einigung zu bestimmen.319 Damit war das wesentlichste Hindernis für die Einleitung innenpolitischer Schritte zur Vereinigung beseitigt. Allerdings blieb noch einige Wochen bis zur Volkskammerwahl unklar, auf welchem Weg die deutsche Einheit erreicht werden würde, ob durch Beitritt der DDR gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes oder durch die gemeinsame Ausarbeitung einer neuen deutschen Verfassung nach Artikel 146, wie es vor allem die SPD favorisierte. Die Ankündigung einer Währungsunion führte seit Anfang Februar zu einem Ansturm auf die Sparguthaben, zu panikartigen Geldabhebungen, Umverteilungen auf Sparbücher sowie zu vorfristigen Kredittilgungen.320 Der Kurs der DDRMark rutschte zeitweilig auf 1:10. Angesichts der Umtauschsätze auf dem Schwarzmarkt wurde die DDR zu einem Eldorado vieler Besucher aus dem Westen. Umgekehrt war ein Besuch in der Bundesrepublik für DDR-Bewohner unerschwinglich. Sehr schnell tauchte im Februar auf den Demonstrationen die Forderung auf: „Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, geh’n wir zu ihr!“ Am 13. Februar wurde Modrow in Bonn von Kohl „ziemlich kühl“ empfangen,321 ging es der DDR-Regierung doch offensichtlich um eine Stabilisierung der DDR-Mark durch Garantien der Bundesbank. Eine Aufgabe der wirtschaftsund währungspolitischen Souveränität der DDR lehnte Modrow ab. Nachdem Modrow im Gespräch mit Kohl auf den Entwurf der DDR für eine Vertragsgemeinschaft verwies, wie sie in Dresden vereinbart worden sei, erwiderte Kohl, dass die Fragen einer Vertragsgemeinschaft wie auch die Schaffung konföderativer Strukturen durch die Entwicklung überholt seien. In diesem Sinn sei auch sein Zehn-Punkte-Plan nicht mehr relevant.322 In Einklang mit dem Ergebnis der Beratung der Außenminister in Ottawa bot die Bundesregierung der Delegation aus der DDR stattdessen Verhandlungen über eine Währungsunion mit dem Ziel der Einführung der Deutschen Mark als des alleinigen Zahlungsmittels in der DDR an.323 Voraussetzung dafür sei freilich die Schaffung notwendiger rechtlicher Voraussetzungen einer sozialen Markwirtschaft.324 Bei den Gesprä318 Schäuble, Der Vertrag, S. 151 f. 319 Erklärung Kohls am 10. 2.1990 in Moskau. Text in: Dokumente zur Deutschlandpolitik. Deutsche Einheit. Sonderedition aus den Akten des Bundeskanzleramtes 1989/90, S. 812 f. Zu den Hintergründen vgl. März, Kanzlerschaft, S. 67. 320 RdB Suhl: Bericht zur Lage im Bezirk vom 12. 2.1990 (ThSTAM, BT/RdB, 2633). 321 Teltschik, 329 Tage, S. 145. Vgl. John, Seiters, S. 158–165. 322 Beschluss des Ministerrates der DDR 14/1.b/90 vom 15. 2.1990 zum Bericht über den Besuch des Vorsitzenden des Ministerrates der DDR und seiner Regierungsdelegation am 13./14. 2.1990 in Bonn (BArch B, C 20, I/3–2912). 323 Vgl. FAZ vom 14. 2.1990. 324 Vgl. Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 25, 1990.

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chen ging es am Rande auch um die Länderbildung. Dazu erklärte Modrow, die Vereinigung müsse stufenweise vor sich gehen. Man dürfe die Bildung der Länder nicht überstürzen und müsse eine spontane Entwicklung gemeinsam verhindern.325 Modrows Chancen, von der Bundesregierung substantielle Zugeständnisse zu erreichen, waren seit dem Besuch Kohls in Dresden im Dezember 1989 ebenso wie sein Ansehen dramatisch gesunken. Ständig neue Enthüllungen über fortgesetzte Stasi-Aktivitäten und das offene Eintreten Modrows für eine Fortsetzung der Arbeit des MfS unter neuem Namen ließen vorhandene Hoffnungen, der Ministerpräsident arbeite auf freiheitlich- demokratische Veränderungen hin, schwinden. Von Modrow und seiner Übergangsregierung erwartete die Bundesregierung keine substantiellen Beiträge zur Lösung der deutschen Frage mehr. Daher konzentrierte sich die Bundesregierung auf die aus den ersten freien Wahlen am 18. März hervorgehende demokratisch legitimierte Regierung der DDR, auch wenn allgemein ein Sieg der SPD prognostiziert wurde. Erst in einer neuen Regierung sah die Bundesregierung den Partner für wirklich durchgreifende wirtschaftliche und finanzielle Hilfen.326 Motor der Entwicklung blieben auch im Februar die Demonstrationen, die immer stärker in Wahlveranstaltungen der einzelnen Parteien übergingen. Die Neubildung Sachsens gehörte inzwischen zum festen Repertoire fast jeder Veranstaltung. So forderten auf der Montagsdemonstration in Karl-Marx-Stadt am 12. Februar rund 80 000 Menschen die Wiedervereinigung und das Land Sachsen. Es dominierten Rufe wie „Deutschland, einig Vaterland“ und „Sachsen – unser Heimatland“.327 Auch auf Demonstrationen in den Kreisen Hoyerswerda und Elsterwerda im Bezirk Cottbus waren im Februar häufig weiß-grüne Fahnen zu sehen.328 Auf der Dresdner Montagsdemonstration am 19. Februar forderte Vaatz, zu diesem Zeitpunkt als Vertreter der DFP, selbstverwaltete Länder und Kommunen. Nie wieder dürften sächsische Mittel wie bisher nach Berlin fließen. Gastredner Theo Waigel erklärte, von westlicher Einmischung könne keine Rede sein, schließlich sei man ein Volk. Frank Richter fragte, ob man noch stark genug sei, die Revolution zu Ende zu bringen.329 In Plauen bestimmten am 24. Februar „Fahnen der BRD, der Farben Bayerns und Sachsens“ das Bild einer Demonstration,330 und auch auf der vorerst letzten Demonstration am 17. März demonstrierten hier wieder 35 000 Menschen für Wiederverei325 Beschluss des Ministerrates der DDR 14/1b/90 vom 15. 2.1990 zum Bericht über den Besuch des Vorsitzenden des Ministerrates der DDR und seiner Regierungsdelegation am 13./14. 2.1990 in Bonn. Anlage 2: Zusammenfassung des Vieraugengesprächs zwischen Ministerpräsident Modrow und Bundeskanzler Kohl (BArch B, DC 20, I/3 2904 u. DO 5, 89a). 326 Schäuble, Der Vertrag, S. 28 f. 327 Vgl. Sächsisches Tageblatt vom 14. 2.1990; Reum/Geißler, Auferstanden aus Ruinen, S. 168. 328 Vgl. Lausitzer Rundschau vom 27. 2.1990. 329 Vgl. Die Union vom 21. 2.1990. 330 Lagemeldung des RdB KMS an Ministerpräsident Hans Modrow vom 24. 2.1990 (BArch B, DC 20, 11955).

Machtkampf in den sächsischen Bezirken

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nigung und das Land Sachsen.331 Aber nicht nur auf Demonstrationen traten die Bürger für die Wiederherstellung Sachsens ein. So wandte sich zum Beispiel der Demokratische Aufbruch am 8. Februar mit einem Aufruf zur Initiative „Sächsischer Landtag“ an die Öffentlichkeit. Jeder, der sich für ein neues, demokratisches Sachsen einsetzen wolle, solle durch eine symbolische Spende von einer Mark zur Schaffung eines Fonds für den Landtagsbau beitragen und zugleich mit seiner Unterschrift auf dem Überweisungsschein sein Votum für einen Volksentscheid zugunsten der Wiederherstellung des Landes Sachsen abgeben.332 Heike Pietschner dichtete und komponierte bis Februar eine neue SachsenHymne, die sie an die Gruppe der 20 schickte.333 Vor allem aber wurden Anfang des Jahres nicht nur auf fast allen Demonstrationen weiß-grüne Fahnen getragen, sondern auch „bis ins letzte Dorf“ hingen diese nun aus den Fenstern.334 Während in Berlin im Wahlkampf weithin die alten DDR-Fahnen dominierten, zeigte der Süden neue Flagge. Auch in Thüringen bestimmten im Herbst bald weiß-rote Fahnen das Bild.335 Neben deutschen und Landesfahnen wurden auch in Vergessenheit geratene Fahnen der Städte und Regionen sowie Traditionsfahnen der SPD und aufgelöster Vereine gezeigt.336 Teilweise ging der Lokal- oder Regionalpatriotismus soweit, dass Tafeln oder Schilder aller Art auf die Länder und Landeshauptstädte hinwiesen und die Bezirksangaben auf den Ortschildern durch Länderbezeichnungen überklebt wurden. Erich Loest kommentierte: „Als die DDR zusammenbrach, blühte Sachsengefühl auf, wurden grünweiße Fahnen genäht – das erstaunte allgemein.“337

3.2.3 Machtkampf in den sächsischen Bezirken und Eigeninitiativen der Räte zur Neubildung Sachsens Die allgemeine politische Entwicklung blieb nicht ohne Auswirkungen auf die Situation der Staatsapparate auf Bezirksebene. Hinsichtlich der Verwaltungsreform waren diese als Organe der bisherigen zentralistisch-diktatorischen Staatsmacht zwar eigentlich an die Vorgaben der Regierung gebunden, entwickelten aber angesichts der Zurückhaltung der Regierung in Sachen Länderbildung eigene, nicht mit dem Ministerrat abgestimmte Aktivitäten. Die Räte sahen sich im Übergang von ihrer Rolle als Ausführungsorgane der zentralistischen Diktatur zu Bausteinen künftiger Länder. Damit machten sich auch hier Kennzeichen einer Auflösung des Regimes bemerkbar. Vorreiter war weiterhin der Rat des 331 Vgl. Sächsisches Tageblatt vom 19. 3.1990. 332 DA: 1 Mark für den Sächsischen Landtag, o. D. (HAIT, Plakate und Flugschriften der friedlichen Revolution); Aufruf zur Initiative Sächsischer Landtag (ISL) des DA Dresden (PB Horst Rasch). Vgl. Sächsisches Tageblatt vom 8. 2.1990. 333 Heike Pietschner an Herbert Wagner vom 3. 5.1990 (HAIT, KA, 11.3). 334 Vgl. Heitmann, Die Revolution in der Spur des Rechts, S. 43. 335 Rommelfanger, Das Werden des Freistaates Thüringen, S. 20. 336 Vgl. Opp/Voß/Gern, Die volkseigene Revolution, S. 48. 337 Loest, Sachsens politische Kultur, S. 214.

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Bezirkes Dresden, der seit Mitte Dezember Reformvorschläge für den Staatsapparat ausgearbeitet hatte, die sich zunächst teils noch an der Bezirksstruktur,338 teils aber auch bereits an einer kommenden Landesverwaltung orientierten.339 Einen neuerlichen Vorstoß unternahm der Rat des Bezirkes Dresden am 17. Januar mit einem Arbeitspapier „Wege zur Herausbildung des Landes Sachsen“,340 in dem er für eine Neubildung Sachsens aus den Bezirken Dresden, Karl-Marx-Stadt sowie Leipzig als einem DDR-Land plädierte und zugleich Wiedervereinigungsplänen eine Absage erteilte. Da die Verfassung eine Länderbildung nicht vorsah, wurde eine schnelle Entscheidung der Volkskammer für ein plebiszitäres Verfahren zur Länderbildung gefordert und der 25. März als Termin vorgeschlagen. Bezirkstage, Runde Tische und Räte der sächsischen Bezirke sollten den Aufruf unterstützen. Der Rat bildete Arbeitsgruppen, die Stellung, Befugnisse und Aufgaben aller der Landesregierung zugehörigen Ämter in den Regierungsbezirken und Landratsämtern, die Struktur einer Landesregierung, eines Amtes des Ministerpräsidenten sowie von Ministerien und anderen Dienststellen auf Landesebene auszuarbeiten hatten. Der Runde Tisch des Bezirkes wurde aufgefordert, Vertreter für die Arbeitsgruppen zu benennen. Da als Ziel der Arbeitsgruppe „Aufbau, Organisation, Arbeitsweise und rationelle Gestaltung der Arbeitsprozesse der örtlichen Staatsorgane“ die „Herausarbeitung von inhaltlichen Aufgaben, Rahmenstrukturen, Orientierungen und Maßnahmen zur effektiven Nutzung des vorhandenen personellen und materiellen Bestandes in den Staatsorganen mit dem Ziel der Verstärkung von Strukturen und Potentialen“ genannt wurde, war klar, dass der Rat als bisheriges Exekutivorgan der diktatorisch-zentralistischen Staatsmacht beabsichtigte, seinen kommunistisch geschulten „Kaderstamm“ in der künftigen Landesverwaltung unterzubringen. Am 18. Januar informierte der stellvertretende Ratsvorsitzende und Chef der Bezirksplankommission, Andreas Mauksch, den Runden Tisch über die Initiative. Hier wurde der Bericht zustimmend zur Kenntnis genommen und Mauksch beauftragt, bis zum 25. Januar den Entwurf eines gemeinsamen Antrages des Runden Tisches und des Bezirkstages an die Volkskammer auszuarbeiten. Es wurden Vertreter für die Arbeitsgruppen des Rates benannt und beschlossen, die Runden Tische der Bezirke Leipzig und Karl-Marx-Stadt zu einer Diskussionsrunde über die Landesbildung einzuladen.341 Der Moderator des Runden Tisches, Erich Iltgen, erinnert sich, dass am 18. Januar „zum allerersten Mal am Runden Tisch die Idee“ auftauchte, das

338 RdB Dresden: Mitteilung von Walter Hornig an Andreas Mauksch vom 12.1.1990: Zuarbeit Verwaltungs- und Wirtschaftsreform (HAIT, KA, 55). 339 RdB Dresden, Abteilung Wismutangelegenheiten: Entwurf Landesregierung Sachsen, Ministerium für Wirtschaft vom 15.1.1990 (ebd.). 340 Beschlussvorlage des RdB Dresden: Wege zur Herausbildung des Landes Sachsen vom 17.1.1990 (Dok. 1). 341 Protokoll der 5. Sitzung des RTB Dresden am 18.1.1990 (Dok. 2). Vgl. Handschriftliches Protokoll der 5. Beratung des RTB Dresden am 18.1.1990 (HAIT, Iltgen, 4).

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Land Sachsen zu gründen,342 meint aber, damit hätten sich die neuen Kräfte „selbstbewusst“ in den Prozess der Bildung des Landes Sachsen eingebracht, da diese „nicht mehr nur Zaungast von Entscheidungen der Exekutive sein“ wollten.343 Tatsächlich gingen Idee und Initiative zur Länderbildung jedoch vom Rat des Bezirkes aus. Das Protokoll des Runden Tisches zeigt deutlich die Zustimmung zur Initiative des Rates, sogar einschließlich der Passage, in der die „Nutzung des vorhandenen personellen und materiellen Bestandes in den Staatsorganen“ als Ziel genannt wurde. Zu diesem Zeitpunkt stand der Runde Tisch noch unter erheblichem Einfluss des Rates und widmete sich unter dessen Einfluss „einem bunten Strauß von Themen“, statt eigene substantielle Vorschläge zu unterbreiten.344 „Wie eine Schar von Hühnern“, so Matthias Rößler vom Demokratischen Aufbruch, „pickten wir in irgendwelchen Ecken die Körner auf, die die Funktionäre ausstreuten. Inzwischen brachten die ihre Schäfchen ins Trockene.“345 Auch Heidrun Lotze, damals Protokollantin am Runden Tisch, bestätigte, dass der Runde Tisch unter dem Einfluss des Rates begann, „sich mehr oder weniger mit sich selbst“ und angesichts dessen, was insgesamt bewegt werden sollte, „mit Kleinkram zu beschäftigen“. Er sei vom Rat des Bezirkes regelrecht „abgelenkt“ worden. In den verantwortlichen „Kreisen des Rates“ habe man über Strukturen nachgedacht, mit denen man den Runden Tisch abfinden und andererseits „vollendete Tatsachen“ im Sinne des Rates schaffen wollte.346 Am 25. Januar beriet der Runde Tisch die Vorlage Maukschs und beschloss einige Änderungen. Unter anderem wurde bei der Formulierung „Nutzen wir die Chance des demokratischen Neubeginns für ein neues Kapitel in der Geschichte Sachsens in der Deutschen Demokratischen Republik“ der Hinweis auf die DDR gestrichen.347 Hier setzten sich diejenigen durch, deren Ziel es war, im Rahmen der Wiedervereinigung ein Bundesland Sachsen zu schaffen. Der Rat des Bezirkes Dresden war zu diesem Zeitpunkt in Sachen Länderbildung weit aktiver als andere Bezirke, weswegen z. B. die Räte der Kreise den Rat des Bezirkes Cottbus mit Hinweis auf Sachsen wegen des langsamen Tempos der Landesbildung kritisierten.348 Der Dresdner Rat spielte bis Ende Januar nicht nur eine Vorreiterrolle, er fand dabei die Unterstützung des Runden Tisches. Die Haltung der Runden Tische aller drei Bezirke entsprach zu diesem Zeitpunkt mehr oder weniger dem Kooperationsmodell des Zentralen Runden Tisches, das auch in Modrows „Regierung der nationalen Verantwortung“ seinen Niederschlag fand.

342 Erich Iltgen. In: Reden zum 4. Jahrestag der Gründung des Koordinierungsausschusses, S. 9. 343 Interview Erich Iltgen. In: Der Sächsische Landtag, Von der Wende, S. 32; Iltgen, Neue Politik, S. 154. 344 Schubert, Der Koordinierungsausschuss S. 44 f. 345 Matthias Rößler. Zit. in Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 45. 346 Heidrun Lotze beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 347 Protokoll der 6. Sitzung des RTB Dresden am 25.1.1990 (Dok. 3). 348 Büro des Vorsitzenden des RdB Cottbus an den 1. Stellvertreter des Vorsitzenden, Otto Wendt, vom 7. 2.1990 (Brandenburg. LHA, Rep. 801, 24494).

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Auch wegen der Unterstützung durch die neuen politischen Kräfte am Runden Tisch setzten die Aktivitäten des Rates des Bezirkes Dresden die Regierung unter Druck und stießen dort auf strikte Ablehnung. Um Eigeninitiativen zu unterbinden, beschloss der Ministerrat am 25. Januar, mit den Vorsitzenden der Räte der Bezirke unverzüglich einheitliche Grundsätze und erste Maßnahmen der Durchführung einer Verwaltungsreform zu beraten.349 Während die Regierung noch überlegte, wie sie auf die Eigenmächtigkeit des Rates des Bezirkes Dresden reagieren sollte, legte auch der Rat des Bezirkes Leipzig am 30. Januar ein Papier zum föderalistischen Staatsaufbau und zur Gestaltung des Landes Sachsen vor. In der Vorlage, die Ratsvorsitzender Jochen Draber dem Runden Tisch bereits am 18. Januar vorgestellt hatte,350 wurden Länder mit eigenem Landtag, eine Landespolitik „ohne doppelte Unterstellung“ und eine Länderkammer gefordert. Der Leipziger Rat versprach sich, anders als der Rat des Bezirkes Dresden, der noch zwei Wochen zuvor die deutsche Einheit abgelehnt hatte, nun durch föderative Strukturen auch eine „Verkürzung des Weges zur deutschen Einheit“. Dabei wurde sogar die Ausgliederung eines Landes oder mehrerer Länder aus dem „Verband“ DDR und deren „Angliederung an die BRD“ in Betracht gezogen. Nach Meinung des Rates sollte die Länderbildung auf Grundlage der Bezirksgliederung erfolgen. Für die Zukunft wurde die Bildung von drei sächsischen Regierungsbezirken „mit Verantwortung für komplexe territoriale Aufgaben und zur Vermeidung der Konzentration aller Institutionen mit regionalem Entscheidungsfeld in der Landeshauptstadt“ befürwortet. Der Rat griff den Dresdner Vorschlag der Bildung eines ständigen Gremiums der sächsischen Bezirke zur Koordinierung der Landesbildung auf.351 Einen Tag nach der Vorlage des Leipziger Papiers fand eine erste Beratung der drei Vorsitzenden der Räte der Bezirke statt,352 die Sieber als historisch bezeichnete, da es erstmals gelungen sei, die drei Ratsvorsitzenden an einen Tisch zu bringen. Damit trete eine völlig neue Entwicklung ein: „Wir warten nicht mehr auf Befehle von oben. Wir brauchen jetzt eine Verwaltungs- und Wirtschaftsreform von unten nach oben, ohne auf den Befehl von Berlin zu warten.“353 Was die bislang zentralistisch angeleiteten Bezirksorgane euphorisch stimmte, stieß freilich in der Regierung auf wenig Verständnis. Gegenüber den Ratsvorsitzenden kritisierte Moreth am 31. Januar „das Vorprellen insbesondere von Dresden bezüglich Länderbildung“. Die Regierung sei sich bewusst, dass Entscheidungen schneller erforderlich seien, da die Verunsicherung in den örtlichen Staatsorganen täglich steige und es „erste gravierende Abweichungen bezüglich Strukturveränderungen der Räte und Fachorgane von dem in den Dienst349 Beschluss 11/I.15/90 des Ministerrates der DDR vom 25.1.1990 über die Beratung mit den Vorsitzenden der RdB (BArch B, DC 20, I/3 2903, Bl. 340–348). 350 Protokoll des RTB Leipzig am 18.1.1990 (SächsStAL, BT/RdB, 31255, Bl. 1 f.). 351 RdB Leipzig zur Bildung des Landes Sachsen vom 30.1.1990 (Dok. 4). 352 Monatsbericht Januar 1990 des Vorsitzenden des RdB Dresden, Wolfgang Sieber, an Ministerpräsident Hans Modrow vom 31.1.1990 (SächsHStA, BT/RdB, 46994, Bl. 18–24). 353 Zit. in Die Welt vom 1. 2.1990.

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beratungen im Dezember und Januar gemeinsam erarbeiteten Standpunkt“ gebe. Der Ministerrat werde am nächsten Tag die Verwaltungsreform behandeln, die unbedingt mit einer Veränderung der Verfassung sowie mit Wirtschafts- und Rechtsreformen verknüpft werden müsse. Im Übrigen sei die Länderbildung durch die Regierung politisch grundsätzlich entschieden, weswegen ein ursprünglich angedachter Volksentscheid nicht mehr nötig sei. Soziologische Befragungen hätten eine Befürwortung der Länderbildung von über fünfzig Prozent ergeben. Man werde nach dem 6. Mai etappenweise an die Gebietsreform herangehen.354 Deutlich wurde Ende Januar erkennbar, dass das allgemeine, von den Räten der sächsischen Bezirke schnell aufgegriffene Drängen der Bevölkerung nach Länderbildung im Rahmen staatlicher Einheit nicht ohne Auswirkungen auf die Politik der Regierung blieb. Am 1. Februar, dem Tag, an dem Modrow überraschend für „Deutschland einig Vaterland“ votierte, behandelte der Ministerrat die avisierte Verwaltungsreform, bei der es vor allem um die Herausbildung kommunaler Selbstverwaltung, aber auch um die Veränderung des Staatsaufbaus ging. Kern einer Reform der politisch-territorialen Gliederung sollte neben einer Aufwertung von Städten und Gemeinden die Herausbildung von Ländern sein. Geplant war, unter Verantwortung der Regierungskommission nach Diskussionen „mit allen interessierten politischen Kräften“ ein Gutachten über die Einführung der Länderstruktur zu erstellen.355 Ungeachtet der Regierungsschelte vom Vortag und parallel zu den eher schleppend laufenden Aktivitäten der wie immer vom politischen Geschehen getriebenen Modrow-Regierung, setzten sich Bezirkstag und Runder Tisch des Bezirkes Dresden am 1. Februar gemeinsam „Für ein freies, demokratisches Sachsen“ ein. Im Aufruf hieß es, es gelte die Chance des demokratischen Neubeginns für ein neues Kapitel in der Geschichte Sachsens zu nutzen. Kritisiert wurde der Vorschlag Modrows, Entscheidungen zur Länderbildung mit einer Volksabstimmung über eine neue DDR-Verfassung zu verbinden und stattdessen gefordert, den Volksentscheid zur Länderbildung bereits mit der vorgesehenen Volkskammerwahl am 6. Mai zu koppeln.356 Ratsvorsitzender Sieber erklärte vor dem Bezirkstag, in das Bewusstsein der Menschen sei mehr denn je ihre Identifizierung mit dem Land Sachsen gerückt. Der Rat sehe darin „den berechtigten Wunsch von Millionen Bürgern, auch in den Bezirken Leipzig und Karl-Marx-Stadt, in einem neu zu bildenden Land Sachsen sich noch besser selbst zu verwirklichen und die Heimatverbundenheit weiter auszuprägen“. Der Rat wandte sich an alle Bürger, die vom Runden Tisch mitgetragene Initiative zu unterstützen und bat die Abgeordneten der Bezirkstage Leipzig 354 Niederschrift des 1. Stellvertreters des Vorsitzenden des RdB Leipzig von der Dienstberatung beim Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates der DDR für örtliche Staatsorgane, Peter Moreth, am 31.1.1990 (SächsStAL, BT/RdB, 25795). 355 Beschluss des Ministerrates der DDR 12/4/90 vom 1. 2.1990 über Zielstellungen, Grundsätze und erste Maßnahmen zur Durchführung einer Verwaltungsreform in der DDR (BArch B, C 20, I/3–2904). 356 Erklärung des BT und des RTB Dresden vom 1. 2.1990: Für ein freies, demokratisches Sachsen (Dok. 7).

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und Karl-Marx-Stadt, „sich in ähnlicher Weise zu artikulieren“. Man beabsichtige, mit beiden Bezirken auf gleichberechtigter Grundlage zusammenzuarbeiten. Die anwesenden Vertreter der Bezirkstage Leipzig und Karl-Marx-Stadt erklärten daraufhin, dass ihre Parlamente den Aufruf unterstützten. Auch den Runden Tischen der drei Bezirke wurde ein koordiniertes Vorgehen empfohlen.357 Sieber unterbreitete dem Bezirkstag eine Vorlage des Rates über die Bildung einer Arbeitsgruppe „Verwaltungsreform“, zu der unter anderem ein Arbeitskreis „Geschichte Sachsens, politisch-territoriale Gliederung und Öffentlichkeitsarbeit“ gehören sollte. Ihre Aufgabe war die Analyse der politisch-territorialen Gliederung Sachsens 1946 bis 1952 sowie der Auswirkungen einer Verwaltungsreform auf die politisch-territoriale Gliederung des neu zu bildenden Landes. 358 Die aktive Haltung Siebers in Sachen Länderbildung stieß freilich nicht nur in der Regierung auf Widerspruch. Auch im Rat und im Bezirkstag machte er sich damit Gegner. So wurde vom PDS-Abgeordneten und Vorsitzenden der Ständigen Kommission Kultur, Gerd Handke, gegen den in Sachen Länderbildung rührigen Ratsvorsitzenden ein Misstrauensantrag gestellt, den er nur mit knapper Mehrheit überstand. 46,2 Prozent der Abgeordneten plädierten für seine Absetzung, 53,4 dagegen.359 Offiziell wurde ihm die Entlassung unbequemer Kollegen aus seinem früheren VEB vorgeworfen, tatsächlich war eine Mehrheit im Rat wie im Bezirkstag nicht gewillt, im Zuge einer forcierten Länderbildung den Apparat und seine Funktionsfähigkeit aufs Spiel zu setzen.360 Sieber übte deswegen seinerseits intern Kritik an der Unbeweglichkeit des alten „Kaderstammes“. Einen Tag nach der Bezirkstagssitzung kam es im Rat des Bezirkes zum Eklat,361 über den Sieber noch am selben Abend bei einer Aussprache im LDPD-Bezirksvorstand gegenüber einer FDP-Delegation aus BadenWürttemberg berichtete. Der Bezirkstag, so Sieber, besitze keine Legitimation mehr. Vorlagen des Rates hätten am Vortag nur mit Hilfe der basisdemokratischen Gruppen zur Bestätigung gebracht werden können. Im Rat könne er nur mit Mitgliedern der früheren Blockparteien arbeiten, die PDS-Mitglieder seien für ihn keine Partner mehr. Im Rat werde gegen ihn „geputscht“. Vom Präsidium des Bezirkstages fühle er sich diskriminiert.362 Sieber erklärte, dass trotz der 357 Bericht des RdB Dresden an den BT am 1. 2.1990 (SächsHStA, BT / RdB, 46071, Bl. 93–100). Monatsbericht Februar 1990 des Vorsitzenden des RdB Dresden, Michael Kunze, an Ministerpräsident Hans Modrow vom 28. 2.1990 (SächsHStA, BT / RdB, 46994, Bl. 12–17). 358 Tagung des BT Dresden am 1. 2.1990, Vorlage des RdB Dresden: Information des BT über die Bildung der AG Verwaltungsreform, deren inhaltlichen Arbeitsschwerpunkte und die Terminstellungen in der ersten Etappe ihrer Arbeit (HAIT, KA, 1). 359 Beschlussprotokoll der 17. Tagung des BT Dresden vom 1. 2.1990 (SächsHStA, BT / RdB, 46071, Bl. 73–92). Vgl. Die Union vom 2.2. und 3./4. 2.1990. 360 Vgl. Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 43 f. Sieber war zudem von 1973–1982 Direktor des VEB Robotron. Interview Wolfgang Sieber. In: Die Union vom 8. 2.1990. 361 Beschlussprotokoll der 97. Sitzung des RdB Dresden am 2. 2.1990 (SächsHStA, BT / RdB, 47118, Bl. 2). 362 Zit. in Erklärung des Präsidiums des BT vor dem RdB Dresden vom 7. 2.1990 (Ebd, 46123, Bl. 57 f.).

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Auflösungserscheinungen der vormaligen SED immer noch hundert Abgeordnete auf deren Mandat votierten, achtzig auf dem der ehemaligen Blockparteien, während sich die tatsächlichen Mehrheitsverhältnisse längst grundlegend geändert hätten. Nach seinen Vorstellungen wäre eine Auflösung des Bezirkstages angemessen, die den Weg für eine konstruktive Arbeit am Runden Tisch freimachen würde. Zu ständiger öffentlicher Rechenschaftslegung sei er bereit, lehne aber „Hinterrückgefechte“ innerhalb der alten Strukturen ab.363 Die so öffentlich gemachte Haltung Siebers, von dem auch bekannt geworden war, dass er Mitte Dezember 1989 für eine Auflösung der SED plädiert und vergeblich versucht hatte, „mit einer größeren Gruppe von SED-Leuten“ in die SPD überzutreten,364 verstärkten den Widerstand im Apparat des Rates und des Bezirkstages. In der SPD stießen Avancen wie die von Sieber auf prinzipielle Ablehnung. Nicht nur er suchte sein politisches Überleben durch einen Parteiwechsel zu sichern: die SDP/SPD erhielt zahlreiche Anträge ganzer Gruppen, die übertreten wollten, vor allem aus dem Hochschulbereich, den Kombinatsleitungen und aus dem Rat des Bezirkes. „Alle“, so der damalige Dresdner SDP/SPD-Bezirksvorsitzende, Günter Neumann, „die da merkten, jetzt schwimmen die Felle weg“. In der PDS habe es eine regelrechte Absetzbewegung in Richtung SDP/ SPD gegeben. In Dresden aber hatte die SPD-Bezirksleitung beschlossen, so kurz nach der eigenen Gründung niemanden aus der früheren SED oder aus den Blockparteien aufzunehmen, weil man eine „Aufweichungskampagne von Seiten der SED“, mit dem Ziel befürchtete, die Führungsposition in der neuen SPD zu übernehmen.365 Nachdem auch das Präsidium des Bezirkstages Dresden das Verhalten Siebers am 7. Februar kritisierte,366 war klar, dass dieser die bevorstehende Bezirkstagssitzung nicht unbeschadet überstehen würde. Angesichts der Ankündigung seiner Abberufung zog es Sieber vor, selbst zurückzutreten. In einer öffentlichen Erklärung sprach er den Abgeordneten nochmals die Legitimation ab, für die Bevölkerung zu sprechen und kritisierte die Mandatsverteilung im Bezirkstag.367 Gegenüber der Presse erklärte er, er sei „kurz davor“ gewesen, „über Nacht das Land Sachsen auszurufen“. Auf die Frage, ob er nicht in einem entscheidenden Moment persönliche Probleme mit den in alten SED-Strukturen befangenen Ratsmitgliedern über den möglichen politischen Erfolg hinsichtlich der Bildung des Landes Sachsen gestellt habe, verneinte er. Zwar habe er bereits an notwendigen Konzeptionen in dieser Richtung gearbeitet und sei auch bereit, mit anderen realistischen Kräften zu kooperieren, aber die letzte 363 Vgl. Die Union vom 8. 2.1990. 364 Interview Peter Adler. In: Kleimeier, Sachsen, S. 12 f. Vgl. Die Union vom 7. und 8. 2.1990. 365 Interview Günter Neumann. 366 Erklärung Präsidium BT vor dem RdB Dresden am 7. 2.1990 (SächsHStA, BT / RdB, 46123, Bl. 57 f.). 367 Presseerklärung der FDGB-Fraktion des BT Dresden vom 8. 2.1990 (ebd., 47118/2, Bl. 192).

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Sitzung des Bezirkstages habe ihm deutlich vor Augen geführt, dass er im Plenum einen Misstrauensantrag aus den Reihen des Rates zu gewärtigen habe. Die Gründe dafür sehe er auch in seiner Position zur schnellen Wiederherstellung der alten Länderstrukturen. Außerdem werde ihm vom Präsidium des Bezirkstages vorgeworfen, dass er in einer Wahlveranstaltung der Liberalen die demokratische Legitimation des Bezirkstages angezweifelt habe.368 Wie erwartet, empfahl der Rat noch am selben Tag dem Bezirkstag seine Abberufung. Als Nachfolger schlug der Rat sein Mitglied für Kultur, Klaus Schumann, vor,369 den die Abgeordneten des Bezirkstages jedoch „einmütig“ ablehnten. Sollte der Rat bei der Entscheidung bleiben, so ließen sie wissen, würde sich der Bezirkstag auflösen. Stattdessen sollte zunächst ein amtierender Vorsitzender durch den Bezirkstag bestätigt und nach Absprache mit allen Fraktionen, zu einem späteren Zeitpunkt ein Vorsitzender gewählt werden. Vorgeschlagen wurden der bisherige Stellvertreter des Vorsitzenden für Verkehr- und Nachrichtenwesen, Michael Kunze, und Andreas Mauksch.370 Nach Zurückweisung seines Vorschlages durch den Bezirkstag beschloss der Rat mit 13 zu 1 Stimmen bei zwei Enthaltungen die Wahl Kunzes.371 Schumann, so hieß es, sei vorgeschlagen worden, weil er über ein „anerkanntes Wissen zur Rechtssprechung sowie Demokratieverständnis“ und als Kunsthistoriker über ausgezeichnete landeskundliche und historische Kenntnisse verfüge; Kunze sei für die Herausbildung des Wirtschaftsministeriums des Landes Sachsen vorgesehen gewesen.372 Kunze war der bislang erste Vorsitzende eines Rates des Bezirkes, der nicht der SED/PDS angehörte. Dass man nicht auf einen SED-Funktionär, sondern einen Exponenten der NDPD zurückgriff, hing mit der Erosion der SED/PDS-Machtstellung zusammen. Die Vertreter der „befreundeten Parteien“ passten im Februar 1990 besser ins politische Bild und schienen zukunftsträchtiger zu sein. Außerdem meinten Anhänger wie Gegner, dass auch Kunze ein „machtbewusster Vertreter des Apparats“ und „harter Apparatschik“ war.373 Kunze charakterisierte seine Amtszeit später als eine „Zeit der Doppelherrschaft“, in der immer spürbarer geworden sei, „dass die, die bisher im Rat waren, Schritt für Schritt zurückgedrängt wurden oder zurückgingen und die, die neu kamen, ihre Position verstärkten“.374 Am 15. Februar kritisierte der Runde Tisch des Bezirkes die Art des Amtswechsels. Die „basisdemokratischen Vertreter“ seien an keiner Stelle in die Entscheidung einbezogen worden. Für die SPD verwies Gerhard Bauer darauf, dass die Bevölkerung die wirklichen Gründe, die zur Ablösung Siebers

368 Die Union vom 8. 2.1990. 369 Beschluss 25/90 des RdB Dresden vom 7.2.1990 (SächsHStA, BT/RdB, 47118, Bl. 102). 370 Präsident des BT Dresden: Beratung mit den Mandatsträgern des Bezirkes Dresden am 7. 2.1990 (ebd., 46123, Bl. 206). 371 Beschluss 29/90 des RdB Dresden vom 7. 2.1990 (ebd., 47118, Bl. 110). 372 Erklärung des RdB Dresden vom 7. 2.1990 (ebd., Bl. 191 f.). 373 Schubert, Koordinierungsausschuss, S. 43 f. 374 Interview Michael Kunze. In: Sächsische Zeitung vom 13. 4.1996.

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geführt hätten, anfrage. Sie gehe mit dessen Anzweiflung der Legitimation des Bezirkstages konform.375 Parallel zur Ablösung Siebers hatte der Bezirkstag in Umsetzung eines Volkskammerbeschlusses vom 28. Januar am 8. Februar offiziell beschlossen, die neuen Parteien und Gruppierungen mit vollem Stimmrecht in die Arbeit einzubeziehen.376 Zuvor hatte das Präsidium des Bezirkstages die Abberufung aller Abgeordneten und Nachfolgekandidaten angekündigt, die ihren Pflichten als Abgeordnete nicht mehr nachkamen. Auslöser war die Tatsache, dass nur noch 59 Prozent der Abgeordneten zur zweiten Session des Bezirkstages erschienen waren. Die dadurch frei werdenden Abgeordnetenplätze wurden den am Runden Tisch beteiligten basisdemokratischen Gruppen und oppositionellen Parteien angeboten,377 freilich nur, wenn diese nicht von Nachfolgekandidaten beansprucht wurden. Für den Kommentator der „Union“ bedeutete das „nichts anderes als die Restauration der alten Mehrheitsverhältnisse im Parlament, die den Verhältnissen draußen im Leben bekanntlich in keiner Weise entsprechen“.378 Außerdem war zu deutlich erkennbar, dass das Angebot einer stimmberechtigten Mitarbeit, die Modrow bislang verweigert hatte, nur unter dem Druck der Bevölkerungsproteste zustande gekommen war und der Stützung der zerfallenden Machtstrukturen diente. Die basisdemokratischen Gruppierungen und neuen Parteien im Dresdner Bezirkstag lehnten eine Kooptierung als stimmberechtigte Abgeordnete daher ab und forderten stattdessen die Auflösung des Bezirkstages. Dieser könne seine fehlende demokratische Legitimation nicht durch eine Kooptierung von Vertretern der neuen Parteien und Gruppierungen herstellen, da die damit entstehenden Mehrheitsverhältnisse ebenfalls nicht dem politischen Willen der Bevölkerung entsprächen. Da der Bezirkstag nicht zur Selbstauflösung bereit sei, würden die neuen politischen Kräfte jedoch das Rede- und Antragsrecht wahrnehmen und in den Ständigen Kommissionen mitarbeiten, um die Arbeit zu kontrollieren.379 Zum gleichen Zeitpunkt nahm zwar der Runde Tisch des Bezirkes das Angebot des Bezirkstages an, einen Vertreter zur ständigen Teilnahme an den Beratungen des Präsidiums zu entsenden, forderte aber gleichzeitig, künftig in alle Beratungen des Präsidiums und des Rates des Bezirkes einbezogen zu werden. Am 8. Februar delegierte der Runde Tisch seinen Moderator, Erich Iltgen, in das Präsidium des Bezirkstages,380 wodurch die Zusammenarbeit zwischen Rat und 375 Vgl. Die Union vom 17./18. 2.1990. 376 Vgl. Beschlussvorlage 4.3 des RdB Dresden vom 21. 2.1990: Maßnahmen zur Auswertung der 17. Tagung des BT vom 1. und 8. 2.1990 (SächsHStA, BT / RdB, 47119/1, Bl. 111–114). 377 BT Dresden, Präsidium: Kommunique Beratung des Präsidiums des BT am 6. 2.1990 (ebd., 46123, Bl. 60). 378 Torsten Theisinger. In: Die Union vom 10./11. 2.1990. 379 Erklärung der Vertreter der basisdemokratischen Vereinigungen und neuen Parteien im BT Dresden (RT, Neues Forum, NF/DFP, Grüne Partei, VL, SPD, DA) vom 8. 2.1990 (SächsHStA, BT/RdB, 46071, Bl. 25). 380 Protokoll der 8. Beratung des RTB Dresden am 8. 2.1990 (ebd., 46123, Bl. 184 f.).

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Rundem Tisch gefestigt wurde.381 Iltgen handelte von nun an formal auch als Mitglied des Präsidiums des Bezirkstages und nicht mehr nur als Moderator des Runden Tisches. Im Sinne einer formalen Legitimation nach den bisherigen Regeln staatlicher Arbeit verfügte er nun über eine Legitimation als Mitglied des Präsidiums des Bezirkstages Dresden.382 Umgekehrt veränderte sich durch die Bildung einer Basisdemokratischen Fraktion und die Einbeziehung eines Moderators des Runden Tisches auch die Legitimationsgrundlage des Bezirkstages. Zwar handelte es sich nach wie vor nicht um ein demokratisches Gremium, seine Arbeit wurde aber auf eine breitere politische Grundlage gestellt. Mit dem Rat bzw. dem Bezirkstag und dem Runden Tisch standen sich auch nicht etwa alte und neue politische Kräfte in klarer Frontstellung gegenüber; vielmehr waren alle Gremien durch wechselseitige Mitwirkung eng miteinander verwoben, und auch am Runden Tisch hatten die alten Parteien ein gewichtiges Wort mitzureden. Vor dem Runden Tisch des Bezirkes Dresden informierten der Präsident des Bezirkstages und der Vorsitzende des Rates am 15. Februar über Vorstellungen und Aktivitäten zur weiteren Zusammenarbeit mit dem Runden Tisch. Dieser beschloss, das Angebot des Bezirkstages zur Mitarbeit von Vertretern der Parteien und politischen Vereinigungen in den ständigen Kommissionen des Bezirkstages sowie in der parlamentarischen Gruppe zur Bildung des Landes Sachsen zur Kenntnis zu nehmen und dem Bezirkstag Vertreter zu benennen.383 Freilich hatten die Aktivitäten des Bezirkstages kaum noch Bedeutung, war doch von der Regierung bereits das endgültige Aus der bezirklichen „Volksvertretungen“ beschlossen worden. Schon am 6. Februar hatten Dudek und Preiß die Vertreter der Räte der Bezirke über Einzelheiten der Verwaltungsreform informiert, dabei eine Koordinierung der Arbeit der Regierungskommission mit den bei den meisten Räten bestehenden Arbeitsgruppen gefordert und auch über die Zukunft der Bezirkstage und der Räte der Bezirke gesprochen.384 Generell bestand in den etablierten Staatsinstitutionen Einigkeit, die Länder auf den Bezirken aufzubauen. Der als Experte ausgewiesene Karl-Heinz Hajna vom Zentralinstitut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften riet, die Daseinberechtigung der Bezirke nicht vorschnell zu verwerfen,385 und auch die Regierungskommission vertrat die Ansicht, die Neubildung der Länder zunächst auf Bezirksebene vorzunehmen. Aus den Bezirken sollten später die Regie-

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Bericht des RdB zur 19. Tagung des BT am 26. 4.1990 (ebd., 47121/1, Bl. 232). Interview Erich Iltgen. Protokoll der 9. Beratung des RTB Dresden am 15. 2.1990 (Dok. 10). RdB Halle: Information über die Beratung des Staatssekretärs, Manfred Preiß, im Ministerium für örtliche Staatsorgane und dem Leiter der Abteilung Verwaltungsreform, Rainer Dudek, mit allen RdB vom 6. 2.1990 (LA Merseburg, Rep. BT/RdB, 21129/6); Fernschreiben von Rainer Dudek an die Vorsitzenden der RdB Dresden, KMS und Halle vom 29.1.1990 (BArch B, DO 5, 179). 385 Hajna, Karl-Heinz: „Wie deutsche Länder im stillen Kämmerlein beseitigt wurden. Die Bezirksreform von 1952 und ihre Folgen.“ In: Der Morgen vom 20./21.1.1990.

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rungsbezirke hervorgehen.386 Vor diesem Hintergrund hatte die sich abzeichnende Länderbildung schon seit Januar die Frage akut werden lassen, ob und wie lange die Bezirkstage in der vorhandenen Form weiterarbeiten oder ob sie sich wie Volkskammer und Kreis- bzw. Kommunalparlamente erstmals einer freien Wahl stellen sollten. Der Leipziger Bezirkstag sowie die Räte der Bezirke Rostock und Gera forderten zunächst, die Bezirkstage unabhängig von der Dauer ihres Bestehens neu zu wählen.387 Die Regierung machte ihrerseits frühzeitig klar, dass angesichts der Länderbildung freie Wahlen auf Bezirksebene für sie nicht in Frage kämen. Am 6. Februar verständigten sich Regierung und Räte darauf, dass die Bezirkstage nach den Neuwahlen der Volkskammer, spätestens nach den Wahlen im Mai zu den Gemeinde-, Städte- und Kreisvertretungen nicht mehr haltbar seien. Der Schweriner Ratsvorsitzende, Siegfried Hempelt, schlug vor, die Länder durch einen Volksentscheid am 6. Mai herbeizuführen und am selben Tag in den Bezirksstrukturen Abgeordnete für die Länderparlamente zu wählen. Trotz unterschiedlicher Detailauffassungen bestand Einigkeit, die Bezirkstage zu opfern, die Räte der Bezirke jedoch als Verwaltungsorgane in die neuen Länderstrukturen hinüberzuretten. Die Ratsvorsitzenden schlugen vor, die Räte der Bezirke bis zum Aufbau von Länderregierungen als Regierungsbezirke fungieren zu lassen. Manfred Preiß, Staatssekretär im Ministerium für örtliche Staatsorgane, erklärte, nach den Wahlen am 18. März sei es den Räten freigestellt, die Bezirkstage aufzulösen. Die Räte sollten dann gemeinsam mit den Runden Tischen der Bezirke zu „geschäftsführenden Verwaltungen“ umgebildet werden.388 Nach der Besprechung am 6. Februar bestätigte auch die Regierungskommission Verwaltungsreform, dass es mit Blick auf künftige Länder in der Tat unumgänglich sei, arbeitsfähige Verwaltungsorgane auf Bezirksebene zu erhalten, um die Bezirke nach der Länderbildung in Regierungsbezirke der Länder umwandeln zu können. Wichtig sei dabei allerdings, dass mit der Neuformierung staatlicher Leitungsorgane keine Verfestigung der bestehenden Bezirksstruktur verbunden sei. Um dies zu erreichen, sei „die Leitbarkeit der Bezirke ohne erneute Wahl von Volksvertretungen auf dieser Ebene zu sichern“. Deswegen empfahl auch die Regierungskommission, die Volkskammer sollte mit der Beendigung der Wahlperiode der kommunalen „Volksvertretungen“ zugleich die Beendigung der Wahlperiode der Bezirkstage beschließen. Als Variante sollten sich die386 Regierungskommission für die Vorbereitung und Durchführung der Verwaltungsreform, AG administrativ-territoriale Gliederung: Vorlage zu den Grundsätzen der Länderbildung sowie zu Grundzügen der Aufgabenstellung künftiger Länderparlamente und -regierungen vom 22. 2.1990 (BArch B, DO 5, 137). 387 Vorsitzender des RdB Leipzig an Ministerpräsident Hans Modrow. Frage 3: Stellung der politischen Gruppen zu den Volksvertretungen vom 4.1.1990 (SächsStAL, BT / RdB, 38212); Protokoll der 3. Sitzung des RdB Rostock am 19.1.1989 (VPLA, Rep. 200/ 2.3.1., 730); Vorsitzender des RdB Gera, Helmut Luck, an Hans Modrow vom 30.1. 1990 (BArch B, DO 5, 142). 388 Handschr. Verlaufsprotokoll der Beratung mit den 1. Stellvertretern der RdB am 6. 2.1990 (ebd., 179).

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se auf Empfehlung des Präsidiums der Volkskammer selbst auflösen. Zur vorübergehenden Leitung der Bezirksverwaltungen wurden entweder die Bildung hauptamtlicher geschäftsführender kollektiver Leitungsorgane oder die Schaffung des Amtes eines Regierungspräsidenten vorgeschlagen. Die kollektiven Leitungsorgane sollten sich entsprechend den Ergebnissen der Volkskammerwahlen zusammensetzen, die Regierungspräsidenten durch den Ministerrat ernannt und in dessen Auftrag tätig werden. Für die Herausbildung der Länder wurden die Durchführung von Volksentscheiden mit den Volkskammer- oder Kommunalwahlen, die Erarbeitung von Varianten durch den Ministerrat, eine öffentliche Diskussion samt Bürgerentscheide, die Verabschiedung eines Gesetzes über die Länderbildung durch die Volkskammer im Herbst 1990 und die anschließende Umwandlung der Bezirke in Regierungsbezirke empfohlen.389 Der Vorschlag fand sowohl beim Kolloquium „Zur Neugestaltung der politisch-territorialen Gliederung der DDR“ am 16. Februar390 als auch bei den Räten Zustimmung, erhoffte man sich doch eine Weiterbeschäftigung des bisherigen „Kaderstamms“ in den künftigen Regierungsbezirken. In einem Schreiben an Moreth bedauerte der Leipziger Ratsvorsitzende Draber zwar, dass die Bezirkstage nicht neu gewählt würden, unterstützte aber den Vorschlag, die Bezirkstage nach dem 6. Mai aufzulösen und „die Räte und Apparate der Bezirke als Regierungsbezirke zukünftiger Länder mit rein administrativer Funktion zu strukturieren“.391 Um die Zukunft der Räte abzusichern, schlug der Geraer Ratsvorsitzende, Helmut Luck, Modrow nicht nur vor, diese als geschäftsführende Verwaltungen zu profilieren, sondern auch „dahingehend die notwendigen konkreten Festlegungen zu treffen“.392 Am 20. Februar wertete das Präsidium des Bezirkstages Dresden die bisherigen Aktivitäten zur Länderbildung aus. Rentsch informierte über die Bereitschaft des Runden Tisches, in der Arbeitsgruppe des Bezirkstages zur Vorbereitung der Landesbildung mitzuwirken. Schwerpunkt der Besprechung war die Koordinierung der Aktivitäten von Rat, Bezirkstag und Rundem Tisch im Bezirk sowie die Koordinierung mit den Aktivitäten der parallelen Gremien in KarlMarx-Stadt und Leipzig. Nach der Regierungsankündigung über das Ende der Bezirkstage war es kaum verwunderlich, dass der Rat kein sonderliches Interesse mehr an einer Kooperation mit der Arbeitsgruppe des Auslaufmodells „Bezirkstag“ hatte. Schumann erklärte, eine Mitwirkungsmöglichkeit von Abgeordneten des Bezirkstages in diesen Arbeitsgruppen sei beschränkt. Die Arbeitsgruppe des Bezirkstages sollte ihre Hauptaufgabe in der verfassungsgebenden Arbeit sehen 389 Ministerium für örtliche Staatsorgane, Abteilung Verwaltungsreform: Gedanken und Vorschläge zur Sicherung der Arbeitsfähigkeit der Bezirke vom 8. 2.1990 (BArch B, DO 5, 137). 390 Ministerium für örtliche Staatsorgane, Abteilung Verwaltungsreform: Information über das Kolloquium am 16. 2.1990 „Zur Neugestaltung der politisch-territorialen Gliederung der DDR“ vom 19. 2.1990 (ebd.). 391 Joachim Draber an Peter Moreth vom 19. 2.1990 (SächsStAL, BT/RdB, 25795). 392 Helmut Luck an Hans Modrow vom 19. 2.1990 (ThStAR, BT/RdB, 31543).

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und dabei mit den anderen Bezirkstagen kooperieren. Angesichts der reservierten Haltung des Rates hatte der Vorschlag, die Arbeit der Abgeordnetengruppe mit der der Arbeitsgruppen des Rates zu koordinieren, keine Aussicht auf Erfolg. Das Präsidium konnte daher nur beschließen, einen Abgeordneten zur Koordinierung der Arbeit der Arbeitsgruppen der drei Bezirkstage festzulegen.393 Am selben Tag legte der Rat des Bezirkes Leipzig ein Papier vor, das auf seiner Ausarbeitung vom 30. Januar basierte und die Ergebnisse seiner Arbeitsgruppe „Verwaltungsreform“ wiedergab. Darin unterstützte der Rat einen Volksentscheid zur Länderbildung bis zum 6. Mai, eine Veröffentlichung von Varianten einschließlich einer Rahmenverfassung durch den Ministerrat und eine öffentliche Diskussion mit Bürgerentscheiden zu den Problemgebieten, deren Landeszugehörigkeit unklar war. Auch hier wurde die Bildung von Regierungsbezirken vorgeschlagen. Es gelte, „jetzige Bezirksstrukturen zu beachten, um nicht Versorgungs- und Betreuungsfunktionen zu stören und letztendlich einen Kopplungseffekt zwischen den Ländern (bis 1952) und den Bezirken herzustellen“. Der Rat plädierte dafür, auf dem Territorium der DDR drei Länder zu bilden, nämlich Mecklenburg, Brandenburg und Sachsen-Thüringen, letzteres mit 9,5 Mio. Einwohnern und einer Fläche von ca. 42 000 km². Dafür spreche, dass der Raum Sachsen-Thüringen bereits einmal mehrere Jahrhunderte eine politische Einheit war. Den besonderen Traditionen von Sachsen und Thüringen könnte durch „eine Art Provinzen“ entsprochen werden.394 Anders als in Dresden war der Leipziger Bezirkstag zu seiner 17. Tagung am 23. Februar angesichts fehlender Abgeordneter nicht mehr beschlussfähig. So verlagerte sich die Diskussion hier an den Runden Tisch des Bezirkes, der anders als in Dresden Anfang März einstimmig auf die Bildung eigener Arbeitsgruppen verzichtete und dies damit begründete, dass Vertreter aller Parteien und Gruppierungen in verschiedenen Arbeitsgruppen im Zusammenwirken mit Nordrhein-Westfahlen und BadenWürttemberg tätig seien. Hier trug Ratsvorsitzender Jochen Draber am 1. März die Überlegungen des Rates vor. Dabei wurden die im Material ausgewiesenen Varianten der Länderbildung sowie das Für und Wider einer „Freien Messestadt Leipzig“ mit oder ohne Umfeld beraten.395 Auch auf der 18. Tagung des Leipziger Bezirkstages am 8. März sprach Draber die Länderbildung kurz an, eine Diskussion zum Thema blieb freilich aus.396 Nachdem der Rat des Bezirkes Dresden bereits am 20. Februar eine Koordinierung der Aktivitäten der drei Bezirke bei der Länderbildung beschlossen hatte, kam der Vorschlag der Arbeitsgruppe „Administrativ-territoriale Gliederung“ der Regierungskommission vom 22. Februar etwas spät, den Räten der 393 Protokoll der Tagung des Präsidiums des BT Dresden vom 20. 2.1990 (SächsHStA, BT/ RdB, 46123, Bl. 145–153). 394 Stellungnahme des RdB Leipzig zur politisch-administrativen Territorialgliederung vom 20. 2.1990 (Dok. 13). 395 Protokoll über die Beratung des RTB Leipzig am 1. 3.1990, Ergänzungsblatt zur Information vom 20. 2.1990 zur Territorialgliederung (SächsStAL, BT/RdB, 31258). 396 Vgl. Die Union, Ausgabe Leipzig, vom 12. 3.1990.

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Bezirke die Bildung zeitweiliger Regionalausschüsse entsprechend den zukünftigen Länderstrukturen zu empfehlen. Nach dem Willen der Kommission sollten sie alle Maßnahmen zur Durchführung der Verwaltungsreform abgestimmt vorbereiten und die inhaltliche und terminliche Orientierung ihrer Arbeit durch die Regierungskommission gewährleisten. Zwischen den Arbeitsgruppen der Regierungskommission und denen der Regionalausschüsse sollte es eine ständige Zusammenarbeit geben.397 Erneut war der Versuch unverkennbar, den Einfluss auf Art und Richtung der Länderbildung nicht zu verlieren. Einen Tag später informierte der Ministerrat die Räte der Bezirke offiziell über seine Entscheidung, angesichts der Länderbildung keine Wahlen zu den Bezirkstagen stattfinden zu lassen. Die Bezirkstage würden sich nach dem 6. Mai auflösen und die Räte der Bezirke zu Regierungsorganen der neuzuschaffenden Länder umgestaltet werden. Die Räte wurden aufgefordert, ihre Arbeitsfähigkeit bis zur Länderbildung zu sichern.398 Bei der Beratung forderten die Ratsvorsitzenden mehrheitlich, dass bis zur Wahl von Länderparlamenten in jedem Bezirk ein Legislativorgan bestehen sollte, durch das die Wahl oder Bestätigung eines den jetzigen Räten ähnlichen kollegialen Leitungsorgans erfolgen müsste. Das Präsidium der Volkskammer sollte den Bezirkstagen empfehlen, selbst über die vorzeitige Beendigung der Legislaturperiode zu entscheiden. Auf Beschluss der noch bestehenden Bezirkstage sollte gleichzeitig als Übergangslösung ein „Legislativorgan“ auf Bezirksebene durch Delegierung von Abgeordneten der gewählten Kreistage gebildet werden.399 Die Ratsvorsitzenden wussten um ihre fehlende demokratische Legitimierung und versuchten, diese durch eine von den Kreisen übertragene Legitimierung zu kaschieren. Einige Ratsvorsitzende waren von diesem Konzept einer geliehenen Legitimierung nicht überzeugt und kritisierten die Entscheidung, die Bezirkstage bis zu ihrer Auflösung ohne Wahlen auskommen zu lassen. Am 1. März forderten die amtierenden Vorsitzenden der Räte der Bezirke Rostock, Götz Kreuzer, Schwerin, Siegfried Hempelt, und Neubrandenburg, Wolfgang Otto, vom Präsidenten der Volkskammer, Günther Maleuda, bis zum 6. Mai auch Wahlen auf Bezirksebene durchzuführen, da sonst die Regierbarkeit auf Bezirksebene nach dem 6. Mai „auf Grund der Lage sowie der abweichenden politischen Zusammensetzung“ nicht mehr gewährleistet sei.400 397 Regierungskommission für die Vorbereitung und Durchführung der Verwaltungsreform, AG administrativ-territoriale Gliederung: Vorlage zu den Grundsätzen der Länderbildung sowie zu Grundzügen der Aufgabenstellung künftiger Länderparlamente und -regierungen vom 22. 2.1990 (BArch B, DO 5, 137). 398 Vgl. Festlegungsprotokoll über die Dienstberatung mit den Mitgliedern des RdB Leipzig, dem amtierenden OB der Stadt Leipzig und den Vorsitzenden der RdK am 28. 2. 1990 (SächsStAL, BT / RdB, 21312); Protokoll der 5. Sitzung des RdB Schwerin am 28. 2.1990 (MLHA, BT/RdB, Z 26/91, 36659). 399 Beschluss des Ministerrates der DDR 16/1a/90 vom 1. 3.1990 zur Information über die Beratung des Ministerrates der DDR mit den Vorsitzenden der RdB am 23. 2.1990 (BArch B, DO 5, 90). 400 Schreiben an den Präsidenten der Volkskammer der DDR, Günther Maleuda, vom 1. 3.1990 (MLHA, BT/RdB, Z 26/91, 36671).

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Maleuda wies den Vorschlag zurück und forderte, die Arbeitsfähigkeit der Bezirkstage unter allen Umständen zu erhalten, um die Regierbarkeit der Bezirke zu sichern. Dazu sollten Vertreter aller Parteien und Gruppen der Runden Tische der Bezirke als Abgeordnete mit allen gesetzlich festgelegten Rechten und Pflichten für frei gewordene Mandate kooptiert werden.401 Am 27. Februar folgte eine Beratung mit den Ersten Stellvertretern der Räte der Bezirke. Neben Fragen der kommunalen Selbstverwaltung ging es um „Aufgabenstellung und Grundstruktur eines Leitungsorgans auf Ebene der Bezirke (Länder) und Kreise“.402 Besprochen wurde unter anderem die Rolle von Bezirkstagen und Räten der Bezirke nach dem 6. Mai. Moreth kündigte eine Beratung im Ministerrat am 1. März und eine Entscheidung des Präsidiums der Volkskammer an.403

3.2.4 Ausrichtung der politischen Kräfte Sachsens am bundesdeutschen Parteiensystem Die sich abzeichnende Wiedervereinigung und der beginnende Wahlkampf zur ersten freien Volkskammerwahl führten zu einer Orientierung der früheren Blockparteien und neuen Gruppierungen am bundesdeutschen Parteiensystem. Die politische Landschaft der DDR polarisierte sich gemäß bundesdeutscher Vorlage. Die Blockparteien CDU und LDPD gewannen als DDR-Filialen der Bonner Parteien neues Profil, und es gründeten sich neue Parteien, die sich von Anfang an als Schwesterorganisationen bundesdeutscher Parteien verstanden. In Grundzügen zeichnete sich in formaler Hinsicht das Gerüst einer gesamtdeutschen politischen Landschaft ab. In den neuen politischen Gruppierungen löste die Entwicklung Differenzierungsprozesse und Strategiedebatten aus. Alternativ diskutiert wurden vor allem entweder eine rasche Wiedervereinigung oder ein längerer Erhalt der Eigenständigkeit einer demokratisierten DDR, die Konstituierung zur Partei oder die Weiterarbeit als Bürgerbewegung und schließlich entweder der Anschluss an bundesdeutsche oder der Erhalt bzw. die Schaffung eigener DDR-Parteien. Wie würde man in der künftig gesamtdeutschen Parteienlandschaft bestehen und politische Interessen durchsetzen können? Eine Zusammenkunft von Vertretern der neuen politischen Kräfte im Januar 1990 im Dresdner Kulturpalast spiegelte den Streit über den richtigen Weg wider. Einig war man sich, dass es für kleinere Gruppierungen schwierig sein würde, Mehrheiten zu gewinnen. Vaatz sprach von einer kommenden Dominanz des bundesdeutschen Parteiensystems, an dem man sich orientieren müsse. Schnur schlug hingegen die Schaffung einer großen ostdeutschen Oppositi401 Protokoll der 4. Präsidiumssitzung des BT Rostock vom 8. 3.1990 mit den Vorsitzenden der ständigen Kommissionen (VPLA, Rep. 200/1.1, 102). 402 Einladung von Rainer Dudek vom 20. 2.1990 (BArch B, DO 5, 179). 403 Handschriftliches Verlaufsprotokoll der Beratung mit den 1. Stellvertretern der RdB am 27. 2.1990 (ebd.).

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onspartei vor, die Sammelbewegungen wie das Neues Forum oder den DA zusammenfassen sollte.404 Vaatz machte dagegen geltend, dass eine solche Partei im Westen kaum Fuß fassen würde. Sinnvoller sei es, sich den bundesdeutschen Parteien anzuschließen. Schnur und Eppelmann wiesen diese Argumentation zurück und sprachen sich für eine deutschland-, ja europaweite Ausdehnung der DDR-Gruppierungen aus.405 Die kommende Entwicklung sollte derartige Vorstellungen bald ad absurdum führen und Vaatz Recht geben. SDP/SPD: Am klarsten war der Weg der SDP in die bundesdeutsche Parteienlandschaft vorgezeichnet.406 In ganz Sachsen war eine Hinwendung zur WestSPD festzustellen. In Dresden wurde bereits am 4. Januar, einen knappen Monat vor anderen Orten, eine Namensänderung in SPD beschlossen. Aber auch hier gab es, freilich marginalisierte, Bestrebungen zum Erhalt der Eigenständigkeit. Eine Delegiertenkonferenz der SDP beschloss Mitte Januar schließlich die Umbenennung und stellte damit die Weichen für die gesamtdeutsche Fusion.407 Die SDP/SPD löste sich damit als erste neue politische Kraft vom Ziel eines gemeinsamen Wahlbündnisses der neuen politischen Kräfte. Ihr erster Parteitag in Leipzig Ende Februar bestätigte schließlich die Umbenennung. Neues Forum / DFP: Uneinheitlicher verlief die Entwicklung im Neuen Forum, das wie die meisten Bürgerbewegungen im DDR-Süden stärker liberalkonservativ orientiert war. Hier gab es frühzeitig Bestrebungen, sich als Partei zu konstituieren. Am 27. Januar gründete sich in Karl-Marx-Stadt aus Teilen des Neuen Forums die Deutsche Forum Partei (DFP) mit Jürgen Schmieder an der Spitze.408 Im 13köpfigen Bundesvorstand war Dresden mit Jörg Wildoer, Dieter Hofmann und Alexander Schintlmeister recht gut vertreten. Auch Arnold Vaatz und Harald Röthig vom Neuen Forum schlossen sich der DFP im Januar an und setzten sich hier für ein Wahlbündnis mit der CDU ein. Nachdem Schmieder, dem Rat Otto Graf Lambsdorffs folgend, ein Wahlbündnis der DFP Partei mit der FDP favorisierte, veranlasste dies die Dresdner Aktivisten, sich an den westlichen Unionsparteien zu orientieren.409 Für sie blieb die Forumpartei „eine Episode von ein paar Wochen“.410 Schmieder schloss die DFP mit der LDP und der DDR-FDP im Bund Freier Demokraten (BFD) zusammen, der angab, mit der Bundes-FDP fusionieren zu wollen. Andere Teile des Neuen Forums lehnten den Weg der wichtigsten neuen Gruppierung des Herbstes 1989 in die Parteienlandschaft ab und plädierten dafür, das Neue Forum als alternative gesellschaftliche Kraft zu erhalten. 404 Unklar ist, ob dieser Plan noch der Intention des MfS entsprang, die neuen Gruppierungen auf diese Weise besser kontrollieren und (dank Schnur) unterwandern zu können. 405 Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. Vgl. Hans Geisler ebd. 406 Gut untersucht ist dieser Prozess für Dresden. Vgl. Urich, Die Bürgerbewegung, S. 245– 260 u. 385–395. 407 Vgl. Gutzeit/Hilsberg, Die SDP/SPD, S. 637–654. 408 Vgl. ausführlich Urich, Die Bürgerbewegung, S. 370–378. 409 Vgl. Interviews mit Matthias Rößler und Dieter Reinfried. In: Schmidt, Von der Blockpartei zur Volkspartei, S. 193; Interview Arnold Vaatz am 9. 6.1999. 410 Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003.

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Demokratischer Aufbruch: Auch im Demokratischen Aufbruch (DA) führte der politische Differenzierungsprozess angesichts der sich abzeichnenden staatlichen Einheit wie beim Neuen Forum zum Auseinanderbrechen der Organisation.411 In Dresden lagen die Wurzeln des DA sowohl in der Initiativgruppe „Demokratische Erneuerung“, aus der Jürgen Bönninger stammte, als auch im Johannstädter Friedenskreis, dessen Leiter, Johannes Pohl, sich dem DA anschloss. Bönninger hatte an der Gründung des DA am 2. Oktober in Berlin teilgenommen. Hans Geisler nahm in der zweiten Oktoberhälfte Kontakt zur Führung des Dresdner DA auf; Helmut Münch und Matthias Rößler kamen im Dezember hinzu. Die offizielle Konstituierung fand in Dresden am 25. Oktober mit rund achtzig Personen in der Auferstehungskirche statt. Drei Tage später beschloss die Dresdner Gruppe von Demokratie Jetzt ihre Fusion mit dem DA. Ebenfalls diskutiert wurde das Verhältnis zum Neuen Forum. Auf einer Veranstaltung in Dresden-Leuben wurde am 7. November darüber diskutiert, ob der Demokratische Aufbruch als „Partei im Neuen Forum“ agieren sollte.412 Am 17. November wurde angekündigt, den DA als Partei zu gründen und das Neue Forum als Plattform weiterzuführen. Am 25. November verabschiedeten beide Organisationen ein gemeinsames Aktionsprogramm, das eine Fusion am 16. Dezember vorsah. Das Vorhaben scheiterte freilich an den Intentionen beider Berliner Zentralen, zudem fand ein entsprechender Antrag auf dem Gründungsparteitag in Leipzig keine Mehrheit. Wie andere neue Gruppierungen war der DA ein begehrter Gesprächspartner der West-CDU. Bereits Ende November nahm Helmut Rau, Geschäftsführer der CDU im Regierungsbezirk Südbaden, im Auftrag Späths Kontakt zum Dresdner DA auf. Wolfgang Mischnik versuchte, den DA in die FDP zu integrieren. Dies scheiterte daran, dass die DA-Mitglieder zuvor in die LDPD eintreten sollten, wozu sie nicht bereit waren.413 Am 4. Januar verabschiedete der Dresdner DA eine Erklärung, wonach er nur mit Parteien und Gruppierungen ein Bündnis eingehen werde, die sich für die staatliche Einheit in einer europäischen Friedensordnung, für soziale Marktwirtschaft mit ökologischer Ausrichtung und für ein freiheitliches System in einem demokratischen sozialen Rechtsstaat einsetzten.414 Zur Mitgliederversammlung des DA am 31. Januar warb Arnold Vaatz noch einmal für das Zusammengehen mit dem Neuen Forum. Die Mitglieder stimmten dem zu, hielten sich aber die Möglichkeit einer Fusion mit der CDU offen. Solche Orientierungen führten zum Austritt von Mitgliedern wie Friedrich Schorlemmer und Rudi Pahnke, die sich explizit gegen ei-

411 Zur Entwicklung des DA bis Ende 1989 auf DDR-Ebene vgl. Neubert, Der „Demokratische Aufbruch“. Zur Entwicklung des DA im Bezirk und in der Stadt Dresden bis zur Fusion mit der CDU vgl. Urich, Die Bürgerbewegung, S. 260–268 u. 395–409. Zum DA in Sachsen vgl. Fiedler, Demokratischer Aufbruch in Sachsen, S. 52–80. 412 Johannes Pohl. Zit. ebd., S. 52. 413 Helmut Münch. Zit. ebd., S. 57. 414 Vgl. Urich, Bürgerbewegung, S. 397.

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ne schnelle staatliche Einheit aussprachen. Für sie war der Zehn-Punkte-Plan Helmut Kohls „die größte Katastrophe nach Öffnung der Grenzen“.415 Der Leipziger DA hatte seine Wurzeln ebenfalls in der kirchlichen Friedensbewegung.416 Die Kirchliche Hochschule in Leipzig spielte eine wesentliche Rolle. Erste Arbeitsgruppen des DA bildeten sich durch Projekte zu den Themen Umwelt und Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Eine dieser Gruppen, die vom Pfarrer und Dozenten am Theologischen Seminar, Harald Wagner, betreut wurde, mündete direkt in den DA ein. Am 9. November 1989 fand in der Leipziger Trinitatiskirche eine Gründungsversammlung statt, auf der eine rund zwanzig Personen umfassende Koordinierungsgruppe, unter anderem bestehend aus Karlheinz Bauer, Harald Wagner, Frank Thiemig, Andreas Müller, und Erika Becher gebildet wurde.417 Auf dem Gründungsparteitag lehnte ein Großteil der Vertreter aus Leipzig den Kurs in Richtung deutsche Einheit ab.418 Am 3. Januar 1990 hieß es in einer Pressemitteilung dieser Gruppe auf Anregung Schorlemmers, der stellvertretenden Vorsitzenden Sonja Schröter und der Pressesprecherin Christiane Ziller, man habe beschlossen, sich auf der Basis ihres „Leipziger Programms“ auf die SDP zuzubewegen. Dieser Schritt sei zugleich eine Aufforderung an alle öko-sozial orientierten Kräfte, sich programmatisch, strukturell und personell in einer starken rot-grünen Partei zu vereinen.419 Die Leipziger Koordinierungsgruppe versuchte, den Bruch des DA zu verhindern. Zur Vorstandssitzung am 14. Januar stellten die Leipziger in Abwesenheit von Schnur einen Misstrauensantrag gegen ihn, der aber scheiterte.420 Daraufhin erklärten Schröter, Ziller und Wagner ihre Austritte und wechselten zu Demokratie Jetzt. Die Leipziger Gruppe zerbrach an der Frage der eigenen Rolle auf dem Weg zur deutschen Einheit. Der so geschwächte Verband setzte für die weitere sächsische Entwicklung kaum noch Akzente. Die Gründungsveranstaltung des DA-Bezirksverbandes Karl-Marx-Stadt, der kleinsten sächsischen Organisation, fand am 11. November statt. Die 13 stimmberechtigten Mitglieder wählten einen vierköpfigen Vorstand. Wolf-Dieter Beyer wurde Sprecher des Bezirksvorstandes. Inhaltliche Zeichen setzte der Bezirksverband am 9. Dezember mit einem Aufruf zur demokratischen Erneuerung der Gewerkschaften.421 Der DA war Mitglied in der „Demokratisch-OppositionellenPlattform“, in der sich seit dem 16. November die Oppositionskräfte in KarlMarx-Stadt zusammenfanden. Auf der dritten Bezirksversammlung des DA am 21. Januar 1990 wählten die Delegierten Jürgen Eschrich zum Vorsitzenden, Wolf-Dieter Beyer, Rolf Brettschneider und Wieland Orobko wurden Mitglieder 415 Vgl. Jäger/Walter, Allianz, S. 123 u. 129 f.; Neubert, Der „Demokratische Aufbruch“, S. 548–554. 416 Vgl. Fiedler, Demokratischer Aufbruch, S. 59–62. 417 Erika Becher wurde erste Vorsitzende des Leipziger DA. 418 Vgl. Kammradt, Aufbruch, S. 88. 419 Vgl. Bahrmann/Links, Chronik, S. 161. 420 Vgl. Neubert, Aufbruch, S. 552. 421 Aufruf des BV des DA KMS zur demokratischen Erneuerung der Gewerkschaftsarbeit vom 9.12.1989 (PB Wolf-Dieter Beyer).

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des Vorstandes.422 Auf dieser Versammlung tauchte erstmals die Forderung nach Wiedereinführung von Länderstrukturen auf. Die Versammlung votierte in diesem Zusammenhang einstimmig für die Umbenennung des Bezirksverbandes in Regionalverband Westsachsen. Ende Januar gab es in Sachsen insgesamt drei Regionalverbände:423 Westsachsen I (Region Chemnitz), Westsachsen II (Region Leipzig) und Ostsachsen (Region Dresden). Die Kontakte zwischen den Bezirksgruppierungen waren eher sporadisch und beschränkten sich auf wenige Treffen. Der Hauptteil der Aktivitäten spielte sich in Dresden ab. Günter Kleinschmidt vom Leipziger DA erinnert sich, dass die Beziehungen unterschiedlich intensiv waren. „Zu den Mitstreitern in Chemnitz bestand ein sehr kooperatives, teilweise freundschaftliches Verhältnis“, während der Kontakt nach Dresden „sehr differenziert“ war. Neben „streitbarer Auseinandersetzung in der Sache, aber freundschaftlichem Umgang miteinander“ gab es gegenüber den Dresdnern, insbesondere bei den Mitgliedern der „ersten Stunde“, „eine Art Konkurrenz“.424 CDU: Die Lage im Unionslager war unübersichtlich. Kohl und der CDU-Bundesvorstand verweigerte bis Ende 1989 Kontakte zur Ost-CDU generell.425 Besonders ablehnend gegenüber „altgedienten CDU-Leuten“ zeigte sich Volker Rühe. Die Haltung modifizierte sich nach dem Sonderparteitag der Ost-CDU Mitte Dezember 1989. Gegenüber der CDU mit einer neuen Führung hatte Kohl nach eigenem Bekunden „keine Aversion“ mehr, was nicht ausschloss, dass er „vorsichtig agierte“. Ein Ausbau der Kontakte schien aber zunächst deswegen nicht vorrangig, weil die Ost-CDU, „und somit auch wir als CDU, in den neuen Ländern gar keine Chance“ zu haben schienen. Ab Januar, so Kohl, „wurde langsam klar, dass irgendwann Neuwahlen kommen, auch wenn wir noch nicht genau wussten, wann. Klar war, dass die Modrow-Regierung keine Regierung auf Dauer war. In dieser Situation haben wir überlegt, wie wir uns gegenüber der Ost-CDU verhalten. Inzwischen hatte es ja bei der CDU einen Richtungswechsel gegeben. Lothar de Maizière war Parteivorsitzender geworden. In dieser Situation haben wir gesagt, jetzt müssen wir der CDU in der DDR helfen.“ Das hieß nicht, dass man sich auf die Ost-CDU festlegte. Vielmehr baute die Bundes-CDU Anfang des Jahres 1990 Kontakte zu verschiedenen Gruppierungen in der DDR auf. Hinsichtlich des Vorgehens gab es unterschiedliche Meinungen: „Einige meinten, mit Ost-CDU-Leuten reden wir auf gar keinen Fall, andere sagten, warum eigentlich nicht. Wieder andere meinten, wir unterstützen den Demokratischen Aufbruch. Es gab in dieser Hinsicht aber keine Strategie und auch nie eine Beschlusssituation, dass wir mit dieser oder jener Partei Kontakt halten. Es war so, dass wir einfach Kontakt aufgenommen haben.“426 Ein entscheidender Hinderungsgrund für Beziehungen zur Führung 422 423 424 425 426

Vgl. Freie Presse vom 25.1.1990. Protokoll der DA-Vorstandssitzung vom 8. 2.1990 (PB Matthias Rößler). Interview Günter Kleinschmidt. Vgl. Richter, Zur Entwicklung der Ost-CDU im Herbst 1989, S. 129 f. Interview Helmut Kohl.

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der Ost-CDU war deren Beteiligung an der reformkommunistisch geführten Regierung Modrow. Dazu kam es während des gesamten Januars zu heftigen Auseinandersetzungen.427 Am 23. Januar beriet der CDU-Bundesvorstand über die Ost-CDU. Die Mehrzahl der Vorstandsmitglieder meinte, dass man diese nicht länger ignorieren könne. Schäuble nannte die Ost-CDU den „natürlichen Partner“ der Bundes-CDU. Es sei undenkbar, die zu ignorieren, die „von ihrer Grundstruktur genauso Christliche Demokraten waren“ wie die CDU im Westen. Zudem hielt er den Namen CDU in der DDR für unverzichtbar, weil „nur damit eine volle Identifizierung mit uns und insbesondere mit dem Bundeskanzler“428 möglich sei. Zu diesem Zeitpunkt widersprach Kohl, dessen Sympathien eher dem DA galten,429 denen, die sich für eine Zusammenarbeit mit dem Hauptvorstand der Ost-CDU aussprachen, kündigte aber an, bis Mitte Februar über die zukünftigen DDR-Partner der CDU zu entscheiden. Er wiederholte seine Skepsis gegenüber der Führung der Ost-CDU und trug Überlegungen über ein Wahlbündnis von DSU, DA und Ost-CDU vor. Danach sollten sich die christlichen und konservativen Kräfte in der DDR zu einer Allianz zusammenschließen.430 Als sich de Maizière Ende Januar jedoch noch immer weigerte, die Modrow-Regierung zu verlassen, stellte die Bundes-CDU jede weitere Zusammenarbeit mit der Führung der Ost-CDU offen in Frage. Rühe erklärte, die OstCDU begebe sich „ins politische Abseits“. Die Entscheidung beeinträchtige „aufs Schwerste die Kontaktmöglichkeiten zu uns, zur CDU-Deutschland“.431 Die scharfe Reaktion veranlasste die Führung der Ost-CDU schließlich zum Einlenken, sah man im Hauptvorstand doch keine Alternative zu einer Annäherung an die Bundes-CDU. So bekräftige de Maizière zwar noch einmal ein Verbleiben in der Regierung, machte dies aber nun vom Beitritt der am Zentralen Runden Tisch beteiligten oppositionellen Kräfte in die Regierung abhängig.432 Als sich die Ost-SPD daraufhin weigerte, in die Regierung einzutreten, zog die Ost-CDU am 25. Januar ihre drei Minister aus der Regierung zurück, „um den Weg für Verhandlungen mit den neuen Parteien und Gruppierungen freizumachen“. Dieser Schritt setzte die SPD unter Druck und bewirkte schließlich ihre Bereitschaft zur Regierungsbeteiligung. In der Bonner CDU-Spitze war man erleichtert. Fraktionschef Alfred Dregger meinte, bei einer Regierung aller politischen Kräfte unter Einbeziehung der Opposition sei die Bewertungsgrundlage der Regierungsbeteiligung der Ost-CDU eine andere.433 Einer Einbeziehung der Ost-CDU in die von Kohl angestrebte „Allianz für Deutschland“ stand nichts mehr im Wege.

427 428 429 430 431

Vgl. Richter, Die Entwicklung der Ost-CDU, S. 241–244. Schäuble, Der Vertrag, S. 23 f. Interview Helmut Kohl. Vgl. Teltschik, 329 Tage, S. 113; Volker Rühe. In: Süddeutsche Zeitung vom 25.1.1990. Volker Rühe. In: Welt am Sonntag vom 21.1.1990. Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 23.1.1990. 432 Vgl. Thaysen, Der Runde Tisch. Oder: Wer war das Volk? Band 2, S. 266. 433 Süddeutsche Zeitung vom 24.1.1990.

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CSU: Anders als in der Bonner CDU-Führung beurteilte man die Lage in der CSU. Hier lehnte man Kontakte zur Ost-CDU generell ab und setzte auf die Bildung neuer, der Union nahestehender Parteien, von denen es besonders in Sachsen und Thüringen einige gab. In Dresden hatte sich im Oktober 1989 um den Zahntechniker Norbert Koch eine „Volksunion Sachsen“ (VUS) gebildet, die sich frühzeitig für die deutsche Einheit einsetzte.434 Der Leipziger Pfarrer Hans-Wilhelm Ebeling und der Rechtsanwalt Peter-Michael Diestel gründeten am 7. Dezember in Leipzig eine „Christlich-Soziale Partei Deutschlands“ (CSPD). Bereits am 15. Dezember berieten beide mit den bayrischen CSU-Politikern Max Streibl, Erwin Huber, Jürgen Warnke und dem Geschäftsführer der HannsSeidel-Stiftung, Otto Wiesheu, über den Ausbau der Kontakte.435 Die CSU forcierte einen Zusammenschluss kleinerer konservativer Gruppierungen, von denen sich einige gebildet hatten. Anfang Januar 1990 kam es zu entsprechenden Koordinierungsgesprächen und der Bildung einer „Christlich-Sozialen Union/ Freie Deutsche Union“ (CSU/FDU).436 Dem Treffen folgten in verschiedenen Orten Gründungen und Registrierungen von Ortsverbänden der CSU im Süden bzw. der FDU im Norden der DDR.437 Nachdem es so bereits zur regionalen Aufteilung im Rahmen des neuen Parteienverbundes gekommen war, griff die bayerische CSU in die Entwicklung ein. Am 13. Januar tagte die CSU-Landesgruppe der CDU / CSU-Bundestagsfraktion unter Teilnahme Theo Waigels in Leipzig und führte Gespräche mit Vertretern der neuen Parteien. Waigel erklärte sein Interesse an einer engen Zusammenarbeit mit christlich-konservativ geprägten Parteien und Gruppen. Ziel der CSU war deren Fusion zu einer Partei, die der CSU nahe stand, sich aber hinsichtlich des Namens von ihr unterschied. Die CSU favorisierte die Bildung einer „Deutschen Sozialen Union“ (DSU), um durch den Namensunterschied das authentische bayerische Lokalkolorit der CSU zu erhalten. Bei Gesprächen der Vorstände von CDU und CSU im Bonner Kanzleramt hatte Kohl am 16. Januar zunächst keine Bedenken gegen die Etablierung einer CSU im Süden der DDR geäußert,438 freilich war er auch nicht gerade begeistert. „Bis dahin“, so Kohl, „gab es in der alten Bundesrepublik ein Kräfteparallelogramm CDU/CSU mit bestimmten Gewichten auf der Waage. Jetzt kamen 17 Millionen Einwohner aus der DDR in das wiedervereinte Deutschland, und damit haben sich schon rein rechnerisch die Zahlen verschoben. Deswegen machte die CSU dann einen Versuch, mit der DSU in der DDR Fuß zu fassen, um sozusagen das, was ich im Bundesgebiet verhindert hatte, die Ausdehnung der CSU nach dem Kreuther Beschluss, doch noch zu erreichen. Kreuth war ja sehr stark an mir gescheitert, weil sie nicht den Mut hatten, eine 434 435 436 437

Urich, Die Bürgerbewegung, S. 365–370. Vgl. Jäger/Walter, Die Allianz, S. 153. Presseerklärung der FDU vom 8.1.1990. Zit. in Schmidtbauer, Tage 2, S. 94 f. Antrag auf Zulassung der „Christlich Sozialen Union in Thüringen“ vom 18.1.1990 beim VPKA Saalfeld/Bezirk Gera (BArch B, DO 1, 52445). Vgl. Myritz/Nolden, 18. März 1990, S. 51. 438 Vgl. Die Welt vom 12. 7.1990; Münchner Merkur vom 28. 6.1990.

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offene Auseinandersetzung zu führen. Jetzt versuchten sie es über die Hintertür. Ich muss ganz offen sagen, ich war darüber überhaupt nicht erfreut, aber es regte mich auch überhaupt nicht auf. Mir war völlig klar, dass daraus nicht viel wird. Der ganze bayerische Reiz der CSU war nicht auf die DDR übertragbar.“439 Auch in der CSU-Führung war das DSU-Projekt umstritten. CSU-Chef Theo Waigel und Peter Gauweiler, Staatssekretär im Bayerischen Innenministerium, unterstützten die Idee. Der bayerische Innenminister, Edmund Stoiber, hingegen, lehnte das „DSU-Abenteuer“ als „politischen Unsinn“ und „politisches Abenteuer“ ab,440 das die CSU in der Tat später am Ausbau intensiverer Kontakte zur geschmähten, aber bald Regierungsverantwortung tragenden Ost-CDU in Thüringen und Sachsen hinderte. Mit seiner Sichtweise stand er nicht allein; ähnliche Stimmen gab es auch in der Bayerischen Staatskanzlei. Stoiber setzte auf der Suche nach neuen politischen Kräften, die der CSU nahe standen, auf Kontakte zu ursprünglichen, nicht vom Westen geformten Bürgerbewegungen wie der Dresdner Gruppe der 20.441 Anfang Januar traf er sich mit deren Vertretern und schickte ihnen drei Computer und einen Pkw, ohne dies aber je mit einer direkten Anfrage zu verbinden, politisch in Richtung CSU zu gehen.442 Ungeachtet dessen schlossen sich unter Waigels Regie am 20./21. Januar in Leipzig rund ein Dutzend christlich-konservativer Basisgruppen und Parteien der DDR zur DSU zusammen. Vorsitzender wurde Hans-Wilhelm Ebeling, der erklärte, die DSU sei als „Schwesterpartei der CDU/CSU-Bundestagsfraktion“ Partner beider Parteien. Eine alleinige Ausrichtung nur auf die CSU schloss er aus, weil in der DDR viele die Bundes-CDU, nicht aber die CSU wählen würden. Schließlich wolle man in der ganzen DDR antreten.443 Neben dieser Auffassung Ebelings, die vor allem im Norden der DDR geteilt wurde, dominierte in den sächsischen und thüringischen Südbezirken die Meinung, man solle allein auf die bayerische CSU setzen. Tatsächlich verlor die Orientierung auf die Bundes-CDU in dem Maße an Bedeutung, in dem die CSU die DSU als ihren alleinigen Partner in der DDR favorisierte und die Bundes-CDU Kontakte zur Ost-CDU aufnahm. Dadurch setzten sich in der DSU die Politiker durch, die eine einseitige Ausrichtung an der bayerischen CSU befürworteten. Problematisch für die Bayern war allerdings, dass Teile der DDR-CSU nach der Gründung der DSU erklärten, weiterhin als selbständige politische Kraft wirken zu wollen. So lehnten Teile der sächsisch-thüringischen CSU einen Verzicht auf den Namen „CSU“ ab und ignorierten damit die Interessen der bayerischen CSU. Unbeirrt von der Parteienvielfalt, so die Ost-CSU, gehe die Partei der bürgerlich-konservativen Opposition weiter ihren Weg und fordere die Bevölke-

439 440 441 442

Interview Helmut Kohl. Interview Arnold Vaatz. Interviews Arnold Vaatz am 21. 6. 2000 u. 16. 4. 2003. Steffen Heitmann und Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002; Interview Herbert Wagner; Richter/Sobeslavsky, Die Gruppe der 20, S. 201. 443 Vgl. Interview Hans-Wilhelm Ebeling. In: Junge Welt vom 21. 2.1990.

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rung zur Bildung von CSU-Ortsverbänden auf.444 Auch einzelne Verbände der FDU setzten ihre Arbeit fort und demonstrierten so ihre Ablehnung der DSUBildung.445 Als Partner wurden in München aber von nun an nur noch DSUGliederungen anerkannt. Mit der als von vielen CSU-Anhängern diskriminierend empfundenen Pflicht, sich DDR-spezifisch „DSU“ zu nennen, verprellte man in den Südbezirken zahlreiche Anhänger. So hatte es zunächst auch in Dresden im Umfeld der Gruppe der 20 Überlegungen gegeben, wonach „alle anständigen CDU-Mitglieder“ in die unbelastete, weil neue CSU wechseln sollten. Dadurch, so das unter anderem vom katholischen Sprecher der Gruppe der 20, Herbert Wagner, erwogene Konzept, hätte es „eine große, starke, von der Basis her kommende CSU und dann noch einen Rest CDU von alten Funktionären“ gegeben. Wagner führte mit Walter Schön von der Bayerischen Staatskanzlei Telefonate, bei denen es, wenngleich eher theoretisch, auch um eine Ausweitung der CSU mit Hilfe der neuen politischen Kräfte ging. Eine konkrete Anfrage, ob Wagner eine CSU mitgründen oder ihr beitreten möchte, gab es nicht. Waigels und Gauweilers DSU-Projekt lehnte er mit der Begründung ab, „wenn man CSU sein will, muss man sich auch CSU nennen“, auch wenn die Partei dadurch nur in Sachsen und Thüringen Chancen haben würde. Wenn man sich nur deswegen „DSU“ nenne, weil es in Diestels norddeutscher Heimat Ressentiments gegen die CSU gebe, sei eine „Missgeburt“ unvermeidlich.446 Trotz dieser Bedenken versuchte Diestel, den als Sprecher der Gruppe der 20 über die Grenzen Dresdens hinaus bekannten Wagner in die sich bildende DSU einzubinden und bot ihm im Januar den Posten des Generalsekretärs der CSPD an.447 Dieser hielt sich freilich alle Optionen offen und führte sogar noch Gespräche über mögliche Wahlbündnisse der Gruppe der 20 mit der SDP. Weniger am Namen „DSU“ als an Personen machte sich die Kritik des im Neuen Forum engagierten Schriftstellers Uwe Grüning fest, der die DSU im vogtländischen Reichenbach erlebte. Ihm war die Partei „von Anfang an wenig sympathisch, weil sich in ihr nebst höchst achtbaren Leuten äußerst zweifelhafte gesammelt“ hätten. Zudem sei schon damals „eine Richtung zur Radikalität“ erkennbar gewesen.448 Noch in eine andere Richtung gingen Vaatz’ Bedenken. Er befürchtete, dass, selbst wenn es statt der DSU in der gesamten DDR nur die CSU in Bayern, Thüringen und Sachsen gäbe, Sachsen und Thüringer von den Bayern „knallhart marginalisiert“ werden würden, weil diese zusammen nicht einmal so viele Mitglieder gehabt hätten wie die CSU in Bayern: „Und als CSU wären wir noch mal im Verband CDU/CSU marginalisiert gewesen, dann vielleicht noch einmal wie jetzt in Organisationen. Also wir wären sozusagen die 444 Vgl. Berliner Zeitung vom 23.1.1990; Myritz/Nolden, 18. März 1990, S. 51 f. Zum Programm ebd., S. 56–64. 445 Vgl. Fernschreiben von Lothar Moritz an Martin Kirchner vom 12. 2.1990 (ACDP, VII011–3513). 446 Interview Herbert Wagner. 447 Interview Herbert Wagner. Vgl. Wagner, 20 gegen die SED, S. 163. 448 Interview Uwe Grüning.

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letzten gewesen.“449 Aber auch die DSU zog er deswegen kaum in Erwägung, weil es Ebeling und Diestel waren, die „die Kommunikation zur CSU eröffneten und die als Brückenkopf der CSU hier in Sachsen“ fungierten, wobei ihm vor allem Diestel „vollkommen suspekt“ schien.450 Allianz für Deutschland: Mitten in die sich verändernde Parteienlandschaft hinein platzte, für die meisten Akteure recht überraschend, die Information über die Bildung einer „Allianz für Deutschland“. Nach dem angekündigten Ausscheiden der Ost-CDU aus der Regierung Modrow und die daraus resultierende „Regierung der nationalen Verantwortung“ hatte sich die Bewertungsgrundlage im CDU-Bundesvorstand geändert. Erneut wurde über Modelle der Zusammenarbeit beraten. Zur Debatte standen ein enger Zusammenschluss der Parteien unter dem Namen „Demokratische Union Deutschlands“ (DUD) sowie eine lockere Allianz für die Zeit der Wahlen. Ein enger Zusammenschluss scheiterte jedoch am Widerstand der zerstrittenen Führungen der Ost-CDU, der DSU und des DA. So polemisierte der Hauptvorstand der Ost-CDU intern gegen den Vorschlag einer „Einheitsliste“ mit der Bezeichnung „DUD“,451 der DSU-Vorstand nannte die Beteiligung der Ost-CDU an einem konservativen Bündnis äußerst problematisch,452 und auch der Vorstand des DA votierte mehrheitlich gegen eine enge Allianz mit Ost-CDU und DSU. Eppelmann erklärte, allenfalls sei die Bildung eines „demokratischen Blocks der Mitte“ unter Einbeziehung der „Deutschen Forumpartei“ denkbar.453 Außerdem sei er „eigentlich Sozialdemokrat“.454 Auch der Vorstand lehnte zunächst mehrheitlich ein Bündnis mit der CDU ab. Doch schon am Rande einer CDU-Veranstaltung in West-Berlin am 24. Januar erklärte Wolfgang Schnur, angesichts der Wahlkampfunterstützung der Ost-SPD durch die Bundes-SPD werde er Helmut Kohl bitten, den DA im Wahlkampf zu unterstützen. Der DA verstehe sich als Partner der CDU und trete für einen Zusammenschluss der „Parteien der Mitte“ ein.455 Da der Wahlkampf Ende Januar bereits auf Hochtouren lief, brauchte die Bundes-CDU dringend Partner in der DDR. Kohl musste entscheiden, mit welchen Parteien die Bundes-CDU kooperieren sollte und auch noch die widerspenstigen Favoriten von seinen Vorstellungen überzeugen. Da er es für „absolut notwendig“456 hielt, den Wahlkampf mit einer Parteienallianz zu beginnen, versuchte er Ende Januar, die DSU und den DA zu einer Kooperation mit der Ost-CDU zu bewegen. An einen Wahlsieg glaubte Kohl zu diesem Zeitpunkt nicht, nach seiner Meinung konnte es nur darum gehen, ein Desaster bei den 449 450 451 452 453

Interview Arnold Vaatz am 21. 6. 2000. Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. Protokoll der Präsidiumssitzung der CDU am 25.1.1990 (ACDP VII-011–3510). Süddeutsche Zeitung vom 27./28.1.1990. Rainer Eppelmann. Zit. in Welt am Sonntag vom 4. 2.1990. Vgl. Berliner Zeitung vom 2. 2.1990. 454 Die Welt vom 18.1.1990. 455 ZDF, 24.01.90/ 13.10 Uhr, Loy 0124–5. 456 Interview Helmut Kohl. In: Die Welt vom 30. 3.1990.

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Wahlen zu verhindern. Freilich zeigten die gekürten Allianz-Partner wenig Neigung, zusammenzuarbeiten. Da sie angesichts des näher rückenden Wahltermins jedoch auf Unterstützung aus dem Westen angewiesen waren, blieb ihnen keine andere Wahl als einzulenken, und es gelang Kohl, de Maizière, Schnur und Ebeling von der Notwendigkeit eines Wahlbündnisses zu überzeugen. Am 1. Februar trafen sich de Maizière und Martin Kirchner für die Ost-CDU, Wolfgang Schnur und Oswald Wutzke für den DA, Hans-Wilhelm Ebeling und PeterMichael Diestel für die DSU sowie Horst Kaufmann und Jürgen Schmieder für die DFP im West-Berliner Gästehaus der Bundesregierung. Offizielle Grundlage des Gesprächs war ein auf westliches Drängen herbeigeführter Beschluss des Präsidiums der Ost-CDU, eine „Allianz der Mitte“ mit DA, DSU und DFP anzustreben. Zwei Tage später gab der Hauptausschuss des DA mit 43 Ja- gegen 5 Nein-Stimmen seine Zustimmung zu den Verhandlungen der „Allianz der Mitte“. Allerdings sollten die Parteien politisch unabhängig und selbstständig bleiben. Jeder Wahlkreis sollte selbst entscheiden, ob er die Allianz mit einer oder mehreren Gruppen eingehen wolle. Nach zahlreichen Austritten wurde auf dieser Sitzung auch ein neuer Vorstand gewählt. Neuer stellvertretender Vorsitzender wurde Bernd Findeis aus Jena. Mit Wolf-Dieter Beyer und Matthias Rößler kamen zwei Vertreter aus Sachsen in das oberste Leitungsgremium.457 Einen Tag später startete der DA offiziell in den Wahlkampf und warb für die „Allianz der Mitte“ unter Beteiligung von DFP, DSU und CDU. Schnur erklärte, das „Bündnis der politischen Mitte“ erhebe „den klaren Anspruch, die Regierung der DDR zu stellen“.458 Einen Tag später wurde die „Allianz für Deutschland“ aus CDU, DSU und DA offiziell ins Leben gerufen. Die DFP zog sich aus dem Bündnis zurück, da sie sich bereits mit den Liberalen und der FDP über eine Fusion verständigt hatte. Jede Partei führte weiter ihren Namen und nominierte eigenständig ihre Kandidaten für jeden Wahlkreis, trat aber unter dem Dach der Allianz an.459 An der Dresdner Basis war die Entscheidung umstritten. Bei einer Diskussionsrunde am 28. Februar mit Erwin Teufel verteidigte Münch die Entscheidung für die Bildung einer Allianz für Deutschland.460 Im Dresdner DA hatte man noch kurz zuvor erwogen, „als Summe der neuen Kräfte“ aus DFP, DSU und DA eine eigene Partei ins Leben zu rufen.461 In diesem Zusammenhang gab es auch Überlegungen, den in Sachsen beliebten und bekannten Sänger Gunter Emmerlich als Kandidaten für das Amt des sächsischen Ministerpräsidenten zu nominieren.462 Sie wurden mit der Bildung der Allianz obsolet.

457 Interview Matthias Rößler. In: Kleimeier, Sachsen, S. 86. 458 Politische Erklärung „Für ein einiges Deutschland“ vom 4. 2.1990 (HdG, Projektgruppe Leipzig, Objekt Rasch 18). 459 Vgl. Jäger/Walter, Die Allianz, S. 59 f. 460 Handschriftliche Notizen Frankes (HdG, Projektgruppe Leipzig, Objekt Franke 26). 461 Interview Helmut Münch am 23. 4. 2003. 462 Dieser hörte zwar davon, wurde aber nie daraufhin angesprochen. Er hätte eine Kandidatur auch abgelehnt. Interview Gunter Emmerlich.

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Im Wahlkampf nutzte die Allianz vor allem der Ost-CDU, relativierte die Zusammenarbeit mit den neuen demokratischen Kräften doch deren Blockvergangenheit. Die Allianz erhielt durch ihre Konstruktion und ihre Verbindung zur Bundes-CDU umfangreiche personelle und materielle Wahlkampfhilfe. Allerdings war auch nach der Bildung der Allianz unschwer zu erkennen, dass die ungleichen Partner nur widerstrebend mitwirkten. Ständig kam es zwischen ihnen im Wahlkampf zu Auseinandersetzungen, Angriffen und Behinderungen.463 So protestierte die DSU gegen Äußerungen de Maizières, wonach er im Falle eines Sieges der Allianz Ministerpräsident werde. Der DA beklagte die bevorzugte Unterstützung der Ost-CDU durch die Bundes-CDU, obwohl in verschiedenen Kreisen und den Bezirken Magdeburg und Dresden noch immer die alten Funktionäre in ihren Ämtern säßen.464 CSU-Generalsekretär Erwin Huber wiederum erklärte, die Wahlkampfhilfe der CSU gelte ausschließlich der DSU, die nicht mit der CDU in einen Topf geworfen werden wolle. Die Allianz werde nur mitgetragen, um dem Bundeskanzler seine Auftritte in der DDR zu ermöglichen.465 DSU-Generalsekretär Diestel erklärte, die DSU müsse auf Distanz bleiben und dürfe sich nicht „die schmutzige Jacke der CDU“ anziehen.466 3.2.5 CDU-Beitritt von Bürgerrechtlern und 1. Landesparteitag der CDU467 Die Bildung der Allianz für Deutschland provozierte in den neuen Gruppierungen die Frage nach dem eigenen Standort und Profil. Der DA fand sich plötzlich ebenso im Bündnis mit der ungeliebten Ost-CDU wieder wie die DSU. In Dresden ging Vaatz als Exponent des Neuen Forums in der Gruppe der 20 davon aus, dass die Bonner Parteien in der DDR immer weiter expandieren würden, es umgekehrt aber zu keiner Ausdehnung der neuen politischen Gruppierungen wie des Neuen Forums über das Gebiet der DDR hinaus kommen würde. Dadurch sah er deren Bedeutungsverlust vorprogrammiert. Um sich angesichts der unvermeidbaren Entwicklung auch hinsichtlich der Herausbildung des Landes Sachsen „nicht das Gesetz des Handelns aus der Hand nehmen“ zu lassen, dachten er und einige Mitstreiter aus der Gruppe der 20 und dem Neuen Forum einerseits über die Mitgliedschaft in einer der etablierten Parteien nach,468 hegten dabei Sympathien für die Bundes-CDU, scheuten aber andererseits davor zurück, sich der Ost-CDU anzuschließen. Angesichts des Wand463 464 465 466 467

Vgl. Interview Lothar de Maizière. In: die tageszeitung vom 7.3.1990; FR vom 23.3.1990. Protokoll der DA-Vorstandssitzung vom 8. 2.1990 (ACDP, VII-012–3505). Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 10./11. 2.1990. FR vom 1. 3.1990. Der Beitritt wird wegen seiner Auswirkungen auf die Landesbildung ausführlicher behandelt. 468 Arnold Vaatz auf der Tagung der Gesellschaft für Deutschlandforschung „Die demokratische Revolution 1989/90“ am 5. 3.1999 in Berlin (Mitschrift des Autors). Vgl. Urich, Die Bürgerbewegung, S. 379.

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lungsprozesses der Ost-CDU von einer Block- zur Volkspartei469 standen nicht nur sie vor der Frage, wann der richtige Zeitpunkt für einen Beitritt gekommen sei, ob man die innere Wandlung der CDU abwarten oder ihn von innen mit vorantreiben solle. Während es angesichts des Demokratisierungsprozesses in der Ost-CDU einerseits eine Absetzbewegung christlich-sozialistischer Kräfte gab, traten ab Ende 1989 neue Mitglieder ein, die die Zeit für ein Engagement in der sich verändernden CDU gekommen sahen.470 Zu ihnen gehörte zum Beispiel Uwe Grüning, der sich im Herbst 1989 im Neuen Forum engagierte und im Dezember der CDU anschloss, weil ihm mit Blick auf die neuen politischen Gruppierungen klar war, „dass man mit einer neuen Automarke nicht den Kampf mit Mercedes aufnehmen“ könne. Für ihn gab es mit Blick auf die sich abzeichnende Entwicklung keine Alternative als eine veränderte Ost-CDU.471 Wagner hatte neben Überlegungen um ein CSU-Engagement ebenfalls mit dem Gedanken gespielt, der Bundes-CDU beizutreten. Für ihn war nach einer Begegnung mit dem Bundeskanzler am 19. Dezember 1989 in Dresden „klar, dass eine CDU Helmut Kohls meine politische Heimat sein kann“. Aber auch er lehnte einen Beitritt zur Ost-CDU ab, die für ihn ab Bezirksebene aufwärts nie mehr als eine „SED-Sparte Christen“ gewesen war. Anders als für Grüning stand für ihn fest, dass er der Ost-CDU nicht als Einzelner und erst nach einer Fusion mit dem DA beitreten würde. Darin sah er eine Gewähr dafür, dass die Erneuerung in der CDU tatsächlich stattfindet und „ich nicht allein untergehe“.472 Auch Vaatz fühlte sich wie andere Dresdner Bürgerrechtler in den neuen Bürgerbewegungen473 am wohlsten, wäre nicht das Problem gewesen, dass ihm diese als zu unverbindlich und tendenziell politikunfähig erschienen. Er hatte zunächst ein Wahlbündnis des Neuen Forums mit der CDU angestrebt, was durch die Entwicklung jedoch hinfällig wurde. Ende Dezember 1989 spielte er mit dem Gedanken, in der DDR eine neue CDU zu gründen. Die alte CDU sollte aufgelöst werden. Er wollte es nicht hinnehmen, dass die Ost-CDU „einfach akzeptiert und ohne irgendwelche Auflagen und Bedingungen zur CDU West wird“. Seine neue CDU sollte allen Mitgliedern der Ost-CDU offen stehen, die nicht allzu stark in das System eingebunden gewesen waren. Aber, so Vaatz, die CDU sollte neu gegründet werden und die Mitglieder einzeln beitreten. Mit der Methode „Erst einmal alles raus und dann wieder rein in die Stube, aber einzeln und ohne Waffen“ sollte erreicht werden, dass es „keine Affinitäten und Loyalitäten mehr zu Beziehungsgeflechten“ aus SED-Zeiten gab.474 Das Konzept erinnerte an Wagners CSU-Modell, war aber genauso unrealistisch. Eine neue Union wollte auch Matthias Reichenbach, der sich der DSU anschloss.475 Die469 470 471 472 473 474

Vgl. dazu ausführlich Ute Schmidt, Von der Blockpartei zur Volkspartei? Vgl. Richter, Wahlkampf in der DDR, S. 21–29. Interview Uwe Grüning. Interview Herbert Wagner. Zur Problematik des Begriffs vgl. Stolle, Von der Bewegung der Bürger, S. 553–567. Interview Arnold Vaatz am 9. 6.1999. Vgl. Interview Uta Dittmann. In: Kleimeier, Sachsen, S. 39.

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selbe Intention führte hier zu unterschiedlichen Handlungsmustern. Vaatz vertraute Helmut Rau seine Idee an und bat ihn, mit Schäuble, Teufel sowie Späth darüber zu reden und in dieser Richtung Einfluss zu nehmen. Rau, so erinnert sich Vaatz, fand das Konzept „einleuchtend“ und habe „tatsächlich in der Richtung gewirkt“. In den Führungsetagen der CDU stieß die Idee freilich auf weniger Gegenliebe, zeichneten sich doch hier im Laufe des Januar die Konturen eines Bündnisses ab, in dem die Ost-CDU durch einen Zusammenschluss mit neuen Gruppierungen in einen fusionswürdigen Zustand versetzt werden sollte. Eine neue Ost-CDU hätte bedeutet, auf den Mitgliederstamm und die Infrastruktur der Ex-Blockpartei zu verzichten. Die Ende Januar von Helmut Kohl kalt geschmiedete Allianz für Deutschland ließ denn bald die Pläne einer neuen CDU obsolet werden. Vaatz reagierte auf die Allianz kurzzeitig mit einer „Flucht in die Forumpartei“, die auf ihrem kurzen Weg in die BundesFDP eigentlich gar keine Zeit fand, richtig zu entstehen: „Es gab keine Ausweise und nichts, man erklärte einfach, ich bin dabei, kam zu den Versammlungen und stimmte dort mit. Irgendwelche Aufnahmeprozeduren gab es nicht.“ Ebenso wenig gab es formelle Austritte. Kaum eingetreten stellte sich heraus, dass sich auch die DFP in Richtung eines liberalen Bündnisses unter Beteiligung der Ex-Blockpartei LDPD mit dem Ziel einer Fusion mit der Bundes-FDP bewegte. Da sich Vaatz freilich eher der CDU zugehörig fühlte, stand er erneut vor dem Problem, ob er sich nicht lieber der CDU anschließen sollte.476 In Bonn wie in Stuttgart war bekannt, dass ein starker Flügel der Dresdner Bürgerbewegungen zur Union tendierte, aber Rühes strikte Ressentiments gegen die Ost-CDU teilte. Nach der Bildung der Allianz für Deutschland schlug Helmut Rau Teufel vor, Vertreter der neuen politischen Gruppen für die künftigen östlichen Landesverbände zu gewinnen, um deren Image als Block-CDU zu relativieren, und zugleich mit den sächsischen CDU-Spitzen über einen Eintritt von Vertretern aus den Bürgerbewegungen zu verhandeln. Teufel griff den Vorschlag auf, sah er für die Ost-CDU doch nur dann eine Zukunft, wenn sie „neben bewährten Mitgliedern, die aufrecht durch die DDR gegangen waren, auch die neuen Kräfte des Aufbruchs und der friedlichen Revolution integrieren“ würde.477 Kohl war über die Absichten Teufels informiert, gleichwohl handelte es sich, weil die Situation in Dresden singulär war, um eine Einzelaktion. „Es gab dazu“, so Kohl, „keine Entscheidung im Bundesvorstand. Das war keine Sache, die unter Beschlussfassung gelaufen ist.“478 Entscheidend schien es Rau und Teufel zu sein, wichtige Wortführer wie den katholischen Wagner und den protestantischen Vaatz auf ihre Seite zu ziehen und die CDU so für Kräfte aus den neuen politischen Gruppierungen zu öffnen. Ihnen stand das Bild der CDU nach dem Zweiten Weltkrieg vor Augen, als die Union zur überkonfessio475 476 477 478

Interview Matthias Reichenbach am 15. 7. 2003. Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. Erwin Teufel an den Autor vom 10.1. 2003. Interview Helmut Kohl.

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nellen Sammelbewegung neuer politischer Strömungen wurde, die der verbrecherischen NS-Diktatur eine neue demokratische Ordnung folgen lassen wollten. Der ehemals aktive katholische Laie Teufel bat den Dresdner Jesuitenpater Lothar Kuczera, der selbst der Union nahe stand und wenig später als Parteiloser in die CDU-Fraktion der ersten Dresdner Stadtverordnetenversammlung gewählt wurde, auf Wagner einzuwirken. Gleichzeitig suchten Teufel und Rau Wagner im Büro der Gruppe der 20 in der Kreuzstraße 7 auf und warben unverblümt dafür, er möge der CDU beitreten. Es gehe darum, der Partei durch den Beitritt politisch unbelasteter Führungspersonen aus den neuen politischen Gruppierungen bei der Volkskammerwahl doch noch ein akzeptables Ergebnis zu verschaffen und damit Einfluss auf die Entwicklung zur deutschen Einheit zu gewinnen. Teufels Avance, so Wagner, war sehr verbindlich und eine „herzliche, dringende Bitte, doch in der CDU mitzumachen“. Er sagte klar, was er wollte und setzte alle ihm zur Verfügung stehenden psychologischen Mittel ein. Auf Wagners Argument, er trete in keine Partei ein, weil Politik den Charakter verderbe, erklärte Teufel, dies sei nur die halbe Wahrheit. Da schlechte Charaktere die Politik verdürben, müssten Personen wie er der CDU beitreten. Es gebe Situationen, in denen ganze Parteivorstände verfilzt und in einem Zustand seien, dass man sie nur ablösen könne. Er werde ihm zeigen, wie man so etwas macht. Es gehe darum, die Mehrheitsverhältnisse im Landesverband zugunsten neuer Kräfte zu verändern. Sicher ging es dabei auch darum, einen künftigen katholischen Einfluss auf die sächsische Politik zu sichern. Wagner überlegte nach dem Gespräch, ob es nicht doch möglich und notwendig sei, die Ost-CDU von innen zu erneuern, war doch klar, dass es in der DDR nach der Volkskammerwahl eine demokratisch legitimierte CDU geben, die die Bevölkerung mit der BundesCDU mehr oder weniger gleichsetzen würde.479 Da Wagner aber auch Sympathien für die CSU hegte, gab für seinen Entschluss, sich der CDU anzuschließen, schließlich die etwa zeitgleich gefällte Entscheidung der CSU-Führung den letzten Ausschlag, die Schwesterpartei im Osten „DSU“ zu nennen. „Wer wirklich CSU sein will“, so Wagner, dürfe „sich nicht fälschlich DSU nennen“.480 Anders als Wagner brauchte Vaatz Anfang Februar nicht mehr überzeugt zu werden. Seine Entscheidung zum Beitritt erfolgte „ohne Drängen“ Teufels,481 sodass aus dessen Sicht bereits zwei bekannte Vertreter des Neuen Forums und der Gruppe der 20 gewonnen waren. Freilich blieb der Beitritt zur Ost-CDU für Vaatz eine „schwer zu schluckende Kröte“. Hans Joachim Meyer, der sich der CDU im Juli 1990 anschloss, meint, mit dem Entschluss, die Hülle „dieser missbrauchten gedemütigten Ost-CDU“ neu zu füllen und zu gestalten, habe Vaatz ein „überraschend nüchternes Kalkül“ bewiesen.482 Vaatz sprach nach seiner eigenen Entscheidung weitere Mitstreiter aus den Dresdner Bürgerbewegungen 479 480 481 482

Interview Herbert Wagner. Wagner, 20 gegen die SED, S. 163. Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. Interview Hans Joachim Meyer am 3. 3. 2003.

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an, war doch klar, dass ein Gruppeneintritt eine größere Wirkung haben würde. Auf wenig Gegenliebe stieß die Absicht in der Dresdner Führungsriege des DA. Hier machte man sich noch Hoffnungen auf ein gutes Abschneiden des DA bei den bevorstehenden Wahlen und eine dauerhafte Verankerung im deutschen Parteiensystem. „Wir haben“, so resümiert Rößler, „gedacht, wir kriegen jede Menge Stimmen. Wahrscheinlich hat Vaatz den besseren politischen Riecher gehabt.“483 Um Hans Geisler als bekanntes Aushängeschild des DA ins Boot zu bekommen, gab es eine Beratung mit ihm, bei der dieser sich zwar nicht überzeugen ließ, weil ihm die Ost-CDU weiterhin „suspekt“ war, er aber andererseits den Entschluss akzeptierte, die Partei von innen zu verändern. Der promovierter Chemiker, der seit 1976 als Laborleiter im Diakonissenkrankenhaus Dresden arbeitete, wurde stattdessen Spitzenkandidat des DA in Dresden für die Volkskammer und zog dort als einer von vier DA-Kandidaten ein. Er sah sich lieber „als Stachel von Außen“, der kritische Fragen stellt, und hatte kein Problem damit, beide Wege „nebeneinander in einer verstehenden Weise zu akzeptieren“.484 Auch Helmut Münch lehnte einen Beitritt ab und stand ihm „sehr kritisch“ gegenüber. Im Nachhinein konstatierte freilich auch er, der Schritt habe sich als die pragmatischste Lösung erwiesen.485 Ebenso konnte sich Rößler im Februar nicht vorstellen, in die CDU einzutreten, damit das „Projekt einer neuen Partei aufzugeben, die eine Mischung aus konservativen, liberalen Elementen“ war und „stark auf der Tradition der Bürgerbewegung“ aufbaute. Er meint im Nachhinein, dass man damals im DA „ein Stück weit idealistischer und nicht ganz so professionell“ gedacht habe wie Vaatz, der die parteipolitische Situation realistischer einschätzte als „wir vom DA“.486 Er räumt freilich ein, 1984 einmal „fast in die CDU eingetreten“ zu sein, um „Ruhe an meiner Hochschule vor diesen ständigen Werbungen der SED“ zu haben. „Ich wäre“, so der DA-Aktivist später, „nicht im Demokratischen Aufbruch gewesen, sondern würde hier als Blockflöte sitzen.“487 1989 aber hatte sich die Situation und auch die Bewertungsgrundlage für Parteientscheidungen verändert, was zwangsläufig blieb, war das Verständnis für einfache Mitglieder der Nische Blockpartei. Auch Dietmar Franke, Mitglied des Bezirksvorstandes des Dresdner DA, lehnte einen Beitritt ab, sodass sich schließlich kein einziger Vertreter des DA beteiligte. Vaatz sah dies als Fehler an, denn wenn die führenden Köpfe des DA „gleich mitgekommen wären“, hätte man „eine wesentlich bessere Machtposition in Sachsen gehabt und ein Teil der Auseinandersetzungen um die Kandidatur eines Ministerpräsidenten hätte nicht diese Schärfe angenommen“.488

483 Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003. 484 Interview Hans Geisler. Vgl. Interview Hans Geisler. In: Die Union vom 16. 3.1990; ders. beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 485 Interview Helmut Münch am 23. 4. 2003. 486 Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003. 487 Interview Matthias Rößler. In: Kleimeier, Sachsen 1989/90, S. 92. 488 Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003.

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Die letzten Einzelheiten des Beitritts wurden bei einer Fahrt zur Evangelischen Akademie Loccum besprochen. Auf der Busfahrt, so Wagner, ging es um die Entscheidung, „ob wir es machen, oder ob wir es nicht machen und wer mitmacht“. Bei der Fahrt zum Steinhuder Meer habe er sich endgültig festgelegt. „Wenn wir eine Gruppe sind, die schon als Beiboot vorweg anlegt und das große Schiff CDU entert und auf die Kommandobrücke geht, wenn jetzt schon die Chance dazu besteht, durch eine kleine Gruppe, dann mache ich dort auch mit.“ Vaatz telefonierte während des Seminars mit Rau über Einzelheiten des Beitritts, danach, so Wagner, war klar: „Wir treten als kleine Gruppe von der Bürgerbewegung gemeinsam in die CDU ein und stellen dabei bestimmte Bedingungen. Noch bevor das Schiff DA bei der CDU anlegt, wollen wir dies mit einem schnellen und kleinen Beiboot aus sechs Personen wagen.“489 Auf die Idee, Bedingungen zu stellen, mussten die Akteure erst durch Politprofi Rau gebracht werden, der meinte, als führende Vertreter der neuen politischen Gruppierungen Dresdens dürften sie beim Landesvorsitzenden nicht um Aufnahme betteln. Umgekehrt werde ein Schuh daraus.490 Bei den Sechs handelte es sich schließlich um Arnold Vaatz, Herbert Wagner und Frank Neubert von der Gruppe der 20 sowie Andreas Lämmel, Harald Röthig und Helmut Schmitt vom Neuen Forum. Wagner war Vorsitzender der Basisdemokratischen Fraktion der Dresdner Stadtverordnetenversammlung, der Fachingenieur Lämmel seit Januar 1990 Geschäftsführer des Neuen Forums in Dresden. Der promovierte Physiker Röthig gehörte dem Neuen Forum seit Oktober 1989 an und war Mitglied der Basisdemokratischen Fraktion des Bezirkstages Dresden. Er hatte sich wie Vaatz zunächst in der Hoffnung der DFP angeschlossen, diese würde mit dem Demokratischen Aufbruch, der DSU und der CDU ein Wahlbündnis schließen. Nach deren Orientierung an der West-FDP entschloss auch er sich zum CDU-Beitritt. Der promovierte Ingenieur für Messelektronik Helmut Schmitt gehörte ebenfalls der Basisdemokratischen Fraktion der Dresdner Stadtverordnetenversammlung an und wirkte in der Arbeitergruppe „Elektronische Medien“ des Neuen Forums mit.491 Nachdem die Bereitschaft der Sechs feststand, besprach Teufel mit dem KarlMarx-Städter CDU-Bezirksvorsitzenden und designierten sächsischen CDULandesvorsitzenden, Klaus Reichenbach, Einzelheiten des spektakulären Beitritts und plädierte für eine Kandidatur der Bürgerrechtler bei den nächsten parteiinternen Wahlen.492 Auch Vaatz setzte sich mit Reichenbach in Verbindung und machte klar, dass ein Beitritt der „bekannten Spitzen“ von Neuem Forum und Gruppe der 20 nicht mit „einer völligen Preisgabe des bisher erlangten politischen Einflusses bezahlt“ werden könne. Entweder man setze die Arbeit in einer politischen Spitzenposition fort oder ein Eintritt komme nicht in Frage. 489 Interview Herbert Wagner. 490 Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. 491 Biogramme in: Die Union vom 24./25. 2.1990; Richter/Sobeslavsky, Die Gruppe der 20, S. 540–544. 492 Vgl. Wagner, 20 gegen die SED, S. 159 f.

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Reichenbach akzeptierte dies, war doch damit zu rechnen, dass sich das laut Umfragen eher bescheidene Ansehen der CDU durch den Beitritt der Dresdner Exponenten der Bürgerbewegungen „dramatisch verbessern“ würde. So zögerte er nicht lange und sicherte zu, die Sechs in Führungspositionen zu lancieren.493 Für ihn waren sie nicht nur ein willkommenes Aushängeschild, längerfristig erwies sich ihre Integration als entscheidender struktureller Vorteil in der Parteienkonkurrenz mit der sächsischen SPD.494 Für ihn persönlich sollte sich die Entscheidung freilich eher als nachteilig erweisen. Inhalt des „Deals“, so Vaatz, war, dass man einerseits „uns mit ins Boot genommen und von unserer Reputation profitiert“ hat und andererseits „die eigenen Truppenteile unbeschadet in eine neue CDU überführen“ und „als Träger des Gedankens einer sozialen Marktwirtschaft glaubwürdig“ machen wollte. Als „Instrument dieser Glaubwürdigmachung“ habe man sie auserkoren. Sie „wollten das auch leisten“, allerdings „nicht zum Nulltarif“.495 Aus Reichenbachs Sicht schien der Beitritt auch deswegen attraktiv, weil Vaatz erklärt haben soll, er bringe sofort 10 000 neue Mitglieder aus dem Neuen Forum mit, womit man die Erneuerung der CDU „natürlich dokumentieren“ konnte. Erst später habe sich gezeigt, so Reichenbach polemisch, dass es „insgesamt sechs“ und nicht 10 000 waren.496 Noch aber waren die Auswirkungen des Beitritts kaum zu überschauen, der am 21. Februar vollzogen wurde und bei dem noch einmal an die Bedingung erinnert wurde, für Parteiämter nach den Dresdner Kreisvorstandswahlen am 24. Februar bzw. den Landesvorstandswahlen am 3. März zu sorgen. Wagner erinnert sich, dass die Gruppe mit der Maßgabe eintrat, „am Dienstag war das Gespräch, dass wir am Sonnabend zum Kreisvorstand für alle Ämter kandidieren können, wenn wir wollen. Eigentlich etwas, dass nach den Satzungen der CDU nicht geht. Aber Reichenbach sagte zu diesem Zeitpunkt, dass er dies unterstützt, allerdings müsste der Parteitag selbst dies beschließen.“ Er werde aber seinen Einfluss geltend machen.497 Rückendeckung erhielten die Sechs von den Redakteuren des auf Erneuerungskurs liegenden CDU-Blattes „Die Union“, Uta Dittmann, Andreas Helgenberger und Andreas Richter, die sich bereits während des gesamten Herbstes für die neuen politischen Kräfte stark gemacht hatten. Dittmann, so Wagner, hielt „ihre spitze Feder für den Fall bereit, dass wir abblitzen sollten. Dann hätte die Schlagzeile des nächsten Tages gelautet: ‚Alt-CDU nimmt keine Reformer auf.‘“ Reichenbach hatte somit keine große Wahl, und am nächsten Tag wurde der Beitritt einer überraschten Öffentlichkeit mitgeteilt.498 Aus Sicht Reichenbachs waren die von Vaatz avisierten zahlreichen neuen Mitglieder eigentlich eine unabdingbare Voraussetzung für eine Kooptierung von Vaatz in das Präsidium des Landesvorstandes der CDU. Selbst 493 494 495 496 497 498

Interview Arnold Vaatz. In: Kleimeier, Sachsen, S. 112 f. Vgl. Schmidt, Von der Blockpartei zur Volkspartei, S. 193. Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. Interview Klaus Reichenbach. Interview Herbert Wagner. Vgl. Wagner, 20 gegen die SED, S. 159; Richter/Sobeslavsky, Die Gruppe der 20, S. 201.

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diese Kooptierung war eigentlich nicht möglich und ließ sich nur bewerkstelligen, weil der erst im Entstehen begriffene Landesverband noch keine Satzung besaß. Das Präsidium hatte sich bereits vorher konstituiert, ebenso stand bereits fest, wer auf dem bevorstehenden konstituierenden Landesparteitag gewählt werden sollte. Auf Drängen Teufels, Raus und Vaatz’ intervenierte Reichenbach im Landesvorstand und setzte mit seinen Stellvertretern Rolf Rau und Horst Metz durch, dass eine Kooptierungsmöglichkeit für das Präsidium geschaffen wurde und Vaatz einen sicheren Platz auf dem Landesparteitag erhielt.499 Die Bürgerrechtler verstanden ihren Eintritt nicht als Beitritt zur Blockpartei CDU, für Vaatz eine „verkappte SED“, sondern in eine im Umbruch begriffene CDU, deren Führungsstrukturen man verändern und die man auf „Westkurs“ bringen wollte.500 Ihr Votum für die „durch Kohl geadelte“501 CDU entsprach der Haltung einer Mehrheit der Bevölkerung und auch der meisten Parteimitglieder, für die die Partei bereits nicht mehr für die in Auflösung befindliche Blockpartei, sondern eine sich aus den alten Strukturen befreiende CDU westlichen Musters war. Uta Dittmann kommentierte, der Beitritt sei aus der Motivation heraus erfolgt, dass die CDU durch den Eintritt neuer Kräfte die „überzeugende integrierende Kraft der Mitte“ und eine wirkliche Volkspartei werden könne. Mit ihrem Eintritt wollten die Vertreter der Bürgerbewegungen „den an der Basis begonnenen Selbstreinigungsprozess der Partei mit der moralischen Autorität derer, die den Reformprozess in Dresden maßgeblich mitbeeinflusst haben, weiter voranbringen und ein deutliches Zeichen auch für personelle Erneuerung in den Leitungsgremien geben“. Sie wollten sich dafür einsetzen, dass die CDU nicht wieder „in politischem Pragmatismus erstarrt, sondern dass sie die produktive Unruhe und die moralischen Werte der Umgestaltung integriert und bewahrt“.502 In den neuen politischen Gruppen Dresdens stieß der Eintritt freilich auf ein geteiltes Echo. In der gerade in SPD umbenannten bisherigen SDP fand der Schritt zwar schon deswegen Verständnis, weil hier auch bereits klar war, „die SPD kassiert uns“,503 führende Vertreter der Grünen Liga warfen Wagner, Neubert und Vaatz hingegen vor, das Vertrauen der basisdemokratischen Gruppen und das „ihnen von der Bevölkerung gegebene Mandat für ihren Eintritt in eine der alten Parteien benutzt“ zu haben. Sie forderten die neuen „Unionsfreunde“ auf, das Mandat in der Gruppe der 20 und in der Basisdemokratischen Fraktion niederzulegen.504 Dem juristischen Berater der Gruppe der 20, 499 Interview Klaus Reichenbach. 500 Arnold Vaatz auf der Tagung der Gesellschaft für Deutschlandforschung „Die demokratische Revolution 1989/90“ am 5. 3.1999 in Berlin (Mitschrift des Autors). 501 Interview Arnold Vaatz am 9. 6.1999. 502 Die Union vom 24./25. 2.1990. 503 Interview Günter Neumann. 504 Brief der Grünen Liga an Herbert Wagner, Frank Neubert und Arnold Vaatz vom 28. 2.1990. Text in: Richter/Sobeslavsky, Die Gruppe der 20, S. 506. Zu den Folgen in der Basisdemokratischen Fraktion der Dresdner StVV vgl. ebd., S. 202–205; Urich, Die Bürgerbewegung, S. 379.

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Heitmann, schien es zunächst ebenfalls „unvorstellbar, ja geradezu absurd“ in eine Blockpartei einzutreten, deren Funktionäre schlimmer gewesen seien als die der SED. Bei denen habe man wenigstens gewusst, woran man sei. „Erst schrittweise“, so der Kirchenjurist, sei ihm klar geworden, dass es keine Alternative zum Parteiensystem im westlichen Sinne und damit zu dieser CDU gab.505 Im Nachhinein meint er, „es war strategisch klug von Vaatz, diese Position rechtzeitig zu besetzen, sonst sähe es heute anders aus in Sachsen“. Vaatz habe sich auch in dieser Situation als „einer der weitblickendsten und politisch Klügsten“ aus dem Kreis der neuen politischen Kräfte erwiesen.506 Der CDUEintritt und das sich zur gleichen Zeit vollziehende und in der Umbenennung ausdrückende Abrücken der SPD von einem einheitlichen Auftreten mit den Bürgerbewegungen markierten den Beginn eines anhaltenden Differenzierungsprozesses, der sich nach der Volkskammerwahl verstärkt fortsetzte und veranschaulichte, dass und inwieweit politische Differenzen durch die gemeinsame Gegnerschaft zur SED überlagert gewesen waren. Das Ergebnis waren unterschiedliche politische Richtungen, deren Existenz – wie in der Demokratie üblich – durch ungleiche Rollen und Interessen in Staat und Gesellschaft sowie durch unterschiedliche Prägungen, Erfahrungen und Einsichten bedingt war. Neubert, Schmitt und Wagner wurden am 24. Februar in den Kreisvorstand der CDU Dresden-Stadt gewählt. Dieter Reinfried, schon zuvor Mitglied, wurde Vorsitzender, Wagner sein Stellvertreter.507 Von nun an galt der Dresdner Kreisvorstand als Hort erneuerungswilliger Kräfte der sächsischen Union. Am 3. März fand im Dresdner Hygienemuseum der Parteitag zur Konstituierung des Landesverbandes Sachsen der CDU statt,508 an dem auch Erwin Teufel teilnahm.509 Hier nun kandidierte Vaatz unter dem Erwartungsdruck seiner politischen Freunde510 ganze drei Wochen nach dem CDU-Beitritt gegen Reichenbach um den Vorsitz des neuen Landesverbandes, eine Aktion, die angesichts seiner kurzen Mitgliedschaft einem Ritt über den Bodensee glich. Reichenbach, der sich persönlich für die Kooptierung von Vaatz stark gemacht hatte, fand dessen überraschend angekündigte Gegenkandidatur „etwas unfair“, war er doch davon ausgegangen, ohne Gegenkandidaten gewählt zu werden. Nun gab es plötzlich einen „Unsicherheitsfaktor“, weil nicht klar war, wie die Delegierten reagierten. Für seine Wahl sprach allerdings, dass „fast nur De-

505 506 507 508

Interview Steffen Heitmann. In: Flach, Der Demokratisierungsprozess, S. 103. Interview Steffen Heitmann. Wagner, 20 gegen die SED, S. 163 f. CDU-Landesgeschäftsstelle Sachsen, 1. Landesparteitag am 3. 3.1990 Dresden. Die sächsische CDU hatte sich zu diesem Zeitpunkt nach leichten Mitgliederverlusten wieder erholt. CDU-Mitglieder in Sachsen: 31.12.1989: 37 614; 31.1.1990: 36 939; 30. 4. 1990: 37 921; Sept. 1990: 37 638. Quellen: Die CDU in der DDR – Eine Bestandsaufnahme (ACDP, 011–3900). Monatsstatistik September 1990. Blatt 2 (Kumulierung) und Statistik Monat 1/90 (ebd., 3523). 509 Erwin Teufel an den Autor vom 10.1. 2003. 510 Interview Arnold Vaatz. In: Kleimeier, Sachsen, S. 112 f.

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legierte [...] aus der alten Block-CDU“ vertreten waren.511 Der Parteitag begann mit der Ablehnung eines Antrages von Vaatz, Ausnahmen bei der in der Geschäftsordnung festgelegten Redezeit von fünf Minuten zuzulassen. Die Tatsache, dass „die Dresdner“ beantragten, besonderen Abgeordneten eine längere Redezeit zuzugestehen, sorgte für Ärger unter den Karl-Marx-Städter und Leipziger Delegierten. Hier wehrte man sich gegen einen vermeintlichen Dresdner Anspruch, diese hätten „besondere Abgeordnete“. Mit dem Antrag, so Grüning, sei suggeriert worden, dass „Vaatz als Person ein besonderer Delegierter sei, der einem anderen Reglement unterliege“. Nach Grünings Meinung wäre einer generellen Verlängerung der Redezeit für Delegierte zugestimmt worden, die für den Landesvorsitz kandidierten. Der Antrag sei aber nicht generell, sondern auf Vaatz bezogen formuliert gewesen und wurde abgelehnt.512 Aufgrund des ungeschickten Agierens war für Vaatz aus dessen persönlicher Sicht keine Möglichkeit gegeben, sich als Kandidat für das Amt des Landesvorsitzenden angemessen vorzustellen. Er legte daraufhin trotzig seine Kandidatur zum Landesvorsitzenden nieder. Daraufhin zog auch Reichenbach seinen angekündigten Redebeitrag zurück und bedauerte die Entscheidung von Vaatz. Reichenbach musste vorsichtig agieren. Zwar hätte er sich nun problemlos wählen lassen können und wäre so „auf eine billige Art und Weise ohne Gegenkandidatur“ gewesen, freilich hätten ihn in diesem Fall die Zeitungen, allen voran „Die Union“, „als alte Blockflöte total nieder gemacht“. Deswegen erklärte er, darauf zu bestehen, dass Vaatz zehn Minuten von seiner eigenen Redezeit erhält.513 Auf Grund dieser Intervention wurde schließlich nach heftigen Debatten beiden eine längere Redezeit eingeräumt und Vaatz erneuerte seine Kandidatur. Da Schramm seinen Namen vorschnell hatte streichen lassen, mussten die Stimmzettel neu gefertigt werden.514 Freilich kam nach den Geschäftsordnungsquerelen in der nach rund vierzig Jahren Abstinenz ungeübten Landespartei „der rebellisch wirkende Auftritt von Vaatz“ bei der Mehrheit der Delegierten nicht gut an. Grüning, selbst erst drei Monate CDU-Mitglied, war durch den Auftritt regelrecht gegen Vaatz eingenommen. Ihm missfiel, dass dieser zunächst nicht mehr sprechen wollte: „Wenn ich das, was ich zu sagen habe, nicht auch in fünf Minuten sagen kann, habe ich gar nichts zu sagen“. 515 Volker Schimpff meint polemisch, Vaatz habe „wirklich alles daran gelegt, möglichst wenig Stimmen zu kriegen“.516 DA-Generalsekretär Beyer, der als Gast am Parteitag teilnahm, hielt Vaatz nach dessen Auftritt für „politikunfähig“. Wer Landesvorsitzender werden wolle, könne das nicht an ein paar Minuten Redezeit festmachen.517 Vaatz schien auch deswegen „keine 511 512 513 514 515 516 517

Interview Klaus Reichenbach. Interview Uwe Grüning. Interview Klaus Reichenbach. Vgl. Die Union vom 5. 3.1990. Interview Uwe Grüning. Interview Volker Schimpff am 19. 6. 2003. Interview Wolf-Dieter Beyer.

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überzeugende Alternative“ zu sein, weil seine Kandidatur vorhandene Antipathien gegen den Dresdner CDU-Bezirksverband unter umgekehrten Vorzeichen verstärkte. Unter dessen bisherigem Vorsitzenden Herbert Dreßler hatte die CDU hier stets versucht, die „SED links zu überholen“ und es im Gegensatz zu Karl-Marx-Stadt und Leipzig bis Ende 1989 kaum Reformansätze gegeben hatte,518 nun gerierte sich der Bezirksverband als Hort der wahren Erneuerer. Umgekehrt erhielt Reichenbach die Unterstützung der Mehrheit, weil er aus dem Apparat kam und als Bezirksvorsitzender bekannt war. Ansonsten waren die Mehrheitsverhältnisse beim Zusammenschluss der bis dahin getrennt wirkenden Bezirksverbände schwer überschaubar. „Alles“, so Grüning, „bezog sich auf die Bezirke; bis auf die Spitzenfunktionäre kannte man sich über die Bezirksgrenzen hinaus kaum. Die Chemnitzer kannten die Leipziger kaum und die Leipziger nicht die Dresdner und umgekehrt. Ich selbst kannte aus der alten CDU so gut wie niemanden; erst später habe ich gemerkt, dass alte Verbindungen gepflegt oder neu geknüpft wurden, meist nicht in böser Absicht, sondern einfach, weil man sich kannte und zusammenhielt.“519 Berthold Rink, ebenfalls ein „Neuer“ in der CDU, meint, dass es bei der „Abservierung“ von Vaatz nur „bis zu einem gewissen Grad“ um Auseinandersetzung zwischen alter und neuer CDU gegangen sei, „hauptentscheidender Punkt“ sei gewesen, dass Reichenbach „als netter und freundlicher und mit dem entsprechenden Charisma ausgestatteter Mann“ erschien, während Vaatz „wie ein bockiger kleiner Junge“ auftrat, der von den Delegierten forderte, seinen Auffassungen zu folgen. Das habe „die Leute alle vor den Kopf gestoßen“, und da hätten die meisten gemeint, „den wollen wir nicht haben, der kann das nicht, der kann nicht so ein Amt ausfüllen“.520 So fiel Vaatz „mörderisch auf die Nase“521 und „wirklich brutal durch“.522 Reichenbach erhielt 338 von 412 gültigen Stimmen (82,04 %), Vaatz 74 (17,96 %). Zuvor war vereinbart worden, dass jeder Bezirk einen Stellvertreter stellt, der auf dem Parteitag bestätigt werden sollte.523 Für den Bezirk Chemnitz war dies der aus dem Neuen Forum zur CDU übergetretene Zahnmediziner Berthold Rink (79,3 %), für Dresden der bislang in der Partei funktionslose Horst Metz, der in Dresden die Untersuchungskommission gegen Amtsmissbrauch und Korruption geleitet hatte (52,4 %) und für Leipzig der seit März 1989 amtierende Vorsitzende des Bezirksverbandes, Rolf Rau (93,4 %), der zwar wie Reichenbach den innerparteilichen Erneuerungskurs mittrug, sich aber im Herbst 1989 nicht gerade als Revolutionär hervorgetan und die offizielle Dialogpolitik der SED unterstützt hatte. Noch am 14. Oktober hatte ihn die „Leipziger Volkszeitung“ mit den Worten zitiert, für den Dialog habe man in der DDR „alle erforderlichen Formen und Foren der sozialistischen Demokra518 519 520 521 522 523

Interview Klaus Reichenbach. Interview Uwe Grüning. Interview Berthold Rink. Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003. Interview Berthold Rink. Interview Berthold Rink.

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tie“. Straßen und öffentliche Demonstrationen seien „ein untauglicher Platz für jedes Gespräch“.524 Zum Landessekretär wählten die Delegierten den stellvertretenden CDU-Vorsitzender des Bezirkes Dresden, Johannes Schramm, Schatzmeister wurde Gerd Metger.525 Als Landesgeschäftsführer ging der ehemalige stellvertretende Leipziger CDU-Bezirksvorsitzende Volker Terp nach Dresden. Er war früher NVA-Offizier gewesen und hatte wie Schramm als IM für das MfS gearbeitet.526 Im Gegensatz zum Dresdner Kreisverband dominierten damit, getragen von einer breiten Mitgliederbasis, im Landesvorstand frühere Funktionäre der Partei. Immerhin wurde Vaatz vereinbarungsgemäß, wenn auch mit dem schlechtesten Ergebnis aller Kandidaten (78,46 %), in den Landesvorstand gewählt,527 eine Entscheidung, deren Tragweite zu diesem Zeitpunkt wohl keiner der Delegierten überschaute. Damit war klar, dass die Vertreter der Kreisverbände dem Versuch des Seiteneinsteigers und politischen Neulings, sich aus dem Stand in die Führungsfunktion des Landesverbandes zu katapultieren, eine deutliche Absage erteilt hatten. Vaatz, der kaum über Rückhalt in der Partei verfügte, hatte die Mehrheitsverhältnisse falsch eingeschätzt. Er schrieb die missglückte Kandidatur später seiner politischen Unerfahrenheit zu: „Ich hätte es nicht machen sollen. Wenn ich gewählt worden wäre, wäre das mein politisches Ende gewesen, denn ich hätte keinesfalls die Partei führen können, die ich zu dem Zeitpunkt gar nicht kannte und die mich ganz leicht hätte wieder kaputt machen können.“ Immerhin war ihm der Sprung in den Landesvorstand gelungen, und er hatte damit eine günstige Ausgangsposition für künftige Aktivitäten. So war es aus seiner Sicht doch „die glücklichste Fügung“, dass er zwar kandidiert hatte, aber nicht gewählt worden war. Ohne die Kandidatur hätte er „möglicherweise nicht diese Gegenspielerfunktion erlangen können“, die er später erfolgreich nutzte.528 Im Landesvorstand war Vaatz zunächst isoliert. Die CDU, so Uta Dittmann, „war der alte Apparat, das waren die alten Leute, die sich nun durch Leute wie Vaatz ständig in Frage gestellt sahen“.529 Anders als Reichenbach setzte Vaatz auch nicht auf Ausgleich mit den CDU-Funktionären, sondern wollte „Nagel im Kuhmagen“ sein.530 Im Landesvorstand sah er sich einer erdrückenden Mehrheit gegenüber, die mit „absoluter Sicherheit“ davon ausging, sie würde weiterhin den Kurs bestimmen.531 Hier blies ihm ein „eisiger Wind der Ablehnung ins Gesicht“,532 524 LVZ vom 14./15.10.1989. Vgl. Ditfurth, Blockflöten, S. 212. 525 Protokoll der Wahl zum Landesparteitag Sachsens der CDU am 3. 3.1990 (CDU-Landesgeschäftsstelle Sachsen, 1. Landesparteitag am 3. 3.1990 Dresden). Vgl. Die Union vom 5. 3.1990. Schramm wurde 1991 wegen IM-Tätigkeit für das MfS entlassen. Vgl. Lesch, Die CDU-Reformer in Sachsen, S. 41. 526 Wendt, Kurt Biedenkopf, S. 103 f. 527 Wahlschein Nr. 6. Kandidaten Landesvorstand Sachsen (CDU-Landesgeschäftsstelle Sachsen, 1. Landesparteitag am 3. 3.1990 Dresden). 528 Interview Arnold Vaatz. In: Kleimeier, Sachsen, S. 112 f. 529 Interview Uta Dittmann. In: ebd., S. 40. 530 Arnold Vaatz. Zit. in Schmidt, Von der Blockpartei zur Volkspartei, S. 193. 531 Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 532 Arnold Vaatz an die Grüne Liga vom 6. 3.1990. Text in: Richter/Sobeslavsky, Die Gruppe der 20, S. 506 f.

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was auch daran lag, dass Vaatz sich anmaßte, selbst festzulegen, wer als Altfunktionär zu verurteilen war. Dabei, so Grüning, habe er außerdem dazu geneigt, dies vom Verhältnis der Funktionsträger zu seiner Person abhängig zu machen. Auf diese Weise sei „automatisch jeder Altfunktionär“ gewesen, „der nicht für Arnold Vaatz war“.533 Andererseits trügt der gelegentlich verbreitete Eindruck, jedes CDU-Mitglied habe unter Vaatz’ Verdikt gestanden. Ein Bericht des baden-württembergischen Staatsministeriums merkte an, dass es innerhalb der CDU zwei Lager gebe, wobei die Trennungslinie nicht einfach zwischen den Mitgliedern der alten „Blockpartei“ CDU und den neuen Mitgliedern verlaufe. Als „verdächtig und belastet“ gelte bei Vaatz nur, wer in der Blockpartei hervorgehobene Funktionen innehatte oder mit deren Rückendeckung im Staatsapparat und in der Planwirtschaft Karriere gemacht habe.534 Der Parteirebell unterschied also durchaus zwischen Mitgliedern und Funktionären, was auch Sinn machte, denn immerhin hatte es an der Basis der CDU seit Mitte der achtziger Jahre eine Aufbruchbewegung gegeben, die, anders als in allen anderen DDRParteien, im Herbst 1989 zur einer innerparteilichen Demokratisierung „von unten“ geführt hatte. Auch unter den langjährigen CDU-Mitgliedern waren „manche sehr integer und sehr tapfer“,535 und die Situation in der Partei war nicht erst durch Personen wie Vaatz durch die Spannung zwischen ehemals systemtreuen und systemkritischen Mitgliedern geprägt. Auf dem flachen Land, so auch der damalige DA-Aktivist und spätere CDU-Kreisvorsitzende von DresdenLand/Meißen, Rößler, hätten oft „CDU-Leute die ganze Umgestaltung vorangetrieben“. In vielen Orten, wo es Bewegungen wie den DA oder das Neue Forum nicht gab, seien Aktivisten im Rahmen der bisherigen Parteien tätig geworden. „Ohne die CDU-Basis“, so Rößler, „hätte der Umbruchprozess im kommunalen Bereich überhaupt nicht funktioniert.“ Aber nicht nur deswegen müsse man zwischen höheren Funktionären und den Mitgliedern trennen, die „nur Nachteile“ gehabt oder eine Nische gesucht hätten.536 Auch Iltgen verweist darauf, dass die CDU „vielen Andersdenkenden einen gewissen Schutz“ bot, während sich die Führung „dem Diktat willfährig gebeugt“ habe. Auflehnung in höheren Funktionen sei sofort mit Entfernung aus diesen Funktionen bestraft worden,537 was Schlüsse über die Haltung der nicht Geschassten zulässt. Freilich gab es auch Funktionäre, die sich seit Mitte der achtziger Jahre für eine radikale Veränderung der Partei und der Gesellschaft einsetzten.538 Bei einer genaueren Bestimmung von Rolle und Bedeutung der Gruppe um Vaatz in der 533 Interview Uwe Grüning. 534 Zur Situation im künftigen Land Sachsen. Kurzbericht aufgrund der Mitarbeit im Koordinierungsausschuß für die Landesneubildung im Monat August 1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). 535 Interview Uwe Grüning. 536 Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003. 537 Die Union vom 1./2. 9.1990. 538 Zur politischen Haltung der CDU-Mitglieder vgl. Schmidt, Von der Blockpartei zur Volkspartei, S. 57–61; Richter, Wahlkampf in der DDR, S. 21–29; ders., Rolle, Bedeutung und Wirkungsmöglichkeiten, S. 2623 f.; ders., Aufbruch an der Basis, S. 189–240.

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CDU wird klar, dass angesichts der nicht erst seit 1989 in der CDU verbreiteten Aufbruchstimmung die eingrenzende Bezeichnung „Reformer“ oder „Erneuerer“ für die Gruppe Vaatz wenig aussagefähig ist, gab es doch sehr unterschiedliche Kreise in der CDU, die sich für eine Erneuerung einsetzten. Einer davon war ohne Zweifel der um Vaatz, dem es durch taktisches Geschick und strategischen Weitblick gelang, sich erheblichen politischen Einfluss zu sichern. Im Landesvorstand hielt sich Vaatz nur kurzzeitig zurück und schloss für einen knappen Monat Frieden mit Reichenbach, der freilich darüber informiert wurde, dass Vaatz „im Kreise seiner Getreuen geschworen“ hatte, ihn zu stürzen.539 Da Reichenbach aus Vaatz’ Sicht vor allem Alt-Funktionäre um sich sammelte, um „den ganzen inneren Parteiapparat gegen die Angriffe von außen abzuschirmen“, bedeutete das für ihn die „Kriegserklärung“ und er bekämpfte den Landesvorsitzenden „erst verdeckt und dann offen“.540 Der Konflikt schien unvermeidlich, zog die Option der neuen politischen Kräfte für die CDU Auseinandersetzungen in der Parteiführung doch geradezu zwangsläufig nach sich: „Wollten die Neuen nicht hoffnungslos als Fremdkörper in der Minderheit bleiben, so mussten sie machtstrategische Konzepte entwickeln und den Kampf um die Mehrheit aufnehmen.“ Sie mussten zunächst „die alten Blockkräfte zurückdrängen und sich eine neue Plattform schaffen“.541 Dabei konnten sie auf „die Unterstützung der in dieser Frage arbeitsteilig agierenden Spitze der BundesCDU und den Enthüllungseifer der überregionalen Presse“ setzen.542 Tatsächlich vertrat Reichenbach jedoch eher ein auf Ausgleich zwischen alten und neuen Mitgliedern ausgerichtetes Konzept. Auf ihn wirkten die Vorwürfe von Vaatz, er sammele Altfunktionäre um sich, geradezu absurd, hatte er doch erst den Weg für den Eintritt der neuen Kräfte um Vaatz und Wagner freigemacht.543 Andererseits setzte er aber doch auf die altvertrauten „Unionsfreunde“ und auf einen Ausgleich in der zunehmend heterogener werdenden Mitgliedschaft. Hier stießen unterschiedliche Sichtweisen aufeinander, die zum damaligen Zeitpunkt unvereinbar zu sein schienen. Mit dem teils verbissenen Kampf Alt gegen Neu, der mit der Realität an der Basis der sich in Veränderung begriffenen CDU oft wenig zu tun hatte, entstand in der Auseinandersetzung um die Bildung des Landes Sachsen neben der Frontlinie zwischen neuen politischen Kräften und den Staatsorganen des früheren SED-Staates nun eine zweite Konfliktlinie. Es dauerte nicht lange, bis sich beide, bedingt durch den Wahlerfolg der Ost-CDU und die Übernahme bezirklicher Gremien durch frühere CDU-Funktionsträger, überlagerten. Der Widerstand der neuen Kräfte im CDU-Landesvorstand mit den „inzwischen aufgerückten Kadern der zweiten und dritten Garnitur“ wurde so zum „eigentlichen Kampffeld um die Erneuerung Sachsens“.544 Dabei 539 540 541 542 543 544

Interview Klaus Reichenbach. Interview Arnold Vaatz am 9. 6.1999. Schmidt, Von der Blockpartei zur Volkspartei, S. 193. Ebd., S. 304 f. Interview Klaus Reichenbach. Lesch: Die CDU-Reformer in Sachsen, S. 41.

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ging es weniger um inhaltliche Konzepte, die meist gar nicht so weit auseinander lagen, sondern um Personen. Das bestätigt wiederum Grüning, der meint, für ihn habe es nie ein Problem mit „Altlasten und Neulasten“ gegeben, weil sich die „Altlasten“ der CDU im Gegensatz zu denen der PDS „nie im Sinne des Alten gemeldet“ hätten.545 Wie Vaatz trugen die meisten bisherigen Mitglieder und Funktionäre der CDU in der Tat alle auch noch so tiefgreifenden revolutionären Veränderungen auf dem Weg zur deutschen Einheit mit. Entweder war dies Ausdruck eines fortgesetzten pragmatischen Opportunismus oder tatsächlich in der CDU überwinterter Überzeugungen. Eher ging es darum, dass Vaatz an der Spitze neuer Strukturen auch neue Politiker sehen wollte, die nicht mit dem Makel einer früheren Mitarbeit in der SED-Diktatur behaftet waren. Er hatte nach eigenem Bekunden keine Aversionen gegen einfache CDU-Mitglieder, sondern wollte „lediglich eine Reihe von Personen nicht mehr haben“. Sie sollten weder an der Spitze der CDU noch gar des künftigen Landes Sachsen stehen. Im Gegensatz zu vielen Mitgliedern sah er in ihnen keine glaubwürdigen Repräsentanten der CDU mehr und zeigte wenig Verständnis, dass sich die Basis dieser Altfunktionäre nicht auf demokratische Weise entledigte. Er jedenfalls „wollte nicht, dass die Leute, die die Wohnungspolitik der SED über viele Jahre in der Stadt Dresden getragen haben, jetzt als Bauminister des von mir beförderten neuen Freistaates Sachsen in Erscheinung treten“.546 Da es um den Einfluss auf die Besetzung künftiger Führungsfunktionen ging, machten die neuen Kräfte gezielt auf die Vergangenheit der Altfunktionäre aufmerksam, wussten sie doch, dass deren Demontage die eigene Stellung stärkte. Auch Reichenbach wusste, dass es den „Neuen“ darum ging, ihn wie andere frühere Funktionäre „abzublocken“, um bei den „wenigen Auswahlkandidaten für bestimmte Stellen keine Konkurrenz“ zu haben.547

3.2.6 Koordinierte Aktivitäten der Räte zur Landesbildung Wiesen die CDU-Auseinandersetzungen als Ausdruck des Kampfes um die künftige Macht im Lande in die Zukunft, zeigten Räte und Bezirkstage zu diesem Zeitpunkt noch das eher rückwärtsgewandte Bild einer absterbenden, sich aber dagegen wehrenden Staatsmacht. Im Bereich des freilich auch in Bewegung geratenden Staatsapparates der sächsischen Bezirke war die Lage Ende Februar dadurch geprägt, dass die Räte ihre Bemühungen um eine Koordinierung der Länderbildung intensivierten. Seit dem 26. Februar bereitete der Rat des Bezirkes Dresden eine Beratung aller Ratsvorsitzenden und zuständigen Mitarbeiter zur Herausbildung des Landes Sachsen vor,548 und am 28. Februar 545 546 547 548

Interview Uwe Grüning. Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. Interview Klaus Reichenbach. 1. Stellvertreter des Vorsitzenden des RdB Dresden: Festlegungsprotokoll der Dienstberatung mit den Abteilungsleitern am 26. 2.1990 (SächsHStA, BT/RdB, 46999, Bl. 20 f.).

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folgte ein Beschluss des Rates über die ständige Abstimmung und Koordinierung mit den Räten der Bezirke Leipzig und Karl-Marx-Stadt sowie den gemeinsamen Ausbau der Zusammenarbeit mit Baden-Württemberg und Bayern.549 Auf der 17. Tagung des Bezirkstages Karl-Marx-Stadt forderte Ratsvorsitzender Fichtner daraufhin, der Bezirkstag möge alle Bestrebungen zur Bildung des Landes Sachsen unterstützen. Er schlug vor, unabhängig von den von der Regierung zu fassenden Beschlüssen aus Vertretern der drei sächsischen Bezirkstage einen Ausschuss zur Bildung des Landes zu berufen und diesen zu bevollmächtigen, den Entwurf einer Verfassung vorzubereiten. Dresden sollte Landeshauptstadt, Karl-Marx-Stadt Sitz eines Regierungspräsidiums werden. Außerdem schlug Fichtner vor, die Vertrauensfrage zu stellen. Für die PDS lehnte dies Dieter Quaschny mit der Begründung ab, dass die Unruhe in der Bevölkerung ohnehin groß genug und man zur Vorbereitung der Wahlen auf Bezirkstag und Nationale Front angewiesen sei. „Im Ringen um einen starken Regierungsbezirk“ brauche man „einen legitimierten Rat des Bezirkes und nicht einen Geschäftsführenden“. Eine große Mehrheit sprach sich gegen die Vertrauensfrage aus, nur 13 Abgeordnete, unter ihnen Fichtner, plädierten dafür.550 Am 1. März beschloss der Runde Tisch des Bezirkes Dresden die Bildung einer Initiativgruppe für die Koordinierung der Aktivitäten der Runden Tische und Räte der Bezirke zur Bildung des Landes Sachsen. Erich Iltgen übernahm die Koordinierung der Kontakte zu den Bezirken Leipzig und Karl-MarxStadt.551 Parallel dazu bemühte man sich auch dort darum, das Vorgehen bei der Länderbildung abzustimmen. Am 15. Januar beschloss der Rat des Bezirkes Karl-Marx-Stadt, eine Arbeitsgruppe des Bezirkstages unter Leitung des Ratsvorsitzenden zu bilden, die sämtliche Vorschläge des Rates für die Verwaltungsreform im Rat des Bezirkes „zur inhaltlichen Neugestaltung der Tätigkeit seiner Fachorgane, und davon abgeleitet die neuen Struktur- und Stellenpläne“ bearbeiten und die neue territorial-administrative Gliederung des Bezirkes beraten sollte.552 Der Bezirkstag Karl-Marx-Stadt sprach sich am 28. Februar dafür aus, alle Bestrebungen zur Herausbildung des Landes Sachsen mit Dresden als Hauptstadt zu unterstützen und mit den Bezirkstagen Dresden und Leipzig zusammenzuwirken. Es herrschte Einigkeit, sich für einen eigenen Regierungsbezirk stark zu machen. Der Bezirkstag beschloss, einen Ausschuss aus bisherigen und neuen Mandatsträgern der drei Bezirkstage zur Bildung des Landes zu be549 Beschluss des RdB Dresden 41/90 vom 28. 2.1990 über Verfahrensweisen zu Fragen der Zusammenarbeit mit der BRD (ebd., 47119/2, Bl. 164–166). 550 Die Union vom 1. 3.1990. 551 Protokoll der 11. Beratung des RTB Dresden am 1. 3.1990 (Dok. 16). Nach Darstellung Iltgens hatte der Runde Tisch bereits am 15. Februar ein koordiniertes Vorgehen aller drei sächsischen Bezirke für einen gemeinsamen Ausschuss zur Bildung des Landes Sachsen beschlossen. Vgl. Rede Erich Iltgens vor dem Bezirkstag Dresden am 26. 4.1990 (Dok. 62). Dem Protokoll der Sitzung des RTB Dresden vom 15. 2.1990 ist ein entsprechender Hinweis jedoch nicht zu entnehmen. 552 Beschluss des RdB KMS 6 vom 15.1.1990: Auswertung der 16. Tagung des BT (Sächs StAC, BT/RdB, 11502 ).

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rufen, der die Erarbeitung des Entwurfes einer Verfassung des künftigen Landes unterstützen und praktische Schritte zur Länderbildung vorschlagen sollte. Für Mitte März wurde eine konstituierende Beratung eines Ausschusses zur Bildung des Landes für den Bezirk Karl-Marx-Stadt geplant, an der alle Mandatsträger des Bezirkstages und Vertreter des Runden Tisches teilnehmen sollten.553 Nachdem der Vorsitzende des Rates des Bezirkes Dresden am 5. März in Bezug auf die Durchführung der Modrowschen Verwaltungsreform erklärt hatte, dass es Vorstellungen gebe, den Bezirkstag nach dem 6. Mai aufzulösen und Verwaltungen auf Bezirksebene zu schaffen, die die Bildung des Landes Sachsen vorbereiten sollten, drängten einige CDU-Abgeordnete darauf, dass alle CDU-Abgeordneten unverzüglich aus dem Bezirkstag ausscheiden sollten, in dem nach wie vor die PDS-Vertreter dominierten. Innerhalb der CDU wurde dieser Antrag kontrovers diskutiert und eine Entscheidung dem künftigen Landesvorstand überlassen. Solange arbeitete die Fraktion der CDU im Bezirkstag offiziell weiter, und den Abgeordnete wurde ein individuelles Ausscheiden freigestellt. Die anderen ehemaligen Blockparteien und Massenorganisationen erklärten ebenfalls ihre Bereitschaft zur weiteren Mitarbeit bis zur Auflösung des Bezirkstages.554 Am 9. März beschlossen die drei Ratsvorsitzenden, die gemeinsamen Bemühungen zu Länderbildung weiter zu beschleunigen. Es sollte sich ein gemeinsamer Ausschuss zur Herausbildung des Landes Sachsen mit je zwanzig Vertretern von Parteien, politischen Gruppierungen und Vereinigungen der Bezirke konstituieren. Die Initiative sollte von Dresden ausgehen, Teilnehmer des Ausschusses die Ratsvorsitzenden, Präsidenten der Bezirkstage, Oberbürgermeister der Bezirksstädte sowie die Leiter der Arbeitsgruppen in den Räten der Bezirke sein. Parallel sollten in den Bezirken Arbeitsgruppen zur Vorbereitung der Länderbildung und zur Koordinierung der gemeinsamen Arbeit eingesetzt werden, denen als Leiter das Mitglied des Rates des Bezirkes Dresden für Kultur, Klaus Schumann, der 1. Stellvertreter des Ratsvorsitzenden von Karl-MarxStadt, Norbert Dreßler, sowie der Stellvertreter für Inneres beim Rat des Bezirkes Leipzig, Hartmut Reitmann, benannt wurden. Die Ratsvorsitzenden beschlossen nun auch eine enge Zusammenarbeit der Fachorgane der Räte durch gemeinsame Arbeitsgruppen zu den Themen Verfassung, Verwaltungsstruktur, regionale und territoriale Struktur des Landes, Wirtschaft/Raumordnung, Verkehr/Post, Innere Angelegenheiten einschließlich Polizei, Kultur/Jugend/Sport, Wissenschaft und Kunst , Soziales und Arbeit, Finanzen sowie Land- und Forstwirtschaft. Noch einmal wurde bestätigt, dass Dresden die Federführung bei der 553 Vgl. RdB KMS: Ablaufkonzeption für die 17. Tagung des BT am 28. 2.1990 (ebd., 126370); Die Union, Ausgabe KMS, vom 1. 3.1990; Einladung zur konstituierenden Sitzung des Ausschusses des RdB KMS zur Bildung des Landes Sachsen vom 7. 3.1990 (Dok. 17); Protokoll der außerordentlichen Beratung des RTB KMS am 21. 4.1990 (Dok. 57). 554 Präsidium des BT Dresden; Information zur Beratung mit den Mandatsträgern am 5. 3.1990 (SächsHStA, BT/RdB, 46123, Bl. 199–201).

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Länderbildung hatte und sich die Bezirke Karl-Marx-Stadt und Leipzig auf die Schaffung von Regierungsbezirken konzentrieren sollten. Angesichts der Versuche der Regierung, die Fäden bei der Länderbildung in der Hand zu behalten, bereiteten die Ratsvorsitzenden einen gemeinsamen Brief an die Regierung vor, in dem für die Bezirke im Zusammenwirken mit der Regierung eigene Entscheidungsbefugnisse zur Länderbildung gefordert wurden. Dabei lehnten sie einen Weg zur staatlichen Einheit nach Artikel 23 des Grundgesetzes ab. Als Schritte zur Länderbildung sahen sie einen Volksentscheid über die Einführung der Länderstrukturen am 6. Mai, die Vorbereitung der Länderbildung durch einen gemeinsamen Regionalausschuss der drei Bezirke, die Verankerung der Länder in einer neuen DDR-Verfassung, die Verabschiedung eines Gesetzes über die Landtagswahlen im Juni/Juli 1990, die Erarbeitung einer Verfassung des Landes Sachsen bis Ende September 1990 sowie die Ausschreibung der Wahlen zu den Landtagen für Oktober/November 1990 an.555 Im Rat des Bezirkes Dresden wurden die zuständigen Abteilungsleiter nach dem Treffen am 9. März beauftragt, mit ihren Partnern in den anderen Räten Kontakt aufzunehmen bzw. diese zu intensivieren. Arbeitsgrundlage waren „die entsprechenden Unterlagen aus Baden-Württemberg“, die aktualisiert und durch sächsische Dokumente und eigene Erfahrungen ergänzt werden sollten. Nur „wo erforderlich“ sollte es eine „Abstimmung mit zentralen Überlegungen“ geben, etwa in den Bereichen Verfassung, Verwaltungsstrukturen sowie regionale und territoriale Strukturen.556 Erneut wurde deutlich, dass man nicht länger gewillt war, sich von der ohnehin mehr getriebenen Regierung gängeln zu lassen. Die Ratsvorsitzenden wussten, dass die Tage der DDR-Regierung gezählt waren. Durch Eigenständigkeit und Kooperation mit bundesdeutschen Partnern galt es nun, das eigene politische, demokratisch freilich nie legitimierte Überleben zu sichern. Angesichts der bevorstehenden Wahlen stand nicht nur der Bezirkstag zur Disposition, sondern es stellte sich auch immer mehr die Frage nach der Legitimation und dem künftigen Sinn der Runden Tische. In seiner konstituierenden Sitzung am 15. Dezember 1989 hatte sich zum Beispiel der Runde Tisch des Bezirkes Dresden darauf verständigt, bis zum Tag der Volkskammerwahlen zu arbeiten.557 Nunmehr, nachdem der Übergang zur parlamentarischen Demokratie bevorstand und auch weitere Voraussetzungen einer Demokratisierung wie Pressefreiheit und -pluralität, Vereinigungsfreiheit sowie Parteiengründungen geschaffen waren, war die Transformationsfunktion des Runden Tisches, nicht Organ der Demokratie, sondern der Demokratisierung zu sein, obsolet geworden.

555 Fernschreiben von Lothar Fichtner an Michael Kunze vom 13. 3.1990 (Dok. 22). Vgl. Fernschreiben des Vorsitzenden des RdB Dresden an den Vorsitzenden des RdB Leipzig zum Thema Bildung des Landes Sachsen vom 12. 3.1990 (Dok. 20). 556 Information und Festlegungen des Vorsitzenden des RdB Dresden zur Umsetzung der Beratung zwischen den drei Vorsitzenden der RdB Sachsens am 9. 3.1990 vom 12. 3.1990 (Dok. 19). 557 Protokoll der 1. Sitzung des RTB Dresden am 15.12.1989 (HAIT, Iltgen, 5/11).

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In dieser Situation zeichnete sich im Bezirk Dresden eine Sonderentwicklung ab, die den Prozess der Landesbildung nachhaltig und tiefgreifend beeinflussen sollte. Vertreter der neuen politischen Gruppierungen bangten darum, angesichts der Schaffung parlamentarischer Strukturen Einfluss zu verlieren und versuchten, den Runden Tisch des Bezirkes als gesellschaftliche Interessenvertretung und Machtbasis zunächst zu erhalten. Auf seiner letzten Sitzung vor der Volkskammerwahl beantragte der Unabhängige Frauenverband, „den Runden Tisch in seiner jetzigen Zusammensetzung bis zu den Landtagswahlen weiterzuführen“.558 Nachdem dies abgelehnt worden war, schlug Vaatz vor, der Runde Tisch sollte als Vorreiter des kommenden sächsischen Landesverbundes den Rat des Bezirkes zu seinem Ausführungsorgan wandeln, den Bezirkstag auflösen und die Mitglieder des Rates des Bezirkes sowie den Ratsvorsitzenden von ihren Funktionen entbinden.559 Dieser Vorschlag verfolgte dieselbe Intention, auf Bezirksebene, auf der wegen der bevorstehenden Länderbildung keine Wahlen mehr vorgesehen waren, ein Gremium zu erhalten, das seine Legitimierung aus den Ereignissen der friedlichen Revolution herleitete und das bis zur Landesbildung die Kontrolle über die bezirklichen Staatsorgane innehaben sollte. Angesichts weit divergierender Meinungen konnte sich Vaatz damit freilich ebenfalls nicht durchsetzen. Die PDS erklärte, der Bezirkstag und sein Rat seien „nach den Gesetzen der DDR gewählt und legitimiert“. Seine Existenzberechtigung werde nicht mit den Wahlen zur Volkskammer bzw. den Kommunalwahlen aufgehoben.560 Auch die meisten Abgeordneten aller Parteien und Massenorganisationen sprachen sich für die Fortsetzung der Arbeit aus. Die neuen politischen Kräfte hatten dem wenig entgegenzusetzen, denn, so Vaatz, die Altparteien hatten zwar keine demokratische Legitimation, die oppositionellen Kräfte aber auch nicht. Es gab ein Patt, das bis zu den Volkskammerwahlen am 18. März andauerte.561 Ebenso wurde am 15. März vereinbart, bei der ersten Sitzung nach der Volkskammerwahl zu klären, ob die Wahlergebnisse auf den Runden Tisch kopiert und damit die Zahl der Vertreter jeder Partei vom übertragenen Bezirkswahlergebnis abhängig gemacht werden sollte. Nach heftigen Debatten beschloss der Runde Tisch einstimmig, nach den Wahlen noch einmal in der bisherigen Zusammensetzung zu tagen.562 In Karl-Marx-Stadt kam es, wie vom Bezirkstag beschlossen, am 14. März zur Beratung des Rates des Bezirkes mit allen Mandatsträgern des Bezirkstages und den am Runden Tisch vertretenen Parteien und politischen Bewegungen, die zugleich die konstituierende Sitzung des Regionalausschusses Karl-Marx558 Protokoll der 13. Beratung des RTB Dresden am 15. 3.1990 (ebd.). 559 Aus dem Protokoll der 13. Beratung des RTB Dresden am 15. 3.1990 (ebd.) geht dies zwar nicht hervor, vgl. aber: Standpunkt des Präsidiums des Bezirksvorstandes der PDS gegen die Auflösung des BT und des RdB (SächsHStA, BT/RdB, 46074, Bl. 286); Die Union vom 16. 3.1990. 560 Standpunkt des Präsidiums des Bezirksvorstandes der PDS gegen die Auflösung des BT und des RdB vom 19. 3.1990 (Dok. 25). 561 Interview Arnold Vaatz. In: Kleimeier, Sachsen, S. 104 f. 562 Protokoll der 13. Beratung des RTB Dresden am 15. 3.1990 (HAIT, Iltgen, 5/11).

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Stadt zur Vorbereitung der Einführung des Landes Sachsen war. Brisanz erhielt die Besprechung dadurch, dass CDU und Demokratischer Aufbruch den Runden Tisch des Bezirkes am 1. März verlassen hatten, weil gegen ihre Stimmen die DFP nicht zur Teilnahme am Runden Tisch zugelassen und weil auf SPD-Antrag die bisherige Möglichkeit der Berichterstattung über den DA in der „Freien Presse“ entzogen worden war.563 Am 15. März einigten sich die verbliebenen Parteien und Gruppierungen, bis zum 21. März Vertreter für den zu bildenden Landesausschuss zu benennen. Fichtner schlug dem Dresdner Ratsvorsitzenden Kunze vor, anlässlich der konstituierenden Beratung dieses Gremiums zugleich Festlegungen für die zu bildenden Arbeitsgruppen, ihre inhaltlichen Zielstellungen und ihre Zusammensetzungen zu treffen und dem Ausschuss einen ersten Entwurf der Landesverfassung zur Diskussion vorzulegen. Er bestätigte nochmals, dass man in Karl-Marx-Stadt davon ausgehe, dass die Gesamtkoordinierung der Landesbildung in den Händen des Bezirkes Dresden liege.564 Für die Räte der Bezirke wie für die Regierung Modrow stand vor den ersten freien Volkskammerwahlen fest, dass die bevorstehende Länderbildung in ihrer Verantwortung vor sich gehen würde. Zwar sorgte man sich angesichts der öffentlichen Meinung um die fehlende demokratische Legitimierung der bezirklichen Staatsorgane, Zweifel an der eigenen Zuständigkeit kamen dadurch aber nicht auf. Konflikte hinsichtlich Legitimität und Kompetenz sah man eher durch den Anspruch der Regierung, die Länderbildung zu lenken, sowie dem eigenen Anspruch, im Vorgriff auf föderale Strukturen im Bundesstaat möglichst viel Eigenkompetenz zu gewinnen und die eigene Rolle im Übergang von der Diktatur zum demokratischen Land Sachsen zu behaupten. Angesicht verbreiteter Bemühungen von Altfunktionären, in den künftigen Landesverwaltungen Unterschlupf zu finden, sah auch der Zentrale Runde Tisch Veranlassung, sich mit dem Thema zu befassen. In einer Vorlage nahm die Arbeitsgruppe Wirtschaft am 5. März unter anderem Stellung zu Entscheidungen in Personalangelegenheiten im Zusammenhang mit Strukturveränderungen und Rationalisierungsmaßnahmen in den Staatsorganen. Leiter, die „nach kaderpolitischen Prinzipien der SED-Führung“ eingesetzt worden und „moralisch und politisch belastet“ seien, würden „immer noch unter den alten Strukturen ihre Macht ausüben“ und versuchten, durch personalpolitische Weichenstellungen vollendete Tatsachen für eine ihren Interessen entsprechende Entwicklung zu schaffen.565 Für Sachsen bescheinigte Iltgen den Staatsfunktionären in den Räten, dass sie im ersten Quartal 1990 „strategisch und mit Akribie an die Sicherung ihrer eigenen Machtpositionen gegangen“ seien.566 Noch waren Vertreter aller Parteien einschließlich des baldigen Wahlsiegers CDU gemeint, die den hier angesprochenen Prozess bald auf demokratisch legitimierter Grundlage fortsetzen sollte. 563 Vgl. Die Union vom 3./4. 3.1990. 564 Vorsitzender RdB KMS an Vorsitzenden RdB Dresden von Mitte März 1990 (Dok. 23). 565 15. Sitzung des ZRT am 5. 3.1990, Vorlage 15/15 zu Vorlage 14/51 (BArch B, DA 3, 96, Bl. 3). 566 Iltgen, Vom Runden Tisch, S. 18.

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Auseinandersetzungen um die Landesbildung

3.2.7 Konkurrierende Arbeiten an einer sächsischen Landesverfassung Bei einer anderen Auseinandersetzung zwischen alten und neuen Kräften ging es um die Frage, wer legitimiert sei, die Grundlagen des künftigen Landes Sachsen zu schaffen. Bei diesem Streit ging es weniger um die Frage von Revolution oder Restauration, die sich so kaum stellte, weil auch die früheren Funktionäre des Partei- und Staatsapparates ungeachtet früherer ideologischer Rhetorik inzwischen mehrheitlich auf einen politischen Neuanfang setzten. Wer aber sollte das Fundament des neuen Bundeslandes mit freiheitlich-demokratischer Grundordnung legen? Waren es die nie gewählten, vom Staatsapparat eingesetzten und vom MfS bestätigten Nomenklaturkader eines Systems, das die Länder ausdrücklich zugunsten eines zentralistisch-diktatorischen Staatssystems abgeschafft hatte, oder waren es die ebenfalls durch keinerlei Wahlen legitimierten neuen politischen Kräfte, von denen sich in Dresden einige auf den Marsch durch die Institution CDU machten? In einer Phase der Revolution, in der die alten Machthaber noch nicht endgültig besiegt und neue Kräfte noch nicht parlamentarisch-demokratisch legitimiert waren, konnte sich eine Art Legitimität nur aus dem revolutionären Umbruchprozess herleiten. Nur die revoltierende Bevölkerung konnte durch ihre direkt geäußerte Zustimmung politisches Handeln legitimieren oder überhaupt ermöglichen. Diesbezüglich aber herrschte Unklarheit. Sowohl die alten Parteien als auch Teile der neuen politischen Kräfte erfuhren Unterstützung aus der Bevölkerung. Zudem begannen die Grenzen sich aufzulösen. Wer über welche Unterstützung verfügte, war daher bis zu einem Wählervotum schwer zu bestimmen. Jeder konnte nach Gutdünken behaupten, Volkes Wille zu repräsentieren. In dieser Situation konnte es nur darum gehen, sich durch Kompetenz und programmatische Alternativen für den künftigen politischen Wettstreit zu empfehlen und zu wappnen. Vor diesem Hintergrund war in der Zeit vor dem 18. März auch das Bemühen zu sehen, sich durch die Vorlage von Verfassungsentwürfen zu profilieren. So arbeiteten in der ersten Jahreshälfte 1990 in Sachsen nicht nur die Räte und Bezirkstage an Gesetzeswerken, es entstanden auch verschiedene Verfassungsentwürfe, die ihren Ursprung an Runden Tischen und in Bürgerforen hatten. So legte zum Beispiel eine kleine Arbeitsgruppe der LDP im Vogtland einen Verfassungsentwurf vor, den sie im Herbst 1990 selbst publizierte und dem sächsischen Landtag sandte. Eine „Demokratie-Initiative 90“ schlug unter Federführung des späteren Abgeordneten von Bündnis 90/Grüne, Ralf Donner, im März ein dreistufiges plebiszitäres Volksgesetzgebungsverfahren vor.567 Zum wichtigsten Punkt der Ausarbeitung einer sächsischen Landesverfassung formte sich in dieser ersten „Phase des relativ bindungslosen Pioniergeistes“568 die Zeitweilige Arbeitsgruppe (ZAG) „Entwicklung des sozialistischen Rechts/

567 Vgl. Dresdner Neueste Nachrichten vom 27. 5.1992. 568 Zit. in Sächsischer Landtag, Von der Wende zum Parlament, S. 53. Unterlagen dazu finden sich in: HAIT, Heitmann, Recht der DDR und ebd. Basisdemokratische Fraktion StVV).

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Recht der DDR“ der Dresdner Stadtverordnetenversammlung.569 Diese entwickelte sich unter dem Einfluss der in ihr wirkenden Mitglieder der Gruppe der 20 bis Ende November 1989 zu einem Gremium der neuen politischen Kräfte. Sechs Mitglieder, unter ihnen Arnold Vaatz vom Neuen Forum, arbeiteten zu diesem Zeitpunkt mit dem Mandat der Gruppe der 20, drei der anfangs von der SED bestimmten Mitglieder waren ausgeschieden.570 Der juristische Berater der Gruppe der 20 und bisherige stellvertretende Leiter der ZAG, Steffen Heitmann, bestimmte von nun an immer stärker die Arbeit der ZAG.571 Eine Untergruppe „Staats- und Verfassungsrecht“ beschäftigte sich zunächst mit einer Überarbeitung der zu diesem Zeitpunkt noch erwarteten DDR-Verfassung.572 Im Laufe ihrer Arbeit wurde klar, dass angesichts der Entwicklung eine Neufassung der DDR-Verfassung überflüssig war.573 Bereits am 5. März schrieb Heitmann an Eckardt, angesichts der rasanten Entwicklung erscheine ihm ein Teil der Arbeit als „Sandkastenspiel“. Zur Erarbeitung einer eigenen DDR-Verfassung werde man gar nicht mehr kommen. Auch die weitere Gesetzgebung werde immer fragwürdiger, wenn die Entwicklung auf einen Anschluss der DDRLänder nach Artikel 23 Grundgesetz hindränge. Deswegen habe man sich „jetzt stärker auf die Länder und Kommunalebene orientiert“.574 Später erklärte Heitmann, die Mitglieder seien bei den Überlegungen von der Entwicklung regelrecht überrannt worden. Noch im Januar sei man von einen mehrjährigen Prozess bis zur staatlichen Einheit ausgegangen, danach hätte man begonnen, sich mit dem Entwurf einer sächsischen Landesverfassung zu beschäftigen. Im Februar wurden auch die sächsischen Räte der Bezirke in Sachen Ausarbeitung einer Landesverfassung aktiv, nachdem die Regierungskommission Verwaltungsreform am 22. Februar empfohlen hatte, auf Länderebene Organe zu bilden

569 Vgl. Richter/Sobeslavsky, Die Gruppe der 20, S. 152 f.; Urich, Die Bürgerbewegung, S. 311–315. 570 Vgl. Bericht der ZAG Recht der DDR vom 23.11.1989 (Stadtarchiv Dresden, StVV, Protokolle, 154). 571 Vgl. Heitmann, Zur Entstehung des „Gohrischer Entwurfs“, S. 20. Heitmann hatte zunächst in Leipzig evangelische Theologie studiert und als Pfarrer in der Studentengemeinde Dresden gearbeitet, bevor er in das Landeskirchenamt berufen wurde. Hier hatte er eine berufsbegleitende juristische Ausbildung mit Hochschulniveau bei der Landeskirche absolviert, bevor er 1978 Verwaltungsjurist der Kirche und 1982 Leiter des evangelisch-lutherischen Bezirkskirchenamtes Dresden wurde. Vgl. Interview Steffen Heitmann. In: Die Union vom 16. 7.1990. 572 Vgl. Richter/Sobeslavsky, Die Gruppe der 20, S. 154; Übertragung der Kassettenaufzeichnung zur 3. Sitzung des Sächsischen Forum am 6. 9.1990 in Chemnitz (HAIT, KA, 2). Unterlagen zur Diskussion über eine neue DDR-Verfassung finden sich in: HAIT, Heitmann, neue DDR-Verfassung. 573 Vgl. „Zur Verfassungsdiskussion im Rahmen des deutschen Einigungsprozesses.“ In: Die Union vom 23. 3.1990. 574 Steffen Heitmann an Wolf-Dieter Eckardt vom 5. 3.1990 (HAIT, Heitmann, Kontakte nach Baden-Württemberg).

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Auseinandersetzungen um die Landesbildung

und bis September 1990 Entwürfe von Länderverfassungen zu erarbeiten.575 Diese sollten durch die Vorgabe einer „Rahmenverfassung“ des Ministerrates576 eine zentrale Orientierung erhalten und angeleitet werden. In Brandenburg begann eine Gruppe von Juristen und Staatsrechtlern aus dem alten Apparat daraufhin Anfang 1990 im Auftrag des Koordinierungsausschusses zur Vorbereitung der Bildung des Landes Brandenburg und in Abstimmung mit den Runden Tischen der Bezirke mit der Ausarbeitung einer Landesverfassung.577 In Thüringen delegierten zunächst die drei Räte der Bezirke, dann der Regionalausschuss Thüringen die Ausarbeitung einer Landesverfassung an die Sektion Staats- und Rechtswissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena.578 Nach Meinung des Rates des Bezirkes Dresden war der Bezirkstag das geeignete Gremium, sich mit der Ausarbeitung von Entwürfen einer Landesverfassung zu beschäftigen. Der Rat empfahl am 20. Februar, eine Arbeitsgruppe des Bezirkstages sollte ihre Hauptaufgabe in der verfassungsgebenden Arbeit sehen und dabei mit den anderen Bezirkstagen kooperieren.579 Der Bezirkstag Karl-Marx-Stadt beschloss am 28. Februar, einen Ausschuss aus bisherigen und neuen Mandatsträgern der drei Bezirkstage zur Bildung des Landes zu berufen, der die Erarbeitung des Entwurfes einer Verfassung des künftigen Landes unterstützen und praktische Schritte zur Länderbildung vorschlagen sollte.580 Am 1. März wurde eine gemeinsame Initiativgruppe zur Koordinierung der Arbeit der Räte der Bezirke gebildet.581 In diesem Zusammenhang einigten sich die Ratsvorsitzenden eine Woche später über eine enge Zusammenarbeit durch gemeinsame Arbeitsgruppen auch zum Thema Landesverfassung.582 Im Rat des Bezirkes Dresden wurden die zuständigen Funktionäre und Mitarbeiter nach dem Treffen am 9. März beauftragt, mit ihren Partnern in den anderen Räten Kontakt auch hinsichtlich der 575 Regierungskommission für die Vorbereitung und Durchführung der Verwaltungsreform, AG administrativ-territoriale Gliederung: Vorlage zu den Grundsätzen der Länderbildung sowie zu Grundzügen der Aufgabenstellung künftiger Länderparlamente und -regierungen vom 22. 2.1990 (BArch B, DO 5, 137). 576 Stellungnahme des RdB Leipzig zur politisch-administrativen Territorialgliederung vom 20. 2.1990 (Dok. 13). 577 Entwurf einer Verfassung für das Land Brandenburg im Auftrag des Koordinierungsausschusses zur Vorbereitung der Bildung des Landes Brandenburg, o. D. (Brandenburg. LHA Rep. 801, 24490). Der Entwurf wurde am 22. 4.1990 vorgestellt. 578 RdB Gera, AG Verwaltungsreform: Informationen zum Stand der Landesbildung „Thüringen“ vom 18. 5.1990 (ThStAR, BT/RdB, 32695). 579 Protokoll der Tagung des Präsidiums des BT Dresden am 20. 2.1990 (SächsHStA, BT/ RdB, 46123, Bl. 145–153). 580 Vgl. RdB KMS. Ablaufkonzeption für die 17. Tagung des BT am 28. 2.1990 (SächsStAC, BVB, 126370); Einladung zur konstituierenden Sitzung des Ausschusses des RdB KMS zur Bildung des Landes Sachsen vom 7. 3.1990 (Dok. 17); Protokoll der außerordentlichen Beratung des RTB KMS am 21. 4.1990 (Dok. 57); Die Union, Ausgabe KMS, vom 1. 3.1990. 581 Sitzung des BT Dresden am 26.4.90, Redevorlage Erich Iltgen (HAIT, Iltgen, 3). 582 Fernschreiben von Lothar Fichtner an Michael Kunze vom 13. 3.1990 (Dok. 22). Vgl. Fernschreiben des Vorsitzenden des RdB Dresden an den Vorsitzenden des RdB Leipzig zum Thema Bildung des Landes Sachsen vom 12. 3.1990 (Dok. 20).

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Arbeiten an einer Landesverfassung aufzunehmen bzw. diese zu intensivieren und dabei eine „Abstimmung mit zentralen Überlegungen“ vorzunehmen.583 Angesichts der Aktivitäten der Räte der Bezirke sahen es die Vertreter der Gruppe der 20 in der Untergruppe „Staats- und Verfassungsrecht“ der ZAG der Dresdner Stadtverordnetenversammlung als notwendig an, das Thema der Länderbildung und der Verfassungsgebung verstärkt zur eigenen Angelegenheit zu machen. Vor allem Herbert Wagner setzte sich dafür ein, einen Verfassungsentwurf vorzulegen, wobei es nach seiner Überzeugung zunächst weniger um Inhalte als vielmehr darum ging, überhaupt erst einmal Präsenz zu zeigen. Als erste Nachrichten von der Vorbereitung eines Verfassungsentwurfes durch den Rat des Bezirkes und über die Absicht kamen, diese am 18. April in Meißen vorzustellen, bat Wagner Vaatz, sich Gedanken zu machen und möglichst einen Entwurf vorzulegen. „Heitmann“, so berichtet Vaatz, „hatte sich zurückgezogen. Er tauchte in dieser Zeit nicht auf. Ich habe dann, weil ich einen Computer hatte, den Auftrag bekommen, so einen Verfassungsentwurf zusammenzustellen.“ Er setzte sich Anfang März hin, schrieb zunächst alle Verfassungen aus den Flächenstaaten ab, die nach dem Grundgesetz entstanden waren und fertigte daraus eine Synopse: „Ich habe als erstes die baden-württembergische Verfassung in eine Spalte geschrieben, daneben die nordrhein-westfälische Verfassung, dann die niedersächsische Verfassung. Die Verfassungen der übrigen Bundesländer sind vor dem Grundgesetz entstanden. Und die Stadtstaaten-Verfassungen habe ich sowieso herausgelassen. Zu diesen dreien habe ich noch die alte sächsische Verfassung von 1947 genommen. Und die Verfassung von 1920 habe ich auch noch gegenübergestellt.“584 Vaatz war schon in Übung, hatte er doch im Zusammenhang mit früheren Überlegungen zu einer neuen DDR-Verfassung im Herbst 1989 in der Sächsischen Landesbibliothek „Verfassungstexte gewälzt und erste Konzeptionen gemacht“.585 Nun schrieb er gewissermaßen „über Nacht“586 eine Verfassung nach seinen eigenen Vorstellungen und beriet sich darüber mit Hans-Peter Mengele und baden-württembergischen Rechtsexperten.587 Dank der Arbeit von Vaatz lag Sachsen hinsichtlich der Ausarbeitung einer neuen Verfassung von Anfang an unter den neuen Ländern vorn.588 Seine erste Version mit 92 Artikeln, die er wegen der ständigen Beratung in der ZAG als Entwurf der Gruppe der 20 bezeichnete, war am 13. März, noch vor

583 Information und Festlegungen des Vorsitzenden des RdB Dresden zur Umsetzung der Beratung zwischen den drei Vorsitzenden der RdB Sachsens am 9. 3.1990 vom 12. 3.1990 (Dok. 19). 584 Interview Arnold Vaatz am 9. 6.1999. 585 Interview Uta Dittmann. In: Kleimeier, Sachsen, S. 40. 586 Sampels, Bürgerpartizipation, S. 112. Vgl. Reden zum 4. Jahrestag des Koordinierungsausschusses, S. 24. 587 Vgl. Interview Arnold Vaatz am 9. 6.1999; Wagner, 20 gegen die SED, S. 174. 588 Vgl. Häberle, Die Verfassungsbewegung, S. 75; Herbert Wagner. In: Pitschas, Rechtsvereinheitlichung, S. 5.

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Baden-Württemberg und Bayern

ersten Entwürfen der Räte oder Bezirkstage fertig.589 Weitere Versionen datieren vom 22., 24. und 26. März. Mengele hielt den Entwurf von Vaatz nach einer ersten Durchsicht für „sehr interessant“.590

3.3

Sachsens Partner Baden-Württemberg und Bayern in der Frühphase der Landesbildung

3.3.1 Innerdeutsche Vereinbarungen über die Bildung von Regionalausschüssen Die veränderte Lage nach dem Fall der Mauer, die sich abzeichnende Demokratisierung in der DDR und die Möglichkeit einer Wiedervereinigung Deutschlands hatten seit Mitte November auch die Bundesländer auf den Plan gerufen, zeichneten sich doch durch die neue Entwicklung für sie Chancen wie Risiken ab. Es galt, wirtschaftliche Möglichkeiten auszuloten und auf mögliche Veränderungen im föderativen Gefüge Deutschlands vorbereitet zu sein. Sowohl zwischen Kommunen wie zwischen Bundesländern und DDR-Bezirken bildeten sich seit November 1989 intensive Beziehungen heraus, die sich auf erste, noch zurückhaltende Kontakte zwischen DDR-Regierung und Bundesländern seit Mitte der 80er Jahre stützten. Mit Ausnahme von Hessen und Niedersachsen hatten seit 1983 alle Regierungschefs regelmäßig die DDR besucht.591 Vorreiter war das Saarland gewesen. Seit einem Besuch Oscar Lafontaines im November 1985 in Ost-Berlin hatte es hier regelrechte Sonderbeziehungen mit der DDR gegeben, die mit der Herkunft Honeckers zusammenhingen.592 Alle Kontakte aber betrafen ausschließlich nachgeordnete Themen. 1987 hatten das Saarland, ein Jahr später Bayern und die DDR Vereinbarungen zur Bekämpfung von Aids geschlossen,593 im September 1987 waren halbjährige Konsultationen zwischen Nordrhein-Westfalen und der DDR vereinbart worden.594 Um der gewachsenen Bedeutung regionaler Kontakte gerecht zu werden, hatten Bundeskanzler Kohl und die Regierungschefs der Bundesländer im Dezember 1987 beschlossen, diese künftig in Verhandlungen mit der DDR einzubeziehen und dazu ein ständiges Gremium der Länder als Gesprächspartner des Bundes zu bilden.595 Da bislang die Kontaktseite in der DDR ausschließlich die Regierung geblieben war, fand es besondere Aufmerksamkeit, als Modrow im Sep589 Gruppe der 20: Verfassung des Landes Sachsen, Textentwurf vom 13. 3.1990 (HAIT, Wagner, 28). 590 Hans-Peter Mengele an Herbert Wagner vom 16. 3.1990 (ebd.). 591 Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 3. 2.1989. 592 Vgl. FAZ vom 17. 7.1987. 593 Vgl. dpa vom 22. 9.1987 und 5. 2.1988. 594 Vgl. dpa vom 9. 9.1987. 595 „Bund-Länder-Vereinbarung über Abkommen mit der DDR vom 17.12.1987.“ In: Informationen des BMB 1/1988. Vgl. Der Tagesspiegel vom 18.12.1987.

Innerdeutsche Vereinbarungen über Regionalausschüsse

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tember 1989 in seiner Funktion als Erster Sekretär der SED-Bezirksleitung Dresden Baden-Württemberg einen Besuch abstattete. Bei der Visite, offiziell als Parteibesuch bei der SPD deklariert, traf Modrow auch mit Späth und Vertretern der Wirtschaft zusammen.596 Erstmals gab es direkte Kontakte zwischen einem Bundesland und einem DDR-Bezirk. Die friedliche Revolution schuf auch hinsichtlich der innerdeutschen Beziehungen völlig neue Tatsachen. Ab dem Herbst 1989 rasant zunehmende Kontakte auf allen Ebenen veranlassten beide deutsche Regierungen, über staatliche Rahmenvereinbarungen für Kooperationen zwischen Bundesländern und DDR-Bezirken nachzudenken. Dabei war die Haltung der DDR-Regierung gegenüber der Bundesregierung nach der Amtsübernahme Modrows schwankend und angesichts der Wiedervereinigungsaktivitäten des Bundeskanzlers seit Verkündigung des Zehn-Punkte-Planes unsicher. Modrow spricht von einer „Zeit zugespitzter, nahezu undurchdringlicher Widersprüche“.597 Gegenüber Späth erklärte er am 10. Dezember, die innerdeutsche Zusammenarbeit auf regionaler Ebene zum Thema eines Gespräches mit Kohl machen zu wollen,598 und den Ratsvorsitzenden der Bezirke erklärte er wenig später, neue Städte- und Bezirkspartnerschaften entsprächen nicht der Linie seiner Regierung.599 Als Kohl am 18. Dezember in Dresden jedoch vorschlug, auf regionaler wie kommunaler Ebene Regionalausschüsse zu bilden,600 stimmte Modrow zu, und beide Seiten unterzeichneten eine entsprechende Erklärung. Mitte Januar legten die Regierungen Entwürfe eines Vertrages über Zusammenarbeit und gute Nachbarschaft vor, in denen entsprechende Ausschüsse ebenfalls genannt waren. Die Bundesregierung regte außerdem eine gemeinsame Regionalkommission zur Koordinierung der Arbeit der Regionalausschüsse an.601 Ende Januar ließ sich das Kanzleramt von den Bundesländern über bereits laufende Aktivitäten in der DDR wie Regionalausschüsse, Partnerschaften, Verbindungsbüros und dafür

596 SED-Bezirksleitung Dresden, Sektor Parteibeziehungen: Bericht der Delegation der Bezirksleitung Dresden der SED beim Landesvorstand der SPD und dem Vorstand der sozialdemokratischen Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg vom 25.–28.9.1989, gez. Hans Modrow (SächsHStA, SED-BL, 13305). Vgl. Modrow, Aufbruch und Ende, S. 11. 597 Ders., Ich wollte, S. 378. 598 Vgl. dpa vom 11.12.1989; Handelsblatt vom 12.12.1989. 599 RdB Dresden: Information zur Beratung des Vorsitzenden des Ministerrates der DDR mit den Vorsitzenden der RdB am 15.12.1989 (SächsHStA, BT/RdB, 46150). 600 Vgl. Vorlage von Claus-Jürgen Duisberg an Helmut Kohl vom 18.12.1989, Anlage: Vorschlag für Gesprächslinie (BArch, B 136/20578, 221–35014 Ge 31, Band 1). 601 Entwurf der Bundesregierung: Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über Zusammenarbeit und gute Nachbarschaft vom 18.1.1990 (ebd., 20635, 221–35014 Na 6, Band 1); Entwurf der Regierung der DDR. Vertrag über Zusammenarbeit und gute Nachbarschaft zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland vom 17.1.1990. Text in: Dokumente zur Deutschlandpolitik. Deutsche Einheit. Sonderedition aus den Akten des Bundeskanzleramtes 1989/90, S. 713–716.

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eingesetzte Haushaltsmittel informieren.602 Die Bundesregierung beabsichtigte zwar, die Tätigkeit der Regionalausschüsse durch einen bilateralen Vertrag mit der DDR zu sanktionieren; mit den Bundesländern bestand jedoch Einvernehmen, Kontakte, die sich unabhängig davon entwickelten, nicht zu beeinträchtigen.603 Andererseits, das zeigt eine Äußerung Späths von Ende Januar in Dresden, waren sich Vertreter von Bundesländern und DDR-Bezirken einig, dass alle „Bemühungen in eine regierungsamtliche und einheitliche Politik eingebunden sein“ sollten.604 In einem Entwurf vom 5. Februar konzipierte die Bundesregierung eine Gemeinsame Kommission für regionale Zusammenarbeit,605 und auch der DDR-Ministerrat übergab den Vorsitzenden der Räte der Bezirke den Entwurf einer entsprechenden Rahmenordnung.606 Im Westen beschloss die Innenministerkonferenz am 16. März, bis Ende Juni konkrete Vorschläge für die Zusammenarbeit und zur Unterstützung der DDR beim Aufbau rechtsstaatlicher Staats- und Verwaltungsstrukturen zu erarbeiten.607 Zwei Tage vor der ersten freien Volkskammerwahl beschloss die Modrow-Regierung schließlich eine Rahmenordnung zur Bildung und Tätigkeit von Regionalausschüssen. Diese sollten vom „Prinzip der souveränen Gleichheit“ ausgehen, ihre Kompetenz „von den auf der jeweiligen Seite bestehenden innerstaatlichen Gesetzen und Regelungen“ bestimmt werden und Partner in der Regel die Landesregierungen und ein oder mehrere Räte der Bezirke bzw. daraus hervorgehende Landesregierungen sein. Grundsätzlich hatten die Vorsitzenden der Räte der Bezirke den Vorsitz der DDR-Delegation inne und beriefen leitende Funktionäre der Räte und Wirtschaft sowie Vertreter politischer Parteien und Organisationen. Hauptinhalte der Arbeit waren aus Sicht der DDR-Vertreter die Erörterung von Möglichkeiten wirtschaftlicher Zusammenarbeit, Verkehrsfragen, Umweltprobleme, eine Zusammenarbeit auf den Gebieten des Gesundheitswesens, des Handels, der Dienstleistungen sowie des Finanz- und Bankwesens, kulturelle Aktivitäten und Schritte zur Entwicklung des regionalen Tourismus.608 602 Besprechung des Chefs des Bundeskanzleramtes, Rudolf Seiters, mit den Chefs der Staatsund Senatskanzleien der Länder in Bonn am 30.1.1990 (ebd., 29245, 122–14020 Mi 1). 603 Rede von Wilhelm Vorndran bei der Strukturkonferenz am 24.1.1990 in Fürth (BayStK, Baer). 604 Monatsbericht Januar 1990 des Vorsitzenden des RdB Dresden an Ministerpräsident Hans Modrow vom 31.1.1990 (SächsHStA, BT/RdB, 46994, Bl. 18–24). 605 Vereinbarung über die Bildung und Arbeitsweise einer Gemeinsamen Kommission der BRD und der DDR zur Förderung und Unterstützung regionaler Zusammenarbeit, Entwurf vom 5. 2.1990 (BArch, B 136, 29247, 122–14020 Mi 1). 606 Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates der DDR für örtliche Staatsorgane an den Minister für Auswärtige Angelegenheiten: Rahmenordnung zur Bildung und Tätigkeit von Regionalausschüssen zwischen der DDR und der BRD, o. D. (BArch B, DO 5, 17). 607 Arbeitsgemeinschaft der Innenminister der Bundesländer an den Vorsitzenden des Unterausschusses „Allgemeine Verwaltungsorganisation“ des Arbeitskreises I der Arbeitsgemeinschaft vom 18. 4.1990: Zusammenarbeit mit der DDR (BaySMI, Zusammenarbeit Bayern-Sachsen, Bl. 289 f.). 608 Beschluss des Ministerrates der DDR 18/I. 39/90 vom 16. 3.1990 über die Rahmenordnung zur Bildung und Tätigkeit von Regionalausschüssen zwischen der DDR und der BRD (HAIT, KA, V.2).

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Der Beschluss hatte freilich ein entscheidendes Manko; er war angesichts der rasanten Entwicklung im Umbruchprozess zum Zeitpunkt seiner Verabschiedung kaum noch das Papier wert, auf dem er stand. Unabhängig von Regierungsvereinbarungen hatten sich längst Kontakte eigener Art zwischen Bundesländern und Bezirken bzw. im Entstehen begriffenen Ländern entwickelt, die wegen ihres transformatorischen Charakters staatsrechtlich schwer einzuordnen waren. Es handelte sich um Kooperationsabsprachen sui generis zwischen Völker- und Staatsrecht, die die Vertragsparteien rechtlich nicht unmittelbar banden, ungeachtet dessen aber ihren zeitlich begrenzten Zweck erfüllten.609 In Thüringen koordinierte seit Januar ein Regionalausschuss die von Hessen und Rheinland-Pfalz zugesagten Hilfen, der sich neben westlichen Teilnehmern aus Vertretern der thüringischen Räte sowie Delegierten der Runden Tische der Bezirke zusammensetzte.610 Beim Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Erfurt wurden parallel dazu Arbeitsgruppen mit Hessen und Rheinland-Pfalz gebildet.611 In Niedersachsen koordinierte ein Landesbeauftragter die Verwaltungshilfe für die DDR, und in Schleswig-Holstein konstituierte sich ein „Vorläufiger Regionalausschuss des Landes Schleswig-Holstein und der Bezirke Rostock, Schwerin, Neubrandenburg“. Bayern bemühte sich ebenfalls um die Schaffung von Regionalkommissionen,612 und auch die baden-württembergische Landesregierung bereitete frühzeitig gemeinsame Ausschüsse mit den sächsischen Bezirken vor. In dieser Phase unkoordinierter West-Ost-Kooperationen beschränkten sich die Beziehungen sächsischer Partner noch nicht auf Baden-Württemberg und Bayern. So unterhielt zum Beispiel der Runde Tisch des Bezirkes Leipzig seit Januar 1990 Kontakte zur Landesregierung von Nordrhein-Westfalen.613 Zum selben Zeitpunkt gründeten die Partnerstädte Hannover und Leipzig eine gemeinsame Wirtschaftskommission. Es gab intensive Kontakte zwischen den Elbestädten Hamburg und Dresden. Die Hansestadt hatte schon im November angekündigt, das einstige Elbflorenz bei der Sanierung alter, unter dem SED-Regime verkommener Stadtviertel zu unterstützen.614 Auch nach der Zuordnung der Länder brach Hamburg seine Kontakte nach Dresden und Sachsen nicht ab. In Dresden wurde Ende August 1990 ein Hamburger Büro eröffnet.615 Die niedersäch609 610 611 612

Zu den staatsrechtlichen Aspekten vgl. Kaufmann, Bundesstaat, S. 84–90. Referat zum BT Erfurt am 9. 3.1990, S. 24 (ThHStA, BT/RdB, 045840). Referat Info-Tagung am 24.1.1990 (ebd., 045836). Rede von Wilhelm Vorndran bei der Strukturkonferenz am 24.1.1990 in Fürth (BayStK, Baer). 613 Beratung der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen und des RTB Leipzig am 5.– 7.1.1990, Teilnehmer und Ergebnisse (ABL, H. IV, Runder Tisch Leipzig); Beschlussprotokoll der Sitzung des RdB Leipzig vom 5.1.1990 (SächsStAL, BT/RdB, 21319); Protokoll über die Beratung des RTB Leipzig am 2.1.1990 (ebd., 31254, Bl. 1 f.); Protokoll über die Beratung des RTB Leipzig am 18.1.1990 (ebd., 31255, Bl. 1 f.); Vgl. Neue RuhrZeitung/Westdeutsche Allgemeine Zeitung vom 9.1.1990. 614 Vgl. dpa vom 28.11.1989 und 9.1.1990; FAZ/Hamburger Abendblatt vom 10.1.1990; Interview Helmut Münch. In: Kleimeier, Sachsen, S. 80. 615 Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Bericht vom 27.–31. 8.1990 (PB Manfred Kolbe).

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sische Landesregierung plante im Dezember 1989, sich bei ihren Hilfen auf die Regionen Magdeburg, Halle und Leipzig zu konzentrieren.616 FDP-Präsidiumsmitglied Walter Hirche formulierte den verbreiteten Eindruck, dass am liebsten alle Bundesländer den Kontakt in das sächsische Industrierevier monopolisieren würden.617 Die neu erwachten Regionalkontakte kompensierten aus Sicht der Bundesländer die Monopolstellung der Bundesregierung bei den Anfang des Jahres einsetzenden Verhandlungen über die Modalitäten einer innerdeutschen Vertragsgemeinschaft bzw. konföderativer Strukturen. Hier verlangten die Bundesländer seit Januar mehr oder weniger vergeblich, in die Verhandlungen mit der DDRRegierung eingebunden zu werden. So forderte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident, Johannes Rau, am 11. Januar, die Länder müssten umfassend am Zustandekommen einer Vertragsgemeinschaft mit der DDR beteiligt werden. Künftig dürfe es keine Kontakte mehr ohne Ländervertreter geben. In der DDR müssten auch die Runden Tische als regionale Vertretungskörperschaften einbezogen werden.618 An anderer Stelle erklärte er, die deutsche Einigung müsse „natürlich ein Prozess sein, der von den Ländern ausgeht und auch als Zielpunkt eine Föderation von Ländern hat“.619 Da die Länder Auskunft über die Regionalausschüsse erwarteten, erklärte die Bundesregierung daraufhin, sie wolle bei der Vertragsgemeinschaft mit der DDR eng mit den Ländern zusammenarbeiten. Dazu werde Seiters die Chefs der Staats- und Senatskanzleien am 31. Januar empfangen und unterrichten.620 Nach dieser ersten Unterrichtung erklärte der Chef der nordrhein-westfälischen Staatskanzlei, Wolfgang Clement, die Länder wollten an den Verhandlungen über eine Vertragsgemeinschaft beteiligt werden. Die Vereinbarung mit dem Bund über eine Beteiligung der Länder an Verhandlungen mit der DDR vom 7. Februar 1988 reiche nicht mehr aus, da es nun um die Bildung konföderativer Strukturen und damit um die Gestaltung der staatlichen Ordnung Deutschlands gehe. Die Länder beschlossen, ein „Ständiges Gremium“ als Vertragskommission zu bilden, das die Verhandlungen zwischen Bonn und Ost-Berlin ständig begleiten sollte.621 Dass derartige Forderungen nicht nur aus SPD-regierten Ländern kamen, zeigte die Tatsache, dass Anfang Februar auch der bayerische Ministerpräsident, Max Streibl, die Bundesregierung aufforderte, die Länder in vollem Umfang an den Verhandlungen mit der DDR zu beteiligen.622 Am 15. Februar vereinbarten daraufhin Bundeskanzler Kohl und die Ministerpräsidenten der Länder, die Verhandlungen mit der DDR gemeinsam vorzubereiten und dazu gemeinsame Kommissionen 616 617 618 619

Vgl. Die Welt vom 15.12.1989. Vgl. Hirche, Die Funktionen der Länder, S. 59. dpa vom 11.1.1990. Interview Johannes Rau. In: dfs vom 15. 2.1990, 13.03 Uhr (Deutschland 1990, Band 7, Bl. 4414). 620 dpa vom 12.1.1990. 621 FAZ/Handelsblatt vom 31.1.1990. 622 dpa vom 7. 2.1990.

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und Arbeitsgruppen zu den Bereichen Justiz, Verkehr, Bauwesen, Wirtschaft und Wissenschaft zu bilden. Kohl lehnte allerdings eine Beteiligung der Länder an den Gesprächen zur Wirtschafts- und Währungsunion ab, da dies die Interessen der Länder nicht berühre.623 Zwei Wochen später wiederholten die Bundesländer ihre Forderung, stärker am Prozess der deutschen Einheit beteiligt zu werden. In einem Gespräch mit Kanzleramtsminister Rudolf Seiters verlangten die Chefs der Staats- und Senatskanzleien, vor Verhandlungen mit der DDR-Regierung voll in den politischen Willensbildungsprozess einbezogen zu werden. Seiters sicherte dies zwar zu, bezeichnete eine institutionelle Einbeziehung der Länder jedoch als nicht sinnvoll.624 Zum selben Zeitpunkt forderten auch die Finanzminister und -senatoren der Länder Bundesfinanzminister Waigel auf, bei der nächsten Finanzministerkonferenz über die finanzpolitischen Aspekte des Standes der Verhandlungen und Überlegungen zum Einigungsprozess mit der DDR und über die sich hieraus ergebenden Auswirkungen auf die Haushalte von Bund und Ländern zu berichten.625 Waigel informierte daraufhin über die finanzpolitischen Aspekte des Einigungsprozesses und bot regelmäßige Gespräche mit den Länderfinanzministern an.626 Der Bundesregierung war klar, dass die Herstellung der staatlichen Einheit unmittelbar mit der Länderfrage verbunden war. Im 1. Bericht der Arbeitsgruppe des Bundesministers des Innern „Staatsstrukturen und öffentliche Ordnung“ im Rahmen des Kabinettsausschusses „Deutsche Einheit“ vom 5. März hieß es, der Beitritt stehe nach Wortlaut des Artikel 23 Satz 2 des Grundgesetzes „sowohl der DDR insgesamt als auch auf ihrem Staatsgebiet bestehenden/gebildeten Ländern offen“. Voraussetzung dafür sei auf Seite der Bundesrepublik Deutschland lediglich der „Zugang der Beitrittserklärung“, die Folge der „Fortbestand der Bundesrepublik Deutschland unter Erstreckung auf die DDR“. Betont wurde die Notwendigkeit einer Neustrukturierung der zentralistischen Verwaltungsorganisation, wobei den künftigen Landes- und Kommunalverwaltungen „die Behörden der allgemeinen örtlichen Verwaltung der DDR zuzuordnen“ seien. Zur Herstellung der Funktionsfähigkeit der neugeordneten Verwaltungsorganisationen aller Ebenen wurden Unterstützungsmaßnahmen von Bund und Ländern als notwendig erachtet, wobei Maßnahmen der Länder vom Bund unterstützt werden sollten.627 Am 16. März besprachen die Innenminister und -senatoren der Länder in Münster-Hiltrup aktuelle deutschlandpolitische Fragen. Sie erklärten ihre Bereitschaft, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten die DDR zu unterstützen und den 623 BPA Informationsfunk 41 vom 17. 2.1990 (KAS, Wiss. Dienste, Pressedok.); Presse- und Informationsamt der Bundesregierung: Pressemitteilung 70/90 vom 15. 2.1990. 624 dpa vom 2. 3.1990. 625 Bundesrat, Finanzausschuss: Ergebnisniederschrift Finanzministerkonferenz am 1. 3. 1990 in Bonn (BFM, 105, Fz Ref, FzA, FMK, ab 15.11.1989 bis 22. 3.1990). 626 Bundesrat, Finanzausschuss: Ergebnisniederschrift Finanzministerkonferenz am 22. 3. 1990 in Bonn (ebd.). 627 1. Bericht der AG des Bundesministers des Innern „Staatsstrukturen und öffentliche Ordnung“ im Rahmen des Kabinettsausschusses „Deutsche Einheit“ vom 5. 3.1990 (BArch, B 106, 301132, 110851/0).

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deutschen Einigungsprozess zu fördern. Betont wurde der Anspruch der Bundesländer, „auf allen Gebieten, für die die Bundesländer in Gesetzgebung und Verwaltung zuständig sind, an den Verhandlungen des Bundes mit der DDR über die deutsche Einheit rechtzeitig und umfassend beteiligt zu werden“. Begrüßt wurde die Zusage der Bundesregierung, die Beteiligungsrechte der Länder zu achten, sowie die Vereinbarung der Regierungschefs von Bund und Ländern, wonach „die Länder die Verhandlungen dort führen, wo die Verhandlungsmaterie in die ausschließliche Kompetenz der Länder fällt“. Die Innenministerkonferenz betonte den Anspruch, dass in den Bereichen, in denen bislang die Zuständigkeit bei den Ländern lag, „die Kompetenzverteilung in einem zukünftigen gemeinsamen Deutschland in diesen Bereichen keinesfalls hinter den gegenwärtigen Regelungen zurückbleiben“ dürfe. Betont wurde, „dass der föderalistische Bundesstaat den Bürgern mehr demokratische Mitwirkungsrechte sichert als ein Einheitsstaat“. Die Ständige Konferenz sprach sich daher für eine enge Zusammenarbeit sowohl mit der DDR-Regierung als auch mit künftigen Ländern in den Bereichen Fach- und Rechtsberatung, Entsendung und Austausch von Verwaltungsfachleuten, Erfahrungsaustausch, Teilnahme von Fachleuten aus der DDR an Symposien, Seminaren und Austauschprogrammen, technische Hilfe und Zusammenarbeit zwischen den Behörden und Einrichtungen aus dem Geschäftsbereich der Innenminister, Aus- und Fortbildungshilfe, Teilnahme an den Arbeitskreisen der IMK und Einrichtung gemeinsamer Kommissionen und Arbeitsgruppen auf den Gebieten des Aufbaus rechtsstaatlicher Staats- und Verwaltungsstrukturen, der Neuorganisation von Feuerwehr, Katastrophenschutz und Rettungswesen, Innere Sicherheit (insb. Polizeistrukturen) und der Entwicklung einer kommunalen Selbstverwaltung aus.628

3.3.2 Bayern und die sächsischen Bezirke Schon unmittelbar nach dem Fall der Mauer hatte die Bayerische Staatsregierung Aktivitäten in Richtung DDR entwickelt. Bereits am 14. November plädierte Ministerpräsident Max Streibl für die Wiederherstellung der alten Länder auf dem Boden der DDR und schlug eine Partnerschaft zwischen dem Freistaat und den angrenzenden thüringischen und sächsischen Bezirken vor.629 Noch am selben Tag setzte die Bayerische Staatsregierung einen Staatssekretärsausschuss unter Leitung des Chefs der Staatskanzlei, Wilhelm Vorndran, mit dem Ziel ein, „im Rahmen der Zuständigkeiten und Möglichkeiten den politischen und wirtschaftlichen Neubeginn auf freiheitlicher und markwirtschaftlicher Grundlage zu unterstützen“. In der Staatskanzlei wurde ein Arbeitsstab Deutschlandpoli628 Beschlussniederschrift über die Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder am 16. 3.1990 in Münster-Hiltrup (BArch B, DO 5, 98). 629 Rede von Max Streibl im Bayerischen Landtag am 14.11.1989 (SächsStAC, BT/RdB, 126406). Zur Geschichte der sächsisch-bayerischen Beziehungen vgl. Bayern und Sachsen in der Geschichte.

Bayern und die sächsischen Bezirke

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tik gebildet und für die Umsetzung der politischen Richtlinien und zur Abstimmung der Ressorts eine interministerielle Arbeitsgruppe Deutschlandpolitik ins Leben gerufen. In ihr wirkten Mitglieder des Arbeitsstabes sowie DDR-Experten aller Staatsministerien mit.630 Bei der ersten Sitzung des Staatssekretärsausschusses erklärte Vorndran, dass sich dieser sowohl mit kurzfristig durch die Grenzöffnung auftretenden Problemen als auch mit konzeptionellen Vorstellungen für den Neubeginn in der DDR befassen werde. Die Ressorts wurden gebeten, Konzepte zu den Bereichen Verkehr, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung des Grenzbereichs, Umweltschutz, Kommunikation, Gesundheit sowie Kultur- und Wissenschaftsaustausch auszuarbeiten. Ausdrücklich betonte er bereits zu diesem Zeitpunkt, dass die konzeptionellen Überlegungen der „Unterstützung der Reformbewegung und des Neubeginns in der DDR“ dienen sollten.631 Als erste praktische Schritte stellte die bayerische Straßenbauverwaltung seit Jahrzehnten unterbrochene Straßenverbindungen wieder her und leistete im Gesundheitswesen erste Hilfe.632 Im Dezember wurden die Kontakte intensiviert. Auf Einladung des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Karl-MarxStadt, Lothar Fichtner,633 traf der Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium des Innern, Peter Gauweiler, am 12. Dezember mit Vertretern des Rates und der Wirtschaft zusammen. Bei dem Treffen ging es unter anderem um den Ausbau der Autobahn Hof-Plauen, die Öffnung neuer Grenzübergangstellen, die Einrichtung von Busverbindungen und den Abbau von Grenzsperranlagen. Beide Seiten vereinbarten für den Januar 1990 die Bildung gemeinsamer Arbeitsgruppen.634 Gauweiler traf zwar auch mit dem Superintendenten von KarlMarx-Stadt, zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht mit Vertretern neuer politischer Gruppen zusammen.635 Im Dezember nahm eine erste Arbeitsgruppe für Verkehrsfragen zwischen Oberfranken und dem Bezirk Karl-Marx-Stadt ihre Arbeit auf. Sie sollte nach den Vorstellungen der Bayerischen Staatskanzlei spä-

630 Bayerische Staatskanzlei, Arbeitsstab Deutschlandpolitik, Interministerielle AG Deutschlandpolitik: Gespräch Max Streibls mit der Bayerischen Landtagspresse am 9. 4.1991. Materialien: Aufbau der neuen Länder mit Bayerischer Hand (BayStK, Baer). Vgl. Rede von Wilhelm Vorndran bei der Strukturkonferenz am 24.1.1990 in Fürth (ebd.); Artikel von Wilhelm Vorndran für die Bayerische Staatszeitung: Informationsbüros des Freistaates Bayern in Dresden und Erfurt eröffnet. [handschr.: Stand 28.8.90] (ebd.). 631 Protokoll über die 1. Sitzung des Staatssekretärsausschusses für DDR-Angelegenheiten am 17.11.1989 (BaySMI, Zusammenarbeit Bayern-Sachsen, Bl. 259–262); Bericht von Wilhelm Vordran über die bisherige Tätigkeit des Staatssekretärsausschusses im Ministerrat am 30.1.1990 (BayStK, Baer). 632 Bayerische Staatskanzlei, Arbeitsstab Deutschlandpolitik, Interministerielle AG Deutschlandpolitik: Gespräch Max Streibls mit der Bayerischen Landtagspresse am 9. 4.1991. Materialien: Aufbau der neuen Länder mit Bayerischer Hand (ebd.). 633 Lothar Fichtner an Peter Gauweiler vom 30.11.1989 (SächsStAC, BT/RdB, 126406). 634 Ergebnisse der Verwirklichung der am 12.12.1989 zwischen Delegationen des RdB KMS und des Freistaates Bayern getroffenen Vereinbarung (ebd.). 635 Vorsitzender des RdB KMS: Protokoll für den Besuch einer Delegation des Freistaates Bayern unter Leitung von Peter Gauweiler am 12./13.12.1989 im Bezirk KMS (ebd.).

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ter die Zuständigkeiten eines Regionalausschusses übernehmen.636 Noch während Gauweilers Besuch entschied der Staatssekretärsausschuss, Kredite in Höhe von 50 Millionen DM für den Jugend- und Schüleraustausch, Straßen-, Brückenund Wasserbau im grenznahen Bereich zur Verfügung stellen zu lassen.637 Der Landtag beschloss zwei Tage später einen Nachtragshaushalt und stellte 50 Millionen DM sowie Verpflichtungsermächtigungen von 100 Millionen DM zur Verbesserung der wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen mit der DDR für die Zeit bis 1992 ein.638 In der Staatsregierung war man sich nach wie vor einig, dass „Kontakte und Verbindungen nicht nur zu den Amtsträgern aufgenommen werden, die durchweg alle noch SED-Mitglieder sind, sondern auch mit der Opposition“. Als Ansprechpartner sah man „vorrangig die neuen Oppositionsgruppen und die beiden Kirchen“ an.639 Zielte das bayerische Vorgehen auf die Unterstützung des Demokratisierungsprozesses in der DDR, hatte Ratsvorsitzender Fichtner andere Intentionen. Er sprach sich für eine Erneuerung des sozialistischen Regimes sowie gegen die staatliche Einheit Deutschlands aus und bezeichnete die Kontakte am 20. Dezember vor dem Bezirkstag Karl-Marx-Stadt als Beitrag zur Politik einer „Verantwortungsgemeinschaft beider deutscher Staaten“.640 Zwischen den politischen Erwartungen der kommunistischen Funktionäre und der bayerischen Politiker lagen Welten. Orientierten die SED-PDS-Funktionäre auf eine modifizierte Fortsetzung des sozialistischen Regimes, gab es in der CSU zum Jahreswechsel 1989/90 Überlegungen, durch eine Unterstützung christlich-sozialer Parteien in Sachsen und Thüringen zu einer späteren Ausdehnung über die gesamte DDR und nach der Vereinigung über ganz Deutschland zu kommen.641 Hinsichtlich der Kooperation zwischen Bayern und den sächsischen Bezirken spielten diese Überlegungen und die daraus resultierende DSU kaum eine Rolle. Hier standen der CSU als bayerischer Regierungspartei noch immer fast ausschließlich die SED-PDS-Vertreter des alten Staatsapparates als Verhandlungsführer gegenüber, eine Tatsache, die Vorndran veranlasste, am 23. Januar auf die Notwendigkeit von Kontakten sowohl zu den bestehenden DDR-Behörden wie zu den neuen politischen Gruppierungen hinzuweisen. Solange die Länder noch nicht wiederhergestellt seien, müsse sich die Zusammenarbeit zwangsläufig an den bestehenden Verwaltungsstrukturen orientieren. Allerdings herrsch636 Rede von Wilhelm Vorndran bei der Strukturkonferenz am 24.1.1990 in Fürth (BayStK, Baer). 637 Protokoll über die 3. Sitzung des Staatssekretärsausschusses für DDR-Fragen am 13.12. 1989 im Bayerischen Landtag (BaySMI, Zusammenarbeit Bayern-Sachsen, Bl. 251–253). 638 Bayerische Staatskanzlei, Arbeitsstab Deutschlandpolitik, Interministerielle AG Deutschlandpolitik: Gespräch Max Streibls mit der Bayerischen Landtagspresse am 9. 4.1991. Materialien: Aufbau der neuen Länder mit Bayerischer Hand (BayStK, Baer). 639 Protokoll über die 3. Sitzung des Staatssekretärsausschusses für DDR-Fragen am 13.12. 1989 im Bayerischen Landtag (BaySMI, Zusammenarbeit Bayern-Sachsen, Bl. 251–253). 640 Bericht des RdB KMS an die 16. Tagung des BT für den Zeitraum 31.10.–20.12.1989 (SächsStAC, BT/RdB, 126369). 641 Vgl. Leersch, Die CSU, S. 24. Siehe Kap. 3.2.4.

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te im Staatssekretärsausschuss Einigkeit, sich sowohl hinsichtlich politischer wie verwaltungsmäßiger Kontakte vor freien Wahlen zurückzuhalten. Stärker als in der baden-württembergischen Landesregierung wurde in München Wert darauf gelegt, „nichts [zu] tun, was die noch an der Macht befindlichen SED-Leute zu sehr aufwertet“. Auch die Kontakte in den Regionalausschüssen UnterfrankenSuhl, Oberfranken-Suhl, Oberfranken-Gera und Oberfranken-Karl-Marx-Stadt sollten vorerst nur informell gehalten und Oppositionelle, soweit möglich, beteiligt werden. Nur insoweit Fachkontakte notwendig und zweckmäßig waren, wie bei Polizeifragen, beim Katastrophenschutz oder Rettungsdienst, sollten bereits direkte Arbeitskontakte mit DDR-Behörden hergestellt werden. Allerdings wurde die Notwendigkeit schneller Hilfe gesehen, auch, um so „die Kompetenz Bayerns für Gesamtdeutschland deutlich“ zu machen. Man wollte „sich nicht vorwerfen lassen, Bayern tue zu wenig, um im Falle der nationalen Einheit im künftigen Zentrum Deutschlands präsent zu sein“. Der Staatssekretärsausschuss beauftragte daher die Ressorts, dringliche Maßnahmen zu benennen, für die eine rasche Freigabe von Mitteln beim Landtag beantragt werden sollte.642 Aber nicht nur im Wettbewerb der Bundesländer um einen eigenen Anteil an den Entwicklungen in der DDR war Bayern beteiligt, auch innerhalb des Freistaates gab es Konkurrenzen, wollte doch keiner auf den Hinweis verzichten, in der DDR gewesen zu sein und dort einen wesentlichen Beitrag zur Revolution geleistet zu haben. So gab es auch verschiedene unkoordinierte Aktionen von CSU-Vorstand, Staatskanzlei und Seidel-Stiftung. Einzelne Akteure druckten Plakate, mieteten VW-Busse, fuhren völlig unkoordiniert durch den Süden der DDR, ohne dass dies mit der CSU-Führung oder der Staatskanzlei abgesprochen war.643 Nachhaltige Folgen hatte dies nicht, ging es doch im Wesentlichen darum, mit den Aktionen deutschlandpolitisches Profil zu zeigen. Am 24. Januar veranstaltete das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr in Fürth eine Strukturkonferenz für Unternehmen aus Bayern und der DDR. Mehr als fünfhundert Teilnehmer aus beiden deutschen Staaten tauschten sich über Fragen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, über Kontakte im mittelständischen Bereich sowie über marktwirtschaftliche Reformen und Infrastrukturmaßnahmen aus. Vorndran teilte mit, dass sich die Staatsregierung bemühe, mit den an Bayern grenzenden Bezirken Regionalausschüsse als Vorstufen für Partnerschaften mit den künftigen Ländern Sachsen und Thüringen einzurichten.644 Wie in Fürth angekündigt, baute die Bayerische Staatsregierung ihre Kontakte zu den Räten der Bezirke in Thüringen und Sachsen aus. Für Ende Januar kündigte Streibl einen Besuch in Dresden an, zu dem er die Vorsitzenden der drei Räte der Bezirke samt Wirtschaftsvertretern einlud. Er642 Protokoll der 4. Sitzung des Staatssekretärsausschusses für DDR-Fragen am 23.1.1990 (BaySMI, Zusammenarbeit Bayern-Sachsen, Bl. 247–250). 643 Heinrich Oberreuter beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 644 Rede von Wilhelm Vorndran bei der Strukturkonferenz am 24.1.1990 in Fürth (BayStK, Baer). Vgl. BayStK an BaySMI [Posteingang 26. 2.1990] (BaySMI, Zusammenarbeit Bayern-Sachsen, Bl. 279–288).

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klärtes Ziel seiner Visite mit hochrangigen Vertretern der bayerischen Wirtschaft war es, „partnerschaftliche Beziehungen zwischen Sachsen und Bayern“ aufzubauen und „Bestrebungen zur Wiedererrichtung des Landes Sachsen nach Kräften zu unterstützen“.645 Einen Tag vor dem Flug nach Dresden informierte Vorndran in seiner Funktion als Vorsitzender des Staatssekretärsausschusses für DDR-Fragen im Ministerrat über die bisherigen Aktivitäten.646 Derartig gerüstet machte sich Streibl auf den Weg von der Isar an die Elbe. Es war ein von den Alliierten Siegermächten des Zweiten Weltkrieges eingeräumtes Zugeständnis und Novum, dass beim Besuch seiner Delegation, zu der neben den bayerischen Staatsministern für Wirtschaft und Verkehr, August R. Lang, und für Bundesund Europaangelegenheiten, Georg von Waldenfels, Vertretern von Industrie, Banken und Handelskammern auch der in München lebende Enkel des letzten sächsischen Königs, Albert Prinz von Sachsen Herzog zu Sachsen, gehörte, erstmals eine Maschine der Lufthansa direkt über die innerdeutsche Grenze nach Dresden fliegen konnte. Hier informierte Streibl am 31. Januar über die Bildung einer Arbeitsgemeinschaft für die Organisierung westlicher Hilfen beim Aufbau neuer Wirtschafts- und Verwaltungsstrukturen in den Bezirken Dresden, Leipzig und Karl-Marx-Stadt.647 Auf Vorschlag der bayerischen Staatsregierung gab der Landtag während des Besuches fünf Mio. DM für ein Sofortprogramm frei.648 In Dresden warb Streibl erneut für den Aufbau föderaler Strukturen und erklärte, er sei „der festen Überzeugung, dass auf diesem Wege ein Gesamtdeutschland für unsere Nachbarn viel leichter verkraftbar ist, als ein zentral gelenktes Reich“. Die Länder in der DDR sollten sich so schnell wie möglich konstituieren und dann einzeln oder im Verbund nach Artikel 23 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland beitreten. Dieser Weg sei der kürzeste und bereits im Herbst 1990 vollziehbar.649 Ob Zufall oder Planung, am selben Tag wie Streibl besuchte auch der badenwürttembergische Ministerpräsident, Lothar Späth, Dresden. Mitte Dezember hatte die „Stuttgarter Zeitung“ über Rivalitäten zwischen Streibl und Späth bei den Kontakten in die DDR berichtet. Demnach hatte Streibl ursprünglich im Dezember als erster Ministerpräsident in die DDR reisen wollen, den Plan aber mangels geeigneter Gesprächspartner fallen lassen müssen. Daraufhin hatte 645 Max Streibl an Jochen Draber vom 24.1.1990 (SächsStAL, BT/RdB, 31256, Bl. 49 f.). 646 Bericht von Wilhelm Vorndran über die bisherige Tätigkeit des Staatssekretärsausschusses im Ministerrat am 30.1.1990 (BayStK, Baer). 647 Vgl. Die Welt vom 1. 2.1990. 648 Bayerischer Landtag, 11. WP: Beschluss, Drucksache 11/14873 vom 31.1.1990 (BaySMI, Zusammenarbeit Bayern-Sachsen, Bl. 191); Bayerische Staatskanzlei, Arbeitsstab Deutschlandpolitik, Interministerielle AG Deutschlandpolitik: Gespräch Max Streibls mit der Bayerischen Landtagspresse am 9. 4.1991. Materialien: Aufbau der neuen Länder mit Bayerischer Hand (BayStK, Baer); Statement Max Streibls vor dem Verein der Bayerischen Landtagspresse am 9. 4.1991 zum Thema: Die Zukunft der alten und neuen Länder in der Bundesrepublik Deutschland (ebd.). 649 BPA/DDR-Spiegel vom 1. 2.1990. In: Deutschland 1990, Band 8, S. 4646; Interview Max Streibl. In: Die Union vom 1. 2.1990.

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Späth mit seinen älteren Kontakten „die Nase vorn“, und Streibl, der sich nicht in die „Schlange der deutschen Ministerpräsidenten“ einreihen wollte, fand sich plötzlich „an deren Schwanzende“.650 Insider bayerischer Regierungspolitik machten aber auch keinen Hehl daraus, dass sich Streibls Interessen bezüglich der Entwicklung in der DDR und damit auch sein Engagement eher in Grenzen hielten. In Dresden erklärte ein hochmotivierter Späth zum parallelen Besuch und dem verstärkten Engagement Bayerns in Sachsen, es gebe keine „Exklusivrechte“ für sein Land. Er sei auch „in keiner Weise eifersüchtig, ganz im Gegenteil“. Mit Streibl verbinde ihn ein sehr enges, freundschaftliche Verhältnis und er freue sich, wenn er Bayern bei seinen Hilfen unterstützen könne. Es biete sich geradezu an, dass beide Länder Sachsen unterstützten. Auf die Frage, ob sich Bayern den Planungen Baden-Württembergs anschließen würde, erklärte Streibl, Bayern habe ähnlich wie Baden-Württemberg Hilfsmittel im Haushalt bereit gestellt, „nur in viel größerem Umfang“. In Stuttgart seien dies 20 Millionen DM, bei ihnen 150 Millionen DM.651 Nach Streibls Besuch in Dresden reiste der Vorsitzende des Rates des Bezirkes Karl-Marx-Stadt, Fichtner, am 13./14. Februar nach Bayern. Er wusste, dass die bayerischen Regierungsvertreter „eine gewisse Abwarthaltung auf das Wahlergebnis in der DDR“ zeigten und stärker auf eine Zusammenarbeit mit den künftigen Ländern Sachsen und Thüringen orientierten als mit den „jetzt noch bestehenden Strukturen“.652 Ungeachtet dessen hielt er zwar daran fest, „die Vertragsgemeinschaft zwischen der DDR und der BRD auf regionaler Ebene auszugestalten“ und mit der Staatsregierung des Freistaates kooperative Formen der Zusammenarbeit zu entwickeln653 – um sich auf die bayerischen Vorbehalte einzustellen, wurden die Beziehungen sogar als Teil künftiger Beziehungen zwischen Sachsen und Bayern deklariert654 – aber nicht nur der Karl-Marx-Städter, sondern alle drei sächsischen Ratsvorsitzenden registrierten den Unterschied im Umgang mit Baden-Württemberg und Bayern genau, orientierten sich deswegen stärker auf die kooperationswilligeren Schwaben und beschlossen am 9. März, die Zusammenarbeit mit Bayern „auf Wirtschaftskontakte und ausgewählte Bereiche zu konzentrieren“.655 Die politische Zurückhaltung gegenüber den Vertretern des alten Regimes bedeutete freilich keine Zurückhaltung bei Hilfsleistungen. So richtete der bayerische Arbeits- und Sozialminister, Gebhard Glück, nach einem Fachgespräch mit über hundert DDR-Ärzten am 10. Februar in seinem Ministerium eine In650 Stuttgarter Zeitung vom 16.12.1989. 651 BPA / DDR-Spiegel vom 31.1.1990 (KAS, Wiss. Dienste, Pressedok.); Interview Max Streibl. In: Die Union vom 1. 2.1990. 652 Mitteilung des Leiters des Arbeitsbereiches Internationale Arbeit des RdB KMS an den Vorsitzenden vom 7. 2.1990 (SächsStAC, BT/RdB, 137632). 653 Vorsitzender des RdB KMS: Vorlage 18 vom 25.1.1990 (ebd., 126406). 654 Lothar Fichtner an Peter Gauweiler vom 30.1.1990 (ebd., 137816). 655 Information und Festlegungen des Vorsitzenden des RdB Dresden zur Umsetzung der Beratung zwischen den drei Vorsitzenden der RdB Sachsens am 9. 3.1990 vom 12. 3.1990 (Dok. 19).

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formations- und Koordinierungsstelle für medizinische Hilfe ein. Sie sollte vor allem Partnerschaften zwischen verschiedenen Bereichen der Krankenversorgung und Sachspenden vermitteln, Fortbildungen organisieren und die Zusammenarbeit mit den für das Gesundheitswesen zuständigen Körperschaften, Verbänden und der Wirtschaft fördern. Außerdem beteiligte sich Bayern beim Aufbau und der technischen Ausstattung der Landesärztekammern für Sachsen und Thüringen656 und engagierte sich beim Aufbau einer neuen sächsischen Polizeiorganisation nach bayerischem Vorbild.657 Auch der Kontakt zu den neuen politischen Kräften wurde aufrechterhalten.658 Nach Fichtners Besuch in Bayern legte die Staatsregierung am 20. Februar Schwerpunkte für ihr künftiges Gesamtkonzept fest, über das endgültig erst nach den Wahlen vom 18. März entschieden werden sollte. Klar war, dass die Landesmaßnahmen „subsidiär gegenüber Bundesmaßnahmen“ eingreifen sollten, ging es doch bei der Herstellung der staatlichen Einheit aus bayerischer Sicht vorrangig um „nationale Maßnahmen zur Bewältigung der Kriegsfolgelast, für die die Finanzverantwortung beim Bund“ lag. Deswegen sollten Investitionen grundsätzlich dem Bund vorbehalten bleiben, Landesmaßnahmen sich hingegen auf die Partnerregionen Sachsen und Thüringen konzentrieren und vorrangig Beratung sowie Expertenaustausch umfassen.659 Auf dieser Grundlage beschloss der Bayerische Ministerrat am 20. Februar eine engere wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit mit der DDR und stellte für die Zeit nach den ersten freien Wahlen ein Gesamtkonzept für Hilfsmaßnahmen zum Aufbau dezentraler Verwaltungsstrukturen in einem föderativen und rechtsstaatlichen Rahmen in Aussicht. Die Staatsregierung machte dabei deutlich, dass wirksame Hilfen verschiedene Grundentscheidungen der DDR voraussetzten, etwa die Wiederherstellung der Länder, eine rechtsstaatliche Verfassung mit unabhängiger Gerichtsbarkeit und eigener Verwaltungsgerichtsbarkeit sowie die kommunale Selbstverwaltung. Sie bestätigte, dass sich die Verwaltungshilfe bis zur Bildung rechtsstaatlich organisierter Länder auf die „Befriedigung von Informationswünschen“ über das bayerische Rechts- und Verwaltungssystem beschränken werde und machte den Grad der künftigen Verwaltungshilfe unmissverständlich von der Übernahme der bayerischen Rechtsordnung und Verwaltungsstruktur abhängig: „Fallen die Grundentscheidungen zugunsten eines anderen Rechts- und Verwaltungssystems, muss die Hilfe zwangsläufig weit bescheidener ausfallen: Know how lässt sich nur auf den Gebieten vermitteln, auf denen eigenes Know how vorhanden 656 Papier des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Informationsund Koordinierungsstelle auf dem Gebiet des Gesundheitswesens mit der DDR vom 10.2.1990 (HAIT, KA, 59); Statement von Gebhard Glück am 5.9.1990 in Dresden (ebd.). 657 BaySMI: Kurzprotokoll der Besprechung bei der BDVP KMS am 6. 3.1990 (BaySMI, Zusammenarbeit Bayern-Sachsen, Bl. 5 u. 10). 658 Vgl. u. a. Landkreisverband Bayern an Herbert Wagner vom 2. 4.1990 (HAIT, KA, IV). 659 Bericht von Wilhelm Vorndran über den Stand der Beratungen des geplanten Gesamtkonzepts für Hilfsmaßnahmen in der DDR in der Fraktionssitzung [der CSU-Landtagsfraktion] am 7. 3.1990 (BayStK, Baer).

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ist!“ Alle Hilfen sollten in ein Gesamtkonzept eingefasst und „möglichst nicht durch Aktivitäten anderer Länder oder des Bundes unterlaufen oder konterkariert“ werden. Unter diesen Voraussetzungen sah man Möglichkeiten einer effektiven Hilfestellung unter anderem bei der Ausarbeitung der Landesverfassungen und von Übernahme- und Übergangsregelungen für Bundesrecht sowie neuem Landesrecht. Vorrangig sollten verfassungsrechtliche Grundlagen geschaffen und Verfassungsorgane konstituiert werden, um die Länder schnell handlungsfähig zu machen. Danach sollten, ebenfalls mit bayerischer Unterstützung, Ministerien eingerichtet und die Rechtsangleichung vollzogen werden. Einen Schwerpunkt sah der Ministerrat in der Bildung effizienter Verwaltungs-, Kommunal- und Gerichtsstrukturen. Hierzu sollten umfangreiche Vorarbeiten für die Regelung räumlicher und funktioneller Zuständigkeit geleistet und für den Verwaltungsaufbau Entscheidungsgrundlagen für eine Festlegung der Verwaltungsebenen (mit oder ohne Mittelinstanz), die zweckmäßige räumliche Gliederung und die Arten der zu schaffenden staatlichen Behörden (Bündelungsbehörden, Sonderbehörden) erarbeitet werden. Unterstützen wollte man auch die Erarbeitung einer Kommunalverfassung und die Herausbildung neuer Kommunalstrukturen. Beim Schwerpunkt „Einrichtung von Behörden und Gerichten“ war auch an Hilfen bei der bürotechnischen Ausstattung gedacht. Schon jetzt zeichnete sich zudem die Notwendigkeit ab, eine größere Zahl bayerischer Beamter für eine Übergangszeit nach Thüringen und Sachsen zu delegieren. Der erfolgreiche Aufbau einer demokratischen Verwaltungsstruktur hing aus bayerischer Sicht entscheidend davon ab, ob es gelingen würde, qualifiziertes Personal für eine Tätigkeit in Sachsen und Thüringen zu gewinnen. Gedacht wurde an Beratungsstäbe auf Ministerialebene, eine Beratung von Führungskräften in wichtigen Vollzugsbehörden wie Bezirksregierungen und Landratsämtern sowie die provisorische Übernahme der Verwaltungsgerichtsbarkeit durch bayerische Verwaltungsgerichte. Mittel- und langfristig hielt man es jedoch für dringend geboten, eigenes Verwaltungspersonal in den neuen Ländern auszubilden.660 Da der umfangreiche Hilfskatalog erhebliche Haushaltsmittel voraussetzte, stellte der Bayerische Landtag 50 Millionen DM sowie 100 Millionen DM Verpflichtungsermächtigung für die Verbesserung der Beziehungen mit der DDR ein. Auf Vorschlag der Staatsregierung hatte er bereits 5 Millionen DM für dringende Sofortmaßnahmen freigegeben, die noch vor dem 18. März wirksam werden sollten. Mit dem dadurch verfügbaren Finanzrahmen sah man den Zeitraum bis zu den Wahlen in der DDR als ausreichend abgedeckt und zugleich „bei der Auswahl der Maßnahmen gewährleistet, dass sich nicht die ‚alten Machtstrukturen‘ einer Unterstützung durch den Freistaat Bayern rühmen können“.661 660 BaySMI: Hilfsmaßnahmen zum Aufbau föderativer und rechtsstaatlicher Strukturen in der DDR, Stand: 6. 3.1990 (BaySMI, Zusammenarbeit Bayern-Sachsen, Bl. 263–273). 661 Bericht von Wilhelm Vorndran über den Stand der Beratungen des Gesamtkonzepts für Hilfsmaßnahmen in der DDR in der Fraktionssitzung [der CSU-Landtagsfraktion] am 7. 3.1990 (BayStK, Baer).

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3.3.3 Baden-Württemberg und die Bildung einer Gemischten Kommission mit Sachsen Politische Berührungsängste mit den Vertretern des alten Regimes wie in der Bayerischen Staatsregierung gab es im Stuttgarter Staatsministerium weniger. Hier sah man vor allem wirtschaftliche Möglichkeiten durch regionale Kontakte und wollte die Startvorteile nutzen. Die andere Herangehensweise hing auch mit dem Sonderverhältnis zusammen, welches es spätestens seit dem Besuch Modrows bei Späth im September 1989 gab. Grundlage für dessen Kontaktbereitschaft war aber vor allem sein ausgeprägtes Interesse an Kooperationen im Rahmen eines „Europas der Regionen“. Seine Philosophie war es, Europa von unten her zu schaffen. Er hatte, so Wolfgang Zeller, die These der verschiedenen Motoren Europas ausgegeben und meinte, die führenden Wirtschaftsregionen Europas müssten zusammenarbeiten. In diesem Zusammenhang interessierte er sich für Sachsen als „Zukunftsland“, in dem er wegen dessen historischer und Wirtschaftsbedeutung einen möglichen neuen Motor Europas vermutete. Deswegen sah er es als „elementares Landesinteresse“ Baden-Württembergs an, bereits das entstehende Sachsen als Partnerland zu gewinnen.662 Schon vor dem 1989 einsetzenden Umbruch war Späths Agieren in Richtung DDR vom Denken in Regionen geprägt gewesen. Er strebte im innerdeutschen Verhältnis Kontakte unterhalb von Bundes- und DDR-Regierung an und verstand sich in dieser Angelegenheit als Vorreiter.663 Als überzeugten Europäer interessierte ihn weniger die staatliche Einheit Deutschlands, die, so die FAZ, „nie seine Sache“ war. Er hatte sich, glaubt man dem Kommentator des Blattes, mit der Teilung „längst abgefunden“, und es wäre ihm noch Mitte 1989 „als unverzeihlicher politischer Romantizismus“ erschienen, das austarierte Kräftesystem der Bundesrepublik in Frage zu stellen.664 Vor dem Hintergrund seines auf europäische Regionen bezogenen Konzeptes machte er andererseits als baden-württembergischer Ministerpräsident, ganz nach dem Vorbild von Franz Josef Strauß, Außenpolitik. Sachsen interessierte ihn auch im Rahmen einer weiter gefassten europäischen Öffnung in Richtung Osten. „Wir waren“, so sein Vertrauter Wolfgang Gönnenwein, „mindestens so oft, wie wir in Dresden waren, auch in Moskau.“ In diesem Sinne sei es durchaus richtig, von einer Stuttgarter Außenpolitik zu sprechen. Gönnenwein knüpfte nicht nur kulturelle Kontakte nach Dresden, sondern schloss schon 1990 mit der erst selbständig werdenden Republik Russland ein erstes Kulturabkommen. Kunst und Kultur waren wichtige Medien für Kontakte nach Sachsen wie nach Osteuropa. „Das lag“, so Gönnenwein, „auch daran, dass die entsprechenden Institutionen ja trotz Diktatur funktionierten.“ So wurde mit Blick auf die Dresdner Semperoper und die Dresdner Museen mit Oberbürgermeister Berghofer überlegt, wie man gegen662 Interview Wolfgang Zeller. 663 Vgl. Interview Arnold Vaatz. In: Kleimeier, Sachsen, S. 106 f. 664 Johann Michael Möller. In: FAZ vom 3. 9.1990.

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seitige Wechselausstellungen, zum Beispiel im Ludwigsburger Schloss, realisieren könnte, bei denen Gönnenwein als künstlerischer Leiter der Festspiele in Ludwigsburg ein wesentliches Wort mitzureden hatte. Daraus ergaben sich „ganz enge Beziehungen“, bei denen „nicht nach Parteizugehörigkeiten gefragt“ wurde. Die „baden-württembergische Außenkulturpolitik“ blieb nicht in Sachsen stehen und „dadurch, dass wir hier das Feedback aus Moskau hatten, waren wir natürlich auch umso kraftvoller in verschiedenen Dingen in Sachsen“.665 Anders als sein Konkurrent Kohl strebte Späth eine größere Vitalität der Politik nach Außen an und zielte generell auf eine Reform der bundesdeutschen Gesellschaft, die eher den Intentionen Geißlers, Biedenkopfs oder Süßmuths entsprach. In einer Situation, in der die Zustimmung zur Politik Kohls 1989 im Sinken begriffen war, signalisierte er seine Bereitschaft, gegen den Kanzler und Parteivorsitzenden anzutreten.666 Auf dem Bremer CDU-Parteitag im September 1989, der einen Wechsel bringen sollte, ließ ihn jedoch „die Courage im Stich“, die, so Vaatz, „sonst so selbstverständlich bei ihm war“.667 Das jedoch bedeutete andererseits nicht, dass er sein regionales Engagement aufgab; vielmehr suchte er im regionalen Bereich weiter nach Möglichkeiten einer politischen Profilierung, die über kulturelle Kontakte hinausgingen. Im Zentrum seiner Überlegungen stand dabei zunächst die Frage, wie man Kontakte aufnehmen und erste Hilfen leisten konnte. Bereits im November beauftragte Späth Wolfgang Zeller aus dem baden-württembergischen Sozialministerium, „nach Sachsen zu gehen, um mal zu schauen, was können wir hier tun, welche Hilfsmaßnahmen, welche Zeichen des guten Willens können wir noch vor Weihnachten unterbringen, um uns bemerkbar zu machen“.668 Interessiert am Ausbau wirtschaftlicher Kontakte vereinbarte der Abteilungsleiter für internationale Beziehungen im baden-württembergischen Staatsministerium, Hans-Peter Mengele, mit Hilfe Hermann Prechts von der SPD bereits wenig später mit Modrow einen Besuch Späths,669 der daraufhin am 10. Dezember in Begleitung einiger Minister und von Vertretern der Wirtschaft nach Dresden reiste und damit dem Besuch seines Kontrahenten Kohl um einige Tage zuvor kam. Bei der Zusammenkunft erklärte Modrow, inzwischen DDR-Ministerpräsident, er wolle die innerdeutsche Zusammenarbeit auf regionaler Ebene zum Thema eines Gesprächs mit Kohl machen. Späth kündigte die Schaffung von Kontaktbüros in Stuttgart und Dresden sowie eine Reihe konkreter Hilfen an, unter anderem beim Ausbau des Telefonnetzes und der Vergabe von Existenzgründungsdarlehen an mittelständische DDR-Unternehmen. Eine Unternehmerkonferenz sollte Partner aus Baden-Württemberg und den sächsischen Bezirken zusammen665 Interview Wolfgang Gönnenwein. 666 So Späth am 19. 5.1989 gegenüber Alexander Schalck-Golodkowski (SAPMO BArch, DY 30/vorl. SED, 42 181). Zit. in Nakath/Stephan, Countdown zur deutschen Einheit, S. 138. 667 Interview Arnold Vaatz am 21. 6. 2000. 668 Interview Wolfgang Zeller. 669 Vgl. Mengele, Wer zu Späth kommt, S. 174–178.

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führen. Anders als Modrow sprach Dresdens Oberbürgermeister, Wolfgang Berghofer, Späth gegenüber zu diesem Zeitpunkt bereits wieder von „sächsischer Identität“ und prophezeite, bald werde von Zusammenarbeit mit dem Land Sachsen die Rede sein.670 Zunächst aber verständigten sich beide Seiten auf eine Kooperation zwischen dem Bezirk Dresden und Baden-Württemberg, ein Modell, das am Abend des Treffens publik wurde. Das DDR-Fernsehen übertrug das „Dresdener Gespräch“ direkt, an dem neben Späth, Berghofer und dem Generaldirektor des VEB Kombinat Robotron, Friedrich Wokurka, auf Drängen der baden-württembergischen Seite auch Herbert Wagner als Sprecher der Gruppe der 20 teilnahm.671 Zurück in Stuttgart, vereinbarte Späth mit den Fraktionsvorsitzenden der Oppositionsparteien im Landtag, Dieter Spöri (SPD), Walter Döring (FDP), Birgitt Bender und Reinhard Bütikofer (Die Grünen), die Hilfen für die DDR nicht zum Gegenstand parteipolitischer Auseinandersetzungen zu machen. Zur Beratung gemeinsamer haushaltswirksamer Entscheidungen wurde eine Kommission aus Vertretern aller Landtagsfraktionen gebildet, die als erste Maßnahme eine Hilfsaktion in Höhe von zehn Mio. DM auf den Weg brachte.672 Wenig später beschloss der Landtag einvernehmlich eine Soforthilfe von 65 Mio. DM.673 Spöri erklärte, die Partnerschaft mit dem Bezirk Dresden und dem späteren Land Sachsen könne nur dann einen Beitrag zur Verbesserung der dortigen Lebensbedingungen leisten, wenn der Massenexodus aus der DDR gestoppt werde. Auch FDP-Fraktionschef Walter Döring sprach sich für Aktivitäten auf Landesebene zur Festigung des innerdeutschen Verhältnisses aus.674 Einig waren sich Landesregierung, Landtagsparteien sowie Vertreter von Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft, dass sich Baden-Württemberg in der Zusammenarbeit zunächst auf den Raum Dresden konzentrieren sollte, was ein Verständnis für die Städtepartnerschaft Dresden-Hamburg wie auch eine punktuelle Zusammenarbeit des Landes Bayern mit dem Bezirk Dresden einschließe.675 Noch in Dresden hatte Späth die Internationale Abteilung des Staatsministeriums beauftragt, die Zusammenarbeit mit Sachsen innerhalb der Regierung zu koordinieren. Eine entsprechende Koordinierungsgruppe der Ressorts traf sich erstmals am 19. Dezember, und einzelne Ressorts begannen mit der Vorbereitung von Hilfsmaßnahmen.676 Am 20. Dezember reiste Wolfgang Zeller, noch mit DDR-Visum, nach Sachsen, um „festzustellen, was brauchen die denn am dringendsten“, wo sind Hilfen im Gesundheits- bzw. Krankenhausbereich am 670 671 672 673 674 675

Vgl. ebd., S. 185–191; dpa vom 11.12.1989; Handelsblatt vom 12.12.1989. Vgl. Wagner, 20 gegen die SED, S. 108. Vgl. Stuttgarter Zeitung vom 14.12.1989. Vgl. Mengele, Wer zu Späth kommt, S. 193. Vgl. Stuttgarter Zeitung vom 29.12.1989. Vgl. RdB Dresden, Internationale Zusammenarbeit: Stand der Zusammenarbeit mit Baden-Württemberg und Bayern vom 20. 2.1990 (HAIT, KA, V.3). 676 SMBW, Abt. V: Vermerk für den Herrn Ministerpräsidenten vom 18.12.1989. Betr.: Konkretisierung der Zusammenarbeit mit Dresden / Sachsen, gez. Mengele (SMBW, 0136 Partnerschaft mit Dresden/Sachsen).

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notwendigsten. So fehlten zum Beispiel dringend Dialysegeräte. Noch im Dezember rollten sieben Lastwagen mit Hilfsgütern nach Sachsen. Um näher am Geschehen zu sein, wurde im fränkischen Bad Berneck ein „Headquarter“ eingerichtet, von wo aus besser operiert und die Logistik organisiert werden konnte. Kurz vor Weihnachten fuhr Zeller, in der baden-württembergischen Landesregierung schon früher für Katastrophenfälle und Hilfslieferungen zuständig, mit der baden-württembergischen Sozialministerin Barbara Schäfer nach Sachsen, um Güter an Ärzte und Krankenhäuser zu verteilen.677 Noch vor Weihnachten wurde die Eröffnung eines Koordinationsbüros in Dresden Ende Januar 1990 avisiert. Problematisch war in dieser Phase der einsetzenden Hilfsmaßnahmen deren bundesweite Koordinierung. Allein im „Raum Dresden“ gaben sich mehrere Bundesländer „die Klinke in die Hand“. Mengele und der im Staatsministerium für die Koordinierung der Hilfsmaßnahmen zuständige Abteilungsleiter Rudolf Böhmler schlugen Späth daher vor, eine Besprechung der Regierungschefs von Bund und Ländern am 21. Dezember zu nutzen, um eine gemeinsame Basis zu schaffen, das Mitspracherecht der Bundesländer gegenüber dem Bund in DDR-Fragen und den Informationsaustausch der Bundesländer untereinander zu verbessern. Verbunden mit den Hilfsmaßnahmen musste die Landesregierung die entstehenden Wirtschaftskontakte koordinieren. „Zahllosen Anfragen“ an die Landesregierung war zu entnehmen, dass viele baden-württembergische Unternehmer auf „gepackten Koffern“ saßen, um sich in der DDR zu engagieren. Zwar liefen die Gespräche über Wirtschaftsreformen in der DDR nur zögernd an und waren, so Mengele und Böhmler, „noch stark von dem Gedanken der Planwirtschaft belegt“; dennoch könne „im Hinblick auf die Interessen unserer Wirtschaft nicht so lange zugewartet werden, bis die Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit aus unserer Sicht völlig stimmen“. Vielmehr sei es „jetzt wichtig, die vorhandenen Ansätze rasch aufzunehmen und auszubauen, um zum jetzigen Zeitpunkt auch noch Einfluss auf die zu schaffenden Rahmenbedingungen ausüben zu können“.678 Ein zentrales Problem der Baden-Württemberger war die Frage der richtigen Ansprechpartner, wusste man doch nicht, wer sich in den Wirren des friedlichen Revolutionsprozesses durchsetzen und die kommende Entwicklung gestalten würde. Da die politische Lage in der DDR unklar war, orientierte man daher weiterhin auf Kontakte zu den verschiedenen politischen Kräften, wobei die baden-württembergische CDU stärker parteipolitischen Überlegungen folgte, ohne daran von Späth gehindert zu werden. Dabei setzten sich Machtpolitiker wie der damalige CDUBezirksvorsitzende und baden-württembergische Innenminister Dietmar Schlee mit dem Argument durch, dass man auf das Potential und die Strukturen des alten Staatsapparates nicht verzichten könne. Rückendeckung hatte er durch Späth, 677 Interview Wolfgang Zeller. 678 SMBW, Abt. V: Vermerk für den Herrn Ministerpräsidenten vom 20.12.1989. Betr.: Zusammenarbeit Baden-Württembergs mit dem „Raum Dresden“ (Informationen für die Beratungen im Bundesrat am 21.12.1989), gez. Böhmler, gez. Mengele (SMBW, 0136 Partnerschaft mit Dresden/Sachsen).

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der sich eine engere Zusammenarbeit mit Modrow und Berghofer ebenfalls durchaus vorstellen konnte.679 Von daher gab es hier hinsichtlich der Kontakte nach Dresden keine Berührungsängste. Späth setzte nicht bewusst auf „Altfunktionäre“, sondern hatte, so selbst sein Konkurrent Kohl, „ja keine andere Möglichkeit, andere Leute als die Vertreter des Staatsapparates kennen zu lernen“.680 So pflegte man Kontakte zu Vertretern des Staates ebenso wie zur CDU und neuen politischen Kräften. Um die Lage in der Ost-CDU zu sondieren, führte eine Delegation der baden-württembergische CDU am 9. Januar Gespräche mit dem Dresdner CDU-Bezirksvorstand, wobei der eher als linientreu geltende Bezirksvorsitzender Herbert Dreßler erklärte, seine Partei habe sich endgültig vom Sozialismus losgesagt. Der Geschäftsführer der baden-württembergischen CDU-Landtagsfraktion, Eckert, bezeichnete die Ost-CDU zwar öffentlich als Partner,681 Späth machte aber wenig später deutlich, dass dies nur mit Einschränkungen gelten könne, denn es gebe nun mal „die große Schwierigkeit“, dass die Ost-CDU eine Blockpartei gewesen sei. „Vieles von dem, was sie mitzuverantworten“ habe, hindere die westliche Union, eine uneingeschränkt Partnerschaft mit ihr einzugehen. Allerdings wolle man dort, wo sich neue Strukturen zeigen, helfen und „nicht von vornherein aburteilen“. Insgesamt aber könne sich die West-CDU nicht mit der Ost-CDU identifizieren. „Ganz stark“ fühle man sich auch mit basisdemokratischen Gruppen in der DDR verbunden, die „unser politisches Gedankengut tragen“.682 Damit hielt sich Späth neben seinen fortgesetzten Kontakten zum Staatsapparat zum einen die Option offen, stärker mit einer sich wandelnden Ost-CDU zu kooperieren, zum anderen ging er auf die Bürgerbewegungen zu, deren moralische Integrität er schätzte und für die Ziele der CDU nutzbar machen wollte. Um seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den neuen politischen Kräften zu signalisieren, hatte Späth deren Vertreter bereits am 10. Dezember nach Baden-Württemberg eingeladen. Heitmann hatte als Vertreter der Gruppe der 20 in Schreiben an die „entscheidungsbefugten Leiter des untergenannten Werktätigen“ um Freistellung von der Arbeit gebeten.683 Am 12. Januar wurden daraufhin Herbert Wagner, Arnold Vaatz, Steffen Heitmann, Walter Siegemund und Hans-Jürgen Magerstädt von der Gruppe der 20, Bernd Kunzmann vom Neuen Forum, Jürgen Bönninger vom Demokratischen Aufbruch und Oberkirchenrätin Hannelore Leuthold von Späth empfangen.684 „Ich war froh“, so Heitmann später, „dass wenigstens ich einen Schlips umgebunden hatte, wir wussten gar nicht, wie hoch angebunden das in Stuttgart war.“ Der Regierungschef führte mit dem 679 680 681 682 683

Hubert Wicker beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. Interview Helmut Kohl. Vgl. Die Union vom 10.1.1990. Zit. in ebd. vom 31.1.1990. Gruppe der 20, Steffen Heitmann, an den entscheidungsbefugten Leiter des untergenannten Werktätigen vom 8.1.1990 (HAIT, Heitmann, Kontakte nach Baden-Württemberg). 684 Programm: Besuch einer Delegation aus Dresden/DDR vom 12.–17.1.1990 in BadenWürttemberg (Ebd).

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„ungeordneten Oppositionsgrüppchen“ ein ausführliches Gespräch,685 wobei er sich sichtlich schwer tat mit den, so Mengele, „politisch unerfahrenen und durch den langjährigen Repressionsapparat in der DDR noch immer etwas verunsicherten Außenseitern“, denen er irrtümlicherweise „keine tragende Rolle bei der schwierigen Umgestaltung der DDR zutraute“. Die Oppositionsvertreter machten keinen Hehl aus ihrer Gegnerschaft gegenüber den „übriggebliebenen Funktionären“, die noch immer die Administration im Bezirk beherrschten und nun Späths offizielle Gesprächspartner waren.686 Der Ministerpräsident betonte seinerseits, Wert darauf zu legen, alle demokratischen Kräfte einzubeziehen. Dies gelte umso mehr, solange die Verantwortlichen der verschiedenen Ebenen nicht durch freie Wahlen bestätigt seien.687 Damit hinterfragte er auch die demokratische Legitimierung der Sprecher der neuen politischen Kräfte, hatten diese sich doch ebenfalls noch keinen freien Wahlen gestellt. Späths Haltung stieß auf andauernde und heftige Kritik. So urteilte Vaatz, unter dem Eindruck einseitiger Medienberichterstattung über die DDR hätten westliche Politiker „ihr Urteilsvermögen größtenteils an der Garderobe abgegeben“ und wären „Selbsttäuschungen unterlegen“ gewesen.688 Späth habe in seinem „Ehrgeiz, besonders schnell zu sein, immer auf das falsche Pferd gesetzt“.689 In der Tat waren auch Politiker wie er „von Kenntnissen unbeleckte“ Opfer westlicher Medienberichterstattung. Für Journalisten, die oft selbst nie in der DDR gewesen waren, galten Personen wie Berghofer und Modrow, weil sie „gemäßigtere Sozialisten“ waren, als Hoffnungsträger. Erst durch Kontakte mit Vertretern neuer politischer Kräfte modifizierten Politiker wie Späth ihr Bild.690 Der Besuch zeigte, dass er dazu durchaus bereit war. Im Rahmen eines fünftägigen Programms führte die Gruppe Gespräche im Landtag, im Innen- und Justizministerium, mit der Landespolizei und mit Kommunalpolitikern.691 In Späths Wahlkreis Bietigheim-Bissingen wurden sie von Bürgermeister Manfred List mit gehisster DDR-Fahne empfangen, was die Gäste sich freundlich verbaten.692 „Die“, so Wagner, „wollten wir gerade nicht sehen“, war man doch in der DDR „gerade dabei, für Demonstrationen das Emblem überall herauszuschneiden“. Wagner empfand das Hissen der DDR-Fahne daher „als Anerkennung der alten Kräfte“.693 685 Steffen Heitmann. In: Reden zum 4. Jahrestag der Gründung des Koordinierungsausschusses, S. 22 f. Vgl. ders., Die Revolution in der Spur des Rechts, S. 41 f.; Wagner, 20 gegen die SED, S. 172 f. 686 Mengele, Wer zu Späth kommt, S. 191. 687 Dresdner Oppositionspolitiker auf fünftägiger Informationsreise in Baden-Württemberg. Politischer Meinungsaustausch mit Ministerpräsident Lothar Späth. Datiert: 12.1.1990 (HAIT, Wagner, 28). 688 Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 689 Interview Arnold Vaatz am 21. 6. 2000. 690 Heinrich Oberreuter beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 691 Programm: Besuch einer Delegation aus Dresden/DDR vom 12.–17.1.1990 in BadenWürttemberg (HAIT, Wagner, 28). 692 Steffen Heitmann. In: Reden zum 4. Jahrestag der Gründung des Koordinierungsausschusses, S. 22 f. Vgl. Ludwigsburger Kreiszeitung/Bietigheimer Zeitung vom 15.1.1990. 693 Interview Herbert Wagner.

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An der Universität Tübingen sprachen die Dresdner mit Professor Hans von Mangoldt über Fragen des Verfassungsrechts des Bundes und der Länder, und bei einem Besuch im Kloster Bebenhausen erhielten sie Informationen über württembergische Verfassungsgeschichte und Rechtspraxis.694 Der Besuch gestattete einen Einblick in baden-württembergische Verwaltungs- und Verfassungsstrukturen und stärkte, dank seines offiziellen Charakters, die Akzeptanz der Gruppe gegenüber dem Rat des Bezirkes Dresden.695 Am 24. und 25. Januar empfing Späth in Stuttgart eine weitere sächsische Delegation, diesmal unter Leitung des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Dresden, Professor Wolfgang Sieber. Eine Einladung zu dem Treffen, bei dem die endgültige Form und Zusammensetzung der zu bildenden Gemeinsamen Kommission besprochen werden sollte, war – kennzeichnend für die badenwürttembergische Haltung – zunächst nur an die Räte der Bezirke gegangen. „Als wir dies herausbekommen haben“, so Hans Geisler vom Demokratischen Aufbruch, „haben wir protestiert und angedroht, die Mitarbeit am Runden Tisch aufzukündigen.“ Daraufhin wurde der Kreis erweitert.696 Ihm gehörten auf deren Drängen697 nun auch Mitglieder der DDR-SPD, des Neuen Forums und des Demokratischen Aufbruchs an. Sieber erklärte zur Einbeziehung dieser Vertreter des Runden Tisches, dass er künftig „keine Politik mit doppeltem Boden“ mehr machen wolle. Hintergrund war der veränderte Kurs, den der um neue politische Parteien und Gruppierungen zur „Regierung der Nationalen Verantwortung“ erweiterte DDR-Ministerrat wegen der Staatskrise gegenüber Bürgerbewegungen und Runden Tischen hatte einschlagen müssen. Späth schlug die Bildung gemeinsamer Arbeitsgruppen für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Fragen vor.698 Eigentliches Ziel der baden-württembergischen Landesregierung war allerdings die Bildung einer Gemischten Kommission mit den sächsischen Bezirken, wozu im Januar in Stuttgart bereits Vorbereitungen liefen. Da das angestrebte Modell von den Regierungsvorgaben zur Bildung von Regionalausschüssen abwich, war zu seiner Durchsetzung Überzeugungsarbeit zu leisten. Erst nach mehreren Gesprächen in Dresden konnte Mengele den Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Dresden vom Konzept einer „Gemischten Kommission“ überzeugen: „Da unser Interesse aber auf Sachsen als Ganzes zielte und wir dem Prozess der Länderneubildung Schub verleihen wollten, mussten auch die Vorsitzenden der Bezirksräte in Leipzig und Karl-Marx-Stadt einwilligen. Intensive Verhandlungen machten es möglich.“699 Für die Fachgruppen der geplanten Kommission wurden Oberbürgermeister verschiedener baden-württembergischer Städte gewonnen. Hinzu kamen Experten aus der 694 695 696 697 698

Vgl. Wagner, 20 gegen die SED, S. 172–174. Vgl. Mengele, Wer zu Späth kommt, S. 192. Interview Hans Geisler. In: Kleimeier, Sachsen, S. 54. Hans Geisler beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. Vgl. Richter, Räte, Runde Tische, „Volksvertretungen“, S. 166; FAZ/Stuttgarter Zeitung vom 26.1.1990. 699 Mengele, Wer zu Späth kommt, S. 192.

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Staatsverwaltung und von Universitäten.700 Zur effizienten Koordinierung der zu beratenden Anliegen wurden den kommunalen Spitzenverbänden und Experten, die auch auf Vorschlag der Fraktionen des Landtags benannt werden konnten, Beteiligungsrechte eingeräumt.701 Am 26. Januar unterbreiteten die baden-württembergischen Vertreter für die Gemischte Kommission Projektvorschläge aus den verschiedenen Landesministerien.702 Die Koordinierung der Arbeiten und der Geschäftsführung der Gemischten Kommission fanden auf baden-württembergischer Seite im Staatsministerium statt. Strukturell gesehen handelte es sich um eine Regierungskommission, deren Fachgruppenleiter auf Ministerialebene angesiedelt waren. Die parlamentarische Kontrolle der Arbeit der Gemischten Kommission gewährleistete eine regelmäßige Berichterstattung gegenüber einem „Interfraktionellen Arbeitskreis DDR“ des Stuttgarter Landtags.703 Für eine Beratung des Ministerrates am 29. Januar hatten alle Ressorts Vorstellungen und Konzepte als Grundlage einer Kabinettsvorlage vorzulegen.704 Durch Beschluss des Ministerrats wurde daraufhin ein zweijähriges Soforthilfeprogramm mit einem Gesamtfinanzrahmen von rund 65 Mio. DM für 1990 und 1991 bereitgestellt. Zielsetzung der Hilfsmaßnahmen war, die Zusammenarbeit in wesentlichen Bereichen des öffentlichen und politischen Lebens, die unter dem SED-Regime jeder Berührung entzogen waren, rasch aufzunehmen und in Gang zu bringen. Dazu zählte eine modellorientierte Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem, wissenschaftlich-technologischem, sozialem, ökologischem und kulturellem Gebiet, die rasche Schaffung der notwendigen Rahmenbedingungen für tiefgreifende Reformen durch die Bezirke, eine schwerpunktmäßige Konzentration auf die Bezirke Dresden, Leipzig, Chemnitz und die Stadt Dresden sowie die Beteiligung und Förderung der Oppositionsgruppen. Die Schwerpunkte der als „Hilfen zur Selbsthilfe“ verstandenen Maßnahmen lag beim Know-how-Transfer auf der Grundlage konkreter Modellmaßnahmen.705 Ein Teil der Hilfen kam nach Angaben der baden-württembergischen Sozialminis700 Vgl. Staatsministerium Baden-Württemberg: Benennungen Kommunale Verbände, o. D. (HAIT, KA, V.1). 701 Vgl. Mengele/Lichtenthäler, Die partnerschaftliche Hilfe Baden-Württembergs für Sachsen, S. 194. 702 GK S/BW, Stuttgart am 26.1.1990 (SächsHStA, BT/RdB, 47117/4, Bl. 271–275). 703 Mengele/Lichtenthäler, Die partnerschaftliche Hilfe Baden-Württembergs für Sachsen, S. 194. 704 SMBW, Abt. V: Vermerk für Abt. I: Zusammenarbeit Baden-Württembergs mit der DDR, insbesondere mit dem „Raum Dresden“, hier: Beratung des Ministerrates am 29.1.1990 (SMBW, 0136 Kabinettssache Zusammenarbeit Baden-Württemberg mit der DDR, insbesondere mit dem „Raum Dresden“). Hier auch die Vorlagen der einzelnen Ministerien. 705 Abschlussbericht der GK S / BW. Hilfsmaßnahmen Baden-Württembergs für Sachsen (1990/1991) (ebd., GK S/BW, Allgemeines); Kommunale Kontakt- und Informationsstelle Baden-Württemberg / DDR vom 7. 2.1990 (HAIT, KA, V.1); RdB Dresden, Bezirksplankommission: Zwischenbericht zur Zusammenarbeit mit dem Land BadenWürttemberg, o. D. (ebd.); Bericht des Staatsministeriums Baden-Württemberg über die 2. Sitzung der GK S/BW am 9. 3.1990 in Dresden/Gohrisch vom 9. 3.1990 (Dok. 18); FAZ/Stuttgarter Zeitung vom 31.1.1990.

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terin, Barbara Schäfer, der Bezirksstadt Halle zugute,706 was möglicherweise mit Vorschlägen der Regierungskommission Verwaltungsreform zusammenhing, Sachsen-Anhalt aufzulösen und einen sächsischen Regierungsbezirk Halle zu schaffen. Außerdem wurde bereits vor dem Besuch über die Einrichtung von Kontaktbüros in Dresden und Stuttgart informiert.707 Im Januar hatte sich Späth auch mit dem Hallenser Oberbürgermeister Eckard Pratsch getroffen, um über eine unterstützende Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene zu beraten. Die CDU-Bezirksverbände Nordbaden und Halle hatten eine gemeinsame „Karlsruher Erklärung“ unterzeichnet, in der sich beide Seiten für eine Fortsetzung des Demokratisierungsprozesses einsetzten.708 Der Beschluss vom 29. Januar, der eine Einbeziehung der neuen Kräfte vorsah, war für diese ein Erfolg. Sie konnten nun davon ausgehen, künftig als feste Ansprechpartner der Landesregierung angesehen zu werden. Ebenso war nun ihre Einbindung in die Fachgruppen der Gemischten Kommission gesichert. Zu verdanken hatten sie dies neben Teufel vor allem Mengele, der als Ministerialdirigent im Staatsministerium erheblichen Einfluss auf Späth ausübte. Mengele, so Vaatz, habe „dafür gesorgt, dass zu diesen Gemischten Kommissionen Vertreter der Opposition eingeladen wurden“, weil er der Auffassung war, dass man den „radikalen personellen Wechsel“, wie ihn Vaatz, Rößler oder Geisler anstrebten, unterstützen sollte.709 Da Geislers Forderung, sämtliche Fachgruppen von Vertretern neuer politischer Gruppierungen leiten zu lassen,710 nicht durchsetzbar war, wurde darauf gedrängt, dass in jeder Fachgruppe die neuen Kräfte entweder den Vorsitzenden oder dessen Stellvertreter stellen.711 Späth, so Matthias Rößler, der „zuerst den Blick auf die etablierten Kräfte gerichtet hatte“, erwies sich in dieser Situation als „sehr lernfähig, wie er immer war“, und band „ein paar Anführer der sogenannten Basisdemokratie, wie das damals noch hieß“, in die Kommission ein.712 Noch am 30. Januar wurde deren paritätische Zusammensetzung beschlossen. Die neuen Kräfte stellten die Leiter von zwei Fachgruppen. Rößler war ursprünglich durch seine Herkunft aus der kirchlichen Umweltbewegung und dem DA mehr auf Umweltpolitik fixiert, fand dann aber Wissenschaft und Bildung doch interessanter, weil er dies als „Schlüsselbereich“ ansah, in dem es „um die Köpfe der Menschen“ ging.713 Er wurde Leiter der Fachgruppe „Wissenschaft und Bildung“, Jörg Wildoer von der DFP leitete die Fachgruppe „Umwelt“. Die übrigen Leiter wurden von den Räten der Bezirke gestellt. Bis Ende März gelang es den neuen politischen Kräften nicht, diese Asymmetrie zu kor706 707 708 709 710 711

Stuttgarter Zeitung vom 28. 2.1990. Vgl. ebd. vom 29.1.1990. Vgl. Schwäbische Zeitung/Südwest Presse (Ulm)/Heilbronner Stimme vom 15.1.1990. Interview Arnold Vaatz am 21. 6. 2000. Hans Geisler beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. Interview Hans Geisler. In: Kleimeier, Sachsen, S. 54. Zu den Leitern der Fachgruppen der gemischten Kommission siehe Tabelle 7 im Anhang. 712 Interview Matthias Rößler. In: Kleimeier, Sachsen, S. 86. 713 Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003.

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rigieren, sodass ihre Beteiligung auch als „Feigenblattfunktion“ gedeutet wurde.714 Nach und nach entsandten sie allerdings weitere Vertreter, so Hans Geisler in die Fachgruppe „Kommunale Partnerschaften“ und Steffen Heitmann in die Fachgruppe „Verfassungs- und Verwaltungsreform“, wo er den Abteilungsleiter für Ausbildung und Direktor der Betriebsakademie beim Rat des Bezirkes Dresden, Holger Löser, ablöste. Späth nahm zwar auf die Kritik der neuen Kräfte Rücksicht, stellte aber gleichzeitig klar, dass er „selbstverständlich“ auch weiterhin mit Repräsentanten des Staates spreche, auch wenn sie der SED angehörten. Für ihn handele es sich dabei um „das Natürlichste von der Welt“. Er könne sich bei Kontakten im politischen Raum nicht aussuchen, wer den jeweiligen Staat vertrete.715 Nach den Vorverhandlungen in Stuttgart vereinbarten Späth und die Vorsitzenden der Räte der sächsischen Bezirke, Sieber, Fichtner und Draber, am 31. Januar im feierlichen Ambiente des holzgetäfelten Saales des Dresdner Ratsgebäudes die Bildung einer „Gemischten Kommission für die Zusammenarbeit des Landes Baden-Württemberg mit Sachsen“. Grundlage dafür war auf badenwürttembergischer Seite das von der Landesregierung am 29. Januar beschlossene und mit den Vorsitzenden aller im Landtag vertretenen Parteien abgestimmte Sofortprogramm. Bei dem Abkommen handelte es sich um „die erste rechtliche Vereinbarung, in der der politische Raum Sachsen wieder auftaucht und eine rechtliche Qualität“ erhielt.716 Sieber und Späth bezeichneten die Bildung der „repräsentativen Kommission“ als „bisher einzigartigen Schritt“ in den innerdeutschen Beziehungen mit Modellcharakter für andere Regionen. Die PDS schlug am Zentralen Runden Tisch vor, in allen Bezirken Gemischte Kommissionen nach dem Vorbild Sachsens zu schaffen.717 Sieber betonte, man werde in Dresden künftig nicht mehr länger auf Entscheidungen aus Ost-Berlin warten.718 Hintergrund dafür war die zögerliche Haltung Modrows in Sachen Länderbildung und bei der Vorlage verbindlicher Richtlinien für die Zusammenarbeit auf Länder- bzw. Bezirksebene. Die Kommission wurde paritätisch durch den Leiter der Abteilung internationale Angelegenheiten und innerdeutsche Zusammenarbeit im baden-württembergischen Staatsministerium, Hans-Peter Mengele, sowie den Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Dresden und Vorsitzenden der Bezirksplankommission, Andreas Mauksch, geleitet. Zum Leitungsgremium gehörten ferner Herbert Wagner von der Gruppe der 20, die Stellvertreter der Vorsitzenden der Räte der Bezirke Karl-MarxStadt, Dieter Reißig, und Leipzig, Frieder Werner, sowie der stellvertretende Dresdner Oberbürgermeister, André Lang. Vereinbart wurde eine gemeinsame 714 715 716 717

Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 157–160. Lothar Späth. Zit. in Die Union vom 31.1.1990. Steffen Heitmann beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 11. Sitzung des ZRT am 5. 2.1990, Antrag der PDS: Kooperation DDR-BRD. Faksimile in: Thaysen, Der Zentrale Runde Tisch, S. 271. 718 BPA/DDR-Spiegel vom 31.1.1990 (KAS, Wiss. Dienste, Pressedok.). Vgl. Stuttgarter Zeitung vom 30.1.1990.

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Arbeit in Fachgruppen, die ihrerseits eigenständige Kooperationsstrukturen bilden und sich in Unter- bzw. Expertengruppen gliedern sollten. Die ebenfalls benannten Leiter der Fachgruppen hatten bis zum 15. Februar Mitglieder zu berufen, Zielstellungen zu formulieren und diese mit der Partnerseite abzustimmen. Die Anzahl der Mitglieder der Fachgruppen wurde auf zehn Personen je Seite festgelegt. Die Koordinierung der Aktivitäten erfolgte auf DDR-Seite unter Verantwortung der Stellvertreter der Vorsitzenden der Räte der Bezirke für territoriale Entwicklung, die auch die sächsischen Mitglieder beriefen.719 Nach der Unterzeichnung machte Späth eine Rundreise durch Sachsen, wo er überall von Menschenmassen umjubelt wurde.720 Ein kurzes Nachspiel im Stuttgarter Landtag hatte es, dass Späth mit dem Präsidenten des Dresdner Bezirkstages, Manfred Rentsch, eine Einladung zur Plenartagung des Landtages am 7. und 8. Februar durch den Landtagspräsidenten erörterte. Erich Schneider war über Späths Eigenmächtigkeit wenig erbaut und ließ mitteilen, Späth „möge den Präsidenten des Bezirkstages unmittelbar einladen“. Offensichtlich war man sich im Staatsministerium nicht ganz im Klaren darüber, warum es dem Landtagspräsidenten eines frei gewählten Parlamentes missfiel, Vertreter eines demokratisch nicht legitimierten Bezirkstages einzuladen, der Jahrzehnte nichts anderes war als ausführendes Organ der SED-Bezirksleitung,721 denn Rudolf Böhmler ließ mitteilen, er finde die „Zurückhaltung des Landtags ist nicht ganz verständlich“, da doch die Landtagsverwaltung über die angebliche Rolle des „Bezirkstages als oberstes politisches Machtorgan“ informiert worden sei. Böhmler schlug „in Anbetracht der zögerlichen Haltung des Landtages“ eine Einladung einer von Rentsch geleiteten Delegation durch Späth zum Plenum am 7. Februar „unter Einschluss der oppositionellen Gruppen“ vor.722 Am 7. Februar erklärte Späth in einer Regierungserklärung, seine Reise habe dem Zweck gedient, die Schwerpunkte der Zusammenarbeit seines Landes mit den Bezirken des früheren Landes Sachsen „in dem beschlossenen Rahmen festzulegen und die Entschlossenheit zu verdeutlichen, mit der wir unseren Beitrag zur Verwirklichung der Deutschen Einheit leisten wollen“. Nachdem bereits verschiedene konkrete Kooperationsprojekte ins Leben gerufen worden seien, gehe es nun um die Einrichtung eines Verbindungsbüros in Dresden und die Schaffung eines „komplexen Geflechtes verschiedenster interregionaler Beziehungen“ als Grundlage kommunaler und privater Kooperationskontakte, aber auch als Fundament für die Funktionsfähigkeit konföderativer Strukturen im Bund. Darauf, dass Späth die Entwicklung in Richtung deutsche Einheit we719 Vereinbarung über die Bildung einer Gemischten Kommission Land Baden-Württemberg, Bezirk Dresden, Bezirk KMS, Bezirk Leipzig vom 31.1.1990 (Dok. 5). Vgl. Häußer, Die Staatskanzleien, S. 132 f. 720 Interview Wolfgang Zeller. 721 So hatte der Bundestag immer Kontakte zur Volkskammer abgelehnt. 722 SMBW, Abt. V: Vermerk für den Herrn Ministerpräsidenten. Betr.: Einladung an den Präsidenten des Bezirkstages Dresden durch den Herrn Landtagspräsidenten vom 2. 2.1990 (SMBW, 0136 Partnerschaft mit Dresden/Sachsen).

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niger euphorisch denn als unausweichlich wertete, deutete seine Äußerung hin, man habe „gar keine andere Wahl, als diese Herausforderung als Ergebnis unserer gemeinsamen Geschichte anzunehmen“. Immerhin, so blieb er sich treu, berge die Entwicklung in der DDR „gewaltige Chancen“ und ein „gewaltiges Wirtschafts- und Nachfragepotential auch für unsere Firmen und Produkte“.723 Erwin Teufel erklärte zur Regierungserklärung, Baden-Württemberg sei sehr rasch und in Abstimmung mit dem Bund und anderen Ländern eine Partnerschaft mit Sachsen eingegangen. Er dankte der Landesregierung und allen Bürgern, die sich spontan bereit erklärt hatten, beim Aufbau Sachsens mitzuhelfen. Diese persönliche Hilfe sei neben dem Hilfsprogramm des Landes der „ganz entscheidende Punkt für die Landsleute in Sachsen“. Der Rat aus Baden-Württemberg sei erwünscht, die Hilfe werde als „Hilfe zur Selbsthilfe“ verstanden.724 Am Tag der Regierungserklärung und der parlamentarischen Debatte wurde beim Kombinat Robotron im Dresdner Stadtzentrum vom Minister für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie Baden-Württembergs, Hermann Schaufler, das angekündigte Kontaktbüro eröffnet. Leiter wurde der Pressesprecher des Wirtschaftsministeriums, Walter Rogg. Seine Aufgabe war die Beratung des Mittelstandes und die Vermittlung von Wirtschaftskontakten. Im selben Haus residierte die Landeskreditbank Baden-Württemberg. Schaufler kündigte auch für Karl-Marx-Stadt und Leipzig entsprechende Verbindungsbüros an, die Mitte März eingerichtet wurden.725 Sie organisierten in der Folgezeit die Kooperation zwischen rund 2 000 Betrieben aus Baden-Württemberg und Sachsen, zahlreiche Lehrgänge für Existenzgründer und in Sachen Unternehmensführung.726 Am 7. Februar führte das Staatsministerium ein erstes Informationsgespräch mit den baden-württembergischen Fachgruppenleitern der Gemischten Kommission. Dabei zeigten sich diese über das Interesse auf DDR-Seite erfreut, bemängelten aber „ein starkes Dresdener Übergewicht“. Versuche, einen paritätischen Ausgleich zu erreichen, würden von Dresden aber akzeptiert.727 Nach der Sitzung informierte Ernst Füsslin den Städte-, Gemeinde- und Landkreistag Baden-Württemberg darüber, dass „Maßnahmen des Wissenstransfers einen wesentlichen Schwerpunkt“ der künftigen Arbeit der Fachgruppe Kommunale Selbstverwaltung bilden und Vorrang bekommen werden.728 Auf einem deutschlandpoliti723 Regierungserklärung von Ministerpräsident Lothar Späth „Perspektiven der Deutschlandpolitik – die Zusammenarbeit Baden-Württembergs mit dem Raum Dresden“ vor dem Landtag von Baden-Württemberg am 7. 2.1990, S. 3, 44 u. 47 (HAIT, KA, V.1). 724 CDU-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg: Redeskizze des Fraktionsvorsitzenden, Erwin Teufel, in der Aussprache zur deutschlandpolitischen Regierungserklärung am 7. 2.1990 (ebd.). 725 RdB Dresden, Bezirksplankommission: Zwischenbericht zur Zusammenarbeit mit dem Land Baden-Württemberg, o. D. (HAIT, KA, V.2). Vgl. Stuttgarter Zeitung vom 10. 2. 1990; Interview Hubert Wicker; Die Union vom 20. 2.1990. 726 Sächsisches Tageblatt vom 21. 8.1990. 727 SMBW, Abt. V: Vermerk für den Ministerpräsidenten vom 13. 2.1990. Betr.: Besuch von Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer am 14./15. 2.1990 in Stuttgart, hier: Gemischte Kommission (SMBW, 0136, GK S/BW, Allgemeines). 728 IMBW, Ernst Füsslin vom 8. 2.1990 (ebd.).

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schen Kongress am 11. Februar in Stuttgart sprachen Späth und Berghofer über Fragen der Regionalpartnerschaft zwischen Sachsen und Baden-Württemberg, dabei unter anderem über eine geplante „Dresden-Stiftung“.729 In der Zeit von Mitte Februar bis Mitte März 1990 richtete Baden-Württemberg in den Bezirken Dresden, Leipzig und Chemnitz drei Verbindungsbüros für wirtschaftlich-technische Zusammenarbeit ein. Diese Büros wurden in Zusammenarbeit mit der Landeskreditbank, der Südwestdeutschen Landesbank und den Kammern betrieben. Die direkte Beratung wurde vor allem von mittelständischen Unternehmen in Anspruch genommen. In Zusammenarbeit mit dem Korrespondenzbüro der Gesellschaft für Internationale Wirtschaftliche Zusammenarbeit (GWZ) in Stuttgart wurden nahezu 3 000 kooperationsinteressierten Unternehmen Kontakte vermittelt. Die Gesamtzahl der gespeicherten Kooperationsangebote und -wünsche betrug etwa 3 700. Dabei reichte die Palette der Kooperationswünsche von Baumärkten über Speditionen bis zu Haushaltsgeschäften. Aber auch Selbständige und Direktoren ehemaliger VEB wandten sich mit Unterstützungs- und Kooperationswünschen an die Verbindungsbüros. Über Baden-Württembergs Landesgrenzen vermittelten diese sogar Anfragen in die Partnerregionen Rhone-Alpes, Katalonien, die Lombardei und die Nachbarregionen Elsass und Schweiz.730 Der offensive Ausbau der Kontakte war, wie bereits erwähnt, nur möglich, weil es weniger Vorbehalte hinsichtlich einer Kooperation mit dem DDR-Staatsapparat gab als in Bayern. So hatte Schaufler, der mit einer 180köpfigen Wirtschaftsdelegation nach Dresden reiste, kein Problem, gemeinsam mit Mauksch vor der Presse zu bilanzieren, man sei sich in den Gesprächen „nahegekommen“.731 Als Späth bei der Unterzeichnung der Vereinbarung über die Gemischte Kommission in Dresden auch mit Vertretern der Bürgerbewegung zusammentraf, kritisierten diese allerdings, dass „die alten SED-Kader“ den Kontakt nach Baden-Württemberg zur eigenen Profilierung als „kompetente Reformer“ nutzten und sich mit Stuttgarter Unterstützung „unverhohlen als Aspiranten für eine künftige sächsische Landesregierung ins Spiel“ brächten. Heitmann erklärte: „Herr Ministerpräsident, wir sind Ihnen für Ihren Einsatz und Ihre Hilfe sehr dankbar. Aber jene Leute, mit denen Sie hier überwiegend sprechen und zu tun haben, besitzen keine Legitimation außer ihrer eigenen.“732 Vaatz berichtete, dass er Späth „von Anfang an immer gesagt“ habe, „das ist der falsche Mann, das ist der falsche Mann, das ist der falsche Mann“. Späth habe dennoch auf sie gesetzt und sei „regelmäßig reingefallen“.733 In der Tat hinderten die Einwände Späth nicht, sich weiterhin vor allem auf Vertreter des bereits zur Ver729 Ausführliche Akten Stiftung Dresden bzw. Stiftung Sachsen in: SMBW 0136 Stiftung Dresden/Stiftung Sachsen. Vgl. dpa vom 14. 2.1990. 730 Abschlussbericht der GK S / BW. Hilfsmaßnahmen Baden-Württembergs für Sachsen (1990/1991) (SMBW, 0136, GK S/BW, Allgemeines). 731 Die Union vom 3. 2.1990. 732 Zit. in Mengele, Wer zu Späth kommt, S. 193 f. 733 Interview Arnold Vaatz am 21. 6. 2000.

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schrottung freigegebenen Staatsapparates zu stützen. Für ihn wie für andere bundesdeutsche Politiker waren bislang alle Verhandlungspartner für Verträge oder Abkommen mit der DDR aus dem Staatsapparat gekommen. Mit der friedlichen Revolution änderten sich die politischen Verhältnisse nun rascher als eingefahrene Verhaltensmuster, und Vertreter neuer politischer Gruppen wie Rößler, Heitmann oder Vaatz machten die Erfahrung, dass sich bundesdeutsche Landespolitiker auch während des Umbruchs in der DDR weiterhin „zuerst immer an die Etablierten“ hielten.734 Vaatz nannte das „Augenklimpern mit den Machthabern“ eine „baden-württembergische oder genauer genommen schwäbische Spezialität“.735 Späth setzte aber nicht nur aus Routine „auf erfahrene Profis“ aus dem Staatsapparat, sondern hatte vorrangig die wirtschaftliche Lage im Blick. Mengele zitiert ihn mit den Worten: „Was sollen wir tun, sollen wir mit unserer Hilfe zuwarten, oder sollen wir rasch vieles in Angriff nehmen, zusammen mit den etablierten Kräften?“736 Nach Meinung des späteren Koordinators der Aktivitäten Baden-Württembergs in Sachsen, Thomas Hirschle, entsprach es nicht nur dem Naturell des Schwaben Späth, sondern seiner Landsleute generell, „ganz pragmatisch“ an die Geschichte heranzugehen: „Wir konnten dort nicht durch die Straßen gehen und Gesprächspartner suchen. Wir mussten einfach bei aller Vorsicht zunächst mal mit den Leuten, die da waren, die Kontakte aufnehmen.“737 Späths Fehler, so die Einschätzung des späteren Stuttgarter Verbindungsmannes in Dresden, Hubert Wicker, sei es gewesen, dass er Modrow und Berghofer „als klasse Typen“ ansah und „rein machtpolitisch“ dachte, dass diese ihr Handwerk kennen würden. Deswegen habe man auf sie gesetzt.738 Auch Bernd Herzer, später für die Bildung des sächsischen Innenministeriums zuständig, meint, dass die Herangehensweise in Stuttgart zunächst von der Überlegung bestimmt war, in der DDR „kein Vakuum entstehen“ zu lassen. Hier war man überzeugt, dass die alten Strukturen während einer Übergangsphase eingebunden werden müssten. Deswegen habe man es nie als einen Widerspruch empfunden, sowohl mit den neuen als auch mit den alten Kräften zusammen zu arbeiten. Man habe es für selbstverständlich gehalten, dass „ein Gebilde mit 17/18 Millionen Menschen nicht von heute auf morgen, ohne Verwaltung, ohne Administration, im luftleeren Raum sich selbst überlassen bleiben“ könne. Das habe auch die moralische Begründung dafür geliefert, keine Bedenken zu haben, mit allen die dort tätig waren zusammen zu arbeiten. Ohnehin sei es für West-Berater oft schwierig gewesen, die Leute zuzuordnen, war doch für sie oft „in keiner Weise erkennbar, wer wohin gehört“.739 Außerdem seien ihm „Leute wie die Lotze und einige dieser Altersgruppe, die am An734 Interview Matthias Rößler. In: Kleimeier, Sachsen, S. 90. Vgl. Interview Arnold Vaatz, ebd., S. 106 f. 735 Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 736 Mengele, Wer zu Späth kommt, S. 193 f. 737 Interview Thomas Hirschle. 738 Hubert Wicker beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 739 Bernd Herzer beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002.

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fang mitgewirkt haben, menschlich und persönlich durchaus integer erschienen“ und er habe „mit denen gut zusammengearbeitet“. Umgekehrt habe er „bei eindeutig der Bürgerrechtsbewegung zuzuordnenden Leuten persönlich manchmal Schwierigkeiten“ gehabt.740 Zu Späths Pragmatismus gehörte es in den Zeiten des Umbruchs freilich ebenso, Vertreter der neuen politischen Kräfte einzubeziehen. Man konzentrierte sich einerseits auf den „natürlichen Gesprächspartner“, das heißt die bestehenden Verwaltungen, besprach die Vorhaben aber auch mit Oppositionellen, obwohl man von deren Kompetenz nicht recht überzeugt war. Die westlichen Partner, so räumt auch Vaatz ein, wussten „ja erst einmal gar nicht, was wir wollten: Wollten wir uns in erster Linie einmal im Westen amüsieren, wollten wir die Freiheit genießen und einmal zum Beispiel nach Italien fahren, das wäre die eine Variante gewesen, oder hatten wir uns tatsächlich vorgenommen, dort weiter am Drücker zu bleiben. Und was hatten wir überhaupt für Grundlagen: Gar keine. Keine Kenntnisse über die gesetzliche Lage, nichts.“741 Eine Barriere im Umgang mit den revolutionären Kräften in Dresden war auch deren rigorose Abrechnung mit den Vertretern des bisherigen Regimes, die für einige Baden-Württemberger so nicht nachvollziehbar war.742 Hinzu kam, dass sich die Situation in Dresden von den anderen, auch sächsischen, Bezirken, wo es kaum Einwände dagegen gab, die Länder unter Federführung der Räte der Bezirke zu bilden, unterschied. Daher hatte auch die baden-württembergische Seite keine Probleme damit, dass die gemeinsame Arbeit in der Gemischten Kommission die Bezirksapparate stabilisierte und dem Ziel des Rates des Bezirkes Dresden entgegenkam, sich als „Vor-Landesregierung“ zu profilieren.743 Genau das aber wollten und konnten die neuen politischen Kräfte um Arnold Vaatz in Dresden nicht akzeptieren. Hier hegte man Erwartungen an die Politiker aus dem Westen, die weit über eine projektbezogene Hilfe hinausgingen. „Es ließ sich erahnen“, so Mengele, „dass es letztlich um den Machtwechsel ging.“ Die neuen politischen Kräfte sahen sich auf einem Weg „an dessen Ende sie auf einen vollständigen politischen Neubeginn hofften“ und bei dem sie auf die Westler als Bündnispartner setzten.744 Wie Mengele im Staatsministerium Späth motivierte, die neuen Kräfte stärker zu unterstützen, so war auch der CDU-Fraktionsvorsitzende im Stuttgarter Landtag, Erwin Teufel, von der Sonderrolle und Bedeutung der neuen politischen Kräfte Dresdens für die kommende Entwicklung in Sachsen überzeugt. Teufel startete, so Rößler, „massiv Initiativen“, um diese „ganz anders in dieser Gemischten Kommission zum Zuge“ kommen zu lassen.745 Er, so auch Helmut

740 741 742 743 744 745

Interview Bernd Herzer. Interview Arnold Vaatz. In: Kleimeier, Sachsen, S. 106 f. Interview Bernd Herzer. Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 46 u. 157–160. Mengele, Wer zu Späth kommt, S. 193 f. Interview Matthias Rößler. In: Kleimeier, Sachsen, S. 91.

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Münch, war der erste, der „voll auf die neuen Kräfte“ setzte.746 Auch Rau wirkte in diese Richtung und wies Späth am 5. März darauf hin, dass die badenwürttembergische Hilfe nicht „die falschen Empfänger“ in der DDR stärken dürfe, nämlich jene Kräfte, „die noch der alten Zeit zuzurechnen“ seien. Man sollte mehr auf die neuen politischen Kräfte setzen.747 Trotz der Auffassungsunterschiede konnte, so Teufel, von einem Dissens zwischen ihm und Rau keine Rede sein.748 Auch Volker Rühe unterstützte die neuen demokratischen Kräfte von Anfang an. „Der“, so Rößler, habe ebenfalls „nicht einen Gedanken daran verschwendet, dass man sich in irgendeiner Weise mit unglaubwürdigen Personen und alten Strukturen einlassen muss. Der war der konsequenteste.“749 Im Februar und im Vorfeld der Märzwahl nahmen bereits einige Fachgruppen der Gemischten Kommission ihre Arbeit auf. Von Anfang an fiel auf, dass die baden-württembergische Seite die Fachgruppen mit hochrangigen Ministerialbeamten und Fachleuten besetzte, während die sächsische Seite lediglich Mitarbeiter aus dem Apparat der Räte der Bezirke aufbieten konnte, zunehmend ergänzt durch Vertreter der neuen politischen Kräften. Dadurch gab es einen erheblichen Qualifikationsunterschied, der sich noch verstärkte, da die Mitglieder auf sächsischer Seite, bedingt durch die rasante politische Entwicklung, zu einem nicht unerheblichen Teil ständig wechselten. Am 23./24. Februar hielt sich eine Delegation aus Baden-Württemberg im Bezirk Leipzig auf, umgekehrt lud Späth eine Delegation des Rates und des Runden Tisches des Bezirkes Leipzig für die Zeit vom 5. bis 7. März nach Stuttgart ein.750 Am 28. Februar beschloss der Rat des Bezirkes Dresden, den Ausbau der Zusammenarbeit mit Baden-Württemberg und Bayern künftig gemeinsam mit den anderen sächsischen Bezirken zu koordinieren, den Präsidenten des Bezirkstages und den Runden Tisch des Bezirkes regelmäßig über die Zusammenarbeit mit den anderen Bezirken und den bundesdeutschen Ländern zu informieren und Formen der Mitarbeit anzubieten.751 Um die Kooperation der unterschiedlichen Gremien zu lenken, schlug der Vorsitzende des Rates des Bezirkes Dresden, Kunze, am 2. März die „Errichtung von Verbindungsbüros zur Zusammenarbeit der territorialen Verwaltungsstrukturen der DDR mit den Ländern der Bundesrepublik“ vor,752 eine Idee, die freilich nie realisiert wurde.

746 Interview Helmut Münch. In: ebd., S. 80. 747 CDU-Bezirksvorsitzender Südbaden an den Vorsitzenden des CDU-Landesverbandes Baden-Württemberg vom 5. 3.1990 (SMBW, I 0136/II). 748 Erwin Teufel an den Autor vom 10.1. 2003. 749 Interview Matthias Rößler. In: Kleimeier, Sachsen, S. 91. 750 Beschlussprotokoll der Sitzung des RdB Leipzig vom 22. 2.1990 (SächsStAL, BT/RdB, 21313). 751 Beschluss des RdB Dresden 41/90 vom 28. 2.1990: Verfahrensweisen zu Fragen der Zusammenarbeit mit der BRD (SächsHStA, BT/RdB, 47119/2, Bl. 164–166); RdB Dresden, Bezirksplankommission: Zwischenbericht zur Zusammenarbeit mit dem Land Baden-Württemberg, o. D. (HAIT, KA, V.2). 752 Michael Kunze an Peter Moreth vom 2. 3.1990 (BArch B, DO 5, 17).

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Nach ihrer Gründungstagung kam die Gemischte Kommission am 9. März, gut anderthalb Wochen vor den ersten freien Wahlen, im Gästehaus des Rates des Bezirkes Dresden im Kurort Gohrisch in der Sächsischen Schweiz zu ihrem zweiten Treffen zusammen. Hier diskutierten die Fachgruppen Verwaltungsund Verfassungsfragen und berichteten über ihre Projekte, die im Wesentlichen auf Hilfsangeboten Baden-Württembergs basierten.753 Angesichts der Vorwürfe einer einseitigen Bevorzugung der Räte hatte Mengele Heitmann und Vaatz gebeten, in Gohrisch teilzunehmen. Hier machte letzterer keinen Hehl aus seiner Abneigung gegen die „vorbelasteten Teilnehmer“ der Runde. Darüber geriet Klaus Schumann, im Rat des Bezirkes Dresden für Kultur zuständig, in Rage und erklärte Vaatz gegenüber: „Sie gehören diesem Gremium doch gar nicht an, deshalb sollten Sie sich zurückhalten.“ Vaatz konterte: „Und wenn Sie hier offiziell auftreten, dann fragen Sie sich doch, was Sie dazu überhaupt berechtigt. Ihre Legitimation rührt nämlich aus Verhältnissen her, die wir ja nun ändern wollen.“754 Der Konflikt zwischen beiden hatte hier seine Wurzeln und war mit dem kurzen Schlagabtausch keinesfalls beendet. In Stuttgart förderte er die Einsicht, dass es bei der Zusammensetzung der Fachgruppen auf sächsischer Seite künftig erforderlich sei, „verstärkt auf die Berücksichtigung des Demokratisierungsprozesses zu drängen“ und eine angemessene Beteiligung der maßgeblichen Parteien einzufordern.755 Während der baden-württembergischen Seite klar wurde, dass viele ihrer bisherigen Partner nach freien Wahlen in der politischen Versenkung verschwinden würden, forderte der Vorsitzende des Rates des Bezirkes Dresden, Michael Kunze, dessen Tage in politischen Ämtern ebenfalls längst gezählt waren, die Ratsvorsitzenden müssten ihre Interessen Späth gegenüber künftig geschlossener durchsetzen.756 In Gohrisch teilte die baden-württembergische Seite mit, dass die Ausarbeitung eines Mittelstandsförderungsprogramms zur Förderung privater Existenzgründungen vor dem Abschluss stehe. Dank der Mittel aus diesem Programm sei bereits ab Ende März die Gründung mittelständischer Betriebe möglich. Außerdem stehe nach der Eröffnung des Verbindungsbüros für die wirtschaftliche und technische Zusammenarbeit die Einrichtung weiterer Kontaktstellen in Karl-Marx-Stadt am 13. März und in Leipzig am 15. März bevor.757 Am 7. März 753 RdB Dresden, Abteilung Internationale Zusammenarbeit: Programm für Beratung der GK S/BW am 9. 3.1990 (HAIT, KA, V.2); Hans-Peter Mengele an Andreas Mauksch vom 22. 3.1990 (ebd.); Bericht des Staatsministeriums Baden-Württemberg über die 2. Sitzung der GK S/BW am 9. 3.1990 in Dresden/Gohrisch (Dok. 18); RdB Dresden, Bezirksplankommission. Information zur Zusammenarbeit der GK S / BW vom 13. 3. 1990 (SächsHStA, BT/RdB, 47120). 754 Mengele, Wer zu Späth kommt, S. 204 f. 755 Bericht des SMBW über die 2. Sitzung der GK S/BW am 9. 3.1990 in Dresden/Gohrisch (Dok. 18). 756 Information und Festlegungen des Vorsitzenden des RdB Dresden zur Umsetzung der Beratung zwischen den drei Vorsitzenden der RdB Sachsens am 9. 3.1990 vom 12. 3.1990 (Dok. 19). 757 Information des RdB Dresden über die Arbeit der GK S/BW vom 13. 3.1990 (Dok. 21).

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hatte Teufel Späth darüber informiert, dass die Angebote des Landes für die Hilfe in Sachsen, aber auch die Angebote von Bund und Land zur Neustrukturierung der Wirtschaft bisher nicht griffen. Andererseits sei die Außenstelle BadenWürttembergs in Dresden außerordentlich stark gefragt. Täglich kämen bis zu 150 Besucher, um sich von den Vertretern des Wirtschaftsministeriums bzw. der Landeskreditbank beraten zu lassen. Daher seien ähnliche Büros auch in KarlMarx-Stadt und Leipzig notwendig.758 Bereits eine Woche später wurde ein weiteres Verbindungsbüro im Gebäude des Rates des Bezirkes Karl-Marx-Stadt eröffnet. Aus diesem Anlass, und um Wirtschaftskontakte zu entwickeln sowie Möglichkeiten der Zusammenarbeit auf den Gebieten Wirtschaft, Bauwesen, Landwirtschaft, Dienstleistungen und Touristik zu erkunden, besuchte Minister Schaufler am 12./13. März mit 250 Wirtschaftsvertretern den Bezirk Karl-MarxStadt.759 „Der Spiegel“ kommentierte das baden-württembergische Vorgehen in Sachsen. Mit der Gründung von gleich „drei schwäbischen Gesandtschaften“ habe Späth „einen Startvorteil herausgeholt“. Ein Beamter im niedersächsischen Wirtschaftsministerium habe „neidvoll“ bemerkt, dass sich die anderen Länder um die sozialen Probleme kümmern, Müllwagen und Behindertentaxis schickten, während die Baden-Württemberger sich der Wirtschaft in der DDR annähmen und „dabei ihren Schnitt mach[t]en“.760 Bereits ein genauerer Blick auf die Bildung und ersten Arbeitsschritte der zunächst acht Fachgruppen straft diese Polemik freilich Lügen.761 Nach einer Auftaktberatung der sächsischen Seite am 26. Februar fand die konstituierende Sitzung der Fachgruppe Wirtschaft, Technologie, Handwerk und Management am 21./22. März in Stuttgart statt.762 Sie wurde paritätisch geleitet durch Ministerialrat Hans-Jürgen Lux vom baden-württembergischen Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie sowie vom Leiter der in „Amt für Raumordnung und Regionalentwicklung“ umbenannten Bezirksplankommission des Rates des Bezirkes Dresden, Andreas Mauksch. Ihre Ziele waren gegenseitige Informations- und Besuchsaufenthalte, die Unterstützung bei der Qualifizierung von Unternehmensgründern, die Anbahnung von Wirtschaftskooperationen und Technologietransfers im mittelständischen Bereich und in der Energiewirtschaft, die Förderung von Wirtschaftskammern, Unterstützung bei der Entwicklung der Energiewirtschaft, Vereinbarungen über materielle und fi758 Erwin Teufel an Lothar Späth vom 5. 3.1990 (SMBW, 0136 Partnerschaft mit Dresden/ Sachsen). 759 Operativ-Meldung des Vorsitzenden des RdB KMS an Ministerpräsident Hans Modrow vom 14. 3.1990 (BArch B, DC 20, 11957). Vgl. Interview Hermann Schaufler. In: Die Union vom 14. 3.1990. 760 Der Spiegel vom 19. 3.1990. 761 Zu den einzelnen FG vgl. Pressemitteilung des SMBW über das baden-württembergische Hilfsprogramm für Sachsen vom 27. 3.1990 (Dok. 30). Zur weiteren Arbeit der FG bis Ende 1990 sowie zur Bildung weiterer FG siehe Kap. 5.3.7. Die Schreibweise der Gemischten Kommission Sachsen/Baden-Württemberg ist uneinheitlich. Die Aktenlage zu den einzelnen Fachgruppen ist unterschiedlich dicht. 762 Information zum Stand der Arbeit der FG „Wirtschaft, Technologie, Handwerk und Management“, o. D. (HAIT, KA, V.3, 1).

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nanzielle Hilfen sowie ein Austausch von Fachleuten. Dazu wurden die Untergruppen „Mittelstandsförderung und Firmenkontakte“, „Management“, „Energie“, „Handwerk“ und „Wirtschaftsorganisation“ gebildet. Am 23. Februar schlug das Mitglied des Rates des Bezirkes Dresden für Verkehrswesen die Bildung einer entsprechenden Unterarbeitsgruppe vor.763 Bereits im Vorfeld der Bildung besuchte vom 19. bis 22. Februar eine Expertengruppe „Energie“ der drei sächsischen Räte der Bezirke Baden-Württemberg.764 Ihr gehörten die stellvertretenden Vorsitzenden der Räte der Bezirke für Energie und Direktoren von Staatsbetrieben der Energiebranche an. In Stuttgart vereinbarten diese mit badenwürttembergischen Unternehmern wirtschaftliche Kontakte, in deren Realisierung auch „Vertreter der basisdemokratischen Parteien und Gruppierungen“ einbezogen werden sollten.765 Seit März unterhielt das baden-württembergische Wirtschaftsministerium Kontakte mit der Bezirksverwaltung Dresden, die als „federführende Verwaltung“ der sächsischen Bezirke beim Aufbau der staatlichen Struktur Sachsens angesehen wurde.766 Die Fachgruppe Soziales, Gesundheit und Arbeit konstituierte sich am 8. bis 10. März in Stuttgart. Leiter wurden Ministerialrat Wolfgang Zeller vom badenwürttembergischen Ministerium für Arbeit, Gesundheit, Familie und Sozialordnung sowie der Dresdner Bezirksarzt, Professor Jürgen Kleditzsch. Zeller hatte neben seiner offiziellen Aufgabe eine Art „Sonderauftrag“ von der Staatsregierung, bei Katastrophen und Ähnlichem aktiv zu werden. Zwar wurde der Umbruch in der DDR „nicht gerade als Katastrophe eingestuft“, aber doch gesehen, dass es im Gesundheitsbereich gravierende Veränderungen und zum Beispiel eine Fluchtwelle von Ärzten und Krankenhauspflegepersonal Richtung Westen geben werde. Zeller war deswegen bereits im November 1989 von Späth beauftragt worden, nach Sachsen zu gehen, um Hilfsmaßnahmen zu organisieren.767 Bei der Gründung wurde der zunächst nicht vorgesehene Aufgabenbereich „Arbeit“ mit in den Namen aufgenommen und die Bildung der fünf Expertengruppen „Partnerschaften im Gesundheitswesen und Gerätehilfe“, „Wirtschaft/Industrie“, „Verbände“, „Weiterbildung/Informationsaustausch“ und „Verwaltungsaufbau“ vereinbart.768 Die 763 RdB Dresden: Hausmitteilung von Peter Franke an Dieter Bellmann vom 23. 2.1990 (ebd., 13). 764 Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie Baden-Württemberg: Programm für Besuch einer Expertengruppe „Energie“ aus Sachsen in Baden-Württemberg vom 19.–22. 2.1990 (ebd.). 765 RdB KMS, Stellvertretender Vorsitzender für Energie: Bericht über den Besuch einer Expertengruppe Energie im Rahmen der FG Wirtschaft, Technologie, Handwerk und Management des Wirtschaftsministeriums Baden-Württemberg und des zukünftigen Landes Sachsen vom 20.–22. 2.1990 in Stuttgart (ebd., 1). 766 MWMTBW an Lorenz Menz vom 31. 5.1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). 767 Interview Wolfgang Zeller. 768 Ergebnisprotokoll der konstituierenden Sitzung der FG „Soziales, Gesundheit und Arbeit“ der GK S / BW am 10. 3.1990 (HAIT, KA, V.3, 2); RdB Dresden, Abteilung Gesundheits- und Sozialwesen: Ergebnisse und Festlegungen der Beratung der Gemeinsamen FG Baden-Württemberg/Sachsen „Gesundheit, Soziales und Arbeit“ am 8.–10. 3. 1990 in Stuttgart (ebd.).

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Fachgruppe traf sich alle sechs Wochen abwechselnd in Sachsen und BadenWürttemberg und beschloss am 10. März ein Arbeitsprogramm, in dem betonte wurde, dass einer schnellen Lösung der innerdeutschen Probleme höchste Priorität zukomme. Als eine ihrer wichtigsten Aufgaben wurde die „Erarbeitung von Eckwerten für die politische Entscheidungsebene“ angesehen. Beide Seiten vereinbarten den Austausch von Informationen in den Bereichen „Soziales“, „Gesundheit“ und „Arbeit“ sowie Maßnahmen wie den Austausch von Ärzten, die Entsendung pensionierter Chefärzte, Spenden von Medikamenten, Verbrauchsmaterial und Geräten, die Förderung sozialer Hilfen und Dienste sowie die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Rettungswesens. Hinzu kamen Sonderaktionen wie eine Goodwill-Aktion der Handwerkskammer Baden-Württemberg zur Renovierung von Altenpflegeheimen und Behinderteneinrichtungen sowie private Paketaktionen für Alleinstehende.769 Die Fachgruppe Umweltschutz konstituierte sich am 14./15. Februar in Dresden und traf sich am 3. März zu einer ersten Besprechung in Stuttgart. Sie bestand aus fünf Vertretern des Landes Baden-Württemberg, den Ratsmitgliedern für Umweltschutz und Wasserwirtschaft der drei sächsischen Bezirke sowie Mitgliedern von Bürgerrechtsgruppen, darunter der „Grünen Liga“. Leiter auf sächsischer Seite wurde Jörg Wildoer (DFP) sowie als sein Stellvertreter das Dresdner Ratsmitglied für Umweltschutz und Wasserwirtschaft, Peter Götze (DBD), von baden-württembergischer Seite der Ministerialrat im Umweltministerium, Gerhard Haag.770 Ziele waren die Steuerung und Koordinierung umweltpolitischer Aktivitäten, die Förderung des Erfahrungsaustauschs, eine Zusammenarbeit bei der Lösung von Umweltproblemen, die technische Unterstützung der künftigen sächsischen Landesverwaltung für Umwelt und ein Personalaustausch. Schon bei der ersten Zusammenkunft wurde auch hier konkrete materielle Hilfe aus Baden-Württemberg vereinbart.771 Die Umweltkooperation startete nicht bei Null, sondern konnte auf einer Vereinbarung zwischen beiden deutschen Staaten vom 8. September 1987 sowie einer gemeinsamen Erklärung vom 6. Juli 1989 aufbauen. Schon damals war man im Westen davon ausgegangen, dass eine Verbesserung des Umweltschutzes in der DDR auch in bundesdeutschem Interesse liege. Auf Grundlage der bisherigen Kontakte hatte die Umweltministerkonferenz der Länder eine Arbeitsgruppe unter Vorsitz des Bundes eingesetzt, die angesichts der Veränderungen in der DDR neue Formen der Kooperation finden und durchsetzen sollte. Diese Arbeitsgruppe hatte als Clearingstelle von Bund und Ländern im Dezember 1989 und im Januar 1990 getagt. Späth hatte bei seinem Besuch in Dresden am 10. Dezember 1989 Hilfen seines Landes in Sachen Umweltschutz angeboten und dies 769 Arbeitsprogramm für den Fachausschuss „Soziales, Gesundheit und Arbeit“ der GK S/ BW, o. D. (ebd.). 770 GK S/BW, FG Umweltschutz: Protokoll der Beratung am 14. 2.1990 in Dresden (ebd., 3). RdB Dresden an Chefredakteure und Leiter der bezirklichen Publikationseinrichtungen vom 16. 2.1990 (ebd.). 771 Information des RdB Dresden über die Arbeit der GK S/BW vom 13. 3.1990 (Dok. 21).

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bei seinem Besuch am 30. Januar 1990 konkretisiert. Baden-Württemberg baute seitdem seine Kontakte mit Sachsen Schritt für Schritt aus und stellte den Umweltinspektionen Dresden, Karl-Marx-Stadt/Chemnitz und Leipzig sowie anderen Einrichtungen des Umweltschutzes in Vorbereitung der Übernahme des Bundesemissionsschutzgesetzes umfangreiche Gerätschaften kostenlos zur Verfügung. Die Fachgruppe Finanzen und Kreditwesen konstituierte sich am 15. März in Stuttgart. Von DDR-Seite waren vorwiegend die entsprechenden Mitglieder der Räte der Bezirke und Leitungen der Staatsbank in den Bezirken anwesend. Man einigte sich, die Fachgruppe künftig in Untergruppen für „Finanzen“ und „Kreditwesen“ aufzuteilen. Aufgabenschwerpunkt war die Vermittlung von Basiswissen in den Bereichen Steuern, Finanzen und Haushalts- sowie Kreditwesen.772 Die Fachgruppe wurde von Ministerialdirigent Dieter Riempp aus dem badenwürttembergischen Finanzministerium und für den Bereich Kreditwesen vom Direktor der Landeskreditbank Baden-Württemberg, Rolf Hohenleitner, geleitet. Die DDR-Seite wurde durch das Mitglied für Finanzen des Rates des Bezirkes Dresden, Manfred Hacker, vertreten. Die Fachgruppe Fremdenverkehr war bereits am 30. Januar zur ersten Beratung zusammengekommen. Von sächsischer Seite wurde die Zusammenarbeit durch die Ratsbereiche Tourismus sowie Handel und Versorgung organisiert. Der Fachgruppe stand der Leitende Ministerialrat im Baden-Württembergischen Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie, Klaus Esslinger, sowie die Stellvertretende Vorsitzende des Rates des Bezirkes Dresden für Handel, Helga Nosseck, vor. Neben sechs Vertretern der Räte der Bezirke und fünf weiteren Vertretern staatlicher Betriebe und Einrichtungen kam zunächst nur ein Teilnehmer aus einer neuen Gruppierung.773 Am 6. und 7. Februar tagten die zwei Untergruppen „Touristik/Transport“ und „Dienstleistungen/Handel“,774 am 27. Februar folgte eine Beratung der Vertreter der drei Bezirke zum Arbeitsprogramm der Fachgruppe und zur Vorbereitung eines Besuches in Baden-Württemberg Mitte März. Ziel war der Ausbau des Reiseverkehrs und der Partnerschaftsbeziehungen zwischen Städten, Kommunen, Verbänden, Betrieben und anderen Einrichtungen, die Entwicklung des kommerziellen Tourismus, Weiterbildungsmaßnahmen, eine Erweiterung des Angebots an Auto-Campingmöglichkeiten durch den gemeinsamen Ausbau von Zeltplätzen in und um Dresden, die Neuschaffung bzw. der Ausbau von Hotels, eine „rasche technischorganisatorische Realisierung des Angebots für Sachsen, 1 000 Stellflächen auf 772 Landeskreditbank Baden-Württemberg: Ergebnisprotokoll über die konstituierende Sitzung der FG Finanzen und Kreditwesen der GK S / BW am 15. 3.1990 in Stuttgart (SMBW, 0136, GK S/BW, FG Finanzen und Kreditwesen). 773 RdB Dresden, Stellv. des Vors. für Handel u. Versorgung, Mitglied des Rates für Tourismus und internationale Zusammenarbeit: Arbeitsprogramm der FG Fremdenverkehr im Rahmen der GK S/BW vom 22. 2.1990 (HAIT, KA, V.3, 5). 774 RdB Dresden, Stellv. des Vors. des Rates für Handel und Versorgung: Kurzeinschätzung zum Stand der Kontaktaufnahme zu Partnern der BRD vom 26. 2.1990 (ebd.).

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‚azur‘-Campingplätzen in der BRD, Österreich und Italien für 14,--M/Tag und Familie zu nutzen“, die Unterstützung beim Ausbau der Schnellgastronomie durch Ausrüstung und Know-how, die Abstimmung differenzierter Schulungsmöglichkeiten für Jungunternehmer auf dem Gebiet der Gastronomie und der Reiseagenturen sowie die Vermittlung von Informationen für Kommunen über eine effektive Entwicklung des Tourismus.775 Bereits Ende Januar 1990 hatte sich der Gemeindetag Baden-Württemberg an die Bürgermeister von kreisangehörigen Städten und Gemeinden in den drei sächsischen Bezirken gewandt und die Vermittlung von Kontakten zu Kommunen, Vereinen und Verbänden zwecks Hilfen beim Aufbau einer kommunalen Selbstverwaltung angeboten.776 Am 2. Februar beschloss der Rat des Bezirkes Dresden daraufhin einen „Orientierungsrahmen für die Anbahnung und Gestaltung kommunaler Partnerschaften“, deren Koordinierung in den Händen des Fachorgans Tourismus und Internationale Beziehungen lag.777 Nach einer Vorbesprechung mit dem baden-württembergischen Innenministerium tagte der sächsische Teil der Fachgruppe Kommunale Partnerschaften am 9. Februar in Dresden. Ihr Leiter war der Sekretär des Rates des Bezirkes Dresden, Herbert Göpfert. Der sächsischen Seite gehörten acht Vertreter der Räte der Bezirke, vor allem aus den Bereichen „Internationale Beziehungen“, die Mitglieder des Gründungsausschusses des Sächsischen Gemeindetages, Franz Richard und Detlef Dix, sowie Hans Geisler für den Demokratischen Aufbruch an.778 Leiter der baden-württembergische Seite war der Ministerialrat im Stuttgarter Innenministerium, Ernst Füsslin. Im Laufe des Februars gab es erste bilaterale Beratungen.779 Die Koordinierung der Arbeit erfolgte bei einer Zusammenkunft am 5./6. März in Baden-Württemberg.780 Leiter der aus fünfzehn ständigen Mitgliedern bestehenden Fachgruppe Kultur waren für Baden-Württemberg Ministerialrat Hans-Dieter Schmidt und für die DDR das Mitglied des Rates des Bezirkes Dresden für Kultur, Klaus Schumann.781 Am 15. und 16. Februar hielt sich erstmals eine Studiendelegation aus Vertretern der Räte und Runden Tische der drei sächsischen Bezirke in Stuttgart auf und besprach mit dem Minister für Wissenschaft und Kunst, Professor

775 Information des RdB Dresden über die Arbeit der GK S/BW vom 13. 3.1990 (Dok. 21). 776 Gemeindetag Baden-Württemberg an die Bürgermeister von Städten und Gemeinden in den Bezirken Dresden, Leipzig und KMS vom 30.1.1990 (HAIT, KA, V.3, 6). 777 Beschluss des RdB Dresden 21/90 vom 2.2.1990 (SächsHStA, BT/RdB, 47118, Bl. 010). 778 RdB Dresden: Festlegungsprotokoll über die Beratung der FG Kommunale Beziehungen für die Zusammenarbeit Sachsen / Baden-Württemberg am 9. 2.1990 in Dresden (HAIT, KA, V.3, 6). 779 RdB Dresden, Bezirksplankommission: Zwischenbericht zur Zusammenarbeit mit dem Land Baden-Württemberg (ebd., V.2). 780 RdB Dresden: Festlegungsprotokoll über die Beratung der FG Kommunale Beziehungen der GK S/BW am 9. 2.1990 in Dresden (ebd., V.3, 6). 781 RdB Dresden, Abteilung Kultur: Aktennotiz über die Beratung zur Bildung der gemeinsamen Fachkommission Kultur Baden-Württemberg/Sachsen am 30.1.1990 (ebd., 7).

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Helmut Engler, die künftigen Aufgaben und Strukturen der Fachgruppe,782 deren Konstituierung am 1./2. März in Dresden folgte.783 Am 24. bis 27. März diskutierten ihre Mitglieder im Rahmen der Baden-Württembergischen Kleintheatertage in Heidelberg Themen der Theaterarbeit.784 Nach einer Informationstagung vom 18. bis 21. Februar in Stuttgart,785 bei der bereits eine Fülle Einzelmaßnahmen geplant wurde,786 erfolgte am 22. März unter paritätischer Leitung von Ministerialrat Karl-Heinz Kammerlohr vom baden-württembergischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst und Matthias Rößler vom Demokratischen Aufbruch für Sachsen die offizielle Konstituierung der Fachgruppe Wissenschaft und Bildung in Dresden.787 Die neuen politischen Kräfte hatten Rößler als Leiter durchsetzen können, ihm als Stellvertreter wurde der Dresdner Bezirksschulrat, Professor Manfred Hasler, zur Seite gestellt, der vor allem für organisatorische Fragen zuständig war. Mit ihm hatte Rößler jedoch „nie Probleme“.788 Von sächsischer Seite gehörten der Gruppe auch die Bezirksschulräte von Leipzig, Hans-Joachim Erdmann, und Karl-Marx-Stadt, Herbert Leicht, Vertreter von Hochschulen sowie neuer politischer Gruppen und Parteien an. Ziel war die Zusammenarbeit in allen Bereichen von Wissenschaft und Bildung, vor allem zwischen Schulen, Universitäten und Hochschulen, wissenschaftlichen Bibliotheken und Archiven, Einrichtungen der Erwachsenenbildung sowie Jugendpflege, Jugendarbeit und Sport. Als Maßnahmen zur Förderung der Zusammenarbeit wurden gegenseitige Informationsaufenthalte, Schulpartnerschaften einschließlich Schüleraustausch und Lehrerhospitation, die Zusammenarbeit im pädagogisch-fachdidaktischen und schulorganisatorischen Bereich, Lehrerfortbildungen, ein Austausch in Jugendpflege und -arbeit sowie von Gastprofessoren und anderen Wissenschaftlern, Managementkooperationen zwischen Hochschulen sowie materielle Hilfen für Schulen, Hochschulen und andere wissenschaftliche Einrichtungen geplant und durchgesetzt.789 782 Klaus Schumann an Andreas Mauksch vom 26. 2.1990: Einschätzung zum Stand der Kontaktaufnahme mit Bundesländern (ebd.). 783 SMBW, Büro Staatsrat für Kunst: Tätigkeitsbericht des Vorsitzenden der FG Kultur der GK S/BW für das erste Halbjahr 1990 vom 29. 6.1990 (SMBW, 0136 GK S/BW, FG Kultur). 784 Protokoll Theatertagung FG Kultur der GK S/BW vom 24.–27. 3.1990 in Heidelberg (HAIT, KA, V.3, 7). 785 Ergebnisprotokoll der Sitzung der Fachkommission Wissenschaft und Bildung vom 18.– 21. 2.1990 in Stuttgart (ebd., 8). Vgl. Manfred Hasler an Dieter Bellmann vom 26. 2. 1990 (ebd.). 786 Fachkommission Wissenschaft und Bildung vom 21. 2.1990: Einzelmaßnahmen Bereich Wissenschaft und Bildung (ebd.). 787 MWKBW an die Mitglieder der Fachkommission Wissenschaft und Bildung vom 10. 4. 1990, Anlage: Ergebnisprotokoll über die Sitzung der Fachkommission „Wissenschaft und Bildung“ vom 21.–24. 3.1990 in Dresden (SMBW, 0136, GK S / BW, FG Wissenschaft und Bildung). 788 Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003. 789 Zielstellung der Fachkommission Wissenschaft und Bildung vom 13. 3.1990 (HAIT, KA, V.3, 8). Zu den konkreten Projekten vgl. Dok. 30.

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Unter Rößlers Leitung wurden in der Fachgruppe nach und nach die von den Räten delegierten Partei- und Staatsfunktionäre, unter ihnen einige inoffizielle MfS-Mitarbeiter, ausgetauscht und durch Vertreter neuer politischer Kräfte ersetzt. „Wir haben dort“, so Rößler später lapidar, „einen nach dem anderen ausgeschaltet, ersetzt durch andere.“790 Die Fachgruppe Bauwesen und Städtebau konstituierte sich am 21. Februar in Stuttgart, wo sie am 27./28. Februar zu ihrer ersten Sitzung zusammenkam.791 Geleitet wurde sie vom Chef der Bauabteilung im baden-württembergischen Innenministerium, Ministerialdirigent Professor Ulrich Hieber, und vom Bezirksbaudirektor des Rates des Bezirkes Dresden, Wolfgang Rank. Außerdem gehörten ihr die Bezirksbaudirektoren der Räte der Bezirke Leipzig und KarlMarx-Stadt, Karl-Heinz Klein und Klaus Hantke, an.792 Bei der Bildung der Fachgruppe wurde den sächsischen Partnern die Arbeitsweise einer Stadt auf dem Gebiet des Städtebaus und Bauwesens, das Aufgabengebiet der Bauleitplanung, das Baurecht und die Bautechnik, sowie Themen wie Stadterneuerung, staatliche Hochbauverwaltung und die Aufgabengebiete von freien Architekten vorgestellt. Vereinbart wurden ein Vortrag in Dresden zu den Grundzügen der Stadtplanung, der Besuch einer sächsischen Delegation in einer schwäbischen Mittelstadt zu Fragen des Städtebaus sowie einer sächsischen Delegation in Baden-Württemberg zu Fragen der Stadterneuerung. Am 8. März wurden Informationsbesuche und Fortbildungen in den Bereichen Verwaltungsaufbau, Stadtplanung, Stadterneuerung, Städtebau, Wirtschaftskooperation sowie Aus- und Weiterbildung von Führungskräften des Bauwesens sowie die Schaffung eines sächsisch/baden-württembergischen Bauzentrums (Haus Baden-Württemberg) in Dresden vereinbart. Für April wurde in Dresden die Eröffnung einer Bauakademie geplant.793 Die konstituierende Sitzung der Fachgruppe Ländlicher Raum und Landwirtschaft fand am 21./22. Februar in Dresden-Pillnitz statt. Ihre Vorsitzenden waren der leitende Ministerialrat im baden-württembergischen Ministerium für Ländlichen Raum, Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Hans-Joachim Jäger, sowie der stellvertretende Vorsitzende des Rates des Bezirkes Dresden für Landwirtschaft, Günter Mielke (DBD). Ihr gehörten ferner der Präsident des Württembergischen Genossenschaftsverbandes – Raiffeisen/Schulze-Delitzsch, Reinhold Kißling, der Hauptgeschäftsführer des Landesbauernverbandes in Baden-Württemberg, Friedrich Golter, und von sächsischer Seite die Stellvertreter der Vorsitzenden der Räte für Fragen der Land-, Forst- und Nahrungsgütewirtschaft, aber auch, zunächst vereinzelt, Vertreter neuer politischer Gruppierungen an.794 Bei der Konstituierung beriet man Projektvorschläge des Ministeriums 790 Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003. 791 (SMBW, 0136, GK S/BW, FG Bauwesen, Städtebau und Denkmalpflege). 792 IMBW: Namentliche Zusammensetzung der FG der GK S/BW vom 29. 3.1990 (HAIT, KA, V.1). 793 Arbeitsprogramm [handschr.: 8.3.90] (ebd., V.3, 9). 794 GK S/BW, FG Ländlicher Raum – Landwirtschaft vom 29. 3.1990 (ebd., V.1).

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für Ländlichen Raum und legte konkrete Austauschprogramme und Informationsangebote zur Information und Kontaktpflege, zum Erfahrungsaustausch und zur Weiterbildung fest. Dazu gehörten ein Schüleraustausch mit der Landwirtschaftlichen Fachschule Dresden, der Austausch von Junggärtnern, Informationsveranstaltungen für Leiter von landwirtschaftlichen und Nahrungsgüterbetrieben, sowie ein Praktikanten- und Expertenaustausch in den Bereichen Obst-, Gemüse- und Pflanzenanbau, Tierzucht sowie Tiermedizin. Auch die baden-württembergischen und sächsischen Forstverwaltungen vereinbarten ein Austauschprogramm. Im Bezirk Karl-Marx-Stadt wurde eine Biogasanlage eingerichtet, die nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen arbeitete. Im März hatten Mitarbeiter der Räte der Bezirke bei einem dreitägigen Studienaufenthalt in Baden-Württemberg Gelegenheit, sich mit der dortigen Verwaltung vertraut zu machen. Es folgten eine Informationsveranstaltung in Sachsen über privaten Gartenbau und ein dreimonatiger Praktikantenaustausch. Für die Fachgebiete „Forstwirtschaft“ und „Veterinärwesen“ bildete man Unterarbeitsgruppen.795 Am 15. März startete der baden-württembergische Minister für Ländlichen Raum, Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Gerhard Weiser, in Dresden eine Pflanzaktion „Grün in die Stadt“. Zuvor hatte es bereits eine Pflanzaktion im Grenzstreifen des Vogtlandes gegeben. Außerdem wurde eine Aktion „Urlaub auf dem Bauernhof“ sowie Expertenschulungstrainings, Studienaufenthalte, Praktikantenaustauschaktionen und Multiplikatorenschulungen konzipiert.796

795 RdB Dresden, Leipzig und KMS, Stellvertreter der Vorsitzenden für Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft: Festlegungsprotokoll der konstituierenden Sitzung der FG Ländlicher Raum und Landwirtschaft innerhalb der GK S/BW vom 22. 2.1990 (ebd., V.3, 10). Vgl. Günter Mielke an Dieter Bellmann vom 28. 2.1990 (ebd.). 796 Information des RdB Dresden über die Arbeit der GK S/BW vom 13. 3.1990 (Dok. 21).

4.

Zeit der Doppelherrschaft von Räten und Runden Tischen

4.1

Neue Lage nach der ersten freien Volkskammerwahl

4.1.1 Volkskammerwahl am 18. März 1990 Am 18. März 1990 fanden nach rund vierzig Jahren kommunistischer Diktatur in der DDR erstmals freie, gleiche und geheime Wahlen zur Volkskammer statt. Der Wahlkampf, in dem alle Parteien auch für die Wiederherstellung von Ländern plädierten, war von Großveranstaltungen bundesdeutscher Spitzenpolitiker geprägt. Das Ereignis weckte internationale Aufmerksamkeit, verbanden sich doch mit den Hauptkontrahenten CDU und SPD unterschiedliche Wege zur staatlichen Einheit Deutschlands mit Affinitäten zur europäischen wie globalen Politik. Machte sich die CDU für einen raschen Beitritt nach Artikel 23 des Grundgesetzes stark, plädierte die SPD auf ihrem ersten Parteitag vom 22. bis 25. Februar in Leipzig für einen schrittweisen Weg zur Einheit nach Artikel 146. Nach Meinung der Sozialdemokraten sollte zunächst eine gesamtdeutsche Verfassung ausgearbeitet, ein „Rat der deutschen Einheit“ gebildet und per Volksentscheid über eine neue Verfassung entschieden werden.1 Markus Meckel meinte, vor gesamtdeutschen Wahlen müssten zunächst die neuen Länder aufgebaut werden und es sollte sich eine annähernde Gleichberechtigung zwischen West- und Ostländern entwickeln.2 Wie die meisten Demoskopen rechnete die SPD-Führung, die unter dem Eindruck „euphorischer Umfragen“ stand und meinte, in Sachsen und Thüringen unmittelbar an die Partei- und Wählerstrukturen in der Zeit des Kaiserreichs und der Weimarer Republik anknüpfen zu können, mit einem klaren Sieg ihrer Partei.3 Die SPD galt als absoluter Favorit, als „führende Kraft in der DDR“, und so wurde allgemein erwartet, dass sie die Wahl „mit Glanz“ bestehen würde.4 Die sowjetische Führung verließ sich auf Analysen des KGB über einen SPD-Sieg und hatte sich bereits auf unterschiedliche Regierungskoalitionen in Bonn und Ost-Berlin eingestellt.5 Um so größer war die Überraschung angesichts des Erfolges der „Allianz für Deutsch-

1 2 3 4 5

Vgl. Schmeitzner/Rudloff, Geschichte der Sozialdemokratie, S. 153. Vgl. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 221. Interview Hans-Jochen Vogel. In: Süddeutsche Zeitung vom 27./28.10.1990. Vgl. ExtraBlatt. Zeitung für die Bürger der DDR. Hg. vom Vorstand der SPD, Berlin, März 1990 (HAIT, Plakate und Flugschriften). Momper, Grenzfall, S. 331. Vgl. Kusmin, Iwan N.: „Da wussten auch die fähigsten Tschekisten nicht weiter. Wie die KGB-Residentur in Ost-Berlin vor fünf Jahren den Zusammenbruch der DDR erlebte und erlitt.“ In: FAZ vom 30. 9.1994. Kusmin war 1989 Stellv. Chef der KGB-Residentur Berlin.

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Nach der Volkskammerwahl

land“.6 Im Kreml war Lothar de Maizière „der Letzte“, den man sich wünschte.7 Die Allianz erhielt über 5,5 Millionen Stimmen (47,79 Prozent). Bei einer Wahlbeteiligung von 93,4 Prozent gewann die Allianz für Deutschland 193 der insgesamt 400 Mandate (47,79 Prozent), die in Umfragen vorn gelegene SPD nur 88 Sitze (21,9 Prozent).8 Stärkste Partei wurde die Ost-CDU mit 40,59 Prozent. Damit ging die Partei, die von der CDU/CSU und den neuen politischen Kräften in der DDR nur widerwillig als Partner akzeptiert wurde, als deutlicher Gewinner aus den Wahlen hervor. In den sächsischen Bezirken kam die CDU auf 43,41 Prozent der Stimmen.9 Besonderen Anklang fand sie auch hier unter Arbeitern. Damit konnte sie an ihre Tradition vor der Gleichschaltung durch SMAD und SED anknüpfen, als ebenfalls vor allem Arbeiter, Angestellte und Bauern zu ihren Wählern gehört hatten.10 Zudem erwies sie sich als für alle Altersgruppen attraktiv. Für die noch im Aufbau begriffenen SPD-Bezirksverbände Dresden, KarlMarx-Stadt und Leipzig waren die Ergebnisse der Volkskammerwahlen eine herbe Enttäuschung. Die „historische Wahlniederlage“ im sächsischen „Stammland der deutschen Sozialdemokratie“ hatte mit der Konstituierung der SDP als Partei der „protestantischen Intelligenz“ ebenso zu tun wie mit ihrer Deutschlandpolitik.11 Ihre diesbezüglichen „Irrwege“ hatten, so Konrad Weiß, in der DDR das Zutrauen in den Realitätssinn der SPD erheblich gemindert.12 Während Bundeskanzler Kohl sich frühzeitig für eine Wiedervereinigung aussprach, ließen Teile der Sozialdemokratie „eine einheitskritische oder gar einheitsablehnende Haltung“ erkennen.13 Im Statut der SDP vom 7. Oktober 1989 forderte die Partei die Anerkennung der Zweistaatlichkeit als „Folge der schuldhaften Vergangenheit“, schloss allerdings „Veränderungen im Rahmen einer europäischen Friedensordnung“ nicht aus. Noch Ende Dezember 1989 versuchte der Juso-Bundesvorstand, DDR-Sozialdemokraten von den „Vorzügen des Sozialismus“ sowie der „Notwendigkeit der deutschen Teilung“ zu überzeugen und forderte sie gar zum Eintritt in die FDJ auf.14 Auch die „unverkennbare Distanz“ von Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine gegenüber den Entwicklungen in der DDR trug hier nicht gerade zum Ansehen der SPD bei.15 Klare Bekenntnisse 6 Vgl. Nikolaj Portugalow und Wjatscheslaw Daschitschew in: Berliner Morgenpost vom 19. 3.1990. 7 So, nach Aussagen de Maizières, der sowjetische Botschafter Wjatscheslaw Kotschemassow beim seinem Amtsantritt. Zit. in Neue Zeit vom 26.11.1992. 8 Zum Beispiel die Umfrage des Leipziger Zentralinstituts von Januar 1990. 9 Siehe Tabelle 1 im Anhang. 10 Vgl. Richter, Die Ost-CDU, S. 323. 11 Schmeitzner/Rudloff, Geschichte der Sozialdemokratie, S. 152 f. Zur Veränderung des Wählerverhaltens seit der Weimarer Republik siehe Tabelle 2 im Anhang. 12 Konrad Weiß, „Bürgerbewegung als Erinnerungsverein des Deutschen Herbstes? Die deutsche Einheit und das Dilemma der DDR-Menschenrechtsgruppen.“ In: FR vom 2./3.10.1990. 13 Schmeitzner/Rudloff, Geschichte der Sozialdemokratie, S. 153. 14 Zit. in ebd. , S. 165. 15 Zur Mühlen, Die Opposition gegen die SED, S. 114.

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zur deutschen Einheit wie von Thomas Lipp, Karl-August Kamilli, Gunter Weißgerber aus der Leipziger SPD oder von Frank Heltzig aus Dresden konnten den Gesamteindruck nicht korrigieren.16 Die DSU kam auf 6,27 Prozent, der DA schnitt mit 0,93 Prozent noch schlechter ab. Das Ergebnis der DSU enttäuschte zwar die Mitglieder, war vor dem Hintergrund des schwachen Abschneidens der anderen neu gegründeten Parteien und Vereinigungen jedoch noch ein relativer Erfolg. In Sachsen erreichte die DSU mit 13,1 Prozent sogar ein zweistelliges Ergebnis. Mit dem sächsischen Landesvorsitzenden, Norbert Koch, und Jürgen Schwarz zogen zwei Dresdner in die Volkskammer ein. Dennoch zeigte die Tatsache, dass die CDU selbst in den vermeintlichen DSU-Hochburgen besser abschnitt, dass das Konzept der Etablierung einer zweiten, neuen Unionspartei im Osten Deutschlands nicht griff und signalisierte damit die beginnende Erosion der neuen CSUSchwesterpartei. Unter den Mitgliedern von DSU und DA wuchs die Neigung, sich der CDU anzuschließen. In der DSU kam es in einzelnen Orten, wie z. B. im Landkreis Grimma, bereits kurz nach den Wahlen zur Fusion.17 Der DA erreichte in vier Bezirken Ergebnisse über ein Prozent der Stimmen. Auch in Sachsen waren es insgesamt nur enttäuschende 1,08 Prozent. Dennoch war auch dieses Ergebnis regional unterschiedlich. So erreichte er im Kreis Werdau 3,13 Prozent, im Kreis Döbeln dagegen nur 0,3 Prozent.18 Die Ergebnisse der drei großen Städte (Dresden 1,65 Prozent19, Chemnitz 0,98 Prozent und Leipzig 0,69 Prozent20) deckten sich mit dem landesweiten Durchschnitt. Der DA konnte durch sein schlechtes Abschneiden nur vier Volkskammerabgeordnete entsenden: Rainer Eppelmann, Hans Geisler, Brigitta Kögler und den thüringischen Landesvorsitzenden Klaus Schulz. Da diese Zahl nicht ausreichte, um den Fraktionsstatus zu erfüllen, bildeten DA und CDU eine Fraktion. In der neuen Regierung stellte der DA mit Rainer Eppelmann den Minister für Abrüstung und Verteidigung und mit Angela Merkel die stellvertretende Regierungssprecherin. Innerhalb der CDU/DA-Fraktion hatten die vier DA-Abgeordneten, wie später bei der Fusion beider Parteien, mehr Einfluss, als ihnen von der Zahl zugestanden hätte. „Wir waren“, so Hans Geisler, „vier zu einhunderteinundsechzig und haben eine Fraktion gebildet“, die „CDU-DA“ hieß. Bei der Abstimmung über die Fraktionsbildung stimmte etwa ein Drittel der CDU-Abgeordneten dagegen.21 Rückendeckung erhielt der DA vom CDU-Bundesvorstand, in dem man sich über dessen immense Bedeutung für die Ost-CDU im Klaren war. Bis zum Beitritt der DDR war im Zusammenhang mit der Volkskammer stets von der CDU/DA-Fraktion die Rede, und es war schwerer, die Fraktion in eine Traditionslinie mit den früheren Abgeordneten der Block-CDU zu stellen. Un16 17 18 19 20

Vgl. Schmeitzner/Rudloff, Geschichte der Sozialdemokratie, S. 153. Vgl. Leersch, Die CSU, S. 25. Kammradt, Aufbruch, S. 188. Statistisches Jahrbuch des Bezirkes Dresden, S. 72. Endgültiges Ergebnis der Volkskammerwahl – nur DA-Ergebnisse (ACDP VII-012 3572). 21 Interview Hans Geisler.

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mittelbar nach der Wahl hatte Johannes Gerster CDU-Chef Kohl auf die Bedeutung des DA hingewiesen. Was nach 1945 „aufrechte, untadelige, ungebeugte Frauen und Männer der großen christlichen Kirchen für die Gründung der Union“ bedeutet hätten, stellten nun die „Revolutions-Mit-Vorbereiter und kämpfer des DA für die Ost-CDU“ dar. Diese seien zwar durch die Schnur-Affäre weitgehend untergegangen, die CDU brauche sie. „Ich finde, neben den wichtigen Dauer-Kontakten zur CDU-Spitze muss der Brückenschlag zu den Revolutions-Kämpfern erhalten und ausgebaut werden. Sonst verliert die CDU ganz schnell ihre Integrität und jede Mehrheitsfähigkeit.“ Man müsse die OstCDU veranlassen, sich mehr um die DA-Leute zu kümmern. „Dieses Umfeld muss für die Union dauerhaft gewonnen und integriert werden.“22 Im CDUBundesvorstand hätte man es gern gesehen, wenn sich auch die DSU der Fraktion angeschlossen hätte, diese somit als Fortsetzung der Allianz anzusehen gewesen wäre. Am 21. März trafen die Vorsitzenden der in der Allianz für Deutschland vertretenen Parteien de Maizière, Ebeling und Eppelmann23 in Bonn mit den Vorsitzenden von CDU und CSU, Kohl und Waigel, zu Beratungen über die Regierungs- und Fraktionsbildung in der DDR zusammen. Hier zeigte sich, dass die DSU nicht bereit war, sich an einer gemeinsamen Volkskammerfraktion mit Ost-CDU und DA zu beteiligen. Das lag vor allem am Wunsch der CSU-Führung, über eine dauernde Selbständigkeit der DSU auf dem Gebiet der DDR und deren Beteiligung an Landesregierungen den Einfluss der auf Bayern beschränkten CSU im Bundesrat zu vergrößern. So schlossen sich nur die Ost-CDU und der DA zu einer Fraktion zusammen; die DSU bildete eine eigene Fraktion. Allerdings vereinbarten die Allianz-Parteien in der Volkskammer die Bildung einer parlamentarischen Arbeitsgemeinschaft mit paritätisch besetztem Vorstand. Außerdem beschloss das Präsidium des Hauptvorstandes der Ost-CDU im Beisein Rühes schon zwei Tage nach der Wahl, den Parteien die Bildung einer breiten Koalition unter Einschluss von SPD, DA, FDP und DSU anzubieten.24 Am 9. April gab de Maizière bekannt, dass es zu einer großen Koalition kommen werde, in der elf der insgesamt 24 Ressorts an die CDU, sieben an die SPD, drei an die Liberalen, zwei an die DSU und eines an den Demokratischen Aufbruch gehen würden.25 Die Zeit von der Volkskammerwahl bis zur Konstituierung der ersten frei gewählten Regierung unter Ministerpräsident Lothar de Maizière zeigte alle Kennzeichen einer Übergangssituation. Verschiedene politische Richtungen und Interessengruppen bemühten sich um günstige Ausgangsbedingungen für die sich abzeichnende Entwicklung. Dabei waren die Frontlinien teils verworren, die Handlungen mancher Akteure widersprüchlich und ließen erkennen, dass man 22 Johannes Gerster an Helmut Kohl vom 30. 3.1990 (PB Wieland Orobko). 23 Wolfgang Schnur wurde kurz vor der Wahl als MfS-Mitarbeiter enttarnt und verlor seine Ämter. 24 Protokoll der Sitzung des Präsidiums des Hauptvorstandes der CDU vom 20. 3.1990 (ACDP, VII-011 - 3510). Vgl. NZZ vom 21. 3.1990. 25 Die Welt vom 10. 4.1990.

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die Situation nicht überblickte. Die Vertreter von SED/PDS und Blockparteien in den Bezirksapparaten fanden sich plötzlich in der Situation, dass ihr bisheriger Zwangspartner aus der Nationalen Front, die CDU, als strahlender Sieger dastand, während sie selber ihre Felle davon schwimmen sahen. Dennoch versuchten sie, ihren Einfluss, schon mangels beruflicher Alternativen, zu sichern. In ähnlicher Lage sahen sich die aus der friedlichen Revolution hervorgegangenen Parteien und Gruppierungen, die ungeachtet ihrer hochgesteckten Erwartungen durch die Wahlen ebenfalls marginalisiert worden waren und nun für eine Fortdauer ihres Einflusses durch die Weiterarbeit von Runden Tischen und Bürgerkomitees kämpften. Die sich auch in der Fraktions- und Regierungsbildung ausdrückenden Ressentiments gegen die Ost-CDU drückte ebenfalls Johannes Gerster aus: Nach dem unverdienten Sieg liege die Partei „mit ihren noch alten hauptamtlichen Leuten wohl- und selbstgefällig und weitgehend untätig in den Sielen“. Wahlsieg und Jubel sei „längst die vor Ort zur Schau gestellte Arroganz“ gefolgt. Einige CDU-Funktionäre trügen „die Nase fast so hoch wie früher die SED“.26 Ähnlich herb war auch das Urteil von Vaatz. Er bezeichnete das Wahlergebnis als „Kultivierung eines Missverständnisses“. Die Wähler hätten die CDU Kohls wählen wollen, und weil in der DDR die CDU eben identisch mit der bisherigen BlockCDU gewesen sei, habe man diese gewählt. Die Partei sei durch Kohl „quasi geadelt“ worden.27 Bis auf das Beharren auf den weltanschaulichen Unterschied, das formale Bekenntnis zum Christentum, habe es „politisch keinen Unterschied“ zwischen SED und CDU gegeben. Wie anderen Bürgerrechtlern war ihm die Ost-CDU „mehr zuwider als die SED“, weil diese sich wenigstens zu ihrer Auffassung bekannte und angeblich „nicht in die letzten Refugien vordrang, die wir damals hatten“; gemeint waren zum Beispiel Junge Gemeinden oder Studentengemeinden. Wegen ihrer völlig anderen Verhaltensweise zeige die OstCDU „einen ohnmächtigen Hass“ auf alle, die aus den neuen Gruppierungen kämen. Die Funktionäre hätten „ihre alte emotionale Befindlichkeit nicht im geringsten geändert“ und verfolgten die neuen Kräfte, auch die in der CDU, „mit Feuer und Schwert“. Im Wahlkampf habe die Ost-CDU dem Wähler vorgespiegelt, sie sei die CDU von Helmut Kohl, die die deutsche Einheit wolle. Dabei habe sie diese „überhaupt nicht“ gewollt, vielmehr „wie der Teufel das Weihwasser“ gefürchtet. Freilich habe sich de Maizière der vom Wähler gewünschten deutschen Einheit nicht verweigern können, habe sich dabei aber als „Rückzugsstratege par Excellance“ erwiesen, „besser als Modrow und Berghofer zusammen“. Unter seiner Führung seien „die zu Unrecht entstandenen Besitzstände der DDR-Nomenklatur in trockene Scheunen geschafft“ worden.28 In de Maizière sah Vaatz einen der „geschicktesten und besten Restaurateure“ und eine „ernsthafte Gefahr für den Vereinigungsprozess“.29 Die teils drastische Wertung 26 27 28 29

Johannes Gerster an Helmut Kohl vom 30. 3.1990 (PB Wieland Orobko). Interview Arnold Vaatz am 9. 6.1999. Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. Interview Arnold Vaatz am 9. 6.1999.

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drückt die erbitterte Feindschaft zwischen alten und neuen politischen Kräften in der CDU deutlich aus. Ihre Berücksichtigung ist für die Bewertung der Landesbildung in Sachsens unerlässlich. Bei aller Polemik von Vaatz hatte dieser insofern Recht, als die bisherigen Mitarbeiter des Staatsapparates aus der CDU dank ihres Wahlerfolges im Staatsapparat der Bezirke peu à peu die wichtigsten Positionen besetzten und ihnen zugute kam, dass die Bevölkerung in vorgreifender Wahlabsicht mehrheitlich für die CDU unter Helmut Kohl votiert hatte. Viele hochrangige CDU-Funktionäre, die nun am indirekten Sieg der Bundes-CDU in der DDR partizipierten, hatten zu Zeiten der SED-Diktatur politische Ämter bekleidet und bestimmte Denk- und Handlungsmuster des Regimes mehr oder weniger verinnerlicht. Andererseits sah die Regierung wenig Alternativen, als die zahlreichen, plötzlich von der unvorbereiteten CDU zu besetzenden Regierungs- und leitenden Verwaltungsstellen mit Funktionären aus dem bisherigen Kaderstamm der Block-CDU aufzufüllen. Am 25. Mai machte der stellvertretende CDU-Vorsitzende Korbella vor dem CDU-Parteivorstand auf die schlechte Personalsituation der CDU aufmerksam. Die CDU sei der Regierungsverantwortung „strukturell kaum gewachsen“. Über Nacht habe mit der Regierungsbildung die Frage gestanden „womit und mit wem?“ Man habe bei der Regierungsbildung „auf das zurückgreifen“ müssen, „was weitestgehend hier, im Berliner Apparat verfügbar war, und das hat bekanntlich nicht gereicht“. Deswegen habe man „tief in die Personalsubstanz der Leitung der Landesverbände hineingreifen müssen“, mit der Folge, dass der zentrale Parteiapparat durch den Wechsel von der Partei- zur Regierungsarbeit angeschlagen sei. Besetzt werden mussten nicht nur die Ministerposten, sondern auch Staatssekretär, Abteilungs- und Referatsleiter sowie „vor allem Personalchefs in den Ministerien und Ämtern“.30 Thomas de Maizière, der die Situation in der Regierung hautnah erlebte, erinnert sich, dass „auf einen Schlag“ zahlreiche Positionen in den Ministerien zu besetzen waren. Man habe sich die Personalakten genommen und die Funktionäre, „die uns irgendwie als vertrauenswürdig genannt wurden“, ausgesucht. Dann habe man anhand der Lebensläufe versucht, „die Schlimmsten zu streichen“ und schließlich den Ministern entsprechende Listen übergeben. Von daher sei es durchaus richtig, dass „durch die Wahl Altfunktionäre an die Macht“ gelangten. Allerdings sei ihre Macht durch den Einigungsprozess von vornherein zeitlich begrenzt gewesen, selbst wenn man zum Zeitpunkt ihrer Bestellung noch von einem längeren Zeitraum bis zur deutschen Einheit ausging. Man könne „froh sein, dass es die aus der zweiten Reihe sind und nicht die aus der ersten“. Es habe kaum eine Alternative gegeben. „Es gab nicht so viele Andere.“ In den Bezirken sei es oft so gewesen, dass es sich bei denjenigen, die aus der zweiten und dritten Reihe des Apparates kamen und zum Beispiel Ratsmitglieder für Tourismus, Handel und Versorgung oder Energie waren, um CDU-Mitglieder gehandelt habe. Gegen deren Arbeit sei wenig einzuwenden gewesen. 30 Auszüge eines Rede-Beitrages des geschäftsführenden Parteivorsitzenden, Horst Korbella, auf der Sitzung des Parteivorstandes am 28. 5.1990 (PB Klaus Reichenbach).

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Sie hätten „oft ihre Arbeit besser gemacht, als der ein oder andere, der vom grünen Tisch in den Rat des Bezirkes delegiert wurde. Die haben oft nur Chaos angerichtet. Es ist eine andere Fähigkeit in der Revolution und in der Phase nach der Revolution.“31 So drängten schon bisher verantwortliche CDU-Funktionäre in den Hierarchien der bezirklichen Staatsorgane als Wahlsieger nun ungeachtet ihrer bisherigen Verantwortung in Führungspositionen. Hier standen sie einem kaum veränderten Mitarbeiterstamm vor und zeigten ein starkes Interesse am Erhalt des vertrauten Apparates. Aber auch die Vertreter der anderen Blockparteien und Massenorganisationen versuchten, ihre Positionen zu halten oder auf neue zu gelangen. Ungeachtet ihrer Parteizugehörigkeit sahen die in Bewegung geratenen Räte der Bezirke angesichts der Entscheidung, wegen der bevorstehenden Länderbildung keine Wahlen auf Bezirksebene durchzuführen, Perspektiven, ihre Strukturen in den neuen territorialen Zusammenhängen der Länder zu reorganisieren und sich als deren unverzichtbares Fundament zu profilieren. Auf Grundlage entsprechender Regierungsanweisungen hatten sie frühzeitig mit teils detaillierten Ausarbeitungen für eine künftige Landesverwaltung begonnen. Nach den Märzwahlen setzten sie diese Arbeit nun intensiviert, aber in wenig modifizierter Form fort.

4.1.2 Arbeiten der Räte am Modell einer sächsischen Landesregierung März/April 1990 Dabei war es kein Zufall, dass die Räte neben ihren Vorbereitungen für eine sächsische Landesregierung von Anfang an ein besonderes Augenmerk auf die Bildung von Regierungsbezirken legten, sah man doch in den Zeiten des Umbruchs hier die besten Chancen einer Sicherung des politischen Einflusses, vor allem aber der beruflichen Existenz. Stützen konnte man sich dabei auf westliche Experten, schlug doch zum Beispiel die bayerische Staatsregierung für Sachsen frühzeitig einen dreistufigen Verwaltungsaufbau mit Mittelbehörden vor.32 Erste entsprechende Vorarbeiten der Räte stammten, basierend auf Anweisungen der Modrow-Regierung, vom Februar 1990. Bereits zu diesem Zeitpunkt machten zum Beispiel die Büros für Territorial- und Verkehrsplanung sowie des Bezirksarchitekten im Rat des Bezirkes Dresden Vorschläge zur Landesstruktur. Demnach sollte sich das Land mit Landtag und Landesregierung in Regierungsbezirke ohne Legislative, Landkreise und kreisfreie Städte mit Legislative und Exekutive sowie in kreisangehörige Städte und Gemeinden mit Legislative und Exekutive gliedern.33 In einem Entwurf des Dresdner Rates vom 2. März 31 Interview Thomas de Maizière. 32 BaySMI: Vorschläge zum Aufbau von föderativen und rechtsstaatlichen Staats- und Verwaltungsstrukturen in der DDR (SächsStAC, BVB, 152237). 33 RdB Dresden: Standpunkt des Büros für Territorialplanung, des Büros des Bezirksarchitekten, des Büros für Verkehrsplanung zur Arbeit auf dem Gebiet der Raumordnung im Land Sachsen vom 28. 2.1990 (HAIT, KA, 53).

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war die Rede von fünf Regierungsbezirken. Neben Dresden, Karl-Marx-Stadt und Leipzig sollte es auch in Zwickau und Bautzen Regierungspräsidien geben.34 In einem anderen Strukturplan vom März war sogar noch die Rede von acht Regierungsbezirken, von denen Bautzen, Dresden, Karl-Marx-Stadt, Leipzig und Zwickau namentlich benannt wurden.35 Am 7. März wurden die Räte der Kreise darüber informiert, dass sich das Land in Regierungsbezirke und Landkreise gliedern werde.36 In Leipzig erklärte Ratsvorsitzender Draber Anfang März, der Rat unterstütze die Bildung von Regierungsbezirken.37 Nachdem sich Ratsmitglieder am 6. März an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer über Regierungsbezirke sachkundig gemacht hatten,38 bestätigte der Rat des Bezirkes Leipzig am 9. März ebenfalls den Entwurf zur Bildung eines Regierungsbezirkes.39 Eine Woche später legte auch der Rat des Bezirkes KarlMarx-Stadt einen Entwurf vor, bei dem davon ausgegangen wurde, dass Bezirksregierungen als staatliche Verwaltungsorgane der Mittelstufe mit umfassender Zuständigkeit gebildet würden.40 Es wurde empfohlen, von der gleichzeitigen Einrichtung eines gewählten Bezirkstages als kommunalem Selbstverwaltungsorgan abzusehen und dessen Aufgaben der Bezirksregierung zu übertragen.41 Am 21. März konstituierte sich in Leipzig eine Projektgruppe „Verwaltung“ als „Stabsorgan, bei dem alle Informationen zur Verwaltungsreform eingehen, wo die Koordinierung stattfindet und die Verbindung zu Dresden gehalten wird“.42 Die Projektgruppe umfasste die Arbeitsgruppen „Verfassung“, „Verwaltungsstruktur“, „regionale und territoriale Struktur“, „Wirtschaftsfragen und Raumordnung“, „Innere Angelegenheiten und Volkspolizei“, „Kultur, Bildung, Jugend und Sport“, „Wissenschaft und Kunst“, „Finanzen“, „Landwirtschaft und Forsten“ sowie „Gesundheitswesen und Soziales“. Für die Gruppen, die jeweils von einem Sekretär des Rates geleitet wurden, sollten auch Bezirkstagsabgeordnete und Mitglieder des Runden Tisches gewonnen werden. Die Gruppen sollten Kontakt zur Gemischten Kommission Sachsen/Baden-Württemberg halten, 34 Landesregierung Sachsen. Politische Territorialstruktur. Entwurf vom 2. 3.1990 (ebd., 48). 35 [Strukturplan] Ministerium für Bildung/Jugend und Sport (ebd., 42). 36 1. Stellvertreter des Vorsitzenden des RdB Dresden an die 1. Stellvertreter der Vorsitzenden der RdK/Stadtkreise vom 27. 2.1990 (SächsHStA, BT/RdB, 46998, Bl. 1). 37 Protokoll über die Beratung des RTB Leipzig am 1. 3.1990 (SächsStAL BT/RdB 31258). 38 Gerd Lewandowski an die Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer vom 12. 3. 1990 (ebd., 25795). 39 Beschluss des RdB Leipzig 30/90 vom 9. 3.1990: Maßnahmen zur weiteren Vorbereitung und Durchführung der Verwaltungsreform in den örtlichen Staatsorganen des Bezirkes Leipzig. Anlage 1: Vorschlag für das Regierungspräsidium des Regierungsbezirkes Leipzig (ebd., 21312). 40 Protokollbeschluss der 12/90 Sitzung des RdB KMS vom 16. 3.1990 (SächsStAC, RdB, 11515). 41 Leiter der Abt. örtliche Organe, Grundsatz- und Personalfragen: Vorlage Nr. 0067 für den RdB KMS vom 16. 3.1990: Arbeitsgrundlage für die weitere Arbeit an der Struktur der Bezirksregierung Karl-Marx-Stadt (ebd.). 42 RdB Leipzig: Protokoll über die Beratung „Verwaltungsreform“ am 21.3.1990 (Dok. 27).

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in den gemeinsamen Gremien der drei Bezirke in Dresden mitarbeiten, die Diskussion mit „den zugeordneten demokratischen Kräften“ organisieren und eine koordinierende Projektgruppe der Räte ständig über die Ergebnisse der Arbeit informieren. Der Leiter der Leipziger Projektgruppe, Lothar Homeier, erhielt den Auftrag, einen Problemkatalog zu den Grenzen des Landes Sachsen, des Regierungsbezirkes und der Landkreise zu erarbeiten. Der Rat legte am 22. März die Struktur des künftigen Regierungsbezirkes fest und erstellte eine Rahmenstruktur sowie einen Geschäftsverteilungsplan, die man in der Folgezeit mit den Räten in Karl-Marx-Stadt und Dresden besprach.43 Am 6. April wurde ein erster Geschäftsverteilungsplan für den Regierungsbezirk Leipzig bestätigt.44 Nach einer Fassung vom 12. April waren die Abteilungen 1. Verwaltungsorganisation, 2. Raumordnung und Regionalentwicklung, 3. Bauwesen, 4. Wirtschaft, 5. Verkehrs- und Nachrichtenwesen, 6. Kultur, Kunst und Wissenschaft, 7. Umweltschutz und Wasserwirtschaft, 8. Landwirtschaft, Ernährung und Forstwirtschaft, 9. Bildung, Jugend und Sport sowie 10. Gesundheits- und Sozialwesen vorgesehen.45 Vom 14. Mai stammt ein vom Rat des Bezirkes Leipzig ausgearbeitetes Organigramm eines künftigen Leipziger Regierungspräsidiums, in dem zahlreiche bisherige Funktionsträger des Rates, nun als Mitarbeiter der Bezirksverwaltungsbehörde, erneut mit leitenden Positionen bedacht waren. Unter anderem war Hartmut Reitmann, bis 1989 Stellvertreter des Vorsitzenden für Inneres, als Leiter der Abteilung I (Verwaltungsorganisation) vorgesehen, der Bezirksbaudirektor des Rates, Wolfgang Mogge, sollte die Bauabteilung leiten, der Stellvertreter des Vorsitzenden für Handel und Versorgung, Roland Stöckchen, war als Leiter der Wirtschaftsabteilung eingeplant, Dieter Halbig, bisher zuständig für Umweltschutz und Wasserwirtschaft sollte sein Ressort fortführen, Bezirksschulrat Hans-Joachim Erdmann sollte der entsprechenden Abteilung des Regierungspräsidiums vorstehen, ebenso Bezirksarzt Georg Enderlein. Weitere leitende Mitarbeiter des Rates waren namentlich als Referatsleiter eingetragen.46 Es war ganz klar, dass ein Großteil der Führungsmannschaft des Rates fest plante, auch unter den neuen Bedingungen das Sagen zu haben. So war die Analyse des Ministerialdirektors im Baden-Württembergischen Innenministerium, Ernst Füsslin, von Ende Juni jedenfalls für die Mitarbeiter des Staatsapparates nicht ganz zutreffend, dass die Diskussion in der DDR „grundsätzlich in die Richtung“ laufe, keine Regierungspräsidien in den

43 RdB Leipzig vom 21. 3.1990: Im Ergebnis der Koordinierungsberatung mit den RdB Dresden und KMS am 20. 3.1990 stehen für die einzelnen Fachgruppen folgende Aufgaben ... (SächsStAL, BT/RdB, 25795). 44 Beschluss des RdB Leipzig 42/90 vom 6. 4.1990 (Endredaktion 17. 4.1990): Entwurf des Geschäftsverteilungsplanes für den Regierungsbezirk Leipzig im Land Sachsen (ebd., 21310). 45 Geschäftsverteilungsplan (Übergangsstruktur) des Regierungspräsidiums Leipzig vom 12. 4.1990 (ebd.). 46 Organigramm Regierungspräsidium Leipzig (PB Günter Kleinschmidt).

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Ländern einzurichten und dass auch in Sachsen „keine stärkere Bewegung erkennbar“ sei, gegen diesen Trend anzugehen.47 Aber nicht nur für Regierungsbezirke, auch hinsichtlich einer sächsischen Landesregierung lagen im März bereits detaillierte, großteils bereits zwischen den Räten abgestimmte Ausarbeitungen zur Struktur von Hauptabteilungen, Referaten und nachgeordneten Behörden vor. Bei einer Koordinierungsberatung der Räte am 20. März wurde neben dem Entwurf einer Landesverfassung bereits das komplette Modell einer Landesregierung beraten.48 Der Dresdner Ratsvorsitzende, Kunze, informierte das Präsidium des Bezirkstages am selben Tag darüber, dass mit den anderen Bezirken „sehr intensiv Grundlagendokumente zur Bildung des Landes Sachsen erarbeitet“ würden.49 Während sich die Räte von Karl-Marx-Stadt und Leipzig vor allem auf Modelle künftiger Regierungspräsidien konzentrierten, befasste sich der Rat des Bezirkes Dresden vorrangig mit der Bildung der Landesregierung und übernahm damit von Anfang an eine Sonderrolle. Am 28. März legte Heidrun Lotze, im Rat für die Koordinierung aller Aktivitäten zur Landesbildung zuständig, einen ersten Strukturplan für Ministerien samt Abteilungen vor.50 Danach waren dem Ministerpräsidenten ein Staatsministerium nach baden-württembergischen Vorbild und ein Staatssekretär für parlamentarische Arbeit zugeordnet. Dem Staatsministerium unterstanden alle Fachministerien. Es gliederte sich in die Abteilungen 1. Verwaltung/Recht, 2. Finanzen, 3. Landesangelegenheiten, 4. Grundsatz und Planung, 5. Internationale Arbeit und Protokoll sowie 6. Kirchenfragen. Bereits am 29. November 1989 hatte der Rat vorgeschlagen, wegen der „hohen Konzentration kirchlicher Leitungen im sächsischen Raum“ im Falle der Bildung einer Landesregierung einen stellvertretenden Vorsitzenden für Kirchenfragen einzusetzen.51 Die Idee, den bisherigen Bereich Kirchenfragen beim Rat des Bezirkes der Staatskanzlei oder unmittelbar dem Arbeitsbereich des Ministerpräsidenten zuzuordnen, wurde im März wieder aufgegriffen52 und nun auch die Bildung eines Presseamtes beim Ministerpräsidenten vorgeschlagen.53 Im April konzipierten die Leiter der 47 Vermerk von Ernst Füsslin vom 27. 6.1990: Betr. Ländereinführung, hier: Situation in Sachsen, Aufbau eines Beraterservices des Landes (SMBW, 0136 Partnerschaft mit Dresden/Sachsen). 48 RdB Leipzig vom 21. 3.1990: Im Ergebnis der Koordinierungsberatung mit den RdB Dresden und KMS am 20. 3.1990 stehen für die einzelnen Fachgruppen folgende Aufgaben ... (SächsStAL, BT/RdB, 25795). 49 Protokoll Beratung Präsidium BT Dresden vom 20. 3.1990 (SächsHStA, BT / RdB, 46123, Bl. 138–140). 50 RdB Dresden, Heidrun Lotze: Modell einer Landesregierung Sachsen vom 28. 3.1990 (HAIT, KA, 42). 51 RdB Dresden: Standpunkt zu Strukturfragen des Sektors Staatspolitik in Kirchenfragen vom 29.11.1989 (ebd., 52). 52 RdB Dresden, Bereich Kirchenfragen: Positionen zu Strukturfragen und Aufgaben des Arbeitsbereiches Kirchenfragen in einer zukünftigen Länderstruktur vom 2. 3.1990 (ebd.). 53 RdB Dresden: Vorschlag zur Bildung eines Presseamtes beim Ministerpräsidenten vom 13. 3.1990 (ebd.).

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Bereiche Internationale Arbeit der drei Räte einen Bereich Internationale Arbeit beim Büro des Ministerpräsidenten oder in der Staatskanzlei.54 Auch hier lag bereits Mitte April ein genauer Entwurf vor.55 Ebenso gab es Überlegungen, ein eigenes Ministerium oder Staatssekretariat für Tourismus und Internationale Zusammenarbeit zu bilden.56 Sie basierten auf entsprechenden Vorschlägen des Mitgliedes des Rates des Bezirkes Dresden für Tourismus und Internationale Zusammenarbeit, Dieter Bellmann, vom 1. März. Erst im Januar war im Rat ein entsprechender Bereich gebildet worden.57 Da Sachsen hinsichtlich des Tourismus wie auch der internationalen Zusammenarbeit „die höchste Bedeutung aller Länder im bisherigen Raum der DDR“ habe, sei es gerechtfertigt, „entgegen der Verfahrensweise der Zuordnung der Länder der BRD“, zum Beispiel in die Staatskanzlei oder in andere Ministerien, nach bayerischem Vorbild ein eigenständiges Ministerium oder nach baden-württembergischen Vorbild ein Staatssekretariat einzurichten.58 Das von Heidrun Lotze konzipierte Ministerium des Innern sollte die Abteilungen 1. Verwaltung und Recht, 2. Organisation und Kommunalwesen, 3. Landespolizeipräsidium, 4. Katastrophenschutz, Brandschutz, Rettungsdienst, 5. Landesentwicklung, Raumordnung und 6. Information, Kommunikation umfassen.59 Ebenfalls vom 28. März stammt ein Konzept für die „Profilierung der Büros für Territorialplanung Dresden, Karl-Marx-Stadt und Leipzig zum Büro für Raumordnung des Landes Sachsen“.60 Am 11. April legte der Bezirksbaudirektor einen dritten Entwurf für eine dem Innenministerium zugeordnete Baubehörde vor.61 Ebenfalls vom April stammt der Entwurf eines Organisationsplanes der Abteilung Raumordnung, Bau- und Wohnungswesen eines Regierungspräsidiums.62 In einem Entwurf vom 24. April63 wurde die Struktur des Innenministeriums modifiziert. Es sollte sich nun aus den Abteilungen 1. Allgemeine Verwaltung, 2. Organisation, Kommunikation/EDV, 3. Verfassung, Kom54 RdB KMS: Information über die am 9. 4.1990 in Dresden stattgefundene Beratung zu Problemen der Internationalen Arbeit (SächsStAC, BT/RdB, 137632). 55 Entwurf. [Eingang:] 11. 4.1990 (HAIT, KA, 52). 56 RdB KMS: Information über die Beratung zu Problemen der Internationalen Arbeit am 9. 4.1990 in Dresden (SächsStAC, BT/RdB, 137632). 57 RdB Dresden, Abt. Tourismus/Internationale Zusammenarbeit: Begründung für die Bildung des Ratsbereiches Tourismus und Internationale Zusammenarbeit vom 12.1.1990 (HAIT, KA, 52). 58 RdB Dresden: Hausmitteilung von Dieter Bellmann an Klaus Schumann vom 1. 3.1990: Strukturvorschlag Landesregierung (ebd.). 59 RdB Dresden, Heidrun Lotze: Modell einer Landesregierung Sachsen vom 28. 3.1990 (ebd., 42). 60 Büro für Territorialplanung Dresden: Profilierung der Büros für Territorialplanung Dresden, KMS und Leipzig zum Büro für Raumordnung des Landes Sachsen vom 28. 3.1990 (ebd., 53). 61 RdB Dresden: Konzeption für Organisation und Hauptaufgaben der Staatlichen Baubehörde in der Landesregierung Sachsen und den Regierungspräsidien vom 11. 4.1990 (ebd.). 62 Ebd. 63 RdB Dresden: Struktur eines Innenministeriums vom 24. 4.1990 (ebd., 37).

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munal- und Sparkassenwesen, 4. Katastrophen-, Brandschutz, Rettungsdienst, zivile Verteidigung, 5. Baurecht, Städtebau, Wohnungswesen, 6. Landespolizeipräsidium sowie 7. Raumordnung, Landesentwicklung, Raumplanung, Liegenschafts- und Vermessungswesen zusammensetzen. Das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport gliederte sich nach dem Entwurf in die Abteilungen 1. Verwaltung, Haushalt, Personal, 2. Recht, 3. Grundsatzangelegenheiten, 4. Allgemeinbildende Schulen, 5. Berufsbildende Schulen, 6. Sportangelegenheiten und 7. Jugendförderung.64 Der Entwurf stützte sich auf eine Ausarbeitung von Anfang März.65 Neben diesem Modell wurden auch andere Strukturen erwogen. Ein Strukturvorschlag des Bezirksschulrates Dresden, Professor Manfred Hasler, vom 1. März ging von einem Ministerium für Bildung, Kultur und Sport aus.66 Auch ein Strukturvorschlag der Abteilung Jugend und Sport des Rates des Bezirkes Dresden ging von einer Zuordnung des Bereichs in ein Ministerium für Kultur, Bildung und Sport aus.67 Ebenfalls aus Dresden kamen am 6. März zwei weitere Entwürfe, von denen einer ein Ministerium für Bildung und Kultur mit den Abteilungen 1. Haushalt, Personal, Recht, Verwaltung, 2. Universitäten, Forschungsinstitute und 3. Kultur vorsah,68 ein anderer ein Ministerium für Kunst und Kultur mit den Abteilungen 1. Haushalt, Personal, Recht, Verwaltung, 2. Kunst und Literatur und 3. Kommunale Kultur.69 Daneben gab es den Vorschlag eines reinen Wissenschaftsministeriums mit den Abteilungen Hochschulwesen, Bildungs- und Berufsakademien sowie Bibliothek- und Archivwesen.70 Vom 14. März stammt der Organisationsplan für ein Ministerium für Kultur, Kunst und Wissenschaft mit den Abteilungen 1. Haushalt, Personal, Recht, Verwaltung, 2. Kunst und Literatur, 3. Kommunale Kultur, 4. Universitäten, Forschungsinstitute und 5. Hochschulen. Einem Staatssekretär waren der Zivilschutz und der Schutz des Kulturgutes zugeordnet.71 Heidrun Lotze schlug am 28. März neben dem Ministerium für Bildung, Jugend und Sport ein eigenes Ministerium für Kultur, Kunst und Wissenschaft mit den Abteilungen 1. Verwaltung, Haushalt, Recht, Personal, 2. Kunst und Literatur, 3. Kommunale Kultur, 4. Universitäten, Forschungsinstitute und 5. Hoch64 RdB Dresden, Heidrun Lotze: Modell einer Landesregierung Sachsen vom 28. 3.1990 (ebd., 42). 65 Strukturplan eines Ministeriums für Bildung/Jugend und Sport vom 2. und 16. 3.1990 (ebd.). 66 RdB Dresden: Strukturvorschlag von Manfred Hasler an die AG Verwaltungsreform, Arbeitskreis Struktur, vom 1. 3.1990 (ebd., 50). 67 RdB Dresden, Abteilung Jugend und Sport: Angebotsmaterial zu inhaltlichen Aspekten und Strukturen des Bereiches Jugend und Sport im Land Sachsen vom 2. 3.1990 (ebd.). 68 Entwurf eines Organisationsplans für ein Ministerium für Bildung und Kultur der Landesregierung Sachsen vom 6. 3.1990 (ebd., 48). 69 Entwurf einer Gesamtstruktur der staatlichen Verwaltung für den Bereich Kunst und Kultur der Landesregierung Sachsen vom 6. 3.1990 (ebd.). 70 RdB Dresden, Stellvertreter des Vorsitzenden für Energie: Aufbau Wissenschaftsministerium Land Sachsen, o. D. (ebd., 28). 71 Entwurf eines Organisationsplans für ein Ministerium für Kultur, Kunst und Wissenschaft der Landesregierung Sachsen vom 14. 3.1990 (ebd., 48).

Arbeiten der Räte am Modell einer Landesregierung

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schulen vor. Die Unsicherheiten hinsichtlich der Zusammenlegung der Bereiche Jugend/Schule mit dem Hochschulbereich zogen sich durch alle weiteren Debatten und endeten erst mit der Entscheidung Biedenkopfs für getrennte Ministerien im November 1990. Das Justizministerium sollte sich in die Abteilungen 1. Verwaltung, Haushalt, 2. Gesetzgebung, Gerichtsbarkeit, 3. Gerichtsorganisation, 4. Personalangelegenheiten, Ausbildung, 5. Berufsorganisation und 6. Strafvollzug gliedern.72 Nach einem Strukturplan des Bezirksgerichtes Dresden für ein Justizministerium von Anfang März sollten dem Minister ein Parlamentarischer Staatssekretär ohne Geschäftsbereich und ein Staatssekretär mit Zuständigkeit für die Bereiche Gesetzgebung und Justizverwaltung unterstehen.73 Für das Finanzministerium waren die Abteilungen 1. Verwaltung, Personal, 2. Haushalt- und Finanzplanung, 3. Steuern, 4. Baufrage und öffentliche Aufträge sowie 5. Vermögensverwaltung vorgesehen.74 Vom 7. März stammt der Entwurf für die Struktur einer nachgeordneten Baubehörde.75 Das Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie gliederte sich nach dem Entwurf in die Abteilungen 1. Verwaltung, Organisation, 2. Wirtschaftspolitik, 3. Wirtschaftsordnung und -beobachtung, 4. Wirtschaftsnähe, Technologie und Forschung sowie 5. Energie- und Rohstoffwirtschaft.76 Als nachgeordnete Ämter waren ein Landesgewerbeamt, ein Gewerbeaufsichtsamt mit Prüf- und Eichämtern, ein Landesoberbergamt sowie ein Geologisches Landesamt konzipiert.77 Bereits am 2. März lagen dem Rat des Bezirkes Dresden Vorschläge zur Struktur des Wirtschaftsressorts und nachgeordneter Behörden vor.78 Am 5. März schlug das Amt für Standardisierung, Messwesen und Warenprüfung beim Ministerrat die Bildung eines selbständigen Landesamtes für Eichwesen im Bereich des Wirtschaftsministeriums vor.79 Auch hinsichtlich des Wirtschaftsministeriums gab es im März unterschiedliche Vorstellungen. Ein Vorschlag sah ein Ministerium für Wirtschaft und Raumordnung mit zwei Ämtern für Wirtschaft und Raumordnung vor.80 Ein anderer ein Ministerium für 72 RdB Dresden, Heidrun Lotze: Modell einer Landesregierung Sachsen vom 28. 3.1990 (ebd., 42). 73 Bezirksgericht Dresden: Aufbau und Aufgaben Ministerium der Justiz des Landes Sachsen, o. D. (ebd., 51). 74 RdB Dresden, Heidrun Lotze: Modell einer Landesregierung Sachsen vom 28. 3.1990 (ebd., 42). 75 RdB Dresden: Bezirksbaudirektor Wolfgang Rank an Klaus Schumann vom 7. 3.1990: Verwaltungsreform, Struktur der Baubehörde des Landes Sachsen (ebd., 53). 76 RdB Dresden, Heidrun Lotze: Modell einer Landesregierung Sachsen vom 28. 3.1990 (ebd., 42). 77 Strukturvorschlag für ein Wirtschaftsministerium des Landes Sachsen vom 2. 4.1990 (ebd., 55). 78 Mitteilung von Dieter Bellmann an Klaus Schumann vom 2. 3.1990: Strukturvorschlag für die Ebene der Landesregierung und weiterer Kommunen (ebd., 60). 79 Ministerrat der DDR, Amt für Standardisierung, Messwesen und Warenprüfung, an den RdB Dresden, AG 3, vom 5. 3.1990 (ebd., 55). 80 Strukturvorschlag Landesregierung Sachsen, Ministerium für Wirtschaft und Raumordnung, o. D. (ebd.).

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Wirtschaft und Verkehr mit einem Ministerialdirektor für die Abteilung Verwaltung und Organisation sowie zwei Staatssekretären für Wirtschaft und für Verkehr, denen je zwei Abteilungen (gewerbliche Wirtschaft / Energie- und Rohstoffwirtschaft) und (Verkehr/Post und Kommunikation) zugeordnet waren.81 Daneben stand das Konzept eines eigenen Verkehrsministeriums mit den Abteilungen 1. Verwaltung, Grundsatzfragen, Haushalt, 2. Personen- und Güterverkehr, 3. Verkehrsrecht und -technik sowie 4. Straßenwesen.82 Dessen Notwendigkeit wurde mit der desolaten Lage des Verkehrswesens, von Straßen und Brücken sowie dem hohen Alter der Nutzfahrzeuge begründet, die einer zu erwartenden stürmischen Entwicklung des Verkehrswesens in den kommenden Jahren gegenüberstünden. Dem Ministerium sollte ein Landesamt für Verkehrsplanung zugeordnet werden.83 Lotze folgte diesem Modell und schlug ein Ministerium für Verkehrswesen mit den Abteilungen 1. Verwaltung, 2. Personen- und Güterverkehr, 3. Verkehrstechnik und Verkehrsrecht, 4. Straßenwesen sowie 5. Grundsatz, Haushalt vor. Da die Vorstellungen über ein Wirtschaftsministerium bei einigen Mitarbeitern des Dresdner Rates noch stark von der DDR-Vorstellung geprägt waren, dieses habe die Funktion, die Wirtschaft zu lenken, sah sich der Leiter der Abteilung Verwaltung und Recht im Wirtschaftsministerium Baden-Württembergs, Buchmüller, veranlasst, darauf hinzuweisen, dass ein Wirtschaftsministerium nur für grundsätzliche Fragen wie alle anderen Ministerien auch zuständig sei. Der Staat solle sich so wenig wie möglich in die Wirtschaftsprozesse einmischen.84 Ein Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten sollte die Abteilungen 1. Verwaltung, 2. Agrarstruktur, Agrarordnung, 3. Pflanzenbau, Pflanzenzüchtung, 4. Markt und Ernährung, 5. Veterinärverwaltung, 6. Landesforstverwaltung sowie 7. Aus- und Weiterbildung umfassen.85 Der Vorschlag basierte auf Vorstellungen der 1. Stellvertreter der Leiter der Fachorgane Land-, Forstund Nahrungsgüterwirtschaft der drei Räte der Bezirke, die am 20. Februar die Schaffung eines Ministeriums für ländlichen Raum, Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vorgeschlagen hatten.86 81 Strukturvorschlag für ein Wirtschaftsministerium des Landes Sachsen: Ministerium für Wirtschaft und Verkehr. [Handschr.: Überarbeiten, Lo. 26. 3.1990] (ebd.). 82 RdB Dresden, Stellvertreter des Vorsitzenden für Verkehrswesen: Begründung der Notwendigkeit eines eigenständigen Verkehrsministeriums in der Landesregierung vom 19. 3.1990 (ebd., V.2); Ministerium für Verkehrswesen, o. D. (ebd., 38). 83 RdB Dresden, Stellvertreter des Vorsitzenden für Verkehrswesen: Begründung der Notwendigkeit eines eigenständigen Verkehrsministeriums in der Landesregierung vom 19. 3.1990 (ebd., V.2). 84 Protokoll über die Aussprache mit Ministerialdirektor Buchmüller und Ministerialrat Dr. Haeffter vom Wirtschaftsministerium des Landes Baden-Württemberg und Vertretern der HA Raumordnung und einiger Fachorgane des RdB Dresden am 20. 4.1990 in Dresden (ebd., 55). 85 RdB Dresden, Heidrun Lotze: Modell einer Landesregierung Sachsen vom 28. 3.1990 (ebd., 42). 86 RdB Leipzig, KMS, Dresden, Fachorgane Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft: Niederschrift zur Beratung am 20. 2.1990 in Dresden (ebd., 49).

Arbeiten der Räte am Modell einer Landesregierung

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Das Umweltministerium sollte sich aus den Abteilungen 1. Verwaltung, 2. Grundsatzfragen, Umweltschutz, 3. Wasserwirtschaft, 4. Luft, Umweltradioaktivität, 5. Abfallwirtschaft und Boden sowie 6. Natur- und Landschaftsschutz zusammensetzen. Der Entwurf des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales sah die Abteilungen 1. Verwaltung, 2. Arbeit, 3. Sozialversicherung, 4. Soziales, Jugend und Familie sowie 5. Gesundheitswesen vor.87 Am 17. April legte die Abteilung Gesundheits- und Sozialwesen der Arbeitsgruppe zur Bildung des Landes Sachsen einen leicht abweichenden Strukturplan für ein Ministerium für Arbeit, Gesundheit, Familie und Sozialordnung einschließlich der Struktur der nachgeordneten Behörden vor. Danach waren die Abteilungen 1. Verwaltung, 2. Arbeit, 3. Sozialversicherung, 4. Familie und Soziales und 5. Gesundheitswesen vorgesehen.88 Neben Vorarbeiten für die künftigen Landesministerien bereiteten die Räte die Landesbildung auch in anderer Hinsicht vor und koordinierten ihr Vorgehen. Am 12. April erhielt der Direktor der Betriebsakademie des Rates des Bezirkes Dresden, Holger Löser, den Auftrag, die Mitglieder der Arbeitsgruppe Verfassungs- und Verwaltungsreform abzustimmen sowie eine Information über die durch die ehemalige Landesregierung Sachsen in Dresden genutzten Gebäude zu erstellen. Außerdem sollte er einen Vorschlag zur Bildung einer Stabsstelle für Verwaltungsstruktur erarbeiten.89 Vom April stammt auch die Beschlussvorlage des Rates des Bezirkes Dresden zur Bildung einer Landesentwicklungsgesellschaft. Danach war vorgesehen, das Ratsmitglied für Wohnungswirtschaft, Siegfried Ballschuh, als natürliche Person für das eingebrachte Stammkapital des Rates des Bezirkes bzw. der eingebrachten Vermögenswerte des AfNS als Gesellschafter zu berufen. Dabei ging es vor allem darum, die Immobilen und mobilen Werte des MfS in den Besitz der Landesentwicklungsgesellschaft zu überführen.90

87 RdB Dresden, Heidrun Lotze: Modell einer Landesregierung Sachsen vom 28. 3.1990 (ebd., 42). 88 RdB Dresden: Hausmitteilung (Strukturplan) der Abteilung Gesundheits- und Sozialwesen an die AG zur Bildung des Landes Sachsen vom 17. 4.1990 (ebd., 59). 89 1. Stellvertreter des Vorsitzenden des RdB Dresden: Festlegungsprotokoll der Dienstberatung mit den Abteilungsleitern am 12. 4.1990 (SächsHStA, BT/RdB, 46999, Bl. 15 f.). 90 RdB Dresden: Vorschlag zur Bildung einer „LEG Landesentwicklungsgesellschaft Sachsen m.b.H.“ vom 25. 4.1990 (HAIT, KA, 53).

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4.1.3 Auseinandersetzungen um die Dominanz im Landesbildungsprozess Wie vor den Volkskammerwahlen vereinbart, tagte der Runde Tisch des Bezirkes Dresden am 22. März in seiner bisherigen Struktur, um sich nochmals mit seiner Zusammensetzung, der Kooperation der Runden Tische und der Länderbildung zu befassen.91 Ratsvorsitzender Kunze forderte auf, sich „in Anbetracht der drängenden Zeit“ durch Mitarbeit in den Arbeitsgruppen des Rates an einer „breiten demokratischen Diskussion und Meinungsbildung“ zu beteiligen. Er informierte kurz über Planungen der Räte zu einer Auftaktveranstaltung für die Landesbildung auf der Albrechtsburg in Meißen, wo die Räte Planungen der Regierung Modrow von Ende Februar umsetzen wollten, auf Länderebene verfassungsgebende Versammlungen zu bilden, die bis September 1990 Entwürfe von Länderverfassungen vorlegen sollten.92 Die avisierte Meißener Tagung folgte den Vorgaben der Modrow-Regierung, zentral gelenkte Regionalausschüsse als „volksdemokratische“ Gremien alten Musters einzusetzen. Entsprechend hieß es in einem Papier des Rates des Bezirkes Leipzig, der Regionalausschuss werde „die verfassungsgebende Versammlung für das Land Sachsen“ sein.93 Welches Gewicht Kunzes Information besaß, wurde den Teilnehmern des Runden Tisches nicht gleich deutlich.94 Sie stimmten der von ihm formulierten Verfahrensweise zu, beschlossen mehrheitlich, sich mit der Herausbildung des Landes Sachsen zu befassen und bis zum 27. März namentliche Vorschläge für die Auftaktveranstaltung in Meißen sowie zur Mitarbeit in den Ausschüssen des Rates vorzulegen. Allerdings wurden in der Diskussion bereits Vorbehalte gegen das in Meißen zu schaffende Gremium formuliert. Arnold Vaatz war es auch, der beantragte, das Ergebnis der Volkskammerwahl im Bezirk Dresden auf den Runden Tisch zu projizieren, was er damit begründete, dass weder die Räte noch die Bezirkstage oder die „oppositionellen Strömungen“ demokratisch legitimiert seien. Da es kein klares Votum gebe, könne man die Legitimationsfrage nicht lösen, müsse aber dessen ungeachtet bis zu den Wahlen handlungsfähig bleiben. Deshalb schlug er eine Anpassung der Teilnehmerzahlen an das Ergebnis der Wahl vor.95 Im Zusammenhang damit warf er erneut die umstrittene, aber zentrale Kompetenzfrage zwischen Rundem Tisch und Bezirkstag auf. Nach seinen Vorstellungen sollte der demokratisch erneuerte Runde Tisch den Bezirkstag in seiner Funktion ersetzen. Vaatz drohte damit, die CDU würde den Runden Tisch verlassen, wenn der Forderung nicht entsprochen werde. Der 91 Protokoll der 14. Beratung des RTB Dresden am 22. 3.1990 (Dok. 28). 92 Regierungskommission für die Vorbereitung und Durchführung der Verwaltungsreform, AG administrativ-territoriale Gliederung: Vorlage zu den Grundsätzen der Länderbildung sowie zu Grundzügen der Aufgabenstellung künftiger Länderparlamente und -regierungen vom 22. 2.1990 (BArch B, DO 5, 137). 93 RdB Leipzig: Vorbereitung Regionalausschuss vom 21. 3.1990 (SächsStAL, BT / RdB, 25795). 94 Vgl. Iltgen, Vom Runden Tisch, S. 19 f. 95 Interview Arnold Vaatz. In: Kleimeier, Sachsen, S. 104 f.

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Vorschlag zielte darauf, mit Blick auf die Länderbildung auf der Ebene der Bezirke handlungsfähige und demokratisch legitimierte Gremien zu schaffen, mit denen sich die Regionen an der Landesbildung beteiligten konnten. Dem Vorschlag, die Zusammensetzung des Runden Tisches dem Wählerwillen anzupassen, diesen also zu einer Art Regionalparlament umzugestalten, stand die Meinung der durch die Wahl marginalisierten Parteien und Gruppen gegenüber, den Tisch in seiner ursprünglichen Funktion als kontrollierendes, teils beschließendes, teils empfehlendes Gremium beizubehalten, wofür gewichtige Veränderungen der Zusammensetzung nicht notwendig seien. Kunze, selbst Mitglied der sich gerade von der politischen Bildfläche verabschiedenden NDPD, meinte, dass jede der zur Wahl angetretenen Parteien, ungeachtet ihrer Akzeptanz in der Bevölkerung einen Sitz erhalten sollte. Begründet wurde die Ablehnung einer neuen Personalstruktur auch damit, dass das Ergebnis der Volkskammerwahl nicht ohne weiteres auf die Bezirke übertragbar und es wichtig sei, ein breites Spektrum politischer Meinungen gelten zu lassen. Schließlich wurde mit zehn gegen drei Stimmen bei zwei Enthaltungen ein Kompromissvorschlag Hans Geislers vom Demokratischen Aufbruch angenommen, die Wahlergebnisse zwar zu berücksichtigen, zusätzlich aber auch den marginalisierten Parteien und Gruppierungen Plätze einzuräumen.96 Zwar fehlte denen eine demokratische Legitimierung, aber in Dresden ging es auch darum, „Strukturen, die aktiv und gestaltend waren, fortzuschreiben“.97 Die CDU erhielt nun sechs, PDS, DSU und SPD bekamen je zwei und die anderen bisherigen Teilnehmer je einen Sitz.98 Der Runde Tisch beschloss, seine Tätigkeit ab dem 29. März in neuer Zusammensetzung fortzuführen. Vaatz akzeptierte den Kompromissvorschlag Geislers, weil sich beide aus der bisherigen Arbeit kannten und respektierten. Zunächst, so Geisler, wollte Vaatz uns „gleich ganz rausschmeißen anhand der Ergebnisse“. Als man sich aber am Runden Tisch persönlich gegenüber gesessen habe, sei er auf Geislers Intervention eingegangen und habe die kleinen Gruppierungen „nicht rausgekegelt“.99 Vaatz war bei seinem Vorschlag, die Zusammensetzung dem Wählervotum vom 18. März anzugleichen, davon ausgegangen, dass die neuen Kräfte in der CDU am Runden Tisch dominieren würde. Um dies abzusichern, hatte er sogar Herbert Wagner erfolgreich gebeten, sich zeitweilig am Runden Tisch des Bezirkes zu beteiligen, obwohl dieser eigentlich vorhatte, sich auf die Dresdner Kommunalpolitik zu konzentrieren. Wagner erinnert sich, dass er „das eigentlich mehr pflichtgemäß, als aus eigenem Antrieb getan“ habe, um „die Plätze für die CDU möglichst mit neuen po-

96 Vgl. Handschriftliche Notizen Hans Geislers vom RTB Dresden am 22. 3.1990 (PB Hans Geisler, blaues Heft); Die Union vom 22. 3.1990. 97 Matthias Rößler beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 98 Je einen Sitz erhielten: Bündnis 90/Neues Forum, L.D.P., DFP, DA, DBD, Grüne Partei, UFV, NDPD, VL, AKC, FDGB, Vertreter der Wirtschaft, Evangelische und Katholische Kirche, Domowina, RdB. 99 Interview Hans Geisler.

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litischen Kräften“ zu besetzen.100 Geisler war in dieser Hinsicht skeptisch. Sein Vorschlag, die kleinen Gruppen am Runden Tisch zu belassen, resultierte auch aus der Überlegung, dass Vaatz möglicherweise nicht durchsetzen könnte, dort nur Vertreter der neuen CDU-Kräfte zu platzieren und „plötzlich die Alten wieder ein Übergewicht kriegen“.101 Noch hatte Kunze den Vorstoß, den Runden Tisch an Stelle des Bezirkstages zum parlamentarischen Kontrollgremium des Rates zu wandeln, abwehren können. Für die Räte galt es aber, kommende Angriffe zu parieren, um sich nicht dem Einfluss der Runden Tische aussetzen zu müssen. Deswegen plädierten sie bei der Regierung dafür, die Bezirkstage bis zu den Landtagswahlen arbeiten zu lassen, um eine „möglichst hohe Stabilität in der Arbeit der Bezirke“ bei der Vorbereitung der Länder zu gewährleisten. Um ihre Ambitionen zu unterstreichen, setzten sie die Regierung darüber in Kenntnis, dass sich am 18. April in Meißen ein „Sächsischer Arbeitsausschuss zur Bildung des Landes Sachsen“ konstituieren werde.102 Das Ziel der vor allem von der PDS bzw. den marginalisierten Parteien und Gruppen dominierten Räte und Bezirkstage war klar. Es ging darum, die Landesbildung weder an die bunt zusammengewürfelten Runden Tische, noch an die neuen Mehrheitsparteien abtreten zu müssen, sondern sich selbst aufzuwerten. Hauptkontrahenten in der unübersichtlichen Auseinandersetzung waren einerseits abgewählte Kräfte wie PDS, DBD, NDPD oder bisher in die „Volksvertretungen“ eingebundene Massenorganisationen, andererseits die durch die Wahl zur führenden Partei berufene CDU, schließlich aber auch die neuen politischen Kräfte, die zum Teil als Vertreter der CDU, aber vor allem auch in SPD, DA oder DSU agierten. Die neuen Kräfte in der CDU nutzten den strategischen Vorteil, nach Bedarf als Vertreter der Regierungspartei auftreten zu können, ohne deswegen zwangsläufig den Vorgaben der Parteiführung folgen zu müssen. Angesichts dieser Haltung ließen Auseinandersetzungen im sächsischen CDU-Landesvorstand nicht lange auf sich warten. Die offizielle Haltung der CDU war inzwischen von ihrer Rolle als führender Regierungspartei bestimmt. Im sich konstituierenden Ministerrat trafen weder Forderungen nach einer Weiterarbeit von Bezirkstagen oder Runden Tischen auf Gegenliebe, in denen die Wahlverlierer dominierten, noch solche nach einer Aufwertung von Runden Tischen zwecks Instrumentalisierung durch bewusst und gezielt agierende Abweichler in den Reihen der CDU. Erstmals in der DDRGeschichte waren Volkskammer und Regierung in freien, gleichen und geheimen Wahlen demokratisch legitimiert worden. Dadurch verlagerte sich der politische Umgestaltungsprozess von der direktdemokratischen zunehmend auf die parlamentarische Ebene. Vor allem angesichts der Notwendigkeit einer straffen Lenkung des komplexen Prozesses der Wiederherstellung der staatlichen Einheit hielt es de Maizière für zweckmäßiger, sich auf mit westlichen Beratern 100 Interview Herbert Wagner. 101 Interview Hans Geisler. 102 Entwurf eines gemeinsamen Schreibens der drei Vorsitzenden der RdB an den Ministerpräsidenten der DDR vom 27. 3.1990 (Dok. 32).

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abgestimmte Entscheidungen zu verlassen als auf unberechenbare Runde Tische, zumal, wenn ihre Zusammensetzung nicht einmal annäherungsweise repräsentativ war. Klaus Reichenbach, damals Staatsminister im Büro des Ministerpräsidenten, erinnert sich, dass de Maizière nach seinen Erfahrungen mit dem Zentralen Runden Tisch „gegen manche Dinge dieses Runden Tisches einfach eine Allergie“ hatte. Er meinte, dort werde „zu viel zerquatscht“. Als Regierungschef wollte er „Handlungen sehen“ und befürchtete, wenn er sich auf Runde Tische verlasse, dass diese „alles breit treten“ und nie etwas zustande komme. Deswegen habe er diese von Anfang an nicht in sein Kalkül einbezogen.103 Nach der Wahl ließ er Runde Tische deswegen auf allen Ebenen rasch und massiv zugunsten parlamentarischer Institutionen zurückdrängen. Der Vorgang wiederholte sich in adäquater Weise bei der Auflösung des MfS/AfNS, wo Diestel, der „über die DSU urplötzlich aus dem Dunkel der politischen Anonymität“ aufgetaucht war,104 die bis dahin tätigen Bürgerkomitees noch vor der Einsetzung parlamentarischer Kontrollgremien ihrer Kompetenzen enthob.105 Die Regierung strebte eine Struktur an, in der sie allein bestimmte und die Räte der Bezirke als ihre Ausführungsorgane fungierten. Für eine dezentrale Entscheidungsstruktur fehlte es hier, auch angesichts der zu bewältigenden Aufgaben, an Verständnis. Iltgen erinnert sich, dass es eine der ersten Anweisungen de Maizières und Diestels war, die Runden Tische abzuschaffen: „Sie wollten den Partner Rat des Bezirkes haben und nicht auch noch irgendwelche Gruppen. Sie wollten ihre Autorität festigen und zeigen, dass nur noch gilt, was sie sagen. Und diese ganzen Runden Tische wollten sie bei Seite schieben und damit auch den Einfluss der Reformkräfte.“106 Mit dem Sieg der CDU und deren Skepsis gegenüber den aus der friedlichen Revolution hervorgegangenen Gremien änderte sich die im Herbst entstandene politische Transformationskultur in Richtung eines stärker zentralistisch organisierten repräsentativ-demokratischen Systems, dessen erklärte Aufgabe seine eigene Abschaffung war, das seine eigene Struktur unter anderem auch mit dieser Aufgabe erklärte und das sich als Transformationsmodell erheblich von der bundesdeutschen Zielvorgabe unterschied. Leider hatte das angesichts der Zwänge des Einigungsprozesses durchaus plausible „System de Maizière“ den Schönheitsfehler, in seiner Ablehnung von Formen von Bürgerselbstbestimmung und in seiner zentralistischen Struktur viele Aktivisten der friedlichen Revolution an Runden Tischen und in Bürgerkomitees an das gerade überwundene System zu erinnern. Dieser Eindruck wurde dadurch verstärkt, dass es von zahlreichen Funktionsträgern des alten Regimes aus den Reihen der Blockparteien getragen wurde. Im Landesvorstand der sächsischen CDU stieß der repräsentativ-demokratische Ansatz der Altfunktionäre auf die von Vaatz schon im Verfassungsentwurf der Gruppe der 20 gezeigte Sympathie für bestimmte Formen direkter Demo103 104 105 106

Interview Klaus Reichenbach. Neubert, Ein politischer Zweikampf, S. 232. Vgl. Richter, Die Staatssicherheit im letzten Jahr der DDR, S. 211 f. Interview Erich Iltgen. In: Kleimeier, Sachsen, S. 61.

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kratie, die sich nun in seinem Versuch niederschlug, die Runden Tische als durch die Regierung legitimierte Gremien bis zur Landesbildung als quasi-parlamentarische Kontrollgremien über die Räte wirken zu lassen. Freilich lehnte Vaatz repräsentativ-demokratische Strukturen nicht per se ab, ihn störte vielmehr die Tatsache, dass die Altfunktionäre aus der Ex-Block-CDU diese nun zu schwer kontrollierbarer und als zentralistisch empfundener Machtausübung nutzen konnten. Hintergrund seiner und der Haltung seiner Mitstreiter war die Überzeugung, das Land Sachsen dürfe nicht allein durch eine zentrale Regierung gebildet werden, sondern verlange eine breite Einbeziehung der politischen Kräfte vor Ort. Mit dieser kritischen Haltung gegen eine „Föderalisierung von oben“ stand Vaatz nicht allein.107 Zur Austragung des Konfliktes kam es auf der Landesvorstandssitzung am 28. März, als der stellvertretende Leipziger CDU-Kreisvorsitzende, Herbert Goliasch, beantragte, die Regierung aufzufordern, mit der Kommunalwahl die Arbeit der Bürgerkomitees und Runden Tische zu beenden und Vaatz mit dem Antrag konterte, die Runden Tische der Bezirke in Anlehnung an die Mehrheitsverhältnisse in der Volkskammer zu besetzen. Gemäß seiner Überzeugung, dass sich die Länder vor allem auch aus der Region heraus bilden müssten, schlug er vor, die Runden Tische zu einem vorparlamentarischen Ausschuss des Landes Sachsen zusammenzuführen. Sie sollten als „das mit der Regierung kommunizierende Organ der Bezirke (in der Weiterung: des Landes), als Organ der bezirklichen und (in der Weiterung: Landes-) Gesetzgebung und als das Organ mit Personalhoheit über die Räte der Bezirke“ fungieren und die Bezirkstage aufgelöst werden. Erwartungsgemäß konnte sich Vaatz nicht durchsetzen. Stattdessen wurde der auf der Rottenburger Erklärung basierende Antrag Goliaschs mit 28 Stimmen bei zwei Gegenstimmen und fünf Enthaltungen mit dem Zusatz angenommen, wonach eine Regierungskommission die Arbeit des Rates des Bezirkes bis zur Wahl der Landesregierung überwachen sollte.108 Statt einer Kontrolle durch die Runden Tische der Bezirke plädierte die Mehrheit des Landesvorstandes für eine Anleitung der bezirklichen Staatsorgane durch die CDU-geführte Regierung. Neben der offiziellen, eher zentralistischen CDU-Linie und der von Vaatz und anderen Bürgerrechtlern vertretenen Auffassung einer Landesbildung „von unten“ hielten sich auch die Bezirkstagsabgeordneten mit ihrer Meinung nicht zurück, dass die Bildung des Landes Sachsen unter ihrer aktiver Beteiligung erfolgen sollte. Auf einer Beratung der Arbeitsgruppe „Bildung Land Sachsen“ des Dresdner Bezirkstages mit Vertretern der Bezirkstage Leipzig und Karl-Marx-Stadt erklärten sie, ein zu bildender „Parlamentarischer Ausschuss“ müsse „unter Verantwor107 Vgl. dazu u. a. Ralf Lord Dahrendorf. In: ARD. 3. Programm Baden-Württemberg am 27. 4. 2002, 22.15 Uhr. 108 LV der CDU Sachsen, Landessekretariat: Festlegungsprotokoll der Landesvorstandssitzung vom 28. 3.1990 (CDU-Landesgeschäftsstelle Sachsen, Protokolle und Festlegungen vom 28. 3.1990 bis 10. 9.1990) (PB Klaus Reichenbach). Vgl. Landesverband Sachsen: Presseinformation, gez. Johannes Schramm, o. D. (ACDP, III-053, bei Benutzung unsigniert); Die Union vom 30. 3.1990

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tung der Bezirkstage wirken“ und die Bezirkstagsabgeordneten „die tragenden Kräfte in diesen Ausschüssen“ sein. In Verkennung seiner politischen Rolle bekundete der durch die Einbeziehung neuer politischer Kräfte nur ansatzweise demokratisierte Bezirkstag seine Bereitschaft, sich „aktiv an die Spitze“ des Landesbildungsprozesses zu stellen.109 In einer Situation, die vom intensiven Tauziehen um die Rolle der Bezirksgremien im Landesbildungsprozess bestimmt war, tagte der Runde Tisch des Bezirkes Dresden am 29. März erstmals in der von Geisler vorgeschlagenen, an die Volkskammerwahlen angelehnten, also kleine Gruppen berücksichtigenden Zusammensetzung.110 Dadurch gab es hier nun eine formale Dominanz der Regierungsparteien. Insofern hatte der Runde Tisch in Dresden im Unterschied zu Leipzig und Chemnitz wenigstens teilweise „demokratisch reagiert“.111 Dennoch war die Lage alles andere als übersichtlich, schließlich vertraten die anwesenden CDU-Mitglieder weniger die offizielle Linie der Regierungspartei CDU als vielmehr den Kurs der neuen politischen Kräfte unter ihrem strategischen Kopf, Arnold Vaatz. Am Dresdner Runden Tisch war eine sehr spezifische Situation entstanden. Vaatz hatte hier mit einem Rückzug der Regierungspartei CDU gedroht, damit aber die in die CDU eingetretenen Bürgerrechtler gemeint, denn die CDU als Regierungspartei war offiziell nicht mehr an den Runden Tischen der drei Bezirke beteiligt.112 Vertreter der CDU beteiligten sich in Dresden somit ausschließlich deshalb am Runden Tisch, weil sie nicht der Linie ihrer Partei folgten, sondern deren Kurs beeinflussen wollten. Damit bestimmten die durch die Volkskammerwahlen vorgegebenen Mehrheitsverhältnisse zwar formal die Zusammensetzung des Runden Tisches, tatsächlich aber hatten die neuen, in sich inhomogenen Kräfte die Oberhand.113 Vaatz beschreibt die Situation wie folgt: „Jetzt saßen wir also Hälfte/Hälfte am Runden Tisch: Blockparteien, SED, Massenorganisationen, Demokratische Frauen Deutschlands, FDGB, Deutsch-Sowjetische Freundschaft und so weiter. Auf der anderen Seite saß die Opposition, auch zersplittert. Da war die DSU und die Vereinigte Linke mit dabei. Und jetzt stimmten wir aber immer zu allen Fragen geschlossen ab, die eine Seite des Tisches gegen die andere, so dass es oft fünfzig zu fünfzig oder einstimmig war. Aber nun war ich Mitglied in der CDU und habe beantragt, dass ich mit der CDU an einen Tisch komme. Da haben sie den entscheidenden Fehler überhaupt gemacht. Ich kam als Vertreter der CDU an den Runden Tisch, stimmte aber weiter mit der Bürgerbewegung. Und damit haben sich

109 Niederschrift über eine Beratung der AG Bildung Land Sachsen des BT Dresden am 29. 3.1990 (Dok. 34). 110 Protokoll der 15. Beratung des RTB Dresden am 29. 3.1990 (Dok. 33). 111 Interview Arnold Vaatz. In: Der Sächsische Landtag, Von der Wende zum Parlament, S. 47. 112 Vgl. Protokoll der Beratung des RTB Leipzig am 29. 3.1990 (ABL, IV, Runder Tisch Leipzig); Günter Hanisch und Johannes Richter an Rolf Rau und Hans-Wilhelm Ebeling vom 29. 3.1990 (SächsStAL, BT/RdB, 31261, Bl. 29). 113 Vgl. Lesch, Die CDU-Reformer in Sachsen, S. 39.

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die Stimmenverhältnisse verschoben.“114 Die für die DDR einmalige Konstellation kam dadurch zustande, dass dank der Intervention Geislers am 22. März der Runde Tisch als Instrument der neuen politischen Kräfte inner- und außerhalb der CDU erhalten blieb. Für die kurze Zeit bis zum Beginn des Landtagswahlkampfes traten SPD, DA und die „Vaatz-Gruppe“ in der CDU „relativ geschlossen“ als „eine Front gegen die Alten“ auf und es ging „nie gegeneinander“. „Wir haben uns“, so der Dresdner SPD-Bezirksvorsitzende Günter Neumann, „immer untereinander abgestimmt. Das war gut. Dort waren wir eine Einheit. Bis zu den Landtagswahlen.“ Diese aus gemeinsamen politischen Absichten resultierende Einigkeit ging unter dem Einfluss der Parteizentralen im Wahlkampf verloren. Den Politikern in den Führungsetagen seiner Partei, so Neumann, sei die Kooperation mit Vaatz „ein Dorn im Auge“ gewesen.115 Ziel der Gemeinsamkeit war es, zusammen dafür zu sorgen, dass die neuen Kräfte in den kommenden Landesstrukturen dominierten. Aus Sichte des DA beschrieb Rößler die Gründe für die Kooperation am Dresdner Runden Tisch: „Und dann gab es hier die Sondersituation, dass aus der Bürgerbewegung heraus die Gruppe Vaatz, aber auch – relativ kleine – Gruppen aus dem Demokratischen Aufbruch massiv in die Institutionen eingestiegen sind. Erst über den Runden Tisch, wo die alten Machthaber uns ja mit allen möglichen Dingen beschäftigt haben. Zum Beispiel sollten wir dort die historische Schuld Deutschlands diskutieren, aber auch über Schließungszeiten von Kindergärten. Und während dessen haben die Immobilien und Konten in Sicherheit gebracht und haben ihre Machtpositionen auch mit Hilfe von Partnern aus den alten Bundesländern stabilisiert. Diese fatale Schwäche, die die sogenannte DDR-Opposition vom ersten Tag an hatte, die haben wir hier in Sachsen durchbrochen, indem wir ganz konzentriert über den Runden Tisch in die Administration eingestiegen sind.“116 Hauptgrund der nun beginnenden Funktionalisierung des Runden Tisches in Dresden durch die Gruppe um Vaatz war somit letztendlich die durch die Übergangsphase in der CDU von der Blockpartei zur Volkspartei bedingte Polarisierung zwischen alten und neuen politischen Kräften innerhalb der Union.117 Dabei konnten sie dank fortgesetzter Einbeziehung der anderen neuen Gruppierungen und Parteien laut Beschluss vom 22. März auf deren Unterstützung bauen. In ihrer Konfrontationshaltung gegen die Vertreter des alten Regimes in der CDU befanden sich Vaatz und seine Mitstreiter zwar in einer ähnlichen Lage wie Mitglieder anderer neuer Gruppierungen, im Gegensatz zu diesen hatten er und seine politischen Freunde sich aber unmittelbar in die Höhle des freilich bislang eher zahnlosen Löwen gewagt, um dazu beizutragen, die CDU von innen auf einen prowestlichen Kurs zu bringen. Statt sich untereinander aufzureiben, ging die Stoßrichtung weiterhin in Richtung der überkommenen Strukturen des Staatsapparates. 114 115 116 117

Interview Arnold Vaatz am 9. 6.1999. Interview Günter Neumann. Interview Matthias Rößler. In: Kleimeier, Sachsen, S. 88. Vgl. dazu ausführlich Schmidt, Von der Blockpartei zur Volkspartei.

Kampf um Dominanz im Landesbildungsprozess

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Bei der Sitzung des Dresdner Runden Tisches am 29. März beantragte Vaatz’ enger Mitstreiter, Dieter Reinfried, inzwischen Dresdner CDU-Vorsitzender, der Runde Tisch solle den Bezirkstag auffordern, sich aufzulösen, weil dieser demokratisch nicht legitimiert sei und seine Zusammensetzung stark vom Volkskammerwahlergebnis für den Bezirk abweiche. Im Interesse einer angemessenen Vertretung der Bevölkerung sollte künftig nur der Runde Tisch über legislative Befugnisse verfügen und die Länderbildung keinesfalls von „dafür nicht repräsentativen Kräften“ betrieben werden. In der folgenden Diskussion ging es immer wieder um die ungeklärte Legitimation sowohl des Bezirkstages als auch des Runden Tisches. Die SPD machte geltend, dass man die Arbeit des Bezirkstages nicht einfach negieren könne, und auch die Liberalen meinten, es sei kein ausreichender Ersatz vorhanden. Kunze nutzte solche Steilvorlagen und bezeichnete die Kommissionsarbeit des Bezirkstages als für die Arbeit des Rates unerlässlich. Vertreter der Allianzparteien, der Vereinigten Linken, des Neuen Forums, der DFP und der Grünen folgten hingegen Reinfrieds Argumentation. Trotzdem wurde Kunzes Antrag, über Reinfrieds Ansinnen gar nicht erst abzustimmen, schließlich mit elf gegen zehn Stimmen beschlossen. Die Meinungsverschiedenheiten schlugen sich auch in der Diskussion einer neuen Satzung nieder. Bestätigt wurde dabei die neue Zusammensetzung des Runden Tisches, mit der sowohl dem „Mitspracherecht breiter demokratischer Gruppierungen sowie dem aus dem Wahlergebnis resultierenden Mehrheitswillen der Bevölkerung Rechnung getragen“ werde. Der Runde Tisch sollte demnach bis zur Schaffung des Landtages arbeiten und in dieser Zeit die Verantwortung für laufende Entscheidungen sowie zur Landesbildung übernehmen. Michael Zaczek vom Neuen Forum beantragte, die Arbeit des Bezirkstages zwar als bis zur Landtagswahl notwendig anzuerkennen, die „Volksvertretung“ dürfe jedoch keine in die Zukunft reichenden Entscheidungen mehr fällen, weil ihre Legitimation fragwürdig sei und seine Zusammensetzung auch nach Kooptierung von Mitgliedern neuer Parteien und Gruppierungen nicht dem politischen Mehrheitswillen entspreche. Entscheiden müsse künftig allein der Runde Tisch. Reinfrieds Antrag, dem Runden Tisch ein Vetorecht gegen Beschlüsse des Bezirkstages einzuräumen, wurde bestätigt. Moderator Martin Lerchner schlug vor, alle Entscheidungen des Bezirkstages zunächst am Runden Tisch zu beraten. Dieser Vorschlag, obwohl er letzte Zweifel am rudimentären Charakter des Bezirkstages ausräumen musste, wurde einstimmig angenommen. Im direkten Zusammenhang mit der Frage der Dominanz im Landesbildungsprozess stand die ebenfalls diskutierte, von Kunze am 22. März angekündigte Auftaktveranstaltung für einen Regionalausschuss der drei Bezirke am 18. April in Meißen. Die Räte planten, den Ausschuss mit Delegierten der Bezirkstage und -räte, Runden Tische sowie mit bekannten Persönlichkeiten Sachsens zu besetzen. Angesichts der in keiner Weise repräsentativen Zusammensetzung aller Bezirkstage sowie der Runden Tische der Bezirke Karl-Marx-Stadt und Leipzig lief dieser Vorschlag darauf hinaus, der PDS und anderen, marginalisierten Kräften eine Mehrheit in dem wichtigen und zentralen Ausschuss zu sichern. Kunze schlug zur Vorbereitung der Meiße-

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ner Tagung vor, dass die drei Ratsvorsitzenden, die Moderatoren der Runden Tische und die Präsidenten der Bezirkstage im Vorfeld der Tagung nochmals gemeinsam beraten sollten. Trotz vereinzelter kritischer Einwände gab es aber noch immer keinen direkten Widerspruch der Vertreter der neuen politischen Kräfte. Iltgen meinte im Nachhinein, dass „die Schwere“ der sich hinter der Information über die Meißener Tagung verbergenden Problematik bei der Sitzung erst langsam deutlich wurde.118 Hier war es auch der Verdienst von Heidrun Lotze, die Iltgen und Vaatz über die Bedeutung des Vorhabens genauer in Kenntnis setzte.119 Zunächst aber stellte die Sitzung für Kunze alles in allem doch einen Erfolg dar. Dem inzwischen designierten Minister für regionale und kommunale Angelegenheiten, Manfred Preiß, konnte er nach der Sitzung als wesentlichstes Ergebnis mitteilen, dass der CDU-Antrag, den Bezirkstag aufzulösen und „den Runden Tisch zur handlungsfähigen Legislative für die Herausbildung des Landes Sachsen zu machen“, abgelehnt worden sei.120 In Berlin dürfte diese Mitteilung für Verwunderung gesorgt haben, entsprach sie doch nicht der allgemeinen Erwartung hinsichtlich der offiziellen CDU-Haltung im Länderbildungsprozess.

4.1.4 Entwurf einer Landesverfassung der Gruppe der 20 Parallel zum Streit um den Anspruch der Bezirksgremien bzw. der diese in unterschiedlichem Maße bestimmenden Kräfte um Dominanz bei der Landesbildung ging auch das Tauziehen um die dafür notwendige inhaltliche Kompetenz weiter. Neben ihrer Arbeit an Entwürfen sächsischer Landesministerien und nachgeordneter Landesbehörden forcierten Bezirkstage und Räte die Arbeiten an einer Landesverfassung und an Landesgesetzen. Vor allem im Rat des Bezirkes Dresden bemühte man sich, eigene Rechtsvorschriften auf den Weg zu bringen. Bereits Anfang März hatte eine fünfköpfige, vom Bezirkstag gebildete Arbeitsgruppe unter Leitung des Direktors des Staatsarchivs Dresden, Reiner Groß, ihre Tätigkeit aufgenommen. Sie stand mit Arbeitsgruppen der anderen Bezirkstage in Verbindung und legte nun, einen Tag nach der Volkskammerwahl, intern einen ersten Verfassungsentwurf vor, der fortan als Entwurf der drei Räte galt.121 Die Arbeitsgruppe „Bildung Land Sachsen“ des Dresdner Bezirkstages beschloss am 29. März, die Entwürfe einer Landesverfassung sowie von Gemeinde- und Landkreisordnungen in einer Auflagenhöhe von 30 000 Exemplaren als „Grundlage für den Auftakt einer breiten öffentlichen Diskussion“ am 18. April in Meißen zu präsentieren und weitere gesetzliche Grundla118 Iltgen, Vom Runden Tisch, S. 19 f. 119 Heidrun Lotze beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 120 Fernschreiben von Michael Kunze an Manfred Preiß vom 30. 3.1990 (BArch B, DC 20, 11960, Bl. 90). 121 1. Arbeitsentwurf der Verfassung des Landes Sachsen (Dok. 49). Text bei Stober, Quellen, S. 105–120. Vgl. Protokoll der 11. Sitzung des RTB KMS am 26. 4.1990 (Sächs StAC, BT/RdB, 124558, Bl. 4 f.); Sampels, Bürgerpartizipation, S. 109.

Entwurf einer Landesverfassung der Gruppe der 20

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gen auszuarbeiten. Auch über ein Landeswappen und eine Landeshymne wurde nachgedacht.122 Mitten in die Vorbereitungen zur Propagierung dieser Entwürfe landeten die politischen Kräfte um Vaatz nach ihrem gescheiterten Versuch der Entmachtung des Bezirkstages einen neuen Coup. Am 29. und 30. März erschien die von Vaatz erarbeitete Vorlage einer sächsischen Landesverfassung, mit Datum vom 22. März und offiziell als Entwurf der Gruppe der 20 deklariert, im CDU-Blatt „Die Union“.123 Nach diesem ersten der Öffentlichkeit zugänglich gemachten Entwurf einer Landesverfassung spielte die DDR keine Rolle mehr. Sachsen sollte ein Land der Bundesrepublik Deutschland, das Grundgesetz geltendes Recht werden und die Landesverfassung mit dem Beitritt in Kraft treten. Trotz eines in dieser Hinsicht offenen Wortlauts favorisierte Vaatz zur Annahme der Verfassung eine Volksabstimmung, was seiner Absicht entsprach, einen mit plebiszitären Regelungen ausgestatteten Verfassungsentwurf vorzulegen.124 Der Entwurf beinhaltete einen einklagbaren Grundrechtskatalog sowie ein eingeschränktes Recht auf Arbeit. Umweltpolitische Entscheidungen erhielten Verfassungsrang. Verboten wurden Geheimdienste in der Verantwortung des Landes. Niederschlesiern und Sorben wurde eine weitgehende Autonomie eingeräumt. Die Kirchen sollten bei der Ernennung und Ausbildung ihres Nachwuchses sowie bei der Besetzung theologischer Lehrstühle an staatlichen Universitäten frei entscheiden, Schulunterricht und Universitätswesen demokratisiert werden. Ein hoher Stellenwert wurde der Gewaltenteilung beigemessen, die sowohl horizontal als auch vertikal durch ein erhebliches Maß an Selbstverwaltung garantiert werden sollte. Verfassungsrang erhielt auch die Trennung von Polizei und Justiz. Gesetzgebung war Sache des Parlaments, daneben sollte es aber auch eine Volksgesetzgebung geben. Per Volksinitiative konnten demnach Gesetzesvorlagen ins Parlament eingebracht, bei Ablehnung über Volksbegehren Volksentscheide erzwungen werden. Die plebiszitären Mitwirkungsrechte waren dreistufig geregelt. Für eine Volksinitiative waren 50 000 Stimmen, für das Volksbegehren ein Sechstel der Wahlberechtigten erforderlich. Ein Gesetzesvorhaben unterlag bei der entscheidenden Volksabstimmung einem Beteiligungsquorum von einem Drittel der Stimmberechtigten. Auch eine Verfassungsänderung war durch Volksabstimmung möglich. Im Bezug auf das Wahlrecht waren zwei Stimmen vorgesehen, so dass eine Verbindung von Verhältnis- und Personenwahlrecht festgeschrieben war. Die Wählbarkeit eines Abgeordneten konnte durch die Zugehörigkeit zum MfS eingeschränkt werden. Im Verfassungsentwurf waren ein Landesverfassungsgericht und ein Landesrechnungshof vorgesehen. 122 Niederschrift über eine Beratung der AG „Bildung Land Sachsen“ des Bezirkstages Dresden am 29. 3.1990 (Dok. 34). Genannt wurden: Landesverwaltungsgesetz, Landeshaushaltsgesetz, Justizverfassung, Landesgerichtsgebung, Kulturgesetz, Selbstverwaltungskonzeption, Sorbengesetz, Mediengesetz, Polizeigesetz, Naturschutzgesetz, Beamtengesetz, Landesbauordnung und Landesplanungsordnung. 123 Text bei Stober, Quellen, S. 121–139. 124 Vgl. Sampels, Bürgerpartizipation, S. 112 f.

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Nach der Volkskammerwahl

Der schnell fertiggestellte Entwurf der Gruppe der 20 war, so Vaatz selbst, zwar „kein Ruhmesblatt“,125 erfüllte aber seinen Zweck, die Absicht von Bezirkstagen und Räten scheitern zu lassen, die Neubildung Sachsens als erste in Angriff zu nehmen und stattdessen zu gewährleisten, dass die neuen Kräfte die Themen Länderbildung und Verfassungsgebung besetzten.126 Der wichtigste Grund, so Vaatz später, weshalb er diesen Verfassungstext verfasst habe, war es, einen Gegenentwurf zu dem der Räte zu liefern, der in Meißen vorgestellt werden sollte. Insofern war „gar nicht so wichtig, was drin stand“; wichtig war, dass er vor dem 18. April erschien, „so dass sich die beiden Texte in der Luft wie zwei Flugzeuge begegnen“ und beide „abstürzen“. Damit wäre dem Initialakt in Meißen „mit einem Mal die Luft genommen, denn jetzt hätte ja langwierig erklärt werden müssen, inwieweit sich dieser andere Verfassungstext von diesem Verfassungstext unterscheidet“.127 Es ging lediglich darum, „die Aktivitäten nicht legitimierter Kreise, die auf die vorschnelle Installierung eines aus altem Geist geborenen Länderbildungsgremium gerichtet waren“, scheitern zu lassen.128 Aber obwohl der Entwurf zwangsläufig „Laienarbeit“129 war und „juristische Mängel“ aufwies, ging er „klar von rechtsstaatlichem Denken aus“ und bildete von nun an die Grundlage der weiteren Arbeit.130 Obwohl Heitmann die Arbeit von Vaatz auch als „Zusammenschreiben mit einigen Kuriositäten“ bezeichnete, wäre es auch aus seiner Sicht ohne den „politisch-wichtigen Schritt“, das Thema Verfassung zu besetzen, nicht gegangen.131 Nach Veröffentlichung des Vaatzschen Entwurfes, drei Wochen vor der geplanten Propagierung des Entwurfs der Räte, verlagerte sich die Verfassungsdiskussion stärker in Richtung der neuen Kräfte. Dennoch war das Rennen noch nicht entschieden. Das lag unter anderem daran, dass sich, wie die Sitzung am 29. März deutlich gemacht hatte, neue und alte politische Kräfte am Runden Tisch in Dresden nicht klar gegenüberstanden. Die meisten Abgeordneten der drei Bezirkstage unterstützten Anfang April ohnehin weiterhin die Initiative der Räte zur Bildung eines „Parlamentarischen Ausschusses zur Vorbereitung des Landes Sachsen“ in Meißen, was in den Bezirken Karl-Marx-Stadt und Leipzig auch von verschiedenen neuen politischen Gruppen mitgetragen wurde.132 Die Räte stellten bereits Regionalausschüsse zur Vorbereitung der konstituierenden 125 Interview Arnold Vaatz am 9. 6.1999. 126 Vgl. Nachbemerkung des Koordinierungsausschusses bei der Vorstellung des Gohrischer Entwurfs einer Verfassung des Landes Sachsen vom August 1990 (Dok. 114); Sampels, Bürgerpartizipation, S. 111 f.; Drehwald/Jestaedt, Sachsen, S. 73. 127 Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 128 Nachbemerkung. In: Verfassung des Landes Sachsen. Gohrischer Entwurf, S. 51. 129 Steffen Heitmann. Zit. in Sächsische Zeitung vom 25. 5.1992. 130 Nachbemerkung. In: Verfassung des Landes Sachsen. Gohrischer Entwurf, S. 51. Vgl. Heitmann, Entstehung und Grundgedanken, S. 12 f.; Interview Steffen Heitmann. In: Sächsische Zeitung vom 3. 8.1990. 131 Steffen Heitmann beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 132 Vgl. Monatsbericht März 1990 des Vorsitzenden des RdB Dresden, Michael Kunze, an Ministerpräsident Hans Modrow vom 30.3.1990. (SächsHStA, BT/RdB, 46994, Bl. 7–11); Protokoll zur Stadtkoordinierung [Leipzig] am 6. 4.1990 (ABL, H XIX); Sächsisches Tageblatt vom 3. 4.1990.

Bayern hilft und setzt auf neue politische Kräfte

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Sitzung des „verfassungsvorbereitenden Ausschusses“ zusammen,133 der Verfassungsentwurf der Gruppe der 20 wurde hingegen weitgehend ignoriert. Die Staatsfunktionäre schienen sich daher Anfang April noch sicher sein zu können, die Landesbildung auch künftig zu dominieren. Noch schienen die Chancen der neuen Kräfte schlecht, den Räten die Initiative aus der Hand zu nehmen. Das lag neben der schillernden Gemengelage an den Runden Tischen auch daran, dass sich die Vertreter des Staatsapparates in den sächsischen Bezirken noch immer auf die Unterstützung ihrer Partner aus Baden-Württemberg stützen konnten.

4.1.5 Bayern hilft und setzt auf neue politische Kräfte Das sah in München anders aus. Setzte die Landesregierung von Baden-Württemberg vor dem 18. März zwar nicht nur, aber vor allem auf die etablierten Vertreter der Räte, hatte sich die Bayerische Staatsregierung bei ihren Kontakten zu offiziellen Stellen stets auf das Notwendigste beschränkt und sich stets für die neuen politischen Kräfte stark gemacht, auch wenn, so der spätere „Botschafter“ Bayerns im sich herausbildenden Sachsen, Manfred Kolbe, „man in München manchmal befürchtete, aufs falsche Pferd zu setzen. Denn wer damals das reale Kräfteverhältnis einschätzte, musste durchaus auch mit einem Scheitern rechnen; dennoch setzte Bayern immer konsequent auf die ,Neuen‘.“134 Für die Bayern, die – auch wegen ihrer Erwartungen hinsichtlich einer künftigen Rolle der DSU – stets erklärt hatten, das Ergebnis der ersten freien Wahlen abwarten zu wollen, galt es nun nach der Wahl, ihre Hilfen für die DDR zu konkretisieren. Bereits bei einer Besprechung am 16. März in der Staatskanzlei am Münchner Franz-Josef-Strauß-Ring stand fest, dass bis 1992 für DDR-Maßnahmen insgesamt 150 Mio. DM zur Verfügung gestellt würden, wovon bereits fünf Mio. DM für Sofortmaßnahmen verbraucht und weitere zehn Mio. DM für die CSU-Landtagsfraktion reserviert waren. Für den Bereich Straßenbau hatte die Staatskanzlei 20 Mio. DM vorgesehen.135 Das Staatsministerium des Innern, inzwischen mit Kontaktbüros in Sachsen und Thüringen, hatte zunächst einen Mittelbedarf von 41,3 Mio. für den Personaleinsatz in der DDR angemeldet, was Staatskanzlei und Staatsministerium der Finanzen jedoch ablehnten. Das Innenressort argumentierte daraufhin, dass eine am Rechtsstaat orientierte Behördenstruktur die Grundvoraussetzung für einen geordneten Aufbau in der DDR sei und deshalb absolute Priorität habe. Da es nach vierzig Jahren SEDHerrschaft an jeglicher Grundlage fehle, sollten die bayerischen Informationsangebote umfassend und flächendeckend sein, was einen enormen Personaleinsatz erfordere. Die Angelegenheit sei „absolut dringlich“, jederzeit könnten 133 Information RdB Leipzig über Stand der Länderbildung und Verwaltungsreform vom 6. 4.1990 (Dok. 40). 134 Interview Manfred Kolbe am 16. 5. 2003. 135 BayStK an BaySMI vom 19. 3.1990: Problemkatalog DDR, Staatsstraßenbau (BaySMI, Zusammenarbeit Bayern-Sachsen, Bl. 311 f.).

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Hilferufe der Partnerländer ergehen. Ein von Staatskanzlei und Staatsministerium der Finanzen am 19. März unterbreiteter Vorschlag für ein Gesamtkonzept zur Verwendung der im Nachtragshaushalt bereitgestellten Mittel würden es dem Staatsministerium des Innern unmöglich machen, die vom Ministerpräsidenten vorgegebenen Ziele in der Deutschlandpolitik zu erreichen.136 Nach diesem Votum beschloss der Bayerische Ministerrat am 27. März, alle Hilfen strikt auf die Zusammenarbeit mit Sachsen und Thüringen zu konzentrieren und dabei möglichst Hilfsmaßnahmen des Bundes zu ergänzen. Die Ministerien konnten nun innerhalb des ihnen zugewiesenen Rahmens in dringenden Fällen von der vorgesehenen Mittelverteilung abweichen, um wechselnde Prioritäten zu berücksichtigen. Die Gesamtmittel wurden jedoch nicht aufgestockt und die Ministerien beauftragt, ein Gesamtkonzept zu erstellen, das „alle Möglichkeiten eines flexiblen Personaleinsatzes“ ausschöpft.137 Da sowohl der Bund als auch andere Bundesländer bei der personellen Unterstützung des Aufbaus einer dezentralen Verwaltung und Rechtspflege in der DDR bereits wesentlich weiter seien und damit die Gefahr bestehe, dass Vorstellungen und Interessen Bayerns unberücksichtigt blieben, erschien es der Staatskanzlei nun vordringlich, den Ministerratsauftrag möglichst rasch umzusetzen. Bei seiner Planung hatte Bayern stets Baden-Württemberg vor Augen, dessen Gemischte Kommission bereits zwei Monate mit sächsischen Stellen kooperierte. Angesichts dieses aus Stuttgarter Sicht erfolgreichen Modells wurde die Frage, in welchen Formen und mit welchen Partnern man zusammenarbeiten sollte, im März in München intensiv diskutiert. Nach der Wahl gab es bei der Sitzung des Ministerrates am 27. März seitens der Mehrheit der Ressorts „keine grundsätzlichen Bedenken“ mehr gegen ein von der Staatskanzlei vorgeschlagenes Modell von Arbeitsgemeinschaften mit Sachsen und Thüringen, wonach die Ressorts Fachkommissionen bilden und ein gemeinsames Koordinierungsgremium einrichten sollten. Vertreter der Staatsministerien für Unterricht und Kultus, für Wissenschaft und Kunst sowie für Arbeit und Sozialordnung bezweifelten im Hinblick auf bereits bestehende Kontakte allerdings deren Notwendigkeit und hielten die Einrichtung für verfrüht. Im Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr bezeichnete man die Fachkommissionen als „organisatorisches Gerüst“ für die Zusammenarbeit, formulierte jedoch Vorbehalte gegen eine zu weit gehende Institutionalisierung auf Länderebene. Die Staatskanzlei schlug daraufhin vor, die Ressorts sollten in den Arbeitsgemeinschaften nur bei Bedarf Fachkommissionen mit Vertretern der „verwaltungsorganisatorisch zuständigen Stellen bei den Räten der Bezirke und Beauftragten der Runden Tische“ bilden, die von einem gemeinsamen Koordinierungsgremium unter Beteiligung der Staatskanzlei gesteuert würden. Die Einzelheiten der Besetzung und Zusammenarbeit lagen in der Hand der Ressorts 136 Amtschef BaySMI an Amtschef BayStK, Klaus Rauscher, vom 21. 3.1990: Deutschlandpolitik; Gesamtkonzept zur Verwendung der im Nachtragshaushalt bereitgestellten Mittel (ebd., Bl. 275–278 und 313–318). 137 Information der BayStK an die Bayerischen Staatsministerien über die Ministerratssitzung am 27. 3.1990 (ebd., Bl. 299–310).

Bayern hilft und setzt auf neue politische Kräfte

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und der DDR-Vertreter.138 Am 29. März berichtete der Vorsitzende des Staatssekretärsausschusses für DDR-Fragen, Wilhelm Vorndran, dem Haushaltsausschuss des Bayerischen Landtages über die Ergebnisse der Ministerratsbesprechung.139 Der Landtag stellte daraufhin im Nachtragshaushalt, wie ursprünglich vorgesehen, für 1990 50 Mio. DM sowie 100 Mio. DM Verpflichtungsermächtigungen für Maßnahmen in der DDR ein. „Flexibler Personaleinsatz“ bedeutete nun in der Praxis, dass Experten aus der laufenden Arbeit der bayerischen Landesverwaltung zeitweilig für Aufgaben in der DDR abgestellt wurden. Für die neuen politischen Kräfte in Sachsen bedeutete es eine erhebliche Unterstützung, dass die Bayerische Staatsregierung, geleitet von den gleichen Ressentiments gegen Staatsfunktionäre aus der DDR-CDU wie sie bei Vaatz und seinen Mitstreitern zu finden waren, bei der geplanten Arbeitsgemeinschaft Bayern-Sachsen von vornherein auf neue Kräfte setzte. Am 30. März trafen sich Vertreter des Runden Tisches des Bezirkes Dresden, darunter Arnold Vaatz, Erich Iltgen, Johannes Pohl (DA), Jörg Wildoer (Neues Forum) und Hermann Henke (DSU), mit dem Amtschef der Staatskanzlei, Klaus Rauscher, dem Leiter der Abteilung für Grundsatzfragen und grenzüberschreitende Kooperationen, Hans K. Scherzer, und dem Leiter der Rechtsabteilung der Staatskanzlei, Hans W. Klotz, im Münchner Prinz-Carl-Palais, um über den Aufbau einer Arbeitsgemeinschaft zwischen Bayern und Sachsen, Hilfsmaßnahmen sowie Modelle einer Zusammenarbeit zu beraten. Von bayerischer Seite wurde nochmals die Bereitschaft unterstrichen, die neuen Kräfte als künftige Verantwortungsträger in der Verwaltung zu unterstützen. Rauscher schlug für eine bessere institutionelle Zusammenarbeit die Bildung eines „Vorbereitungsausschusses Land Sachsen“ vor.140 Im Entwurf einer gemeinsamen Erklärung, die freilich nie unterzeichnet wurde, hieß es, Ziel der Partnerschaft sei die Zusammenarbeit „im Rahmen der gesamtdeutschen Entwicklung auf der Grundlage des Föderalismus in allen Bereichen des öffentlichen Lebens“. Bayern werde Sachsen beim Aufbau eines demokratischen Gemeinwesens, bei der Schaffung von Körperschaften der kommunalen Selbstverwaltung, der Herstellung der Sozialen Marktwirtschaft mit mittelständischen Strukturen sowie auf anderen Gebieten unterstützen. Zur Intensivierung der Zusammenarbeit wollte man eine gemeinsame Arbeitsgruppe bilden und ein bayerisches Verbindungsbüro in Dresden errichten.141 Das Treffen ließ keinen Zweifel, dass die Staatsregierung in den neuen Kräften die kommenden Verantwortungsträger sah. 138 BayStK: Arbeitsgemeinschaften Bayern-Sachsen und Bayern-Thüringen und personelle Hilfen beim Aufbau einer demokratischen Verwaltung und Rechtspflege in der DDR, o. D. (ebd., Bl. 221–231). 139 Bericht von Wilhelm Vorndran über das Ergebnis der Ministerratsbehandlung zum Gesamtkonzept zur Verwendung der im Nachtragshaushalt für die Verbesserung der Zusammenarbeit mit der DDR bereitgestellten Mittel im Haushaltsausschuss des Bayerischen Landtags am 29. 3.1990 (HAIT, KA, 1). 140 Teilnehmer am Gespräch mit Vertretern des RTB Dresden am 30.3.1990 (HAIT, Iltgen, 4). 141 Entwurf einer gemeinsamen Erklärung über die Zusammenarbeit zwischen Sachsen und Bayern vom 30. 3.1990 (Dok. 35).

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Am 9. April informierte der Amtschef der Staatskanzlei sämtliche Ministerialdirektoren über die Absicht, Arbeitsgemeinschaften Bayern-Sachsen und Bayern-Thüringen einzurichten und „schnellstmöglich mit Leben zu erfüllen“. Dazu sollten für den Zuständigkeitsbereich jedes Ressorts bayerisch-sächsische und bayerisch-thüringische Fachkommissionen gebildet werden, die jeweils aus Vertretern der Ressorts und – bei einigen Kommissionen – der kommunalen Spitzenverbände sowie der zuständigen Stellen bei den Räten der Bezirke und des Runden Tisches bestehen sollten. Als Steuerungsinstrument war ein gemeinsames Koordinierungsgremium vorgesehen.142 Der Entwurf vom 18. April beschrieb schließlich die Aufgaben eines Kuratoriums Bayern-Sachsen,143 in dem eine Partnerschaft mit dem Ziel vereinbart wurde, die Zusammenarbeit „im Rahmen der gesamtdeutschen Entwicklung auf der Grundlage des Föderalismus in allen Bereichen des öffentlichen Lebens zu entwickeln“. Ein 16 Personen umfassendes Gremium sollte in fünf gemischten Fach- samt nachgeordneter Spezialistengruppen arbeiten. Am 27. April betonte die Staatskanzlei die Notwendigkeit, die Verbindungsbüros in Erfurt und Dresden umgehend einzurichten, wies aber darauf hin, „dass förmliche Vereinbarungen mit demokratisch legitimierten Partnern in Sachsen und Thüringen derzeit nicht getroffen werden könnten, dass aber dennoch mit Blick auf die aktuelle Entwicklung in der DDR kein weiteres Abwarten möglich sei und die praktische Zusammenarbeit ohne förmlichen rechtlichen Rahmen aufgenommen werden müsse“. Trotz Bedenken gegen eine Kooperation mit den Räten der Bezirke empfahl die Staatskanzlei den Ressorts, Facharbeitsgruppen dort einzurichten, wo bereits Kontakte oder Kontakte vertieft werden sollten. Vorgesehen wurden Fachgruppen zu den Themenfeldern Staatsaufbau, Verwaltungshilfen, Rechtspflege, Land- und Forstwirtschaft, Umwelt- und Naturschutz, Raumordnung und Landesplanung, Gesundheits- und Sozialwesen sowie wirtschaftliche Zusammenarbeit unter Verantwortung der jeweiligen Ressorts. Die Staatskanzlei drängte angesichts der fortgeschrittenen Aktivitäten Baden-Württembergs auf einen unmittelbaren Arbeitsbeginn der Facharbeitsgruppen noch im Mai.144 Freilich zeigten sich bereits Ende April Abstimmungsprobleme bei entsprechenden bayerischen und baden-württembergischen Aktivitäten, so zum Beispiel bei einer Tagung der Fachgruppe Umwelt der Gemischten Kommission am 25./26. April. Hier gab es Probleme bei der Abstimmung der Hilfsmaßnahmen zwischen Sachsen und Bayern. Den Vorschlag der sächsischen Vertreter, zwei bayrische Vertreter in die Fachgruppe einzubeziehen, wurde von baden-württembergischer Seite ab142 Amtschef BayStK an die Ministerialdirektoren der Staatsministerien vom 9.4.1990: MDRunde am 23. 4.1990; Arbeitsgemeinschaften Bayern-Sachsen und Bayern-Thüringen (BaySMI Zusammenarbeit Bayern-Sachsen, Bl. 218–220). 143 RdB Dresden, Leipzig, Karl-Marx-Stadt. Entwurf. Aufgaben des Kuratoriums des Freistaates Bayern und des Landes Sachsen (in Gründung) mit den Regierungsbezirken Dresden, Leipzig und Karl-Marx-Stadt. [handschriftlich: 18. 4.1990] (HAIT, Vaatz IV). 144 BayStK: Protokoll der 4. Sitzung der DDR-AG vom 27. 4.1990 (BaySMI Zusammenarbeit Bayern-Sachsen, Bl. 209–215).

Rottenburger Erklärung/Machtkampf Gemischte Kommission

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gelehnt,145 und damit das immerhin denkbare Modell gemeinsamer Arbeitsgruppen ad acta gelegt. Für ein Verbindungsbüro stand der gebürtige Grimmaer Manfred Kolbe bereit, dessen Interesse an einer Tätigkeit in Sachsen der Bayerischen Staatskanzlei vom Bundeskanzleramt signalisiert worden war. Kolbe wurde mit einem „Arbeitsstab Deutschlandpolitik“ betraut, der aus zwei Referaten in der Staatskanzlei für Dresden und Erfurt bestand. Er „wurde nicht, wie normalerweise ein Beamter in ein Büro geschickt“, sondern bekam ein Auto und wurde mit der Aufgabe nach Dresden geschickt, ein Büro einzurichten.146 Während Kolbe Kontakte in Richtung Sachsen aufnahm, wurden weitere Vertreter Sachsens nach Bayern eingeladen. So weilte auf Einladung der Bayerischen Staatskanzlei vom 16. bis 18. Mai eine Delegation der drei sächsischen Bezirke in München. Teilnehmer waren fünf Vertreter der Räte der Bezirke sowie Renate Franz von der Gruppe der 20 und Edeltraud Thaut vom Runden Tisch des Bezirkes Dresden. Hans-K. Scherzer informierte über die Arbeit und Funktionsweise der Staatskanzlei sowie über Aufgabenstellungen und Arbeitsweisen der Regierungsbezirke, Landkreis-, Stadt- und Gemeindeverwaltungen.147

4.1.6 Rottenburger Erklärung und Machtkampf in der Gemischten Kommission Sachsen/Baden-Württemberg Andere Probleme als die bayerische warf die Haltung der Landesregierung von Baden-Württemberg auf, deren Fixierung auf die offiziellen DDR-Ansprechpartner immer mehr zur „externen Legitimationsquelle“ und zum Machtfaktor für die Räte wurde.148 Freilich hatten auch in Stuttgart führende Politiker die Zeichen der Zeit längst erkannt und drängten auf eine Modifizierung der Politik der Landesregierung. So steuerte der CDU-Bezirksverband Südbaden unter dem Vorsitz des Fraktionschefs im Stuttgarter Landtag, Erwin Teufel, bereits seit längerem einen Gegenkurs gegen die „allzu SED- und Block-freundliche Politik“149 des CDU-Landesvorsitzenden und Ministerpräsidenten Späth und favorisierte wie die Bayern Kontakte zu neuen Kräften. Aber auch führende Beamte meinten mit der gebotenen Zurückhaltung, dass „vielleicht der Fraktionsvorsitzende manchmal bewusst eine andere Auffassung vertrat, nur weil der Ministerpräsident die eine Auffassung vertrat“.150 Die unterschiedliche Haltung beider ergebe sich aus deren Charakteren. Späth sei „impulsiv, schnell, spürt Entwicklungen;

145 GK S/BW, FG Umwelt. Protokoll der Beratung vom 25./26. April 1990 im Bernhäuser Forst, Stetten/Filder (HAIT, KA, V.3, 3). 146 Interview Manfred Kolbe am 13. 3. 2000. 147 RdB Dresden, Abteilung Internationale Arbeit: Ergebnisse des Informationsbesuches in der BayStK vom 16.–18. 5.1990 (HAIT, KA, IV). 148 Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 53 f. 149 Lesch, Die CDU-Reformer in Sachsen, S. 39. 150 Hubert Wicker beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002.

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will sehen, was ist. Geht hin und redet mit dem, den er trifft.“ Teufel hingegen sei „sehr viel nachdenklicher“, eher „grundsatzorientiert“ und gehe von daher „auch gedanklich ganz anders ran“. Typisch für Späths Haltung sei damals seine Bereitschaft gewesen, zu lernen und sich dann zu korrigieren. Er sei bereit, seine Position schnell neu auszurichten und pragmatisch zu verändern. Mit einer starren Haltung wäre er dem damaligen Prozess nach eigener Überzeugung nicht gerecht geworden. Für alle westlichen Helfer habe gegolten, dass man „viel zu wenig gewusst“ habe, „wie das Ganze läuft, mit wem und wohin“. Es habe ein „intuitives Herangehen“ gegeben, das sich mit der Entwicklung änderte. Auch müsse in Rechnung gestellt werden, dass Späths Haltung überall in der DDR, einschließlich von Karl-Marx-Stadt und Leipzig, als normal empfunden worden wäre, nur eben nicht in Dresden. Daher habe die Landesregierung auch vor dem Problem gestanden, dass die Sicht der Dinge in der DDR-Regierung „lange noch ganz anders“ war als in Dresden.151 Um die Lage nach der Volkskammerwahl zu sondieren, lud die baden-württembergische Führung Vertreter der Allianz zu einer von der Konrad-Adenauer-Stiftung ausgerichteten Tagung „Landesverfassung und kommunale Selbstverwaltung“ vom 1. bis 8. April ins südwürttembergische Rottenburg ein, bei der es sich tatsächlich eher um eine Strategieberatung mit den DDR-Vertretern aus CDU und DA handelte. Betreuer der Tagung in Rottenburg war Richard Neun. Zum offiziellen Programm gehörten die Beschäftigung mit der badenwürttembergischen Verwaltung sowie Gespräche mit Späth, Teufel und dem Präsidenten des Landtages, Erich Schneider.152 Offizielles Hauptthema war der verfassungsrechtliche und organisatorische Weg zum Bundesland Sachsen. Aus Teufels Sicht ging es darum, die Gäste aus der DDR auf die kommenden politischen Entwicklungen einzustimmen und Klarheit über die politischen Perspektiven der CDU in Sachsen zu bekommen. Für die baden-württembergische CDU gab es keine Alternative, als die Struktur der Runden Tische zugunsten der Dominanz einer erneuerten CDU zu überwinden und die Integration der neuen Gruppen in die CDU vorzubereiten.153 Das bedeutete zum einen, dass man einen gemeinsamen Weg der Bezirke finden musste, bedeutete aber auch, dass man den Konflikt zwischen alten und neuen Mitgliedern in der Partei nicht länger betonen durfte. So war die Teilnehmerschaft auch entsprechend gemischt. An der Tagung, die unmittelbar vor dem am 4./5. April in Stuttgart vorgesehenen Treffen der Gemischten Kommission begann, nahmen für die CDU unter anderen Arnold Vaatz, Herbert Wagner, Dieter Reinfried, Eberhard Witzschel, Friederike de Haas und Rolf Jähnichen sowie für den Demokratischen Aufbruch Helmut Münch, Matthias Rößler, Horst Rasch, Wolf-Dieter Beyer, 151 Thomas Hirschle beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 152 Konrad-Adenauer-Stiftung, Bildungswerk Stuttgart: Seminar für sächsische Landes- und Kommunalpolitiker „Landesverfassung und kommunale Selbstverwaltung in BadenWürttemberg“ vom 2.–6. 4.1990 in Stuttgart (HAIT, KA, V.1). Vgl. Interview Helmut Münch. In: Kleimeier, Sachsen, S. 81. 153 Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003.

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Dietmar Franke und Christa Reichard teil.154 Schon die Zusammensetzung der Teilnehmer führte zu ersten Spannungen. Die DA-Vertreter aus Karl-MarxStadt und Leipzig, Beyer und Kleinschmidt, verließen einen Empfang beim Oberbürgermeister von Rottenburg,155 weil hier nach ihrer Meinung von den Dresdner Teilnehmern der Eindruck vermittelt wurde, es handele sich vor allem um einen Empfang für das Dresdner kommunale Bündnis „Demokratische Union“. Aus Sicht Beyers nutzte Vaatz die Delegationsreise „in eklatanter Weise“, um „Reklame für Wagner“ zu machen. Selbst von der Presse sei der so erzeugte Eindruck wiedergegeben worden, es handele sich um eine Delegation der Demokratischen Union Dresden.156 Vaatz habe die an die Allianzpartner CDU und DA ergangene Einladung umfunktioniert. „Aus Protest über diese Methode“ habe man den Empfang verlassen.157 Auch der CDU-Landesvorstand konstatierte, es gebe durch die Zusammensetzung der Teilnehmer „nennenswerte Spannungen“. „Besonders auffällig“ sei das Verhalten der „neuen“ Parteien, aber auch von CDU-Mitgliedern gewesen. Es habe eine „Übermacht des DA“ gegeben. Die CDU-Repräsentanten hätten größtenteils aus „neuen“ Mitgliedern wie Vaatz, Wagner oder Reinfried bestanden.158 Jedem „alten CDUMitglied“ sei „von vornherein mit Misstrauen“ begegnet worden, während Vaatz und Wagner „förmlich hofiert“ wurden. Hier hätten die Gastgeber „eine etwas unschöne Rolle“ gespielt.159 So kreuzten sich in Rottenburg verschiedene Konfliktlinien. Rivalitäten zwischen Karl-Marx-Stadt und Leipzig einerseits und Dresden andererseits überschnitten sich mit Auseinandersetzungen innerhalb von DA und CDU, hier vor allem zwischen „alten“ und „neuen“ Kräften innerhalb der Dresdner CDU.160 Vaatz wollte vor allem verhindern, „dass die damalige Administration Späth mit dem gesamten Rat des Bezirkes hier in Dresden praktisch schon Weichen stellt, die wir überhaupt nicht bemerken und damit Vorentscheidungen, Präodizien schafft für die Funktion der weiteren Administration dort“.161 So war es für die Baden-Württemberger kein leichtes Unterfangen, die Weichen in Richtung Zusammenarbeit der unterschiedlichen Gruppen im sich herausbildenden CDULandesverband Sachsen zu stellen. Nach Meinung von Vaatz ging die Ablehnung der Dresdner vor allem innerhalb des DA in Karl-Marx-Stadt und Leipzig soweit, dass diese die alten Räte akzeptiert hätten, nur um die neuen Kräfte in 154 155 156 157 158

Handschriftliche Teilnehmerliste Rottenburger Tagung (PB Wolf-Dieter Beyer). Wolf-Dieter Beyer an den Autor vom 31.1. 2003. Vgl. FAZ vom 4. 4.1990. Interview Wolf-Dieter Beyer. CDU-LV Sachsen: Aktennotiz über das Seminar „Kommunalpolitik“ der Konrad-Adenauer-Stiftung Stuttgart vom 1.4.–7. 4.1990 (PB Klaus Reichenbach). 159 CDU-LV Sachsen: Aktennotiz über das Seminar „Kommunalpolitik“ der Konrad-Adenauer-Stiftung Stuttgart vom 1.4.–7. 4.1990 (ebd.). Freilich war auch Klaus Reichenbach eingeladen gewesen. Vgl. Erwin Teufel an Klaus Reichenbach vom 8. 3.1990 (ebd.). 160 Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003. 161 Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003.

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Dresden in ihrer Sonderrolle bei der Landesbildung zu behindern. Das starke Misstrauen resultierte demnach aus der „Angst, dass die Schritte, die die Dresdner unternehmen würden, letzten Endes die Macht der Zentrale in Berlin vollkommen untergraben könnte. Das war meines Erachtens der Antrieb, und demzufolge war auch dieses ganze Rottenburger Zusammensein von heftigsten Auseinandersetzungen begleitet“.162 Auch Rößler hatte den Eindruck, dass es vor allem den DA-Vertretern aus Karl-Marx-Stadt und Leipzig, aber auch denen der „alten“ Kräfte in der CDU darum ging, die zentrale Regierungspolitik zu unterstützen: Sie „spürten natürlich“, dass sie „aus dieser Entwicklung doch ein ganzes Stück raus sind. Die wollten unbedingt dort mit in die Strukturen integriert werden. Das war eigentlich der Hauptteil der Diskussion, an den ich mich erinnere.“163 In der Unterstützung der Regierungspolitik habe man hier einen Weg gesehen, die Dominanz der Dresdner zu brechen, die aus deren Ablehnung einer uneingeschränkten Durchsetzung der zentralen Berliner Linie resultierte. Ziel der Vertreter aus Karl-Marx-Stadt und Leipzig war es, eine Gleichberechtigung der Bezirke im Prozess der Landesbildung zu erreichen, wie sie außerhalb Sachsens gegeben war. Das sollte erreicht werden, in dem die Landesbildung gleichberechtigt in die Hände von unter Regierungskontrolle stehenden Bezirksverwaltungsbehörden gelegt wurde. Die Tatsache, dass Vaatz zwei Tage vor dem Rottenburger Treffen einen Verfassungsentwurf vorgelegt hatte und in Rottenburg seine Auffassung wiederholte, man sollte in Erwägung ziehen, die 47er Landesverfassung in Geltung zu setzen, das Land Sachsen zu gründen und nach Artikel 23 der Bundesrepublik beizutreten,164 wurde von den auf der Linie der Regierung liegenden DA-Vertretern zurückgewiesen. Nach Vaatzens Eindruck kritisierte vor allem DA-Generalsekretär Beyer den Verfassungsentwurf, den er offensichtlich als „Kampfansage“ verstand. Dabei habe sich der DA bis dahin noch in keiner Weise um eine Landesverfassung gekümmert und zu diesem Zeitpunkt noch „von einer DDRVerfassung erzählt“.165 Wegen des Verfassungsentwurfs kam es in Rottenburg aber auch zu einem Zusammenstoß zwischen Vaatz und Kleinschmidt, der forderte, auch andere Entwürfe zu beachten. Andere Entwürfe, so Vaatz, gab es freilich zu diesem Zeitpunkt noch nicht, sah man von dem in Arbeit befindlichen Entwurf der Räte einmal ab, den Vaatz ja ausdrücklich konterkarieren wollte. So waren die Konfliktlinien in Rottenburg alles in allem ziemlich verworren und selbst für die im Geschehen stehenden Akteure schwer überschaubar. Kurz nach der Volkskammerwahl überlagerten sich alte und neue Konfliktlinien. Die alten Konflikte mit den SED-Kadern waren noch nicht ausgeräumt, neu hinzu gekommen war der Konflikt alt-neu in der CDU, der sich mit einer Konkurrenz der drei Bezirke untereinander überlagerte, die vier Jahrzehnte mehr neben- als miteinander existiert hatten. Einigkeit zwischen den Teilnehmern herrschte hingegen insofern, als es galt, die Unterstützung der alten SED-Staatsfunktionäre 162 163 164 165

Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003. Interview Wolf-Dieter Beyer. Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003.

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aus den Räten durch die baden-württembergische Landesregierung zu beenden und diese zu veranlassen, die CDU bzw. neuen Kräfte stärker zu unterstützen. Diese Unterstützung machte sich bei den Gesprächen in Rottenburg am vorgesehenen „Spektakel“ am 18. April auf der Meißener Albrechtsburg fest. Hier war man sich einig, „alles zu unternehmen, um diese Veranstaltung zu torpedieren“. Auch aus Sicht der „Alten“ in der CDU, die nach der Volkskammerwahl selbst in politische Ämter drängten, galt es, die bislang von Stuttgart „hofierten“ SED-Kader abzuservieren. Das war aus Sicht des CDU-Landesvorstandes sogar „der Schwerpunkt“ der Gespräche mit Späth, bei denen diesem vorgeworfen wurde, durch seine Verhandlung die Legitimation der SED-Altkader zu untermauern. Späth, der sich selbst umorientieren musste, blieb nur die etwas schwammige Ausrede, „er fühle sich außerstande, da aktiv Einfluss zu nehmen, da er sich nicht einmischen könne. Er wird uns unterstützen, hält es aber für unsere Sache, zumal wir nicht in der Opposition, sondern in der Regierung sind“.166 Während Späth lavierte, konnten sich Teufel und Mengele in ihrer bisherigen Unterstützung der neuen Kräfte bestätigt fühlen. Rößler erinnert sich, dass Teufel in Rottenburg „ganz massiv Initiativen“ startete, damit die neuen Kräfte „ganz anders“ in der Gemischten Kommission „zum Zuge kamen“.167 Man habe, so auch Münch, Späth seine Kontakte zu den alten SED-Kadern vorgeworfen und erklärt, dass man dies nicht nachvollziehen könne, weil es die Position der neuen Kräfte schwäche.168 Für den Abend des 5. April war die Diskussion und Verabschiedung einer gemeinsamen Erklärung der sächsischen Teilnehmer vorgesehen. Allen aktiv Beteiligten war angesichts der Meinungsverschiedenheiten klar, dass Kompromisse unumgänglich waren. Da jedoch aus unterschiedlichen Motiven Einigkeit herrschte, die Dominanz der bisherigen – vor allem – SED-Kader in den Räten zu brechen, war Motivation genug vorhanden, zu einer Erklärung zu kommen. Hintergrund der gemeinsamen Bemühungen waren die zur gleichen Zeit in Berlin laufenden Verhandlungen über die Bildung einer erstmals frei gewählten Regierung aus CDU, SPD, DA, DSU und Liberalen. Die sich darin ausdrückenden demokratisch fundierten Machtverhältnisse galt es, auch auf Bezirksebene und in der Gemischten Kommission umzusetzen. Am Abend wurde daher ein Kompromisspapier verfasst, das allen Seiten Entgegenkommen abverlangte und unterschiedliche Interessen vereinigte. Besonders gegensätzlich waren die Auffassungen Beyers, der als DA-Generalsekretär zugleich die Positionen des DDRVorstandes wie des Karl-Marx-Städter DA vertrat, und von Vaatz, der sich für den Dresdner Sonderweg einer Landesbildung ins Zeug legte. Beyer hatte sich nach eigenem Bekunden auf den Demonstrationen im Herbst 1989 und Anfang 1990 stets dafür eingesetzt, „solange auf die Straße zu gehen, bis demokratisch gewählte Organe die Macht übernehmen“. Dies wollte er nun, 166 CDU-LV Sachsen: Aktennotiz über das Seminar „Kommunalpolitik“ der Konrad-Adenauer-Stiftung Stuttgart vom 1.4.–7. 4.1990 (PB Klaus Reichenbach). 167 Interview Matthias Rößler. In: Kleimeier, Sachsen, S. 91. 168 Interview Helmut Münch am 23. 4. 2003.

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nach der ersten freien Wahl, „auf die de Maizière-Regierung angewandt sehen“. Um die Macht der Regierung nicht gleich wieder in Frage zu stellen, war er von der Notwendigkeit überzeugt, „Reste nicht legitimierter Staatsorgane inkl. der Runden Tische zu liquidieren“. Allein die Regierung sollte fortan für ihre Verwaltungsorganisation verantwortlich sein. Deswegen plädierte er für ein Ende der Räte und Runden Tische der Bezirke und die Einsetzung von Bevollmächtigten der neuen Regierung in den Bezirken.169 Ähnlich wie Beyer plädierte Kleinschmidt als Exponent des Leipziger DA für eine Entmachtung von Räten, Bezirkstagen und Runden Tischen. Hinsichtlich der Zurückdrängung der Räte war er sich in Vorgesprächen bald mit Vaatz und Münch einig,170 weniger jedoch in der Frage der Festschreibung der Verantwortung der Regierung de Maizière, die auf Initiative von Kleinschmidt und Beyer zustande kam.171 Die Vorstellungen, die Vaatz vortrug, gingen in einer andere Richtung. Er setzte weniger auf die neue Regierung, sondern strebte einen stärker selbstbestimmten sächsischen Sonderweg an. Erneut trug er seine Auffassung vor, der 1947er Landesverfassung neue Geltung zu verschaffen, auf dieser Grundlage das Land Sachsen zu bilden und notfalls der Bundesrepublik Deutschland allein beizutreten. Das war freilich für Beyer „der größte Blödsinn, den man machen kann“.172 Um die Autorität der Regierung nicht zu gefährden, wollte er „unbedingt einen unsinnigen Alleingang Sachsens in Richtung Beitritt, den Artikel 23 GG theoretisch zuließ“ verhindern. Beyer sah daher keine Alternative als eine zentral von Berlin aus gelenkte Länderbildung samt eines in einigen Jahren erfolgenden koordinierten Beitritts aller Länder der DDR:173 „Wir hatten eine legitim zustande gekommene Regierung, und die hatte jetzt ihre Aufgaben wahrzunehmen. Und deswegen mussten auch die Ostländer alle im Ganzen zur Bundesrepublik gehen und keine Einzelgänge.“174 So blieben strittige Diskussionen nicht aus. Vaatz deutete Beyers und Kleinschmidts Haltung so, dass die Karl-Marx-Städter und Leipziger „missmutig“ über ihre „marginale Rolle“ waren und sich von Dresden „an den Rand gedrückt“ fühlten, obwohl das niemals beabsichtigt gewesen sei. Als kleinere Koalitionspartner, „die man eigentlich mit der Lupe suchen musste“, hätten die DAVertreter offenbar den „Geschmack der Macht“ kennen gelernt und sich deswegen den „zentralistischen Gedanken von de Maizière“ angeschlossen. Vaatz empfand es als „typische DDR-Denke“, zu sagen, das macht die Regierung. Hinter diesem Argument habe sich das Eingeständnis verborgen, über die Landesbildung „überhaupt nicht nachgedacht“ zu haben. Es habe nur die Befürchtung gegeben, „dass es andere machen“.175 169 170 171 172 173 174 175

Wolf-Dieter Beyer an den Autor vom 31.1. 2003. Interview Günter Kleinschmidt. Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. Interview Wolf-Dieter Beyer. Wolf-Dieter Beyer an den Autor vom 31.1. 2003. Interview Wolf-Dieter Beyer. Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003.

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Angesichts der konzeptionellen Unterschiede grenzte es fast an einer Wunder, dass sich die Beteiligten „nach strittiger Diskussion“ unter zeitweiliger Beteiligung Teufels auf eine Erklärung verständigten, die nach dem Treffen den Parteivorständen unterbreitet176 und Mitte April veröffentlicht wurde.177 Beyer übermittelte die Rottenburger Forderungen am 8. April via Reichenbach der Regierung.178 In der „Rottenburger Erklärung“ warnten die Unterzeichner vor der „Gefahr, dass Wege zur Länderbildung beschritten werden, die rechtlich bedenklich, demokratisch nicht legitimiert und politisch gefährlich sind, zum Beispiel eine verfassungsgebende Versammlung durch nichtlegitimierte Kräfte zu berufen“. Stattdessen forderten sie die Beendigung der Arbeit der Runden Tische und Bezirkstage sowie die unverzügliche Einsetzung von Regierungsbeauftragten mit Weisungsrecht und Personalhoheit gegenüber den Räten. In Abstimmung mit den Regierungsparteien sollten diese Verwaltungsräte mit verschiedenen Ressorts bilden. Mit der konstituierenden Sitzung der Landesregierung sollte die Tätigkeit der Regierungsbeauftragten in den Bezirken enden. Es wurde gefordert, die Länderbildung zum frühestmöglichen Termin durch die Wiederherstellung der Rechtswirksamkeit der Länderverfassungen aus der Zeit vor der Gründung der DDR zu verwirklichen, um so die Wahl von Landtagen zu ermöglichen. In allen Ländern sollten dann nach den wieder geltenden Verfassungen bis spätestens September 1990 Landtage gewählt werden, die unverzüglich verfassungsändernd tätig werden sollten. Mit Vorliegen der Ergebnisse von ebenfalls geforderten Volksentscheiden zur Landeszugehörigkeit strittiger Gebiete sollte die DDR-Regierung Landesbeauftragte einsetzen, deren Aufgabe darin bestand, die Landtagswahlen vorzubereiten, die Erarbeitung des Entwurfs einer neuen Landesverfassung zu veranlassen und Vorbereitungsarbeiten für eine künftige Landesregierung und Verwaltungsstruktur zu steuern. Die Landesbeauftragten hatten dazu entsprechend dem Ergebnis der Volkskammerwahl zusammengesetzte Kommissionen zu bilden. Andere Aktivitäten zur Bildung der Länder sollten durch die Regierung nicht zugelassen werden, um zu gewährleisten, dass die Länderbildung ausschließlich im gesamtstaatlichen Konsens innerhalb der DDR vonstatten ging. Die in Kraft zu setzenden Länderverfassungen sollten die Rechtsaufsicht der DDR über die Länder sichern und damit den Beitritt einzelner Länder zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland ausschließen. Beyer und Kleinschmidt als Exponenten des Karl-Marx-Städter und Leipziger DA hatten die Akzeptanz der Regierungsautorität durchgesetzt. Vaatz konnte unmittelbar nach der Wahl schlecht argumentieren, die Regierung sei illegitim, deswegen stimmte er dem Rottenburger Kurs zunächst zu, ohne ihn aber zu verinnerlichen. Beyer meinte dazu polemisch, der „einsame Exponent des sächsischen Sonderweges“ habe sich nicht durchsetzen können.179 Wichtigstes Ergebnis der Erklärung war denn auch, dass alle Unterzeichner einschließlich 176 177 178 179

Vgl. u. a. Protokoll der Vorstandssitzung des DA vom 10. 4.1990 (PB Wolf-Dieter Beyer). „Rottenburger Erklärung“ zur Länderbildung in der DDR vom 6. 4.1990 (Dok. 39). Vgl. Wolf-Dieter Beyer an Werner J. Patzelt vom 30.10. 2000 (HAIT, Wolf-Dieter Beyer). Wolf-Dieter Beyer an den Autor vom 31.1. 2003.

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von Vaatz die Verantwortung der frei gewählten Regierung für die Landesbildung und die Verhinderung einer Allein-Beitrittsvariante akzeptierten. Das war durchaus nicht selbstverständlich, um aber die nicht legitimierten Staatsfunktionäre auf Bezirksebene durch die demokratisch legitimierte Macht auf Republikebene qua Regierungsbeauftragte vor Ort in die Schranken weisen zu können, nahm man eine Aufgabe direktdemokratischer Ansätze in Kauf. Vaatz musste über seinen eigenen Schatten springen, stand er doch der Regierung de Maizière skeptisch bis ablehnend gegenüber und favorisierte ein eher dezentrales Landesbildungskonzept. Andererseits kam auch er nicht umhin, eine koordinierende Funktion der frei gewählten Regierung zu akzeptieren.180 Beyer meint, Vaatz habe unterzeichnet, weil er „keinen Mitstreiter“ gehabt und die große Mehrheit gesagt habe, das sei der richtige Weg. Er könne sich aber vorstellen, dass Vaatz die Erklärung „nicht weiter gestört“ und er von vornherein geplant habe, seinen Kurs fortzuführen.181 Dass er damit richtig lag, zeigt das Eingeständnis von Vaatz, ihm habe die Erklärung „nicht viel bedeutet“. Auch er sei dafür gewesen, durch Bezirksbeauftragte „schnellstens Legitimität“ zu schaffen, schließlich hätten Beyer und Kleinschmidt ihm ausdrücklich zugesichert, dass die Regierung nicht auf die vorhandenen Verwaltungen der Räte setzt. Es sei „nicht abzuleugnen“ gewesen, dass die Regierung nach den Wahlen legitimiert war und nun „in irgend einer Weise mit den Mittelinstanzen umgehen musste“. Auch habe er deren Verantwortung gesehen, die Länderbildung vorzubereiten. Anderseits sei man aber „natürlich davon ausgegangen“, die eigenen Vorstellungen weiter durchzusetzen. Unterstützt wurde Vaatz von den meisten Wortführern des Dresdner DA, womit sich der Konflikt auch als interner DA-Gegensatz entpuppte. Das Konzept einer eher eigenständigen sächsischen Landesbildung vom Dresdner Runden Tisch aus trugen Geisler, Franke, Münch, Rasch und Rößler mehr oder weniger mit, Bönninger lehnte es ab.182 Ähnlich wie Vaatz erinnert sich Rößler, dass man im Dresdner DA die Rottenburger Erklärung mitgetragen habe, weil „ja nichts anderes übrig“ blieb. Dennoch sei es so gewesen, „dass wir versucht haben, immer unsere eigenen Vorstellungen durchzusetzen“.183 Während in Rottenburg beraten wurde, begann parallel dazu am 4. April in Stuttgart das 3. Treffen der Gemischten Kommission. Es verlief zunächst in den üblichen Bahnen. Regierungssprecher Manfred Zach erklärte vor und zu Beginn der Zusammenkunft, das baden-württembergische Hilfsprogramm laufe planmäßig, von rund zehn Mio. DM seien sieben Millionen ausgegeben. In Stuttgart werde man weitere Maßnahmen der „Hilfe zur Selbsthilfe“ verabreden.184 Tatsächlich beschloss der Ministerrat am 9. April eine Erhöhung des DDR-Pro180 181 182 183 184

Vgl. Wolf-Dieter Beyer an Werner J. Patzelt vom 30.10. 2000 (HAIT, Wolf-Dieter Beyer). Interview Wolf-Dieter Beyer. Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003. Pressemitteilung des Staatsministeriums von Baden-Württemberg über das Hilfsprogramm für Sachsen vom 27. 3.1990 (Dok. 30). Vgl. Pressemitteilung: 3. Tagung der Gemischten Kommission für die Zusammenarbeit Sachsen/Baden-Württemberg am 4./5.4. 1990 in Stuttgart (HAIT, KA, V.2).

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gramms um zehn auf 30 Mio. DM.185 Ministerialdirektor Hans-Peter Mengele, im Staatsministerium für die Kontakte in die DDR zuständig und Kontakten zu den neuen Kräften sonst keinesfalls abgeneigt, erklärte angesichts der im Raum stehenden Vorwürfe, die baden-württembergische Landesregierung arbeite zu eng mit den Räten zusammen; diese bewerte die bisherige Tätigkeit der Gemischten Kommission wie auch die Arbeit „der aus den staatlichen Verwaltungen der DDR mitwirkenden Beamten“ positiv. Für die Beteiligten aus Baden-Württemberg sei die Aussage Späths entscheidend; er habe in den drei sächsischen Bezirken mit Vertretern des Staatsapparates Vereinbarungen getroffen, an die er sich gebunden fühle. Solange diese Träger politischer Verantwortung seien, gebe es „keinen Grund, über ihre Köpfe hinweg mit anderen Kräften Vereinbarungen zu treffen“.186 Das sahen die Vertreter der CDU bzw. der neuen politischen Kräfte freilich anders, ging es ihnen doch darum, die Dominanz der bisherigen Staatsfunktionäre in der Gemischten Kommission zu brechen. Vaatz fuhr extra aus Rottenburg nach Stuttgart, „weil die sich hinter unserem Rücken mit dem Rat des Bezirkes trafen und hab gesagt, also so geht es nicht und da gehören wir auch dazu“.187 Seine überraschende Teilnahme am Stuttgarter Treffen veranlasste verärgerte Teilnehmer des Leipziger Rates zur Meldung, „Beobachter“ der CDU hätten „ohne Abstimmung mit den Partnern“ an der Beratung teilgenommen. Dabei habe Vaatz „in provokativer Form“ eine Neubesetzung der Fachgruppen der Gemischten Kommission verlangt. Für die Staatsfunktionäre nicht genug, vertraten er und weitere Mitglieder der Gruppe der 20 in „zu beratenden Sachfragen andere Auffassungen“ als sie selbst, wodurch es „in Gegenwart der Vertreter Baden-Württembergs zu politischen Kontroversen“ gekommen sei.188 Nach dem vorangegangenen Treffen mit Vertretern der Bayerischen Staatskanzlei in München bot die Tagung für Vaatz und seine Mitstreiter ein Kontrastprogramm, wurden sie in Stuttgart doch mit der kaum kaschierten Ablehnung der von baden-württembergischer Seite umworbenen Ratsvertreter konfrontiert. Freilich hatten sie nichts zu verlieren und erhielten zudem Rückendeckung durch den Dresdner Runden Tisch, der schon am 22. März Änderungen der personellen Zusammensetzung der Gemischten Kommission verlangt hatte.189 Als diese Forderung am 5. April wiederholt wurde, konnte der Vorsitzende des Rates des Bezirkes zwar noch darauf verweisen, dass die Zusammensetzung der Fachgruppen mit Späth abgestimmt sei und „weitestgehend seinen Wünschen“ 185 SMBW 0136, Sitzung des Ministerrates am 9. 4.1990 TOP 1A: Hilfen für die DDR. Vgl. Ministerium für Wissenschaft und Kunst Baden-Württemberg an die Mitglieder der FG Wissenschaft und Bildung vom 10. 4.1990 (SMBW, 0136, GK S/BW, FG Wissenschaft und Bildung). 186 RdB Leipzig, 1. Stellvertreter des Vorsitzenden der Bezirksplankommission: Niederschrift zum Arbeitsbesuch einer Delegation des RdB Leipzig in Stuttgart vom 4.–6. 4.1990 (RPL, AZ 0141.0). 187 Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. 188 RdB KMS: Information über die am 9. 4.1990 in Dresden stattgefundene Beratung zu Problemen der Internationalen Arbeit (SächsStAC, BT/RdB, 137632). 189 Protokoll der 14. Tagung des RTB Dresden am 22. 3.1990 (Dok. 28).

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entspreche; die Teilnehmer hatten jedoch die am selben Tag behandelte Arbeitsgemeinschaft Sachsen-Bayern vor Augen, für die von vornherein vor allem die CDU sowie neue Parteien und Bürgerbewegungen sachkundige Mitarbeiter benannten.190 Zwar mussten auch hier alle Teilnehmer eigentlich in Absprache mit dem Runden Tisch vom Ratsvorsitzenden bestätigt werden,191 in einer Information Iltgens für die Bayerische Staatskanzlei erklärte dieser allerdings, dass zwar Ratsvorsitzender Kunze bei seinem Besuch in Bayern Arbeitsgruppen vorschlagen werde, über deren personelle Zusammensetzung jedoch der Runde Tisch entscheide.192 De facto lag die Auswahl bereits in den Händen des Runden Tisches. Dieselbe Verfahrensweise wünschte eine Mehrheit am Runden Tisch nun auch bezüglich der Besetzung der Gemischten Kommission. Mit den Beschlüssen der Rottenburger Tagung aber, die unmittelbar auf die parallele Stuttgarter Veranstaltung wirkten, hatte sich das Blatt für die SED-Altfunktionäre endgültig zu ihren Ungunsten gewendet. Trotz aller Meinungsunterschiede waren sich hier alte wie neue Kräfte in der CDU sowie alle DA-Vertreter einig, die alten SED-treuen Kader in den Räten endgültig zu entmachten. Niederschlag fand diese bezirksübergreifende Einigkeit auch in der Erklärung einer Initiativgruppe aus Vertretern der Vorstände von CDU und DA der drei Bezirke, die Vereinbarung über die Bildung der Gemischten Kommission vom 31. Januar neu zu fassen.193 Parallel dazu wurde auf Initiative von Vaatz194 vom CDU-Landesvorstand bemängelt, dass die Fachgruppen „fast nur aus Mitarbeitern der Räte der Bezirke bestehen und die Territorien ebenfalls nicht repräsentativ“ seien. Deswegen sei aus jedem Bezirk und von CDU und DA je ein Mitarbeiter benannt worden, um auf dieser Grundlage „die Namenslisten durchzuarbeiten und Ergänzungsvorschläge zu erarbeiten“. Mit der veränderten Liste wurde ein Gespräch mit Teufel vorbereitet, weil durch die Zusammenarbeit der baden-württembergischen Landesregierung mit diesen Arbeitsgruppen „deren Legitimation herbeigeführt“ werde.195 Die Ratsvorsitzenden sollten nach den Plänen von CDU und DA nun nur noch durch einen gemeinsamen Vertreter repräsentiert, die anderen Stellen künftig von Mitgliedern der Landesvorstände von CDU, DSU, DA und SPD besetzt werden. Mauksch als Leiter des DDR-Teils der Kommission sollte einem Vertreter des Landesvorstandes der CDU weichen und die Zusammensetzung der Fachgruppen sich an den Ergebnissen der Volkskammerwahl in den Bezirken orientieren. Die bisherige Tätigkeit in den Räten, so 190 Protokoll der 16. Tagung des RTB Dresden am 5. 4.1990 (Dok. 38). 191 [Handschriftliches Verlaufsprotokoll Erich Iltgens von der] 16. Beratung [des RTB Dresden am 5. 4.1990] (HAIT, Iltgen, 4). 192 Erich Iltgen an Rudolf Baer (BayStK) vom 9. 4.1990 (ebd., 5). 193 Entschließung von CDU und DA zur Neustrukturierung der Gemischten Kommission Sachsen/Baden-Württemberg vom 6. 4.1990 (Dok. 41). 194 RdB Leipzig, 1. Stellvertreter des Vorsitzenden der Bezirksplankommission: Niederschrift zum Arbeitsbesuch einer Delegation des RdB Leipzig in Stuttgart vom 4.–6. 4. 1990 (RPL, AZ 0141.0). 195 CDU-LV Sachsen: Aktennotiz über das Seminar „Kommunalpolitik“ der Konrad-Adenauer-Stiftung Stuttgart vom 1.4.–7. 4.1990 (PB Klaus Reichenbach).

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hieß es unmissverständlich, sei künftig „keine ausreichende Legitimation zur Mitarbeit“ mehr. Ungeachtet der Vorschläge anderer Parteien schlugen CDU und DA für die Mitarbeit in den Fachgruppen eigene Kandidaten aus allen drei Bezirken vor. Bei der CDU machte die Kandidatenauswahl den auch für Rottenburg kennzeichnenden Kompromisscharakter zwischen alten und neuen Mitgliedern deutlich.196 Die neue Linie zeigte sich bei der Besetzung der in Stuttgart neugebildeten Fachgruppe Verfassung und Verwaltungsreform, deren Führung von Anfang an vollständig in den Händen von Vertretern neuer politischer Kräfte lag.197 Zwar leisteten die Vertreter der Räte in Stuttgart noch Widerstand gegen eine Neubesetzung der Fachgruppen, dennoch übernahmen die neuen Kräfte die Gemischte Kommission von nun an „Schritt für Schritt“. Dies geschah „unter ganz maßgeblicher Initiative von Arnold Vaatz“. Die anderen agierten, so Rößler, „mehr oder weniger in seinem Windschatten“.198 Die Übernahme musste in zähen Einzelkämpfen durchgesetzt werden. Die Räte wehrten sich nicht ohne Grund, stellten doch die neuen Kräfte, die „in die Gruppen hineinintegriert“ wurden, die Berechtigung der Teilnahme der Räte in Frage: „Man habe ihnen gesagt“, so Vaatz, „warum seid ihr in den Gruppen? Aufgrund wessen denn? Ihr wollt euch doch jetzt nur absichern für die nächste Zeit!“199 In Baden-Württemberg waren es vor allem Teufel und Rau, die sich für personelle Veränderungen stark machten. Unter ihrem Einfluss trat nach dem Stuttgarter Treffen die Überzeugung ein, dass personelle Veränderungen bei den sächsischen Teilnehmern nach der Volkskammerwahl unumgänglich waren.200 Beyer erklärte gegenüber Späth persönlich, er finde es zwar verständlich, dass er bislang mit den SED-Funktionären reden musste, jetzt sei aber der Zeitpunkt gekommen, auf die neuen demokratischen Kräfte umzuschalten.201 Trotz mancher Vorbehalte setzten die Baden-Württemberger daher nun stärker auf Personen, mit denen „eine demokratische Entwicklung möglich“ war und bei denen man deshalb „die Zukunft gesehen hat“. Es kam zu einem dem baden-württembergischen Naturell entsprechenden „ganz pragmatischen Heran196 Entschließung von CDU und DA zur Neustrukturierung der Gemischten Kommission Sachsen/Baden-Württemberg vom 6.4.1990 (Dok. 41). FG Wirtschaft, Technologie, Handwerk und Management: Klaus-Dieter Scholz (G 20), Horst Metz (Stellvertretender Landesvorsitzender der CDU), Helmut Münch (DA), Hans-Heiner Meinel (DA), Günther Kleinschmidt (DA), Manfred Wagner (CDU), Christian Aegerter (CDU), Bernd Heinze (DA), Hasso Sollmann (CDU); FG Finanzen und Kreditwesen: Gerd Metger (CDU und Landesschatzmeister, Ratsmitglied für Finanzen Stadtbezirk Dresden), Günter Rühlemann (DFP), Manfred Werner (DA), Rolf Leykamm (CDU), Gabriele Sajonz (DA), Arndt Rauchalles (CDU); FG Kultur: Rüdiger Freier (DA), Peter Zacher (B 90), Lutz Heubaum (CDU), Konrad Loibl (CDU), Herbert Goliasch (CDU), Udo Zimmermann (parteilos), Robert Clemen (DA), Rudolf Ahnert (CDU), Herr Kühn (DA), Eckard Weigel (CDU); FG Ländlicher Raum und Landwirtschaft: Jürgen Gülde (CDU), Volker Geier (CDU), Rolf Jähnichen; FG Verfassungs- und Verwaltungsreform: Arnold Vaatz (CDU), Wolf-Dieter Beyer (DA). 197 Siehe Kap. 5.3.7. 198 Interview Matthias Rößler. In: Kleimeier, Sachsen, S. 87. 199 Interview Arnold Vaatz. In: ebd., S. 106 f. 200 Vgl. Mengele, Wer zu Späth kommt, S. 205. 201 Interview Wolf-Dieter Beyer.

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gehen“. Hirschle, der nach eigenem Bekunden gut mit den Staatsfunktionären kooperierte, beschreibt den Prozess des Umschwenkens auf die neue Kräfte so: „Man hat gesagt: Okay, das sind die Leute, jetzt reden wir mal mit denen. Im Lauf der Zeit hat sich dann gezeigt, mit denen kann man die Dingen weiter betreiben und da musst du eher vorsichtig sein. Zum Teil musste man schlicht auch dazulernen, klar. Und so hat sich das Ganze in einem gewissen Wandel natürlich schon umgestellt.“202 Nach Darstellung Mengeles räumte schließlich sogar Mauksch „vorbehaltlos“ ein, dass Veränderungen unausweichlich seien. „Die aus dem bisherigen Regime stammenden Kräfte“, so Mengele, „mussten sich damit abfinden“.203 Schritt für Schritt wurden nun alle Positionen von den Parteien besetzt, die durch die Volkskammerwahl in die politische Verantwortung gerufen worden waren.204 Als neue Partner nicht mehr nur Bayerns, sondern auch Baden-Württembergs, konnten sich damit sowohl die bisherigen CDU-Funktionäre als auch Vertreter der neuen politischen Kräfte auf westliche Kompetenz stützen und damit ihren Anspruch untermauern, eher als die Räte für die Landesbildung legitimiert zu sein. Die wesentlichste Akzeptanz wuchs den neuen Kräften jedoch auch hier entweder durch ihre Mitgliedschaft in der Regierungspartei CDU oder dadurch zu, dass ihre Parteien SPD, DA oder DSU Koalitionspartner in der DDR-Regierung waren. Als wollte man der Demokratisierung der Zusammensetzung der sächsischen Teilnehmer nicht nachstehen, beschloss die baden-württembergische Seite der Gemischten Kommission Anfang April, künftig allen baden-württembergischen Landesverbänden die Gelegenheit zu geben, je einen Vertreter in die Fachgruppen zu entsenden.205 Auf sächsischer Seite war zu diesem Zeitpunkt noch kaum zu ahnen, dass Vaatz den Baden-Württembergern schon bald vorwerfen würde, zu intensiven Kontakt mit den CDU-Altfunktionären zu unterhalten und die neuen Kräfte zu vernachlässigen. Aus Sicht von Vaatz hatte der in der Rottenburger Erklärung gefundene Kompromiss nur vorübergehende Bedeutung. Nach dem Etappensieg gegen die SED-Funktionäre setzte er seinen Kampf gegen die ebenso ungeliebten Altfunktionäre aus den Reihen der früheren Block-CDU fort.

202 Interview Thomas Hirschle. 203 Mengele, Wer zu Späth kommt, S. 205. 204 Vgl. RdB Dresden, gez. Günter Mielke, an den Geschäftsführer des Bezirksverbandes Leipzig der SPD, Nikolaus Voss, vom 17.4.1990 (AdSD, SPD-LV Sachsen, 19, 2/01); Beschlussprotokoll der 17. Sitzung des RdB KMS vom 27. 4.1990 (SächsStAC, BT/RdB, 11522). 205 SMBW, Büro Staatsrat für Kunst, an den Landkreistag Baden-Württemberg vom 10. 4. 1990 (SMBW, 0136, GK S/BW, FG Kultur).

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4.1.7 Verhinderung der Bildung eines „Kuratoriums Land Sachsen“ in Meißen Die Stuttgarter Tagung hatte allen Seiten deutlich gemacht, dass und in welchem Maße sich die politische Landschaft nach dem 18. März verändert hatte. Auch aus München waren die Vertreter des Dresdner Runden Tisches gestärkt zurückgekommen. In Dresden fand Iltgen als Moderator des Runden Tisches Anfang April eine Einladung auf seinem Tisch liegen, mit der Kunze im Namen der Vorsitzenden der Räte sowie der Präsidenten der Bezirkstage zur ersten Beratung des „Kuratoriums Land Sachsen“ am 18. April auf die Albrechtsburg nach Meißen, der Geburtsstätte sächsischer Staatlichkeit, einlud.206 Zum geplanten feierlichen Charakter der Veranstaltung passte der pathetische Einladungstext: „Das Antlitz Sachsens ist schmerzerfüllt. Aus den Dörfern und Städten unserer Heimat wuchs der Wille zur Veränderung. In der Wiederherstellung des Landes Sachsen liegt Hoffnung und Kraft für morgen. Ihre Mitwirkung im Kuratorium ,Land Sachsen‘ dient diesem Ziel.“207 Gleichlautende Einladungen gingen an Vertreter der Räte, Bezirkstage, Moderatoren der anderen Runden Tische, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und Chefredakteure bezirklicher Publikationsorgane. Kunze lud auch Späth oder einen Vertreter der Landesregierung zur Meißener Tagung ein.208 Die Journalisten wurden außerdem zu einer Presseinformationsfahrt auf dem historischen Dampfer „Diesbar“ und zu einer internationalen Pressekonferenz eingeladen, bei der sich vor allem die Ratsvorsitzenden als Gesprächspartner präsentieren wollten.209 Nach Eingang dieser Einladungen schellten am Dresdner Runden Tisch nun endgültig die Alarmglocken.210 Die Einladungen waren „so missverständlich abgefasst“, dass „unklar blieb, ob lediglich das Kuratorium oder eben das Land Sachsen auf diesem Festakt konstituiert werden sollte, und ob die zusammengewürfelte Gästeschar – im Hinblick auf den Tagesordnungspunkt ,Beschlussfassung‘ gar eine neue Landesverfassung verabschieden sollte“. Gestärkt durch die bayerische Anerkennung und den Kurswechsel in Rottenburg und Stuttgart regte sich um so mehr der Argwohn der neuen politischen Kräfte gegen die „wie natürlich erscheinende Aneignung der Länderbildungsinitiative“ durch die Räte.211 Die Gruppe um Vaatz setzte deswegen alles daran, sich die mit Hilfe des Dresdner Runden Tisches in Angriff genommene Initiative zur Landesbildung nicht aus der Hand nehmen zu lassen. Die Folge war ein regelrechtes „Wettrennen“ mit dem DDR-Appa206 Einladung für Erich Iltgen zur ersten Beratung des Kuratoriums „Land Sachsen“ vom 2. 4.1990 (Dok. 36). 207 Einladung zur Konstituierung des Kuratoriums „Land Sachsen“ in Meißen am 18.4. 1990 (Dok. 81). 208 Michael Kunze an Lothar Späth vom 11. 4.1990 (SMBW, 0136 Partnerschaft mit Dresden/Sachsen). 209 Fernschreiben der Pressestelle des RdB Dresden an alle Chefredakteure und Leiter der bezirklichen Publikationsorgane vom 6. 4.1990 (PB Horst Rasch). 210 Vgl. Lesch, Die CDU-Reformer in Sachsen, S. 39. 211 Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 54 f.

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rat.212 Aber nicht nur in Dresden wuchs die Skepsis. Auch dem Bezirksvorstand des Demokratischen Aufbruchs in Karl-Marx-Stadt war nach Eingang der Einladung „klar, dass dieser Versuch boykottiert werden muss“. Nach Vorsprachen Wolf-Dieter Beyers bei CDU, DSU, SPD, Neuem Forum, den Grünen, der FDP und den Kirchen schlossen sich diese einer dadurch breiten Ablehnungsfront an.213 Unter dem Einfluss Beyers war man sich auch im DDR-Vorstand des DA einig, der Einladung nach Meißen zum 18. April nicht zu folgen.214 In Dresden machte am 3. April Iltgen als Vertreter des Runden Tisches im Präsidium des Bezirkstages gemäß seiner „Wächterfunktion“ Druck.215 Auf sein Drängen legte das Präsidium fest, die Konstituierung des „Kuratoriums Land Sachsen“ nicht in der angedachten Form durchzuführen. Stattdessen sollten die Verantwortlichen der Räte, Bezirkstage und Runden Tische am 10. April zunächst einen gemeinsamen Standpunkt erarbeiten, bei „Nichterreichen eines einheitlichen Vorgehens“ den Termin 18. April jedoch korrigieren und neu festlegen.216 Es kennzeichnete deren Haltung, dass die Bezirkstage in Karl-MarxStadt und Leipzig diesen Beschluss schlicht ignorierten. Hier liefen die Vorbereitungen weiter, was auch daran lag, dass die bereits in Bedeutungslosigkeit abgleitenden Runden Tische den Bezirkstagen die inhaltlichen Vorbereitungen zur Länderbildung mehr oder weniger überlassen hatten.217 In den vom Volk nie bestätigten „Volksvertretungen“ aber hatte man nicht das geringste Interesse, eine Veranstaltung abzublasen, die eine letzte Chance sein konnte, sich als für die Landesbildung verantwortlich zu präsentieren und das politische Überleben zu sichern. Auch im Rat des Bezirkes Dresden ging man nicht von einer völligen Absage aus, sondern erwartete von der Besprechung am 10. April eine Lösung.218 Am 9. April berieten die Bereichsleiter für „Internationale Arbeit“ in Dresden die Zusammenarbeit mit Bayern und Baden-Württemberg und mussten konstatieren, dass Kunze, der zu diesem Zeitpunkt eigentlich auf Einladung der Bayerischen Staatsregierung in München weilen wollte, „aus bisher nicht bekannten Gründen“ von bayerischer Seite „ausgeladen“ worden war. Die am Runden Tisch in Dresden vorangetriebenen Veränderungen veranlassten den Vertreter aus Karl-Marx-Stadt, Erwin Koberling, zu kritisieren, dass die Dresdner versuchten, „alles an sich zu ziehen, ohne vorher die Details mit Leipzig und Karl-Marx-Stadt abzustimmen“. Die anderen Bezirke würden „vor vollendete Tatsachen gestellt mit der Maßgabe, die von Dresden getroffenen Festlegungen zu akzeptieren“. Nochmals wurde das Auftreten der neuen Kräfte in Stuttgart 212 Lesch, Die CDU-Reformer in Sachsen, S. 39. 213 Vgl. Wolf-Dieter Beyer an Werner J. Patzelt vom 30.10. 2000 (HAIT, Wolf-Dieter Beyer); Interview Wolf-Dieter Beyer. 214 Protokoll der Vorstandssitzung des DA vom 10. 4.1990 (PB Wolf-Dieter Beyer) 215 Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 55. 216 Auszug aus dem Protokoll der Tagung des Präsidiums des BT Dresden am 3. 4.1990 (Dok. 37). 217 Vgl. Iltgen, Vom Runden Tisch, S. 20. 218 Mitteilung des Büros des Vorsitzenden des RdB Dresden vom 3.4.1990 (SächsStAC, BT/ RdB, 152189).

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kritisiert.219 Den Staatsfunktionären dämmerte, dass ihr Stern im Sinken begriffen war. In entsprechend angespannter Lage kam es am nächsten Tag in KarlMarx-Stadt zur Beratung „Land Sachsen“ der Vertreter der drei sächsischen Bezirke.220 Teilnehmer waren die Präsidenten der Bezirkstage, bzw. für Dresden Herbert Wagner (CDU) als Vertreter, die Vorsitzenden der Räte sowie die Moderatoren der Runden Tische. Während sich die Vertreter aus Karl-Marx-Stadt, wo sich die an der Regierung beteiligten Parteien längst vom Runden Tisch zurückgezogen hatten, und Leipzig, wo CDU und DSU ihre Mitwirkung ruhen ließen, weiterhin für die geplante Veranstaltung am 18. April in Meißen aussprachen, trug Iltgen die Kritik von Mitgliedern des Runden Tisches Dresden gegenüber der Meißener Veranstaltung vor. Angesichts einer „strukturierten Dreigleisigkeit im Herangehen“ könne die Beratung „vom Inhalt her durch verschiedene Gruppen in Dresden nicht mit getragen werden“. Dies war für die meisten Teilnehmer neu und führte zu spannungsgeladenen Debatten, hatte der Dresdner Runde Tisch doch die Ankündigung der Meißener Tagung bei seiner 16. Sitzung noch fast kritiklos zur Kenntnis genommen. Die ablehnende Haltung der Gruppe um Vaatz und in anderen neuen Parteien war freilich für die Vertreter der anderen Bezirke kein Anlass, von der Veranstaltung am 18. April Abstand zu nehmen. Man einigte sich, den Programmablauf zu ändern und den Entwurf der Räte gemeinsam mit dem der Gruppe der 20 vorzustellen. Die Einladung sollte nun nicht mehr von den Ratsvorsitzenden, sondern vom Präsidenten des Dresdner Bezirkstages, Manfred Rentsch, unterschrieben werden. Eingeladen werden sollten auch Vertreter der Regierung sowie der Partnerländer Bayern und Baden-Württemberg. Unter diesen neuen Voraussetzungen verständigte man sich darauf, den Termin nicht abzusagen. Für die weitere Entwicklung war die gemeinsame Vereinbarung von Bedeutung, man wolle ein gemeinsames Plenum für alle Aktivitäten zur Landesbildung mit je 25 Personen pro Bezirk bilden und die vier Arbeitsgruppen „Verfassungen“, „Verwaltungen und Strukturen“, „Wirtschaft“ und „Wissenschaft, Kultur, Sport“ einrichten. Alle bisherigen Arbeitsgruppen sollten ebenfalls weiterarbeiten, allerdings dem Plenum gegenüber rechenschaftspflichtig sein. Hier tauchte das erstmals in Rottenburg konzipierte, wenngleich noch nicht öffentlich gemachte Modell eines Gremiums der drei Bezirke auf, das die Konturen, wenn auch nicht die personelle Zusammensetzung des späteren Koordinierungsausschusses vorwegnahm. Nachdem an ei219 RdB KMS: Information über die am 9. 4.1990 in Dresden stattgefundene Beratung zu Problemen der Internationalen Arbeit (ebd., 137632). Vgl. RdB Leipzig, 1. Stellvertreter des Vorsitzenden der BPK: Niederschrift zum Arbeitsbesuch einer Delegation des RdB Leipzig in Stuttgart vom 4.–6. 4.1990 (RPL, AZ 0141.0). 220 Niederschrift Erich Iltgens von einer Beratung der Runden Tische der drei sächsischen Bezirkshauptstädte bezüglich Land Sachsen am 10. 4.1990 (Dok. 44). Vgl. Beratung „Land Sachsen“ mit Vertretern der Bezirke Dresden und Leipzig am 10. 4.1990 (Sächs StAC, BT / RdB, 152189); Protokoll der Außerordentlichen Beratung des RTB [KarlMarx-Stadt] am 21. 4.1990 (ebd., 124557); 19. Tagung des BT Dresden am 26. 4.1990 (ebd., 46074 Bl. 115 f.); Erich Iltgen: Redevorlage für die Bezirkstagssitzung am 26. 4. 1990 (HAIT, Iltgen 3).

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ner ablehnenden Haltung Bayerns kaum mehr Zweifel bestanden, wuchs auf Grund der ablehnenden Haltung der Regierungsparteien in Berlin wie in Sachsen auch in Stuttgart die Skepsis. Böhmler informierte den persönlichen Referenten Späths, Walter Weik, er werde versuchen, nähere Informationen zu erhalten. Möglicherweise werde die Veranstaltung von der „Allianz“ in Sachsen nicht gestützt. Eine baden-württembergische Vertretung scheine aber „nur angezeigt, wenn die Veranstaltung von breiten Kreisen, u. a. auch vom Runden Tisch, getragen“ werde.221 Nach der Besprechung der Bereichsleiter am 9. April informierte Kunze Preiß über seine Sicht der Lage.222 Die Ausarbeitung einer Landesverfassung, Gemeindeordnung und Landtagsordnung sowie eines Kommunalwahlgesetzes sei in ein Stadium getreten, das die Einbeziehung einer breiten Öffentlichkeit erfordere. In Abstimmung mit den Runden Tischen und den Präsidien der Bezirkstage hätten die drei Vorsitzenden der Räte deswegen vereinbart, ein überregionales Kuratorium zu bilden, das die öffentliche Erörterung anregt und organisiert. Dessen konstituierende Sitzung am 18. April werde etwa einhundert Personen vereinigen, die namentlich von den am Runden Tisch vertretenen Parteien und Organisationen der drei Bezirke vorgeschlagen würden. Auch die Landeskirchen hätten ihre Mitwirkung zugesagt. Die Textentwürfe sollten an diesem Tag der Öffentlichkeit übergeben werden. Außerdem sei vorgesehen, dass das Kuratorium die Ergebnisse der öffentlichen Aussprache in der Jahresmitte vorstellt, um sie später der Landesregierung und dem Landtag zur parlamentarischen Erörterung und Bestätigung zu übergeben. Die dann zu leistende politische Entscheidung hätte auf diese Weise „eine demokratische Legitimation durch öffentliche Aussprache in den drei sächsischen Bezirken“. Nach Meinung von Arnold Vaatz steckte hinter der Einladung sächsischer Honoratioren die Absicht, sich auf diese Weise zu legitimieren. Bei etlichen von ihnen habe es sich um Künstler gehandelt, die bereits Anfang Dezember auf dem Dresdner Theaterplatz eine Demonstration von Künstlern durchführten. Dies sei „exakt der Personenkreis der DDR-Elite“ gewesen, „der nicht diskreditiert war durch Apparate“ und „zu denen der DDR-Bürger aufschaute“. Es handelte sich um Künstler und andere unabhängige Persönlichkeiten, die „erreicht hatten, eine Instanz zu bleiben, auch im Sozialismus“. Dabei habe es sich um „bedeutende, unantastbare Persönlichkeiten“ wie Manfred von Ardenne, Kurt Masur oder Theo Adam gehandelt. Dieses „entscheidende Identifikationspotential“ wollte der Rat des Bezirkes in der ersten Reihe der Meißner Veranstaltung platzieren, um „damit der Öffentlichkeit zu suggerieren, jetzt haben die Entscheidungsträger, das intellektuelle Potential des Freistaats Sachsen, diesen Gründungsakt akzeptiert“. Gemäß „mittelalterlicher“ Methoden hätten die Räte damit einen „Huldigungsakt“ nach dem Prinzip inszeniert, dass der Landesherr auf die Al221 Rudolf Böhmler an Walter Weik vom 11. 4.1990 (SMBW, 0136, Sitzung des Ministerrates am 9. 4.1990, TOP 1A: Hilfen für die DDR). 222 Fernschreiben von Michael Kunze an Manfred Preiß vom 10. 4.1990 (BArch B, DC 20, 11961).

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brechtsburg kommt, die Untertanen huldigen ihm und damit war seine Macht legitimiert. Ein solcher Initialakt wäre nach Meinung von Vaatz, „Legitimität hin, Legitimität her“, „nicht mehr aus der Welt zu schaffen gewesen“.223 Missverständlich und folgenreich war nach dem Treffen am 10. April eine Presseinformation des erweiterten Präsidiums des Bezirkstages Leipzig, wonach „der Regionalausschuss die verfassungsgebende Versammlung für das Land Sachsen sein“ werde.224 „Die Union“ berichtete daraufhin, dass die Konstituierung eines „Kuratoriums Land Sachsen“ als „verfassungsgebendes Gremium“ vorgesehen sei.225 Die Tatsache, dass sich die Nachricht so deuten ließ, als sei die Veranstaltung in Meißen als verfassungsgebende Versammlung konzipiert, stärkte den ohnehin bereits erheblichen Argwohn der Regierungsparteien. Hier war längst entschieden, sich nicht an der Veranstaltung zu beteiligen. Für eine diesbezügliche offensive Haltung hatte vor allem Beyer gesorgt: Um nichts dem Zufall zu überlassen, war dieser noch am Sonntag Abend nach Rückkehr aus Rottenburg zum designierten Kanzleichef de Maizières, Klaus Reichenbach, gefahren, der im Nachbarort wohnte und am nächsten Tag nach Berlin fuhr, um diesen unmittelbar über den dort gefassten Beschluss und die ablehnende Haltung gegenüber der Meißener Tagung in Kenntnis zu setzen und „um das Thema in die Koalitionsverhandlung in Berlin schnell einzuspeisen“.226 Daraufhin bestätigte ihm DA-Vorsitzender Rainer Eppelmann am 9. April eine „zustimmende Informationsaufnahme in der Berliner Koalition“. Das Thema war am Rande der Koalitionsverhandlungen besprochen worden, wobei sich alle Koalitionsparteien einig waren, der Einladung am 18. April nicht zu folgen, da „keine demokratische Legitimierung für dieses Vorhaben“ vorliege, die Koalitionspartner „den Alleingang eines Landes“ ablehnten und „eine Vorreiterrolle der PDS-Funktionäre“ nicht hinnähmen.227 Reichenbach, so schätzte Vaatz später ein, wollte Ministerpräsident in Sachsen werden und wandte sich gegen diesen Initialakt, „weil das seine Initiative nicht mehr ermöglicht hätte in Sachsen“. Aus diesem Grund habe er von dort aus interveniert.228 Am 14./15. April veröffentlichte „Die Union“ unter dem Titel „Vorschlag zur Länderbildung in der DDR“ die Rottenburger Erklärung mit über dreißig Unterschriften aus den Landesvorständen der CDU und des DA, den Stadtvorständen der CDU und des DA Leipzig, Karl-Marx-Stadt und Dresden sowie weiteren Mitglieder des DA und der CDU.229 Darin wurde den Räten öffentlich die Legitimation abgesprochen, Initiativen zur Landesbildung zu ergreifen und diese in die Verantwortung der Regierung gelegt. Zeitgleich gaben verschiedene 223 Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 224 RdB Leipzig: Vorbereitung Regionalausschuss vom 21. 3.1990 (SächsStAL, BT / RdB, 25795). 225 Vgl. Die Union, Ausgabe Leipzig, vom 12./13. 4.1990. 226 Wolf-Dieter Beyer an den Autor vom 31.1. 2003; Interview Wolf-Dieter Beyer. 227 Rainer Eppelmann an Wolf-Dieter Beyer vom 9. 4.1990 (Dok. 43) 228 Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 229 „Rottenburger Erklärung“ zur Länderbildung in der DDR vom 6. 4.1990 (Dok. 39).

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Parteien Erklärungen ab, in denen die Tagung am 18. April abgelehnt wurde.230 Es hieß, der in „Die Union“ abgedruckte Vorschlag zur Länderbildung genüge rechtsstaatlichen Prinzipien, gehe demokratische Wege und könne schnell und unkompliziert umgesetzt werden. Sachsen hätte danach bald einen demokratisch gewählten Landtag, eine neue Landesverfassung und eine handlungsfähige Regierung. Dem Konzept hatten sich inzwischen das Präsidium des sächsischen CDU-Landesvorstandes, die DA-Vorstände der sächsischen Bezirke, Angehörige der Vorstände von DFP und DSU des Bezirkes Dresden und der SPD angeschlossen. Voraussetzung der Zustimmung des CDU-Landesvorstandes für das unter anderem von Vaatz initiierte Papier war die Anerkennung der Verantwortung der Regierung für die Länderbildung. Weiter hieß es, eine zügige Länderbildung werde durch Sonderwege wie in Meißen behindert. Schritte zur Länderbildung müssten mit der Regierung abgestimmt sein und von ihr verantwortet werden. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit zustande gekommene Kuratorien ohne klare Kompetenzen förderten die Länderbildung nicht. Ein Festakt als Start zur Gründung des Landes Sachsen sei der Sache angemessen, wenn er einen demokratischen Prozess einleite und die Öffentlichkeit einbeziehe. Festakte als „Ersatz für Demokratie“ seien „hinreichend bekannte Instrumente stalinistischer Herrschaft“. Die Unterzeichner forderten die Räte auf, die Gründung des Kuratoriums und die damit verbundenen Unternehmungen unverzüglich abzusagen. Komme der Festakt dennoch zustande, so werde man sich in Meißen einfinden und die eigene Meinung an Ort und Stelle öffentlich vertreten. Tatsächlich setzte man sich, so Hermann Henke, im Vorfeld der Tagung zusammen und organisierte „stabsmäßig“, dass, „wenn es stattgefunden hätte, wir da gewesen wären“.231 „Henke“, so Adler, „hatte da ganz kühne Ideen, wie er an dieses Schiff kommt, um die anwesenden Baden-Württemberger in eine peinliche Situation zu bringen, in dem man sagt, ihr sitzt hier zusammen mit den Leuten, die die alte DDR repräsentiert haben und ich bin hier als Vertreter der neuen Leute. Mit wem wollt ihr zusammen etwas machen?“232 Am selben Tag wie die von Vaatz, Henke, Adler, Müller und Münch unterzeichnete Erklärung veröffentlichte auch der DA im Bezirk Karl-Marx-Stadt eine von Wolf-Dieter Beyer verantwortete, gleichfalls auf dem Rottenburger Papier basierende Erklärung, in der es hieß, dass „nicht legitimierte Veranstaltungen wie am 18. April in Meißen, wo mit großer Zeremonie eine Beschlussfassung über eine Länderverfassung stattfinden solle“, nicht stattfinden dürften. Der DA, die CDU und andere Regierungsparteien würden eine Teilnahme daran ablehnen.233 In einer weiteren, vom Pressesprecher des Chemnitzer DA, Wieland Orobko, unterzeichneten Erklärung hieß es, in Meißen solle Sachsen ausgerech230 Kritik der neuen politischen Kräfte an der Bildung eines „Kuratoriums Land Sachsen“ auf der Meißener Albrechtsburg vom 17. 4.1990 (Dok. 47). Vgl. Die Union vom 19. 4.1990. 231 Hermann Henke beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 232 Interview Peter Adler. 233 Presseerklärung des DA KMS vom 17. 4.1990 (Dok. 46).

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net auf Initiative derer wiederentstehen, die es „im sozialistischen Größenwahn“ in Bezirke zerrissen hätten. Das Volk werde dabei wie 1952 nicht gefragt. Auf der Albrechtsburg solle ein Verfassungsentwurf diskutiert werden, den niemand „außer den einladenden Genossen“ kenne. Der DA empfahl, dass sich diejenigen, die „unter der SED-Fahne die Bezirke ins Chaos geführt“ hätten, besser zurückhielten. Der DA spiele bei deren „Albrechtsburg-Aktionen“ jedenfalls nicht mit. In der Einladung zur Veranstaltung stehe: „Das Antlitz Sachsens ist schmerzerfüllt. Aus den Dörfern und Städten unserer Heimat wuchs der Wille zur Veränderung.“ Dem sei nichts hinzuzufügen, außer vielleicht: „Genossen – begreift das endlich!“234 Die Stellungnahme des Demokratischen Aufbruchs, die, weil von der Presse nicht veröffentlicht, als Flugblatt verteilt wurde,235 führte zu einer empörten Reaktion der Vertreter von KPD, Die Nelken, UFD und DFD am KarlMarx-Städter Runden Tisch, die ein beredtes Zeugnis von deren mangelndem Unterscheidungsvermögen zwischen Diktatur und Demokratie ablegte.236 Als sei der dortige Runde Tisch das Sprachrohr aller wichtigen Parteien, protestierten diese gegen die Forderung nach Auflösung der Runden Tische, die „eine ausgesprochen demokratisch legitimierte Form demokratischer Meinungsbildung und öffentlicher Kontrolle“ seien. In keinem zivilisierten Land sei es üblich und mit Demokratieverständnis vereinbar, „gewählte Körperschaften durch übergeordnete Exekutivorgane mir nichts, dir nichts aufzulösen“. Die Einsetzung von Regierungsbeauftragten mit Befugnissen gegenüber den „von bestehenden Volksvertretungen gewählten Räten“ gleiche „in fatalster Weise“ dem „administrativem stalinistischem Machtgehabe“, das die Revolution gerade beseitigt habe. Ein von der Rottenburger Erklärung abweichender Vorschlag zur Landesbildung kam, ebenfalls am 17. April, von den Vertretern des Neuen Forums am Runden Tisch des Bezirkes Leipzig, Michael Kleinert und Andreas Müller.237 Sie schlugen die Bildung eines Runden Tisches Sachsen mit zentralen Arbeitsgruppen vor, der die bisher in den bezirklichen Arbeitsgruppen geleistete Vorarbeit aufnehmen, sich bis zu den Landtagswahlen alle legislativen Rechte der bisherigen Bezirke Leipzig, Dresden und Karl-Marx-Stadt vorbehalten und die Räte der Bezirke als Exekutivorgane einsetzen sollte. Die Bezirkstage müssten aufgelöst und die Runden Tische der Bezirke unter der Regie des Runden Tisches Sachsen für ihren Bereich Kontrollpflichten übernehmen. Teilnehmer sollten mit je einer Stimme in der Volkskammer vertretene Parteien und Organisationen werden, Parteien mit mehr als zwanzig Prozent der Mandate ein Vetorecht erhalten. Im Entwurf eines Statuts wurde der Sächsische Runde Tisch als „ein von der Regierung der DDR unabhängiges Organ“ definiert, dass die Interes234 Erklärung des DA Westsachsen zur Tagung auf der Meißner Albrechtsburg vom April 1990 (Dok. 53). 235 Wolf-Dieter Beyer an den Autor vom 31.1. 2003. 236 Erklärung von Parteien, Vereinigungen und Organisationen des RTB KMS vom 18. 4.1990 (Dok. 52). 237 Diskussionspapier zum Leipziger Parteispitzentreffen zum Thema „Runder Tisch Land Sachsen“ vom 17. 4.1990 (Dok. 45). Vgl. Interview Günter Kleinschmidt.

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sen des zukünftigen Landes Sachsen im Sinne föderalistischer Gewaltenteilung vertreten und dazu über alle legislativen Rechte und Pflichten verfügen sollte, die bislang den Bezirken oblagen. Auch alle legislativen Aufgaben im Zusammenhang mit der Landesbildung sollten von ihm wahrgenommen werden. Das war ein Konzept, das die Verantwortung für die Bildung Sachsens nicht bei der Regierung, sondern ausschließlich in den Bezirken sah, obwohl dort bis zur Landesbildung keine Bildung parlamentarisch-demokratisch legitimierter Gremien vorgesehen war. Auf den Widerstand der CDU musste neben der Ignorierung jeglicher Verantwortung der Regierung stoßen, dass jeder beteiligten Partei und Organisation, einschließlich der CDU, trotz Vetorechts nur eine Stimme zur Verfügung stehen sollte. Das Papier stand für den Versuch von Vertretern jener neuen Kräfte, Einfluss auf die Landesbildung zu nehmen, die anders als Vaatz nicht den Weg in eine der etablierten Parteien gefunden hatten und nun befürchteten, durch die weitere Entwicklung marginalisiert zu werden. In seiner mangelnden Berücksichtigung der Mehrheitsverhältnisse unterstreicht es noch einmal die Bedeutung der strategischen Entscheidung der Gruppe um Vaatz, sich ihren politischen Einfluss durch den Marsch in die etablierten Institutionen, das heißt, durch ihren Eintritt in die CDU zu sichern. Ähnliches gilt für den DA, der sich durch seine Wandlung zur Partei und seine Mitarbeit in der „Allianz für Deutschland“ auf andere Weise Mitwirkungsmöglichkeiten gesichert hatte, die weit über seine eigentliche Bedeutung hinausgingen. Die unterschiedlichen Aktivitäten, allen voran die gemeinsame Erklärung der an der Regierung beteiligten Parteien, setzten die inzwischen fast durchweg von der PDS bzw. marginalisierten Parteien und Gruppierungen repräsentierten Räte und Bezirkstage so unter Druck, dass diesen keine andere Wahl blieb, als die Meißener Tagung in der bisher geplanten Form abzublasen. Vaatz kommentierte lapidar: „Als wir Oppositionellen dann unsere Teilnahme absagten, war der ganze Spuk gestorben.“238 Am Mittag des 17. April teilte die Pressestelle des Rates des Bezirkes Dresden den Medien mit, dass die Informationsfahrt auf dem Dampfer „Diesbar“ verschoben werde.239 Auch in einem Telex an das Internationale Pressezentrum Berlin hieß es, dass alle Aktivitäten entfielen, die zur Konstituierung des „Kuratoriums Land Sachsen“ vorgesehen waren.240 Während der Leipziger FDJ-Bezirksverbandsvorsitzende, Michael Elsner, noch protestierte, keine Einladung erhalten zu haben,241 wurde bereits allen vorgesehenen Kuratoren abgesagt.242 Gegenüber dem Sender Dresden interpretierte Kunze die „Verlegung“ damit, dass es Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich 238 „Gruppe der 20. Wo sind die stillen Helden?“ In: Bild-Zeitung vom 21.10.1997. 239 Telegramme des RdB Dresden, Pressestelle, an Medien und Zeitungen vom 17. 4.1990 (HAIT, KA, 6). 240 Telex der Pressestelle der RdB Dresden an das Internationale Pressezentrum Berlin vom 17. 4.1990 (ebd.). Im ursprünglichen, überklebten Text hatte es geheißen: „die für den 18. 04.1990 in Beziehung auf die Länderbildung vorgesehen waren“. 241 Michael Elsner an Joachim Draber vom 17. 4.1990 (SächsStAL, BT/RdB, 25795). 242 Text für telefonische Durchsage an die Teilnehmer des „Kuratoriums Land Sachsen“. Zit. in Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 59 f.

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der Reihenfolge zwischen Diskussion und der Überarbeitung der Dokumente gebe. Kritik an einer mangelnden Legitimation der Räte wies Kunze mit dem Argument „Wer ist da überhaupt legitimiert?“ zurück. Man müsse auch die Arbeit der Runden Tische sehr genau einordnen. Deren Beschlüsse hätten nur empfehlenden Charakter.243 Trotz der Absage kam es am 18. April auf der Albrechtsburg zu einer Zusammenkunft, die freilich mit der ursprünglich geplanten Veranstaltung nichts mehr zu tun hatte. Sie wurde von der Gruppe Vaatz ebenso boykottiert wie von neuen politischen Kräften aus den anderen Bezirken. Sie stand unter Leitung Rudolf Krauses. Die Teilnehmer befassten sich allgemein mit Fragen der Bildung des Landes Sachsen.244 Mit der Verhinderung des Versuchs der Räte, sich in Meißen als führende Kraft der Landesbildung zu profilieren, war es den neuen wie etablierten politischen Kräften, die durch die Volkskammerwahl in die politische Verantwortung gerufen worden waren, gelungen, ihren Anspruch durchzusetzen, die Landesbildung selbst in die Hand zu nehmen. Möglich war dies freilich nicht im direkten Kräftemessen zwischen den Bezirkstagen und Räten einerseits und den Runden Tischen der Bezirke anderseits gewesen, sondern vor allem dadurch, dass sich die neuen Kräfte um Vaatz und in SPD, DA und DSU dazu durchrangen, die Verantwortung für die Länderbildung in die Hände der demokratisch gewählten Regierung zu legen. Im Gegenzug erwuchs ihnen als Vertretern der Regierungsparteien an den Runden Tischen eine Bedeutung, die im Machtkampf um die Dominanz bei der Landesbildung einen strategischen Vorteil brachte und den sie in der Folgezeit auch erfolgreich umzusetzen vermochten. Die besondere Bedeutung des Dresdner Runden Tisches lässt sich daran erkennen, dass sich in Chemnitz sämtliche Regierungsparteien, in Leipzig CDU und DSU nicht mehr an den Runden Tischen der Bezirke beteiligten, weil diese die Mehrheitsverhältnisse in der Bevölkerung der Bezirke nicht widerspiegelten. Gerade vor diesem Hintergrund ist es aufschlussreich, welche Zusammensetzung des „Kuratoriums Land Sachsen“ die Räte geplant hatten. Ein Blick auf die Teilnehmerliste des Bezirkes Karl-Marx-Stadt zeigt das angestrebte Missverhältnis zwischen den von einer Bevölkerungsmehrheit demokratisch legitimierten und marginalisierten Kräften. Neben CDU, SPD, DA, DSU, FDP/LDP sollten dem Kuratorium aus KarlMarx-Stadt von den Altparteien und -organisationen DFD, NDPD, DBD, DKB, FDJ, PDS, FDGB und VdgB angehören, dazu der Ratsvorsitzende, der Oberbürgermeister von Karl-Marx-Stadt und ein Vertreter der Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei, von den neuen Gruppierungen Grüne Liga, DFP, Grüne Partei, Vereinigte Linke und Neues Forum. Hinzu kamen zwei Vertreter der Kirchen.245 Ähnlich sah die geplante Delegation des Bezirkes Dresden aus,246 so 243 Interview Michael Kunze am 18. 4.1990 (Dok. 51). 244 Vgl. Interviews Michael Lersow und Gustav Rust; Michael Lersow: Von der Bürgerbewegung in die Parteistruktur der SPD, o. D. (HAIT, Michael Lersow). 245 Teilnehmer des Bezirkes Karl-Marx-Stadt „Kuratorium Land Sachsen“, o. D. (HAIT, KA, 6). 246 Teilnehmer des Bezirkes Dresden „Kuratorium Land Sachsen“ vom 3. 4.1990 (ebd.).

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dass es auch hier ein deutliches Übergewicht der marginalisierten Kräfte gegeben hätte und die Mehrheitsparteien in eine Minoritätsposition gedrängt worden wären. Mittels der von den Räten nach volksdemokratischer Manier beschlossenen, bunt zusammengewürfelten Zusammensetzung jenseits demokratischer Mehrheiten sollte das „Kuratorium Land Sachsen“ also konstituiert werden. Nicht viel besser war die Lage in Leipzig, wo die Mitglieder des Regionalausschusses durch die Runden Tische benannt werden sollten.247 Freilich dominierten auch hier, wenngleich SPD und DA weiter mitwirkten, nach dem Rückzug der Regierungsparteien CDU und DSU vor allem Vertreter politischer Splittergruppen bzw. der PDS. Es muss erstaunen, wie wenig die Räte ins Kalkül zogen, dass ihr vermessener Schachzug von den neuen Regierungsparteien als Affront gedeutet werden musste, den sich weder die in die politische Verantwortung gerufenen Funktionäre der CDU noch die Vertreter der neuen Parteien in der Regierung gefallen lassen konnten. Durch eine „doppelseitige Intervention, einerseits von uns, einerseits von Berlin“, habe die Veranstaltung abgeblasen werden müssen.248 Vergleicht man beide Interventionen, so liegt auf der Hand, dass für die Räte vor allem die Absage und das deutliche Machtwort aus Berlin entscheidend waren. Die Haltung der sich konstituierenden Regierung bedeutete einen „Wendepunkt in der zunehmend machtrelevanten Vorbereitung der Länderbildung“.249 Andererseits wäre es unzureichend, die Absage allein auf die Haltung der Regierung zurückzuführen, reagierte diese doch erst auf die intensiven Bemühungen der neuen Kräfte in der CDU, dem DA, der SPD, der DSU und im liberalen Parteienspektrum Sachsens, die Bildung eines von den Räten geschaffenen Kuratoriums zu verhindern. Diese waren die eigentlichen Verhinderer der Meißener Tagung, die die Regierung allerdings geschickt in ihre Phalanx einbanden. „Wir hatten erreicht“, so Michael Lersow, „dass unser Wille zur Einführung des Landes Sachsen deutlich war, und verhindert, dass der Einfluss von Kräften aus der PDS auf den eingangs geschilderten Prozess zum Tragen kam“.250 Nach dem „Aha-Effekt, dass der Freistaat von den alten Kräften ausgerufen werden sollte“, habe man, so auch Helmut Münch, die Gefahr erkannt und „entsprechend reagiert“.251 Da nach der Volkskammerwahl die Stellung der neuen Kräfte gefestigt war, erreichte man, so Steffen Heitmann, „dass dadurch das ganze Unternehmen scheiterte“252 und, so Peter Adler, „eine Art Staatsstreich verhindert“ wurde.253 Der Vorgang zeigte nach Meinung von Arnold Vaatz auch, dass die neuen Kräfte „eben doch, unter Abwägung aller Umstände und unter Abzug al247 RdB Leipzig: Vorbereitung Regionalausschuss vom 21. 3.1990 (SächsStAL, BT / RdB, 25795). 248 Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 249 Iltgen, Vom Runden Tisch, S. 20 f. 250 Michael Lersow: Von der Bürgerbewegung in die Parteistruktur der SPD, o. D. (HAIT, Michael Lersow). 251 Interview Helmut Münch. In: Kleimeier, Sachsen, S. 83. 252 Vgl. Heitmann, Die Revolution in der Spur des Rechts, S. 44. 253 Interview Peter Adler. In: Kleimeier, Sachsen, S. 12 f.

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ler exotischen, lächerlichen Vorstellungen, die wir auch hatten, die besseren Voraussetzungen hatten. Ganz einfach.“254 Eine besondere Rolle spielte auch bei dieser Aktion der von der Gruppe um Vaatz bewusst instrumentalisierte Runde Tisch des Bezirkes Dresden, wenngleich er über „keine demokratische Legitimation“ verfügte. Zwar war man sich hier darüber durchaus im Klaren, aber, so Vaatz, der Runde Tisch konnte sich auf eine öffentliche Akzeptanz stützen, die „zu keiner Zeit grundlegend hinterfragt“ wurde. Das habe ihn „mehr legitimiert als irgendeine andere Institution, zu verhindern, dass das Land Sachsen ohne demokratisches Fundament gebildet wird“.255 Nach der Volkskammerwahl basierte diese Akzeptanz freilich weniger auf einer direktdemokratisch zu deutenden Akzeptanz in Teilen der Bevölkerung als vielmehr auf seiner an die Wahlergebnisse angepassten Zusammensetzung, weswegen von einer entsprechenden Akzeptanz der Runden Tische der Bezirke Karl-Marx-Stadt und Leipzig zu diesem Zeitpunkt nur noch bedingt gesprochen werden konnte. Ungeachtet dessen spielten auch diese Gremien als Symbole der Revolution eine gewichtige Rolle bei der Legitimierung der Landesbildung durch die neuen politischen Kräfte.

4.1.8 Entwurf einer Landesverfassung der Räte der Bezirke Ein zentraler Punkt der Auseinandersetzung betraf die Frage, wer legitimiert sei, Vorarbeiten für eine neue sächsische Verfassung zu leisten. Für die Gruppe der 20 hatte Vaatz Ende März einen Entwurf vorgelegt, in Rottenburg war aber auch die Wiedereinsetzung der Landesverfassung von 1947 als Grundlage der Landesbildung bei dann zu erfolgender tiefgreifender Überarbeitung in Erwägung gezogen worden. Die Ratsvorsitzenden hatten ihrerseits geplant, den unter Leitung von Rainer Groß ausgearbeiteten Verfassungsentwurf sowie die Entwürfe von Gemeinde- und Landkreisordnungen auf der Albrechtsburg vorzustellen und eine Beschlussfassung folgen zu lassen. Wichtigen „sächsischen Honoratioren“ sollte hier „feierlich eine in Schweinsleder gebundene Verfassung in Form einer Rolle“ übergeben werden, womit man meinte, „einen Initialakt vollzogen zu haben“.256 Die Räte der Bezirke hatten eine Broschüre mit dem Verfassungsentwurf257 sowie Entwürfen einer Gemeindeordnung und eines Kommunalwahlgesetzes vorbereitet.258 Hinsichtlich der Entwürfe für eine Landkreisordnung, eine Gemeindeordnung und ein Kommunalwahlgesetz gab es einen breiteren Konsens 254 Interview Arnold Vaatz. In: ebd., S. 106 f. 255 Interview Arnold Vaatz. In: Sächsischer Landtag, Von der Wende zum Parlament, S. 47. 256 Interview Arnold Vaatz am 9. 6.1999. 257 Entwurf der Verfassung des Landes Sachsen. 258 Gemeindeordnung für Sachsen und Landkreisordnung für Sachsen, Entwürfe vom 20. 3.1990. Erarbeitet von einer AG der Bezirke Dresden, Karl-Marx-Stadt und Leipzig (HAIT, KA, 66).

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zwischen den konkurrierenden politischen Kräften als bezüglich einer Länderverfassung.259 Den neuen Kräften ging es aber nicht allein um die Inhalte der Entwürfe, die im Fall der Landkreis- und Gemeindeordnung als Grundlage folgender Ausarbeitungen dienten, sondern darum, wer die Federführung in der Hand hielt und sich öffentlich als Initiator und Autor der künftigen Verfassung Sachsens präsentieren würde. Da man dies in den Räten ähnlich sah, wurden der Verfassungsentwurf der Räte samt Landkreis- und Gemeindeordnung sowie Kommunalgesetz ungeachtet der Absage der Meißener Veranstaltung nach dem 18. April der Regierung, den am Runden Tisch beteiligten Parteien und Organisationen, Abgeordneten, Bürgermeistern sowie Räten der Kreise zugeschickt.260 Auch die Redaktionen der sächsischen Zeitungen erhielten die Papiere „als ein Vorschlag zur Diskussion“.261 Insgesamt wurden unter der Regie des Dresdner Ratsmitgliedes für Kultur, Klaus Schuhmann,262 mehr als 30 000 Exemplare verschickt, in jedem Bezirk rund zehntausend. Am 18. April erklärte Kunze, ein aus Parteien und Bürgern zusammengesetzter Ausschuss sollte nach einer Phase öffentlicher Diskussion redaktionell tätig werden, um so „die Demokratie für die Erarbeitung dieser Dokumente wirklich zu sichern“.263 Der Karl-Marx-Städter Ratsvorsitzende, Fichtner, schlug dem bunt zusammengewürfelten Runden Tisch des Bezirkes, den er für die Akzeptanz seiner Arbeit benötigte, vor, den Entwurf „in einer breiten öffentlichen demokratischen Aussprache“ zu diskutieren und zu verteilen,264 was dieser auch folgsam und einstimmig beschloss.265 Nur sehr vereinzelt wurde der Entwurf der Räte positiv gewürdigt. In wenig veränderter Form, so „Der Tagespiegel“, könne er „modellhaft für die Verfassung der anderen neuen Länder“ sein.266 Deutlich überwog die Kritik vor allem der Experten, die auf Grundlage des Vaatzschen Entwurfs der Gruppe der 20 im Rahmen der Gemischten Kommission selbst am Entwurf einer sächsischen Landesverfassung arbeiteten. Durchgängig bemängelten diese, dass der Text an die sächsische Verfassung vom 28. Februar 1947267 anknüpfe und von deren

259 Referat des Vorsitzenden des RdB auf der 19. Tagung des BT Leipzig am 31. 5.1990 (SächsStAL, BT/RdB, 19051). Vgl. Rösler, Rechtsformen, S. 220–222. 260 Michael Kunze an Manfred Preiß vom 14. 5.1990 (BArch B, DO 5, 7); Michael Kunze an Lothar de Maizière vom 3. 5.1990: Zusammenfassender Monatsbericht April 1990 (SächsHStA, BT/RdB, 46994, Bl. 1–6); Bericht des RdB Dresden zur 19. Tagung des BT Dresden am 26. 4.1990 (ebd., 47121, Bl. 239–241); Protokoll der 17. Tagung des RTB Dresden am 19. 4.1990 (Dok. 54). 261 Pressestelle des RdB Dresden an die Chefredakteure der bezirklichen Publikationsorgane vom 18. 4.1990. Zit. in Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 59 f. Hervorhebung im Original. 262 Vgl. Sächsisches Tageblatt vom 2. 5.1990. 263 Interview Michael Kunze am 18. 4.1990 (Dok. 51). 264 Lothar Fichtner an den RTB KMS, o. D. (SächsStAC, BT/RdB, 124558, Bl. 10). 265 Protokoll der 11. Sitzung des RTB KMS am 26. 4.1990 (ebd., Bl. 4 f.). 266 Der Tagesspiegel vom 20. 6.1990. 267 Sächs. GVBl. 1947, S. 103.

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Fortgeltung ausgehe.268 Durch den damit verbundenen „Rückgriff auf eine sozialistische Rechtsordnung“ werde er „den aktuellen Erfordernissen in keiner Weise gerecht“.269 Zwar verzichte der Entwurf auf „die dortigen sozialistischen Bestimmungen“ zur Planwirtschaft und zur Verstaatlichung der Wirtschaft,270 folge aber ansonsten der 1947er-Verfassung, „die mit ihrer mangelhaften Zugriffsfestigkeit von Individualgrundrechten gegenüber vorgeblichen Allgemeininteressen, der ungenügenden Berücksichtigung der Gewaltenteilung und der Eröffnung weitgehender staatlicher Einflussnahmen im Wirtschaftsleben bereits den Weg für die nachfolgende realsozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung der späteren DDR geebnet“ habe.271 Im Entwurf seien „überholtes Gedankengut der Weimarer Reichsverfassung und neue Vorstellungen der SED vermengt“ worden,272 er sei „in gewissem Umfang dem Geist marxistisch-leninistischer Staatstheorie verhaftet“ geblieben,273 habe „Erfahrungen aus 40-jährigen SEDHerrschaft bewusst unberücksichtigt“ gelassen und die SED-Herrschaft nicht ausdrücklich missbilligt.274 „Stark verhaftet im Denken, das in der DDR bisher vorherrschte“, hätten die Verfasser die Grundstrukturen einer rechtsstaatlichen Verfassung nicht durchschaut und das Prinzip der Gewaltenteilung nicht konsequent durchgeführt.275 Hans von Mangoldt kritisierte, dass der Wortlaut den Unterschied zwischen direkter Volkswillensbildung und Ausübung der Staatsgewalt durch Staatsorgane verwische. Dadurch entstehe der „Eindruck der Gewalteneinheit, insbesondere wenn die Mitwirkung des Volkes an der Rechtsprechung betont wird, statt bloß, dass in seinem Namen Recht gesprochen wird“. Der „demokratische Zentralismus mit den in ihm liegenden Tendenzen der Entartung“ sei damit „immer noch nicht verdrängt“.276 Hinsichtlich seiner Bestimmungen zur Kultur reflektiere der Verfassungsentwurf „noch ganz den alten Geist“, so etwa, wenn es heiße, Kultur und Kunst seien „gesellschaftliche Grundwerte aller Lebensbereiche“. Daraus ergebe sich die „Kulturpflicht des Landes und der Selbstverwaltungskörperschaften zum Schutz und zur Förderung von Kultur und Kunst“. Nach der systematischen Stellung der Vorschrift müssten sie, so von 268 Vgl. von Mutius/Friedrich, Verfassungsentwicklung, S. 273; Bönninger, Verfassungsdiskussion, S. 10; Brönneke, Umweltverfassungsrecht, S. 69; Sampels, Bürgerpartizipation, S. 110; Nachbemerkung des Koordinierungsausschusses bei der Vorstellung des Gohrischer Entwurfs einer Verfassung des Landes Sachsen vom August 1990 (Dok. 114). 269 Tautz, Die Entstehung einer Verfassung, S. 28. 270 Brönneke, Umweltverfassungsrecht, S.70. 271 Heitmann, Entstehung und Grundgedanken, S. 12. 272 Von Mutius/Friedrich, Verfassungsentwicklung, S. 245. 273 Nachbemerkung des Koordinierungsausschusses bei der Vorstellung des Gohrischer Entwurfs einer Verfassung des Landes Sachsen vom August 1990 (Dok. 114). Vgl. Sampels, Bürgerpartizipation, S. 111. 274 Ebd., S. 110. 275 Interview Steffen Heitmann. In: Sächsische Zeitung vom 3. 8.1990. Vgl. Nachbemerkung des Koordinierungsausschusses bei der Vorstellung des Gohrischer Entwurfs einer Verfassung des Landes Sachsen vom August 1990 (Dok. 114). 276 Hans von Mangoldt: Betr. Verfassung des Landes Sachsen, hier: Gedruckte Fassung des Entwurfs der RdB Dresden, Leipzig, Chemnitz (Karl-Marx-Stadt), Tübingen am 30. 4. 1990 (HAIT, KA, 11.1).

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Mangoldt, aber Grundrecht oder Grundpflicht sein, ein Recht oder gar eine Grundpflicht des einzelnen lasse sich jedoch nicht erkennen. Dafür würden einzelne Bestimmungen direkt auf Formulierungen wie von Eberhard Poppe im Staatsrecht der DDR zurückweisen, wo es hieß: „Das Recht auf Teilnahme am kulturellen Leben ist ein Ausdruck dessen, dass im Sozialismus die Kultur in allen ihren Erscheinungsformen dem Volk gehört und dient.“ Dies sei „Restauration im neuen Gewande“.277 Die Kehrseite seiner sozialistischen Intention, so zahlreiche Kritiker, zeige sich in einem Mangel an Substanz. Erkennbar fehle den Autoren die vierzigjährige Erfahrung mit dem Grundgesetz und die Kenntnis von Ideen, wie sie in der westlichen Öffentlichkeit seit langem diskutiert würden.278 Der Entwurf orientiere sich nicht an der Ordnung des Grundgesetzes und habe bundesstaatliche Erfahrungen in keiner Weise in sich aufgenommen.279 Zudem sei „der tiefe Sinn des Wirkens der Kräfte der Bürgerbewegung des Herbstes 1989 für eine demokratisch verfasste Gesellschaft“ nicht erkannt worden.280 Die bloße Nennung der Bürgerbewegungen im Rahmen der Versammlungsfreiheit sowie einige Umweltbestimmungen seien „opportunistische Attitüden“ eines „im Übrigen wenig eigenes Profil aufweisenden Entwurfs“,281 dem es an „juristischer Klarheit und verfassungsrechtlicher Ausgereiftheit“ ermangele,282 der ein durchgängiges Konzept vermissen lasse283 und den aktuellen Erfordernissen nicht gerecht werde.284 Deutlich war erkennbar, dass allein die Tatsache, dass die Räte überhaupt an den Verfassungsarbeiten beteiligt waren, Anlass für Kritik war. So wurde kritisch darauf hingewiesen, dass der Entwurf auf ein „aus dem alten Geist geborenen Länderbildungsgremium“ zurückgehe,285 somit von „nichtlegitimierten Kreisen ausgearbeitet“ worden sei,286 deren Ziel es sei, „die Rechte der damals in der DDR Herrschenden auf den neuen Staat zu übertragen“, damit wieder an alte Zeiten anzuknüpfen287 und weiterreichenden, auf grundlegende Veränderungen zielenden Vorschlägen zuvorzukommen.288 Der scharfen, manchmal an Polemik grenzenden Kritik stand ein erkennbares Wohlwollen gegenüber dem Entwurf der Gruppe der 20 gegenüber. Es war unverkennbar das Ziel, die neue sächsische Landesverfassung mit einer Tradition auszurüsten, die jeden Anschein der Nähe zur überwundenen kommunistischen Diktatur ausschloss. 277 Vgl. von Mangoldt, Grundzüge, S. 225 f. 278 Bönninger, Verfassungsdiskussion im Lande Sachsen, S. 10. 279 Tautz, Die Entstehung einer Verfassung, S. 28. 280 Bönninger, Verfassungsdiskussion im Lande Sachsen, S. 10. 281 Brönneke, Umweltverfassungsrecht, S.70. 282 Nachbemerkung des Koordinierungsausschusses bei der Vorstellung des Gohrischer Entwurfs einer Verfassung des Landes Sachsen vom August 1990 (Dok. 114). 283 Bönninger, Verfassungsdiskussion im Lande Sachsen, S. 10. 284 Tautz, Die Entstehung einer Verfassung, S. 28. 285 Heitmann, Gesprächsnotiz vom 20. 9.1996. Zit. in Sampels, Bürgerpartizipation, S. 111. 286 Nachbemerkung zur Verfassung des Landes Sachsen – Gohrischer Entwurf, S. 51. Vgl. Bönninger, Verfassungsdiskussion im Lande Sachsen, S. 10. 287 Vgl. Sampels, Bürgerpartizipation, S. 111; Stuttgarter Zeitung vom 4. 9.1991; Rheinischer Merkur vom 26. 6.1992. 288 Vgl. Tautz, Die Entstehung einer Verfassung, S. 28.

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4.1.9 Beginnende Koordinierung der Landesbildung durch die Runden Tische der Bezirke Am 19. April, einen Tag nachdem in Meißen das „Kuratorium Land Sachsen“ aus der Taufe gehoben werden sollte, gab der am 12. April mit einer Mehrheit von 265 der 382 Stimmen von der Volkskammer gewählte Ministerpräsident, Lothar de Maizière,289 seine Regierungserklärung ab. Im Mittelpunkt der Regierungserklärung290 stand die Einführung der sozialen Marktwirtschaft binnen acht bis zehn Wochen, verbunden mit einer Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion. De Maizière plädierte für einen Umtausch der DDR-Mark 1:1 und den Beitritt der DDR nach Artikel 23 des Grundgesetzes. Sein deutschlandpolitisches Credo lautete, die Teilung könne nur durch Teilen überwunden werden. Ziel seiner Regierung war die Wiederherstellung der fünf Länder auf der Grundlage der jetzigen Bezirksstruktur. Der erste gewählte Ministerpräsident in der Geschichte der DDR bekräftigte die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze und forderte nach dem erfolgten Beitritt der DDR die Streichung des Artikels 23 aus dem Grundgesetz. Für die Herstellung der deutschen Einheit stellte er eine längere Frist in Aussicht. Er betonte die Vertragstreue der DDR gegenüber der UdSSR sowie den anderen RGW-Staaten und bekräftigte seine Loyalität gegenüber dem Warschauer Pakt. Getreu der Bindung seines Staates an die Sowjetunion und der noch immer dominierenden Abhängigkeit von der sowjetischen Politik machte er den inneren Prozess der staatlichen Vereinigung von Fortschritten beim äußeren Prozess der Verhandlungen der beiden deutschen Staaten und der vier Alliierten abhängig.291 Damit entsprach die Erklärung auch den Leitsätzen der Bonner Sicherheitspolitik, die die europäische Einbettung der deutschen Einigung und die Achtung der legitimen Sicherheitsinteressen der UdSSR beinhaltete. Aus Sicht des Kanzleramtes bedeutete die Regierungserklärung zwar einen völligen Neuanfang, jedoch fiel hier auf, dass de Maizière auf „eine polemische Auseinandersetzung mit dem früheren System“ verzichtet hatte.292 Für den weiteren Fortgang der Auseinandersetzungen in den Bezirken war es von Bedeutung, dass de Maizière erklärte, das Präsidium der Volkskammer solle den Bezirkstagen empfehlen, ihre Legislaturperiode nach den Kommunalwahlen zu beenden, weil die Bezirkstage dann die einzigen Vertretungskörperschaften sein würden, die nicht aus freien Wahlen hervorgegangen seien und deren Zusammensetzung nicht der tatsächlichen politischen Kräftekonstel289 Volkskammer der DDR, 10. WP, 2. Tagung am 12. 4.1990. 290 Stenographisches Redemanuskript der Regierungserklärung von Lothar de Maizière vor der Volkskammer der DDR am 19. 4.1990. In: Texte zur Deutschlandpolitik Reihe III/ Band 8a 1990, S. 167–195. 291 Vgl. Teltschik, 329 Tage, S. 202; Rühl, Zeitenwende, S. 361. 292 Vorlage von Claus-Jürgen Duisberg an Helmut Kohl vom 19. 4.1990 (BArch, B 136/ 20225, 221–34900 De 1 Band 109). Text in: Dokumente zur Deutschlandpolitik. Deutsche Einheit. Sonderedition aus den Akten des Bundeskanzleramtes 1989/90, S. 1018– 1020. Wollmann/Derlin u. a., Die institutionelle Transformation, S. 17 f. zählen neben Modrow und Gysi auch de Maizière zur systemkonformen Gegenelite.

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lation im jeweiligen Territorium entspreche. Im Interesse der Regierbarkeit der DDR werde die Regierung darauf hinwirken, dass die Räte der Bezirke bis zur Länderbildung „nur noch als Verwaltungsorgane, als Bindeglied im Sinne einer Auftragsverwaltung tätig“ werden. Letztere Erklärung war für die neuen politischen Kräfte am Dresdner Runden Tisch Anlass, noch am selben Tag einen offensiveren Kurs gegenüber dem Bezirkstag einzuschlagen. Auf Antrag von Dieter Reinfried wurde mit einer Mehrheit von fünfzehn gegen drei Stimmen bei fünf Enthaltungen beschlossen, dem Bezirkstag zu empfehlen, sich aufzulösen, weil dieser „kein demokratisch legitimiertes Organ“ sei und „keine legislativen Befugnisse“ habe.293 Einstimmig angenommen wurde ein von Hermann Henke eingebrachter „Aufruf zur demokratischen Vorbereitung der Landtagswahlen in Sachsen“.294 Darin forderte die aus verschiedenen Bürgerbewegungen hervorgegangene DSU295 die Runden Tische auf, sich aktiver in die Vorbereitung der Länderbildung einzumischen. Die mit der Länderbildung befassten Kommissionen und Arbeitsgruppen sollten sich entsprechend dem Ergebnis der Volkskammerwahl verändern und alle neuen Kräfte einbeziehen, die bisher von einer Mitwirkung ausgeschlossen waren. Deutlich war auch hier das Bemühen erkennbar, die Landesbildungspolitik der Regierung durch Aktivitäten „von unten“ zu ergänzen. So sollte die Zusammenarbeit mit Baden-Württemberg und Bayern das Prinzip „Demokratie von unten“ deutlich machen und die Erkenntnis der Stellung des aktiven Bürgers in der Demokratie bis zur Landtagswahl „demokratische Mündigkeit und persönliche Aktivierung vieler Menschen fördern“. Zur Unterstützung der neuen Kräfte forderte die DSU, dem Kurs ihrer Schwesterpartei CSU folgend, die „sofortige Förderung der jungen demokratischen Kräfte, die die friedliche Revolution mitgestaltet haben und bereit sind, politische Verantwortung bei der Bildung des Landes Sachsen zu übernehmen“, zu gewährleisten. Auf Antrag der SPD beschloss der Runde Tisch außerdem, eine Arbeitsgruppe „Land Sachsen“ mit dem Ziel zu bilden, bis zur nächsten Sitzung bislang versäumte konzeptionelle Vorarbeiten zur Länderbildung nachzuholen und geeignete Lösungsvorschläge zur Koordinierung der Landesbildung vorzulegen.296 Am Tag der Regierungserklärung trat auch der Runde Tisch des Bezirkes Leipzig zusammen. Hier hatten CDU und DSU ihre Mitarbeit ruhen lassen, die anderen an der Regierung beteiligten Parteien sich jedoch weiter beteiligt. Dem 293 Protokoll der 17. Tagung des RTB Dresden am 19. 4.1990 (Dok. 54). 294 Aufruf der DSU an die RTB und die Vorsitzenden der RdB vom 19. 4.1990 (Dok. 55). Vgl. Handschriftliches Verlaufsprotokoll Erich Iltgens von der 17. Beratung des RTB Dresden am 19. 4.1990 (HAIT, Iltgen, 5). 295 Vgl. Urich, Die Bürgerbewegung, S. 365–370; Richter, Zur Entwicklung, S. 236 f. 296 Protokoll der 17. Tagung des RTB Dresden am 19. 4.1990 (Dok. 54). Mitglieder wurden Peter Adler (SPD), Hermann Henke (DSU), Arnold Vaatz (CDU), Sonja Rottig (NF), Frank Engel (Grüne Partei), Wolfhard Pröhl (VL), Matthias Rößler (DA) und Herr Schulze (Wirtschaft). Sonja Rottig war aktiv an der Auflösung der BVfS in Dresden beteiligt. Matthias Rößler übernahm nach der Volkskammerwahl am Runden Tisch den Platz von Hans Geisler, der als Spitzenkandidat des DA in die Volkskammer ging.

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Runden Tisch lag ein Dringlichkeitsantrag des BFD, der CDU, des DA, der DSU, der FDP, der Grünen Partei, der Initiative Frieden und Menschenrechte, des Neuen Forums, der SPD sowie der Fraueninitiative Leipzig vor, der auch zum Beschluss erhoben wurde. Darin wurde der Leipziger Bezirkstag aufgefordert, sich auf seiner nächsten Sitzung aufzulösen. Der Runde Tisch erklärte, bis zur Installation einer Legislative für das Land Sachsen alle Rechte und Pflichten des ehemaligen Bezirkstages wahrnehmen zu wollen. Aufgrund der damit verbundenen Qualität der Aufgaben werde sich der Runde Tisch ein Statut geben und eine neue Zusammensetzung beschließen. Der Rat des Bezirkes werde als Exekutive des Runden Tisches arbeiten. Den Runden Tischen der Bezirke Dresden und Karl-Marx-Stadt wurde empfohlen, zu „überprüfen, inwieweit gleichlautende Entscheidungen in ihren Bezirken notwendig“ seien.297 Am 17. April legten Michael Kleinert und Andreas Müller den Statutenentwurf eines Runden Tisches Sachsen vor. Hier hieß es, dass getragen vom Wissen um die Erfordernis, bis zu den Landtagswahlen in Sachsen eine landeseinheitliche Legislative als Übergangslösung installieren zu müssen, und im Bewusstsein der schwachen Legitimation der Organisationsform Runder Tisch in Anbetracht der Tragweite der zu fällenden Entscheidungen alle in der Volkskammer mit Mandaten vertretenen Parteien und Organisationen einen Runden Tisch Sachsen bilden. Nach dem Statut sollte jede Partei oder Organisation, unabhängig von ihrem Rückhalt in der Bevölkerung, über eine Stimme verfügen und alle Abstimmungen möglichst im Konsensverfahren erfolgen. Immerhin sollten Parteien, die in der Volkskammer über mehr als 20 Prozent der Mandate verfügen, ein Vetorecht erhalten, das jedoch mit dreiviertel der Stimmen aller Vertreter am Runden Tisch Sachsen zurückgewiesen werden konnte. Der Runde Tisch sollte bis zur Bildung der ersten Landesregierung arbeiten. Er wurde als ein von der Regierung der DDR unabhängiges Organ definiert, dass die Interessen des zukünftigen Landes Sachsen im Sinne föderalistischer Gewaltenteilung vertritt. Er sollte alle legislativen Rechte und Pflichten der bisherigen Bezirke Leipzig, Dresden und Karl-Marx-Stadt ebenso übernehmen wie alle legislativen Aufgaben im Zusammenhang mit der Länderbildung. Die Runden Tische der Bezirke sollten die Funktionen von Ausschüssen des Runden Tisches Sachsen übernehmen.298 Zwei Tage nach Vorlage des Entwurfs empfahl der Runde Tisch des Bezirkes Leipzig den sächsischen Bezirks- bzw. Landesverbänden der in der Volkskammer vertretenen Parteien und Organisationen, bei einem gemeinsamen Treffen der Parteispitzen die Installation eines Runden Tisches Sachsen auf dieser Grundlage zu prüfen.299 Er ging damit weiter als die Runden Tische in Dresden 297 Dringlichkeitsantrag der neuen politischen Kräfte am RTB Leipzig vom 19. 4.1990 (Dok. 56). Vgl. Beschlussprotokoll des RdB Leipzig vom 20. 4.1990 (SächsStAL, BT/ RdB, 21302). Vgl. Iltgen, Vom Runden Tisch, S. 21. 298 Statutentwurf des Runden Tisches Sachsen vom 17. 4.1990 (Dok. 48). 299 Dringlichkeitsantrag der neuen politischen Kräfte am RTB Leipzig vom 19. 4.1990 (Dok. 56). Vgl. Beschlussprotokoll des RdB Leipzig vom 20. 4.1990 (SächsStAL BT/ RdB 21302); Information von Joachim Draber an den Ministerrat der DDR vom 20. 4. 1990 (BArch B, DC 20, 11962, Bl. 37).

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und Karl-Marx-Stadt. Der Vorstoß griff auch das ebenfalls vom 17. April datierte Diskussionspapier von Michael Kleinert und Andreas Müller auf, in dem es geheißen hatte, dass die bisherige Aktivität des Runden Tisches Leipzig relativ gering gewesen sei. Bislang hätten praktisch alle Initiativen in Bezug auf die Länderbildung beim Rat des Bezirkes gelegen. Ebenso fehle eine Koordinierung der diesbezüglichen Tätigkeit der Runden Tische der drei Bezirke. Im Gegensatz dazu sei der Rat aktiv damit beschäftigt gewesen, eine neue Verwaltungsstruktur vorzubereiten und die Beschäftigten des Rates personell in der neuen Struktur unterzubringen. Aufgrund der Passivität des Runden Tisches sei der Rat bevorzugter Ansprechpartner bundesdeutscher Landesregierungen, wodurch er weiter aufgewertet und in die Lage versetzt werde, sich bezüglich neuer Strukturen ein Wissens- und Kontaktmonopol aufzubauen.300 Mit der auch von CDU und DSU getragenen Erklärung vom 19. April war klar, dass diese zwar ihre Mitarbeit am Runden Tisch des Bezirkes hatten ruhen lassen, aber durchaus interessiert waren, sich an einem Sächsischen Runden Tisch zu beteiligen, der den Mehrheitsverhältnissen entsprach. Der Beschluss des Leipziger Runden Tisches wurde nach dem 19. April den Runden Tischen in Dresden und Karl-Marx-Stadt zugeschickt.301 Wie zu erwarten, wiesen die Bezirkstage Leipzig und Dresden die Auffassung des Runden Tisches zurück und forderten ihre Weiterarbeit bis zur Länderbildung.302 Am 21. April trat auch der Runde Tisch des Bezirkes Karl-Marx-Stadt zusammen.303 Hier hatten CDU, DSU und DA ihre Mitarbeit eingestellt. Seitdem wurde das Gremium von „linken Kräften“ dominiert.304 Auslöser der Entwicklung war hier ein Antrag der SPD am Runden Tisch am 15. Februar gewesen, dem Demokratischen Aufbruch die Plattformseite der „Freien Presse“ für neue Parteien und Gruppierungen zu verweigern. Wegen der Nähe zur CDU sollte der DA künftig „Die Union“ nutzen, die in den Bezirken Dresden und Karl-MarxStadt erschien. Dem Antrag stimmten außer der SPD auch die PDS, das Neue Forum, die Vereinigte Linke, die Grüne Partei und die Bauernpartei zu. „Die Union“ hatte das Vorgehen als eklatanten Verstoß gegen die Regeln der Demokratie kritisiert und angekündigt, dem DA Platz zur Verfügung zu stellen.305 Problematisch war nur, dass die „Freie Presse“ als bisheriges SED-Blatt eine wesentlich höhere Auflage hatte als „Die Union“.306 Nach dem Vorgang hatten CDU und DA den Runden Tisch des Bezirkes am 1. März verlassen, nachdem „trotz Einvernehmens des 1. Runden Tisches für die Zulassung aller Parteien am Run300 Diskussionspapier zum Leipziger Parteispitzentreffen zum Thema „Runder Tisch Land Sachsen“ vom 17. 4.1990 (Dok. 45). 301 Erich Iltgen. In: Reden zum 4. Jahrestag der Gründung des Koordinierungsausschusses, S. 12 f. 302 Ministerrat der DDR, Nachrichtenabteilung des Regierungssprechers. Einschätzung der Lage in den Bezirken am 25. 4.1990 (BArch B, DO 5, 147). 303 Protokoll der außerordentlichen Beratung des RTB KMS am 21. 4.1990 (Dok. 57). 304 Scherf, Der Runde Tisch, S. 92. 305 Vgl. Die Union vom 17./18. 2.1990. 306 Interview Wieland Orobko.

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den Tisch“ zum zweiten Mal der Antrag auf Zulassung der Deutschen Forumpartei von einer Mehrheit gegen die Stimmen von LDP, CDU und DA abgelehnt worden war. Die Teilnehmer des Runden Tisches wurden aufgefordert, den „Verstoß gegen das Fairness-Abkommen des Runden Tisches und der Pressefreiheit“ rückgängig zu machen. Solange demokratische Grundregeln nicht eingehalten würden, bleibe man dem Runden Tisch fern.307 Aber auch die vorübergehend zugelassene DFP stellte am 21. April ihre Mitarbeit wieder ein, nachdem sie sich zuvor dem Protest der verschiedenen Parteien gegen das Meißener Treffen angeschlossen hatte.308 An der Sitzung beteiligte sich damit nur noch ein ausgesprochen linkes Spektrum aus Vertretern des Neues Forums, von DBD, BFD, Grüner Partei, SPD, VL, AJL, PDS, DFD, KPD, Die Nelken und UFV. Anders als in Dresden und Leipzig hatte das Präsidium des Bezirkstages KarlMarx-Stadt beschlossen, den Bezirkstag bei der nächsten Sitzung Ende Mai aufzulösen. Der Rat, so Fichtner, werde bis zur Länderbildung weiterarbeiten und die Aufträge der Regierung erfüllen. Die Teilnehmer waren sich mit dem Ratsvorsitzenden einig, dass der Runde Tisch seine Tätigkeit fortsetzen, diese aber qualifizieren sollte. In einer Erklärung hieß es, der Runde Tisch arbeite weiter und beantrage bei der Regierung, den am 14. März gegründeten Regionalausschuss zur Gründung des Landes Sachsen zum legitimen Instrument der Landesbildung zu erklären.309 Der Runde Tisch werde eine repräsentative Delegation zu den Parteien entsenden, die ihre Mitarbeit eingestellt hatten, um einen Konsens für die weitere Arbeit zu finden. Am 25. April trat in Dresden erstmals die neue Arbeitsgruppe „Land Sachsen“ des Runden Tisches zusammen. Auffällig war, dass sich die CDU nicht beteiligte, und der Rat durch Klaus Schumann, Vaatz’ Widersacher im Rat des Bezirkes, vertreten wurde.310 In Anlehnung an die Vereinbarung vom 10. April, ein gemeinsames Plenum der drei sächsischen Bezirke sowie Arbeitsgruppen zur Landesbildung zu schaffen, einigte man sich darauf, die Bildung eines paritätisch zusammengesetzten, 75 bis 90 Personen umfassenden Gremiums vorzuschlagen. Aus dem Bezirk Dresden sollte dort je ein Vertreter die folgenden Parteien und Gruppierungen vertreten: CDU, DSU, SPD, PDS, Neues Forum, LDP, DFP, Grüne Partei, DA, DBD, AKC, Wirtschaft, Domowina, Gewerkschaft, UFV, VL, Evangelische Kirche, Katholische Kirche, Rat des Bezirkes, sowie wegen des Niederschlesien-Problems die Stadt Görlitz. Außerdem sollten weitere Vertreter aus den Kreisen Hoyerswerda, Weißwasser und Bad Liebenwerda einbezogen sowie geprüft werden, welche „Persönlichkeiten des Bezirkes Dres307 Die Union vom 3./4. 3.1990. 308 Erklärung des Bezirksvorstandes Chemnitz der DFP vom 20. 4.1990 (SächsStAC, BT/ RdB, 124557). 309 Erklärung des RTB KMS vom 21. 4.1990 (ebd.). 310 Protokoll der Beratung der AG des RTB Dresden „Land Sachsen“ am 26. 4.1990 (Dok. 59). Mitglieder: Erich Iltgen/Martin Lerchner als Moderatoren, Hermann Henke (DSU), Matthias Rößler (DA), Michael Zaczek (NF), Albert (PDS), Gerhard Fischel (SPD), Frank Engel (Grüne Partei), Wolfhard Pröhl (VL), Michael Schumann vom Rat des Bezirkes und Herr Schulze (Wirtschaft).

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Nach der Volkskammerwahl

den“ zusätzlich mitarbeiten könnten. Damit war die Zusammensetzung ebenso „volksdemokratisch“ willkürlich wie die vorgesehene Dresdner Delegation für das „Kuratorium Land Sachsen“ in Meißen. Ein derartig zusammengewürfeltes Gremium aus Vertretern der drei Bezirke sollte die „politische Führung des Prozesses der Herausbildung des Landes Sachsen“, die Repräsentation der Bürger der drei Bezirke, die Sicherung der Transparenz des Prozesses, die Koordinierung aller Arbeitsschritte, sowie die Kontrolle über die ordnungsgemäße Vorbereitung der Landtagswahlen zur Aufgabe haben.311 Zur „hauptamtlichen stabsmäßigen Leitung“ der Landesbildung und ihrer Koordinierung auf allen Ebenen wurden ein „Koordinierungsstab“ und sieben „Koordinierungsausschüsse“ zu den Themenfeldern „Verfassung/Verwaltungsstrukturen“, „Kommunale Selbstverwaltung/Kommunales Recht“, „Rechtsfragen/Ausbildung und Fortbildung“, „Territoriale Probleme“, „Raumprobleme, Unterbringung Regierungspräsidium und Landesregierung“, „Bundesangelegenheiten / Europa-Rat“ sowie „Parlamentarische Arbeit/Landtagswahlen“ vorgeschlagen. Von den zu besetzenden Planstellen in den Koordinierungsausschüssen sollte je etwa die Hälfte durch Mitarbeiter des Rates des Bezirkes besetzt werden. Auch hier deuteten sich zwar die Strukturen des späteren Koordinierungsausschusses an, nicht aber dessen an den Mehrheitsverhältnissen orientierte Zusammensetzung. Iltgen trug den Vorschlag der Arbeitsgruppe am 26. April dem Bezirkstag Dresden vor.312 Die Moderatoren des Runden Tisches des Bezirkes Dresden wollten die bisher geleistete Arbeit gemeinsam mit den Bezirksvorsitzenden der Parteien, den Präsidien der Bezirkstage, den Räten der Bezirke und den Runden Tischen unterstützend fortsetzen. Dafür schlug er neue, gemeinsame Arbeitsgruppen, ein aus Vertretern aller drei Bezirke gebildetes Plenum sowie drei Koordinierungsbüros in den Räten der Bezirke vor. Ein Koordinierungsstab, so Iltgen, würde das „gemeinsame Herangehen sowie die Koordinierung aller Aktivitäten in Sachen Bildung Land Sachsen“ und „die Herausarbeitung einheitlicher Strukturen in den Bezirken“ sichern, die „Überschaubarkeit der Arbeit aller Beteiligten“ gewährleisten und damit die bestehenden Unsicherheiten der Partner in Baden-Württemberg und Bayern hinsichtlich kompetenter Ansprechpartner weitestgehend beseitigen. Außerdem würden durch die künftige gemeinsame Arbeit quer durch die Parteienlandschaft und die Ämter der Bezirke „noch bestehende Vorurteile abgebaut“ und „das Vertrauen der Bevölkerung in die Arbeit der Verantwortungsträger gefördert“. Aus der Überzeugung, dass sich ein koordinierender Ausschuss nicht aus sich heraus legitimieren konnte, sondern die formale Legitimation durch einen Beschluss des Bezirkstages benötigte,313 suchte Iltgen zwischen den bei der Landesbildung mehrgleisig wirkenden Bezirksgremien zu vermitteln. Der Bezirkstag stimmte Iltgen zu, behielt sich aber vor, über die Zusammensetzung und die Leitung desjenigen Teiles des Plenums, 311 Iltgen, Vom Runden Tisch, S. 20. 312 Rede Erich Iltgens vor dem BT Dresden am 26. 4.1990 (Dok. 62). 313 Interview Erich Iltgen. In: Kleimeier, Sachsen, S. 62; Interview Erich Iltgen.

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der vom Bezirk Dresden gebildet wird, nach Abstimmung mit dem Runden Tisch des Bezirkes zu entscheiden. Außerdem nutzte der Bezirkstag die durch Iltgens Vorschlag erfolgte Aufwertung des Bezirkstages, um zu fordern, in die bestehenden Arbeitsgruppen mit den Bundesländern Baden-Württemberg und Bayern über den derzeitigen Kreis hinaus Abgeordnete des Bezirkstages einzubeziehen. Für die Zusammenarbeit zwischen den Bezirken wurde beschlossen, im Rat des Bezirkes Dresden ein Koordinierungsbüro einzurichten.314 Hatte Iltgen bei seinem Vorschlag, alle Aktivitäten zur Landesbildung zu bündeln, die Vorschläge von Regierung und Volkskammer vor Augen, die Arbeit aller Bezirkstage bis Ende Mai zu beenden, so sahen dies die Vertreter der sich von der politischen Bühne verabschiedenden Parteien und Organisationen anders. Während die CDU-Fraktion bereits am 29. März beim Präsidium des Bezirkstages beantragt hatte, die Legislaturperiode der Bezirkstage vorzeitig zu beenden, weil die Abgeordneten die Pflicht hätten, der mit dem Wahlergebnis vom 18. März zum Ausdruck gekommenen politischen Willensbekundung zu entsprechen und sich am 26. April auch die SPD dieser Forderung anschloss, verlangten unter anderem PDS und DFD eine Fortsetzung der Arbeit des Bezirkstages bis zur Bildung des Landes Sachsen.315 In der Sprache der Altfunktionäre aus den Reihen der SED las sich dies so, dass „die überwiegende Mehrheit der Abgeordneten sowie des Rates ihren Willen“ bekundeten, „bis zur Schaffung gesetzlicher Regelungen durch die Volkskammer bzw. bis zur Wahl des Landtages und der Bildung einer Landesregierung sich ihrer Verantwortung für die Belange der Bürger und die Herausbildung des Landes Sachsen zu stellen“.316 Ungeachtet der somit nicht beendeten Auseinandersetzungen um Rolle und Zukunft der Bezirkstage bedeutete der Beschluss des Bezirkstages vom 26. April über die Bildung eines Koordinierungsstabes und von Koordinierungsausschüssen sowie dem Beschluss des Runden Tisches, ein Mitglied des Runden Tisches mit der Leitung zu beauftragen, für die neuen politischen Kräfte einen Erfolg. Erstmals übernahmen Vertreter der neuen Kräfte im Verlauf der friedlichen Revolution selbständige politische Verantwortung, ein, so Iltgen, „politisch hochinteressanter Knickpunkt“.317 Der Beschluss des Dresdner Bezirkstages, der ja bereits auf Vorschlägen der führenden Vertreter aller drei Bezirke vom 10. April basierte, bedeutete die Schaffung eines völlig neuen Gremiums, durch das sich den neuen politischen Kräften eine Chance bot, maßgeblich und ganz offiziell an der Landesbildung mitzuarbeiten. Er entstand somit „ursprünglich aus dem Interesse heraus“, die Bildung der Landesstruktur nicht allein den bestehenden Verwaltungen zu überlassen, die „ja von der vergangenen Administration aus314 Beschluss des BT Dresden über weitere Maßnahmen bei der Herausbildung des Landes Sachsen vom 26. 4.1990 (Dok. 61). 315 Protokoll der 19. Tagung des BT Dresden am 26. 4.1990 (Dok. 60). 316 Beschluss des RdB Dresden 105/90 vom 9. 5.1990: Maßnahmen zur Auswertung der 19. Tagung des BT vom 26. 4.1990 (SächsHStA, BT/RdB, 47122, Bl. 227 f.) 317 Erich Iltgen. In: Reden zum 4. Jahrestag der Gründung des Koordinierungsausschusses, S. 15.

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gebildet und eingesetzt wurden und insofern nicht mit demokratischer Legitimation tätig geworden sind“. Deswegen hielt es der Runde Tisch des Bezirkes Dresden für „erforderlich, eine Institution zu schaffen, die auch die Länderbildung voranbringt, im Einvernehmen mit den bestehenden Verwaltungen, aber ganz bewusst nicht aus ihnen hervorgehend“.318 Umgekehrt sahen aber auch Vertreter marginalisierter Kräfte aus dem PDS-Umfeld und aus den neuen Gruppierungen Chancen auf ein neuen Betätigungsfeld, so dass neue Konflikte programmiert und die Zeiten der „Doppelherrschaft“ noch nicht beendet waren. Aber es gab einen Stimmungsumschwung, den Matthias Rößler so beschrieb: „Ab dem Frühjahr 1990 haben uns nicht nur die Partner in Baden-Württemberg und den alten Bundesländern als Partner akzeptiert, sondern zudem auch noch die Bonzen im Rat des Bezirkes. Im Frühjahr 1990 ist es gedreht worden.“ Von nun an seien die neuen politischen Kräfte „permanent im Vormarsch“ gewesen und es habe eine „Doppelherrschaft“ zwischen dem Runden Tisch und dem Rat des Bezirkes gegeben.319 In Chemnitz befasste sich der Runde Tisch des Bezirkes am 26. April mit der Landesbildung. Freilich galt hier das Interesse der Bevölkerung eher der drei Tage zuvor erfolgten Abstimmung über die Rückbenennung der Stadt. In KarlMarx-Stadt, wie Chemnitz auf Weisung der SED-Führung seit 1953 hieß, hatte sich am 25. November 1989 eine Initiative „Für Chemnitz“ gegründet.320 Bei Demonstrationen waren hier immer wieder Sprechchöre für eine Umbenennung zu hören gewesen.321 Bis Ende Januar hatten sich über 43 000 Einwohner zum Thema geäußert, wobei die mit Abstand meisten für eine Rückbenennung plädiert hatten.322Am 23. April beteiligten sich 190 895 der 251 000 Stimmberechtigten an der Abstimmung. 76,14 Prozent sprachen sich dabei für die Rückbenennung aus (145 515), 44 532 Bewohner folgten dem Votum der PDS für eine Beibehaltung des Namens „Karl-Marx-Stadt“ und 848 Stimmen waren ungültig.323 Bei der Sitzung des Runden Tisches des – nun wieder – Bezirkes Chemnitz am 26. April ging es um die Legitimierung des Regionalausschusses zur Landesbildung, die Verteilung des Verfassungsentwurfes der Räte und um die Koordinierung der Landesbildung mit den anderen Bezirken.324 Zum letzten Punkt lag ein PDS-Antrag vor, der Runde Tisch möge beschließen, „dass von ihm bevollmächtigte Vertreter Kontakt zu den Runden Tischen der beiden anderen Sachsenbezirke Leipzig und Dresden zur Koordinierung eines gewissen Zusammen318 Interview Arnold Vaatz. In: Neue Zeit vom 27.10.1990. 319 Interview Matthias Rößler. In: Kleimeier, Sachsen, S. 88 u. 95. 320 Vgl. Reum/Geißler, Auferstanden aus Ruinen, S. 110. 321 Ministerrat der DDR, Informationszentrum: Einschätzung der Lage in den Bezirken am 2.1.1990 (BArch B, DC 20, 11958, Bl. 138). Vgl. Bericht der Führungsgruppe des MdI über den 1.1.1990 (SächsStAC, BDVP KMS, Chef BDVP I/351, S.13). 322 Reum/Geißler, Auferstanden aus Ruinen, S. 164. 323 Vgl. Scherf, Der Runde Tisch, S. 92; Reum/Geißler, Auferstanden aus Ruinen, S. 222; „Jetzt wieder Chemnitz.“ In: Die Union vom 24. 4.1990. 324 Protokoll der 11. Sitzung des RTB Chemnitz am 26. 4.1990 (SächsStAC, BT / RdB, 124558, Bl. 4 f.).

Koordinierung durch Runde Tische der Bezirke

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wirkens in Vorbereitung der Landesbildung aufnehmen, gegebenenfalls mit dem Ziel, zu gegebener Zeit einen Runden Tisch auf Landesebene zu bilden“.325 Die Kooperation mit den anderen Bezirken basierte in Chemnitz auf dem Modell eines Regionalausschusses, der noch an Konzepte der Modrow-Regierung erinnerte und den es so in Leipzig und Dresden nicht gab. Am Runden Tisch ging es um die Zusammensetzung dieses Gremiums, durch das der Bezirk sich an den gemeinsamen Landesbildungsaktivitäten beteiligen wollte. Die meist bedeutungslosen Parteien und Gruppierungen, die zum Zweck des Erhalts ihres Einflusses ein stillschweigendes Bündnis mit dem PDS-Ratsvorsitzenden eingegangen waren, beschlossen, dass ihre bereits vorgeschlagenen Vertreter legitimierte Mitglieder des Regionalausschusses zur Herausbildung des Landes Sachsen seien. Auf seiner nächsten Tagung sollte der Regionalausschuss einen Vorsitzenden, einen Stellvertreter und einen Sekretär wählen, die auch die Verbindung zu den Bezirken Dresden und Leipzig halten sollten. Wohl um ihren Einfluss auf das Geschehen nicht zu verlieren, zog die DFP die Aufkündigung ihrer Mitarbeit zurück. Sie wiederholte zwar ihre Kritik am bisherigen Procedere der Landesbildung, beschloss aber, sich mit „Beobachterstatus“ am Runden Tisch zu beteiligen.326 Die Gründe für die wechselnde Haltung der DFP sind unklar. Beyer meint, es könnte sein, dass vorhergegangener Streit um Sach- oder Verfahrensfragen die Ursache waren. Ihm seien auch „Klagen von aktiven ForumLeuten“ über die zahlreichen Metamorphosen der DFP bekannt.327 Superintendent Christoph Magirius legte am 26. April sein Amt als Moderator des Runden Tisches des Bezirkes Chemnitz nieder. Die Teilnehmer beschlossen hingegen, weiterzuarbeiten, da dem Runden Tisch bei der Vorbereitung des Landes Sachsen neue Aufgaben zukämen.328 „Die Union“ als Sprachrohr und Interessenvertretung der neuen Kräfte kritisierte den so um die PDS gescharten Chemnitzer Runden Tisch, der „fast an Zeiten des Demokratischen Blocks“ erinnere, zumal „viele bekannte Gesichter dieser Ära“ zu sehen seien. So sei wohl auch zu erklären, dass die Runde „die Initiative streckenweise völlig dem als Gast teilnehmenden langjährigen Bezirksratsvorsitzenden Lothar Fichtner, PDS, überließ“, der „durch die Tagesleitung regelrecht hofiert“ worden sei.329

325 PDS-Bezirksvorstand KMS: Antrag an den RTB KMS [Beratung 26. 4.1990] (ebd., Bl. 18). 326 Erklärung des Bezirksvorstandes Chemnitz der DFP vom 26. 4.1990 (ebd., 124559, Bl. 5 RS). 327 Wolf-Dieter Beyer an den Autor vom 31.1. 2003. 328 Vgl. Die Union vom 27. 4.1990. 329 Vgl. Die Union vom 27. 4.1990.

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4.2

Regierungspolitik zwischen Zentralismus und Föderalismus

Regierungspolitik zwischen zentralistischer Tradition und föderativem Neuanfang

4.2.1 Diskussion über Form und Anzahl der künftigen Länder bis zur Bildung der Regierung de Maizière Als Lothar de Maizière am 19. April in seiner Regierungserklärung die Rückkehr zur Fünf-Länder-Struktur von 1952 ankündigte, war dies das Ergebnis eines rund dreimonatigen gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozesses über Form, Struktur und Anzahl künftiger Länder. Dabei hatten institutionelle Eigeninteressen bestehender Staatsorgane und Runder Tische ebenso eine Rolle gespielt wie Überlegungen von Wissenschaftlern, Vertretern neuer politischer Kräfte oder heimatverbundener Teile der Bevölkerung. Bereits seit Februar kursierten unterschiedliche Vorstellungen über die künftigen Länder. Untrennbar mit deren Form und Anzahl verband sich die Frage, ob sie sich an der Struktur bis 1952 oder der vorhandenen Bezirksstruktur orientieren bzw. ob völlig neue Formen gefunden werden sollten. Eine Antwort darauf war so schwierig wie unerlässlich, ließ sich doch zum Beispiel der 1952 aus Teilen von drei Ländern gebildete Bezirk Cottbus keinem Land klar zuordnen. Im Falle Sachsens ergab sich Konfliktpotential dadurch, dass weder die Grenzen des Landes von 1952 mit jenen aus der Zeit bis 1945 übereinstimmten, noch die der Bezirke KarlMarx-Stadt, Dresden und Leipzig mit denen des Landes Sachsen bis 1952.330 In den Grenzkreisen der Bezirke überlegte man, welchem Land man in Zukunft angehören sollte. So wurde zum Beispiel schon im Herbst 1989 in vogtländischen, seit 1952 zum Bezirk Gera gehörenden Kommunen eine Rückkehr nach Sachsen gefordert. Hier und in anderen Grenzbereichen des heutigen Freistaates gab es Problemgebiete, für die bis zur Länderbildung eine Lösung gefunden werden musste. In diesen „Krawallgebieten“331 kam es zu teils erheblichen Interessenkonflikten zwischen Brandenburg und Thüringen einerseits sowie Sachsen andererseits, deren Ursachen in Bezug auf Brandenburg bis in die Zeit militärischer Auseinandersetzungen zwischen Preußen und Sachsen zurückreichten.332 Der Regierung war das mit der Länderbildung verbundene Konfliktpotential bekannt. In der Regierungskommission Verwaltungsreform diskutierten Anfang Februar Experten mögliche Konfliktherde. Probleme sah man hier bezüglich Sachsens bei der Zuordnung der Kreise Schmölln und Altenburg des Bezirkes Leipzig zu Thüringen; Volksabstimmungen hinsichtlich einer Zugehörigkeit zu Sachsen-Anhalt wurden unter anderem für die Kreise Jessen, Herzberg, Bad Liebenwerda, Torgau, Eilenburg und Delitzsch vorgeschlagen und auf Unterschriftensammlungen in der Stadt Pausa im Kreis Zeulenroda sowie Forderungen nach Anschluss der Stadt Elsterberg im Kreis Greiz zum Land Sachsen ver330 Zu den Ursachen vgl. das Kapitel „Land der SBZ/DDR 1945–1952“ in diesem Band. 331 Lapp, Die DDR geht, S. 8. 332 Vgl. Richter, Entscheidung für Sachsen, S. 7–12.

Diskussion über Anzahl künftiger Länder

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wiesen.333 Offen war zunächst auch die Zugehörigkeit der Kreise Hoyerswerda und Weißwasser des Bezirkes Cottbus. Um sich genauer zu informieren, forderte die Regierungskommission am 6. Februar schnellstmöglich einen Standpunkt der Bezirke zu den Problemgebieten.334 Frühzeitig warnten Wissenschaftler davor, die Länderbildung eher beiläufig abzuhandeln. Der sächsische Landeshistoriker Karlheinz Blaschke beschwor Mitte Februar, die einmalige historische Gelegenheit für eine Neuordnung der Territorialstruktur zu nutzen. Er schlug eine Drei-Länder-Lösung vor, die sichern sollte, dass die neuen Länder in der föderalen Struktur der Bundesrepublik keine nachgeordnete Rolle spielen würden. Blaschke schlug die Schaffung der drei Länder Mecklenburg (ca. 2,1 Mio. Einwohner, 26 000 km2), Brandenburg (ca. 3,9 Mio. Einwohner, 41 000 km2) und Sachsen-Thüringen (ca. 9,5 Mio. Einwohner, 42 000 km2) vor. Für ein Land Sachsen-Thüringen sprach nach seiner Ansicht ein von der Natur vorgezeichneter Raum zwischen Erzgebirge, Thüringer Wald, Harz und Fläming, der sich weitgehend mit den Flussgebieten von Saale und mittlerer Elbe decke. Dieser Naturraum sei bereits einmal mehrere Jahrhunderte lang eine politische Einheit gewesen und habe in der Reichspolitik eine führende Rolle gespielt, seit er sich unter der Herrschaft des Hauses Wettin „in zielstrebiger territorialer Aufbauarbeit zu einem kraftvollen Territorialstaat“ entwickelte. Nur die „unglücklichen, dynastisch begründeten Länderteilungen im Hause Wettin“ und eine „rücksichtslose preußische Eroberungspolitik“ hätten diesen Territorialstaat zerstückelt und bis auf fünf Restgebiete im Jahre 1918 verkleinert. Die besonderen Traditionen Sachsens und Thüringens sollten durch provinzielle Selbstverwaltungskörperschaften nach dem Vorbild von Rheinland und Westfalen innerhalb des Landes Nordrhein-Westfalen gesichert werden. Sachsen-Anhalt würde auf die Länder Brandenburg und Sachsen-Thüringen aufgeteilt werden und Sachsen dadurch hinsichtlich der Einwohnerzahl hinter Nordrhein-Westfalen und Bayern, aber noch vor BadenWürttemberg rangieren.335 Im historischen Vergleich verwies er auf die Bildung der Länder Niedersachsen und Baden-Württemberg, die als Beispiel für eine Fusion dienen könnten. Blaschkes Drei-Länder-Lösung schien unter historischen Gesichtspunkten durchaus plausibel. Thüringen konnte auf keine einheitliche politische Tradition verweisen; seine Staatlichkeit reichte nicht weiter als bis 1920 zurück, seine Grenzen vor der Auflösung 1952 waren erst 1944/45 festgelegt worden. Bis zum Ende der Monarchie hatten große Teile Thüringens un333 Regierungskommission Verwaltungsreform: Vorlage für die Beratung am 6. 2.1990. Mögliche Konfliktherde bei Länderbildung entsprechend vorliegender Hinweise und Vorschläge (BArch B, DO 5, 137). 334 [Handschr.] Verlaufsprotokoll der Beratung mit den 1. Stellvertretern der RdB am 6. 2. 1990 (ebd.). Vgl. Fernschreiben von Rainer Dudek an die Vorsitzenden der RdB Dresden, Karl-Marx-Stadt und Halle vom 29.1.1990 (ebd., 179). 335 Karlheinz Blaschke: Denkschrift über die territoriale Neugliederung des Territoriums der DDR vom 15. 2.1990 (ebd., 137). Vgl. Blaschke an Peter Moreth vom 20. 2.1990 (ebd. 144); Blaschke, Das Werden der neuen Bundesländer, S. 133 f.; ders., Alte Länder – Neue Länder, S. 51.

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Regierungspolitik zwischen Zentralismus und Föderalismus

ter sächsisch-ernestinischer Herrschaft gestanden. Der Vorschlag Blaschkes stieß in Thüringen auf heftige Gegenwehr,336 fand aber die Unterstützung des Rates des Bezirkes Leipzig, der vorschlug, bei der Bildung von Regierungsbezirken „jetzige Bezirksstrukturen zu beachten, um nicht Versorgungs- und Betreuungsfunktionen zu stören“ und um einen „Kopplungseffekt“ zwischen den früheren Ländern und den Bezirken herzustellen. Eine Zusammenfassung von Bezirken zu Ländern in Anlehnung an die Struktur bis 1952 und einer Wiedereinführung der Länder, wie sie bis 1952 bestanden hatten, schöpfe die Entwicklungspotenzen von Ländern in einem Föderativstaat nicht aus, weil diese Länder eine zu geringe Einwohnerzahl hätten und im Wettbewerb mit größeren westlichen Bundesländern benachteiligt wären. Da die Lebensbedingungen in den Ländern jedoch stark von den Voraussetzungen abhingen, die sie sich im Wettbewerb selbst schüfen, befürwortete der Rat die ernsthafte Prüfung der von Blaschke vorgeschlagenen Variante.337 Der Vorschlag, drei Länder zu bilden, orientierte sich neben landsmannschaftlich-kulturellen und historischen Aspekten auch an rationalen ökonomischen Kriterien und an der Effizienz des administrativen Systems. Drei Länder hätten westlichen Größenordnungen am ehesten entsprochen und die Chance geboten, leistungsfähige Länder und eine Reduzierung der Ausgleichsnotwendigkeiten innerhalb der föderalen Strukturen, insbesondere bezogen auf den Länderfinanzausgleich, zu erreichen.338 Um der Diskussion über die Länderbildung ein Podium zu bieten, führte die Sektion Geographie der Humboldt-Universität Berlin am 16. Februar auf Anregung der Regierungskommission ein Kolloquium durch. Hier herrschte Konsens, die Länder grundsätzlich auf der Basis der Bezirke zu bilden, wobei sowohl der Verlauf der Ländergrenzen und die territorialen Strukturen der Zeit bis 1952, als auch „Beziehungen, die in fast 40-jähriger Geschichte der Bezirke gewachsen“ seien, berücksichtigt werden sollten. Die Professoren Siegfried Grundmann, Heidrun Pohl und Konrad Scherf fixierten drei mögliche Hauptvarianten: A) Ein Zusammenschluss der Bezirke unter Bezugnahme auf die Ländereinteilung von 1952 zu Bezirksverbänden als Vorstufe einer künftigen Länderstruktur, B) die Abschaffung der Bezirke und eine Wiedereinführung der Länder wie sie bis 1952 existierten und C) eine Neugliederung der DDR in territoriale Einheiten, die sich weder an die früheren Länder noch an gegenwärtige Bezirke anlehnen. Für Sachsen wurde nach Variante A) ein „Bezirksverband Sachsen“ in Erwägung gezogen wobei die Aufteilung des größten industriellen Ballungsgebietes der DDR, Halle-Leipzig-Dessau, auf zwei Bezirksverbände (Sachsen und Sach336 Interview Uwe Grüning. 337 RdB Leipzig zur politisch-administrativen Territorialgliederung vom 20.2.1990 (Dok. 13). 338 Vgl. Hoff, Länderneugliederung, S. 99. Anders Matz, der Blaschkes „Projekt Groß-Sachsen“ als „fern der Realität“ bezeichnet. Matz, Länderneugliederung, S. 105.

Diskussion über Anzahl künftiger Länder

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sen-Anhalt) als problematisch bezeichnet wurde. Bei Variante B) sah man unter anderem die Gefahr einer Zerschlagung der „sehr stabilen sozialen und wirtschaftlichen Raumstruktur auf Bezirksebene“. Als problematisch galten auch bei dieser Variante die Zerschlagung des größten Industriereviers sowie eine wachsende Arbeitslosigkeit durch die Reduzierung des Verwaltungspersonals in den Bezirksstädten. Variante C) spielte eine untergeordnete Rolle. In ihr wurde zum Beispiel die Bildung der vier Großregionen Nordregion, Zentralregion, Ballungsregion und Südwestregion vorgeschlagen. Zur Zentralregion hätten die Bezirke Halle, Leipzig, Karl-Marx-Stadt, Dresden und die mittleren und südlichen Kreise des Bezirkes Magdeburg sowie die südöstlichen Kreise des Bezirkes Cottbus gehört.339 Generell bestand Einigkeit, die Zugehörigkeit von Gebieten mit unklarer Zuordnung plebiszitär zu lösen. Anfang Februar hatte unter anderem die von der Gruppe der 20 dominierte Arbeitsgruppe Recht der Dresdner Stadtverordnetenversammlung bei der Volkskammer eine Volksbefragung über die Einführung der Länderstruktur beantragt.340 Es sei, so deren Mitglied Bernd Kunzmann341 am 26. Februar, „einhelliger Konsens aller politischer Kräfte in der DDR“, die einstigen Länder auf dem Wege einer Verfassungs- und Verwaltungsreform wiederentstehen zu lassen. Die Volkskammer könnte eine Volksabstimmung über die Wiedereinführung der Länder beschließen, die mit einer Entscheidung der Bevölkerung über die Zugehörigkeit ihres jeweiligen Kreises zu den geplanten Ländern zu verbinden sei. Direkt vom Volke gewählte verfassungsgebende Landesversammlungen sollten dann neue Landesverfassungen beschließen und im Zuge ihrer Wahl die Landesterritorien auf demokratische Weise neu konstituieren. Dabei sollte je Landkreis ein Abgeordneter und je Stadtkreis pro 100 000 Einwohner ein Abgeordneter gewählt werden. Die verfassungsgebende Landesversammlung hätte dann zu beraten, ob sie die frühere Landesverfassung wieder in Kraft setzt, diese abändert oder aber eine neue erarbeitet. Auf diese Weise sollten die Länder bis zum Herbst 1990 wiederentstehen.342 Am 21./22. Februar wertete die Regierungskommission Verwaltungsstruktur die Ergebnisse des Kolloquiums der Humboldt-Universität aus.343 Als Resultat dieser Rostocker Tagung legte ihre Arbeitsgruppe „Administrativ-territoriale Gliederung“ ein Papier vor, das noch einmal denkbare Varianten mit Vor- und Nachteilen auflistete und die verschiedenen Vorstellungen in Grund- und Ne339 Thesen Siegfried Grundmann, Heidrun Pohl und Konrad Scherf zum Kolloquium am 16. 2.1990 in Berlin: Zur Neugestaltung der politisch-territorialen Gliederung der DDR Januar 1990 (BArch B, DO 5, 137). 340 RdS Dresden an den Präsidenten der Volkskammer, Günther Maleuda, o. D. (ebd., 145). 341 Neues Forum, ab März 1990 SPD, später rechts- und verfassungspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion. 342 Überlegungen der AG Recht der Dresdener Stadtverordnetenversammlung zur Wiedererstehung der Länder in der DDR vom 26. 2.1990 (Dok. 15). 343 Varianten zur Ländergliederung entsprechend dem Vorschlag der AG administrativ-territoriale Gliederung der Regierungskommission Verwaltungsreform vom 20. 2.1990 (Dok. 12). Vgl. Hajna, Länder, Bezirke, Länder, S. 195 f.

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Regierungspolitik zwischen Zentralismus und Föderalismus

benvarianten systematisierte.344 In Auswertung und Erweiterung des von Grundmann, Pohl und Scherf vorgelegten Papiers schlug die Regierungskommission nun nur noch zwei Grundvarianten vor: Nach Grundvariante A) sollten sich die fünf Länder Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen durch Zusammenlegung der entsprechenden Bezirke bilden, wobei Abweichungen gegenüber den Ländergrenzen von 1952 durch Bürgerentscheide in den Problemgebieten gelöst werden sollten. Für die Neubildung Sachsens gab es nach Grundvariante A) drei Untervarianten: 1. Die Neubildung Sachsens auf Grundlage der Bezirke Dresden, Karl-Marx-Stadt und Leipzig, 2. ein erweitertes Sachsen einschließlich des Bezirkes Cottbus, und 3. ein erweitertes Sachsen einschließlich von Teilen des Bezirkes Cottbus (Siedlungsgebiet der Sorben, Lausitz, Braunkohlegebiet). Als Nachteile der drei Varianten wurde die extreme Randlage Leipzigs und die Zerschneidung des Ballungsgebietes um Halle-Leipzig-Dessau gesehen. In Erweiterung der drei Varianten der Grundvariante A) wurde deswegen in Erwägung gezogen, den Bezirk Halle Sachsen als Regierungsbezirk zuzuschlagen. Nach Grundvariante B) sollten sich nur die vier Länder Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen und Thüringen bilden. Durch Aufteilung Sachsen-Anhalts auf Brandenburg und Sachsen würde so ein erweitertes Land Sachsen geschaffen werden, das im Unterschied zu „Niedersachsen“ „logischerweise“ den Namen „Obersachsen“ führen sollte.345 Bei der Variante einer Einbeziehung des Bezirkes Halle als Regierungsbezirk wurde darauf verwiesen, dass in einem größeren, das Ballungsgebiet Halle-Leipzig-Dessau umfassenden Land Sachsen Leipzig eine zentralere Lage besäße als Dresden, weswegen für diesen Fall ein Entscheid über die Landeshauptstadt sinnvoll sei. Die auf dem Vorschlag der Regierungskommission vom 22. Februar Papier vermerkte handschriftliche Notiz zum Volksentscheid „Nicht bestätigt“ zeigt aber, dass die Regierung bereits zu diesem Zeitpunkt nicht mehr willens war, die künftige Territorialstruktur zum Thema öffentlicher Debatten oder gar von Plebisziten zu machen. Auch in den Räten der Bezirke setzte man keinesfalls durchweg auf Volksentscheide. So zog der Dresdner Ratsvorsitzende neben Plebisziten die unverbindliche Form einer Bürgerbefragung in Erwägung und wollte die Entscheidung damit in die Hände gewählter Vertretungskörperschaften gelegt sehen.346 Hinzu kam, dass die Vorschläge der Regierungskommission nach deren Selbsteinschätzung „von solcher Reife“ waren, dass sie ohne Plebiszite „das Ableiten notwendiger Entscheidungen“ ermöglichten. Damit setzte sich die Regie344 Regierungskommission für die Vorbereitung und Durchführung der Verwaltungsreform, AG administrativ-territoriale Gliederung: Vorlage zu den Grundsätzen der Länderbildung sowie zu Grundzügen der Aufgabenstellung künftiger Länderparlamente und -regierungen vom 22. 2.1990 (BArch B, DO 5, 137). 345 Ergänzungsblatt zur Information vom 20. 2.1990 zur Territorialgliederung: Varianten zur Ländergliederung entsprechend dem Vorschlag der AG administrativ-territoriale Gliederung der Regierungskommission Verwaltungsreform (ebd.). 346 Interview Michael Kunze am 18. 4.1990 (HAIT, KA, 6).

Sachsen - Anhalt

Berlin

Sachsen

Dreiländervariante nach Karlheinz Blaschke

Sachsen - Thüringen

Brandenburg

Mecklenburg

Peter W. Baumann

Grundvariante A und B (5 und 4 Länder) der Regierungskommission Verwaltungsreform

Mecklenburg - Vorpommern

Brandenburg

B

Thüringen

A

Diskussion über Anzahl künftiger Länder

279

Karte 4: Ländergliederungsvorschläge der Regierungskommission Verwaltungsreform und nach Karlheinz Blaschke (Frühjahr 1990).

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rungskommission über die verbreitete Auffassung hinweg, die Bevölkerung müsse zu Zahl und Form der Länder befragt werden. Somit lagen aus Sicht der Kommission „zwei tragfähige Varianten von Länderbildung“ vor, die sich in den Zeitrahmen einer zügigen Wiedervereinigung einordnen ließen,347 nämlich die Vier- und Fünf-Länder-Varianten. Das wurde den 1. Stellvertretern der Vorsitzenden der Räte der Bezirke bei einer Besprechung am 27. Februar klargemacht, wobei es kaum verwunderte, dass die Vertreter der sächsischen Räte Lösungen bevorzugten, die auf ein größeres Sachsen zielten. So kritisierte der 1. Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Leipzig, Frieder Werner, dass die Drei-Länder-Variante nicht mehr im Gespräch sei. Norbert Dreßler vom Rat des Bezirkes Karl-Marx-Stadt plädierte dafür, fortan öffentlich mit der Vier-Länder-Variante zu arbeiten.348 Ungeachtet der Interessenlage der Verantwortlichen in Sachsen tendierte die Regierung unter dem Einfluss bundesdeutscher Berater aber bereits zur FünfLänder-Variante. Da in Bonn neben einer Beitrittserklärung der Volkskammer nach Artikel 23 des Grundgesetzes auch ein Beitritt durch die einzelnen Länder nicht ausgeschlossen wurde, schlug das Bundesministerium des Innern der Regierung Modrow Ende Februar vor, der Volkskammer „eine vorläufige Abgrenzung der Länder entlang der dem Verlauf ihrer Grenzen ungefähr entsprechenden Bezirksgrenzen“ zu empfehlen, die alten Länderverfassungen zu bestätigen, eine Neuwahl der Landtage und die nachfolgende Erneuerung der Landesorgane sowie das Recht der Länder zu beschließen, „sich innerhalb einer bestimmten Frist durch Landtagsbeschluss der Bundesrepublik Deutschland anzuschließen“.349 In einer Vorlage aus dem Ministerium von Mitte März hieß es, zwar sei die Schaffung eines neuen Ländergefüges denkbar, aber „kaum erwünscht, dass in der ersten Phase einer Einigung Deutschlands, in der schwierigste rechtliche, soziale und wirtschaftliche Probleme zu bewältigen sind, Neugliederungsfragen zum Gegenstand politischer Auseinandersetzungen werden“. Vielmehr sollte „eine unter Umständen notwendige Änderung von Ländergrenzen in der DDR – selbst wenn diese dem Willen betroffener Gebietsbevölkerung entsprechen sollte – einer ruhigeren Phase des Einigungsprozesses vorbehalten bleiben“. Ebenso wurde hier einer Vereinigung ganzer Länder in der DDR und von einzelnen in der DDR gelegenen Gebietsteilen mit westdeutschen Ländern eine Absage erteilt, „damit keine Neidgefühle in den anderen Gebieten wegen Bevorzugung allein wegen der günstigen geographischen Lage aufkommen“. Angesichts dieser klaren Vorgaben schien die ergänzende Äußerung wie ein Alibi, „nach einer 347 Hinweise und Festlegungsvorschläge zu den Tagesordnungspunkten der Regierungskommission Verwaltungsreform am 26. 2.1990 (BArch B, DO 5, 134). 348 Handschr. Verlaufsprotokoll der Beratung mit den 1. Stellvertretern der RdB am 27. 2.1990 (ebd., 179). 349 Aufzeichnung des BMI vom 27. 2.1990: Überlegungen zu verfassungsrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Einigung Deutschlands. Text in: Dokumente zur Deutschlandpolitik. Deutsche Einheit. Sonderedition aus den Akten des Bundeskanzleramtes 1989/90, S. 879–886.

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nicht zu kurz zu bemessenden Übergangszeit“ müsse „auch in der DDR dem Volkswillen bei der Frage der Neugliederung der Vorrang gegeben werden“.350 Das Hauptmotiv, sich für die Rückkehr zur Fünf-Länder-Struktur stark zu machen, lag vor allem im Interesse von Bund und Ländern begründet, eine baldige staatliche Einheit nicht durch ausufernde Diskussionen zu gefährden. Außerdem benötigte man für die Organisierung von Hilfsleistungen, den künftigen Länderfinanzausgleich und andere Planungen bezüglich der künftig veränderten föderalen Struktur Deutschlands einigermaßen klare Orientierungen. Schon deswegen konnte sich die DDR-Regierung der Unterstützung zahlreicher Politiker aus Bund und Ländern sicher sein. Bereits Anfang Dezember 1989 hatte der parlamentarische Staatssekretär im Ministerium für Innerdeutsche Beziehungen, Ottfried Hennig, die Regierung in Ost-Berlin aufgefordert, zur früheren Aufteilung zurückzukehren.351 Auch die meisten Bundesländer unterstützten die Orientierung auf fünf Länder. So hatten die CDU-Landtagspräsidenten von Hessen und Rheinland-Pfalz, Klaus-Peter Möller und Heinz Peter Volkert schon Mitte November 1989 deren Wiederherstellung gefordert.352 Auch Bayern und Baden-Württemberg hatten sich seit dem Herbst für die Wiedergründung der früheren DDR-Länder eingesetzt. Dadurch, so Ministerpräsident Max Streibl später, seien „Verzögerungen durch die von mancher Seite gewünschte Neugliederung vermieden und die Struktur der historischen Länder gestärkt“ worden.353 Am 10. April hatte sich Streibl deswegen sogar an Bundeskanzler Kohl gewandt und ihn aufgefordert, alles zu tun, „um zur Wiedergründung der fünf ursprünglichen Länder zu gelangen und die Frage einer eventuellen optimalen Neugliederung einer zweiten Stufe – etwa im Sinne des Art. 29 GG – vorzubehalten“. Der bayerische Ministerpräsident vermutete in völliger Verkennung der Lage hinter den Befürwortern einer Neufassung der Länderstruktur im Osten Deutschlands Kräfte, „denen an einem demokratischen Neuaufbau in der DDR weniger gelegen ist und die möglichst lange die bisherigen Bezirksstrukturen erhalten wollen, in denen demokratisch nicht legitimierte Funktionsträger immer noch das Sagen haben“.354 Der baden-württembergische Ministerpräsident, Lothar Späth, erklärte, die Suche nach einer neuen Identität bringe die Menschen in der DDR „stark zu einer Orientierung an den alten Län350 BMI, Ref. VI1: Überlegungen zum Thema: Neugliederung im Gebiet der DDR vom 16. 3.1990 (BArch, B 106, 301132, VI1–110851/0, Band 1). 351 Osnabrücker Zeitung vom 8.12.1989. 352 Vgl. „Anstoß oder Anmaßung? Zur Forderung, die alten Länder in der DDR wieder herzustellen.“ In: Sozialdemokratischer Pressedienst Nr. 224 vom 21.11.1989; FAZ vom 15.11.1989. 353 BayStK, Arbeitsstab Deutschlandpolitik, Interministerielle AG Deutschlandpolitik: Gespräch des Bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl mit der Bayerischen Landtagspresse e. V. am 9. 4.1991. Materialien: Aufbau der neuen Länder mit Bayerischer Hand (BayStK, Baer). 354 BMI, Abt. O: Betr. Antrittsbesuch des Ministers für regionale und kommunale Angelegenheiten der DDR, Manfred Preiß, am 27.4.1990 im BMI, Teil 4.4, 11: Anlage: Max Streibl an Helmut Kohl vom 10. 4.1990 (BArch, B 106, 301132, VI1–110851/0, Band 2).

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derstrukturen, die jetzt nicht künstlich geschnitten werden sollten“.355 Auch die Ausrichtung der westdeutschen Hilfsleistungen und Partnerschaften an den alten DDR-Ländern stärkte die Tendenz der Rückkehr zu den alten Länderstrukturen.356 Da diese dabei aber zunächst nicht auf konkrete Grenzziehungen der künftigen Länder fixiert waren, hatten sie diesbezüglich keine präjudizierende Wirkung und ließen die endgültige Form der Länder offen.357 So richteten sich die Hilfsleistungen des sächsischen Partnerlandes Baden-Württemberg vorübergehend auch an Halle, solange die Regierungskommission Verwaltungsreform dessen Einbeziehung in das Land Sachsen befürwortete.358 Aus ganz anderen Gründen riet der Präsident des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung in Essen, bei der Neugliederung der DDR kleinere Einheiten zu wählen. Dadurch, so Professor Paul Klemmer, werde das Wohlstandsgefälle zwischen den Regionen der DDR und denen der Bundesrepublik deutlicher, mithin auch die Notwendigkeit zum regionalpolitischen Ausgleich.359 Dass es nicht nur Befürworter einer Fünf-Länder-Lösung gab, zeigte eine Stellungnahme des niedersächsischen SPD-Politikers Gerhard Schröder, der die sich abzeichnenden fünf Länder als zu klein bezeichnete und für eine deutschlandweite Länderneugliederung plädierte.360 Die Diskussion wurde durch ernstzunehmende Bestrebungen in der DDR beeinflusst, eine rasche Länderbildung noch bis zum Sommer 1990 zu erreichen. Teilweise waren diese mit der Absicht verbunden, den Beitritt einzelner oder aller Länder zur Bundesrepublik zu erklären. Die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“ wusste aus „zuverlässiger Quelle“ zu berichten, dass es in der Führung der Ost-SPD Bestrebungen gebe, bei den Volkskammerwahlen am 18. März zugleich auch die Mitglieder der Parlamente der Länder zu bestimmen. „Einflussreiche Sozialdemokraten in der DDR“ würden sich dafür stark machen, die künftigen Volkskammerabgeordneten zugleich mit landespolitischen Zuständigkeiten für ihre Region auszustatten. Nach dem Plan, der dem Vorstand der Partei in Berlin vorgelegt worden sei, sollten die Volkskammerabgeordneten auch die verfassungsgebenden Versammlungen bilden, die als „Vorparlamente“ die Landesverfassungen ausarbeiten sollten.361 Für die Richtigkeit der Information spricht, dass es ähnliche Überlegungen auch in anderen Parteien gab. DA-Chef Wolfgang Schnur plädierte dafür, die Länder sofort zu konstituieren und bereits am 6. Mai Landtagswahlen abzuhalten. Der Demokratische Aufbruch wollte dann in jedem Landtag den Antrag auf Beitritt nach Artikel 23 stellen. Der thüringische CDU-Vorsitzende, Uwe Ehrich, sprach sich ebenfalls 355 dpa vom 20. 4.1990. Anders die Darstellung Klaus Reichenbachs, wonach Späth wie auch andere bundesdeutsche Politiker intern für größere Länder plädiert hätten. Interview Klaus Reichenbach. 356 Vgl. Kaufmann, Bundesstaat, S. 81. 357 Vgl. Jäger, Geschichte, S. 465; anderer Meinung ist Kaufmann, Bundesstaat, S. 89 358 Vgl. Stuttgarter Zeitung vom 28. 2.1990. 359 Vgl. Handelsblatt vom 23. 4.1990. 360 dpa vom 1. 4.1990 361 Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 9. 2.1990.

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für eine rasche Föderalisierung und Landtagswahlen noch vor dem Sommer aus. Die CDU-Volkskammerfraktion kündigte im Februar an, den Antrag zu stellen, die derzeitige Verfassung durch die vom 7. Oktober 1949 zu ersetzen, weil in dieser die fünf Länder festgeschrieben gewesen waren.362 Damit wiesen alle wesentlichen Bestrebungen der DDR-Parteien Ende Februar/Anfang März in Richtung einer Fünf-Länder-Lösung. Am 8. März konstatierte das Mitglied der Regierungskommission Verwaltungsreform, Professor Helmut Melzer vom Institut für Rechtswissenschaft an der Akademie der Wissenschaften der DDR, die Variante, an die alten fünf Länder anzuknüpfen, werde von einer Mehrheit der Parteien und „offenbar von stark einwirkenden Bestrebungen aus der Bundesrepublik und deren Ländern favorisiert“.363 Es gab somit, entgegen den Vorschlägen der Regierungskommission, bereits vor der Volkskammerwahl eine klare Tendenz in Richtung einer Fünf-Länder-Lösung. Ungeachtet dessen setzte sich aber in beiden Teilen Deutschlands die Diskussion fort, wobei unterschiedlichste Ländervarianten erwogen wurden. Im Westen stieß das Thema auf Interesse, weil es unmittelbar in die Diskussion über eine Neugliederung des Bundesgebietes eingriff. Hier gab es Stimmen, die mahnten, die Wiedervereinigung für eine deutschlandweite Neuordnung der Länderstrukturen zu nutzen, da das Grundgesetz ohnehin geändert werden müsse, beim Bundesverfassungsgericht Verfahren anhängig seien, um grundsätzliche Fragen des bundesstaatlichen Finanzausgleichssystems zu klären und weil die kleineren Länder bzw. Stadtstaaten ohnehin eine Vielzahl struktureller Probleme hätten.364 In der Bundesrepublik gab es seit Jahrzehnten Überlegungen über die Frage einer Länderneugliederung, die ihren historischen Ursprung bereits in Beratungen über eine neue Verfassung und eine Reichsreform im Jahr 1919 hatten. Zwar scheiterte damals eine vom Verfasser der Weimarer Reichsverfassung, Hugo Preuß, projektierte territoriale Neuordnung mit dem Hauptziel einer Zerschlagung Preußens am Widerstand der Landesregierungen, allerdings wurde erstmals ein Neugliederungsartikel in die Reichsverfassung aufgenommen.365 Seitdem hatte es immer wieder Modifizierungen der Ländergrenzen, vor allem aber andauernde und breite Neugliederungsdiskussionen gegeben.366 So schlug zum Beispiel Werner Münchheimer 1954 für den Fall einer Wiedervereinigung die Bildung von zwei Ländern auf dem Gebiet der „Ostzone“ vor, nämlich Brandenburg-Pommern und Obersachsen.367 1974 blieb die DDR in der Diskussion unberücksichtigt. In bundesdeutscher Nabelschau legte die „Ernst-Kommission“ unter Leitung des Staatssekretärs im Bundesministerium des Innern, Professor Werner Ernst, eine Untersuchung über eine mögliche Neugliederung des 362 Vgl. FAZ vom 17.2. und 29. 3.1990. 363 Melzer, Die Verwaltungsreform in der DDR, S. 405. 364 Vgl. Wurzel, Zur Neugliederung, S. 87. 365 Vgl. Matz, Länderneugliederung, S. 22. 366 Klaus-Jürgen Matz spricht bei der Diskussion um die Länderneubildung von einer „deutschen Obsession“, für die es weltweit keine Parallelen gebe. Matz, Länderneugliederung, S. 15. 367 Vgl. Münchheimer, Die Neugliederung Mitteldeutschlands, S. 113 f.

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Bundesgebietes vor.368 Freilich waren die Widerstände dagegen so groß, dass der Bundestag die ursprünglich im Grundgesetz verankerte Pflicht zur Neugliederung im Jahr 1976 mit Zwei-Drittel-Mehrheit in eine Kann-Bestimmung abänderte. Dennoch ging die Neugliederungsdebatte bis 1989 weiter.369 Unter anderem gab es im September 1989 Bestrebungen des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten, Björn Engholm, und des Ersten Bürgermeisters von Hamburg, Henning Voscherau, Schritte in Richtung eines Nordstaates zu unternehmen. Bis ins Frühjahr 1990 flammten diese Diskussion durch die sich inzwischen abzeichnende deutsche Einheit immer wieder auf und bezog nun auch die DDR in ihre Überlegungen ein.370 Die Idee eines Nordstaates war auch im Vorschlag des Direktors des Instituts für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalen, Viktor Freiherr von Malchus, vom März 1990 enthalten, der in Anlehnung an Münchheimer vorschlug, die zwei Länder Pommern-Brandenburg und Sachsen-Thüringen zu bilden und den mecklenburgischen Bezirk Schwerin an Schleswig-Holstein anzugliedern. Für Sachsen-Thüringen schlug er die Regierungsbezirke „Anhalt-Magdeburg“, „Altthüringen-Erfurt“, „Halle-Leipzig“, „Erzbergland“ und „Meißen-Dresden“ vor.371 Die Idee einer grenzübergreifenden Neuaufteilung der Länder fand auch die Unterstützung des niedersächsischen Ministerpräsidenten, nach dessen Überzeugung sich der Kontakt zwischen Niedersachsen und Sachsen-Anhalt ebenso ausbauen ließ wie der zwischen Hessen und Thüringen. Ernst Albrecht (CDU) sinnierte sogar öffentlich über ein „Großsachsen“ aus Niedersachsen, SachsenAnhalt und Sachsen, führte als Gegenargument freilich selbst die Neigung zu historischen Bindungen ins Feld.372 So interessant die Vorschläge auch waren, Einfluss auf die Länderbildungspolitik der DDR-Regierung hatten sie nicht. In Berlin sah man sich angesichts drängender Zeit schon bei einer Fünf-Länder-Lösung mit genügend Problemen konfrontiert. Was zum Beispiel sollte mit dem zusammengestückelten Bezirk Cottbus werden, der sich keinem Land klar zuordnen ließ? Der hiesige Rat des Bezirkes hatte nach Konsultationen mit den Räten der Bezirke Frankfurt/Oder und Potsdam am 21. Februar seinen Standpunkt bekräftigt, das Land Brandenburg durch die Zusammenführung der drei Bezirke zu schaffen. Die drei Räte beschlossen die Bildung eines gemeinsamen Koordinierungsausschusses zur Bildung des Landes Brandenburg,373 der am 23. Februar ebenfalls empfahl, von der Zusammenführung der drei Bezirke in ihren Territorialgrenzen des Jahres 368 Neugliederung des Bundesgebietes. 369 Zur Neugliederungsdebatte in der Bundesrepublik bis 1989 vgl. Hoff, Länderneugliederung, S. 56–92; Greulich, Länderneugliederung, S. 24–129; Handelsblatt vom 20. 4. 1990. 370 Vgl. Kieler Nachrichten/Hamburger Abendblatt vom 9. 9.1989; Hamburger Abendblatt vom 16. 2.1990; FR vom 14. 3.1990. 371 Malchus, Überlegungen, S. 53 f. 372 Vgl. FAZ vom 21. 3.1990. 373 Beschlussvorlage des RdB Cottbus über Maßnahmen zur Vorbereitung der Herausbildung des Landes Brandenburg vom 21. 2.1990 (Brandenburg. LHA, Rep. 801, 24494).

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1990 auszugehen. Für die Zuordnung strittiger Gebiete wurden Bürgerentscheide empfohlen.374 Da es aber im Süden des Bezirkes starke Bestrebungen gab, sich Sachsen anzuschließen, kam es am 26. März zu einer Beratung der Regierung mit den Vorsitzenden der Räte der Bezirke Cottbus und Dresden.375 Angesichts der Gebiete mit unklarer Landeszuordnung empfahlen Vertreter verschiedener neuer politischer Gruppierungen in Sachsen Anfang April in einem gemeinsamen Papier, die Volkskammer möge im Fall einer Länderbildung durch den Zusammenschluss der Bezirke ein Gesetz über ein plebiszitäres Verfahren zum Gebietsaustausch zwischen den Ländern analog Artikel 29 des Grundgesetzes erlassen und Volksentscheide über den Geltungsbereich der Landesverfassungen in den Gebieten durchführen, die außerhalb des Geltungsbereiches der Landesverfassung lagen. Diese Volksentscheide sollten zusammen mit den Kommunalwahlen am 6. Mai durchgeführt werden.376

4.2.2 Entscheidung des Ministerrates für fünf Länder einschließlich Sachsen-Anhalts Am 12. April trat der neue Ministerrat zur konstituierenden Sitzung zusammen.377 Die hier beschlossenen „Grundsätze der Koalitionsvereinbarung“ der künftigen Regierungsparteien CDU, DA, DSU, SPD und Liberale enthielten klare Willensbekundungen für die Schaffung einer föderativen Republik samt Länderkammer. Wie wichtig der Regierung die Länderbildung und die Wiederherstellung der kommunalen Selbstverwaltung waren, zeigte die Schaffung eines speziellen Ministeriums für regionale und kommunale Angelegenheiten unter Leitung von Manfred Preiß (LDPD/BFD).378 Dieser war unter Modrow zum Staatssekretär beim Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates für örtliche Staatsorgane benannt worden, nun wurde sein Arbeitsbereich zum Ministerium erweitert.379 Hier gab es unter anderen eine Abteilung „Verwaltungsreform“ mit einer Unterabteilung „Staatsaufbau und Gebietsreform“ sowie eine Abteilung „Territoriale Beziehungen“ mit einer Unterabteilung für Bezirks- bzw. Länderbeauftragte. Das Ministerium verfügte Ende April über 59 Planstellen. 374 Protokoll zur Beratung des Koordinierungsausschusses zur Vorbereitung der Bildung des Landes Brandenburg am 23. 2.1990 (ebd., 24495). 375 Rainer Dudek an Peter Siegesmund und Michael Kunze vom 14.3.1990 (BArch B, DO 5, 179). 376 „Rottenburger Erklärung“ zur Länderbildung in der DDR vom 6. 4.1990 (Dok. 39). 377 Protokoll der 1. Sitzung des Ministerrates der DDR am 12. 4.1990 (BArch B, C 20, I/ 3–2943, Bl. 1–16). 378 Manfred Preiß war von 1985 bis 1990 Stellvertreter des Vorsitzenden des RdB Magdeburg für Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft. Vom 6. 4.1972 bis zum 28. 4.1989 arbeitete er als IM „Sänger“ für das MfS, danach offiziell (BStU, AIM 834/89 C, Teil I, Bl. 177–181). 379 Vorläufige Tagesordnung für die 2. Sitzung des Ministerrates der DDR am 18. 4.1990; Vorläufiger Geschäftsverteilungsplan der Regierung vom 17.4.90, Beschlußentwurf 2.4 (BArch B, DO 5, 55).

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Preiß hatte keine Zuständigkeit für Zentralverwaltung und Personalwesen. Das Ministerium stützte sich nach Auffassung des Bundesinnenministeriums „wesentlich“ auf die noch von der Regierung Modrow eingesetzte und aus vier Arbeitsgruppen bestehende Regierungskommission.380 Ziel seines Hauses sei es, so Preiß, die Voraussetzungen für einen Umbau der zentralistischen Staatsorganisation in föderative Strukturen als Voraussetzung für eine Vereinigung Deutschlands zu schaffen und die Angleichung der zu bildenden Länder an die föderative Bund-Länder-Struktur zu gewährleisten.381 Insgesamt aber verfügte Preiß im Vergleich zu den gewachsenen Ministerien über einen minimalen Apparat. Dennoch war seine Arbeit nachhaltig und prägend.382 Parallel zur Bildung des Ministeriums konstituierte sich ein Volkskammerausschuss „Verfassung und Verwaltungsreform“,383 der vom CDU-Abgeordneten Roland Becker geleitet wurde. Beckers Stellvertreterin wurde Brigitta Charlotte Kögler (DA), Sekretär Thomas Ulbrich.384 Nach dem Koalitionsvertrag vom 12. April sollte die Abgrenzung zwischen Länderrecht und Bundesrecht dem Grundgesetz angeglichen und angemessene Verbundstrukturen zwischen den neuen Ländern geschaffen werden. Angesichts der Befürwortung einer Fünf-Länder-Lösung durch DDR-Parteien wie Bundesregierung und -länder war es kaum verwunderlich, dass die Koalitionäre vereinbarten, die Länder „möglichst in Anlehnung an die bis 1952 geltende Struktur einschließlich der Neuorganisation der Landkreise“ zu bilden. Die Länderstrukturen sollten zwar „in enger Abstimmung mit der Bevölkerung“, aber unter Berücksichtigung ökonomischer Aspekte und verwaltungsrechtlicher Erfordernisse gebildet werden. Von einem Plebiszit über Form und Anzahl der Länder war keine Rede mehr. Mit der Koalitionsvereinbarung war die Wiedererrichtung von fünf Ländern im Grunde entschieden.385 Zwar gab es auch im Kabinett Bedenken, so wandte sich Hans Joachim Meyer gegen das „Kunstland Sachsen-Anhalt“386, und de Maizière gab ihm sogar Recht, beugte sich aber selbst auch dem öffentlichen Druck. Der kam freilich weniger aus Sachsen, hier geriet die Koalitionsvereinbarung vielmehr sofort ins Kreuzfeuer der Kritik. Einen Tag zuvor hatte die von der Gruppe der 20 dominierte Arbeitsgruppe Recht der Dresdner Stadtverordnetenversammlung gegenüber der Volkskammer nochmals dafür plädiert, die Bevölkerung mittels Plebiszit über die Form 380 BMI, Abt. O: Betr. Antrittsbesuch des Ministers für regionale und kommunale Angelegenheiten der DDR, Manfred Preiß, am 27. 4.1990 im BMI, Teil 2: MRKA, Struktur und Aufgaben (BArch, B 106, 301132, VI1–110851/0, Band 2). 381 Manfred Preiß an Klaus Reichenbach vom 30. 8.1990 (BArch B, DO 5, 12). 382 Interview Thomas de Maizière. 383 Volkskammer der DDR, 10. WP: Termine für die Konstituierung der Ausschüsse der Volkskammer vom 23. 4.1990 (ACDP, VII-012, 6135). 384 Volkskammer der DDR, 10. WP: Liste der Namen der Vorsitzenden, Stellvertreter und Sekretäre aller Ausschüsse (ebd.). 385 Grundsätze der Koalitionsvereinbarung zwischen den Fraktionen von CDU, DSU, DA, der Liberalen (DFP, BFD, F.D.P.) und der SPD vom 12. 4.1990 (AdSD, SPD-LV Sachsen, 52). 386 Interview Hans Joachim Meyer am 3. 3. 2003.

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der Einführung der Länder entscheiden zu lassen.387 Das Präsidium des Bezirkstages Leipzig merkte kritisch an, fünf Länder würden einen enormen Verwaltungsaufwand erfordern und für viele Gemeinden die Zugehörigkeitsfrage aufwerfen. Nicht umsonst hätten führende Wissenschaftler das Modell einer Bildung des Landes Sachsen aus den Bezirken Dresden, Karl-Marx-Stadt, Leipzig und Halle favorisiert.388 Ein erweitertes Sachsen mit den Bezirken Cottbus und Halle hätte das gesamte industrielle Ballungsgebiet Halle-Leipzig-Dessau umfasst; die größte Stadt in dieser Region, die Messemetropole Leipzig, wäre in eine zentrale Lage mit günstiger Verkehrsanbindung gekommen. Am 6. April hatte der Rat des Bezirkes ein Informationsmaterial des Instituts für Geographie und Geoökologie der Akademie der Wissenschaften der DDR zur Stellung Leipzigs als möglicher Hauptstadt Sachsens ausgewertet und daraufhin den für die Länderbildung zuständigen 1. Stellvertreter des Vorsitzenden, Hartmut Reitmann, beauftragt, dafür zu sorgen, dass die Ansichten der Akademie auch im Bezirk Halle Beachtung finden. Das Informationsmaterial war zuvor schon den Abgeordneten des Bezirkstages übergeben worden,389 und auch das Leipziger Neue Forum hatte über die Zugehörigkeit von Halle zu Sachsen debattiert.390 Es war klar, dass man in Leipzig auch deshalb an einer solchen Lösung interessiert war, weil so die Chance stieg, die Messemetropole erstmals in der Geschichte Sachsens zur Landeshauptstadt zu küren; eine Idee, die auch in der CDU-Bezirksstelle Anhänger hatte, die aber im Grunde dem Leipziger Selbstbewusstsein widersprach.391 Die Tatsache, dass Sachsen-Anhalt aus Sicht von Wissenschaftlern und ambitionierten Verfechtern einer Vier-Länder-Lösung zur Disposition stand, hing auch damit zusammen, dass es an Mittelelbe, unterer Saale und im Harz nur zögerlich zu einer Willensbildung zugunsten einer Wiedererrichtung Sachsen-Anhalts gekommen war. Bei den Bürgern herrschten Unsicherheit und Unkenntnis. Selbst die Landesfarben gelb-schwarz und das Wappen waren weitgehend unbekannt. So war es „mehr folgerichtig als verwunderlich“, dass die ersten Vorschläge zur föderalen Neugliederung zunächst und in den meist diskutierten Varianten davon ausgingen, das Territorium auf andere Länder aufzuteilen.392 Sachsen-Anhalt galt als Land ohne historisch stabile Kernregion, das im Norden, wie etwa in der Altmark, nach Brandenburg, im Süden hingegen nach Sachsen tendierte. Die Ursachen lagen in der Geschichte der Regionen begründet. Bei der Bildung der preußischen Provinz Sachsen nach dem Wiener Kongress waren altbrandenburgische Gebiete wie die Altmark um Sten387 AG Recht bei der Dresdner Stadtverordnetenversammlung an die Volkskammer vom 11. 4.1990. Anlage: Überlegungen zur Wiederherstellung der Länder in der DDR (BArch B, DO 5, 147). 388 Vgl. Die Union, Ausgabe Leipzig, vom 12./13. 4.1990. 389 Beschlussprotokoll der Sitzung des RdB Leipzig vom 6. 4.1990 (SächsStAL, BT/RdB, 21310). 390 neues forum INFO. Informationsblatt Nr. 3/90 vom 30. 4.1990. Neues Forum Leipzig (ABL, H XIX). 391 Interview Volker Schimpff am 19. 6. 2003. 392 Tullner, Geschichte des Landes Sachsen-Anhalt, S. 175.

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dal und Salzwedel mit den seit 1648/80 hinzuerworbenen geistlichen Fürstentümern Magdeburg und Halberstadt und den 1815 von Preußen annektierten kursächsischen Gebieten vereinigt worden. Die sowjetische Besatzungsmacht hatte 1945 den Regierungsbezirk Erfurt davon abgetrennt und ihn dem Land Thüringen zugewiesen, andererseits aber das Land Anhalt in die Provinz Sachsen integriert. In Teilen der Öffentlichkeit und in der wissenschaftlichen Diskussion galt die Existenz Sachsen-Anhalts wegen seiner kurzen Geschichte als wenig zwingend. Sachsen-Anhalt, so auch Blaschke, sollte aufgelöst werden, da es ein „absolut künstliches Gebilde ohne räumliche Geschlossenheit und ohne geschichtliche Tradition“ sei.393 Gegen solche Auffassungen wurde freilich zu Recht geltend gemacht, dass die meisten westlichen Bundesländer ebenfalls über keine längere Geschichtstradition verfügten.394 So wurden frühzeitig auch Stimmen für die Wiederherstellung Sachsen-Anhalts laut. Schon am 10. Februar war der Direktor des Stadtarchivs Halle in einem Gutachten für den Runden Tisch und den Rat der Stadt Halle zum Ergebnis gekommen, dass eine gesetzliche Auflösung des Landes Sachsen-Anhalt nie erfolgt sei. Es müsse daher nur der alte Zustand wieder hergestellt werden.395 Am 9. März sprach sich eine Vorbereitungsrunde aus den Moderatoren der Runden Tische der Bezirke Magdeburg und Halle sowie Regierungsvertretern und Bezirkstagsabgeordneten erstmals deutlich für die Wiederherstellung Sachsen-Anhalts aus. Es sollte ein gemeinsamer Runder Tisch geschaffen und die ehemals sachsen-anhaltinischen Landkreise Delitzsch, Eilenburg und Torgau im Bezirk Leipzig, sowie Bad Liebenwerda, Herzberg und Jessen im Bezirk Cottbus nach ihrer Bereitschaft zur Wiedereingliederung nach Sachsen-Anhalt gefragt werden.396 Auch wenn die Geographen der Humboldt-Universität, Konrad Scherf und Lutz Zaumseil, daraufhin im PDS-Blatt „Neues Deutschland“ nochmals für eine Aufteilung auf Sachsen und Brandenburg plädierten,397 trat Ende März ein gemeinsamer Runder Tisch zusammen und initiierte eine Kommission zur Vorbereitung der Neubildung des Landes.398 In einigen der Kreise, die von den Befürwortern einer Neubildung Sachsen-Anhalts aufgefordert worden waren, sich dem Land wieder anzuschließen, sah man entsprechende Avancen freilich mit gemischten Gefühlen. Während die Bevölkerung in Herzberg und Jessen mehrheitlich nach Sachsen-Anhalt statt nach Brandenburg tendierte, gab es in den Kreisen De393 Blaschke, Das Werden der neuen Bundesländer, S. 134. Auch nach Meinung Greulichs wäre ein Verzicht auf Sachsen-Anhalt machbar und realistisch gewesen. Vgl. Greulich, Länderneugliederung, S. 151. 394 Vgl. Tullner, Geschichte des Landes Sachsen-Anhalt, S. 9. Den Vorwurf, Sachsen-Anhalt sei ein künstliches Produkt, weist der Magdeburger Historiker Matthias Springer zurück und verweist auf eine lange historische Kontinuität. Vgl. Springer, Die mittelalterlichen Grundlagen Sachsen-Anhalts, S. 26–35. Eine genuine Landestradition des ohne Zweifel an historischen Ereignissen und Orten reichen Territoriums kann freilich auch er nicht erbringen. 395 Vgl. „Sachsen-Anhalt nie aufgelöst.“ In: FAZ vom 10. 2.1990. 396 Vgl. FAZ vom 10. 3.1990; Hajna, Länder, Bezirke, Länder, S. 205. 397 Vgl. ND vom 10./11. 3.1990. 398 Vgl. ND vom 29. 3.1990.

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litzsch, Torgau, Eilenburg im Bezirk Leipzig und Bad Liebenwerda im Bezirk Cottbus, wo Sachsen und Sachsen-Anhalt zur Auswahl standen, deutliche Präferenzen für Sachsen. Im Kreis Delitzsch (40 Gemeinden, 54 698 Einwohner),399 obwohl seit 1815 der preußischen Provinz Sachsen und nach dem Zweiten Weltkrieg dem Land Sachsen-Anhalt zugehörig, ließen Bevölkerung und Kreistag daran keinen Zweifel. Bei einer Kreistagsabstimmung Mitte Mai gab es nur zwei Stimmen gegen eine Zugehörigkeit zu Sachsen.400 Der Rat des Bezirkes Leipzig konstatierte frühzeitig entsprechende „starke Bestrebungen“, die auch von vielen Parteien sowie politischen Gruppierungen des Runden Tisches unterstützt und durch Unterschriftensammlungen untermauert würden.401 Das Institut für Denkmalpflege Dresden bezeichnete Ende Mai eine Zugehörigkeit des Kreises zum Land Sachsen als sinnvoll,402 und auch der SPD-Kreisverband Delitzsch sprach sich Ende Juni für eine Zugehörigkeit des Kreises zu Sachsen aus.403 Eine wesentliche Rolle bei der Motivierung der Bevölkerung spielten Heimatinitiativen sowie die regionale und lokale Presse. So berichtete die „Leipziger Volkszeitung“ vom 24. März bis zum 10. April regelmäßig über die Territorialgeschichte des Kreises. Ähnlich eindeutig waren die Ergebnisse im Kreis Torgau (40 Gemeinden, 55 278 Einwohner).404 Hier sprachen sich bei einem öffentlichen Presseforum über die künftige Zugehörigkeit des Kreises bereits am 28. Februar zirka achtzig Prozent aller Beiträge für Sachsen aus. Vorangegangen waren umfangreiche öffentliche Diskussionen, die unter anderem vom „Kulturbund“ und der „Gesellschaft für Heimatkunde Torgau“ getragen wurden.405 Wie im Fall von Delitzsch und Eilenburg bezeichnete auch das Institut für Denkmalpflege Dresden die Zugehörigkeit des Kreises Torgau zum Land Sachsen als sinnvoll. Torgau sei als bedeutende Residenzstadt eng mit der Geschichte Sachsens verbunden gewesen.406 Der Rat des Bezirkes Leipzig konstatierte Anfang April im Kreis „viele Stimmen, die davon ausgehen, dass die gegenwärtige Verwaltungsstruktur sich über 40 Jahre bewährt“ habe. Es gebe „starke Bestrebungen“, den Kreis an das Land Sachsen anzugliedern. Das Anliegen werde auch hier von vielen Parteien und politischen Gruppierungen des Runden Tisches des Kreises unterstützt und 399 Statistisches Amt der DDR an den Staatssekretär im Ministerrat, Manfred Preiß, vom 3. 4.1990, Anlage 1 (BArch B, DO 5, 137). 400 Vgl. LVZ, Ausgabe Delitzsch, vom 17./18. 3.1990. 401 Information des RdB Leipzig über den Stand der Länderbildung und der Verwaltungsreform am 6. 4.1990 (SächsStAL, BT/RdB 21309, Bl. 1–4). 402 Diskussionsbeitrag des Instituts für Denkmalpflege Dresden zu einem künftigen Land Sachsen aus kulturgeographischer und kulturhistorischer Sicht vom 20. 3.1990 (BArch DO 5, 145,4). 403 Vgl. LVZ, Ausgabe Delitzsch, vom 26. 6.1990. 404 Statistisches Amt der DDR an den Staatssekretär im Ministerrat, Manfred Preiß, vom 3. 4.1990, Anlage 1 (BArch B, DO 5, 137). 405 Kreisvorstand des Kulturbundes Torgau an Peter Moreth vom 5. 3.1990 (ebd., 144). 406 Diskussionsbeitrag des Instituts für Denkmalpflege Dresden zu einem künftigen Land Sachsen aus kulturgeographischer und kulturhistorischer Sicht vom 20. 3.1990 (ebd., 145,4).

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durch Unterschriftensammlungen untermauert.407 Bereits rund zwei Monate vor der offiziellen Bürgerbefragung informierten Runder Tisch und Rat des Kreises Torgau die Räte der Bezirke Magdeburg und Halle abschlägig darüber, „dass eine kreisweite Befragung der Bevölkerung eindeutig eine bevorzugte Zugehörigkeit zu einem künftigen Land Sachsen“ ergeben habe. Für Sachsen seien über zehntausend, für Sachsen-Anhalt gerade einmal siebenhundert Unterschriften gesammelt worden. Gleichlautende Befragungen des „Kulturbundes“ hätten ebenfalls eine überzeugende Stimmenabgabe zugunsten Sachsens ergeben.408 Auch im Kreis Eilenburg (30 Gemeinden, 51160 Einwohner)409 zeichnete sich frühzeitig eine Mehrheit zugunsten Sachsens ab. Der Eilenburger Runde Tisch diskutierte am 8. März den Vorschlag der CDU, einen Volksentscheid über die künftige Länderzugehörigkeit vorzubereiten.410 Im Rat des Bezirkes Leipzig konstatierte man allerdings Anfang April zunächst, im Kreis gebe es sehr unterschiedliche Auffassungen über die künftige Zugehörigkeit des Kreises, die territorial bedingt seien; so bestünden im Raum Bad Düben Tendenzen zur Angliederung an das Land Sachsen-Anhalt, in der Stadt Eilenburg überwiege dagegen das Zugehörigkeitsgefühl zu Sachsen. Im gesamten Kreis gebe es – später bestätigte – Befürchtungen vor einer Auflösung des Kreises und seiner Angliederung an die Kreise Torgau und Delitzsch. In der Stadtverordnetenversammlung der Kreisstadt wurde deshalb am 21. März ein Mehrheitsbeschluss für die Erhaltung des Kreises Eilenburg und seiner Kreisstadt gefasst.411 Eine vorherige Unterschriftensammlung durch „Befragung mittels Postkarte“ des Runden Tisches ergab bei 14 500 Antworten eine Entscheidung für Sachsen von etwa neunzig Prozent. Beim Kreis Bad Liebenwerda handelt es sich um Teile des 1423 an die Markgrafschaft Meißen gefallenen Herzogtums Sachsen-Wittenberg, das als Kurkreis der Markgrafschaft den Namen „Sachsen“ verlieh. Dieses Territorium musste 1815 an Preußen abgetreten werden und bildete bis zum Zweiten Weltkrieg den östlichsten Kreis der preußischen Provinz Sachsen. Von der Auflösung Preußens 1947 bis zum Ende der Länder 1952 gehörte Liebenwerda zum Land Sachsen-Anhalt. Dorthin hätte der Kreis 1990 zurückkehren können, doch gab es neben historischen auch wirtschaftliche und zentralortbezogene Gründe, die für Sachsen sprachen. Hier wurde wegen der Verbindung mit Baden-Württemberg und Bayern ein schnellerer wirtschaftlicher Aufschwung erwartet, zudem arbeiteten viele Bürger in Betrieben des künftigen Freistaates.412 Der Weg nach 407 Information des RdB Leipzig über den Stand der Länderbildung und der Verwaltungsreform am 6. 4.1990 (SächsStAL, BT/RdB 21309, Bl. 1–4). 408 Runder Tisch und RdK Torgau an RdB Magdeburg und Halle sowie Dessau vom 2. 5.1990 (LA Merseburg, Rep. BT/RdB 21129/7). 409 Statistisches Amt der DDR an den Staatssekretär im Ministerrat, Manfred Preiß, vom 3. 4.1990, Anlage 1 (BArch B, DO 5, 137). 410 LVZ, Ausgabe Eilenburg, vom 10./11. 3.1990. 411 Information des RdB Leipzig über den Stand der Länderbildung und der Verwaltungsreform am 6. 4.1990 (SächsStAL, BT/RdB 21309, Bl. 1–4). 412 Bürgerbefragung im Kreis Bad Liebenwerda zur Länderbildung vom 9. 7.1990 (BArch B, DO 5, 138).

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Dresden beträgt zirka sechzig Kilometer, nach Potsdam das Doppelte. So gab es in der Bevölkerung frühzeitig starke Bestrebungen, nach Sachsen zurückzukehren, dem man zuletzt vor rund 175 Jahren angehört hatte. Im ersten Halbjahr 1990 bildete sich eine Vielzahl entsprechender Bürgerinitiativen.413 Bei einer inoffiziellen Befragung im Kreis votierten im April 94 Prozent für Sachsen, 3,8 Prozent für Sachsen-Anhalt und 2,2 Prozent für Brandenburg.414 Trotz der bereits vor der Regierungserklärung signalisierten Entscheidung für fünf Länder und trotz der Aktivitäten in Richtung einer Bildung Sachsen-Anhalts blieb die Regierungskommission zunächst bei ihrer Empfehlung, dessen Territorium zugunsten einer Vier-Länder-Lösung aufzuteilen. Sie schlug vor, in Kreisen, die vollständig bzw. überwiegend bis 1952 anderen Ländern als denen der Volkskammer auf der Grundlage der Bezirksterritorien zur Beschlussfassung vorgeschlagenen zugeordnet waren, Bürgerentscheide über die Länderzugehörigkeit durchzuführen. Leipzig, Dresden, Karl-Marx-Stadt und Halle sollten zu Sachsen und Cottbus zu Brandenburg kommen, da bei dieser Variante der Ländergliederung die Anzahl der Problemgebiete, in denen möglicherweise Bürgerentscheide durchzuführen wären, relativ gering sei. Da der Regierungskommission klar war, dass die politischen Kräfte und staatlichen Organe der Bezirke Halle und Magdeburg einschließlich des Runden Tisches Sachsen-Anhalts die Wiederherstellung des Landes forcierten, schlug sie vor, hier Anfang Juni Bürgerentscheide über die Bildung Sachsen-Anhalts bzw. die Zuordnung beider Bezirke zu den künftigen Ländern Brandenburg und Sachsen durchzuführen.415 Angesichts der Diskrepanz zwischen ihren Vorschlägen und der bereits erkennbaren Regierungsentscheidung, fünf Länder zu bilden, änderte die Regierungskommission am 17. April überraschend ihre Haltung.416 Ihre Mitglieder vollzogen unter dem Druck der Regierung einen Schwenk und unterstützte nun plötzlich, obwohl sie stets andere Lösungen favorisiert hatten, die Bildung von fünf Ländern durch die Zusammenlegung von Bezirken als schnellstmögliche Variante zur Einführung der Länderstruktur. Damit verbundene Abweichungen gegenüber der Ländergliederung von 1952 sollten durch Bürgerentscheide in den Problemgebieten geklärt werden.417 Die plötzliche Unterstützung der Regierungsentscheidung entsprach taktischem Kalkül und schwächte die Bedenken 413 Vorlage: Ergänzung des Beschlusses des Ministerrates der DDR 10/21/90 vom 6. 6. 1990: Verfahrensregelung zur Vorbereitung und Durchführung von Bürgerbefragungen in Kreisen vom 16. 7.1990 (ebd.). 414 Allianz für Sachsen/Sachsenbund: Sachsen helft uns! Aufruf (MAO, unsortiertes Material). 415 Regierungskommission für die Vorbereitung und Durchführung der Verwaltungsreform. AG Administrativ-territoriale Gliederung: Vorlage (für den Ministerrat) zur Länderbildung in der DDR vom April 1990, Anlage 1: Vorschlag eines ersten Entwurfes eines Gesetzes über die Einführung von Ländern in der DDR (Ländereinführungsgesetz) (HAIT, KA, VII.1) (ThStAR, BT/RdB, 32695). 416 Zur Sitzung der Regierungskommission Verwaltungsreform am 17. 4.1990 (BArch B, DO 5, 164). Vgl. Manfred Preiß an alle Vorsitzenden der RdB, den OB von Berlin und die Professoren Heidrun Pohl, Konrad Scherf und Siegfried Grundmann, o. D. (ebd., 11). 417 Begründung zur Vorlage Länderbildung, 1. Entwurf, o. D., S. 11 (ebd., 137).

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nicht ab. Preiß sah sich einer Phalanx aus Verfechtern Sachsen-Anhalts gegenüber, die er – selbst Magdeburger – nicht unbeschadet ignorieren konnte. So sprach sich Siegfried Grünwald, Vorsitzender des Rates des Bezirkes Magdeburg, am Tag der Regierungserklärung de Maizières unter dem Beifall der Abgeordneten des Bezirkstages für die Bildung Sachsen-Anhalts und gegen die Vier-Länder-Variante aus.418 Beim Engagement der Staatsfunktionäre ging es erkennbar auch um institutionelle Interessen sowie die Aussicht auf Posten und politische Ämter, von denen es bei einer Aufteilung Sachsen-Anhalts weniger gegeben hätte. Wie stark das Bestreben war, Sachsen-Anhalt in seinen früheren Grenzen wiederzuerrichten, wurde an der Bereitschaft verschiedener Politiker deutlich, sich dafür sogar über den erklärten Mehrheitswillen der Bevölkerung einiger Kreise zugunsten Sachsens hinwegzusetzen. So schlug der Rat des Bezirkes Halle trotz bekannter abweichender Mehrheitsmeinung vor, „die gegenwärtig zu den Bezirken Leipzig und Cottbus gehörenden Kreise Delitzsch, Eilenburg, Torgau, Jessen, Bad Liebenwerda und Herzberg wieder in das Land Sachsen-Anhalt einzugliedern“.419 Ähnlich argumentierte auch der Vorstand des bereits gebildeten Landesverbandes Sachsen-Anhalt der FDP.420 Nachdem nun auch die Mitglieder der Regierungskommission auf die FünfLänder-Lösung eingeschworen worden waren, begann deren öffentliche Propagierung. Innenminister Peter-Michael Diestel erklärte, man könne nicht anders, als sich an den Ländergrenzen von 1952 zu orientieren, und Preiß machte klar, dass es von nun an einen verbindlichen Fahrplan für die Bildung von fünf Ländern gebe.421 In Sachsen unterstützte der Dresdner Ratsvorsitzende Kunze noch vor der Regierungserklärung die für Sachsen nachteiligste Bildung des Landes auf Grundlage der Bezirke Dresden, Karl-Marx-Stadt und Leipzig als praktikabelsten Weg.422 In seiner Regierungserklärung kündigte Lothar de Maiziere die Bildung von fünf Ländern am 19. April schließlich offiziell an.423 Die Länderstruktur sei eine Grundbedingung für die deutsche Einheit, für Demokratie und eine erfolgreiche Umstrukturierung der Wirtschaft. Der diktatorische Zentralismus als „Erbkrankheit des Sozialismus“ werde damit überwunden. Nach dem Willen seiner Regierung werde es 1991 wieder Länder geben, die Wahlen dazu sollten im Spätherbst 1990 stattfinden. Zur Schaffung einer föderativen Republik seien verschiedene Schritte vorgesehen, so die Einführung von Länderstrukturen, die den westdeutschen vergleichbar seien und eine spätere Anpassung ermög418 Vgl. ND vom 19. 4.1990. 419 RdB Halle: Vorschlag zur künftigen Struktur des Landes Sachsen-Anhalt und seiner Landeshauptstadt (LA Merseburg, Rep. RdB/BT, 21129/8). 420 F.D.P.-LV Sachsen-Anhalt an Manfred Preiß vom 24. 4.1990 (BArch B, DO 5, 147). 421 Vgl. Sächsische Zeitung vom 19. 4.1990; Die Welt vom 20. 4.1990. 422 Interview mit dem Vorsitzenden des RdB Dresden, Michael Kunze, am 18. 4.1990 (Dok. 51). Bericht von Michael Kunze zur 19. Tagung des BT Dresden am 26. 4.1990 (SächsHStA, BT/RdB, 47121, Bl. 241). 423 Regierungserklärung von Ministerpräsident Lothar de Maizière am 19. 4.1990 vor der Volkskammer der DDR. In: Broschüre des Amtes des Ministerpräsidenten, Berlin 1990.

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lichten, der Erlass von Landesverfassungen, die Einrichtung einer Länderkammer und parlamentarischer Regierungssysteme in den Ländern, eine Neuverteilung der Staatsaufgaben zwischen Zentralstaat und Gliedstaaten sowie eine föderative Finanzordnung. Auch seien Wirtschafts- und Steuerreformen im Vorfeld der Länderbildung unerlässlich, da neben historischen und kulturellen Gesichtspunkten die Eigenfinanzierung der Länder unter Beachtung des Finanzausgleichs einen Grundpfeiler des Föderalismus darstelle. De Maizière garantierte den künftigen Ländern das Recht auf Selbstbestimmung bei inneren Angelegenheiten, einschließlich der Wahl der Landeshauptstädte. Vor der Länderbildung müssten allerdings noch einige offene Gebietsfragen gelöst werden. In den Bezirken regte er die Bildung von Regionalausschüssen zur Länderbildung als Partner der Regierung an und äußerte sich zur Zukunft von Räten und Bezirkstagen. Da nach der Volkskammerwahl und den bevorstehenden Kommunalwahlen am 6. Mai allein die Bezirkstage nicht aus freien Wahlen hervorgegangen seien, und deren Zusammensetzung nicht den politischen Kräftekonstellationen in den Territorien entsprächen, sollte das Präsidium der Volkskammer ihnen empfehlen, ihre Legislaturperiode nach den Kommunalwahlen zu beenden. Im Interesse der Regierbarkeit des Landes werde man darauf hinwirken, die Räte der Bezirke bis zur Länderbildung als Bindeglieder im Sinne einer Auftragsverwaltung zu erhalten. Die nun offiziellen Charakter tragende Ankündigung, fünf Länder zu bilden, warf die Frage nach der Rolle und Kompetenz von Preiß auf, dessen Vorlagen von der Regierung immer wieder ignoriert worden waren. Nach den Ursachen seines Sinneswandels befragt, machte der Minister, der bislang immer eine VierLänder-Lösung favorisiert hatte, keinen Hehl daraus, dass er der Fünf-LänderLösung nach wie vor skeptisch bis ablehnend gegenüberstehe, weil dadurch „Zwergstaaten“ ohne Wirtschaftskraft entstünden.424 Leider seien aber seine von der Regierungskommission geteilten Auffassungen von der Entwicklung überholt und hinsichtlich der Länderbildung andere Fakten geschaffen worden. So gab letztendlich wohl die Erwartung der Bevölkerung den Ausschlag.425 Am 27. April informierte Preiß Schäuble persönlich darüber, dass „aus rein praktischen Gründen und gerade, um Verzögerungen zu vermeiden“ die Bildung von fünf Ländern auf Grundlage der Bezirksstruktur vorgesehen sei, da „nur so eine schnell funktionierende Länderstaatlichkeit gesichert werden“ könne. Die Korrekturen der Grenzen sollten in einem „Bürgerentscheid“ geregelt werden. „Minister Preiß“, so hieß es in einer Notiz über das Treffen, „vermittelte den Eindruck, dass die DDR-Regierung der Länderbildung auch deshalb höchste Priorität einräumt, weil sie befürchten muss, dass ihr bei zögerlicher Behandlung dieses Themas die Initiative durch die zahlreichen von Ungeduld getragenen Bürgerinitiativen zur Bildung von Länderstrukturen aus der Hand genommen werden und der Prozess dann ungesteuert verlaufen könnte; dies würde 424 Zit. in Lapp, Die DDR geht, S. 31. 425 Interview Thomas de Maizière.

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der Sache selbst abträglich sein und zwangsläufig zu zeitlichen Verzögerungen führen.“426 „Es war einfach so“, so Reichenbach, „dass die Leute ihre alten Länder wieder haben wollten. Es ging fast keine andere Lösung.“427 In der Tat wünschten laut Infas 55 Prozent der DDR-Bewohner die fünf Länder in ihren alten Grenzen zurück, nur 17 Prozent votierten für eine Neueinteilung.428 Die Regierung hatte zahlreiche Zuschriften erhalten, in denen eine Länderbildung auf Grundlage der bis 1952 bestehenden Ländergliederung gefordert worden war, in weiteren Zuschriften hatten Bürger für eine Länderbildung durch Zusammenlegung der vorhandenen Bezirke ohne Grenzkorrekturen plädiert.429 Überall tauchten im Frühjahr 1990 Farben und Symbole der 1952 von der Landkarte verschwundenen Länder auf. Ortstafeln und Schilder wiesen auf frühere Landeszugehörigkeiten und ehemalige Landeshauptstädte hin. Auch die bereits flächendeckende Bildung sächsischer Landesverbände von Parteien, Organisationen und Verbänden ließ kaum einen Zweifel daran, dass die Bevölkerung auf das Alte, Vertraute und scheinbar Bewährte zurückgriff.430 Angesichts der in fast allen Lebensbereichen vor sich gehenden tiefgreifenden Veränderungen sahen die Menschen in den früheren Ländern stabilisierende Komponenten. Die Rückbesinnung darauf war in Verbindung mit einer Renaissance überkommener Werte, Sitten und Gebräuche eine Reaktion auf den Zentralismus der SED-Diktatur, die lokalen und regionalen Eigensinn weitgehend ignoriert oder unterdrückt hatte. Der neuerwachte Heimatstolz und die Forderung nach der Errichtung der früheren Länder dienten auch als Ventile für in der Umbruchsituation aufkeimende Ängste. Mit dem Bezugsrahmen relativ kleiner und überschaubarer Regionen erhoffte man sich einen gewissen Schutz vor den bevorstehenden Neuerungen und dem Einfluss des „großen Bruders“ im Westen, der – wenn auch selbst gerufen – Altgewohntes mehr und mehr verdrängte. Eine an rationalen Kriterien orientierte Diskussion territorialer Neugliederungsmodelle war in dieser Situation kaum zu führen.431 Weitergehende Erwägungen, die auf überörtlichen historischen, geographischen, verfassungsrechtlichen oder wirtschaftlichen Kenntnissen beruhten, gab es nach vierzig Jahren ideologischer Bildungspolitik selbst bei interessierten Bevölkerungsgruppen kaum 426 BMI, VI1, Einführung von Länderstrukturen in der DDR vom 30. 4.1990 (BArch, B 106, 301132, VI1–110851/0, Band 3). 427 Interview Klaus Reichenbach. 428 Weiteren 19 Prozent war dies egal, neun Prozent machten keine Angaben. Vgl. dfs vom 18. 7.1990, 21.50 Uhr Brennpunkt. In: Deutschland 1990, Band 7, Bl. 4613. 429 Statistisches Amt der DDR an Manfred Preiß vom 3. 4.1990. Anlage: Mögliche Problemgebiete bei der Neubildung von Ländern durch Zusammenlegung der entsprechenden Bezirke. Zusammenfassung vorliegender Hinweise, Vorschläge und Forderungen an die Regierungskommission Verwaltungsreform (BArch B, DO 5, 137). Insgesamt gingen dem Ministerium für regionale und kommunale Angelegenheiten sowie dem Volkskammerausschuss für Verfassung und Verwaltungsreform über zweitausend Vorschläge zur Länderbildung zu. Vgl. Volkskammer der DDR, 10. Wahlperiode, 27. Tagung am 22. 7. 1990, S. 1210 (Volker Schemmel, SPD). 430 Zur Bildung sächsischer Landesverbände siehe Kap. 3.1.5 in diesem Band. 431 Vgl. Kaufmann, Bundesstaat, S. 78.

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noch. Preiß erklärte daher immer wieder, man könne die Emotionen der Bevölkerung nicht einfach übergehen, auch wenn das Fünf-Länder-Modell nicht das vernünftigste sei. Auch die bereits gebildeten Landesverbände wolle die Regierung, „um viel Ärger zu vermeiden“, nicht wieder zerschlagen. Man müsse zunächst fünf Länder bilden, „um die Vorarbeit, die dazu geleistet wurde, zu nutzen und vor allem Ruhe und Stabilität herzustellen“. Man werde aber das Ländereinführungsgesetz so gestalten, dass Möglichkeiten einer gesamtdeutschen Gebietsreform offen blieben, so dass später „sicherlich das eine oder andere Land wieder verschwinden“ werde. Er verwies in diesem Zusammenhang auf bundesdeutsche Pläne zur Länderneugliederung in der Zeit nach der Wiedervereinigung.432 Mit der Entscheidung für fünf Länder vermied es die Regierung angesichts der rasanten Entwicklung in Richtung deutsche Einheit auch, sich auf eine ausufernde Diskussion über die Neubildung von Ländern einzulassen, die bereits über die Empfehlungen zur Bildung von drei, vier oder fünf Ländern hinausging. So gab es auch Vorschläge, aus der Oberlausitz, aus Vorpommern oder Niederschlesien eigene Ländern zu bilden433 und Leipzig mit oder ohne Umfeld zur „freien Messestadt“ zu erklären.434 Heinz Wilke aus Hannover schlug einen „Grenzstaat Brandenburg“ von Rügen bis Zittau und die Länder Mecklenburg, Sachsen-Altmark, Sachsen-Anhalt und Thüringen vor. Die Bezirke Halle und Leipzig sollten in einem Bundesland liegen.435 Ebenso gab es Vorschläge, von Deutschland unabhängige Länder zu bilden, wie sie die Bayernpartei für Bayern anstrebt. So setzte sich ein Dresdner bei Blaschke für die Bildung eines „souveränen, blockfreien, neutralen Staates Sachsen“ ein.436 Die Regierung hatte für derartige Glasperlenspiele keine Muße. Ihr stand sehr wenig Zeit zur Verfügung, die komplexen Vorgänge der Wiedervereinigung zu bewerkstelligen. Immer wieder wurde ihr deswegen vorgeworfen, zentralistisch und dirigistisch zu agieren. Nach dem Widerspruch zwischen dem Anspruch auf Demokratie und der „Notwendigkeit, ein totalitäres System unter Zeitdruck auch mit dirigistischen Methoden zu beseitigen“, erklärte de Maizière, man könne „den Teufel des Zentralismus nicht mit dem Belzebub des Dirigismus austreiben“. Immerhin liege eine wesentliche Konsequenz des vergangenen Herbstes in der Schaffung freier Betätigungsräume für den einzelnen Menschen. Das ändere aber nichts an den politischen und zeitlichen Zwängen, unter denen seine Regierung die deutsche Einheit vorantreiben müsse.437

432 Interview Manfred Preiß. In: Mitteldeutsche Zeitung vom 21. 4.1990; ders. bei Lapp, Die DDR geht, S. 31. 433 Vgl. Laufer/Münch, Die Neugestaltung, S. 220. 434 Vgl. Die Welt vom 23.12.1989; Protokoll über die Beratung des RTB Leipzig am 1. 3. 1990 (SächsStAL, BT/RdB, 31258). 435 Heinz Wilke an Manfred Preiß vom 18. 6.1990 (BArch B, DO 5, 7). 436 Blaschke, Das Werden der neuen Bundesländer, S. 133. 437 Interview Lothar de Maizière. In: Die Union vom 3. 9.1990.

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4.2.3 Auseinandersetzungen über Zeitpunkt und Modalitäten der Länderbildung CDU-Generalsekretär Martin Kirchner schlug Anfang Mai vor, die Landtagswahl auf den 2. Dezember, den Tag der Bundestagswahl zu legen.438 Mitte Mai erklärte auch der Staatssekretär im DDR-Innenministerium, Eberhard Stief, am 2. Dezember sollten die Landesparlamente gewählt werden. Damit solle auch zum Ausdruck gebracht werden, dass sich die DDR im Vereinigungsprozess der föderalen Struktur der Bundesrepublik anpasse.439 Der thüringische CDU-Landesverband drängte hingegen Ende Mai mit der Begründung auf ein Vorziehen der Landtagswahlen vom 2. Dezember auf September 1990, die Auflösung der Bezirke habe zu einem Vakuum in der Verwaltung geführt, dessen Beseitigung keinen Aufschub dulde.440 Dieser Vorschlag wurde vom CDU-Hauptvorstand aufgegriffen, der Ende Mai erklärte, durch die Beendigung der Arbeit der Räte sei ein Machtvakuum entstanden, das die Regierungsbeauftragten nur bedingt und befristet ausfüllen könnten, da ihnen keine demokratisch legitimierte Legislative, sondern nur der alte Apparat zur Seite stehe. Außerdem erwarte eine Mehrheit der Bevölkerung gerade von einer CDU-geführten Regierung eine baldige, sichtbare und materielle Länderbildung. Für ein Vorziehen des Termins sprächen auch schwer kalkulierbare Nebenfolgen des Staatsvertrages wie Instabilität, Radikalisierung oder „konträres Wahlverhalten aus Enttäuschung“, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht wirksam wären.441 Die Diskussion über den Zeitpunkt der Wahl hing unmittelbar mit der über die Art der Länderbildung zusammen. So war zwar Ende April entschieden, die früheren Länder in modifizierter Form neu zu bilden, offen blieb jedoch zunächst der Weg dorthin. Es war zu klären, ob deren Bildung als Reföderalisierung des Staatsaufbaus der DDR zu werten sei. Standen die neu zu bildenden Länder in der Nachfolge der Länder von 1952 bzw. waren sie gar mit diesen identisch? Hatte man sie 1952 oder später de jure aufgelöst? Waren die Länder bis 1952 Teil einer föderativen Struktur oder Glieder eines zentralistischen Staates gewesen? Hier gingen die Meinungen weit auseinander. Von einer Fortexistenz der Länder gingen aus nachvollziehbaren Gründen die Anhänger einer Neubildung Sachsen-Anhalts aus. Nach ihrer Meinung hatte es zu keinem Zeitpunkt einen Rechtsakt der Volkskammer gegeben, mit dem die Existenz des Landes aufgehoben worden war. Die Auflösung des Landtages Sachsen-Anhalt am 25. Juli 1952 durch eigenen Beschluss mit der Folge der Bildung provisori438 Berliner Morgenpost vom 4. 5.1990. Kirchners zwanzigjährige Tätigkeit für das MfS als IM „Hesselbarth“ wurde erst im August 1990 bekannt. Vgl. Neubert, Ein politischer Zweikampf, S. 213. 439 Vgl. Sächsisches Tageblatt vom 16. 5.1990; NZZ vom 17. 5.1990. 440 Vgl. Die Welt vom 25. 5.1990. 441 Protokoll der Sitzung des Präsidiums der CDU am 30. 5.1990: Problemskizze zum Pro und Kontra eines früheren oder späteren Termins von Landtagswahlen in der DDR (ACDP, VII-010-3510).

Streit um Modalitäten der Länderbildung

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scher Bezirkstage in Halle und Magdeburg hatte demnach „die Rechtslage des Fortbestandes des Landes Sachsen-Anhalt bis heute“ nicht verändert. Die Verfechter Sachsen-Anhalts waren sich einig, „dass der Umstand des Nichterwähnens der Länder in der neuen Verfassung der DDR von 1968 sowie ihrer Änderung von 1974 im Unterschied zur Verfassung der DDR von 1949, Artikel 109, nicht die Rechtsfolge der Beseitigung der Länder“ hatte. Daher bestand aus ihrer Sicht das Land Sachsen-Anhalt mit der Landeshauptstadt Halle juristisch fort.442 Den Bezirksgremien Halles ging es zugleich auch darum, durch Betonung der Fortexistenz Sachsen-Anhalts den historischen Anspruch der früheren Landeshauptstadt Halle auf den Regierungssitz zu untermauern. Die Auffassung von einer formalen Fortexistenz der Länder wurde aber auch in neutraleren Stellungnahmen geteilt. So verwies Lapp darauf, „dass die Länder de jure mit der Beseitigung der Länderkammer nicht abgeschafft wurden“, denn dazu hätte es einer Verfassungsänderung mit einer 2/3-Mehrheit bedurft, auf die die SED verzichtete.443 Hajna sprach von einer „zu keinem Zeitpunkt auch juristischen Beseitigung der Länder“.444 Entsprechende Bewertungen konnten sich auf den Verfassungsexperten Siegfried Mampel stützen, der bereits 1963, lange vor Verabschiedung einer neuen DDR-Verfassung und noch zu Zeiten der Gültigkeit der 1949-Verfassung, aus der Tatsache, dass sich die DDR nach dem formal weiter gültigen Text der Verfassung auf den deutschen Ländern aufbaue, den Schluss gezogen hatte, die Länder würden de jure weiterbestehen.445 Die Arbeitsgruppe Recht der Gruppe der 20 argumentierte 1990, dass die Länder 1952 „nicht explizit aufgelöst und ihre Verfassungen nie ausdrücklich außer Kraft gesetzt“ worden seien. Dennoch seien diese Verfassungen faktisch unwirksam gewesen, denn ihre Bestimmungen hätten keine Anwendung gefunden. Es sei daher „schwerlich einzusehen, inwiefern Länder weiterbestehen sollen, die keine Organe und offenbar auch keine wirksamen Verfassungen besitzen“.446 Diese Auffassung bestätigte der an der Ausarbeitung einer neuen sächsischen Verfassung beteiligte Tübinger Verfassungsrechtler Hans von Mangoldt, der von einer „de facto-Auflösung der Länder“ sprach, da diese später aus der Rechtsordnung der DDR entfernt worden seien.447 Ungeachtet der Frage der formalen Fortexistenz der Länder urteilte der Verwaltungswissenschaftler Wolfgang Bernet, dass es sich bei der Länderbildung 1990 um eine erstmalige Föderalisierung des Staatsaufbaus der DDR handele, da eine föderale Ordnung trotz des Vorhandenseins von Ländern vor 1952 nicht existiert habe.448 Damit deutete er die früheren Länder als Glieder einer zentralistischen Struktur. 442 Bezirkstag, Runder Tisch, RdB Halle: Grundsätzlicher Standpunkt zum Land SachsenAnhalt und zur Landeshauptstadt Halle (LA Merseburg, Rep. RdB/BT, 21129/8). 443 Lapp, Die DDR geht, S. 18. 444 Vgl. Hajna, Länder, Bezirke, Länder, S. 14. 445 Mampel, Die Entwicklung der Verfassungsordnung, S. 527. 446 Überlegungen der AG Recht der Dresdener Stadtverordnetenversammlung zur Wiedererstehung der Länder in der DDR vom 26. 2.1990 (Dok. 15). 447 Von Mangoldt, Die Verfassung, S. 28. 448 Bernet, Zur landes- und kommunalrechtlichen Entwicklung, S. 33.

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Regierungspolitik zwischen Zentralismus und Föderalismus

Die Diskussion über eine Fortexistenz der früheren Länder überlappte sich mit der Frage, welchen Weg einer Föderalisierung der DDR man angesichts der bevorstehenden Wiedervereinigung gehen sollte. Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Rechtsauffassungen wurden vor allem drei Wege diskutiert, nämlich A) die Verabschiedung einer neuen DDR-Verfassung, B) die Wiederinkraftsetzung der Verfassung von 1949 und C) die Modifizierung der Verfassung von 1968 in der Fassung von 1974. Kaum beachtet wurde hingegen ein vierter Vorschlag von Arnold Vaatz, die Länderverfassungen, die von 1947 bis 1952 galten, wieder in Kraft zu setzen. Vaatz wollte einfach das „Gesetz über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe“ vom Juli 1952 mit der Konsequenz für nichtig erklären, dass die damaligen alten Länderverfassungen automatisch wieder aufleben, wollte nach diesen Verfassungen die Länder abgrenzen und nach diesen Verfassungen wählen lassen. „Mit diesen Abgeordneten, die da gewählt wurden, wollte ich die Verfassungen abschaffen und neue machen.“ Dahinter steckte die Idee, dass dadurch die Länder nicht aus sich heraus, sondern auf Basis des damaligen Besatzungsstatuts zustande gekommen waren. Darin sah Vaatz eine bessere Lösung, weil ost- und westdeutsche Länder dadurch auf gleiche Weise zustande gekommen wären, nämlich auf Grundlage von Besatzungsstatuten. Damit wäre verhindert worden, dass die neuen Bundesländer „erst einmal auf Staatsbeschluss“ entstehen würden. Für ihn war mit dieser Länderbildung durch die Zentralregierung „das konstitutive Moment gewissermaßen gar nicht da, denn die DDR ist beigetreten nach Artikel 23 und wir sind gewissermaßen eine Zersplitterung in Folge der Wiedervereinigung geworden, aber nicht mehr konstitutive, staatsgründende Teile“. Freilich scheiterte Vaatz nicht nur an den Bezirksbehörden, die eine Zergliederung der Bezirke befürchteten, sondern unter anderem auch an Heitmann.449 Von den in Regierung und Volkskammer diskutierten Wegen favorisierte der Zentrale Runde Tisch Variante A). Seine Arbeitsgruppe „Neue Verfassung der DDR“ legte am 4. April einen entsprechenden Entwurf vor, in dem es hieß, die DDR sei ein rechtsstaatlich verfasster demokratischer und sozialer Bundesstaat und bestehe aus den Ländern.450 Angesichts der sich abzeichnenden staatlichen Einheit lehnte die Regierung de Maizière bzw. die sie tragende Mehrheit in der Volkskammer den von Bündnis 90/ Grüne eingebrachten Antrag auf Verabschiedung einer neuen Verfassung jedoch wegen damit verbundener zeitlicher Verzögerungen in den Einigungsverhandlungen ab.451 In Sachsen, wo die Berliner Diskussionen verfolgt wurden, begrüßte Heitmann die Ablehnung durch die Volkskammer. Er fand den Entwurf „in der Gesamtanlage und in einigen Details recht interessant“, hätte es jedoch „völlig für verfehlt gehalten, jetzt Kraft

449 Interview Arnold Vaatz am 9. 6.1999. 450 Text in: Verfassungen in der DDR, S. 15–58. Im einzelnen Thaysen, Zur Verfassungspolitik, S. 303–315. 451 Volkskammer der DDR, 10. WP, 5. Tagung am 26. 4.1990, S. 123–126.

Streit um Modalitäten der Länderbildung

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und Zeit auf eine Diskussion dieses Entwurfes zu verschwenden“.452 De Maizière hatte bereits seit Mitte Februar erklärt, die CDU strebe die Wiedereinsetzung der Verfassung von 1949 an und werde in der Volkskammer beantragen, die derzeitige Verfassung aufzuheben.453 Er begründete den Versuch der Wiederinkraftsetzung der 1949-Verfassung in reformierter Form nun damit, und wurde dabei im Übrigen auch vom CDU-Landesverband Sachsen unterstützt,454 dass hier die Länder verankert gewesen waren und dies ein unkomplizierter Weg sei, diese wieder ins Leben zu rufen.455 Verfassungsexperten wiesen jedoch auf politisch motivierte Gründungsdefizite wie fehlende Gewaltenteilung und Dezentralisierung der Macht sowie ungesicherte Kompetenzen der Länder hin, die „nostalgische Reminiszenzen an die Zeit der Länderexistenz bis 1952 insgesamt eher zurücktreten lassen“ sollten.456 Angesichts der Tatsache, dass die in der 1949-Verfassung erwähnten Länder in der politischen Wirklichkeit Teil eines zentralistisch-diktatorischen Systems gewesen waren, weil Verfassungstext und Verfassungswirklichkeit auseinander klafften, scheiterte de Maizières Versuch, die erste DDR-Verfassung wieder in Geltung zu setzen. Da somit weder eine neue noch eine revidierte 1949-Verfassung Chancen hatten, die Volkskammer zu passieren, strebte de Maizière nun ein „mixtum compositum“ aus beiden an und beauftragte Justizminister Kurt Wünsche (LDP), den Entwurf einer entsprechenden Übergangsverfassung zu erstellen. Dazu konstituierte sich eine Kommission, die am 6. Mai einen Regierungsentwurf vorlegte, der deutlich machte, dass angesichts divergierender Auffassungen der Experten auf die Schnelle kaum ein Konsens zu finden war. Am 30. Mai beriet die Regierung den Verfassungsentwurf aus 1949-Verfassung und Entwurf des Runden Tisches. Staatssekretär Reinhard Nissel vom Justizministerium brachte seine Hoffnung zum Ausdruck, dass diese noch vor der Sommerpause verabschiedet werden könnte.457 Aber nicht nur die DSU-Volkskammerfraktion lehnte im Juni eine neue DDRVerfassung ebenso ab wie eine Neuauflage der Verfassung von 1949 und plädierte für Übergangsbestimmungen in Richtung einer möglichst schnellen Vereinigung.458 Da der Entwurf auch im DA auf wenig Gegenliebe stieß, hatte auch dieses Papier keine Chance, die parlamentarischen Hürden zu nehmen. In der CDU/DA-Fraktion setzte sich die Position der Jenaer Juristin und stellvertretenden Vorsitzenden des Ausschusses für Verfassung und Verwaltung, Brigitta Charlotte Kögler (DA), durch, wonach jede neue DDR-Verfassung den Einigungsprozess eher belaste. Günther Krause überzeugte de Maizière schließlich davon, überhaupt keinen Verfassungsentwurf in der Volkskammer einzubrin452 Steffen Heitmann an Hans-Peter Mengele vom 3. 5.1990 (HAIT, Heitmann, Kontakte nach Baden-Württemberg). 453 Vgl. Die Union vom 16. 2.1990. 454 Festlegungsprotokoll über die am 7. 5.1990 stattgefundene Beratung des Präsidiums des Landesvorstandes der CDU (PB Klaus Reichenbach). 455 Vgl. Lapp, Die DDR geht, S. 32 f.; Thaysen, Zur Verfassungspolitik, S. 315. 456 König/Meßmann, Organisations- und Personalprobleme, S. 77. 457 Vgl. Die Union vom 30. 5.1990. 458 Vgl. ebd. vom 13. 6.1990.

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gen.459 Stattdessen wurde am 17. Juni das „Gesetz zur Änderung und Ergänzung der Verfassung der DDR (Verfassungsgrundsätze)“ beschlossen, mit dem die 1974-Verfassung um zehn Artikel erweitert und die DDR zum freiheitlichdemokratischen, föderativen, sozialen und ökologisch orientierten Rechtsstaat erklärt wurde.460 Dazu wurden Verfassungsgrundsätze für die Übergangszeit bis zur Geltung des Grundgesetzes formuliert. In der Erkenntnis, so die Präambel, dass eine friedliche Revolution stattgefunden habe, und in Erwartung der staatlichen Einheit werde für eine Übergangszeit die DDR-Verfassung um Verfassungsgrundsätze ergänzt. Entgegenstehende Verfassungsgrundsätze besäßen keine Rechtsgültigkeit mehr. Hinsichtlich der de facto noch fehlenden föderativen Ordnung galt dies „nach Maßgabe einer besonderen Ergänzung der Verfassung und noch zu erlassender gesetzlicher Vorschriften“. Zwar war von einer Übergangszeit die Rede, unklar blieb aber weiterhin, wann der föderale Staatsaufbau umgesetzt werden, ob es sich um DDR-Länder oder gleich um Bundesländer handeln und wer den Beitritt erklären würde. Entsprechend hieß es in einer Stellungnahme des Bonner Kabinettsausschusses Deutsche Einheit von Mitte Juni für den Bundesminister des Innern, Schäuble, dass in der DDR-Regierung „noch unklar“ sei, wer den Beitritt nach Artikel 23 des Grundgesetzes erklären solle. Man überlege, ob die Volkskammer den Beitritt für die Länder erklären könne. Nach Auffassung der Bundesregierung könne auch die DDR als Ganzes beitreten. Sofern zum Zeitpunkt des Beitritts noch keine funktionsfähigen Verfassungsorgane in den Ländern der DDR vorhanden wären, könnten Übergangsregelungen getroffen und die Regierungsbeauftragten zu „Vertretern der DDR-Länder im Bundesrat“ bestellt werden.461 Verfassungsrechtler Isensee wies darauf hin, dass einzelne Länder der DDR nicht beitreten könnten, es sei denn, die DDR als Zentralstaat würde sie dazu ermächtigen. Nach internationalem Recht seien Staaten Sezessionsrechte von Gliedverbänden grundsätzlich fremd. Angesichts ihrer Bindung an den Grundlagenvertrag und internationale Vereinbarungen könne auch die Bundesrepublik derartige Beitrittserklärungen nicht akzeptieren.462 In einem anderen Papier des Kabinettsausschusses hieß es unter „Differenzstandpunkt“, die Schaffung der Länder müsse vor dem Beitritt erfolgen, um so den föderativen Charakter der Vereinigung zu dokumentieren. Ein Beitritt ohne vorherige Ländergründung erwecke den „Eindruck überhasteter Schritte“. Dabei müsse die Ländergründung nicht zwangsläufig mit der Bildung von Landesregierungen identisch sein. Die Verwaltung der Länder könne 459 Vgl. Thaysen, Zur Verfassungspolitik, S. 315–318; Schlink, Deutsch-Deutsche Verfassungsentwicklungen, S. 170. 460 DDR Gesetzblatt I, Nr. 33, S. 299. Vgl. Sartorius III, Kap. 10a, S. 1; Marek/Schilling, Neubildung, S. 64. 461 Kabinettsausschuss Deutsche Einheit für Wolfgang Schäuble vom 13. 6.1990: Anlage 5: Standpunkt zum Material des Bundesministers des Innern vom 28. 5.1990 über Grundstrukturen eines Staatsvertrages zur Herstellung der Deutschen Einheit (BMI, GE020056/0 Band 3). Text in: Dokumente zur Deutschlandpolitik. Deutsche Einheit. Sonderedition aus den Akten des Bundeskanzleramtes 1989/90, S. 1222–1224. 462 Vgl. Isensee, Verfassungsrechtliche Wege, S. 324.

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zwischenzeitlich durch „parlamentarisch bestätigte Beauftragte“ erfolgen, nicht jedoch durch DDR-Regierungsbeauftragte.463 Hier wurde erstmals der Interimsstatus definiert, den die neuen Bundesländer nach dem 3. Oktober 1990 tatsächlich vorübergehend hatten. Einen ähnlichen Standpunkt vertrat auch de Maizière, der am 17. Juni erklärte, es sei notwendig, dass die Länder in der DDR samt verfassungsgebenden und gesetzgebenden Landesorganen gebildet sein müssten.464 Preiß erklärte in diesem Zusammenhang, dass die Landtagswahlen aus technischen Gründen nicht vor Oktober stattfinden könnten. Pläne der DSU, Landtags- und Bundestagswahlen gemeinsam am 16. Dezember durchzuführen, lehnte er ab. Spekulationen, die vom 23. September ausgingen, so Regierungssprecher Matthias Gehler, seien hinfällig. Ziel seiner Regierung sei es, so Preiß, in das geeinte Deutschland „einigermaßen funktionstüchtige Länderstrukturen“ einzubringen, was bei einem einheitlichen Wahltermin nicht möglich sei.465

4.2.4 Fortgang der Länderdiskussion nach der Regierungserklärung vom 19. April 1990 Neben den Fragen nach Zeitpunkt und Modalitäten der Länderbildung ging auch die Diskussion über die Länderstruktur weiter, obwohl es mit der Regierungserklärung hinsichtlich der Zahl der Länder eine verbindliche Richtungsentscheidung gab. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident, Johannes Rau, meinte, er hätte von fünf Ländern abgeraten, sie seien aber wohl aufgrund der historischen Dynamik unvermeidlich.466 Auch der renommierte Jurist Rudolf Wassermann fragte, ob man gut beraten sei, so viele kleine Länder zu schaffen.467 Späth warnte, wenn die fünf Länder hier erst einmal gebildet seien, werde man „nie wieder verändern“ können.468 Hamburgs Senator für Bundesangelegenheiten, Horst Gobrecht (SPD), wiederholte seinen Vorschlag, sich im Osten aus finanziellen Gründen auf zwei Länder zu beschränken und die Zahl der Bundesländer insgesamt auf fünf zu reduzieren. Er sah seit Inkrafttreten des Grundgesetzes 1949 „erstmalig, aber auch unwiederbringlich“ die Chance, das „kurzsichtige, kleinstaatliche Besitzstandsdenken“ aufzubrechen und etwa gleich starke Länder zu schaffen. Für die DDR schlug er, von der Presse ausführlich kommentiert, die beiden Länder Sachsen-Thüringen einschließlich Sachsen-Anhalts, sowie Mecklenburg-Brandenburg einschließlich Berlins vor. 463 Kabinettsausschuss Deutsche Einheit vom 13. 6.1990: Anlage 2: Wesentliche Mängel der gegenwärtigen bzw. in der DDR vorgesehenen Ländergliederung (BMI, G1– 020056/1). Text in: Dokumente zur Deutschlandpolitik. Deutsche Einheit. Sonderedition aus den Akten des Bundeskanzleramtes 1989/90, S. 1217–1220. 464 Volkskammer der DDR, 10. WP, 15. Tagung (Sondertagung) am 17. 6.1990, S. 535. 465 FR, Der Tagesspiegel und ND vom 28. 6.1990. 466 Vgl. Neue Ruhr-Zeitung und Bonner Rundschau vom 20. 4.1990. 467 Rheinischer Merkur vom 20. 4.1990. 468 Lothar Späth am 29. 4.1990 in Dresden. In: Bergedorfer Gesprächskreis Nr. 90, 1990, S. 22.

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Im Westen sollten nach seiner Vorstellung nur Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen erhalten bleiben, während aus Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland ein gemeinsamer „Rhein-Main-Saar-Staat“ entstehen sollte. Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen sollten sich zu einem Nordstaat mit Hamburg als Hauptstadt zusammenschließen.469 Gobrecht hatte seinen Vorschlag bereits im Oktober 1989, noch ohne Berücksichtigung der DDR-Entwicklung, unterbreitet. Damals hatten die saarländischen Parteien und auch Bremens Bürgermeister, Klaus Wedemeier, den Vorstoß zurückgewiesen.470 Durch die Entwicklung in der DDR hoffte er nun auf aktuelle Impulse für eine Neugliederung. Unterstützung erhielt er unter anderen von CSU-Generalsekretär Erwin Huber471 und vom früheren Bonner Staatssekretär Werner Ernst.472 Auch der innenpolitische Sprecher der CDU / CSU-Bundestagsfraktion, Johannes Gerster, erklärte, es liege in der Konsequenz der deutschen Einheit, größere Länder zu schaffen. Sieben statt 16 Bundesländer reichten völlig aus. Als Vorsitzender der CDU-Landesgruppe Rheinland-Pfalz / Saarland plädierte er dabei für einen Zusammenschluss von Rheinland-Pfalz und Hessen mit dem Saarland.473 Weiter in der westdeutschen Diskussion, bei der die Auffassungen nicht an Parteigrenzen Halt machten, blieben auch Vorschläge zur Bildung neuer, die bisherige innerdeutsche Grenze überschreitender Länder. So favorisierte der niedersächsische Ministerpräsident, Ernst Albrecht, im Fall einer Länderneugliederung Kombinationen über die Grenze hinweg.474 Auch Willy Brandt hielt „die Frage für zulässig, ob bei einer vernünftigen Neugliederung der Länder alles nur entlang der heutigen Grenze BRD und DDR verlaufen“ müsse. Wenn zum Beispiel die Vogtländer unbedingt nach Bayern wollten, warum sollte man sie nicht lassen.475 Die Bemerkung war keinesfalls theoretischer Natur, denn der bayerische Staatssekretär für Umweltfragen, Hans Spitzner, schloss nicht aus, dass Bayern im Zuge der Neuordnung der Bundesländer größer werde; immerhin gab es in Südthüringen Bestrebungen, sich Bayern anzuschließen.476 Im April geisterte vor allem ein vom hessischen Ministerpräsidenten, Walter Wallmann, geäußerter Plan durch die Presse, Hessen und Thüringen zu einem Bundesland zu verschmelzen. Auf einer gemeinsamen Konferenz der beiden CDU-Landesverbände unter dem Motto „Hessen-Thüringen – das Herz Deutschlands in Europa“ erklärte der Generalsekretär der hessischen CDU, 469 dpa vom 19. 4.1990; FAZ und Süddeutsche Zeitung vom 19. 4.1990; FR vom 20. 4. 1990; Mitteldeutsche Zeitung vom 21. 4.1990; Bonner Rundschau vom 30. 4.1990. 470 Vgl. FAZ und Rhein-Zeitung und Saarbrücker Zeitung und Süddeutsche Zeitung vom 31.10.1989. 471 Vgl. FAZ und Süddeutsche Zeitung vom 19. 4.1990. 472 Vgl. Hamburger Abendblatt vom 14. 6.1990. 473 Vgl. Pressedienst der CDU / CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag vom 20. 4.1990 (KAS, Wiss. Dienste, Pressedok.); FAZ und Süddeutsche Zeitung vom 21. 4.1990. 474 Vgl. FAZ vom 25. 4.1990. 475 Willy Brandt am 29. 4.1990 in Dresden. In: Bergedorfer Gesprächskreis Nr. 90 1990, S. 60. 476 dpa vom 23. 7.1990.

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Franz Josef Jung, bei einer Neugliederung käme aufgrund der historischen und kulturellen Verbindungen nur ein Zusammenschluss Hessens mit Thüringen in Frage, nicht aber einer mit Rheinland-Pfalz und der Saar. Thüringens CDU-Landesvorsitzender, Uwe Ehrich, favorisierte ebenfalls ein Zusammengehen Thüringens mit Hessen statt mit Sachsen, dessen Attraktivität zu DDR-Zeiten außerhalb Sachsens gelitten hatte. Wallmann, der die Diskussion angestoßen hatte, wurde jedoch schnell wieder vorsichtiger und erklärte, zunächst müsse natürlich das Land Thüringen installiert werden. So wurde in einer Verlautbarung beider CDU-Landesverbände von Ende April die Bildung eines gemeinsamen Bundeslandes nur noch zurückhaltend und frühestens nach der deutschen Einheit gefordert. Hessen und Thüringen, so hieß es nun, würden auf der politischen Ebene Schritte vorbereiten, um nach dem Beitritt ein Neugliederungsverfahren nach Artikel 29 des Grundgesetzes in Gang zu setzen.477 Kritik an den Gedankenspielen kam von der hessischen FDP, deren Landesvorsitzender, Wolfgang Gerhardt, vor eiligen Schritten warnte. Beide Staaten müssten zunächst ihre Hausaufgaben erledigen, wozu in der DDR die Neubildung der Länder einschließlich Thüringens gehöre. Erst nach einer Neuregelung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern stehe eine Neugliederung auf der Tagesordnung.478 Auch die hessischen Grünen nannten die CDU-Überlegungen unausgegoren. Wallmann versuche damit nur, seinen dramatischen Wählerverlust mit Hilfe Thüringens wettzumachen, wo die CDU mit 52,6 Prozent der Stimmen als klarer Sieger aus den Volkskammerwahlen hervorgegangen war.479 Möglicherweise hätten grenzübergreifende Länderlösungen ökonomische Vorteile gehabt, wäre der Ausgleichsbedarf verringert und der Verwaltungsaufbau erleichtert worden, vielleicht wäre es auch zu einer schnelleren Angleichung der Lebensverhältnisse gekommen. Möglichen Vorteilen standen aber gewichtige Nachteile gegenüber, die alle entsprechenden Vorschläge ins Reich der Spekulationen verwiesen. So waren grenzübergreifende Lösungen für Brandenburg und Sachsen nicht möglich, wodurch es zu Ländern mit unterschiedlicher Leistungskraft gekommen wäre. Geschichtliche wie kulturelle Faktoren hätten weitgehend außer Acht bleiben müssen. Im Osten wäre die Identitätsfindung erschwert und das Gefühl einer Vereinnahmung verstärkt worden. Auch hätte nicht mit eigenen Länderparlamenten und -regierungen auf spezifische Entwicklungsprobleme der neuen Bundesländer reagiert werden können.480 Einfluss auf die Entscheidungen der DDR-Regierung hatte die Ende April geführte Diskussion kaum. In einer Vorlage für die Kabinettssitzung am 2. Mai hieß es lediglich, die Regierungskommission sei sich im Klaren darüber, dass der Regierungsbeschluss einen Kompromiss entsprechend dem gegenwärtig

477 Vgl. FAZ vom 21. 4.1990; dpa vom 28. 4.1990; Süddeutsche Zeitung vom 30. 4.1990. 478 Vgl. Frankfurter Neue Presse vom 7. 5.1990. 479 Vgl. FAZ vom 21. 4.1990. 480 Zur Diskussion darüber vgl. Greulich, Länderneugliederung, S. 150; Hoff, Länderneugliederung, S. 101.

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Möglichen darstelle. Der Vorschlag sei daher offen für eine nach der deutschen Einheit zweckmäßige gesamtdeutsche Gebietsreform.481 Am 2. Mai billigte der Ministerrat die Vorlage des Gesetzes zur Bildung von fünf Ländern in der DDR einschließlich Ländergliederung482 und beschloss die Bildung einer Gesetzgebungskommission für ein Länderbildungsgesetz. Es wurde definitiv festgelegt, in der weiteren Arbeit von fünf Ländern auszugehen.483 Für das künftige Ländereinführungsgesetz galten nun Grundsätze, die auch für die Arbeit der Räte der Bezirke verbindlich waren. Demnach erfolgte mit der Länderbildung die Umwandlung der DDR von einem Einheits- in einen Bundesstaat als Voraussetzung „für die Vereinigung mit der BRD“ und, typisch für de Maiziére, für die „Transformation von bewahrenswerten Besonderheiten der DDR in ein einheitliches Deutschland“. Grundlegende Bedingung für das Funktionieren der Föderation sei eine angemessene Verteilung der Kompetenzen zwischen Republik bzw. Bund und Ländern. Letztere sollten zwar grundsätzlich das Recht zur Gesetzgebung haben, insgesamt aber billigte sich die Zentralgewalt weitaus mehr Ermessensspielraum hinsichtlich der Gesetzgebung zu als dies im bundesdeutschen Verfassungsrecht verankert war.484 Der Ministerratsbeschluss favorisierte die Bildung der Länder durch Zusammenlegung von Bezirksterritorien. Damit verbundene Abweichungen gegenüber der Ländergliederung von 1946 bis 1952 sollten durch Bürgerentscheide bestätigt oder korrigiert werden. Ausdrücklich wurde darauf verwiesen, dass die Regierungskommission zunächst den Vorschlag unterbreitet hatte, auf die Bildung Sachsen-Anhalts zu verzichten. Dem, so hieß es nun, stünden jedoch Forderungen der politischen Kräfte und staatlichen Organe der Bezirke Halle und Magdeburg entgegen. Deswegen habe die Regierungskommission in Abänderung ihrer Haltung fünf Länder vorgeschlagen, da „jede andere Variante der Ländergliederung kurzfristig politisch nicht durchsetzbar“ sei. Die Formulierungen deuteten an, dass die Regierung weniger auf die Meinung der Bevölkerung reagierte, die in den Grenzkreisen eher von Sachsen-Anhalt wegstrebte, sondern den Wünschen der bezirklichen Gremien in Halle und Magdeburg entgegenkam. Daher wurde kritisch angemerkt, dass sich mit der Bildung Sachsen-Anhalts die bereits mit den Bezirksstrukturen bestehende administrative Trennung des Ballungsgebietes Halle-LeipzigDessau vertiefe. Unter Beachtung der Herausbildung föderativer Strukturen und marktwirtschaftlicher Bedingungen sei eine Zuspitzung der Auswirkungen dieser Trennung zu erwarten. Nach dem Beschluss des Ministerrates meldeten sich erneut die Kritiker aus Geographie- und Geschichtswissenschaft zu Wort. Experten des Instituts für Geographie und Geoökologie der Akademie der Wissenschaften der DDR emp481 Bemerkungen zur Behandlung der Ländervorlage im Kabinett am 2. 5.1990 (BArch B, DO 5, 164). 482 Beschluss des Ministerrates der DDR 4/3/90 vom 2. 5.1990 zum Vorschlag für ein Gesetz zur Bildung von Ländern in der DDR einschließlich Ländergliederung (ebd., 92). 483 Protokoll der 4. Sitzung des Ministerrates der DDR am 2. 5.1990 (ebd., DC 20, 11626). 484 Vgl. Jäger, Geschichte, S. 468.

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fahlen erneut die Bildung von vier Ländern und fochten Dresdens Anspruch als Landeshauptstadt an.485 Blaschke mahnte nochmals, die historische Gelegenheit zur Länderneugliederung zu nutzen und die drei Länder Sachsen-Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg zu bilden.486 Vor allem wegen des erkennbaren Entgegenkommens der Regierung gegenüber Forderungen aus Halle und Magdeburg kritisierte er die Bildung Sachsen-Anhalts. Anders als von der DDR-Regierung behauptet, so der Historiker auch später in teils polemischer Form immer wieder, hätten nicht die Volksmassen die Vier-Länder-Lösung zu Fall gebracht, sondern „eine Lobby aus ehrgeizigen Politikern im Gebiet des gerade erst wieder im Entstehen begriffenen Landes Sachsen-Anhalt“. Wahrscheinlich sei SachsenAnhalt nur wegen Ministergehältern und Diäten für Landtagsabgeordnete gebildet worden.487 Für seine Ansichten ging der überzeugte Verfechter eines Mitteldeutschland-Konzeptes Ende Juni in die Offensive und verteilte seine bereits im Februar publizierte „Denkschrift über die territoriale Neugliederung des Territoriums der Deutschen Demokratischen Republik“488 in erweiterter Form in 1750 Exemplaren an sämtliche 27 Kreistage der Kreise, für die sich aus dem Inhalt der Denkschrift Veränderungen ihrer territorialen Zugehörigkeit ergeben würden. Weitere 420 Exemplare gingen an alle Volkskammerabgeordneten. Blaschke verwies darauf, dass seine Gedanken weitgehend denen von Rutz und Scherf entsprächen, ohne dass die Urheber in irgendeiner Verbindung zueinander gestanden hätten. Die Übereinstimmung zeige, dass es Grundsätze moderner Raumordnung und territorialer Gliederung gebe, die in der Anwendung auf eine konkrete Aufgabe auch bei verschiedenen Autoren zu annähernd gleichen Ergebnissen führten.489 Auch Werner Rutz veröffentlichte im Mai eine „Denkschrift zur Länderneubildung auf dem Gebiet der gegenwärtigen DDR“, in der er nochmals vier Varianten für die Herstellung neuer Bundesländer vorführte.490 Der Bochumer Geographieprofessor plädierte darin für die Bildung von drei Ländern auf dem Gebiet der DDR, darunter ein Land Sachsen-Thüringen. Da dies jedoch landsmannschaftliche Probleme mit sich brächte, favorisierte er eine Vier-Länder-Lösung mit einem eigenständigen Land Sachsen. Dieses sollte nach Rutz sowohl in der Drei- als auch in der Vier-Länder-Variante mindestens aus den Bezirken Leipzig, Chemnitz, Dresden und Cottbus sowie aus den Kreisen Köthen, Roßlau, Bitterfeld, Gräfenhainichen, Wittenberg und dem Stadtkreis 485 Vgl. Sächsisches Tageblatt vom 20. 4.1990; Mitteldeutsche Zeitung vom 21. 4.1990: Freie Presse, Ausgabe Annaberg, vom 25. 4.1990. 486 Vgl. Karlheinz Blaschke: „Jetzt können Fehler der Vergangenheit korrigiert werden.“ In: Sächsische Zeitung vom 19. 4.1990. 487 Vgl. Blaschke, Das Werden der neuen Bundesländer, S. 134 f. 488 Blaschke, Alte Länder – Neue Länder. 489 Vgl. Blaschke, Das Werden der neuen Bundesländer, S. 133 f. 490 Werner Rutz: Denkschrift zur Länderneubildung auf dem Gebiet der gegenwärtigen DDR vom Mai 1990 (BArch B, DO 5, 149). Blaschke meinte, die „überzeugenden Argumente dieser Denkschrift hätten allein schon bei den Verantwortlichen zu einer anderen Entscheidung führen müssen, als sie tatsächlich getroffen worden ist“. Blaschke, Das Werden der neuen Bundesländer, S. 130.

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Dessau bestehen. Wie Blaschke und Scherf kritisierte Rutz auch in den folgenden Jahren die Fünf-Länder-Lösung immer wieder als „Kompromiss aus zeitdruckbedingter Anlehnung an die zuvor geltende Bezirksstruktur und restaurative Anknüpfung an die zuletzt 1952 wirksamen, dann aufgelösten Länder“. Fünf Länder, so Rutz, seien einfach zu viele. Außerdem seien „die falschen fünf Länder“ gebildet worden. Wenn schon fünf, dann hätte man statt Sachsen-Anhalt ein Land „Lausitz“ schaffen sollen. Besser, so auch seine Kollegen von der Berliner Humboldt-Universität, wären vier Länder gewesen, wie sie von der Regierungskommission Verwaltungsreform vorgeschlagen worden seien. Die Tatsache, so die Allianz der Kritiker aus Ost und West, dass die Fachleute in dieser Frage übereinstimmten, zeige, dass eine Vier-Länder-Lösung optimal gewesen wäre. In diesem Länderrahmen hätte das Ballungsgebiet Halle-Leipzig-Dessau mit seinen wirtschaftlichen Struktur- und Umweltproblemen eine einheitliche landesplanerische Behandlung erfahren. Die Aufteilung dieses größten mitteldeutschen Industriereviers auf Sachsen und Sachsen-Anhalt, die Rückgliederung von Altenburg und Schmölln nach Thüringen und die Grenze zwischen Brandenburg und Sachsen, die die Lausitz auf zwei Länder aufteile, stellten die „aus raumordnerischer Sicht schwersten Fehler im Zuschnitt der neuen Länder“ dar. Dort, wo Stadtregionen zu großflächigen Ballungsräumen verschmolzen seien, wie dies im Industriegebiet Halle-Leipzig-Dessau der Fall sei, störe eine Landesgrenze, auch wenn sie im lokalen Maßstab optimal verlaufe. Die an der Grenze wechselnden staatlichen Zuständigkeiten verhinderten eine optimale Entwicklung des Gesamtraumes, da jede Behörde im eigenen Zuständigkeitsbereich arbeite. Jede Zusammenarbeit über die Landesgrenzen hinweg würde versagen, wenn es um divergierende finanzielle Interessen der beteiligten Länder gehe.491 Diese Kritik wurde mit Hinweis auf die Stellungnahmen der Wissenschaftler auch vom Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Leipzig, Joachim Draber, geteilt. Diese hätten auf rationelle und ökonomisch fundierte Konzepte orientiert und deswegen größere Länder befürwortet. Eine Vier-Länder-Variante wäre für die Zukunft tragfähiger. Die angestrebten fünf Länder würden auf der europäischen Ebene dauerhaft Zwergstaaten mit geringer Wirtschaftskraft bleiben.492 Eine weitere kritische Stellungnahme kam von der Universität Köln. Der dortige Ordinarius für wirtschaftliche Staatswissenschaften, Karl-Heinrich Hansmeyer, warnte im Mai 1990 ebenfalls vor der beschlossenen Bildung von fünf Ländern, wodurch strukturelle Unterschiede geschaffen würden, die die föderativen Beziehungen im vereinten Deutschland erschwerten. Vieles spreche für die Bildung von vier, drei oder sogar nur zwei Ländern. Hansmeyer favorisierte die Bildung der drei Länder Mecklenburg, Berlin-Brandenburg und Sachsen-Thüringen mit Teilen Sachsen-Anhalts und plädierte zugleich für eine Neugliede491 Rutz, Die Wiedererrichtung der östlichen Bundesländer, S. 279 und 285; Rutz/Scherf/ Strenz, S. 128–130. 492 Referat Vorsitzender RdB auf der 19. Tagung des BT Leipzig am 31. 5.1990 (SächsStAL, BT/RdB, 19051).

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rung der westlichen Bundesländer, da von den neuen Ländern keine Neugliederung zu erwarten sei, wenn im Westen eine entsprechende Bereitschaft fehle.493 Am 21. Mai wandte sich schließlich auch ein „Heidelberger Freundeskreis für Sachsen“ an Preiß und forderte, die Fünf-Länder-Lösung noch einmal zu überdenken. Die „Exil-Sachsen“ schlugen die Vereinigung von Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt zu einem Land Sachsen mit Leipzig als Hauptstadt vor.494 Angesichts der zahlreichen Kritiker aus der Wissenschaft sah sich Preiß veranlasst, die Regierungsentscheidung erneut in Schutz zu nehmen. Die Regierung habe Tausende Protestbriefe erhalten, die Bevölkerung habe die „Notbremse“ gezogen, weswegen man sich für die Fünf-Länder-Lösung entschieden habe. Wenn die Regierung vier oder gar drei Länder vorgeschlagen hätte, wären die Menschen auf die Straße gegangen. Er habe keine Angst vor der Bevölkerung. Aber die Menschen besäßen jetzt ein großes Selbstbewusstsein und „das neue Gefühl, etwas selbst zu bestimmen – zum Teil auch gegen die Vernunft“. Derartige Emotionen könne man nicht einfach ignorieren.495 Im Moment seien fünf Länder das einzig Machbare. „Weil sich die Menschen in der ganzen Republik darauf so intensiv vorbereitet“ hätten, habe die Regierung „einfach nicht mehr das Recht“, die „vielen Vorarbeiten vom Tisch zu wischen“ und drei oder vier Länder administrativ festzulegen.496 Verfassungsrechtler Mampel nannte die Bildung von fünf Ländern ebenfalls „eine vernünftige Entscheidung“. Die Überwindung der bei vor allem jungen Menschen noch vorhandenen Identität mit der DDR, die sich zu einer DDR-Nostalgie auswachsen könne, brauche Ersatz.497 Auch Lapp, meinungsbildender DDR-Experte des Deutschlandfunks, wies Stellungnahmen zurück, wonach fünf Länder nicht lebensfähig seien. Bis auf Sachsen-Anhalt hätten alle Jahrhunderte lange Traditionen. In der Welt gebe es viele selbständige Staaten mit geringerer Bevölkerungszahl, wie zum Beispiel die sich auf dem Weg in die Unabhängigkeit befindlichen baltischen Republiken.498 Verteidiger kleinerer Länder konnten sich aber nicht nur auf Estland, Lettland oder Litauen berufen, sondern auch auf die Schweiz, wo es größere und kleiner Kantone gibt, ohne dass man eine Veranlassung dafür sehe, deren Zuschnitt wesentlich zu verändern. So beträgt das Verhältnis der territorialen Ausdehnung des (Halb-)Kantons Appenzell-Innerrhoden zu der des Kantons Zürich 1:79,5. Ähnliche Größenunterschiede sind auch in den USA keine Ausnahme, wo zum Beispiel das Verhältnis der Bundesstaaten Wyoming und Kalifornien 1:66 beträgt.499

493 Vgl. Hansmeyer/Kops, Die Gliederung der Länder, S. 234 f. und 238 f. 494 Heidelberger Freundeskreis für Sachsen an Manfred Preiß vom 21. 5.1990 (BArch B, DO 5, 148). 495 Interview Manfred Preiß. In: Der Spiegel vom 4. 6.1990. 496 BPA/DDR-Informationen vom 14. 5.1990. In: Deutschland 1990, Band 8, S. 4655. 497 Mampel, Föderalismus, S. 122. 498 Lapp, Die DDR geht, S. 55. Positiv auch Matz, Länderneugliederung, S. 105. 499 Vgl. ebd., S. 18 f.

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4.2.5 Bundesdeutsche Interessenpolitik zwischen Länderneugliederung und Länderfinanzausgleich Anders als in der wissenschaftlichen Diskussion verbargen sich hinter Stellungnahmen bundesdeutscher Politiker über Form und Anzahl der Länder meist handfeste Interessen. Bereits Anfang des Jahres war mit beginnenden Vorbereitungen auf eine mögliche Wiedervereinigung in der Bundesregierung die Frage aufgeworfen worden, wie das bestehende Finanzausgleichssystem zwischen den Ländern in diesem Fall mit den erheblichen Unterschieden in der Finanzausstattung und im Finanzbedarf fertig werden würde. Biedenkopf, seit März 1990 Gastprofessor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Leipzig, der schon Ende April davon sprach, man sei „in der innenpolitischen Phase des Vereinigungsprozesses angelangt“ und betreibe „bereits Innenpolitik“,500 verwies darauf, dass der Länderfinanzausgleich im Westen bereits in den zurückliegenden Jahren umstritten gewesen sei. Reichere Länder wie Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und partiell auch Nordrhein-Westfalen seien schon immer dagegen gewesen, an die ärmeren Nachbarn „nachhaltig und dauerhaft einen Teil ihrer Leistung abführen“ zu müssen. Dieser Konflikt werde sich durch die Erweiterung der Bundesrepublik Deutschlands verschärfen.501 Nach ersten Schätzungen standen nach der staatlichen Einheit jährliche Transferleistungen im Länderfinanzausgleich von West nach Ost in Höhe von zehn bis zwanzig Mrd. DM bevor. Bei einem Gesamtvolumen des Länderfinanzausgleichs von 3,5 Mrd. DM 1989 hätte das bedeutet, dass es zwischen den alten Bundesländern keinen horizontalen Finanzausgleich mehr gegeben hätte. Der baden-württembergische Wirtschaftsminister, Hermann Schaufler, erklärte Ende Mai, die DDR könnte durch den Verkauf von zwanzig Prozent ihres Grund und Bodens sich selbst erhebliche Mittel für Investitionen beschaffen. Auf diese Weise könne sie in kürzester Zeit zu den reichsten Ländern Europas gehören. Aufgrund der anlaufenden Investitionen werde die DDR in zwei Jahren „technisch mit an der Spitze Europas stehen“.502 Angesichts solch euphemistischer Erwartungen, mit denen westliche Politiker den SED-Ideologen ein letztes Mal auf den schönfärberischen Leim gingen, war es wenig verwunderlich, dass sich die Bundesländer gegen eine baldige Einbeziehung der künftigen Länder in den Finanzausgleich bisheriger Form aussprachen.503 Auch in anderer Hinsicht beobachteten Politiker in Bund und Ländern den Prozess der Länderbildung im Osten ungeachtet meist geteilter Zustimmung genau, war doch klar, dass die in Jahrzehnten austangierte föderale Struktur der Bundesrepublik in mannigfacher Hinsicht beeinflusst werden würde. Wolfgang Clement, Chef der Düsseldorfer Staatskanzlei, nutzte die Diskussion, um eine stärkere Stellung der Länder im vereinten 500 Kurt Biedenkopf am 29. 4.1990 in Dresden. In: Bergedorfer Gesprächskreis Nr. 90, 1990, S. 84. 501 Interview Kurt Biedenkopf. 502 Stuttgarter Zeitung vom 26. 5.1990. 503 Vgl. Engel, Finanzverfassung im vereinten Deutschland, S. 171.

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Deutschland zu fordern. Biedenkopf erklärte, durch den föderativen Aufbau in der DDR würden die Bundesländer Verstärkung bei ihren Bemühungen erhalten, ihre Zuständigkeiten zu stärken.504 Aber nicht nur den Ländern, auch dem Bund ging es zunächst darum, die eigenen Interessen im Prozess der Wiedervereinigung zu sichern. Diese Haltung bestimmte auch die meisten Stellungnahmen zur künftigen Länderstruktur. Unwägbarkeiten hinsichtlich der künftigen Zahl neuer Länder störten hier klare Konzepte zur Interessendurchsetzung, weswegen die bereits auf bundesdeutschen Rat getroffenen Entscheidung der DDR-Regierung, fünf Länder zu bilden, unter westlichen Politiker breite Zustimmung fand. Meist verband sich diese mit der unverbindlichen Zusicherung, nach der Wiedervereinigung über eine Länderneugliederung beraten zu wollen. Allen voran begrüßte die Bundesregierung die Entscheidung. Innenminister Schäuble zeigte angesichts der Fülle anstehender Probleme Verständnis dafür, „zunächst einmal die Länder in den alten Grenzen zu konstituieren und die Fragen der Länderneugliederung in einem vereinten Deutschland dann später gemeinsam zu beraten“.505 Einen Einfluss der Bundesregierung auf die Entscheidung der DDR-Regierung zugunsten der Fünf-Länder-Lösung gab es aus seiner Sicht nicht.506 Seine Haltung wurde aber auch durch die Tatsache bestimmt, dass sich die Länderbildung angesichts der raschen und von internationalen Faktoren abhängigen Wiedervereinigung unter enormem politischem Handlungsdruck vollzog. Die Länderbildung war nur eines von zahlreichen Problemen, die beide deutsche Regierungen ad hoc zu lösen hatten. Für eine ausführliche Diskussion fehlte die Zeit; es musste entschieden werden. Auch die Landtagspräsidenten der Bundesländer zeigten wenig Interesse an einer Zusammenlegung ihrer Länder und erklärten, an der Zahl von elf alten und fünf neuen Ländern sollte wegen der föderalistischen Vielfalt Deutschlands und dem europäischen Konzept der Regionen nicht gerüttelt werden.507 Für den Vorsitzenden der Konrad-Adenauer-Stiftung war die Bildung fünf neuer Länder Ausdruck von politischem Realismus. Eine Länderneugliederung, so Bernhard Vogel, sei nur sinnvoll, wenn möglichst häufig die innerdeutsche Grenzlinie überschritten werde. Nichts führe schneller zur Angleichung der Lebensbedingungen als ein Zusammenschluss von Hessen und Thüringen, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen oder Mecklenburgs mit Schleswig-Holstein. Die Diskussionen über den Finanzausgleich würden so zur Marginalie werden. Allerdings, so auch er, stehe die Frage die nächsten zwei Jahre nicht auf der Tagesordnung.508 Die Stellungnahmen bundesdeutscher Politiker zeigten, dass die im Westen angestoßene Diskussion über eine Länderneugliederung vor allem von finanziellen Erwägungen bestimmt wurde. Landsmannschaftliche Argumente, das zeigt schon Vogels Votum, spielten keine herausragende Rolle mehr, seit die nach 504 Vgl. Der Spiegel vom 16. 4.1990. 505 ZDF am 6. 5.1990, 19.30 Uhr. In: Deutschland 1990, Band 7, Bl. 4569. 506 Wolfgang Schäuble an den Autor vom 21. 2. 2003. 507 Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 29. 5.1990. 508 Vgl. FAZ vom 10. 5.1990; Vogel, Mehr Länder, S. 130.

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dem Krieg per Besatzungsanweisung neugeschaffenen Länder so unterschiedliche Regionen wie das nördliche Rheinland und Westfalen, den Harz und Ostfriesland oder Baden und Schwaben umfassten. Auch in allen mit der Wiedervereinigung zusammenhängenden Fragen sahen sich die Politiker in der Pflicht, vor allem die die Steuerzahler und potentiellen Wähler interessierenden Fragen der Finanzierbarkeit vorab zu klären. Damit entsprachen sie der Haltung der Bevölkerungsmehrheit zu einer möglichen Länderneugliederung. Nach einer Umfrage des Infas-Instituts von Mitte Juli 1990 plädierten ca. 68 Prozent der Bundesbürger dafür, ihr Bundesland in den derzeitigen Grenzen zu erhalten. Sollte es zu einer Neugliederung kommen, sollte dies nach Meinung von 46 Prozent vor allem einer ausgewogeneren Wirtschaftsstruktur dienen. Nur 23 Prozent meinten, historische, kulturelle oder landsmannschaftliche Aspekte müssten im Vordergrund stehen. Weitere 22 Prozent dachten an Einsparungen bei den Verwaltungskosten.509 Fern aller Sentimentalitäten dachte man im Westen dabei auch bereits frühzeitig daran, in der DDR ein effektives Steuersystem als Grundlage eines funktionstüchtigen Verwaltungsapparates zu schaffen. Am 20. April verständigten sich die Finanzminister und -senatoren darauf, jeden Bezirk der DDR beim Aufbau einer Steuerverwaltung von einem Bundesland unterstützen zu lassen. Baden-Württemberg betreute von nun an den Bezirk Dresden beim Aufbau von Finanzämtern. Diese Unterstützungsleistung durch das Land, so hieß es in einem Schreiben von Lorenz Menz, komme höchste Priorität zu, da nur so das wachsende Staatsdefizit im DDR-Haushalt schnellstmöglich vermindert werden könne.510 Neben konkreten Maßnahmen zur Unterstützung der DDR beim Aufbau einer Steuerverwaltung wurde festgelegt, dass die Finanzminister und Finanzsenatoren der Länder sich regelmäßig durch den Bundesminister der Finanzen über den Einigungsprozess und seine Auswirkungen auf Bund und Länder unterrichten lassen würden.511 Am 26. April fand im Bundeskanzleramt eine Sitzung mit den Chefs der Staats- und Senatskanzleien der Länder zur Deutschlandpolitik statt, bei der Seiters über Verhandlungsangebote der Bundesregierung an die DDR zum Staatsvertrag informierte.512 Auch hier drängten die Länder auf eine stärkere Einbindung. Wolfgang Clement betonte, man wolle, „dass auch das künftige Deutschland ein Bundesstaat wird, und das bedeutet, dass die Länder gleichberechtigt mitwirken können“.513 Bereits vor der offiziellen Information hatte sich die Bayerische Staatsregierung mit dem Verhandlungsangebot der Bundesregierung für einen Staatsvertrag mit der DDR 509 Vgl. dpa vom 18. 7.1990; dfs vom 18. 7.1990, 21.50 Uhr Brennpunkt. In: Deutschland 1990, Band 7, Bl. 4613. 510 Finanzministerium Baden-Württemberg an Staatssekretär Lorenz Menz (Staatsministerium) vom 12. 6.1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). 511 Bundesrat, Finanzausschuss: Ergebnisniederschrift über die Finanzministerkonferenz am 26. 4.1990 in Bonn (BFM, 105, Fz Ref, FzA, FMK, ab 24./25. 4.1990 bis 6. 9.1990). Zur bundesdeutschen Politik ab Mai 1990 siehe Kap. 4.2.5. 512 BPA-Bulletin vom 26./28. 4.1990. In. Deutschland 1990, Band 7, Bl. 4418. 513 DLF am 27. 4.1990, 6.46 Uhr. In: ebd., Bl. 4419.

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befasst. Sie vertrat die Auffassung, dass das Angebot die Verhandlungsspielräume auf bundesdeutscher Seite ausschöpfe. Besonders begrüßte sie es, dass der Bund die Kosten der deutschen Einheit ohne Steuererhöhungen finanzieren wolle. Im Bereich des Steuerrechts äußerte die Staatsregierung Zweifel, ob die bundesdeutschen Regelungen von einer erst noch aufzubauenden Finanzverwaltung im anderen Teil Deutschlands bewältigt werden könnten und hielt es deswegen für sinnvoll, eine „Sonderwirtschaftszone DDR“ mit einem vereinfachten Steuerrecht zu schaffen.514 Auch der Bayerische Landtag betonte am selben Tag, dass die föderative Ordnung der Bundesrepublik die gleichberechtigte Teilnahme der Länder an den Verhandlungen über die künftige Staatsstruktur eines wiedervereinten Deutschlands voraussetze.515 Aber nicht nur Bayern drängte auf eine stärkere Einbindung der Länder, vielmehr bekräftigten alle Landesinnenminister und -senatoren ihre Bereitschaft, die DDR im Rahmen ihrer Zuständigkeit zu unterstützen und sowohl mit der Regierung als auch mit den künftigen Ländern bzw. zunächst den entsprechenden Bezirken in allen Bereichen eng zusammenzuarbeiten. Sie erklärten ihre Bereitschaft, „die Schaffung rechtsstaatlicher Staats- und Verwaltungsstrukturen in der DDR durch den Austausch von Experten zur Beratungshilfe“ zu unterstützen und in Fragen der inneren Sicherheit zu kooperieren. In einer gemeinsamen Erklärung bezeichneten sie eine föderative Länderstruktur als Grundbedingung der deutschen Einheit.516 Das Bundesinnenministerium vertrat hingegen die Ansicht, „die Ländergliederung berührt nicht in erster Linie Länderbelange, sondern solche des Bundes. Der Bund wird nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten für die föderative Gliederung (Neugliederung, vgl. Art. 29 GG) zuständig sein.“517 Bis Mitte Mai hatte die Bundesregierung die Länder weitgehend aus den Verhandlungen zur deutschen Einheit heraushalten können und damit eine Haltung demonstriert, die der Landesbildungspolitik der DDR-Regierung gegenüber den im Landesbildungsprozess befindlichen Bezirken nicht unähnlich war. Nachdem die CDU/CSU-regierten Länder nach der Landtagswahl in Niedersachsen im Bundesrat jedoch die Stimmenmehrheit verloren, änderte sich die Lage. Am 13. Mai wurde die SPD hier mit 44,2 Prozent stärkste Partei und bildete mit den Grünen eine neue Landesregierung unter Gerhard Schröder. Die Bundesregierung sah sich von nun an gezwungen, die Interessen der SPD-regierten Länder stärker zu berücksichtigen. Waren die Länder in der ersten Phase der Vereini514 Bayerische Staatsregierung: Dienstliche Information 131/90 vom 24. 4.1990 aus der heutigen Ministerratssitzung (BaySMI Zusammenarbeit Bayern-Sachsen, Bl. 291–293). 515 Bayerischer Landtag. 11. WP. Beschluss des Bayerischen Landtages. Drucksache 11/ 16215 vom 26. 4.1990 (ebd., Bl. 193). 516 Beschlussniederschrift über die Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder am 5. 5.1990 in Berlin: Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik (BArch B, DO 5, 98). Vgl. Manfred Preiß an die Arbeitsgemeinschaft der Geschäftsstellenleiter von Verwaltungsgemeinschaften in Bayern e. V. vom 25. 6.1990 (ebd., 11). 517 BMI, Referat VI1: Sitzungsunterlage für die Sitzung der IMK am 5. 5.1990 in Berlin vom 3. 5.1990 (BArch, B 106, 301132, VI1–110851/0, Band 3).

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gungspolitik bei der Willensbildung kaum konsultiert worden, waren sie freilich nun, als der Bund ihre Hilfe bei der Finanzierung der deutschen Einheit brauchte, „auf Egoismus festgelegt“.518 Nach diversen heftigen Auseinandersetzungen zwischen Bund und Ländern beschlossen der Bundeskanzler und die Ministerpräsidenten der Länder Mitte Mai statt des Finanzausgleichs einen von den Finanzministern am Vortag gebilligten Sonderfonds „Deutsche Einheit“. Bei den Vorverhandlungen hatten die Länder ihre bessere Position gegenüber dem unter Zeitdruck verhandelnden Bund weitgehend ausgenutzt und erreicht, dass die entstehenden Länder nicht in den Länderfinanzausgleich einbezogen wurden.519 Der „Fonds Deutsche Einheit“ wurde als Sondervermögen des Bundes konzipiert. Er sollte bis 1994 mit 20 Mrd. DM aus dem Bundeshaushalt und mit 95 Mrd. DM aus Krediten gespeist werden. Den Schuldendienst sollten sich Bund und Länder mittig teilen. Zugleich wurden die Anteile von Bund und Ländern an der Umsatzsteuer für die Jahre 1991 und 1992 auf 65 zu 35 Prozent festgeschrieben. Da der Bund von 1990 bis 1994 einen „Bareinschuß“ von 20 Mrd. DM in Raten begleichen musste, war seine jährliche Belastung mit 2 bis 9,5 Mrd. DM erheblich höher als die der Länder mit 1 bis 4,5 Mrd. DM pro Jahr. Für die Bundesländer war durch die Einigung die Gefahr gebannt, durch eine rasche Einbeziehung der neuen Länder allesamt zu Geberländern zu werden. Erste Modellrechnungen hatten gezeigt, dass bei einer Anwendung der bisherigen Regeln des bundesstaatlichen Lastenausgleichs auf die neuen Bundesländer allein das Volumen des horizontalen Finanzausgleichs zwischen den Ländern von knapp 3,5 Mrd. jährlich auf fast 21 Mrd. DM angestiegen wäre. Nicht nur Baden-Württemberg und Hessen, sondern alle Länder mit Ausnahme Bremens hätten erhebliche Beiträge im Länderfinanzsausgleich zahlen müssen. Für die ärmeren Empfängerländer, in deren Landeshaushalten die Leistungen des horizontalen und vertikalen Finanzausgleichs mehr als zehn Prozent betrugen, wäre eine Anwendung auf die neuen Bundesländer einer finanzwirtschaftlichen Katastrophe gleichgekommen. Deswegen zogen die Bundesländer zunächst die „Notbremse“ und schoben die Anwendung des Finanzausgleichs bis 1995 hinaus.520 Angesichts eines solchen Erfolges der Länder war es kein Wunder, dass sie sich, anders als Bundesfinanzminister Theo Waigel, mit dem Ergebnis zufrieden zeigten. Lothar Späth erklärte, Länder und Gemeinden hätten bei der Verteilung der Kosten für die deutsche Einheit „gut abgeschnitten“. Die Vereinbarung zwischen Bund und Ländern sei „fair und akzeptabel“.521 Im „Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 18. Mai 1990“522 fanden die Vereinbarungen über den „Fonds Deutsche Einheit“ schließlich ihren Niederschlag. Beide Vertragsparteien bekannten sich zur föderativen 518 Von Beyme, Das politische System, S. 355. 519 Vgl. Schmidt, Die politische Verarbeitung, S. 450. 520 Vgl. Scharpf, Föderalismus an der Wegscheide, S. 580 f. 521 Stuttgarter Zeitung vom 17. 5.1990. 522 Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 22. 5.1990.

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Grundordnung und legten Regelungen für die staatliche Aufgabenteilung und die Finanzordnung fest. Es wurde vereinbart, dass den neuen Ländern Hilfe aus dem „Fonds Deutsche Einheit“ gewährt werden würde.523 Die Länder hatten ihre Position gegenüber dem Bund freilich so weitgehend ausgenutzt, dass sie sich Kritik einhandelten. So hieß es, sie hätten mit Blick auf ihre Finanzen wohl „panische Angst“ vor den „fünf armen Vettern“ im Osten.524 Mit ihrer egoistischen Interessenpolitik hätten sie, so das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung, die Grundsätze des Länderfinanzausgleichs „bewusst missachtet“.525 Mit der Einigung seien „primär die Interessen der West-Länder befriedigt“ worden, den Ländern sei „eine ungewöhnlich weitgehende Schonung der Länderfinanzen im Übergangsprozess“ gelungen. Kritisiert wurde auch, dass die künftigen Länder keinerlei Einfluss auf den Bund-Länder-Deal gehabt hätten. Bund und Länder hätten einen „Kompromiss zu Lasten Dritter“, nämlich der neuen Länder geschlossen. Mit den mittelfristig wirksamen Vereinbarungen hätten die Bundesländer „im Bewusstsein der Verhandlungsschwäche der DDR“ die Finanzgrundlagen der künftigen Ost-Länder „in einer Weise restringiert, die dem föderativen Gedanken doppelt abträglich“ sei: Sie hätten „vertikal den Einfluss des Bundes verstärkt und horizontal wenig Solidarität durchscheinen lassen“.526 „Insgesamt“ hätten die Länder „beim unter Einheits-Druck stehenden Bund herausgeholt, was nur irgend herauszuholen war“. Das nenne man bekanntlich Föderalismus.527 Mit dem „Fonds Deutsche Einheit“ sei man „den für den deutschen Föderalismus typischen Weg des geringsten Widerstandes“ gegangen.528 Dabei sei das „Verhalten der Westländer so überraschend nicht“. Ländersolidarität sei immer schon kleingeschrieben worden, wenn es um finanzielle Fragen ging.529 Die Länder beanspruchten aber nicht nur hinsichtlich der Finanzierung der deutschen Einheit ein erhebliches Mitspracherecht. In einem Beschluss der 65. Konferenz der Landesparlamentschefs in München forderten sie Ende Mai eine generell stärkere Beteiligung der Länder und ihrer Parlamente am Einigungsprozess und mehr Einfluss auf die künftige Struktur Deutschlands. Dazu wurde die Bildung eines Gremiums vorgeschlagen, das sich gemäß der Stärke der Länder im Bundesrat aus Vertretern der Landesparlamente zusammensetzen und die Beteiligung entsprechender DDR-Gremien ermöglichen sollte. Gerade die anstehenden Verfassungsfragen, insbesondere die der Finanzverfassung, sowie die notwendigen Rechtsangleichungen, so hieß es, würden in einem Maß in die Kompetenzen und Gestaltungsmöglichkeiten der Landesparlamente eingreifen, das eine unmittelbare Einflussnahme auf den deutschen Einigungsprozess unverzichtbar mache.530 Der Bayerische Land523 Vgl. im einzelnen Laufer/Münch, Das föderative System, S. 79. 524 Röper, Beitritt nach Artikel 23 GG, S. 559. 525 Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Öffentliche Haushalte, S. 556. 526 Mäding, Die föderativen Finanzbeziehungen, S. 316 f. 527 Handelsblatt vom 22. 5.1990. 528 Von Beyme, Das politische System, S. 354. 529 Schmidt, Die politische Verarbeitung, S. 450. 530 dpa vom 28. 5.1990; Süddeutsche Zeitung vom 29. 5.1990.

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tag begrüßt die von der Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Landesparlamente vorgeschlagene Einrichtung eines länderübergreifenden Gremiums zur Beteiligung der Länderparlamente an dem Prozess der deutschen Einigung,531 von dem freilich in der Folgezeit wenig zu hören war. Für die DDR hatte die bundesdeutsche Interessenpolitik vor allem eine Auswirkung. Nach den vertraglichen Festlegungen zwischen Bundesrepublik und DDR vom Mai war eine Veränderung der Länderstruktur vorerst ausgeschlossen, da sämtliche Vereinbarungen nun auf der künftigen Fünf-Länder-Struktur basierten. Daran konnten auch im Bonner Kabinettsausschuss „Deutsche Einheit“ formulierte Bedenken nichts ändern, wonach die vorgesehene Ländergliederung den Ausgleichsbedarf im künftigen Deutschland erhöhen würde. Die geplanten fünf Länder, so hieß es hier, würden über keine ausreichende administrative Leistungsfähigkeit verfügen und zur Destabilisierung der bundesstaatlichen Ordnung beitragen.532 Veränderungen in den Länderstrukturen waren nun erst wieder nach der Herstellung der staatlichen Einheit möglich, was sich in entsprechenden Stellungnahmen niederschlug. So sprach sich Wolfgang Bötsch, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag, dafür aus, eine Länderneugliederung erst durch das gesamtdeutsche Parlament vornehmen zu lassen.533 Schäuble plädierte dafür, den Artikel 29 des Grundgesetzes nach der Wiedervereinigung so zu ändern, dass eine Gebietsreform tatsächlich möglich werde. Den Artikel, der Volksentscheide zur Ländergliederung mit besonders qualifizierten Mehrheiten vorsah, nannte er in der jetzigen Form einen „Neugliederungsverhinderungsartikel“. Nach seiner Auffassung sollte eine Neugliederung wieder ins Ermessen des Bundes gestellt und ihre Umsetzung auch gegen den Willen der Bevölkerung möglich werden. Nur so sei eine Beseitigung kleinerer und mittlerer Länder möglich.534 Er erwog, eine Neugliederung notfalls durch ein Bundesgesetz zu erreichen, das nach Ablehnung in einem Land erneut vom Bundestag beraten werden könnte. Nach einer Verabschiedung im Parlament sollte es dann nur noch der Annahme durch einen Volksentscheid mit der Mehrheit im gesamten Bundesgebiet bedürfen und so Mehrheiten in einzelnen Ländern gegen eine Reform überstimmt werden. Nach seinen Vorstellungen sollte das Bundesgebiet bis Ende des Jahres 1999 neu gegliedert werden. Bis Ende 1995 sollten die beteiligten Länder die Neugliederung durch Staatsvertrag regeln. Dazu sollten keine Plebiszite, sondern unverbindliche Volksbefragungen durchgeführt werden.535 In der DDR stießen Schäubles Pläne zunächst auf die 531 Bayerischer Landtag, 11. WP: Beschluss des Bayerischen Landtages, Drucksache 11/ 17787 vom 20. 7.1990. 532 Kabinettsausschuss Deutsche Einheit vom 13. 6.1990. Anlage 2: Wesentliche Mängel der gegenwärtigen bzw. in der DDR vorgesehenen Ländergliederung (BMI, G1–020056/1). Text in: Dokumente zur Deutschlandpolitik. Deutsche Einheit. Sonderedition aus den Akten des Bundeskanzleramtes 1989/90, S. 1217–1220. 533 Vgl. dpa vom 27. 6.1990. 534 Zit. in Die Welt vom 2. 7.1990. Vgl. Greulich, Länderneugliederung, S. 138 f.; Matz, Länderneugliederung, S. 106. 535 Günther Krause an Manfred Preiß vom 19. 7.1990 (BArch B, DO 5, 206):

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Zustimmung der Regierung, bevor sie später von den neuen Bundesländern zurückgewiesen wurden. Hier war es erneut Preiß, der – schon aus Gründen der eigenen Glaubwürdigkeit – Mitte Juli vorschlug, bei den Verhandlungen zum Einigungsvertrag auf eine Veränderung des Grundgesetzes dahingehend zu drängen, „eine mittelfristige Länderneugliederung für das künftige gesamte Bundesgebiet nach vorn offen“ zu halten. Es liege im Interesse der künftigen Länder, wenn später möglichst gleich leistungsstarke Länder entstünden. Preiß erklärte, er habe gegen eine Änderung des Artikels 29 des Grundgesetzes keine Einwände.536 Im Westen gingen die Meinungen nach Schäubles Vorstoß weit auseinander. Wie in der Union, so gab es auch innerhalb der SPD dazu keine einheitliche Haltung, vielmehr orientierte sie sich am jeweiligen Landesinteresse. Während sich der neugewählte niedersächsische Ministerpräsident, Gerhard Schröder, für eine solche Regelung im Zusammenhang der deutsche Einheit mittels Volksentscheid aussprach, lehnte die SPD-Fraktion im saarländischen Landtag dies als „völlig überflüssig“ ab. Hier hieß es, das Saarland müsse „als europäisches Kernland“ unbedingt erhalten bleiben. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident bezeichnete Schäubles Überlegungen zwar als verfrüht, stellte aber selbst in Frage, ob die künftigen 16 Bundesländer alle Aufgaben einzeln wahrnehmen könnten. Das, so Johannes Rau, übersteige ihre Finanzkraft.537 Während sich auch Bremen bei Besprechungen über den zweiten Staatsvertrag für die weitere Selbständigkeit des kleinsten Bundeslandes stark machte, kündigte Bayern Verhandlungen über eine Stimmen-Neuverteilung im Bundesrat an.538 Da angesichts der Haltung der Bundesländer wie des Bundes die Weichen frühzeitig in Richtung einer Fünf-Länder-Lösung gestellt wurden, zerschlugen sich in Sachsen alle Hoffnungen auf eine Aufteilung Sachsen-Anhalts oder einen Zusammenschluss mit Thüringen in den diskutierten Konstellationen. Noch bevor die neuen Länder aus der Taufe gehoben waren, hatten bundesdeutsche Politiker aus finanziellen Erwägungen wesentliche Determinanten ihrer staatlichen Existenz definiert. Ihnen selbst blieb ein Einfluss darauf auch wegen der zentral gesteuerten Länderbildungspolitik der DDR-Regierung verwehrt. In Berlin sah man die bundesdeutsche Rückendeckung der per Dekret durchgesetzten Fünf-Länder-Lösung gern. Hier wie in Bonn drehte sich alles um die nationalen und internationalen Aspekte der deutschen Einheit. Länderinteressen noch nicht vorhandener Länder spielten im damit verbundenen Machtpoker kaum eine Rolle.

536 Schäuble informierte Krause über sein Konzept. Vgl. Manfred Preiß an Günther Krause vom 13. 7.1990 (BArch B, DO 5, 12); Manfred Preiß an Günther Krause, Ablage vom 1. 8.1990 (ebd., 206). 537 Vgl. Neue Osnabrücker Zeitung vom 24. 7.1990. 538 Vgl. Weser-Kurier vom 25. 7.1990.

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4.3

Dresden gegen Landesbildung „von oben“

Dresdner Aufbegehren gegen eine Landesbildung „von oben“ im Mai 1990

4.3.1 Regierung beschließt Einsetzung von Regierungsbevollmächtigten in den Bezirken Hatte bereits die Entscheidung für fünf Länder gravierende Auswirkungen auf die territorialen Strukturen im mitteldeutschen Raum und die äußere Gestalt Sachsens, so griff ein weiterer am 2. Mai gefasster Beschluss der Regierung de Maizière ebenfalls massiv in innersächsische Auseinandersetzungen ein. Preiß legte dem Ministerrat an diesem Tag einen „Vorschlag zur Sicherung der Regierungsfähigkeit in den Bezirken bis zur Bildung funktionsfähiger Länder“ vor.539 Das Papier war mit den Vorsitzenden der Räte abgestimmt worden. Auf einer Dienstberatung hatte der Minister am 23. April die Bedeutung der Aufrechterhaltung der staatlichen Strukturen betont, die allerdings die am 18. März geschaffenen Mehrheitsverhältnisse widerspiegeln müssten. Er informierte darüber, dass zahlreiche Bezirke nicht mehr handlungsfähig seien und die Regierung eine Beendigung der Arbeit der Bezirkstage für Ende Mai vorsehe. Die Räte würden ab diesem Zeitpunkt über keine Legitimation mehr verfügen und nur noch als Auftragsverwaltungen der Regierung tätig sein. Ihre Aufgabe bestehe schon jetzt darin, Regierungsaufträge zu erfüllen, die Länderbildung vorzubereiten, Bindeglieder zu den Kreisen zu sein sowie Koordinierungsaufgaben und vertragsrechtliche Funktionen wahrzunehmen.540 De Maizière befand sich nach eigenem Bekunden gegenüber den Räten in einer schwierigen Situation. Er musste in den ersten Wochen und Monaten nach der Wahl mit den alten Kräften der Bezirke zusammenarbeiten und diese bei der Stange halten, konnte und wollte ihnen aber keine Hoffnungen auf ein politisches Comeback machen. Die Folge war, dass sich die Ratsvorsitzenden „einer nach dem anderen wegstahlen, weil sie sagten, sie hätten keine Lust mehr, sie wollten nicht mehr, sie hätten Angst“. „Die Schwierigkeit war“, so der Ministerpräsident, „von unten eine neue Struktur bei gleichzeitigem Zerbröseln der alten aufzubauen.“541 In dem nach Abstimmung mit den Räten vorgelegten Papier hieß es nun, dass die Regierung zur einheitlichen Leitung der künftigen Auftragsverwaltungen Regierungsbevollmächtigte ernennen werde. Dazu sollte die Partei, die nach 539 MRKA: Vorschlag zur Sicherung der Regierungsfähigkeit in den Bezirken bis zur Bildung funktionsfähiger Länder vom 27. 4.1990. Grund der Einreichung: Regierungserklärung des Ministerpräsidenten vor der Volkskammer der DDR (BArch B, DO 5, 57). 540 Vgl. Protokoll der Tagung des Runden Tisches Sachsen-Anhalt (Regionalausschuss) in Halle/Saale am 24. 4.1990 (LHASA, BT/RdB, 30015); Protokoll der 9./10. Sitzung des RdB Halle am 26. 4.1990 (ABR Halle, BT/RdB, 20979/13); Protokoll der Sonderratssitzung des RdB Rostock am 25. 4.1990 (VPLA, Rep. 200/2.3.1, 740); 18. Tagung des BT Cottbus am 2. 5.1990 (Brandenburg. LHA, Rep. 801, 7577); Manfred Preiß an alle Vorsitzenden der RdB, den OB von Berlin und die Professoren Heidrun Pohl, Konrad Scherf und Siegfried Grundmann, o. D. (BArch B, DO 5, 11). 541 Interview Lothar de Maizière. In: Die Union vom 3. 9.1990.

Regierung beschließt Regierungsbevollmächtigte

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den Kommunalwahlen die Mehrzahl der Vorsitzenden der Stadt- und Landkreise stellt, in Abstimmung mit den Parteien, von denen ebenfalls im jeweiligen Wahlkreis Abgeordnetenmandate besetzt würden, dem Ministerpräsidenten einen namentlichen Vorschlag zur Ernennung des Regierungsbevollmächtigten unterbreiten. Diesen Parteien sollte freigestellt werden, dem Regierungsbevollmächtigten eine begrenzte Anzahl hauptamtlicher Stellvertreter zur Seite zu stellen. Dieser Passus erlaubte es der sächsischen CDU ebenso, einige ihrer bisherigen Funktionäre in den Verwaltungen unterzubringen – wie die Bestimmung, wonach die Regierungsbevollmächtigten die Leiter der Ressorts der Verwaltungsorgane der Bezirke einzusetzen hatten. Bis zum Einsatz der Regierungsbevollmächtigten sollten die Räte der Bezirke geschäftsführend tätig bleiben. Für den Fall komplizierter Entscheidungen, die einer demokratischen Legitimation bedürften und von den Regierungsbevollmächtigten nicht allein getragen werden könnten, sollte ein Gremium, bestehend aus den Abgeordneten der Volkskammer des jeweiligen Bezirkes, zusammentreten. Im Zusammenhang mit der Einrichtung beratender Gremien aus Volkskammerabgeordneten der Bezirke stand der am 2. Mai ebenfalls gefasste Beschluss, der Volkskammer vorzuschlagen, die Legislaturperiode der Bezirkstage mit Wirkung vom 31. Mai zu beenden. Dies sei erforderlich, weil nach den bevorstehenden Kommunalwahlen die Bezirkstage die einzigen nicht durch freie Wahlen erneuerten Vertretungskörperschaften sein würden, womit deren Zusammensetzung nicht der tatsächlichen Kräftekonstellation entspreche.542 Im Gegensatz zu den Bezirkstagen konnte die Volkskammer das Ende der nichtstaatlichen Runden Tische nicht dekretieren, sondern musste dies auf andere Weise erreichen. Im erstgenannten Beschluss hieß es in diesem Zusammenhang, dass ausgehend von der Kompetenz der Regierungsbevollmächtigten und der Möglichkeit der Einberufung des Abgeordnetengremiums der Volkskammer darauf hinzuwirken sei, dass die Runden Tische der Bezirke ihre Tätigkeit beenden. Ihre Beschlüsse stellten fortan keine Grundlage für exekutives Handeln der Verwaltungsorgane der Bezirke mehr dar.543 So war es denn auch nicht verwunderlich, dass der Regierungsbeschluss zwar den Räten der Bezirke und Kreise, nicht aber den Runden Tischen übermittelt wurde. Nach Aussage von Hans Joachim Meyer ging die Regierung bei ihrer Entscheidung, die Runden Tische nicht länger als Partner der Regierung anzusehen, von der Tatsache aus, dass „die Legitimität von sich selbst bildenden und sich selbst ernennenden Runden Tischen deutlich abgenommen“ hatte. Diese hätten zwar bis zur Volkskammerwahl eine unverzichtbare Rolle gespielt, aber „ein anderes Ergebnis gezeichnet, als jedenfalls die uns bis dahin bekannten Runden Tische in ihrer Zusammensetzung hatten“. Angesichts der Legitimation von Volkskammer und Regierung habe es keinen

542 4. Sitzung des Ministerrates der DDR am 2.5.1990: Entwurf des Beschlusses der Volkskammer der DDR zur Beendigung der Legislaturperiode der Bezirkstage (BArch B, DO 5, 57). 543 MRKA: Vorschlag zur Sicherung der Regierungsfähigkeit in den Bezirken bis zur Bildung funktionsfähiger Länder vom 27. 4.1990. Grund der Einreichung: Regierungserklärung des Ministerpräsidenten vor der Volkskammer der DDR (ebd.).

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plausiblen Grund mehr gegeben, sich „in einem größeren Maße auf Experimente einzulassen, deren Grundlage jedenfalls nicht deutlich“ gewesen sei.544 Die Regierungsentwürfe des 2. Mai griffen die Empfehlungen der Rottenburger Erklärung vom 6. April auf, in der es geheißen hatte, es sollten Regierungsbeauftragte in den Bezirken eingesetzt werden, die Weisungsrecht und Personalhoheit gegenüber den Räten besitzen. Runde Tische der Bezirke und Bezirkstage sollten mit sofortiger Wirkung aufgelöst und in Abstimmung mit den Landesund Bezirksvorsitzenden der Regierungsparteien in den Bezirken durch den jeweiligen Regierungsbeauftragten ein Verwaltungsrat mit verschiedenen Ressorts gebildet werden.545 Insofern entsprachen die Ministerratsbeschlüsse den Empfehlungen der neuen Kräfte in CDU und DA als Mitinitiatoren der Rottenburger Erklärung.546 Es war vor allem DA-Generalsekretär Beyer, der durchsetzte, dass die Regierung dem Rottenburger Papier folgte. Freilich ging es dabei eher um die konkrete Form der Ausgestaltung der Regierungsverantwortung auf Bezirksebene als um die generelle und verbreitete Überzeugung, die Räte in legitime Verwaltungsinstrumente der Regierung zu wandeln. Auf Grundlage der Vorlage von Preiß fasste der Ministerrat einen Beschluss, der sich in einigen wesentlichen Punkten vom Vorschlag unterschied. Hatte der Minister empfohlen, dass die Partei, die im Ergebnis der Kommunalwahlen die Mehrzahl der Vorsitzenden der Stadt- und Landkreise stellt, den Regierungsbevollmächtigten vorschlägt, beschloss der Ministerrat, dass die Ergebnisse der Volkskammerwahl im jeweiligen Bezirk dafür ausschlaggebend sein sollten. Da diese Wahl für die CDU bereits erfolgreich beendet war, ging man so kein Risiko ein. Völlig gestrichen wurde der Vorschlag, dem Regierungsbevollmächtigten ein Gremium aus Abgeordneten der Volksvertretungen der Stadt- und Landkreise zur Seite zu stellen.547 In einer früheren Vorlage mit handschriftlichen Anmerkungen vom 25. April war statt von Regierungsbevollmächtigten sogar noch von Verwaltungsdirektoren die Rede gewesen, die von den gewählten Volksvertretungen der Stadt- und Landkreise bestimmt und von de Maizière ernannt werden sollten.548 Die Änderung zeigte, dass de Maizière für die Bezirke, in denen keine Wahlen mehr vorgesehen waren, ein Modell favorisierte, in dem sich die Autorität der Chefs der Bezirksverwaltungen eindeutig von der Regierung ableitete. Der Ministerrat bevorzugte eine Anbindung an die Regierung, weil diese bereits durch freie Wahlen legitimiert war. Eine Autorisierung der Regierungsbevollmächtigten der Bezirke durch die sich nach den Kommunalwahlen am 6. Mai erst konstituierenden Kreis- und Kommunalparlamente hätte das Verfah544 Interview Hans Joachim Meyer am 3. 3. 2003. 545 Rottenburger Erklärung zur Länderbildung in der DDR vom 6. 4.1990 (Dok. 39). Siehe Kap. 4.1.6. 546 Für die CDU hatten u. a. Herbert Wagner, Dieter Reinfried, Harald Röthig, Arnold Vaatz, Rolf Jähnichen und Friederike de Haas unterzeichnet, für den DA Dieter Beyer, Matthias Rößler, Horst Rasch, Johannes Pohl und Helmut Münch (Dok. 39). 547 Manfred Preiß an Lothar de Maizière vom 26. 4.1990 (BArch B, DO 5, 57). 548 Vgl. Vorschlag zur Sicherung der Regierungsfähigkeit in den Bezirken bis zur Bildung funktionsfähiger Länder, o. D. (ebd.).

Regierung beschließt Regierungsbevollmächtigte

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ren ebenso verzögert wie die Einsetzung eines Gremiums aus Vertretern der Kreise, die gewiss ein Mitspracherecht eingefordert hätten. Die Aufgaben der Bezirkstage übernahmen nun die Vertreter der in den jeweiligen Bezirken gewählten Vertreter der Volkskammer, eine Konstruktion, die den Protest von Bürgerbewegungen und des Dresdner Runden Tisches auslöste.549 Kritisiert wurde nicht nur die sich darin ausdrückende politische Gesamtstruktur, sondern auch, was von Anfang an deutlich war, dass die Abgeordneten in den Turbulenzen des parlamentarischen Alltags kaum in der Lage sein würden, regionale Belange entscheidend zu beeinflussen. Auf diese Weise konnte die beim Bezirksbevollmächtigten vermutete Machtkonzentration kaum beeinträchtigt werden.550 In der Tat dauerte es nicht lange, bis erste Klagen kamen. Bereits wenige Wochen nach dem Beschluss über die Gremien aus Volkskammerabgeordneten erklärte der stellvertretende Leipziger SPD-Bezirksvorsitzende, Ernst Benedict, die Parlamentarier der Volkskammer seien mit der Kontrolle der Regierungsbeauftragten völlig überfordert. Es sei zu befürchten, dass die Länderbildung darunter leide.551 Da sie zudem von den Regierungsbevollmächtigten und deren Stellvertretern für Länderbildung in Sachsen kaum in die dortigen Aktivitäten einbezogen wurden, forderten zum Beispiel die Chemnitzer Volkskammerabgeordneten, ihre Vorstellungen bei der Länderbildung stärker zu berücksichtigen.552 Dies war aber schon deswegen kaum möglich, weil sie auch wegen ihrer Arbeitsbelastung kaum ausreichend über die sächsischen Landesbildungsaktivitäten in Kenntnis gesetzt waren. In Chemnitz wurden sie deswegen Ende Juli über den Stand der Länderbildung informiert,553 und auch die Bezirksverwaltungsbehörde Leipzig führte im Juli 1990 eine Beratung mit den Volkskammerabgeordneten des Bezirkes zu Sachthemen durch, freilich laut Protokoll nicht explizit zu Fragen der Länderbildung.554 Hier wie in anderen Bezirken blieb es reine Formsache, dass die Regierungsbevollmächtigten einmal monatlich mit den zuständigen Volkskammerabgeordneten der Bezirke unter anderem zu Problemen der Länderbildung tagten.555 Von einer effektiven Kontrolle der Regierungsbevoll-

549 Vgl. Iltgen, Neue Politik, S. 155. 550 Interview Erich Iltgen. In: Der Sächsische Landtag, Von der Wende, S. 31 f. 551 Protokoll der Sitzung des SPD-Bezirksvorstandes Leipzig am 5. 6.1990 (AdSD, SPD-LV Sachsen, 31, 3/9.1). 552 BVB Chemnitz: Protokoll der Beratung des Regierungsbevollmächtigten mit den Abgeordneten der Volkskammer des Bezirkes Chemnitz vom 2. 7.1990 (SächsStAC, BVB, 140104 ). 553 BVB Chemnitz: Protokoll der Beratung des 1. Stellvertreters des Regierungsbevollmächtigten mit den Abgeordneten der Volkskammer des Bezirkes Chemnitz vom 23. 7.1990 (ebd.). 554 BVB Leipzig: Protokoll über die Beratung mit den Abgeordneten der Volkskammer des Bezirkes Leipzig am 23. 7.1990 (RPL, 0141.0). 555 Vgl. Regierungsbevollmächtigter Potsdam an die Abgeordneten der Volkskammer des Wahlkreises 12, Bezirk Potsdam und des Kreises Perleberg vom 27. 8.1990 (Brandenburg. LHA, BT/RdB, A/4995). Vgl. Protokoll der Beratung des Regierungsbevollmächtigten mit den Abgeordneten der Volkskammer des Bezirkes Potsdam am 9. 7.1990 (ebd.).

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mächtigten konnte keine Rede sein – ein Grund, warum man sich in Dresden Gedanken über demokratische Alternativen im Landesbildungsprozess machte.

4.3.2 Arbeiten des Dresdner Rates an einer Landesverfassung und Landesregierung ab Mai 1990 Für die Räte der Bezirke bedeutete der Beschluss vom 2. Mai Sicherheit hinsichtlich der Kontinuität wesentlicher Teile ihrer Arbeit. Zwar würde es einen Austausch in den Führungspositionen zugunsten von Funktionsträgern der CDU geben, aber schließlich kannte man viele von diesen aus der bisherigen Arbeit. Für die Zukunft der Räte wichtig waren die vor allem in Dresden frühzeitig begonnenen Arbeiten zur Vorbereitung der künftigen Landesstrukturen, die nach dem 2. Mai mit Unterstützung der Regierung intensiviert wurden. Im Kommentar zum Gesetzentwurf hieß es, dass parallel zur Gesetzesberatung in der Volkskammer alle Vorbereitungsarbeiten unter Verantwortung der Räte der Bezirke in Angriff zu nehmen seien.556 Die Regierung hatte bereits wiederholt ihr Zutrauen in die inhaltliche Arbeit der Räte geäußert. Bedenken wegen deren Rolle im SED-Staat mussten aus Sicht der Regierung angesichts fehlender Alternativen zurückgestellt werden, teilweise waren sie auch gar nicht vorhanden. So scheute sich Preiß nicht, zu erklären, die SED hätte 1952 die Länder durch Bezirke ersetzt, „um bürgernah am Bürger dran zu sein“. Es sei „an vielen Stellen gelungen, diese Bürgernähe auch zu praktizieren“.557 Solches Vertrauen in die bisherigen Organe des diktatorischen Staates galt nun auch für die mit der Regierung zu koordinierenden Arbeiten zur Landesbildung vor Ort. Aus den bisherigen Staatsorganen des SED-Regimes auf Bezirksebene kam ein erheblicher Teil der jetzigen Entscheidungsträger in der Regierung; hier kannte man die dortigen Strukturen und einen Großteil des Personals. Hier gab es aus Zeiten der Diktatur herrührende „bewährte soziale, funktionale und organisatorische Beziehungen“, die der Regierung garantierten, die staatlichen Verwaltungsfunktionen übergangsweise weiterführen und in den Territorien effektiv regieren zu können.558 Bei soviel Unterstützung aus dem alten Staatsapparat sah die unter starkem Zeitdruck agierende Regierung keinen Anlass, Runde Tische oder andere Gremien an den Ausarbeitungen zu künftigen Landesverfassungen oder -strukturen zu beteiligen und damit diesen Prozess zu verlängern. Diese sollten vielmehr in alleiniger Verantwortung der Räte bzw. Bezirksverwaltungsbehörden durchgeführt werden. Am 27. April informierte Preiß Vertreter des Bundesinnenministeriums, dass zur organisatorischen Vorbereitung der Bil556 Beschluss des Ministerrates der DDR 4/2/90 vom 2. 5.1990 zum Vorschlag zur Sicherung der Regierungsfähigkeit in den Bezirken bis zur Bildung funktionsfähiger Länder (Endredaktion 10. 5.1990) (BArch B, DO 5, 199). 557 Zit. in BPA/DDR-Informationen vom 14.5.1990. In: Deutschland 1990, Band 8, S. 4655. Angesichts der IM-Tätigkeit von Preiß für das MfS eine etwas makabre Feststellung. 558 Manfred Preiß. In: Regierungspressedienst 15 vom 14. 5.1990, S. 3.

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dung von Länderparlamenten und -regierungen „durch die jeweiligen Räte der Bezirke in Zusammenarbeit mit dem Minister für Regionale und Kommunale Angelegenheiten in eigener Verantwortung Arbeitsausschüsse gebildet“ würden.559 Hinsichtlich der Ausarbeitung von Landesverfassungen hatte es in der Vorlage der Regierungskommission noch geheißen, den von den Bezirken gebildeten Regionalausschüssen, in deren Arbeit auch die Aktivitäten Runder Tische einflossen, werde empfohlen, unter Beachtung der Grundsätze für ein Ländereinführungsgesetz Entwürfe auszuarbeiten.560 Nun waren es nach dem Willen des Ministerrates nur noch die Räte, die Arbeitsausschüsse bilden sollten, um „unter Nutzung der Landesverfassungen von 1946/47“ Entwürfe zu erstellen sowie die organisatorischen Vorbereitungen der Bildung von Landesparlamenten und -regierungen in Angriff zu nehmen.561 Die Tatsache, dass die Regierung kein Problem damit hatte, die Räte zu verpflichten, auf die Landesverfassungen von 1946/47 zurückzugreifen, verdeutlicht zusätzlich, wie stark die in den Blockparteien sozialisierten Politiker der Regierung vom bisherigen System geprägt waren. Dies galt freilich auch für etliche Vertreter der neuen politischen Kräfte. Die alten Landesverfassungen gingen durchweg auf einen SED-Entwurf von 1946 zurück und beinhalteten bereits die Grundlagen für Gewalteneinheit und „demokratischen Zentralismus“ als Grundstruktur der Diktatur.562 Nicht nur die Ausarbeitung von Landesverfassungen wurde in die Hände der Räte gelegt; diese waren nun aus Sicht der Regierung auch die einzig Geeigneten, ihre bisherigen Arbeiten an den Strukturen künftiger Landesregierungen fortzusetzen. Angesichts der dabei bisher schon führenden Rolle des Dresdner Rates lagen dafür im Mai im Wesentlichen nur dessen unter Leitung von Klaus Schumann erstellten Arbeiten vor. Mit Blick auf das bevorstehende Ende der DDR und wegen der verbreiteten Absicht, die eigene berufliche Existenz in die neue bundesdeutsche Ordnung hinüberzuretten, zielten die meisten Vorschläge ziemlich direkt darauf, bisherige Ratsbereiche in die künftige Landesregierung bzw. -verwaltung zu überführen. So schlugen zum Beispiel der 1. Stellvertreter des Dresdner Ratsvorsitzenden, Karl-Walter Richter, und der bisherige Leiter der Instrukteursabteilung, Werner Schnuppe, Mitte Mai vor, den Arbeitsbereich Information des Rates in ein mögliches Staatsministerium einzugliedern. Die Bürgerberatungs- und Eingabenstelle sollte den „Grundstock für die Kanzlei des Petitionsausschusses des künftigen Landtages“ bilden und die „Aufgaben aus dem Gebiet des Kommunalwesens und des Kommunalrechts in das Innenministerium und den Regierungsbezirk übergehen“. Das Organisations559 BMI, Referat 0I1 an VI1: Betr. Sondersitzung der IMK am 4./4. 5.1990 vom 2. 5.1990 (BArch, B 106, 301132, VI1–110851/0, Band 3). 560 Regierungskommission für die Vorbereitung und Durchführung der Verwaltungsreform, AG Administrativ-territoriale Gliederung: Vorlage (für den Ministerrat) zur Länderbildung in der DDR vom April 1990 (HAIT, KA, VII.1). 561 Beschluss des Ministerrates der DDR 4/3/90 vom 2. 5.1990 zum Vorschlag für ein Gesetz zur Bildung von Ländern in der DDR einschließlich Ländergliederung (BArch B, DO 5, 92). 562 Vgl. von Mangoldt, Die Verfassungen der neuen Bundesländer, S. 26.

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und Rechenzentrum des Rates eignete sich demnach als „Grundstock für eine Stabsstelle für Information und Kommunikation in der künftigen Landesregierung“,563 und die Abteilung Ausbildung, bisher vor allem zuständig für die ideologische Indoktrinierung der Mitarbeiter, sollte die Aufgaben künftiger Referate für Aus- und Fortbildung im künftigen Innenministerium und in den Regierungspräsidien übernehmen.564 Am 23. Mai legte Siegfried Ballschuh, noch in seiner Eigenschaft als Mitglied des Rates des Bezirkes für Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft, den „Entwurf einer möglichen Struktur des Innenministeriums des Landes Sachsen“ vor, der das Grundverständnis des späteren Dresdner Regierungsbevollmächtigten von einer Kontinuität der Bezirksorgane im künftigen Land Sachsen verdeutlicht. Hier war die Rede von später „in das Innenministerium zu integrierenden Ratsbereichen“.565 Nach dem darauf basierenden Beschluss sah der Rat des Bezirkes für ein sächsisches Innenministerium die neun Abteilungen „Allgemeine Verwaltung“, „Verfassung, Kommunal-, Sparkassenwesen und Recht“, „Information und Kommunikation“, „Landespolizeipräsidium“, „Katastrophen-, Brandschutz, Rettungsdienst, Zivilschutz“, „Baurecht, Städtebau, Wohnungswesen“, „Raumordnung, Raumplanung, Landesentwicklung, Liegenschafts- und Vermessungswesen“, „Eingliederung, Ausländerangelegenheiten“ sowie „Verkehr“ vor.566 Anders als bei früheren Ausarbeitungen des Rates, mit denen sich dieser in einen Gegensatz zur Modrow-Regierung begeben hatte, sollten die Ausarbeitungen nun in enger Abstimmung, und, wie das Beispiel des Innenministeriums zeigt, „auf der Grundlage einer entsprechenden Gesetzgebung des Ministerrates“ erfolgen.567 Mit welcher Selbstverständlichkeit die bisherigen Funktionsträger des diktatorisch-zentralistischen Staatsapparates auf Bezirksebene diesen als Grundstock des künftigen Bundeslandes Sachsen ansahen, machten auch andere Strukturvorschläge vom Mai deutlich. So plante die Abteilung „Grundsatzfragen“ der Hauptabteilung „Raumordnung und Regionalentwicklung“ die Bildung eines Wirtschaftsministeriums.568 In einer am 23. Mai vom Rat des Bezirkes bestätigten Vorlage war plötzlich die Rede von „maximaler Nutzung der Triebkräfte der Marktwirtschaft“, so als hätten die Staatsfunktionäre bislang nicht völlig entgegengesetzte, kommunistische Auffassungen vertreten. Als vorrangig galt ihnen nun das bislang verteufelte Konzept einer Modernisierung und infrastrukturellen Entwicklung der völlig vernachläs563 Ziele, Inhalte, Arbeitsweise und Struktur des Verantwortungsbereiches 1. Stellvertreter des Vorsitzenden des RdB Dresden vom 21. 5.1990 (SächsHStA, BT / RdB, 47562, Bl. 67–69). 564 RdB Dresden, Abteilung Ausbildung, vom 17. 5.1990 (ebd., Bl. 76 f.). 565 Beschlussvorlage RdB Dresden Nr. 3, Sitzung vom 23. 5.1990. Zit. in Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 83. 566 Beschluss des RdB Dresden vom 23. 5.1990: Entwurf einer möglichen Struktur des Innenministeriums des Landes Sachsen (SächsHStA, BT/RdB, 47122, Bl. 54–57). 567 Beschlussprotokoll der 107. Sitzung des RdB Dresden am 23. 5.1990 (ebd., Bl. 32). 568 RdB Dresden: Hausmitteilung der HA Raumordnung und Regionalentwicklung vom 22. 5.1990: Hinweise zur Ratsvorlage „Wirtschaftsministerium“ von Steffen Kandalofsky (HAIT, KA, V.2).

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sigten mittelständischen Wirtschaft. Mit deren Entfaltung sollten „wesentliche materielle und finanzielle Grundlagen der kommunalen Selbstverwaltung gelegt“ werden. Die Vorlage basierte auf einer Empfehlung des DDR-Ministeriums für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie. Ziel war eine kompakte Struktur der Landesregierung mit möglichst wenig nachgeordneten Ämtern. Zugrunde gelegt wurden die Regierungsstrukturen von Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Niedersachsen. Analysiert man den Inhalt genauer, wird deutlich, dass für die Ausarbeitungen weniger die kaum qualifizierten Vorlagen der DDRRegierung maßgeblich waren, sondern die aus praktischer Erfahrung herrührenden Empfehlungen der bundesdeutschen Partner. So gab es in der Frage der Bildung eines Wirtschaftsministeriums bereits im April Kontakte nach BadenWürttemberg, dessen Landesregierung dem Rat des Bezirkes mit Hinweisen und Empfehlungen half.569 Auf dieser Grundlage formulierte der Rat Ende Mai die Aufgaben eines künftigen Wirtschaftsministeriums. So sollte der Geschäftsbereich die gesamte Wirtschaftspolitik der Landesregierung umfassen, das Ministerium die sächsische Wirtschaft bei der Anpassung und Umstellung auf die Marktwirtschaft, bei der Bewältigung damit verbundener sozialer und ökologischer Probleme unterstützen sowie durch rechtssetzende Arbeit Leitlinien der Wirtschafts- und Strukturpolitik entwickeln. Als vorrangige Aufgabe galt die Wiederbelebung und Herausbildung sowie Förderung des für Sachsen früher einmal typischen, von der SED nahezu vollständig ausradierten Mittelstandes. Das Ministerium sollte sich in die Abteilungen „Wirtschaftspolitik und -ordnung“, „Wirtschaftsstruktur“, „Verwaltung und Organisation“, „Wirtschaftsnahe Forschung und Technologie“ sowie „Energiewirtschaft, Bergwesen und Geologie“ gliedern. Als nachgeordnete Einrichtungen und Ämter wurden ein Landesgewerbeamt, ein Landesamt für Mess- und Eichwesen, ein Landesprüfamt, ein Materialprüfamt für Bauwesen, ein Landesoberbergamt sowie ein Landesamt für Geologie genannt.570 Hinsichtlich eines künftigen Landesministeriums für Bildung, Jugend und Sport war in einem Geschäftsverteilungsplan der Abteilung Volksbildung des Rates des Bezirkes Dresden vom 15. Mai die Rede von den Abteilungen „Verwaltung, Recht, Grundsatzangelegenheiten“, „Allgemeinbildende Schulen“, „Berufsbildende Schulen“ sowie „Jugendförderung und Sport“. Das Modell orientierte 569 RdB Dresden, HA Raumordnung und Regionalentwicklung: Protokoll über die Aussprache mit Ministerialdirektor Buchmüller und Ministerialrat Dr. Haeffter vom Wirtschaftsministerium des Landes Baden-Württemberg sowie Vertretern der HA Raumordnung und einiger Fachorgane des RdB Dresden am 20. 4.1990 in Dresden (ebd.); Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie Baden-Württemberg an den RdB Dresden, Steffen Kandalofsky, vom 9. 4.1990 (ebd.). 570 RdB Dresden, Stellvertreter des Vorsitzenden für Raumplanung und Regionalentwicklung, Andreas Mauksch: Vorschlag für die Aufgabenstellung und Struktur des Ministeriums für Wirtschaft des Landes Sachsen, Sitzung am 23. 5.1990 (ebd., 55); Beschluss des RdB Dresden 115/90 vom 23. 5.1990: Vorschlag für die Aufgabenstellung und Struktur des Ministeriums für Wirtschaft des Landes Sachsen (SächsHStA, BT/RdB, 47122, Bl. 59–68).

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sich in einigen Punkten noch am bisherigen DDR-Bildungssystem, etwa wenn von Erweiterten Oberschulen die Rede war.571 Zur Bildung eines Landesministeriums für Arbeit, Gesundheit, Familie und Sozialordnung war „die Schaffung eines ordnenden Rahmens im Sinne einer effizienten Ämter- und Behördenstruktur auf Landes-, Regierungsbezirks- und kommunaler Ebene“ vorgesehen. Ziel war „die umfassendste Neuordnung“ auf dem Gebiet der Sozialversicherung, des sozialen Entschädigungsrechts und der Arbeitswelt. Das Ministerium sollte sich in die fünf Abteilungen „Verwaltung“, „Arbeit“, „Sozialversicherung“, „Familie und Soziales“ sowie „Gesundheitswesen“ gliedern.572 Im Mai lagen ebenfalls bereits Strukturpläne für ein Verkehrsministerium573 und ein Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten574 vor. Sämtliche Ausarbeitungen des Dresdner Rates wurden Anfang Juni in ein Gesamtmodell gefasst, das hier ausführlicher dargestellt werden soll, weil der frühe Zeitpunkt seiner Erarbeitung einen Vergleich mit noch folgenden Zwischenmodellen und den später tatsächlich gebildeten Ministerien ermöglicht.575 Im Modell war nach baden-württembergischem Vorbild die Rede von einem Staatsministerium mit fünf bis sechs bis dato nur teilweise definierten Abteilungen. Genannt wurden die für „Verwaltung und Recht“, „Grundsatz und Planung“ sowie „Internationale Arbeit“. Das Ministerium des Innern gliederte sich in die Abteilungen „Allgemeine Verwaltung“, „Verfassung, Kommunal- und Sparkassenwesen, Recht“, „Organisation, Kommunikation/EDV“, „Landespolizeipräsidium“, „Katastrophen-, Brandschutz, Rettungsdienst, Zivilschutz“, „Baurecht, Städtebau, Wohnungswesen“, „Raumordnung, Landesentwicklung, Raumplanung, Liegenschafts- und Vermessungswesen“ sowie „Eingliederung, Ausländerangelegenheiten“. Das Ministerium für Bildung, Jugend und Sport bestand aus den Abteilungen „Verwaltung, Haushalt, Personal“, „Recht“, „Grundsatzangelegenheiten“, „Allgemeinbildende Schulen“, „Berufsbildende Schulen“ sowie „Jugendförderung und Sport“. Für das Justizministerium waren die Abteilungen „Verwaltung, Haushalt“, „Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit“, „Gerichtsorganisation“, „Personalangelegenheiten und Ausbildung“, „Berufsorganisation“ sowie „Strafvollzug“ vorgesehen. Das Finanzministerium gliederte sich in die Abteilungen „Verwaltung, Personal-, Tarif-, allgemeine Rechtsangelegenhei571 RdB Dresden, Abteilung Volksbildung: Entwurf eines Geschäftsverteilungsplanes des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport vom 15. 5.1990 (HAIT, KA, 42). 572 RdB Dresden, Abteilung Gesundheits- und Sozialwesen: Standpunkte zur Neuordnung des Gesundheits- und Sozialwesens im Land Sachsen, o. D. (ebd., 59). 573 RdB Dresden, amtierendes Mitglied des Rates für Verkehrs- und Nachrichtenwesen: Entwurf eines Geschäftsverteilungsplanes eines künftigen Sächsischen Ministeriums für Verkehrswesen sowie der Abteilung Verkehrswesen der Regierungspräsidien vom 7. 5. 1990 (ebd., 53); Beschluss des RdB Dresden 106/90 vom 9. 5.1990: Vorschlag für die Verwaltungsstrukturen des Bereichs Verkehrs- und Nachrichtenwesen im Ministerium, Regierungsbezirk und Kreis (SächsHStA, BT/RdB, 47122, Bl. 229–232). 574 Entwurf eines Geschäftsverteilungsplanes des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 10. 5.1990 (HAIT, KA, 58). 575 Modell einer Landesregierung Sachsen vom 1. 6.1990 (ebd., 37).

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ten“, „Haushalt-, Finanzplanung, Kassen- und Rechnungswesen“, „Steuern“ sowie „Vermögen, Schulden und Kreditwesen“. Ein Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie sollte sich in die Abteilungen „Verwaltung, Organisation“, „Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsordnung“, „Wirtschaftsstruktur“, „Wirtschaftsnahe Technologie und Forschung“ sowie „Energiewirtschaft, Bergwesen und Geologie“ gliedern; ein Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in die für „Verwaltung“, „Raumordnung, Agrarstruktur“, „Betriebswirtschaft“, „Landwirtschaft“, „Markt und Ernährung“, „Veterinärwesen“, „Landesforstverwaltung“ sowie „Bildung und Wissenschaft“. Für das Umweltministerium waren Abteilungen für „Verwaltung“, „Grundsatzfragen, Umweltschutz“, „Wasserwirtschaft“, „Luft, Umweltradioaktivität“, „Abfallwirtschaft und Boden“ sowie „Natur- und Landschaftsschutz“ vorgesehen. Ein Ministerium für Kultur, Kunst und Wissenschaft gliederte sich demnach in die Abteilungen „Verwaltung, Haushalt, Recht, Personal“, „Kunst und Literatur“, „Kommunale Kultur“, „Universitäten, Forschungsinstitute“ sowie „Hochschulen“. Vorgesehen war ein Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales mit den Abteilungen „Verwaltung“, „Arbeit“, „Sozialversicherung“, „Familie und Soziales“ sowie „Gesundheitswesen“. In der Planung war zu diesem Zeitpunkt auch noch ein eigenes Ministerium für Verkehrswesen mit den Abteilungen „Verwaltung, Grundsatzfragen, Haushalt“, „Personen- und Güterverkehr“, „Verkehrstechnik und Verkehrsrecht“ sowie „Straßenwesen“. Besonderes Interesse zeigten die Räte der Bezirke an Ausarbeitungen über künftige Regierungspräsidien, auch wenn die Aussicht auf deren Fortwirken in neuer Form vielerorts Proteste gerade neu gewählter Landräte hervorrief.576 Entsprechende Bedenken wurden in den Räten der Bezirke natürlich nicht geteilt, ging es hier doch auch um die eigene berufliche Zukunft. So unterbreiteten Rat und Bezirkstag von Karl-Marx-Stadt auf der 17. Tagung des Bezirkstages den Vorschlag, einen Regierungsbezirk Karl-Marx-Stadt / Chemnitz im Wesentlichen in den Grenzen des bisherigen Bezirkes zu schaffen. In den fast 38 Jahren des Bestehens des Bezirkes seien „enge wirtschaftliche, ökologische, soziale und infrastrukturelle Verflechtungen zwischen den Stadt- und Landkreisen entstanden“, deren „Ausbau und Entwicklung am besten in dieser einheitlichen Region gefördert werden können“.577 Auch im Leipziger Rat des Bezirkes wurde Ende Mai „auf der Grundlage einer möglichen Regierungsstruktur und unter Einbeziehung vieler Erfahrungen der Bereiche des Rates des Bezirkes aus Beratungen und Konsultationen mit bundesdeutschen Verwaltungen“ der Strukturentwurf eines Regierungspräsidiums erarbeitet und bereits als Übergangsstruktur beschlossen. Hier wurde wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass mit der Wiedereinführung der Länder auch die Regierungsbezirke wieder gebildet werden, weil „ohne Regierungsbezirk ein Flächenstaat 576 Bullmann/Schwanengel, Zur Transformation, S. 205. 577 Mitteilungen des Bezirkstages und des Rates des Bezirkes Karl-Marx-Stadt Nr. 121 von Mai 1990: Materialien der 18. (letzten) Tagung des Bezirkstages Karl-Marx-Stadt / Chemnitz am 23. Mai 1990, S. 32 f. (SächsStAC, 126371).

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nicht effizient zu leiten“ sei.578 Hier setzten sich freilich vor allem die Vertreter der neuen Kräfte frühzeitig dafür ein, ein Regierungspräsidium zu schaffen, das nicht die Strukturen des Rates zementiert. Bereits die künftige Bezirksverwaltungsbehörde sollte so strukturiert werden, dass bei Einrichtung des Regierungspräsidiums keine umfassende Strukturveränderung mehr notwendig sein sollte.579 Unterstützung erhielten die Befürworter von Regierungspräsidien von baden-württembergischer Seite, wo beschlossen wurde, die künftigen Regierungspräsidien durch Patenschaften von je einem baden-württembergischen Regierungspräsidium zu unterstützen.580 Auch von Minister Preiß war Hilfe zu erwarten. Dieser befürwortete, dass die Bezirksebene „nicht politisch (parlamentarisch) gebunden“ sei. Damit nehme die Kompetenz der Regierungspräsidien als entscheidungsfähige „reine Exekutive“ zu.581 Noch aber war nichts entschieden, hatte de Maizière die Vorsitzenden der Räte doch darauf hingewiesen, dass im Prozess der Länderbildung erst die gewählten Länderparlamente endgültig über die Bildung von Regierungsbezirken zu entscheiden hätten.582 Mit dem Beschluss des Ministerrates vom 2. Mai und den Aktivitäten insbesondere des Rates des Bezirkes Dresden zur Bildung des Landes und von Regierungspräsidien, die sich mit dem Versuch verbanden, die bislang SED-dominierten Apparate in modifizierter Form zu erhalten, wurde den neuen Kräften am Runden Tisch des Bezirkes Dresden vor Augen geführt, dass der Zugriff auf die bestehende Verwaltung der entscheidende Machtfaktor bei der Herausbildung künftiger Landesstrukturen war. Freilich wurde in Dresden wohl übersehen, dass die Regierung angesichts des Zeitdrucks des Einigungsprozesses und fehlender personeller Alternativen kaum eine andere Möglichkeit hatte, als den bisherigen Staatsapparat in wenig modifizierter Form zu nutzen. Ohne genau zwischen SED-Funktionären und den nun demokratisch legitimierten CDUFunktionären zu differenzieren, zeichnete Vaatz das Bild einer „Front in Berlin“, wonach die Personalfragen in den Räten „möglichst lautlos zugunsten der im Amt befindlichen Kräfte“ entschieden werden sollten.583 Ziel der Altfunktionäre war es also, dem nach wie vor zentralistisch aufgebauten Staatsapparat in den Bezirken zu ermöglichen, die strukturellen und personellen Weichenstellungen bei der Länderbildung selbst vorzunehmen und den Bezirksverwaltungen 578 Referat des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes auf der 19. Tagung des Bezirkstages Leipzig vom 31. 5.1990 (SächsStAL, BT/RdB. 19051). 579 Arbeitsplan über die Gestaltung einer Auftragsverwaltung für den Bezirk Leipzig unter Leitung eines Regierungsbeauftragten von Mitte Mai 1990 (PB Günter Kleinschmidt). 580 Zwischenbilanz und Vorschläge des Innenministeriums Baden-Württemberg für das weitere Vorgehen der AG Verwaltungsstruktur Sachsen der Gemischten Kommission vom 22. 5.1990 (Dok. 73). 581 Kurzübersicht in Auswertung der Reise des Ministers für regionale und kommunale Angelegenheiten, Preiß, in das Innenministerium Baden-Württembergs am 28./29. 5.1990 (BArch B, DO 5, 8). 582 RdB Leipzig: Beschlussprotokoll der Sitzung des Rates des Bezirkes Leipzig vom 4. 5.1990 (SächsStAL, BT/RdB, 21300). 583 Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002.

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eine „weiche Landung“ in den Länderstrukturen zu sichern.584 Dabei erhielten diese nun Rückendeckung durch de Maizière, was sich Vaatz so darstellte, dass sich „die Frontstellung zwischen der zentralen Regierung und den Bestrebungen vor Ort“ verschärfte.585 Hatte bisher der Konflikt zwischen Rat und Rundem Tisch des Bezirkes Dresden die Situation vor Ort bestimmt, so wurde diese nun durch den Schulterschluss der Regierung de Maizière mit den Räten modifiziert. Der teils aufgebauschte Konflikt „Alt gegen Neu“ verband sich mit dem „Oben gegen Unten“. Dabei teilten Vaatz und seine politischen Mitstreiter in CDU und DA das Vorurteil vieler Bürgerrechtler, die nicht akzeptieren wollten, dass die friedliche Revolution ausgerechnet die früheren, angepassten Funktionäre der Block-CDU in verantwortliche Funktionen spülte. Die hinsichtlich des Erhalts des bezirklichen Staatsapparates restaurative Politik de Maizières kollidierte freilich nicht nur in Dresden mit den auch in der friedlichen Revolution wurzelnden und sich mehr oder weniger unabhängig von der Regierung vollziehenden Demokratisierungs- bzw. Landesbildungsprozessen „von unten“. Der „zentralistische Weg der Länderbildung“586 der Regierung stieß überall dort auf Proteste, wo die Gefahr gesehen wurde, dass eigenständige regionale Entwicklungen gestoppt oder gar rückgängig gemacht würden. Nirgends war die Basisbewegung freilich so ausgeprägt wie in Dresden, nirgends drängten die neuen Kräfte so an die Macht und nirgends spitzten sich die Konflikte so zu wie an der Elbe. Für Rößler war der Widerspruch „zwischen dem, was wir hier in Dresden hatten, was hier im Land gewachsen war und dem, was man uns aus Ost-Berlin überstülpen wollte“ der „Grundkonflikt dieser ganzen Zeit“.587 Am Dresdner Runden Tisch hatte man zwar grundsätzlich Verständnis für die Notwendigkeit einer zentralen Lenkung des Länderbildungsprozesses, kritisierte jedoch, so Iltgen, dass de Maizière ignorierte, dass es in den von ihm genutzten Bezirksverwaltungen „Beharrungskräfte“ gab, die „durchaus nicht bereit waren, sich einer Veränderung zu stellen“. Iltgen hätte sich z. B. vorstellen können, dass sich der Ministerpräsident an die Moderatoren der Runden Tische gewandt und seine Position erläutert hätte. Den Runden Tischen, die trotz aller Unzulänglichkeiten immerhin wichtige Garanten der Friedlichkeit der Revolution waren, „nur über die Zeitungen mitzuteilen, dass sich das nun erledigt hat“, habe natürlich Widerstand und Misstrauen geweckt. Iltgen hält das Vorgehen de Maizières in dieser Hinsicht für wenig professionell, weil er damit unnötige Widerstände bei denen hervorgerufen habe, die eine wichtige Rolle im bisherigen revolutionären Prozess gespielt hatten. Das hing nach Iltgens Meinung damit zusammen, dass de Maizière nie gelernt habe, politisch zu arbeiten. Er sei wie viele andere Akteure aus einem völlig anderen Beruf in diese Tätigkeit gekommen. Zwar habe er über Erfahrungen aus Kirchenparlamenten verfügt, 584 Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 93. 585 Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 586 Iltgen, Vom Runden Tisch, S. 24. 587 Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003.

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aber „diese direkten demokratischen Strukturen, die jetzt notwendig waren, um die Bevölkerung zu beteiligen“, nie gelernt. Wie viele andere habe er nur auf seine eigenen Erfahrungen zurückgegriffen, die darin bestanden, „administrativ, zentralistisch zu arbeiten“. Das sei in Dresden aber nicht gut angekommen, weil man hier besonders unter dem Zentralismus der DDR zu leiden gehabt habe. Aufgrund der zentralistischen Methoden habe sich auch gegen die neue Regierung ein Misstrauen aufgebaut. Die Regierung habe dekretiert, und die Räte hätten die Dekrete umzusetzen gehabt. Insofern seien die Regierungsverantwortlichen „zwar demokratisch gewählt“ worden, „aber es waren noch keine Demokraten“.588 Nach Darstellung Reichenbachs, damals sächsischer CDUVorsitzender und Staatsminister im Büro de Maizières, spielten die Dresdner Überlegungen und Handlungen im Umfeld de Maizières „überhaupt keine Rolle“.589 Hinzu kam, dass es auch „zwischen Volkskammer und Dresdens Rundem Tisch absolut keine Beziehung“ gab. Auch aus Sicht der sächsischen CDU-Volkskammerabgeordneten, so Grüning, war es „realpolitisch gesehen ausgesprochener Quatsch“, das Land in der Region selbst gründen zu wollen. Dem Runden Tisch hätten dazu sowohl Legitimation als auch Kompetenz gefehlt.590 Noch war unklar, wie der Konflikt sich lösen würde. Deutlich war nur, dass angesichts des Drucks der Entwicklung zur deutschen Einheit, des hinsichtlich der Unwägbarkeiten der internationalen Entwicklung als klein eingeschätzten Zeitfensters und des recht ungetrübten Verhältnisses zu den bisherigen Staatsorganen auf Bezirksebene weder Regierung noch Volkskammer bereit waren, von Runden Tischen oder politischen Splittergruppen getragene Sonderentwicklungen in den Bezirken zu akzeptieren, wenn diese das Wiedervereinigungskonzept der Regierung in Frage stellten. Aus Berliner Sicht gab es zu einer straff und zentral gesteuerten Landesbildung keine Alternative.591

4.3.3 Dresdner Runder Tisch beschließt Koordinierungsausschuss und Vorparlamentarischen Ausschuss In Dresden fand der Konflikt vor allem Ausdruck im Verhältnis zwischen den CDU-Altfunktionären im Landesvorstand und den neu zur CDU gestoßenen Kräften aus den Bürgerbewegungen, die den Runden Tisch als Nukleus der Landesbildung ansahen und nach Jahrzehnten zentralistischer Diktatur mit Skepsis auf alles reagierten, was aus Berlin kam. Das Präsidium des Landesverbandes Sachsen der CDU hatte die Regierungserklärung sowie die Orientierung auf fünf Länder bereits am 21. April begrüßt und keinen Zweifel an seiner Ansicht gelassen, dass „für die Ausrufung zur Länderbildung die Regierung der DDR verantwortlich“ sei. Ebenso wenig Zweifel an ihrer Haltung, die Neubildung 588 Interview Erich Iltgen. 589 Interview Klaus Reichenbach. 590 Interview Uwe Grüning. 591 Interview Thomas de Maizière.

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Sachsens von Berlin aus vornehmen zu lassen, ließen die Altfunktionäre im CDU-Landesvorstand auch mit ihrer mehrheitlichen Billigung des von der Regierung vorgelegten Musterentwurfs einer Landesverfassung.592 Auch kam ihnen die Umwandlung der Räte in Bezirksverwaltungsbehörden entgegen, würden hier doch alle wesentlichen Funktionen von „Unionsfreunden“ gestellt werden. Solcherart Abhängigkeit der bezirklichen Staatsorgane von der demokratisch gewählten Regierung stieß freilich bei anderen Erben der SED-Macht im Rat, die durch die Wahl nicht gleichermaßen geadelt worden waren, eher auf Skepsis. Wäre es zum Beispiel nach dem NDPD-Mitglied und Ratsvorsitzenden Kunze gegangen, für den mit dem Ende der Räte auch seine eigene und kurze politische Karriere zu Ende ging, hätten die Räte bis zur Landesbildung in der bisherigen Form und personellen Besetzung weiterwirken und sich so für das künftige Land Sachsen unentbehrlich machen sollen. Auf die Frage, ob es nicht ein neues zentralistisches System bedeute, „wenn wir praktisch die Regierung damit beauftragen, etwas hier für Sachsen zu tun“, hielt der NDPD-Funktionär dies schon wegen des damit verbundenen CDU-Einflusses für „ein bisschen bedenklich“. Bereits zu SED-Zeiten habe es Regierungsbeauftragte gegeben, die sehr genau darüber gewacht hätten, wie der Rat zentrale Politik durchsetzte. Kunze hoffte, dass es durch die Regierung de Maizière „sehr schnell und auch auf der Basis eines großen Vertrauens“ zu einer größeren Befugnis der nur „nach Meinung mancher Bürger nicht legitimierten Räte der Bezirke“ kommen würde. Im Rat des Bezirkes habe man in den vergangenen Wochen und Monaten gespürt, wie gut die Arbeit gelinge, wenn man ohne eine straffe, zentrale Kontrolle seinen Ideen freien Lauf lassen könne.593 Zwar lag sein Wunsch nach einer von demokratisch legitimierter Kontrolle freien Arbeit der bisherigen Staatsorgane jenseits von gut und böse, allerdings ergab sich aus Kunzes Haltung für die kurze Zeit, bis ihm Ballschuh im Bezirksverwaltungsapparat eine neue Funktion übertrug, eine Allianz mit dem Runden Tisch, der sich aus völlig anderen Motiven ebenfalls gegen die nach seinem Verständnis zu zentralistische Landesbildungspolitik zur Wehr setzte. Er half damit de facto den neuen politischen Kräften, ihre Ziele umzusetzen. Einen Tag nach der für den Verlauf der Entwicklung wichtigen Sitzung des Ministerrates trat am 3. Mai in Dresden der Runde Tisch des Bezirkes zusammen.594 An ihm nahmen unter anderen Arnold Vaatz und Dieter Reinfried (CDU), Gerhard Fischel (SPD), Hermann Henke (DSU ) und Helmut Münch (DA) teil. Der Rat des Bezirkes war durch Kunze vertreten. Vaatz legte ein Arbeitspapier unter dem Titel „Vorschlag zur Bildung eines Vorparlamentarischen Ausschusses (VPA) für das Land Sachsen“ vor, in dem auch die Bildung eines Koordinierungsausschusses als Organ des Vorparlamentarischen Ausschusses

592 ADN-Pressemitteilung des CDU-LV Sachsen vom 23. 4.1990 (ACDP, III-053). 593 Interview Michael Kunze am 18. 4.1990 im Sender Dresden (Dok. 51). 594 Protokoll der 18. Tagung des RTB Dresden am 3. 5.1990 (Dok. 65).

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vorgesehen war.595 Die Vorlage basierte auf Ausarbeitungen einer Arbeitsgruppe, die gemäß den Vorgaben des Dresdner Bezirkstages vom 26. April alle Vorstellungen der beteiligten Parteien zusammengetragen und einen Rahmenvorschlag für die Zusammenarbeit der drei Bezirke bei der Länderbildung erarbeitet hatte. Die Vorlage geriet zwar zur direkten Antwort auf die Beschlüsse des Ministerrates vom Vortag, war aber bereits zuvor, freilich in Reaktion auf die Regierungserklärung de Maizières, ausgearbeitet worden. Hier hieß es unter anderem, das Land Sachsen könne nur demokratisch vorbereitet und gebildet werden. Da die Demokratie jedoch unterhalb der Volkskammer und oberhalb der kommunalen Ebene nicht institutionalisiert und die Länderbildung nur im Zusammenhang aller Gebiete der DDR sinnfällig sei, müsse das Rahmenprogramm in Form eines Länderbildungsgesetzes von der Volkskammer vorgegeben werden. Damit wurde durchaus eine zentrale Lenkung des Landesbildungsprozesses konzidiert. „Um Reibungsverlusten vorzubeugen“, sollte die Volkskammer dabei jedoch auch „den Rat und die Vorschläge derer hören die hierzu Vorstellungen haben“, nämlich der Runden Tische und Bezirkstage. Freilich ging es in der Sache weniger um gute Vorstellungen, die sicher auch in Berlin ausreichend entwickelt wurden, sondern um den Anspruch der sächsischen Bevölkerung, endlich maßgeblichen Anteil an den eigenen Geschicken zu nehmen. Nach den verbalen Konzessionen gegenüber der zentral gesteuerten Länderbildungspolitik von Regierung und Volkskammer gingen die folgenden Beschlüsse deshalb in eine ganz andere, primär regional dominierte Richtung der Landesbildung. Der Dresdner Tisch schlug den anderen Runden Tischen und den Bezirkstagen die Bildung eines Vorparlamentarischen Ausschusses Sachsen vor – eines Gremiums mithin, das die eigenen Landesbildungsaktivitäten anders als von der Volkskammer abgeleitet, regional und direktdemokratisch legitimieren sollte. Hier offenbarte sich das Problem der fehlenden parlamentarisch-demokratischen Legitimierung der mittleren Bezirksverwaltungen, in deren Hände die inhaltliche Ausgestaltung der zentral gesteuerten und vorgegebenen Landesbildung gelegt wurde. In Dresden jedenfalls hatte man das unbedingte Empfinden, dass eine Ableitung der Volkskammerwahl über Regierung und deren Bevollmächtigten eine zu lange Kette sei und die Föderalisierung direkter vor Ort verankert werden sollte. Dieser hier dominanten Idee folgten auch jene, denen dieser Aspekt von Föderalisierung nicht klar vor Augen stand oder die Interessenvarianten durchsetzen wollten. Was bei der Idee eines Vorparlamentarischen Ausschusses unzureichend reflektiert wurde, war, dass bei der rasanten Fahrt in Richtung deutsche Einheit Demokratisierungsbemühungen jenseits des einheitlich ablaufenden Demokratisierungsprozesses in der DDR nicht realisierbar waren. Es war schier unmöglich, parallel zur Volkskammer- und Kommunalwahl auf Grundlage Runder Tische und von deren direktdemokratischen Kulturen auf Bezirksebene zu tragfähigen demokratischen Strukturen zu gelangen. Dem standen schon Runde 595 Vorschlag zur Bildung eines Vorparlamentarischen Ausschusses für das Land Sachsen vom 3. 5.1990 (Dok. 67).

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Tische wie der in Karl-Marx-Stadt entgegen, der sich seit der Volkskammerwahl zum Tummelplatz vor allem linker Splittergruppen entwickelt hatte. Auch in Dresden konnten die neuen politischen Kräfte, die zwecks deren Übernahme in die CDU gegangen waren, nicht erzwingen, dass die CDU in der gesamten DDR weg vom parlamentarisch-demokratischen System hin zu direktdemokratischen Politikformen abschwenkte, zumal im zielgerichteten, an der Bundesrepublik ausgerichteten Transformationsprozess nur diese repräsentativ-demokratischen Formen des Parlamentarismus zukunftsfähig waren. Eine parlamentarische Institution jenseits des parlamentarisch-demokratischen Mainstreams hatte keine Aussicht auf Erfolg. Da man davon hier nichts wissen wollte, ging man am Dresdner Runden Tisch zunächst Schritte in diese Richtung und forderte die anderen Bezirke auf, von den Runden Tischen je 25, von den Bezirkstagen je 15 Vertreter delegieren zu lassen. Die Mandatsverteilung sollte alle interessierten Parteien und Gruppierungen berücksichtigen, sofern diese nach dem Ermessen der Runden Tische „eine hinreichende politische Relevanz“ glaubhaft machen konnten. Wer diese „Relevanz“ messen und woran sie gemessen werden sollte, blieb offen. Außerdem sollten der am 18. März zustande gekommene Stimmenproporz der jeweiligen Bezirke berücksichtigt und regionale Vertretungen ausreichend wahrgenommen werden. Auch mit diesen unklaren Bestimmungen waren der Willkür Tür und Tor geöffnet. Den Räten wurde ein Anhörungsrecht eingeräumt und erklärt, dass es die „allgemeine Akzeptanz der zur Länderbildung erforderlichen Maßnahmen ganz wesentlich befördern“ würde, wenn die „dazu durch die Regierung autorisierten Personen das Vertrauen des Vorparlamentarischen Ausschusses hätten“. Unklar blieb, wie das Vertrauen in den Vorparlamentarischen Ausschuss erreicht werden sollte. Ausgediente und abgewrackte Bezirkstage und Runde Tische, von denen sich die Mehrheitsparteien mit Ausnahme Dresdens zurückgezogen hatten, konnten dieses Vertrauen schlecht begründen. Ungeachtet derartiger Mankos sollte dieser Vorparlamentarische Ausschuss gegenüber der Regierung das Vorschlagsrecht besitzen, einen Koordinierungsausschuss unter Leitung eines Regierungsbeauftragten mit den Vorbereitungen zur Bildung des Landes Sachsen zu beauftragen. Nur aus praktischen und Gründen der Finanzierbarkeit sollten dessen Mitglieder bei den Räten der Bezirke angestellt sein. Es war vorgesehen, dass sich die Kandidaten für die Funktion des Regierungsbeauftragten und des Vorsitzenden des Koordinierungsausschusses im Vorparlamentarischen Ausschuss einer offenen Abstimmung stellen. Gewählt sein sollte der Kandidat mit der absoluten Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Bei deren Verfehlung sollte in einer Stichwahl der Kandidat mit der höchsten Stimmenzahl gewählt werden. Der von Vaatz konzipierte Passus zielte darauf, sich selbst vom Vorparlamentarischen Ausschuss zum Regierungsbeauftragten – zumindest in Dresden, nach dem Entwurf aber für ganz Sachsen – bestimmen zu lassen. Statt eine demokratische Ableitung der Autorität des Regierungsbevollmächtigten durch Regierung und Volkskammer, mit der Konsequenz der Bestimmung eines Altfunktionärs, sollte ein aus den Runden Tischen der Bezirke hervorgehendes „vorparlamentari-

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sches“ Gremium Dank der dahinschmelzenden Autorität der Runden Tische und Bezirkstage den Regierungsbevollmächtigten, mit der Konsequenz der Wahl eines neu zur CDU gestoßenen Oppositionellen, bestimmt werden. Da beide Konzepte völlig unvereinbar waren, musste sich der Streit angesichts des Vorstoßes des Dresdner Runden Tisches zwangsläufig zuspitzen. Der Konflikt zwischen den legitimierten Altfunktionären und den neu zur CDU gestoßenen politischen Kräften konnte nur im sächsischen Landesvorstand gelöst werden. Mit seiner Initiative zur Schaffung eines „genuin sächsischen Koordinierungsausschuss zur Bildung des Landes“ wurde Vaatz auch von der SPD „sofort offensiv“ unterstützt.596 Hier teilte man das ja auch im Westen mitempfundene Unbehagen darüber, dass die CDU-Altfunktionäre die Vollender der friedlichen Revolution sein sollten. In der sächsischen SPD fand man Vaatz’ Konzept plausibel, dass das kommende Bundesland als Resultat der neuen Kräfte Sachsens, und nicht als Berliner Kunstprodukt, geschaffen von Altfunktionären, gelten sollte. Dabei wurde bewusst ignoriert, dass auch die programmatisch erneuerte, wenn auch weiterhin von Aktfunktionären dominierte CDU in ihrer neuen Form und demokratischen Legitimierung ein Ergebnis des revolutionären Umbruchprozesses darstellte und in formaler Hinsicht über eine wesentlich lupenreinere Legitimierung verfügte. Freilich hatten 1990 Funktionäre, die unter den Bedingungen der Diktatur bei ihrem Engagement und Arrangement nicht genau fixierte Anstandsgrenzen überschritten hatten, wenig Chancen auf Gehör, wenn sie betonten, auf ihre Weise ebenso zum Umbruch beigetragen zu haben wie die Minderzahl engagierter und idealistischer Bürgerrechtler. Am Runden Tisch des Bezirkes Dresden, an dem durch den CDU-Beitritt führender Mitglieder aus dem Neuen Forum und der Gruppe der 20 die neuen Kräfte dominierten, setzte sich am 3. Mai nach ausführlicher Diskussion mit 13 Stimmen das Konzept des „Vorparlamentarischen Ausschusses Land Sachsen“ gegen die Vorschläge „Regionalausschuss“ und „Kuratorium“ durch. Dabei ging es nicht um Namen und Begriffe, sondern um Konzepte. „Regionalausschuss“ entsprach dem zentralgesteuerten Landesbildungsmodell der Regierung, während „Vorparlamentarischer Ausschuss“ für den sächsischen Anspruch und Eigensinn stand, ein künftiges Landesparlament in die Tradition der Runden Tische der Bezirke bzw. ihres überbezirklichen Zusammenschlusses zu stellen. Zwar hatte der vom Dresdner Runden Tisch am 3. Mai beschlossene Koordinierungsausschuss mit der Bildung Sachsens einen klaren Auftrag, dieser war allerdings auch deswegen nicht unumstritten, weil zunächst sogar die Unterstützung aus Karl-Marx-Stadt und Leipzig fehlte.597 Dies schlug sich auch in den Abstimmungen über die Vorsitzenden des Vorparlamentarischen Ausschusses und des Koordinierungsausschusses nieder, die mit neun gegen sieben Stimmen ausgesetzt wurden. Die Gegner einer Festlegung meinten, man könne die Runden Tische in Karl-Marx-Stadt und Leipzig nicht vor vollendete Tatsachen stel596 Interview Peter Adler. In: Kleimeier, Sachsen, S. 12 f. 597 Interview Arnold Vaatz. In: ebd., S. 103.

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len. Freilich bedeutete es bereits eine Vorentscheidung, Vaatz einstimmig zum amtierenden geschäftsführenden Leiter des Koordinierungsausschusses zu erklären, womit ihm die Weiterleitung der zu erarbeitenden Vorschläge nach KarlMarx-Stadt und Leipzig sowie an Regierung und Volkskammer oblag.598 Münch hält es für wichtig, zu betonen, dass Vaatz über alle Parteigrenzen hinweg gewählt worden sei. Selbst die PDS-Vertreter hätten sich dem Votum angeschlossen, was Vaatzens Funktion entsprechend gestärkt habe.599 Die sich in der Vorgehensweise ausdrückende Haltung verdeutlichte, dass aus Sicht der Teilnehmer des Dresdner Runden Tisches die Unterstützung durch die Runden Tische in Karl-Marx-Stadt und Leipzig und die drei Bezirkstage ausreichte, um den Koordinierungsausschuss zu legitimieren. Kaum reflektiert wurde dabei, dass zum Beispiel von einer demokratischen Legitimierung des Karl-Marx-Städter Runden Tisches kaum die Rede sein konnte, beteiligten sich an ihm doch fast nur noch linke Splittergruppen und Ex-Partner der SED. Auch vom Leipziger Runden Tisch hatten sich die wesentlichen politischen Parteien zurückgezogen. Blieben die Bezirkstage, die nun zur Legitimierung herhalten mussten. Diese hatten noch kurz zuvor wegen ihres undemokratischen Zustandekommens im Focus der Kritik neuer politischer Kräfte gestanden, aber durch die Einbeziehung basisdemokratischer Fraktionen erste Schritte in Richtung einer Demokratisierung getan. Um dem als zentralistisch empfundenen Länderbildungskonzept der Regierung Paroli bieten zu können, sah man jedoch keine andere Wahl als den Schulterschluss mit den wenig glaubwürdigen Gremien der anderen sächsischen Bezirke – galt es doch, die föderale Komponente gegen den zwar demokratisch legitimierten, aber dennoch als anmaßend empfundenen Zentralismus aus Berlin zu stärken. In diesem Sinne war das Vorgehen in der Tat vor allem als Reaktion auf den – vom sächsischen CDU-Landesvorstand mitgetragenen – Zentralismus in der Landesbildung zu verstehen, der seinerseits das Resultat des durch die krisenhafte Entwicklung der DDR forcierten Einigungsprozesses war. Der Regierung blieben gerade einmal wenige Monate, um die deutsche Einheit samt ihren internationalen Implikationen unter Dach und Fach zu bringen und sich dadurch als Regierung selbst überflüssig zu machen. In Dresden war die Wahrnehmungsperspektive eine andere. Hier galt es, sich dem von der Alt-CDU fortgesetzten Zentralismus zu widersetzen und der Regierung in einer geschlossenen sächsischen Phalanx entgegenzutreten. Deswegen suchte der Dresdner Runde Tisch, ohne dessen Aktivitäten die Entwicklung völlig anders und wohl ähnlich ruhig wie in den anderen Bezirken der DDR verlaufen wäre, den Schulterschluss mit den kaum legitimierten Runden Tischen und Bezirkstagen gegen die Räte, um dem zentralistischen Länderbildungskonzept der Regierung das Modell einer regional maßgeblich mitgestalteten Landesbildung entgegenzusetzen.

598 Protokoll der 18. Tagung des RTB Dresden am 3. 5.1990 (Dok. 65). 599 Interview Helmut Münch am 23. 4. 2003.

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4.3.4 Dresdner Rat unterstützt Beschluss des Runden Tisches und Phalanx der sächsischen Bezirke Bereits Ende April hatte Ratsvorsitzender Kunze seine Aversionen gegen eine zu stark von Berlin dominierte Landesbildung anklingen lassen. Offenbar hatte sich Vaatz daraufhin in der Sache an ihn gewandt, jedenfalls erklärte dieser später, es habe nach dem Scheitern der Meißner Tagung entsprechende Absprachen gegeben: „Denn nachdem diese Verfassung gescheitert war, sagte doch dann der Rat des Bezirkes, ja wie geht es denn jetzt weiter. Und nun sagten wir, das machen wir gemeinsam. Wir machen diesen Koordinierungsausschuss. Daraufhin kam der Koordinierungsausschuss zustande.“600 Aus Sicht von Vaatz hatte Kunze kaum Alternativen, denn hätte er die Aktivitäten des Runden Tisches hintertrieben, „hätten wir den nächsten großen politischen Skandal gehabt“.601 Außerdem war Vaatz Kunze gegenüber in einer vorteilhaften Situation, hatte das Präsidium des CDU-Landesvorstandes doch Vaatz am 7. Mai beauftragt, beim Rat des Bezirkes Dresden darauf zu achten, dass durch den Rat bis zum Einsatz der Regierungsbeauftragten „nur solche Entscheidungen getroffen werden, die zur Aufrechterhaltung der Wirtschaft und des Lebens unbedingt erforderlich sind“.602 Für kurze Zeit ruhte somit die alte Rivalität, und die zur Disposition stehenden Gremien Bezirkstag, Rat und Runder Tisch des Bezirkes schlossen ein vorübergehendes Zweckbündnis. Die Auseinandersetzung über die Frage der Legitimierung der Bezirksgremien trat zurück und wurde von der Frontstellung „zentral gesteuerte Landesbildung“ versus „Landesbildung von Sachsen aus“ überlagert. Für Iltgen handelte es sich im Rückblick um einen eigenständigen Prozess, dem in der Tat die offizielle Legitimation fehlte und bei dem es darum ging, den Anspruch geltend zu machen, im Landesbildungsprozess „auch eine sehr wichtige Rolle zu spielen“. Es sei darum gegangen, „dass die Länderbildung Sache der Bürgerinnen und Bürger ist und nicht zentral allein durch Berlin über bestehende Strukturen, die das alte System repräsentierten, letztlich gebildet werden sollte“.603 Ungeachtet der Frage der Legitimierung schlossen sich aus der Einsicht, dass ein Land nicht ohne Zutun und Information seiner interessierten Bürger entstehen sollte, auf Initiative des Dresdner Runden Tisches die wichtigsten regionalen Kräfte zu einer sächsischen Phalanx zusammen. Im Spektrum der divergierenden, sie tragenden Interessen dominierte das nach einem künftigen Sachsen, in dem eine modernen europäischen Standards entsprechende Bürgerkultur Grundlage einer freiheitlichen Demokratie sein sollte und nicht in repräsentativ-demokratische Form gegossene neue Subalternität.

600 Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 601 Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. 602 Festlegungsprotokoll über die am 7. 5.1990 stattgefundene Beratung des Präsidiums des Landesvorstandes der CDU (PB Klaus Reichenbach). 603 Interview Erich Iltgen.

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Zwar waren die Räte de facto auch zuvor Organe der zentralistischen Staatsmacht gewesen, formal aber waren sie Exekutivorgane der Bezirkstage. Nun war diese Scheinunterstellung unter die Bezirkstage per Gesetz in absehbarer Zeit beendet und die Räte würden als Bezirksverwaltungsbehörden auch ganz offiziell Organe der Regierung werden. Die Bezirkstage hingen damit bis zu ihrem bevorstehenden Ende frei im Raum und waren als pseudoparlamentarische Gremien ohne Exekutivorgane und ohne legislative Befugnisse funktionslos. Ihren letzten Zweck erfüllten sie in dieser Situation als Teil der vom Runden Tisch des Bezirkes Dresden installierten sächsischen Drohkulisse gegenüber Berlin. Ähnlich funktions- und machtlos waren im Übrigen auch die bisherigen Ratsvorsitzenden, deren Tage bis zur Umwandlung der Räte in Bezirksverwaltungsbehörden und damit bis zu ihrer Ersetzung durch Regierungsbevollmächtigte gezählt waren. Als einer dieser funktionslos werdenden Funktionäre erfüllte Kunze in Dresden einen letzten Zweck als Ratsvorsitzender, indem er das Zweckbündnis aus Rundem Tisch und Bezirkstag unterstützte und so half, der zentralgelenkten Berliner Landesbildungspolitik ein dezentrales sächsisches Konzept entgegenzustellen. Bereits seit Anfang des Jahres war der Rat des Bezirkes Dresden dadurch hervorgetreten, dass er einen eigenen Weg der Landesbildung gesucht und dabei den Konflikt mit der Regierung nicht gescheut hatte. Diese Haltung nahm nun auch Kunze weiterhin ein. Was sich jetzt als Zweckbündnis für kurze Zeit herausbildete, war in seiner Konstruktion skurril und stand hinsichtlich seiner Legitimation auf dünnen Beinen. Andererseits erfüllte es seinen Zweck, die berechtigten Interessen der regionalen Vertreter Sachsens durchzusetzen, an der Neubildung ihres von der SED ausradierten Landes nicht nur als Statisten mitzuwirken. Die Form der sächsischen Allianz auf Zeit war denn auch eher nebensächlich und nur als Reaktion auf die Ignorierung regionaler Bemühungen durch die Regierung zu verstehen, die sich ihrerseits als Rädchen in einem größeren Räderwerk drehte. Aus Dresdner Sicht war weniger die Frage der Legitimität entscheidend, sondern, so Matthias Rößler, die Tatsache, dass sich in Dresden Personen zusammenfanden, die der aktive und gestalterische Wille verband, sich in die eigenen Belange einzumischen und die Bildung Sachsens nicht der sich selbst abschaffenden Regierung der DDR zu überlassen.604 In Dresden, so auch Iltgen, seien „einige Leute zusammen gekommen, die das gleiche wollten und sich auch nicht verzettelt“ hätten. Es habe „nicht viel, aber ausreichend Leute gegeben, die wirklich das mit allem Nachdruck und auch unter ganz persönlichem Einsatz versucht haben durchzudrücken“. Kennzeichnend sei die gemeinsame Bereitschaft gewesen, nicht nur zu reden, sondern auch die Kleinarbeit zu machen.605 Nicht in Kürze verschwundene Transformationsinstitutionen sollten den Neuanfang Sachsens bewerkstelligen, sondern bleibende, in der Region verankerte Kräfte, die Ausdruck eines in Jahrhunderten gewachsenen sächsisches 604 Interview Matthias Rößler am 22. 6. 2002. 605 Interview Erich Iltgen.

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Selbstbewusstseins waren und nun nach neuen modernen Ausdrucksformen suchten. Einen anderen Weg, regionale Interessen im von Machtpoker geprägten Prozess der Wiedervereinigung durchzusetzen, sah man in Dresden zunächst nicht, war doch noch kein föderales System vorhanden, in dem demokratisch abgesicherte Länderinteressen hätten durchgesetzt werden können. Diese Art der Interessenartikulierung und -durchsetzung war insofern revolutionär und Teil der friedlichen Revolution, als sie hier gegen einen fortgesetzten, wenn auch demokratisch formal abgesicherten Zentralismus gerichtet war, dessen Macher sich bei der Herstellung der deutschen Einheit freilich ihrerseits mit gutem Recht als Vollstrecker revolutionären Willens fühlen konnten. Nicht um den Grad des „Revolutionären“ ging es also in der Sache, sondern um die Funktionsweise der Reföderalisierung eines inzwischen demokratischen, aber weiterhin zentralistisch aufgebauten Staatswesens. Nukleus und treibende Kraft einer Föderalisierung unter maßgeblicher Einbeziehung der betroffenen Bevölkerung und von ihr akzeptierter regionaler Repräsentanten war eine kleine Personengruppe um Vaatz, zu der neben den zur CDU gestoßenen Mitgliedern der Bürgerbewegungen auch Mitglieder des DA, der DSU und der SDP gehörten. Diese nutzten die Unterstützung durch den Ratsvorsitzenden und den Bezirkstag, um ihre politischen Ziele durchzusetzen. Sollte das Experiment einer eigenverantwortlichen Landesbildung gelingen, reichte es aber nicht, die alten Bezirksgremien in die Phalanx einzubinden, es musste vor allem auch eine Allianz mit den beiden anderen, Dresden gegenüber recht kritisch eingestellten und zurückhaltend agierenden sächsischen Bezirken geschmiedet werden. Hierbei ging es ebenso weniger um formale Legitimierungen als um Macht, Geschlossenheit und Aktivität. Es war daher aus Dresdner Sicht entscheidend, den Vertretern der beiden anderen Bezirke die eigenen Vorstellungen nahe zu bringen und diese nach bislang eher vergeblichen Versuchen – wie z. B. in Rottenburg – für ihren primär sächsischen Weg der Landesbildung zu gewinnen. Dazu wurde zunächst ein Redaktionskollegium aus Vaatz, Fischel, Henke, Albrecht und Lotze gebildet, dass den Dresdner Standpunkt zu einem Vorschlag zusammenfassen und nach Chemnitz und Leipzig sowie an den Ministerrat und die Volkskammer weiterleiten sollte. Für das Anschreiben legte Helmut Münch einen Entwurf vor, der wenig verändert übernommen wurde.606 Da die Zeit auch angesichts der straffen Planung der Regierung drängte, wurde in einem äußerst engen Terminplan vereinbart, bis Mitte Mai Vorschläge für die Besetzung des Koordinierungsausschusses abzugeben und diese zeitgleich mit den anderen Runden Tischen und Bezirkstagen abzustimmen.607 Der Zufall wollte es, dass am Tag der ersten Zusammenkunft der vom Runden Tisch bestimmten Redaktion, dem 6. Mai, in der DDR erstmals freie Wahlen auf Kreisund Kommunalebene stattfanden, bei denen die CDU erneut stärkste Kraft 606 Vgl. Handschriftliche Notizen Erich Iltgens von der 18. Tagung des RTB Dresden am 3. 5.1990 (Dok. 66). 607 Protokoll der 18. Tagung des RTB Dresden am 3. 5.1990 (Dok. 65).

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wurde. Die Bürgerbewegungen konnten diesmal zulegen.608 Die meisten Stimmen erhielt die CDU im Bezirk Karl-Marx-Stadt, nur in Leipzig rutschte sie unter die 40-Prozent-Linie. Die Ergebnisse bedeuteten eine weitere Stärkung der Altfunktionäre in der CDU, stärkten aber auch die neuen politischen Kräfte in der Union, die zurecht darauf verweisen konnten, dass ein Teil der Stimmen auf ihr Konto ging. Das Präsidium des CDU-Landesvorstandes wertete die Ergebnisse der Kommunalwahl als „ein eindeutiges Votum für die CDU“ und sah „damit das Argument wonach die Wähler am 18. März Helmut Kohl gewählt hätten als eindeutig widerlegt“ an.609 Am 8. Mai verschickte der Dresdner Runde Tisch das am 3. Mai beschlossene Anschreiben an die Bezirkstage, die Räte und die Runden Tische der Bezirke Leipzig, Karl-Marx-Stadt und Dresden mit dem Titel „Vorbereitung der Bildung des Landes Sachsen“.610 Im Sinne der Schaffung einer breiten sächsischen Allianz wurde darin die Kompetenz der Runden Tische wie der Bezirkstage zur Länderbildung bekräftigt. Beide Institutionen, so hieß es zweckdienlich, nähmen im regionalen Bereich interimistisch beratende oder legislative Funktionen wahr. Aus ihnen heraus müsste eine neue, die drei sächsischen Bezirke umfassende Einrichtung zur Landesbildung geschaffen werden, die der Regierung Vorschläge zu Verfahren, Institutionen und Personalentscheidungen vortragen und auf deren Berücksichtigung drängen sollte. Andererseits wurde aber auch der Ministerrat erstmals deutlich als Ansprechpartner in Fragen der Länderbildung benannt und anerkannt. Damit stellte sich der Dresdner Runde Tisch auf die bereits avisierte, in Rottenburg nolens volens mitgeforderte und daher nun schlecht zu ignorierende Einsetzung der Regierungsbevollmächtigten ein, versuchte aber zugleich, die eigenen Gremien als regionale Kontroll- und Kooperationsorgane in die in Berlin konzipierte Struktur einzubinden. Den anderen Bezirken wurde auf diese Weise eine Harmonisierung des Dresdner Sonderweges mit dem in Karl-Marx-Stadt und Leipzig unterstützten Modell einer Landesbildung durch die Regierung schmackhaft gemacht. Weiterhin sollten die regionalen Organe ihre Legitimierung nicht von der Regierung herleiten, sondern durch einen regionalen Vorparlamentarischen Ausschuss, der sich, wie vom Dresdner Runden Tisch am 3. Mai vorbehaltlich einer Zustimmung in KarlMarx-Stadt und Leipzig beschlossen, aus 120 Vertretern der drei Bezirke zusammensetzen sollte. „Zur sachlichen und organisatorischen Vorbereitung des Zustandekommens und der notwendigen Entscheidungsgrundlagen für gesetz608 Alle Angaben zu den Kommunalwahlen basieren auf Wahlkommission der DDR, Statistisches Amt der DDR: Wahlen zu Kreistagen, Stadtverordnetenversammlungen und Stadtbezirksversammlungen am 6. Mai 1990. Endgültige Ergebnisse. Zu den genauen Ergebnissen siehe Tabelle 3 im Anhang. 609 Festlegungsprotokoll über die am 7. 5.1990 stattgefundene Beratung des Präsidiums des Landesvorstandes der CDU (PB Klaus Reichenbach). 610 RTB Dresden an die Bezirkstage, Räte und Runden Tische der Bezirke Leipzig, Chemnitz und Dresden vom 8. 5.1990 (Dok. 69). Das Schreiben war zunächst von Vaatz unterzeichnet; schließlich wurde es mit Iltgens Unterschrift verschickt. Beide Fassungen in HAIT, KA, 1.

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gebende Instanzen“ sollte auf dieser legitimatorischen Grundlage ein Koordinierungsausschuss aus Vertretern der drei sächsischen Bezirke gebildet werden. Iltgen teilte mit, dass Vaatz nach einstimmigem Beschluss des Dresdner Runden Tisches vom 3. Mai vorläufig amtierender Leiter sei. Um zu betonen, dass dies keine Dresdner Vorentscheidung bedeute, wurde erklärt, dass erst die konstituierende Sitzung des Vorparlamentarischen Ausschusses nach Vorschlägen aller drei Bezirke einen Leiter des Koordinierungsausschusses bestimmen könne. Die Runden Tische der Bezirke Karl-Marx-Stadt und Leipzig wurden gebeten, sich zu den Vorschlägen zu äußern. Im Falle eines prinzipiellen Einverständnisses sollten „im Benehmen mit den Parteien und den Bezirkstagen“ Personalvorschläge für die Mitglieder des Vorparlamentarischen Ausschusses, des Koordinierungsausschusses und für das Amt des Leiters des Koordinierungsausschusses unterbreitet werden. Der Koordinierungsausschuss wurde als hauptamtliches „Arbeitsorgan des Vorparlamentarischen Ausschusses“ definiert. Seine Mitglieder sollten bis auf weiteres beim Rat des Bezirkes Dresden angestellt werden, womit freilich „keine disziplinarische Unterstellung oder Weisungsbefugnis“ verbunden sei. Dem künftigen Vorsitzenden sollen zwei Stellvertreter aus den anderen Bezirken zur Seite gestellt werden, die übrigen Mitglieder des Ausschusses den verschiedenen Fachabteilungen vorstehen.611 Ihre Aufgabe sollte unter anderem in der Erfassung und Koordinierung aller Arbeitsgruppen bestehen, die sich mit der Länderbildung befassten, der Zusammenfassung und Dokumentation von Arbeitsergebnissen, der Einbindung von Vorschlägen aus der Öffentlichkeit, der Umsetzung von Regierungsentscheidungen zur Länderbildung und umgekehrt der Erarbeitung von Entscheidungsvorlagen an Regierung und Volkskammer. Der Vorparlamentarische Ausschuss sollte sich nach Eingang der Personalvorschläge aus den Bezirken am 17. Juni im Koordinierungsbüro im Rat des Bezirkes Dresden konstituieren, sich eine Geschäftsordnung geben und, wie schon im Vaatz-Papier vom 3. Mai vorgeschlagen, „ohne Aussprache in geheimer Abstimmung“, den Leiter des Koordinierungsausschusses sowie seine Stellvertreter wählen. Nach diesem gewagten Vorstoß galt es nun, die Reaktionen aus Karl-Marx-Stadt und Leipzig abzuwarten. Die Frage, ob das Konzept eines sächsischen Sonderweges überhaupt Chancen hatte, ernstgenommen zu werden, hing zwar maßgeblich von der Zustimmung der sehr unterschiedlich strukturierten und ausgerichteten bezirklichen Gremien in Karl-Marx-Stadt und Leipzig ab, von erheblicher Bedeutung war in diesem Zusammenhang aber auch die Haltung des Rates des Bezirkes Dresden. Ratsvorsitzender Kunze hatte den Dresdner Sonderweg bisher unterstützt, was mit seinen Ressentiments gegen eine zentral gelenkte Länderbildungspolitik in Berlin ebenso zusammenhing wie mit der Tatsache, dass der Runde Tisch des 611 „Verfassung/nachgeordnetes Recht“, „Verwaltungsreform“, „Institutionalisierung“ (u. a. Gerichtsaufbau und Landesrechnungshof), „Regionalfragen“, „Bundes- und Europaangelegenheiten“, „Parlamentarische Arbeit und Wahlvorbereitung“, „Kommunikationsstruktur“, „Gebäudeplanung und Logistik“ sowie „Ausbildung und Schulung Verwaltungspersonal“.

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Bezirkes formal nach Vorgaben des Bezirkstages handelte, denen er sich gemäß der bisherigen Zuordnung des Rates als dem Exekutivorgan des Bezirkstages weiterhin verpflichtet fühlte. Für die Akteure um Vaatz war es jedenfalls ein wichtiger Erfolg, dass Kunze als nach wie vor zuständiger Leiter des Dresdner Staatsapparates seine Abteilungsleiter über die Bildung des Koordinierungsausschusses unter Leitung von Vaatz nicht nur informieren ließ,612 sondern angesichts der Schaffung des Koordinierungsbüros zur Bildung des Landes Sachsen „unter dem Protektorat des Runden Tisches des Bezirkes Dresden“ und dem Einsatz von Vaatz als dessen Leiter am 9. Mai mit sofortiger Wirkung Klaus Schumann, Mitglied des Rates für Kultur, von seiner Funktion als Leiter der Arbeitsgruppe Verwaltungsfragen entband.613 Gleichzeitig informierte er Preiß über den Beschluss des Dresdner Runden Tisches, Vaatz als geschäftsführenden Beauftragten für die Herausbildung des Landes Sachsen zu benennen. Dieser habe den Auftrag, sich mit den Runden Tischen der Bezirke Karl-Marx-Stadt und Leipzig abzustimmen. Vorbehaltlich dieser Abstimmung sei Vaatz auch „der Vertreter der drei Bezirke in Ihren Beratungen“.614 Grundlage dieser Delegierung war ein Beschluss der Regierung von Anfang Mai über regelmäßige Beratungen zur Länderbildung „mit bevollmächtigten Vertretern der durch die jeweiligen Räte der Bezirke in eigener Verantwortung zu bildenden Arbeitsauschüsse“.615 Preiß hatte die drei sächsischen Ratsvorsitzenden gebeten, sich hinsichtlich der Landesbildung untereinander abzustimmen und ihm bis zum 15. Mai einen bevollmächtigten Vertreter dieser Bezirke „für die beabsichtigten Koordinationen“ zu benennen.616 Kunzes Eigenmächtigkeit, Vaatz für alle drei Bezirke zu benennen,617 stieß freilich in Karl-Marx-Stadt und Leipzig auf wenig Gegenliebe. Angesichts ausgebliebener Abstimmung über einen gemeinsamen Vertreter forderte der Vorsitzende des Rates des Bezirkes Karl-Marx-Stadt, Lothar Fichtner, einen eigenen Vertreter seines Bezirkes zu den Beratungen hinzuzuziehen, um „ein gleichberechtigtes Mitwirken aller Bezirke von Anbeginn“ zu gewährleisten.618 Auch in Leipzig war man mit einer alleinigen Vertretung durch Vaatz nicht einverstanden. Ratsvorsitzender Draber benannte daher den Stellvertreter des Vorsitzenden für Verwaltungsorganisation, Hartmut Reitmann.619 Hier setzten sich, trotz des grundsätzlichen Willens zu gemeinsamen Landesbildungsaktivitäten, die 612 1. Stellvertreter des Vorsitzenden des RdB Dresden: Festlegungsprotokoll der Dienstberatung mit den Abteilungsleitern am 10. 5.1990 (SächsHStA, BT/RdB, 46999, Bl. 10–12). 613 Beschluss des RdB Dresden vom 9. 5.1990: Einschätzungen zur Lage im Bezirk (ebd., 47122, Bl. 222 f.). 614 Michael Kunze an Manfred Preiß vom 8. 5.1990 (Dok. 70). 615 Manfred Preiß an Peter Siegemund vom 2. 5.1990 (BArch B, DO 5, 184). 616 Manfred Preiß an Joachim Draber vom 2. 5.1990 (SächsStAL, BT/RdB, 25795). 617 Michael Kunze an Manfred Preiß vom 8. 5.1990 (BArch B, DO 5, 184). 618 Lothar Fichtner an Manfred Preiß vom 15. 5.1990 (SächsStAC, BT/RdB, 137717). 619 Beschlussprotokoll der Sitzung des RdB Leipzig vom 4. 5.1990 (SächsStAL, BT/RdB, 21300). Reitmann hatte sich Ende Oktober 1989, noch als Stellvertreter für Inneres, gegenüber dem Innenminister für eine Zulassung des Neuen Forums eingesetzt. Hartmut Reitmann an Friedrich Dickel vom 31.10.1989 (ebd., 22714).

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Konkurrenzen zwischen den Bezirken fort, die sich bereits seit Rottenburg deutlich abgezeichnet hatten und auch den weiteren Weg der Landesbildung prägten.

4.3.5 Dresdner Runder Tisch widersetzt sich seiner Auflösung Ungeachtet regionaler Entwicklungen wie in Dresden gingen in Berlin die Vorbereitungen der zentral gesteuerten Länderbildung weiter. Am 10. Mai beschäftigte sich die Volkskammer mit der Regierungsvorlage vom 2. Mai.620 Die Plenardebatte, obwohl teils kontrovers, zeigte, dass auch die Abgeordneten der an der Regierung beteiligten neuen politischen Kräfte die Länderbildungspolitik de Maizières im Wesentlichen mittrugen. Preiß erläuterte, dass vorgesehen sei, im Falle komplizierter Entscheidungen ein Gremium aus Volkskammerabgeordneten des jeweiligen Wahlkreises zusammentreten zu lassen. Zum bevorstehenden Beschluss, die Bezirkstage aufzulösen, beantragte die PDS-Fraktion, diese, wie zuvor vom Präsidium der Volkskammer vorgeschlagen, selbst über ihre Auflösung entscheiden zu lassen. Bis zur Länderbildung sollten sie sich aus dem Kreis der am 6. Mai gewählten Abgeordneten der Kreistage und Stadtverordnetenversammlungen der kreisfreien Städte selbst bilden.621 Dagegen wandte Preiß ein, dass die Beendigung der Arbeit der Bezirkstage auf Beschluss der Volkskammer in höherem Maße rechtsstaatlichen Prinzipien entspreche als die ursprünglich vom Präsidium der Volkskammer vorgeschlagene Empfehlung an die Bezirkstage, ihre Legislaturperiode selbst zu beenden. Eine Fortsetzung der Tätigkeit der „Volksvertretungen“ auf Bezirksebene bzw. deren Neubildung würde auch die Weiterführung der Tätigkeit der Räte der Bezirke als deren Exekutivorgane zur Folge haben, wodurch der Zustand unzureichender Rechtsdurchsetzung und labiler Verwaltung auf Bezirksebene erhalten bliebe. Auch Roland Becker (CDU/ DA) sah im Ende der Bezirkstage eine notwendige „Beseitigung der letzten Rudimente des demokratischen Zentralismus“. Eine neue Legislative auf Bezirksebene, wie von der PDS gewünscht, sei nicht sinnvoll. Ebenso meinte Hans-Joachim Hacker (SPD), die Bezirkstage hätten als „eine sich im Absterben befindliche Institution“ keine Existenzgrundlage mehr. Der PDS, so auch Manfred Dott (DSU), falle es offensichtlich schwer, sich von der alten Macht in den Bezirken zu verabschieden. Gerry Kley (LDP) fragte, wie sich neue Bezirkstage bilden sollten, wenn es in der Entscheidung der alten Bezirkstage liege, den Weg freizumachen. Den Liberalen lägen aus mehreren Bezirken Hinweise vor, dass die PDS-Ratsmitglieder versuchten, ihre Positionen zu sichern, in dem sie sich in Positionen wie Fachausschussvorsitzende hinüberretteten. Die Debatte zeigte, dass die Bezirkstage keine Chance hatten, sich in der kurzen Zeit bis zur Landesbildung als parlamentarisches Kontrollgremium der Bezirksverwaltungen zu 620 Volkskammer der DDR, 10. WP, 6. Tagung am 10. 5.1990, S. 160–165. 621 Volkskammer der DDR, 10. WP, Drucksache 16: Antrag der Fraktion der PDS vom 25. 4.1990.

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mausern. Sie zeigte aber auch, dass die vom Dresdner Runden Tisch vertretenen Bedenken, man könne die Landesbildungspolitik nicht nur von Regierungsbevollmächtigten vornehmen lassen, da diese von den Volkskammerabgeordneten kaum zu kontrollieren seien, auch in der Volkskammer selbst auf Bedenken stieß. Wegen dieses Mankos ging der von Bernd Reichelt vorgetragene Vorschlag von Bündnis 90/Grüne in die vom Dresdner Runden Tisch vertretene Richtung, die Volkskammerabgeordneten sollten nicht nur ein beratendes, sondern auch ein kontrollierendes Gremium bilden und die Runden Tische und Bürgerkomitees in die Arbeit des Regierungsbeauftragten einbeziehen. In eine ähnliche Richtung ging das Plädoyer von Lutz Goepel (DBD), dafür zu sorgen, dass die Regierungsbevollmächtigten „nicht in Fortsetzung einer unseligen Tradition zu uneingeschränkten Alleinherrschern in den Bezirken“ würden. Angesichts der kontroversen Anträge wurde die Regierungsvorlage in den Ausschuss für Verfassung und Verwaltung überwiesen, bevor sie am 17. Mai schließlich bestätigt wurde. Volker Schemmel (SPD) begründete die Zustimmung nun damit, dass auf diese Weise „eine einfache, praktikable und unter parlamentarischer Kontrolle stehende Übergangsform der Verwaltung der Bezirksgebiete geschaffen“ werde.622 Angesichts der nun getroffenen Entscheidung blieben die Räte der Bezirke bis zum Einsatz der Regierungsbeauftragten geschäftsführend im Sinne einer Auftragsverwaltung tätig, wurden aber bereits strukturell umgebildet. De Maizière forderte ihre Vorsitzenden am 22. Mai auf, bis zum Einsatz der Regierungsbevollmächtigten die Geschäfte weiterzuführen.623 Für Dresden bedeutete dies, dass Kunze im Gegensatz zur Linie der Regierung seine Politik der Unterstützung der regionalen Aktivitäten zur Bildung Sachsens vorerst fortsetzen konnte. Ebenfalls am 17. Mai verabschiedete die Volkskammer ein „Gesetz über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR (Kommunalverfassung)“.624 Frühzeitig war klar, dass die Wiederherstellung der Länder durch die kommunale Selbstverwaltung flankiert werden musste. Wie die Bezirke den Ländern Platz machten, so mussten sich die „örtlichen Organe“ der zentralistischen Staatsmacht, zu denen Kreise, Städte und Gemeinden degradiert worden waren, wieder zu handlungsfähigen und eigenständigen Körperschaften wandeln. Erst damit gründete sich das politische Leben wieder auf neue, Selbstbestimmung und Gewaltenteilung sichernde Fundamente. Bevor sich die Volkskammer der Kommunalverfassung annahm, hatte es in den sächsischen Bezirken, in Übereinstimmung mit den Orientierungen der Regierungskommission zur Verwaltungsreform, seit Monaten Arbeiten an einer Gemeindeordnung und ei622 Volkskammer der DDR, 10. WP, 7. Tagung am 17. 5.1990, S. 196–199, Drucksache 22: Antrag des Ausschusses für Verfassung und Verwaltungsreform der Volkskammer der DDR vom 16. 5.1990. 623 Vgl. Beschlussprotokoll der Sitzung des Geschäftsführenden RdB Leipzig am 31. 5.1990 (SächsStAL, BT/RdB, 21296); Festlegungsprotokoll der 103. Beratung des RdB Potsdam am 23. 5.1990 (Brandenburg. LHA, BT/RdB, II/278). 624 GBl. DDR I Nr. 28, S. 255. Text in: Geiser, Kommunalverfassung, S. 104–138; Auszug in: Pitschas, Rechtsvereinheitlichung, S. 229–251. Zur Kommunalverfassung vgl. Knemeyer, Zentralistischer Verwaltungsstaat, S. 294–299.

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nem kommunalen Wahlgesetz gegeben.625 Auf der geplatzten Meißener Tagung am 18. April hatte neben dem umstrittenen Entwurf einer Landesverfassung der Räte das weniger strittige, weil „in sich geschlossene Konzept der künftigen sächsischen Kommunalverfassung“626 vorgestellt werden sollen. Nun verabschiedete die Volkskammer eine Kommunalverfassung, obwohl das Kommunalrecht nach der Kompetenzzuordnung des Grundgesetzes künftig in die ausschließliche Ländergesetzgebung fallen würde. Daher hatte Steffen Heitmann bereits im Vorfeld des Volkskammerbeschlusses im Namen der Fachgruppe Verfassung und Verwaltungsreform der Gemischten Kommission Sachsen/BadenWürttemberg die „Tendenz“ der Regierung kritisiert, „den Modus der Selbstverwaltung zentral bis in Details hinein zu verfügen“. Dies sei zwar vielleicht „ein notwendiges Zugeständnis an den Istzustand“, bedeute andererseits aber „eine mögliche Blockade für regionalen Gestaltungsspielraum“ hinsichtlich des künftig den Länderverfassungen nachgeordneten Rechts. Es müsse daher gesichert werden, dass das Kommunalgesetz im Geltungsbereich einer Landesverfassung an dem Tage außer Kraft trete, an dem eine neue Kommunalverfassung als dieser Verfassung nachgeordnetes Recht durch den Landtag in Kraft gesetzt werde.627 Die Volkskammer setzte diesen Vorschlag mit der Vorschrift im Paragraphen 100 freilich nur bedingt um, wonach mit der Bildung der Länder lediglich „die weitere Ausgestaltung“ der Kommunalgesetzgebung in die Kompetenz der Landtage übergehen sollte. Die Formulierung ließ erkennen, dass von einer Dauerhaftigkeit der von der Volkskammer verabschiedeten Kommunalverfassung ausgegangen wurde. Sie sollte als Rahmengesetz für die kommunale Selbstverwaltung dienen und die Länder in der Art der Ausgestaltung binden. Mit dieser erneut die zentralistische Grundtendenz der DDR-Regierungspolitik widerspiegelnde Vorgehensweise wäre den Ländern der Weg zu einer eigenen landesspezifischen Kommunalverfassung verbaut gewesen. Unter dem Einfluss von Expertenmeinungen musste die Regierungsmehrheit in der Volkskammer einen Rückzieher machen und wies die Materie des Kommunalverfassungsrechts im Ländereinführungsgesetz vom 22. Juli nun den Ländern zur alleinigen und ausschließlichen Gesetzgebung zu.628 Trotz dieser und anderer Unzulänglichkeiten gelang mit der Kommunalverfassung, durch die Gemeinden und Kreise ihre Rechtssubjektivität zurückerhielten, „der Anschluss an den Qualitätsstandard freiheitlicher Demokratien“, wie er vom Europarat 1985 in der „Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung“ definiert worden war.629 Das Gesetz über die Selbstverwaltung wurde später durch den Einigungs625 Fernschreiben von Michael Kunze an Manfred Preiß vom 10. 4.1990 (BArch B, DC 20, 11961). 626 Bericht des RdB Dresden (Michael Kunze) zur 19. Tagung des BT Dresden am 26. 4. 1990 (SächsHStA, BT/RdB, 47121, Bl. 241). 627 Telegramm von Steffen Heitmann an Manfred Preiß vom 15. 5.1990 (BArch B, DO 5, 1). 628 Vgl. Quecke, Grundzüge, S. 262. Zu Versuchen der Vereinheitlichung des Kommunalverfassungsrechts in der Alt-Bundesrepublik, ebd., S. 263. 629 Quecke, Grundzüge, S. 261. Vgl. Püttner, Gemeinden und Kreise, S. 508.

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vertrag als Landesrecht in den Gesetzesbestand der neuen Länder überführt. In Sachsen wurde es 1993 durch die Kommunalverfassung ergänzt und modifiziert.630 Mit dem Beschluss der Volkskammer vom 17. Mai über die Beendigung der Arbeit der Bezirkstage zum Monatsende stand unausgesprochen aber unabweislich auch die Weiterarbeit der Runden Tische in Frage. Im neuen System parlamentarisch-demokratisch legitimierter Gremien der verschiedenen Ebenen verloren sie schnell ihre Funktion. Die fortschreitende Demokratisierung machte die vor allem zwecks Erhalt der Friedlichkeit der Revolution geschaffenen Gremien überflüssig. In den meisten DDR-Bezirken ließ schon die Abstinenz der Regierungsparteien von den Runden Tischen keinen Zweifel an deren bevorstehendem Ende. Die Haltung der Regierung war ohnehin klar. Thomas de Maizière bringt sie auf den Punkt: „Die Runden Tische konnten nicht unterscheiden, was wichtig und unwichtig ist.“ Sie konnten keine Strukturen schaffen und entschieden „nach dem Gefühl von Gerechtigkeit Einzelfälle“. Sie waren demokratisch nicht legitimiert und hatten, zumal in den Kommunen, nach der Kommunalwahl nichts mehr verloren. In den Bezirken hätten sie „viel Unsinn angerichtet“. Die Entscheidung gegen sie zielte demnach darauf, „Arbeitsfähigkeit herzustellen zulasten von Spontaneität“.631 Durch solche und ähnliche Argumente ließen sich die Dresdner Revolutionäre freilich nicht einschüchtern. Iltgen, der vom Beschluss über das Ende der Runden Tische aus der Zeitung erfuhr, erklärte auf eine entsprechende Nachfrage Kunzes, eine Auflösung komme für Sachsen nicht infrage.632 So blieb nicht aus, dass sich der hiesige Konflikt weiter zuspitzte. Vertraten die Altfunktionäre der CDU im Landesvorstand, noch weitgehend ohne Verständnis für die Durchsetzung eigener Landesinteressen gegenüber den Gremien der Republik/des Bundes, oder, wie beim Landesvorsitzenden Reichenbach durch die Einbindung in die Kabinettsdisziplin, die Linie der Regierung, so sahen sie sich in Dresden einer Phalanx aus neuen CDUPolitikern um Vaatz, anderen neuen Kräften, aber auch noch des Bezirkstages und des Rates des Bezirkes gegenüber, die eine alleinige zentrale Steuerung der Bildung Sachsens von Berlin aus ablehnten und diese stärker vor Ort und aus eigener Verantwortung begleiten wollten. Unterstützt wurden sie weiterhin vom Ratsvorsitzenden, der die ihm von der Regierung gerade noch einmal für kurze Zeit zugesprochene Verantwortung als Leiter einer übergangsweise fungierenden Auftragsverwaltung der Regierung zur Unterstützung dieses Kurses nutzte. Bei der 19. Beratung des Runden Tisches des Bezirkes Dresden am 17. Mai kam es zur offenen Auseinandersetzung der Lager.633 Erstmals nach dem 18. März war CDU-Landessekretär Johannes Schramm erschienen. Vaatz stell-

630 Vgl. Schmidt-Eichstaedt, Kommunale Gebietsreform, S. 11. 631 Interview Thomas de Maizière. 632 Interview Erich Iltgen. 633 Protokoll der 19. Tagung des RTB Dresden am 17. 05.1990 (Dok. 72).

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te die ersten Schritte zur Bildung von Arbeitsstrukturen des Koordinierungsausschusses vor. Er erläuterte sein Schreiben an die Bezirke und wies auf den „Zwiespalt“634 zwischen den Beschlüssen der Regierung und der Entscheidung in Dresden hin, einen Vorparlamentarischen Ausschuss samt Koordinierungsausschuss einzurichten. Vor dem Hintergrund der durch den Volkskammerbeschluss entstandenen neuen Lage stellte er die Frage nach der Stellung des Koordinierungsausschusses und nach dem Sinn eines Vorparlamentarischen Ausschusses. Schramm bewertete die vorgestellte Konzeption zur Länderbildung zwar als „gute Grundlage für die weitere Arbeit“, teilte aber zugleich mit, dass der Bezirkstag, der Rat und der Runde Tisch des Bezirkes bis zum 31. Mai aufgelöst würden. Am 19. Mai werde der CDU-Landesvorstand einen Regierungsbeauftragten vorschlagen. Die Teilnehmer bestätigten zwar, dass die Beschlüsse von Regierung und Volkskammer akzeptiert werden müssten, trugen jedoch Bedenken vor und werteten diese als Rückschritt zu zentralistischen Verhältnissen. Die vor Ort begonnene Arbeit zur Länderbildung stehe damit in Frage. Für die „Aktion katholischer Christen“ kritisierte Professor Frank von der Technischen Universität Dresden die Absicht von Regierung und Volkskammer, jegliche Initiativen von unten einfach beiseite zu schieben. Hermann Henke (DSU) sprach sich für die Weiterarbeit des Runden Tisches aus, dessen Aufgabe anderweitig noch nicht erfüllt werde. Mit dem Beschluss zur Auflösung habe Innenminister Diestel zumindest nicht im Konsens mit der hiesigen Parteibasis gehandelt. Auch Vaatz wertete eine mögliche Verhinderung von Vorparlamentarischem Ausschuss und Koordinierungsausschuss als Verlust an Demokratie und Öffentlichkeit. Nach heftigen Debatten verständigten sich die Teilnehmer darauf, die Vorbereitung der Länderbildung in Dresden wie gedacht fortzusetzen, da diese mit der Arbeit des Regierungsbeauftragten durchaus vereinbar sei. Der Runde Tisch, der sich nun sogar als dessen Partner bezeichnete, halte aber am Vorhaben fest, einen Vorparlamentarischen Ausschuss zu bilden. Einstimmig bestätigte der Runde Tisch das Vorgehen, wie es im Schreiben an die Bezirke umrissen worden war, und beauftragte Vaatz, den Koordinierungsausschuss mit Leben zu erfüllen. Wie schon zuvor wurde dieser vom Ratsvorsitzenden unterstützt, der bestätigte, es gebe aus seiner Richtung „keinerlei Einschränkung für den Koordinierungsausschuss hinsichtlich der inhaltlichen Probleme der Vorbereitung des Landes Sachsen“. Zwar waren die Tage des Rates des Bezirkes in seiner bisherigen Form und unter Leitung Kunzes gezählt, dennoch spielte die Rückendeckung durch Rat und Bezirkstag auch in dieser Situation eine erhebliche Rolle hinsichtlich der künftig unabdingbaren Akzeptanz des Koordinierungsausschusses durch Ministerrat und CDU-Vorstand. Der Koordinierungsausschuss erschien so eher als eine unumstößliche Größe, die auch auf den bisherigen staatlichen Strukturen im Bezirk basierte. Die Staatsorgane aber verfügten im Ministerrat über einen erheblichen Vertrauensvorschuss, der sich so 634 Mitschrift der Sitzung von Matthias Rößler, zit. nach Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 80.

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auf den Koordinierungsausschuss übertragen konnte. Den Eindruck eines festen Willens zur Einrichtung des Koordinierungsausschusses musste Schramm auch deswegen mit aus der Runde nehmen, weil der Runde Tisch in seiner Gegenwart bereits dessen personelle Besetzung besprach. Vorschläge aus Leipzig und Karl-Marx-Stadt lagen zwar noch nicht vor, dennoch blieben nur sechs von 19 Positionen offen. Das Sekretariat sollte durch Hermann Henke (DSU) geleitet werden, Helmut Münch (DA) für Wirtschaft, Horst Metz (CDU) für Umwelt und Matthias Rößler (DA) für Wissenschaft und Bildung zuständig zeichnen. Der parteilose Steffen Heitmann war für die Arbeitsgruppe Verfassung vorgesehen und Erich Iltgen, ebenfalls parteilos, mit Blick auf den künftigen Landtag, zuständig für die Fachabteilung „Parlamentarische Arbeit“.635 Nach dem hier vorgetragenen Konzept lag es Nahe, Vaatz als den Leiter des Koordinierungsausschusses für die Position des Regierungsbeauftragten in Dresden vorzuschlagen. Aus Sicht von Vaatz war damit die kritischste Phase für den Koordinierungsausschuss erreicht. Es ging um die Frage, ob der Koordinierungsausschuss von der Regierung akzeptiert oder aufgelöst werden würde. „Die Entscheidung in Berlin“, so Vaatz, „lautete gegen den Koordinierungsausschuss, denn wenn man den Koordinierungsausschuss gewollt hätte, dann wäre es das einfachste gewesen, dass derjenige, der den Koordinierungsausschuss leitet, zugleich Regierungsbeauftragter wird. Die Möglichkeit hätte sich ergeben, aber das war in Berlin nicht gewollt, und daher stand jetzt die Frage der Auflösung.“636 Die Berliner Sicht war freilich anders. Hier hatte man nicht die Dresdner Sondersituation im Blick, sondern strebte nach einer generellen, alle Bezirke betreffende Lösung. Sie bestand in formaler Einheitlichkeit darin, den Mehrheitsparteien der jeweiligen Bezirke das Vorschlagsrecht für ihren Regierungsbevollmächtigten zu überlassen und – gemäß dem Regierungsmodell – den sonstigen Koalitionsparteien die Stellvertreterposten anzubieten. Vor diesem Hintergrund war die Mehrheit der Altfunktionäre im sächsischen CDU-Landesvorstand nicht gewillt, sich ihren von de Maizière eingeräumten Einfluss streitig machen zu lassen. CDU-Landesvorsitzender Reichenbach dachte nicht daran, Vaatz vorzuschlagen, der wenige Wochen zuvor gegen ihn um den Landesvorsitz angetreten war und ihn wie andere Altfunktionäre offen bekämpfte. Im Beisein von Vertretern des Hauptvorstandes der CDU beschloss der Landesvorstand, dem Ministerpräsidenten die „Unionsfreunde“ Dirk-Ulrich Hoedt für Karl-Marx-Stadt/Chemnitz, Siegfried Ballschuh für Dresden und Rudolf Krause für Leipzig vorzuschlagen, wie Reichenbach durchweg führende CDU-Blockfunktionäre der Bezirksebene, die nun auch in die Beratungen des Landesvorstandes eingebunden werden sollten. Damit wurde Vaatz’ ausdrückliche und förmliche Bewerbung um die Position des Regierungsbevollmächtigten in Dres635 Vgl. „Rückschritt zu Zentralismus befürchtet. Länderbildung nicht allein Sache Regierungsbeauftragter.“ In: Die Union vom 19./20. 5.1990. 636 Interview Arnold Vaatz. In: Der Sächsische Landtag, Von der Wende zum Parlament, S. 48.

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den zurückgewiesen.637 Außerdem wurde beschlossen, zur weiteren Vorbereitung der Länderbildung „durch die Volkskammerabgeordneten über die Fraktionen und die Mitglieder des Landesvorstandes in ihren Arbeitsgruppen“ konzentriert an eigenen Konzeptionen zu arbeiten und diese Ende Juni vorzulegen. Als Modell für die strukturelle und inhaltliche Entwicklung der Partei und des Landes Sachsen sollte Baden-Württemberg dienen und dementsprechend die partnerschaftliche Zusammenarbeit weiter entwickelt werden. Betont wurde aber auch, dass „prinzipiell“ auch andere Länder wie besonders Bayern einbezogen werden könnten.638 In Anlehnung an künftige Regierungsstrukturen waren vom Landesvorstand der CDU bereits am 28. März zwölf Arbeitsgruppen für Länderbildung eingesetzt worden.639 Einzelne Entwürfe zu den Themenkreisen Landesverfassung, Wirtschaftspolitik, Kultur und Verkehrswesen wurden bis Juli zwar auch tatsächlich vorgelegt und fanden für den Wahlkampf Verwendung,640 insgesamt erwies sich deren Arbeit angesichts der eigentlichen Landesbildungsarbeit des Koordinierungsausschusses aber als Flop. Dem Konzeptpapier der unter Leitung von Vaatz arbeitenden Arbeitsgruppe Recht ist zu entnehmen, dass diese im Zusammenwirken mit der entsprechenden Arbeitsgruppe der Gemischten Kommission Sachsen/Baden-Württemberg bis August einen Textvorschlag für eine Landesverfassung erarbeiten wollte. In dem Papier wird kritisch angemerkt, dass in der Arbeitsgruppe, die bislang dreimal getagt hatte, „unter den gegenwärtigen erschwerten Bedingungen eine kontinuierliche Arbeit eines festen Teilnehmerstammes nicht in der erforderlichen Konsequenz durchhaltbar war“.641 Wie hier wurden schließlich Arbeiten des Koordinierungsausschusses bzw. der Gemischten Kommission formal als Ergebnisse der Arbeitsgruppen ausgegeben, obwohl sich deren Konstruktion schon bald als höchst überflüssig erwies. Dass ihre Tätigkeit auch nach Etablierung des Koordinierungsausschusses fortgesetzt wurde, hing damit zusammen, dass der Landesvorstand dem von Vaatz geleiteten Koordinierungsausschuss das Feld nicht allein überlassen wollte. So berichtete Reichenbach zwar Ende Juni an Späth, 637 Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. 638 Festlegungsprotokoll zur CDU-Landesvorstandssitzung Sachsen am 19. 5.1990 in Leipzig (ACDP, VII-012, 3915) (PB Klaus Reichenbach). 639 LV der CDU Sachsen, Landessekretariat: Festlegungsprotokoll der Landesvorstandssitzung vom 28. 3.1990 (CDU-Landesgeschäftsstelle Sachsen, Protokolle und Festlegungen vom 28. 3.1990 bis 10. 9.1990) (PB Klaus Reichenbach). Vgl. CDU-LV Sachsen: Anschriften der Leiter der AG des Landesvorstandes der CDU (PB Hans Geisler). AG Rechtsfragen des Landes (Arnold Vaatz), AG Wirtschaft, Mittelstand und Management (Herbert B. Schmidt), AG Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie (Jürgen Müller), AG Umweltschutz (Karl Mannsfeld), AG Finanzen (Gerd Medger), AG Tourismus, Erholung und Sport (Gernot Kaus), AG Kultur und Sport (Dr. Lutz Heubaum), AG Wissenschaft und Bildung (Klaus Husemann), AG Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (Rudolf Ahnert), AG Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (Johannes Rudolph), AG Verkehrswesen (Norbert Stams), AG Medienpolitik (Leiter unbenannt). 640 Erste erarbeitete Konzeptionsentwürfe von AG des Landesverbandes Sachsen der CDU (PB Hans Geisler). Vgl. Die Welt vom 9. 7.1990. 641 AG „Recht“ der CDU (PB Hans Geisler).

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die Arbeitsgruppen des Landesvorstandes würden zu den einzelnen „Ressorts“ arbeiten und schlug vor, Vertreter der baden-württembergischen CDU und ihre Fraktion aktiv einzubeziehen,642 aber auch in Stuttgart hatte man, zumal nach dem offenen Ausbruch des Streits um die Kandidatur für das Amt des Ministerpräsidenten, kein Interesse, neben Koordinierungsausschuss, Gemischter Kommission und Rat des Bezirkes Dresden eine weitere Linie der Landesbildung aufzumachen. Statt eigene inhaltliche Arbeit zu leisten, wurden die Strukturen der Arbeitsgruppen so zu einer Art Kontrolleinrichtung der CDU über die Arbeit des Koordinierungsausschusses, stand Vaatz nach erfolgreicher Etablierung des Koordinierungsausschusses nach eigenem Bekunden doch unter dem Verdacht, hinter dem Rücken der CDU-Landespartei unabgesprochen Tatsachen zu schaffen. Vaatz dementierte dies und bot an, die Arbeitsgruppen des Landesvorstandes als „innerparteiliche Spiegelgremien“ zu nutzen, um die Arbeit transparent zu machen, ein Vorschlag, der schon wegen der Terminfülle aller Beteiligten nie zum Tragen kam. Aus Sicht von Vaatz ging es dem Landesvorstand mit den Arbeitsgruppen nicht um die Vorbereitung des Landes, sondern „um einen zusätzlichen Kriegsschauplatz“ des „großen Grundkonflikts“ in der CDU.643 In der Tat dienten die Arbeitsgruppen wie die von Ballschuh wenig später reaktivierte Landesbildungsarbeit des Rates des Bezirkes unter Leitung Schumanns dem Zweck, Alternativen zur Struktur des Koordinierungsausschusses zu schaffen und diesen unter die Kontrolle von Ballschuh und CDULandesvorstand zu behalten.644 Dem entsprach auch die Bestätigung des Vorschlags des Präsidiums, wonach die Runden Tische der Bezirke per 31. Mai ihre Arbeit einstellen sollten.645 Da Vaatz als Mitglied des CDU-Landesvorstandes unschwer als treibende Kraft der Dresdner Gegenstrategie auszumachen war, versuchten de Maizière und Klaus Reichenbach nicht nur auf diese Weise, „den aufrührerischen Vaatz politisch kaltzustellen“.646 Vaatz stand „zunächst einmal völlig alleine da“. Aus dem Umfeld Ballschuhs drangen Äußerungen über den Koordinierungsausschuss zu ihm, wonach dieser „vollkommen belanglos und uninteressant“ sei und „sowieso nichts ausrichten“ werde. „Es käme jetzt darauf an, die Verwaltung in Gang zu halten und den Apparat ordentlich arbeiten zu lassen. Und wir hätten da so eine kleine Spielwiese, und da würde man sich nicht groß darum kümmern.“ Seitens des Landesvorstandes waren die Weichen klar in Richtung einer nun auch nicht mehr überparteilichen Konstruktion aus Arbeitsgruppen des Landesvorstandes und reaktivierten Strukturen des Rates des Bezirkes Dresden alias Bezirksverwaltungsbehörde gestellt. Aber ein weiteres Mal hatten die Altfunktionäre um de Maizière und Reichenbach die Rech642 Klaus Reichenbach an Lothar Späth vom 22. 6.1990 (SMBW, 0136 Partnerschaft mit Dresden/Sachsen). 643 Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. 644 Siehe dazu Kap. 5.1.3. 645 Festlegungsprotokoll zur CDU-Landesvorstandssitzung Sachsen am 19. 5.1990 in Leipzig (ACDP, VII-012, 3915) (PB Klaus Reichenbach). 646 Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 86.

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nung ohne Vaatz gemacht, der mit seinen engsten politischen Vertrauten in Klausur ging, um eine tragfähige Strategie für den Koordinierungsausschuss zu entwickeln. Diese bestand, da der Rat des Bezirkes „nicht die geringsten Anstalten machte, irgendwie selbständig funktionierende Institutionen auf die Beine zu stellen“, darin, Grundlagen für „ein klares Ressortprinzip“ und damit für eigenständig funktionierende Ministerien nach westlichem Vorbild zu schaffen. Dabei war den „Verschwörern“ klar, dass sie sich „beim Kern dieser Ministerien nicht auf Personen stützen“ wollten, „die bereits im Personaltableau der vormaligen Verwaltung eine dominierende Rolle“ gespielt hatten und „in Konsequenz der Kaderpolitik der SED in hervorgehobene Positionen“ gelangt waren. Vielmehr galt es, alternativ zur Struktur der Bezirksverwaltungsbehörde neue Personen zu gewinnen, die nicht durch eine enge Verflechtung mit dem Staatsapparat oder besonders – wie auch viele CDU-Funktionäre – mit dem MfS diskreditiert waren. Vaatz berichtet authentisch, nach welchen Kriterien er erste Personen seines Vertrauens aussuchte: „Da fiel zum Beispiel der Matthias Rößler auf, der sich außerordentlich engagiert und überzeugend mit der Wissenschafts- und Schulverwaltung auseinandergesetzt hatte. Demzufolge kam er für diesen Bereich in Frage. Als nächstes kam Steffen Heitmann in Frage, der, wie im Vorfeld schon lange deutlich geworden war, sich außerordentlich gut in Aufgaben einer Justizverwaltung auskannte. Mir kam zustatten, dass ich in mehreren Gremien immer gewesen bin und sehr genau wusste, wer sich durch welche Bemerkungen und Vorstellungen hervorgetan hatte. Dann als nächstes interessierte sich der Moderator des Runden Tisches, Erich Iltgen, für den Aufbau des Landtages, was ich auch schlüssig fand. Er hat ja dieses Kleinparlament, was der Runde Tisch ja war, immer mit gutem Erfolg geleitet und war auch immer ein ausgleichender Mensch gewesen, was er auch heute noch ist […] Dann brauchten wir unbedingt jemanden, der zunächst einmal das Landesvermögen sichtet, also feststellt, was ist überhaupt da, über welche Räumlichkeiten kann man verfügen, und wie kann man eventuell auch Gebäude tauschen oder so, damit man an den richtigen Platz kommt. Dafür erwies sich Henke als der geeignete Mann, der sich damals außerdem noch um das Thema Bau kümmerte.“ Wichtig war, im Gegensatz zum Vorgehen von Klaus Reichenbach, das Prinzip der Überparteilichkeit. Rößler gehörte zum DA, Henke zur DSU, Vaatz zur CDU, Iltgen und Heitmann waren überparteilich. Iltgen schwankte zwischen SPD und CDU, Heitmann war „eher noch auf Bündnis 90 eingestellt“.647 Die SPD war nicht und auch später nur „sehr schwach vertreten“, weil sie „personell nicht in der Lage“ und „strukturell nicht auf die Sache vorbereitet“ war. Ihr fehlte, so Lersow, „in gewisser Weise das politische Verständnis, in solchen Gruppierungen, in solchen entstehenden Kommissionen mitzuarbeiten“.648

647 Interview Arnold Vaatz am 21. 6. 2000. 648 Interview Michael Lersow.

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Da Klaus Reichenbach in seiner Doppelfunktion als CDU-Landesvorsitzender und Staatsminister der Regierung de Maizière klar sein musste, dass Vaatz die Ergebnisse der Landesvorstandssitzung vom 19. Mai nicht einfach hinnehmen und seine eigenen Strukturen ausbauen würde, lud er den vom Ergebnis enttäuschten Vaatz bereits am Tag der Vorstandssitzung „sehr dringend“ zu einem Gespräch am 22. Mai nach Berlin, wo er ihm eine Stabsstelle im Amt des Ministerpräsidenten anbot, auf der er sich mit der Länderbildung hätte befassen sollen.649 Vaatz wertete dies als Versuch, ihn in Dresden aus dem Verkehr zu ziehen und lehnte ab. Um Reichenbach zu helfen, bot ihm auch Lothar Späth an, Vaatz mit einer Funktion in Baden-Württemberg zu versorgen, „damit du ihn vom Hals hast. Und ich hab natürlich dort erst einmal nicht abgelehnt. Aber Vaatz hat dann anschließend abgelehnt“.650 Noch hatte Ballschuh die Verwaltung des Dresdner Rates des Bezirkes nicht übernommen. In dieser Situation wandte sich Vaatz an den bis Ende Mai amtierenden Ratsvorsitzenden Kunze und übernahm stattdessen mit seiner Unterstützung im Rat des Bezirkes Dresden die Koordinierung aller Aktivitäten zur Landesbildung. Kunze ließ die Abteilungen instruieren, dass „Aufgabenstellung, Struktur und Vorschläge zur personellen Besetzung“ der Aufbaustäbe zur Bildung der Ministerien „in Abstimmung mit dem Leiter des Koordinierungsbüros, Vaatz, und im Zusammenwirken mit den politischen Parteien des Landes Sachsen ausgearbeitet und dem Rat vorgelegt werden“ sollten.651 Damit war dem Versuch des CDU-Landesvorstandes, eigene Parteistrukturen als dominanten Faktor der Landesbildung zu etablieren, zunächst ein überparteilicher Riegel vorgeschoben. Dass es Vaatz und nicht Kunze war, der hier die Bedingungen diktierte und sich kaum Vorschriften machen ließ, zeigt eine Information vom 23. Mai über die Entscheidung des Runden Tisches zum Koordinierungsausschuss und darüber, dass dieser eigene Vorstellungen erarbeite, „auf welcher Basis er mit dem Rat des Bezirkes zusammenarbeiten“ wolle. Die Ratsmitglieder wurden darauf aufmerksam gemacht, dass der Koordinierungsausschuss bei Einhaltung der Ordnung des Rates zu unterstützen sei.652 Kunze sah wohl klarer als der CDU-Landesvorstand, dass künftige Aktivitäten zur Landesbildung ohne den überparteilichen Koordinierungsausschuss öffentlich kaum mehr vertretbar waren. Dabei agierte dieser keinesfalls als Gremium von Rates Gnaden, sondern als Instrument des Dresdner Runden Tisches, in den der Rat freilich durch seine Mitarbeit eingebunden war. So war es der Koordinierungsausschuss, der dem Rat und dem Bezirkstag die Hand zur Kooperation ausstreck-

649 Klaus Reichenbach an Arnold Vaatz vom 19. 5.1990 (HAIT, KA, 3.1). 650 Interview Klaus Reichenbach. 651 RdB Dresden: Hausmitteilung der HA Raumordnung und Regionalentwicklung vom 22. 5.1990: Hinweise zur Ratsvorlage „Wirtschaftsministerium“ von Steffen Kandalofsky (HAIT, KA, V.2). 652 Beschluss des RdB Dresden vom 23. 5.1990: Lageeinschätzung (SächsHStA, BT/RdB, 47122, Bl. 42).

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te, um Bündnispartner in der Auseinandersetzung mit der Regierung um die Dominanz bei der Landesbildung zu gewinnen und nicht umgekehrt. Im CDU-Landesvorstand blieb die Unterstützung des Koordinierungsausschusses durch den Rat des Bezirkes nicht ohne Konsequenzen. Eine Politik der vollständigen Ignorierung schien auch deswegen nicht ratsam, weil Vaatz Mitglied des CDU-Landesvorstandes war und man wusste, dass die neuen Kräfte in der CDU über Rückhalt im CDU-Bundesvorstand verfügten. Ende Mai modifizierte der Landesvorstand daher sein bis dato eher unflexibles Vorgehen.653 Nachdem der Versuch gescheitert war, die sächsische Eigenkonstruktion von Vorparlamentarischem und Koordinierungsausschuss durch eine Berufung von Vaatz nach Berlin personell zu entkernen, versuchte der Landesvorstand, mit dem Beschluss, Vaatz als Stellvertreter Ballschuhs für Landesbildung zu benennen, die Aktivitäten des ohne politischen Schaden kaum zu ignorierenden Koordinierungsausschusses doch noch in das offizielle Konzept von Regierung und CDU einzufügen. Dabei spielte es natürlich eine erhebliche Rolle, dass Vaatz per Dekret Kunzes im Rat des Bezirkes Dresden bereits mit der Koordinierung der Landesbildung beauftragt war. Die Entscheidung des CDU-Landesvorstandes war weitreichend und wurde hier in ihrer Tragweite womöglich gar nicht überschaut, erhielt Vaatz damit doch die Verantwortung für die Schaffung der zukunftsweisenden Strukturen, während Ballschuh Nachlassverwalter eines zeitlich gefristeten Auslaufmodells blieb, dessen einzige Chance darin bestand, sich in Form eines künftigen Regierungspräsidiums zu regenerieren. Welcher Preis dafür zu bezahlen war, zeigte der Beschluss des Landesvorstandes, das Ende der Arbeit der Runden Tische „konsequent durchzusetzen“. In Leipzig und Chemnitz sei dies bereits erreicht, in Dresden nicht. Im Beisein von Vaatz wurde festgelegt, dass an der für den nächsten Tag vorgesehenen Beratung des Dresdner Runden Tisches kein CDU-Vertreter teilnehmen dürfe. Kein Mitglied sei länger berechtigt, als Vertreter der CDU am Runden Tisch wirksam zu werden. Das Ziel war klar: Neben dem regierungsoffiziellen Verwaltungsapparat sollte es nicht länger eine zweite, unkontrollierbare, dezentrale und dank ihrer Genese in der friedlichen Revolution immer wieder zu rebellischen Aktionen neigende Struktur von Gremien geben. Vaatz geriet durch den Beschluss in eine Zwickmühle, stellte das gemeinsame Wirken der Runden Tische der drei Bezirke doch bislang die Legitimationsgrundlage der Arbeit des geplanten Vorparlamentarischen Ausschusses und des Koordinierungsausschusses dar. Ohne dieses Fundament war zunächst nicht auszuschließen, dass er selbst als Stellvertreter Ballschuhs im Kampf um die Dominanz im Landesbildungsprozess schnell zur Dispositionsmasse werden würde. Andererseits bot die Avance die höchst attraktive Perspektive, die geplanten Ausschüsse durch ihre Anbindung an den Regierungsbeauftragten doch noch mit einer völlig anderen, von der demokratisch gewählten Volkskammer ausgehenden Legitimationsgrundlage auszustatten.

653 Protokoll der Beratung des Landesvorstandes Sachsen der CDU am 30.5.1990 (Dok. 74).

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Entschieden problemloser als in Dresden war die Lage aus Sicht von Regierung und CDU-Landesvorstand in Chemnitz und Leipzig. Hier stellten die Runden Tische der Bezirke ihre Arbeit wie gewünscht ein. In Chemnitz hatte der Bezirksgeschäftsführer der CDU, Konrad Loibl, am 21. Mai ein Ende des Runden Tisches beantragt, da dieser „keine Arbeitsberechtigung mehr“ besitze. Der Regierungsbeauftragte benötige keine außerparlamentarische Kontrolle; ein Arbeitsausschuss der Volkskammerabgeordneten des Bezirkes entspreche der Meinung der Bevölkerung besser als die am Runden Tisch vertretenen Splittergruppen. Loibl kritisierte nochmals, dass sich der Runde Tisch geweigert hatte, dem Parteienproporz nach den Wahlen in Zusammensetzung und Stimmenverhältnis Rechnung zu tragen. Damit sei die Chance vergeben worden, Charakter, Legitimität und Struktur des Runden Tisches neu zu bestimmen. Naiv und vermessen mutete freilich die daraus abgeleitete Aufforderung an, „dass die am Runden Tisch des Bezirkes arbeitenden Parteien, Bewegungen und Organisationen ihre Arbeit dort einstellen und sich damit dem Bezirksverband Chemnitz der CDU anschließen“ sollten.654 Sicher auch deshalb wurde der CDU-Antrag auf Auflösung des Runden Tisches des Bezirkes Chemnitz am 25. Mai mehrheitlich abgelehnt. Da jedoch CDU und DSU bereits die endgültige Einstellung ihrer Mitarbeit angekündigt hatten, beantragten „Die Nelken“ ebenfalls die Beendigung der Arbeit. Sie begründeten dies mit dem „Fehlen zweier an der Regierungspolitik direkt teilnehmenden Parteien“ und der damit in Frage gestellten demokratischen Legitimierung des Runden Tisches. Dieser Antrag wurde, da er nicht von der CDU kam, nun mehrheitlich angenommen. Die Teilnehmer beschlossen einstimmig, die eigenen Aktivitäten zur Landesbildung in einem „Regionalausschuss Chemnitz zur Bildung des Landes Sachsen“ fortzuführen, in den alle Parteien, Organisationen und Bewegungen im Bezirk je zwei Vertreter entsenden konnten, in der Regel die Vorsitzenden.655 Dem aus 46 Personen bestehenden Regionalausschuss sollten aber auch der Vorsitzende des Rates des Bezirkes, der Oberbürgermeister von Chemnitz und der Chef der Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei angehören. Aufgabe des Ausschusses war es, Standpunkte, Auffassungen und Anforderungen für das von der Volkskammer zu beschließende Ländereinführungsgesetz beizutragen.656 Auch der Bezirkstag Chemnitz trat Ende Mai ein letztes Mal zusammen und legte dem Re-

654 CDU-Bezirksverband Chemnitz: Antrag der CDU an den RTB Chemnitz zur Beendigung der Arbeit vom 21. 5.1990 (SächsStAC, BT/RdB, 124560, Bl. 50). 655 Protokoll der 13. Beratung des RTB KMS / Chemnitz am 25. 5.1990 (ebd. , Bl. 3 f.); Fernschreiben von Lothar Fichtner an Manfred Preiß vom 15. 5.1990 (ebd., 137717); RdB KMS: Vertreter am Regionalausschuss, o. D. (SächsStAC, BT/RdB, 152188). Es handelte sich um: BFD, DA, DBD, DFP, DSU, Grüne Partei, KPD, PDS, SPD, Sächsischer Bauernverband, DFD, FDGB, Grüne Liga, Kulturbund UFV, VL, Alternative Jugendliste, Neues Forum, Evangelisch-Lutherische Kirche, Freikirchen, Katholische Kirche. Vgl. Scherf, Der Runde Tisch, S. 114 f. 656 Mitteilungen des BT und des RdB KMS 121 von Mai 1990: Materialien der 18. (letzten) Tagung des BT KMS/Chemnitz am 23. 5.1990, S. 34 (SächsStAC, BT/RdB, 126371).

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gierungsbeauftragten zum Abschluss seiner Tätigkeit das Konzept eines Regierungsbezirkes vor.657 In Leipzig sprach sich der Runde Tisch des Bezirkes am 22. Mai auf Antrag von Bündnis 90 für die Auflösung des Bezirkstages sowie die Beendigung der Arbeit von Rundem Tisch und Rat des Bezirkes aus. Gleichzeitig wurde beschlossen, für die Zusammenarbeit mit dem Regierungsbevollmächtigten „ein demokratisches Gremium entsprechend der Ergebnisse der Kommunalwahlen im Bezirk Leipzig“ zu bilden, das bis zur Konstituierung des Landtages regelmäßig öffentlich zusammentreten und mit dem Regierungsbevollmächtigten Entscheidungen beraten sollte. Gefordert wurde, die Bildung Sachsens in einem möglichst breiten Konsens vorzubereiten. Alle demokratischen Parteien und Bewegungen sollten angemessen beteiligt und die Vorbereitungen öffentlich durchgeführt werden.658 Zuvor hatte Ratsvorsitzender Joachim Draber den Runden Tisch über den Stand der Länderbildung „und die mögliche Mitwirkung von Parteien und demokratischen Kräften des Bezirkes in einem Gremium auf der Grundlage der für das Kuratorium Land Sachsen bereits benannten Personen“ informiert.659 Am 29. Mai tagte auch der Bezirkstag Dresden ein letztes Mal, zwei Wochen später folgte eine abschließende Beratung seines Präsidiums.660 Am 31. Mai diskutierte der Runde Tisch des Bezirkes Dresden die Situation. Vaatz nahm, um seine Nominierung zum Stellvertreter des Regierungsbevollmächtigten durch den Landesvorstand der CDU nicht zu gefährden, nicht teil, wohl aber sein politischer Vertrauter Dieter Reinfried. Hier nun herrschte, zum Ärger der CDUFührung, Einigkeit, die Arbeit zur Landesbildung nicht wie von Regierung und CDU-Landesvorstand gewünscht, einzustellen. Allerdings sah man die Notwendigkeit, die eigenen regionalen Aktivitäten mit der zentralen Regierungspolitik in Übereinstimmung zu bringen. Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellte, war, auf welche Weise man sich mit dem Regierungsbeauftragten arrangieren sollte und könnte. Dafür waren mit der Entscheidung des CDU-Landesvorstandes vom Vortag, Vaatz zum Stellvertretenden Dresdner Regierungsbevollmächtigten für Länderbildung zu berufen, bereits die Weichen gestellt. Um über die Kompatibilität der eigenen Strukturen mit denen des Regierungsbevollmächtigten Klarheit zu gewinnen, forderte der Runde Tisch den designierten Regierungsbevollmächtigten Ballschuh einstimmig auf, in der nächsten Sitzung sein Konzept der Länderbildung vorzustellen. Ungeachtet dessen ließen die Teilnehmer keinen Zweifel daran, dass sie gewillt waren, die eigenen Aktivitäten fortzusetzen, da es, so Iltgen, in Sachsen auf Bezirksebene keine parlamentari657 Vgl. Die Union vom 25. 5.1990. 658 Protokoll der Beratung des RTB Leipzig am 22. 5.1990: Beschlussvorlage für den RTB Leipzig am 22. 5.1990 von Lohmann (DJ), im Auftrag von Bündnis 90 (SächsStAL, BT/ RdB, 31263, 2 und 37). 659 Protokoll der Beratung des RTB Leipzig am 22. 5.1990 (ebd., 2). 660 Einladung des Präsidiums des BT Dresden vom 18. 5.1990 (HAIT, Iltgen, 3); Präsident des BT Dresden, Manfred Rentsch, an die Mitglieder des Präsidiums vom 30. 5.1990 (ebd.).

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sche Begleitung oder Öffentlichkeit gab, „die dort mitreden konnte“.661 Trotz des so erzeugten politischen Drucks kam man der Regierung aber insofern entgegen, als mit neun gegen zwei Stimmen bei fünf Enthaltungen beschlossen wurde, die eigenen Aktivitäten zur Länderbildung im Falle einer Zustimmung zu den Ausführungen des Regierungsbeauftragten zu beenden.662 In dieselbe Richtung zielte die Entscheidung, den geplanten Vorparlamentarischen Ausschuss künftig weniger anspruchsvoll als „Regionalausschuss Land Sachsen“ zu deklarieren, um keine Widersprüche zum Ministerratsbeschluss und zur Arbeit der Volkskammer auftreten zu lassen. Dass dies mehr als eine verbale Änderung war, zeigte die Tatsache, dass der Regionalausschuss, anders als beim Vorparlamentarischen Ausschuss zunächst erwogen, keine legitimatorische, sondern lediglich eine beratende, vermittelnde und koordinierende Funktion beanspruchen sollte. Damit deutete sich eine tiefgreifende Veränderung der Legitimierung der regionalen sächsischen Ausschüsse zur Landesbildung an. Der Runde Tisch des Bezirkes Dresden signalisierte seine Bereitschaft, sich dem repräsentativ-parlamentarischen Legitimationsmodell der demokratisch gewählten Regierung anzuschließen. Noch aber war nicht endgültig klar, in welchem Maße diese bereit sein würde, die sächsische Sonderentwicklung ins eigene Konzept einzubinden, ob sie mithin flexibel genug war, auf regionalem Eigensinn basierende Sonderentwicklungen zu integrieren. In dieser Diskussion, so Vaatz später, blieben „wir Sieger, und zwar mit dem Argument, dass wir kein System nach französischem Vorbild anstreben, sondern, dass wir ein föderales System anstreben, das den Eingriff der Zentralverwaltung auf die innere Struktur der Länder eigentlich nicht gestattet. So dass also schon dieser Übergriff unstatthaft ist.“663 Seine diesbezüglichen Grundüberzeugungen formulierte Vaatz ein halbes Jahr später in der Presse. Es sei sehr wichtig, „dass wir das Unsere dafür tun, dass der deutsche Vereinigungsprozess nicht umschlägt in eine unvertretbare Stärkung des zentralistischen Empfindens von Staat. Wir müssen die regionalen Kompetenzen erstreiten. […] Dabei wird herauskommen, dass die regionalen gemeinsamen Interessen eine stärkere strukturbildende Kraft haben als die bloße administrative Zugehörigkeit zu einem Machtzentrum. […] Ein Problem muss immer der lösen, der mit ihm am meisten zu tun hat. […] Es ist nicht richtig, wenn die Regierungen der Staaten Dinge beschließen, die dann eilig unten nachgeholt werden müssen. Sondern im Gegenteil, die Tatsachen müssen von unten nach oben wachsen.“664 Die Benennung von Vaatz zum Stellvertreter für Landesbildung bedeutete einen Kompromiss und eine Harmonisierung zentraler und regionaler Aktivitäten bei der Länderbildung. Vaatz nennt es ein „Patt“.665 In formaler Hinsicht war damit die Phase der Doppelherrschaft von Räten und Runden Tischen beendet. 661 Interview Erich Iltgen. 662 Protokoll der 20. Sitzung des RTB Dresden am 31. 5.1990 (Dok. 75). 663 Interview Arnold Vaatz. In: Kleimeier, Sachsen, S. 104 f. 664 Arnold Vaatz. In: Die Union vom 10.10.1990. 665 Interview Arnold Vaatz. In: Kleimeier, Sachsen, S. 104 f.

5.

Landesbildung zwischen Regierungsanspruch und sächsischem Eigensinn

5.1

Regierungbevollmächtigte, Koordinierungsausschuss und Sächsisches Forum

5.1.1 Einsetzung von Regierungsbevollmächtigten in den Bezirken am 6. Juni Am 5. Juni erließ Ministerpräsident de Maizière auf der Grundlage des Volkskammer-Beschlusses vom 17. Mai 1990 Richtlinien über Stellung, Aufgaben und Befugnisse der Regierungsbevollmächtigten.1 Einen Tag später folgte deren offizielle Berufung durch den Ministerrat.2 In Sachsen wurden Siegfried Ballschuh (CDU) für Dresden, Albrecht Buttolo (CDU) für Chemnitz und Rudolf Krause (CDU) für Leipzig ernannt. In Chemnitz war zunächst Dirk-Ullrich Hoedt, Ratsmitglied für Verkehr und Nachrichtenwesen im Rat des Bezirkes, vorgesehen gewesen; er wurde jedoch ersetzt, nachdem aus Kreisen des Rates bekannt wurde, er sei der „regierungstreueste“ Karl-Marx-Städter CDU-Funktionär3 und „ein Vertreter des alten Apparates von Schrot und Korn“ gewesen.4 Seine Nominierung scheiterte so zwar am Einspruch der sächsischen CDU-Volkskammerabgeordneten,5 er blieb aber in der Bezirksverwaltungsbehörde und später im Regierungspräsidium Ressortleiter seines Bereichs. Statt seiner fragte der nach dem 18. März in die Volkskammer eingezogene, bisherige stellvertretende CDU-Kreisvorsitzende von Hohenstein-Ernstthal, Heinz Wagner, Anfang Juni Albrecht Buttolo aus seinem Wahlkreis nach dessen Bereitschaft, die Funktion zu übernehmen. Der damals 42-jährige promovierte Diplom-Ingenieur war katholisch, gehörte seit 1979 der CDU an, hatte aber keine besonderen Funktionen bekleidet. Erst 1989 war er Mitglied des Kreistages und 1990 Vorsitzender der Kreistagsfraktion sowie des Kreisverbandes Hohenstein-Ernstthal geworden. Seit April 1990 arbeitete er als Abteilungsleiter Wirtschaft im Rat des Bezirkes Karl-Marx-Stadt/Chemnitz und hatte dafür ein neu gegründetes Software-Gewerbe aufgegeben. „Ich hatte mich“, so Buttolo, „innerhalb dieses Telefonats zu entscheiden und sagte dann Ja, ohne zu wissen, worauf ich mich einließ“. Wagner und die CDU-Volkskammerabgeordnete Stefanie Rehm wandten sich an Staatsminister Reichenbach und schlugen ihn als Ersatz für Hoedt vor.6 „Und dann“, so Buttolo, „ging es ratzfatz: Ich hatte am Abend von ihm die schriftliche Einladung zur Aushändi1 2 3 4 5 6

Verfügung des Ministerpräsidenten der DDR 1 vom 5.6.1990: Regelungen über Stellung, Aufgaben und Befugnisse der Regierungsbevollmächtigten (BArch B, DC 20, 6095). Beschluss des Ministerrates der DDR 10/26.a/90 vom 6.6.1990 (ebd., I/3–2981, Bl.1 f.). Interview Uwe Grüning. Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. Interview Albrecht Buttolo am 12. 2. 2003. Interview Albrecht Buttolo.

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gung der Berufungsurkunde bei de Maizière und bin dann am nächsten Tag um elf nach Berlin gefahren und habe dort meinen Job angetreten. So etwas entspricht komplett der damaligen Zeit.“7 Buttolo erklärte nach seiner Ernennung, dass er seine Funktion nicht als politisches sondern als Verwaltungsamt verstehe. Seine Aufgabe sehe er in der Umsetzung der Regierungspolitik. Er kündigte eine enge Kooperation mit dem Chemnitzer Regionalausschuss zur Länderbildung an. Dass er nicht gewillt war, eine Dresdner Dominanz bei der Landesbildung widerspruchslos hinzunehmen, deutete er mit der Bemerkung an, die drei sächsischen Bezirke müssten nun untereinander klären, „wer welche Ministerien künftig sein eigen nennt“.8 Schon bei einem ersten Treffen der drei neu gekürten Regierungsbevollmächtigten bei der Aushändigung ihrer Berufungsurkunden in Berlin am 11. Juni war ihm die Bemerkung Ballschuhs negativ aufgefallen, Dresden habe die Landesbildung vorzubereiten. Von vornherein zu sagen, „wir haben es schon“, sei bei ihm „schief angekommen“. Mit seinem Vorschlag, die Landesministerien auf die drei großen Städte zu verteilen, habe er „eine Art Ausgewogenheit“ angestrebt. Demnach hätte man in Leipzig die Bereiche Wissenschaft, Kunst und Kultus ansiedeln sollen, für die Chemnitzer Region sei die Wirtschaft immer ein wichtiger Faktor gewesen. Ihm sei aber schnell klar geworden, dass sein Vorschlag nicht realistisch war.9 Der Kandidat der Leipziger CDU war Rudolf Krause. Der damals 51-jährige promovierte Diplom-Mathematiker war ebenfalls katholisch und gehörte der CDU seit Anfang der sechziger Jahre an. Er war Lehrer für Latein, Physik und Mathematik sowie stellvertretender Direktor der EOS „Wilhelm Ostwald“ in Markkleeberg, einer Spezialschule für mathematisch begabte Schüler. Von 1968 bis 1976 vertrat er die Blockpartei im Zentralrat der FDJ. Er war seit längerem Mitglied des Bezirks- und seit den achtziger Jahren des Hauptvorstandes der CDU. Außerdem gehörte er dem Kreis- wie dem Bezirkstag Leipzig an. Im Herbst 1989 wurde er stellvertretender CDU-Vorsitzender und vertrat seine Partei am Zentralen Runden Tisch. Nach Meinung Kolbes vertrat er „einen vermittelnden Kurs zwischen den alten Block-Kräften und den neuen Reform-Kräften“.10 Mit seiner Ernennung zerschlugen sich zunächst gehegte Hoffnungen des Leipziger SPD-Bezirksvorstandes, den hiesigen Regierungsbevollmächtigten bestimmen zu können.11 In Dresden hatte die CDU Siegfried Ballschuh nominiert. Der Diplom-Staatswissenschaftler war seit 1988 im Rat des Bezirkes Dresden für Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft zuständig gewesen. So war es wenig verwunder7 8 9 10

Interview Albrecht Buttolo am 18.10.1999. Die Union, Ausgabe Chemnitz, vom 19. 6.1990. Interview Albrecht Buttolo am 12. 2. 2003. Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Bericht vom 10.–14. 9.1990 (PB Manfred Kolbe). 11 Protokoll der Sitzung des SPD-Bezirksvorstandes Leipzig am 24. 4.1990 (AdSD, SPDLV Sachsen, 31, 3/9.1.). Krause trat 1991 wegen des Vorwurfs der IM-Tätigkeit für das MfS von allen Ämtern zurück.

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lich, dass der „geschickte Taktiker“ nach Information der baden-württembergischen Landesregierung über „vielfältige Beziehungen zum alten Apparat“ verfügte. Das galt auch für seinen Kontakt zu Horst Korbella, der ihm früher in der Organisation des Wohnungswesens – als Verantwortlicher für die Stadt Dresden – nachgeordnet und inzwischen zum stellvertretenden CDU-Vorsitzenden der DDR aufgestiegen war.12 Ihm hatte er „möglicherweise seine Berufung zum Regierungsbevollmächtigten zu verdanken“. Aus Stuttgarter Sicht war es auch kennzeichnend, dass Ballschuh den letzten Vorsitzenden des Rates des Bezirkes, Kunze, zum persönlichen Referenten berief und mit erheblichen Befugnissen ausstattete.13 Vaatz hat Ballschuh als persönlich umgänglich in Erinnerung, freilich störte ihn seine Zugehörigkeit zum „Nomenklaturkader“.14 Nach Ermisch war er „sehr einsichtig, sehr behutsam“,15 Rößler hingegen erinnert sich, dass es mit ihm „permanent Zoff“ gab und er sich „immer nur millimeterweise“ bewegt habe.16 Nach Erinnerung von Matthias Reichenbach spielte Ballschuh „eine undurchsichtige Rolle“. Seine Strategie sei „nicht richtig erkennbar“ gewesen. Er habe „eher verdeckt agiert“ und vermied offene Konfrontationen mit den Vertretern der neuen politischen Kräfte. Klar sei aber gewesen, dass in diesem „zweiten Teil der Friedlichen Revolution“ ständig um Einfluss zwischen den Exponenten des alten Staatsapparates und den Vertretern der neuen Kräfte gerungen wurde. Dieser Kampf habe maßgeblich das Verhältnis zwischen dem Regierungsbevollmächtigten und seinen Stellvertretern bestimmt.17 So war es kein Wunder, dass schon die Bennennung von CDU-Funktionären, die dem „Korps nachrückender jüngerer Parteifunktionäre“ entstammten und bislang „wenig Interesse für durchgreifende Veränderungen“ gezeigt hatten,18 bei den neuen Kräften um Vaatz auf Kritik stieß. Sie bezog sich freilich mehr auf Ballschuh und Krause als auf Buttolo. Dieser hatte erst 1989 Funktionen auf Kreisebene übernommen und wurde von den neuen Kräften respektiert, weil er, so Rößler, konstruktiv war und es mit ihm keine Reibereien gab.19 Für Vaatz erwies sich die Regierung mit der Wahl von Vertretern des bisherigen Staatsapparates, die „seit Jahr und Tag in die Geschäfte dieses zentralistischen Systems involviert“ gewesen waren, „als Rückzugsstratege und Besitzstandswahrer der 12 Horst Korbella alias IM „Peter Klaus“ hatte in seinem letzten Bericht am 8.11.1989 geschrieben: „Ich will aktiv dazu beitragen, damit der Soz[ialismus] in der DDR bestehen bleibt, auch wenn z. B. die nächste Regierung eine Koalitionsregierung sein wird.“ (BStU, Ast. Dresden, XII 733/83 „Peter Klaus“, Band I, Bl. 96). Zit. in Neubert, Ein politischer Zweikampf, S. 214. 13 Zur Situation im künftigen Land Sachsen. Kurzbericht aufgrund der Mitarbeit im Koordinierungsausschuss für die Landesneubildung im August 1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). 14 Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 15 Interview Günter Ermisch. 16 Interview Matthias Rößler. In: Kleimeier, Sachsen, S. 91. 17 Interview Matthias Reichenbach am 15. 7. 2003. 18 Schmidt, Von der Blockpartei zur Volkspartei, S. 161. Das trifft freilich auf Buttolo kaum zu. 19 Interview Matthias Rößler. In: Kleimeier, Sachsen, S. 91.

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bestehenden Machtverhältnisse“.20 Die Folge der Entscheidung war, so auch Iltgen, dass „die Schalthebel der Macht“ in den Bezirken bis zur Landesbildung „mehr oder weniger in den Händen der Vertreter alter Strukturen“ lagen.21 „Die Union“, Sprachrohr der neuen politischen Kräfte, kritisierte, dass „Parteizugehörigkeit vor Sachkompetenz“ gehe und „ehemalige staatliche Leiter, die mitverantwortlich waren für strategische Konzepte des SED-Regimes, übernommen und mit neuem Einfluss ausgestattet“ würden.22 Auch im baden-württembergischen Staatsministerium merkte man an, dass in Sachsen Regierungsbevollmächtigte berufen worden seien, die „in das alte Regime verstrickt“ waren und deshalb von den neuen Kräften mit Misstrauen beobachtet würden.23 Auch in der Volkskammer wurde Kritik laut. Im Koalitionsausschuss wurde bemängelt, dass die Ernennung ohne Abstimmung mit den zuständigen Volkskammerabgeordneten der Bezirke erfolgt sei. Dies habe zu „kritikwürdigen Entwicklungen in der personellen Besetzung bezirklicher Führungspositionen“ geführt, wo sich Altfunktionäre gegenseitig unterbrächten.24 Was die Liberalen kritisierten, war von der Regierung gerade beabsichtigt. Lothar de Maizière hatte sich auf dem Sonderparteitag der CDU im Dezember 1989 zum Sprecher der nachrückenden Generation von CDU-Funktionären gemacht,25 mit denen er sich „mental“ mehr verbunden fühlte „als mit so manchem westdeutschen CDU-Politiker“26 und diese nach dem Sieg der CDU am 18. März in den Regierungsund Verwaltungsapparat auf Bezirksebene eingebunden. Aus Sicht der Regierung war es „ein großer Erfolg“, dass die Besetzung der Führungspositionen in den Bezirken „im Wesentlichen ein CDU-geführter Personalprozess“ und „nirgendwo ein Sozialdemokrat an führender Rolle war“. Die Bewertung Thomas de Maizières zeigt, dass es in Berlin eine gänzlich andere Perspektive als am Dresdner Runden Tisch gab, wo man es als Erfolg ansah, dass neue politische Kräfte einschließlich der Sozialdemokraten gemeinsam agierten. Unter dem Druck der Einigungsverhandlungen hatte sich die parteipolitische Szene in Berlin schon wesentlich stärker an das bundesdeutsche Zielmodell angenähert. Ob es sich um „alte“ oder um „neue“ Kräfte handelte, spielte hier schon allein deswegen ein nachgeordnete Rolle, weil sich ja sonst die führende Regierungspartei als „alte“ Kraft hätte definieren müssen. Daran hatte man verständlicherweise nach den Bemühungen, gerade dieses Image, Dank der von Kohl geschmiedeten Allianz für Deutschland, abzustreifen, kein Interesse. In der Regierung dominierte die klassische deutsche Sichtweise, wonach es primär um Funktionalität 20 Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 21 Erich Iltgen. In: Reden zum 4. Jahrestag der Gründung des Koordinierungsausschusses, S. 6. 22 Die Union vom 28. 6.1990. 23 SMBW, Abteilung I: Vermerk für Lothar Späth zum Gespräch mit Klaus Reichenbach am 28. 6.1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). 24 Fraktion Die Liberalen, Parlamentarischer Geschäftsführer: Information aus der Beratung des Koalitionsausschusses am 22. 6.1990 (ADL, L1-32). 25 Vgl. Richter, Die Entwicklung der Ost-CDU 1989/90, S. 1019 f. 26 Neubert, Ein politischer Zweikampf, S. 220.

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im Sinne der zu lösenden Aufgaben ging. Insofern stellte sich hier bei der Auswahl geeigneter Personen auch kaum die Frage, ob die ausgewählten Funktionäre „Altkader“ im SED-Staat gewesen waren. Hinzu kam, dass es im parteipolitischen Umfeld de Maizières praktisch keine anderen als diese gab; eher war es ein Problem, dass von ihnen nicht genug vorhanden waren, zumal wenn sie über Verwaltungserfahrungen aus dem DDR-Staatsapparat verfügten. Schließlich ging es darum, „die Neukonzipierung der Länder zustande zu bringen, eine Landtagswahl zu organisieren, Wahlkommissionen zu berufen, Wahlen zu sichern usw. Da brauchte man Leute mit einem Mindestmaß an Verwaltungserfahrung. Also war die generelle Tendenz, dass man die am wenigsten Schlimmen aus dem alten Apparat nahm“. Gerade bezüglich der Verwaltungserfahrungen habe es ein „mangelndes Zutrauen gegenüber Revolutionären mit Runder-TischMentalität“ gegeben. Thomas de Maizière schließt Vaatz ausdrücklich aus, da dieser „sehr professionell“ gearbeitet habe, nennt aber andere „Leute mit Rauschebart“. Ihnen habe man eine Aufgabe wie die in den Prozess der deutschen Einheit eingebundene Länderbildung und die damit verbundene Überführung der DDR-Verwaltung in neue Strukturen „wahrscheinlich zu Recht nicht zugetraut“. Es sei aber nicht etwa darum gegangen, „neue Kräfte zu stoppen, zurückzudrängen, sondern einzig und allein“ darum, den Prozess der Länderbildung zustande zu bringen. Um die Haltung der Regierung zu verstehen, sei es unabdingbar, in Rechnung zu stellen, dass es „nicht überall so starke Figuren wie Arnold Vaatz und auch nicht überall so starke Partnerländer“ wie Sachsen gegeben habe.27 Für Vaatz war damit freilich die Frage nicht beantwortet, warum man in Dresden nicht die – aus seiner Perspektive – Chance genutzt hatte, einen Vertreter der neuen Kräfte mit der Funktion des Regierungsbevollmächtigten zu beauftragen. An der Elbe glaubte man nur zu gut zu wissen, dass die Haltung der Regierung generell gegen die Politik der neuen Kräfte des Bezirkes gerichtet war und, wie auch Helmut Kohl bestätigt, „Lothar de Maizière Arnold Vaatz und seine Freunde nicht mochte“.28 Hier sah man es als kennzeichnend für die Haltung der Regierung an, „alle die von außen gekommen sind“ beiseite zu drängen, „und zwar kategorisch“. In Dresden hätte die Regierung auf sehr gut ausgebildete und in Sachen Landesbildung eingearbeitete Personen zurückgreifen können, wenn sie nur gewollt hätte. Tatsache sei aber, dass Bewerbungen von außerhalb der Ex-Blockpartei regelrecht „zerfetzt worden“ seien. Personelle Alternativen wie Vaatz selbst oder auch Hans Geisler seien durch den CDULandesvorstand „in die Resignation gedrückt und zum Aufgeben gezwungen“ worden. De Maizière sei es um nichts anderes gegangen, „als das gesamte alte CDU-Gebilde zu revitalisieren und in Ämter zu bringen“.29 Geisler, damals Staatssekretär in der Regierung, erinnert sich, dass ihn Reichenbach einmal hin27 Interview Thomas de Maizière. 28 Interview Helmut Kohl. 29 Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003.

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sichtlich der Besetzung der Regierungsbevollmächtigten befragt habe. Nachdem er erklärte hatte, dass er „diese Art der Steuerung aus Berlin in die Region“ nicht mittragen würde und zudem Ballschuh für nicht akzeptabel hielt, habe man ihn nicht mehr konsultiert.30 Personelle Alternativen wurden vor allem deswegen nicht genutzt, weil man sich bei „Unionsfreunden“ sicher sein konnte, dass sie die neue Regierungspolitik adäquater und kompetenter umsetzen würden als Personen mit politischen Wirkungsschwerpunkten an Runden Tischen. Um einen engen Schulterschluss innerhalb des CDU-Kaderstammes zu gewährleisten, unterstellte sich de Maizière die Regierungsbevollmächtigten direkt.31 Dadurch hoffte er, die nach wie vor von der PDS dominierte Ministerialbürokratie umgehen zu können. Die Bezirksverwaltungen wurden ausdrücklich angewiesen, keine Festlegungen der Ministerien zu befolgen, sondern nur die des Ministerpräsidenten, vermittelt über den Regierungsbevollmächtigten.32 Ebenso wurden alle Ministerien instruiert, dass ausschließlich de Maizière gegenüber den Regierungsbevollmächtigten weisungsberechtigt sei. Die Ministerien hatten sich hinsichtlich ihrer Kontakte mit Minister Preiß abzustimmen. Bereits mit dem Beschluss über die Kommunalverfassung am 17. Mai in der Volkskammer war zuvor mit dem Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen die doppelte Unterstellung der Fachressorts der Räte der Bezirke unter die Ministerien beendet worden.33 Somit wurde auch auf diese Weise kein Zweifel daran gelassen, dass die Regierungsbeauftragten ihre Macht aus der Delegation durch den Ministerrat ableiteten. Sie organisierten, koordinierten und beaufsichtigten im Sinne einer Auftragsverwaltung die Durchführung der Gesetze der Volkskammer, der Beschlüsse der Regierung und der Weisungen des Ministerpräsidenten in den Bezirken unter Beachtung der durch die neue Kommunalgesetzgebung wiedergewonnenen Verantwortung der Stadt- und Landkreise. Im Rahmen dieser Kompetenz hatten sie Entscheidungsfreiheit und waren dem Ministerpräsidenten gegenüber rechenschaftspflichtig. Die Befugnisse der Regierungsbevollmächtigten umfassten vor allem die Festlegung der Richtlinien für die bezirklichen Verwaltungsbehörden, deren Vertretung gegenüber der Regierung und anderen Bezirksverwaltungsbehörden, das Weisungsrecht im Rahmen der Auftragsverwaltung gegenüber Landräten und Oberbürgermeistern, das Erlassen von Verwaltungsvorschriften für die Durchführung übertragener Aufgaben, das Verlangen von Auskünften und Informationen im Zusammenhang mit der Durchsetzung der Regierungspolitik und zur Beherrschung außergewöhnlicher Ereignisse sowie das Einspruchsrecht gegen Verwaltungsentscheidungen von Ministerien. Die Regierungsbevollmächtigten sollten jeden Monat alle wichtigen Entscheidungen mit den Volkskammerabgeordneten des jeweiligen Bezirkes beraten. 30 Interview Hans Geisler. 31 Verfügung des Ministerpräsidenten der DDR 1 vom 5.6.1990: Regelungen über Stellung, Aufgaben und Befugnisse der Regierungsbevollmächtigten (BArch B, DC 20, 6095). 32 Auswertung der Dienstberatung des Regierungsbevollmächtigten für den Bezirk Dresden am 11. 6.1990 (SächsHStA, BT/RdB, 46999, Bl. 3–5). 33 Manfred Preiß an alle Minister vom 20. 6.1990 (BArch B, DO 5, 11).

Einsetzung von Regierungsbevollmächtigten

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Die Funktion des Ministers für regionale und kommunale Angelegenheiten beschränkte sich ihnen gegenüber auf eine koordinierende Tätigkeit. Jede Bezirksverwaltung wurde durch einen Beauftragten im Ministerium für regionale und kommunale Angelegenheiten betreut.34 Den Regierungsbeauftragten waren Stellvertreter und Ressortchefs nachgeordnet. Die Praxis zeigte bald, dass die Zusammenarbeit mit der Regierung angesichts der direkten Unterstellung unter dem schon terminlich überforderten Ministerpräsidenten kaum funktionierte. Die Regierungsbeauftragten fühlten sich allein gelassen, die Anleitung durch das Ministerium für regionale und kommunale Angelegenheiten beschränkte sich auf wenige unergiebige Dienstbesprechungen samt einer Klausurtagung. Funktionierende Stränge stellten allein die seit Jahren eingespielten Beziehungen zwischen den Fachabteilungen der bisherigen Räte und den Fachministerien dar. Aber gerade diese waren nun teilweise gekappt. Angesichts der Fülle neuer Herausforderungen fühlten sich auch die bisherigen Staatsfunktionäre in den Ministerien überfordert. Weil sie „viel zu unprofessionell“ arbeiteten, schenkten ihnen die Regierungsbevollmächtigten kaum Gehör. Von der Kompetenz des Ministeriums für regionale und kommunale Angelegenheiten, bei dem man „schlichtweg das alte DDR-Ministerium“ aus der Modrow-Zeit personell hatte weiter bestehen lassen, war zum Beispiel Buttolo „nicht sonderlich überzeugt“. Er habe es dort mit einem für ihn zuständigen Abteilungsleiter zu tun gehabt, der sich „verantwortlich fühlte“, ihm „irgendwas an Anleitung“ zu geben. Die täglichen Kontakte hätten sich auf Fernschreiben beschränkt, mit denen auf Endlospapier die Beschlusslage im Kabinett mitgeteilt wurde. Eine Steuerungsfunktion aus Berlin habe er so kaum wahrgenommen. Angesichts fehlender Unterstützung der vor allem mit ihrer bevorstehenden Selbstauflösung beschäftigten Ministerien hätten die Regierungsbevollmächtigten kaum eine Alternative gehabt, als die Zeit „mehr oder weniger als Autodidakten“ zu überstehen.35 Hilfreicher war es da schon, dass ihnen höhere und erfahrene Verwaltungsbeamte aus Baden-Württemberg zugeordnet wurden.36 In Leipzig zum Beispiel unterstützt Ministerialrat Futter aus dem Stuttgarter Justizministerium Krause direkt als Regierungsbevollmächtigten, Landessprecher und Landesbevollmächtigten. Er leitete die Zentralstelle und bereitete Ausarbeitungen vor. Ihrem Unmut machten die Regierungsbevollmächtigten auf einer Beratung vom 25. bis 27. Juni Luft, woraufhin die Minister auf ihre Kritik über mangelnde Informationen hingewiesen und aufgefordert wurden „zu gewährleisten, dass Entscheidungen der Regierung bzw. von Ressortministern sachbezogen mit den Regierungsbe34 Dienstberatung des Regierungsbevollmächtigten der Verwaltungsbehörde des Bezirkes Chemnitz vom 6. 8.1990 (SächsStAC, 11534, unpag.). 35 Interview Albrecht Buttolo am 18.10.1999. Einen ähnlichen Eindruck hatte Thomas Hirschle, dem das Ministerium „überhaupt nicht als irgendwie prägende Kraft in Erinnerung“ ist. Interview Thomas Hirschle. 36 Zwischenbilanz und Vorschläge des Innenministeriums Baden-Württemberg für das weitere Vorgehen der AG Verwaltungsstruktur Sachsen der Gemischten Kommission vom 22. 5.1990 (Dok. 73).

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vollmächtigten abgestimmt werden, sie diese Beschlüsse und Entscheidungen erhalten und dazu Anleitung und Unterstützung gegeben wird“.37 Zusätzlich beschloss der Ministerrat, den Regierungsbevollmächtigten für ihren Bereich wichtige Beschlüsse des Ministerrates vorab zu übermitteln.38 Geflissentlich wurde dabei übersehen, dass die Ursachen der Klagen der Regierungsbevollmächtigten eher in der direkten Anbindung an das Amt des Ministerpräsidenten als in der mangelnden Bereitschaft der Ministerien begründet lagen.

5.1.2 Stellvertretende Regierungsbevollmächtigte Hatte sich die Regierung bei der Benennung der Regierungsbevollmächtigten vereinbarungsgemäß an die Vorschläge der stärksten Parteien der jeweiligen Bezirke gehalten, so wurden bei den Ämtern der stellvertretenden Regierungsbevollmächtigten auch die kleineren Regierungsparteien berücksichtigt. Diese Regelung zeigt, dass es keinesfalls, wie von Vaatz behauptet, das Ziel der Mehrheitspartei war, die neuen Kräfte aus Prinzip von der Macht in den Bezirken fernzuhalten. Vielmehr handelte sie lediglich nach dem Grundsatz, dass die führenden Funktionen der stärksten Partei zustanden. Durch die Vereinbarung kam es durchaus zu einer regierungsoffiziellen Verankerung der neuen politischen Kräfte im Apparat der Regierungsbevollmächtigten. In Chemnitz unterstanden dem Regierungsbevollmächtigten als Stellvertreter für Grundsatzfragen und Allgemeines Horst Krüger (SPD), sowie als Stellvertreter für Wirtschaftsförderung Paul-Willy Heilmann (CDU). Heilmann hatte früher einmal der SED angehört. Er trat 1990 in Baden-Württemberg der CDU bei, weil er in der Chemnitzer CDU wegen seiner Vergangenheit Akzeptanzprobleme hatte. Mit diesem Eintritt fernab der sächsischen Basis machte er sich jedoch ebenfalls kaum Freunde.39 Beide Stellvertreter waren jeweils für mehrere Ressorts verantwortlich. Dem Regierungsbevollmächtigten unterstanden außerdem direkt ein Referat für Gleichstellungsfragen, eine Abteilung Öffentlichkeitsarbeit, ein persönlicher Berater, einer für Kirchenfragen und eine Arbeitsgruppe für Landesbildung.40 Mit der Landesbildung beauftragte Buttolo zunächst den früheren kommunistischen Ratsvorsitzenden, Lothar Fichtner.41 Er folgte damit einem „dringenden Rat“ Heilmanns und des Chefs der Industrieund Handelskammer, Raschke, die Fichtner „hervorragende Kenntnisse“ bescheinigten. Buttolo erklärte seine Auswahl im Nachhinein damit, dass er zunächst 37 Protokoll der 14. Sitzung des Ministerrates der DDR am 27. 6.1990 (BArch B, DC 20, 11626). 38 Protokoll der 15. Sitzung des Ministerrates der DDR am 4. 7.1990 (ebd.). 39 Interview Albrecht Buttolo am 12. 2. 2003. 40 Dienstberatung Regierungsbevollmächtigter BVB Chemnitz am 15. 6.1990 (SächsStAC, BT/RdB, 11530). 41 Fichtner und die frühere Sekretärin des Rates, Brunhilde Hahn, wurden am 2.11.1990 wegen Wahlfälschung zu Freiheitsstrafen auf Bewährung verurteilt. Vgl. Die Union vom 3./4.11.1990.

Stellvertretende Regierungsbevollmächtigte

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„Null Kenntnisse“ hatte und dem Rat aus Unsicherheit gefolgt sei.42 Da die Entscheidung auf den Widerstand von Vertretern der CDU, SPD und Grünen Liga stieß, machte er vor dem Regionalausschuss Chemnitz einen Rückzieher und erklärte, Fichtner habe nicht Ressortleiter werden, sondern lediglich seine kommunalpolitischen Erfahrungen in die Landesbildung einbringen sollen. Er werde in der Öffentlichkeit nicht als Vertreter für Strukturfragen wirksam werden.43 Nachdem aber auch das Chemnitzer Stadtparlament Kritik übte, beendete Fichtner seine Tätigkeit am 9. Juli.44 Das Thema „Landesbildung“ wurde nun keinem der beiden Stellvertreter direkt zugeordnet, sondern richtete sich nach deren Arbeitsbelastung.45 Zunächst kümmerte sich Heilmann darum,46 aber auch Krüger wurde beauftragt, einen Vorschlag zur Länderbildung vorzulegen.47 In Leipzig wurde SDP-Mitbegründer Christian Steinbach Erster Stellvertreter des Regierungsbevollmächtigten mit Zuständigkeit für fünf Ressorts.48 Günter Kleinschmidt (DA) und Michael Weber (Neues Forum) wurden Mitte Juli bzw. im August stellvertretende Regierungsbevollmächtigte mit Zuständigkeit für je drei Ressorts. Weber kümmerte sich um Eigentumsverhältnisse von Immobilien und Liegenschaften, um wirtschaftliche Fragen sowie um das Ressort „Kultur, Kunst und Wissenschaft“. Kleinschmidt, zu diesem Zeitpunkt Erster Stellvertreter des Vorsitzenden des Regionalverbandes Westsachsen II und Mitglied des Hauptausschusses des DA, war für die Ressorts „Nachrichtenwesen und Verkehr“, „Umweltschutz und Wasserwirtschaft“ sowie „Landwirtschaft, Ernährung und Forsten“ zuständig. Da der DA Leipzig sowohl einen Stellvertreter des Regierungsbevollmächtigten als auch einen Ressortleiter durchsetzen konnte, versuchte Steinbach dies nach Aussage Kleinschmidts „mit unlauteren Mitteln“ zu verhindern. Es kam zu Spannungen, weil Steinbach wegen der Nähe von CDU und DA besondere Beziehungen bzw. Absprachen zwischen Krause und Kleinschmidt befürchtete. Für Fragen der Landesbildung war im Wesentlichen Kleinschmidt mitverantwortlich, wenngleich Steinbach hier „hin und wieder im trüben fischte“, etwa in der Frage der Ansiedlung des Landesrechnungshofes in Leipzig.49 In Dresden wurden, anders als in Chemnitz und Leipzig, drei Stellvertreter eingesetzt, deren Kompetenzen und Arbeitsfelder Ballschuh Anfang Juli umriss.50 Sie waren Ballschuh direkt unterstellt und rechenschaftspflichtig. In seinem 42 Interview Albrecht Buttolo am 12. 2. 2003. 43 BVB Chemnitz: Protokoll der Beratung des Regierungsbevollmächtigten mit den Abgeordneten der Volkskammer des Bezirkes Chemnitz vom 2. 7.1990 (SächsStAC, BVB, 140104 ). Vgl. Die Union, Ausgabe Chemnitz, vom 5. 7.1990. 44 Vgl. ebd. vom 6. und 13. 7.1990. 45 Interview Albrecht Buttolo am 12. 2. 2003. 46 Protokoll der Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses am 6. 7.1990 (Dok. 85). 47 Beratung des Regierungsbevollmächtigten der BVB Chemnitz vom 9. 7.1990 (Sächs StAC, BVB, 11532). 48 Vgl. Schmeitzner/Rudloff, Geschichte der Sozialdemokratie, S. 151 f. 49 Interview Günter Kleinschmidt. Steinbach war nicht zum Interview bereit. 50 Rechte, Pflichten und Aufgaben sowie Geschäftsverteilung der Stellvertreter des Regierungsbevollmächtigten vom 11. 7.1990 (Dok. 89).

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Regierungsbevollmächtigte und Koordinierungsausschuss

Auftrag hatten sie die Befugnis zur eigenverantwortlichen Führung von Aufgabenbereichen, waren an Beschlüsse der Regierung und an Aufgabenstellungen des Regierungsbevollmächtigten gebunden und nur diesem gegenüber verantwortlich. Sie hatten alle einander berührenden Aufgaben miteinander abzustimmen und dem Regierungsbevollmächtigten Strukturvorschläge zur Bestätigung vorzulegen. Der Stellvertreter für Verwaltung war für die Erfüllung aller aktuellen und konzeptionellen Aufgaben sowie der laufenden Verwaltungsaufgaben der Fachressorts der Bezirksverwaltungsbehörde verantwortlich. Außerdem regelte er deren Leitung und Kontakte. Diese Aufgabe beinhaltete nicht die sich aus der Landesbildung ergebende Tätigkeit. Der Stellvertreter für Personal war verantwortlich für die Personalarbeit innerhalb der Bezirksverwaltungsbehörde, die Zusammenarbeit mit dem Personalrat, für Aus- und Fortbildungsaufgaben sowie für die Zusammenarbeit mit Parteien, Vereinigungen und Gewerkschaften. Außerdem war er für den inneren Dienst der Bezirksverwaltungsbehörde zuständig. Arbeitsverträge wurden mit Ausnahme derer der Stellvertreter des Regierungsbevollmächtigten, Ressortleiter und Abteilungsleiter durch ihn abgeschlossen. Der Stellvertreter für die Landesbildung war für den Organisationsaufbau des Landes Sachsen (Landesparlament, Landesregierung, Landesbehörden) einschließlich der Schaffung des rechtlichen Rahmens verantwortlich. Dazu hatte er eigenverantwortlich mit den entsprechenden Stellvertretern der Regierungsbevollmächtigten Leipzig und Chemnitz zusammenzuarbeiten. Seine Aufgabe beinhaltet weder konzeptionelle noch sonstige aktuelle Fachressorttätigkeiten. Peter Adler (SPD) wurde Ballschuhs Erster Stellvertreter für Verwaltung, Matthias Reichenbach (DSU) Stellvertreter für Personal, Arnold Vaatz (CDU) für Landesbildung.51 Der CDU-Landesvorstand hatte den beiden Koalitionspartnern je ein Stellvertreteramt angeboten. Bei einem Treffen mit Ballschuh und Schramm am 14. Juni konnte zunächst Hermann Henke (DSU) entscheiden, welchen Posten seine Partei übernehmen wollte. Henke, zunächst Anhänger der FDP,52 entschied sich für den Bereich Personal, um so eine Besetzung der künftigen Verwaltung mit neuen politischen Kräften absichern zu können.53 Die neue Partei band ihre Entscheidung zur Übernahme des Stellvertreters für Personalfragen deswegen auch gleich an die Bedingung, dass sämtliche Abteilungsund Ressortleiter sowie alle Neueingestellten die Verpflichtung abgeben müssten, nicht für das MfS gearbeitet zu haben. Nachdem zunächst davon ausgegangen worden war, dass Henke selbst Stellvertreter Ballschuhs werden würde, bestimmte die DSU den 26-jährigen Bergbauingenieur Matthias Reichenbach. Um die Funktion hatte es zu vor im DSU-Bezirksvorstand Dresden eine Kampfabstimmung gegeben. Von zunächst vier Kandidaten gab es am Schluss eine klare Entscheidung von reichlich zwei Dritteln für Reichenbach und gegen Henke.54 51 Angesichts seiner besonderen Rolle ist Vaatz ein eigenes Kapitel gewidmet. Siehe Kap. 5.1.3. 52 Vgl. Die Union vom 31.1.1990. 53 Hermann Henke beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 54 Interview Matthias Reichenbach am 15. 7. 2003.

Stellvertretende Regierungsbevollmächtigte

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Ähnlich wie Vaatz war dieser in Kindheit und Jugend erheblichen Repressionen seitens des SED-Staates ausgesetzt gewesen und früh als Gegner des kommunistischen Regimes politisiert worden. Vor dem Hintergrund seiner negativen Erfahrungen sah er sich plötzlich vor die Aufgabe gestellt, im verhassten Staatsapparat auf Bezirkseben für Personalfragen verantwortlich zu sein. Für ihn bedeutete dies, „in ein feindliches Umfeld reinzugehen“, um seine Aufgabe zu erfüllen.55 Er hatte sich in Dresden an der Auflösung der Bezirksverwaltung des MfS beteiligt und sich im Neuen Forum wie in der Gruppe der 20 engagiert, bevor er der DSU beitrat.56 Reichenbach, so Bernd Herzer, war „ein ganz, ganz junger Mann, der keinerlei Vorkenntnisse hatte“ und nur „Kraft seines Status als Angehöriger der Bürgerrechtsbewegung“ benannt wurde. Als Personalchef der Bezirksverwaltungsbehörde habe er „mit harter Hand regiert“,57 um die Interessen der neuen Kräfte durchzusetzen; ein Kurs, der im Koordinierungsausschuss gern gesehen wurde. Wie schon sein Engagement bei der Auflösung des MfS gezeigt hatte, war ihm die Zerschlagung der kommunistischen Geheimpolizei und die Entlassung ihrer Zuträger aus dem Verwaltungsapparat ein besonderes Anliegen. Reichenbachs Möglichkeiten wurden durch Ballschuh von vornherein dadurch eingeengt, dass dieser die Zuständigkeit für die alte Kaderabteilung, die Abteilungen Aus- und Fortbildung, Allgemeine Verwaltung sowie den Bereich Organisation und Haushalt mit rund 200 Mitarbeitern behielt. Reichenbach sah darin einen Versuch, „auf subtile Weise Energie aus der Erneuerung und dem Ringen um die Länderbildung rauszunehmen“.58 Vor allem Kunze als Ballschuhs rechte Hand bemühte sich, den Einfluss der neuen Kräfte so klein wie möglich zu halten.59 Dennoch war er generell für Personalfragen zuständig und zwar einschließlich der nachgeordneten Verwaltungen. Hier hatte er Einstellungsbefugnisse, wobei durch die doppelte Zuständigkeit „immer ein bisschen gerungen“ wurde, in welchen Fällen er die Zustimmung Ballschuhs benötigte. Er nutzte seine Funktion offensiv aus, um „neue Leute reinzuholen“, wollte er doch die Schaffung eines neuen Öffentlichen Dienstes vorantreiben, der in der Lage war, bei der Bevölkerung Vertrauen zu erwirken.60 Keinen Einfluss auf Personalfragen hatte Ballschuh beim Koordinierungsausschuss. „Dort“, so Reichenbach, „haben wir eigenständig agiert. Da hat Herr Ballschuh, obwohl das formal zugeordnet war, keinen Einfluss gehabt und war auch kaum präsent.“ Hier gab es ein „gemeinsames Suchen nach geeigneten, neuen aktiven politischen Kräften, die auch vertrauenswürdig waren.“ Ziel sei dabei stets die Er-

55 Interview Matthias Reichenbach am 30. 3. 2000. 56 Vorsitzender des Bezirksvorstandes der DSU, [gez.] Zander, an den Landesvorstand der CDU, Johannes Schramm, vom 18. 6.1990 (ACDP, III-053, unsign.). Vgl. Hermann Henke beim HAIT-Workshop am 15.6.2002; Interview Matthias Reichenbach am 30.3.2000. 57 Interview Bernd Herzer. 58 Interview Matthias Reichenbach am 30. 3. 2000. 59 Interview Matthias Reichenbach am 15. 7. 2003. 60 Interview Matthias Reichenbach am 30. 3. 2000.

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weiterung des eigenen Einflusses gewesen, wobei man sich direkt abstimmte und dabei „sehr pragmatisch“ vorging.61 Peter Adler war bereits im Mai vom SPD-Bezirksvorstand vorgeschlagen worden, wobei, so der damals frisch gekürte Landesvorsitzende Michael Lersow, der „Vorschlag der SPD nichts anderes war als eine Unterschrift von mir“.62 Adler hatte selbst zunächst den bei der Wahl des SPD-Landesvorsitzenden gegen Lersow unterlegenen Karl-Heinz Kunckel ins Gespräch gebracht, der allerdings als Volkskammerabgeordneter nicht in Frage kam. So blieb er ohne Gegenkandidat. Adler war viele Jahre Vorsitzender des Kirchenvorstandes der Zionskirche und Mitglied der Bezirkssynode Dresden-Stadt und auch eine Zeit deren Vorsitzender gewesen. Als Berufsschullehrer hatte er einerseits „in der Nähe des Staates“ gewirkt, andererseits „mittendrin im Bereich der Kirche“ gelebt. Er empfand dies als normal, denn „wer aktiv in der DDR sein und nicht nur in einer Nische agieren wollte, der musste sich einem solchen Spannungsfeld stellen“. Bereits in den ersten Oktobertagen hatte er sich um Kontakt zur damals illegal operierenden SDP bemüht. Seine Entscheidung für die Sozialdemokratie fiel unter dem maßgeblichen Einfluss Willy Brandts als Regierendem Bürgermeister von West-Berlin. Obwohl er von seiner Nominierung wusste, kam die Berufung doch überraschend. Gerade wollte er sich als Schulleiter an einer Berufsschule bewerben, als ihn Ballschuh zum Gespräch bat. Einen Tag später war er bereits in der Bezirksverwaltungsbehörde tätig. „Das ist“, so Adler, „nur denkbar in revolutionären Zeiten. Ich bin da von einem Tag zum anderen zu meinem Schuldirektor hingegangen und habe gesagt, morgen komme ich nicht mehr, und quasi war ich ja dann am nächsten Tag sein Vorgesetzter.“ Wie Matthias Reichenbach musste er, anders als Vaatz, mit der alten SED-Verwaltung arbeiten, bei der „nur die Spitze ausgetauscht“ war, nämlich in Form seiner Person.63 Matthias Reichenbach beschreibt den schwierigen Umgang zwischen neuen Chefs und altem Personal. Es habe unterschiedliche Haltungen gegeben. Das Spektrum reichte „von ganz bitter geführten Versuchen der Steuerung und Behinderung, offener Feindschaft, feindseliger Haltung, Illoyalität bis hin zum Suchen eines engen Kontaktes“. Gleichzeitig habe es mit Ballschuh ein ständiges Ringen um Kompetenzen, Zuständigkeiten und Entscheidungsbefugnisse gegeben.64 Adler betont hingegen, die Stellvertreter seien relativ frei in ihren Entscheidungen gewesen. Es habe kein Gremium gegeben, mit dem Ballschuh in ihre Bereiche hineinregiert habe. Freilich habe er mittels Personen seines Vertrauens versucht, auf subtile Weise Einfluss zu nehmen.65

61 62 63 64 65

Interview Matthias Reichenbach am 15. 7. 2003. Interview Michael Lersow. Interview Peter Adler. Interview Matthias Reichenbach am 30. 3. 2000. Interview Peter Adler.

Vaatz Stellvertretender Regierungsbevollmächtigter

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5.1.3 Vaatz wird Stellvertretender Dresdner Regierungsbevollmächtigter für Landesbildung In Dresden war die Ernennung von Vaatz nach dem Beschluss des CDU-Landesvorstandes vom 30. Mai reine Formsache. Mit Wirkung vom 11. Juni benannte ihn Ballschuh zum Stellvertreter für Landesangelegenheiten.66 Der Vorschlag eines speziellen Stellvertreters für Landesbildung ging auf Ballschuh selbst zurück. Da er in Berlin „eine gewisse Nummer hatte“ und zudem bereits eingesetzt war, akzeptierte de Maizière seinen Vorschlag, in Dresden einen dritten Stellvertreter für Landesbildung einzusetzen, auch wenn sich dies nicht unbedingt mit seinem Konzept einer zentral gelenkten Landesbildung deckte. Andererseits wollte er Ballschuhs Kompetenz in der schwierigen Dresdner Ausnahmesituation stärken. Außerdem, so Reichenbach, sollte es „ja auch nicht so sein, dass dort alle vor den Kopf gestoßen werden“.67 Freilich war der rebellische Vaatz keinesfalls die erste und einzige Wahl. Zunächst hatte Ballschuh einen der beiden Koordinatoren des Runden Tisches, den evangelischen Pfarrer Martin Lerchner, „direkt gedrängt“, die Funktion zu übernehmen. Lerchner erinnert sich an seinen Eindruck, Ballschuh habe „regelrecht Angst“ vor der Alternative Vaatz gehabt. Dank seiner breiten Akzeptanz am Runden Tisch hätte er nach eigener Einschätzung durchaus Chancen gehabt, eine Mehrheit der Stimmen auf sich zu vereinigen, da Vaatz kaum der Sympathieträger der linken Gruppierungen war.68 Mit dem ausgleichenden Lerchner hätte Ballschuh hoffen können, die Entwicklung doch noch in eine ruhigere und von ihm beeinflusste Richtung zu lenken. Da Lerchner jedoch keine politischen Ambitionen derart hatte, dass er dafür seinen Pfarrberuf aufgegeben hätte, lehnte er ab, und Ballschuh konnte kaum anders, als den vom Runden Tisch einstimmig zum amtierenden Vorsitzenden des Koordinierungsausschusses bestimmten Vaatz zu beauftragen.69 Diese Entscheidung bedeutete eine für die Länderbildung entscheidende Zäsur, wurde mit ihr doch der von Vaatz geleitete Koordinierungsausschuss formal in die Struktur der Bezirksverwaltungsbehörde und damit in die offizielle Regierungspolitik eingebunden. Zwar war auch weiterhin vom Koordinierungsausschuss die Rede; ungeachtet seiner Genese aus dem Runden Tisch handelte es sich dabei aber nun offiziell um den Stellvertreterbereich des Dresdner Regierungsbevollmächtigten für Länderbildung. Nach dem aus seiner Sicht weitgehenden Entgegenkommen stellte Ballschuh am 14. Juni am Runden Tisch des Bezirkes vereinbarungsgemäß das Konzept seiner Arbeit vor. Er informierte über die Berufung und ließ keinen Zweifel daran, dass sich mit der Entscheidung für Vaatz und den Koordinierungsausschuss seine Hoffnung verbinde, das Vertrauen des Runden Tisches gegenüber Vaatz möge sich nun auch auf ihn übertragen. Diese Äußerung deutet an, dass sich Ballschuh durchaus im Klaren 66 67 68 69

Siegfried Ballschuh an Arnold Vaatz vom 11. 6.1990 (HAIT, KA, 67). Interview Klaus Reichenbach. Interview Martin Lerchner am 11. 6. 2003. Siehe dazu Kap. 4.3.3.

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Regierungsbevollmächtigte und Koordinierungsausschuss

Bild 5:

Arnold Vaatz 1990.

darüber war, dass er ohne die Akzeptanz des Runden Tisches und gegen eine von ihm jederzeit mobilisierbare Öffentlichkeit nicht vernünftig würde regieren können. Den am Runden Tisch verbreiteten Einruck einer Zäsur brachte Hermann Henke mit der Bemerkung auf den Nenner, dass der 14. Juni ein historisches Datum sei, weil es an diesem Tag möglich geworden sei, die Bildung des Landes Sachsen auf demokratischem Wege und ausgestattet mit der Legitimität von Regierung und Volkskammer in Angriff zu nehmen.70 Auch die sonst eher kritische „Union“ sah in der Ernennung des CDU-Rebellen den „Versuch, die permanenten Spannungen zwischen früheren Vertretern des alten Regimes und neuen politischen Kräften abzubauen“.71 In Stuttgart registrierte man den Vorgang ebenfalls interessiert. Angesichts der hier nicht angezweifelten demokratischen Legitimierung des Regierungsbevollmächtigten war dadurch, dass der Koordinierungsausschuss einerseits vom Regierungsbevollmächtigten akzeptiert wurde und Vaatz sich andererseits auf das Regierungskonzept verpflichten ließ, „die Staatsmacht und die außerparlamentarische Opposition oder die revolutio70 Protokoll der 21. Sitzung des RTB Dresden am 14. 6.1990 (Dok. 77). Vgl. Die Union vom 14. 6.1990. 71 Die Union vom 15. 6.1990.

Vaatz Stellvertretender Regierungsbevollmächtigter

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nären Kräfte in diesem Koordinierungsausschuss zusammen geführt“ und damit formal dessen Legitimation hergestellt.72 Weniger harmonisch deutete Vaatz den Vorgang. Für ihn war damit die einige Wochen dauernde Auseinandersetzung entschieden, wem die Aufgabe der Vorbereitung der Länderstrukturen Sachsen oblag, dem Regierungsbevollmächtigten oder dem Koordinierungsausschuss. Für ihn waren die neuen Kräfte am Runden Tisch als Sieger aus einer erbitterten Auseinandersetzung hervorgegangen, die aus seiner Sicht noch keinesfalls zu Ende war.73 Ballschuh stand angesichts der Einbindung des Koordinierungsausschusses nun vor dem Problem des Umgangs mit den ebenfalls mit Länderbildung befassten Ressorts seiner Behörde. Da es sich hierbei um eine parallele Struktur handelte, die er nicht dem Koordinierungsausschuss zu unterstellen gedachte, ernannte Ballschuh zeitgleich mit Vaatz dessen von Kunze abgesetzten Widerpart und Ex-SED-Funktionär, Klaus Schumann, zum Leiter einer „Koordinierungsgruppe für Landesangelegenheiten“.74 Diese hatte die Funktion, die Landesbildungsarbeiten der Bezirksverwaltungsbehörde und des Koordinierungsausschusses zu koordinieren, wobei schon die Begrifflichkeit Probleme andeutet. Durch die Einsetzung des kommunistischen Kulturfunktionärs, den er aus der früheren Ratsarbeit kannte und schätzte, versuchte Ballschuh seinen Einfluss auf die Arbeit zur Landesbildung zu sichern bzw. erst zu erlangen. Damit existierte neben den entsprechenden Arbeitsgruppen des CDU-Landesvorstandes ein zweites Gremium der Altfunktionäre zur Kontrolle und Lenkung der Landesbildungsaktivitäten.75 Für Vaatz bedeutete diese Entscheidung einen Rückschlag, hatte Ratsvorsitzender Kunze ihm doch gerade sämtliche Aufgaben der Landesbildung des Rates übertragen und Schumann von den entsprechenden Funktionen entbunden. Angesichts der auch persönlich hochgradig polarisierten Situation war es Ballschuhs reines Wunschdenken, beide Kontrahenten und ihre Bereiche würden sich ergänzen. Tatsächlich existierten nun zwei „konkurrierende Gruppen“, zwischen denen es „keine praktische Zusammenarbeit“ gab.76 Schumann griff unmittelbar nach seiner Ernennung auf die von ihm verantworteten Vorarbeiten des Rates zurück und legte ein Konzept vor, mit dem er vor allem Ballschuhs und seine persönliche Bedeutung für die Landesbildung zu unterstreichen suchte. Hier hieß es, dass die seit Januar 1990 aus unterschiedlichen Impulsen gespeisten Initiativen zur Herausbildung des Landes Sachsen „auf verschiedenen Wegen und auf unterschiedlichen Ebenen zu bewertbaren Ergebnissen“ geführt hätten. Mit der Einsetzung Ballschuhs gebe es staatsrechtlich und 72 Bernd Herzer beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. Vgl. auch Schmidt, Von der Blockpartei zur Volkspartei, S. 162. 73 Interview Arnold Vaatz. In: Kleimeier, Sachsen, S. 103. 74 Auswertung der Dienstberatung des Regierungsbevollmächtigten für den Bezirk Dresden am 11. 6.1990 (SächsHStA, BT/RdB, 46999, Bl. 3–5). 75 Vgl. dazu Kap. 4.3.5 „Runder Tisch des Bezirkes Dresden widersetzt sich seiner Auflösung.“ 76 Interview Helmut Münch am 23. 4. 2003.

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politisch neue Konditionen. Der Regierungsbevollmächtigte habe unter anderem die Aufgabe, die Verwirklichung der Verwaltungsreform insbesondere hinsichtlich der Ausgestaltung der kommunalen Selbstverwaltung und der Vorbereitung der Länderbildung sowie die materiell technische Sicherstellung der Landtagswahlen zu gewährleisten. Dazu seien die erforderlichen organisatorischen Voraussetzungen zu schaffen. Er sei „beauftragt, mit den verantwortlichen Ressortleitern und Mitarbeitern der Bezirksverwaltungsbehörde diese Festlegungen umzusetzen“.77 Unterstützung erhielt Vaatz in dieser Situation von Ballschuhs anderen Stellvertretern Peter Adler und Matthias Reichenbach. Hier nun machte sich das aus der gemeinsamen Arbeit am Runden Tisch herrührende, parteiübergreifende Bündnis der neuen Kräfte bezahlt. Adler und Reichenbach unterstützten die Arbeit von Vaatz uneingeschränkt und in allen wesentlichen Punkten,78 obwohl sie nicht zum Koordinierungsausschuss gehörten. Sie nahmen auch an dessen wöchentlichen Beratungen teil.79 Alle Drei kamen aus dem Lager der neuen politischen Kräfte, hatten hinsichtlich der Neubildung Sachsens ähnliche Vorstellungen und machten es Ballschuh samt Schumann schwer, gegen sie gerichtete Interessen durchzusetzen. Wichtig war dabei vor allem auch die „ganz enge Zusammenarbeit“ von Matthias Reichenbach und Arnold Vaatz in Personalfragen. Beide hatten „die gleiche Zielrichtung“, die darin bestand, den alten Kaderstamm zugunsten neuer Kräfte zurückzudrängen und die Landesbildung personell immer stärker zu dominieren.80

5.1.4 Umstrukturierung der Räte in Bezirksverwaltungsbehörden Lag die in die bundesdeutsche Zukunft weisende Landesbildung nun vor allem in den Händen des Koordinierungsausschusses, so war die erste Aufgabe der Regierungsbevollmächtigten die Umstrukturierung der Räte der Bezirke in Bezirksverwaltungsbehörden, von denen klar war, dass sie nur für eine kurze Übergangszeit arbeiten würden. Die Übergabe der Regierungsgeschäfte durch die Ratsvorsitzenden an die Regierungsbevollmächtigten erfolgte Mitte Juni. Bei ihrer Amtsübernahme wurden die Regierungsbevollmächtigten, so Preiß, einfach „den alten Strukturen aufgesetzt“.81 Es wurden, so auch Iltgen, „lediglich die Vorsitzenden der Räte der Bezirke durch Regierungsbevollmächtigte ausge77 „Die Vorbereitung der Länderbildung und die materiell technische Sicherstellung der Landtagswahlen“ entsprechend Verfügung Nr. 1 vom 5.6. des Ministerpräsidenten der „DDR L. de Maizière Regelung über Stellung, Aufgaben und Befugnisse der Regierungsbevollmächtigten“, o. D. Zit. in Schubert, der Koordinierungsausschuss, S. 101. 78 Interview Peter Adler; Interview Arnold Vaatz am 21. 6. 2000; Interview Matthias Reichenbach am 30. 3. 2000. 79 Protokoll der Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses am 6. 7.1990 (Dok. 85). 80 Interview Matthias Reichenbach am 30. 3. 2000. 81 Zit. in Die Welt vom 29. 6.1990.

Räte werden Bezirksverwaltungsbehörden

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tauscht“ und der alte Machtapparat blieb erhalten.82 Dabei waren die Räte der Bezirke zu diesem Zeitpunkt noch „ziemlich unberührte Bastionen des alten Staatsapparates“.83 Ähnlich sah dies auch de Maizière selbst. Ziel seiner Regierung sei es, „mit einem Mittelbau, den wir etwas abspecken, die alte Struktur gerade noch funktionsfähig zu halten, um daneben das Wachsen der neuen Struktur zu ermöglichen“.84 Dies war nun der Job der Regierungsbevollmächtigten, die zwar den Apparat erneuern, jedoch „keine überflüssigen neuen Verwaltungsstrukturen“ schaffen sollten.85 Diesbezüglich waren allerdings von ihren Vorgängern bereits Schritte mit dem Ziel unternommen worden, die Räte samt ihren Abteilungen in der künftigen Ministerialbürokratie unabkömmlich zu machen. So hatte es zum Beispiel in Leipzig bereits seit Februar Bemühungen des Rates des Bezirkes zur Bildung eines Regierungsbezirkes und seit April neue Ressorts nach bundesdeutschem Vorbild gegeben.86 In der Koalitionsrunde des Ministerrates am 11. Juni wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ehemalige SED-Funktionäre in den Bezirken „Strukturpläne“ ausgearbeitet hätten, um die „jetzigen Regierungsbeauftragten partiell bereits vor vollendete Tatsachen zu stellen“. Die Regierung instruierte die Regierungsbeauftragten daher, dass sie „an die organisatorischen und personellen Entscheidungen, die vor Amtsantritt getroffen worden sind, nicht gebunden“ seien.87 Dennoch waren die Regierungsbevollmächtigten nur neue Herren alter Apparate, versehen mit neuen Bezeichnungen. Damit niemand Arges denke, wurden die Ministerien angewiesen, „auf eine einheitliche, den Gesetzen entsprechende Begriffswahl“ zu achten. Insbesondere sei anstelle von Vorsitzenden der Räte der Bezirke die Bezeichnung Regierungsbevollmächtigter durchgängig anzuwenden.88 Auch die Ressortleiter der Bezirksverwaltungsbehörden belehrten alle Mitarbeiter über „die neue Bezeichnung des ehemaligen Rates des Bezirkes als Bezirksverwaltungsbehörde“.89 Angesichts der strukturellen Umgestaltung stellte sich die Frage des Umgangs mit dem bisherigen Personal. Meist weniger am Ausbau von Machtstellungen als angesichts allgemeiner Unsicherheit im Staatsapparat an der Sicherung der 82 83 84 85 86

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Iltgen, Neue Politik, S. 155. Interview Matthias Reichenbach am 30. 3. 2000. Interview Lothar de Maizière. In: Die Union vom 3. 9.1990. Protokoll der 6. Sitzung des Ministerrates der DDR am 16. 5.1990 (BArch B, DC 20, 11626). Beschluss des RdB Leipzig vom 22. 2.1990: Arbeitsbesuch einer Delegation aus BadenWürttemberg; Beschluss des RdB Leipzig 42/1990 vom 16. 4.1990: Entwurf des Geschäftsverteilungsplanes für den Regierungsbezirk Leipzig im Land Sachsen. Zit. in Welzel, Verwaltung und Management, S. 150. Der Plan enthielt bereits detaillierte Vorstellungen über das zu schaffende Regierungspräsidium mit einem Organigramm nach dem Vorbild Baden-Württembergs. Günther Krause an Manfred Preiß vom 12. 6.1990 (BArch B, DO 5, 4). Protokoll über die Beratung des Ministers im Amt des Ministerpräsidenten vom 11. 6. 1990 mit den Staatssekretären der Ministerien zur Vorbereitung der Ministerratsrunde am 13. 6.1990 (ebd., DC 20, 8968,). BVB Dresden: Festlegungsprotokoll der Dienstberatung bei Karl-Walter Richter am 11. 6.1990 (SächsHStA, BT/RdB, 46999, Bl. 1).

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beruflichen Zukunft interessiert, versuchten Mitarbeiter, sich „Posten und Pöstchen zu schaffen“, und leiteten daraus vermeintlich notwendige Aufgaben und Strukturen ab.90 Den Mitarbeitern war klar, dass die Regierungsbevollmächtigten den Personalbestand ungeachtet konkreter künftiger Strukturen drastisch reduzieren würden. Als Albrecht Buttolo sein Amt in der Chemnitzer Bezirksverwaltung antrat, galt es hier die Zahl der rund 1 200 Beschäftigten auf 250 im Herbst 1990 zu reduzieren, davon die Hälfte Neueinstellungen.91 Es gehörte somit einige Energie dazu, die eigene Unabkömmlichkeit zu beweisen. Zum Apparat des bisherigen Rates des Bezirkes gehörten Einrichtungen wie eine Autowerkstatt, eine Druckerei und das „Forum“, ein Neubaukomplex, der als Veranstaltungsort diente und dessen Personal ebenfalls beim Rat angestellt war. Derartige Einrichtungen wurden komplett abgewickelt bzw. ins Privatgeschäft ausgelagert.92 Den Mitarbeitern wurde erklärt, dass die künftige Landesregierung kein Rechtsnachfolger der Bezirksverwaltungsbehörde sei, weswegen sämtliche Arbeitsrechtsverhältnisse mit der Bildung der Landesregierung endeten. Allerdings würden sie der künftigen Landesverwaltung „zur Weiterbeschäftigung und damit zur Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses empfohlen“, sofern sie nicht mit dem MfS zusammengearbeitet hätten.93 Hoffnungen machten auch Erklärungen wie die von Preiß, wonach davon auszugehen war, dass ein Teil der Mitarbeiter der Bezirksverwaltungen in der Länderverwaltung weiterarbeiten könne.94 Obwohl der Ministerrat den Regierungsbevollmächtigten ausdrücklich bestätigte, dass sie weder an strukturelle noch an personelle Entscheidungen ihrer Amtvorgänger gebunden seien,95 konnten sich einige Mitarbeiter der Räte, insbesondere aus den bisher von der SED benachteiligten Parteien, durchaus Hoffnungen auf eine Weiterbeschäftigung machen. Schon Ende April hatte Ratsvorsitzender Kunze in Auswertung einer Beratung beim Ministerpräsidenten angewiesen, unter den Mitarbeitern „die Sicherheit zu verstärken, dass sie künftig im Rat des Bezirkes bzw. in der Landesregierung eine geeignete Tätigkeit aufnehmen können“.96 So arbeiteten in der Dresdner Bezirksverwaltung unter Ballschuh mehrere ehemalige Ratsmitglieder weiter.97 In Leipzig for90 Heidrun Lotze beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 91 BVB Chemnitz: Protokoll der Beratung des Regierungsbevollmächtigten mit den Abgeordneten der Volkskammer des Bezirkes Chemnitz vom 2.7.1990 (SächsStAC, BVB, 140104). 92 Interview Albrecht Buttolo am 18.10.1999. 93 Niederschrift über die erweiterte Tagung des Vorläufigen Personalrates der BVB Dresden am 27.7.90 (HAIT, KA, 4.1). Vgl. Siegfried Ballschuh an Lothar de Maizière vom 27. 7.1990: Wochenbericht des Regierungsbevollmächtigten für den Bezirk Dresden (HAIT, KA, 4.2). 94 Vgl. Der Tagesspiegel vom 28. 6.1990. 95 Günther Krause an Manfred Preiß vom 12. 6.1990 (BArch B, DO 5, 4) 96 1. Stellv. des Vors. des RdB Dresden: Festlegungsprotokoll der Dienstberatung mit den Abteilungsleitern am 26. 4.1990 (SächsHStA, BT/RdB, 46999, Bl. 13 f.). 97 Ressortleiter der BVB Dresden: Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Jürgen Gülde (CDU), Baubehörde: Wolfgang Rank (LDP), Verkehrs- und Nachrichtenwesen: Peter Franke (SED), Umwelt, Leiter Zentralabteilung Umweltbehörde: Horst Metz (CDU), Umwelt, Leiter Fachamt Umweltschutz: Manfred Wölke, Wirtschaft: Herbert B. Schmidt,

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derte Günter Kleinschmidt (DA) „knallhart“, alle ehemaligen Ressortleiter aus der Leitung zu entfernen, egal ob CDU, LDPD oder gar SED. Regierungsbevollmächtigter Krause agierte hingegen nach dem Grundsatz, man solle „Gleiches nicht mit Gleichem vergelten“ und gab bezüglich des Personals das Motto aus, wir beschäftigen alle die weiter, die loyal zur Regierung stehen und arbeiten nicht mit denen, deren Namen „verschlissen“ sind. Das bezog sich für ihn ohnehin nicht auf Ressortleiter aus CDU oder LDPD, sondern auf einen SED-Ressortleiter, den er nach Rücksprache mit der SPD weiterbeschäftigte, sowie auf nachgeordnete Mitarbeiter.98 Der Rückgriff auf das vorhandene Personal erfolgte auch deswegen, weil die Regierungsbeauftragten auf dessen Kenntnisse angewiesen waren. Gerade die Leiter hatten sich in der Übergangsphase mit den anstehenden Organisationsfragen beschäftigt und so „unabkömmlich gemacht“. Auf Vertreter der neuen politischen Kräfte konnte kaum zurückgegriffen werden, da diese „in Verwaltungsfragen völlig unerfahren“ waren.99 Bei der Neuverteilung der Verantwortlichkeiten in den Bezirksverwaltungen nutzte nun natürlich vor allem die CDU die sich aus dem Wahlergebnis ergebende Chance, „Unionsfreunde“ in die Verantwortung zu nehmen. Zwar erfolgte die Klärung von Personalfragen in eigener Verantwortung der Regierungsbeauftragten, denen Personalräte zur Seite gestellt wurden, durch deren enge Einbindung in den CDU-Landesvorstand sicherte sich dieser aber einen direkten Einfluss. In den CDU-Führungsgremien zielten die Bemühungen angesichts des Wahlsieges bereits darauf, die eigenen Funktionäre längerfristig in verantwortlichen Positionen der künftigen Landesverwaltung unterzubringen. So legte das Präsidium des CDU-Landesvorstandes Ende Mai fest, dass die Regierungsbevollmächtigten bei Einstellung von CDU-Mitgliedern mit dem Landesverband abstimmen sollten, „ob eine Zusage für den künftigen Einsatz mit der Bildung der Landesregierung bzw. Regierungsbezirk gegeben werden“ könne.100

Gesundheits- und Sozialwesen: Heidemarie Neubert, Kultur: Inge Scheibner, Bildung, Jugend und Sport: Klaus-Erich Husemann (CDU), Finanzen: Frau Hietzge, Inneres: Siegfried Protze. Ballschuh direkt waren außerdem folgende Mitarbeiter zugeordnet: Bereich Koordinierung: Michael Kunze (NDPD), Büro: Armin Sabel, Abteilung Grundsatzfragen, Verwaltung und Recht: Holger Löser (SED), Abteilung Bezirks- und Kommunalangelegenheiten: Steffen Kandalowski, Abteilung Information, Dokumentation und Rechtsaufsicht: Werner Schnuppe (SED), Abteilung Internationale Zusammenarbeit: Inge Dornau, Abteilung Ausländerangelegenheiten: Peter Götze (DBD), Gleichstellungsfragen/ Frauenförderung: unbesetzt. Quelle: BVB Dresden, Bereich Koordinierung beim RB: Übersicht über die Stellvertreter des RB, die Ressortleiter und weitere ausgewählte Leiter in der BVB Dresden vom 18. 7.1990 (PB Manfred Kolbe). Vgl. Die Union vom 3. 7.1990. 98 Interview Günter Kleinschmidt. 99 Zwischenbilanz und Vorschläge des Innenministeriums Baden-Württemberg für das weitere Vorgehen der AG Verwaltungsstruktur Sachsen der Gemischten Kommission vom 22. 5.1990 (Dok. 73). 100 Protokoll der Beratung mit Mitgliedern des Präsidiums des Landesvorstandes Sachsen der CDU, Bezirksgeschäftsführern und vorgeschlagenen Regierungsbeauftragten am 30. 5.1990 (Dok. 74).

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Wachte in Leipzig Kleinschmidt über die Zusammensetzung, so verlief der Einsatz früherer Funktionäre der CDU oder anderer Blockparteien in Dresden unter der argusäugigen Beobachtung von Matthias Reichenbach, der die einseitige Besetzung mit Altfunktionären kritisierte und eine stärkere Einbeziehung neuer politischer Kräfte forderte.101 So wies Reichenbach Ballschuh darauf hin, dass die Personalpolitik in den gegenwärtigen Erneuerungsprozessen der Gesellschaft eine Schlüsselrolle spiele. Von ihr könnten positive als auch negative Impulse ausgehen. Die personelle Erneuerung in der Bezirksverwaltungsbehörde sah er eher als „sehr ernst“ an. Nach den Wahlen sei die Bezirksebene nur umbenannt, personell aber kaum verändert worden. Die Personalentscheidungen orientierten sich „viel zu sehr an der Versorgung vorhandenen Personalbestandes im Staatsapparat als an sachlich und fachlich fundiertem Bedarf“. Viele alte Ratsmitglieder und sonstige Entscheidungsträger seien nach wie vor in Führungspositionen beschäftigt, arbeiteten weiter im sensiblen Bereich konzeptioneller Fragen, strukturierten um und führten Eignungsgespräche. Restaurative Tendenzen seien unverkennbar. Mit Hilfe einer neuen Personalpolitik müsse dafür gesorgt werden, „dass bisherige Strategen und durch jahrelanges Durchsetzen und Mittragen der stalinistischen SED-Politik belastete Leiter nicht erneut strategisch und konzeptionell tätig werden“ könnten. Künftig müsse es öffentliche Ausschreibungen, eine unabhängige fachliche Begutachtung und demokratische Mitsprachemöglichkeiten in den geplanten Personalausschüssen sowie Anhörungsverfahren für Führungspositionen geben.102 Das von Reichenbach vertretene „revolutionäre Personalüberleitungskonzept“ kollidierte freilich, auch angesichts fehlender Experten aus den Reihen der neuen Kräfte, mit dem „auf Kontinuität bedachten“ Verständnis des Regierungsbevollmächtigten,103 der, anders als Matthias Reichenbach, für sich und seine Partei beanspruchen konnte, von der Mehrheit der Wähler in die Verantwortung gerufen worden zu sein.

5.1.5 Etablierung des Koordinierungsausschusses sowie Koordinierungsprobleme mit Chemnitz und Leipzig Ende Juni war die Gründungsphase des Koordinierungsausschusses mehr oder weniger abgeschlossen. Am 28. Juni informierte Vaatz den Dresdner Runden Tisch über Arbeitsstand und personelle Besetzung. Mit den Entscheidungen der letzten vierzehn Tage sei der Koordinierungsausschuss bestätigt und dem Regierungsbevollmächtigten unterstellt worden. Durch die Bereitstellung von Arbeitsräumen im bisherigen Gebäude des Rates des Bezirkes sei ab dem 1. Juli auch die 101 Siehe dazu bereits Kap. 5.1.2. 102 BVB Dresden, Stellvertreter des Regierungsbevollmächtigten für Personalfragen: Zuarbeit zur Personalpolitik für die Beratung des Regierungsbevollmächtigten mit Volkskammerabgeordneten und für die Mitarbeiterberatung vom 18. 7.1990. Zit. in Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 126–128. 103 Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 128.

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Arbeitsmöglichkeit gewährleistet.104 Von der Kernmannschaft des Koordinierungsausschusses wurde Vaatz selbst in Stuttgart als „politisch größte Autorität und Begabung“ eingeschätzt. Er wirke zwar „im kleinen Kreis gelegentlich etwas fahrig und jugendlich-unorthodox“, trete aber vor Gremien wie dem Sächsischen Forum „schlagfertig, redebegabt und sehr geschickt“ auf.105 Helmut Münch wurde, nachdem zunächst auch hier Hermann Henke im Gespräch gewesen war, Vaatz’ Stellvertreter und Büroleiter. Münch arbeitete seit den sechziger Jahren als Diplom-Ingenieur in einem Dresdner Textilforschungsinstitut. Er war über das Neue Forum, Aktivitäten an der Dresdner Friedenskirche und Demonstrationen „durch Zufall in die Politik“ und Anfang Dezember 1989 zum Demokratischen Aufbruch gekommen. Vaatz kannte er bereits aus der bisherigen politischen Arbeit. Im März 1990 hatte er erfolglos bei der Volkskammerwahl kandidiert. Münch hatte nach eigenem Bekunden „persönlich dazu beigetragen, dass der DA in die konservativere Richtung ging“ und „aktiv die Vereinigung mit der CDU vorangetrieben“. Als Vaatz’ Stellvertreter hatte er „mit allem zu tun, was anfiel“. Er war verantwortlich für die Organisation, die Koordinierung der einzelnen Fachbereiche, die Vorbereitung von Abstimmungen, die Haushaltaufstellung und die Kontakte innerhalb des Koordinierungsausschusses. Einen Strukturbereich leitete er selbst nicht.106 Pressesprecher wurde der spätere Pressereferent in der Staatskanzlei, Axel Helbig. Seine Arbeit war zu diesem Zeitpunkt noch wenig professionell, so dass der Koordinierungsausschuss in der Öffentlichkeit nur unzureichend wahrgenommen wurde.107 Die Organisation der Büroarbeit übernahm die aus Mecklenburg stammende Diplom-Ökonomin Margita Herz, die Vaatz bei einem Aufenthalt in Hamburg kennen gelernt hatte. Sie organisierte eine erste, wenn auch mangelhafte Büroausstattung. Zunächst, so erinnert sie sich, war es kaum möglich, zu telefonieren, geschweige denn ein Fax zu versenden. „Das haben wir dann fast alles nachts gemacht.“ Wichtig war in der Anfangsphase der Kontakt zum Referenten Bernd-Dietmar Kammerschen in Bonn. Dieser war beim Vorsitzenden der Arbeitsgruppe Deutschlandpolitik der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion, Eduard Lintner. Er wurde sein „Ansprechpartner für alle Fragen, die man aus Ostsicht nicht verstand, weil man die Strukturen im Westen fast gar nicht kannte“. Deswegen war der regelmäßige Kontakt zu ihm „eine der täglichen und wichtigsten Geschichten“, die Margita Herz zu erledigen hatte: „Ich habe die Telefonate abgewartet, das war manchmal 22.30 Uhr. Kammerschen saß in Bonn am Telefon, und ich saß hier, man kam früher einfach nicht durch, weil die Telefonleitungen völlig überlastet waren und nicht richtig funktionierten.“108 Gemunkelt wurde dabei, über Kammerschen, den 104 Bericht von Arnold Vaatz an den RTB Dresden vom 28. Juni über Methoden und Arbeitsstand zur Bildung des Landes Sachsen (Dok. 83). 105 Zur Situation im künftigen Land Sachsen. Kurzbericht aufgrund der Mitarbeit im Koordinierungsausschuss für die Landesneubildung im Monat August 1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). 106 Interviews Helmut Münch am 29. 2. 2000 und 23. 4. 2003. 107 Interview Manfred Kolbe am 16. 5. 2003. 108 Interview Marita Herz.

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Vaatz über Lintner kennen lernte, halte dieser Kontakt zur CDU-Führung, ohne deren Rückendeckung vielen seiner Aktionen der gewünschte Erfolg verwehrt geblieben wäre. Ab Anfang Juli hielt sich Kammerschen in Dresden auf, beriet Vaatz direkt und hielt den Kontakt zur CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Neben dieser Kernmannschaft waren bis Ende Juni bereits erste Strukturbeauftragte benannt. Vaatz stellte sie bei der Sitzung des Runden Tisches des Bezirkes Dresden am 28. Juni vor. Als einer von bis dahin drei Beauftragten war zunächst Hermann Henke für die Gebäudeplanung der künftigen Ministerialbürokratie vorgesehen, Steffen Heitmann für Rechts- und Verfassungsfragen und, wie bereits erwähnt, Klaus Schumann für Verwaltungsstruktur. Weitere Bereiche waren zunächst nicht besetzt.109 An der Nominierung Schumanns durch Ballschuh hatte sich schon zuvor Unmut entzündet, und auch am Runden Tisch wurde kontrovers darüber diskutiert. In der „Union“ schrieb Uta Dittmann am Morgen des Sitzungstages, dass von Personen, die mit Schumanns bisherigem Wirken vertraut seien, „massiver Protest“ komme. Die Öffentlichkeit habe ein Recht, über derartige Personalentscheidungen „hinter verschlossenen Türen“ vorab informiert zu werden. Sie dürfe ihr „schwer erkämpftes Recht zur Mitsprache nicht aus der Hand geben oder an Parteien delegieren, die sich gerade auf der mittleren Ebene ihres Funktionärsapparates, in den Bezirken, nicht erneuern“.110 Dieser Darstellung widersprach Ballschuh am Runden Tisch energisch, immerhin würden alle Personalentscheidungen für den Koordinierungsausschuss „in voller Übereinstimmung mit Herrn Vaatz“ getroffen werden.111 Vaatz, dem die Entscheidung ebenfalls missfiel, verwies leicht provokant auf das unter Ballschuh fortbestehende Kompetenzmonopol der SED in Sachen Verwaltung, dem man Tribut gezollt habe. Es war klar, dass die Ernennung Schumanns Ballschuhs Bedingung für die Berufung von Vaatz gewesen war. Mit Schumanns Hilfe hoffte er, Einfluss auf die Landesbildung und künftige Personalbesetzungen zu behalten. Trotz damit verbundener Kontroversen beauftragte der Runde Tisch Vaatz einstimmig mit der Leitung des Koordinierungsausschusses. Dieser befand sich nun in der schwierigen Situation, dass er einerseits als Ballschuhs Stellvertreter agierte, andererseits aber auch der Runde Tisch des Bezirkes Dresden eine Kontrolle und Rechenschaftspflicht beanspruchte. Um diesbezüglich keine Zweifel aufkommen zu lassen, wurde Vaatz gleich am nächsten Tag „in die Mangel genommen“ und musste gegenüber Vertretern des Runden Tisches über erste Schritte der geplanten Arbeit berichten.112 Vaatz erinnert sich: „Das war also 109 Die Union vom 29. 6.1990. 110 Uta Dittmann, „Wie demokratisch ist der Weg zum Land Sachsen?“ In. Die Union vom 28. 6.1999. 111 Protokoll der 22. Sitzung des RTB Dresden am 28. 6.1990 (Dok. 82). 112 Über dieser Beratung liegt nur eine Teilnehmerliste vor. Beratung des Koordinierungsausschusses am 29. 6.1990: Teilnehmer (HAIT, KA, 1). Teilnehmer: CDU: Günter Vogel, Walter Rogge, Elke Franke, SPD: Gerhard Fischel, Hans Bozenhard, Peter Adler, DSU: Lutz Queck, Peter Berauer, Grüne Partei: Gert Irmschler, LDP: Peter Strangfeld, parteilos: Dr. Kurt Kny.

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eine Parlamentsübung, wenn man so will. Ist nie wieder gemacht worden. Aber die wollten wie Luchse aufpassen, dass ich nicht als nächstes eine Katastrophe anrichte.“113 Noch von einer dritten Seite sah sich Vaatz mit einem Kontrollanspruch konfrontiert, nämlich durch den CDU-Landesvorstand mit seinen Arbeitsgruppen. Diese Situation hing mit der noch immer ungeklärten institutionellen Zuordnung des Koordinierungsausschusses zusammen, den es, wäre es nach der Regierung gegangen, in seiner aus der konkreten Entwicklung herrührenden Einmaligkeit gar nicht hätte geben dürfen. Als sei die Dreifachkontrolle nicht genug, meldeten auch die Bezirke Chemnitz und Leipzig, ebenfalls wegen diesbezüglich unklarer Zuordnungen, ein Mitspracherecht in Sachen Koordinierungsausschuss an. Am 5. Juli trafen sich in Chemnitz die Regierungsbeauftragten Buttolo, Krause und Ballschuh sowie ihre Stellvertreter Heilmann, Vaatz und Kleinschmidt.114 Bei der Beratung ging es unter anderem um die Kritik des Regionalausschusses Chemnitz an den Vorstellungen zur strukturellen Gliederung der Landesbildung. Der Regionalausschuss hatte Buttolo drei Tage zuvor mit seiner Forderung konfrontiert, der Koordinierungsausschuss müsse sich aus Vertretern aller drei Bezirke und nicht wie bisher ausschließlich aus Dresdner Vertretern zusammensetzen. Vielmehr sollte ein Gremium kompetenter Vertreter zur Erarbeitung der Landesverfassung und künftiger Strukturen aus allen Bezirken gebildet werden.115 Vorausgegangen war am 29. Juni eine Tagung des Regionalausschusses, auf der diese Postulate aufgestellt worden waren.116 Die Chemnitzer Ansinnen fanden seitens der Bezirke Dresden und Leipzig keine Zustimmung, sodass schließlich die Koordinierungstätigkeit durch die Dresdner akzeptiert wurde. Zunächst kontrovers diskutiert wurden auch Ansprüche aus Chemnitz und Leipzig hinsichtlich des Standortes einiger Ministerien und Landesämter. Entsprechende Forderungen hatte Buttolo bereits unmittelbar nach seiner Amtsübernahme erhoben,117 obwohl es in der Bundesrepublik kein Vorbild für eine solche territoriale Aufgliederung gab. Die Teilnehmer einigten sich schließlich, alle Ministerien in Dresden anzusiedeln. Einig wurde man sich aber auch darüber, Landesämter und verschiedene Bundesbehörden in Chemnitz und Leipzig zu installieren. Die Vereinbarungen wurden von Heidrun Lotze in einem Arbeitskonzept zusammengefasst, in dem es hieß, dass der Aufbau der Verwaltungsstrukturen des zukünftigen Landes in enger Zusammenarbeit der drei Bezirksverwaltungsbehörden vorbereitet werde, wobei die Bezirksverwaltungsbehörde Dresden eine Leitfunktion einnehme. Der Aufbau der Exekutive für das zukünftige Land Sachsen umfasse die Landesregierung, Regierungspräsidien, Land113 Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. 114 Protokoll der Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses am 6. 7.1990 (Dok. 85). 115 BVB Chemnitz: Protokoll der Beratung des Regierungsbevollmächtigten mit den Abgeordneten der Volkskammer des Bezirkes Chemnitz vom 2.7.1990 (SächsStAC, BVB, 140104). 116 Protokoll der Beratung des Regionalausschusses Chemnitz zur Herausbildung des Landes Sachsen am 29. 6.1990 (Dok. 84). 117 Die Union, Ausgabe Chemnitz, vom 19. 6.1990. Siehe Kap. 5.1.1.

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ratsämter, Sonderbehörden sowie sonstige Institutionen des öffentlichen Rechts. Dazu sei in Abstimmung mit dem Verantwortlichen für Rechtsfragen, Steffen Heitmann, ein Landesverwaltungsgesetz zu erarbeiten.118 Die folgende Arbeit sollte fortan in elf paritätisch besetzten Arbeitsgruppen der drei Bezirksverwaltungsbehörden erfolgen, in denen Strukturbeauftragte der einzelnen Bezirke die Positionen ihrer Bezirke zu vertreten hatten. Beim Koordinierungsausschuss lag die Aufgabe, diese Zusammenarbeit zu lenken. Alle Seiten hatten, wiewohl bereits „die Federführung durch den Bezirk Dresden unverkennbar“ war, den „festen Willen, alle anstehenden Probleme im Konsens“ zu lösen.119 Vaatz bestimmte für den Bezirk Dresden ausdrücklich, dass die Strukturbeauftragten bei der Erarbeitung von Strukturplänen die Partner in Chemnitz und Leipzig sowie der Arbeitsgruppen der Gemischten Kommission Sachsen / Baden-Württemberg einbeziehen sollten. Sie hatten außerdem alle Vorbereitungsarbeiten für Beratungen beim Regierungsbeauftragten, mit den Volkskammerabgeordneten der drei Bezirke sowie im Sächsischen Forum zu leisten.120 Einen Tag nach Vorlage des Papiers berieten die Stellvertretenden für Landesbildung ihre Aufgaben121 und trafen sich nun regelmäßig zu Beratungen.122 Man war sich einig, nicht nur Verwaltungsstrukturen vorbereiten, sondern auch Einfluss auf die inhaltliche Arbeit und personelle Gestaltung der künftigen Ministerien zu nehmen. Vaatz wurde beauftragt, eine Konzeption zur Herstellung der Arbeitsfähigkeit des Koordinierungsausschusses als Dresdner Stellvertreterbereich für die Bildung des Landes Sachsen zu erarbeiten und dabei auch die Auffassungen aus Chemnitz und Leipzig zu berücksichtigen. Angesichts zu erwartender knapper Kassen des Landes Sachsen folgte man dem Rat westlicher Experten und orientierte bereits jetzt auf eine möglichst geringe Anzahl von Ministerien. Neben der Staatskanzlei sollte es die acht Ministerien für „Wirtschaft“ einschließlich der Bereiche Energie und Geologie, „Finanzen“, „Justiz“, „Inneres“ einschließlich der Bereiche Bau, Raumordnung, Landesentwicklung und Landespolizeipräsidium, „Verkehr“, „Landwirtschaft“ einschließlich Landesforstverwaltung, „Umwelt“, „Kultus“ einschließlich Kultur und Kunst sowie allgemein- und berufsbildende Schulen, Sport, Wissenschaft und Hochschulwesen 118 Abteilung 4: Bildung der Landesregierung, vom 6. 7.1990 (RPL, 0202.1). 119 Information des Bezirksbeauftragten Leipzig des MRKA zum Stand der Herausbildung des Landes Sachsen vom 27. 7.1990 (Dok. 105). 120 Konzeption zur Herstellung der Arbeitsfähigkeit des Bereiches des Stellvertreters des Regierungsbeauftragten des Bezirkes Dresden vom 13. 7.1990 (Dok. 92); Arbeitsstand des Koordinierungsausschusses beim Aufbau der Landesregierung Sachsen am 20. 7. 1990 (Dok. 97). 121 Protokoll über die Arbeitsberatung der Stellvertreter für die Bildung den Landes Sachsen am 12. 7.1990 (Dok. 91). 122 BVB Leipzig, Leiter Ressort Raumordnung und Regionalentwicklung: Koordinierungsberatung der stellv. Regierungsbevollmächtigten für die Länderbildung der BVB Chemnitz, Dresden, Leipzig am 27./28. 9.1990 (RPL, AZ 0141.0); Protokoll über die 9. Koordinierungsberatung der stellv. Regierungsbevollmächtigten für die Länderbildung der BVB Leipzig, Dresden, Chemnitz am 28. 9.1990 (RPL, AZ 0141.0).

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als auch „Soziales“ einschließlich der Bereiche Familie, Gesundheit und Arbeit geben. Es wurde vereinbart, im Koordinierungsausschuss klare Zuständigkeiten für die Staatskanzlei und jedes der Ministerien festzulegen. Da in Dresden bereits entsprechende Vorarbeiten geleistet worden waren, konnte schon am 13. Juli ein Konzeptpapier vorgelegt werden,123 auf dessen Grundlage der Koordinierungsausschuss, auch als Reaktion auf bislang ungeklärte Kompetenzabgrenzungen, schließlich eine verbindliche und recht präzise Geschäftsordnung erhielt.124 Danach hatte der Koordinierungsausschuss im Auftrag der Regierungsbevollmächtigten einen Verfassungsentwurf für das Land Sachsen sowie weitere Gesetzentwürfe vorzubereiten, Strukturen der ministeriellen Verwaltung, der Regierungspräsidien, der nachgeordneten Behörden einschließlich der Geschäftsverteilungs- und Stellenpläne sowie konzeptionelle Vorstellungen zum Sitz der Ministerien und der Ämter zu erarbeiten. Außerdem gehörten die Erfassung des Landesvermögens, die Vorbereitung der Landtagsarbeit, die Öffentlichkeitsarbeit und die Ausarbeitung von Vorschlägen für Ausschreibungsverfahren zu seinen Aufgaben. Dabei hatte er durch eine regelmäßige Information aller drei Regierungsbevollmächtigten und Stellvertreter für Landesbildung eine enge Zusammenarbeit zwischen den drei sächsischen Bezirken sowie den zukünftig zum Land Sachsen gehörenden Kreisen des Bezirkes Cottbus zu sichern. Ausdrücklich hieß es, dass die drei Bezirksverwaltungsbehörden bei der Ausarbeitung grundlegender Materialien wie Struktur, Geschäftsverteilungs-, Stellen-, Haushalts- und Ansiedlungspläne gleichberechtigt zusammenarbeiten sollten. Zur notwendigen Koordinierung der Erarbeitung ministerieller Strukturen waren die jeweiligen Landesstrukturbeauftragten verantwortlich, für die anderen Behörden sollten Verantwortliche durch die Stellvertreter bei den wöchentlichen Abstimmungen im Konsens bestimmt werden. Ebenso wurde festgelegt, dass die Bürger und ihre demokratisch legitimierten Vertreter in die Arbeiten durch Lesung des jeweiligen Arbeitsstandes vor den sächsischen Volkskammerabgeordneten und dem Sächsische Forum einzubeziehen seien.125 Die Formulierungen in den offiziellen Verlautbarungen deuten zurückhaltend Probleme im Verhältnis zwischen dem Dresdner Koordinierungsausschuss und den Vertretern aus Chemnitz und Leipzig an, für die Vaatz im Nachhinein wesentlich drastischere Worte findet. Er hat das Verhältnis am Anfang der gemeinsamen Arbeit in schlechter Erinnerung und spricht von einem „Grundmisstrauen“, das den Dresdnern in Chemnitz und Leipzig entgegen gebracht worden sei. Dort habe man sich der Mitarbeit an der Länderbildung weitgehend entzogen und den Koordinierungsausschuss unter einen „Generalverdacht des Marginalisierungswillens dieser beiden Städte“ gestellt.126 Von Anfang an sei 123 Vorschlag zu den Aufgaben des für die Bildung von Landesstrukturen zuständigen Stellv. des Regierungsbevollmächtigten für den Bezirk Dresden vom Juli 1990 (Dok. 93). 124 Geschäftsordnung des Koordinierungsausschusses zur Bildung des Landes Sachsen (Dok. 78). 125 Siehe dazu das nächste Kapitel. 126 Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002.

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man vor allem in Leipzig auf eine starke Distanziertheit gestoßen. Hier hätten die „die Revolution verkörpernden Personen“ mit Ausnahme Kleinschmidts jeden Kontakt mit dem Koordinierungsausschuss verweigert. Kleinschmidt habe dafür eine „völlig unlogische Doppelstrategie gefahren“, indem er einerseits versucht habe, den Leipziger Rat des Bezirkes daran zu hindern, erneut die höchste Verwaltungskompetenz zu übernehmen, auf der anderen Seite aber „an jeder Ecke einen Führungsanspruch Dresdens gewittert und am Ende alles, was aus Dresden kam, entschiedener bekämpft“ als den Rat des Bezirkes. Ähnlich sei es in Chemnitz gewesen, wo Heilmann und Krüger von vornherein von „einer wütenden Gegnerschaft“ gegen einen von ihnen vermuteten Führungsanspruch Dresdens bestimmt gewesen wären. Vaatz’ Resümee fällt negativ aus: „In Dresden haben wir versucht, die Grundlagen der Landesregierung herzustellen. Wir sind dabei von unseren eigenen Leuten in Chemnitz und in Leipzig aufs heftigste bekämpft worden.“ Ohne dass man „irgendeine Konzeption“ gehabt hätte, „wie man das Land zum Funktionieren“ bringe, habe es dort „eine reine Zerstörungsarbeit“ aus der Angst heraus gegeben, von Dresden dominiert zu werden. Erst peu à peu habe sich die Kooperation „einigermaßen normalisiert“, weil man in Chemnitz und Leipzig „zähneknirschend anerkannt“ habe, „dass die Dinge so sind, wie sie sind“.127 Aus Leipziger Sicht meint Kleinschmidt zu den Vorwürfen, „dass in der Tat die führenden Kräfte der Umweltgruppen, sich gründenden Parteien und anderen Gruppen in den jeweiligen Bezirken es nicht verstanden, sich rechtzeitig koordinativ128 zu verhalten. Das mag auch dem Zeitdruck geschuldet gewesen sein, denn der Zusammenbruch kam ziemlich plötzlich“ und die „Aufgaben der Bereinigung begannen zuallererst in den Kommunen“. Das habe einen Großteil der Kräfte gebunden. Dadurch seien „weiter gehende Sichten zunächst außen vor“ geblieben. Hinzu komme, dass es „ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen Leipzigern und Dresdnern“ schon immer gebe. Und „die Tatsache, dass nun Leipzig in Zukunft nicht mehr von Berlin, sondern von Dresden regiert“ werden würde, habe „bei den verschiedensten Leuten Magenbrennen“ hervorgerufen. Schon deswegen habe es Tendenzen gegeben, zu versuchen, „halb Sachsen-Anhalt mit ins Boot“ zu nehmen, damit Leipzig das Zentrum der Regierungstätigkeit wird, obwohl es hier keine entsprechende Tradition gebe. Man müsse „ehrlicherweise eingestehen“, dass die Konzepte zur Landesbildung „in Dresden weitaus ausgereifter waren als in den anderen Bezirksstädten“ und „dass es weitaus mehr kreative Kräfte in Dresden gab, die vorausschauend tätig geworden sind“. Das sei nicht nur allein an Vaatz festzumachen, der allerdings „der quirligste“ gewesen sei.129

127 Interview Arnold Vaatz am 21. 6. 2000. 128 Wahrscheinlich kooperativ. 129 Interview Günter Kleinschmidt.

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5.1.6 Bildung des Sächsischen Forums und Frage der Legitimierung des Koordinierungsausschusses Das von der Regierung vorgesehene Konzept einer Kontrolle der Regierungsbevollmächtigten durch bezirkliche Gremien von Volkskammerabgeordneten war am Dresdner Runden Tisch von vornherein zurückhaltend beurteilt worden. Die praktische Arbeit bestätigte die Skepsis. Einerseits waren die Abgeordneten in die Arbeit der Regierungsbevollmächtigten „ein Stück mit einbezogen“ und nahmen „eine gewisse Kontrollfunktion“ wahr,130 andererseits waren sie „überlastet, überfordert und auch in Kontrollmechanismen unbewandert“. Die Folge war, dass die parlamentarische Kontrolle „sehr an der Oberfläche blieb“ und nur eingeschritten wurde, wenn konkrete Beschwerden, Anzeigen oder Petitionen vorlagen.131 Aber nicht nur wegen solcher Mängel hielt man in Dresden wenig vom demokratischen Umweg über die Volkskammer. Hier wollte man die Regierungsbevollmächtigten vielmehr vor Ort kontrollieren und suchte nach dem Ende der Runden Tische Alternativen einer demokratischen Legitimierung des nun an den Regierungsbeauftragten angebundenen Koordinierungsausschusses. Zunächst setzte man auch in Dresden auf Regionalausschüsse, die sich auf Initiative der Regierung hier und da bereits Anfang des Jahres zusammengefunden hatten und deren Koordinierung Anfang Juli die Regierungsbevollmächtigten teils übernehmen sollten.132 Vaatz schrieb am 21. Juni an das Bischöfliche Ordinariat der katholischen Kirche in Dresden, zur Vorbereitung der Bildung des Landes Sachsen solle auch hier ein Regionalausschuss gebildet werden, der den politischen Parteien und Bewegungen die Möglichkeit eröffne, die Gesetzesbildung zu fördern. Dazu bemühte er sich, „Ordinatsrat Iltgen für die Leitung des Regionalausschusses Dresden und die Führung der Zusammenarbeit mit entsprechenden Ausschüssen in Leipzig und Chemnitz zu gewinnen“.133 Die Absicht, einen der beiden Moderatoren des Dresdner Runden Tisches mit der Leitung des Regionalausschusses zu betreuen, konnte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Vaatz inzwischen keinen unbedingten Wert mehr auf die Rückendeckung durch den Runden Tisch legte. Vielmehr reichte es ihm nun, die Legitimität des Koordinierungsausschusses daraus abzuleiten, dass es sich bei diesem Gremium um einen Stellvertreterbereich des Dresdner Regierungsbevollmächtigten handelte. Zwar hatte die vom Runden Tisch angeführte und initiierte sächsische Phalanx aus Rundem Tisch, Bezirkstag und Ratsvorsitzendem Kunze erst die Einbindung des Koordinierungsausschusses in die Konstruktion der Regierung bewirkt; nun, da er an die Hebel der Macht gelangt war, verlor dies jedoch an Bedeutung. Vaatz schlug dem Runden Tisch am 28. Juni vor, „nachdem nunmehr seine Vorschläge realisiert sind, seine Tätig130 131 132 133

Interview Frank Schmidt. Interview Uwe Grüning. Vgl. Bayer, Die Konstituierung der Bundesländer, S. 1016 f. Bitte von Arnold Vaatz an das Bischöfliche Ordinariat um Freistellung Erich Iltgens für das Amt des Leiters des Regionalausschusses Dresden vom 21. 6.1990 (Dok. 81).

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keit hinsichtlich der Bildung des Landes Sachsen einzustellen“ und „sich mit Abschluss der heutigen Sitzung aufzulösen“.134 Damit schwenkte er, nachdem der Koordinierungsausschuss „mühsam in das gegenläufige Konzept der Regierung“ eingepresst worden war, wieder auf die Linie des Rottenburger Papiers ein,135 dessen Initiatoren die wenig zukunftsträchtigen Runden Tische durch staatliche und ins Kalkül einer sich erneuernden CDU passenden Institutionen ersetzt sehen wollten. Nun aber trat auch in Dresden ein, was sich zuvor an verschiedenen Runden Tischen aller Ebenen abgespielt hatte. Die durch die Wahl marginalisierten Parteien und gesellschaftlichen Gruppierungen, die im sich gerade erst herausbildenden pluralistischen System noch kaum gestalterische Möglichkeiten fanden, versuchten den Runden Tisch bzw. die daraus hervorgehenden Gremien zur Durchsetzung gesellschaftlicher Interessen und einer im Nachgang der friedlichen Revolution unabdingbaren öffentlichen Kontrolle staatlicher Arbeit zu nutzen, zumal, wenn dies wie gehabt von Berlin aus und ohne ausreichende Berücksichtigung regionaler Stimmen passierte. So hatte zwar der Regierungsbevollmächtigte den Wünschen des Runden Tisches vom 31. Mai entsprochen und den Leiter des Koordinierungsausschusses zu seinem Stellvertreter für Landesbildung ernannt, dennoch hielt der Runde Tisch seine Zusage von Ende Mai nicht ein, in diesem Fall seine Arbeit zur Landesbildung zu beenden. Vielmehr erregte Vaatz mit seiner nur angeblich „drastischen Kehrtwende“, mit der er eigentlich nur den Vereinbarungen entsprach, nun das Unverständnis des bis Juni noch parteilosen Iltgen,136 der sich in dieser Situation eher als Sprecher marginalisierter neuer Kräfte am Runden Tisch verstand. Wie er widersetzte sich eine Mehrheit von acht Teilnehmern des Runden Tisches dem Ansinnen von Vaatz, dessen Antrag lediglich von zwei weiteren Teilnehmern unterstützt wurde. Statt einer Auflösung setzte eine Mehrheit der am Runden Tisch beteiligten Personen, die freilich keinesfalls eine Bevölkerungsmehrheit repräsentierten, durch, bis zur Bildung des Regionalausschusses weiter bestehen zu bleiben. Über die Hintergründe der Entscheidung, die Arbeit bis zur Einsetzung eines Regionalausschusses aller drei Bezirke als Landesausschuss fortzuführen, gibt ein Beitrag Uta Dittmanns Auskunft, der am Morgen des Sitzungstages im bisherigen CDU-Blatt „Die Union“ erschien, das sich inzwischen aber mehr und mehr zur parteiunabhängigen Tageszeitung gemausert hatte. Darin forderte sie, aus den Runden Tischen und den Bezirkstagen heraus müsse nun eine neue, die drei sächsischen Bezirke umfassende Einrichtung zur Vorbereitung des Landes entstehen. Prämisse sei nach Meinung des Runden Tisches, dass die Gestaltung Sachsens und die demokratische Meinungsbildung über alle wichtigen Einzel134 Bericht von Arnold Vaatz über Methoden und Arbeitsstand zur Bildung des Landes Sachsen (Dok. 83); Protokoll der 22. Sitzung des RTB Dresden am 28. 6.1990 (Dok. 82). 135 Schubert, Der Koordinierungsausschuss S. 56 f. Von einer „gleichgültig bis feindlich gesonnene(n) Haltung“ gegenüber dem Runden Tisch kann freilich keine Rede sein, hatte dieser doch bei Zustimmung zum Konzept des Regierungsbevollmächtigten selbst seine Auflösung avisiert. 136 Interview Erich Iltgen. In: Die Union vom 12.10.1990.

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fragen offen und bürgernah erlebt werden könne. Sei dies nicht der Fall, würden auch die Landtagswahlen keinen Gewinn an demokratischer Wirklichkeit für die Bevölkerung bringen.137 Damit war eine Haltung ausgedrückt, die eine Reduzierung politischer Abläufe auf einen repräsentativen Parlamentarismus ablehnte und pluralistische gesellschaftliche Mitwirkung als zweites Standbein freiheitlicher Demokratie postulierte. Mit dieser Sichtweise gab sie die Stimmung eines großen Teils der Teilnehmer des Runden Tisches wieder. Hier war das Misstrauen in die neuen demokratischen Gepflogenheiten auch deswegen besonders ausgeprägt, weil diese dazu geführt hatten, dass ausgerechnet die hier wenig geschätzten Vertreter der Ost-CDU wenige Monate nach der Herbstrevolte die parlamentarischen Weichen stellten. Die neue Front der alten Funktionäre in Regierung und Bezirksverwaltungen nährte, so auch „Unions“-Redakteur Andreas Richter am 3. Juli, den Wunsch, „auch künftig so wie jetzt zusammenzubleiben“ und sich nicht selbst der Möglichkeit eines gesellschaftlichen Regulativs im Bezirk zu berauben. Diese Tendenz hatte Uta Dittmann am 28. Juni mit der Feststellung wiedergegeben, in der Öffentlichkeit verbreite sich „zur Zeit der Eindruck, dass demokratische Mitwirkung und Transparenz eingeschränkt“ würden. Diese Befürchtungen seien an den Namen des Regierungsbeauftragten Ballschuh geknüpft, der aus dem Rat des Bezirkes hervorgegangen und insofern keine glückliche Entscheidung der CDU sei. Das entsprach auch der Haltung von Vaatz, dessen Antrag auf Beendigung des Runden Tisches nicht als Generalkritik an einer öffentlichen Kontrolle vor Ort zu werten war, sondern der Vorstoß zielte vielmehr auf die Bildung eines gesamtsächsischen Gremiums, das die errungene demokratische Legitimierung durch Einbindung ins Regierungsmodell vor Ort regulativ flankieren sollte. Deswegen plädierte er mit der Mehrheit der Teilnehmer für das Modell eines Regionalausschusses, der alle politischen Kräfte vereinen, dabei die Parität der Regionen und Parteien wahren sollte und in dem der Koordinierungsausschuss als Arbeitsorgan des Regionalausschusses bezeichnet wurde. Die fortgesetzte Diskrepanz zwischen dem Regierungsbevollmächtigten und seinem Stellvertreter wurde deutlich, als Ballschuh daraufhin erklärte, er und seine Behörde fühlte sich gegenüber einem Regionalausschuss in keiner Weise rechenschaftspflichtig, während sich Vaatz ausdrücklich dazu bekannte.138 Zur Ablehnung Ballschuhs, Rechenschaft abzulegen, erklärte Iltgen, der Regionalausschuss könne dies nicht einfordern, es wäre aber richtig, in der gegenwärtigen Phase „freiwillig Rechenschaft zu geben“. Da der Regierungsbevollmächtigte gegenüber den Volkskammerabgeordneten rechenschaftspflichtig sei, wäre es „eine äußerst gute Konstellation“, sowohl diese als auch „basisdemokratische Kräfte“ in ein sächsisches Forum zu integrieren.139 Vaatz’ Haltung erklärte sich daraus, dass er seine Legitimation als Vorsitzender des Koordinierungsausschusses sowohl aus dem Beschluss des Runden Tisches 137 „Wie demokratisch ist der Weg zum Land Sachsen?“ In: ebd. vom 28. 6.1990. 138 Vgl. ebd. vom 3. 7.1990. 139 Interview Erich Iltgen. In: ebd. vom 12. 7.1990.

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als auch aus der Berufung durch den Ministerpräsidenten als Stellvertretender Regierungsbeauftragter ableitete. „Die beiden Sachen“, so Vaatz, „stellten meine Legitimation dar“.140 Mit seiner Haltung hatte er zwar insofern den von ihm mitgetragenen Forderungen der CDU entsprochen, die Arbeit der Runden Tische zu beenden; hinsichtlich eines genuin sächsischen Gremiums, das die Arbeit der Landesbildung demokratisch begleiten sollte, gingen die Auffassungen zwischen ihm und Ballschuh weiter auseinander. Auf die sich in den Äußerungen Ballschuhs, er werde eine Kontrolle seiner Arbeit durch einen Regionalausschuss nicht dulden, abzeichnende Tendenz, einem möglichen Regionalausschuss eine reine Repräsentationsrolle zuzuordnen, wies Andreas Richter in „Die Union“ vom 3. Juli hin. In diesem Fall, so der Redakteur, wäre ein Regionalausschuss nicht mehr als „der Kranz auf dem Grab des Runden Tisches“.141 In die selbe Richtung ging die Kritik des Mitinitiators der Dresdner Gruppe der 20, des Dresdner Superintendenten Christoph Ziemer. In Anlehnung an parlamentarische Strukturen forderte dieser einen festen Personenkreis, ständige Arbeitsgruppen und Ausschüsse für die Öffentlichkeitsarbeit zur Länderbildung. In allen großen Städten sollten Foren zur Verfassungsdiskussion organisiert werden. Die Ausschüsse sollten die Ergebnisse der öffentlichen Diskussion zu Verfassung und Länderbildung sammeln, auswerten und veröffentlichen. Ziemer forderte, dass das Sächsische Forum zum Verwaltungsaufbau einen Personalrat bildet, der über alle wichtigen Personalentscheidungen berät.142 Iltgens Überlegungen gingen freilich in eine andere Richtung, und zwar nicht, um den Runden Tisch zu beerdigen, sondern, weil er keinen anderen Weg sah, Grundprinzipien dieses Transformationsgremiums in die kommende politische Ordnung hinüberzuretten. Ihm war klar, dass ein parlamentarisches Gremium „nicht durchsetzbar“ war. „Alles strebte“, so Iltgen, „jetzt auf die Länderbildung zu“. Die Parteien bestimmten schon ihre Kandidaten für den Landtag, und er hätte in dieser Situation nicht sagen können, wie man kurz vor der Etablierung eines Landtages eine andere, konkurrierende Legitimation hätte erreichen können. Ein solcher „Gegenentwurf zu den demokratischen Strukturen des Föderalismus“ war von ihm weder gewollt noch durchsetzbar. Vielmehr ging es in Anlehnung an die Funktionsweise des Runden Tisches um ein beratendes und begleitendes Gremium, um, „wenn man so will, einen Ersatz für den Runden Tisch bezüglich der Transparenz und der Erreichung der Öffentlichkeit“. Das war auch der Grund dafür, sich von der zunächst ebenfalls diskutierten Idee eines vorparlamentarischen Ausschusses zu verabschieden. Dieser Gedanke war mit dem Konzept des Koordinierungsausschusses als Stellvertreterbereich des Regierungsbevollmächtigten ebenso wenig durchsetzbar. An diesem hätte „man ganz konkret über politische Inhalte diskutieren müssen, während das Sächsische Forum eigentlich nur der Vermittler gewesen ist zwischen dem was po140 Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. 141 „Der Runde Tisch zwischen Baum und Borke.“ In: Die Union vom 3. 7.1990. 142 Stellungnahme von Christoph Ziemer zum Sächsischen Forum (Dok. 111).

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litisch entschieden werden soll und zwischen einer Öffentlichkeit, die sehr stark daran interessiert ist, wohin die Reise geht“. Da der Koordinierungsausschuss allein keine Gewähr bot, die Öffentlichkeit in den Landesbildungsprozess einzubinden und der einzig übriggebliebene Runde Tisch eines Bezirkes in Dresden dies nicht leisten konnte, sollte mit dem Sächsischen Forum eine Öffentlichkeit geschaffen werden, durch die ständig über die Arbeit des Koordinierungsausschusses informiert wurde. Auch um zu verhindern, dass unter Ballschuhs Einfluss „die alten Vertreter wieder die neuen“ werden, „bedurfte es eines Mitsprache- und Mitgestaltungsrechts in einer Phase, wo das Volk eigentlich nicht mehr beteiligt“ war. In diesem Sinne beseitigte Iltgen bei Vaatz letzte Bedenken gegen das Sächsische Forum. Diesem schien das Konzept schon deswegen bald plausibel, weil es dem Koordinierungsausschuss ein Forum der öffentlichen Selbstdarstellung bot.143 Offen geblieben war bei der Diskussion am Runden Tisch auch, ob es sich bei dem am Dresdner Runden Tisch diskutierten Regionalausschuss um einen Bezirksausschuss als Drittel eines Landesausschusses oder um letzteren handeln sollte. Formal konnten die Dresdner nicht allein über einen Landesausschuss verhandeln, in der Sache aber taten sie es doch. Die Äußerungen am Runden Tisch geben dazu keine letzte Antwort. Tatsache war, dass es nach der Dresdner Sitzung am 28. Juni weiterhin nur in Chemnitz einen Regionalausschuss für den Bezirk gab, der sich am 29. Juni demonstrativ konstituierte und aus 47 Mitgliedern, je zwei aus Parteien, Organisationen und Bewegungen, bestand. Angesichts der Tagung des Dresdner Runden Tisches am Vortag forderte dieser nun die Bildung eines Koordinierungsausschusses aller drei Bezirke, „vor allem im Hinblick auf eine gleichberechtigte Einbeziehung der Bezirke in die zu treffenden Entscheidungen in Bezug auf die Länderbildung“.144 Damit wurde der Dresdner Koordinierungsausschuss in Chemnitz funktional als paritätischer, in der vorhandenen Form freilich ungleich besetzter Landesausschuss gedeutet. Die Notwendigkeit eines Gremiums wie in Chemnitz gefordert, sah man auch in Leipzig und Dresden, wollte man das bislang erfolgreiche Konzept einer sächsischen Phalanx als Gegengewicht zur zentral gelenkten Staatsstruktur in den Bezirken nicht aufgeben. Anders als in Chemnitz sah man in Dresden im Koordinierungsausschuss jedoch kein bezirksübergreifendes vorparlamentarisches Gremium, sondern ein von wem auch immer verantwortetes exekutives Organ der Landesbildung. Deswegen gingen die Überlegungen hier nach der letzten Sitzung des Runden Tisches dahin, welcher Art ein gesamtsächsisches Gremium zu sein hätte, das zum einen die Rückbindung des Koordinierungsausschusses in das regierungsoffizielle Konzept der Länderbildung nicht in Frage stellte, andererseits aber sicherstellte, dass die Bildung Sachsens, die ja inhalt143 Interview Erich Iltgen. 144 Protokoll der Beratung des Regionalausschusses Chemnitz zur Herausbildung des Landes Sachsen am 29. 6.1990 (Dok. 84). Vgl. Albrecht Buttolo an die Mitglieder des Regionalausschusses Chemnitz zur Bildung des Landes Sachsen vom 14. 6.1990 (AdSD, SPD-LV Sachsen, 3/SNAB000019); Albrecht Buttolo an die Vertreter des Bezirkes Chemnitz im Sächsischen Forum vom 9.8. [fälschlich 10.] 1990 (SächsStAC, BVB, 152199).

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lich bereits vor allem in den Händen sächsischer Akteure lag, vor Ort demokratisch begleitet und kontrolliert werden würde. Im Koordinierungsausschuss war der bisherige Sekretär des Präsidiums des Bezirkstages, Gustav Rust, nun Mitarbeiter der Abteilung „Wahlvorbereitung“, von Iltgen damit beauftragt worden, dessen Gedanken zu Papier zu bringen.145 Am 10. Juli legte er dem Büroleiter von Vaatz, Helmut Münch, einen von Iltgen verantworteten Vorschlag zur Tätigkeit und Arbeitsweise eines „Sächsischen Forums“ vor,146 das sich aus Vertretern aller Parteien und basisdemokratischen Gruppen sowie aus Volkskammerabgeordneten und Vertretern der Kreise zusammensetzen sollte, die Teil des Landes Sachsen werden wollten. Die Hauptaufgabe des Forums sollte in der öffentlichen Information über den Stand der Landesbildung liegen. Interessierte Bürger sollten in umfassender Weise in die Diskussion der Vorgehensweise einbezogen werden, um so den direktdemokratischen Charakter der Landesbildung zu unterstreichen. Allerdings sollten Anregungen des Sächsischen Forums an den Koordinierungsausschuss nur empfehlenden Charakter haben. Es würde somit nicht mit der Arbeit des Koordinierungsausschusses als dem Stellvertreterbereich des Regierungsbevollmächtigten kollidieren, sondern diesem lediglich die Öffentlichkeitsarbeit abnehmen. Dadurch war die demokratische Legitimierung des Regierungsbevollmächtigten und seines Stellvertreters für die Landesbildung durch die Regierung der DDR nicht in Frage gestellt. Zwei Tage nach Vorlage des Konzeptpapiers trat der Dresdner Runde Tisch am 12. Juli zu seiner letzten Sitzung zusammen. Hier nun stand die Frage im Raum, welcher Art das künftige sächsische Gremium sein werde. Iltgen, inzwischen CDU-Mitglied und im Koordinierungsausschuss als Strukturbeauftragter für die Bildung des Landtages nominiert, trug dem Runden Tisch den Vorschlag zur Bildung eines „Sächsischen Forums“ vor. Noch vor Beginn der Sitzung erschien in der Presse ein Interview, in dem Iltgen den Vorschlag erläuterte, „dass in Vorbereitung der Landesbildung ein Sächsisches Forum die Arbeit der Runden Tische weiterführt, in dem alle Parteien und basisdemokratischen Kräfte vertreten sind. Dieses Forum könnte den Regierungsbeauftragten und Koordinierungsausschüssen beratend zur Seite stehen.“ Iltgen bezeichnete zwar das Anliegen, die Arbeit des Runden Tisches zu beenden, als berechtigt, verwies aber darauf, dass die Auflösung der Staatssicherheit und die Bildung des Landes Sachsen aus Sicht des Runden Tisches noch nicht befriedigend gelöst seien. Wenn hier „noch ein Schritt zu mehr Glaubwürdigkeit hin getan würde, könn145 Interview Erich Iltgen. 146 Koordinierungsausschuss Sachsen, Abteilung Wahlvorbereitung, an Helmut Münch vom 10. 7.1990: Vorschlag zur Tätigkeit und Arbeitsweise des Sächsischen Forums (Arbeitstitel) (HAIT, Iltgen, 3); Koordinierungsausschuss Sachsen, Abteilung Vorbereitung Landtag: Aktennotiz von Gustav Rust über ein Gespräch mit Helmut Münch am 10. 7. 1990 (HAIT, KA, 20). Auch nach Erinnerung von Vaatz war es Iltgen, dem einfiel, „dass man zur Ergänzung des Runden Tisches ein Gremium von interessierten Leuten aus allen Ecken und Enden Sachsens schaffen müsse, wo auch vorgetragen werden sollte, was als nächstes passiert“. Interview Arnold Vaatz. In: Kleimeier, Sachsen, S. 104 f.

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te der Runde Tisch wohl auch diese beiden Anliegen im Wesentlichen als abgeschlossen betrachten und damit die Aufgabenbereiche, die er sich selbst gestellt hatte, in neue Hände übergeben.“ Ein Regionalausschuss wäre in seiner Wirksamkeit auf den Bezirk Dresden beschränkt, was man aber brauche, sei ein sachsenweites Forum.147 Vor dem Runden Tisch wiederholte Iltgen seine bereits in der Presse vorgetragenen Argumente, und der Runde Tisch des Bezirkes Dresden stimmte Iltgens Vorschlag zur Bildung eines von Iltgen geleiteten Sächsischen Forums einstimmig zu.148 Der Dresdner Runde Tisch werde, so Iltgen, seine Arbeit „in Verantwortung und Geist dieses neuen demokratischen Instrumentes“ fortsetzen und auf eine breitere Basis stellen.149 Er nutzte die Gelegenheit zur Würdigung des Runden Tisches, der den tiefgreifenden Wandlungsprozess im Lande „durch den Gedankenaustausch, durch das Wollen der Partner oder Kontrahenten, aufeinander zuzugehen, vor allem einander zuzuhören; durch die Bereitschaft aller Beteiligten, gemeinsame Entscheidungen mitzutragen, auch wo sie den eigenen Vorstellungen zuwiderliefen“ überhaupt erst ermöglicht habe. Der Wille, sich in eine solche Gemeinsamkeit einbinden zu lassen, sei eine Besonderheit der Runden Tische gewesen, die es in dieser Form in der politischen Landschaft wohl nie wieder geben werde. Außerdem habe der Runde Tisch durch die Einbeziehung basisdemokratischer Gruppen ein hohes Maß an gesellschaftlicher Mitwirkung und Transparenz ermöglicht. Iltgen plädierte dafür, auch künftig eine Form zu finden, die die direkte Einflussnahme der Bevölkerung auf politische Entscheidungen und Prozesse gewährleiste. Die Art des Umgangs am Runden Tisch, die Transparenz und die Einbeziehung von Öffentlichkeit seien auch für die künftigen politischen Strukturen bewahrenswert. Um eine ähnlich breite Mitarbeit wie am Runden Tisch zu gewährleisten, wurden alle Parteien, Bewegungen und Verbände der drei Bezirke aufgefordert, je einen Vertreter in das Sächsische Forum zu entsenden. Zur Mitarbeit eingeladen werden sollten auch Persönlichkeiten, die Wesentliches zur friedlichen Revolution beigetragen hatten und als deren Repräsentanten galten. Alle diese Argumente konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Machtbefugnisse zur Landesbildung von nun an praktisch ausschließlich in der Hand des Koordinierungsausschusses lagen. Die Tatsache, dass der Dresdner Runde Tisch dies akzeptierte, lag daran, dass der Koordinierungsausschuss von Vertretern neuer politischer Kräfte dominiert wurde, dessen personelle Zusammensetzung, so Iltgen, „sicherte, dass der alte Machtapparat wenig Einfluss auf zukünftige personelle Besetzungen der neuen Ministerialstrukturen und Ämter nehmen konnte“. Da mit der Nominierung von Vertretern neuer Kräfte zu Strukturbeauftragten des Koordinierungsausschusses diese entscheidende Positionen besetzt hatten und die Arbeitsfähigkeit des Koordinierungsausschusses gesichert schien, war der Runde Tisch Dresden 147 Vgl. Interview Erich Iltgen. In: die Union vom 12. 7.1990. 148 Ein Protokoll des RTB Dresden vom 12. 7.1990 liegt nicht vor. 149 Die Union vom 12. 7.1990.

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bereit, sich in seiner ursprünglichen Form aufzulösen. Er schluckte die Kröte, dass der Koordinierungsausschuss nicht vom Sächsischen Forum legitimiert werden konnte, weil dieses gesellschaftliche Gremium im Prozess der Länderwerdung weder echte Kontrollfunktionen noch gar die Möglichkeit der Wahl und Abwahl exekutiver Organe hatte. Die Legitimationskette des Koordinierungsausschusses führte über die Volkskammerwahlen, die von der Volkskammer gewählte DDR-Regierung, dem von dieser ernannten Regierungsbevollmächtigten und dessen Ernennung seiner Stellvertreter zu deren Aktivität im länderbildenden Ausschuss. So blieb das Sächsische Forum, weit unterhalb des im ursprünglichen Konzept des Runden Tisches umrissenen Vorparlamentarischen Ausschusses angesiedelt, eher ein Kommunikations-, denn ein Kontrollorgan. „Dieses Forum“, so Iltgen im Zeitungsinterview, „soll dazu dienen, dass die neuen Verantwortungsträger ihre Entscheidungen und Arbeitsergebnisse der Öffentlichkeit vorstellen und dass diese unmittelbar rückfragen kann.“150 Klar war, dass sich mit der Entscheidung für ein Sächsisches Forum die Ablehnung der in Chemnitz geforderten Bildung eines Landesausschusses aus drei Regionalausschüssen verband. In Dresden wie in Leipzig war man nicht dem Beispiel anderer Runder Tische der Bezirke der DDR gefolgt, Regionalausschüsse zu bilden, die als Vertretung der Öffentlichkeit die Arbeit der Regierungsbevollmächtigten begleiteten. Iltgen sah nun auch keinen Sinn in deren Bildung mehr und begründete die Ablehnung damit, dass ein Regionalausschuss in seiner Wirksamkeit auf einen Bezirk beschränkt bleibe. Mit Blick auf das künftige Land Sachsen sei jedoch ein erweitertes, gemeinsames Forum aller drei sächsischen Bezirke sinnvoll und geboten. Da jedoch – wie vom Regionalausschuss Chemnitz gefordert – durchaus ein Landesausschuss als solche Form denkbar gewesen wäre, lag der Entscheidung ein anderes Kalkül zugrunde. Iltgen bestätigte denn auch die Befürchtung, Regionalausschüsse oder ein Landesausschuss könnten von den Mehrheitsparteien als rein repräsentative, quasi-demokratische Garnierung missbraucht werden. Deswegen stehe der Runde Tisch einem solchen Gremium skeptisch gegenüber. Es gewährleiste nicht das Maß an Öffentlichkeit, dass vom Dresdner Runden Tisch gewünscht werde.151 Biedenkopf verriet er später, man habe sich vor allem deswegen gegen einen Regionalausschuss entschieden, um „auf die Tendenz der Berliner Regierung, die Bildung der Länder wieder zentralistisch anzugehen“ zu reagieren.152 Damit entsprach das Sächsische Forum dem bisher vertretenen Konzept, die Neubildung Sachsens nicht allein von Berlin aus und bei so empfundener Ignorierung sächsischer Stimmen und Interessen vornehmen zu lassen. Die Bildung des Landes Sachsen sei, so Iltgen, „Sache der Sachsen selbst, nicht Angelegenheit einer Institution“.153 Eine wesentliche Aufgabe des Sächsischen Forums sollte es sein, Arbeitsstände und Dokumente des Koordinierungsausschusses der Öffentlichkeit 150 151 152 153

Vgl. Interview Erich Iltgen. In: Die Union vom 12. 7.1990. Vgl. ebd. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 353. Die Union vom 12. 7.1990.

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zugänglich zu machen und zur Diskussion zu stellen. Dazu lud Iltgen von nun an die Strukturbeauftragen bzw. Arbeitsstableiter zur Berichterstattung zu den Sitzungen des Sächsischen Forums ein. Nachdem als Datum der Gründung zunächst der 19. Juli avisiert worden war,154 trat das Sächsische Forum am 26. Juli in der Aula der Pädagogischen Hochschule Dresden erstmals zusammen.155 Von über hundert geladenen sächsischen Volkskammerabgeordneten waren sechs erschienen. Damit dokumentierten diese ziemlich klar, was sie von Iltgens Konkurrenzveranstaltung hielten. Eingeladen waren außerdem die Regierungsbevollmächtigten und ihre Stellvertreter für Länderbildung, die Oberbürgermeister der Städte Leipzig, Chemnitz und Dresden, die Landräte der beitrittswilligen Landkreise Hoyerswerda und Weißwasser, Bischöfe und Superintendenten der christlichen Kirchen, der Präsident des Verbandes der Jüdischen Gemeinden, Rothstein, der Leiter des Staatsarchivs Dresden, Reiner Groß, der Dirigent Kurt Masur, der Opernintendant Udo Zimmermannn, der Trompetensolist Ludwig Güttler, der Forscher Manfred von Ardenne und andere Persönlichkeiten, dazu Vertreter von Parteien und Gewerkschaften, Repräsentanten von Friedensinitiativen, Behindertenverbänden, des BUND, des Heimatschutzvereins, der Organisation der Touristen und Naturfreunde, des Städte- und Gemeindetags, des Seniorenverbandes Land Sachsen, des Regionalverbandes Privater Hauseigentümer und Vermieter, der Sorben, des Deutschen Roten Kreuzes, Vertreter der Medien sowie zahlreiche einzelne Bürgerinnen und Bürger.156 Viele Organisationen hatten sich in Schreiben an das Koordinierungsbüro aufgrund der Zeitungsankündigungen und Aufrufe selbst zur Mitwirkung angeboten, etwa das Zentralinstitut für Geschichte der Akademie der Wissenschaft der DDR, der TÜV Sachsen, die Sächsische Friedensinitiative, die Volkssolidarität im Bezirk Dresden und der FDJ Landesverband Sachsen. Geladene Prominente, die der ersten Sitzung fernblieben, übersandten schriftlich Unterstützungsbekundungen, so der Apostolische Administrator von Görlitz, Bischof Huhn, wie auch Ludwig Güttler und Manfred von Ardenne. Es war erkennbar, dass das Sächsische Forum von einer breiteren Öffentlichkeit akzeptiert wurde. Vor insgesamt schließlich 157 Teilnehmern informierte Iltgen über das Anliegen des Sächsischen Forums, Vaatz über den Arbeitsstand bei der Erarbeitung der Verwaltungsstruktur des Landes Sachsen und Heitmann über den gegenwärtigen Stand bei der Ausarbeitung der Verfassung. Iltgen versuchte, die Legitimation der Runden Tische auf das Sächsische Forum zu übertragen und deutete an, dass daran gedacht sei, dieses Gremium auch nach Etablierung eines 154 Vgl. ebd. vom 13. 7.1990. 155 Niederschrift zur 1. öffentlichen Beratung des Sächsischen Forums am 26. 7.1990 (Dok. 102); Begrüßung durch Erich Iltgen auf der 1. Öffentlichen Beratung des Sächsischen Forums (Dok. 103); Bandaufzeichnung zur Niederschrift der 1. öffentlichen Beratung des Sächsischen Forum vom 26. 07.1990 (Dok. 104). 156 Geladener Personenkreis zur 1. öffentlichen Tagung des Sächsischen Forum am 26. 7. 1990 (Dok. 101).

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Landtages zu erhalten. In einem „geschichtlich beispiellosen Akt“ habe die Basisdemokratie die Runden Tische geboren, die, legitimiert durch den Willen des Volkes, vielfach legislative und administrative Aufgaben mit hohem Verantwortungsbewusstsein übernommen hätten. Sie seien zu „Hoffnungsträgern der Menschen guten Willens in unserem Land“ geworden, „die einzige Alternative für das Gelingen der friedlichen Revolution“ und „Kinderstuben für das Einüben demokratischer Spielregeln und Umgehensweisen mit politisch Andersdenkenden“ gewesen. Mit den Wahlen hätten sie ihre historische Aufgabe, „ein politisches Machtvakuum zu überbrücken“, erfüllt. Nun drohe das politische Credo der neuen, im revolutionären Prozess geborenen Parteien und basisdemokratischen Gruppen in Gefahr zu geraten, vergessen zu werden. Anliegen des Sächsischen Forums sei es daher, diesen und allen demokratischen Kräften und Parteien eine Plattform zu bieten. In diesem Sinne wolle das Sächsische Forum „vorhandene Demokratiedefizite von unten nach oben auffüllen“ und offen sein für demokratische Parteien, Basisgruppen, Bewegungen und Verbände. Durch seine Überparteilichkeit wolle es Brücke von der Öffentlichkeit zum Parlament sein. Es strebe nicht nach Macht, sondern nach Kompetenz. Es wolle nicht mit dem Parlament konkurrieren, sondern dieses ergänzen. Es stelle einen Versuch dar, Basisdemokratie in die Zukunft des Landes Sachsen einzubringen. Vaatz informierte über das Zustandekommen des Koordinierungsausschusses, über seine rechtliche Stellung, personelle Zusammensetzung und die Aufgabenverteilung unter den Strukturbeauftragten. Er umriss die künftige Ministerialstruktur und den dreistufigen staatlichen Verwaltungsapparat. Anschließend stellte Steffen Heitmann den „Gohrischer Entwurf“ vor.157 Für ihn sei es „ungemein bewegend“, vor dem Sächsischen Forum den fast fertigen Text einer sächsischen Verfassung vorstellen zu können. Nach einer „Phase beispielloser Verödung und Verblödung“ erlebe man nun eine „Neugeburt Sachsens“. Es zeige sich, dass die Zeit der Nichtstaatlichkeit Sachsens „eine tausendjährige Tradition“ nicht habe zerstören können. Zwar wurde bei der ersten Sitzung des Sächsischen Forums betont, es handele sich um ein gesamtsächsisches Gremium; in Chemnitz zumindest empfand man dies aber vielleicht auch deswegen ganz anders, weil Einladungen zum Treffen hier erst am Tag der Veranstaltung eingingen. Kritisiert wurde später auch, dass die Termine des Sächsischen Forums für Bewohner des ländlichen Raums kaum wahrnehmbar waren, weswegen erneut vor allem Städter, insbesondere Dresdner, gekommen seien.158 Paul-Willi Heilmann, stellvertretender Regierungsbevollmächtigter des Bezirkes Chemnitz, erklärte noch eine Woche nach dem Treffen: „Dieses ‚Sächsische Forum‘ kennen wir noch gar nicht. Die staatliche Seite ist da nicht mit einbezogen worden.“159 Georg Schäfer, Dezernent für Landesangelegenheiten in der Chemnitzer Stadtverwaltung, der trotz 157 Verfassung des Landes Sachsen, Gohrischer Entwurf, Vorabdruck für das Sächsische Forum, Dresden 1990 (HAIT, KA, 66). 158 Interview Günther Kleinschmidt. 159 Junge Welt vom 2. 8.1990.

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verspäteter Einladung nach Dresden gefahren war, meinte, beim Sächsischen Forum handele es sich „offenbar um eine Informationsveranstaltung“, allerdings sei betont worden, dass das Forum in weiteren Treffen als Arbeitskreis beraten wolle. Er habe in Dresden „eine dünne Besetzung der Chemnitzer“ zur Kenntnis nehmen müssen. Deswegen sollte Chemnitz in diesem Arbeitskreis, der im 14tägigen Rhythmus arbeiten wolle, besser vertreten sein. Sonst stimme der Ansatz nicht, und man müsse angesichts der Überrepräsentation von einem „Dresdner Forum“ sprechen. Bei der Dresdner Tagung seien die Vortragenden im Wesentlichen aus Dresden gekommen. Er sähe die Gefahr, dass Chemnitz übergangen werde.160 Nach dieser Kritik wurde die Thematik am 2. August im Regionalausschuss Länderbildung der BVB Chemnitz beraten.161 Hier teilte Buttolo mit, dass die Chemnitzer Forderung nach Bildung eines Landesausschusses von Dresden und Leipzig nicht mitgetragen werde und auf Vorschlag des Runden Tisches Dresden ein „Sächsisches Forum“ gegründet worden sei.162 Trotz der Kritik empfahl Buttolo, dass der vom Regionalausschuss Chemnitz bestätigte ursprünglich für den Landesausschuss und die Arbeitsgruppe Verfassung vorgesehene Personenkreis sich künftig an den Beratungen des Sächsischen Forums beteiligt.163 Ungeachtet dieser Akzeptanzprobleme in Chemnitz und Leipzig profilierte sich das Sächsische Forum bald als von allen Bezirken und neuen sächsischen Kreisen angenommenes Gremium der sächsischen Öffentlichkeit. Es zeigte sich, dass Iltgen mit seiner zunächst skeptisch beurteilten Idee eines sachsenweiten öffentlichen Forums ohne einen wie auch immer gearteten parlamentarischen Charakter die einzig denkbare Brücke zwischen zentral gesteuerter Landesbildung und interessierter sächsischer Öffentlichkeit geschlagen hatte. Mit dem auf intimer Kenntnis sächsischer Stimmungslagen basierenden Konzept spielte Iltgen damit im weiteren Landesbildungsprozess eine „Schlüsselrolle“.164 Es war ihm gelungen, eine Kontinuität von der Idee des Runden Tisches zum Landtag zu schaffen. Über diese symbolische, so Rößler, habe das Forum aber auch eine sehr praktische Bedeutung gehabt. Oftmals habe es „geholfen, wenn wir im Koordinierungsausschuss unter den Druck der Ost-Berliner Regierung kamen. Dann hat Erich Iltgen – Gott sei Dank – uns wieder rausgeholfen, weil er über eine Struktur verfügte, die autonom war.“ Während der Koordinierungsausschuss von der Regierung abhängig gewesen sei, habe das Sächsische Forum „ein Stück sächsische Eigenständigkeit“ verkörpert. Im Nachhinein gebe die Entwicklung Iltgen „vollkommen Recht“. Mit seiner Initiative habe er sich große Verdienste bei der Verhinderung einer Entwicklung erworben, wie sie in den 160 Vgl. Die Union, Ausgabe Chemnitz, vom 2. 8.1990. 161 Protokoll der Sitzung des Regionalausschusses Länderbildung, AG allgemeine Verwaltung am 2. 8.1990 (RPL, 0141.0). 162 Albrecht Buttolo an Wolf-Dieter Beyer vom 9. 8.1990 [fälschlich 9.10.1990] (PB WolfDieter Beyer). 163 Regierungsbevollmächtigter der BVB Chemnitz, Albrecht Buttolo, an die Vertreter des Bezirkes Chemnitz im Sächsischen Forum vom 9.8. [fälschlich 10.] 1990 (SächsStAC, BVB, 152199). 164 Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003.

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anderen Ländern gelaufen sei.165 Das Forum habe auch deswegen Bedeutung gehabt, weil in Wechselwirkung mit der Öffentlichkeit „so etwas wie Legitimation“ für die Arbeit des Koordinierungsausschusses entstanden sei, die sich auf die Landesstrukturbeauftragten übertrug, die vor dem Forum Arbeitsberichte gaben und sich den Fragen der Bevölkerung stellten.166

5.2

Ländereinführungsgesetz und Bestimmung der Grenzen Sachsens

5.2.1 Bestimmungen des Ländereinführungsgesetzes vom 22. Juli 1990 Am 22. Juli 1990 verabschiedete die Volkskammer das „Verfassungsgesetz zur Bildung von Ländern in der Deutschen Demokratischen Republik – Ländereinführungsgesetz“.167 Parallel zum Ländereinführungsgesetz wurden am 22. Juli ein Länderwahlgesetz und eine Länderwahlordnung nach bundesdeutschem Muster verabschiedet.168 Vor der Abstimmung betonte Minister Preiß die Bedeutung föderaler Strukturen als wesentliche Voraussetzung der Wiedervereinigung. Das Gesetz führe zur endgültigen Umwandlung zentralistischer in föderative Staatsstrukturen, die, gepaart mit kommunaler Selbstverwaltung, Machtkonzentration und -missbrauch entgegenwirkten. Er schlug vor, den noch zu bestimmenden Tag der Landtagswahlen als Beginn der staatsrechtlichen Existenz der Länder festzulegen.169 Schon vor de Maizières Regierungserklärung am 19. April stand fest, dass fünf Länder gebildet werden würden. Ende Mai hatte in Sankt Augustin ein Expertenseminar zum Ländereinführungsgesetz stattgefunden, an dem Vertreter der DDR-Regierung und aller Bundesländer teilgenommen hatten. Hier war sowohl die Fünf-Länder-Variante akzeptiert worden, als auch die Tatsache, dass „aus technischen Gründen von den bestehenden Bezirksterritorien ausgegangen werden“ müsse.170 Bereits Ende April hatte Bundesinnenminister Schäuble Preiß bei dessen Antrittsbesuch klargemacht, dass sowohl die Länder als auch der Bund beim Ländereinführungsgesetz ein Mitspracherecht wünschten, da ihre Interessen berührt seien.171 Den Rückgriff auf die Länderstrukturen der 165 166 167 168 169

Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003. Matthias Rößler beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. LEG vom 22. 7.1990 (Dok. 98). Gesetz über die Wahlen zu den Landtagen. Ausführungen des Ministers für regionale und kommunale Angelegenheiten, Manfred Preiß, zum Ländereinführungsgesetz vor der Volkskammer am 22. 7.1990 (BArch B, DO 5, 17/262–276). 170 Protokoll des Expertenseminars zum Ländereinführungsgesetz der DDR am 28./29. 5. 1990 in der Konrad-Adenauer-Stiftung Sankt Augustin (BArch, B 106, 301134, VI1110851/0, Band 6). 171 BMI, AL 0 an AL V: Einführung von Ländern in der DDR vom 30.4.1990 (ebd., 301132, VI1–110851/0, Band 3).

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Nachkriegszeit bezeichnete Schäuble als „naheliegend“, auch wenn diese, außer Sachsen und Thüringen, nicht historisch gewachsen seien. In einer Gesprächsvorlage hieß es, Schäuble solle Preiß darauf hinweisen, dass nach Artikel 29 des Grundgesetzes „dem Willen der Gebietsbevölkerung größte Bedeutung bei Ländergrenzänderungen beigemessen“ werde. Deshalb sei es „zu begrüßen, dass die Pläne der DDR vorsehen, Änderungen der Ländergrenzen gegenüber dem Bestande von 1952 dem Bürgerentscheid zu unterwerfen“. Der Passus zeigt, dass das spätere Abrücken der DDR-Regierung von Plebisziten zugunsten unverbindlicher Bürgerbefragungen entgegen anderslautenden Empfehlungen der Bundesregierung erfolgte und nicht der Intention des Grundgesetzes entsprach. So wurde auch die Aufforderung ignoriert, dass „die Möglichkeit zur Korrektur unter Berücksichtigung des Volkswillens während der Übergangszeit bis zur vollen deutschen Vereinigung offen gehalten werden“ sollte. Zwar sei, so Schäuble, eine Änderung des Gebietstandes einmal etablierter Länder nur sehr schwer durchsetzbar, gleichwohl müsse „die Möglichkeit dafür schon deshalb gegeben bleiben, damit dem in dieser Hinsicht besonders sensiblen Volkswillen ein Ventil gelassen“ werde.172 Wichtig war dem Bundesinnenministerium auch ein Hinweis auf die Bedeutung der Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern für die föderale Struktur. Eine Zuständigkeitsverteilung, die in wesentlichen Punkten von derjenigen in der Bundesrepublik Deutschland abweiche, erschwere ein harmonisches Zusammenwachsen beider Teile Deutschlands und mache den Ausgleich unterschiedlicher Leistungsfähigkeit mit den Mitteln des Finanzausgleichs äußerst problematisch.173 In einem Schreiben an Preiß hatte auch der amtierende Vorsitzende der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder, der baden-württembergische Innenminister Dietmar Schlee, am 1. Juni betont, dass das Ländereinführungsgesetz für den sich in der DDR entwickelnden Föderalismus eine erhebliche Bedeutung habe und Rückwirkungen auf die Länderstruktur im vereinten Deutschland entfalten werde. Er hatte auf die Forderung der Innenministerkonferenz verwiesen, dass die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern im vereinten Deutschland nicht hinter den gegenwärtigen Regelungen des Grundgesetzes zurückbleiben dürfe. Zwischen alten und neuen Ländern müsse von Anfang an „ein möglichst hohes Maß an Homogenität“ erreicht werden, eine Forderung, die die Bundesländer mit ihrer finanziellen Ungleichbehandlung der neuen Länder freilich zugleich selbst ad absurdum führten. Das Gesetz müsse klarstellen, dass die Länder grundsätzlich für die Gesetzgebung zuständig seien. Gesetzgebungszuständigkeiten des Bundes sollten wie nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland aufgeführt werden, so dass erkennbar werde, dass 172 BMI, Abt. O.: Betr. Antrittsbesuch des Ministers für regionale und kommunale Angelegenheiten der DDR, Manfred Preiß, am 27.4.1990 im BMI, Teil 4.1: Gesprächsführungsvorschlag (ebd., Band 2). 173 BMI, Abt. O.: Betr. Antrittsbesuch des Ministers für regionale und kommunale Angelegenheiten der DDR, Manfred Preiß, am 27. 4.1990 im BMI, Teil 4.1: Gesprächsführungsvorschlag (ebd.).

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hier ein Regel-Ausnahme-Verhältnis bestehe. Das Gesetz sollte auch klarstellen, dass die Länder für die Verwaltung grundsätzlich selbst zuständig seien, der Bund dagegen nur in besonders bezeichneten Fällen. Schlee hatte auch auf das Problem verwiesen, dass das DDR-Recht deutlich in Bundes- und Landesrecht entsprechend der zukünftigen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern überzuleiten sei.174 Anders als die Regierung und die westlichen Bundesländer waren Vorab-Institutionen der betroffenen neuen Länder nicht in die Ausarbeitungen einbezogen. Da auch die Runden Tische der Bezirke trotz anderslautender Vorschläge, zum Beispiel des Demokratischen Aufbruchs in Thüringen, nicht beteiligt wurden, lag die Föderalisierung allein in den Händen der Zentralinstanz.175 Dabei gab es, wie das sächsische Beispiel zeigt, nicht nur ein Interesse daran, über das eigene Schicksal mitzuentscheiden, ja es gab sogar ein massives Drängen und den Anspruch, Gremien zu schaffen, um mit deren Hilfe die Öffentlichkeit der betroffenen Regionen in den Prozess einzubinden. Diese wurden in der DDRRegierung aber ebenso ungern gesehen wie die Büros der Bundesländer in der DDR, von denen aus die Landesbildung dezentral unterstützt wurde. So kritisierte der zuständige Abteilungsleiter des Ministeriums für regionale und kommunale Angelegenheiten bei einem Besuch im Bundesinnenministerium, dass die Bundesländer zunehmend Ansprechstellen, teilweise „Vertretungen“ errichteten und hierbei jeweils für ihre spezielle Verfassungs- und Verwaltungsstruktur warben. Dudek, der schon unter Modrow mit der Thematik befasst war, betonte, von seinem Ministerium werde „eine einheitliche Ausrichtung der künftigen Länderverwaltungen angestrebt“.176 Der überzogene Zentralismus fiel auch der Bundesregierung auf, allerdings hielt man sich hier mit Kritik zurück, kam die Haltung der DDR-Regierung doch dem eigenen Bestreben nach einem zügigen Erreichen der staatlichen Einheit entgegen. Symptomatisch für diese Sichtweise der Bundesregierung mag eine Vorlage des Leiters des Rechtsreferates des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen vom 27. Juni sein, in der es hieß, man verzichte auf eine „verfassungstheoretische Spekulation darüber, ob es gut ist, die neuen Länder durch ein Ländereinführungsgesetz der Volkskammer sozusagen von oben her zu verordnen. Dem Sinn des Bundesstaatsprinzips mit seinen wichtigen Auswirkungen für die Gestalt und das Leben des gesamten Gemeinwesens hätte es vielleicht mehr entsprochen, den neuen Ländern der DDR als künftigen Gliedern des Bundes mit eigenständiger staatlicher Hoheitsmacht bei ihrer Wiederherstellung stärkere Mitgestaltungsmöglichkeiten einzuräumen.“177 174 Dietmar Schlee an Manfred Preiß vom 1. 6.1990 (BArch B, DO 5, 98). 175 Vgl. Kilper/Lhotta, Föderalismus, S. 248. 176 BMI, Abt. O.: Betr. Antrittsbesuch des Ministers für regionale und kommunale Angelegenheiten der DDR, Manfred Preiß, am 27. 4.1990 im BMI, Teil 4.4: Fachliche und personelle Hilfeleistung (BArch, B 106, 301132, VI1–110851/0, Band 2). 177 BMB, IIA3, Dr. Mahnke: Betr. Besprechung der Chefs des Bundeskanzleramtes mit den Chefs der Staats- und Senatskanzleien der Länder zur deutschlandpolitischen Situation am 5. 7.1990 (ebd., B 137, 10857, 3440).

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Derartige Bedenken hinderten Bundesinnenminister Schäuble freilich nicht, den Entwurf des Ländereinführungsgesetzes „uneingeschränkt“ zu begrüßen.178 Nach einer Beratung Reichenbachs mit den Staatssekretären179 bestätigte der Ministerrat am 13. Juni den Entwurf des Ländereinführungsgesetzes zur Übergabe an die Volkskammer.180 Diese behandelte das Gesetz daraufhin am 22. Juni in erster Lesung und überwies es an den Ausschuss für Verfassung und Verwaltungsreform, wo es am 4. Juli beraten wurde.181 Dem Ausschuss lagen 16 Stellungnahmen mitarbeitender Ausschüsse, ein weiterer kompletter Entwurf eines Länderbildungsgesetzes seitens der SPD-Fraktion sowie ein durchgehender Änderungsantrag der Fraktion der PDS vor. In die Bearbeitung wurden Vertreter des Ministeriums für regionale und kommunale Angelegenheiten einbezogen,182 jedoch – wie erwähnt – kein dafür autorisierter Vertreter der betroffenen Regionen. Wesentlicher Bestandteil des Gesetzes war die Festlegung der Fünf-LänderLösung und des Termins 14. Oktober für die ersten freien Landtagswahlen. Hierzu bezog Preiß angesichts anhaltender öffentlicher Kritik vor der Volkskammer ausführlich Stellung. Die Bildung von fünf Ländern sei das Ergebnis gründlicher Erwägungen vielfältiger politischer, ökonomischer, juristischer und ethnischer Gesichtspunkte einschließlich sozialer und kultureller Faktoren der künftigen Einordnung in den gesamtdeutschen Rahmen. Es sei keine „vordergründige Scheinlösung“, die viel Geld und Zeit koste, wie tags zuvor „Neues Deutschland“ behauptet habe. Richtig sei allerdings, dass die Bildung von fünf Ländern aus vorwiegend wirtschaftlicher Betrachtungsweise und auch mit einem Blick auf ein europäisches Deutschland sicherlich nicht die optimalste Lösung sei. Von ausschlaggebender Bedeutung für den Regierungsvorschlag sei die Notwendigkeit gewesen, die Länderbildung innerhalb des laufenden Jahres mit vertretbarem gesellschaftlichen und finanziellen Aufwand zu realisieren. Einer grundsätzlichen Neugestaltung der Länder Deutschlands nach erfolgter Vereinigung stehe die jetzige Länderbildung nicht entgegen.183 Keine Erwähnung fand im Ländereinführungsgesetz die bislang von der Regierung favorisierte Länderkammer, die, so Preiß, angesichts der Dynamik des Wiedervereinigungsprozesses „für eine so kurze Zeit keinen Sinn“ mache. Es werde stattdessen bis zum Eintritt der DDR-Länder in den Bundesrat als Über178 BMI, AG VI1: Sitzungsunterlagen für die Sitzung der IMK am 29. 6.1990 in Bonn (ebd., B 106, 301133, VI1–110851/0, Band 4). 179 Protokoll über die Beratung des Ministers im Amt des Ministerpräsidenten der DDR vom 11. 6.1990 mit den Staatssekretären zur Vorbereitung der Ministerratsrunde am 13. 6.1990 (BArch B, DC 20, 8968,). 180 Beschluss des Ministerrates der DDR 11/8/90 vom 13. 6.1990 zum Entwurf des Verfassungsgesetzes zur Bildung von Ländern in der DDR (LEG) (ebd., DO 5, 93). 181 Verwaltung der Volkskammer der DDR: Information über Ausschusssitzungen in der Zeit vom 2.–6. 7.1990 (ACDP VII-012, 6135). 182 Volkskammer der DDR, 10. WP, 27. Tagung am 22. 7.1990, S. 1210 (Volker Schemmel SPD). 183 Ausführungen des Ministers für regionale und kommunale Angelegenheiten, Manfred Preiß, zum Ländereinführungsgesetz vor der Volkskammer am 22. 7.1990 (BArch B, DO5, 17/262–17/276).

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gangslösung eine Konferenz der Ministerpräsidenten geben.184 Dem Anliegen vieler Ausschüsse folgend wurde zudem in Paragraph 20 ein Einspruchsrecht der Länder bei der Republikgesetzgebung formuliert. Ein weiterer zentraler Punkt des Ländereinführungsgesetzes betraf das Verhältnis der entstehenden Länder zur Republik während der Übergangszeit bis zum Beitritt. Da die DDR danach nicht mehr existieren würde, musste geklärt werden, ob und inwieweit Einrichtungen der DDR samt Personal an die Länder oder den Bund übergehen würden. Geregelt werden mussten Bereiche wie das Bildungswesen, wo trotz des Übergangs der Verantwortlichkeit von der Republik auf die Länder für Kontinuität gesorgt werden musste. In diesem Zusammenhang hatte der Minister für Bildung und Wissenschaft, Hans Joachim Meyer, Preiß bereits am 18. Mai auf die Notwendigkeit von Übergangsregelungen hingewiesen. Bis zu einem Zeitpunkt, der „weit hinter der Länderbildung respektive dem Zusammentritt der Landtage“ liege, sei eine zentrale Unterstellung des Bildungswesens, aber auch der Universitäten, Hochschulen, wissenschaftlichen Bibliotheken, Museen etc. unter das Ministerium für Bildung und Wissenschaft notwendig.185 Übergangsregelungen waren freilich nicht nur im Bereich des Bildungswesens erforderlich. Anfang Juli wies Preiß Krause darauf hin, dass nach dem 14. Oktober eine ganze Anzahl bisher zentral wahrgenommener Aufgaben auf die Länder übergehen würden. Mit der Beschlussfassung über die Landesverfassungen und der Bildung von Landesregierungen würden diese in ihre gesetzgeberischen und verwaltungsseitigen Befugnisse eintreten. Zu diesem Zeitpunkt würden gemäß Ländereinführungsgesetz erhebliche zentrale Kompetenzen an die Länder übergehen, was Überleitungsgesetze und -regelungen erfordere, die teilweise – wie die Kommunalverfassung und Finanzgesetzgebung – bereits bestünden oder auf den Weg gebracht seien. Es werde in großem Umfang zur Überleitung maßgeblicher derzeitiger Aufgaben von zentralen Ministerien an Länderministerien kommen. Besonders betroffen seien die Ministerien für Bauwesen, Städtebau und Wohnungswirtschaft (Raumordnung, Landesplanung, Bauordnungsrecht), Finanzen (Landeshaushaltsrecht), Kultur (kulturelle Angelegenheiten, Denkmalschutz), Umwelt, Naturschutz, Energie und Reaktorsicherheit ( Naturschutz und Landschaftspflege), Inneres (Landespolizei und Landespolizeirecht sowie Sicherheits - und Ordnungsrecht), Bildung und Wissenschaft (Bildungswesen), Verkehr (Auftragsverwaltung der Autobahnen und Fernstraßen), Regionale und Kommunale Angelegenheiten (Kommunalrecht). Mit Übergang dieser Aufgaben an die Länder müsste durch entsprechende innerstaatliche Regelungen gewährleistet werden, dass zum entsprechenden Zeitpunkt auch Behörden und Einrichtungen, die künftig zum Aufgabenbereich der Länder gehören, an diese übergehen. Soweit Aufgaben auf die Länder übergehen, so Preiß, sollten auch die entsprechenden Verwaltungsorgane und sonstige der öffentlichen Verwaltung und Rechtspflege dienenden Einrichtungen der Republik einschließlich 184 Interview Manfred Preiß. In: Sächsische Zeitung vom 20. 7.1990. 185 Hans Joachim Meyer an Manfred Preiß vom 18. 5.1990 BArch B, DO 5, 163).

Zuordnung Kreise mit unklarer Landeszugehörigkeit

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Personal anteilig von den Ländern übernommen werden.186 Mitte Juli drängte Preiß, der Übergang derzeitiger Republikskompetenzen auf die künftigen Länder bzw. Bundesbehörden erforderten „ohne Zeitverzug Festlegungen durch jedes Ministerium, welche Organisationseinheiten und Einrichtungen mit Personal an die Länder übergehen“.187 Der Ministerrat war sich Mitte Juli zudem einig, dass für das Landesrecht zunächst die in der DDR geschaffenen Gesetze solange gelten müssten, bis die neuen Länder eigenes Landesrecht geschaffen hätten. Es wurden aber nicht nur Defizite hinsichtlich funktionierender Landesgesetzgebungen konstatiert; auch bei der Übernahme von Bundesrecht sei es zweckmäßig zu prüfen, „ob das dafür notwendige Rechtsbewusstsein und auch der zur Anwendung dieses Rechts erforderliche Apparat bereits vorhanden“ seien.188 Dem Drängen von Preiß war es wohl schließlich zu verdanken, dass nach Paragraph 22 des Ländereinführungsgesetzes Verwaltungsorgane und sonstige der öffentlichen Verwaltung oder Rechtspflege dienenden Einrichtungen der Republik, soweit sie nach diesem Gesetz Aufgaben der Länder wahrnahmen, samt Personal auf die Länder übergehen sollten. Das hätte sowohl eine Übernahme von Personal der Regierung als auch des Kaderstammes der Bezirksverwaltungsbehörden bedeutet und wurde nach heftiger Gegenwehr aus den entstehenden Ländern Anfang September gestrichen, nachdem es bereits in den Einigungsvertrag aufgenommen worden war.189

5.2.2 Zuordnung von Kreisen mit unklarer Landeszugehörigkeit im Vorfeld des Ländereinführungsgesetzes Zwar betonte Preiß bei jeder Gelegenheit, dass das Gesetz mit Zentralismus und Bürgerfeindlichkeit Schluss mache; jedoch musste sich die Regierung angesichts des wegen der Einigungsverhandlungen mit Bonn zügigen Vorgehens immer wieder Kritik gefallen lassen. So wurde immer wieder bemängelt, dass in den Prozess der Entscheidungsfindung die Bevölkerung kaum einbezogen und der Volkswille kaum respektiert werde.190 Was damit gemeint war, verdeutlicht ein Blick auf das Vorgehen von Regierung und Volkskammermehrheit bei der im Ländereinführungsgesetz anschließend geregelten Festlegung der Ländergrenzen am Beispiel Sachsens.191 186 Manfred Preiß an Günther Krause vom 5.7.90: Zuarbeit des Ministeriums für Regionale und Kommunale Angelegenheiten zu den Fragen an die Ressorts zur Vorbereitung des Staatsvertrages zur Herstellung der deutschen Einheit, Anlage (ebd., 12 ). 187 Ebd. 188 Protokoll der 17. (außerordentlichen) Sitzung des Ministerrates der DDR am 16. 7.1990 (BArch B, DC 20, 11626). 189 Siehe Kap. 5.4.3 und 5.5.1. 190 Vgl. u. a. Offener Brief des Kreisgerichtes des Stadt- und Landkreises Görlitz, der Staatsanwaltschaft der Stadt und des Kreises Görlitz, an Siegfried Ballschuh vom 17. 7.1990 (HAIT, KA, 24.1, 1). 191 Siehe auch Kapitel 6.1.2.

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Am 2. Mai hatte die Regierung nicht nur die Rückkehr zur Fünf-LänderStruktur beschlossen; im Zusammenhang damit war ebenso festgelegt worden, in Kreisen mit unklarer Landeszugehörigkeit Plebiszite durchzuführen. Auch bei diesem Beschluss hatte sich die Regierung zunächst auf Vorschläge der Regierungskommission gestützt, die Plebiszite in zwei Stufen empfohlen hatte, und zwar zunächst, vor Inkrafttreten eines Ländereinführungsgesetzes, in den Kreisen, die bis 1952 vollständig oder überwiegend, danach in Gebieten von Kreisen bzw. Gemeinden, die teilweise anderen Ländern angehörten.192 Mit der Entscheidung für Volksentscheide entsprach die Regierung der allgemeinen Erwartungshaltung und auch der Auffassung des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichtes, Roman Herzog, der ausdrücklich darauf verwies, dass der Weg einer Länderneugliederung im Artikel 29 des Grundgesetzes klar geregelt sei. Danach müssten in den Ländern Volksentscheide stattfinden, aus deren Gebieten oder Gebietsteilen ein neues oder neu umgrenztes Land gebildet werden sollte.193 Ähnlich war die Auffassung der Bundesregierung. So riet zwar das Bundesministerium des Innern davon ab, Korrekturen am früheren Gebietsbestand der Länder vorzunehmen, „da dies den im gesamtstaatlichen Interesse notwendigen Prozess ungebührlich verzögern würde“, betonte aber, dass die Möglichkeit von Korrekturen innerhalb der jetzigen DDR-Grenzen auch nach Eintritt in die Phase der Gesamtstaatlichkeit durch die DDR-Instanzen der eigenen Bevölkerung zugesichert werden sollte. Dem Volkswillen sei „besondere Berücksichtigung in Aussicht zu stellen“.194 Da mit den ersten freien Kommunalwahlen am 6. Mai auch neue Kreistage gewählt werden sollten, beschloss die Regierung, vor Verabschiedung eines Ländereinführungsgesetzes durch die Volkskammer, in den fünfzehn betroffenen Kreisen Plebiszite ausschließlich für das gesamte Kreisterritorium durchzuführen und im Ergebnis das gesamte Kreisgebiet entsprechend dem Mehrheitswillen dem gewünschten Land zuzuordnen. Abweichende Voten einzelner Gemeinden sollten nach der Länderbildung durch Staatsverträge zwischen den betroffenen Ländern geregelt werden. Es wurde vorgeschlagen, die Plebiszite bis Ende August abzuschließen und bis Mitte September in den Entwurf eines Ländereinführungsgesetzes einzuarbeiten. Mit dem Entscheid für das Mittel direkter Demokratie wurde nach vierzig Jahren zentralistisch-diktatorischer Bevormundung dem Bürgerwillen die Reverenz erwiesen, die in Sachen Länderbildung angemessen war. Außerdem entsprach es den Vorgaben des Grundgesetzes. Zur Überraschung der Betroffenen rückte die Regierung de Maizière jedoch nach ihrem zunächst klaren Votum zugunsten eines plebiszitären Verfahrens 192 Beschluss des Ministerrates der DDR 4/3/90 vom 2. 5.1990 zum Vorschlag für ein Gesetz zur Bildung von Ländern in der DDR einschließlich Ländergliederung (BArch B, DO 5, 92). Vgl. Bemerkungen zur Leitung der Beratung mit den Vorsitzenden der RdB bzw. beauftragten Stellvertretern am 23. 4.1990 (ebd., 164). 193 Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 21. 4.1990. 194 BMI, Referat VI1: Betr. Überlegungen zum Thema “Neugliederung in der DDR” vom 11. 4.1990 (BArch, B106, 301134, VI1–110851/0, Band 6).

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schon wenig später und im Zuge einer allgemeinen Zurückdrängung direktdemokratischer Gremien im Laufe des Mai von ihrem gerade erst gefassten Beschluss ab, das Volk selbst über seine Landeszugehörigkeit entscheiden zu lassen. Das hing damit zusammen, dass die Regierung nach ihrer Konstituierung wie die CDU-Führung der DDR auf das gerade erst errungene parlamentarische, repräsentativ-demokratische System setzte und, im Gegensatz zu den Intentionen des Grundgesetzes, den Sinn plebiszitärer Entscheidungen selbst bei Fragen der Verfassung oder der Landeszugehörigkeit ignorierte. Erste entsprechende Bedenken formulierte der CDU-dominierte Volkskammerausschuss für Verfassung und Verwaltungsreform am 23. Mai, als er beschloss, Preiß nahe zu legen, „im Bezug auf mögliche Bürgerbegehren zur Zugehörigkeit zu noch zu bildenden Ländern Empfehlungen auszuarbeiten und zu übergeben“.195 Hier deuteten sich bereits Einflussnahmen hinsichtlich der künftigen Länderzugehörigkeit von Kreisen und Kommunen an. Die Empfehlung kam der Regierung entgegen, befürchtete diese doch, durch Plebiszite in Sachen Länderbildung vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden. Noch bis Mitte Mai ging auch die Bundesregierung davon aus, dass es hinsichtlich der Ländergrenzen in der DDR Bürgerentscheide geben werde. Ein Referentenentwurf des Bundesministeriums des Innern vom 17. Mai schlug für den Fall, dass das Ländereinführungsgesetz eine Korrektur von Ländergrenzen im Ergebnis von Bürgerentscheiden in den 204 betroffenen Städten und Gemeinden vorsah, vor, dass Korrekturen durch Staatsvertrag zwischen den betroffenen Ländern vollzogen werden. „Kommt eine Vereinbarung nicht zustande, wird die Entscheidung durch Bundesgesetz nach Maßgabe der Ergebnisse der Bürgerentscheide getroffen“.196 Ohne dass Einzelheiten über den Entscheidungsfindungsprozess bekannt sind, beschloss die Regierung Ende Mai, in völliger Abkehr von den bisher vertretenen und grundgesetzkonformen Prinzipien, statt Plebisziten nur noch völlig unverbindliche Bürgerbefragungen durchzuführen, deren Ergebnisse die Kreistage zu bestätigen hatten. Dadurch konnten sich, wie vor allem hinsichtlich Sachsens auch mehrfach geschehen, die Abgeordneten betroffener Kreistage in ihren Beschlüssen über die Mehrheitsmeinung der Bevölkerung hinwegsetzen. Die Vorteile für die Regierung lagen auf der Hand, konnte sie doch über die ihr nachgeordneten Bezirksverwaltungsbehörden wie auch über die Parteischiene Einfluss auf die Entscheidungen der Kreistage nehmen. Preiß erläuterte die Motive der Umwandlung von Plebisziten in unverbindliche Befragungen durch sein Ministerium damit, dass es sonst hätte „passieren können, dass sich der Kreis Jessen für Brandenburg und eventuell die Kreise Herzberg und Liebenwerda für Sachsen-Anhalt entscheiden. In diesem Fall wären Enklaven entstanden, dies sollte aber von Anfang an nicht möglich sein. Bür195 Volkskammer der DDR: Beschlussprotokoll der 5. Sitzung des Ausschusses für Verfassung und Verwaltungsreform am 23. 5.1990 (ACDP, VII-012, 6139). 196 BMI, Ref. VI1: Vorläufige Stellungnahme zur Behandlung der Frage der Neugliederung in der Überleitungsgesetzgebung vom 17. 5.1990 (BArch, B106, 301134, VI1–110851/0, Band 6).

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gerentscheide wären jedoch endgültig gewesen. Durch den Begriff Bürgerbefragung konnten wir jedoch bei der Einarbeitung in den Gesetzesentwurf an die Volkskammer durch das Ministerium Einfluss nehmen.“197 Freilich ging es bei der Ersetzung von Plebisziten durch einfache Befragungen der Bevölkerung nicht – wie von Preiß suggeriert – um Begrifflichkeiten, sondern darum, ob die Bevölkerung in dieser Frage direkt oder ob ein von ihr gewähltes repräsentativdemokratisches Gremium entscheiden sollte. Auch das Argument der Enklavenbildung schien vorgeschoben. Da deren Bildung ohne Weiteres durch eine entsprechende Regelung zu verhindern gewesen wäre, liegen andere Gründe für die Entscheidung auf der Hand. So deutete sich zu diesem Zeitpunkt bereits eine erhebliche Zunahme des sächsischen Landesterritoriums samt Bevölkerung wie auch der Wirtschaftskraft Sachsens auf Kosten der angrenzenden Länder ab. Die Regierung sah angesichts eines drohenden Ungleichgewichts ihre auch von der Bundesregierung unterstützte Politik einer grundsätzlichen Rückkehr zu den bisherigen fünf Ländern in Frage gestellt, mit der auch alle denkbaren Hindernisse auf dem Weg zur staatlichen Einheit aus dem Weg geräumt werden sollten. Die Folgen der Entscheidung waren für das entstehende Sachsen, welches sich gegen die zentralistischen Tendenzen der Länderbildungspolitik der Regierung de Maizière198 nicht zur Wehr setzen konnte, im negativen Sinne weitreichend, musste es doch auf Territorium und Bevölkerungsteile verzichten, die im Falle eines Plebiszites sächsisch geworden wären. Am 6. Juni beschloss der Ministerrat eine Verfahrensregelung über Bürgerbefragungen,199 in der von Plebisziten keine Rede mehr war. Die Landräte wurden verpflichtet, allen Abstimmungsberechtigten der betroffenen Kreise bis zum 20. Juni Stimmscheine zuzustellen, die mit dem Kennwort „Bürgerbefragung“ gekennzeichnet und binnen eines Monats dem zuständigen Rat der Stadt oder der Gemeinde zurückgeschickt werden mussten. Die Auszählung sollte am 21. Juli, also einen Tag vor der vorgesehenen Verabschiedung des Ländereinführungsgesetzes, durch die Volkskammer erfolgen. Die Regierung beschloss, dass die jeweiligen Landräte dem Kreistag einen Beschlussvorschlag für einen Antrag an den Ministerrat zur Zuordnung des Kreises zu dem Land zu unterbreiten hatten, für das sich die Mehrheit der Bürger in der Befragung aussprach. Die Anträge sollten nach Bestätigung durch den Ministerrat in den Entwurf des Ländereinführungsgesetzes eingearbeitet werden. Damit wurde zwar der Landrat bei der Formulierung seines Antrages an den mehrheitlichen, allerdings nun völlig unmaßgeblichen Willen der Bürger gebunden, jedoch andererseits „berück197 Zit. in Schreiben des „Sachsenbundes“ an Helmut Kohl und die Bundesminister vom 3. 9.1991 (MAO, Schriftverkehr Länderbildung ab 1991, II). 198 Vgl. Richter, Zwischen zentralistischer Tradition, S. 242. 199 Beschluss des Ministerrates der DDR 10/21/90 vom 6. 6.1990 über die Verfahrensregelung zur Vorbereitung und Durchführung von Bürgerbefragungen in Kreisen, die bei der vorgesehenen Bildung von 5 Ländern der DDR durch Zusammenlegung von Bezirksterritorien vollständig bzw. überwiegend anderen Ländern als bis 1952 angehören (BArch B, DO 5, 93).

Bürgerbefragungen und Kreistagsbeschlüsse

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sichtigt, dass der Kreistag in seiner Entscheidung frei ist“.200 Zwar sollte „der mehrheitliche Wille der Bürger“ jedes Kreises nach dem jedenfalls verbal behaupteten Willen der Regierung seinen Ausdruck in dem vom jeweiligen Kreistag zu beschließenden Antrag an den Ministerrat finden, tatsächlich aber zielte die veränderte Haltung der Regierung gerade darauf, diesen Willen im Fall einer ungenehmen Entscheidung der Bevölkerungsmehrheit ignorieren zu können. Hinsichtlich der künftigen Form Sachsens hatten die Bewohner der Kreise Altenburg und Schmölln im Bezirk Leipzig nun eine Art unverbindliches Vorschlagsrecht hinsichtlich der Wahl zwischen Thüringen und Sachsen, die Kreise Delitzsch, Eilenburg und Torgau im Bezirk Leipzig zwischen Sachsen und Sachsen-Anhalt, die Kreise Hoyerswerda, Senftenberg und Weißwasser im Bezirk Cottbus zwischen Brandenburg und Sachsen. Bad Liebenwerda hatte zunächst nur die Wahl zwischen Sachsen-Anhalt und Brandenburg, später kam Sachsen als Option hinzu. Die Kreise wurden als einheitliche Abstimmungsgebiete definiert. Die Durchführung der Befragung wurde für den Kreis Hoyerswerda ausgesetzt, da hier hinsichtlich der Zugehörigkeit zu Sachsen bereits eine „rechtlich nachprüfbare“, durch den demokratisch gewählten Kreistag bestätigte Bürgerbefragung durchgeführt worden war. Mit ihrem Beschluss vom 6. Juni erreichte die Regierung zwar mehr Einfluss auf die künftige Gestalt der Länder, aber bereits in der Vorlage zum Beschluss war darauf hingewiesen worden, dass mit den Bürgerbefragungen territoriale Probleme der Kreise, die bis 1952 nur teilweise anderen Ländern angehört hatten, noch nicht gelöst waren. Entsprechend dem vorangegangenen Beschluss des Ministerrates vom 2. Mai sollten daher Befragungen und Entscheidungen zu diesen Gebieten auf Wunsch der Bevölkerung in Verantwortung der künftigen Länderregierungen erfolgen.201

5.2.3 Bürgerbefragungen und Kreistagsbeschlüsse vor Verabschiedung des Ländereinführungsgesetzes Lange vor den gesetzlichen Festlegungen hatten bereits kreisweite Bürgerbefragungen begonnen, vereinzelt bereits im Februar 1990, wie im Befragungsgebiet um Prenzlau, Strasburg und Pasewalk. Bis Ende Mai fanden Befragungen unter anderem in den Kreisen Hoyerswerda und Senftenberg statt. Diese konnten sich bereits auf den Ministerratsbeschluss vom 2. Mai über die Durchführung von Plebisziten stützen. Seit dem 6. Juni gab es mit dem Regierungsbeschluss über unverbindliche, vom Kreistag zu bestätigende Bürgerbefragungen eine 200 Volkskammer der DDR, 10. Wahlperiode: Information zur Drucksache 186 Antrag der Fraktion der DSU vom 2. 8.1990 (ebd., 137). 201 Ministerrat der DDR: Verfahrensregelung zur Vorbereitung und Durchführung von Bürgerbefragungen in Kreisen, die bei der vorgesehenen Bildung von 5 Ländern der DDR durch Zusammenlegung von Bezirksterritorien vollständig bzw. überwiegend anderen Ländern als bis 1952 angehören, vom 31. 5.1990 (ebd., DC 20, 11620).

Peter W. Baumann

Bayern

Gera

Bezirk

Halle

Bezirk

Altenburg

Schmölln

Eilenburg

Torgau

0

10

20 30

Bezirk Chemnitz

Chemnitz

Bezirk Leipzig

Leipzig

Delitzsch

40

50 km

R SF

Hoyerswerda H

Polen

Kreisgrenzen betroffener Kreise

Bezirksgrenzen 1952 - 1990

Weißwasser

Bürgerbefragung und Kreistagsbeschluss gegen Sachsen

Bürgerbefragung für Sachsen Kreistagsbeschluss gegen Sachsen

Bürgerbefragung und Kreistagsbeschluss für Sachsen

Bezirk Dresden

Senftenberg

Dresden

C

Bad Liebenwerda

Bezirk Cottbus

402 Ländereinführungsgesetz und Grenzen Sachsens

Karte 5: Bürgerbefragung und Kreistagsbeschlüsse zur Landeszugehörigkeit strittiger Kreise im Sommer 1990.

Bürgerbefragungen und Kreistagsbeschlüsse

403

neue gesetzliche Grundlage, auf der im Juni und Juli in insgesamt fünfzehn strittigen Kreisen Bürgerbefragungen stattfanden. Ihnen gingen überall intensive Auseinandersetzungen um die künftige Landeszugehörigkeit voraus, in denen sich Forderungen nach bestimmten Landeszugehörigkeiten, die aus vielfältigen historischen, ethnischen und kulturellen Faktoren resultierten, mit Fragen der Raumordnungs- und Wirtschaftsentwicklung vermischten.202 Einen Schwerpunkt der Auseinandersetzungen bildete seit Anfang des Jahres 1990 der 1952 geschaffene „Braunkohlebezirk“ Cottbus. Ein Blick in die Geschichte des Gebietes zeigt dessen wechselhafte territoriale Zugehörigkeit. Bereits im 6. Jahrhundert hatten die Elbslawen (Wenden) das Land östlich der Saale und Elbe bis zur Oder besiedelt. Während der Entwicklung der slawischen Stämme bildete sich unter anderen die ethnische Gruppierung der Sorben, darunter die Milzener und Lusizer, heraus. Im 9. Jahrhundert war die heutige Niederlausitz das Siedlungsgebiet der Lusizer, die auch der Lausitz (Luzica: Sumpfland) ihren Namen gaben. Die Lausitzer Sorben bewahrten trotz deutscher Ostsiedlung ihre Eigenständigkeit, nur die Randgebiete des späteren Markgrafentums Oberlausitz wurden weitgehend deutsch besiedelt. Um die Jahrtausendwende wurde das Bistum Meißen gegründet. Damit begann die Christianisierung der Slawen. Zum Bistum Meißen gehörten die Archipresbyterate Ober- und Niederlausitz mit den Klöstern Marienthal und Marienstern sowie Dobryluk und Neuzelle. Von 1368 bis 1635 gehörte die Lausitz zum Herrschaftsbereich Böhmens. 1346 schlossen sich Löbau, Görlitz, Bautzen, Lauban, Kamenz und Zittau zum Sechsstädtebund zusammen und erlangten große wirtschaftliche Bedeutung. Im Prager Frieden 1635 wurden die Markgrafentümer Ober - und Niederlausitz vom Königreich Böhmen an das Kurfürstentum Sachsen abgetreten. Durch den Wiener Frieden 1815 fiel die nördliche Hälfte Sachsens und damit auch das Gebiet um Weißwasser an Preußen. Der östliche Teil der Lausitz wurde dem Regierungsbezirk Liegnitz der preußischen Provinz Schlesien und die Niederlausitz der preußischen Provinz Brandenburg zugeschlagen. Seit seiner Herausbildung im 13. Jahrhundert gehörte das heutige Territorium des Kreises Weißwasser zu dem seit etwa 1500 so bezeichneten Gebiet der Oberlausitz, bis 1815 als nördlicher Teil des Görlitzer Kreises oder Amtes, ab 1815 als Teil des preußischen Kreises Rothenburg. Ausnahmen bildeten dabei Kromlau und Pechern als Teile des niederschlesischen Herzogtums Sagan. Die Exklave Kromlau kam im 19. Jahrhundert zum niederlausitzer Kreis Sorau, Pechern erst 1932 zum Kreis Rothenburg. Das Gebiet des Kreises Hoyerswerda und die nördlichen Teile des Kreises Senftenberg gehörten als Kreis Hoyerswerda, die Kreise Weißwasser, Niesky und Görlitz als Kreis Rothenburg von 1919 bis 1945 zum Regierungsbezirk Liegnitz (Provinz Niederschlesien). Nach 1945 wurde die brandenburgischsächsische Grenze im Bereich des Lausitzer Landrückens, entlang der etwa siebenhundert Jahre alten Grenze zwischen der Ober- und Niederlausitz, gezogen. Die Gebiete um Weißwasser und Hoyerswerda gelangten dadurch wieder zu 202 Zu den Ergebnisse der Bürgerbefragungen in den Kreisen siehe Tabelle 5 im Anhang.

404

Ländereinführungsgesetz und Grenzen Sachsens

Sachsen. Der Bezirk Cottbus wurde 1952 aus Teilen der Länder Brandenburg (zirka drei Fünftel des Bezirkes) sowie Sachsen-Anhalt und Sachsen (je zirka ein Fünftel) gebildet. Durch die Verwaltungsreform von 1952 entstanden aus dem Großkreis Niesky die Kreise Niesky und Görlitz im Bezirk Dresden und der Kreis Weißwasser, der ebenso wie der Kreis Hoyerswerda dem Bezirk Cottbus zugeordnet wurde. Vor dem Hintergrund der hier nur knapp skizzierten, wechselhaften Geschichte des Gebietes reichte ein Beschluss der Vertreter des Sorbischen Runden Tisches vom 13. Februar 1990 aus, um eine Auseinandersetzung über die künftige Landeszugehörigkeit auszulösen. Die Sorben plädierten, mit Ausnahme der Kreise Jessen, Herzberg und Bad Liebenwerda, für die Angliederung des Bezirkes Cottbus an Sachsen und wiesen zugleich Forderungen nach einem eigenen Land Lausitz als unrealistisch zurück. Ein kompletter Anschluss des Bezirkes Cottbus an Brandenburg wurde abgelehnt, da er den Sorben eine doppelte Teilung in ein ober- und niedersorbisches Gebiet sowie eine Teilung des obersorbischen Sprachraumes durch Übernahme der Kreise Hoyerswerda und Weißwasser in das Land Brandenburg brächte.203 Eine Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Als der Vorsitzende des Rates des Bezirkes Cottbus, Peter Siegesmund, vom Beschluss der Sorben erfuhr, ließ er am 15. Februar in der „Lausitzer Rundschau“ erklären, der gesamte Bezirk Cottbus gehöre zum Land Brandenburg, die Kreise Hoyerswerda und Weißwasser dürften nicht abgetrennt werden, da sie „ohnehin nur wenige Jahre zum Land Sachsen“ gehört hätten. Die Motive des Ratsvorsitzenden machte ein Schreiben an den Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, dem Partnerland Brandenburgs, Johannes Rau, deutlich, in dem er sowie die Vorsitzenden der Räte der Bezirke Potsdam und Frankfurt (Oder), Herbert Tzschoppe und Gundolf Baust, am 16. Februar ihre „übereinstimmende Absicht“ ausdrückten, das Land Brandenburg durch die Zusammenführung der bisherigen Bezirke Potsdam, Cottbus und Frankfurt (Oder) zu bilden.204 Am 21. Februar bekräftigte der Rat des Bezirkes Cottbus nochmals diesen Standpunkt. Nach Meinung Siegesmunds bestanden „keine ernsthaften historischen Gründe“ für eine Angliederung der Kreise Weißwasser, Hoyerswerda und von Teilen des Kreises Senftenberg an Sachsen.205 Zur weiteren Erarbeitung von Grundsätzen für die künftige politisch-territoriale Gliederung des Landes Brandenburg stimmte der Rat des Bezirkes Cottbus bereits der Bildung eines gemeinsamen Koordinierungsausschusses der drei Bezirke zu,206 der am 23. Februar erklärte, das Land Brandenburg durch Zusam203 Werner Srocka an Peter Siegesmund vom 16. 2.1990 (ebd., 24491). 204 Vorsitzende der RdB Cottbus, Frankfurt (Oder) und Potsdam an Johannes Rau vom 16. 2.1990 (ebd., 24494). 205 Peter Siegesmund an Peter Moreth, o. D., Anlage: Edith Lotzmann/Hermann Schubert: Die Landesgrenzen Brandenburgs – ökonomisch begründet und auf die Zukunft gerichtet. Cottbus, 20. 2.1990 (ebd., 144). 206 RdB Cottbus: Beschlussvorlage: Maßnahmen zur Vorbereitung der Herausbildung des Landes Brandenburg vom 21. 2.1990 (Brandenburg. LHA, Rep. 801, 24494).

Bürgerbefragungen und Kreistagsbeschlüsse

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menführung der Bezirke in ihren Territorialgrenzen des Jahres 1990 schaffen zu wollen.207 Unverkennbar versuchten die Ratsvorsitzenden, die bisherigen Bezirke als künftige brandenburgische Verwaltungseinheiten und eigene Machtbasis zu erhalten. Die Bevölkerung wurde nicht, wie bislang üblich, gefragt. Gegen das Vorgehen der Ratsvorsitzenden erhob sich nun im Südens des Bezirkes ein Proteststurm. Aus zahlreichen Orten gingen beim Rat des Bezirkes Unterschriftenlisten ein, in denen die Vorentscheidung kritisiert und eine Zugehörigkeit zu Sachsen gefordert wurde.208 Am 23. Februar erklärten Mitarbeiter des VEB Braunkohlewerkes Glückauf, Tagebau Bärwalde, der Rat des Bezirkes maße sich an, eigenständige Regelungen über die zukünftige Länderstruktur zu treffen, und ignoriere die Interessen der Bürger des Kreises. Vor Bildung der DDR hätten die Kreise Weißwasser und Hoyerswerda zum Land Sachsen gehört, weswegen sie eine Volksabstimmung über die Zugehörigkeit forderten.209 Auch der Sorbische Runde Tisch wies den Vorstoß der Räte der Bezirke zurück und verlangte die Einheit der Sorben in einem Verwaltungsgebiet sowie die „Unterstellung des gesamten obersorbischen Sprachgebietes unter eine einheitliche Verwaltung im Rahmen des Landes Sachsen“. Das bedeute die Angliederung der Kreise Weißwasser und Hoyerswerda an Sachsen, wie es dem Zustand vor 1952 entspräche. Der Sorbische Runde Tisch bezeichnete seine Forderung als eine „unbedingt zu beachtende und zu realisierende Minimalforderung des sorbischen Volkes“, die auch die Unterstützung der deutschen Mitbürger in diesen Gebieten erfahre. Mit der Einbeziehung des gesamten deutsch-sorbischen Gebietes in ein Land Sachsen durch die Angliederung des jetzigen Bezirkes Cottbus mit Ausnahme der Kreise Jessen, Herzberg und Bad Liebenwerda werde an die historischen Verhältnisse vor 1815 angeknüpft und die gesamte Lausitz, einschließlich des sorbischen Siedlungsgebietes, erstmals wieder unter eine einheitliche Verwaltung gestellt.210 Aber nicht nur die sorbische Bevölkerung bezog Stellung gegen die Haltung der Räte. In einem Brief an den Runden Tisch Weißwasser kritisierten zum Beispiel rund fünfzig Bürger, dass die Bevölkerung nur schrittweise und nach einer vorgefassten Meinung in den regionalen Entscheidungsfindungsprozess einbezogen werde. Das entspreche den Zuständen von 1952, als die Öffentlichkeit auch erst während der 2. Parteikonferenz der SED über die Veränderung der Länder informiert worden sei.211 Anfang März protestierte ein Bürgerkomitee aus Lindenau gegen die Vorentscheidung der Räte und forderte ebenfalls die 207 Protokoll zur Beratung des Koordinierungsausschusses zur Vorbereitung der Bildung des Landes Brandenburg am 23. 2.1990 (ebd., 24495). 208 Ebd., 24491. 209 Schreiben an den RdB Cottbus vom 23. 2.1990 (ebd.). 210 Standpunkt des Sorbischen Runden Tisches zum Vorschlag des RdB Cottbus zur Einbeziehung des gesamten jetzigen Bezirkes in ein zukünftiges Land Brandenburg vom 22. 2. 1990 (Dok. 14). Zu weiteren Einzelheiten siehe Kap. 5.2.6. 211 Herbert Werner an den Runden Tisch Weißwasser vom 26. 2.1990 (UB Grohedo, Reinhard Müller).

406

Ländereinführungsgesetz und Grenzen Sachsens

Zugehörigkeit zu Sachsen.212 Ein Bürger aus Bad Muskau erklärte: „Ihr ausgeklügeltes Spiel spielen wir nicht mit. Die Zeiten der Entmündigung und des Administrierens sind endgültig und für immer vorbei. Sie können Ihr Spielchen, ein Land Brandenburg zu konstruieren, durchaus forcieren, aber eines steht fest, der Kreis Weißwasser gehört zu und bleibt bei Sachsen.“213 Am 2. März protestierten die Beschäftigten der Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft (AWG) „Fritz Heckert“ aus Hoyerswerda. Die Entscheidung über die Landeszugehörigkeit dürfe nicht von Ratsvorsitzenden getroffen werden, die über keine demokratische Legitimation verfügten und „für die sozialistischen Errungenschaften und damit den wirtschaftlichen Ruin der DDR mitverantwortlich“ seien. Wenn „jeder Bezirksfürst um ein möglichst großes Territorium“ kämpfe, werde das „ein Feilschen ohne Ende“. Gefordert wurde daher „mit Entschiedenheit die Wiederherstellung der Länder in den Grenzen von 1952“.214 Das Neue Forum Weißwasser erklärte am 7. März, keinesfalls könne die Frage der künftigen Grenzen administrativ entschieden werden. Die historisch gewachsenen und bis 1952 gültigen Länderstrukturen seien im Bewusstsein vieler Bürger noch erhalten und müssten somit der Ausgangspunkt für die Neubildung von Ländern sein.215 Die Proteste gegen den Anschluss des gesamten Bezirkes Cottbus an das Land Brandenburg veranlassten auch das Institut für Denkmalpflege Dresden, eine künftige Zugehörigkeit der Kreise Hoyerswerda und Weißwasser zum Land Sachsen zu empfehlen. Dadurch würde die gesamte Oberlausitz und das Görlitzer Kirchengebiet wieder innerhalb eines Landes vereinigt werden.216 Am 28. März erklärte die Sorbische Territorialkommission, die gegenwärtige Länderbildung dürfe kein bürokratisch-zentralistischer Amtsakt sein, sondern stelle einen demokratischen Prozess dar. In der Lausitz gebe es eine deutsch-sorbische Interessengemeinschaft hinsichtlich der Landeseinheit des Lausitzer Industriereviers wie des sorbischen/wendischen Siedlungsgebietes. Deswegen plädiere man dafür, die Ober- und Niederlausitz ungeteilt zu Sachsen kommen zu lassen.217 Am 24. April wiederholte auch der Rat des Kreises Weißwasser, dass von den Bürgern eine administrative Entscheidung über die Länderbildung durch die Räte der Bezirke nicht akzeptiert werde. Die Vertreter des Runden Tisches hätten sich deshalb die Aufgabe gestellt, gemeinsam Vorschläge für die zukünftige Landeszugehörigkeit des Kreises zu erarbeiten und zur Diskussion zu stel212 AG Lindenau (Bürgerkomitee) an den Koordinierungsausschuss „Künftige Länderstruktur“ vom 2. 3.1990 (Brandenburg. LHA, Rep. 801, 24491). 213 Fritz Günther an Peter Siegesmund vom 27. 2.1990 (ebd.). 214 Beschäftigte der AWG „Fritz Heckert“ an den RdB Cottbus und die Lausitzer Rundschau vom 2. 3.1990 (ebd.). 215 Neues Forum Weißwasser: Antragstellung zur Vorbereitung der Verwaltungsreform vom 7. 3.1989 (UB Grohedo, Reinhard Müller). 216 Diskussionsbeitrag das Instituts für Denkmalpflege Dresden zu einem künftigen Land Sachsen aus kulturgeographischer und kulturhistorischer Sicht vom 20. 3.1990 (BArch B, DO 5, 145,4). 217 „Sorbische Territorialkommission zur Frage Sachsen/Brandenburg: Standpunkte und Fragen.“ In: Lausitzer Rundschau vom 28. 3.1990.

Bürgerbefragungen und Kreistagsbeschlüsse

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len. Die Parteien und Organisationen sowie alle interessierten Bürger wurden aufgerufen, sich an der Diskussion über die zukünftige Landeszugehörigkeit zu beteiligen. Sowohl bei einer Fünf- wie bei einer Vier-Länder-Lösung lägen die Vorteile einer Zugehörigkeit zu Sachsen auf der Hand.218 Derartig massiv unter Druck gesetzt, machte der Cottbusser Ratsvorsitzende einen Rückzieher. In Antwortschreiben auf die verschiedenen Protestbriefe erklärte er, die in der Presse veröffentlichten Standpunkte stellten keinen Vorgriff auf Bestimmungen noch zu wählender Vertretungskörperschaften oder von Bürgerentscheiden dar. Allerdings habe der Rat des Bezirkes es als seine Aufgabe angesehen, Vorschläge zu unterbreiten.219 Angesichts der massiven Proteste aus der Bevölkerung war somit der Versuch des Rates des Bezirkes Cottbus gescheitert, den gesamten Bezirk als brandenburgische Verwaltungseinheit zu erhalten. Die Auseinandersetzungen verlagerten sich nun auf die südlichen, nach Sachsen drängenden Kreise des Bezirkes. Kreis Hoyerswerda: Wie wenig Rückhalt die Vorstellungen der Räte der Bezirke in der Bevölkerung des Kreises Hoyerswerda hatten, zeigte eine hier bereits Anfang Juni durchgeführte Volksbefragung, auf deren Grundlage der Kreistag am 18. Juni die Zugehörigkeit zu Sachsen beantragte. Der Kreis stellte hinsichtlich der Termine von Bürgerbefragung und Kreistagsentscheidung eine Ausnahme dar, weil sich der Mehrheitswille der Bevölkerung mit der Haltung von Rat, Kreistag und Rundem Tisch des Kreises deckte. Von Anfang an verband sich hier die Frage der künftigen Zugehörigkeit des Kreises mit der Zukunft des Gaskombinates Schwarze Pumpe, einem der zentralen Energiebetriebe der DDR. Angesichts des Strebens des Kreises Hoyerswerda nach Sachsen war absehbar, dass es zu einer Teilung des bisherigen Staatsbetriebes kommen würde, da der benachbarte Kreis Spremberg, auf dessen Territorium eine Hälfte des Kombinatsgeländes lag, auf jeden Fall zu Brandenburg gehören würde. Die künftige Landesgrenze ging mitten durch das Werksgelände, teilweise sogar durch einzelne Gebäude der Schwarzen Pumpe.220 Frühzeitig begann wegen der wirtschaftlichen Bedeutung eine erbitterte Auseinandersetzung um den Betrieb. In einem Beschlussantrag des Rates des Kreises an den Kreistag Spremberg vom 30. Januar hieß es, die Verknüpfung des Betriebes mit der Infrastruktur des Kreises sowie die Belastung des Territoriums in Bezug auf Umweltfragen erforderten dessen Zuordnung zum Gebiet Spremberg.221 Am 1. Februar forderte der Kreistag Spremberg daraufhin die Zuord-

218 Dietmar Kamenz: Gedanken zur zukünftigen Landesstruktur des Kreises Weißwasser, vom 24. 4.1990 (UB Grohedo, Hennerjürgen Havenstein). 219 Peter Siegesmund an Fritz Günther vom 12. 3.1990 (Brandenburg. LHA, Rep. 801, 24491). 220 Lageplan Schwarze Pumpe (HAIT, KA, 55). 221 Antrag des RdK vom 30.1.1990: Beschluss des KT Spremberg über die Grundposition für die künftige Gestaltung der Ländergrenze zwischen Brandenburg und Sachsen (Brandenburg. LHA, Rep. 801, 24494).

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Ländereinführungsgesetz und Grenzen Sachsens

nung des gesamten Gaskombinates Schwarze Pumpe zum Kreis Spremberg.222 Am 6. Februar konterte der Ratsvorsitzende von Hoyerswerda, Heinz Auerswald, gegenüber der Regierung, der künftige sächsische Kreis Hoyerswerda müsse über seine heutigen Grenzen hinaus durch die Mitübernahme der zum Kreis Spremberg gehörenden Gemeinde Schwarze Pumpe, des Territoriums des Gaskombinates sowie der Ortsteile Terpe der Gemeinde Schwarze Pumpe ergänzt werden, da seit 1955 unlösbare Bindungen zwischen dem Kreis und der Stadt Hoyerswerda sowie dem Gaskombinat Schwarze Pumpe gewachsen seien. Zwei Drittel der 15 000 Beschäftigten des Stammbetriebes kämen aus Hoyerswerda, das seine soziale Funktion „in erster Linie als Wohnstadt der Werktätigen des Gaskombinates“ erfülle. Eine Trennung des einheitlichen Komplexes durch eine Ländergrenze sei nicht vertretbar.223 Aber obwohl sich auch die Leitung des Stammbetriebes und des Gaskombinates für eine Zugehörigkeit zum Kreis Hoyerswerda und damit zu Sachsen stark machten,224 waren die Chancen auf eine komplette Übernahme gering. Dafür sorgten schon die Verantwortlichen im Rat des Kreises Spremberg, dessen Vorsitzender am 14. Februar gegenüber der Regierung erklärte, in der Bevölkerung gebe es eine „grundlegende Ablehnung“ gegenüber der Vorstellung, dass der Kreis Hoyerswerda Sachsen zugeordnet und das Gaskombinat Schwarze Pumpe von Spremberg abgetrennt werde. Runder Tisch und Kreistag des Kreises Spremberg forderten stattdessen erneut die Zuordnung des Kreises und des gesamten Gaskombinates zu Brandenburg.225 Zwar war das Bemühen um den wichtigen Wirtschaftsstandort verständlich, keinen Einfluss hatten die Verantwortlichen in Spremberg freilich auf die Entscheidung des Nachbarkreises Hoyerswerda, sich dem Land Sachsen anzuschließen. Hier konstatierte der Runde Tisch der Stadt und des Kreises am 28. März, dass die bisher von der Bevölkerung vorliegenden Meinungsäußerungen ausschließlich den Anschluss an das zukünftige Land Sachsen zum Inhalt hätten. Der Runde Tisch Hoyerswerda lehnte die ebenfalls diskutierte Errichtung eines Landes Niederschlesien mit Görlitz als Hauptstadt ab226 und beschloss noch am selben Tag die Durchführung einer Bürgerbefragung,227 deren Ergebnis schon festzustehen schien.228 Neben vielen anderen beschloss die Stadtverordnetenversammlung Bernsdorf mit großer Mehrheit, die Zugehörig222 Beschluss des KT Spremberg über die Grundposition für die künftige Gestaltung der Ländergrenze zwischen Brandenburg und Sachsen vom 1. 2.1990 (ebd.). 223 Heinz Auerswald an Peter Moreth vom 6. 2.1990 (ebd.). 224 Vgl. RdK Hoyerswerda: Überlegungen einer Länderzuordnung des Kreises Hoyerswerda vom 2. 4.1990 (BArch B, DO 5, 156). 225 Vorsitzender des RdK Spremberg an Peter Moreth vom 14. 2.1990 (ebd., 143). 226 „7. Runder Tisch beriet: Plädoyer für Land Sachsen.“ In: Lausitzer Rundschau vom 5. 4. 1990. 227 KT Hoyerswerda, Beschluss 06–02/90: Antrag auf Zuordnung des Kreises Hoyerswerda zu einem künftigen Land Sachsen entsprechend dem Mehrheitswillen der Bürger vom 18. 6.1990 (BArch B, DO 5, 138). 228 Runder Tisch Hoyerswerda an den Runden Tisch der Stadt Lauta, zu Händen von Pfarrer Klaus-Detlev Metzner, vom 12. 4.1990 (Privatarchiv Superintendent Friedhardt Vogel, Hoyerswerda).

Bürgerbefragungen und Kreistagsbeschlüsse

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keit zu Sachsen zu beantragen.229 Das Kollektiv des Frisiersalons „Anja“ in Hoyerswerda sammelte in zwei Tagen 136 Unterschriften für eine Zugehörigkeit zu Sachsen.230 Bei einer Diskussionsrunde am 20. März in Hoyerswerda sprachen sich fast alle Anwesenden dafür aus. Ebenso wurde bei allen Debatten am Runden Tisch und mit den Vorsitzenden der Ständigen Kommissionen sowie den Vertretern der Fraktionen des Kreistages eine Anbindung an Sachsen befürwortet.231 Meist ging man dabei von einer Wiederherstellung von fünf Ländern aus, aber auch die von der Regierungskommission in Betracht gezogene Vier-Länder-Lösung ohne Sachsen-Anhalt und mit einer Zuordnung größerer Teile des Bezirkes Cottbus zu Sachsen spielten eine Rolle. So befürwortete der CDUKreisverband Hoyerswerda in einem Schreiben an de Maizière die Vier-LänderLösung, durch die die gesamte Kohleindustrie im Land Sachsen konzentriert und die sorbische Bevölkerung wieder in einem Land vereint wäre. Aber auch für den Fall, dass die „große Lösung“ nicht komme, werde der Kreis Schritte zur Angliederung an Sachsen einleiten.232 Am 27. April erschien in der „Lausitzer Rundschau“ ein Aufruf des Runden Tisches Hoyerswerda, der um Mitarbeit bei einer Postwurfsendung an alle Haushalte des Kreises bat. Mit ihr sollten sich die Bürger an einer „Trendforschung“ zur Frage „Welchem zukünftigen Land soll Hoyerswerda angehören – Sachsen oder Brandenburg?“ beteiligen. Ausdrücklich verwies Heinz Auerswald darauf, dass es sich nicht um eine Volksbefragung handele. Die Postwurfsendung mit den erbetenen Rückantwortkarten solle nur dazu dienen, die bereits vorliegenden Bürgermeinungen, Standpunkte von Parteien und Organisationen zur Bildung der Länder besser beurteilen zu können. Er verwies auf die Broschüre „Überlegungen einer Länderzuordnung des Kreises Hoyerswerda“ des Runden Tisches, die bei den Parteien, in Kirchen und bei den Bürgermeistern der Städte und Gemeinden auslag.233 Noch Ende April wurden die Befragungsunterlagen verschickt, und die Bevölkerung hatte einen Monat Zeit für ihre Entscheidung. Ende Mai fand die Auszählung der Stimmen statt. Bei einer Wahlbeteiligung von 57,1 Prozent entfielen 87,8 Prozent der Stimmen (40 269) auf Sachsen und 12,2 Prozent (5 596) auf Brandenburg. Nur in den Gemeinden Lauta (33,3) und Spreewitz (35,3) lag der Anteil für Brandenburg über 30 Prozent.234 Lauta war die einzige Kommune des 229 RdK Hoyerswerda: Überlegungen einer Länderzuordnung des Kreises Hoyerswerda vom 2. 4.1990 (BArch B, DO 5, 156). 230 Kollegen des Salons „Anja“ an die Volkskammer vom 5. 4.1990. Anlage: Unterschriftenliste mit 136 Unterschriften (ebd., 147). 231 Runder Tisch Hoyerswerda an den Runden Tisch der Stadt Lauta, zu Händen von Pfarrer Klaus-Detlev Metzner, vom 12. 4.1990 (Privatarchiv Superintendent Friedhardt Vogel, Hoyerswerda). 232 CDU-KV Hoyerswerda an den CDU-Parteivorstand vom 23.4.1990 (BArch B, DO 5, 148). 233 „Sachsen oder Brandenburg?“ In: Lausitzer Rundschau vom 27. 4.1990. 234 RdK Hoyerswerda: Protokoll der Auszählung der Befragung zur Länderzuordnung des Kreises Hoyerswerda vom 1. 6.1990 (Brandenburg. LHA, Rep. 801, 23642); KT Hoyerswerda, Beschluss 06–02/90: Antrag auf Zuordnung des Kreises Hoyerswerda zu einem künftigen Land Sachsen entsprechend dem Mehrheitswillen der Bürger vom 18. 6.1990 (BArch B, DO 5, 138).

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Kreises, die bis 1952 nicht zum damaligen Kreis Hoyerswerda und somit nicht zu Sachsen gehört hatte. Sie erhielt später die Möglichkeit, einen Wechsel nach Brandenburg zu beantragen, von der dann allerdings kein Gebrauch gemacht wurde. In Hoyerswerda war somit die Bürgerbefragung bereits abgeschlossen, als der Ministerrat am 6. Juni die Durchführung von Bürgerbefragungen beschloss und von plebiszitären Entscheidungen in den Kreisen Abstand nahm. Zwar als Befragung deklariert, basierte die Postwurfsendung im Kreis Hoyerswerda dennoch auf dem vorhergehenden Beschluss der Regierung vom 2. Mai über die Durchführung von Plebisziten. Obwohl nur als „Trendforschung“ angekündigt, hieß es nun im Beschluss des Ministerrates vom 6. Juni ausdrücklich, dass im Kreis Hoyerswerda keine erneute Befragung stattfinden müsse, da hier bereits eine rechtlich nachprüfbare, vom Kreistag bestätigte Bürgerbefragung durchgeführt worden sei.235 Auf dieser Grundlage beantragte daraufhin die CDU-Fraktion auf der konstituierenden Sitzung des Kreistages Hoyerswerda am 6. Juni, die auf dem Postweg durchgeführte Befragung als Grundlage der eigenen Entscheidung anzusehen.236 Noch aber gaben die Vertreter des bisherigen Rates des Bezirkes Cottbus ihren Versuch nicht auf, den Bezirk zu erhalten und dem Land Brandenburg zuzuordnen. Hier dominierte neben dem Interesse am eigenen Machterhalt die Sorge vor den wirtschaftlichen Folgen einer Zerschlagung des DDR-„Energiebezirkes“. Ungeachtet der am 6. Juni erfolgten Anerkennung der Bürgerbefragung in Hoyerswerda durch die Regierung forderte Karl-Heinz Kretschmer, obwohl selbst neu ernannter Bevollmächtigter der Regierung im Bezirk, die Bürgerbefragung im Landkreis Hoyerswerda „entsprechend Ministerratsbeschluss“ zu wiederholen.237 Das wurde vom Kreistag Hoyerswerda abgelehnt, zugleich stellte er bei der DDR-Regierung gegen eine Stimme Antrag auf Zugehörigkeit zu Sachsen.238 Der Kreistag äußerte seine Genugtuung darüber, dass das Bürgerbegehren mit den Bestrebungen der sorbischen Mitbürger übereinstimme, bei der Länderbildung wenigstens die territorial einheitliche Zuordnung des obersorbischen Gebietes zum Land Sachsen zu sichern. Die Abgeordneten verwiesen darauf, dass die Entscheidung für Sachsen „natürlich unter der Maßgabe der gleichzeitigen Zuordnung des Territoriums des Gaskombinates Schwarze Pumpe zum Kreis Hoyerswerda und damit auch zu Sachsen abgegeben“ wor235 Beschluss des Ministerrates der DDR 10/21/90 vom 6. 6.1990 über die Verfahrensregelung zur Vorbereitung und Durchführung von Bürgerbefragungen in Kreisen, die bei der vorgesehenen Bildung von 5 Ländern der DDR durch Zusammenlegung von Bezirksterritorien vollständig bzw. überwiegend anderen Ländern als bis 1952 angehören (ebd., 93). 236 Geschäftsführender RdB Cottbus. Instrukteursabteilung: Information über die konstituierende Sitzung des KT Hoyerswerda vom 6. 6.1990 (Brandenburg. LHA, Rep. 801, 24475). 237 BVB Cottbus: Protokoll über die erste Konsultativberatung des Regierungsbevollmächtigten mit den Abgeordneten der Volkskammer des Wahlkreises Cottbus am 16. 6.1990 (ebd., 26411). 238 BVB Cottbus, Instrukteurabteilung: Kurzinformation zur 2. Tagung des KT Hoyerswerda am 18. 6.1990 (ebd., 24475).

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den sei. In diesem Sinne „sollte von vornherein zum jetzt im Kreis Spremberg liegenden Restterritorium im o.g. Sinne entschieden werden“. 239 Zwar erreichte der Kreis Hoyerswerda die Anerkennung seiner frühen Bürgerbefragung und des darauf basierenden Kreistagsbeschlusses, allerdings gingen seine Pläne hinsichtlich der Inkorporierung des gesamten Gaskombinates Schwarze Pumpe ebenso wenig in Erfüllung wie die des Kreises Spremberg. Kretschmer, der einen Anschluss Hoyerswerdas an Sachsen nicht verhindern konnte, wandte sich am 2. Juli an Minister Preiß und wies darauf hin, dass das Gaskombinat Schwarze Pumpe im Hauptanteil flächenmäßig auf dem Kreisgebiet Spremberg liege. Im Kreis habe es keine Bürgerbefragung zur Zugehörigkeit gegeben, weil dieses Gebiet von vornherein dem Land Brandenburg zugeordnet worden sei. Die „emotionale Entscheidung“ der Bürger des Kreises Hoyerswerda einerseits und der Standort des Gaskombinates Schwarze Pumpe im Territorium Spremberg andererseits dürfe nicht zur „Beugung von Gesetzlichkeiten“ führen.240 Am 12. Juli bestätigte Minister Preiß, dass das Territorium des Gaskombinates Schwarze Pumpe keinesfalls dem Kreis Hoyerswerda zugeschlagen werde. Wirtschaftliche Kooperation werde sich künftig über Kreis- und Ländergrenzen hinweg vollziehen. Die Bürgerbefragung und der Kreistagsbeschluss zur Landeszugehörigkeit bezögen sich ausschließlich auf den Kreis Hoyerswerda. Die Zuordnung des Territoriums des Gaskombinates Schwarze Pumpe sei nicht Gegenstand eines entsprechenden Antrages gewesen. Er werde das Problem des Kombinates zwar der Volkskammer zur Kenntnis geben, aber bereits jetzt sei klar, dass sich eine Entscheidung an den Kreisgrenzen orientieren werde.241 Die Volkskammer empfahl daraufhin am 22. Juli, dass die Länder Sachsen und Brandenburg hinsichtlich einer Einordnung des Territoriums des Stammbetriebs des ehemaligen Gaskombinates Schwarze Pumpe, inzwischen in „Energiewerke Schwarze Pumpe AG“ und „Brennstoff AG Schwarze Pumpe i. G.“ aufgeteilt, gesonderte Entscheidungen treffen und die Regierungsbeauftragten von Cottbus und Dresden dazu in Beratungen treten sollten.242 Nicht nur die Teilung des Kombinates Schwarze Pumpe stellte für Brandenburg und Sachsen eine Herausforderung dar. Beide Länder mussten sich mit den Folgen der Aufgliederung des Braunkohlereviers auseinandersetzen. So konstatierte der Cottbusser Regierungsbevollmächtigte unmittelbar vor der Länderbildung, die Braunkohlenlagerstätten des Niederlausitzer Förderreviers seien ein wesentlicher Bestandteil des Wirtschaftspotentials des Landes Branden239 KT Hoyerswerda, Beschluss 06–02/90: Antrag auf Zuordnung des Kreises Hoyerswerda zu einem künftigen Land Sachsen entsprechend dem Mehrheitswillen der Bürger vom 18. 6.1990 (ebd., 23642). Vgl. BVB Cottbus, Ressort Inneres an den Leiter: Kreistagssitzungen zur Länderzugehörigkeit – Anfrage vom 1. 3.1991 (ebd., 24475). 240 Karl-Heinz Kretschmer an Manfred Preiß vom 2. 7.1990 (BArch B, DO 5, 150). 241 Manfred Preiß an Karl-Heinz Kretschmer vom 12. 7.1990 (Brandenburg. LHA, Rep. 801 23642). 242 Brennstoff AG Schwarze Pumpe i. G./Energiewerke Schwarze Pumpe AG i. G. an die Regierungsbeauftragten der BVB Cottbus und Dresden. 31. 7.1990 (HAIT, KA, 55).

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burg und stellten einen wichtigen Faktor der Energieversorgung in Deutschland dar. Da im Lausitzer Braunkohlerevier über die Ländergrenzen hinweg viele Abhängigkeiten bestünden, werde die Zusammenarbeit im Braunkohleausschuss gemeinsam mit Hoyerswerda und Weißwasser organisiert werden müssen. Entsprechend wurde beiden Landräten vorgeschlagen, einen Vertreter mit beratender Stimme in den brandenburgischen Ausschuss zu delegieren.243 Die sich aus den bisherigen engen wirtschaftlichen Verknüpfungen ergebende notwendige Kooperation zwischen beiden Bundesländern prägte auch die Übergabemodalitäten der beiden Kreise vom Bezirk Cottbus an das Land Sachsen. Nachdem Preiß den Cottbuser Regierungsbevollmächtigten angewiesen hatte, zur territorialen Angliederung von Weißwasser und Hoyerswerda an Sachsen bis zum 2. Oktober Vereinbarungen zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Landkreise mit den entsprechenden Landräten und den Regierungsverantwortlichen des übernehmenden Landes Verträge zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Verwaltungs-, Betreuungs- und Versorgungsfunktionen abzuschließen,244 unterzeichneten die Regierungsbevollmächtigten der Bezirke Cottbus und Dresden, Karl-Heinz Kretschmer und Siegfried Ballschuh, sowie der Landrat des Landkreises Hoyerswerda, Wolfgang Schmitz, am 28. September eine Vereinbarung über die Modalitäten der Eingliederung des Landkreises Hoyerswerda in das Land Sachsen bis zum 3. Oktober.245 Kreis Weißwasser: Auch im Kreis Weißwasser gab es Proteste gegen die Versuche des Rates des Bezirkes Cottbus, Vorentscheidungen zur Eingliederung des gesamten Bezirkes samt dem Kreis Weißwasser in das Land Brandenburg zu treffen. In Schreiben an den Rat des Bezirkes forderten zahlreiche Bürger die Zuordnung des Kreises zu Sachsen. Am 26. Februar protestierte eine Bürgerinitiative beim Runden Tisch Weißwasser dagegen, dass die Landesgrenze von den derzeitigen Grenzen der Bezirke Frankfurt (Oder), Potsdam und Cottbus bestimmt werden solle. Dem Runden Tisch wurden die Ergebnisse einer Meinungsumfrage mit Unterschriftensammlung „zur Erleichterung Ihrer Meinungsbildung“ zugeleitet. Darin hieß es unter dem Titel „Entscheidung für Sachsen“, die Bürger des Kreises Weißwasser stimmten für eine Zuordnung des Kreises zu Sachsen, da mit der Errichtung eines „Kohle- und Energiekomplexes“ im Kreis die Arbeitskräftegewinnung zum großen Teil von dort aus erfolge. Außerdem entspreche diese Zuordnung dem Wunsch und den Interessen der Sorben als nationaler Minderheit. Die mit der Kohle- und Energiewirtschaft im Kreis entstandenen ökologischen Probleme, die sich aus der rückläufigen Bergbauent243 BVB Cottbus: Informationsvorlage für die Dienstberatung des Regierungsbevollmächtigten am 7. 9.1990: Information zur Bildung eines provisorischen Braunkohlerates (Brandenburg. LHA, Rep. 801, 26401). 244 BVB Cottbus: Betr. Vereinbarung der Regierungsbevollmächtigten Cottbus, Dresden, Halle zur Eingliederung der Landkreise Weißwasser, Hoyerswerda und Jessen vom 21. 9. 1990 (ebd., 26416). 245 BVB Cottbus: Vereinbarung über vorbereitende und unterstützende Maßnahmen zur Eingliederung des Landkreises Hoyerswerda vom 28. 9.1990 (HAIT, KA, 10.1).

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wicklung ergebenden Unsicherheiten hinsichtlich der Arbeitsplatzsicherung und der damit notwendige Aufbau neuer Infrastrukturen zur Sicherung des sozialen Wohlstandes erforderten den Einsatz erheblicher materieller und finanzieller Mittel. Mit den sich anbahnenden Länderpartnerschaften Sachsens mit Bayern und Baden-Württemberg und der damit zu erwartenden Wirtschaftsunterstützung werde die Lösung der Probleme des Kreises eher im Land Sachsen gesehen.246 Anfang März forderten 136 Bürger beim Zentralen Runden Tisch in Berlin die Zugehörigkeit des Kreises zum Land Sachsen. Anders als von einer Bevölkerungsmehrheit gewünscht, würden jedoch die Verwaltungsorgane die Zugehörigkeit zum Land Brandenburg forcieren, um Weißwasser als Kreisstadt zu erhalten und damit die eigenen Planstellen zu retten.247 Das stimmte zumindest nicht für den Vorsitzenden des Rates des Kreises Weißwasser, Dietmar Kamenz, der sich in der Frage der künftigen Landeszugehörigkeit weitgehend neutral verhielt und gelegentlich sogar Gründe nannte, die für einen Anschluss an Sachsen sprachen. Am 16. März forderte Kamenz beim Rat des Bezirkes Cottbus einen Volksentscheid über die Zuordnung des Kreises zu Sachsen oder Brandenburg. Keinesfalls dürfe administrativ über die Länderzugehörigkeit einzelner Kreise entschieden werden. Am 20. März konstituierte sich auf seine Veranlassung beim Rat des Kreises eine Arbeitsgruppe „Territorialstruktur“.248 Am 24. April wandte sich Kamenz an die Öffentlichkeit. Nach der Pressemitteilung vom 20. Februar über das Informationsgespräch der Ratsvorsitzenden der Bezirke Cottbus, Frankfurt (Oder) und Potsdam über die beabsichtigte Bildung eines Landes Brandenburg in den jetzigen Grenzen der Bezirke sei dem Rat des Kreises und dem Runden Tisch Weißwasser eine Reihe von Stellungnahmen und Unterschriftensammlungen zugegangen. Grundsätzlich werde von den Bürgern eine administrative Entscheidung über die Länderbildung durch die Räte der Bezirke nicht akzeptiert. Die Vertreter des Runden Tisches des Kreises hätten sich deshalb die Aufgabe gestellt, gemeinsam Vorschläge für die zukünftige Landeszugehörigkeit des Kreises zu erarbeiten und zur Diskussion zu stellen. Bisher liege von der Regierung lediglich eine Absichtserklärung zum Problem der Länderbildung vor. Kamenz rief dazu auf, sich aktiv an der Diskussion über die künftige Landeszugehörigkeit des Kreises Weißwasser zu beteiligen. Marktwirtschaftliche Prinzipien gewährleisteten, dass bestehende und sich zukünftig entwickelnde überregionale wirtschaftliche Verflechtungen einschließlich Handel und Versorgung durch die Ländergrenzen nicht behindert würden. In dieser Hinsicht bestehe für den Kreis Weißwasser keine Notwendigkeit, die Landeszuordnung primär unter ökonomischen Aspekten zu wählen. Von den Räten der Bezirke, so Kamenz, werde gegenwärtig vorgeschlagen, jeweils drei bzw. zwei Bezirke in den heutigen Grenzen zu fünf Län246 Herbert Werner an den Runden Tisch Weißwasser vom 26. 2.1990. Anlage: 47 Unterschriften (UB Grohedo, Reinhard Müller). 247 Petition an den Runden Tisch Berlin, o. D. (136 Unterschriften) (BArch B, DO 5, 145). 248 Dietmar Kamenz an Peter Siegesmund vom 16. 3.1990 (Brandenburg. LHA, Rep. 801, 24491).

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dern zusammenzuschließen. Gleichzeitig solle das jeweilige bezirkliche Territorium erhalten bleiben. Dieser Vorschlag zur Länderbildung sei in verschiedener Hinsicht problematisch. Da die Ländergrenzen aus der Zeit von 1945 bis 1952 im Bewusstsein vieler Bürger noch erhalten seien, würden in fast dreißig Kreisen Diskussionen über die Länderzugehörigkeit aus historischer Sicht geradezu provoziert. Das eigentliche Ziel der Wiedereinführung der Länder, eine Neubestimmung der gesamten politisch - territorialen Struktur der DDR einzuleiten, werde dadurch nicht erreicht. Nach den in der Presse veröffentlichten Meinungsäußerungen und Stellungnahmen bestehe bei den Bürgern des Kreises Weißwasser ein starkes Interesse am Erhalt des Lausitzer Siedlungs- und Wirtschaftsraumes im Land Sachsen. Hinsichtlich der zur Diskussion stehenden Ländervarianten ergebe sich daraus: Sofern die Fünf-Länder-Variante zur Abstimmung gelange, würden sich die Kreise Weißwasser und Hoyerswerda aus historischer Erfahrung und wirtschaftlichen Gründen wahrscheinlich für die Zugehörigkeit zum Land Sachsen entscheiden. Die Grenze zwischen der Oberund Niederlausitz verliefe dann wieder im Bereich des Lausitzer Landrückens. Bei einer Vier-Länder-Variante seien die Kreise Weißwasser und Hoyerswerda kein Grenzgebiet. Die Abstimmung über die Zugehörigkeit zu Brandenburg oder Sachsen müsste dann in den nördlichen Kreisen des Bezirkes erfolgen. Bei dieser Variante würde die Lausitz als geschlossene Siedlungs- und Kulturlandschaft in Sachsen weiter bestehen. Damit könnten auch die wirtschaftlichen Strukturprobleme sowohl des Lausitzer wie des Mitteldeutschen Raumes kooperativ bewältigt werden.249 Am 21. Juli erfolgte im Kreis Weißwasser die Auszählung der Befragung. Bei einer Wahlbeteiligung von 69,4 Prozent der Stimmberechtigten hatten sich 82,2 Prozent (23 977) für Sachsen und 17,8 Prozent (5178) für Brandenburg entschieden.250 Unter der Marke von achtzig Prozent für Sachsen lagen Weißwasser (77,2), Kromlau (60,3), Trebendorf (78,4) und Groß-Düben (76,5).251 Der Kreistag beschloss daraufhin, „auf der Grundlage des Ergebnisses der Bürgerbefragung“ mit einer Stimmenmehrheit von 82,2 Prozent die Zugehörigkeit des Kreises zum Land Sachsen zu beantragen.252 Kreis Senftenberg: Ungleich komplizierter als in den Kreisen Hoyerswerda und Weißwasser, die mit Ausnahme der Gemeinde Lauta bis 1952 geschlossen zu Sachsen gehört hatten, war die historische Zuordnung des Kreises Senftenberg. Der südliche Teil des Kreises, der sogenannte „Ruhlander Zipfel“, hatte am Ende des Zweiten Weltkrieges zum damaligen Kreis Hoyerswerda im Regie249 Dietmar Kamenz: Gedanken zur zukünftigen Landesstruktur des Kreises Weißwasser vom 24. 4.1990 (UB Grohedo, Hennerjürgen Havenstein). 250 Protokoll des Ergebnisses der Bürgerbefragung am 21. 7.1990 im Kreis Weißwasser (BArch B, DO 5, 138). 251 Ergebnisse der Bürgerbefragung zur Landeszugehörigkeit. Städte und Gemeinden des Kreises Weißwasser vom 21. 7.1990 (Brandenburg. LHA, Rep. 801, 24475). 252 KT Weißwasser: Beschluss 1 vom 21. 7.1990 (BArch B, DO 5, 138); BVB Cottbus: Bericht über die Kreistagssitzung Weißwasser am 21. 7.1990 (Brandenburg. LHA, Rep. 801, 24475).

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rungsbezirk Liegnitz der Provinz Niederschlesien gehört. Er wurde 1952 vom Kreis Hoyerswerda abgetrennt und dem neugeschaffenen Kreis Senftenberg zugeschlagen. Dadurch kamen die Kommunen Grünewald, Hermsdorf, Hohenbocka, Hosena, Jannowitz, Kroppen, Peickwitz, Ruhland, Schwarzbach und Tettau zum Kreis Senftenberg im Bezirk Cottbus. Außerdem kamen Teile von SachsenAnhalt und Brandenburg zum Kreisgebiet. Verkehrsgeographisch und hinsichtlich der territorialen Orientierung der Bevölkerung durchtrennte die Schwarze Elster das Gebiet. Bedingt durch die heterogene Zusammensetzung, war der nördlich der Schwarzen Elster liegende Teil des Kreises stärker auf Luckau, Lübben und Berlin ausgerichtet, die Bewohner südlich der Schwarzen Elster eher auf Großenhain, Meißen und Dresden.253 Angesichts der komplizierten Verhältnisse standen die Verantwortlichen im Kreis vor kaum lösbaren Problemen. Als sich der Runde Tisch des Kreises Senftenberg am 8. Januar erstmalig mit der Länderbildung befasste, sahen sich die Beteiligten mit der Tatsache konfrontiert, dass der Kreis nach alter Länderstruktur hätte dreigeteilt werden müssen. Um Klarheit zu erhalten, bat man die Regierung um Auskunft.254 Tatsächlich bestimmte von nun an die aus der Geschichte resultierende Polarität innerhalb des Kreises zwischen den Gebieten nördlich und südlich der Schwarzen Elster die Auseinandersetzungen. Im Süden des Kreises wurde bereits im Februar 1990 in einigen Städten und Gemeinden parteiübergreifend eine Wiedereingliederung ins Land Sachsen gefordert. Am 7. Februar erklärte die CDU-Ortsgruppe Tettau gegenüber dem sächsischen CDU-Landesverband, viele Bewohner hofften, von „unserem ehemaligen Land Sachsen“ nicht vergessen zu werden. Der Landesverband wurde um Zusendung von Wahlkampfmaterial des künftigen Landes Sachsen gebeten.255 In Ortrand und Großkmehlen starteten Einwohner Aktionen unter dem Motto „Wir wollen wieder zu Sachsen!“ Eine Bürgerinitiative sammelte Unterschriften und verteilte Flugblätter, die auf die geschichtliche Zuordnung zu Sachsen verwiesen.256 Die zehnte Klasse der Polytechnischen Oberschule (POS) Großkmehlen organisierte eine Unterschriftensammlung zugunsten Sachsens.257 Mitte Februar mischte sich der Rat des Bezirkes Cottbus mit seinem Votum, den gesamten Bezirk dem Land Brandenburg zuzuschlagen, auch in die beginnende Debatte im Kreis Senftenberg ein und trug zur Polarisierung der Diskussion bei. Die historisch kurze Zeit der Zugehörigkeit zu Sachsen 1945 bis 1952 zeige, sähe man von der Zeit vor 1815 ab, so Peter Siegesmund, dass es „keine ernsthaften historischen Gründe“ für eine Zuordnung von Teilen des Kreises Senftenberg zu 253 Reinhard Kißro an Werner Rutz vom 11. 2.1991 (MAO, SL bis 1990, I). 254 CDU-KV Senftenberg an den Volkskammerpräsidenten vom 12.1.1990 (BArch B, DO 5, 144). 255 CDU-Ortsverbandes Tettau an den CDU-Landesverband Sachsen vom 7. 2.1990 (CDULandesgeschäftsstelle Sachsen, 1. Landesparteitag am 3. 3.1990 Dresden). 256 Gemeinsames Schreiben der Bürgerinitiativen Ortrand und Großkmehlen an den RdB Cottbus vom 12. 3.1990. Anlage: Wir wollen zu Sachsen! Ortrand, vom 22. 2.1990 (Brandenburg. LHA, Rep. 801, 24491). 257 Liebe Mitbürger! Klasse 10 der POS Großkmehlen (ebd.).

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Sachsen gebe.258 Nach einer entsprechenden Veröffentlichung in der „Lausitzer Rundschau“ am 15. Februar forderten rund achtzig Bürger Tettaus den Rücktritt Siegesmunds und erklärten, er könne nicht mehr wie bisher über die Bürger hinweg regieren und ohne demokratische Absprachen Vorschläge unterbreiten. Man lasse an seiner Zugehörigkeit zu Sachsen nicht rütteln.259 Zu einem Zentrum von Aktivitäten in Richtung Sachsen entwickelte sich Ortrand unter seinem engagierten Bürgermeister, Reinhard Kißro. Die Kleinstadt hatte seit ihrer Gründung nach 900 zur Ostmark und später zur Mark Meißen gehört. Bis 1815 war Ortrand sächsisch gewesen und hatte dem Amt Großenhain unterstanden. 1815 fiel es an Preußen und kam 1816 zum Kreis Liebenwerda im Regierungsbezirk Magdeburg der preußischen Provinz Sachsen. Von 1947 bis 1952 gehörte Ortrand zum Kreis Bad Liebenwerda in Sachsen-Anhalt, bevor es zum Kreis Senftenberg im Bezirk Cottbus kam. In Ortrand forderte am 22. Februar 1990 eine Bürgerinitiative erstmals die Zugehörigkeit zu Sachsen.260 Hier hatte es in den achtziger Jahren eine historische Rückbesinnung auf die sächsischen Wurzeln der Stadt gegeben. „Der Auslöser für ein Erkennen der geschichtlichen Wahrheit und der damit verbundenen Zugehörigkeit zu Sachsen“ war nach Aussagen Kißros die Vorbereitung zur 750-Jahr-Feier Ortrands im Jahr 1988 gewesen.261 Bei der Gestaltung des historischen Festumzuges und der Erstellung der Festschrift sei den Stadtvätern die historische Verbundenheit mit Großenhain, Meißen und Dresden klar geworden.262 So habe denn auch das Komitee, das die Feierlichkeiten organisiert hatte, später den Stamm derer gestellt, die sich für den Wechsel der Stadt nach Sachsen einsetzten.263 Ortrand war, wenn auch besonders aktiv, freilich nur eine von mehreren Kommunen, die nach Sachsen strebten. Anfang März protestierte auch ein Bürgerkomitee aus Lindenau gegen die Vorentscheidung der Räte der Bezirke zur Länderzugehörigkeit und forderte die Zugehörigkeit zu Sachsen.264 Am 6. Juni beschlossen die Gemeindevertreter von Lindenau den Anschluss der Hälfte des Kreises Senftenberg südlich der Schwarzen Elster an Sachsen. Rund 85 Prozent der Lindenauer hatten sich zuvor für Sachsen ausgesprochen.265 Mitte April organisierte die CDU-Ortsgruppe Tettau eine Unterschriftenaktion für eine Zu258 Peter Siegesmund an Peter Moreth, o. D., Anlage: Edith Lotzmann/Hermann Schubert, Die Landesgrenzen Brandenburgs – ökonomisch begründet und auf die Zukunft gerichtet, vom 20. 2.1990 (BArch B, DO 5, 144). 259 Bürger Tettaus an Peter Siegesmund vom 19. 2.1990 (Brandenburg. LHA, Rep. 801, 24491). 260 Anfrage der Bürgerinitiative der Stadt Ortrand vom 22. 2.1990: Werte Bürger der Stadt Ortrand! (MAO, unsortiertes Material). 261 750 Jahre Ortrand (ebd.). 262 Kißro, Ortrand II, S. 45. 263 Interview Reinhard Kißro. 264 AG Lindenau (Bürgerkomitee) an den Koordinierungsausschuss „Künftige Länderstruktur“ vom 2. 3.1990 (Brandenburg LHA, Rep. 801, 24491). 265 RdG Lindenau an Manfred Preiß vom 10. 6.1990 (BArch B, DO 5, 149).

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gehörigkeit zu Sachsen,266 ebenso forderten die CDU und die „Volkssolidarität“ in Lauchhammer die Angliederung der Stadt an Sachsen.267 Einen Tag nach dem Ministerratsbeschluss vom 6. Juni protestierte der Bürgermeister von Lauchhammer gegen die zur Wahl gestellte Länderzuordnung entweder zu Sachsen oder Brandenburg und forderte aus historischen Gründen eine Ergänzung um die Option Sachsen-Anhalt.268 Ungeachtet dessen strebten jedoch die drei Gemeinden und die Stadt Lauchhammer, die früher Teil des Kreises Lauchhammer im Land Sachsen-Anhalt gewesen waren, eine Zugehörigkeit zu Sachsen an.269 Am 8. Juni beschloss der Kreistag auf seiner konstituierenden Sitzung eine Verfahrensregelung zur Vorbereitung und Durchführung einer Bürgerbefragung.270 Wegen der Befürchtung, die Befragung könnte zugunsten Brandenburgs ausgehen, richtete die Gemeinde Lindenau am 10. Juni eine Eingabe an Minister Preiß, der sich alle betroffenen Kommunen südlich der Schwarzen Elster anschlossen.271 Am 19. Juni kam es im Landratsamt Senftenberg zu einer Besprechung mit einem Vertreter des Ministeriums für regionale und kommunale Angelegenheiten. Hier ging es um die Stadt Lauchhammer, die ebenfalls gefordert hatte, für den Fall, dass die Bevölkerung des Kreises Senftenberg für Brandenburg votiere, samt einigen Nachbargemeinden zu Sachsen zu gehören.272 Im benachbarten Kreis Großenhain, dessen künftige Zugehörigkeit zu Sachsen außer Frage stand, registrierte man aufmerksam die pro-sächsischen Bestrebungen im nördlichen Nachbarkreis. Am 2. Juli signalisierte der Großenhainer Landrat, Armin Ibisch, ein starkes Interesse an einer Eingliederung der südlichen Teile des Kreises Senftenberg in den Kreis Großenhain. Er wies die Regierung darauf hin, dass die Bürgerbefragung über die Landeszugehörigkeit nach Ansicht vieler Bürger eine unzulässige Vereinfachung darstelle, da sich die Gemeinden südlich der Schwarzen Elster mehrheitlich für Sachsen entscheiden würden, während die Gemeinden nördlich des Flusses zu Brandenburg tendierten. Aufgrund der Einwohnerzahlen könne eine Stimmenmehrheit für Brandenburg entstehen, die aber nicht dem Willen der Bürger aus den Orten Ruhland, Tettau, Lindenau, Kroppen, Jannowitz, Hermsdorf, Guteborn, Schwarzbach, Hohenbocka, Grünewald, Peickwitz, Großkmehlen und Hosena entspreche. Der Landrat forderte angesichts der spezifischen Situation im Kreis eine Abstimmung der einzelnen Kom266 CDU-Ortsgruppe Tettau vom 20. 4.1990. Anlage: Bürgerinitiative Tettau – Land Sachsen (ebd., 147). 267 Gleichlautende Schreiben der CDU-Ortsgruppe Lauchhammer an den CDU-Hauptvorstand und an den RdB Dresden vom 7. 5.1990 (ebd.) (HAIT, KA, 11.3). 268 Fernschreiben des Bürgermeisters von Lauchhammer an den Ministerrat der DDR vom 7. 6.1990 (BArch B, DO 5, 149). 269 Einspruch des Bürgermeisters der Stadt Lauchhammer gegen das Verfahren der Bürgerbefragung im Kreis Senftenberg. Fernschreiben vom 7. 6.1990 (ebd., 138). 270 Geschäftsführender RdB Cottbus: Kurzinformation über die konstituierende Beratung des KT Senftenberg, vom 8. 6.1990 (Brandenburg. LHA, Rep. 801, 24474). 271 Reinhard Kißro an den Petitionsausschuss des Brandenburger Landtages vom 24. 7.1991 (MAO, SL ab 1991, II). 272 MRKA, Unterabteilung Staatsaufbau, Staatsorganisation und Gebietsreform: Notiz über den Arbeitsbesuch im Landratsamt Senftenberg am 19. 6.1990 (BArch B, DO 5, 149).

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munen und nicht des gesamten Kreises über die Landeszugehörigkeit und wies darauf hin, dass in den dreizehn genannten Gemeinden bei einer ersten Abstimmung je zirka neunzig Prozent der Bevölkerung für Sachsen votiert hatten.273 Wegen der besonderen Lage scheint es in der Tat zunächst Überlegungen gegeben zu haben, den Kreis zwischen Brandenburg und Sachsen aufzuteilen. Der Senftenberger Landrat, Hans-Jürgen Fichte, engagierter Befürworter eines Anschlusses des ganzen Kreises an Sachsen, berichtete am 26. Juni in der Presse, er habe „mit Erschrecken“ von Mitgliedern der künftigen brandenburgischen Landesregierung erfahren, dass der Kreis Senftenberg „in deren Geist“ bereits in Sachsen und Brandenburg aufgegliedert sei, wobei die Problemzone Lauchhammer gern abgegeben werde, Senftenberg keinerlei Ämter erhalten und auch keine Kreisstadt sein solle, aber durch den Sitz des Braunkohlebergbaus und durch den Senftenberger See für das Land Brandenburg von Interesse sei. Das gesamte Umfeld solle „gnädigerweise so mit übernommen“ werden. Für ihn als Landrat sei es „bedrückend, dass bereits über die Köpfe der Bevölkerung hinweg Maßnahmen eingeleitet“ würden, die weder den Interessen derer, die sich zu Sachsen, noch jener, die sich zu Brandenburg hingezogen fühlten, gerecht würden. Auf Grund dieser Vorgehensweise sehe er sich außerstande, neutral zu bleiben und rufe deshalb alle Bürger des Kreises auf, ihre Stimme für den Erhalt des Kreises und für Senftenberg als Kreisstadt abzugeben, was nur möglich sei, wenn sie sich für Sachsen entschieden.274 Nach Vorwürfen einer einseitigen Stellungnahme machte Fichte einen Rückzieher und erklärte, es gehe nicht um eine Entscheidung für Sachsen oder Brandenburg; wichtig sei vielmehr „der Erhalt unseres Kreises als ein Ganzes“. Dessen Zerfall wäre „das Schlimmste, was die Bürger treffen“ könne.275 Hatte der Großenhainer Landrat ein nachvollziehbares Interesse an einer Teilung des Kreises Senftenberg, um mit dessen südlicher Hälfte den eigenen Kreis zu vergrößern, so plädierte der Senftenberger Landrat für einen vollständigen Wechsel nach Sachsen, um so das Überleben des Kreises Senftenberg zu sichern. Eine vollständige Inkorporierung in das Land Brandenburg, wie später mit Hilfe Fichtes durchgesetzt, schien zu diesem Zeitpunkt weder der Senftenberger noch der Großenhainer Kreisverwaltung realistisch. Die Abstimmungsergebnisse der Bürgerbefragung Mitte Juli bestätigten die Tendenz nach Sachsen ebenso wie das von verschiedener Seite prognostizierte polarisierte Stimmverhalten. Bei einer Beteiligung von 61,7 Prozent (50 535 von 81 907) der Stimmberechtigten votierten 54,1 Prozent für Sachsen und 45,9 Prozent für Brandenburg.276 Von den 34 Städten und Gemeinden des Kreises stammten achtzehn aus dem ehemaligen Land Brandenburg. Sie stellten mit 69180 Einwohnern 60,8 Prozent der Bevölkerung des Kreises. In siebzehn dieser 273 Telegramm von Armin Ibisch an Manfred Preiß vom 2. 7.1990 (ebd.). 274 Hans-Jürgen Fichte: „Im Geist bereits aufgegliedert.“ In: Lausitzer Rundschau vom 26.6. 1990. 275 Interview Hans-Jürgen Fichte. In: Lausitzer Rundschau vom 12. 7.1990. 276 Fernschreiben des KT Senftenberg an Sabine Bergmann-Pohl vom 20. 7.1990 (BArch B, DO 5, 138). Zu den Kommunen mit Mehrheiten für Sachsen siehe Tabelle 4 im Anhang.

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Kommunen entschieden sich die Bürger mehrheitlich für Brandenburg. In drei Kommunen lag die Abstimmungsbeteiligung unter fünfzig Prozent. In den siebzehn Städten und Gemeinden wohnten mit 59 882 Einwohnern 52,6 Prozent der Gesamtbevölkerung des Kreises. Vier Kommunen des Kreises hatten früher zum Land Sachsen-Anhalt gehört. Mit 29 450 Einwohnern entsprach dies einem Prozentsatz von 25,9 Prozent der Kreisbevölkerung. In diesen vier Städten und Gemeinden entschieden sich die Bürger mehrheitlich für Sachsen. Zwölf Kommunen entstammten dem ehemaligen Land Sachsen. Sie stellten mit 15139 Personen 13,3 Prozent der Einwohner des Kreises. In diesen zwölf Städten und Gemeinden entschieden sich die Bürger ebenfalls mehrheitlich für Sachsen.277 Die ehemals brandenburgischen Gemeinden wünschten mit einer Ausnahme mehrheitlich die Zugehörigkeit zu Brandenburg. Deutlich erkennbar war das NordSüd-Gefälle und eine räumliche Zweiteilung des Zugehörigkeitsgefühls. Während sich die Bewohner im Norden des Kreises mehrheitlich für Brandenburg entschieden – unter zehn Prozent Stimmenanteil für Sachsen gab es in Freienhufen (9,8) und Saalhausen (4,1) –, stimmten im Süden einige Kommunen mit erheblichen Mehrheiten für Sachsen. Hier lag der Stimmenanteil für Brandenburg in acht Orten unter zehn Prozent.278 Die Befragung zeigte aber, dass zum Beispiel mit den Kommunen Lauchhammer, Schwarzheide oder Grünewalde auch Orte nach Sachsen drängten, die nördlich der Schwarzen Elster lagen, wenn auch mit geringerer Zustimmung als in Grenznähe. Hatten die Sachsen-Befürworter eine Mehrheit für Brandenburg befürchtet, so blieben nun angesichts des polarisierten Abstimmungsergebnisses Proteste der Brandenburg-Befürworter gegen die Mehrheitsentscheidung für Sachsen nicht aus. So kritisierten Teile der Belegschaft der Ingenieursschule für Bergbau und Energie Senftenberg bei der Volkskammerpräsidentin das „nicht aussagekräftige“ Abstimmungsergebnis, die geringe Beteiligung und die vermeintlichen Möglichkeiten der Manipulation der Abstimmungszettel.279 Unmittelbar nach der Befragung trat am 19. Juli der Kreistag von Senftenberg zusammen. Nach der Verfahrensregelung zur Durchführung der Bürgerbefragung hatte er das Gesamtergebnis der Bürgerbefragung im Kreis entgegenzunehmen, die Vorlage eines Antrages an den Ministerrat zur künftigen Landeszugehörigkeit zu diskutieren und diese zur Beschlussfassung zu führen.280 Dem Kreistag lag eine Beschlussvorlage des Landrates vor, die, wie vom Gesetzgeber bestimmt, auf Grundlage der Bürgerbefragung einen Antrag beim Ministerrat auf Zugehö277 Volkskammer der DDR, 10. WP.: Information zur Drucksache 186. Antrag der Fraktion der DSU vom 2. 8.1990 (ebd., 137). 278 Mündliche Argumentation des Landrates von Senftenberg. Antrag an den Ministerrat der DDR zur Zuordnung des Kreises Senftenberg (ebd., 138); Abstimmungsergebnisse Kreis Senftenberg (Brandenburg. LHA, Rep. 801, 24475). Vgl. im Anhang Tab. 2: Kommunen mit Mehrheiten für Sachsen beim Bürgerentscheid über die Landeszugehörigkeit des Kreises Senftenberg im Juli 1990. 279 Vorsitzender der Schulgewerkschaftsleitung an Sabine Bergmann-Pohl. Anlage: Protestbrief, Senftenberg, vom 17. 7.1990 (BArch B, DO 5, 138). 280 RdK Senftenberg: Beschlussvorlage 6 vom 5.6.1990 (Brandenburg. LHA, Rep. 801, 24475).

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rigkeit zu Sachsen vorsah.281 An der Sitzung nahmen 77 von 89 Abgeordneten teil, 20 waren im Urlaub, eine Abgeordnete wurde zu Beginn der Sitzung von ihrer Fraktion aus dienstlichen Gründen entschuldigt. Die Fraktion Bündnis 90 beantragte geheime Abstimmung. In einem Schreiben an Bundeskanzler Kohl vertrat der „Sachsenbund“ die Meinung, dass die geheime Abstimmung „auf Empfehlung von Dudek“ durchgeführt worden sei, der den Kreistagsmitgliedern ein Votum für Brandenburg nahe gelegt habe.282 Ein Nachweis dafür liegt nicht vor. Jedenfalls wurde der Antrag des Landrates auf Zugehörigkeit zum Land Sachsen283 mit 39 zu 38 Stimmen ohne Stimmenthaltung abgelehnt. Der Landrat wurde beauftragt, einen Antrag auf Zuordnung zum Land Brandenburg zu formulieren sowie zur Beschlussfassung zu unterbreiten. Diese erfolgte gegen Ende der Sitzung. Von den noch anwesenden 75 Abgeordneten stimmten nun 65 gegen 8 Stimmen bei zwei Enthaltungen für die Zuordnung zum Land Brandenburg.284 Nach dem Beschluss erklärten der Kreistagsabgeordnete Michael Herz von der CDU-Fraktion sowie die gesamte DSU-Fraktion, dass sie, sollte die Volkskammer die Zugehörigkeit des Kreises zu Brandenburg beschließen, ihr Mandat niederlegen würden.285 Dabei war die CDU für das Ergebnis selbst verantwortlich. Nach Angaben der „Allianz für Sachsen“ war das südliche, sächsisch orientierte Kreisgebiet im Kreistag unterrepräsentiert, weil viele Bürger bei der Kreistagswahl im Mai 1990 einem Boykottaufruf der CDU gefolgt waren, wodurch die Sachsen-Befürworter nun unterlegen waren.286 So sah es auch der Ortrander Bürgermeister, Reinhard Kißro. Für die Sachsen-Befürworter habe es sich nachteilig ausgewirkt, „dass die Abgeordneten aus unserem heutigen Senftenberger Allianzgebiet fehlen, da wir nach dem Aufruf der CDU die Kreistagswahl am 6. Mai 1990 boykottierten“.287 Die Boykottentscheidung der CDU bei der Kommunalwahl war somit ein wesentlicher Grund für die heutige Zugehörigkeit des Kreises zum Land Brandenburg. Den Kreistagsvoten von Senftenberg und Bad Liebenwerda lagen vor allem ökonomische Erwägungen zugrunde. Sie stellten „eine späte Reverenz gegen281 KT Senftenberg: Beschlussvorlage 13/90, Beschluss des KT Senftenberg 3/1/90 vom 19. 7.1990, Antrag an den Ministerrat der DDR über die künftige Landeszugehörigkeit des Kreises Senftenberg. [Handschriftlicher Vermerk: „Herr Perchenz! Bitte eine Ablichtung für mich! Wieso zum Land Sachsen? Hä.“] (ebd.). 282 „Sachsenbund“ an Helmut Kohl und die Bundesminister vom 3. 9.1991 (MAO, Schriftverkehr Länderbildung ab 1991, II). 283 Mündliche Argumentation des Landrates von Senftenberg zum Antrag an den Ministerrat der DDR zur Zuordnung des Kreises Senftenberg (BArch B, DO 5, 138). 284 KT Senftenberg: Beschluss 3/1/90 vom 19. 7.1990. In: BVB Cottbus, Ressort Inneres, an den Leiter vom 1. 3.1991: Kreistagssitzungen zur Länderzugehörigkeit (Brandenburg. LHA, Rep. 801, 24475). Vgl. Volkskammer der DDR, 10. WP.: Information zur Drucksache 186. Antrag der Fraktion der DSU vom 2. 8.1990 (BArch B, DO 5, 137). 285 Beschlussprotokoll über die 3. Tagung des KT Senftenberg am 19.7.1990 (ebd., 138). Vgl. Information über die Prüfung der Vorbereitung und Durchführung der Beschlussfassung des KT Senftenberg am 19. 7.1990 über die künftige Landeszugehörigkeit (ebd., 124). 286 Vgl. Rutz/Scherf/Strenz, Die fünf neuen Bundesländer, S. 98. 287 Reinhard Kißro an Werner Rutz vom 11. 2.1991 (MAO, SL bis 1990, I).

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über der wirtschaftsräumlichen Rationalität des ehemaligen Bezirkes Cottbus“ dar. Im Fall des Senftenberger Kreistages hatte die „Erwartung einer milliardenschweren Bonner Strukturhilfe“ für das Braunkohlerevier Cottbus-Senftenberg „nachgeholfen“, mit deren Auszahlung die Abgeordneten im Falle eines Anschlusses an Sachsen nicht rechnen konnten.288 Von den Experten der Regierungskommission wurde zwar die 1952 erfolgte Zuordnung der Ruhländer Oberlausitz zur Kreisstadt Senftenberg als leistungsfähigem Mittelzentrum gutgeheißen, dies aber nur bei kleinräumiger Betrachtung. Großräumige Zusammenhänge hätten nach ihrer Meinung für die Zuweisung der gesamten Region, also der Ober- und der Niederlausitz, zu Sachsen gesprochen.289 Kreis Bad Liebenwerda: Beim Kreis Bad Liebenwerda handelt es sich um Teile des 1423 an die Markgrafschaft Meißen gefallenen Herzogtums Sachsen-Wittenberg, das als Kurkreis der Markgrafschaft den Namen „Sachsen“ verlieh. Dieses Territorium musste 1815 an Preußen abgetreten werden und bildete bis zum Zweiten Weltkrieg den östlichsten Kreis der preußischen Provinz Sachsen. Von der Auflösung Preußens 1947 bis zum Ende der Länder 1952 gehörte Liebenwerda zum Land Sachsen-Anhalt. Dorthin hätte der Kreis 1990 zurückkehren können, doch gab es neben historischen auch wirtschaftliche und zentralortbezogene Gründe, die für Sachsen sprachen. Hier wurde wegen der Verbindung mit Baden-Württemberg und Bayern ein schnellerer wirtschaftlicher Aufschwung erwartet; zudem arbeiteten viele Bürger in Betrieben des künftigen Freistaates.290 Der Weg nach Dresden beträgt zirka sechzig Kilometer, nach Potsdam das Doppelte. So gab es in der Bevölkerung frühzeitig starke Bestrebungen, nach Sachsen zurückzukehren, dem man zuletzt vor rund 175 Jahren angehört hatte. Im ersten Halbjahr 1990 bildete sich eine Vielzahl entsprechender Bürgerinitiativen.291 Bei einer inoffiziellen Befragung im Kreis votierten im April 94 Prozent für Sachsen, 3,8 Prozent für Sachsen-Anhalt und gerade einmal 2,2 Prozent für Brandenburg.292 Der Ministerratsbeschluss vom 6. Juni293 wurde der Lage im Kreis insofern nicht gerecht, als er nur die Wahl zwischen Brandenburg und Sachsen-Anhalt 288 Vgl. Buchhofer, Der Kampf um die Grenzen der neuen deutschen Länder, S. 222; Tagesspiegel vom 1. 8.1991. 289 Vgl. Rutz/Scherf/Strenz, Die fünf neuen Bundesländer, S. 104. 290 Bürgerbefragung im Kreis Bad Liebenwerda zur Länderbildung, vom 9. 7.1990 (BArch B, DO 5, 138). 291 Vorlage: Ergänzung des Beschlusses des Ministerrates der DDR 10/21/90 vom 6. 6. 1990: Verfahrensregelung zur Vorbereitung und Durchführung von Bürgerbefragungen in Kreisen vom 16. 7.1990 (ebd.). 292 Aufruf der Allianz für Sachsen/Sachsenbund: Sachsen helft uns! (MAO, unsortiertes Material). 293 Beschluss des Ministerrates der DDR 20/I.1/90 vom 19. 7.1990 über die Ergänzung des Beschlusses des Ministerrates der DDR vom 6. 6.1990 über die Verfahrensregelung zur Vorbereitung und Durchführung von Bürgerbefragungen in Kreisen, die bei der vorgesehenen Bildung von 5 Ländern der DDR durch Zusammenlegung von Bezirksterritorien vollständig bzw. überwiegend anderen Ländern als bis 1952 angehören (10/21/90) (BArch B, DO 5, 94).

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vorsah. Bürgerinitiativen brachten daraufhin Stimmscheine in Umlauf, die auch Sachsen als Option vorsahen.294 Nicht nur die Regierung zog einen Anschluss an Sachsen zunächst nicht in Erwägung; entgegen der Stimmung großer Teile der Bevölkerung war auch die Kreisverwaltung mehrheitlich dagegen. Mitte Juni machte Landrat Andreas Buschbacher die Bevölkerung in Flugblättern „aus kreislicher Sicht auf einige Aspekte aufmerksam“, die „einer Angliederung an Sachsen entgegenstehen könnten“. Der Kreisverwaltung Bad Liebenwerda liege bisher aus Sachsen „keine Offerte“ vor. Demgegenüber hätten sich alle administrativen Strukturen in den letzten vier Jahrzehnten in Richtung Cottbus und Brandenburg ausgeprägt. Die Landwirtschaft könne auf Grund der Bodenqualität mit den Erträgen sächsischer Bauern und denen der Magdeburger Börde kaum konkurrieren, weshalb auch die Bauern nach Brandenburg tendierten. Historisch gesehen habe der Kreis nach Abtretung der nordsächsischen Gebiete 1815 an Preußen die wesentlichsten Bindungen zu Sachsen-Anhalt entwickelt. Angesichts des Ausbaus der unter der SED-Herrschaft verkommenen Verkehrsnetze träten Entfernungen zu den Landeshauptstädten in den Hintergrund.295 Da ungeachtet der als recht vordergründig empfundenen Einflussnahme des Landrates, der im Gegensatz zu seinem Senftenberger Kollegen zugunsten Brandenburgs argumentierte, die Bevölkerungsmehrheit weiterhin für einen Anschluss an Sachsen plädierte,296 beschloss der Kreistag, den Anschluss an Sachsen als dritte Entscheidungsoption in der Bürgerbefragung zu berücksichtigen.297 Allerdings wies Landrat Buschbacher die Bevölkerung am 21. Juni darauf hin, dass der Ministerratsbeschluss vom 6. Juni für den Kreis Liebenwerda eigentlich nur die Entscheidung zwischen Brandenburg und Sachsen-Anhalt vorsehe. Die Aufnahme des Landes Sachsen auf die Stimmzettel sei eigenständig auf Grund des Begehrens vieler Bürger und von Mitgliedern des Kreistages erfolgt. „Bitte beachten Sie dies bei ihrer persönlichen, freien und demokratischen Entscheidung.“298 Hier klang die Drohung an, dass die Entscheidung im Falle eines prosächsischen Votums von der Regierung nicht akzeptiert werden würde. Obwohl es der Regierung nicht ins Konzept passte, sah man Anfang Juli ein, dass es für den erstgewählten freien Kreistag und den Landrat „äußerst problematisch“ werden könnte, sich gegen den Mehrheitswillen der Bevölkerung des Kreises zu entscheiden. Von der Kreisverwaltung werde auf Grund vorangegangener inoffizieller Abstimmungen in Gemeinden und Gemeindevertretungen eingeschätzt, dass zirka zwei Drittel für Sachsen votieren würden. Da diese Stim294 Jürgen Klingbeil für Manfred Preiß vom 21. 6.1990 (ebd., 8). Klingbeil war Staatssekretär im MRKA. 295 Kreisverwaltung Bad Liebenwerda: Sehr geehrte Einwohner des Kreises Bad Liebenwerda! vom 14. 6.1990, gez. Landrat Andreas Buschbacher (ebd., 138). 296 Jürgen Klingbeil für Manfred Preiß vom 21. 6.1990 (ebd., 8). 297 Vorlage: Ergänzung des Beschlusses des Ministerrates der DDR 10/21/90 vom 6. 6. 1990: Verfahrensregelung zur Vorbereitung und Durchführung von Bürgerbefragungen in Kreisen, vom 16. 7.1990 (ebd., 138). 298 Kreisverwaltung Bad Liebenwerda: Sehr geehrte Einwohner des Landkreises Liebenwerda! Bad Liebenwerda, vom 21. 6.1990, gez. Landrat Andreas Buschbacher (ebd.).

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men nach dem Ministerratsbeschluss vom 6. Juni ungültig wären, konnte das nach Überzeugung der Regierung „zu einer komplizierten politischen Situation im Kreis Bad Liebenwerda führen“.299 Aufgrund der Lageeinschätzung beschloss der Ministerrat daher einen Tag vor der Befragung, dass im Kreis Bad Liebenwerda, wie auf den Stimmscheinen bereits vermerkt, auch für Sachsen votiert werden konnte.300 Dieser Beschluss des Ministerrates stieß allerdings auf die entschiedene Kritik des Regierungsbevollmächtigten des Bezirkes Cottbus und wurde von ihm ausdrücklich nicht mitgetragen. Kretzschmer meinte, der ursprüngliche Beschluss des Ministerrates müsse unverändert durchgesetzt werden, da eine Neuregelung für den Kreis Bad Liebenwerda zu ähnlichen Ansprüchen der Kreise Jessen und Herzberg führen könne. Ungeachtet des Widerspruchs aus Cottbus empfahl Minister Preiß der Regierung, „in Kenntnis der abweichenden Meinung des Regierungsbevollmächtigten“ dem Beschlussvorschlag zuzustimmen, „da sonst der Kreistag Bad Liebenwerda in die Situation geraten könnte, aus Beschlussdisziplin eine Festlegung treffen zu müssen, die dem mehrheitlichen Willen der Bevölkerung nicht Rechnung trägt“.301 Abgesehen von der konkreten Situation im Kreis Bad Liebenwerda lässt sich diese Äußerung so deuten, dass Preiß generell nicht von einer Diskrepanz zwischen Befragungsergebnissen und Kreistagsvoten ausging. Gleichwohl war es sein Ministerium sowie der zuständige Volkskammerausschuss für Verfassung und Verwaltungsreform gewesen, die erst die Grundlage für die Möglichkeit von der Meinung der Bevölkerungsmehrheit abweichender Kreistagsvoten gelegt hatten. Vor dem Hintergrund der recht heftigen Auseinandersetzung fand schließlich im Kreis Bad Liebenwerda am 20. Juli die Bürgerbefragung statt, an der 58,5 Prozent (23 750 von 40 601) der Stimmberechtigten teilnahmen. Die relativ geringe Beteiligung war nach Einschätzung des Bürgermeisters der Gemeinde Merzdorf darauf zurückzuführen, dass in der Lokalpresse, der „Elbe/Elster Rundschau“, „recht einseitig“ für den Anschluss an Brandenburg geworben worden sei und so der Eindruck entstand, „dass sowieso schon alles klar ist, und ‚die da oben‘ ohnehin machen was sie wollen“.302 Für Sachsen votierten 53,1 Prozent, für Brandenburg 25,5 und für Sachsen-Anhalt 21,4 Prozent.303 In einzelnen Gemeinden wie in Hirschfeld (88,47), Merzdorf (83,36), Schraden (75,08), Prö299 Bürgerbefragung im Kreis Bad Liebenwerda zur Länderbildung, vom 9. 7.1990 (ebd.). 300 Beschluss des Ministerrates der DDR 20/I.1/90 vom 19.7.1990 über die Ergänzung des Beschlusses des Ministerrates der DDR vom 6.6.1990 über die Verfahrensregelung zur Vorbereitung und Durchführung von Bürgerbefragungen in Kreisen, die bei der vorgesehenen Bildung von 5 Ländern der DDR durch Zusammenlegung von Bezirksterritorien vollständig bzw. überwiegend anderen Ländern als bis 1952 angehören (10/21/90) (ebd., 94). 301 Ministerrat der DDR: Ergänzung des Beschlusses des Ministerrates der DDR 10/21/90 vom 6. 6.1990 Verfahrensregelung zur Vorbereitung und Durchführung von Bürgerbefragungen in Kreisen. 16. 7.1990, gez. Manfred Preiß (BArch B, DC 20 11623). 302 Bürgermeister von Merzdorf an Rainer Dudek vom 1. 8.1990 (BArch B, DO 5, 138). 303 17589 redk dd nachtrag zum fernschreiben 189, buergerbefragung bad liebenwerda (ebd.).

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sen (77,24) und Großthiemig (79,70) votierten über siebzig bzw. sogar über achtzig Prozent für Sachsen.304 Nach der Befragung trat der Kreistag von Bad Liebenwerda zusammen. Bei der entscheidenden Sitzung am 21. Juli waren 47 von 55 Abgeordneten anwesend (85,4 Prozent). Davon sprachen sich 28 (62,2 Prozent) für Brandenburg aus, einer (2,2 Prozent) für Sachsen-Anhalt und achtzehn (35,5 Prozent) für Sachsen; zwei Stimmen waren ungültig. Obwohl rund drei Viertel der Bevölkerung für Sachsen oder Sachsen-Anhalt votiert hatten, stimmten die Abgeordneten mehrheitlich für Brandenburg. Der Provinz bzw. dem Land Brandenburg hatte der Kreis nie zuvor angehört. Im entsprechenden Kreistagsbeschluss hieß es, bei der Entscheidung sei beachtet worden, dass neben den Ergebnissen der Bürgerbefragung ein großer Teil der Bevölkerung an der Abstimmung nicht teilgenommen habe.305 Deren Meinung galt es nach Ansicht des Kreistages mit zu berücksichtigen. Entgegen parlamentarischer Gepflogenheit wurde damit ein fiktives Votum der Nichtwähler zur ausschlaggebenden Grundlage gemacht, dem „Votum“ der Nichtwähler mithin eine größere Bedeutung beigemessen als dem der Wählerschaft. Mit einer solchen Verfahrensweise könnten Parlamentarier freilich jede Entscheidung begründen, brauchen sie sich doch nur auf den fiktiven, nicht nachweisbaren Willen der Nichtwähler zu berufen. Der Grund für diese Entscheidung war freilich weniger das vermutete Votum der als Alibi genutzten Nichtwähler als vielmehr handfeste wirtschaftliche Interessen.306 Schon vor der Kreistagssitzung hatten die Brandenburg-Anhänger die seit 1952 gewachsenen Wirtschaftsbeziehungen zum Bezirk Cottbus als Hauptgrund für ihre Entscheidung genannt. Argumentiert wurde auch damit, dass das Kreisgebiet im Falle eines Wechsels zu Sachsen dem Kreis Riesa zugeschlagen, im Falle eines Zusammengehens mit dem Bezirk Cottbus jedoch die Kreisverwaltung in Bad Liebenwerda erhalten bleiben würde.307 Hintergrund dafür waren von der Großenhainer Stadtverordnetenversammlung Anfang August „mit Befremden und Besorgnis“ zur Kenntnis genommene Bestrebungen des Kreises Riesa, „Kreisstadtkompetenzen von Großenhain in die eigene Stadt zu verlagern und somit schleichend die Auflösung des Kreises Großenhain zu betreiben“.308 Wie im Falle Senftenbergs kursierten auch in Bad Liebenwerda Gerüchte, die Entscheidung des Kreistages sei „von Berlin diktiert“ worden,309 wo man Inte304 Kreis Bad Liebenwerda: Ergebnis der Bürgerbefragung zur Länderwahl, am 21. 7.1990 (ebd.). 305 Beschluss 012–09/2/90 des KT über die künftige Länderzugehörigkeit des Kreises Liebenwerda vom 21. 7.1990 (ebd.). Nach einem Bericht des RdB Cottbus stimmten 16 für Sachsen. RdB Cottbus. Information über die 3. Sitzung des KT Bad Liebenwerda am 26. 7.1990 (Brandenburg. LHA, Rep. 801, 24472). 306 Vgl. Buchhofer, Der Kampf um die Grenzen der neuen deutschen Länder, S. 222; Tagesspiegel vom 1. 8.1991. 307 Vgl. Rutz, Die Wiedererrichtung der östlichen Bundesländer, S. 280; Rutz / Scherf / Strenz, Die fünf neuen Bundesländer, S. 98. 308 Sächsische Zeitung vom 3. 8.1990. 309 Bürgermeister von Merzdorf an Rainer Dudek vom 1. 8.1990 (BArch B, DO 5, 138).

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resse an der Durchsetzung des Fünf-Länder-Modells hatte. Der „Sachsenbund“ machte den später als Inoffiziellen Mitarbeiter des MfS enttarnten CDU-Kreisvorsitzenden, Hans-Ulrich Lubk aus Bad Liebenwerda, für den Kreistagsbeschluss verantwortlich. Dieser sei in den Kreistag und die Volkskammer gewählt worden, um für Sachsen in den Wahlkampf zu ziehen. Er habe dann aber „seine Wähler an Brandenburg verraten“. Er oder ein anderer Vertreter des Kreises seien noch zwei Tage vor der Abstimmung bei Minister Preiß gewesen, um sich Rückendeckung für den Kreistagsbeschluss zu holen. Die Anwesenheit eines Vertreters des Ministeriums für regionale und kommunale Angelegenheiten während der Kreistagssitzung am 21. Juli bestätige diesen Verdacht.310 Beweise für seine Behauptungen legte der „Sachsenbund“ jedoch auch in diesem Fall nicht vor. Auch im Bezirk Leipzig plante die staatliche Verwaltung im Frühjahr 1990, in Kreisen mit unbestimmter Landeszugehörigkeit Plebiszite durchzuführen. Den Schwerpunkt bildeten hier zunächst die Kreise Leipzig-Land, Altenburg, Delitzsch, Torgau, Eilenburg und Borna. In diesen Kreisen, so der Rat des Bezirkes, würden „viele Anstrengungen unternommen, um die Fragen der künftigen Zugehörigkeit in der Bevölkerung zu diskutieren und breite Übereinstimmung zu erreichen“. Im Rat ging man Anfang April davon aus, dass in diesen Territorien Plebiszite zur künftigen Zugehörigkeit der Kreise und Gemeinden durchgeführt werden würden.311 Der stellvertretende SPD-Bezirksvorsitzende, Ernst Benedict, erklärte Ende Mai, im Bezirk Leipzig gebe es fünf Kreise, über deren Zugehörigkeit zum Land Sachsen per Volksabstimmung entschieden werden müsse.312 Dabei handelte es sich um die Kreise Delitzsch, Torgau, Eilenburg, Altenburg und Schmölln. Nachdem zunächst auch Volksabstimmungen in den Kreisen Borna und Leipzig-Land in Erwägung gezogen worden waren, stand frühzeitig fest, dass beide Kreise als ganze Struktureinheiten dem Land Sachsen zugeordnet werden würden,313 zeigte doch kein Ort, der hätte wechseln können, Interesse, seinen derzeitigen Kreis zu verlassen. Kreise Delitzsch, Torgau und Eilenburg: Im Kreis Delitzsch (40 Gemeinden, 54 698 Einwohner),314 obwohl seit 1815 der preußischen Provinz Sachsen und nach dem Zweiten Weltkrieg dem Land Sachsen-Anhalt zugehörig, gab es von Anfang an eine deutliche Mehrheit für einen Anschluss an Sachsen.315 Anders als 310 „Sachsenbund“ an Helmut Kohl und die Bundesminister vom 3. 9.1991 (MAO, Schriftverkehr Länderbildung ab 1991, II). 311 Information des RdB Leipzig über den Stand der Länderbildung und der Verwaltungsreform vom 6. 4.1990 (SächsStAL, BT/RdB, 21309, Bl. 1–4). 312 Protokoll der Sitzung des Bezirksvorstandes Leipzig am 22. 5.1990 (AdSD, SPD-LV Sachsen, 31, 3/9.1.). 313 Information des RdB Leipzig über den Stand der Länderbildung und der Verwaltungsreform am 6. 4.1990 (SächsStAL, BT/RdB, 21309, Bl. 1–4). 314 Statistisches Amt der DDR an den Staatssekretär im Ministerrat, Manfred Preiß, vom 3. 4.1990, Anlage 1 (BArch B, DO 5, 137). 315 Tullner nennt zwar Beispiele von Territorien, die von Sachsen-Anhalt wegtendierten, geht aber mit keiner Silbe auf die Kreise Delitzsch, Torgau und Eilenburg ein, die komplett nach Sachsen wechselten. Vgl. Tullner, Geschichte des Landes Sachsen-Anhalt, S. 176.

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im gleich gelagerten Fall des Kreises Bad Liebenwerda ließ hier nicht nur die Bevölkerung, sondern auch der Kreistag daran keinen Zweifel. Bei einer Kreistagsabstimmung Mitte Mai gab es nur zwei Stimmen gegen eine Zugehörigkeit zu Sachsen.316 Der Rat des Bezirkes Leipzig konstatierte frühzeitig entsprechende „starke Bestrebungen“, die auch von vielen Parteien sowie politischen Gruppierungen des Runden Tisches unterstützt und durch Unterschriftensammlungen untermauert würden.317 Das Institut für Denkmalpflege Dresden bezeichnete Ende Mai eine Zugehörigkeit des Kreises zum Land Sachsen als sinnvoll,318 und auch der SPD-Kreisverband Delitzsch sprach sich Ende Juni für eine Zugehörigkeit des Kreises zu Sachsen aus.319 Eine wesentliche Rolle bei der Motivierung der Bevölkerung spielten Heimatinitiativen sowie die regionale und lokale Presse. So berichtete die „Leipziger Volkszeitung“ vom 24. März bis zum 10. April regelmäßig über die Territorialgeschichte des Kreises. Zwischen dem 20. Juni und dem 20. Juli fand im Kreis die Bürgerbefragung statt.320 Bei einer Wahlbeteiligung von 78,29 Prozent votierten 89,26 Prozent der Stimmberechtigten für Sachsen und 10,74 Prozent für Sachsen-Anhalt. Der höchste Prozentsatz für Sachsen-Anhalt wurde in Pohritzsch mit 45,85, der niedrigste in Zschölkau mit 0,29 Prozent gemessen.321 Auf einer außerordentlichen Sitzung stimmte der Kreistag daraufhin am 20. Juli geschlossen für eine Eingliederung des Kreises in das Land Sachsen.322 Ähnlich eindeutig wie in Delitzsch waren die Ergebnisse im Kreis Torgau (40 Gemeinden, 55 278 Einwohner).323 Hier sprachen sich bei einem öffentlichen Presseforum über die künftige Zugehörigkeit des Kreises bereits am 28. Februar zirka achtzig Prozent aller Beiträge für Sachsen aus. Vorangegangen waren umfangreiche öffentliche Diskussionen, die unter anderem vom „Kulturbund“ und der „Gesellschaft für Heimatkunde Torgau“ getragen wurden.324 Wie im Fall von Delitzsch und Eilenburg bezeichnete auch das Institut für Denkmalpflege Dresden die Zugehörigkeit des Kreises Torgau zum Land Sachsen als sinnvoll. Torgau sei als bedeutende Residenzstadt eng mit der Geschichte Sachsens ver-

316 Vgl. LVZ, Ausgabe Delitzsch, vom 17./18. 3.1990. 317 Information des RdB Leipzig über den Stand der Länderbildung und der Verwaltungsreform am 6. 4.1990 (SächsStAL, BT/RdB, 21309, Bl. 1–4). 318 Diskussionsbeitrag des Instituts für Denkmalpflege Dresden zu einem künftigen Land Sachsen aus kulturgeographischer und kulturhistorischer Sicht vom 20. 3.1990 (BArch B, DO 5, 145,4). 319 Vgl. LVZ, Ausgabe Delitzsch, vom 26. 6.1990. 320 Vgl. LVZ, Ausgabe Altenburg, vom 9./10. 6.1990. 321 Bürgerbefragung Kreis Delitzsch, Endergebnis vom 13. 8.1990 (BArch B, DO 5, 138). Vgl. LVZ, Ausgabe Delitzsch, vom 21. 7.1990. 322 Landratsamt Delitzsch: Beschlussvorlage der 2. Tagung des KT Delitzsch am 20. Juli 1990, Beschluss 6/90 (BArch B, DO 5, 138). Vgl. LVZ, Ausgabe Delitzsch, vom 24. 7.1990. 323 Statistisches Amt der DDR an den Staatssekretär im Ministerrat, Manfred Preiß, vom 3. 4.1990, Anlage 1 (BArch B, DO 5, 137). 324 Kreisvorstand des Kulturbundes Torgau an Peter Moreth vom 5. 3.1990 (ebd., 144).

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bunden gewesen.325 Der Rat des Bezirkes Leipzig konstatierte Anfang April im Kreis „viele Stimmen, die davon ausgehen, dass die gegenwärtige Verwaltungsstruktur sich über 40 Jahre bewährt“ habe. Es gebe „starke Bestrebungen“, den Kreis an das Land Sachsen anzugliedern. Das Anliegen werde auch hier von vielen Parteien und politischen Gruppierungen des Runden Tisches des Kreises unterstützt und durch Unterschriftensammlungen untermauert.326 Bereits rund zwei Monate vor der offiziellen Bürgerbefragung informierten der Runde Tisch und der Rat des Kreises Torgau die Räte der Bezirke Magdeburg und Halle darüber, „dass eine kreisweite Befragung der Bevölkerung eindeutig eine bevorzugte Zugehörigkeit zu einem künftigen Land Sachsen“ ergeben habe. Für Sachsen seien über zehntausend, für Sachsen-Anhalt gerade einmal siebenhundert Unterschriften gesammelt worden. Gleichlautende Befragungen des „Kulturbundes“ hätten ebenfalls eine überzeugende Stimmenabgabe zugunsten Sachsens ergeben.327 Bei der offiziellen Befragung im Juli votierten schließlich bei einer Beteiligung von 56,46 Prozent (23 359 von 41 375) der Abstimmungsberechtigten 93,74 Prozent für Sachsen und 6,26 Prozent für Sachsen-Anhalt. Mehr als zehn Prozent für Sachsen-Anhalt gab es in Döbrichau (10,22) und Großtreben (16,94). Sonst lagen alle Ergebnisse über neunzig Prozent für Sachsen, in der Gemeinde Wohlau sogar bei einhundert Prozent.328 Der Kreistag beantragte daraufhin die Zugehörigkeit des Kreises zum Land Sachsen.329 Auch im Kreis Eilenburg (30 Gemeinden, 51160 Einwohner)330 zeichnete sich frühzeitig eine Mehrheit zugunsten Sachsens ab. Bereits bei der zehnten Sitzung des Runden Tisches Eilenburg am 8. März wurde der Vorschlag der CDU diskutiert, einen Volksentscheid über die künftige Länderzugehörigkeit vorzubereiten.331 Der Rat des Bezirkes Leipzig konstatierte allerdings Anfang April zunächst, im Kreis gebe es sehr unterschiedliche Auffassungen über die künftige Zugehörigkeit des Kreises, die territorial bedingt seien; so bestünden im Raum Bad Düben Tendenzen zur Angliederung an das Land Sachsen-Anhalt, in der Stadt Eilenburg überwiege dagegen das Zugehörigkeitsgefühl zu Sachsen. Im gesamten Kreis gebe es – später bestätigte – Befürchtungen vor einer Auflösung des Kreises und seiner Angliederung an die Kreise Torgau und 325 Diskussionsbeitrag des Instituts für Denkmalpflege Dresden zu einem künftigen Land Sachsen aus kulturgeographischer und kulturhistorischer Sicht vom 20. 3.1990 (ebd., 145,4). 326 Information des RdB Leipzig über den Stand der Länderbildung und der Verwaltungsreform am 6. 4.1990 (SächsStAL, BT/RdB, 21309, Bl. 1–4). 327 Runder Tisch und RdK Torgau an die RdB Magdeburg und Halle sowie Dessau vom 2. 5.1990 (LA Merseburg, Rep. BT/RdB, 21129/7). 328 Protokoll über das Ergebnis der Auszählung der Bürgerbefragung am 20. 7.1990 über die künftige Landeszugehörigkeit des Kreises Torgau (BArch B, DO 5, 138). 329 KT Torgau: Beschluss 08–04/90 vom 21. 7.1990: Antrag des KT Torgau an den Ministerrat der DDR über die künftige Landeszugehörigkeit des Kreises Torgau auf der Grundlage des Ergebnisses der Bürgerbefragung zum Land Sachsen (ebd.). 330 Statistisches Amt der DDR an den Staatssekretär im Ministerrat, Manfred Preiß, vom 3. 4.1990, Anlage 1 (ebd., 137). 331 LVZ, Ausgabe Eilenburg, vom 10./11. 3.1990.

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Delitzsch. In der Stadtverordnetenversammlung der Kreisstadt wurde deshalb am 21. März ein Mehrheitsbeschluss gefaßt, in dem die Abgeordneten für die Erhaltung des Kreises Eilenburg und seiner Kreisstadt plädierten.332 Eine vorherige Unterschriftensammlung durch „Befragung mittels Postkarte“ des Runden Tisches ergab bei 14 500 Antworten eine Entscheidung für Sachsen von etwa neunzig Prozent. Allerdings entsprach diese Unterschriftensammlung nicht den Anforderungen des Ministerrates.333 Die Bürgerbefragung zur Länderzugehörigkeit im Juli ergab schließlich bei einer Beteiligung von 74,79 Prozent eine Mehrheit von 89,64 Prozent der Stimmen für Sachsen, nur 10,35 Prozent der Bevölkerung votierten für Sachsen-Anhalt. Auf einer Sondertagung am 21. Juli beschloss der Kreistag Eilenburg daraufhin, die Zugehörigkeit zum Land Sachsen zu beantragen.334 Im Abstimmungsverhalten der Kreise Delitzsch, Eilenburg und Torgau spiegelten sich die Integrationskraft des Oberzentrums Leipzig sowie das hohe Prestige Sachsens ebenso wider wie die geringe Identifikation mit dem Land SachsenAnhalt, das historisch als kurzlebiges Produkt der sowjetischen Besatzungsmacht galt und während des gesamten Abstimmungskampfes von 1990 mit dem Negativimage von „Bitterfeld-Wolfen-Leuna“ zu kämpfen hatte.335 So waren es offenbar vor allem die in vier Jahrzehnten gewachsenen Bindungen an die geografisch nahe liegende Messestadt, die den Ausschlag für das pro-sächsische Votum gaben. Kreise Altenburg und Schmölln: Nicht so deutlich wie in den Kreisen Delitzsch, Eilenburg und Torgau war die Stimmung in den Kreisen Altenburg und Schmölln zu erkennen, die als Ostteil des ehemaligen Herzogtums Sachsen-Altenburg eine historische Einheit bildeten. Als im Jahre 1554 ein Besitzausgleich zwischen den beiden wettinischen Linien der Albertiner und der Ernestiner herbeigeführt werden musste, hatte Kurfürst August von Sachsen das damalige Amt Altenburg an seinen ernestinischen Vetter abgetreten. So war das Gebiet Bestandteil der ernestinischen Herzogtümer geblieben und nach verschiedenen Teilungen schließlich in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts zum neu gegründeten Land Thüringen gekommen.336 Im Kreis Altenburg entwickelte sich die Stimmung seit Jahresbeginn zunächst zugunsten Thüringens. Im Altenburger Straßenbild waren zahlreiche weiß-rote Fahnen und Wimpel zu sehen, die meist von der „Altenburg-Information“ verkauft worden waren. Auch die Parteien tendierten mehrheitlich nach Thüringen. Einige hatten bereits Kontakte in Richtung Landesverband Thürin332 Information des RdB Leipzig über den Stand der Länderbildung und der Verwaltungsreform am 6. 4.1990 (SächsStAL, BT/RdB, 21309, Bl. 1–4). 333 LVZ, Ausgabe Eilenburg, vom 14. 6.1990. 334 KT Eilenburg: Beschluss 11 vom 24. 7.1990: Antrag an den Ministerrat über die künftige Landeszugehörigkeit des Kreises Eilenburg (BArch B, DO 5, 138). Vgl. LVZ, Ausgabe Eilenburg, vom 21. 7.1990. 335 Vgl. Buchhofer, Der Kampf um die Grenzen der neuen deutschen Länder, S. 225. 336 Vgl. Blaschke, Alte Länder – Neue Länder, S. 44; ders., Das Werden der neuen Bundesländer, S. 129.

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gen aufgenommen.337 In Altenburg gab es eine Bürgerbewegung für die Rückkehr beider Kreise nach Thüringen. Zentralörtlich und wirtschaftlich waren beide Kreise klar auf Leipzig ausgerichtet.338 Die Thüringen-Anhänger nannten aber vor allem historische Gründe für ihre Entscheidung. Unterstützung erhielten sie dabei vom Institut für Denkmalpflege Dresden, dem eine Zugehörigkeit zum künftigen Land Sachsen für die Kreise Altenburg und Schmölln problematisch schien, da diese seit dem Mittelalter mit Ausnahme der Jahre 1547–1554 zu den ernestinisch-thüringischen Staaten bzw. zum Land Thüringen gehört hätten.339 Im Kreis Altenburg, so der Rat des Bezirkes Leipzig, werde davon ausgegangen, dass ein Großteil der Bevölkerung sich dem ehemaligen Land Thüringen verbunden fühle. In zunehmendem Maße werde aber auch der Wunsch geäußert, „weiterhin“ zu Sachsen, sprich zum Bezirk Leipzig, zu gehören.340 Um Klarheit zu erhalten, beschloss der Runde Tisch Altenburg am 21. März die Organisierung einer „Willensbekundung“ über die Zugehörigkeit des Kreises zu Sachsen oder Thüringen.341 Ende März, Anfang April lagen daraufhin in den Städten und Gemeinden des Kreises Listen aus. 67,34 Prozent (7180) der Unterzeichner sprachen sich für Thüringen aus, 32,66 Prozent (3 483) für Sachsen.342 Im Kreis Schmölln gab es durchweg eine breite Bevölkerungsmehrheit für Thüringen. Eine Zusammenlegung der Kreise Schmölln und Altenburg wurde nach Meinung des Rates des Bezirkes Leipzig von der Mehrzahl der Bürger des Kreises jedoch nicht befürwortet, da diese eine weitere Verschlechterung des kommunalen Alltagslebens durch Vergrößerung der Abhängigkeit befürchteten.343 Auch im Kreis Schmölln setzten sich alle Parteien für eine Zugehörigkeit zu Thüringen ein. Während des Volkskammerwahlkampfes sammelte die CDU dafür Unterschriften. Anfang Mai informierte der CDU-Volkskammerabgeordnete Pfarrer Klaus Domke aus Großtechau Lothar de Maizière als CDU-Vorsitzenden darüber, dass im CDU-Kreisverband bei allen Mitgliedern und Ortsgruppen die eindeutige Meinung bestehe, dass die Kreise Altenburg und Schmölln zu Thüringen gehörten. Dagegen werde der Kreisverband vom CDU-Bezirksverband Leipzig gedrängt, sich vorläufig dem Landesverband Sachsen anzu337 Kollektiv des Kinderheimes Klausa an die Vorsitzende des KT vom 14. 8.1990 (KAL, KT des Landkreises Altenburg. Legislaturperiode 1990–1994. Schriftverkehr, Bürgerbefragung Länderzugehörigkeit Nr. 3). 338 Vgl. Rutz/Scherf/Strenz, Die fünf neuen Bundesländer, S. 95. 339 Diskussionsbeitrag des Instituts für Denkmalpflege Dresden zu einem künftigen Land Sachsen aus kulturgeographischer und kulturhistorischer Sicht vom 20. 3.1990 (BArch, DO 5, 145,4). 340 Information des RdB Leipzig über den Stand der Länderbildung und der Verwaltungsreform am 6. 4.1990 (SächsStAL, BT/RdB, 21309, Bl. 1–4). 341 LVZ, Ausgabe Altenburg, vom 24./25. 3.1990. 342 Kreisarchiv Altenburg: Zugehörigkeit des Kreises Altenburg zu Thüringen vom 24. 8. 1995 (KAL, Handakte, Ordner 28). Vgl. LVZ, Ausgabe Altenburg, vom 10. 4.1990. 343 Information des RdB Leipzig über den Stand der Länderbildung und der Verwaltungsreform am 6. 4.1990 (SächsStAL, BT/RdB, 21309, Bl. 1–4).

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schließen, was man jedoch für wenig sinnvoll halte.344 Auch die SPD trat für eine Zugehörigkeit Altenburgs und Schmöllns zu Thüringen ein. Die Altenburger SPD erklärte, der Kreis habe historisch nie zu Sachsen gehört, die Mundart sei nicht sächsisch. Thüringen verfüge über eine modernere Industrie und eine eher mittelständisch orientierte Wirtschaft. In Sachsen hingegen seien hohe, vom Land zu tragende Summen für Umweltfolgeschäden aufzubringen, hinzu kämen Aufbaupläne für sächsische Großstädte und das Dresdner Schloss.345 Am 16. Mai wandte sich der Vorsitzende des Rates des Bezirkes Gera, Helmut Luck, an Manfred Preiß und forderte ihn auf, „der Bitte der Räte der Kreise Altenburg und Schmölln folgend“, hier bereits im Juni 1990 einen Bürgerentscheid zu veranlassen, da eine Reihe von Problemen einer raschen Entscheidung über eine künftige Landeszugehörigkeit bedürften. Die komplizierte territoriale Lage der Kreise Altenburg und Schmölln sowie ihre intensive wirtschaftliche Einbindung in den Raum Leipzig erforderten im Sinne der Schaffung eines Vorlaufes für eine einheitliche Raum- und Regionalplanung Ostthüringens eine rasche Entscheidung über deren Landeszugehörigkeit. Dies betreffe vor allem die Industrieplanung, die Umstrukturierung des Uranbergbaus und in diesem Zusammenhang zu lösende ökologische Probleme. Der Aufbau neuer Verwaltungsstrukturen im Rahmen der Herausbildung der künftigen Länder vollziehe sich unter dem Einfluss der westlichen Bundesländer. Da sich Sachsen stark an Baden-Württemberg orientiere, werde mit Blick auf einen einheitlichen Verwaltungsaufbau Thüringens eine rasche Entscheidung zur Landeszugehörigkeit für notwendig erachtet.346 Möglicherweise drängte der Geraer Ratsvorsitzende, wenn auch vergeblich, auch deshalb auf eine vorgezogene Entscheidung, weil die Zahl der Befürworter eines Anschlusses an Sachsen im Vorfeld der Befragung vor allem im Kreis Altenburg zunahm. Nicht ohne Auswirkung blieb dabei, dass die „Leipziger Volkszeitung“ zugunsten der Sachsen-Anhänger, ihrer Leserklientel, berichtete.347 Die Auseinandersetzungen gewannen in der Endphase an Schärfe, wobei eine deutliche regionale Differenzierung zu erkennen war. Zwar gab es zahlreiche Unterschriftensammlungen pro und contra,348 generell wurde aber die Meinung vertreten, beide Kreise sollten dem selben Land angehören. Zehn Tage vor der Abstimmung besprach deswegen der Altenburger Landrat, Christian Gumprecht, mit de Maizière und Preiß die Frage möglicher Auswirkungen der Befragung auf eine Zusammenlegung beider Kreise. Einzelheiten der Unterredung sind nicht bekannt. Vor dem Kreistag berichteten Teilnehmer lediglich, die Regierung habe er344 Klaus Domke an Lothar de Maizière vom 3. 5.1990. Anlage: Unterschriftenlisten (ACDP VII-012, 3915). 345 LVZ, Ausgabe Altenburg, vom 11. 7.1990. 346 Helmut Luck an Manfred Preiß vom 16. 5.1990 (BArch B, DO 5, 148). 347 Auch nach der Entscheidung des Kreistages für Thüringen belieferte das Blatt die Region mit ihrem Ableger, der „Osterländer Volkszeitung“. 348 KAL, KT des Landkreises Altenburg. Legislaturperiode 1990–1994. Schriftverkehr, Bürgerbefragung Länderzugehörigkeit Nr. 3.

Bürgerbefragungen und Kreistagsbeschlüsse

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klärt, Gebietsreformen würden erst nach der Länderbildung durch die beteiligten Länder vorgenommen. Zur Zeit müsse jeder Kreis für sich selbst entscheiden.349 Mitte Juli fanden schließlich die Bürgerbefragungen statt. Im Kreis Schmölln lag die Wahlbeteiligung bei 60,72 Prozent. 81,92 Prozent der Abstimmungsberechtigten entschieden sich für Thüringen und 18,08 Prozent für Sachsen. Daraufhin beschloss der Hauptausschuss des Kreistages Schmölln am 16. Juli, die Zugehörigkeit des Kreises zum Land Thüringen zu beantragen.350 Im Kreis Altenburg stimmten bei einer Wahlbeteiligung von 55,33 Prozent 53,81 Prozent für Sachsen und 46,19 Prozent für Thüringen. Der Kreis bestand zu diesem Zeitpunkt aus 35 Städten und Gemeinden, davon einunddreißig aus dem ehemaligen Land Thüringen mit 98 531 Einwohnern (96,8 Prozent). Nur in dreizehn dieser Gemeinden entschieden sich die Bürger mehrheitlich für Thüringen. In den anderen zweiundzwanzig Gemeinden, davon vier aus dem ehemaligen Land Sachsen-Anhalt und eine aus Sachsen, entschieden sich die Bürger mehrheitlich für Sachsen, darunter auch die Bürger der Stadt Altenburg (51426 Einwohner). Hier stimmten bei einer Wahlbeteiligung von 55,38 Prozent 53,80 Prozent (11 565) für Sachsen, in Meuselwitz bei einer Wahlbeteiligung von 53,91 Prozent 54,11 Prozent (2 493) und in Lucka waren es bei einer Beteiligung von 50,9 Prozent 63,52 Prozent (1 635).351 Am 18. Juli, zwei Tage nach dem Votum des Hauptausschusses des Schmöllner Kreistages, trat der Altenburger Kreistag zusammen.352 Gemäß dem Ergebnis der Bürgerbefragung legte Landrat Christian Gumprecht den Entwurf eines Antrages auf Zugehörigkeit zu Sachsen sowie einer Beitrittserklärung in den Sächsischen Landkreistag vor und forderte die Abgeordneten auf, dem Votum der Bevölkerung zu folgen.353 Aus der Fraktion des BFD kam der Hinweis, dass dadurch aber eine geplante Zusammenlegung der Kreise Schmölln und Altenburg verhindert würde. „Jetzt“, so ein Abgeordneter der Liberalen, „kommt also der gedachte Schlagbaum, wenige Meter hinter unserer Stadt. Wenn wir so entscheiden.“ Das könne durch ein vom Befragungsergebnis abweichendes Votum des Kreistages verhindert werden. Da auch in der SPD-Fraktion Bedenken bestanden, wurde hier der Fraktionszwang aufgehoben und geheime Abstim-

349 Verlaufsprotokoll der 3. Sitzung des KT Altenburg am 18. 7.1990 (KAL, Büro KT 4). 350 Schmöllner Landrat, Burghardt Böttcher, an das MRKA vom 16. 7.1990 (KAL, RdK Schmölln, Kreistag 1990–1994, 18). Vgl. Verlaufsprotokoll der 3. Sitzung des KT Altenburg am 18. 7.1990 (ebd., Büro KT 4). 351 Volkskammer der DDR, 10. WP.: Information zur Drucksache 186. Antrag der Fraktion der DSU vom 2. 8.1990 (BArch B, DO 5, 137). Vgl. LVZ, Ausgabe Altenburg, vom 17. 7.1990. 352 Bei den Kommunalwahlen im Mai 1990 hatten die Parteien folgende Wahlergebnisse errungen (in %): CDU 43,30, SPD 21,04, PDS 10,64, BFD 7,42, Bündnis 90 6,82. 353 Landkreis Altenburg, Landrat Christian Gumprecht: Vorlagen 7.1. und 7.2 zur 3. Sitzung des KT Altenburg am 18. 7.1990 (KAL, Büro KT 4).

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mung beantragt.354 Aus der PDS-Fraktion kam der Vorschlag, die Mehrheitsentscheidung der Bürger zu akzeptieren. Die Fraktion des BFD beantragte „auf Grund der Brisanz der Frage“ ebenfalls geheime, die DSU offene Abstimmung. Schließlich plädierte die Mehrheit für eine geheime Abstimmung,355 bei der von den 85 Abgeordneten 65 anwesend waren, sechzehn entschuldigt, drei unentschuldigt fehlten und ein Mitglied erst nach der Abstimmung erschien.356 Von der CDU-Fraktion (37) waren 29 Abgeordnete anwesend, entschuldigt waren sieben, einer fehlte unentschuldigt. Von achtzehn SPD-Abgeordneten waren elf anwesend, sechs entschuldigt, einer fehlte unentschuldigt. Bündnis 90/Grüne war mit vier von sechs Abgeordneten vertreten, je ein Abgeordneter fehlte entschuldigt bzw. unentschuldigt. Die BFD-Fraktion war mit sechs Mandatsträgern vollständig anwesend, von zwei Abgeordneten der DBD fehlte einer entschuldigt, der Bauernverband war mit zwei Abgeordneten vollständig vertreten und von neun Parlamentariern der PDS fehlten zwei entschuldigt.357 Da die Entscheidung nur von 74,1 Prozent aller Abgeordneten getroffen wurde, kann von einer überzeugenden Teilnahme der gewählten Volksvertreter an dieser entscheidenden Sitzung keine Rede sein. Entgegen dem Ergebnis der Bürgerbefragung beantragte der Kreistag Altenburg mit 38 zu 25 Stimmen bei zwei Enthaltungen die Zugehörigkeit zu Thüringen.358 Damit kehrte die Entscheidung von sieben Abgeordneten das Votum der Bevölkerungsmehrheit um.359 Das Ergebnis führte nach Beendigung der Tagung unter den Abgeordneten zu heftigen und kontroversen Diskussionen über die Rechtsgültigkeit des Beschlusses.360 Dabei hatte sich ein derartiges Ergebnis bereits abgezeichnet, war doch von Anfang an klar gewesen, dass die Vorentscheidung Schmöllns ebenso wenig ohne Einfluss bleiben würde wie die Positionierung aller wichtigen Parteien im Wahlkampf zugunsten Thüringens. Für die meisten Abgeordneten kam eine Aufteilung der Kreise in unterschiedliche Länder nicht in Frage. Die Option eines Zusammenschlusses von Schmölln und Altenburg im Rahmen einer Gebietsreform, die im Kreistag hoch bewerteten historischen Bezüge und wirtschaftlichen Verflechtungen beider Kreise untereinander sowie die Auffassung, der Kreis Altenburg passe besser in das mittelständisch orientierte Thüringen, 354 Niederschrift der 2. Sitzung des KT des Landkreises Altenburg am 13. 6.1990 (KAL, 1805 RdK Altenburg. Sitzungen 1990); Verlaufsprotokoll der 3. Sitzung des KT Altenburg am 18. 7.1990 (KAL, Büro KT 4). Die SPD hatte Mitte Juni einen Antrag ihrer Fraktion zum Aufbau eines gemeinsamen Landratsamts für die Kreise Altenburg und Schmölln zurückgezogen, um durch die zwei Kreise „ein stärkeres Gewicht unseres Raumes im künftigen Land Thüringen oder Sachsen“ zu erreichen. 355 Verlaufsprotokoll der 3. Sitzung des KT Altenburg am 18. 7.1990 (ebd.). 356 Niederschrift der 3. Sitzung des KT Altenburg vom 18. 7.1990 (ebd.). 357 Anwesenheitsliste für die 3. Sitzung des KT des Landkreises Altenburg am 18. 7.1990 (KAL, 1805 RdK Altenburg. Sitzungen 1990). 358 3. Sitzung des KT Altenburg am 18. 7.1990; KT–Beschluss 3/III/90 (KAL, Büro KT 4). 359 Reinhard Brüstel an die Volkskammer, den KT Altenburg, den Landrat und die LVZ vom 27. 8.1990 (KAL, KT des Landkreises Altenburg. Legislaturperiode 1990–1994. Schriftverkehr, Bürgerbefragung Länderzugehörigkeit Nr. 3). 360 „Kreistagsbeschluss kippte Sachsenvotum.“ In: LVZ vom 19. 7.1990.

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gaben schließlich den Ausschlag für die Entscheidung.361 Am 19. Juli bestätigten der Vorsitzende des Volkskammerausschusses für Verfassung und Verwaltungsreform, Roland Becker, und Minister Preiß die Rechtmäßigkeit des Kreistagsbeschlusses.362 Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich bei den Bürgerbefragungen acht Kreise für und nur einer (Schmölln) gegen eine Zugehörigkeit zu Sachsen entschieden. Bei allen acht sächsischen Abstimmungssiegen wurde eine Abkehr von den Grenzen von 1952 zugunsten Sachsens angestrebt. Auf der Basis niedriger Befragungsbeteiligungen gab es erhebliche Unterschiede im Grad der Zustimmung zu Sachsen. So votierten in Altenburg oder Bad Liebenwerda bei niedriger Wahlbeteiligung nur knapp über fünfzig Prozent für Sachsen, in den Kreisen des Bezirkes Leipzig gab es durchweg hohe Stimmenanteile für Sachsen, auch wenn, wie im Kreis Torgau, die Wahlbeteiligung nur bei knapp über fünfzig Prozent lag. Oft wurde in der pro-sächsischen Agitation mit einer Zugehörigkeit der Kreise zu Kursachsen vor 1815 argumentiert, ohne das dies freilich in der Öffentlichkeit besondere Resonanz fand. Trotz meist niedriger Wahlbeteiligung machten die Befragungen die Anziehungskraft Sachsens deutlich. Dabei spielten wirtschaftliche Erfolgserwartungen, das gute Image des traditionellen sächsischen Gewerbefleißes sowie die erwartete wirtschaftliche Unterstützung durch Bayern und Baden-Württemberg eine Rolle.363 Wären die Ergebnisse der Befragungen berücksichtigt worden, hätte Sachsen mit drei weiteren Kreisen ein noch größeres Übergewicht gegenüber den anderen neuen Bundesländern erhalten. Das freilich lag nicht im Interesse der DDR-Regierung, die sich ihre auch von der Bundesregierung favorisierte Fünf-Länder-Entscheidung nicht in Frage stellen lassen wollte, galt es doch, den von zahlreichen internationalen Faktoren abhängigen Einigungsprozess nicht zu bremsen. Die staatliche Einheit Deutschlands möglichst schnell zu vollenden, war oberstes Ziel der Regierung in Bonn wie in Ost-Berlin. Ihm hatten sich alle anderen Aspekte unterzuordnen. Entscheidungen wie die der Kreise Torgau, Eilenburg und Delitzsch zeigten aber deutlich, dass es die von der Regierung so oft beschworene breite Forderung der Bevölkerung nach den früheren fünf Ländern nicht durchweg gab. Vor die Wahl zwischen Sachsen-Anhalt und Sachsen gestellt, drängten alle Kreise nach Sachsen.

361 Vgl. Rutz/Scherf/Strenz, Die fünf neuen Bundesländer, S. 95. 362 Fernschreiben vom 19. 7.1990 (KAL, Handakte, Ordner 28). Vgl. Berliner Zeitung vom 20. 7.1990. Zu den Ergebnissen der Bürgerbefragungen in den Kreisen in Bezug auf Sachsen siehe Tab. 3 im Anhang. 363 Vgl. Buchhofer, Der Kampf um die Grenzen der neuen deutschen Länder, S. 222 f.

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5.2.4 Bestätigung der Kreistagsbeschlüsse durch Ländereinführungsgesetz und Proteste gegen Haltung von Volkskammer und Kreistagen Das Ländereinführungsgesetz regelte schließlich und endgültig die Zugehörigkeit der Kreise zu den im Entstehen begriffenen Ländern.364 Danach wurden die Länder Mecklenburg - Vorpommern, Brandenburg, Sachsen - Anhalt, Thüringen und Sachsen durch angenäherte Zusammenführung vorhandener Bezirksterritorien und nicht die Länder in der Raumstruktur von 1952 gebildet. Hauptgrund dafür war, dass seit der Bezirksbildung im Jahre 1952 eine Kreisreform die ehemals bestehenden Landkreise erheblich verändert hatte. Die Wiedererrichtung der Länder in der Form von 1952 hätte bedeutet, die zweiunddreißig bestehenden Landkreise mit 1 278 Städten und Gemeinden und fast zwei Millionen Einwohnern zu zergliedern und neu aufzuteilen. Das Ergebnis wäre eine republikweite Kreisreform mit der Konsequenz gewesen, die am 6. Mai 1990 erstmals demokratisch gewählten Kreistage wieder aufzulösen. Das widersprach aus Sicht der Regierung den „Gesichtspunkten politischer Vernunft ebenso wie den Grundsätzen demokratischer Rechtsstaatlichkeit“.365 Dudek bezeichnete die von Regierung und Parlament getroffene Entscheidung zur Länderstruktur deswegen als „gegenwärtig allein machbare Lösung“,366 und Preiß nannte das Ländereinführungsgesetz einen „Kompromiss zwischen maximaler Berücksichtigung der Bürgerinteressen und möglichst schneller Länderbildung“ als Voraussetzung für die Vereinigung Deutschlands.367 Kritik am vorübergehenden Festhalten an der 1952 geschaffenen Kreisstruktur übte der sächsische Landeshistoriker Karlheinz Blaschke. Die territoriale Neugliederung Sachsens hätte seines Erachtens „tiefer gehen und auch die Ebene der Kreisverwaltung erfassen“ müssen, da auch hier die SED-Herrschaft im Jahre 1952 eine völlig neue Struktur geschaffen habe. Aus den damals bestehenden 28 Landkreisen Sachsens seien 42 neue Kreise gebildet worden. Aus dieser Tatsache ergebe sich die Notwendigkeit, zur alten Struktur der Land- und Stadtkreise zurückzukehren.368 Es zeuge von einem „Mangel an Sachkenntnis und Vertrautheit“ mit den anstehenden Problemen, dass an der Existenz der Kreise nicht gerüttelt, sie vielmehr als Grundlage und Bausteine der neuen Länder behandelt worden seien. Eine territoriale Neuordnung, die ihrer Aufgabe gewach364 Verfassungsgesetz zur Bildung von Ländern in der Deutschen Demokratischen Republik – LEG – vom 22. 7.1990. Regierungspressedienst 29 des Ministerrates der DDR vom 30. 7.1990. In: Texte zur Deutschlandpolitik III/8a, S. 435–446. 365 Ausführungen des Ministers für regionale und kommunale Angelegenheiten, Manfred Preiß, zum LEG vor der Volkskammer am 22. 7.1990 (BArch B, DO 5, 17/262–276). 366 Rainer Dudek an Friedhold Schwabe vom 31. 7.1990 (BSP I). 367 Zit. in Kurt Stempell, Aktennotiz über ein Gespräch mit Friedhold Schwabe vom 8. 7. 1990 (BArch B, DO 5, 12). Die „Übergehung des Willens der Bevölkerung“ durch die Entscheidung der Landtage gegen das Votum der Bevölkerung nennt Matz „den einzigen – aber doch eher marginalen – Schönheitsfehler“ bei der Länderbildung. Matz, Länderneugliederung, S. 106. 368 Blaschke, Alte Länder – Neue Länder, S. 45.

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sen gewesen wäre, hätte mit den Bezirken zugleich die Kreise von 1952 abschaffen und an ihrer Stelle die alten Kreise wieder einführen müssen. Die Bezirke zu beseitigen, aber die Kreise bestehen zu lassen, sei, so Blaschke, eine Halbheit, die „viele Unerquicklichkeiten“ nach sich ziehe und zahlreiche Probleme schaffe. Den Grund für das nach seiner Meinung halbherzige Vorgehen sah er darin, dass der revolutionäre Impuls der friedlichen Revolution im Frühjahr 1990 nicht mehr ausreichte, um die Verwaltungsstruktur auf Kreisebene auf ihren Stand vor 1952 zurückzuführen, hätte eine solche Maßnahme doch Unruhe verursacht, weil einige hundert Kreisverwaltungen beseitigt und Tausende von Verwaltungsangestellten arbeitslos geworden wären.369 Mit seiner Kritik am Ländereinführungsgesetz stand Blaschke nicht allein. Vor allem die Bestätigung der von der Bürgerbefragung abweichenden Beschlüsse der Kreistage von Altenburg, Senftenberg und Bad Liebenwerda durch die Volkskammer führte auf den verschiedensten Ebenen zu Protesten. Bereits bei der Verabschiedung des Ländereinführungsgesetzes durch die Volkskammer kritisierten einige Abgeordnete den Gesetzesentwurf wegen der bis dahin ruchbar gewordenen Abweichungen zwischen Kreistagsbeschlüssen und Bürgerbefragungen. Angesichts der Kreistagsvoten in Altenburg, Bad Liebenwerda und Senftenberg war zunächst keinesfalls klar, ob die Volkskammer den abweichenden Entscheidungen überhaupt zustimmen würde.370 So fragte der liberale Abgeordnete Dieter Gleisberg aus Altenburg in der Debatte zum Gesetzesentwurf den ebenfalls von dort stammenden Sprecher des Volkskammerausschusses für Verfassung und Verwaltungsreform, Volker Schemmel (SPD), unter Beifall, ob er es für demokratisch halte, wenn Volksbefragungen durchgeführt und dann von den Kreistagen ignoriert würden. Sabine Fache (PDS), ebenfalls aus Altenburg, erklärte, viele Bürger hätten sie gefragt, warum man zunächst Befragungen durchgeführt habe, bei denen es den Bürgern nicht einmal bewusst geworden sei, ob es sich nur um eine Befragung oder um eine Entscheidung handelte und bei denen am Ende das Ergebnis nicht beachtet wurde. Damit verwies sie auf einen neuralgischen Punkt, denn tatsächlich hatten viele Bürger in den Bürgerbefragungen eine alle anderen demokratischen Willensbildungsorgane bindende Vorentscheidung gesehen. Auch Lothar Bisky (PDS) verwies in diesem Zusammenhang auf die seiner Meinung nach „dilettantische Art und Weise der Befragung“. Niemand habe genau gewusst, ob es sich um einen Entscheid oder eine Befragung handele. Schemmel wies alle Vorwürfe zurück und erklärte, die Befragung sei eindeutig als solche gekennzeichnet gewesen. Obwohl es am 2. Mai sogar einen öffentlich bekannt gemachten Ministerratsbeschluss über die Durchführung von Plebisziten gegeben hatte, behauptete er, es hätten „nie Zweifel“ bestanden, „dass diese Bürgerbefragung nur ein Ausgangspunkt sein kann für die eigenständige Beschlussfassung durch die entsprechenden Kreistage“. In etwas eigenwilliger Interpretation erklärte er unter Protesten aus dem Plenum, 369 Vgl. ders., Das Werden der neuen Bundesländer, S. 138. 370 Vgl. „Neue Grenzen für die alten Länder Mitteldeutschlands.“ In: FAZ vom 23. 7.1990.

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der Volkskammerausschuss für Verfassung und Verwaltungsreform habe „eindeutig festgelegt, dass es rechtens ist, und was rechtens ist, dürfte wohl auch demokratisch sein“. Rainer Pietsch (Bündnis 90/Grüne) aus Leipzig wies auf die absurde Tatsache hin, dass in Bad Liebenwerda nur 25,5 Prozent der Bevölkerung für Brandenburg gestimmt hätten, der Kreis aber dennoch zu Brandenburg kam, dem es zudem noch niemals zuvor angehört hatte. Es sei „sehr bedenklich, dass die Entscheidung des Kreistages dergestalt gegen das Votum der Bürger“ gehe. Peter Hildebrand (Bündnis 90/Grüne) aus Dresden beantragte, in allen Fällen, in denen der Kreistag anders entschieden habe als das Mehrheitsvotum bei der Befragung, die Lage durch Plebiszite zu klären.371 Trotz aller Bedenken wurde das Ländereinführungsgesetz schließlich mit Stimmenmehrheit verabschiedet. Da keine namentliche Abstimmung erfolgte, ja die Stimmen nicht einmal ausgezählt wurden, lässt sich die Zahl der Gegenstimmen nicht mehr genau ermitteln. Nach der Verabschiedung des Gesetzes ging die Kritik an der formal durchaus verfassungskonformen Umkehrung des Bürgerwillens durch die Kreistage weiter. Der DSU-Vorsitzende Hansjoachim Walther nannte die Möglichkeit, dass Kreistage von der Befragung abweichende Beschlüsse fassen konnten, einen eklatanten Schwachpunkt des Gesetzes. Seine Partei beantragte am 2. August eine Änderung des Ländereinführungsgesetzes dahingehend, die Volksbefragungen in den Kreisen Altenburg, Bad Liebenwerda und Senftenberg zu berücksichtigen und diese dem Land Sachsen zuzuordnen. Die Vorgehensweise der Kreistage wurde als undemokratisch verurteilt. Mit Recht, so Walther, fragten die Bürger nach dem Sinn des Ministerratsbeschlusses zur Bürgerbefragung. „Entscheidend sollte nicht die knappe, auf parteipolitischen Erwägungen beruhende Mehrheit des Kreistages sein, sondern der Wille der Bevölkerung.“372 Freilich wäre der DSU-Antrag glaubwürdiger gewesen, hätte sich die DSU im Kreis Altenburg nicht selbst und zudem recht polemisch gegen das Bürgervotum und für den vom Mehrheitswillen abweichenden Kreistagsbeschluss stark gemacht.373 Für die CDU wies der Vorsitzende des Ausschusses für Verfassung und Verwaltungsreform, Roland Becker aus Leipzig, den DSU-Antrag als „rechtlich nicht machbar“ zurück. Mit der Anerkennung der von den Kreistagen beschlossenen Anträge zur Landeszugehörigkeit folge die Volkskammer konsequenterweise dem von ihr selbst am 17. Mai 1990 mit dem Beschluss zur Kommunalverfassung staatsrechtlich dokumentierten Grundsatz der kommunalen Selbstverwaltung. Demnach sei der Kreistag die Vertretung der Bürger und das oberste Willens - und Beschlussorgan des Landkreises (Paragraph 81, Abs. 1). Die von der DSU geforderte Zuordnung der Kreise Altenburg, Bad Lie371 Volkskammer der DDR, 10. WP., 27. Tagung am 22. 7.1990, S. 1210–1214. 372 Volkskammer der DDR, 10. WP.: Drucksache Nr. 186. Antrag der DSU vom 2. 8.1990. Vgl. Die Union vom 3. 8.1990. 373 DSU–Pressereferenten des Kreises Altenburg, Uwe Fischer, an die „LVZ“ vom 22. 7. 1990 (KAL, KT des Landkreises Altenburg. Legislaturperiode 1990–1994. Schriftverkehr, Bürgerbefragung Länderzugehörigkeit Nr. 3).

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benwerda und Senftenberg zum künftigen Land Sachsen käme einer Aufhebung der Kreistagsbeschlüsse gleich. Dieser Antrag sei grundsätzlich abzulehnen, weil er dem Selbstverständnis kommunaler Selbstverwaltung und den dazu von der Volkskammer beschlossenen Rechtsgrundsätzen widerspreche. Hinsichtlich der Verbindlichkeit der Bürgerbefragungen für die Kreistage habe es keine Festlegungen gegeben. Es könne aber kein undemokratisches Vorgehen sein, wenn die am 6. Mai erstmals frei gewählten Kreistagsabgeordneten unabhängige Entscheidungen träfen. Freilich räumte selbst Becker ein, das durch das Procedere hervorgerufene Unverständnis sei verständlich. Die Entscheidungen der Kreistage selbst aber müssten, solle die begonnene kommunale Selbstverwaltung nicht schon wieder eingeschränkt werden, als rechtens und legitim anerkannt werden. Er plädierte daher dafür, den Antrag der DSU abzulehnen.374 Die Sichtweise der Verantwortlichen in Regierung und Volkskammer dokumentiert auch eine Ausarbeitung, die als Grundlage für die Volkskammerdebatte zum DSU-Antrag gedient hatte. Hier hieß es, die Ergebnisse der in den Kreisen durchgeführten Bürgerbefragungen seien für die Kreistage lediglich eine „Entscheidungshilfe“ für die Beschlussfassung über die Anträge zur künftigen Landeszugehörigkeit gewesen, die rechtlich in keiner Weise die in der Kommunalverfassung festgeschriebene Beschlusshoheit und -unabhängigkeit eines Kreistages und seiner Mitglieder einengen konnten.375 Dass die Regierung selbst mit ihrer Regelung unzufrieden war, gesteht im Nachhinein der damalige Staatsminister im Büro des Ministerpräsidenten ein. „Ich habe“, so Klaus Reichenbach, „das auch de Maizière gegenüber gesagt. Ich sagte, dass ist doch Unsinn. Entweder machen wir eine Volksbefragung, oder wir lassen die Vertreter durch das Volk wählen und die entscheiden dann. Aber beides zu machen, das ist Unsinn und das hat auch nur viel Frust und Ärger gebracht. Das war das einzige, wo ich sage, das ist nicht gut gelaufen.“376 Die faktische Benachteiligung des im Entstehen begriffenen Landes Sachsen durch Regierung und Volkskammer führte verständlicherweise vor allem hier zu Protesten, hatte man doch keine Möglichkeit, sich gegen die zentralistischen Tendenzen bei der Länderbildung zur Wehr zu setzen. Der Leiter des Koordinierungsausschusses zur Bildung des Landes Sachsen, Arnold Vaatz, erklärte am 26. Juli vor dem Sächsischen Forum, einem Gremium aus den Runden Tischen der Bezirke Chemnitz, Dresden und Leipzig, die Diskrepanz zwischen den Bürgerbefragungen und den abweichenden Beschlüssen der Kreistage, also zwischen repräsentativer und direkter Demokratie, halte er für wenig glücklich. In der Phase des Überganges von der Diktatur zur Demokratie führe sie zu einem 374 Volkskammer der DDR, 10. WP.: Drucksache 186. Antrag der Fraktion der DSU vom 2. 8.1990 zur Änderung des Verfassungsgesetzes zur Bildung von Ländern in der DDR (BArch B, DO 5, 137). 375 Volkskammer der DDR, 10. WP.: Drucksache 186. Antrag der Fraktion der DSU vom 2. 8.1990 zur Änderung des Verfassungsgesetzes zur Bildung von Ländern in der DDR, Kruschinsky Diskussionsgrundlage (ebd.). 376 Interview Klaus Reichenbach.

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Vertrauensverlust in die repräsentative Demokratie.377 Auch Blaschke kritisierte, dass die Volkskammer sich den „undemokratischen Entscheidungen“ angeschlossen habe, indem sie die Kreistagsentscheidungen höher bewertete als die der Bürgerbefragungen.378 Karl Bönninger, Rechtswissenschaftler an der Leipziger Universität, erklärte, die Bürgerbefragung habe den Rang eines Volksentscheides gehabt, der weit über Kreistagsbeschlüssen als Gesetz einzuordnen sei. In Artikel 20.2 des Grundgesetzes heiße es, alle Staatsgewalt gehe vom Volke aus. Sie werde vom Volk in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe ausgeübt. Gerade in einem Fall wie diesem sehe das Grundgesetz Volksentscheide vor.379 Bei der Länderbildung, so Kaufmann, sei durch Regierung und Volkskammer starker Einfluss auf die im Entstehen begriffenen Länder ausgeübt worden. Ein besonderes Beispiel dafür biete die „Missachtung der Bürgerentscheide der ersten Phase“ in denjenigen Kreisen, die bis 1952 überwiegend anderen Ländern angehörten als denen nach Paragraph 1 des Ländereinführungsgesetzes vorgesehenen. Zunächst hätten die Plebiszite plötzlich nur noch Volksbefragung geheißen; mit der Verabschiedung des Ländereinführungsgesetzes am 22. Juli habe die Volkskammer schließlich „unter Nichtbeachtung“ der vom Ministerrat selbst beschlossenen Prinzipien die Kreistagsbeschlüsse bestätigt. Dieses aus demokratischer Sicht „äußerst zweifelhafte Vorgehen“ habe seinen Grund möglicherweise darin gehabt, dass es die Regierung „für zweckmäßig hielt, den bevölkerungsärmeren und strukturschwächeren Ländern Brandenburg und Thüringen diese Kreise zuzusprechen, als sie dem sowieso lebensfähigen Land Sachsen einzuverleiben“. Das Vorgehen sei ein weiteres Beispiel für die mangelnde wirkungsvolle Beteiligung der Bürger an der Neuordnung in den werdenden Ländern, das „Zweifel an der demokratischen Legitimation“ des Ländereinführungsgesetzes wach werden lasse und „zentralistische Tendenzen der Vorgänge um die Ländergründung deutlich“ mache.380 Kritik kam aber nicht nur von Wissenschaftlern. In einem offenen Brief an de Maizière und die Volkskammer forderte zum Beispiel der „Sachsenbund“ eine Aufhebung der Kreistagsbeschlüsse. Es sei „unverständlich, dass in den Kreistagen die Votierung der Bürger ignoriert“ und „nach alter zentralistischer Manier – von oben – gegen die Stimme des Volkes gehandelt“ werde. Die Bürger betrachteten die Befragung als „Farce“ und fühlten sich „unmündig wie vor der Wende“. Die „Geburtswehen“ der Länderneubildung dürften nicht von „Ungerechtigkeiten der alten Art und Weise“ begleitet werden.381 Die Regierung antwortete in gewohnter Manier und wies alle Bedenken zurück. Der Ende Sep377 Vgl. Die Union vom 30. 7.1990. 378 Blaschke, Vom Werden der neuen Bundesländer, S. 138. 379 Vgl. Sächsische Zeitung vom 20. 7.1990. 380 Kaufmann, Bundesstaat, S. 97 f. Vgl. Richter, Räte, „Volksvertretungen“, Runde Tische, S. 182; ders., Von der friedlichen Revolution zum Freistaat Sachsen, S. 58; ders., Zwischen zentralistischer Tradition und föderativem Neuanfang, S. 177–194. 381 „Sachsenbund“, gez. Anne-Katrin Savelsberg, an den Ministerpräsidenten und die Volkskammer, o. D. [Posteingang 9. 8.1990] (BArch B, DO 5, 123).

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tember vor der Volkskammer als Inoffizieller Mitarbeiter des MfS enttarnte Minister Preiß erklärte auf alle Anfragen, jedes Negieren der Beschlüsse der von den Bürgern demokratisch gewählten Vertretungen untergrabe die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und der Selbstverwaltung.382 Am massivsten war die Kritik am Vorgehen von Regierung, Volkskammer und Kreistagen verständlicherweise in der Bevölkerung der betroffenen Kreise selbst. Im Süden des Kreises Senftenberg setzte nach der Entscheidung des Kreistages für Brandenburg ein Sturm der Entrüstung ein. Am 20. Juli protestierten die Bürgermeister von Ortrand, Ruhland und elf weiterer Gemeinden gegen den Beschluss vom Vortag und forderten die DDR-Regierung auf, das Ergebnis der Bürgerbefragung durchzusetzen.383 In Grünewald, wo sich 91,5 Prozent der Bevölkerung für Sachsen ausgesprochen hatten, verlangten die Bewohner die Ausgliederung aus dem Kreis Senftenberg und die Angliederung an den Kreis Hoyerswerda.384 Auch zahlreiche Einwohner von Schwarzheide legten bei der Volkskammerpräsidentin „entschiedenen Widerspruch“ gegen den Beschluss des Kreistages ein und forderten die „Respektierung des mehrheitlichen Willens“ der Bevölkerung.385 Ein entsprechendes Fernschreiben ging auch aus der Gemeinde Hosena ein.386 Kißro machte den Landrat auf vermeintliche Formfehler bei der Beschlussfassung des Kreistages aufmerksam. So seien nicht alle Abgeordneten eingeladen gewesen, eine Abgeordnete sei vom Betrieb nicht freigestellt worden, Dezernenten der Kreisverwaltung hätten an der Sitzung und der Abstimmung teilgenommen, ihre Stimme sei wegen Befangenheit ungültig.387 Am 22. Juli marschierten zirka dreitausend Bürger in Anwesenheit der Landräte der Kreise Senftenberg und Großenhain sowie der Bürgermeister von Ortrand, Tettau, Lindenau, Frauendorf, Kroppen, Jannowitz, Kmehlen und Lauchhammer vom Ortrander Marktplatz zur Lindenauer Autobahnbrücke und blockierten für eine halbe Stunde die Autobahn zwischen Dresden und Berlin.388 Am 26. Juli kam es daraufhin zu einer Beratung des Landratsamtes Senftenberg mit dem Kreisausschuss und den Gemeindevertretern, bei der gefordert wurde, die Landeszugehörigkeit im Kreistag erneut auf die Tagesordnung zu setzen. Im Falle einer wiederholten Entscheidung für Brandenburg kündigten die Kreistagsabgeordneten des südlichen Kreisgebietes die Vertrauensfrage und einen Antrag auf Auflösung des Kreistages an.389 Einen Tag später protestierte 382 Manfred Preiß an Reinhard Kißro vom 8. 8.1990 (ebd., 129); Ausführungen zur Beratung mit den Regierungsbevollmächtigten am 30. 7.1990 zur praktischen Umsetzung des LEG (ebd., 8); BVB Erfurt: Festlegungen aus der Dienstberatung der BVB mit den Leitern der Ressorts am 1. 8.1990 (ThHStA, BT/RdB, 044691). 383 Fernschreiben an Manfred Preiß vom 20. 7.1990 (BArch B, DO 5, 138). 384 Grünewald (Kreis Senftenberg): Protestresolution vom 20. 7.1990 (ebd.). Nicht zu verwechseln mit Grünewalde im gleichen Kreis. 385 Schreiben an Sabine Bergmann-Pohl vom 20. 7.1990 (ebd.). 386 Fernschreiben der Gemeindevertretung Hosena an Sabine Bergmann-Pohl, o. D. (ebd.). 387 Formfehler, gez. Kißro, „Allianz für Sachsen“ (MAO, SL bis 1990, I). 388 Vgl. Lausitzer Rundschau vom 27. 7.1990. 389 Fernschreiben, i.A. Reinhard Kißro, an Sabine Bergmann-Pohl vom 22. 7.1990 (BArch B, DO 5, 138). Vgl. Sächsische Neueste Nachrichten vom 25. 7.1990.

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der „Sachsenbund“ erneut bei Ministerpräsident de Maizière und der Volkskammer.390 Am selben Tag stellte Landrat Fichte beim Obersten Verwaltungsgericht der DDR Antrag auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Ministerratsbeschlüsse vom 2. Mai und vom 6. Juni und damit des Volkskammerbeschlusses vom 22. Juli 1990 zum Länderbildungsgesetz. Ziel des Vorstoßes war die Anerkennung der Bürgerbefragung als Plebiszit, hätte dies doch den Kreistagsbeschluss hinfällig gemacht. Der Ministerratsbeschluss vom 2. Mai, so Fichte, besage in den Absätzen fünf und sechs, dass Plebiszite durchzuführen seien. Gemäß Absatz fünf hatte der Minister für kommunale und regionale Angelegenheiten eine Durchführungsbestimmung zu schaffen, die durch den Ministerrat am 6. Juni bestätigt worden sei. Im Ministerratsbeschluss vom 6. Juni werde zwar nun nur noch von Bürgerbefragungen gesprochen, aber zugleich vom „Abstimmungsgebiet“ (Punkt 3 letzter Satz), von „Stimmscheinen“ (Abs. 4), von „Abstimmungsberechtigten“ (Abs. 5). Im Absatz sechs werde sogar die Formulierung „für das sich die Mehrheit der Bürger entschieden hat“ verwendet. Der Abstimmungsschein trage ebenfalls die Aufschrift „Stimmschein“. Im Ministerratsbeschluss vom 6. Juni sei „in keiner Weise der Charakter eines Bürgerentscheides widerrufen oder auch darauf hingewiesen“ worden. Deshalb, so Landrat Fichte, sei bei einem Plebiszit kein nochmaliger Beschluss des Kreistages möglich gewesen, da gemäß des Artikels 5 der Verfassung der DDR eine Wahl oder ein Bürgerentscheid die höchste Form der Beschlussfassung war. Fichte bat darum, schnellstmöglich eine Entscheidung zu treffen, da unter den derzeitigen Bedingungen im Kreisterritorium keine ordentliche Arbeit des Landratsamtes mehr möglich sei, dringend anstehende Probleme nicht gelöst werden könnten und „sogar die Nichtregierbarkeit über die Auflösung des Kreistages bis zur Neuwahl zur Debatte“ stehe.391 Gegenüber der Presse erklärte er, der springende Punkt der Auseinandersetzung sei, dass Abgeordnete des Kreistages das Demokratieempfinden der Bürger verletzt hätten. Viele von ihnen verstünden nicht, dass die mit großem Aufwand durchgeführte Volksbefragung auf einmal keinerlei Bedeutung mehr haben solle.392 Nach seinem Antrag beim Obersten Verwaltungsgericht der DDR setzten die Regierung und der Regierungsbeauftragte des Bezirkes Cottbus, Karl-Heinz Kretschmer, Fichte unter Druck. Ohne eine rechtliche Klärung der Vorwürfe abzuwarten, wurde ihm erläutert, dass die Zuordnung des Kreises nach dem Ländereinführungsgesetz vom 22. Juli rechtens sei und die Gemeinden, die früher zum Land Sachsen gehörten, die Möglichkeit hätten, einen Wechsel der Landeszugehörigkeit zu beantragen. Einen Tag vor der eigens einberufenen Sondersitzung des Senftenberger Kreistages am 1. August führte Kretschmer am 30. Juli eine Sonderberatung mit den Abgeordneten der CDU-Mehrheitsfraktion und 390 Offener Brief des „Sachsenbundes“ an den Ministerpräsidenten und die Volkskammer vom 27. 7.1990 (MAO, unsortiertes Material). 391 Hans-Jürgen Fichte an das Oberste Verwaltungsgericht der DDR beim Obersten Gericht der DDR vom 27. 7.1990 (MAO, SL bis 1990, I). 392 Lausitzer Rundschau vom 28. 7.1990.

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den Beisitzern des Landrates durch. Dabei veranlasste er den Landrat zur Zurücknahme seines Einspruches. In Rücksprache mit Preiß wurde vereinbart, dass der Minister persönlich Stellung zur Rechtsstaatlichkeit und zur Verfahrensweise der Bürgerbefragung, zum Kreistagsbeschluss sowie zur Volkskammerentschließung auf der Grundlage der Beschlüsse des Ministerrates und der Volkskammer beziehen solle. Kretschmer schrieb Preiß, die Anwesenden hätten gefordert und gebeten, den Minister bzw. einen Stellvertreter zu hören. Würde dieser Forderung der Kreistagsabgeordneten entsprochen, so könne „die Gesamtproblematik der Landeszugehörigkeit des Kreises Senftenberg einer konstruktiven Klärung zugeführt“ werden. Kretschmer rechnete es sich als persönliches Verdienst an, in der Beratung erreicht zu haben, „dass nicht mehr primär die Entscheidung der Landeszugehörigkeit, sondern die Verfahrensweise zur Beschließung im Vordergrund“ gestanden habe.393 Am 1. August war die Situation aufgeheizt. Vor dem Kulturhaus „Erich Weinert“ des Synthesewerkes Schwarzheide, in dem die Sondersitzung des Kreistages stattfand, demonstrierten zirka dreihundert Bürger mit weiß-grünen Fahnen. Zur Unterstützung der Sachsen-Anhänger spielte der Ortrander Spielmannszug. Die Demonstranten forderten, der Kreistag müsse seine Entscheidung vom 19. Juli rückgängig machen. Zur allgemeinen Überraschung zog Landrat HansJürgen Fichte zu Beginn der Tagung seinen Einspruch gegen den Kreistagsbeschluss zurück und bezeichnete diesen nun plötzlich als geltendes Recht. Preiß war trotz dringlicher Bitten nicht erschienen. Statt seiner sekundierte Rainer Dudek, Abteilungsleiter im Ministerium für kommunale und regionale Angelegenheiten, dem aufmüpfigen, nun aber wieder gebändigten Landrat und verwies auf die Möglichkeit einzelner Gemeinden, nach Paragraph 2.3 des Ländereinführungsgesetzes auch nach der Länderbildung einen Wechsel nach Sachsen zu beantragen.394 Noch war nicht klar, dass die Regierung de Maizière auch hinsichtlich dieses Rechtes nur halbe Arbeit geleistet hatte und sich ein Wechsel für alle Kommunen der Kreise Senftenberg und Bad Liebenwerda als Trugschluss erweisen würde. Auf die Rolle der Regierung in dem gesamten Verfahren deutet ein Hinweis des „Sachsenbundes“ an Bundeskanzler Helmut Kohl hin, wonach sich am Ende der Sondersitzung eine Abgeordnete bei Dudek bedankt und erklärt haben soll, „dass der Erfolg für Brandenburg erst durch seine Empfehlung und die Einwände gegen die Verfassungsklage von Landrat Fichte“ vom 27. Juli beim Obersten Gericht der DDR möglich geworden sei.395 Wie von Kretschmer hervorgehoben, verlagerte sich nun unter der Regie der Regierung der Streit zu einem Nebenkriegsschauplatz, nämlich zur Frage der Rechtmäßigkeit des Kreistagsbeschlusses. So unterstellten einige Volkskammer393 Karl-Heinz Kretschmer an Manfred Preiß vom 31. 7.1990: Information über Sonderberatung mit Abgeordneten des KT Senftenberg vom 30. 7.1990 (Brandenburg. LHA, Rep. 801 23642). 394 Lausitzer Rundschau vom 2. 8.1990. 395 Zit. in Schreiben des „Sachsenbundes“ an Helmut Kohl und die Bundesminister vom 3. 9.1991 (MAO, Schriftverkehr Länderbildung ab 1991, II).

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abgeordnete „eine Verletzung der Rechtsvorschriften der Kommunalverfassung bei der Vorbereitung und Durchführung der Sitzung des Kreistages Senftenberg zur Beschlussfassung des Antrages über die künftige Landeszugehörigkeit“.396 Auch das CDU-Blatt „Die Union“ berichtete am 3. August, ihr lägen Hinweise vor, wonach die Volksbefragung unfair verlaufen sei. In vielen Haushalten seien keine Wahlscheine ausgeteilt worden. Auf Anfrage der Zeitung bestätigte der stellvertretende Landrat von Senftenberg, Wolfgang Nicolai, dass ganze Straßenzüge bei der Verteilung der Wahlscheine vergessen worden seien. Eine Benachteiligung sei dadurch allerdings nicht entstanden, da die bisherige SEDBezirkszeitung „Lausitzer Rundschau“ darüber berichtet habe. Am 14. August wurden die Hinweise im Auftrag des Volkskammerausschusses für Verfassung und Verwaltungsreform und des Ministers für regionale und kommunale Angelegenheiten vor Ort geprüft. Untersucht wurde im Einzelnen, ob alle Abgeordneten des Kreistages zu der entscheidenden Sitzung eingeladen worden waren, ob Betriebe Kreistagsabgeordnete vorsätzlich nicht freigestellt hatten, ob Dezernenten der Kreisverwaltung an der Abstimmung des Kreistages teilgenommen und ob der Landrat die entstandene Situation dem Rechtsausschuss des Kreistages übertragen hatte. Die Untersuchung bestätigte, dass von 98 Abgeordneten 77 an der Sitzung teilgenommen hatten, 20 wegen Urlaub entschuldigt waren und dass eine Abgeordnete zu Beginn der Sitzung von ihrer Fraktion aus dienstlichen Gründen entschuldigt worden war.397 Obwohl die Untersuchungskommission nach eigenem Bekunden in Senftenberg nicht mehr feststellen konnte, ob alle Abgeordneten eingeladen waren,398 hieß es später in Beantwortung eines Antrages der DSU-Volkskammerfraktion, allen Abgeordneten sei eine am 4. Juli vom Vorsitzenden des Kreistages unterschriebene Einladung zugesandt worden, außerdem sei am 17. Juli die ortsübliche öffentliche Einladung in der Kreispresse erfolgt. Aus der Anwesenheit bzw. den Entschuldigungsgründen der Abgeordneten sei eine vorsätzliche Nichtfreistellung von Abgeordneten nicht zu erkennen. Der Kreistagsabgeordnete, der in einem vorhergehenden Tagesordnungspunkt als Dezernent der Kreisverwaltung bestätigt worden war, habe seine Tätigkeit zum Zeitpunkt der Abstimmung noch nicht angetreten und weiterhin sein Mandat als Abgeordneter ausgeübt. Aus den angeführten Fakten ergebe sich auch, dass keine Veranlassung bestand, Verlauf und Ergebnisse der Kreistagssitzung noch einmal in die Ausschüsse zu überweisen. Am 22./23. August nahm der Volkskammerausschuss für Verfassung und Verwaltungsreform die Berichterstattung des Ministeriums für regionale und kommunale Angele396 Information über die Prüfung der Vorbereitung und Durchführung der Beschlussfassung des KT Senftenberg am 19. 7.1990 über die künftige Landeszugehörigkeit (BArch B, DO 5, 124). 397 Volkskammer der DDR, 10. WP.: Information zur Drucksache 186. Antrag der Fraktion der DSU vom 2. 8.1990. 398 Information über die Prüfung der Vorbereitung und Durchführung der Beschlussfassung des KT Senftenberg am 19. 7.1990 über die künftige Landeszugehörigkeit (BArch B, DO 5, 124).

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genheiten zustimmend zur Kenntnis und bestätigte, dass Sachverhalte, die einen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Kreistagsbeschlusses begründet hätten, nicht festgestellt werden konnten.399 Alle Hinweise und Anschuldigungen zu eventuellen Unregelmäßigkeiten bei der Abstimmung im Kreistag hätten sich „vollständig als haltlos“ erwiesen.400 Weniger turbulent als in Senftenberg ging es im westlichen Nachbarkreis zu. Aber auch in Bad Liebenwerda kam es zu ablehnenden Stellungnahmen. So protestierte am 26. Juli eine Bürgerinitiative bei Innenminister Peter-Michael Diestel gegen den „unerhörten Betrug des Kreistages Bad Liebenwerda“. Obwohl die Mehrheit der Bevölkerung für Sachsen war, hätten „die alten Beamten des SEDRegimes“ für Brandenburg gestimmt, „um ihre Posten zu behalten“. Die DDRRegierung fördere „geradezu den Wahlbetrug“. „Viele Bürger glaubten wieder an den alten Betrug der Wahlfälschung wie vor der „Wende“.401 Die Proteste fanden ihren Niederschlag auch in der Leserpost der Zeitungen.402 So schrieb eine Leserin aus Bad Liebenwerda, man fühle sich „zurückversetzt in alte Zeiten, wo nach außen hin der Anschein verbreitet wurde, die Interessen des Volkes zu vertreten, diese jedoch mit Füßen getreten wurden“. Die Volksbefragung zur Länderzugehörigkeit sei durch die getroffene Entscheidung „zur Farce degradiert“. Ein anderer Leser meinte, die Kreistagsabgeordneten hätten es „nun endlich geschafft, in alter Manier und mit SED-Strategie den Kreis und seine Bevölkerung dem Lande Brandenburg zuzuordnen bzw. die verbindliche Voraussetzung für den Beschluss der Volkskammer zu schaffen“. Ein Leser aus Stolzenhain schrieb, es sei „Verdummung der Wähler und Erschleichen von Posten“, wenn nach einer Volksbefragung Abgeordnete „gegen den Willen des Volkes“ entschieden. Die Regierung wies alle Vorwürfe mit einheitlichen, standardisierten Schreiben zurück und bezeichnete auch die Entscheidung des Kreistages Bad Liebenwerda als rechtens.403 Auch im Kreis Altenburg brach, ähnlich wie in Bad Liebenwerda und Senftenberg, ein Sturm der Entrüstung über das Votum des Kreistages und seine Bestätigung durch die Volkskammer los. Empörte Bürger wandten sich mit Protestbriefen an die Institutionen des Kreises und der Republik. Kritisiert wurde vor allem die Verfahrensweise, die widersprüchliche Ergebnisse von Bürgerbefragung und Kreistagsbeschluss überhaupt erst erlaubt hatte.404 Der Kreistag Eilenburg reagierte „mit Befremden“ darauf, dass der Kreistag Altenburg, „den Mehrheitswillen der Bürgerbefragung missachtend“, sich für eine künftige Landeszugehörig399 Volkskammer der DDR, 10. WP.: Ausschuss für Verfassung und Verwaltungsreform. Beschlussprotokoll der 16. Ausschusssitzung vom 22.8. und 23. 8.1990 (ACDP, VII-012, 6135). 400 Volkskammer der DDR, 10. WP.: Zur Drucksache 186. Antrag der Fraktion der DSU vom 2. 8.1990 zur Änderung des Verfassungsgesetzes zur Bildung von Ländern in der DDR, Rede des Abgeordneten Roland Becker. 401 Bürgerinitiative Bad Liebenwerda an Peter-Michael Diestel vom 26. 7.1990 (BArch B, DO 5, 138). 402 Leserpost. In: Elbe-Elster Rundschau, Lokalseite Liebenwerda, vom 26. 7.1990. 403 Rainer Dudek an den RdG Merzdorf vom 9. 8.1990 (BArch B, DO 5, 129). 404 LVZ, Ausgabe Altenburg, vom 20. 7.1990.

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keit entgegen dem Ergebnis der Bürgerbefragung entschieden habe. Eine solche Verfahrensweise sei mit demokratischen Grundsätzen unvereinbar.405 Der Altenburger Kreistagsabgeordnete H. Uhlemann erklärte, die Handhabung der Problematik erinnere ihn an den „Arbeitsstil eines Zentralkomitees“. Der Antrag des Landrates auf Zugehörigkeit zum Land Sachsen sei nicht wegen zwingender sachlicher Gründe gekippt worden, das Votum habe sich vielmehr „nach ausschließlich individuellen Wünschen mancher Abgeordneten“ gerichtet. Diese hätten aber moralisch nicht das Recht, sich über das Votum der Bevölkerung hinwegzusetzen. Mit der breiten Ankündigung einer Bürgerbefragung sei, so Uhlemann, „echte Demokratie angedeutet“ worden, in der Auswertung habe das Altenburger Parlament selbiger jedoch „hart ins Gesicht“ geschlagen. Der Vorgang müsse „nicht nur als parlamentarisches Ungeschick, sondern als erneuter entmündigender Stil“ gedeutet werden, „den wir nach der Wende eigentlich nicht mehr wollten“. Dies dürfte „wohl kaum der richtige Nährboden für eine zukünftige fruchtbringende Arbeit unseres Kreistages“ sein. Uhlemann stellte sein Mandat wegen des Vorganges in Frage.406 Am 23. Juli erklärte auch der Altenburger Bürgermeister, Johannes Ungvári, in einem Schreiben an die Kreistagsabgeordneten, die meisten Proteste richteten sich gegen die Art und Weise, wie der Kreistagsbeschluss zustande gekommen sei. Die Bürger hätten ein Recht zu erfahren, was die Mehrheit der Mandatsträger bewogen habe, entgegen dem Votum der Bürgerbefragung zu entscheiden. „Bleiben diese aufklärenden Worte aus, haben Sie unserem erst neu erwachten und noch nicht gefestigten Demokratiebewusstsein großen Schaden zugefügt, der noch lange nachwirken wird.“407 Ein Bürger schrieb den Kreistagsabgeordneten: „Mit Ihrer Entscheidung haben Sie sich voll auf die gleiche Höhe placiert, wie das vergangen geglaubte 40-jährige SED-Regime. Sie sind weiß Gott keinen Deut besser als Honecker und Co.“408 Auch Vertreter der Gemeinde Haselbach meinten, bei den Protesten gehe es nicht um rechtliche Standpunkte, sondern um „die Art und Weise, wie die Bürgermeinung ignoriert wurde“. „Wozu“, so fragten sie, „eine Befragung mit diesem Kostenaufwand, wenn sie sowieso zur Bedeutungslosigkeit degradiert wurde? Diese Farce steht im krassen Widerspruch zu unserem Demokratieverständnis, da die Bürger wieder einmal zur Unmündigkeit herabgewürdigt wurden.“409 Rückendeckung erhielt der Kreistag durch Stellungnahmen, in denen der Anschluss an das Land Thüringen begrüßt wurde. So erklärte die DSU, völlig im 405 Fernschreiben des KT Eilenburg an Sabine Bergmann-Pohl vom 21. 7.1990 (BArch B, DO 5, 138). 406 H. Uhlemann an den Vorsitzenden der CDU-Fraktion, Ottfried Grimm, vom 23. 7.1990 (KAL, KT des Landkreises Altenburg. Legislaturperiode 1990–1994. Schriftverkehr, Bürgerbefragung Länderzugehörigkeit Nr. 3). 407 Johannes Ungvári an die Abgeordneten des KT Altenburg vom 23. 7.1990 (KAL, Büro KT 4). 408 Offener Brief von Hans-Ulrich Linke an den Kreisratsvorsitzenden und dessen Mitglieder vom 24. 7.1990 (KAL, KT des Landkreises Altenburg. Legislaturperiode 1990– 1994. Schriftverkehr, Bürgerbefragung Länderzugehörigkeit Nr. 3). 409 RdG Haselbach an die Abgeordneten des KT Altenburg vom 27. 7.1990 (ebd.).

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Gegensatz zur Haltung der DSU-Fraktion der Volkskammer, „das Gezeter der (meist zugereisten) Sachsenanhänger“ sei zwar groß, aber eine Bürgerbefragung nun einmal kein Plebiszit. Die Tatsache, dass sich der Kreistag für Thüringen entschieden habe, sei weder eine Missachtung des Bürgerwillens noch undemokratisch, schließlich hätten sich im Vorfeld ihrer Wahl alle Parteien eindeutig zu Thüringen bekannt. Dass dieses Bekenntnis in die Tat umgewandelt wurde, sei lediglich die Einlösung ihrer Wahlversprechen.410 In der aufgeheizten und polarisierten Situation wandte sich auch Landrat Christian Gumprecht an die Bevölkerung. Viele Bürger hätten bei ihm gegen die Entscheidung des Kreistages protestiert. „In der gegenwärtigen Phase des Umbruches und der Erneuerung unseres Landes“, so der Landrat, „bemühen wir uns um demokratische Formen des gesellschaftlichen Umganges miteinander.“ Um so mehr stoße der Kreistagsbeschluss nicht nur bei vielen Bürgern des Kreises, sondern auch bei ihm auf Unverständnis. Dabei gehe es nicht um die juristische Rechtmäßigkeit des Beschlusses, der durch die Kommunalverfassung vom 17. Mai des Jahres gegeben sei, die den Kreistag zum obersten Willens- und Beschlussorgan des Landkreises bestimmt habe. Nach seinem Demokratieverständnis müssten sich aber die Mandatsträger aller Parteien über persönliche Wünsche hinwegsetzen und dem mehrheitlichen Willen der Bevölkerung folgen. Dass dies nicht geschehen sei, bedauere er sehr. Ihm gehe es dabei nicht um eine Entscheidung für Sachsen oder Thüringen, sondern um das demokratische Miteinander. Der Landrat forderte die Bevölkerung auf, sich angesichts der Entscheidung „nicht in die Resignation der letzten 40 Jahre zurückfallen zu lassen“.411 Einen Tag später wandte sich die Vorsitzende des Kreistages, Cornelia Arnhold, an die Bevölkerung und erklärte, die vielen Zuschriften machten deutlich, „mit welcher Erregung Sie unseren Beschluss über die Landeszugehörigkeit Altenburgs zu Thüringen zur Kenntnis genommen haben“. Allerdings erreichten sie fast ebenso viele Briefe, die Freude über den Beschluss des Kreistages ausdrückten. Den Abgeordneten werde vorgeworfen, die junge Demokratie mit Füßen getreten zu haben. Die Ursachen seien aber andere. Der Ministerrat habe eine Bürgerbefragung angeordnet, über die „absolut unzureichend“ aufgeklärt worden sei. Sinn dieser Befragung sei es gewesen, dem Kreistag eine Orientierung für seinen Beschluss zu geben. Die Zeitungen hätten allerdings die Meinung verbreitet, mit der Bürgerbefragung sei die Entscheidung schon getroffen worden, die der Kreistag nur noch bestätigen sollte. Das Ergebnis der Befragung habe die Abgeordneten indes weniger orientiert als irritiert. „Wieso“, so Arnhold, „fiel bei der ersten Umfrage die Entscheidung für Thüringen aus? Wieso waren an Autos und Häusern viel mehr Fahnen Thüringens zu sehen? Warum war die Beteiligung an der Befragung nicht höher? Glaubten die Bürger, die schon bei der ersten Umfrage ihre Stimme abgegeben haben, damit sei schon alles geklärt? 410 DSU-Pressereferent des Kreises Altenburg, Uwe Fischer, an die „LVZ“ vom 22. 7.1990 (ebd.). 411 Christian Gumprecht: „An die Bürgerinnen und Bürger des Kreises Altenburg.“ In: LVZ vom 31. 7.1990.

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Wussten alle vom vorgezogenen Ende der Befragung? Hätte man dies doch lieber weggelassen und damit viel Geld und Zeit gespart oder einen Volksentscheid, dessen beschließende Wirkung bekannt ist, angeordnet?“ Mit Recht habe die Bevölkerung geglaubt, das Ergebnis sei endgültig, denn es fehlte an ausreichenden Informationen. Dennoch hätten sich die Abgeordneten ihre Entscheidung nicht leicht gemacht. Eine Mehrheit habe die „Zwangseingliederung des wirtschaftlich verwachsenen Territoriums Altenburg - Schmölln in den Bezirk Leipzig von 1952 rückgängig machen“ wollen. Demgegenüber habe ein Teil der Bürger geglaubt, dass durch den Anschluss an Sachsen ein schnellerer Wohlstand im Altenburger Land einziehen werde. Tatsache sei aber, dass Sachsen ungeheuer schwierige wirtschaftliche Strukturprobleme, wie zum Beispiel Braunkohlenbergbau, Chemiebetriebe und anderes mehr zu lösen habe, die in Thüringen keinesfalls umfangreicher seien. Die Kreise Altenburg und Schmölln hätten schon immer eine wirtschaftliche Einheit dargestellt und in einer künftigen Verwaltungsreform zu einem einheitlichen Kreis - und damit einem Wirtschaftsgebiet zusammengeführt werden können. Mit einer Entscheidung Altenburgs für Sachsen wäre mitten durch dieses historisch gewachsene Wirtschaftsgebiet eine Ländergrenze gezogen und damit das Zusammenwachsen verhindert worden. Eine Entscheidung für Sachsen hätte zudem perspektivisch einen Zusammenschluss mit dem „zum Notstandsgebiet erklärten Kreis Borna“ bedeutet.412 Anders als die Kreistagsvorsitzende beurteilten die Wissenschaftler der Regierungskommission die Lage. Nach ihrer Meinung hatten sich die Bürger Altenburgs für eine „sinnvolle Zuordnung zum Oberzentrum Leipzig“ entschieden, lagen Altenburg und Schmölln doch „eindeutig im oberzentralen Versorgungsbereich von Leipzig“. Aus wirtschaftsräumlich-landesplanerischer Sicht sei es „besonders nachteilig“, dass die Kreise Altenburg und Schmölln zu Thüringen gelangt seien, weil dadurch das Verdichtungsband Leipzig-Altenburg-Zwickau/ Werdau gleich zweimal zertrennt wurde. Wären Altenburg und Schmölln zu Sachsen gekommen, wäre die Trennungswirkung der Landesgrenze geringer gewesen.413 Die Entscheidung der Kreistage von Schmölln und Altenburg für eine Rückgliederung beider Kreise nach Thüringen stelle daher einen der „aus raumordnerischer Sicht schwersten Fehler im Zuschnitt der neuen Länder“ dar.414 Zunächst aber führte die Angliederung der beiden Kreise zu Problemen bei der Veränderung der bisherigen Infrastruktur wie Busverbindungen über die künftige Landesgrenze oder Versorgungs- und Eigentumsfragen, die in der Folgezeit von den Regierungsbevollmächtigten der Bezirke Leipzig und Erfurt ebenso gelöst werden mussten wie die Umgliederung aus der Infrastruktur des Be-

412 KT Altenburg: Landeszugehörigkeit Thüringen vom 1. 8.1990 (KAL, Büro Kreistag 3, Bl. 1–3); Anschreiben der Vorsitzenden des KT Altenburg, Cornelia Arnhold, vom 7. 8.1990 (KAL, KT des Landkreises Altenburg. Legislaturperiode 1990–1994. Schriftverkehr, Bürgerbefragung Länderzugehörigkeit Nr. 3). 413 Rutz/Scherf/Strenz, Die fünf neuen Bundesländer, S. 128 f. 414 Rutz, Die Wiedererrichtung der östlichen Bundesländer, S. 279.

„Anspruchs- und Ermessensgemeinden“

447

zirkes Leipzig nach Thüringen.415 Im Übrigen blieb trotz der Zugehörigkeit zu Thüringen eine mehr als räumliche Nähe des späteren Landkreises Altenburger Land zu Sachsen erhalten, und auch ein Teil der Bevölkerung fühlt sich nach wie vor Sachsen verbunden. So kündigten die Initiatoren einer „Freundschaftsgesellschaft Altenburg-Sachsen“ im Sommer 1991 die Bildung von Ortsgruppen des „Landesvereins Sächsischer Heimatschutz“ an.416 Kämpferisch blieben die „Allianz für Sachsen“ und der „Sachsenbund“ gestimmt. Sie erkundigten sich im Februar 1991 beim Bundesverfassungsgericht nach den Kosten für einen Rechtsstreit wegen der Zuordnung der Kreise Senftenberg, Bad Liebenwerda und Altenburg.417 Landrat Gumprecht, der 1990 für einen Anschluss an Sachsen plädiert hatte, nannte den Landkreis im Jahr 2000, immer noch als Landrat, „die historische, kulturelle und wirtschaftliche Brücke zwischen dem Freistaat Thüringen und dem Freistaat Sachsen“.418

5.2.5 Bestimmungen des Ländereinführungsgesetzes über „Anspruchs- und Ermessensgemeinden“ 1952 waren nicht nur ganze Kreise ohne Rücksicht auf frühere Landeszugehörigkeiten den neu geschaffenen Bezirken zugeordnet worden, sondern auch einzelne oder Blöcke von Kommunen anderer Kreise. Dadurch wären 32 der am 31. Dezember 1989 bestehenden Kreise mit 1 278 Gemeinden und 1 950 489 Einwohnern im Falle der Wiederherstellung der bis 1952 bestehenden Landesgrenzen durchschnitten worden.419 Der Zeitdruck, unter dem die Verabschiedung des Ländereinführungsgesetzes stand, ließ aus Sicht der Regierung eine endgültige Gebietsabgrenzung unter Berücksichtigung von Kommunen nicht zu. Unterhalb der Landkreise wurde keine Zuweisung von Gebietsteilen vorgenommen, da der für die Landeszugehörigkeit maßgeblich erachtete Bürgerwille in den Gemeinden und Gemeindeteilen nicht mehr erfasst und die durch Aufspaltung von Kreisen entstehenden Folgeprobleme nicht mehr gelöst werden konnten. Das Ländereinführungsgesetz, das dementsprechend auch keine definitiven Aussagen zum Grenzverlauf enthielt, trug dem Rechnung und räumte Kommunen, die bis 1952 einem anderen als dem 1990 vorgesehenen Land angehört hatten, die Möglichkeit ein, nach vollzogener Länderbildung einen An415 Vereinbarung über vorbereitende und unterstützende Maßnahmen zur Eingliederung des Landkreises Altenburg in das Land Thüringen (KAL, Büro KT 4). Vgl. Festlegungen aus der Dienstberatung der BVB Erfurt mit den Leitern der Ressorts am 27. 8.1990 (ThHStA, BT/RdB, 044964). 416 Klaus Gellrich und Klaus Heinig an Reinhard Kißro vom 14. 7.1991 (MAO, SL ab 1991, II). 417 Rechtsanwälte Schleifenbaum & Partner Siegen an den Sachsenbund e. V. vom 25. 2. 1991 (MAO, SL ab 1991, II). 418 Zit. in Altenburger Land. Wir haben die besseren Karten! Hg. vom Landratsamt Altenburger Land, o. D. 419 Siehe Tabelle 6 im Anhang.

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Ländereinführungsgesetz und Grenzen Sachsens

trag auf Wechsel der Landeszugehörigkeit zu stellen. Dazu hieß es in Paragraph 2.3: „Wollen Gemeinden oder Städte nach der Länderbildung in das Land zurückkehren, dem sie am 23. Juli 1952 angehörten, ist ihrem in Bürgerbefragungen bekundeten und durch die Volksvertretungen bestätigten Willen stattzugeben, sofern dadurch keine Ex- bzw. Enklaven entstehen.“420 Diese Bestimmung war analog der Regelung beim Bürgerentscheid nach Paragraph 18.6 der Kommunalverfassung vom 6. Mai 1990 gefasst. Die Aussage, dass das Ergebnis der Bürgerbefragung durch die Gemeindevertretung mit der Mehrheit aller ihrer Mitglieder bestätigt werden musste, war ebenfalls eine analoge Anwendung von Paragraph 12.2 der Kommunalverfassung. Damit ließen es weder das Ländereinführungsgesetz noch die Kommunalverfassung zu, an die Stelle des Beschlusses der Gemeindevertretung einen Bürgerentscheid gemäß Paragraph 18.3 der Kommunalverfassung zu setzen.421 Im Ländereinführungsgesetz zwar nicht erwähnt, aber durch Paragraph 18 der Kommunalverfassung ebenfalls gesetzlich vorgegeben, mussten eine Stimmenmehrheit mindestens 25 Prozent aller Stimmberechtigten im Abstimmungsgebiet ausmachen. Damit hatten Gemeinden, die 1952 einem anderen Land angehört hatten, eine feste Rechtsgrundlage für ihren Anspruch auf Landeswechsel. Mit Paragraph 2.3 des Ländereinführungsgesetzes wurde de facto „die Basis für eine zweite Phase des Kampfes um die Ländergrenzen“ geschaffen.422 Die Gemeinden mit einem Rechtsanspruch durch die in den Einigungsvertrag übernommenen Passagen des Ländereinführungsgesetzes423 wurden später als „Anspruchsgemeinden“ bezeichnet. Die Tatsache, dass die Kommunalvertretungen auf Grundlage von Bürgerbefragungen einen Landeswechsel beantragen konnten, war für die zentralistisch agierende Regierung de Maizière wie auch für die Volkskammer im Übrigen keine Selbstverständlichkeit. Das zeigt schon die Tatsache, dass im Ländereinführungsgesetz zunächst ein Passus vorgesehen war, der, so Uwe Grüning, „alles offen ließ und den Gemeinden in dieser Frage kein Selbstbestimmungsrecht zugestand“. Erst „nach langen und beharrlichen Gesprächen“ mit Mitgliedern des Volkskammerausschusses für Verfassung und Verwaltungsreform sei es Vertretern des entstehenden Landes Sachsen gelungen, das Ländereinführungsgesetz so zu gestalten, „dass die von uns unterstützten Wünsche der betreffenden Städte zwingend Berücksichtigung“ fanden.424 Am 22. August legte das Ministerium für regionale und kommunale Angelegenheiten eine Liste der Städte und 420 Verfassungsgesetz zur Bildung von Ländern in der Deutschen Demokratischen Republik – LEG – vom 22. 7.1990. Regierungspressedienst 29 des Ministerrates der DDR vom 30. 7.1990. In: Texte zur Deutschlandpolitik, III/8a, S. 435–446. 421 Ministerium des Innern des Landes Brandenburg an die Gemeindeverwaltung Hosena von Oktober 1991 (MAO, SL ab 1991, II). 422 Buchhofer, Der Kampf um die Grenzen der neuen deutschen Länder, S. 226. 423 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag – vom 31. 8.1990, Anlage II, Besondere Bestimmungen für fortgeltendes Recht der DDR. Text in: Texte zur Deutschlandpolitik III/8b, S. 474 f. 424 Uwe Grüning an Friedhold Schwabe vom 25. 7.1990 (BSP I).

„Anspruchs- und Ermessensgemeinden“

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Gemeinden vor, „die gemäß und unter den Bedingungen des § 2.3 Ländereinführungsgesetz das Recht haben, ihre Landeszugehörigkeit zu verändern“. Die beteiligten Länder, so das Papier, seien „in diesem Fall zum Abschluss eines Staatsvertrages verpflichtet“. Das Recht, einen Landeswechsel zu beantragen, hatten auch „Anspruchsgemeinden“, in denen keine Abstimmung über die Zugehörigkeit des gesamten Kreises stattgefunden hatte. Der Paragraph 2.3 des Ländereinführungsgesetzes konnte theoretisch von 403 Städten und Gemeinden in Anspruch genommen werden. Damit wurde aber seitens der aus dem Ministerium für regionale und kommunale Angelegenheiten hervorgegangenen und den bisherigen zentralistischen Kurs fortsetzenden Gemeinschaftsstelle der Länder425 im November 1990 nicht gerechnet, sondern nur in 61 Kommunen.426 In der Tat machte nur ein Bruchteil aller betroffenen Kommunen von der Möglichkeit Gebrauch, nach Paragraph 2.3 einen Landeswechsel zu beantragen.427 Neben den „Anspruchsgemeinden“ gemäß Paragraph 2.3 des Ländereinführungsgesetzes gab es später als „Ermessensgemeinden“ klassifizierte Kommunen. Dabei handelte es sich um Städte und Gemeinden, bei denen die Kommunalvertretung auf Grundlage einer Bürgerbefragung den Wechsel in ein Land beantragte, dem es bis 1952 nicht angehört hatte. Sie stützten sich auf den allgemeiner gehaltenen Paragraphen 2.2 des Ländereinführungsgesetzes, in dem es hieß: „Änderungen von Grenzen der Länder der DDR, die im Ergebnis von Bürgerbefragungen in Gemeinden und Städten begehrt werden und von der Gemeindevertretung bzw. Stadtverordnetenversammlung beschlossen wurden, bedürfen eines Staatsvertrages zwischen den beteiligten Ländern.“ Bei angestrebten Veränderungen von Städten und Gemeinden in ein Land, dem sie vor dem 23. Juli 1952 nicht angehörten, bestand für die beteiligten Länder allerdings keine Rechtspflicht, durch Abschluss eines Staatsvertrages die Veränderung der Landeszugehörigkeit zu vollziehen.428 Damit waren die Chancen dieser Kommunen minimal, war doch kaum zu erwarten, dass die neuen Bundesländer wechselwillige Kommunen ohne Rechtsanspruch ohne Weiteres würden ziehen lassen. Noch aber war der Unterschied zwischen „Anspruchs-“ und „Ermessensgemeinden“ nicht ins allgemeine Bewusstsein gerückt, und auch in den gerade erst im Entstehen begriffenen Regierungen gab es diesbezüglich keine entwickelten Vorstellungen oder fertigen Konzepte. Dass es schon die „Anspruchsgemeinden“ nicht leicht haben würden, ließ sich daran erkennen, dass das Ländereinführungsgesetz den Regierungen und Landtagen der Länder, die verlassen 425 Vgl. Richter, Zwischen zentralistischer Tradition, S. 239–242. 426 Gemeinschaftsstelle der Länder für Landes- und Kommunalfragen: Zu Problemen der territorialen Gestalt der Länder Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen in Verwirklichung des LEG vom 22. 7.1990 und Empfehlungen für die Behandlung von Anliegen auf territoriale Veränderungen, die Ländergrenzen berühren, vom November 1990 (BArch B, DO 5, 217). 427 Buchhofer, Der Kampf um die Grenzen der neuen deutschen Länder, S. 226. 428 MRKA, Abteilung Verwaltungsreform, vom 22. 8.1990 (BArch B, DO 5, 137)

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Ländereinführungsgesetz und Grenzen Sachsens

werden wollten, ein maßgebliches Mitspracherecht einräumte. Sehr unverbindlich hörten sich diesbezüglich bereits die Ausführungen von Minister Preiß bei der Erläuterung des Ländereinführungsgesetzes vor der Volkskammer an, wenn er meinte, dass Forderungen und Wünsche einzelner Städte und Gemeinden auf Landeswechsel nach der Länderbildung durch die Landesregierung aufgegriffen und, „wo zweckmäßig“ bis Ende 1991 durch entsprechende Länderverträge zu Gebietskorrekturen führen sollten.429 Nicht um demokratische Selbstbestimmung der Kommunen im Sinne gesetzlicher Ansprüche ging es dem Minister somit, sondern um Zweckmäßigkeit im Sinne eines wie auch immer definierten Staatsinteresses. Auch hier klang wieder die zentralistische Haltung der Regierung an, die bar jeden Verständnisses für Prinzipien der Subsidiarität demokratischen Entscheidungen auf kommunaler Ebene keinen wesentlichen Eigenwert im Verhältnis zum Regierungshandeln zumaß. Zunächst aber schienen alle wechselwilligen Kommunen berechtigte Hoffungen auf einen Landeswechsel hegen zu können, sofern sie denn zu den „Anspruchsgemeinden“ gehörten. Im Kreis Leipzig-Land hatten die sieben Städte und Gemeinden Großlehna (2 249 Ew., 12,02 km2), Kursdorf (266 Ew., 4,90 km2), Schkeuditz (14 909 Ew., 22,96 km2), Kitzen (1 099 Ew., 10,72 km2), Räpitz (801 Ew., 12,61 km2), Scheidens (574 Ew., 10,22 km2) und Schkorlopp (269 Ew., 5,98 km2) die Möglichkeit, einen Wechsel nach Sachsen-Anhalt zu beantragen, blieben aber geschlossen im Kreis Leipzig-Land (Sachsen). Im Kreis Riesa hätte sich die Gemeinde Paußnitz (391 Ew., 10,45 km2) für Sachsen-Anhalt entscheiden können, wenn die Kreise Oschatz und Torgau zu Sachsen-Anhalt gekommen wären. Da dies nicht der Fall war, kam Paußnitz automatisch zu Sachsen. Im Kreis Oschatz hätte sich die Gemeinde Schirmenitz (522 Ew., 13,83 km2) für Sachsen-Anhalt entscheiden können, wenn sich Torgau für Sachsen-Anhalt entschieden hätte. Im Kreis Borna machte die Gemeinde Thräna (927 Ew., 6,94 km2) keinen Gebrauch von ihrem Recht, nach Thüringen zurückzukehren. Dasselbe galt für Niedersteinbach (713 Ew., 9,99 km2) im Kreis Geithain, Mannichswalde (739 Ew., 6,55 km2) und Fraureuth (3 843 Ew., 9,28 km2) im Kreis Werdau sowie Fröbersgrün (220 Ew., 5,28 km2) im Kreis Plauen. Im Kreis Hoyerswerda hatte die Stadt Lauta (8 043 Ew., 16,68 km2) die Möglichkeit, nach Brandenburg zu wechseln, im Kreis Weißwasser die Gemeinde Kromlau (238 Ew., 5,43 km2). Beide blieben beim Land Sachsen. Somit hatte keine Gemeinde von ihrem Recht Gebrauch gemacht oder es fehlten die Voraussetzungen (Schirmenitz, Praußnitz), einen Antrag auf Ausgliederung aus Sachsen zu stellen. Umgekehrt hatten verschiedene Städte und Gemeinden das Recht, einen Antrag auf Rückkehr in das Land Sachsen zu stellen. Im künftigen Land Thüringen betraf dies Seelingstädt (1757 Ew., 14,96 km2) im Kreis Gera, Ziegelheim (1114 Ew., 7,96 km2) im Kreis Altenburg und Heyersdorf (187 Ew., 3,78 km2) 429 Ausführungen von Manfred Preiß zum LEG vor der Volkskammer am 22. 7.1990 (ebd., 17/262–276).

„Anspruchs- und Ermessensgemeinden“

451

im Kreis Schmölln. Am 6. Februar 1991 forderte auch eine Einwohnerversammlung im Ortsteil Grünberg der Gemeinde Ponitz im Kreis Schmölln einen Bürgerentscheid in der Gesamtgemeinde.430 Bei einer Befragung am 6. April 1991 sprachen sich 41,6 Prozent der Befragten für Sachsen und 58,4 Prozent für Thüringen aus.431 Nachdem die Gemeinde Heyersdorf zunächst einen Antrag auf Wechsel nach Sachsen gestellt hatte, zog sie diesen im Herbst 1991 zurück,432 nachdem eine erneute Bürgerbefragung eine Mehrheit von 81,92 Prozent für Thüringen ergeben hatte. Auch Seelingstädt entschied sich für Thüringen. Ähnlich waren die Mehrheitsverhältnisse in Ziegelheim, das seit dem Mittelalter auf sächsischem Territorium an der Grenze zu Sachsen-Altenburg gelegen hatte. Zeitweise war es eine sächsische Exklave im Gothaischen Amt Altenburg gewesen und hatte später zu den im sächsischen Staatsgebiet gelegenen Schönburgischen Rezessherrschaften bzw. vor 1952 zum Kreis Glauchau gehört.433 Bei einer Bürgerbefragung in Ziegelheim stimmten im Herbst 1990 rund 86 Prozent für Sachsen, woraufhin der Rat der Gemeinde Ziegelheim am 20. November 1990 bei Ministerpräsident Josef Duchac den Antrag stellte, aus Thüringen ausund nach Sachsen eingegliedert zu werden.434 Am 22. November 1990 ging ein entsprechender Antrag auch an das Landratsamt Altenburg.435 Im Herbst 1991 führte die Gemeinde Ziegelheim erneut eine Bürgerbefragung durch und zog schließlich den Antrag auf Wechsel nach Sachsen zurück.436 Im Kreis Greiz nutzten Elsterberg (4 766 Ew., 6,98 km2) und Görschnitz (254 Ew., 2,54 km2) die Möglichkeit, nach Sachsen zurückzukehren; Tremnitz (147 Ew., 4,03 km2) blieb bei Thüringen. Im Kreis Zeulenroda beantragten Ebersgrün (455 Ew., 7,91 km2), die Stadt Pausa (3 481 Ew., 8,82 km2), Ranspach (353 Ew., 4,02 km2) und Unterreichenau (256 Ew., 11,47 km2) die Rückkehr nach Sachsen, im Kreis Schleiz die Orte Langenbach (372 Ew., 9,00 km2), Langenbach-Dröswein (370 Ew., 9,87 km2) und die Stadt Mühltroff (1754 Ew., 14,45 km2).437 Im Kreis Senftenberg beschlossen folgende Gemeinden den Anschluss an das Land Sachsen: Grünwald (742 Ew., 13,44 km2), Hermsdorf b. Ruhland (726 Ew., 21,36 km2), Hohenbocka (1134 Ew., 15,95 km2), Hosena (2 283 Ew., 13,09 km2), Jannowitz (319 Ew., 11,46 km2), Kroppen (860 Ew., 15,15 km2), Peickwitz 430 Informationsblatt zum Bürgerentscheid Thüringen – Sachsen vom 8. 3.1991 (MAO, SL ab 1991, II). 431 RdG Pönitz an den „Sachsenbund“ vom 8. 4.1991 (MAO, SL ab 1991, II). 432 RP Chemnitz an Roland Röhn vom 9. 9.1991 (HAV-DS Plauen, VwA Pl. 6806). 433 Staatsarchiv Dresden an den RdG Ziegelheim vom 22.10.1990 (KAL, Büro KT 4). 434 RdG Ziegelheim an Josef Duchac vom 20.11.1990 (ebd.). 435 RdG Ziegelheim an das Landratsamt Altenburg vom 22.11.1990 (KAL, Staatliche Entwicklung. 18. 7.1990 KT. 22. 7.1990 Volkskammer. Thüringen 14.10.1990. Thüringen pro/contra Sachsen). Vgl. „Gelle, wir sind doch Sachsen. Die Ziegelheimer Bürger wollen ihre thüringische Landeszugehörigkeit ad acta legen lassen.“ In: LVZ vom 7.12.1990. 436 RP Chemnitz an Roland Röhn vom 9. 9.1991 (HAV-DS Plauen, VwA Pl. 6806); Josef Duchac an Kurt Stempell und Uwe Grüning vom 23.10.1991 (ebd.). 437 MRKA, Abteilung Verwaltungsreform, vom 22. 8.1990 (BArch B, DO 5, 137).

Fichtenberg

Mühlberg

Karte 6: Die „Allianz für Sachsen“ 1990/91. 5

10 km

Merzdorf

Elbe

Kreisgrenze zwischen den Kreisen Senftenberg und Bad Liebenwerda (1952-1990)

davon abweichende Ländergrenzen bis 1952 (1 Sachsen - Anhalt, 2 Brandenburg, 3 Sachsen)

Hirschfeld

Gröden

Gorden

Elsterwerda

Landesgrenze zwischen Sachsen und Brandenburg ab 1990

0

Sachsen

Prieschka

Zobersdorf

Bad Liebenwerda

Ortrand

Sachsen

Hohenbocka

Hosena

Peickwitz

Guteborn

Ruhland

Jannowitz Hermsdorf Kroppen

3

Schwarzheide

2

Senftenberg

Kreisstädte 1990

Kommunen mit Antrag auf Landeswechsel nach Sachsen ( Anspruchsgemeinden nach § 2.3. LEG )

Kommunen mit Antrag auf Landeswechsel nach Sachsen ( Ermessensgemeinden nach § 2.2. LEG )

Kommunen der "Allianz für Sachsen" (Auswahl)

Großthiemig

Tettau

1

Lauchhammer

Brandenburg

452 Ländereinführungsgesetz und Grenzen Sachsens

Peter W. Baumann

Lausitz und Niederschlesien

453

(442 Ew., 11,18 km2), die Stadt Ruhland (4 413 Ew., 37,12 km2), Schwarzbach (1433 Ew., 32,43 km2) und Tettau (2 787 Ew., 40,72 km2). Für den in den Gemeinden Großkmehlen (1460 Ew.), Grünewalde (1486 Ew.), Lauchhammer (23 558 Ew.) und Ortrand (2 946 Ew.) bereits zu diesem Zeitpunkt geforderten Anschluss an Sachsen traf der Paragraph 2.3 des Ländereinführungsgesetzes nicht zu.438 Später beantragten auch noch die „Ermessensgemeinden“ Frauendorf (Ortsteil von Tettau), Guteborn, Lindenau und Schwarzbach-Biehlen einen Wechsel nach Sachsen.439 Im Kreis Bad Liebenwerda, der bis 1952 zu Sachsen-Anhalt gehört hatte, gab es keine „Anspruchsgemeinden“. Ungeachtet dessen beantragten die Kommunen Elsterwerda (Stadt), Fichtenberg, Gröden, Großthiemig, Hirschfeld, Kahla, Merzdorf, Mühlberg, Prieschka, Prösen, Schraden, Stolzenhain, Wainsdorf, Zobersdorf und Gorden einen Wechsel nach Sachsen. Die wechselwilligen Gemeinden des Landes Brandenburg schlossen sich zur „Allianz für Sachsen“ zusammen. Die weitere Entwicklung sollte zeigen, wie tragfähig das Ländereinführungsgesetz hinsichtlich wechselwilliger Kommunen war.440

5.2.6 Separatismus- und Autonomiebestrebungen in der Lausitz und in Niederschlesien Eine Sonderproblematik bei der Freistaatsbildung stellen die Teile der Lausitz bzw. Schlesiens dar, die 1990 zu Sachsen kamen. Ohne auf die komplizierten historischen Territorialprobleme angemessen eingehen zu können, soll doch zum besseren Verständnis ein kurzer Blick auf die Geschichte des Gebietes unter dem Aspekt der verschiedenen Zugehörigkeit des nieder - bzw. oberlausitzer sowie schlesischen Gebietes geworfen werden.441 Beide Lausitzen, Ober- und Niederlausitz, gehörten seit dem zehnten Jahrhundert zum Reich und bildeten gemeinsam einen durch sorbische Bevölkerungselemente mitbestimmten historischen Raum. Dieser gelangte zwar nie zu territorialer Selbständigkeit, die Lausitzen blieben jedoch 500 Jahre lang als Nebenländer Brandenburgs, Böhmens und zuletzt Sachsens ungeteilt. Der Kern der Oberlausitz bestand ab 1346 aus dem Sechsstädtebund von Bautzen, Görlitz, Kamenz, Lauban,442 Löbau und 438 Gemeinschaftsstelle der Länder für Landes- und Kommunalfragen: Zu Problemen der territorialen Gestalt der Länder Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen in Verwirklichung des LEG vom 22. 7.1990 und Empfehlungen für die Behandlung von Anliegen auf territoriale Veränderungen, die Ländergrenzen berühren, von November 1990 (ebd., 217). 439 Karl-Heinz Kretschmer an Hans-Jürgen Fichte vom 29. 8.1990 (Brandenburg. LHA, Rep. 801, 26400). 440 Zur weiteren Entwicklung der „Anspruchs- und Ermessensgemeinden“ vgl. Richter, Entscheidung für Sachsen, S. 77–173. 441 Zur Geschichte der Oberlausitz vgl. Kunze, Geschichte und Kultur der Sorben in der Oberlausitz. 442 Heute polnisch Luban.

454

Ländereinführungsgesetz und Grenzen Sachsens

Zittau. In einer äußerst wechselvollen Geschichte kam die gesamte Lausitz (Ober - und Niederlausitz) im Gefolge des Prager Friedens zu Sachsen. Die Stadt Cottbus blieb jedoch, wie schon seit 1445, brandenburgisch. 180 Jahre gehörten nunmehr die Kreise des Sechsstädtebundes zu Sachsen. Im Ergebnis der Schlesischen Kriege 1740/45 kamen Niederschlesien, große Teile Oberschlesiens und die böhmische Grafschaft Glatz an Preußen. 1806 erhielt Sachsen als Entschädigung für andere Gebietsverluste die preußische Enklave Cottbus kurzzeitig von Napoleon zugesprochen. Im Ergebnis des Wiener Kongresses 1815 wurde die Lausitz zwischen Sachsen und Preußen aufgeteilt. Dies führte zu einer unterschiedlichen Politik gegenüber den Sorben, was sich negativ auf deren einheitliche Entwicklung auswirkte.443 Seit 1815 – im Zuge des Preßburger Vertrages und des damit verbundenen Gebietsverlustes Sachsens zugunsten Preußens – begann die Zeit der unterschiedlichen politisch - territorialen Zugehörigkeit der Lausitzer Region. Dabei kamen die Niederlausitz, einschließlich Cottbus, nunmehr insgesamt zu Preußen. Der Hauptteil der Oberlausitz mit Kamenz, Bautzen, Löbau und Zittau blieb bei Sachsen. Beträchtliche Teile um Görlitz und Lauban kamen zu Preußen. Dazu gehörten auch die Gebiete um Muskau, Rothenburg, Niesky und Weißwasser. Da diese oberlausitzer Territorien nicht unter verwaltungstechnischen, sondern in erster Linie unter militärischen Gesichtspunkten von Sachsen abgetrennt wurden, bereitete deren Eingliederung in die künftige preußische Provinz Schlesien im Rahmen des niederschlesischen Regierungsbezirks Liegnitz Schwierigkeiten. Im Gegensatz zur Bildung der anderen Provinzen wurde die territoriale Zusammensetzung dieser Provinz erst Anfang 1820 abgeschlossen. Die genannten Gebiete wurden schließlich als Landkreise Görlitz, Lauban und Rothenburg (Oberlausitz) sowie als Stadtkreis Görlitz Bestandteil der genannten preußischen Verwaltungskörperschaft. Die Oberlausitzer Herrschaft Hoyerswerda mit Ruhland und Wittichenau gehörte nach 1815 zunächst dem Regierungsbezirk Frankfurt ( Oder) der preußischen Provinz Brandenburg an. 1824 wechselte dieses Gebiet in den schlesischen Provinzialverband. Innerhalb des Regierungsbezirkes Liegnitz wurde es ab 1825 ein eigener Kreis. In diesem Kreis lebten bzw. leben vorwiegend Sorben (Wenden) katholischen Glaubens (Niedersorben), während die Obersorben vorwiegend in den zu Sachsen gehörenden Gebieten beheimatet waren bzw. sind. Nach dem Ersten Weltkrieg gab es, ähnlich wie später nach dem Zweiten Weltkrieg, innerhalb der sorbischen Bevölkerung der Lausitz nationalistische Bestrebungen. Entstehen sollte ein eigener und selbständiger Staat der Sorben, als dessen Wortführer besonders der konservative sächsische Landtagsabgeordnete Georg Barth hervortrat. Mit tschechischer Unterstützung gelang es ihm, die „Wendenfrage“, wenn auch erfolglos, bis vor die Pariser Nachkriegskonferenzen zu bringen. Die Oberlausitzer Kreise Görlitz-Stadt und Görlitz-Land, Lauban und Hoyerswerda unterlagen bis 1945 in ihrer politischen Zuordnung und ihrem 443 Sorbischer Runder Tisch gegen Zuordnung von Teilen des gemischtnationalen Gebietes der Lausitz zum Land Brandenburg vom 22. 2.1990 (Dok. 14).

Lausitz und Niederschlesien

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territorialen Bestand kaum Veränderungen, sieht man übergreifend von der Teilung der Provinz in Nieder- und Oberschlesien (1919 bzw. 1941) sowie deren zeitweiligen Wiedervereinigung 1934/38 ab. Entsprechend den Bestimmungen des Potsdamer Abkommens kam der überwiegende Teil des Territoriums der Provinz Schlesien unter polnische Verwaltung. Nach 1945 gliederte die SMAD die Gebiete westlich der Lausitzer Neiße in das Land Sachsen ein, so den Kreis Hoyerswerda sowie große Teile der Kreise Rothenburg und Görlitz-Stadt. Diese Kreise bestanden bis 1952, wobei der Kreis Rothenburg zunächst in Kreis Niesky und später in Weißwasser umbenannt wurde. Die Grenze verlief nach 1945 quer durch die Lausitz, wodurch das inzwischen entstandene Lausitzer Braunkohlerevier geteilt wurde. Um dies zu korrigieren, wurde die Grenze der neu geschaffenen Bezirke Cottbus und Dresden 1952 wiederum quer durch die Oberlausitz gezogen. Bei der neuen Bezirkseinteilung kam die Nordoberlausitz an den Bezirk Cottbus, Görlitz blieb im Bezirk Dresden mit den anderen Städten der sächsischen Oberlausitz vereint. Der Kreis Hoyerswerda kam in Gestalt des Bezirkes Cottbus wieder in brandenburgisches Gebiet, der Kreis Weißwasser wurde geteilt. Der nördliche Teil kam als weiterbestehender Kreis Weißwasser ebenfalls zum brandenburgischen Bezirk Cottbus. Der südliche Teil – als neuer Kreis Niesky – wurde wie das gleichfalls oberlausitzer Gebiet des Kreises Görlitz Bestandteil des sächsischen Bezirkes Dresden.444 Ein Vorschlag der Domowina aus dem Jahre 1957 für die Überwindung der Teilung des Lausitzer Territoriums wurde von der SED - Führung abgewiesen.445 In den 50er Jahren gab es eine „undemokratische Zurückdrängung andersdenkender Sorben aus der nationalen Bewegung“. Seit Anfang der 50er Jahre bestimmte die SED-Führung die leitenden Funktionäre der Domowina. „Später waren alle politischen Aktivitäten dieser Organisation sowie auch die gesamte Nationalitätenpolitik nicht primär aus den nationalen Interessen des sorbischen Volkes nach Existenz und Entwicklung abgeleitet, sondern aus der im Laufe der Zeit differenzierten Interessenlage der SED.“446 Trotz der Förderung der Sorben waren diese einem „schleichenden Erosionsprozess“ ausgesetzt. Der Ausbau der Lausitz als Kohle- und Energiezentrum der DDR erhöhte den Assimilierungsdruck auf die nationale Minderheit, gleichzeitig fielen weite Teile der sorbischen Landschaft dem einseitig auf Abbau von Braunkohle beruhenden Energiekonzept der SED zum Opfer. Nach Untersuchungen des Instituts für sorbische Volksforschung aus dem Jahre 1987 bekannten sich von den offiziell deklarierten 100 000 Sorben nur noch etwas mehr als die Hälfte zur sorbischen Nationalität.447 Jurij Grós sprach 1989 von 14 500 Domowina - Mitgliedern, von denen etwa die Hälfte aktiv Sorbisch spreche. Mitte Mai 1990 bekannten sich etwa 45 000 bis 50 000 444 Vgl. Hajna, Länder, Bezirke, Länder, S. 38 f. 445 Vgl. Kasper, Die Lausitzer Sorben, S. 66. 446 MRKA: Analyse über die nationale Situation des sorbischen Volkes in der DDR vom 14. 6.1990 (BArch B, DC 20, 11621). 447 Hajna, Länder, Bezirke, Länder, S. 187.

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Personen zur sorbischen Nationalität.448 Während der friedlichen Revolution gab es unter den Sorben in der Lausitz und im bei Deutschland verbliebenen Teil Niederschlesiens Bestrebungen nach Bildung eigener Länder bzw. später abgeschwächt nach autonomen Verwaltungsstrukturen innerhalb Sachsens. Beide Bestrebungen überlagerten sich im Bereich der schlesischen Oberlausitz und wurden von unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen getragen. Lausitz und Sorben: Die friedliche Revolution brachte auch den Sorben Möglichkeiten, ihre nationale Lage zu verbessern. Kern ihrer Bestrebungen war es, ihr Siedlungsgebiet zwecks Sicherung ihrer nationalen Identität in einheitlichen Verwaltungsstrukturen zusammenzufassen. Seit dem Herbst differenzierte sich „die überschaubare Sorbenwelt“ schnell in eine Vielzahl von Flügeln und Gruppen, und auch die Domowina brach in mehrere Strömungen auf. Ein SED-treuer Flügel um den Direktor des Instituts für sorbische Volksforschung, Martin (Mercin) Kasper, hielt am Sozialismus fest; ein liberaler Flügel um Jurij Brezan forderte eine Reform der Domowina in Konzeption, Statut, Organisation und Leitung. Das war auch notwendig, denn die unter der SED allein für die Sorben zuständige Domowina, die „keine klare Konzeption besaß, erst sehr spät und zudem noch halbherzig reagierte und auch sonst ihrer Rolle als Interessenvertreterin der Sorben nur ungenügend gerecht wurde“,449 bekam schnell Konkurrenz. Anfang November stellten sorbische katholische Geistliche ihre Legitimität in Frage, für alle Sorben zu sprechen. Sie wiesen darauf hin, dass 53 von 76 Vorstandsmitgliedern der Domowina Kommunisten seien, ein für eine „nationale Organisation aller Sorben“, undenkbarer Zustand. Die Domowina müsse sich ihrer ideologischen Fesseln entledigen, freie und geheime Wahlen durchführen sowie für Gewissensfreiheit und Bürgerrechte der Sorben eintreten. Anfang November bildete sich mit der Sorbischen Volksversammlung (Serbska narodna zhromadźizna) eine zweite politische Vereinigung, deren Ziele eine Prüfung der Industrialisierungsfolgen für die Sorben, die territorial-administrative Autonomie der Sorben, ein freies sorbisches Schulwesen, ein Bericht zur Lage der sorbischen Nation, eine Neubewertung der sorbischen Geschichte nach 1945 und die Förderung der Kontakte zu den slawischen Nachbarn waren. Am 11. November hielt die Sorbische Volksversammlung eine erste Versammlung ab.450 Sie verstand sich nicht als Konkurrenz zur Domowina, sondern eher als Interessenverband für deren Reformierung. Ihr Sprecher, Pfarrer Jan Malink, erklärte, die Absicht der Sorbischen Volksversammlung sei es, nach neuen Grundlagen des nationalen Daseins zu suchen und Reformprozesse bei den Sorben zu beschleunigen.451 Eine Petition der Sorbischen Volksversammlung vom 11. November erwähnte das Problem der Lausitzer Verwaltungseinheit noch nicht, wenngleich bereits zu diesem Zeitpunkt einer möglichen Veränderung der Ver448 Vgl. Die Union vom 19./20. 5.1990. 449 Kunze, Geschichte und Kultur der Sorben in der Oberlausitz, S. 308. 450 Vgl. Kosel/Kosel, Domowina, S. 774. 451 Vgl. Oschlies, Die Sorben, S. 60–62.

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waltungsstruktur in der DDR von allen sorbischen Gruppierungen große Bedeutung beigemessen wurde.452 Der SED-Staat rannte auch hier der Entwicklung hinterher. Noch am 24. November standen die „Aufgaben auf dem Gebiet der Verwirklichung der marxistisch-leninistischen Nationalitätenpolitik im Bezirk Cottbus in Vorbereitung des XII. Parteitages der SED“ im Zentrum einer Beratung des Rates des Bezirkes Cottbus mit Bürgermeistern deutsch-sorbischer Städte und Gemeinden,453 bei der noch wie üblich die Inhalte der Diskussionspunkte vorab festgelegt worden waren.454 Ganze vier Tage später wurde der Rücktritt des Sekretariats der Domowina vom Bundesvorstand mit fünf Gegenstimmen angenommen. Der frühere 1. Sekretär, Jurij Grós, wurde bevollmächtigt, dem Bundesvorstand den Vorschlag für einen Arbeitsausschuss vorzulegen, der der Vorbereitung eines Sonderkongresses diente.455 Am 30. November wies die neue Volksversammlung in einem offenen Brief auf die Notwendigkeit einer territorialen Neuordnung unter nationalitätenpolitischen Gesichtspunkten hin. Ihre Erwägungen bezogen sich nicht auf die gesamte gemischtnationale Lausitz, sondern beschränkten sich auf „die noch erhalten gebliebenen sorbischen Gebiete mit dem Ziel der nationalen Konzentration in eine gemeinsame Verwaltungseinheit“. Anfang Dezember trat auch die „Gruppe der Sorbischen Linken“ mit ähnlichen Überlegungen hervor.456 Im Dezember einigten sich die unterschiedlichen sorbischen Strömungen auf die Bildung eines Sorbischen Runden Tisches, zu dem erstmals am 19. Dezember unter anderem Vertreter von Domowina, Volksversammlung, Cyrill-Method-Werk und Nowa Doba zusammentraten.457 Am 20. Dezember stellte eine Arbeitsgruppe der Volksversammlung sechs Thesen zur territorialadministrativen Gliederung der Lausitz zur Diskussion. Ausgangspunkt der Überlegungen war die bevorstehende Neubildung der Länder anstelle der 1952 geschaffenen Bezirke. Der Vorschlag sah die Bildung einer Verwaltungseinheit „Serbska Łuzica“ (Sorbische Lausitz) vor, deren Territorium nicht detailliert abgesteckt war. Vorgesehen waren gemeinsame Grenzen zu Polen und zur Tschechoslowakei. Verwaltungsmäßig sollte das Land „Sorbische Lausitz“ in die Kreise Niederlausitz, Mittellausitz und Oberlausitz gegliedert werden. Sorbisch sollte zweite Amtssprache werden und der Domowina im Landesparlament eine eigene Fraktion zustehen. Das Problem der territorialadministrativen Gliederung der Lausitz wurde auch von anderen Arbeitsgruppen der Volksversammlung aufgegriffen. Im Entwurf eines sorbischen Programms der Volksversammlung hieß es, den sorbischen Interessen bei einer Verwal452 Vgl. Kasper, Die Lausitzer Sorben, S. 66. 453 Ablauf der Arbeitsberatung mit den Bürgermeistern der deutsch-sorbischen Städte und Gemeinden des Bezirkes Cottbus am 24.11.1989 in Calau (Brandenburg. LHA, Rep. 801, 24350). 454 RdB Cottbus, AG Sorbenfragen: Konzeption für die Beratung der Bürgermeister der deutsch-sorbischen Städte und Gemeinden, o. D. (ebd.). 455 „Zu einigen aktuellen Fragen in der Domowina und im sorbischen Volk.“ In: Nowa Doba (Sonderbeilage in deutscher Sprache) vom 13.1.1990. 456 Vgl. Kasper, Die Lausitzer Sorben, S. 66. 457 Vgl. Oschlies, Die Sorben, S. 62.

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tungsreform würden am ehesten die Zusammenfassung der beiden Lausitzen in einer Verwaltungseinheit entsprechen. Betont wurde, dass dies natürlich nur mit Zustimmung der deutschen Mehrheit erfolgen könne. Sollte die Vereinigung des Lausitzer Gebietes nicht erreichbar sein, so sollte wenigstens die gesamte Oberlausitz, auch deren ehemaliger niederschlesischer Teil, Sachsen zugeordnet werden. Nur so stünden der ober- und niedersorbische Sprachraum unter einheitlicher Verwaltung. Auch eine Arbeitsgruppe der Volksversammlung zu Problemen der Perspektiven der sorbischen Sprache und Kultur sah die Überwindung der administrativen Teilung der Lausitz als eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Bewahrung und Entwicklung der sorbischen Sprache und Kultur an.458 Die Überlegungen lösten in der deutschen Mehrheit Argwohn hinsichtlich möglicher Autonomiebestrebungen der Sorben aus. Darauf angesprochen erklärte der SED-PDS-Parteisekretär im Institut für sorbische Volksforschung der Akademie der Wissenschaften Bautzen, Ludwig Elle, am 28. Dezember, bei keinem Teilnehmer des inzwischen gebildeten Sorbischen Runden Tisches gebe es Autonomiebestrebungen. Solche seien auch völlig unrealistisch. Man halte es aber für erforderlich, bei einer Verwaltungsreform die nationale Struktur der Bevölkerung zu berücksichtigen.459 Jan Malink erklärte, kaum bewege sich etwas bei den Sorben, schon argwöhne man auf deutscher Seite, dass die Lausitz wieder einmal abgespalten werden solle oder die Gründung einer eigenen Republik bevorstehe. Er verwies auf Vorbehalte in der deutschen Bevölkerung, wonach die Sorben unter der SED vor allem Vorteile gehabt hätten und besonders systemtreu gewesen wären. „Mancher besorgte Landsmann“, so der Pfarrer, frage sich, „ob den Sorben als Ziehkindern der SED nicht zuviel Förderung zuteil geworden“ sei.460 Mit dem Vorwurf der SED-Treue setzte sich der Bundesvorstand der Domowina bei einer Tagung am 8. Januar auseinander und wies entsprechende Vorwürfe ebenso zurück, wie den, unter der SED-Herrschaft kaum etwas für das Sorbentum getan zu haben.461 Bereits am 3. Januar veröffentlichte die Sorbische Volksversammlung einen Programm-Entwurf, in dem es hieß, den Sorben „als einem fest im deutschen Staatsgefüge verankerten Volk“ liege an einem guten Zusammenleben mit den Deutschen. Es bestünden keine Separationsabsichten. Da aber die slawischen Sorben ein Bestandteil der europäischen Kultur seien, würden sie entsprechend der Tradition der slawischen Wechselseitigkeit und in Aufnahme der engen Beziehungen in der Vergangenheit vor allem ihre Kontakte zur Tschechoslowakei und nach Polen neu gestalten.462 Die Befürchtung der Sorben, im Prozess der Länderbildung wieder geteilt zu werden, trug der Vertreter der Domowina Mitte Januar 1990 am Runden Tisch des Bezirkes Dresden vor. Er bestätigte, dass es unter anderem auch Vorstellungen ge458 Vgl. Kasper, Die Lausitzer Sorben, S. 66 f. 459 Interview Ludwig Elle. In: Sächsische Zeitung vom 28.12.1989. 460 Sächsische Zeitung vom 28.12.1989. 461 „Zu einigen aktuellen Fragen in der Domowina und im sorbischen Volk“ und Jurij Grós, „Antworten auf unsere Sorgen.“ In: Nowa Doba (deutsche Sonderbeilage) vom 13.1.1990. 462 Zit. in Oschlies, Die Sorben, S. 62 f.

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be, ein eigenes Land zu gründen. Hier herrschte Einigkeit, die Vertreter der Sorben in die Landesbildung einzubinden. Ohne Vorbehalte unterstützen der Runde Tisch und der Rat des Bezirkes Dresden die Vereinigung des Lausitzer Gebietes im Rahmen Sachsens. 463 Im Rat des Bezirkes ging man zu diesem Zeitpunkt davon aus, dass die sorbischen Siedlungsgebiete zum künftigen Land Sachsen gehören würden. In einer Beschlussvorlage des Rates vom 17. Januar hieß es, man wolle ein Sachsen, in dem Bürger sorbischer Nationalität ihre Heimat haben.464 Am 18. Januar befürwortete der Sprecher des Rates des Bezirkes, Andreas Mauksch, auf einer Beratung über die bevorstehende Verwaltungsreform ausdrücklich die sorbischen Vorstellungen. Er unterstützte den Plan, die gemischtnationalen Gebiete der Nieder- und Oberlausitz an Sachsen anzuschließen. Bei einem Besuch der Zentrale der Domowina wenige Tage später äußerte sich auch der Vorsitzende des Rates des Bezirkes, Wolfgang Sieber, im gleichen Sinne.465 In der Bevölkerung blühten derweil die Spekulationen, teilweise angeheizt durch den Kreis der Sorben im Exil. Im Januar 1990 verbreitete zum Beispiel Miklawa J. Dypman als deren Sprecher einen Programmentwurf für eine autonome Lausitzer Selbstverwaltung. Er sah die Bildung einer politisch-administrativen Einheit mit sorbischer Selbstverwaltung in einem Territorium vor, das durch Berlin, Frankfur (Oder), Dresden und Görlitz begrenzt sein sollte. Obwohl sich keine der sorbischen Gruppierungen auf diese „verworrenen Vorstellungen“ einließ,466 führten Stellungnahmen wie diese zu Unmut unter der deutschen Bevölkerungsmehrheit. Hier hatte man kein Verständnis für Modelle, in denen eine Minderheit über die Zukunft der Region entscheiden wollte. Die Stimmung eines großen Teiles der deutschen Bevölkerung spiegelte ein Leserbrief in der „Lausitzer Rundschau“ wieder.467 Hier hieß es unter der Überschrift „Ich bin gegen die Autonomie des Sorbenlandes“, dass die Energiewirtschaft auch in Zukunft der wichtigste Wirtschaftszweig bleibe, weswegen eine administrative Zersplitterung kontraproduktiv sei. Die notwendige Gleichberechtigung des sorbischen Volkes sei kein Grund für eine administrative Umgestaltung. Die gesetzlichen Regelungen für die sorbische Sprache und Kultur sollten beibehalten und erweitert werden. Die Domowina solle die Möglichkeit haben, sich mit eigenen Kandidaten an Wahlen zu beteiligen und Abgeordnete in Parlamente zu senden. Manches deute jedoch darauf hin, dass selbst viele Sorben die umfangreichen Fördermaßnahmen nicht annähmen und ihren Kindern die sorbische Sprache nicht weitervermittelten. Die Forderung nach einer autonomen sorbischen Verwaltung sei nationalistisch und belaste das friedliche Zusammenleben zwischen Deutschen und Sorben. Angesichts der sich Anfang Februar abzeichnenden deutsche Einheit und der damit verbundenen Länder463 Vgl. Die Union vom 18.1.1990. 464 Beschlussvorlage des RdB Dresden: Wege zur Herausbildung des Landes Sachsen vom 17.1.1990 (Dok. 1) 465 Vgl. Kasper, Die Lausitzer Sorben, S. 71 f. 466 Ebd., S. 66. 467 Lausitzer Rundschau, Ausgabe Hoyerswerda, vom 18.1.1990.

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bildung räumten die meisten Sorben der Idee eines Landes Lausitz nicht viele Chancen ein und hofften stattdessen auf ein um einige niedersorbische Kreise vergrößertes Sachsen.468 Hoffnungen machte den Sorben dabei die Regierungskommission Verwaltungsreform, die Anfang Februar über Konfliktherde bei der Länderbildung beriet. Zur Sprache kam auch hier die unter einigen Sorben diskutierte Bildung eines Landes oder einer Provinz „Lausitz“ entweder aus zwölf zweisprachigen Kreisen der Bezirke Dresden und Cottbus oder durch Umwandlung des Bezirkes Cottbus zum Land Lausitz mit Anschluss der Oberlausitzer Kreise Bautzen, Kamenz, Görlitz-Stadt und Görlitz-Land, Löbau, Weißwasser und Zittau. Genannt wurde auch die Variante der Bildung eines Landes Sachsen-Lausitz mit einer Provinz Lausitz.469 Die Arbeitsgruppe „Administrativ-territoriale Gliederung“ der Regierungskommission lehnte solche Pläne jedoch ab und favorisierte ein erweitertes Land Sachsen einschließlich des Bezirkes Cottbus bzw. von Teilen des Bezirkes Cottbus (Siedlungsgebiet der Sorben, Lausitz, Braunkohlegebiet).470 Am 7. Februar nahm die Domowina eine Resolution zur territorialen Neugliederung des Lausitzer Gebietes an und empfahl, der bevorstehende Außerordentliche Bundeskongress der Domowina möge Anträge an die Volkskammer und die beiden regionalen Parlamente richten, wonach die Ober - und Niedersorben in einer Verwaltungseinheit zusammengefasst, auf dem Gebiet der Nationalitätenpolitik ein einheitliches Vorgehen und die Förderung der sorbischen Sprache und Kultur gewährleistet werden sollte. Aus diesem Grund wurde auch die Angliederung der zweisprachigen Kreise des Bezirkes Cottbus an Sachsen vorgeschlagen. Anknüpfend an den Text der Petition der Volksversammlung vom November wurde an das Verständnis der deutschen Bevölkerung appelliert, mit dieser verbindet die Sorben eine „über Jahrhunderte bewährte Tradition demokratischer Gesinnung und Bestrebungen für Gleichberechtigung und Erhaltung des sorbischen Volkes“ in einer Tradition von Spener, Lessing und Pieck“.471 Auch die Sorbische Volksversammlung erklärte am 10. Februar, die „berechtigte Bestrebung“ der Deutschen nach staatlicher Einheit dürfe nicht die Teilung der Sorben festschreiben und forderte die Einheit des sorbischen Volkes in einem Verwaltungsgebiet. Es wurde vorgeschlagen, den Bezirk Cottbus mit Ausnahme der Anhaltischen Kreise Jessen, Herzberg und Bad Liebenwalde an Sachsen anzugliedern.472 In „Nowa doba“ trat der Sprecher der Sorbischen Territorialkommission, Frank Förster, dafür ein, 468 Oschlies, Die Sorben, S. 64. 469 Für die Beratung am 6.2.1990: Mögliche Konfliktherde bei Länderbildung entsprechend vorliegender Hinweise und Vorschläge (BArch B, DO 5, 137). 470 Regierungskommission für die Vorbereitung und Durchführung der Verwaltungsreform, AG administrativ-territoriale Gliederung: Vorlage zu den Grundsätzen der Länderbildung sowie zu Grundzügen der Aufgabenstellung künftiger Länderparlamente und -regierungen vom 22. 2.1990 (ebd.). 471 Kasper, Die Lausitzer Sorben, S. 67. 472 Vorlage für den Sorbischen Runden Tisch: Vorschlag der Sorbischen Volksversammlung zur territorialen Neuordnung der Länder unter Berücksichtigung der nationalen Interessen der Sorben, vom 10. 2.1990 (BArch B, DO 5, 143).

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entweder die gesamte historische Lausitz, „die erheblich mit den Gegenwartsund Zukunftsgrenzen des Lausitzer Kohlen- und Energiereviers übereinstimmt und das sorbische Siedlungsgebiet völlig einschließt“ an das Land Sachsen anzuschließen, oder rechtzeitig wirksame übergreifende Strukturen zu schaffen, die von vornherein Verbundlösungen des Problems „Mensch und Kohle“ wie auch der sorbischen Nationalitätenfrage gewährleisten.473 Am 13. Februar setzte auch der Sorbische Runde Tisch das Problem der Vereinigung der beiden Lausitzen auf die Tagesordnung. Gleichzeitig gab Bernhard Ziesch als Vertreter der Domowina vor dem Runden Tisch des Bezirkes Dresden einen Bericht zur Lage im zweisprachigen Gebiet der Oberlausitz. Die basisdemokratische Bewegung, die Domowina und weitere Organisationen seien gemeinsam angetreten, um über die Wahrung der Rechte der Sorben im Umgestaltungsprozess zu wachen. Die Sorben auch im Cottbuser Gebiet fühlten sich zu Sachsen gehörig. Die Sorben wünschten, dass ihr Siedlungsgebiet dem Land Sachsen angegliedert werde. Am Runden Tisch herrschte daraufhin Einigkeit, dass ein Volksentscheid notwendig sei. Das sei auch angesichts eines wieder erwachenden Deutschbewusstseins und gegenwärtig zu beobachtenden Ansätzen zu Spannungsverhältnissen im sorbischen Raum eine Aufgabe ersten Ranges. Alle Vertreter der etablierten Parteien und basisdemokratischen Gruppen versicherten, dass sie sich in ihrem Verantwortungsbereich für die Wahrung der Rechte und nationalen Interessen der Sorben einsetzen und bei Entscheidungen aller Art diese stets beachten würden. Sie würden mit allen Mitteln konsequent gegen diskriminierende und nationalistische Erscheinungsformen gegen die sorbische Bevölkerung einschreiten. Bei den Verhandlungen mit den Bezirken Karl-MarxStadt und Leipzig über die künftigen Ländergrenzen des Landes Sachsen einschließlich des Siedlungsraumes der sorbischen Bevölkerung solle auch der Bezirk Cottbus einbezogen werden.474 Auf Vorschlag des Sorbischen Runden Tisches billigten der Bundesvorstand und der Ausschuss zur Vorbereitung des Außerordentlichen Bundeskongresses der Domowina am 17. Februar außerdem eine Entschließung an den Zentralen Runden Tisch, wonach man „Reformen und Regelungen“ erwartete, „die gewährleisten, dass die ganze Lausitz als einzigartige binationale Landschaft Mitteleuropas erhalten wird“. Malink legte hier die gemeinsamen Vorstellungen zur Lausitzer Landeseinheit dar. Auf Anregung des Zentralen Runden Tisches berief das Leitungsgremium der Domowina eine „Sorbische Territorialkommission“, die sich am 19. Februar in Cottbus konstituierte und die verschiedenen Vorstellungen zur Territorialreform bündeln sollte. Unter Leitung des stellvertretenden Direktors des Instituts für sorbische Volksforschung, Frank Förster, hatte die Kommission eine schwierige Aufgabe zu lösen. Es galt zunächst, die zum Teil weit auseinander gehenden und gegen473 Frank Förster, „Landesverfassung und Lausitzer Problemverbund.“ In: Nowa doba (Sonderbeilage) vom 10. 2.1990. 474 Protokoll der 9. Beratung des RTB Dresden am 15. 2.1990 (Dok. 10); [Handschriftliches Protokoll Erich Iltgens von der] 1. Beratung des Runden Tisches [des Bezirkes Dresden am 15. 2.1990] (HAIT, Iltgen, 4). Vgl. Die Union vom 15. 2.1990.

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sätzlichen Auffassungen der Sorben zu bündeln und die Unterstützung der Regierung wie der Bevölkerung der betroffenen Gebiete zu erreichen.475 Die Kommission unterstützte die Bildung von drei oder vier Ländern, wie sie u. a. Blaschke oder Scherf vorschlugen, weil man in der Schaffung großer Länder eine Chance zur Lausitzer Landeseinheit sah. Abgelehnt wurde die Fünf-Länder-Variante, weil sie die Lausitzer Landeseinheit als Einheit des Lausitzer Industriereviers und des sorbischen Siedlungsgebietes ausschloss.476 Am Tag der Konstituierung der Kommission forderte auch eine „Gruppe der Sorben der Stadt Dresden“ zwecks Erhalt eines einheitlichen sorbischen Verwaltungsgebietes die Angliederung der Kreise Hoyerswerda, Spremberg, Forst, Senftenberg und Cottbus-Land sowie Cottbus-Stadt an Sachsen.477 Derartige Ambitionen stießen freilich in Cottbus auf wenig Gegenliebe. In einer internen Empfehlung der Bezirksplankommission zu einem Standpunkt des Rates des Bezirkes Cottbus in der Sorbenfrage vom 20. Februar hieß es vielmehr, der Rat des Bezirkes solle in Übereinstimmung mit den Interessenvertretern der sorbischen Bevölkerung das Wirtschaftsterritorium Cottbus mit dem gegenwärtigen Primat der Kohle- und Energiewirtschaft in ein Land, nämlich Brandenburg, einbringen. Dabei würden Voraussetzungen zur Sicherung sorbischer Interessen über die Ländergrenzen hinweg geschaffen. Mit der Lösung werde gewährleistet, „dass nicht einseitig die staatliche Organisation der Gesellschaft und Wirtschaft allein nach Interessen der sorbischen Bevölkerung entschieden“ werde.478 Der Vorsitzende des Rates des Bezirkes Cottbus, Peter Siegesmund, übermittelte dem in der Regierung mit der Frage der Länderbildung befassten Peter Moreth Ende Februar ein Gutachten, wonach ein auf ein Land ausgerichteter Lebens- und Siedlungsraum des sorbischen Volkes „nicht hergestellt werden“ könne, weil dies zu ernsthaften Ungleichgewichten zwischen den Ländern Sachsen und Brandenburg führen würde.479 Gegen eine so dezidierte Erklärung wandte sich der Koordinator des Runden Tisches in Dresden, Erich Iltgen, der forderte, dass zur Klärung der Probleme des Volkes der Sorben der Bezirk Cottbus in die Beratungen einbezogen werden und zu der strittigen Frage ein Volksentscheid der Sorben organisiert werden sollte.480 Der Vorsitzende des Rates des Bezirkes wurde gebeten, 475 Kasper, Die Lausitzer Sorben, S. 68. 476 Frank Förster: Denkschrift zur Lausitzer Landeseinheit und zur sorbischen kulturellen Selbstverwaltung, o. D. (BArch B, DO 5, 147); Denkschrift von Frank Förster an Ministerpräsident Lothar de Maizière zur Lausitzer Landeseinheit vom 17. 4.1990. Text in: Kasper, Die Lausitzer Sorben, S. 300–303. 477 „Gruppe der Sorben in der Stadt Dresden“ an den Ministerrat der DDR vom 19. 2. 1990 (BArch B, DO 5, 145). 478 RdB Cottbus, Hermann Schubert, an Peter Siegemund vom 20. 2.1990: Betr. Herbeiführung eines Standpunktes des RdB zur Länderbildung aus der Sicht bestehender Anforderungen seitens der Domowina (Brandenburg. LHA, Rep. 801, 24494). 479 Peter Siegesmund an Peter Moreth, o. D. Anlage: Edith Lotzmann/Hermann Schubert: Die Landesgrenzen Brandenburgs – ökonomisch begründet und auf die Zukunft gerichtet, vom 20. 2.1990 (BArch B, DO 5, 144). 480 Protokoll der Tagung des Präsidiums des BT Dresden vom 20. 2.1990 (SächsHStA, BT/ RdB, 46123, Bl. 145–153).

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den Runden Tisch über die Aufnahme des Kontaktes zum Rat des Bezirkes Cottbus im Zusammenhang mit der Beschlussfassung des Runden Tisches zur sorbischen Bevölkerung zu informieren.481 In Dresden sprach sich auch die PDS dafür aus, bei der Bildung von Ländern das gesamte sorbische Siedlungsgebiet in das Land Sachsen zu integrieren.482 Vor allem aber protestierten die Sorben selbst gegen die Cottbuser Haltung. Der Sorbische Runde Tisch bezog klar gegen die vom Rat vorgeschlagene Einbeziehung des gesamten Bezirkes Cottbus und damit des gemischtnationalen Siedlungsgebietes in ein zukünftiges Land Brandenburg Stellung.483 Mit Verweis auf die ständigen Teilungen der Sorben seit 1815 hieß es, diese Gefahr bestehe erneut. Man fordere die Einheit des sorbischen Volkes in einem Verwaltungsgebiet. Zwar werde anerkannt, dass die Bildung eines eigenständigen Landes Lausitz keine Erfolgsaussichten habe, man fordere aber eine Unterstellung des gesamten obersorbischen Sprachgebietes unter eine einheitliche Verwaltung im Rahmen des Landes Sachsen. Das bedeute die Angliederung der Kreise Weißwasser und Hoyerswerda an Sachsen. Dies werde man „auf jeden Fall durchsetzen“, handele es sich bei dieser Forderung doch um „eine unbedingt zu beachtende und zu realisierende Minimalforderung des sorbischen Volkes, die auch die Unterstützung der deutschen Mitbürger in diesen Gebieten“ erfahre. Darüber hinaus schlug der Sorbische Runde Tisch die Einbeziehung des gesamten deutsch-sorbischen Gebietes in das Land Sachsen vor. Der Vorschlag beinhaltete die Angliederung des jetzigen Bezirkes Cottbus (mit Ausnahme der Anhaltischen Kreise Jessen, Herzberg und Bad Liebenwerda) an das Land Sachsen, wodurch „im Wesentlichen an historische Verhältnisse vor 1815 angeknüpft“ werde und die gesamte Lausitz, einschließlich des sorbischen Siedlungsgebietes, erstmals wieder unter eine einheitliche Verwaltung käme. Die sorbische Haltung ziele auf eine „energie-, umwelt- und nationalitätenpolitische Verbundlösung“ ab, mit der vermieden werde, den 1945 begangenen und bald danach als solchen erkannten Fehler einer Ländertrennung des Lausitzer Braunkohlereviers auf heutiger, höherer Industrialisierungsstufe zu wiederholen. Vorteile dieser Lösung bestünden in der Unterstellung des gesamten Lausitzer Kohle- und Energiereviers unter eine einheitliche Verwaltung und damit der Gewährleistung besserer Bedingungen für eine einheitliche Umsetzung der damit zusammenhängenden ökonomisch-ökologischen Probleme. Mit der Rückführung der Textilindustrie von Cottbus nach Sachsen erhalte Sachsen als traditionelles Land der Textilindustrie seine ehemalige Bedeutung auf diesem Gebiet zurück. Für die relativ schwache landwirtschaftliche Produktion des jetzigen Bezirkes Cottbus gebe es bessere Bedingungen im Rahmen der 481 RTB Dresden an Michael Kunze vom 23. 2.1990: Information über Aufgaben, die sich aus der Beratung des Runden Tisches vom 22. 2.1990 für den Vorsitzenden des Rates ergeben (HAIT, Iltgen, 4). 482 „Konzeption der PDS in Sachsen vom 17. 2.1990 zur Wahrung sorbischer Interessen.“ In: Nowa doba vom 20. 2.1990 (deutschsprachige Sonderbeilage vom 24. 2.1990). 483 Sorbischer Runder Tisch gegen Zuordnung von Teilen des gemischtnationalen Gebietes der Lausitz zum Land Brandenburg vom 22. 2.1990 (Dok. 14).

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leistungsfähigeren Landwirtschaft Sachsens. Hinzu kämen wesentlich günstigere Verkehrsbedingungen zwischen Cottbus und Dresden als nach Potsdam. Betont wurde auch die „traditionell größere Aufgeschlossenheit und Toleranz gegenüber den sorbischen Problemen im sächsischen Raum“, die sich gerade gegenwärtig wieder eindrucksvoll zeige. Auch für die Domowina als einheitliche nationale Organisation der Sorben ergäben sich bessere Wirkungsmöglichkeiten, wenn sie in einem einzigen Landesverband agieren könnte. Aus den genannten Gründen betrachte der Sorbische Runde Tisch die jetzigen Vorstellungen des Rates des Bezirkes Cottbus lediglich als „Anfangspunkt eines Prozesses der gründlichen Prüfung von Varianten unter komplexer Beachtung aller Wirkfaktoren“. Ende Februar unterbreitete auch die Sorbische Volksversammlung einen Vorschlag zur territorialen Neuordnung der Länder unter Berücksichtigung der nationalen Interessen der Sorben, der zahlreiche Forderungen des Sorbischen Runden Tisches aufgriff. Auch hier hieß es, die berechtigten Bestrebungen des deutschen Volkes zur Wiederherstellung der nationalen Einheit könne und dürfe nicht die Teilung des sorbischen Volkes festschreiben. Deshalb fordere man die Einheit des sorbischen Volkes in einem Verwaltungsgebiet. Der Vorschlag formulierte keine konkreten territorialen Vorstellungen, vorgesehen aber war auch hier die Angliederung des gesamten Bezirkes Cottbus an Sachsen mit Ausnahme der anhaltinischen Kreise Jessen, Herzberg und Bad Liebenwerda. Nach Meinung des Direktors des Instituts für sorbische Volksforschung, Kasper, war der Vorschlag zu diesem Zeitpunkt „ganz und gar unangebracht“, weil das „Ausscheren der Volksversammlung“ eher dazu geeignet war, „die gemeinsamen sorbischen Bemühungen zu untergraben“.484 Am 8. März reagierte der zuständige Sektorenleiter Sorbische Kultur des DDR-Ministeriums für Kultur, Jan Kosk. Er informierte den Rat des Bezirkes Dresden über die Ergebnisse seiner Beratungen mit Vertretern der nationalen Bewegung der Sorben. Ziel sei die Schaffung eines überregionalen „Sorbischen Kulturrates“ mit weitreichenden Kompetenzen. Der „Sorbische Kulturrat“, zusammengesetzt aus Delegierten des gesamten nationalen Spektrums der Sorben, sollte als beratender und mitentscheidender Partner in Fragen der sorbischen Kultur den Länderregierungen in Sachsen und Brandenburg zur Seite stehen. Bei den Länderregierungen und auf zentraler staatlicher Ebene müssten in den zu bildenden Stellen zur Vertretung der Sorben auch sorbischsprachige und hochqualifiziert Verantwortliche für sorbische Kultur eingesetzt werden. Diese Vertreter sollten im „Sorbischen Kulturrat“ mit erfasst werden.485 Deutlich wurde seitens der Regierung der Schwerpunkt auf kulturelle Aspekte des sorbischen Volkes gelegt, territoriale Fragen wurden ausgeklammert. Am 17. März gründete sich die Initiativgruppe für eine Sorbische Volksversammlung.486 Am selben Tag legte die Sorbische Territorialkommission einen 484 Kasper, Die Lausitzer Sorben, S. 68. 485 Jan Kosk an Klaus Schumann vom 8. 3.1990 (HAIT, KA, 48). 486 RdB Dresden vom 21. 5.1990: Punkt 3. Nationalitätenpolitik (BArch B, DO 5, 148).

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Standpunkt zur Länderbildung vor. Darin hieß es, die Länderbildung sei kein bürokratisch-zentralistischer Amtsakt, sondern ein demokratischer Prozess, der in der Lausitz durch eine deutsch-sorbische Interessengemeinschaft charakterisiert werde. Deren Inhalt sei die Landeseinheit des Lausitzer Industriereviers wie des sorbischen/wendischen Siedlungsgebietes, wodurch eine energie-, umwelt- und nationalitätenpolitische Verbundlösung geschaffen werde. Ober- und Niederlausitz müssten deswegen ungeteilt nach Sachsen kommen. Der deutsche Staat sei national und international zur ethnischen Zukunftssicherung der sorbischen / wendischen Nationalität verpflichtet. Beide deutsche Staaten hätten das am 15. Januar 1989 verabschiedete abschließende Dokument des Wiener KSZE-Folgetreffens mitunterzeichnet, in dem es hieß, dass sich die Teilnehmerstaaten verpflichten, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten von Angehörigen nationaler Minderheiten auf ihrem Territorium zu gewährleisten.487 Auch das Dresdner Institut für Denkmalpflege unterstützte diese Haltung488 und bezeichnete eine Zugehörigkeit zum Land Sachsen als sinnvoll für die heutigen Kreise Görlitz-Stadt und Görlitz-Land sowie Niesky im Bezirk Dresden, die vom 17. Jahrhundert bis 1815 als Teil der Oberlausitz zu Sachsen, danach zur preußischen Provinz Schlesien bzw. Niederschlesien und nach 1945 bis 1952 zum Land Sachsen gehört hätten. Mit einer Zugehörigkeit auch der Niederlausitz zu einem Land Sachsen wäre die sorbische Bevölkerung innerhalb eines Landes vereint und ihre politische Vertretung in einem Landesparlament gesichert. Dies habe eine wesentliche Bedeutung im Hinblick auf ein geeintes Deutschland und ein vereinigtes Europa. Denkbar sei zum Beispiel ein Verwaltungsbezirk Nieder- und Oberlausitz. Eine Teilung des Bezirkes Cottbus etwa derart, dass die Kreise Hoyerswerda, Weißwasser zu Sachsen, andere Teile zu Sachsen-Anhalt und die Niederlausitz zu Brandenburg kämen, bringe so lange ökonomische Probleme mit sich, wie die Braunkohle die Wirtschaftsstruktur bestimme. Die Wahlen am 18. März zeigten deutlich, dass die meisten Sorben ihre Hoffnungen auf das vereinte Deutschland setzten. In den sorbischen Dörfern folgte man dem Wahlslogan der CDU, den diese als einzige in sorbischer Sprache ausgegeben hatte: „Serbja vola CDU“.489 Unmittelbar nach der Volkskammerwahl beschloss ein Außerordentlicher Bundeskongress der Domowina ein neues Statut und wählte eine neue Führung.490 Das Treffen hätte fast zur Spaltung geführt. Jurij Grós kandidierte nochmals für den Vorsitz, ließ im letzten Moment aber dem parteilosen Elektroingenieur Bjarnat Cyž (Bernhard Ziesch) den Vortritt, der sich in Kampfabstimmung gegen Jan Malink durchsetzte. Grós wurde 487 Standpunkt der Sorbischen Territorialkommission zur Länderbildung vom 17. 3.1990 (Dok. 24). 488 Diskussionsbeitrag des Instituts für Denkmalpflege Dresden zu einem künftigen Land Sachsen aus kulturgeographischer und kulturhistorischer Sicht vom 20.3.1990 (Dok. 26). 489 Oschlies, Die Sorben, S. 64. 490 MRKA: Analyse über die nationale Situation des sorbischen Volkes in der DDR vom 14. 6.1990 (BArch B, DC 20, 11621).

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zweiter Vorsitzender. Das Prozedere sah „sehr nach Seilschaft“ aus und führte zu internen Spannungen. Dennoch konnten sich die Ergebnisse sehen lassen, die in einer „Absage an politische Gängelungen in der Vergangenheit“, einer Entschuldigungen bei der Tschechoslowakei und Jugoslawien wegen früherer Ausfälle der Domowina im SED - Auftrag, der Gründung von Kommissionen für Rehabilitierungen und für Geschichte sowie in der Zustimmung zur deutschen Einheit bestanden, letztere, sofern sie den Sorben die gewünschten Volksgruppenrechte bringe und sie in ihrer Rolle als Kulturbrücke zu anderen Slawen würdige.491 Die am 22. März tagende Sorbische Territorialkommission forderte nach der Volkskammerwahl ebenfalls erneut, die Ober- und Niederlausitz ungeteilt dem Land Sachsen zuzuordnen und unterstützte die Bildung von drei oder vier Ländern nach Vorlage von Blaschke oder Scherf. Eine Fünf-LänderLösung wurde nochmals abgelehnt, weil sie die Lausitzer Landeseinheit ausschließe und ihr der „Beigeschmack einer hastigen Schaffung vollendeter Tatsachen“ anhafte.492 Die Kommission verwies auf die Grundsätze für ein europäisches Volksgruppenrecht, wie es von der Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen, dem Internationalen Verband zum Schutz bedrohter Sprachen und Kulturen und dem Internationalen Institut für Nationalitätenrecht und Regionalismus vertreten wurde. Danach hatten nationale Minderheiten oder Volksgruppen „ein unabdingbares Recht“ darauf, dass ihr Heimatgebiet „weder verfremdet noch verwaltungsrechtlich zersplittert werden“ dürfe.493 Eine Antwort aus Cottbus ließ nicht lange auf sich warten. Unter der Überschrift „Das künftige Land Brandenburg? Gedanken aus Cottbusser Sicht“ veröffentlichten im Auftrag des Rates Hermann Schubert und Edith Lotzmann ein Diskussionspapier, das die Meinung der Bezirksbehörde wiedergab. Die sorbische Bevölkerung, so hieß es, siedele vor allem in den Kreisen Calau, Cottbus-Land, Cottbus-Stadt, Guben, Forst, Spremberg, Weißwasser und Hoyerswerda. Die Ausgliederung der Gebiete aus dem Land Brandenburg würde zum „ernsthaften Ungleichgewicht“ führen. Um diesen Preis sollte ein auf ein Land ausgerichteter Lebens- und Siedlungsraum des sorbischen Volkes, der auch Hunderttausende deutscher Bürger betreffe, nicht hergestellt werden.494 Nach den Volkskammerwahlen wurden erneut Überlegungen formuliert, ein eigenes Land „Lausitz“ zu bilden. Bei einer Beratung der Räte der Bezirke und der Domowina im Ministerrat am 26. März wurde Einigung erzielt, die Bildung eines Landes Lausitz nicht zu unterstützen, da eine solche Regelung zur Zersplitterung und zur Herausbildung eines strukturschwachen Landes führen würde und eine Zuordnung aller zweisprachigen Kreise zu einem Land territorial und unter Beachtung der in diesen Kreisen lebenden deutschen Bevölkerung insgesamt nicht durchführ491 Oschlies, Die Sorben, S. 65. 492 Stellungnahme der sorbischen Territorialkommission vom 22. 3.1990 zur Dokumentation des RdB Dresden über Varianten der Länderbildung vom 13. 3.1990 (Dok. 29). 493 1949–1989. Information über die Föderalistische Union Europäischer Volksgruppen (FUEV), Flensburg 1989, S. 21 und 23. 494 Lausitzer Rundschau vom 21. 3.1990.

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bar sei. Zur Wahrung der sorbischen Interessen sollte jedoch eine weitgehende kulturelle Autonomie verfassungsrechtlich verankert werden. 495 Anfang April meldete sich der Vorsitzende des Kreisverbandes Hoyerswerda der Domowina, Werner Sroka, zu Wort. Aus der „Sächsischen Zeitung“ vom 23. März habe er erfahren, dass am Runden Tisch des Bezirkes Dresden große Bedenken über die Bemühungen in Görlitz, aber auch in den Kreisen Niesky, Hoyerswerda und Weißwasser, für ein Land Schlesien geäußert würden. In der Domowina verurteile man diese Bemühungen, weil sie „von der Weltöffentlichkeit und besonders von unseren polnischen Nachbarn nur als offene Provokation gewertet werden“ könnten, die europäische Nachkriegsordnung in Frage zu stellen. Man verurteile dieses „verantwortungslose Vorgehen“, das auch vom Runden Tisch des Kreises Hoyerswerda mitgetragen werde und unterstütze den Standpunkt der sorbischen Territorialkommission vom 22. März,496 drei oder vier Länder „aufgrund der Landeseinheit des Lausitzer Industriereviers wie auch des sorbischen Siedlungsgebietes als energie-, umwelt- und nationalitätenpolitische Lösung“ und „unter gesamtdeutschem Blickwinkel“ zu bilden. Damit ordne man sich „in die wissenschaftlich fundierten Bestrebungen um eine moderne und lebensfähige Konzeption für Großländer“ ein, „die in die Lausitzer Landeseinheit führt und die im Interesse aller deutschen und sorbischen Bewohner der Lausitz“ liege. Sollte es „übergangsweise“ doch zur Herausbildung von fünf Ländern kommen, „bekräftigen wir unsere Forderung nach sofortigem Anschluss des Kreises Hoyerswerda zum Land Sachsen (gemeinsam mit dem Gaskombinat Schwarze Pumpe)“ durch einen Bürgerentscheid. In diesem Sinne rufe man zu einer breiten Bürgerbewegung für einen Anschluss an das Land Sachsen auf.497 Am 17. April, unmittelbar vor der Regierungserklärung de Maizières, übersandte ihm der Sprecher der Kommission, Frank Förster, eine „Denkschrift zur Lausitzer Landeseinheit und zur sorbischen kulturellen Selbstverwaltung“. Darin begründete die Kommission die aus ihrer Sicht notwendige Wiederherstellung der Lausitzer Landeseinheit und die notwendige kulturelle Selbstverwaltung. Hier hieß es, die Kommission erstrebe im Sinne landschaftlicher Interessengemeinschaft deutscher und sorbischer Lausitzer die Landeseinheit des Lausitzer Industriereviers wie des sorbischen Siedlungsgebietes als energie-, umwelt- und nationalitätenpolitische Verbundlösung, die vernünftigerweise lauten müsse, die Ober- und Niederlausitz ungeteilt nach Sachsen zu nehmen.498 Allein die gesetzliche Gleichberechtigung reiche für die ethnische Zukunftssicherung der Sorben nicht aus. Notwendig sei die tatsächliche Gleichstellung. Diese setze außer dem Schutz der sorbischen ethnischen Eigenart, die kulturelle Autonomie in einem 495 Protokoll der Beratung am 26. 3.1990 beim Ministerrat der DDR zu Problemen der künftigen Länderbildung in der DDR (BArch B, DO 5, 164). 496 Vgl. Nowa doba vom 24. 3.1990. 497 Stellungnahme des Kreissekretariats der Domowina Hoyerswerda zur Territorialreform vom 7. 4.1990 (Dok. 42). 498 Denkschrift der Lausitzer Landeseinheit und zur sorbischen kulturellen Selbstverwaltung. Zit. in Kasper, Die Lausitzer Sorben, S. 69 f.

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einheitlichen Lausitzer Verwaltungsgebilde voraus. Eine fortbestehende Länderteilung wären für das sorbische Volk und seinen ethnischen Fortbestand „ungemein schwerwiegend“. Am Tag der Regierungserklärung verbreiteten Teilnehmer der Sorbischen Volksversammlung in der Niederlausitz bei einer Kundgebung in Cottbus eine Willenserklärung. Darin kritisierten sie, dass die für die Bildung des Landes Brandenburg Verantwortlichen „die Anwesenheit des sorbischen Ethnikums in der Lausitz weitestgehend unbeachtet“ ließen und „die territoriale Spaltung des sorbischen Volkes“ praktizierten. Die Politiker wurden aufgefordert, keine Teilung des sorbischen Volkes zuzulassen. Die Kundgebungsteilnehmer erklärten sich „mit jeder Variante einverstanden, die das gemischt nationale Gebiet der Lausitz als territoriale Einheit betrachtet“.499 Nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten versicherte de Maizière gegenüber der Domowina, dass seine Regierung den nationalen Interessen des sorbischen Volkes die notwendige Aufmerksamkeit widmen werde und sagte zu, die Verabschiedung eines Nationalitätengesetzes zu unterstützen. Von der Lausitzer Landeseinheit war jedoch keine Rede. De Maizière stützte sich auf die Empfehlung der Regierungskommission Verwaltungsreform, die „in Übereinstimmung mit der Domowina“ vorgeschlagen hatte, der Herstellung eines eigenen Landes „Lausitz“ nicht zuzustimmen, da eine solche Regelung zur Zersplitterung und zur Herausbildung eines strukturschwachen Landes führe. Zur Wahrung der kulturellen Eigenständigkeit war hier empfohlen worden, den Sorben in ihren Siedlungsräumen in den künftigen Ländern Brandenburg und Sachsen länderübergreifend verfassungsmäßig garantierte kulturelle Autonomie zu gewährleisten.500 Auch das Präsidium des CDU-Landesverbandes Sachsen begrüßte die Regierungserklärung und die hier vorgegebene Orientierung auf fünf Länder und empfahl zu den strittigen Gebieten Volksbefragungen.501 Damit war der Versuch der Sorben gescheitert, die administrative Spaltung des sorbischen Siedlungsgebietes zu überwinden und ein einheitliches, die ganze Lausitz umfassendes Verwaltungsgebiet zu schaffen. Ein Grund dafür lag darin, dass „sich die Sorben viel zu sehr mit sich selbst beschäftigen und zu wenig um Zustimmung der deutschen Bevölkerungseinheit warben“. Hier fand die Idee von der territorialen Autonomie wenig Anhänger502 und war die Meinung verbreitet, die Forderung der Sorben nach Gleichberechtigung habe auf die territoriale Gliederung keinen Einfluss, denn dieses Problem sei nicht von Ländergrenzen abhängig. Auf deutscher Seite war der Gedanke der Bildung eines Landes „Lausitz“ ohnehin nie ernsthaft erörtert worden, „zumal“, so Blaschke, „ein solches aus Nie499 Willenserklärung der Teilnehmer der Sorbischen Volksversammlung in der Niederlausitz am 19. 4.1990 zur Länderbildung. In: Nowa doba (deutschsprachige Beilage) vom 28. 4.1990. 500 Regierungskommission für die Vorbereitung und Durchführung der Verwaltungsreform. AG Administrativ-territoriale Gliederung: Vorlage (für den Ministerrat) zur Länderbildung in der DDR vom April 1990 (HAIT, KA, VII.1). 501 ADN-Pressemitteilung des CDU-LV Sachsen vom 23. 4.1990. (ACDP, III-053, unsign.). 502 Kasper, Die Lausitzer Sorben, S. 70.

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der- und Oberlausitz bestehendes Land eine absolute verwaltungsgeschichtliche Neuheit gewesen wäre und nur auf Kosten der Länder Brandenburg und Sachsen hätte errichtet werden können“. Deswegen habe sich auch die sorbische Territorialkommission, von der am ehesten ein Interesse an diesem Land hätte erwartet werden können, „in ihrer realistischen Einstellung nicht dafür verwendet“.503 Wie angesichts der von der Regierung seit längerem avisierten Wiedererrichtung der fünf 1952 erloschenen Länder mit nur geringfügig veränderten Grenzen zu erwarten war, wurde der einheitliche Wirtschaftsraum der Lausitz erneut zwischen Brandenburg und Sachsen aufgeteilt. Die neue Landesgrenze verlief von Ruhland nach Muskau an der Görlitzer Neiße. Aus Sicht der Regierung hätte ein Land „Lausitz“ gegen einige in Artikel 29 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland verankerte wesentliche Kriterien der Ländergliederung wie Mindestgröße und wirtschaftliche Leistungskraft verstoßen. Es sollte aus den östlichen 15 Land und zwei Stadtkreisen (Cottbus und Görlitz) der Bezirke Cottbus und Dresden mit rund 8 230 km² Fläche und 1,25 Mio. Einwohnern gebildet werden.504 Nicht unbedingt für ein Land Lausitz, wohl aber für die Einbeziehung der gesamten Lausitz in ein Land hätten nach geographischer Expertenmeinung nicht allein historisch-landsmannschaftliche Gründe gesprochen, auch die Raumordnungspolitik verlangte hier demnach eigentlich eine einheitliche Verwaltung. Die durch den Braunkohlenabbau und die Energiewirtschaft ausgelösten Landeskultur- und Umweltprobleme seien von Lübben bis Zittau ähnlich und konzentrierten sich beiderseits der brandenburgischsächsischen Landesgrenze, die wirtschaftlich und ökologisch „extrem unzweckmäßig“ sei.505 Die Aufteilung der Lausitz auf zwei Länder sei somit einer der „aus raumordnerischer Sicht schwersten Fehler im Zuschnitt der neuen Länder“.506 Für die Sorben war damit die Idee eines alle Sorbengebiete umfassenden Landes Lausitz vom Tisch. Stattdessen konzentrierten sich ihre Vertreter nun auf die Durchsetzung ethnischer und kulturelle Rechte. Bereits Anfang Mai erklärte sich Bjarnat Cyž (Bernhard Ziesch), der Nachfolger des am 1. Mai zurückgetretenen Vorsitzenden der Domowina, Jurij Gróß, damit einverstanden, die Regierungspolitik mitzutragen, wonach kein Land Lausitz gebildet werden würde. Akzeptiert wurde auch die Zweistaatlichkeit des sorbischen Siedlungsgebiets in Brandenburg und Sachsen bei kultureller Autonomie der sorbischen Minderheit.507 Am 12. Mai stellte der Bundesvorstand der Domowina in der deutschsprachigen Ausgabe der „Nowa doba“ den Entwurf eines „Gesetzes zum Schutz und für Förderung des sorbischen Volkes“ zur Diskussion, das auf eine Kulturautonomie der Sorben zielte. Diese Bestrebungen wurden freilich von innersorbischen 503 Vgl. Blaschke, Das Werden der neuen Bundesländer, S. 136. 504 Vgl. Rutz/Scherf/Strenz, Die fünf neuen Bundesländer, S. 84. 505 Rutz/Scherf/Strenz, Die fünf neuen Bundesländer, S. 129. 506 Rutz, Die Wiedererrichtung der östlichen Bundesländer, S. 279. 507 Vermerk über ein Telefongespräch mit dem Vorsitzenden der Domowina, Bernhard Ziesch, am 2. 5.1990 (BArch B, DO 5, 164).

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Auseinandersetzungen überschattet. So konstatierte der Rat des Bezirkes Dresden im Mai, dass es zwischen der am 17. März 1990 gegründeten Initiativgruppe der Sorbischen Volksversammlung und der nationalen Organisation der Sorben, der Domowina, „gegenwärtig ernste Meinungsverschiedenheiten“ gebe. Die Volksversammlung habe sich als selbständige politische Organisation registrieren lassen und entwickle Auslandsaktivitäten, die mit der Domowina nicht abgesprochen seien. Unter dem Begriff der Erneuerung zeichne sich eine „Spaltung und Intoleranz betreffs weltanschaulicher und religiöser Bekenntnisse innerhalb der Domowina“ ab.508 Am 14. Juni legte das Ministerium für regionale und kommunale Angelegenheiten eine von einer zeitweiligen interministeriellen Arbeitsgruppe erstellte „Analyse über die nationale Situation des sorbischen Volkes in der DDR“ vor. Sie diente als Beschlussvorlage für den Ministerrat und war mit der Domowina abgestimmt. Darin hieß es, dass über die Zuordnung der Lausitz im Zuge der Verwaltungsreform entschieden werde. Dem sorbischen Volk sei die Kulturautonomie zu gewähren und entsprechend dem Vorschlag der Domowina ein Amt für Sorbenfragen beim Vorsitzenden des Ministerrates zu bilden. Den Bezirksverwaltungsbehörden der Bezirke Cottbus und Dresden bzw. den künftigen Landesregierungen werde empfohlen, Referate bzw. Ämter für Sorbenfragen zu bilden.509 Am 18. Juni übermittelte Bernhard Ziesch auch dem Dresdner Regierungsbevollmächtigten Ballschuh einen Vorschlag der Domowina zur ressortmäßigen Behandlung der Sorbenfrage in der künftigen Landesregierung.510 Die Domowina forderte, spezielle Beamte einzusetzen und Strukturteile zu bilden. Auf Grund der Komplexität des zu verwaltenden Aufgabenbereichs, seiner internationalen Verknüpfung mit Minderheitenfragen und der territorialen Ausdehnung auf zwei Bundesländer sei die Einsetzung eines eigenständigen Ministerialbeamten in der Staatskanzlei zwingend notwendig. Der hohe Beamte – nach Möglichkeit im Range eines Staatssekretärs – müsse dem Ministerpräsidenten direkt verantwortlich sein und einvernehmlich mit der Domowina berufen werden. Außerdem müsse im Ministerium des Innern ein Beamter eingesetzt werden, der alle mit der Sorbenfrage zusammenhängenden innenpolitischen Aspekte bearbeitet und das Regierungspräsidium Dresden (oder Bautzen) in dieser Frage anleitet. Auch in den Ministerien für Bildung, Jugendfragen und Sport sowie für Kultur, Wissenschaft und Forschung müssten gesonderte Referate für Fragen der sorbischen Minderheit eingerichtet werden. Ein zusätzliches Amt für Sorbenfragen sollte die Arbeit der einzelnen Ministerialbereiche bündeln und für die konzeptionelle Arbeit der Regierung gegenüber den Sorben sowie für die Verteilung der Fördermittel sorgen. Die Referate und Ämter 508 RdB Dresden vom 21. 5.1990: Punkt 3. Nationalitätenpolitik (ebd., 148). 509 MRKA: Analyse über die nationale Situation des sorbischen Volkes in der DDR vom 14. 6.1990 (ebd., DC 20, 11621). 510 Bernhard Ziesch an Siegfried Ballschuh vom 18. 6.1990 (Dok. 79). Vgl. Konzeption der Domowina vom 18. 6.1990 zur ministeriellen Struktur der sächsischen Landesregierung. Text in: Kasper, Die Lausitzer Sorben, S. 322.

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sollten verpflichtet sein, ständigen Kontakt mit den entsprechenden Organen des Landes Brandenburg zu halten. Gleichzeitig wandte sich die Domowina an die DDR-Regierung und forderte, eine Vertretung sorbischer Interessen in den Landtagen von Brandenburg und Sachsen zu garantieren. Dieses weitreichende, föderalen Prinzipien widersprechende, Ansinnen wurde freilich von der Regierung mit der Begründung zurückgewiesen, dass es einer verfassungsrechtlichen Regelung in den Länderverfassungen vorgreifen würde.511 Nachdem die Forderungen auch in der Dresdner Bezirksverwaltungsbehörde keine Beachtung fanden, formulierten die Domowina, die Sorbische Volksversammlung und andere sorbische Verbände am 22. August eine gemeinsame „Mindestforderung“, die darin bestand, einen Beauftragten des Ministerpräsidenten für sorbische Angelegenheiten im Range eines Staatssekretärs zu ernennen.512 Gleichzeitig bemühten sich die sorbischen Interessenvertreter darum, sich in die Diskussion um die Länderverfassungen in Brandenburg und Sachsen einzubringen. Am 22. August einigten sich Domowina, Sorbische Volksversammlung, Cyrill - Methodius - Werk, Sorbische Evangelisch - lutherische Superintendentur, Sorbische Linke und Sorbischer Künstlerverband auf eine gemeinsame Stellungnahme zum Gohrischer Entwurf einer sächsischen Landesverfassung und unterbreiteten weitgehende, oft die reale Situation verkennende Änderungsvorschläge. So wurde eine Unterscheidung zwischen der deutschen Staatsangehörigkeit und der Volkszugehörigkeit angeregt. Angeregt wurde auch, das Recht auf Achtung nationalkultureller Besonderheiten festzuschreiben und die Bemühungen um deren Bewahrung, Pflege und Entwicklung zu gewährleisten. Gefordert wurde auch der Schutz des bikulturellen Charakters des sorbischen Siedlungsgebietes, eine durch Quoten vorgegebene parlamentarische Mindestvertretung in den zweisprachigen Gebieten und eine Gebietsautonomie. Während eine Diskussion über die Forderungen nach Rechten in der Landesverfassung Ende August noch ausstand, blieb die Verankerung ihrer Minderheitenrechte im Einigungsvertrag weit hinter den sorbischen Erwartungen zurück. Hier hieß es lediglich, dass das Bekenntnis zum sorbischen Volkstum und zur sorbischen Kultur frei sei, die Bewahrung und Fortentwicklung der sorbischen Kultur und der sorbischen Traditionen gewährleistet würden und Angehörige des sorbischen Volkes und ihre Organisationen die Freiheit zur Pflege und zur Bewahrung der sorbischen Sprache im öffentlichen Leben hätten.513 Die Autonomierechte der Sorben wurden „von den westdeutschen Unterhändlern zu einem Protokollzusatz auf das Niveau der Volkstumspflege herabgedrückt“.514

511 Ministerrat der DDR: Gesetz über die Wahlen zu den Landtagen in der DDR (Länderwahlgesetz – LWG) vom 22. 6.1990 (BArch B, DC 20, 11622). 512 Stellungnahme von Bernhard Ziesch zur ministeriellen Struktur der Landesregierung, o. D. (HAIT, KA, 66). 513 Einigungsvertrag vom 31. 8.1990. Text in: Texte zur Deutschlandpolitik III/ 8b. 514 Von Beyme, Das politische System, S. 352. Vgl. Martin, Die Lausitzer Sorben, S. 60–64.

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Am 1. September unterbreitete die Domowina Änderungsvorschläge zum Gohrischer Entwurf,515 die später teilweise Berücksichtigung fanden. So hieß es in Artikel 6 der überarbeiteten Fassung des Gohrischer Entwurfs vom Oktober 1990, das Land achte die Interessen nationaler und ethnischer Minderheiten, die in Sachsen lebten. Es gewährleiste und schütze ihr Recht auf Bewahrung ihrer nationalen Identität sowie auf Pflege ihrer Sprache, Religion, Kultur und Tradition. Die in Sachsen lebende sorbische Volksgruppe sei „Teil des Landesvolks“.516 Nicht nur in Sachsen zeigte das beharrliche Drängen der Sorbenvertreter einige Erfolge, wenngleich wesentliche Wünsche unerfüllt blieben. Mitte September stellte das DDR-Ministerium für Kultur dem Land Sachsen in Bautzen ein Gebäude zur Nutzung für eine Landesbehörde „Angelegenheiten der Sorben“ zur Verfügung.517 Am 24. September unterzeichnete der Cottbusser Regierungsbeauftragte, Karl-Heinz Kretzschmer, eine Verfügung über die Gewährleistung der nationalen Interessen der Sorben. Es wurde festgelegt, dass bis zu neuen gesetzlichen Regelungen durch das Land Brandenburg das „Gesetz zur Wahrung der Rechte der sorbischen Bevölkerung“ des Sächsischen Landtages vom 23. März 1948518 und die „Erste Verordnung betreffend Förderung der sorbischen Volksgruppe“ der Brandenburgischen Landesregierung vom 12. September 1950519 bei zeitgemäßer Interpretation ihre Gültigkeit behielten.520 Dabei wurde davon ausgegangen, dass diese Gesetze während der DDR-Zeit ununterbrochen Gültigkeit besaßen.521 Nach Neubildung der Länder Brandenburg und Sachsen forderten die Sorben, in beiden Ländern als Ganzes gefördert und behandelt zu werden. Da deren Finanzen bescheiden waren, ersuchte man den Bund um Hilfe, die bei einem Besuch führender Vertreter der Sorben am 7. November im Ministerium für Innerdeutsche Beziehungen vorbehaltlich der Zustimmung beider Länder auch zugebilligt wurde. Die Bildung einer „Stiftung für das sorbische Volk“ wurde begrüßt. Maßstab sollte aus sorbischer Sicht die Behandlung der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein sein.522 Bei einer Sitzung der Domowina am 17. Dezember stimmten alle Teilnehmer den Mittelanforderungen an die Län515 Änderungsvorschläge der Domowina zum Gohrischer Entwurf der sächsischen Landesverfassung vom 1. 9.1990 (Dok. 128). 516 Überarbeitete Fassung des Gohrischer Entwurfs der sächsischen Verfassung (Oktober 1990). Auszug in: Kasper, Die Lausitzer Sorben, S. 341. 517 BVB Dresden, Ressort Kultur: Kulturelle Angelegenheiten der Sorben. Protokoll einer Beratung am 12. 9.1990 in Bautzen (HAIT, KA, 52). 518 GVBL Land Sachsen, Jg. 4, Nr. 9 vom 9. 4.1948, S. 191. Vgl. Erste Durchführungsverordnung zum Gesetz zur Wahrung der Rechte der sorbischen Bevölkerung vom 23. 3.1948 vom 11.1.1951. In: GVBL Land Sachsen, Jg. 7 Nr. 3 1951, S. 47. 519 GVBL Land Brandenburg, Jg. 6, H. 20 vom 22. 9.1950, S. 417 f. 520 Verfügung 16/90 des Regierungsbevollmächtigten der BVB Cottbus vom 24. 9.1990: Gewährleistung der nationalen Interessen des sorbischen Volkes im jetzigen Territorium der BVB Cottbus (Brandenburg. LHA, Rep. 801, 26402). 521 Beauftragter für sorbische Angelegenheiten (BVB Cottbus) an Karl-Heinz Kretschmer vom 25. 9.1990 (Brandenburg. LHA, Rep. 801, 26403). 522 Stellungnahme der Domowina – 30.1.1990 Staatskanzlei Dresden (ebd., 24357/1).

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der Sachsen und Brandenburg sowie an den Bund zu.523 In Schreiben an Biedenkopf, Stolpe, Schäuble und Wilms formulierte der Bundesvorstand noch am selben Tag seine finanziellen Forderungen an die beiden Länder und den Bund,524 der stellvertretende Domowina-Vorsitzende, Harald Konzack, trug die Forderungen am Nachmittag in der Sächsischen Staatskanzlei vor. Hier betonte der gerade ernannte Staatssekretär für Bundes- und Europaangelegenheiten, Günter Ermisch, auch für Sorben gelte die Notwendigkeit eines sparsamen Mitteleinsatzes und erläuterte seine von den Sorben begrüßten Überlegungen zur Bildung einer Stiftung von Bund und Ländern.525 Dass die Staatsregierung bereit war, sich den Forderungen der Sorben zu stellen, zeigte auch die Einrichtung eines Referates für Angelegenheiten der Sorben unter Leitung von Simon Brežan in der Sächsischen Staatskanzlei Anfang 1991.526 Bei einer Besprechung am 30. Januar 1991 zwischen Vertretern der Landesregierungen von Sachsen und Brandenburg, der Bundesregierung sowie der Sorben in Dresden ging es um die Finanzierung der Domowina und des kulturellen Lebens der Sorben.527 Es wurde vereinbart, dass die staatlichen Zuschüsse von einer Stiftung verwaltet werden und sich Stolpe und Biedenkopf an den Bundeskanzler wenden sollten.528 Das Bundesministerium des Innern hatte bereits am 13. Januar erklärt, eine Bundesförderung müsse sich an der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern orientieren. Daher komme nur eine kulturelle Förderung in Frage, die Unterstützung der Schulen falle in die Kompetenz der Länder.529 Am 11. Februar setzten sich Biedenkopf und Stolpe daraufhin in einem Schreiben an Bundeskanzler Kohl für die Bildung einer Stiftung für das sorbische Volk ein. Es gelte, schnell und unbürokratisch zu helfen. Kohl wurde gebeten, noch für das laufende Haushaltsjahr sowie für die kommenden Jahre Mittel bereitzustellen.530 Am 28. Februar informierte das Bundeskanzleramt beide Ministerpräsidenten, dass 17,7 Millionen DM für die Sorben zur Verfügung gestellt würden.531 Die Förderung der sorbischen Kultur wurde in den Bundeshaushaltsplan aufgenommen. Weitere Bundesmittel standen bereit, wenn die Länder Sachsen und Brandenburg komplementäre Mittel bereitstellten. Für den 16. April wurde eine Finanzrunde in Potsdam ge523 Stellv. Vorsitzender des Domowina-Bundesvorstandes: Ergebnisvermerk über die Besprechung im Sitzungssaal der Domowina am 17.12.1990 (ebd., 24343). 524 Harald Konzack vom 17.12.1990 (ebd., 24357). 525 Stellv. Vorsitzender des Domowina-Bundesvorstandes: Ergebnisvermerk über die Besprechung im Sitzungssaal der Domowina am 17.12.1990 (ebd., 24343). 526 Organisationsplan der Sächsischen Staatskanzlei vom 7.11.1990 (HAIT, KA, 66). 527 Nowy casnik vom 9. 2.1991. 528 SStK, Büro des Bevollmächtigten für Bundes- und Europaangelegenheiten des Freistaates Sachsen, Günter Ermisch: Protokoll der Beratung zu Angelegenheiten des sorbischen Volkes am 30.1.1991(Brandenburg. LHA, Rep. 801, 24357/1). 529 BMI: Betr. Förderung der sorbischen Kultur durch das BMI o. D. (ebd.). 530 Kurt Biedenkopf und Manfred Stolpe an Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble vom 11. 2.1991 (ebd., 24350) (BArch, B 106, 301082, 110713–SN/O). 531 Rudolf Seiters an Kurt Biedenkopf vom 28. 2.1991 (Brandenburg. LHA, Rep. 801, 24357/1).

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plant und für den 16. Mai in Bonn eine Runde über die Bildung der „Stiftung für das sorbische Volk“. Ermisch nannte die angestrebte Stiftung die geeignete Form der förderlichen Begleitung der Sorben durch den Staat.532 Auch die Domowina begrüßte die Stiftung, forderte aber eine Erhöhung des Anteils der Sorben in dem Gremium und damit mehr Mitsprache bei der Mittelvergabe.533 Die Auseinandersetzungen um den Platz der Sorben im Freistaat Sachsen gingen auch nach dem hier behandelten Zeitraum weiter. Ohne darauf genauer eingehen zu können, sei noch darauf verwiesen, dass am 31. März 1999 das „Gesetz über die Rechte der Sorben im Freistaat Sachsen“ mit der Unterzeichnung durch Landtagspräsidenten Iltgen, Ministerpräsident Biedenkopf und Staatsminister Meyer in Kraft trat. Es regelt den Schutz, die Pflege und die Entwicklung der sorbischen Sprache, Kultur und Überlieferung sowie das Recht auf nationale und ethnische Identität. Der zweisprachige Text ging als Rahmengesetz, das die Definition der sorbischen Volkszugehörigkeit und die Bestimmung des sorbischen Siedlungsgebietes konkretisiert, sowohl über die Grundsätze der Sächsischen Verfassung als auch über die bereits getroffenen gesetzlichen Einzelbestimmungen hinaus.534 Zwar hatte sich die sorbische Minderheit frühzeitig von Vorstellungen verabschieden müssen, gemeinsam in einem Land leben zu können, sie konnte aber – auch Dank einer gewissen Konkurrenz zwischen Brandenburg und Sachsen – weitgehende kulturelle Autonomierechte und finanzielle Förderungen durchsetzen. Bis heute bestimmt das sorbische Bemühen um ethnische und kulturelle Identität auch für kommende Generationen die politische Kultur im Freistaat bereichernd mit. Schlesien: Nicht gänzlich vom Bemühen der Sorben um zunächst territoriale sowie später ethnische und kulturelle Autonomie zu trennen, aber doch insofern unabhängig davon, weil im Wesentlichen von Teilen der deutschen Bevölkerung getragen, sind die seit Frühjahr 1990 aufkommenden Bestrebungen nach einem eigenen Land Schlesien oder Niederschlesien zu sehen. Ganze drei Monate nach Aufgabe des Führungsanspruchs der SED in der DDR-Verfassung gründete sich am 1. März in Görlitz eine Initiativgruppe Niederschlesien, die als Ziele einen Landesverband Niederschlesien mit klaren Grenzen zu Sachsen und Brandenburg, den Sitz einer Landesregierung in Görlitz sowie eine Aufarbeitung der Geschichte und die Pflege der Heimatverbundenheit und Tradition Niederschlesiens angab.535 Jahrzehntelang war die Problematik von der SED tabuisiert worden, nun tauchten auch im nach dem Zweiten Weltkrieg bei Deutschland gebliebenen Teil Schlesiens regionale Forderungen auf. In der „Frankfur532 SStK, Staatssekretär und Bevollmächtigter für Bundes- und Europaangelegenheiten des Freistaates Sachsen, Günter Ermisch: Protokoll der 2. Bund-Länder-Konferenz über die Förderung des sorbischen Volkes am 19. 3.1991 (ebd., 24350). 533 Stellungnahme des Bundesvorstandes des Dowomina – Bund Lausitzer Sorben e. V. zum Entwurf des Erlasses über die Einrichtung einer Stiftung für das sorbische Volk, o. D. (ebd.). 534 Vgl. Landtagskurier, Freistaat Sachsen, Heft 2 1999, Bl. 2. 535 Vgl. Die Union, Ausgabe Görlitz, vom 13. 3.1990.

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ter Allgemeinen Zeitung“ konstatierte Ernst-Otto Maetzke, dass man in der Görlitzer Gegend „jetzt nicht zufällig eine bewusster gesprochene schlesische Mundart“ höre. Viele, die ihren Klang noch von den Eltern im Ohr hätten, modulierten ihn sich nun auf ihre Sprache auf, um als Oberlausitzer nicht unauffindbar im großen Sachsen aufzugehen. Es habe sie schon bisher erbittert, als „Ost-Sachsen“ angesprochen zu werden; am ärgerlichsten würden nun die Görlitzer mit ihrem „ausgeprägten Schlesiengefühl“ reagieren.536 Freilich weckte allein das Wort „Schlesien“ im ideologisch nachhaltig indoktrinierten öffentlichen Bewusstsein der DDR und in einer bisherigen Lebenswirklichkeit, in der selbst „Königsberger Klopse“ und „Tilsiter Käse“ aus dem Wortrepertoire gestrichen waren, Assoziationen an Revanchismus, Krieg und Vertreibung. Selbst beim „nationaldemokratischen“ Dresdner Ratsvorsitzenden, Michael Kunze, schrillten erst einmal die Alarmglocken, und auch der Runde Tisch des Bezirkes plante sofort eine Beratung mit dem amtierenden Görlitzer Oberbürgermeister und anderen Vertretern der Stadt und Region Görlitz.537 Freilich ging es nicht nur um historische Reminiszenzen, sondern auch darum, dass ein möglicher schlesischer Separatismus unmittelbaren Einfluss auf die Neubildung Sachsens hatte. Am 8. März befasste sich der Runde Tisch Görlitz mit der Länderbildung.538 Zwei Tage später wandte sich der amtierende Görlitzer Oberbürgermeister, Gerhard Eichberg, in einem Offenen Brief an die Bürger der Städte und Kreise Görlitz, Niesky, Weißwasser, Hoyerswerda zur Problematik der Länder Sachsen oder Niederschlesien und sprach sich klar für eine Zugehörigkeit der Region zu Sachsen aus. Begriffe wie „Ostsachsen“ oder „Oberlausitz“ bedeuteten keine Einvernahme. Das Görlitzer Gebiet sei zu klein für ein eigenes Land Niederschlesien, außerdem stelle sich die Frage nach einer Einbeziehung der Sorben. Eichberg forderte die Bevölkerung auf, sich an Diskussionen zu beteiligen und bot eine Mitarbeit in einer eigens eingerichteten Zeitweiligen Arbeitsgruppe der Stadtverordnetenversammlung an.539 Hatte er geglaubt, das Thema wäre damit vom Tisch, musste er sich in der Folgezeit vom Gegenteil überzeugen lassen. In Abschwächung der Idee eines eigenen Landes forderte der CDU-Fraktionschef der Stadtverordnetenversammlung Görlitz und Volkskammerkandidat, Georg Janovsky, auf einer Wahlveranstaltung am 15. März einen Regierungsbezirk Westschlesien mit Regierungsbezirkshauptstadt Görlitz.540 Die DSU erhielt mit ähnlichen Vorstellungen in Görlitz rund ein Viertel der Stimmen aller 74 000 Wahlberechtigten.541 Im zeitlichen Umfeld der Wahlen, die der Bevölkerung endgültig vor Augen führten, dass es wieder möglich war, unterschiedliche politische Meinungen ungestraft zu artikulieren, bildeten sich mehrere Bürger536 Maetzke, Ernst-Otto, „Die ‚Beute-Sachsen’ wehren sich.“ In: FAZ vom 2. 3.1990. 537 Protokoll der 15. Beratung des RTB Dresden am 29. 3.1990 (Dok. 33). 538 Vgl. Die Union, Ausgabe Görlitz, vom 14. 3.1990. 539 Vgl. ebd. vom 10./11. 3.1990. 540 Vgl. ebd. vom 17./18. 3.1990. 541 Vgl. Sebastian Engelbrecht, „Träume von einem Miniatur-Schlesien.“ In: Sächsische Zeitung vom 18. 4.1990.

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initiativen, die für die Bildung eines Landes Schlesien aus den Kreisen Görlitz, Niesky, Weißwasser und Hoyerswerda eintraten. Am 21. März nahmen rund 150 Personen am ersten Schlesiertreffen in Görlitz teil. Ratsvorsitzender Kunze kabelte verunsichert nach Berlin, dass nach dem gemeinsamen Gesang des Schlesierliedes bekannt gegeben worden sei, man werde 60 000 Aufrufe für einen Volksentscheid über eine Zugehörigkeit zum künftigen Land Sachsen oder die Bildung eines Landes Schlesien verteilen und am Ostermontag eine Demonstration für ein Land Schlesien durchführen. Außerdem, so ein besorgter NDPD-Ratsvorsitzender, sei „nicht auszuschließen“, dass es bereits „interne Verhandlungen zur Vereinigung der Städte Görlitz und Zgorczelec“ gebe. Kommunale Leitungskader schätzten ein, dass die Entwicklung „aus den Händen geglitten“ sei.542 Kunze empfahl dem Runden Tisch des Bezirkes Dresden, sich von den Aktivitäten zur Bildung eines Landes Schlesien zu distanzieren543 und wandte sich am 24. März sogar an DDR-Außenminister Oscar Fischer. Er wies darauf hin, dass die Stadtverordnetenversammlung Görlitz, der Rat der Stadt, der Runde Tisch sowie verschiedene Bürgerinitiativen mehrere Varianten der Länderzugehörigkeit diskutierten. Augenscheinlich sei dabei, dass diese, wenn auch in unterschiedlicher Form, auf das ehemalige Gebiet der preußischen Provinz Schlesien (Stadt und Kreise Görlitz, Niesky, Weißwasser, Hoyerswerda) ausgerichtet seien. Getragen von dem Wunsch der Bürger, die Stadt Görlitz und ihr Umland aus der Randlage herauszubringen, werde über ein eigenständiges Land Schlesien bzw. Niederschlesien mit Görlitz als Hauptstadt bzw. einen Regierungsbezirk Westschlesien oder Niederschlesien bzw. Schlesien im Land Sachsen nachgedacht. Zwar werde dabei offiziell immer betont, dass dies nichts mit Revanchismus zu tun habe und die Staatsgrenzen strikt respektiert würden, demgegenüber stünden jedoch Namen von Organisationen wie der „Schlesisch-Regionalen Freiheitsfront“, die mit Flugblättern und Aushängen an die Öffentlichkeit trete. Der Rat des Bezirkes Dresden sei der Auffassung, dass „jedes Aufwerfen – unabhängig davon, in welcher Form und in welchem Zusammenhang – der ehemaligen Provinz Schlesien, dem europäischen Entspannungsprozess sowie der künftigen Einheit Deutschlands Schaden zufügen“ könne. Ein Land Niederschlesien in den heute diskutierten Grenzen sei außerdem trotz Lastenausgleichs zwischen den Ländern kaum existenzfähig, würden ihm doch gerade einmal 380 000 Bewohner angehören. Deshalb sehe man die „Gefahr, dass daraus recht schnell der Ruf nach Gebietszuwachs erwachsen könnte“. Im Rat habe man nicht die Absicht, einen Regierungsbezirk Westschlesien oder ähnliches im Land Sachsen einzurichten.544 An Modrow berichtete Kunze, die von der Stadt Görlitz ausgehenden Initiativen zur Bildung des Landes Niederschlesien bzw. eines entsprechenden Regierungsbezirkes würden von den anderen ostsächsischen Kreisen Görlitz-Land, Niesky und Zittau sowie von den Cottbuser Nachbarkreisen Hoy542 Michael Kunze an Manfred Preiß vom 23. 3.1990 (BArch B, DC 20, 11960). 543 Protokoll der 14. Beratung des RTB Dresden am 22. 3.1990 (Dok. 28). 544 Michael Kunze an Oscar Fischer vom 24. 3.1990 (BArch B, DO 5, 146).

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erswerda und Weißwasser nicht unterstützt. Neben den Räten dieser Kreise gebe es auch von den Runden Tischen dieser Kreise dafür keine Zustimmung.545 Wie zur Beruhigung teilte auch der Rat des Kreises Görlitz dem Ministerrat mit, die vor allem durch Vertreter der Stadt Görlitz geführte Diskussion zur Bildung des Landes Niederschlesien finde aus wirtschaftlichen und politischen Gründen keine breite Zustimmung.546 Ungeachtet solcher Dementis setzte sich eine „Unabhängige Initiativgruppe Niederschlesien“ am 6. April in einer in Bonn verbreiteten Erklärung für ein Bundesland Schlesien ein und forderte eine Volksbefragung. In einem Offenen Brief an den Bezirkstag übte die Gruppe Kritik an einer befürchteten Vernachlässigung von Görlitz und Umgebung bei der künftigen Länderstruktur. So wurde eine avisierte Verlagerung des Arbeitsamtes von Görlitz nach Bautzen als erstes Anzeichen eines systematischen Abbaus von Verwaltungsstrukturen gedeutet und auch hier eine Volksbefragung zur Eigenständigkeit der Kreise Hoyerswerda, Niesky, Weißwasser und Görlitz gefordert.547 Am 7. April folgte die Bildung eines „Kuratoriums Schlesische Lausitz“, das erklärte, alle Überlegungen zur schlesischen Lausitz bezögen sich nur auf die westlich der Oder-Neiße-Grenze liegenden Gebiete. Ziel sei ein Landschaftsverband oder ein Regierungsbezirk Schlesische Lausitz.548 Am selben Tag meldete sich der Vorsitzende des Kreisverbandes Hoyerswerda der Domowina, Werner Sroka, zu Wort. Aus der „Sächsischen Zeitung“ vom 23. März habe er erfahren, dass am Runden Tisch des Bezirkes Dresden große Bedenken über die Bemühungen in Görlitz, aber auch in den Kreisen Niesky, Hoyerswerda und Weißwasser, für ein Land Schlesien geäußert würden. In der Domowina verurteile man diese Bemühungen, weil sie „von der Weltöffentlichkeit und besonders von unseren polnischen Nachbarn nur als offene Provokation gewertet werden“ könnten, die europäische Nachkriegsordnung in Frage zu stellen. Man verurteile dieses „verantwortungslose Vorgehen“, das auch vom Runden Tisch des Kreises Hoyerswerda mitgetragen werde, und unterstütze den Standpunkt der sorbischen Territorialkommission vom 22. März,549 drei oder vier Länder zu bilden. In diesem Sinne rufe man zu einer breiten Bürgerbewegung für einen Anschluss an das Land Sachsen auf.550 Da die Initiativen die Bildung des Landes Sachsen berührten, führte Kunze am 12. April im Auftrag de Maizières in Görlitz ein Gespräch mit Vertretern des dortigen Runden Tisches und von Bürgerinitiativen für ein Bundesland Schlesien. Der Rat des Bezirkes Dresden war, wie beide deutschen Regierungen, schon deswegen daran interessiert, die schle545 Monatsbericht von Michael Kunze an Hans Modrow vom 30. 3.1990 (SächsHStA, BT/ RdB, 46994, Bl. 7–11). Vgl. Michael Kunze an Manfred Preiß vom 10. 4.1990 (BArch B, DC 20, 11961). 546 RdK Görlitz an den Ministerrat der DDR vom 2. 4.1990 (ebd., DO 5, 146). 547 Vgl. Sächsisches Tageblatt vom 7./8.4.1990; Die Union, Ausgabe Görlitz, vom 10.4.1990. 548 Erklärung des Kuratoriums Schlesische Lausitz vom 7. 4.1990 (BArch B, DO 5, 150). Vgl. Die Union, Ausgabe Görlitz, am 7./8. 4.1990. 549 Vgl. Nowa doba vom 24. 3.1990. 550 Stellungnahme des Kreissekretariats der Domowina Hoyerswerda zur Territorialreform vom 7. 4.1990 (Dok. 42).

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sischen Teile des Bezirkes Dresden in das künftige Land Sachsen einzubinden, um zu verhindern, dass „durch Nationalismus und Volkstümelei die Unantastbarkeit der Oder-Neiße-Grenze angegriffen werden könnte“.551 Seitens der Görlitzer Vertreter wurde Kunze klargemacht, dass „das Aufleben schlesischer Traditionen in die Bildung des Landes Sachsen eingebunden werden“ könnte, wenn es im Gegenzug zur Bildung eines Regierungsbezirkes Niederschlesien käme.552 Diese Auffassung vertrat auch der CDU-Volkskammerabgeordnete und Vorsitzende des Gründungsausschusses eines Landesverbandes Sachsen/Schlesische Lausitz des Bundes der Vertriebenen, Georg Janowsky.553 Dazu wurde die Bildung eines Kuratoriums „Schlesische Lausitz“ als Dachverbandes aller Initiativen zur Bildung eines Regierungsbezirkes „Schlesische Lausitz“ im Land Sachsen bezeichnet. Diese Linie wurde von Kunze unterstützt. Es wurde vereinbart, am 19. April erneut in Görlitz zusammenzukommen und zu beraten, wie die „Irritation auslösenden Begriffe“ „Land Niederschlesien“ oder „Regierungsbezirk Niederschlesien“ durch Bezeichnungen wie „Regierungsbezirk Görlitz“ oder „Freie Stadt Görlitz“ ersetzt werden könnten. Das war aus Kunzes Sicht auch deshalb notwendig, weil ein Land Niederschlesien bei den betroffenen Kreisen Görlitz-Land, Niesky, Weißwasser und Hoyerswerda im Moment auf wenig Verständnis stoße. Die Görlitzer befänden sich damit in einer teilweise isolierten Position. Für ihn ergab sich aus dem Treffen die Schlussfolgerung, das Görlitzer Kuratorium Schlesische Lausitz in den Prozess der Herausbildung des zukünftigen Landes Sachsen einzubeziehen. Zu den Kontakten zwischen den Görlitzer und Zcgorgelecer Stadtverwaltungen merkte Kunze gegenüber Preiß an, nach Aussagen des Oberbürgermeisters von Görlitz seien keine Absprachen zu staatlichen Strukturen zwischen beiden Seiten getroffen worden, es habe aber von polnischer Seite dazu Bestrebungen gegeben.554 Nach dem Treffen wies Kunze den Instrukteur des Rates für Görlitz an, eine Einschätzung über die Aktivitäten zur Bildung eines Landes bzw. eines Regierungsbezirkes Niederschlesien zu erarbeiten.555 Am 17. April beriet der Runde Tisch Görlitz Fragen der Länderbildung.556 Unterdessen plakatierte die „Schlesisch-Regionale Freiheitsfront“ auf dem Görlitzer Obermarkt: „Schlesische Bürger, erwacht endlich aus eurem Schlaf. Über 40 Jahre hat man uns schlesische Minderheit unterdrückt und totgeschwiegen sowie widerrechtlich an Sachsen angegliedert. Die Zeit ist reif für neue Taten.“ Der „Demokratische Schlesierbund“, der sich in den Dörfern Jauernick und Friedersdorf bei Görlitz gegründet hatte, erklärte sich nicht 551 Bericht des RdB Dresden zur 19. Tagung des BT am 26. 4.1990 (SächsHStA, BT/RdB, 47121/1, Bl. 240 f.). 552 Fernschreiben von Michael Kunze an Manfred Preiß vom 12. 4.1990 (BArch B, DC 20, 11961). 553 Vgl. Interview Manfred Preiß. In: Junge Welt vom 26. 7.1990. 554 Fernschreiben von Michael Kunze an Manfred Preiß vom 12. 4.1990 (BArch B, DC 20, 11961). 555 Festlegungsprotokoll der Dienstberatung des RdB Dresden mit den Abteilungsleitern am 12. 4.1990 (SächsHStA, BT/RdB, 46999, Bl. 15 f.). 556 Vgl. Die Union, Ausgabe Görlitz, vom 24. 4.1990.

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damit einverstanden, dass das Gebiet östlich von Oder und Neiße für immer verloren sei.557 Auf einem Flugblatt „Schlesien“ wurden die Grenzen Schlesiens auf dem Gebiet der DDR einschließlich des „Ruhlander Zipfels“,558 das Schlesierlied und ein Abriss der Geschichte Schlesiens abgedruckt. Die Kreise Görlitz, Rothenburg und Hoyerswerda hätten das Recht auf Wahrung ihrer schlesischen Eigenart. „Sie gehören nicht zu Sachsen!“559 Auch bei einer Beratung der zeitweiligen Arbeitsgruppe Schlesien beim Rat der Stadt Görlitz Mitte April sprachen sich die Teilnehmer Mitte April dafür aus, einen Regierungsbezirk „Schlesische Oberlausitz“ innerhalb des Landes Sachsen zu bilden. Görlitz sollte Verwaltungssitz für die Kreise Görlitz- Land, Niesky, Weißwasser und Hoyerswerda sein. 560 Wie hinsichtlich der Pläne zur Bildung eines Landes Lausitz machte de Maizière mit seiner Regierungserklärung vom 19. April und der damit verbundenen Entscheidung zur Bildung von fünf Ländern auch den Initiatoren der Bildung eines schlesischen Zwergstaates endgültig einen Strich durch ihre Rechnung. Die sächsische CDU begrüßte die Entscheidung und empfahl auch für den Raum Görlitz eine Volksbefragung.561 Nun konzentrierten sich die Görlitzer Initiativen parteiübergreifend auf die Schaffung eines eigenen Regierungsbezirkes. Mit einer Unterschriftenaktion warben die Jungen Sozialdemokraten/Regionalverband Niederschlesien Ende April in Görlitz für die Schaffung eines Regierungsbezirkes Niederschlesien im Land Sachsen.562 Eine „Unabhängige Initiativ-Gruppe Niederschlesien in Görlitz“, die sich am 1. Mai konstituierte, rief auf mitzukämpfen, „dass dieses restliche Gebiet Niederschlesien in einer zukünftigen Länderstruktur nicht gänzlich verschwindet“ und völlig von Sachsen, etwa in Form eines Regierungsbezirks Bautzen, vereinnahmt wird. Die Gruppe forderte eine Volksbefragung über Rolle und Stellung des Gebiets in einer künftigen Länderstruktur. Ausdrücklich wurde erklärt, dass sich alle Überlegungen nur auf die Gebiete diesseits von Oder und Neiße bezögen. Angestrebt wurde ein eigener Regierungsbezirk mit Sitz in Görlitz.563 Die Diskussion um ein Land oder einen Regierungsbezirk Niederschlesien schlug im Sommer 1990 auch keinen Bogen um die „Evangelische Kirche des Görlitzer Kirchengebietes“.564 1951 war der Westteil der Kirchenprovinz Schlesien der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union auf der ersten Provin557 Sebastian Engelbrecht, „Träume von einem Miniatur-Schlesien.“ In: Sächsische Zeitung vom 18. 4.1990. 558 Vgl. Richter, Entscheidung für Sachsen, S. 101. 559 Schlesien [Flugblatt], o. D. (UB. Grohedo, 4.1.1.4.4). 560 Vgl. Protokoll der 17. Tagung des RTB Dresden am 19. 4.1990 (Dok. 54); Sächsisches Tageblatt vom 19. 4.1990 561 ADN-Pressemitteilung des CDU-LV Sachsen vom 23. 4.1990. (ACDP, III-053, unsign.). 562 Vgl. Sächsisches Tageblatt vom 26. 4.1990. 563 Unabhängige Initiativ-Gruppe Niederschlesien in Görlitz: Derzeitiger Arbeitsvorstand, o. D. (UB. Grohedo, 4.1.8.1); Unabhängige Initiativ-Gruppe Niederschlesien, Görlitz, den 3. 5.1990 (HAIT, KA, 2). 564 Vgl. Karte 3: Grenzen des Bistums Dresden-Meißen und der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsen in der DDR, S. 59.

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zialsynode zunächst in „Evangelische Kirche von Schlesien“ und 1968 im Zusammenhang mit der Bildung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR in „Evangelische Kirche des Görlitzer Kirchengebietes“ umbenannt worden. Bischof Joachim Rogge erklärte nun, die Kirche könne und müsse ihren Namen wieder diskutieren. Dabei dürfe die Bildung des Landes Sachsen keine Konsequenzen für Bestand und Ausdehnung des Kirchengebietes haben. Vorschläge zur Namensänderung seien bereits gemacht worden, so vor allem „Evangelische Kirche von Schlesien westlich der Neiße“ und „Evangelische Kirche der Schlesischen Oberlausitz“. Das Gespräch darüber werde fortgesetzt. Auf keinen Fall dürfe man zu Kirchenbezeichnungen kommen, die „politisch neue Verletzungen und Kümmernisse“ auslösten: „Wenn wir Dinge für uns regeln, müssen unsere Nachbarn mit gehört werden.“ Auch eine Auflösung der Landeskirche zugunsten der beiden großen Nachbarkirchen sei „nicht angezeigt“. In der Debatte überwog neben engagierten Voten für „Schlesien“ und „schlesisch“ in der Kirchenbezeichnung die Tendenz, das Problem in Ruhe anzugehen. Eine Entscheidung wurde nicht getroffen. Es deutete sich aber eine Favorisierung des Namens „Evangelische Kirche der Schlesischen Oberlausitz“ an.565 Allerdings brachte auch die folgende Synode im April 1991 hinsichtlich des Namens der Kirche noch keine Lösung.566 Am 15. Juni machte auch das Kuratorium „Schlesische Lausitz“ öffentlich auf das Problem des westlich der Neiße gelegenen Teils Schlesiens aufmerksam und forderte, Schlesien müsse „in Deutschland wieder den Stellenwert erhalten, der ihm durch die stalinistische Deutschlandpolitik genommen worden“ sei. Gefordert wurde die Bildung eines Regierungsbezirkes im Land Sachsen und die Verlegung von Landesbehörden bzw. -dienststellen nach Görlitz. Die Oder-Neiße-Grenze wurde nicht in Frage gestellt.567 Am 9. Juli starteten die Landräte der Kreise Zittau, Heinz Eggert, Löbau, Volker Stange, Bautzen, Volker Ebermann, Hoyerswerda, Wolfgang Schmitz, Weißwasser, Erich Schulze, Niesky, Hartmut Biele, Görlitz-Land, Dieter Liebig, und der Oberbürgermeister von Görlitz, Matthias Lechner, eine Aktion mit dem Ziel, sich innerhalb des künftigen sächsischen Landkreistages als eigenständiger Oberlausitzer-Niederschlesischer Landkreistag und Landratskonvent zusammenzuschließen. Gefordert wurde auch hier autonome Staatlichkeit in Form eines Regierungsbezirkes und der besondere Schutz der Sorben, Schlesier und Sachsen in dieser Region. Görlitz sollte als „größte schlesische Stadt in Deutschland“ Sitz des Regierungsbezirks wer565 Evangelisches Konsistorium Görlitz: Synodeinformationen 8 vom 9.6., 15 vom 10.6., und 17 vom 12. 6.1990. 1. Tagung der 11. Provinzialsynode der Evangelischen Kirche des Görlitzer Kirchengebietes vom 8.–16. 6.1990 in Görlitz (LKA Dresden, 1041–1, Band 5/6). 566 Synodeinformation 3 vom 12. 4.1991 und 13 vom 15. 4.1991. 2. Tagung der 11. Provinzialsynode der Evangelischen Kirche des Görlitzer Kirchengebietes vom 12.–15. 4.1991 (LKA Dresden, 1041–1, Band 5/6). 567 Kuratorium „Schlesische Lausitz“ Görlitz: Positionspapier des Kuratoriums zur Entwicklung der Region Schlesische Lausitz vom 15. 6.1990 (HAIT, KA, 2) (BArch B, DO 5, 150).

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den.568 Da in Görlitz Gerüchte kursierten, wonach ein Regierungsbezirk Lausitz mit Präsidiumssitz in Bautzen in Vorbereitung sei, protestierte die Initiativgruppe Niederschlesien gegen eine solche Lösung und sprach sich ebenfalls für Görlitz aus.569 Freilich blieb es nicht bei verbalen Attacken gegen Bautzen, vielmehr gab es Verhandlungen zur Schaffung eines Regierungsbezirkes Schlesische Lausitz mit Sitz in Görlitz zwischen den Landräten der angrenzenden und betroffenen Kreise. Die Görlitzer Stadtverordnetenversammlung wandte sich in einem offenen Brief an den Volkskammerausschuss für Länderbildung und protestierte über eine vermeintliche Bevorzugung Bautzens als Zentrum der künftigen Verwaltung. Görlitz sei die fünftgrößte Stadt in Sachsen, habe wichtige territoriale Bedeutung als Brücke zum östlichen Nachbarn, eine einzigartige historische Baustruktur und es gebe hier eine starke Bürgerbewegung für einen Regierungsbezirk.570 Für einen Eklat in der Volkskammer sorgten am 22. Juli die CDU-Abgeordneten Georg Janovsky, Hartmut Ulbricht, Kay Reimann, Reinhard Anders und Dörte Martini zum Berge, als sie unter lautstarkem Protest der PDS forderten, angesichts der Länderbildung auf die Existenz der schlesischen Lausitz aufmerksam zu machen. Auf 2 099 Quadratkilometern erstrecke sich in den heutigen deutschen Grenzen ein Teil Schlesiens mit rund 310 000 Einwohnern. Es seien Strukturen notwendig, die auch den Schlesiern Identität geben könnten. Dies sei durch Schaffung eines Regierungsbezirkes für die schlesische Lausitz mit Görlitz als Sitz des Regierungspräsidiums im Land Sachsen möglich. Görlitz könne so „das Strasbourg des Ostens werden“. Die Schlesier wollten mehrheitlich in Sachsen leben, würden sich aber nicht zu Sachsen machen lassen. Der liberale Abgeordnete Johannes Kney aus Cottbus distanzierte sich ausdrücklich von der Erklärung und äußerte, dass er sich dafür schäme. Mehrere Abgeordnete, vor allem der PDS, verließen den Saal.571 Am 24. Juli veröffentlichte die Görlitzer Ausgabe der „Sächsischen Zeitung“ einen offenen Brief des Kreisgerichts des Stadt- und Landkreises Görlitz und der Staatsanwaltschaft der Stadt und des Kreises, in der diese forderten, in Görlitz sowohl ein Landgericht als auch ein Arbeitsgericht, ein Sozialgericht und ein Verwaltungsgericht zu schaffen.572 Vor dem Sächsischen Forum erklärte Heitmann zwei Tage später, man könne einige der obersten Landesbehörden, etwa den Landesrechnungshof oder das Landesverfassungsgericht, in Görlitz ansiedeln. Da Görlitz eine geteilte Stadt sei, so Vaatz, sollte man daran denken, europäische Institutionen für diesen Standort zu interessieren. Das sei jedoch nur denkbar, wenn sich Bewoh568 Vgl. Erklärung der Stadtverordnetenversammlung Görlitz zur Länderbildung vom 1. 8. 1990 (ebd., 151); Sächsische Zeitung, Ausgabe Görlitz-Stadt, vom 17. 7.1990; Die Union, Ausgabe Görlitz, vom 19. 7.1990. 569 Vgl. ebd. vom 10. 7.1990. 570 Vgl. ebd. vom 14./15. 7.1990. 571 Volkskammer der DDR, 10. WP, 27. Tagung am 22. 7.1990, S. 1236. 572 Offener Brief des Kreisgerichtes des Stadt- und Landkreises Görlitz, der Staatsanwaltschaft der Stadt und des Kreises Görlitz an Siegfried Ballschuh vom 17. 7.1990 (HAIT, KA, 24.1, 1).

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ner der Stadt und des Umlandes „nicht in eine schlesische Provinzialität einigelten“.573 Am 1. August begrüßte die Stadtverordnetenversammlung Görlitz die Initiative der Landräte der Region und des Oberbürgermeisters der kreisfreien Stadt Görlitz vom 9. Juli, sich innerhalb des künftigen sächsischen Landkreistages als eigenständiger Oberlausitzer-Niederschlesischer Landkreistag und Landratskonvent zusammenzuschließen.574 Der in dieser Sache angefragte Minister Preiß erklärte dazu, dass die Verwaltungsstrukturen und -behörden in Kompetenz der zu bildenden Länder erst nach dem 14. Oktober geschaffen würden. Er empfahl, sich an den Koordinierungsausschuss zur Bildung des Landes Sachsen zu wenden.575 Am 4. August kam es daraufhin zwischen Stadtverordneten und dem Oberbürgermeister von Görlitz sowie Vaatz als dem Leiter des Koordinierungsausschusses zu einem Meinungsaustausch über die Länderbildung und die Bildung eines Regierungsbezirkes in Görlitz. Dabei erklärte Vaatz, in Sachsen seien drei Regierungsbezirke mit stabilen Mittelbehörden geplant. Chemnitz und Leipzig stünden bereits fest, eine dritte Behörde würde entweder in Dresden oder Bautzen installiert werden. Görlitz, so Vaatz unmissverständlich, sei nicht vorgesehen. Bei den Politikern aus Görlitz und der Region sowie den Vertretern von Initiativgruppen stieß dies freilich auf Kritik, befürchteten sie doch künftig einen weiteren Rückgang von Institutionen in einer ohnehin lagebedingt strukturschwachen Region. Die Görlitzer würden schon jetzt kaum in den Landesbildungsprozess einbezogen werden und erhielten nicht einmal Einladungen zu Beratungen über die Landesbildung. In Dresden müsse man die schlesische Identität stärker beachten. Aus Görlitzer Sicht sei ein Erhalt der DDR-Strukturen in Form dreier Regierungsbezirke in den bisherigen Bezirksgrenzen nicht akzeptabel. Die Forderung war klar, Görlitz müsse entweder einen der drei Regierungspräsidien oder ein viertes erhalten, um endlich aus seinem jahrzehntelangen Randlagendasein befreit zu werden.576 Zwar konnten sich die Görlitzer damit nicht durchsetzen, sie erreichten aber immerhin, dass der Koordinierungsausschuss vier Tage später beschloss, ihre Stadt nebst Bautzen, Plauen und Zwickau „bzgl. Positionierung der Behörden stärker zu berücksichtigen“.577 Indessen ging der Kampf um den Sitz eines Regierungsbezirkes zwischen Bautzen und Görlitz weiter. Bautzens Bürgermeister Christian Schramm erklärte am 9. August, Bautzen sei sehr daran interessiert, Sitz eines Regierungsbezirks zu werden.578 Der Präsident des Kuratoriums Schlesische Lausitz und Vorsteher der Stadtverordnetenversammlung Görlitz, Franz Erward, erklärte, die Regierungsbezirke in Dresden, Chemnitz und Leipzig anzusiedeln, wäre genau die alte stalinistische Struktur. Auch Bautzen sei nicht zu akzeptie573 Vgl. Die Union vom 30. 7.1990. 574 Erklärung der Stadtverordnetenversammlung Görlitz zur Länderbildung vom 1. 8.1990 (BArch B, DO 5, 151). 575 Manfred Preiß an Matthias Lechner vom 14. 8.1990 (ebd.). 576 Vgl. Die Union, Ausgabe Görlitz, vom 4./5. 8.1990. 577 Protokoll der Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses am 8. 8.1990 (Dok. 116). 578 Vgl. Sächsische Neueste Nachrichten vom 11. 8.1990.

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ren. Vier Regierungsbezirke einschließlich Görlitz seien die beste Lösung.579 Auch die CDU-Stadtratsfraktion Görlitz und der CDU-Kreisvorstand forderten weiterhin einen eigenen Regierungsbezirk, dazu die Rückführung jüngst ausgelagerter Ämter wie Arbeitsamt, Justiz, Polizei, Zoll und Forst sowie eine Neuansiedlung europäischer Dienststellen.580 Nicht ganz auf der Höhe der Zeit waren indessen Anhänger der von Funktionären aus West-Berlin und Frankfurt a. M. angeführten Mitteldeutschen Nationaldemokraten und Jungen Nationaldemokraten, die am 18. August auf dem Görlitzer Marktplatz ein Bundesland Schlesien bei Revision der Oder-Neiße-Grenze forderten.581 Auf ihrem ersten „sächsisch-schlesischen Landesparteitag“ in Pergau bei Leipzig verlangten auch die „Republikaner“ Ende September eine Grenzrevision. Der hessische Landesvorsitzende, Erich Fuchs, erklärte, er gehe davon aus, dass es nach dem „Zusammenbruch der Sowjetunion zu einer Neuformierung aller osteuropäischen Grenzen“ kommen werde.582 Während vor allem in Görlitz die Wellen noch hoch schlugen, fiel Ende August intern bereits die Entscheidung für Dresden als dritten Sitz eines Regierungsbezirkes. Damit reagierte der Regierungsbevollmächtigte auch auf die Auseinandersetzungen zwischen Bautzen und Görlitz.583 Deren Streit hatte dazu beigetragen, Bautzen nicht näher in Betracht zu ziehen, hätte eine Entscheidung für Bautzen doch in Görlitz mehr Proteste hervorgerufen als dies bei der Favorisierung von Dresden der Fall war. Heidrun Lotze fiel die Aufgabe zu, den Görlitzern die Dresdner Entscheidung zu vermitteln. Bei einer Besprechung am 29. August in Görlitz mit Oberbürgermeister Lechner und den Fraktionssprechern der Parteien der Stadtverordnetenversammlung – mit Ausnahme der SPD – erläuterte sie die Unterschiede zwischen einem Regierungspräsidium und einem höheren Kommunalverband. Sie legte dar, dass etwa neunzig Prozent der von den Görlitzern genannten Forderungen Bestandteile einer kommunalen Selbstverwaltung im Rahmen überörtlicher Kommunalverbände seien. Diese seien „wesentlich besser geeignet, den Zielen und Wünschen aller Bürger der Region Rechung zu tragen“ als ein Regierungsbezirk. Es wurde vereinbart, dass die Sprecher ihren Fraktionen übermitteln, dass an einem Verzicht auf die Forderung eines vierten Regierungsbezirkes schon wegen der Haushaltslage des künftigen Landes Sachsen kein Weg vorbeiführe. Im Übrigen hätte die Ansiedlung des Regierungspräsidiums in Görlitz keine direkte Wirkung. Eine Görlitzer Initiative zur Bildung eines überregionalen / überörtlichen Kommunalverbandes sei sinnvoller.584 Die neue Orientierung führte innerhalb der Initiativgruppen 579 Vgl. Sächsische Zeitung vom 9. 8.1990. 580 Vgl. Die Union, Ausgabe Görlitz, vom 10. 8.1990. 581 Sächsische Zeitung vom 21. 8.1990. 582 Zit. in Süddeutsche Zeitung vom 1.10.1990. 583 Vorlage für den Regierungsbevollmächtigten für eine Beratung mit den Abgeordneten der Volkskammer des Bezirkes Leipzig zur Länderbildung am 27. 8.1990 (RPL 0141.0) (Dok. 126). 584 Niederschrift von Heidrun Lotze zur Beratung in Görlitz am 29. 8.1990 (HAIT, KA, 10.1).

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von CDU und DSU zu Auseinandersetzungen; im Fall der DSU mit dem Ergebnis, dass sich der Kreisverband Görlitz unter seinem Vorsitzenden Joachim Richter von Erklärungen aus den eigenen Reihen distanzierte, die Herstellung eines Landes oder eines Regierungsbezirkes, bestehend aus fünf Landkreisen und einem Stadtkreis, sei doch machbar. Die DSU erklärte, sie habe keine partikularistischen Interessen und befürworte nun einen Landschaftsverband zur Zusammenführung der sächsischen und schlesischen Lausitz.585 In der Presse meldete sich Anfang September ein Mitglied im Kuratorium „Schlesische Lausitz“ zu Wort und wies auf die Bedeutung der Stadt als ehemals schlesisches Kulturzentrum hin. Das Kuratorium, so hieß es, halte ein Land Schlesien nicht für tragfähig, wohl aber nach wie vor einen eigenen Regierungsbezirk, und werde dabei von den Kirchen der Region unterstützt.586 Dies führte prompt zu einem Dementi des Oberkonsistorialrates der Evangelischen Kirche, Kühne, der erklärte, es gäbe keine offizielle Unterstützung der Idee eines Regierungsbezirkes durch die Evangelische Kirche. Die Verwaltungsstruktur sollte ausschließlich nach modernen, sachbezogenen Kriterien aufgebaut werden.587 Am 11. September befasste sich der Görlitzer Kreistag erneut mit der Problematik und nahm Anträge der CDU auf Bildung eines Regierungsbezirkes Oberlausitz-Niederschlesien sowie der DSU auf Schaffung eines Kommunalverbandes „Schlesische Lausitz“ an.588 Da die zukünftige Situation nach wie vor ungeklärt schien, beantragte zwei Tage später der Vorsitzende der Unabhängigen Initiativ-Gruppe Niederschlesien, Detlef Rauh, bei der 4. Tagung des Sächsischen Forums eine Stellungnahme zum Thema „Rolle und Stellung der schlesischen Region im zukünftigen Land Sachsen“.589 Hier nahm auch Heidrun Lotze erneut zur Problematik Stellung.590 Die Bestrebungen zur Wahrung oder Wiederbelebung schlesischer, sorbischer, vogtländischer oder anderer regionaler Traditionen und Identitäten, die mit dem Ruf nach eigenständigen Regierungsbezirken einhergingen, verbunden mit dem Wunsch nach einer gewählten Körperschaft für diese Regionen, die die eigenständige Wahrnehmung der Aufgaben wie Heimatund Traditionspflege, Bildung von Landsmannschaften, eigener Regionalplanung, Sozialpflege und ähnliches sichern sollten, entsprächen nicht den Aufgaben eines Regierungspräsidiums als Verwaltungsbehörde. Diese Aufgaben seien vielmehr Bestandteil kommunaler Selbstverwaltung und könnten für die Regionen durch überörtliche Kommunalverbände, die als öffentlich-rechtliche Verbände auch im zukünftigen Kommunalverfassungsrecht verankert würden, wahrgenommen werden. Die genannten Ziele seien fast deckungsgleich mit den Aufgabenstellungen bereits in den alten Bundesländern bestehender überörtli585 Vgl. Die Union, Ausgabe Görlitz, vom 30. 8.1990. 586 Vgl. ebd. vom 6. 9.1990. 587 Vgl. ebd. vom 20. 9.1990. 588 Vgl. ebd. vom 11. 9.1990. 589 Antrag der Unabhängigen Initiativ-Gruppe Niederschlesien vom 13. 9.1990 auf Ergänzung zur Tagesordnung der 4. Tagung des Sächsischen Forums (HAIT, Iltgen, 3). 590 Vortrag von Heidrun Lotze vor dem Sächsischen Forum am 13. 9.1990 (Dok. 135).

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cher Kommunalverbände. Da sich aber in Bautzen auch weiterhin Widerstand gegen die Entscheidung regte, Dresden zum Sitz des Regierungspräsidiums zu machen, empfahl Landessprecher Krause bei einer Beratung mit den Spitzenkandidaten der Parteien für die bevorstehende Landtagswahl, darüber nachzudenken, ob ein Verwaltungsbereich Bautzen überhaupt den berechtigten Interessen der Sorben/Oberlausitz Rechnung trage.591 In Görlitz sorgte unterdessen ein Diskussionspapier zur Bildung eines höheren Kommunalverbandes „Oberlausitzer Landschaft“ von Stefan Waldau (Neues Forum), das unter Absprache mit Oberbürgermeister Lechner und Heidrun Lotze erarbeitet worden war und in dem das Wort „Schlesien“ nicht vorkam, zu Auseinandersetzungen im Umfeld der Stadtverordnetenversammlung.592 Die Diskussionen rissen auch im Oktober nicht ab. So sah sich Waldau auf einer öffentlichen Versammlung der Unabhängigen Initiativgruppe Niederschlesien Angriffen ausgesetzt.593 Alle Diskussionen wurde freilich mit der Entscheidung des sächsischen Kabinetts vom 27. November 1990 hinfällig, zu Beginn des Jahres 1991 Mittelbehörden in Chemnitz, Dresden und Leipzig einzurichten.594 Wie das Streben der Sorben um ethnische und kulturelle Identität bestimmt seitdem auch das der Niederschlesier das keinesfalls allein von Sachsen geprägte Profil des Freistaates mit. In der Görlitzer Region ist bis heute die große schlesische Tradition Deutschlands lebendig.

5.3

Sächsische Landesbildung im Sommer 1990

5.3.1 Berufung der Landesstrukturbeauftragten des Koordinierungsausschusses Nach der Etablierung des Koordinierungsausschusses595 begann Vaatz im Juli mit der personellen Besetzung der Stellen der Landesstrukturbeauftragten.596 Wie in Chemnitz und Leipzig konnte er im Bedarfsfall auf Personalstellen der Bezirksverwaltungsbehörde zurückgreifen, einige Strukturbeauftragte nahmen aber auch Urlaub oder wurden von ihren Arbeitgebern für die zeitlich begrenzte Aufgabe freigestellt. Dennoch wurden im Laufe der Zeit und meist nachträglich auch Arbeitsverträge abgeschlossen.597 Den Dresdner Landesstrukturbeauftragten kam wegen der Sonderrolle des Stellvertreterbereichs der Dresdner Regierungsbevollmächtigten als Koordinierungsausschuss aller drei Bezirke eine besondere Bedeutung zu. Vaatz nutzte die sich bietende Chance und besetzte 591 Protokoll der Beratung des sächsischen Landessprechers, Rudolf Krause, mit den Spitzenkandidaten für die Wahl zum Landtag am 17. 9.1990 (SächsHStA, 47558). 592 Vgl. Die Union, Ausgabe Görlitz, vom 21. 9.1990. 593 Vgl. ebd. vom 9.10.1990. 594 Sitzung des Ministerrates am 27.11.1990 (HAIT, Bildung des Freistaates Sachsen). 595 Siehe Kap. 5.1.5. 596 Siehe Tabelle 8 im Anhang. 597 Interview Matthias Reichenbach am 15. 7. 2003.

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die Stellen mit Vertretern der neuen Kräfte, die damit ihren Anspruch auf Dominanz bei der Landesbildung untermauerten. Ihre Auswahl erfolgte eher zufällig und richtete sich vor allem danach, wen Vaatz oder andere Mitglieder der Kerntruppe persönlich kannten und für geeignet hielten.598 Die Auswahl konzentrierte sich auf Dresden, weil es hier „relativ leistungsfähiges politisches Personal“ gab.599 Vaatz’ Personalpolitik stand von Beginn an unter vereinzelter Kritik, fand inner- wie außerhalb der eigenen Reihen aber vor allem Befürworter. Dazu gehörte zum Beispiel Rößler, für den in dieser Zeit entscheidend war, dass alles „zielgerichtet passiert“. Es habe vielleicht „hier und dort einen konspirativen Charakter“ gehabt, „na und?“, so der DA-Aktivist, „erfolgreich war es doch.“ Eine chaotische Personalpolitik wie am Runden Tisch habe man nicht gewollt, weil damit kein politisches Projekt voranzutreiben war.600 Martin Lerchner, nach eigenem Bekunden jemand, der „Durchsichtigkeit wünscht und eine demokratische Begleitung für erforderlich hält“, meinte, unter den Bedingungen einer zum Glück friedlichen Revolution sei es richtig gewesen, „dass da nicht lange und ausgiebig diskutiert, sondern gehandelt wurde“.601 Eine Bedingung stellte Vaatz von Anfang an für die Mitarbeit im Koordinierungsausschuss. Jeder musste erklären, „erstens, er will nicht selber Ministerpräsident werden und zweitens, er will auch nicht selber ein Ministeramt anstreben“.602 Schon vor der formalen Einsetzung der Strukturbeauftragten sicherte Vaatz deren Einfluss auf künftige personalpolitische Entscheidungen. So ließ er sich Mitte Juli von Ballschuh bestätigen, dass die „Abteilungsleiter des Stellvertreters für die Bildung des Landes Sachsen“ in eine zu bildende Personalkommission zur Vorbereitung von Personalentscheidungen durch Ausschreibung berufen wurden.603 Eine Woche später begann sein Büro mit der Vorbereitung von Berufungsschreiben und Funktionsplänen für die hier Abteilungsleiter genannten Strukturbeauftragten.604 Auch die Regierungsbevollmächtigten in Chemnitz und Leipzig konnten Strukturbeauftragte benennen, was in Chemnitz ab Ende Juli, in Leipzig ab Mitte August geschah. Während in Dresden vorwiegend Vertreter der neuen Kräfte, westliche Berater und in Einzelfällen Ressortleiter der Bezirksverwaltungsbehörde benannt wurden, handelte es sich bei den Strukturbeauftragten aus Chemnitz und Leipzig mehrheitlich um leitende Mitarbeiter der Bezirksverwaltung, die diese Aufgabe neben ihrer laufenden Tätigkeit erledigten. Zum Landesstrukturbeauftragten für den Aufbau der Staatskanzlei ernannte Vaatz nach einer Empfehlung von Hermann Henke Mitte Juli den parteilosen Michael Kinze, der seit dem Herbst 1989 in diversen Arbeitskreisen des Neuen Forums mitgewirkt hatte und später der CDU beitrat. Er war bislang als Dip598 Interview Manfred Kolbe am 16. 5. 2003. 599 Interview Arnold Vaatz. In: Kleimeier, Sachsen, S. 107. 600 Interview Matthias Rößler. In: ebd., S. 93. 601 Interview Martin Lerchner. In: ebd., S. 69 f. 602 Interview Arnold Vaatz am 21. 6. 2000. 603 Konzeption zur Herstellung der Arbeitsfähigkeit des Bereiches des Stellv. des Regierungsbevollmächtigten des Bezirkes Dresden vom 13. 7.1990 (Dok. 92). 604 Protokoll der Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses am 19. 7.1990 (Dok. 96).

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lomingenieur in der Dresdner Wasserwirtschaft beschäftigt gewesen und hatte sich ehrenamtlich als Synodaler in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens und als Mitglied der Entwicklungskommission des Lutherischen Weltbundes betätigt.605 Dank zahlreicher kirchlicher Dienstreisen in alle Welt verfügte er über intensive Auslandserfahrungen, die ihn für den Aufbau des zunächst angedachten Ministeriums für Bundes- und Europaangelegenheiten empfahlen.606 Als Kinze die Funktion übernahm, hatte der Koordinierungsausschuss bereits zwei- oder dreimal getagt. Er interessierte sich eigentlich mehr für Umweltfragen, aber dieser Bereich war schon durch Kny besetzt. Bereits bei der ersten Sitzung rückte man von der Idee eines eigenen Ministeriums für Bundesund Europaangelegenheiten ab und entschied, eine entsprechende Abteilung in der Staatskanzlei einzurichten. „Und“, so Kinze, „wie Herr Vaatz so war, sagte er: ‚Da machen sie gleich beides.‘“607 Chemnitz benannte Ende Juli den Abteilungsleiter für zentrale Aufgaben und Personalwesen der Bezirksverwaltungsbehörde, Roland Seyd. Aus Leipzig beteiligte sich ab Mitte August der Referatsleiter für Haushaltsorganisation und innere Verwaltung der Bezirksverwaltung, Johannes Gläser. Anfang Juli wurde Peter Berauer (DSU) Landesstrukturbeauftragter für Inneres. Ihm zur Seite stand der Leiter der Arbeitsgruppe Verwaltungsstruktur der Gemischten Kommission, Hartmut Kübler vom Stuttgarter Innenministerium. Mitte August übernahm Hans Bozenhard die Funktion. Er war Mitglied der SPD, was, so Vaatz, „der wichtigste Grund“ war, warum man ihm „eine Position übergeben musste“. Er habe großen Wert darauf gelegt, für den Bereich „Inneres“ zuständig zu sein und erklärt, sehr genaue Vorstellungen über den Neuaufbau der Polizei und der Inneren Verwaltung zu haben.608 Als Bernd Herzer und Thomas Hirschle als baden-württembergische Berater nach Sachsen kamen, verständigten sie sich darauf, dass Hirschle das baden-württembergische Koordinierungsbüro in Sachsen leitet, und Herzer, der mit Familie nach Dresden gezogen war, übernahm die Funktion eines Landesstrukturbeauftragten für Inneres. Das war aus seiner Sicht insofern eine Schlüsselposition, als Inneres auch für die Struktur der künftigen Landesverwaltung zuständig war.609 Ihm zur Seite stand weiterhin Bozenhard. Chemnitzer Strukturbeauftragter für Inneres wurde Ende Juli der stellvertretende Regierungsbevollmächtigte, Horst Krüger (SPD), Leipzig vertrat der parteilose Referatsleiter Inneres der Bezirksverwaltung, Henning Diestel. Landesbeauftragter für Finanzen wurde der bereits in Dresden tätige Leiter des bayerischen Informationsbüros in Dresden und ehemalige Jurist im Münchner Finanzministerium, Manfred Kolbe. Dieser erhielt am 24. Juli rückwirkend zum 1. Juli seine Berufung. Ballschuh beauftragte ihn, die Landesstruktur in sei605 Interview Michael Kinze. In: Die Union vom 26. 9.1990. 606 Interview Arnold Vaatz am 21. 6. 2000. 607 Interview Michael Kinze. 608 Interview Arnold Vaatz an 21. 6. 2000. 609 Interview Bernd Herzer.

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nem Verantwortungsbereich federführend zu erarbeiten und mit den jeweiligen Verantwortlichen in den Bezirken Chemnitz, Dresden und Leipzig abzustimmen.610 Als bayerischer Beamter vollzog er nach eigenem Bekunden, zunächst innerlich, dann aber im Sommer 1990 auch äußerlich eine Metamorphose hin zum sächsischen Landesstrukturbeauftragten. In ihm fand Vaatz einen wichtigen Mitstreiter für eine personelle Erneuerung der Verwaltung, der auch in München immer wieder ein Wort für die „Neuen“ einlegte.611 Chemnitzer Strukturbeauftragter für Finanzen wurde das ehemalige Ratsmitglied, nun Referatsleiter für Finanzen, Peter Schönach. Leipzig benannte Bruno Staguhn und Frau Hoffmann. Die Funktion des Landesstrukturbeauftragten für Wirtschaft übernahm Mitte Juli der promovierte Nationalökonom Herbert B. Schmidt. Er hatte sich selbst bei Vaatz um die Funktion beworben und war von keiner Regierungsstelle delegiert worden.612 Vaatz überzeugte, dass Schmitt begeisterter Verehrer Ludwig Erhards und erster Geschäftsführer des Wirtschaftsrates der CDU war und diesen selbst mit aufgebaut hatte. Seit 1990 war er Vorsitzender der CDU-Wirtschaftsvereinigung Bonn. Als am 8. April 1990 eine Wirtschaftsvereinigung der Allianz Sachsen gegründet worden war, hatte Schmidt auch deren Vorsitz inne. Sie setzte sich vor allem aus Volkskammerabgeordneten der Allianzparteien zusammen. Wegen Unstimmigkeiten mit der DSU ging daraus am 27. Mai die Wirtschaftsvereinigung der CDU Sachsen hervor, der Schmidt ebenfalls vorstand. In dieser Funktion war er auch in den Landesvorstand der CDU kooptiert worden. Mitte Juli 1990 wurde er durch Ballschuh zum Ressortleiter Wirtschaft der Bezirksverwaltungsbehörde Dresden berufen. Er war der einzige Westdeutsche, der DDR-weit diese Funktion übernahm.613 Hier löste er den bisherigen Ressortleiter Frank Holata ab. Er verband somit die Funktion des Landesstrukturbeauftragten und des Leiters der Abteilung Wirtschaft in der Bezirksverwaltungsbehörde. Schmidt, so erinnert sich Vaatz, hielt die wirtschaftlichen Strukturveränderungen für so einschneidend und die wirtschaftliche Infrastruktur für so gefährdet, dass er meinte, alle wirtschaftlichen Aktivitäten in der Hand halten zu müssen. Hier sei der Umbruch am intensivsten und hier würden auch „die entscheidenden Fehler jetzt gemacht“, die „nicht mehr reparabel“ seien.614 Chemnitz bestimmte den stellvertretenden Regierungsbevollmächtigten PaulWilly Heilmann (CDU), Leipzig den Referatsleiter Wirtschaftsförderung der Bezirksverwaltung, Wolfgang Pfeufer, für die Funktion. Landesstrukturbeauftragte für den Bereich Justiz wurde Anfang Juli auf Empfehlung Iltgens Edeltraud Thaut. Sie war bislang als Justitiarin des Ordinariats 610 BVB Dresden, Regierungsbevollmächtigter für den Bezirk Dresden, gez. Ballschuh: Berufung von Manfred Kolbe vom 24. 7.1990 rückwirkend datiert auf den 1. 7.1990 (PB Manfred Kolbe). 611 Interview Manfred Kolbe am 16. 5. 2003. 612 Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 613 Die Tätigkeit von Dr. Herbert B. Schmidt in der DDR im Jahre 1990 (PB Herbert B. Schmidt). 614 Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003.

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des Bistums Dresden-Meißen tätig, hier Iltgens Kollegin gewesen und hatte sich am Runden Tisch des Bezirkes Dresden beteiligt. Vor ihrer Tätigkeit für die katholische Kirche hatte sie als Juristin bei der Staatlichen Versicherung der DDR gearbeitet, von wo sie 1988 aus politischen Gründen in den Dienst der Kirche gewechselt war. Daneben wirkte im gleichen Bereich Steffen Heitmann, der sich als Landesstrukturbeauftragter vor allem mit Verfassungsfragen und Grundlagen eines neuen Rechtssystem befasste. Heitmann wollte zunächst „nicht so unbedingt mitmachen“,615 da er sein Amt als Kirchenamtsrat und Oberkirchenrat nicht für eine vorübergehende Tätigkeit aufgeben wollte. Erst als sich die Möglichkeit ergab, die Funktion ehrenamtlich wahrzunehmen, willigte er ein, war es ihm doch wichtig, „die Arbeit dieser Verfassungsgruppe in den Koordinierungsausschuss einzubinden, um diesem entstehenden Entwurf weitgehende Akzeptanz zu sichern“. Ihm zur Seite stand der Verwaltungsrichter Jürgen Rühmann aus Baden-Württemberg, den Heitmann als verfassungsrechtlich überaus bewandert in Erinnerung hat.616 Wegen der fehlenden Erfahrungen Thauts beim Justizaufbau beteiligte sich ab August Ministerialrat Eberhard Stilz aus dem baden-württembergischen Justizministerium neben Heitmann federführend an der Leitung des Strukturbereichs; für Heitmann war er „die eigentliche Kraft des Arbeitsstabes Justiz“. Beide kooperierten hervorragend miteinander.617 Stilz hielt sich bereits seit Mai immer wieder und ab Ende Juli ständig in Sachsen auf und wurde bald zur unabkömmlichen Stütze von Frau Thaut, die nach seiner Auskunft nicht viel Zeit mitbrachte und auch wenig Kenntnisse von westlicher Justiz hatte.618 Stilz zog Dank seiner Kompetenz die Arbeit immer mehr an sich. Als Thaut deswegen Anfang September in Stuttgart um eine Verlängerung der Abordnung bat, bezeichnete sie Stilz als eine „wertvolle und unersetzbare Hilfe“, deren Fundus an fachspezifischem Wissen sich mit seinem praktischen Erfahrungsschatz verbinde.619 Seit Ende Juli beteiligte sich Herr Zenker aus Chemnitz an der Arbeit, Leipzig schickte Keilitz und Kupetz. Landesstrukturbeauftragter für Soziales war seit Mitte Juli Bernd Kunzmann (SPD), seit Mitte August auch Irmtraud Schirotzek. Sie wurde von Herrn Ewald aus dem Bayerischen Arbeitsministerium beraten.620 Ende August übernahm der stellvertretende Referatsleiter des bayerischen Arbeitsministeriums, Reiner Schrenker, die Funktion des Landesstrukturbeauftragten. Chemnitz war seit Ende Juli durch Herrn Bigl vertreten, Leipzig durch den Referatsleiter für Gesundheits- und Sozialwesen der Bezirksverwaltungsbehörde, Volker Rust. Praktisch erledigte Schrenker die Arbeit allerdings allein, nach Chemnitz und Leipzig gab 615 616 617 618 619

Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. Interview Steffen Heitmann. Interview Steffen Heitmann. Interview Eberhard Stilz. Edeltraut Thaut an Wilhelm Schmolz vom 7. 9.1990. Zit. in Schubert, der Koordinierungsausschuss, S. 117 f. 620 BVB Dresden, Abt. Länderbildung: Protokoll der Beratung mit den Strukturbeauftragten für Länderbildung am 9. 8.1990 (HAIT, KA, 61).

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es „allenfalls schriftlichen Kontakt“, keine Zusammenkünfte und auch keine wirkliche Abstimmung.621 Die Funktion des Landesstrukturbeauftragten für Kultus übernahm Mitte Juli Matthias Rößler. Der promovierte Diplomingenieur für Maschinenbau, bislang als Dozent für Strömungstechnik an der Dresdner Hochschule für Verkehrswesen tätig, gehörte seit Anfang 1990 dem DA in Dresden an. Er war Mitglied des DDR-Vorstandes des DA und vertrat seine Partei als wissenschaftspolitischer Sprecher und Vorstandsmitglied am Dresdner Runden Tisch. Hier hatte er Vaatz kennen gelernt, dessen revolutionären Erneuerungskurs er unterstützte. Er fungierte zugleich als Leiter der Fachgruppe „Wissenschaft und Bildung“ der Gemischten Kommission, wo er bereits dagegen wirkte, den Bereich Kultus in zwei Arbeitsgruppen für Schule und Wissenschaft aufzuteilen. Seit dem Sommer beriet ihn der Vorsitzende des baden-württembergischen Teils der Fachgruppe Wissenschaft und Hochschulen der Gemischten Kommission, Karl-Heinz Kammerlohr, bei den Vorüberlegungen für den Aufbau eines sächsischen Kultusministeriums.622 Im Strukturbereich Kultus gelang es Rößler zunächst, beide Bereiche wieder zusammenzufassen. Chemnitzer Strukturbeauftragter wurde Ende Juli der Referatsleiter der Bezirksverwaltung für Bildung, Kultur, Jugend und Sport, Wolfgang Weber, Leipzig war seit Mitte August durch den stellvertretenden Regierungsbevollmächtigten, Michael Weber (Bündnis 90), vertreten. Landesstrukturbeauftragter für Umwelt wurde Kurt Kny. Dieser hatte zunächst als Ingenieur für Wärmetechnik in der Bezirkshygieneinspektion Dresden und zuletzt im Kraftwerksanlagenbau in der Emissionsüberwachung gearbeitet. Seit November 1989 hatte er sich an der Arbeitsgruppe Natur und Umwelt der Gruppe der 20 beteiligt und als Mitglied des Dresdner Runden Tisches ebenfalls den vor allem durch Vaatz repräsentierten Kurs unterstützt. Mit seiner Berufung vermied Vaatz eine Auswahl zwischen den beiden Umweltexperten der Bezirksverwaltungsbehörde Dresden, Horst Metz und Manfred Wölke, die freilich trotzdem ihren Einfluss geltend machten. Chemnitz vertrat in diesem Bereich das ehemalige Ratsmitglied für Umweltschutz, Werner Reimann, aus Leipzig kam aus gleicher Funktion Dieter Halbig. Landesstrukturbeauftragter für Landwirtschaft wurde Jürgen Gülde (CDU), bislang Leiter der Tierproduktion einer LPG in Reichenbach bei Görlitz. Gülde fungierte bereits seit Anfang Mai als Abteilungsleiter Landwirtschaft in der Bezirksverwaltung Dresden, nahm also wie Schmidt beide Funktionen parallel war. Vaatz nennt seine Berufung „ein sehr dunkles Kapitel“. Gülde sei „irgendwie über Nacht“ in der Bezirksverwaltung gegen den vormaligen Landwirtschaftschef ausgetauscht worden und galt deswegen als „neuer Mann“. Im Laufe der Arbeit habe sich aber gezeigt, dass er „mit den neu angebrochenen Zeiten herz621 Interview Reiner Schrenker. 622 MWKBW, Ref. I/7: Bericht über die Tätigkeit der Fachkommission Hochschulen und Wissenschaft der Gemischten Kommission im Jahre 1990 und Ausblick auf 1991 vom 5.11.1990 (SMBW, 0136, Gemischte Kommission für die Zusammenarbeit des Landes BW mit Sachsen, Allgemeines).

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lich wenig anzufangen wusste“ und „in erster Linie ein Vertreter des alten Apparates“ gewesen sei, und als solcher nun bei ihnen mitarbeitete. Man habe ihn, obwohl er nicht in die Runde passte, unterstützt vom bayerischen Berater Wüst und einigen Experten aus Baden-Württemberg, wirken lassen, weil es bei den neuen Kräfte in Dresden niemanden gab, der in Fragen der Landwirtschaft Bescheid wusste. In dieser Hinsicht hätten sich die Dresdner von grün-alternativen Bürgerrechtlern unterschieden, die „aus Pfarrhäusern und aus diversen Intellektuellenzirkeln“ kamen und zum Beispiel in Bautzen, Löbau oder Herrnhut wirkten.623 Als Chemnitzer Strukturbeauftragter fungierte Herr Thalheim (SPD), Leipzig vertrat der Referatsleiter für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten der Bezirksverwaltungsbehörde, Christfried Gebauer. Als Landesstrukturbeauftragter für den Aufbau des Landtages fungierte seit Ende Juli Erich Iltgen, der inzwischen der CDU beigetreten war. Er betont, seine Funktion nie als ein Unterstellungsverhältnis unter Vaatz angesehen zu haben. Trotz zeitweiliger Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich des Verhältnisses von Koordinierungsausschuss und Rundem Tisch bzw. Sächsischem Forum habe es zwischen ihnen durch die gemeinsame politische Arbeit am Runden Tisch ein „Grundvertrauen“ gegeben.624 Vaatz hatte im Übrigen angesichts der dominanten Rolle Iltgens kaum eine andere Wahl als ihn zu bestimmen. Chemnitz und Leipzig waren in diesem Bereich nicht durch Strukturbeauftragte vertreten. Zum Landesstrukturbeauftragten für Medien ernannte Vaatz am 27. Juli den Mitbegründer des Neuen Forums in Dresden, Helmut Schmitt. Dieser hatte der basisdemokratischen Fraktion der Dresdner Stadtverordnetenversammlung angehört und war im Februar mit Vaatz der CDU beigetreten.625 Er gehörte somit ebenfalls zu seinem engsten Vertrautenkreis. Schmitts Fachberater war der Technische Direktor des Bayerischen Rundfunks, Müller-Römer.626 Landesstrukturbeauftragter für den Bereich Landesvermögen und Gebäude wurde schließlich Hermann Henke (DSU), der zunächst als stellvertretender Regierungsbevollmächtigter für Personal gehandelt worden, bei einer Abstimmung im DSU-Vorstand aber gegen Matthias Reichenbach unterlegen gewesen war. Die Kampfkandidatur hinderte beide nicht an einer engen Zusammenarbeit. Auch für diesen Bereich waren aus Chemnitz und Leipzig keine Vertreter benannt worden, kümmerte man sich hier doch vor allem um die Gebäude der künftigen Regierungspräsidien. Henkes Auftrag bestand in der Erarbeitung und Aktualisierung aller Unterlagen für Regierungsgebäude und Landesvermögen.627 Über Mitarbeiter verfügte er bis zur Bildung von Arbeitsstäben Ende September nicht. 623 Interview Arnold Vaatz am 21. 6. 2000. 624 Interview Erich Iltgen. 625 Siehe Kap. 3.2.5. 626 Protokoll über die 1. Koordinierungsberatung der stellv. Regierungsbevollmächtigten für die Länderbildung der BVB Chemnitz, Dresden und Leipzig am 27. 7.1990 in Leipzig (HAIT, KA, 10.1). 627 BVB Dresden: Festlegung, gez. Vaatz (ebd., 30.2).

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Die Leitung einer Arbeitsgruppe Behördenstruktur legte Vaatz in die Hände von Heidrun Lotze, die bald eine zentrale Rolle bei der Koordinierung aller Ausarbeitungen spielte. Die Strukturbeauftragten hatten ihr die Strukturentwürfe zuzuleiten. Nach Schrenkers Meinung nutzte Vaatz die internen Kenntnisse von Lotze, die er selbst als „sehr integriert und sehr kompetent“ erlebte.628 Als Schriftführerin am Dresdner Runden Tisch hatte sie sich erkennbar auf die Seite der neuen Kräfte geschlagen. Vaatz meint, der Koordinierungsausschuss habe jemanden gebraucht, der sich im bestehenden Apparat auskannte, die Leute einzuschätzen wusste und sich außerdem den neuen Kräften gegenüber loyal verhalten habe. In dieser Hinsicht sei Heidrun Lotze die Einzige gewesen, die mehrfach über ihren Schatten gesprungen sei und Konfrontationspositionen zu ihren früheren Arbeitgebern bezogen habe. Durch sie habe man wichtige Einsichten über Prozesse erhalten, die hinter den Kulissen liefen.629

5.3.2 Arbeit des Koordinierungsausschusses mit westlicher Unterstützung Ansonsten war der Koordinierungsausschuss „denkbar einfach“ zusammengesetzt. Vaatz delegierte die Arbeit an die Strukturbeauftragten, die dann für ihre Bereiche entscheidungsbefugt waren.630 Sie hatten Organigramme, Geschäftsverteilungs- und Stellenpläne, Arbeitsinhalte, Haushaltsvorstellungen und konzeptionelle Grundsatzüberlegungen auszuarbeiten, die von Lotze zusammengefasst wurden. Die Strukturentwürfe wurden innerhalb des Koordinierungsausschusses verteilt und beraten.631 Jeder Landesstrukturbeauftragte war für ein Ministerium zuständig: „Aus Bayern und aus Baden-Württemberg“, so Vaatz, „sollten sie sich die Organigramme holen und die Ministerien so aufbauen, wie sie dort sind, allerdings mit zwanzig Prozent weniger Personal. Sie sollten die Geschäftsverteilungspläne abschreiben und jeder sollte sich mit einem in Verbindung setzten, der das jeweilige Ministerium kennt und weiß, welche Dinge dort nur aus historischen Gegebenheiten erklärbar sind. Das sollte rausgenommen werden.“632 Den Landesstrukturbeauftragten waren dazu westliche Berater zugeordnet, die aus den Partnerministerien in Bayern oder Baden-Württemberg kamen. Dort stellte man dem Koordinierungsausschuss, so Biedenkopf, „exzellentes Personal“ zur Verfügung, ohne welches dieser niemals die Strukturen der Regierung hätte entwickeln können. Erst der mit ihnen verbundene „bedeutsame Wissenstransfer“ versetzte den Koordinierungsausschuss in die Lage, seine Aufgabe kompetent zu erfüllen.633 Auch wenn in der konzeptionellen Phase des Aufbaus der Landesverwaltung nur wenige westdeutsche Berater mitwirkten, so 628 Interview Reiner Schrenker. 629 Interview Arnold Vaatz am 21. 6. 2000. 630 Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. 631 Protokoll der Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses vom 19.7.1990 (Dok. 96). 632 Interview Arnold Vaatz am 9. 6.1999. 633 Interview Kurt Biedenkopf.

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hatten diese doch entscheidenden Anteil an der Aufbaukonzeption, mit der die Regierungsorganisation teilweise prägend vorstrukturiert wurde.634 Dies sah man auch in Stuttgart so. Hier wurde Ende August eingeschätzt, dass es sich bei Vaatz und den meisten Strukturbeauftragten um Naturwissenschaftler, Ingenieure oder ehemalige Kirchenmitarbeiter handele, deren Berufung auf Runde Tische oder neue Parteien zurückgehe. „Vom vorhanden Apparat nur wenig unterstützt, nicht selten auch irregeleitet“ seien sie „ohne konkrete personelle Unterstützung aus Bayern oder Baden-Württemberg trotz allen guten Willens und Engagements weitgehend hilflos“.635 Aber auch die führenden Akteure im Koordinierungsausschuss waren sich über die eigenen Defizite im Klaren. Der Einsatz von Westbeamten, so urteilte Lotze, sei eine große Hilfe, verfüge doch niemand von ihnen über Erfahrungen einer Verwaltungsorganisation unter den Bedingungen einer rechtsstaatlichen Demokratie und ökologisch orientierten Marktwirtschaft. Man habe sich „selbstverständlich“ an den in den Ländern der Bundesrepublik wirkenden Strukturen orientiert, ohne diese jedoch schematisch auf das Land Sachsen zu übertragen.636 Hauptvorbilder waren BadenWürttemberg und Bayern, wobei auch andere Bundesländer ihre Modelle anboten. Im Koordinierungsausschuss führte die föderale Vielfalt in bundesdeutscher Praxis bewährter Strukturen zu Unsicherheiten bei der Auswahl des besten Modells für Sachsen.637 Dank der zunächst dominanten Hilfe aus BadenWürttemberg resultierten die ersten Vorschläge vor allem aus dortigen Modellvorstellungen. Ab Mitte August ging man dazu über, die Vorstellungen auch mit anderen Partnern abzustimmen, vor allem aus Bayern. Dies hatte zum Beispiel auf die Konzepte für die Ministerien für Landwirtschaft sowie für Arbeit und Soziales konkrete Auswirkungen, weswegen beschlossen wurde, sämtliche Geschäftsverteilungs- und Strukturpläne in gleicher Weise überprüfen zu lassen.638 Wichtig war neben optimaler Funktionalität die Kompatibilität zum bundesdeutschen System. Die Organigramme und Geschäftsverteilungspläne sollten und mussten in das System hineinpassen, das vom Grundgesetz vorgegeben war.639 Da sie aber auch in der sächsischen Tradition stehen sollten, begann man, nachdem „der erste Trend war, die baden-württembergischen Erfahrungen zu kupfern“, damit, sich auch mit den sächsischen Verwaltungsgesetzen seit Mitte des 16. Jahrhunderts vertraut zu machen, denn das Ergebnis sollte „tatsächlich etwas Sächsisches sein“.640

634 Vgl. Häußer, Die Staatskanzleien, S. 153. 635 Zur Situation im künftigen Land Sachsen. Kurzbericht aufgrund der Mitarbeit im Koordinierungsausschuss für die Landesneubildung im Monat August 1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). 636 Vortrag von Heidrun Lotze vor dem Sächsischen Forum am 13. 9.1990 (HAIT, Iltgen, 3). 637 Interview Hubert Wicker. 638 Heidrun Lotze: Bericht über den Stand der Erarbeitung ministerieller Strukturen vom 15. 8.1990 (Dok. 119). 639 Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 640 Sächsische Zeitung vom 11. 9.1990.

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Neben inhaltlichen Hilfen war es entscheidend, dass die Arbeit der Westbeamten immer weniger auf die Ressorts der Dresdner Bezirksverwaltungsbehörde und immer stärker auf den für die Landesbildung zuständigen Koordinierungsausschuss fixiert war, führte dies doch zur Aufwertung der konzeptionellen Arbeiten des Gremiums und damit verbunden zu einer Abwertung der noch verbliebenen Arbeiten in einzelnen Ressorts. Dadurch, dass die westlichen Partner des Koordinierungsausschusses das unabdingbare Know how mitbrachten, waren, so Vaatz, „die anderen völlig abgemeldet“. Sie werkelten zwar noch vor sich hin, „aber das war für uns völlig uninteressant“.641 Mit der offiziellen Funktion des Koordinierungsausschusses als Organ der sächsischen Landesbildung veränderte sich auch die Bewertung der dort verantwortlichen Personen. Hatte sich die baden-württembergische Ministerialbürokratie bislang eher an die Altkader aus den Bezirksverwaltungen gehalten, so schätzten nun neu nach Sachsen kommende Spitzenbeamte wie Hirschle an Personen wie Vaatz oder Rößler von Anfang an „deren hohen politischen Intellekt und Instinkt“ und ihre persönliche Integrität. Dies waren nun die Personen, mit denen Beamte wie sie „vertrauensvoll zusammenarbeiteten“, während es jetzt plötzlich „eine natürliche Zurückhaltung gegenüber traditionellen Institutionen“ wie den Bezirksverwaltungsbehörden gab.642 Ohne Zweifel führte somit die Einbindung der westlichen Fachexperten in die Arbeit des Koordinierungsausschusses zu dessen Aufwertung. Hier konzentrierte sich nun nicht nur die fachliche Kompetenz; im Westen setzte sich auch immer stärker die Erkenntnis durch, dass man aus politischen Gründen besser auf das aus dem Runden Tisch hervorgegangene Gremium der neuen politischen Kräfte setzen sollte. Diese Einsicht kam freilich nicht über Nacht, sondern wurde von den Vertretern der Vaatz-Gruppe beharrlich erstritten. Vaatz warb ausdrücklich „für den eigenen Weg, also für das eigene Ziel von Demokratisierung unter den Kollegen, die uns aus Westdeutschland unterstützen sollten. Das war eine wichtige Bank, die konnte man als Alliierte gewinnen, als einzige mögliche Alliierte gewinnen. Also haben wir auch darum gekämpft. Und demzufolge war das dann auch die Strategie des Koordinierungsausschusses.“643 Bald hatte der Koordinierungsausschuss unter den westlichen Beamten zahlreiche Verbündete, die Vaatz auch politisch den Rücken frei hielten. Zu ihnen gehörte Manfred Kolbe, der über seinen eigentlichen Auftrag als Beamter hinaus in Sachsen wie in Bayern den Koordinierungsausschuss und „die neuen Leute“ politisch unterstütze.644 Kern der wachsenden Akzeptanz des Koordinierungsausschusses aber war zu jeder Zeit seine hohe inhaltliche Kompetenz und seine zügige Arbeit. Das dank westlicher Unterstützung erreichte hohe Niveau spiegelte sich bereits in einem ersten Bericht zum „Arbeitsstand zur Herausbildung der Behörden des 641 Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. 642 Interview Thomas Hirschle. 643 Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 644 Interview Manfred Kolbe am 13. 3. 2000.

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zukünftigen Landes Sachsen“ nieder,645 den Vaatz Ballschuh am 20. Juli überreichte und der auch in Chemnitz und Leipzig vorgestellt wurde.646 Hier hieß es, bei der Landesbildung werde von drei grundsätzlichen Arbeitsrichtungen ausgegangen: 1. dem Aufbau der Legislative mit Vorbereitung der Landtagswahlen und der Landtagsverwaltung, 2. dem Aufbau der Judikative mit dem Aufbau des Verfassungsgerichts, der Zivil- und Strafprozessgerichte, der Verwaltungsgerichte, der Finanzgerichts- und Sozialgerichtsbarkeit sowie der Arbeitsgerichte und schließlich 3. dem Aufbau der Exekutive mit der Vorbereitung der Landesregierung, von Regierungsbezirken sowie später auch von Landesämtern als untersten staatlichen Behörden, sonstigen Institutionen des öffentlichen Rechts einschließlich Sonderbehörden. In diese Arbeit integriert werden sollte auch der Aufbau eines Landesrechnungshofes. Hierzu sollten im Koordinierungsausschuss entsprechende Abteilungen geschaffen und personelle Besetzungen entschieden werden.647 Dazu schickte Vaatz Ballschuh den Stellenplan seines Stellvertreterbereichs und merkte an, dass dieser im August noch ergänzt werde.648 Strukturiert wurde der Koordinierungsausschuss in die Bereiche „Leiter des Koordinierungsausschusses“, „Leiter des Büros/Stellvertreter“, „Vorbereitung Landtag/Sächsisches Forum“, „Verfassung/Recht“, „Behördenstruktur“, „Staatskanzlei/Bundes- und Europaangelegenheiten“, „Wirtschaft“, „Finanzen“, „Justiz“, „Inneres“, „Landwirtschaft“, „Umwelt“, „Kultus“, „Soziales“, „Medien“ und „Landesvermögen/Gebäude“. Ballschuh stimmte einer nachträglichen Einstellung ab Anfang Juli ebenso zu, wie der Ende Juli vorgelegten zweiten Etappe der Konzeption für die Struktur des Koordinierungsausschusses. Generell galt angesichts der zu erwartenden Haushaltsbedingungen des Landes Sachsen der Grundsatz „So klein wie möglich und dabei so groß wie nötig“. Auf dieser Grundlage wurden Ausgangsbedingungen beim Verwaltungsaufbau für das zukünftige Land Sachsen festgelegt, nach denen es einen dreistufigen Verwaltungsaufbau mit einer Landesregierung aus acht Ministerien sowie einer Staatskanzlei, Regierungsbezirken und Landratsämtern geben sollte. Die Einrichtung von Regierungspräsidien war für Dresden, Chemnitz und Leipzig vorgesehen.649 In Dresden erklärte Peter Adler den Ressortleitern, die Verwaltung sei so umzubauen, dass sie der künftigen Landesregierung als Grundstock der Verwaltung übergeben werden könne. Strukturen und Inhalte der Arbeit müssten geändert werden. Der Strukturwandel müsse mit Blick auf die Arbeitsfähigkeit der künftigen Landesregierung eine verringerte Zahl der Mitarbeiter mit neuen Aufga645 Protokoll der Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses am 30.7.1990 (Dok. 110). 646 BVB Chemnitz: Protokoll der Beratung des 1. Stellv. des Regierungsbevollmächtigten mit den Abgeordneten der Volkskammer des Bezirkes Chemnitz am 23. 7.1990 (SächsStAC, BVB, 140104). 647 Arbeitsstand des Koordinierungsausschusses beim Aufbau der Landesregierung Sachsen am 20. 7.1990 (Dok. 97). 648 Arnold Vaatz an Siegfried Ballschuh vom 20. 7.1990 (HAIT, KA, 3.1). 649 Arbeitsstand des Koordinierungsausschusses beim Aufbau der Landesregierung Sachsen am 20. 7.1990 (Dok. 97).

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ben zur Folge haben und die strukturelle Veränderung so erfolgen, dass durch sinnvolle Zuordnung einzelner Aufgabengebiete die Ministerien aufgebaut werden könnten.650 Nach einer kurzen Beratung von Vaatz und Lotze mit dem Amtschef des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, Manfred Milz,651 wurde am 26. Juli das erste Modell einer Landesregierung vorgelegt.652 Danach sollten sich die Ministerien wie folgt gliedern: Wirtschaft: 1. Verwaltungsorganisation, 2. Wirtschaftspolitik, 3. Wirtschaftsstruktur, 4. Wirtschaftsnahe Technologie und Forschung und 5. Energiewirtschaft, Bergwesen und Geologie; Finanzen: 1. Haushalt, 2. Öffentlicher Dienst, 3. Steuern und 4. Vermögen; Justiz: 1. Verwaltung, Haushalt, 2. Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit, 3. Gerichtsorganisation, 4. Personalangelegenheiten und Ausbildung, 5. Berufsorganisation und 6. Strafvollzug; Inneres: 1. Allgemeine Verwaltung, 2. Verfassung, Kommunal- und Sparkassenwesen, Recht, 3. Verwaltungsstrukturen, Information, Kommunikation, 4. Baurecht, Städtebau, Wohnungswesen, 5. Raumordnung, Landesentwicklung, Raumplanung, Liegenschafts- und Vermessungswesen, 6. Landespolizeipräsidium, 7. Katastrophen-, Brandschutz, Rettungsdienst, Zivilschutz, 8. Eingliederung, Ausländerangelegenheiten und 9. Verkehr; Landwirtschaft: 1. Verwaltung, 2. Agrarstruktur, Betriebswirtschaft, 3. Landwirtschaft, 4. Markt und Ernährung, 5. Veterinärwesen, 6. Landesforstverwaltung und 7. Bildung und Wissenschaft; Umwelt: 1. Verwaltung, 2. Grundsatzfragen, Umweltschutz, 3. Wasserwirtschaft, 4. Luft, Umweltradioaktivität, 5. Abfallwirtschaft und Boden sowie 6. Natur- und Landschaftsschutz; Kultus: 1. Verwaltung, Haushalt, Personal, 2. Recht, 3. Kultur und Kunst, 4. Grundsatzangelegenheiten, 5. Allgemeinbildende Schulen, 6. Berufsbildende Schulen, 7. Sport sowie 8. Wissenschaft und Hochschulwesen; Soziales: 1. Verwaltung, 2. Arbeit, 3. Sozialversicherung, 4. Familie und Soziales, 5. Gesundheitswesen sowie 6. Jugend und Soziales. Auffällig war, dass beim Kultusministerium Rößlers Handschrift eines kompakten Ministeriums aus den Bereichen Schule, Kunst und Hochschule erkennbar war. Vor dem Sächsischen Forum betonte Lotze, die Strukturbilder stellten nur das jeweilige Ergebnis eines ständig wachsenden Erkenntnisprozesses dar.653 Am 27. Juli trafen sich die für Landesbildung zuständigen Vertreter der drei Bezirke zwecks Koordinierung des gemeinsamen Vorgehens. Vaatz wurde durch Lotze vertreten, aus Chemnitz waren Krüger, Kannegießer und Kunz anwesend, aus Leipzig Kleinschmidt. Im Zentrum der Beratung standen die künftigen Regierungspräsidien und Landesbehörden, auf die sich die bisherigen Bezirkshauptstädte Hoffnung machen konnten. Nach einem Kurzprotokoll aus Lotzes Feder machten sich die Vertreter untereinander bekannt und berieten über den Stand der Erarbeitung der Materialien für die Länderbildung sowie 650 BVB Dresden, Stellv. des Regierungsbevollmächtigten für Verwaltung: Protokoll der Dienstberatung mit den Ressortleitern am 24. 7.1990 (SächsHStA, BT/RdB, 47562, Bl. 33). 651 BaySMI: Programm vom 25. 7.1990 (HAIT, KA, IV). 652 Modell einer Landesregierung Sachsen vom 26. 7.1990 (ebd., 37). 653 Vortrag von Heidrun Lotze vor dem Sächsischen Forum am 13. 9. 1990 (HAIT, Iltgen, 3).

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über die Probleme, die sich aus den vorliegenden Geschäftsverteilungsplänen ergaben.654 Am selben Tag berieten die Landesstrukturbeauftragten mit einzelnen Vertretern der Ressorts der Dresdner Bezirksverwaltungsbehörde. In der Diskussion sprach sich Manfred Kolbe für eine Reduzierung der Ministerien aus. Die personelle Besetzung dürfe maximal fünfzig Prozent der personellen Besetzung der Ministerien in Bayern und Baden-Württemberg betragen. Möglichst viele Ämter und Behörden sollten privat betrieben werden und im Sinne des Subsidiaritätsprinzips eine weitestgehende Verlagerung von Aufgaben auf untere Behörden erfolgen. Peter Berauer verwies auf die Notwendigkeit einer weiteren Minimierung der Stellenpläne im Sinne eines konzentrierten und effektiven Arbeitsbeginns in den Ministerien. Einig war man sich, dass noch größere Rückstände bei der Lösung der ministeriellen Aufgaben zu verzeichnen waren, die die ehemaligen Räten der Bezirke zu verantworten hätten, weil diese sich „bis zu ihrer Auflösung vordergründig mit ständigen Strukturveränderungen in ihren Verantwortungsbereichen befasst“ hätten. Deswegen sollten durch die Landesstrukturbeauftragten anhand von Musterdokumenten schnell entscheidungsreife Strukturvorstellungen erarbeitet und bis Mitte September bei Lotze eingereicht werden.655 Außerdem wurde vereinbart, dass der Aufbau des Landes unter der gemeinsamen Leitung der Stellvertreter der Regierungsbevollmächtigten für Landesbildung der drei Bezirke erfolgt. Zur Sicherung des einheitlichen Vorgehens sollten diese wöchentlich „die zu lösenden Aufgaben bzw. Ergebnisse der Umsetzung im Rotationsprinzip“ beraten und Informationen über Aktivitäten des Koordinierungsausschusses erhalten.656 Deutlich war hier das Bemühen der Chemnitzer und Leipziger Vertreter zu erkennen, nicht aus dem Prozess der Landesbildung gedrängt zu werden. Inhaltlich einigten sich die Teilnehmer über eine Grundstruktur der Regierungspräsidien, wobei keine Einigkeit über die mögliche Anzahl von Vizepräsidenten erzielt wurde, was angesichts des bereits begonnen Gerangels um Posten und Ämter kaum ein Wunder war. Die Sitzung zeigte, dass die Vertreter aus Chemnitz und Leipzig zwar einerseits eine Mitwirkung an der Erarbeitung ministerieller Strukturen einforderten, sich de facto jedoch auf die Schaffung eigener Regierungspräsidien konzentrierten. Das bestätigt auch eine Stellungnahme Steinbachs vom selben Tag, wonach das Leipziger Bestreben „nicht unmittelbar darauf gerichtet sein“ sollte, „eines oder mehrere Ministerien des Landes Sachsen unbedingt in Leipzig zu beheimaten“, sondern vielmehr „eine ganze Reihe von Landesbehörden in Leipzig anzusiedeln“ wie etwa den Landesrechnungshof, das Landesamt für Geologie, das Landeskriminalamt, den Landesgerichtshof, das Landesliegen654 Protokoll über die 1. Koordinierungsberatung der stellv. Regierungsbevollmächtigten für die Länderbildung der Bezirksverwaltungsbehörden Chemnitz, Dresden und Leipzig am 27. 7.1990 (Dok. 107). 655 BVB Dresden, Abteilung Länderbildung: Protokoll der Beratung mit den Strukturbeauftragten für die Länderbildung am 27. 7.1990 (HAIT, KA, 61/1). 656 Information des Bezirksbeauftragten Leipzig des MRKA zum Stand der Herausbildung des Landes Sachsen vom 27. 7.1990 (Dok. 105).

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schaftsamt, die Landespolizeischule und andere mehr.657 Drei Tage nach der gemeinsamen Beratung der drei Bezirke beschloss der Koordinierungsausschuss, beim Aufbau und bei der Besetzung der Ministerien davon auszugehen, dass die Anzahl der Planstellen höchstens die Hälfte vergleichbarer Behörden in BadenWürttemberg und Bayern betragen dürfe. Die Führungsebene der Ministerien sollte sparsam konzipiert und pro Ministerium nur vier bis sechs Abteilungen und pro Abteilung ebenso viele Referate eingerichtet werden. Nach dem Grundsatz der Subsidiarität sollten möglichst viele Aufgaben nachgeordneten Behörden und kommunalen Selbstverwaltungen zugeordnet werden. Im Bundesgebiet nicht vorhandene Behörden wie die Treuhand sollte es nur in begründeten Ausnahmefällen geben.658 Bei den Überlegungen konnten die sächsischen Bezirke ihr Vorgehen bei gemeinsamen Beratungen auch mit dem in anderen DDRBezirken vergleichen,659 freilich war der Erkenntnisgewinn angesichts der fortgeschrittenen Ausarbeitungen in Sachsen für dessen Vertreter eher gering.660

5.3.3 Beschluss über die Einsetzung von Landessprechern und Versuch zentraler Steuerung des Aufbaus der Landesverwaltung durch die Regierung Um ihren Einfluss auf die Länderbildung zu bekräftigen, beriet die Regierung am 30. Juli mit den Regierungsbevollmächtigten aller DDR-Bezirke über die Klärung von Vermögensfragen der künftigen Länder, den Übergang von Einrichtungen und Personal aus zentralen Staatsorganen sowie aus den Bezirksverwaltungsbehörden in die künftigen Länder sowie die praktische Umsetzung des Ländereinführungsgesetzes. 661 Preiß betonte, wohl vor allem mit Blick auf die nichtsächsischen Bezirke, dass nun „eine angestrengte Arbeit in Vorbereitung der Konstituierung der Landtage und der Bildung der Landesregierungen“ notwendig sei. Ohne Zeitverzug müssten auch die Landesverfassungen vorangebracht werden.662 Die Regierung gab ihre schon vorab bekannt gewordene Entscheidung bekannt, Landessprecher einzusetzen. Der Beschluss basierte auf der in der Rottenburger Erklärung verankerten Forderung, Landesbeauftragte einzusetzen, deren Aufgaben die Vorbereitung der Landtagswahlen, die Erarbeitung von Entwürfen neuer Landesverfassungen und Vorbereitungsarbeiten für

657 Ausführungen von Walter Christian Steinbach zur Frage der Regierungsbezirke vom 27. 7.1990 (Dok. 108). 658 Protokoll der Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses am 30.7.1990 (Dok. 110). 659 BVB Erfurt: Information über den Erfahrungsaustausch der BVB Rostock über die Durchführung der Verwaltungsreform und das Herangehen bei der Vorbereitung der Länderbildung am 30. 7.1990 (AThLT, 0/B0416/14). 660 Zur weiteren Arbeit des Koordinierungsausschusses im August siehe Kap. 5.3.5. 661 Beschluss des Ministerrates der DDR 24/17/90 vom 8. 8.1990 zur Information über die Beratung mit den Regierungsbevollmächtigten in den Bezirken am 30.7.1990 (Dok. 115). 662 Ausführungen von Manfred Preiß zur Beratung mit den Regierungsbevollmächtigten zur praktischen Umsetzung des Ländereinführungsgesetzes am 30.7.1990 (BArch B, DO 5, 8).

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künftige Landesregierungen und Verwaltungsstrukturen sein sollten. Hier hatte es ausdrücklich geheißen, der jeweilige Landesbeauftragte solle Kommissionen für die Länderbildung ins Leben rufen und andere Aktivitäten durch die Regierung nicht zulassen, da nur ein solches Verfahren die Gewähr biete, dass die Länderbildung im gesamtstaatlichen Konsens innerhalb der DDR vonstatten gehe.663 Auch in einem Vermerk für Späth zur Vorbereitung eines Treffens mit Klaus Reichenbach am 28. Juni hatte es geheißen, es bestünde derzeit insofern „ein erhebliches Manko“, als die Regierung noch keinen Landesbeauftragten zur Gründung des Landes Sachsen eingesetzt habe. Ein von der Regierung legitimierter Landesbeauftragter wäre auch in Fragen der personellen Hilfe ein geeigneter Ansprechpartner. Ein Landesbeauftragter, der Reichenbach hieße, wäre im Übrigen „eine gute Plattform im Vorfeld der Landtagswahlen in Sachsen“.664 Die Notwendigkeit von Landessprechern wurde auch von der Regierung de Maizière gesehen. Über die Tagung am 30. Juli hieß es in einer Auswertung, „Kompetenz- und Abstimmungsprobleme zwischen den Regierungsbevollmächtigten, die bis in die Beratung hineinreichten“, hätten erneut das Erfordernis verdeutlicht, aus dem Kreis der Regierungsbevollmächtigten pro Land einen kompetenten Landessprecher gegenüber dem Minister für regionale und kommunale Angelegenheiten zu benennen. Die personelle Entscheidung darüber sei von den Regierungsbevollmächtigten der Bezirke, deren Territorien künftig ein Land bilden, gemeinsam zu treffen. Für den Fall, dass keine Einigung erreicht werden sollte, wurde Preiß beauftragt, von sich aus Landessprecher festzulegen.665 Der „Handlungsdruck“ im Zusammenhang mit der Länderbildung und den Landtagswahlen, so Reichenbach bereits zu Beginn der Tagung, sei erheblich und einvernehmliche Standpunkte zwischen den Regierungsbevollmächtigten nur schwer oder gar nicht zu erreichen. Deswegen halte es die Regierung für erforderlich, dass sich die Regierungsbevollmächtigten bis Mitte August verständigen, wer als Vertreter des künftigen Landes bis zur Bildung der Landesregierung gegenüber dem Ministerrat fungieren solle.666 Am 8. August beschloss die Regierung schließlich definitiv, dass binnen einer Woche für jedes zu bildende Land ein Landessprecher benannt sein müsse.667 In Sachsen schlug Krause daraufhin in Abstimmung mit den Regierungsbevollmächtigten der Bezirke Chemnitz und Dresden Günter Kleinschmidt (DA) als Landessprecher vor.668 Das 663 Rottenburger Erklärung zur Länderbildung in der DDR vom 6. 4.1990 (Dok. 39). Siehe Kap. 4.1.6. 664 SMBW, Abteilung I: Vermerk für Lothar Späth zum Gespräch mit Klaus Reichenbach am 28. 6.1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). 665 Beschluss des Ministerrates der DDR 24/17/90 vom 8. 8.1990 zur Information über die Beratung mit den Regierungsbevollmächtigten in den Bezirken am 30.7.1990 (Dok. 115). 666 Vorschlag für einleitende Bemerkungen des Ministers im Amt des Ministerpräsidenten, Klaus Reichenbach, anlässlich der Beratung des Ministerpräsidenten mit den Regierungsbevollmächtigten am 30. 7.1990 (BArch B, DO 5, 8). 667 Beschluss des Ministerrates der DDR 24/17/90 zur Information über die Beratung mit den Regierungsbevollmächtigten in den Bezirken am 30. 7.1990 vom 8. 8.1990 (Dok. 115). 668 Rudolf Krause an Manfred Preiß vom 14. 8.1990 (RPL, AZ 0141.0).

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hing möglicherweise damit zusammen, dass er sich zu diesem Zeitpunkt selbst Hoffungen machte, als CDU-Spitzenkandidat für das Amt des Ministerpräsidenten nominiert zu werden.669 Kleinschmidt erinnert sich, dass Krause ihn deswegen unverbindlich gefragt habe; nach einem Kurzurlaub sei Krause dann aber selbst nominiert gewesen. Wahrscheinlich sei er als DA-Aktivist für den CDULandesvorstand, in dem die alten Kräfte den Ton angaben, doch nicht der richtige Kandidat gewesen, möglicherweise hätten sich auch Vaatz und Steinbach gegen ihn ausgesprochen.670 Welche Rolle Preiß den Landessprechern beimaß und wie er sie an die Regierung zu binden gedachte, zeigte seine Vorlage vom 20. August, wonach diese künftig mit beratender Stimme an den Sitzungen des Ministerrates teilnehmen sollten.671 In welche Richtung seine Initiative ging, zeigte sein Vorschlag, bei der Bundesregierung für die künftigen Länder Länderbeauftragte als Provinzialminister zu ernennen. Offensichtlich konnte sich Preiß mit seiner Vergangenheit als führender LDPD-Funktionär des zentral gelenkten SED-Staatsapparates überhaupt nicht vorstellen, dass es Länder geben sollte, die nicht von der Zentralregierung gelenkt werden würden. Der Vorschlag wurde von der Bundesregierung freilich zurückgewiesen. Nach dem 3. Oktober, so Preiß am 23. August bei einer Besprechung mit den Landessprechern, werde es vielmehr Bevollmächtigte der Bundesregierung in den Ländern geben. Selbst ihm als zuständigem Minister sei unklar, „ob diese Bevollmächtigten die Länderbeauftragten sind oder ob sie von Bonn direkt benannt werden“.672 Auch an anderer Stelle wurde das Interesse von Preiß erkennbar, die Kontrolle über den Länderbildungsprozess nicht aus der Hand zu geben. Um die Länderbildung vorzubereiten und die Lage vom 14. Oktober bis zur Amtsübernahme durch die Ministerpräsidenten der Länder zu beherrschen, waren seines Erachtens „Beratungen mit den Landessprechern erforderlich, um die erforderlichen Übergangsschritte gemeinsam zu gehen“. De Maizière, so ließ er keinen Zweifel, habe ihn beauftragt, „den Aufbau der Länder zu kontrollieren“ und den Regierungschef zu informieren. Dazu habe er in seinem Ministerium spezielle Länderbeauftragte eingesetzt.673 Nicht nur durch die Benennung von Landessprechern, die, flankiert von den Länderbeauftragten im Ministerium für regionale und kommunale Angelegenheiten, direkt in die Regierung eingebunden waren, auch auf gesetzlichem Wege und durch die Ausarbeitung eigener Strukturpläne für die entstehenden Länder griff die Regierung immer wieder auch in den sächsischen Landesbildungsprozess ein. Dabei handelte es sich einerseits um unerlässliche Koordinierungen im 669 Siehe Kap. 5.4.1. 670 Schriftliche Auskunft Günter Kleinschmidt vom 22. 7. 2003. 671 Ministerrat der DDR: Sitzungsmaterial. Titel der Vorlage: Teilnahme der Landessprecher der zu bildenden Länder an den Sitzungen des Ministerrates vom 20. 8.1990, gez. M. Preiß (BArch B, DC 20, 11625). 672 BVB Erfurt: Festlegung aus der Dienstberatung der BVB mit den Leitern der Ressorts am 27. 8.1990 (ThHStA, RdB, 044694). 673 Notiz über die Beratung des Ministers für regionale und kommunale Angelegenheiten mit den Landessprechern am 23. 8.1990 (BArch B, DC 20, 6137).

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Übergang vom zentralistisch strukturierten Einheitsstaat zu föderativen Strukturen, andererseits ging es dabei aber auch darum, DDR-Regierungsinstitutionen samt Personal in die künftigen Landesstrukturen zu transplantieren. Das zeigte der Paragraph 22 des Ländereinführungsgesetzes, wonach mit der Bildung der Länder „Verwaltungsorgane und sonstige der öffentlichen Verwaltung oder Rechtspflege dienenden Einrichtungen der Republik“ samt Personal auf die Länder übergehen sollten, soweit sie Aufgaben wahrgenommen hatten, die später Ländersache wurden.674 Dieser Passus wurde später wegen des damit intendierten Eingriffs in Länderkompetenzen dank bundesdeutscher Intervention und sächsischer Proteste nicht in den Einigungsvertrag übernommen.675 Aber auch mit konkreten Vorschlägen zur Struktur der künftigen Landesverwaltungen bemühte sich die kurz vor ihrem Ende stehende Regierung in den Länderbildungsprozess derart einzugreifen, dass der Eindruck unvermeidlich war, es gehe vor allem darum, Teile des eigenen Apparates zu versorgen. Während derartige Interventionen in anderen Bezirken möglicherweise auf Gegenliebe stießen, weil, wie vom Vertreter Hessens bei einer Unionsvorbesprechung der Chefs der Staatskanzleien am 25. Juli festgestellt, „der Aufbau der Verwaltung auf Landes- und Kommunalebene in der DDR noch erhebliche Defizite aufweise“,676 war man in Sachsen Dank der laufenden Arbeiten des Koordinierungsausschusses nicht darauf angewiesen. Hier potenzierte die eigennützig wirkende Regierungshilfe, die sich – ausgerichtet an den sonst üblichen Verhältnissen in den Bezirken – auf die Arbeit innerhalb der Ressorts der Bezirksverwaltungsbehörden bezog, den Konflikt zwischen dem Koordinierungsausschuss und parallelen, in Sachsen aber überflüssigen Strukturen in der Dresdner Bezirksverwaltungsbehörde. So fruchteten auch Bemühungen Ballschuhs wenig, Vaatz zu empfehlen, den Regierungsbeschluss zur strukturellen Einordnung und zu Kompetenzen von Beauftragten beim Ministerrat in die Überlegungen zur Bildung der Ministerien einzubeziehen.677 Auch der von Preiß Ende Juli vorgelegte erste Entwurf einer „Rahmenorientierung für einen Aufbau der Landesregierungen“, der „unter Beachtung der Strukturen der Landesregierungen in der Bundesrepublik, von Strukturentwürfen aus verschiedenen Bezirksverwaltungsbehörden oder Arbeitsgruppen zur Länderbildung sowie von Vorschlägen und Vorstellungen zentraler Staatsorgane“ erarbeitet worden war,678 wurde in Dresden zwar zur Kenntnis genommen, generell war man hier aber nicht länger bereit, als Auflagen empfundene Vorgaben der sich selbst abschaffenden Regierung umzuset674 Siehe Kap. 5.2.1. 675 Siehe Kap. 5.4.3 und 7.2.8. 676 SMBW, Abt. II an Abt. I.: Betr. Verwaltungshilfe für die DDR vom 27. 7.1990 (SMBW, 0136, Gemischte Kommission für die Zusammenarbeit des Landes BW mit Sachsen, Allgemeines). 677 BVB Dresden, Abteilung Grundsatzfragen an Leiter Bereich Koordinierung vom 27. 7. 1990 (SächsHStA, BT/RdB, 49111). 678 Ausführungen von Manfred Preiß zur Beratung mit den Regierungsbevollmächtigten zur praktischen Umsetzung des Ländereinführungsgesetzes am 30.7.1990 (BArch B, DO 5, 8).

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zen. Zu diesem Zeitpunkt, so Rößler, wurden hier Vorgaben aus Berlin kaum noch akzeptiert.679 Dies galt insbesondere bei konkreten Vorschlägen für Ministerien, die mit den eigenen Ausarbeitungen kollidierten, die konkrete Situation vor Ort kaum reflektierten und erkennbar darauf hinausliefen, DDR-Regierungsstrukturen samt Personal neue Betätigungsfelder zu erschließen. Das Vertrauen der die sächsische Landesbildung dominierenden Kräfte wurde auch nicht dadurch gewonnen, dass eine am 20. Juli von Preiß vorgelegte knapp 70-seitige „Rahmenorientierung zur Aufgabenverteilung und Organisationsstruktur der Landesverwaltungen der Länder in der DDR“680 vom Institut für Verwaltungsorganisation (IVO) erarbeitet worden war. Das IVO war ganze drei Wochen zuvor aus der SED-Kaderschmiede „Hochschule für Recht und Verwaltung“ in Potsdam-Babelsberg herausgelöst und an das Ministerium für regionale und kommunale Angelegenheiten angegliedert worden. Die neue Aufgabe der hier beschäftigten Experten für diktatorisch-zentralistische Staatsapparate sollte es nun sein, die gegen SED-Bevormundung durchgesetzten kommunalen Selbstverwaltungsorgane und -spitzenverbände zu beraten.681 Auch hier wurde deutlich, mit welcher Unbefangenheit sich führende Staatsfunktionäre des SEDStaates wie Preiß oder Ballschuh auf Struktureinheiten der untergehenden Diktatur stützten. Aber nicht nur in Sachsen herrschte Unwille, sich hinsichtlich künftiger Landesministerien von der Regierung Vorschläge machen zu lassen, die erkennbar auf eine Konsolidierung etablierter Kräfte hinausliefen. Als zum Beispiel die DDR-Minister für Bildung und Wissenschaft, Hans Joachim Meyer, und für Kultur, Herbert Schirmer, geäußert hatten, dass für einen Übergangszeitraum bis zu zwei Jahren ein zentralstaatliches Kulturministerium im Bereich der neuen Bundesländern notwendig sei, intervenierte der hessische Ministerpräsident Wallmann bei Seiters zugunsten einer uneingeschränkten Hoheit der künftigen Länder in diesen Fragen. Die Übertragung der künftigen Landeskompetenzen müsse durch die DDR-Regierung vorbereitet werden. Bundesregierung und Bundesländer hätten dafür Sorge zu tragen, dass bis zur Bildung der neuen Bundesländer keine Fakten geschaffen würden, „durch die der verfassungsrechtlich zu garantierende Wirkungskreis der Länder im Vorfeld mit präjudizierender Wirkung beschnitten“ werde.682 Waren nun aber gerade Meyers Pläne generell eher von der Sorge getragen, die Interessen der künftigen Länder zu schützen und tragbare Übergangsformen zu schaffen, galt dies für die von der Regierung vorgeschlagenen Landesministerien für Gesundheitswesen 679 Interview Matthias Rößler am 27.1.1997. 680 Institut für Verwaltungsorganisation: Rahmenorientierung zur Aufgabenverteilung und Organisationsstruktur der Landesverwaltungen der Länder in der DDR (Beratungsentwurf), vom 20. 7.1990 (BArch B, DO 5, 186). 681 Hans Joachim Meyer an Manfred Preiß vom 25. 7.1990, Anlage: Protokoll über die Umsetzung des Instituts für Verwaltungsorganisation (ebd., 12). 682 Walter Wallmann an Rudolf Seiters vom 5. 7.1990. Text in: Dokumente zur Deutschlandpolitik. Deutsche Einheit. Sonderedition aus den Akten des Bundeskanzleramtes 1989/90, S. 1308 f.

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und für Tourismus kaum.683 Beispielhaft für den Grad der Ausarbeitung von Vorschlägen künftiger Landesministerien sei auf das Vorgehen des Ministers für Bauwesen, Städtebau und Wohnungswirtschaft, Axel Viehweger, verwiesen, der im Juni ein Referat „Zusammenarbeit mit Ländern und Kommunen“ zur Unterstützung des Aufbaus der Verwaltungsbehörden für das Bau- und Wohnungswesen in den zukünftigen Ländern und Kommunen schuf. Schon zuvor hatte die Regierung in den Bezirksverwaltungsbehörden Arbeitsgruppen unter Leitung der jeweiligen Ressortleiter für Bau- und Wohnungswesen bilden lassen. Bar jeden Verständnisses für föderale Strukturen monierte das DDR-Ministerium, dass die Bezirksverwaltungsbehörden „unterschiedlich in Methode und Zeitmaß an den Aufbau und die Erarbeitung der Strukturen künftiger Landesregierungen“ herangingen, was „in der prinzipiellen Orientierung der Bezirke der DDR an den Strukturen der Verwaltungen in den grenznahen Ländern der BRD (z. B. Sachsen an Bayern und Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern an Schleswig-Holstein, Erfurt an Hessen und Rheinland-Pfalz u. a.)“ liege. Um solch ungewohnte und scheinbar auch ungewünschte Vielfalt zu unterbinden, wurde vom Ministerium für Bauwesen, Städtebau und Wohnungswirtschaft der Entwurf für die Struktur eines Landesministeriums für Bauwesen, Stadtentwicklung und Wohnungswirtschaft erarbeitet und den Bezirken als Empfehlung übergeben. Zwar betonte man pflichtgemäß, dass die Entscheidung darüber den politischen Kräften in den künftigen Landesparlamenten und -regierungen überlassen bleibe, tatsächlich aber wurde beschlossen, die Arbeiten und Entscheidungen zum Aufbau und der Struktur der zukünftigen Landesverwaltungen durch die Regierungsbevollmächtigten zu beschleunigen. Es wurde empfohlen, in Anlehnung an den Vorschlag des IfO den Aufbau eines selbständigen Landesministeriums für das Bauwesen, das Wohnungswesen und die Stadtund Dorfentwicklung zu planen und dessen Arbeitsaufnahme vorzubereiten. Um noch vor der Länderbildung vollendete Tatsachen zu schaffen, beschloss Viehweger, Grundentscheidungen darüber „in den künftigen Ländern noch im Monat August zu fällen“. Zum schnelleren Aufbau der Fachministerien in den Ländern wurde den Regierungsbevollmächtigten nahegelegt, Landesbeauftragte festzulegen. Für den Aufbau eines Landesministeriums für Bauwesen, Stadtund Dorfentwicklung und Wohnungswesen wurde „empfohlen, einen der zuständigen Bezirksressortleiter (Bau- und Wohnungswesen) als Bevollmächtigten für das jeweils zukünftige Land sofort einzusetzen, um mit Sach- und Fachkompetenz Entscheidungsvorschläge umgehend vorzubereiten“.684 In Sachsen liefen all diese Bestimmungen, angefangen von der Einsetzung eines Landessprechers bis hin zu den Vorschlägen zur Bildung von Landesverwaltungen wegen der damit intendierten Kooperation mit dem überkommenen Staatsapparat auf 683 Vgl. Vergleich der seitens der Parteien vorgeschlagenen Ministerialstruktur (Thüringen) (HAIT, KA, 53). 684 Ministerium für Bauwesen, Städtebau und Wohnungswirtschaft: Information zum Stand des Aufbaus der Verwaltungsbehörden für das Bau- und Wohnungswesen in den zukünftigen Ländern auf dem Gebiet der „noch DDR“ vom 22. 8.1990 (ebd.).

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dessen Stärkung und eine Unterminierung der Arbeiten des Koordinierungsausschusses hinaus und wurden hier schon deswegen ignoriert. Nicht nur angesichts der erkennbaren Neigung, in die Bildung der Landesverwaltung hineinzuregieren, sondern auch wegen der mit Hilfe der im Paragraphen 22 des Ländereinführungsgesetzes (LEG) geplanten Überführung von Mitarbeitern des Staatsapparates in die Landesverwaltungen wurden in Dresden Schritte unternommen, das Regierungskonzept durch eigene personalpolitische Weichenstellungen zu konterkarieren. Hier war man weder gewillt, Mitarbeiter der Regierung, noch etwa den Personalkörper der Bezirksverwaltungsbehörden widerstandslos zu übernehmen. Stattdessen wollte man durch ein offenes Ausschreibungsverfahren neues, unbelastetes Personal gewinnen. Am 8. August bildeten daher Matthias Reichenbach und Helmut Münch eine Arbeitsgruppe, die die Modalitäten für eine Stellenausschreibung ausarbeiten sollte.685 Das Vorgehen war insofern nicht gegen die Bestimmungen des Paragraphen 22 LEG gerichtet, als ein solches Ausschreibungsverfahren eine Übernahme des Personals nicht ausschloss. In der Tendenz freilich wies es in eine andere Richtung, weswegen es zur Auseinandersetzung zwischen Vaatz und Ballschuh kam. Der Regierungsbevollmächtigte war bislang davon ausgegangen, dass das Personal der Bezirksverwaltungsbehörde in die Landesverwaltung übernommen werden würde. Diese Überzeugung war eine Grundlage dafür gewesen, dem Koordinierungsausschuss in vielerlei Hinsicht freie Hand zu lassen. Nicht nur er deutete den Paragraphen 22 LEG so, dass die Räte der Bezirke bzw. Bezirksverwaltungsbehörden bislang Aufgaben erfüllt hätten, die künftig den Ländern oblagen, wodurch der Wechsel des Organisationskörpers samt Personal gesetzlich abgedeckt war. Darüber setzte sich der Koordinierungsausschuss hinweg. Vaatz erklärte Ballschuh, die Mitarbeiter der Bezirksverwaltungsbehörden könnten und müssten sich wie jedermann bewerben und würden nicht automatisch übernommen. „Da“, so Vaatz, „ist er aus allen Wolken gefallen.“686 Für die Strategen der Vaatz-Gruppe ging es um die Frage, wird der bisherige Personalkörper des DDR-Staatsapparates „die Mutter des nächsten Personalkörpers sein oder wird der neue Personalkörper praktisch eine creatio ex nihilo“. Er habe den Mitarbeitern „immer gesagt, ihr könnt alle mitmachen in der neuen Verwaltung, aber ihr müsste alleine und ohne Waffen reinkommen“ und nicht im bisherigen, SED-dominierten „Beziehungsrahmen“.687 Künftig würden alle Stellen ausgeschrieben und kein einziger einfach übernommen. Das Prinzip der Kaderauswahl wie im SED-Staat sei „ein für alle mal beendet“, ab sofort gebe es „freie Konkurrenz“. Daraufhin sei ein Sturm der Entrüstung losgebrochen. Die Altkader hätten getan, als wolle der Koordinierungsausschuss „das Land zerstören“, nur weil dieser „an einem ganz bestimmten definierten Punkt, und zwar im Herz685 Protokoll über die Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses am 8. 8.1990 (Dok. 116). 686 Interview Arnold Vaatz am 9. 6.1999. 687 Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002.

Einsetzung Landessprecher/Steuerung durch Regierung

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stück des Staates, in der mittleren Verwaltung, Konkurrenz einrichten und einen Elitenwechsel herbeiführen wollte, der kein Elitenwechsel sein musste, weil jeder das gleiche Recht zur Bewerbung haben sollte“.688 Ungeachtet der Gegenwehr legte Matthias Reichenbach Mitte August den Entwurf einer Vorgehensweise mit folgender Reihenfolge vor.689 : 1. Ausarbeitung von Stellenplänen und Stellenbeschreibungen, 2. bundesweite Ausschreibung, 3. Einstellung durch Personalausschüsse aus stellvertretenden Regierungsbevollmächtigten für Personal, Volkskammerabgeordneten aller Parteien, kommunalen Spitzenverbänden und westlichen, nicht stimmberechtigten Gutachtern. Die Strukturentwurfstätigkeit wurde von den neuen Kräften forciert, weil nur auf der Basis von Stellenplänen vorläufige Ausschreibungen gestartet werden konnten. Unklar blieb die Zusammensetzung der Personalausschüsse, die über die Eignung der Bewerber zu befinden hatten. Ein Stimmrecht für die Strukturbeauftragten, wie vom Koordinierungsausschuss ursprünglich gewünscht,690 wurde von den Volkskammerabgeordneten abgelehnt, die auf jeden Fall einbezogen werden sollten. Um ihre Zustimmung für das Vorgehen zu erhalten, wurde für den 3. September eine Beratung vorgesehen.691 Mitte August teilte Lotze mit, dass nach Einschätzung des vorliegenden Arbeitsstandes die Strukturen der Ministerien für Landwirtschaft, für Arbeit und Soziales, für Justiz und für Kultus bereits ab dem 20. August, die für Umwelt und für Finanzen ab dem 27. August und die für Wirtschaft und Verkehr sowie für Inneres nach dem 7. September zur Ausschreibung freigegeben werden könnten.692 Vor allem die Verantwortlichen für den Justizbereich drängten. Thaut bat Lotze „um eine umgehende Durchführung der Ausschreibung“, da das Justizministerium in großer Zahl integre und fachlich hoch qualifizierte Juristen benötige und zu befürchten sei, dass die Ausschreibung keine den Anforderungen genügende Besetzung ermöglichen werde.693 Das Tempo, das der Koordinierungsausschuss vorlegte, fand keinesfalls Ballschuhs Gefallen. Der Regierungsbevollmächtigte, so Kolbe, behandelte die Angelegenheit „sehr zögerlich“, was auf sein uneingestandenes Bemühen zurückzuführen sei, die Arbeitsverhältnisse der bisherigen Mitarbeiter der Bezirksverwaltung in die neuen Ministerien „hineinzuretten“.694 688 Vaatz, Die Rolle von Eliten, S. 55 f. 689 BVB, Stellv. des Regierungsbevollmächtigten für Personalfragen: Entwurf/Diskussionsgrundlage: Vorgehensweise zur personellen Besetzung künftiger Ministerien, Regierungspräsidien und nachgeordneter Ämter Sachsens. Stand: Mitte August 1990. Zit. in Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 129 f. 690 Protokoll über die Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses am 23. 8.1990 (Dok. 125). Vgl. Arnold Vaatz an Matthias Reichenbach vom 17. 8.1990. Zit. in Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 129 f. 691 Siehe Kap. 5.5.1. 692 Bericht Heidrun Lotze über den Stand der Erarbeitung ministerieller Strukturen vom 15. 8.1990 (Dok. 119). 693 Edeltraut Thaut an Heidrun Lotze vom 27. 8.1990 (HAIT, KA, 34). 694 Zur Situation im künftigen Land Sachsen. Kurzbericht aufgrund der Mitarbeit im Koordinierungsausschuss für die Landesneubildung im Monat August 1990 (SMBW, I 0305.0. 1990).

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5.3.4 Koordinierung der Arbeit zwischen Chemnitz, Dresden und Leipzig Die Landesbildung verlief in Sachsen dank der Arbeit des Koordinierungsausschusses in verschiedener Hinsicht in anderen als in den von der Regierung gewünschten Bahnen. Die Regierung musste ihre Aktivitäten hier dem aus dem Dresdner Runden Tisch erwachsenen Modell anpassen, wollte sie die Wirksamkeit der eigenen Bemühungen nicht gefährden. Die Aufgabe, die in anderen DDR-Bezirken die Ressortleiter der Bezirksverwaltungsbehörden meist auch in speziell eingerichteten Gremien der Landesbildung wahrnahmen, erfüllten in Dresden die parallel zur Bezirksverwaltungsbehörde eingerichteten Landesstrukturbeauftragten. Freilich entsprach die Aufgabenverteilung schon in Chemnitz und Leipzig eher der in der sonstigen DDR üblichen. Wie erwähnt, hatten alle drei Bezirke die Möglichkeit, für jeden in der Geschäftsordnung des Koordinierungsausschusses genannten Bereich Strukturbeauftragte zu benennen.695 In Dresden geschah dies im Laufe des Juli für sämtliche Bereiche, in Chemnitz Ende Juli und in Leipzig Mitte August, hier wie in Chemnitz aber nur für einige Bereiche.696 Die Strukturbeauftragten hatten sich in Chemnitz und Leipzig neben ihrer sonstigen Arbeit an den wöchentlichen Arbeitssitzungen des Koordinierungsausschusses zu beteiligen. Freilich kamen die Vertreter aus Leipzig und Chemnitz nicht regelmäßig, und die Teilnehmer wechselten. Die Leitung der Sitzungen, nach Kolbes Eindruck „eine Art Revolutionsrat“, lag fest in der Hand von Vaatz, der moderierte und „auch zu siebzig Prozent selber redete“.697 Auch an den Sitzungen der einzelnen Geschäftsbereiche war die Teilnahme eher sporadisch, so dass die Dresdner schon deswegen die Hauptarbeit übernahmen.698 Bedeuteten schon die wöchentlichen Beratungen angesichts der damaligen Straßenverhältnisse einen erheblichen Zeitaufwand, so konnte von einer permanenten Mitarbeit in den Strukturgruppen des Koordinierungsausschusses keine Rede sein. Für Leipziger, Chemnitzer oder Beteiligte aus anderen Regionen hätte dies bedeutet, täglich in Dresden präsent zu sein oder dort eine Wohnung anzumieten, was angesichts der Wohnungsknappheit unmöglich war. Schon deswegen war die Bereitschaft gering, sich intensiv an der Arbeit der Strukturgruppen zu beteiligen. In Leipzig, wo Kleinschmidt für die Auswahl der Strukturbeauftragten zuständig war, ergab sich ein weiteres Problem. Der DA-Aktivist hatte die Wahl, entweder altgediente Mitarbeiter des Staatsapparates des Bezirkes zu delegieren oder „die wenigen progressiven Kräfte“ aus der Bezirksverwaltungsbehörde Leipzig abzuziehen. Damit wäre eingetreten, was in Leipzig insbesondere Kleinschmidt nach Kräften zu verhindern suchte: dass nämlich die Altkader des Rates des Bezirkes allein weiter

695 Siehe Kap. 5.3.1. 696 Vgl. Tabelle 8 im Anhang. 697 Interview Manfred Kolbe am 13. 3. 2000. 698 Interview Manfred Kolbe am 16. 5. 2003.

Koordinierung Chemnitz, Dresden und Leipzig

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agierten. Allein dieses Problem sprach bereits dagegen, im Koordinierungsausschuss besonders aktiv zu werden.699 In Dresden unterschied sich die Situation insofern, als die Beteiligung der neuen Kräfte am Koordinierungsausschuss zugleich Teil der Auseinandersetzung mit den Altfunktionären in der Bezirksverwaltungsbehörde war. Stärkte der Koordinierungsausschuss hier den neuen Kräften den Rücken, bestand in Chemnitz und Leipzig die Gefahr, dass eine zu intensive Mitarbeit der neuen Kräfte eher den Altkadern nützte. So war es kaum verwunderlich, dass es sich beim Kern des Koordinierungsausschusses um in Dresden Ansässige handelte. Kolbe etwa ist aus Leipzig oder Chemnitz niemand in Erinnerung, der ständig anwesend war.700 In Stuttgart konstatierte man, dass „die beiden übrigen Bezirke“ bezüglich der Landesbildung „nur als Korrektiv“ und „Regionallobby“ auf die „Dresdner Planung“ reagierten.701 So monierten die Chemnitzer und Leipziger zwar immer, unterrepräsentiert zu sein und von den Dresdnern dominiert zu werden, tatsächlich war dies aber „nie so hundertprozentig ernst gemeint“.702 Eine Ursache für den immer wieder aufflammenden Streit war außerdem – neben in der Geschichte wurzelnden Konkurrenzen der drei sächsischen Zentren – die Tatsache, dass es sich beim Koordinierungsausschuss in der Tat um kein paritätisches Gremium der drei Bezirke, sondern in formaler Hinsicht um einen Stellvertreterbereich des Dresdner Regierungsbevollmächtigten handelte. Darauf wurde in einer Notiz aus der Chemnitzer Bezirksverwaltung hingewiesen, in der es hieß, wenn Vaatz durch übereinstimmende Auffassung der drei Regierungsbevollmächtigten Leiter des Koordinierungsausschusses geworden sei, verbiete sich die gleichzeitige Ausübung der Tätigkeit als Stellvertreter des Regierungsbevollmächtigten für Länderbildung. Durch diese Anbindung entstünden „solche irrigen Annahmen, dass sämtliche Strukturbereiche des Koordinierungsausschusses durch Dresden zu leiten“ seien. Das entspreche „keiner demokratischen Arbeit und gleichberechtigten Stellung von Leipzig, Dresden und Chemnitz“. Der Koordinierungsausschuss, so die stets wiederholte Chemnitzer Argumentation, müsse Arbeitsgremium der drei Regierungsbevollmächtigten „zu gleichen Teilen“ sein.703 Nun war der Koordinierungsausschuss in Dresden nicht in einer wie auch immer gearteten Frontstellung gegen die anderen Bezirke entstanden, sondern seine Herausbildung der spezifischen Entwicklung am Dresdner Runden Tisch geschuldet. Die Arbeit war nun einmal in Dresden angesiedelt. „Wir wollten uns“, so Kolbe, „da nicht etwas heraus nehmen.“704 Auch 699 Interview Günter Kleinschmidt. 700 Interview Manfred Kolbe am 16. 5. 2003. 701 Zur Situation im künftigen Land Sachsen. Kurzbericht aufgrund der Mitarbeit im Koordinierungsausschuss für die Landesneubildung im Monat August 1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). 702 Interview Albrecht Buttolo am 18.10.1999. 703 Betrifft Geschäftsordnung „Koordinierungsausschuss“ vom 22. 8.1990 (SächsStAC, BVB, 152198). 704 Interview Manfred Kolbe am 16. 5. 2003.

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in Chemnitz und Leipzig „war eigentlich allen klar“, dass Dresden Landeshauptstadt werden würde und damit dort auch der Schwerpunkt der Tätigkeiten liegen musste. Klar war auch, dass formal alle Mitwirkungsmöglichkeiten gegeben waren und genutzt werden konnten und es abhängig von der Mitwirkungsbereitschaft der Chemnitzer und Leipziger auch tatsächlich „ein echtes Mitwirken“ aus den zwei anderen Bezirken gab.705 Nach anfänglichen Irritationen, sei man, so der Chemnitzer DA-Sprecher Wieland Orobko, „wirklich gut mit den Dresdnern ausgekommen“. Die mangelnde Kooperation habe weniger an den Dresdnern gelegen. „Die“, so Orobko, „wollten nur ihre Ziele erreichen, und das haben sie erreicht“. Dabei hätten sie „äußerst akkurat und äußerst gut“ gearbeitet und damit schon zu Zeiten begonnen, als noch keineswegs klar war, wohin die Entwicklung läuft. Anfänglich hätten sie damit sogar ihre Freiheit riskiert. Akteure wie Vaatz, Münch oder Rößler hätten immer gesagt, „ihr sitzt alle und quatscht, wir machen es einfach.“ Orobko weiter: „Das waren Typen, die wirklich weiter gedacht haben, als viele andere. Mit diesen Leuten zusammen zu arbeiten war sehr gut. Wir waren ja alle nicht mehr als deren Helfer.“706 Deswegen, so auch Reiner Schrenker, war es zwar in der Tat so, dass die Gruppe um Vaatz relativ eigenmächtig vorging, was aber der einzig gangbare Weg gewesen sei, um mit den Vorplanungen möglichst weit zu kommen.707 Am 9. August beriet Lotze mit den Strukturbeauftragten für Länderbildung den Arbeitsstand. Sie erläuterte Grundsätze zur Herangehensweise an die Erarbeitung der Materialien zu den Ministerien, Regierungsbezirken und nachgeordneten Einrichtungen.708 Viel Zeit verblieb den Landesstrukturbeauftragten nicht, denn bereits am 14. August war Abgabetermin. Am 20. August sollte die Struktur den Volkskammerabgeordneten vorgestellt und im Anschluss die Abteilungs- und Referatsleiterstellen bereits deutschlandweit ausgeschrieben werden.709 Am 16. August beriet der Koordinierungsausschuss unter anderem die Struktur der ministeriellen Verwaltung und den Stand der Erarbeitung von Gesetzesentwürfen.710 Es herrschte Einigkeit, acht Ministerien und eine Staatskanzlei zu schaffen. Am 17. August wurde die Verantwortung zur Koordinierung der Erarbeitung der Strukturen, Geschäftsverteilungs-, Stellen- und Haushaltspläne der Sonderbehörden zwischen den drei Bezirksverwaltungsbehörden festgelegt und vereinbart, „dass die betreffenden Strukturverantwortlichen der ministeriellen Bereiche, denen die Sonderbehörden nachgeordnet sind, in diese Arbeit einbezogen werden“. Für die Oberfinanzdirektion war Kolbe (Dresden) zuständig, für die Treuhandanstalt Schmidt (Dresden), für den Liegenschaftsdienst 705 Interview Albrecht Buttolo am 18.10.1999. 706 Interview Wieland Orobko. 707 Interview Reiner Schrenker. 708 BVB Dresden, Abt. Länderbildung: Protokoll der Beratung mit den Strukturbeauftragten für Länderbildung am 9. 8.1990 (HAIT, KA, 10.1.) 709 Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Bericht vom 13.–17. 8.1990 (PB Manfred Kolbe). 710 Tagesordnung für die Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses am 16. 8.1990 (HAIT, KA, 66).

Koordinierung Chemnitz, Dresden und Leipzig

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und das Vermessungswesen Bozenhard und Berauer (Dresden) in Abstimmung mit Chemnitz und Leipzig, für die Zuordnung des Hochbauamtes Dresden und das Statistische Landesamt Kleinschmidt (Leipzig), für Justiz und Gerichtsorganisation Thaut (Dresden), für die Polizei Bozenhard und Berauer (Dresden) unter Einbeziehung eines Fachpartners aus Bayern, für Verkehrs- und Straßenwesen sowie Straßenbauämter ein noch zu benennender Vertreter aus Dresden unter Einbeziehung von Experten aus Bayern und Baden-Württemberg, für Verwaltungsschulen Bozenhard unter Einbeziehung von Claus (Chemnitz) und Kleinschmidt (Leipzig), für ein Landesamt für Braunkohlenbergbau sowie eine Bergbehörde Kleinschmidt (Leipzig), für Umweltämter und -fachanstalten Bühler (Leipzig) in Abstimmung mit Kny (Dresden), für Kultus und Oberschulämter Husemann (Dresden) sowie für Museumswesen und Kulturbeiräte ein noch zu benennender Vertreter aus Chemnitz.711 Auch hier ließ die Verteilung keinen Zweifel an der Dresdner Dominanz. Bereits am 20. August wurde beschlossen, die Stellen der Ministerien für Landwirtschaft, für Arbeit und Soziales, für Justiz und für Kultus zur Ausschreibung freizugeben. Die Umwelt- und Finanzministerien folgten am 27. August, Wirtschaft und Verkehr sowie Inneres am 7. September. Die Arbeit an der Herausbildung der Regierungspräsidien sollte bis zum 7. September abgeschlossen und die Profilierung weiterer nachgeordneter Behörden bis Ende September beendet werden.712 Am selben Tag bestätigten die Volkskammerabgeordneten des Bezirkes Dresden einstimmig die konzipierten acht Ministerien und das Modell der Staatskanzlei. Eine den Abgeordneten übergebene Entscheidungsvorlage für die Regierungsgebäude, die Landesregierung, den Landtag und die Ministerialgebäude wurde in zentralen Punkten mehrheitlich bestätigt.713 Am 23. August informierte Adler die Ressortleiter der Dresdner Bezirksverwaltungsbehörde darüber, dass die Erarbeitung ministerieller Strukturen für die Länderbildung abgeschlossen sei.714 Lotze stellte die Ergebnisse am 23. August beim Sächsischen Forum vor. Bis zum 27. August mündeten sie in einen Gesamtentwurf, wobei jeder Arbeitsstab ausführliche Erläuterungen zum Aufbau seines jeweiligen Ministeriums zugearbeitet hatte.715 Dieser Arbeitsstand wurde später an die Clearing-Stelle im Bundesinnenministerium gesandt, wo er zusammen mit Entwürfen aus Sachsen-Anhalt den anderen Ländern als Musterplan zur Verfügung

711 Protokoll über die 4. Koordinierungsberatung der stellv. Regierungsbevollmächtigten für die Länderbildung der BVB Leipzig, Chemnitz und Dresden am 17. 8.1990 in Dresden (ebd., 68). 712 Bericht von Heidrun Lotze über den Stand der Erarbeitung ministerieller Strukturen vom 15. 8.1990 (Dok. 119). 713 Festlegungsprotokoll der Beratung des Regierungsbevollmächtigten für den Bezirk Dresden mit den Volkskammerabgeordneten am 20. 8.1990 (Dok. 122). 714 BVB Dresden, Stellv. des Regierungsbevollmächtigten für Verwaltung: Protokoll der Dienstberatung mit den Ressortleitern am 23. 8.1990 (SächsHStA, 47462, Bl. 21). 715 Koordinierungsausschuss Land Sachsen: Entwurf – Struktur und Aufgaben der Ministerien im künftigen Land Sachsen vom 27. 8.1990 (HAIT, KA, 10.5).

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gestellt wurde.716 In dem Entwurf waren bei einigen Ministerien kleinere Veränderungen vorgenommen worden. Für das Innenministerium waren nur noch fünf Abteilungen vorgesehen. Das Verkehrswesen wurde dem Wirtschaftsministerium, Landesentwicklung und Raumordnung dem Umweltministerium zugeordnet. Noch nicht aufgeführt war zu diesem Zeitpunkt die Struktur und Geschäftsverteilung nachgeordneter Behörden und Einrichtungen wie den Regierungspräsidien, Landesoberbehörden, Sonderbehörden, Anstalten und sonstigen Einrichtungen. Hier waren die Beratungen zwischen den Vertretern der Bezirke noch nicht abgeschlossen. Die Ministerien waren zu diesem Zeitpunkt wie folgt gegliedert: Staatskanzlei: 1. Personal/Verwaltung, EDV, 2. Bundes- und Europaangelegenheiten, 3. Richtlinien der Politik, 4. Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Medien sowie 5. Gesetzgebung und Recht; Wirtschaft und Verkehr: 1. Verwaltung und Recht, 2. Wirtschaftspolitik, 3. Regionale Wirtschaftspolitik, 4. Sektorale Wirtschaftspolitik, 5. Infrastruktur sowie 6. Verkehr; Finanzen: 1. Personal, Verwaltung, Organisation, 2. Haushalt, 3. Steuern, 4. Vermögen und 5. Staatlicher Hochbau; Justiz: 1. Personal- und Justizverwaltung, 2. Öffentliches Recht und Zivilrecht, 3. Strafrecht sowie 4. Justizvollzug und Landesjustizprüfungsamt / Aus- und Fortbildung; Inneres: 1. Allgemeine Verwaltung, 2. Verfassung, Recht, Kommunalangelegenheiten, Archiv-, Sparkassenwesen, 3. Landespolizeipräsidium, 4. Katastrophen-, Zivilschutz, Feuerwehren, Vermessungswesen, Rettungsdienst sowie 5. Baurecht, Städtebau, Wohnungswesen, Denkmalpflege; Umwelt und Landesentwicklung: 1. Verwaltung, Grundsatzfragen, 2. Wasser, Gewässer, 3. Abfall, Altlasten, Boden, 4. Luft, Lärm, Strahlen, 5. Naturschutz, Landschaftspflege sowie 6. Landesentwicklung, Raumordnung, Landes- und Regionalplanung; Kultus: 1. Verwaltung, Haushalt, Recht, 2. Grundsatzangelegenheiten, 3. Allgemeinbildende Schulen, 4. Berufliche Schulen, 5. Hochschulen und Wissenschaft sowie 6. Kunst und Kultur. Damit galt noch immer das von Rößler favorisierte Konzept eines einheitlichen Ministeriums, das aber ohne größere Schwierigkeiten aufgegliedert werden konnte. Das Ministerium für Soziales schließlich war gegliedert in 1. Verwaltung, 2. Arbeit, 3. Sozialversicherung, 4. Familie und Soziales und 5. Gesundheitswesen. Direkt an den Ministerpräsidenten angebunden wurde eine „Leitstelle für Gleichstellungs- und Frauenfragen“.717 In einem Bericht der baden-württembergischen Berater vom 28. August hieß es, die Organisationsstrukturen der künftigen Landesministerien seien weitgehend fertig und mit den Bezirken Chemnitz und Leipzig abgestimmt. Nur ansatzweise seien bislang Strukturen für den nachgeordneten Bereich der Ministerien ausgearbeitet. 718 Am 30. August informierte sich Biedenkopf bei Krause, 716 Bundesminister des Innern an die Mitglieder der Clearingstelle vom 24. 9.1990. Zit. in Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 114 f. 717 Koordinierungsausschuss Land Sachsen: Entwurf – Struktur und Aufgaben der Ministerien im künftigen Land Sachsen vom 27. 8.1990 (HAIT, KA, 10.5). 718 Zur Situation im künftigen Land Sachsen. Kurzbericht aufgrund der Mitarbeit im Koordinierungsausschuss für die Landesneubildung im Monat August 1990 (SMBW, I 0305.0. 1990).

Koordinierung Chemnitz, Dresden und Leipzig

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Buttolo und Ballschuh über den Stand und bat um Ausarbeitungen. Er dachte zu diesem Zeitpunkt daran, sich beim Aufbau der Landesverwaltung an Hessen zu orientieren, das eine etwa gleich große Bevölkerungszahl besaß.719 Bei einer Besprechung der drei Bezirke am 31. August in Dresden wurden auch die Beratungen zur Bildung der Regierungspräsidien abgeschlossen.720 Die Landesämter und Sonderbehörden sollten wie folgt über Sachsen verteilt werden: Ein Geologisches Landesamt, die Bergakademie und ein Oberbergamt sollten in Freiberg angesiedelt werden, ein Amt für Braunkohleplanung (später Amt für Rekultivierung) in Leipzig, ein Landesamt für Reprivatisierung und Rückerstattung in Dresden, die Oberfinanzdirektion und ein Landesamt für Besoldung, Vergütung und Versorgung in Chemnitz, das Landesverfassungsgericht, das Landesarbeitsgericht und das Oberverwaltungsgericht in Leipzig, eine Zentrale Aufnahme- und Abschiebestelle für Asylbewerber in Chemnitz, das Gewerbeaufsichtsamt und ein Institut für Gerichtliche Medizin ebenfalls in Chemnitz und je ein Oberschulamt in Dresden, Leipzig und Chemnitz. Der Ort der Ansiedlung eines Landesamtes für Umweltfragen blieb offen.721 Ende August informierte Ballschuh die Regierung darüber, dass der Koordinierungsausschuss einen Entwurf der ministeriellen Strukturen erarbeitet habe.722 Am 3. September berieten die Regierungsbevollmächtigten in Dresden unter Leitung Krauses mit den Volkskammerabgeordneten der drei Bezirke. Vaatz erläuterte den Stand der Länderbildung, die Strukturbeauftragten sprachen zum Stand der Vorbereitung der Ministerien. Rößler schlug vor, das von ihm bislang einheitlich konzipierte Ministerium in eines für Kultus und Sport und eines für Bildung und Wissenschaft zu teilen. Angesichts der permanenten Versuche der Regierung, Institutionen samt Personal in die neuen Länderstrukturen zu integrieren, wurde einstimmig beschlossen, die Bezirksverwaltungsbehörde Dresden zu ermächtigen, bis zu einem Votum der sächsischen Volkskammerabgeordneten keine Verhandlungen, die den Paragraphen 22 des Ländereinführungsgesetzes betrafen, mit Ministerien der Regierung durchzuführen.723 Hier hatte die Regierung ihr Recht verankern wollen, Struktureinheiten samt Personal an die Länder abgeben zu können.724 Darin wurde ein unerlaubter Eingriff in die Hoheit der entstehenden Länder gesehen. Unterstützt von den Bundesländern gelang es, eine Aufnahme dieser Regelung in den Einigungsvertrag zu verhindern.725 Ende August zeichnete sich auch bereits ab, dass sich der Koordinierungsausschuss dank 719 Vgl. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 313 f. 720 Siehe dazu Kap. 5.3.6. 721 Protokoll der Dienstberatung des Regierungsbevollmächtigten mit den Abteilungsleitern vom 10. 9.1990 (SächsStAC, 11537). 722 Wochenbericht des Regierungsbevollmächtigten für den Bezirk Dresden an den Ministerpräsidenten der DDR vom 31. 8.1990 (HAIT, KA, 4.1). 723 Festlegungsprotokoll der Beratung der Regierungsbevollmächtigten für die Bezirke Chemnitz, Dresden und Leipzig mit den Volkskammerabgeordneten der Bezirke am 3. 9.1990 (ebd.). 724 Siehe Kap. 5.2.1. 725 Siehe Kap. 5.3.8.

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Unterstützung der westlichen Partner gegenüber der Bezirksverwaltungsbehörde Dresden politisch durchgesetzt hatte. Dazu trug auch bei, dass Biedenkopf von Anfang an klar machte, dass er sich ganz wesentlich auf dessen von westlichen Experten begleitete Arbeit stützen würde. Die wachsende Dominanz des Koordinierungsausschusses zeigte sich auch daran, dass „die Raumfrage“ mehr und mehr zu seinen Gunsten entschieden wurde. „Wir nahmen“, so Kolbe, „ein Zimmer nach dem anderen in Beschlag. Es kam ein Neuer nach dem Anderen, die alten Abteilungen wurden teilweise aufgelöst.“ Ende August besaß man schon die „Lufthoheit in der Bezirksverwaltungsbehörde“, und Ballschuh habe getan, was Vaatz wünschte.726

5.3.5 Arbeit der einzelnen Strukturbereiche des Koordinierungsausschusses Im Folgenden wird die Arbeit der einzelnen Strukturbereiche für den Zeitraum bis zur Umwandlung in Arbeitsstäbe des Koordinierungsausschusses unter Verantwortung des Landessprechers für Sachsen Ende September 1990 skizziert.727 Staatskanzlei: Als Michael Kinze mit der Arbeit begann, hatte er keine Mitarbeiter; später wurde ihm vom Koordinierungsausschuss Axel Helbig zugeordnet. Er hatte „zunächst überhaupt keine Ahnung“. Sein „einziger Lichtblick“ war die Unterstützung von Kolbe und Brückl vom bayerischen Informationsbüro, die ihm den Haushaltsplan der Bayerischen Staatskanzlei und des Staatsministeriums für Bundes- und Europaangelegenheiten zur Kenntnis gaben. Sein fehlendes Wissen auf diesem Gebiet war aber nicht Kinzes einziges Problem, versuchte Ballschuh doch „ganz intensiv“, den letzten Vorsitzenden des Rates des Bezirkes, Michael Kunze, statt seiner mit dem Posten zu betrauen. Vaatz verhinderte diese Intervention,728 hatte er mit Ballschuh doch vereinbart, für die Besetzung der Funktionen zuständig zu sein. Inhaltlich war zunächst an ein eigenes Ministerium für Bundes- und Europaangelegenheiten gedacht worden, aber bereits nach der ersten Sitzung entschied man, den Bereich in die Staatkanzlei einzugliedern.729 Am 19. Juli legte Kinze ein erstes Organigramm vor. Danach unterstanden dem Ministerpräsidenten ein Staatssekretär und ein Leiter der Staatskanzlei (Amtschef). Dem Staatssekretär war ein Sekretariat für Bundesund Europaangelegenheiten zugeordnet. Dem Amtschef unterstanden die vier Abteilungen „Richtlinien der Politik“, „Medien, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit“, „Protokoll“ sowie „Personal, Verwaltung, Information und Kommunikation“. Ihm war außerdem die Landeszentrale für politische Bildungsarbeit zu726 Interview Manfred Kolbe am 13. 3. 2000. 727 Die Beschreibung der Arbeit erfolgt zusammenhängend bis Ende September 1990, also über den sonst im Kapitel beschriebenen Zeitraum hinaus. 728 Interview Michael Kinze. 729 Protokoll der Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses vom 19.7.1990 (Dok. 96).

Strukturbereiche des Koordinierungsausschusses

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geordnet.730 Kinze wurde gebeten, das Organigramm wegen verschiedener Unzulänglichkeiten zu überarbeiten. Dabei lagen ihm verschiedene Vorschläge vor. Zum Beispiel empfahl die Regierung, einen Bereich „Raumordnung“ in die Staatskanzlei einzugliedern.731 Ende Juli beantragte der Koordinierungsausschuss beim Regierungsbevollmächtigten, die Abteilung Internationale Arbeit der Bezirksverwaltungsbehörde aufzulösen und deren Nachlass dem Koordinierungsausschuss zu unterstellen.732 Nach baden-württembergischem Vorbild sollte sie zur Staatskanzlei gehören.733 Kinze reiste Anfang August in die Bayerische Staatskanzlei, um sich helfen zu lassen. Mit Münchner Unterstützung erstellte er ein neues, ausgefeilteres Organigramm. Danach waren dem Ministerpräsidenten ein Staatssekretär und ein Amtschef der Staatskanzlei unterstellt. Die Kanzlei war in fünf Abteilungen gegliedert: 1. Personal, Verwaltung, 2. Bundes- und Europaangelegenheiten, 3. Richtlinien der Politik, 4. Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Medien sowie 5. Gesetzgebung und Recht. Hinzu kamen die Geschäftsstelle des Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Landeszentrale für politische Bildungsarbeit.734 Aus Sicht des Leiters der Abteilung Zentrale Aufgaben und Personalwesen, Roland Seyd, waren nun bisher vorhandene Unzulänglichkeiten beseitigt.735 Debatten gab es Ende August noch einmal um die Anbindung einer Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten. Am 23. August wiederholten Vertreterinnen des Unabhängigen Frauenverbandes sowie der Frauen-Plattform Dresden eine Forderung vom 4. August,736 die Leitstelle zur Gleichstellung der Geschlechter nicht in ein Ministerium für Arbeit, Gesundheit, Familie und Sozialordnung, sondern direkt dem Ministerpräsidenten zuzuordnen.737 Hier gab es offensichtlich überall in der DDR Defizite, denn am 31. August nahm die Regierungsbeauftragte für die Gleichstellung von Frauen und Männern, Marina Beyer, die erste Variante des Vorschlags zur Organisation der künftigen Länderregierungen „mit Besorgnis“ zu Kenntnis. Die Frauen- und Gleichstellungspolitik erscheine lediglich als Unterpunkt, was einen „Rückschritt in ein traditionelles Frauenbild“ bedeute. Beyer verwies auf entsprechende Standards in der Bundesrepublik, die sie als Maßstab einforderte.738

730 Organisationsplan der sächsischen Staatskanzlei, Entwurf vom 19.7.1990 (HAIT, KA, 44). 731 Protokoll der Beratung mit den Strukturbeauftragten für Länderbildung am 27. 7.1990 (ebd., 10.1). 732 Protokoll der Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses am 30.7.1990 (Dok. 110). 733 Strukturvorschlag für die Abteilung Internationale Zusammenarbeit [Eingangsdatum BVB Dresden 19. 6.1990] (HAIT, KA, 44). 734 Organisationsplan der SStK vom 8. 8.1990 (ebd., 45). Vgl. SStK. Einführende Erläuterungen zur strukturellen Gestaltung (ebd.) 735 Roland Seyd an Albrecht Buttolo vom 20. 8.1990 (SächsStAC, 152214). 736 Unabhängiger Frauenverband an Arnold Vaatz vom 4. 8.1990 (HAIT, KA, 59). 737 Schreiben an Arnold Vaatz: Antrag zur Einordnung einer Leitstelle zur Gleichstellung der Geschlechter in die Struktur der zukünftigen Landesregierung vom 23. 8.1990 (ebd.). 738 Marina Beyer an Albrecht Buttolo vom 31. 8.1990. Anlage: Bericht der Bundesregierung an den Deutschen Bundestag über die Gleichstellungsstellen in Bund, Ländern und Gemeinden, Drucksache 11/4893 vom 28. 6.1989 (SächsStAC, 152214).

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Inneres: Ende Juni hatte die Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei Dresden den Entwurf einer Aufbauorganisation für den Bereich Polizei im Innenministerium des Landes Sachsen vorgestellt, wonach die Polizei in einer Abteilung als Landespolizeipräsidium organisiert werden sollte. Beim Aufbau sei es sinnvoll, sich am baden-württembergischen Modell zu orientieren, es lägen aber keine entsprechenden Materialien vor.739 Der Strukturbereich Inneres des Koordinierungsausschusses legte am 5. Juli ein Organigramm vor, nachdem sich das Innenministerium in folgende Abteilungen gliedern sollte: 1. Allgemeine Verwaltung, 2. Verfassung, Kommunal-, Sparkassenwesen und Recht, 3. Landespolizeipräsidium, 4. Katastrophen-, Brandschutz, Rettungsdienst, Zivilschutz, 5. Baurecht, Städtebau, Wohnungswesen, 6. Raumordnung, Raumplanung, Landesentwicklung, Liegenschafts- und Vermessungswesen, 7. Eingliederung und Ausländerangelegenheiten sowie 8. Verkehr. Hier wurde angemerkt, dass letztere Abteilung nur zu bilden sei, wenn kein gesondertes Ministerium errichtet werde. Daneben wurde eine Abteilung für Verwaltungsstrukturen, Information und Kommunikation genannt, die optional auch als Stabsstelle in der Staatskanzlei vorgeschlagen wurde.740 Nach Beratungen mit Experten der Regierungen von Baden-Württemberg und Bayern forderte Peter Berauer am 20. Juli, ihm bis zum 10. August minimierte Vorschläge für die Struktur des Innenministeriums zu übergeben. Das Ministerium müsse so konzipiert sein, dass jedes Referat mit geringstem Aufwand, vielfach nur mit ein bis zwei Mitarbeitern auskomme. Das sei die Grundlage für den schrittweisen Ausbau der Verwaltung, die ohnehin dazu neige, sich auszudehnen. Die einfache Übertragung bundesdeutscher Strukturpläne auf die neue sächsische Verwaltung funktioniere nicht, weil die notwendigen Mittel fehlten. Man müsse einfach davon ausgehen, „dass wir in dem ‚noch DDR-Teil‘ unseres Vaterlandes nicht reich sind“.741 Auswirkungen auf die Struktur eines vom 24. Juli datierten Organigrammes hatte dies nicht.742 In Lotzes Bericht vom 15. August hieß es, der Bereich des Innenministeriums werde in der weiteren Arbeit mit Unterstützung aus Baden-Württemberg für eine hier noch „Gesamtministerium“ genannte Staatskanzlei und „veranlasster Hilfeleistung aus Bayern“ für den Landespolizeiaufbau profiliert. Mit den vorgeschlagenen Entscheidungen der Zuordnung des Bereiches Verkehrs und Straßenwesen in den Bereich Landesentwicklung/Raumordnung des Umweltministeriums und des Hochbauamtes in das Finanzministerium reduziere sich der Gesamtumfang des Innenministeriums. Die Bedeutung des Innenministeriums werde damit weniger im Sinne einer Infrastrukturverantwortung für das Land als mehr im Sinne ordnungspolitischer Verantwortung herausgebildet. Bezüglich der Einordnung des Aufgabengebietes Denkmalschutz und Denkmal739 BDVP Dresden: Entwurf einer Aufbauorganisation für den Bereich Polizei im Innenministerium des Landes Sachsen vom 28. 6.1990 (HAIT, KA, 53). 740 Organigramm des Innenministeriums vom 5. 7.1990 (ebd.). 741 BVB Dresden, Strukturbeauftragter für das Innenministerium des Landes Sachsen: [Anschreiben] vom 27. 7.1990, gez. Peter Berauer (ebd.). 742 Organigramm des Innenministeriums vom 24. 7.1990 (ebd., 37).

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pflege sei nach umfangreicher Diskussion die Zuordnung in die Baubehörde aus dem Gesichtspunkt der unmittelbar notwendigen Baurechtsentscheidungen vorgeschlagen worden. Damit stehe auch die Anbindung des Denkmalamtes an die Baubehörde zur Entscheidung. Als weitere nachgeordnete Einrichtungen des Innenministeriums seien das Landesarchiv und das Landesvermessungsamt vorgesehen. Die Zuordnung des Landesvermessungsamtes entscheide sich mit der Zuordnung des Aufgabengebietes Landesentwicklung/Raumordnung. Bezüglich des Liegenschaftsdienstes seien Entscheidungen zur eventuellen Zuordnung der Grundbuchverwaltung in das Gerichtswesen (Notariate) erforderlich.743 Die Darlegungen Lotzes verdeutlichen das Problem, dass für das Innenministerium als eines der klassischen Ministerien sehr unterschiedliche Lösungen hinsichtlich seiner Aufgabenstellung denkbar und, wie die unterschiedlichen Beispiele in den alten Bundesländern zeigten, auch praktikabel waren. Die Palette der Möglichkeiten reichte von einem rein ordnungspolitischen Ansatz mit Polizei, Katastrophen- und Zivilschutz sowie der Kommunalaufsicht bis hin zu einem Infrastrukturministerium, das um sämtliche planerischen Aufgabe angereichert war. Der vorgeschlagene Organisationsplan orientierte sich an den ordnungspolitischen Aufgaben und wies die planerischen Infrastrukturaufgaben den Fachministerien zu.744 Bereits ein Organigramm vom 23. August wies das Innenministerium als Ordnungsministerium ohne landesplanerische und bauwirtschaftliche Aufgaben mit fünf Abteilungen aus: 1. Allgemeine Verwaltung, 2. Verfassung, Recht, Kommunalangelegenheiten, Archiv-, Sparkassenwesen, 3. Landespolizeipräsidium, 4. Katastrophen-, Zivilschutz, Feuerwehren, Vermessungswesen, Rettungsdienst und schließlich 5. Baurecht, Städtebau, Wohnungswesen, Denkmalpflege. Pro Abteilung waren fünf bis sieben Referate vorgesehen.745 An dieser Abteilungsstruktur änderte sich bis Ende September nichts mehr.746 Mitte September meldete das Bayerische Innenministerium Bedenken gegen eine Zuordnung des Referates Verfassungsschutz zur Abteilung Landespolizeipräsidium an. Diese organisatorische Eingliederung begegne unter dem Aspekt des Trennungsgebotes erheblichen Bedenken. Nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland sei im Hinblick auf die Erfahrungen mit der Gestapo von den Alliierten eine organisatorische Trennung von Polizei und Verfassungsschutz gefordert worden. Diese organisatorische Trennung sei seither zur Selbstverständlichkeit in allen Verfassungsschutzgesetzen geworden. Weder beim Bundesminister des Innern noch bei den Innenministerien der Länder, mit Ausnahme Baden-Württembergs, sei der Aufgabenbereich Verfassungsschutz der jeweiligen Polizeiabteilung zugeordnet. Auch hier sei lediglich das Aufsichtsreferat Verfassungsschutz der Polizeiabteilung zugeordnet, nicht je743 Bericht von Heidrun Lotze über den Stand der Erarbeitung ministerieller Strukturen vom 15. 8.1990 (Dok. 119). 744 Innenministerium: Erläuterung zur strukturellen Gestaltung und zur Ressortabgrenzung (HAIT, KA, 45). 745 Organigramm des Innenministeriums vom 23. 8.1990 (ebd.). 746 Organisationsplan Innenministerium vom 28. 9.1990 (HAIT, KA, 10.3).

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doch die Durchführung der Aufgaben des Verfassungsschutzes. Man empfehle dem Land Sachsen dringend, das Referat Verfassungsschutz aus der Abteilung 3 herauszunehmen und der Abteilung 2 zuzuordnen bzw. eine eigene Abteilung zu gründen.747 Bereits im Laufe des August hatte sich gezeigt, obwohl sich Bozenhard, so Vaatz, „sehr verdient gemacht“ hatte, dass ihm das nötige Wissen fehlte, allein ein ordnungspolitisch konzipiertes Strukturministerium westlichen Zuschnitts zu entwerfen. Die Aufgaben zur Organisation des Innenressorts stellten sich sehr schnell als Kernbereich der Bildung der Staatsregierung heraus, ging es hier doch um Personalfragen für alle anderen Ministerien und insbesondere auch um das Ausschreibungswesen. Deswegen plante Vaatz eine Verstärkung, wobei er „einen verhängnisvollen Fehler“ beging. Er bat gleichzeitig Bayern und Baden-Württemberg um personelle Hilfe, woraufhin zu seiner Überraschung beide reagierten. Oftmals, so Vaatz, sei es so gewesen, dass keiner von beiden helfen konnte oder wollte; im Fall des Innenressorts aber schickten beide Berater. Aus München kam Herr Innhofer und aus Stuttgart Thomas Hirschle. „Nach langem Hin und Her“ entschied sich Vaatz für Hirschle als Landesstrukturbeauftragten, der sich dann auch als „einer der ganz wesentlichen Leute beim Aufbau der Regierung“ erwies. Freilich reagierte Bayerns Innenminister Edmund Stoiber ungehalten und orderte Innhofer zurück nach München,748 war doch klar, dass sich mit der Funktion wesentlicher politischer Einfluss verband. Probleme bereitete auch der Übergang der zentralistisch organisierten Volkspolizei zur föderalen Struktur der Landespolizei. So war noch im September unklar, ob die Grenzpolizei künftig Bundes- oder Landesangelegenheit sei.749 DDR-Innenminister Diestel machte sich noch kurz vor dem Beitritt für die alten Volkspolizeikader stark. Für Sachsen, so wies er Ballschuh Ende September an, sei der Chef der Bezirksdirektion Leipzig der Volkspolizei, Chefinspekteur Gerhard Straßenburg, „weiterhin beauftragt, die der Polizei und den anderen Organen des MdI obliegenden Maßnahmen bei der Länderbildung zwischen den betreffenden Bezirken verantwortungsbewusst zu koordinieren und Ihnen gegenüber zu vertreten“.750 Wirtschaft/Verkehr: Anfang Juli lag die Ausarbeitung von Strukturen einer künftigen Wirtschaftsverwaltung noch in den Händen des zuständigen Ressortleiter der Bezirksverwaltungsbehörde Dresden, Frank Holata. Dieser schlug Klaus Schumann Anfang Juli vor, neben baden-württembergischen auch bayerische Vorlagen zu nutzen. Zunächst gab es viele offenen Fragen wie etwa die Zuordnung eines Landesamtes für Verkehrsplanung oder des Landesvermögens747 BaySMI: Bildung des Landes Sachsen vom 17.9.1990 (BaySMI Zusammenarbeit BayernSachsen, Bl. 11f). 748 Interview Arnold Vaatz am 21. 6. 2000. 749 Festlegungsprotokoll der Beratung der Regierungsbevollmächtigten für die Bezirke Chemnitz, Dresden und Leipzig mit den Volkskammerabgeordneten der Bezirke am 3. 9.1990 (Dok. 129). 750 Peter-Michael Diestel an Siegfried Ballschuh vom 19. 9.1990 (HAIT, KA, 4.1).

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amtes. Unklar war vor allem die Einordnung des Bereiches Verkehr in das Wirtschaftsministerium wie in Bayern oder die Bildung eines eigenständigen Ministeriums. 751 Am 13. Juli legte Heidrun Lotze einen Strukturvorschlag vor, der auf einer Ratsvorlage vom 23. Mai, auf Vorschlägen von bayerischer sowie baden-württembergischer Seite sowie auf dem Prinzip basierte, in der Wirtschaftsverwaltung so wenig staatlichen Einfluss wie möglich auszuüben sowie die staatliche rahmensetzende und fördernde Tätigkeit als Hilfe zur Selbsthilfe aufzufassen. Auf Empfehlung Ballschuhs wurde auf weitere Überlegungen zu einer Angliederung des Bereiches Verkehr an das Wirtschaftsministerium verzichtet. Neben einem Amtsbereich (Zentralstelle) des Amtsleiters mit Querschnittsaufgaben waren folgende Abteilungen vorgesehen: 1. Verwaltung und Recht, 2. Wirtschaftspolitik, 3. Wirtschaftsstruktur, 4. Industrie und mittelständische Wirtschaft, 5. Energie, Bergbau, Geologie, 6. Innovation, Forschung, Technologie, und, handschriftlich von Lotze ergänzt, 7. Tourismus, Handel, Kur- und Bäderwesen. Den Abteilungen waren Landesbehörden zugeteilt. Der Zentralstelle war die Sächsische Treuhandanstalt zugeordnet, der Abteilung 2 das Kartellamt (Landesamt für Wettbewerb und Verbraucherfragen), der Abteilung 4 das Landesgewerbeamt, der Abteilung 5 das Landesoberbergamt und das Landesamt für Geologie, der Abteilung 6 das Landesprüfamt sowie das Landesamt für Mess- und Eichwesen.752 Der Vorschlag des Ressortleiters Tourismus der Bezirksverwaltungsbehörde Dresden, Dieter Bellmann, in Anlehnung an eine Vorgabe des Ministerrates vom 2. Mai ein eigenes Ministerium für Tourismus zu bilden, wurde abgelehnt753 und stattdessen am 2. August Einigkeit erzielt, im Wirtschaftsministerium eine Abteilung Tourismus einzurichten.754 Mitte Juli übernahm Herbert B. Schmidt die Leitung des Ressorts und die Funktion des Landesstrukturbeauftragten. Beide Funktionen waren schwer zu trennen, hatte doch bislang der Schwerpunkt der Ausarbeitungen zum Thema Wirtschaft beim entsprechenden Ressort der Bezirksverwaltungsbehörde gelegen. Schmidt nahm mit seiner Doppelfunktion, schnell eine Sonderstellung ein und hatte bald „in allen wirtschaftspolitischen Angelegenheiten das Sagen“. Er regierte, anders als die sonstigen Ressortleiter, so Vaatz, „wie ein Minister“.755 In Stuttgart war man denn auch der Meinung, möglicherweise den kommenden Wirtschaftsminister vor sich zu haben. Dagegen sprach aus dortiger Sicht, dass er trotz hoher Fach751 Frank Holata an Klaus Schumann vom 2. 7.1990: Aufgaben bei der weiteren Vorbereitung des Wirtschaftsministeriums (ebd., 55). 752 Diskussionsgrundlage zum Strukturvorschlag des künftigen Ministeriums für Wirtschaft Sachsens. [Handschr.:] Arbeitsstand am 13. 7.1990, Lo. (ebd.). 753 BVB Dresden: Hausmitteilung des Ressortleiters Tourismus, Dieter Bellmann, an das Wirtschaftsamt für die mittelständische Wirtschaft vom 16. 7.1990 (HAIT, KA, 44). Vgl. Heidrun Lotze an das Ressort Wirtschaft/mittelständische Industrie und Gewerbe vom 20. 7.1990 (ebd.) 754 Dieter Bellmann an Peter Adler vom 12. 7.1990: Zusammenarbeit bei Strukturfragen für das künftige Land Sachsen (HAIT, KA, 55); Dieter Bellmann an Arnold Vaatz vom 13. 8.1990 (ebd.). 755 Hermann Henke beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002.

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kompetenz und eines „erhardtschen Habitus“ über „keine überzeugende politische Ausstrahlung“ verfüge.756 Ungeachtet solch interner Bewertungen entwickelte Schmidt bald über seinen Aufgabenbereich hinausreichende Aktivitäten. Er gründete einen Gesprächskreis aller fünfzehn Wirtschaftsressortleiter der DDR-Bezirke und diskutierte mit diesen seine Entwürfe eines künftigen Wirtschafts- und Verkehrsministeriums auf Landesebene. Die Folge war, dass in allen Bezirken dieselbe Struktur „nicht appliziert, aber zumindest vorgeschlagen und auch in den meisten Fällen agitiert“ wurde.757 Da sein Einfluss auch der Regierung nicht verborgen blieb, berief ihn DDR-Wirtschaftsminister Gerhard Pohl in einen Sachverständigenrat seines Ministeriums. Als Ressortleiter setzte er zahlreiche Strukturveränderungen und damit verbundene Entlassungen von Altkadern durch, „weil natürlich auf dem Gebiet der Wirtschaft die Änderung der ordnungspolitischen Grundlagen evident war“. In einer Marktwirtschaft waren diverse Abteilungen überflüssig, so die für Planerfüllung, für Erholungswesen oder für Handel und Versorgung. Durch seine dominante Rolle und seine eigenen „Westkenntnisse“ spielten Hilfestellungen aus Bayern und Baden-Württemberg im Wirtschaftsbereich eine geringere Rolle, eher war es so, dass von Sachsen wesentliche Impulse in Richtung der anderen neuen Länder ausgingen.758 Unter Schmidts Führung wurde eine auf die künftige mittelstandsgeprägte Wirtschaftsstruktur Sachsens zugeschnittene Wirtschaftsverwaltung konzipiert. Das Ministerium sollte die Abteilungen 1. Verwaltung und Recht, 2. Wirtschaftspolitik, 3. regionale Wirtschaftspolitik, 4. sektorale Wirtschaftspolitik, 5. Infrastruktur sowie 6. Verkehr mit je fünf bis sieben Referaten umfassen.759 Unklar war Anfang August noch die Zuordnung des Bereichs Verkehr, klar war nur die komplette Zuordnung des Bereichs entweder in das Innen- oder in das Wirtschaftsministerium.760 Wenig Beachtung fand wegen ihres zu allgemeinen Charakters eine Arbeitsorientierung der DDR-Regierung vom 7. August, die für die Wirtschaftsministerien der künftigen Länder generell im Bereich eines Staatssekretärs die Abteilungen 1. Wirtschaftspolitik, 2. Wirtschaftsstruktur und -förderung, 3. Personalwesen und Verwaltung sowie im Bereich eines Parlamentarischen Staatssekretärs die Abteilungen 4. Gewerbliche Wirtschaft (Mittelstandspolitik) und 5. Spezifische Landesbedingungen empfahl.761 Am 15. Au756 Zur Situation im künftigen Land Sachsen. Kurzbericht aufgrund der Mitarbeit im Koordinierungsausschuss für die Landesneubildung im Monat August 1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). 757 Herbert B. Schmidt beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. Vgl. Die Tätigkeit von Dr. Herbert B. Schmidt in der DDR im Jahre 1990 (PB Herbert B. Schmidt). 758 Herbert B. Schmidt beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 759 Kurzbeschreibung der Organisation des sächsischen Ministeriums für Wirtschaft und Verkehr, Organigramm. Beides zugeleitet dem Stellv. des Regierungsbevollmächtigten für Landesbildung durch den Strukturbeauftragten Wirtschaft Dr. Schmidt mit Schreiben vom 6. 8.1990. Zit. in Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 122 f. 760 Untersuchung zur Einordnung des Verkehrs- und Straßenwesens in die Landesverwaltung Sachsen vom 6. 8.1990 (HAIT, KA, 55). 761 Aufgabenstellung und Struktur eines Ministeriums für Wirtschaft in den Ländern aus dem Gebiet der DDR, Entwurf vom 7. 8.1990 (ebd.).

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gust legte Schmidt einen wenig modifizierten Strukturvorschlag für ein Ministerium für Wirtschaft und Verkehr vor. Hier wurde Entscheidungsbedarf bezüglich der Zuordnung der Verwaltung des Landesvermögens einschließlich Treuhand (zu Finanzen), der Landesentwicklung und Raumordnung (maximal als Co-Referat), der Gewerbeaufsicht (zu Arbeit und Soziales), des Umweltschutzes (maximal als Co - Referat) und des Gesamtkomplexes Auswärtige Angelegenheiten (zur Staatskanzlei) angemeldet. Die Zuordnung des Bereiches Verkehrs - und Straßenwesen in das Wirtschaftsministerium wurde befürwortet. Die Struktur des Ministeriums für Wirtschaft und Verkehr könne, so Schmidt, erst nach Klärung der genannten Probleme und einer Bewertung durch Fachpartner aus Baden-Württemberg und Bayern endgültig vorgelegt werden.762 Am 21. August erklärte sich die Bezirksverwaltungsbehörde Leipzig „voll inhaltlich“ mit Schmidts Strukturvorschlag einverstanden.763 Am 23. August schlug das Kontaktbüro des Landes Baden-Württemberg in Chemnitz vor, das Ministerium wegen seiner politischen Bedeutung als ein Schwerpunktministerium zu konzipieren. Der Leiter des Kontaktbüros Baden-Württembergs im Bezirk Chemnitz, Wolfgang Fröhlich, schlug die Bildung zweier gesonderter Abteilungen für Verkehr und Straßenbau vor, die beide entweder dem Wirtschafts- oder dem Innenministerium zugeordnet werden sollten. Im Wirtschaftsministerium sollte eine zusätzliche Abteilung „Internationale Wirtschaftspolitik“ gebildet werden.764 Ungeachtet dieser Vorschläge bestätigte am 29. August auch der stellvertretende Regierungsbevollmächtigte von Chemnitz, Horst Krüger, die Struktur des Ministeriums in ihren wesentlichen Zügen. Die nachgeordneten Einrichtungen des Ministeriums nahm er ausdrücklich davon aus, da bei diesen Ämtern und Gesellschaften „die Vorschläge der Bezirksverwaltungsbehörde Chemnitz, besonders zur Schaffung eines Landesgewerbeamtes, keine Berücksichtigung“ gefunden hätten und „grundsätzliche Aussagen über die Strukturen, Aufgaben, Arbeitsweise in den jeweiligen Bezirken“ sowie über Finanzierungen nicht enthalten seien. Krüger schlug die Bildung eines Landesgewerbeamtes mit Sitz in Chemnitz vor.765 Am 29. August empfahl Schmidt, nach angelsächsischem Vorbild und abweichend von bundesdeutschen Modellen, die Schaffung einer obersten Baubehörde für alle öffentlichen Bauten, Hochbau, Straßenbau, Wasserbau etc. Mit Hinweis auf „abschreckende Beispiele“ in der Bundesrepublik, so seine Argumentation, sei nicht einzusehen, dass in Sachsen bei der Neugründung die Chance des Neubeginns nicht genutzt werden sollte. Die etablierten Baubehörden der Länder würden natürlich für die Interessen der Weiterführung ihrer „überhöhten Strukturen“ kämpfen, aber die öffentliche Hand und 762 Bericht von Heidrun Lotze über den Stand der Erarbeitung ministerieller Strukturen vom 15. 8.1990 (Dok. 119). 763 Wolfgang Pfeufer an Herbert B. Schmidt vom 21. 8.1990 (HAIT, KA, 55). 764 Kontaktbüro des Landes Baden-Württemberg, Bezirk Chemnitz: Anmerkungen zur vorgesehenen Organisationsstruktur des sächsischen Wirtschaftsministeriums vom 23. 8. 1990 (ebd.) 765 Horst Krüger an Heidrun Lotze vom 29. 8.1990 (HAIT, KA, 61).

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der Steuerzahler würden „einem so konzipierten angelsächsichen Modell dankbar gegenüberstehen“.766 Nicht nur hinsichtlich einer obersten Baubehörde machte sich Schmidt Gedanken. In seiner Funktion hatte er auch andere nachgeordnete Behörden neu zu gestalten. Dazu gehörten die Bereiche Bergverwaltung, Mess- und Eichwesen, Materialprüfung, Landesgewerbeamt, Bank für Aufbaufinanzierung, Landesentwicklungsgesellschaft und Landeswirtschaftsförderungsgesellschaft.767 In einem Organigramm von Mitte September war schließlich die Rede von den Abteilungen 1. Verwaltung und Recht, 2. Allgemeine Wirtschaftspolitik, 3. Regionale Wirtschaftspolitik, 4. Sektorale Wirtschaftspolitik, 5. Infrastruktur sowie 6. Verkehr.768 Die Zuordnung der Abteilung Verkehr wurde seitens der Bundesregierung kritisch gesehen. Hier riet Anfang September der neue Minister für Post- und Fernmeldewesen, Hans-Jürgen Niehof, für das Land Sachsen von der Bildung eines Ministeriums für Verkehr sowie für Post- und Fernmeldewesen ab.769 Finanzen: Die Rahmenbedingungen für den Aufbau einer Finanzverwaltung in der DDR wurden mit der Vereinbarung über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion am 1. Juli gesetzt. Ziel war es nun, neben der D-Mark das bundesdeutsche Steuerrecht in der DDR schrittweise und ab dem 1. Januar 1991 im Wesentlichen die bundesdeutsche Steuergesetzgebung einzuführen, um auf dieser Grundlage die praktischen Arbeiten zur Festsetzung und Erhebung der Steuern der Republik und in den Ländern zu gewährleisten.770 Bereits Anfang Juni hatten die Finanzminister und Finanzsenatoren der Bundesländer DDR-Finanzminister Walter Romberg angeboten, auch auf Bezirksebene Unterstützung durch Steuerbeamte der Länder zu gewähren.771 Auf dieser Grundlage übernahm Manfred Kolbe die Aufgabe des Landestrukturbeauftragten für Finanzen und beteiligte sich am 19. Juli erstmals an einer Besprechung des Koordinierungsausschusses. Er blieb zwar offiziell Büroleiter des bayerischen Informationsbüros und wurde von München bezahlt, wuchs aber im Laufe des Juli und August immer mehr in diese Funktion hinein. Unter seiner Verantwortung wurden Strukturpläne für ein Finanzministerium und eine nachgeordnete Verwaltung nach bayerischem Vorbild ausgearbeitet.772 Dank seiner Kompetenz nahm er aus Stuttgarter Sicht bald, wie Schmidt für den Wirtschafts766 Strukturbeauftragter für das Sächsische Wirtschaftsministerium, gez. Schmidt: Oberste Baubehörde als nachgeordnete Behörde zum Wirtschaftsministerium vom 29. 8.1990 (ebd., 55). 767 Die Tätigkeit von Dr. Herbert B. Schmidt in der DDR im Jahre 1990 (PB Herbert B. Schmidt). 768 Organigramm Ministerium für Wirtschaft und Verkehr; 10. 9.1990 (HAIT, KA, 45); Kurzbeschreibung der Organisation des sächsischen Ministeriums für Wirtschaft und Verkehr (ebd.). 769 Protokoll der 29. Sitzung des Ministerrates am 5. 9.1990 (BArch B, DC 20, 11626). 770 Werner Skowron an Siegfried Ballschuh vom 27. 8.1990 (HAIT, KA, 23). 771 Bundesrat, Finanzausschuss: Ergebnisniederschrift über die Finanzministerkonferenz am 7. 6.1990 in Bonn (BFM, 105, Fz Ref, FzA, FMK, ab 24./25. 4.1990 bis 6. 9.1990). 772 Interview Manfred Kolbe am 13. 3. 2000.

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bereich, eine Sonderstellung ein.773 Am 26. Juli legte Kolbe den Entwurf eines Geschäftsverteilungsplanes des Sächsischen Finanzministeriums mit den vier Abteilungen Haushalt, Öffentlicher Dienst, Steuern und Vermögen vor.774 Wie andere Westexperten hatte Kolbe Probleme mit den Vertretern des alten Regimes. Bei einem Treffen der Finanzsamtsvorsteher der von Bayern betreuten Bezirke Chemnitz und Gera am 26. Juli in Chemnitz, an dem er und Matthias Reichenbach teilnahmen, kritisierten beide die von den Räten und Finanzminister Romberg lediglich pauschal bestätigte Personalauswahl der Vorsteher. „Nach einer Erstprüfung und auch nach Angaben der bayerischen Berater“, so Kolbe, handelte es sich „größtenteils um alte Genossen oder Blockleute“. Dadurch bestehe die Gefahr, dass diese in Zukunft ihnen genehme Leute fördern. Außerdem bestehe bislang „so gut wie keine Verbindung zwischen den Finanzämtern des Bezirkes Chemnitz und dem zukünftigen Land Sachsen“. Vielmehr scheine Romberg die sächsische Finanzverwaltung zentralistisch von Berlin aus aufbauen zu wollen, da er am 25. Juli den ehemaligen OFD-Präsidenten Gronz aus Münster (SPD) mit dem Aufbau der sächsischen Oberfinanzdirektion und des sächsischen Finanzministeriums betraut habe. „Dieses zentralistische Gebaren“ stelle einen „eklatanten Verstoß gegen die Eigenständigkeit des Landes Sachsen und den Föderalismus“ dar und stoße in Dresden auf einhelligen Widerspruch. Um in Zukunft eine stärkere Anbindung der Finanzämter an die sich herausbildende sächsische Landesregierung zu gewährleisten und auch einen gewissen Einfluss auf die Personalauswahl der Finanzämter ausüben zu können, erörterten Matthias Reichenbach und Manfred Kolbe mit dem bayerischen Berater für den Aufbau der Finanzämter im Bezirk Chemnitz, Höhn, die Möglichkeit, diesen bis zur Bildung der Landesregierung an den Koordinierungsausschuss „auszuleihen“, um landesweit und mit exekutiven Befugnissen den Aufbau der sächsischen Steuerverwaltung zu leiten. Hierdurch könne dem zentralistischen Vorgehen der Regierung Paroli geboten und dem föderalistischen Prinzip Geltung verschafft werden.775 Am 7. August legte das Ressort Finanzen der Bezirksverwaltungsbehörde Dresden einen Strukturplan vor, nachdem die sächsische Oberfinanzdirektion sowohl dem Bundesfinanzministerium als auch dem sächsischen Finanzministerium unterstehen sollte. Daneben waren dem Landesfinanzministerium ein Landesamt für Besoldung/Vergütung und Versorgung mit zwei Nebenstellen in Chemnitz und Leipzig, die Treuhandverwaltung des Landes sowie die Schuldenverwaltung des Landes nachgeordnet.776 Auf einer Besprechung der Struktur773 Zur Situation im künftigen Land Sachsen. Kurzbericht aufgrund der Mitarbeit im Koordinierungsausschuss für die Landesneubildung im Monat August 1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). 774 Entwurf eines Organisationsplans des Sächsischen Finanzministeriums vom 26. 7.1990 (HAIT, KA, 23). 775 Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Bericht vom 23.–27. 7.1990 (PB Manfred Kolbe). 776 BVB Dresden, Ressort Finanzen: Vorschlag zur Struktur der Finanzverwaltung Land Sachsen vom 7. 8.1990 (HAIT, KA, 23).

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beauftragten Finanzen am 8. August informierte Kolbe über den Beschluss des Koordinierungsausschusses, dass das Finanzministerium aus den vier Abteilungen 1. Haushalt, 2. Öffentliches Recht, 3. Steuern und 4. Vermögen bestehen sollte. Diskutiert wurde, ob das allgemeine Dienstrecht beim Finanzministerium, wie in Bayern, oder beim Innenministerium, wie beim Bund und in den übrigen Bundesländern, liegen solle. Unklar war ebenfalls die Zuständigkeit von Finanz- oder Wirtschaftsministerium für die Treuhandverwaltung. Als überflüssig abgelehnt wurde eine eigene Schuldenverwaltung Sachsens.777 Am 9. August konstituierte sich in Chemnitz der Arbeitskreis Sächsischer Bezirksbeauftragter und Bezirksberater für den Aufbau der Sächsischen Finanzverwaltung. Seine Aufgabe war es, den Aufbau einer Oberfinanzdirektion und der Finanzämter in Sachsen zu koordinieren. Bei der ersten Besprechung wurden die Probleme der Steuerverwaltung diskutiert, die sich daraus ergaben, dass die Finanzverwaltung in Sachsen von drei verschiedenen Länder, nämlich Bayern (Chemnitz), Baden-Württemberg (Dresden) und Nordrhein-Westfalen (Leipzig) aufgebaut wurde. Als Sitz einer Oberfinanzdirektion wurde Chemnitz vorgeschlagen, da auch in dieser Stadt eine bedeutende Landesbehörde angesiedelt werden müsse. Der Arbeitskreis bat den Freistaat Bayern, die Federführung bei der Konzeption und der Betreuung der Oberfinanzdirektion zu übernehmen.778 Diese Betreuung lag von nun an in den Händen von Klaus Staschik aus der Oberfinanzdirektion Nürnberg.779 Es wurde beschlossen, dem Finanzministerium folgende Einrichtungen nachzuordnen: Eine Oberfinanzdirektion mit 34 Finanzämtern, eine Landesfinanzschule für den mittleren Dienst (Beamtenfachschule für den gehobenen Dienst für die neuen Länder zentral in Gotha), ein Landesamt für Besoldung/Vergütung und Versorgung sowie die Treuhandverwaltung. Nach einem Organisationsplan für das sächsische Finanzministerium vom 13. August waren dem Minister bzw. dem Amtschef Landtags-, Kabinetts- und Pressereferate zugeordnet. Zwei Staatsekretäre sollten sich die Aufgaben teilen und sich das Ministerium in die Abteilungen 1. Personal, Verwaltung und Organisation, 2. Haushalt, 3. Steuern sowie 4. Vermögen gliedern.780 Am selben Tag legte Kolbe eine ausführliche Analyse zum Neubeginn sächsischer Finanzpolitik vor. Hier hieß es, die Ausgangslage könne dramatischer nicht sein. Sachsen sei bis zum Zweiten Weltkrieg das industrielle Kernland Deutschlands und als solches das reichste deutsche Land gewesen. Nach vierzig Jahren Sozialismus liege seine Wirtschaft am Boden, weil das Land vom SEDStaat finanzpolitisch bevormundet und ausgeplündert worden sei. Ein Neube777 Gemeinsame Besprechung der Strukturbeauftragten für Finanzen aus Dresden, Chemnitz und Leipzig am 8. 8.1990 in Dresden (ebd., 36). 778 Arbeitskreis Sächsischer Bezirksbeauftragter und Bezirksberater für den Aufbau der Sächsischen Finanzverwaltung: Ergebnisprotokoll der 1. Besprechung am 9. 8.1990 in Chemnitz (ebd., 23). 779 Manfred Kolbe: Einrichtung einer Oberfinanzdirektion für Sachsen in Chemnitz (PB Manfred Kolbe). 780 Organisationsplan des Sächsischen Finanzministeriums vom 13. 8.1990 (HAIT, KA, 36).

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ginn sei dringend erforderlich, wobei sich eine eigenständige sächsische Finanzpolitik im gesamtdeutschen Rahmen von folgenden Grundsätzen leiten lassen müsse: Sie müsse in Sachsen gestaltet und nicht wie bisher zentralistisch vorgegeben werden. Deswegen müsse das Land und auch seine Kommunen so bald wie möglich ihre Finanzhoheit erlangen. Wirtschaftspolitische Grundlage der Finanzpolitik sei die soziale Marktwirtschaft. Sachsens erste Landeshaushalte müssten sich an der schwierigen Ausgangslage orientieren und deswegen folgende Grundsätze berücksichtigen: Sparsamkeit insbesondere im Personalbereich, Vorrang der investiven vor konsumtiven Ausgaben und keine übermäßige Verschuldung. Zu den vorgesehenen Änderungen im Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern meinte Kolbe, diese seien unerlässlich, andererseits dürften sie die Teilung Deutschlands nicht über weitere Jahre und Jahrzehnte finanzpolitisch zementieren. Es gelte, das ehemalige sächsische Landesvermögen wiederherzustellen und seine Bestandteile von der DDR, den Parteien, Massenorganisationen und teilweise auch von den Kommunen zurückzufordern. Das Treuhandvermögen sollte regionalisiert und in Sachsen unter die Verwaltung des Landes gestellt werden. Die wichtigste organisatorische Voraussetzung einer eigenständigen sächsischen Finanzpolitik sei die Schaffung des Finanzministeriums, dessen Struktur weitestgehend der des alten Sächsischen Finanzministeriums bis 1933 aus vier Abteilungen gleichen sollte.781 Am 15. August wurde die von Kolbe vorgelegte Struktur durch den Koordinierungsausschuss gebilligt. Entscheidungsbedarf wurde bezüglich der Zuordnung des Hochbauamtes gesehen und, sächsischer Verwaltungstradition und Erfahrungen in der Bundesrepublik folgend, empfohlen, dieses dem Ministerium für Finanzen zuzuordnen. In der Profilierung nachgeordneter Einrichtungen wurde auf die Bildung einer Oberlandesfinanzdirektion für das Land und von Finanzämtern auf Kreisebene orientiert. Diese unteren Finanzämter waren mit Hilfe Baden-Württembergs bereits eingerichtet worden.782 Kolbe hatte neben der Erarbeitung von Strukturen der künftigen Finanzverwaltung mit Finanzministerium, Oberfinanzdirektionen und Finanzämtern auch die Aufgabe der Umstellung auf einen Länderhaushalt, das heißt das Herausrechnen künftiger Landeseinrichtungen, -personal und -aufgaben aus dem Haushalt der DDR, die Vorbereitung eines ersten Landeshaushalts für 1991 und eines Übergangshaushaltes für die letzten drei Monate des Jahres 1990. Vom 24. August datiert ein mit bayerischer Unterstützung erstellter Entwurf Kolbes eines Nachtragshaushaltes für das 2. Halbjahr 1990. Er ging von einer Überleitung des zentralen DDR-Haushaltes mit den Bezirkshaushalten zum neuen Landeshaushalt Sachsen aus.783 Am 10. September legte Kolbe Landessprecher 781 Manfred Kolbe zum Neubeginn sächsischer Finanzpolitik vom 13. 8.1990 (Dok. 118). 782 Bericht von Heidrun Lotze über den Stand der Erarbeitung ministerieller Strukturen vom 15. 8.1990 (Dok. 119). 783 Aufstellung des Entwurfs des Nachtagshaushaltsplanes für das 2. Halbjahr 1990 für den Landesbedarf der künftigen Landesstruktur (PB Manfred Kolbe). Interview Manfred Kolbe am 16. 5. 2003.

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Krause den Entwurf eines Nachtragshaushaltes 1990 und eines Staatshaushaltsplanes für 1991 zur Bestätigung vor. Dazu hieß es, im künftigen Land Sachsen bestehe die Schwierigkeit, dass der Landtag erst am 14. Oktober gewählt werde und somit frühestens Ende Oktober ein Nachtragshaushaltsgesetz Land Sachsen 1990 für den neuhinzutretenden finanziellen Bedarf des Landes Sachsen verabschieden könne. Außerdem gebe es vorher auch noch keine Landesregierung, die einen entsprechenden Haushaltsplanentwurf dem Parlament vorlegen könne. Andererseits verlange die möglichst rasch herbeizuführende Arbeitsfähigkeit des Landes Sachsen, dass bereits jetzt Vorarbeiten in Angriff genommen würden, damit möglichst umgehend der Nachtragshaushalt Land Sachsen 1990 vom neugewählten Sächsischen Landtag verabschiedet werden könne und der erste eigenständige Staatshaushaltsplan des Landes Sachsen 1991 möglichst rechtzeitig durch das Haushaltsgesetzt festgestellt werde. Das Problem sei, dass eine „vorläufige“ oder „Not-“ Haushaltswirtschaft, wie im Bundesgebiet bei verspäteter Verabschiedung des Haushaltsgesetzes üblich, im künftigen Land Sachsen 1990 weitgehend unmöglich sei, da sich diese im Wesentlichen darauf beschränke, gesetzlich bereits bestehende Einrichtungen zu erhalten und gesetzlich schon beschlossene Maßnahmen durchzuführen, rechtlich bereits begründete Verpflichtungen des Landes zu erfüllen und Ausgaben fortzusetzen, sofern durch den Haushaltsplan eines Vorjahres bereits Beiträge bewilligt worden seien. All dies komme aber in der jetzigen Situation kaum zum Tragen, da es im Wesentlichen nicht darum gehe, bestehende Einrichtungen fortzuführen, sondern neue zu gründen und Haushaltspläne von Vorjahren für das erst noch zu bildende Land Sachsen nicht vorliegen. Vor diesem Hintergrund obliege dem Landesstrukturbeauftragten Finanzen die Erarbeitung der Voreinschätzung für den künftigen Haushalt der Landesministerien und nachgeordneten Behörden unter Zugrundelegung der Zuarbeit der fachlich zuständigen Landesstrukturbeauftragten. In haushaltsmäßiger Hinsicht verfolge, so Kolbe, der Koordinierungsausschuss Land Sachsen die folgende Grundkonzeption: Der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland bei gleichzeitiger Bildung des Landes Sachsen erfordere haushaltsmäßig eine Überleitung des alten DDR-Zentralhaushaltes mit den Bezirkshaushalten zum neuen Landeshaushalt. Für das Resthaushaltsjahr 1990 solle die Überleitung in der Weise stattfinden, dass die drei Bezirkshaushalte Dresden, Leipzig und Chemnitz fortgeführt werden und zusätzlich für den Gründungsbedarf des Landes Sachsen ein vierter Haushalt als Nachtragshaushalt erstellt werde. Für das Haushaltsjahr 1991 werde dagegen vom Landtag erstmalig ein eigener Sächsischer Landeshaushalt verabschiedet werden, der alle Einnahmen und Ausgaben des Landes umfasse. Der Nachtragshaushalt Land Sachsen 1990 betreffe nur die Einnahmen und Ausgaben für die Neubildung eines funktionsfähigen Landtages, einer funktionsfähigen Staatskanzlei, von voraussichtlich acht funktionsfähigen Ministerien sowie einzelner noch bis 1990 zwingend erforderlicher nachgeordneter neuer Behörden. Alle bisher schon bestehenden Behörden und sonstigen Institutionen müssten 1990 noch in den drei alten Bezirkshaushalten veranschlagt werden. Die Finanzie-

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rung dieses Nachtragshaushaltes 1990 müsse entweder durch Einnahmen aus Zuweisungen der DDR, aus dem „Fonds Deutsche Einheit“ bzw. des Bundes oder der Länder und/oder durch Einsparungen in den drei bisherigen Bezirkshaushalten erbracht werden.784 In einem Begleitschreiben an Landessprecher Krause, in dem das Konzept vorgestellt wurde, bat Kolbe um Billigung.785 Auf Grundlage dieser Ausarbeitungen führte Kolbe schließlich zwischen dem 19. September und dem 4. Oktober Haushaltsverhandlungen mit den anderen Landesstrukturbeauftragten.786 Justiz: Als Edeltraut Thaut ihre Arbeit an einer Struktur des Justizsystems aufnahm, verfügte sie weder über ein eigenes Zimmer noch über eine Sekretärin. Sie arbeitete im Hinterzimmer eines Büros innerhalb der Bezirksverwaltungsbehörde.787 Unter erschwerten Bedingungen entstand also mit Datum vom 17. Juli ein erster Strukturvorschlag für das Justizministerium, der folgende Abteilungen vorsah: 1. Justizverwaltung, 2. Gerichtsverfassung und Rechtspflege, 3. Öffentliches und ziviles Recht, 4. Strafrecht und Gnadenrecht sowie 5. Strafbzw. Justizvollzug. Außerdem war ein Landesjustizprüfungsamt vorgesehen.788 Das Organigramm stützte sich auf Vorarbeiten eines Arbeitsstabes, der ausgehend von einer entsprechenden Festlegung des Ministeriums der Justiz der DDR in Abstimmung zwischen den drei sächsischen Bezirksgerichten und Vertretern der Staatsanwaltschaft und des Strafvollzugs gebildet worden war und sich vor allem am Modell Baden-Württemberg orientierte.789 Im Laufe des August übernahm Eberhard Stilz aus dem baden-württembergischen Justizministerium immer stärker die Aufgaben Thauts. Nach dem der Koordinierungsausschuss in Stuttgart um Unterstützung beim Aufbau des Rechtswesens, der Justiz und eines funktionierenden Grundbuchwesens gebeten hatte, war Stilz „einfach losgefahren mit einem Kofferraum voll Unterlagen“ und mit einer Schreibmaschine und hatte sich bei Vaatz und Ballschuh gemeldet. Er empfand seine Aufgabe auch deswegen als Herausforderung, weil es noch die alte DDR-Justiz gab, die „völlig orientierungslos“ und verunsichert war und seinen Rat suchte.790 Mitte August konnte Heidrun Lotze verkünden, dass die Profilierung des Ministeriums für Justiz von nun an durch seine aktive persönliche Unterstützung erfolge. In der weiteren Tätigkeit werde an der Herausbildung des Gerichtsaufbaus gearbeitet. Dabei waren unter anderem Fragen nach der Ansiedlung der Gerichtsbarkeiten und deren Zuordnung zu den ministeriellen Bereichen, insgesamt zum Justizministerium oder fachressortbezogen, zu entscheiden. Ein 784 Koordinierungsausschuss Land Sachsen, Landesstrukturbeauftragter Finanzen: Grundkonzeption für den Nachtragshaushalt 1990 und den Staatshaushaltsplan 1991 des Landes Sachsen vom 10. 9.1990 (SächsHStA, BT/RdB Dresden, 47 559). 785 Manfred Kolbe an Rudolf Krause vom 10. 9.1990 (HAIT, KA, 23/1). 786 Manfred Kolbe an alle Landesstrukturbeauftragten vom 13. 9.1990 (ebd., 32). 787 Interview Eberhard Stilz. 788 Modell eines Ministeriums für Justiz vom 17. 7.1990 (HAIT, KA, 34). 789 Bezirksgericht Dresden, gez. Dr. Radek, an Arnold Vaatz. o. D. [ca. Juli 1990] (ebd., 24.1/2). 790 Interview Eberhard Stilz.

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neuer Entwurf über „Aufbau und Aufgaben des Justizministeriums des Landes Sachsen“ vom 23. August wurde auf der 4. Sitzung des Sächsischen Forums öffentlich vorgestellt, ebenso erste Überlegungen zum Aufbau des Gerichtswesens. Ein modifiziertes Organigramm vom September sah nun die Abteilungen 1. Personal und Justizverwaltung, 2. Öffentliches Recht und Zivilrecht, 3. Strafrecht und 4. Justizvollzug sowie Landesjustizprüfungsamt und Aus- und Fortbildung vor.791 Bis auf wenige Ausnahmen griff Stilz bei der Ausarbeitung des Organisations- und Geschäftsverteilungsplanes auf das baden-württembergische Vorbild zurück. Wie in fast allen Bundesländern wurden die Fachgerichtsbarkeiten (Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichtsbarkeit) dem Justizministerium zugewiesen, um ihre Unabhängigkeit von den an vielen Prozessen beteiligten Ressorts zu unterstreichen. In Sachsen wurde dies nun auch auf die Arbeitsgerichtsbarkeit ausgedehnt und vorgeschlagen, „ein alle Gerichtsbarkeiten umfassendes Rechtspflegeministerium“ zu errichten. Dies gelte auch für den Staatsgerichtshof (Landesverfassungsgericht) sowie für die Dienstaufsicht über den Verwaltungsgerichtshof (Verwaltungsgericht) und den Disziplinarhof, die in Baden-Württemberg aus historischen Gründen nicht dem Staatsministerium (Staatskanzlei) zugeordnet waren.792 Stilz wies darauf hin, dass das Justizministerium als oberste Justizverwaltungsbehörde und in der Person des Ministers als Regierungsmitglied ein Teil der zweiten Gewalt, der Exekutive sei, und selbstverständlich nicht zur Justiz im engeren Sinne gehöre. Es übe nicht selbst Rechtsprechungsfunktionen aus, sondern solle die Justiz verwaltungsmäßig und politisch gewährleisten. Es habe also im ursprünglichen Sinne des Wortes „Ministerium“ eine dienende Funktion.793 Bereits Ende August stand eine umgehende Durchführung der Ausschreibung auf dem Plan, benötigte das Justizministerium doch in großer Zahl integre und fachlich hochqualifizierte Juristen. Es sei zu befürchten, so Thaut an Lotze, dass die Ausschreibung bezüglich vieler Stellen keine den Anforderungen genügende Besetzung ermöglichen werde.794 Am 4. September forderten Thaut und Stilz Ballschuh dringlich auf, die Ausschreibung für das Justizministerium mit kurzer Bewerbungsfrist umgehend zu veranlassen. Das Ministerium habe keinen Vorgänger und keinen Verwaltungsunterbau. Im Oktober aber würden die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten voll auf dieses personell noch in keiner Weise geplante und ohne Ausschreibung auch nicht planbare Ministerium übergehen. Der Verantwortungsbereich umfasse so komplexe und öffentlichkeitsrelevante Bereiche wie neue Gerichtsbarkeiten, Staatsanwaltschaften, Notariate, Strafvollzugseinrichtungen und möglicherweise Grundbuchämter. Alle diese Institutionen seien im Umbruch und daher in ihrer Funktionsfähigkeit stark be791 Organisationsplan Justizministeriums vom 10.9.90 (HAIT, KA, 34) und vom 28. 9.1990 (HAIT, KA, 10.3). 792 Organisationsplan des Sächsischen Justizministeriums vom 4.9.90 (ebd., 45+49). 793 Organisationsplan Justizministerium vom 10.9.90 (ebd., 34). 794 Edeltraut Thaut an Heidrun Lotze vom 27. 8.1990 (ebd.).

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einträchtigt. Es wäre „ein grobes Organisationsverschulden“, wenn nicht rechtzeitig wenigstens für eine minimale Personalausstattung gesorgt werden würde.795 Heitmanns eher strategische Arbeiten an der Grundlegung eines sächsischen Rechtssystems und einer Landesverfassung vollzogen sich vor allem innerhalb der Arbeitsgruppe der Gemischten Kommission,796 er war aber formal auch innerhalb des Koordinierungsausschusses dafür als Landesstrukturbeauftragter tätig. Als Mitarbeiter half ihm neben einer Schreibkraft nur Jürgen Rühmann von der Führungsakademie Baden-Württemberg. Heitmann beteiligte sich auch an der parallelen Arbeit zur Justiz, die wesentlich von Stilz, seinem späteren Staatssekretär, gestaltet wurde.797 Ihm wurde in Stuttgart eine politische Zukunft als Justizminister vorausgesagt, hielt man ihn hier doch für einen „hochintelligenten, eigenständigen (aber auch eigenwilligen) Reformpolitiker“, der über „persönliche Ausstrahlung und erhebliches rhetorisches Geschick“ verfüge.798 In seiner Zuständigkeit für den künftigen sächsischen Gesetzescorpus erhielt Heitmann Anfang Juli unter anderem den Auftrag, ein Landesverwaltungsgesetz zu erarbeiten.799 Er hatte aber auch die anderen Arbeiten an Landesgesetzen zu koordinieren, an denen in verschiedenen Strukturbereichen für die Ministerien gearbeitet wurde. Das galt zum Beispiel für den Entwurf eines sächsischen Landespolizeigesetzes, der das Ergebnis der Arbeit der „Arbeitsgruppe Polizeirecht und -organisation“ der Gemischten Kommission unter Leitung von Rudi Rödszus war,800 für den Entwurf eines Sächsischen Datenschutzgesetzes, den Mitte August Frau Hillig vorlegte,801 für ein Gesetz über die Finanzverwaltung, eines Landesschulgesetzes, eines Landesrichtergesetzes, eines Gesetzes über den Landesrechnungshof, eines Landesplanungsgesetzes, eines Landesjagdgesetzes, eines Gesetzes über Musikschulen, eines Landesgesetzes über die Einrichtung von Ingenieurkammern, eines Landeswassergesetzes, eines Rettungsdienstgesetzes, eines Gesetzes zum Schutz archäologischer Denkmale, eines Landesarchivgesetzes und eines Denkmalschutzgesetzes.802 Es war ausgeschlossen, in kurzer Zeit die Fülle notwendiger Gesetzestexte fertig zu stellen, immerhin wurde intensiv an der Vorbereitung eines sächsischen Gesetzescorpus gearbeitet. Deswegen hatte man in Sachsen frühzeitig Interesse an baden-württembergi795 Edeltraud Thaut und Eberhard Stilz an Siegfried Ballschuh vom 4.9.1990 (HAIT, KA, 51). 796 Siehe Kap. 5.3.7. 797 Steffen Heitmann. In: Reden zum 4. Jahrestag der Gründung des Koordinierungsausschusses, S. 27. 798 Zur Situation im künftigen Land Sachsen. Kurzbericht aufgrund der Mitarbeit im Koordinierungsausschuss für die Landesneubildung im Monat August 1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). 799 Abteilung 4: Bildung der Landesregierung vom 6. 7.1990 (RPL, 0202.1). 800 Rudi Rödszus (Hg.): AG „Polizeirecht und -organisation“ in der Gemischten Kommission Sachsen / Baden-Württemberg, Entwurf eines Landespolizeigesetzes, o. D. (HAIT, KA, 66). Vgl. Sächsische Zeitung vom 11. 7.1990. 801 Entwurf Sächsisches Datenschutzgesetz (SDSG). Hinweise und Vorschläge an Frau Dr. Hillig (HAIT, KA, 52). 802 Entsprechende Vorarbeiten und Entwürfe finden sich in: HAIT, Heitmann, Arbeitsstab Verfassung/Recht, Gesetzesentwürfe),

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schen und bundesrepublikanischen Gesetzestexten bekundet, woraufhin BadenWürttemberg einen umfangreichen Literaturservice eingerichtet hatte. Dadurch konnten zum Beispiel Landes- und Kommunalverfassungen unmittelbar in die Diskussion von Verfassungsentwürfen einfließen.803 Angesichts des allgemeinen Mankos an Gesetzesentwürfen wurde Heitmann Ende Juli gebeten, eine Liste aller ihm bekannten Gesetzesentwurfsvorhaben aufzustellen und eine Bewertung nach Prioritäten vorzunehmen.804 Anfang September forderte Vaatz auch die Strukturbeauftragten aus Chemnitz und Leipzig auf, ihm „zur bestmöglichen Abstimmung und frühzeitigen rechtlichen Würdigung“ eventuelle Entwürfe zu übersenden.805 Mit Stand vom 6. September lagen neben dem Gohrischer Verfassungsentwurf weitere Entwürfe des Koordinierungsausschusses zu Gesetzen und Anordnungen vor. Der von Iltgen geleitete Strukturbereich Landtagsvorbereitung hatte eine Geschäftsordnung des Landtages und ein Abgeordnetengesetz vorgelegt, Rößler den Entwurf eines Landesschulgesetzes, der Bereich Medien ein Rundfunkgesetz. Hinzu kam von der Arbeitsgruppe Polizeirecht und - organisation der Gemischten Kommission Sachsen / Baden-Württemberg der Entwurf eines Landespolizeigesetzes. In Arbeit waren Entwürfe zu einem Hochschulgesetz sowie zu Gesetzen über die Gerichtsorganisation, das Landesverfassungsgericht und über den Landesrechnungshof. Außerdem waren dem Koordinierungsausschuss von interessierter öffentlicher und privater Seite Entwürfe zu folgenden Gesetzen zugegangen: Denkmalschutzgesetz, Bodendenkmalschutzgesetz, Landesarchivgesetz, Landesdatenschutzgesetz, Landesrettungsdienstgesetz. Angekündigt waren Gesetzesentwürfe zum Privatrundfunkrecht.806 Wissenschaft und Bildung: Im Bereich von Kultus, Wissenschaft und Bildung stand während der gesamten Zeit der Ausarbeitung die Frage der Bildung eines einheitlichen Ministeriums für Wissenschaft und Bildung bzw. eine Trennung der Aufgabenfelder zur Diskussion. Anfang Juli legte der Ressortleiter Bildung der Bezirksverwaltungsbehörde Dresden, Manfred Hasler, den Entwurf eines Geschäftsverteilungsplanes für ein Ministerium für Bildung, Jugend und Sport vor, das er bereits im Mai ausgearbeitet hatte und merkte an, dass es aus seiner Sicht „gegenwärtig keine Änderungsvorschläge“ gäbe.807 Auf dieser Grundlage begann die Strukturgruppe ihre Arbeit. Unter der Gesamtleitung Rößlers, der Wert auf eine präzise Aufgabendelegation legte, gliederte sie sich in die Bereiche Bildung, Jugend und Sport (Husemann), Kultur und Kunst (Schintlmeister) und Wissenschaft und Hochschulwesen (Rößler),808 ergänzt durch Mitglieder 803 Mengele/Lichtenthäler, Die partnerschaftliche Hilfe Baden-Württembergs, S. 196. 804 Protokoll der Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses am 30.7.1990 (Dok. 110). 805 Arnold Vaatz an die Strukturbeauftragten und die Stellv. der Regierungsbevollmächtigten für die Länderbildung der Bezirke Chemnitz und Leipzig vom 6. 9.1990. Zit. in Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 115 f. 806 Notiz für die Beratung des Koordinierungsausschusses am 6. 9.1990 (Dok. 131); Protokoll der Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses am 6.9.1990 (HAIT, KA, 68/2). 807 BVB Dresden, Ressort Bildung: Zuarbeit Manfred Hasler für AG Strukturen vom 2. 7.1990 (ebd., 50). 808 Modell einer Landesregierung Sachsen vom 9. 7.1990 (ebd., 44).

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aus den anderen Bezirken und um Berater aus Baden-Württemberg. Die Arbeit war durch die Leitung Rößlers eng mit der der entsprechenden Fachgruppe Wissenschaft und Bildung der Gemischten Kommission verbunden. Der Bereich Bildung wurde während des Sommers wesentlich durch Vorgaben der DDR-Regierung bestimmt, galt es doch, trotz des revolutionären Umbruchs eine durchgängige Schultätigkeit zu gewährleisten. Mit dem „Gesetz über das Schulwesen in den Ländern der DDR (vorläufiges Landesschulgesetz)“ wurde eine Übergangsregelung bis zum Inkrafttreten landesgesetzlicher Regelungen geschaffen.809 Nach einer entsprechenden Vorlage des Ministeriums für regionale und kommunale Angelegenheiten810 waren mit Beschluss des Ministerrates vom 30. Mai „für die Übergangszeit bis zur Herstellung der vollen Funktionsfähigkeit der Länder und bis zum Inkrafttreten landesrechtlicher Regelungen“ vorläufige Schulaufsichtsbehörden aus Landesschulämtern und den Kreisschulämtern gebildet worden.811 Landesschulrat wurde Klaus Erich Husemann, der in dieser Funktion Leiter einer im Vorgriff auf die Länderbildung gebildeten Schulaufsichtsbehörde für das Land Sachsen wurde.812 Bei ihm liefen nun sämtliche Fäden in schulpolitischen Fragen zusammen. Die Schulen konnten, so beschrieb Husemann seine Tätigkeit, im Gegensatz zu Betrieben für die Zeit des Umbaus nicht einfach geschlossen werden, sondern mussten kontinuierlich weiterlaufen. Daraus folgte die Notwendigkeit paralleler Maßnahmen wie die schrittweise Weiterentwicklung bei inhaltlichen und strukturellen Neuansätzen sowie die Akzeptanz von Übergangsregelungen und Kompromisslösungen. Die Fülle der Tagesaufgaben verlangte aus seiner Sicht eine kontinuierliche Arbeit der Behörde bis zur Bildung des Kultusministeriums. Unter seiner Verantwortung wurden politisch besonders belastete Lehrer aus Funktionsstellen entfernt, sämtliche 57 Kreisschulräte neu ernannt und Routinebeförderungen ausgesetzt, bis Sachsen selbst für Schulpolitik verantwortlich sein und neue Beförderungsrichtlinien erlassen würde. Viele Schulen erhielten neue Direktoren, bei den Erweiterten Oberschulen waren dies rund siebzig Prozent.813 Am 20. Juli legte Husemann einen Entwurf vor, nach dem der Bereich Sport in das Ressort Jugend und Gesundheit des Sozialministeriums, nicht aber ins Kultusministerium gelegt werden sollte. Zum Kultusministerium sollten nach seiner Überzeugung Schul- und Hochschulbildung, Kunst und Kultur sowie Forschung gehören.814

809 Ministerium für Bildung und Wissenschaft, Vorlage Nr. 103/90 (BArch B, DR 4, 940). 810 Beschlussentwurf: Der Bildung von vorläufigen Schulaufsichtsbehörden (Anlage) wird zugestimmt. Verantwortlich: Ministerium für Bildung und Wissenschaft, Ministerium für regionale und kommunale Angelegenheiten (ebd., 120). 811 Beschluss des Ministerrates der DDR 9/14.b/90 vom 30. 5.1990 zur Verordnung über die Bildung von vorläufigen Schulaufsichtsbehörden (BArch B, DC 20, 11627). 812 Interview Klaus Husemann. In: Sächsische Zeitung vom 20. 7.1990. 813 BVB Dresden, Landesschulrat für Sachsen, Klaus Husemann: Besprechung am 10.10.1990, hier: Situation im Schulbereich (HAIT, KA, 68/1). 814 BVB, Landesschulrat für Sachsen: 1. Entwurf für ein Kultusministerium im Land Sachsen vom 20. 7.1990 (ebd., 42).

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Für den Bereich der Hochschulen war Rößler verantwortlich. Auf seinen Antrag genehmigte Vaatz am 20. Juni die Schaffung von Arbeitsgruppen zur inhaltlichen Gestaltung einer Gesetzgebung im Hochschulbereich.815 Wie im Schulbereich wurden auch bei den Hochschulen Fragen der personellen Erneuerung heftig und kontrovers diskutiert. In einem Schreiben wies zum Beispiel Edmund Stoiber de Maizière am 16. Juli auf Versuche der PDS hin, ihren Einfluss an den Hochschulen der DDR zu erhalten.816 Dass dies nicht nur in Bayern als Problem angesehen wurde, zeigte unter anderem eine Wissenschaftlergruppe,817 die sich Anfang August an Rößler und Vaatz wandte und auch in Beiträgen in der „Union“ eine inhaltliche und personelle Erneuerung der Wissenschaftslandschaft forderte.818 Im Bereich Kultur legte Schintlmeister am 8. Juli den Strukturvorschlag für ein eigenes Ministerium für Kultur mit den Abteilungen 1. Verwaltung, Haushalt, Recht, Allgemeines, 2. Kunst, 3. Museen, Denkmalschutz und 4. Kulturpflege vor.819 Am 12. Juli setzte er sich bei Vaatz für ein eigenes Ministerium für Kultur ein.820 Damit deckten sich seine Vorstellungen mit denen Schumanns. Ein Geschäftsverteilungsplan des Ressorts Kultur der Bezirksverwaltungsbehörde Dresden sah ebenfalls ein Ministerium für Kunst und Kultur mit den Abteilungen 1. Haushalt, Personal, Recht, Verwaltung, 2. Kunst und Literatur sowie 3. Kommunale Kultur vor.821 Damit stieß Schintlmeister freilich auf den Widerstand Rößlers, der sich für ein umgreifendes Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kunst stark machte. Nach einem von ihm vorgelegten Strukturvorschlag vom 31. Juli sollte das einheitliche Ministerium sechs Abteilungen umfassen, in denen auch die Hauptbereiche Bildung, Wissenschaft und Kunst verankert waren: 1. Verwaltung, Haushalt, Recht, 2. Grundsatzangelegenheiten, 3. Allgemeinbildende Schulen, 4. Berufliche Schulen, 5. Hochschulen und Wissenschaft sowie 6. Kunst und Kultur.822 Der Entwurf wurde auch von Husemann mitgetragen, gegenüber dessen Entwurf vom 20. Juli die Zahl der Abteilungen von neun auf sechs verringert worden war.823 Die Leipziger Bezirks815 Briefwechsel zwischen Matthias Rößler und Arnold Vaatz vom 19. und 20. 6.1990 (ebd., 3.1). 816 Edmund Stoiber an Lothar de Maizière vom 16. 7.1990 (BArch B, DC 20, 6065, Bl. 47). 817 Gerhard Barkleit (Zentralinstitut für Kernforschung), Lothar Dunsch (Institut für Technologie der Polymere), Helmut Eschrig (Zentralinstitut für Festkörperphysik und Werkstoffforschung), Frank Schmidt (CDU-Volkskammerabgeordneter) und Lothar Zipser (Zentralinstitut für Kybernetik und Informationsprozesse). 818 Gerhard Barkleit an Arnold Vaatz vom 1. 8.1990 (HAIT, KA, 28). 819 Strukturvorschlag von Alexander Schintlmeister vom 8. 7.1990: Ministerium für Kultur (ebd., 50). 820 Alexander Schintlmeister an Arnold Vaatz vom 12. 7.1990 (ebd., 3.1). 821 BVB Dresden, Ressort Kultur: Geschäftsverteilungspläne für den Bereich Kunst und Kultur der Landesregierung Sachsen vom 16. 7.1990 (ebd.KA, 50). 822 Strukturvorschlag (Organisationsplan) von Matthias Rößler vom 31. 7.1990: Land Sachsen, Kultusministerium (ebd., 44). 823 BVB Dresden, Landesschulrat für Sachsen, gez. Klaus Husemann, vom 30. 7.1990 (ebd.).

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verwaltungsbehörde machte am 2. August ihrerseits Vorschläge und lehnte die Bildung eines „Riesenministeriums“ wegen der hohen Konzentration von Einrichtungen in Sachsen auf allen betreffenden Gebieten ab. Am besten seien drei Ministerien für Kultur und Kunst, für Bildung sowie für Wissenschaft und Forschung, die aber wegen des zu hohen Verwaltungsaufwands und Koordinierungsbedarfs nicht in Frage kämen. Sinnvoll sei aber die Bildung zweier Ministerien für Kultur, Kunst und Bildung sowie für Wissenschaft und Forschung.824 Nachdem die Frage der Zuordnung am 9. August nochmals strittig diskutiert worden war,825 setzte sich Rößler Mitte August mit seinem Konzept eines einheitlichen Ministeriums durch. Dieses sollte nun aus den Abteilungen 1. Verwaltung, Haushalt, Recht, 2. Grundsatzangelegenheiten, 3. Allgemeinbildende Schulen, 4. Berufliche Schulen, 5. Hochschulen und Wissenschaft sowie 6. Kunst und Kultur bestehen.826 Diese Struktur, so Lotze, sei unter Einbeziehung des Landesschulrates und weiterer Partner für die Bereiche Bildung, Wissenschaft sowie Kunst und Kultur entstanden und könne mit Redaktionsschluss 15. August als abgeschlossen betrachtet werden. Bei der Herausbildung weiterer nachgeordneter Einrichtungen werde auf die Bildung von Oberschulämtern und nachgeordneter Schulämter orientiert.827 In diesem Zusammenhang wies Husemann am 28. August Chemnitzer Vorschläge zurück, wonach die Oberschulämter in die Regierungspräsidien integriert werden sollten. Für das Land Sachsen fänden die Struktur- und Geschäftsverteilungspläne Anwendung, die in der Fachkommission Wissenschaft und Bildung der Gemischten Kommission erarbeitet worden seien. Danach sollten die Oberschulämter unter Aufsicht des Ministeriums für Bildung und Wissenschaft neben den Regierungspräsidien unabhängig bestehen bleiben.828 Bereits Anfang September war das Konzept eines einheitlichen Ministeriums wieder vom Tisch. Am 3. September schlug Rößler bei der Beratung der drei Regierungsbevollmächtigten mit den Volkskammerabgeordneten der Bezirke unter Leitung Krauses vor, zwei Ministerien zu schaffen, ein Ministerium für Kultus und Sport sowie eines für Bildung und Wissenschaft.829 Für eine andere Aufteilung plädierte der Volkskammerabgeordnete Heinrich Douffet aus Chemnitz. Da Sachsen das Land mit den meisten Hochschulen und kulturellen Institutionen im Gebiet der ehemaligen DDR sei, soll824 BVB Leipzig, Ressort Kultur, Kunst und Wissenschaft, Gerhard Rühl: Vorschlag für künftige Ministeriumsstrukturen des Landes Sachsen vom 28.1990 (HAIT, KA, 50). 825 BVB Dresden, Abt. Länderbildung: Protokoll der Beratung mit den Strukturbeauftragten für Länderbildung am 9. 8.1990 (ebd., 61) 826 Organigramm von Matthias Rößler vom 13. 8.1990 (ebd., 45). 827 Bericht von Heidrun Lotze über den Stand der Erarbeitung ministerieller Strukturen vom 15. 8.1990 (Dok. 119). 828 Klaus Husemann an Heidrun Lotze vom 28. 8.1990 (HAIT, KA, 61). Vgl. Fachkommission Wissenschaft und Bildung, AG Strukturelle Fragen: Arbeitsstandpunkte im Zusammenhang mit der Schaffung von Oberschulämtern und Staatlichen Schulämtern (ebd.). 829 Festlegungsprotokoll der Beratung der Regierungsbevollmächtigten für die Bezirke Chemnitz, Dresden und Leipzig mit den Volkskammerabgeordneten der Bezirke am 3. 9.1990 (Dok. 129).

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ten die damit vorhandenen Aufgaben unbedingt innerhalb eines selbständigen „Ministeriums für Kultur und Wissenschaft“ bearbeitet werden. Sonst bestehe für kulturelle Fragen die Gefahr einer Unterbewertung. Auch politische Überlegungen sprächen für die Trennung. Die Bildungspolitik stehe mehr als Kulturpolitik im Mittelpunkt parteipolitischer Auseinandersetzungen.830 Ende August wurde die Arbeit des Strukturbereiches durch eine unabgestimmte Aktion Schintlmeisters belastet. Am 30. August erfuhr der Koordinierungsausschuss durch die Presse,831 dass dieser eigenmächtig einen Kulturrat berufen hatte. „Die Union“ berichtete wenig später, Vertreter aus Kunst und Kultur seien durch den Landesstrukturbeauftragten für Kunst und Kultur in einen Kulturrat berufen worden. Der Sachverständigenrat solle die Strukturbildung im Landesgründungsprozess auf kulturellem und künstlerischem Gebiet begleiten.832 Die beteiligten Vertreter, Künstler und „Kulturschaffende“ waren unter der Prämisse gewonnen worden, bei der Aktion handele es sich um ein mit dem Koordinierungsausschuss abgesprochenes Vorgehen.833 Einen Tag später hatte Vaatz ein Schreiben des Büroleiters des Regierungsbevollmächtigten, Kunze, auf dem Schreibtisch, in dem dieser eine Erklärung für das unabgestimmte Vorgehen verlangte.834 Am 3. September nannte Ingo Zimmermann die Berufung eines Kulturrates durch den „Strukturbeauftragten für Kunst und Kultur“, Schintlmeister, „für einen Fall von Amtsanmaßung“. Schintlmeister habe ihm Anfang August einen Entwurf für einen vom künftigen Minister zu berufenden „Kulturrat Land Sachsen“ übergeben. Offensichtlich halte er sich selbst für den künftigen sächsischen Kultusminister.835 Nach Rücksprache mit Rößler teilte Vaatz Ballschuh noch am selben Tag mit, dass es sich bei der Initiative um „eine innerhalb des Koordinierungsausschusses nicht abgestimmte Privataktivität“ Schintlmeisters handele. Dieser sei weder befugt, sich im Namen des Koordinierungsausschusses öffentlich in der Presse zu äußern, noch Personen in Positionen zu berufen. Für die Rechtsfolgen aus dieser Gründung sei er daher selbst verantwortlich. Sein Verhalten stelle eine grobe Verletzung der Arbeitsdisziplin dar, die ihrer Methode nach den Erfolg der Vorbereitungshandlungen für die Arbeitsfähigkeit künftiger Ministerialstrukturen gefährde. Er werde umgehend Schritte unternehmen, Schintlmeisters Arbeitsverhältnis zu beenden.836 Drei Tage später beschloss der Koordinierungsausschuss, Schintlmeister die Teilnahmeberechtigung an den Arbeitsberatungen des Koordinierungsausschusses zu entziehen.837 Kolbe erinnert sich, dass er ziemlich brüsk 830 Heinrich Douffet an Arnold Vaatz vom 18. 9.1990 (HAIT, KA, 50). 831 „Kulturrat für Sachsen gebildet.“ In: Sächsische Zeitung vom 30. 8.1990. 832 Vgl. Die Union, Ausgabe Leipzig, vom 04. 09.1990 833 Interview Ludwig Güttler. 834 Michael Kunze an Arnold Vaatz vom 31. 8.1990 (HAIT, KA, 3.1). 835 Ingo Zimmermann an Siegfried Ballschuh vom 3. 9.1990. Anlage: Kulturrat Land Sachsen (ebd.). 836 Arnold Vaatz an Siegfried Ballschuh vom 3. 9.1990: Stellungnahme zur in der Presse mitgeteilten Gründung eines Kulturrates (ebd.). 837 Protokoll der Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses am 6. 9.1990 (Dok. 132).

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behandelt und regelrecht rausgeschmissen wurde: „Wir scherzten, als nächstes kommt dann die Guillotine. So eine Mischung aus Studentenparlament und Revolutionstribunal.“838 Vaatz teilte der Presse mit, dass Schintlmeister „unter anderem wegen dieses eklatanten Falls von Amtsanmaßung“ unverzüglich von den Aufgaben eines Landesstrukturbeauftragten entbunden worden sei. Ein Kulturrat könne zwar als Expertengremium zur Beratung der Regierung nützlich sein, dürfe aber keinen Vorgriff auf die Entscheidungskompetenz eines künftigen Kultusministeriums bedeuten.839 Die Mitglieder des Koordinierungsausschusses betonten, dass „der Kulturrat, der ohne Rechtsgrundlage von Dr. Schintlmeister gegründet wurde, als öffentliche Einrichtung nicht existent“ sei.840 Die beteiligten Repräsentanten des geistigen und künstlerischen Lebens Sachsens distanzierten sich von der Initiative,841 mit der sich Schintlmeister nach Rößlers Meinung Rückenwind für künftige Funktionen verschaffen wollte. Vaatz habe sich so drastisch von ihm getrennt, weil diese Aktion kein Einzelfall gewesen sei, sondern Schintlmeister stets „Sondertouren“ fuhr und „überhaupt nicht einzubinden“ war. Seine Aktion habe das Fass nur zum Überlaufen gebracht.842 Unklar ist, ob und inwieweit auch Schintlmeisters Verhandlungen mit dem Präsidium des CDU-Landesvorstandes am 7. Juli über eine mögliche Fusion der DFP mit der CDU eine Rolle spielten.843 Arbeit und Soziales: Vom 30. Juni stammt der Strukturvorschlag des Ressorts Gesundheit und Soziales der Bezirksverwaltungsbehörde Dresden für ein Sozialministerium, der auf Zuarbeiten und umfassenden Abstimmungen mit der Arbeitsgruppe Medizin der Fachgruppe Soziales der Gemischten Kommission, Fachvertretern der drei Bezirke sowie dem Sozialministerium in Stuttgart basierte.844 Ungeklärt waren zu diesem Zeitpunkt die Zuordnungen der Leitstelle für Frauenfragen, des Bereichs Jugendhilfe (bisher Ressort Volksbildung), des Bereichs Kinderkrippen (bisher Ressort Gesundheit- und Sozialwesen) und Kindergarten (bisher Ressort Volksbildung). Es wurde vorgeschlagen, diese künftig einem Referat Familienpolitik im Sozialministerium zuzuordnen. Klärungsbedarf bestand angesichts der gerade erfolgenden Umbildung der DDR-Sozialversicherung in AOK-Geschäftsstellen bei der Bildung von Trägern der Renten- und Unfallversicherung. Das galt auch für die Verantwortung über die Arbeitsge838 Interview Manfred Kolbe am 16. 5. 2003. 839 Mitteilung des Koordinierungsausschusses an die dpa (HAIT, KA, 66). 840 Protokoll der Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses am 13.9.1990 (Dok. 139). 841 Ludwig Güttler, Friedrich Wilhelm Junge, Friedrich Magirius, Kurt Masur, Werner Schmidt und Udo Zimmermann. Vgl. Sächsische Zeitung vom 30. 8.1990. 842 Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003. 843 CDU-LV Sachsen: Festlegungsprotokoll über die im Anschluss des Landesvorstandes stattgefundene Beratung des Präsidiums des CDU-LV Sachsen am 7.7.1990 (ACDP, VII012, 3915). 844 BVB Dresden, Ressort Gesundheits- und Sozialwesen: Erläuterung zum Strukturvorschlag zur Bildung eines Ministeriums für Arbeit, Gesundheit, Familie und Sozialordnung (SM) im künftigen Land Sachsen und Problemstellung vom 30. 6.1990 (HAIT, KA, 44).

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richtsbarkeit sowie die Finanzierung von Einrichtungen wie Polikliniken, Ambulatorien, staatlichen Arztpraxen, Kur- und Bädereinrichtungen, Einrichtungen des Betriebsgesundheitswesens und des Instituts für Arbeitsmedizin Chemnitz, die bislang aus dem Staatshaushalt finanziert worden waren. Vorgeschlagen wurde die Bildung von Landesoberbehörden wie eines Landesuntersuchungsamtes, eines Landesamtes für Medizinalstatistik, eines Landesinstituts für Arbeitsmedizin, eines Landesversorgungsamtes sowie nachgeordneter Einrichtungen wie bezirksgeleiteter Krankenhäuser. Die Rechtsaufsicht sollte das Ministerium bei zu bildenden Stellen wie einer Landesärzte-, Landeszahnärzte- und Landesapothekerkammer, bei Krankenkassen bzw. Krankenkassenverbänden, Versicherungsanstalten als Träger der Rentenversicherung und bei Unfallversicherungsanstalten wahrnehmen. Im zweiten Entwurf eines Geschäftsverteilungsplanes von Mitte August umfasste der Tätigkeitsbereich des Sozialministeriums zentrale Aufgaben der Gesellschafts- und Sozialpolitik, von der Frauen- und Familienpolitik, Seniorenbetreuung, Rehabilitation und Gesundheitspolitik über die Arbeitswelt bis zur Sozialversicherung. Das Ministerium sollte demnach an der Erarbeitung maßgeblicher gesetzlicher Regelungen beteiligt sein845 und sich in die Abteilungen 1. Verwaltung, 2. Arbeit, 3. Sozialversicherung, 4. Familie und Soziales sowie 5. Gesundheitswesen gliedern.846 Der Mitte August vorliegende Strukturvorschlag resultierte aus der Begutachtung mit Baden-Württemberg vorabgestimmter Varianten durch den Vertreter des Bayerischen Arbeitsministeriums, Herrn Ewald. Da alle Partner den Vorschlag bestätigten, wurde er per 15. August als abgeschlossen betrachtet. Allerdings ging die Arbeit an nachgeordneten Einrichtungen mit bayerischer Hilfe weiter. Am 10. August wurde die Herausbildung der Gewerbeaufsichtsämter als unterste Sonderbehörden konzipiert.847 Auf Wunsch von Heidrun Lotze erarbeitete eine bayerische Arbeitsgruppe in der Zeit vom 20. bis 24. August in Dresden ein Rohkonzept für die künftige Landesverwaltung für Familie und Soziales.848 Nachdem Lotze die Arbeit von Irmtraud Schirotzek wegen ihrer größeren fachlichen Kompetenz immer mehr an sich gezogen hatte, übernahm schließlich der eigens für ein paar Monate abkommandierte Reiner Schrenker vom Bayerischen Arbeitsministerium die Hauptverantwortung und wirkte dabei eng mit Lotze zusammen. Sein Bericht über die Anfangszeit der Tätigkeit Ende August/Anfang September gibt interessante Aufschlüsse über die Arbeitssituation. Schrenker fühlte sich von der Bezirksverwaltungsbehörde weitgehend allein gelassen und hatte auch keinen Zugriff auf den alten Apparat. Sein Eindruck war, dass „zwei Behörden parallel“ wirkten. Dass er keine Unterstützung von der Bezirksverwaltung erhielt, 845 2. Entwurf einer Geschäftsverteilung des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit, Familie und Sozialordnung vom 7. 8.1990 (ebd., 39). 846 Organigramm des Sozialministeriums vom 14. 8.1990 (ebd., 43). 847 Bericht von Heidrun Lotze über den Stand der Erarbeitung ministerieller Strukturen vom 15. 8.1990 (Dok. 119). 848 Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung: Aufbau einer Landesverwaltung für Familie und Soziales in Sachsen (HAIT, KA, 59).

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wunderte ihn bald nicht mehr, stellte er doch fest, dass es eine Sozialverwaltung im westlichen Sinne ebenso wenig gab wie eine Gewerbeaufsicht. Ihm schien es, als würde in der Verwaltung manch einer immer noch hoffen, dass „das Ganze wieder kippt“ und nun versuchen, sich da „durchzulavieren“ und „persönlich einen Vorteil rauszuziehen“. Er hatte nach einigen Kämpfen das frühere Büro des SED-Parteisekretärs des Rates des Bezirkes erhalten und fühlte sich hier nun von seinen Mitarbeiterinnen ausgehorcht, hatte auch den Eindruck, dass die Telefonanlage abgehört wurde. Schrenker hatte Probleme mit der Unterbringung, arbeitete von früh 7.00 Uhr bis abends 22.00 Uhr und pendelte jedes Wochenende zum Bericht ins Bayerische Arbeitsministerium.849 Landwirtschaft: Nach einem Geschäftsverteilungsplan vom 26. Juni sollte das Ministerium für Landwirtschaft über folgende Abteilungen verfügen: 1. Leitungsbüro und Verwaltung, 2. Agrarstruktur, Raumordnung und Betriebswirtschaft, 3. Landwirtschaft, 4. Markt und Ernährung, 5. Veterinärwesen, 6. Landesforstverwaltung sowie 7. Bildung und Wissenschaft.850 Da der Ressortleiter Landwirtschaft der Bezirksverwaltungsbehörde Dresden, Jürgen Gülde, seit Mitte Juli auch als Landesstrukturbeauftragter wirkte, gab es an dieser Vorlage wenig Modifizierungen. Bei einer Beratung mit den Strukturbeauftragten für Länderbildung am 9. August informierte Heidrun Lotze darüber, dass Wüst vom Bayerischen Ministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Forsten künftig als Fachberater bei der Fertigstellung der Materialien helfen werde.851 Mitte August wurde daraufhin ein Strukturvorschlag präsentiert, der mit den Fachpartnern aus Baden - Württemberg abgestimmt war, jetzt jedoch aus der Feder von Wüst kam.852 Offiziell hieß es, dass Struktur und Geschäftsverteilung „in Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Ländlichen Raum, Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Baden-Württembergs und dem Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten erarbeitet“ worden seien.853 Nach dem durch die Fachpartner aus Chemnitz und Leipzig akzeptierten Vorschlag setzte sich das Ministerium aus folgenden Abteilungen zusammen: 1. Zentralabteilung, 2. Agrarpolitik, ländliche Neuordnung und Betriebswirtschaft, 3. Bildung und Wissenschaft, 4. Landwirtschaftliche Erzeugnisse, 5. Markt und Ernährung, 6. Veterinärwesen sowie 7. Landesforstverwaltung.854 Diese Struktur änderte sich auf der Ebene der Abteilungen bis Ende September nicht mehr.855 849 Interview Reiner Schrenker. 850 BVB Dresden: Entwurf eines Geschäftsverteilungsplanes des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 26. 6.1990 (HAIT, KA, 44). 851 BVB Dresden, Abt. Länderbildung: Protokoll der Beratung mit den Strukturbeauftragten für Länderbildung am 9. 8.1990 (ebd., 61) 852 Bericht von Heidrun Lotze über den Stand der Erarbeitung ministerieller Strukturen vom 15. 8.1990 (Dok. 119). 853 Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten des Landes Sachsen: Erläuterungen zum Entwurf der strukturellen Gliederung, gez. Prof. Wüst (HAIT, KA, 45). 854 Organigramm des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten des Landes Sachsen vom 15. 8.1990 (ebd., 26). 855 Organisationsplan des Ministeriums für Landwirtschaft und Forsten vom 28. 9.1990 (ebd., 10.4).

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Umwelt: Ein erster Entwurf für ein Umweltministerium stammt aus der Dresdner Bezirksverwaltungsbehörde vom 24. Juli und sah folgende Abteilungen vor: 1. Verwaltung und Grundsatzfragen, 2. Wasserwirtschaft und Gewässerschutz, 3. Abfall, Altlasten und Bodenschutz, 4. Immissions-, Lärm- und Strahlenschutz sowie 5. Naturschutz und Landesnutzungsplanung.856 Ein ebenfalls von dort stammender, aber inzwischen mit dem Koordinierungsausschuss abgestimmter Entwurf vom 2. August ließ keine Änderungen erkennen.857 Wie in den anderen Strukturbereichen basierten auch hier die ersten Ausarbeitungen direkt auf Vorarbeiten der Bezirksverwaltungsbehörde Dresden. Der aus der Gruppe der 20 kommende Kurt Kny stützte sich aber auch auf Vorarbeiten der Gruppe der 20 in den Arbeitsgruppen der Dresdner Stadtverordnetenversammlung und auf Organigramme aus Baden-Württemberg und Bayern sowie aus anderen Bundesländern. Regelungsbedarf gab es nicht nur hinsichtlich der Ministerien, sondern auch hinsichtlich einer Struktur für die nachgeordneten Behörden. Dabei ging man von der Überlegung aus, möglichst viel Kompetenz in den kommunalen Bereich zu verlagern und dort zu bündeln.858 Mit einigen Modifizierungen sah ein Organigramm vom 13. August folgende Abteilungen vor: 1. Verwaltung und Grundsatzfragen, 2. Wasser und Gewässer, 3. Abfall, Altlasten und Boden, 4. Luft, Lärm und Strahlen sowie 5. Naturschutz und Landschaftspflege. Neu hinzu gekommen war eine sechste Abteilung für Landesentwicklung, Raumordnung sowie für Landes- und Regionalplanung. Außerdem war nun vorgesehen, dem Ministerium eine Landesanstalt für Umweltfragen als Fachbehörde zuzuordnen.859 An dieser Struktur änderte sich auf der Abteilungsebene bis Ende September nichts mehr.860 Landeseigentum, Regierungsgebäude: Hauptarbeit Henkes war die Organisierung der Unterbringung des Sächsischen Landtages.861 Landtagswahl: Die Strukturgruppe Landtagswahlen unter Leitung von Iltgen begann nach Verabschiedung des Ländereinführungsgesetzes am 22. Juli durch die Volkskammer verstärkt mit den organisatorischen und inhaltlichen Vorbereitungen der Landtagswahlen. Das Sächsische Forum am 26. Juli befasste sich mit der Öffentlichkeitsarbeit zur Landtagswahl.862 Organigramme liegen hier naturgemäß nicht vor. 856 BVB Dresden, Zentralabteilung Umweltschutz: Strukturvorschlag (1. Entwurf) für das sächsische Umweltministerium vom 24. 7.1990 (ebd., 33). 857 BVB Dresden, Zentralverwaltung Umweltschutz: Strukturvorschlag für das sächsische Umweltministerium (1. Entwurf), vom 30. 7.1990, abgestimmt mit ZA (23./24.7.90) und Koordinierungsausschuss/Dr. Kny, vom 26. 7.1990 (ebd., 44). 858 Interview Kurt Kny. 859 Koordinierungsausschuss, Abteilung Behördenstruktur: Standpunkt zum Arbeitsstand der Erarbeitung ministerieller Strukturen vom 15. 8.1990 (HAIT, KA, 10.5); Organigramm Ministerium für Umwelt und Landesentwicklung vom 13. 8.1990 (ebd., 43). 860 Organigramm Ministerium für Umwelt und Landesentwicklung vom 28. 9.1990 (ebd., 10.3). 861 Siehe dazu zusammenhängend Kap. 7.1.2. 862 Information des Bezirksbeauftragten Leipzig des MRKA zum Stand der Herausbildung des Landes Sachsen vom 27. 7.1990 (Dok. 105).

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Medien: Am 8. August beschloss der Koordinierungsausschuss, Helmut Schmitt zu beauftragen, bis Mitte August die Notwendigkeit der Arbeit eines Strukturbeauftragten für Medien zu begründen und dem Regierungsbevollmächtigten zur Bestätigung vorzulegen,863 was Schmitt am 16. August tat.864 Schmitt erhielt daraufhin als Landesstrukturbeauftragter für Medien am 23. August den Auftrag einer Zuarbeit für die Medienlandschaft in Sachsen.865 Der Auftrag wurde am 6. September wiederholt und nun der 13. September als Abgabetermin benannt.866 Am 7. September legte Schmitt den Entwurf eines Sächsischen Rundfunkgesetzes vor,867 der auf Vorarbeiten von Frank Müller-Römer basierte.868 Kurz darauf folgte eine Medienkonzeption für das Land Sachsen,869 die der Koordinierungsausschuss am 13. September beriet. Es wurde unter anderem beschlossen, den öffentlich-rechtlichen Medien ARD und ZDF schnellstmöglich umfassende Arbeitsmöglichkeiten einzuräumen. Am gleichen Tag konstituierte sich die Landespressekonferenz Sachsens.870 Schmitt wurde mit den Vorbereitungen eines kurzfristigen Beitritts zum Staatsvertrag über das ZDF für das künftige Land Sachsen beauftragt.871

5.3.6 Regierungspräsidien sowie Landes- und Sonderbehörden – Diskussionen und Konzepte Regierungspräsidien: In den sächsischen Bezirken herrschte unter den Vertretern der Räte bzw. Verwaltungsbehörden frühzeitig Einigkeit, Regierungspräsidien zu bilden. Bereits seit Anfang März war mit entsprechenden Ausarbeitungen begonnen worden.872 Unterstützung erhielten sie dabei von den Beratern aus Bayern und Baden-Württemberg; Gegenwind kam aus Kreisen und Kommunen, wo man eine Verfestigung alter Strukturen und eine Fortsetzung bisheriger Gängelung durch die Bezirksverwaltung befürchtete. Da die Frage der Regierungsbezirke im Zusammenhang mit der strittigen Aufteilung der Verantwortlichkeiten bei der Landesbildung diskutiert wurde, hielt sich der Koordinie863 Protokoll der Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses am 8. 8.1990 (Dok. 116). 864 Protokoll der Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses am 16.8.1990 (Dok. 120). 865 Protokoll der Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses am 23.8.1990 (Dok. 125). 866 BVB Dresden, Stellv. für die Bildung des Landes Sachsen, Koordinierungsausschuss: Protokoll über die Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses am 6. 9.1990 (HAIT, KA, 67) (Dok. 132). 867 Initiative Sächsisches Landesmediengesetz, Vorsitzender Helmut Schmitt: Diskussionsentwurf eines Gesetzes über den Sächsischen Rundfunk vom 7. 9.1990 (HAIT, Heitmann, Mediengesetze). 868 Frank Müller-Römer: Entwurf eines Sächsischen Rundfunkgesetzes vom 20. 7.1990 (HAIT, Heitmann, Mediengesetze). 869 Medienkonzeption für Sachsen vom 11. 9.1990 (ebd.). 870 Wochenbericht des Regierungsbevollmächtigten für den Bezirk Dresden an den Ministerpräsidenten der DDR vom 14. 9.1990 (HAIT, KA, 4.2). 871 Protokoll der Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses am 13.9.1990 (Dok. 139). 872 Siehe Kap. 4.1.2.

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rungsausschuss in dieser Frage erkennbar zurück, um nicht zusätzliche Kritik an der Dresdner Dominanz zu provozieren. Von den Grundintentionen des Koordinierungsausschusses hätte man hier die Bezirksstruktur in Frage stellen müssen, kritisierte man doch ausdrücklich die Ansammlung von Altfunktionären in den Bezirksverwaltungsbehörden. So aber hatten die Chemnitzer und Leipziger bald freie Hand bei der Umgestaltung ihrer Räte respektive Bezirksverwaltungsbehörden in Regierungspräsidien, und auch im Koordinierungsausschuss unterstützte man von Anfang an die Pläne, Regierungsbezirke zu bilden. Am 2. Juli bestätigte Vaatz eine Vorlage Lotzes, in der die Bildung von drei Regierungsbezirken mit Sitz in Dresden, Chemnitz und Leipzig empfohlen wurde. Als Vorteile wurden die Umsetzung der Regierungspolitik in Verwaltungstätigkeit, fachkompetente Bearbeitung territorialer Problemstellungen und Umsetzung auf die noch vorhandene große Anzahl von Landkreisen, Entlastung der Ministerien von operativer Kleinarbeit und ihre Funktion als Widerspruchsbehörde genannt. Allerdings wurde als Nachteil gesehen, dass die alte Verwaltungsstruktur bestehen bleiben könnte. Eine inhaltliche Neufassung der Verwaltungstätigkeit, so hieß es, könnte durch „altes Strukturdenken“ erschwert werden. Das zeige sich bereits in Leipzig mit den vorgelegten Strukturplänen und der Mitarbeiterzahl. Auch ein Aufleben früherer Strukturen wie Amtshauptmannschaften oder fünf Regierungsbezirke, wie sie in der Organisation der evangelischen Landeskirche fortlebten, wurde diskutiert. Vorteil einer solchen Lösung sei die „totale Zerschlagung alter Verwaltungsstrukturen“ und ein „erleichterter inhaltlicher Neuaufbau“. Allerdings passe die alte sächsische Struktur nicht in bundesdeutsche Verwaltungsstrukturen und führe neue Begrifflichkeiten ein. Die Folge wäre eine Erhöhung des Verwaltungsaufwandes, da die Landkreise infolge der in Kürze nicht möglichen Landkreisreform weiter bestehen bleiben würden. In Erwägung gezogen wurde auch die Möglichkeit, auf Regierungsbezirke ganz zu verzichten, was aber bald wegen der Mehrbelastung der Ministerien und der damit einhergehenden „Verringerung der Konditionen für konzeptionelle strategische Regierungsarbeit“, der notwendigen Erhöhung des Personalbestandes in den Ministerien und der angesichts der 57 Landkreise kaum möglichen Beherrschbarkeit der Verwaltungsprozesse verworfen wurde.873 Verunsicherung herrschte Anfang Juli in der Chemnitzer Stadtverordnetenversammlung, wo am 4. Juli Kritik an der Einrichtung von drei Regierungsbezirken analog zu den bisherigen Bezirken geübt wurde.874 Hier flüchtete sich der Regierungsbevollmächtigte in die Forderung an die Volkskammerabgeordneten, „zentral zu entscheiden, ob es Regierungsbezirke gibt“.875 Aber bereits einen Tag später waren sich die drei Regierungsbevollmächtigten einig, der Re873 BVB Dresden, Ressort Verwaltungsreform: Varianten Regierungsbezirke vom 2. 7.1990 (HAIT, KA, 61). 874 Vgl. Die Union, Ausgabe Chemnitz, vom 6. 7.1990. 875 BVB Chemnitz: Protokoll der Beratung des Regierungsbevollmächtigten mit den Abgeordneten der Volkskammer des Bezirkes Chemnitz vom 2. 7.1990 (SächsStAC, BVB, 140104 ).

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gierung die Bildung der drei Regierungsbezirke Dresden, Leipzig und Chemnitz zu empfehlen.876 Dem folgte wiederum einen Tag später ein Beschluss des Koordinierungsausschusses, die drei Regierungsbezirke Chemnitz, Dresden und Leipzig zu bilden. Die Alternativen, fünf Kreishauptmannschaften bzw. keine mittlere Verwaltungsebene zu schaffen, wurden endgültig verworfen. Man legte fest, dass die Personalstärke in den Regierungsbezirken dreihundert Mitarbeiter zunächst nicht überschreiten dürfe.877 Im Bericht zum „Arbeitsstand zur Herausbildung der Behörden des zukünftigen Landes Sachsen“ des Koordinierungsausschusses hieß es am 20. Juli, für die Regierungspräsidien sei von folgenden Prämissen auszugehen: Die Regierungspräsidien stellten als Mittelbehörde eine Drehscheibe der Verwaltung auf mittlerer Ebene dar. Sie würden die fachlichen Aufgaben der Regierung als oberster Landesbehörde ressortübergreifend bündeln und in unmittelbare praktische Verwaltungstätigkeit auf die Landkreise umsetzen. Ebenso würden sie deren Probleme bündeln und diese fachlich bewertet und zu Entscheidungsvorschlägen aufbereitet an die Länderregierung weiterleiten. Bei rapide wachsendem Koordinierungsbedarf sei durch die Bündelung der Fachaufgaben keine andere Behörde in dem Maße prädestiniert, eine Koordinierung und einen Ausgleich unterschiedlicher Auffassungen und Interessen durchzuführen, und dies unter Entlastung der Ministerien, denen andere Aufgaben zukämen. Gleichzeitig werde eine wesentliche Beschleunigung der Entscheidungsprozesse gewährleistet. Die Aufgaben der Regierungsbezirke bestünden in der Aufsicht über den Verwaltungsvollzug, in der Rechts- und Fachaufsicht, und sie dienten als Widerspruchsbehörde. Der Aufbau der Landesverwaltung und damit die Bildung der Regierungsbezirke mit Regierungspräsidien werde im Landesverwaltungsgesetz verankert. Für die Regierungspräsidien werde überall die gleiche Struktur zugrunde gelegt.878 Am 26. Juli verteidigte Vaatz die mögliche Schaffung von drei Mittelbehörden vor dem Sächsischen Forum gegenüber Kritikern aus den Reihen der Kreis- und Kommunalpolitiker, die ihre gerade erst errungene Selbstverwaltung bedroht sahen. Bemerkenswert war, dass es nun plötzlich Vaatz selber war, der einer Weiterbeschäftigung der bisherigen Mitarbeiter das Wort redete. Man werde so verfahren, dass „möglichst diese alte Bezirksbehörde nicht 1:1 übernommen“ werde, andererseits werde es „freilich so sein, dass die dort Beschäftigten vorzugsweise sich natürlich auch dort wieder bewerben können, und sie werden auch benötigt werden, denn es stellt sich schon heraus, dass eine langjährige Verwaltungserfahrung doch notwendig ist, um einfach das Technische zu bewältigen, was mit der Funktionsfähigkeit solcher Dinge zusammenhängt und womit die Funktionstüchtigkeit einfach steht und fällt“. Aber es werde erheblich umstrukturiert und auch darauf geachtet, dass der Apparat durch Leihbeamte aus der Bundesrepublik 876 Vgl. Die Union, Ausgabe Leipzig, vom 9. 7.1990. 877 Protokoll der Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses am 6. 7.1990 (Dok. 85). 878 Arbeitsstand des Koordinierungsausschusses beim Aufbau der Landesregierung Sachsen am 20. 7.1990 (Dok. 97).

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und durch „neu eindringende Leute von hier ein bisschen aufgelockert“ werde, und „die alten Beziehungen und die alten, möglicherweise existierenden Bahnen des gegenseitigen Wissens um Angelegenheiten des jeweils anderen dort nicht mehr eine politische Wirkung entfalten“ könnten.879 Vaatz hatte kaum eine andere Wahl, stand er doch unter Druck aus Chemnitz und Leipzig. So begrüßte der Leipziger Regierungsbevollmächtigte Steinbach am 27. Juli die Entscheidung des Koordinierungsausschusses. Die Einordnung der drei Regierungsbezirke und der Regierungspräsidien sei territorial, staatsrechtlich und praktisch richtig und notwendig. Etwaige Abweichungen territorialer Art, die Leipzig als Regierungsbezirk aussparten, seien hingegen „wirklichkeitsfremd und später irreparabel“. Gegen derartige Bestrebungen müsse offensiv aufgetreten werden. Die Aufgaben für die Regierungsbezirke seien sorgfältig erarbeitet und entsprächen den Leipziger Vorstellungen von der Arbeit eines künftigen Regierungspräsidiums.880 Bei einer Beratung der stellvertretenden Regierungsbevollmächtigten für Länderbildung der drei Bezirke einigte man sich darauf, die Ressorts und Referate in den Regierungspräsidien strukturell gleichartig zu gestalten, jedoch bei der personellen Besetzung aufgrund unterschiedlichem Umfangs des zuständigen Bereiches Abweichungen zuzulassen. Folgende Ressortbereiche wurden festgelegt: 1. Verwaltung, Personal, Haushalt, Kommunalwesen, Sparkassenwesen und Kommunalrecht, 2. Wirtschaftsförderung, Geologie, Verbraucherpolitik, Bergwesen und Tourismus, 3. Infrastruktur Bauwesen, Verkehr, Raumordnung, Raumplanung und Straßenbau, 4. Landwirtschaft, 5. Wasserwirtschaft, Umweltschutz und Naturschutz sowie 6. Soziales. Die Bezirksverwaltungsbehörde Chemnitz wurde für die Ausarbeitung konkreter Strukturen der Bereiche 1 bis 3, Leipzig für die Bereiche 4 bis 6 verantwortlich gemacht.881 Struktur und Aufgabenzuordnung sorgten im Laufe der Entwicklung immer wieder für Meinungsdifferenzen zwischen den Bezirken. Ende Juli wurde das Stuttgarter Staatsministerium intern über die Entscheidung informiert. Hier findet sich ein in den Protokollen nicht auftauchender Hinweis, wonach die Aufgaben des Regierungsbezirkes Dresden, insbesondere aus personellen Gründen, zunächst teilweise von der künftigen Ministerialverwaltung mit übernommen werden sollten.882 Aber in Stuttgart wie in München unterstützte man grundsätzlich die Schaffung von Regierungsbezirken, auf die im Westen von den Flächenländern wegen ihre Größe nur Schleswig-Holstein und das Saarland ver-

879 Anlage zur Niederschrift zur 1. öffentlichen Beratung des Sächsischen Forums vom 26.07. 1990; unredigierte Bandaufzeichnung, Arnold Vaatz (Dok. 104). 880 Ausführungen von Walter Christian Steinbach zur Frage der Regierungsbezirke vom 27. 7.1990 (Dok. 108). 881 Protokoll über die 1. Koordinierungsberatung der stellv. Regierungsbevollmächtigten für die Länderbildung der Bezirksverwaltungsbehörden Chemnitz, Dresden und Leipzig am 27. 7.1990 (Dok. 107). 882 Sozialministerium BW an SMBW vom 31. 7.1990: Betr. Zusammenarbeit Baden-Württemberg/Sachsen (SMBW, 0136 Jour Fix des SM – Raum Sachsen).

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zichteten.883 Debatten gab es Anfang August noch einmal darüber, ob die Regierungspräsidien einen oder zwei Vizepräsidenten haben sollten.884 Während des gesamten August und bis in den September hinein wurde intensiv diskutiert, ob Bautzen statt Dresden Sitz des dritten Regierungspräsidiums werden sollte, am Ende überwogen aber doch die Gründe für Dresden.885 In Chemnitz informierte Krüger am 2. August vor dem Regionalausschuss über die Entscheidung für drei Regierungsbezirke auf Grundlage der bisherigen Bezirksstruktur und gab Erläuterungen zur Aufgabe der Regierungspräsiden. Man werde außerdem Vorschläge erarbeiten, welche „Ämter bzw. Ministerien“ auf dem Gebiet des zukünftigen Regierungsbezirkes Chemnitz angesiedelt werden sollten.886 Wie von Krüger angedeutet, wurde nun die Zuordnung der nachgeordneten Landesbehörden zwischen den Bezirken ausgehandelt. Bei einer Beratung am 3. August bestand Einigkeit in der Bildung eines Landesgewerbeamtes, das neben dem Regierungspräsidium bestehen und keine Aufgaben der Mittelbehörde erfüllen sollte. Einig war man sich auch hinsichtlich der Bildung eines Geologischen Landesamtes, eines Statistischen Landesamtes sowie eines Landesamtes für Mess- und Eichwesen. Zur Bildung des Landesrechnungshofes sollte eine Arbeitsgruppe gebildet werden. Geprüft werden sollte, ob Sachsen ein eigenes Hochschulbauamt und ein Landesamt für Staatsschuldenverwaltung benötige. Außerdem wurde beschlossen, die Treuhandgesellschaft auf Länderebene auszudehnen.887 Interessante Aufschlüsse geben handschriftliche Notizen von Heidrun Lotze aus dieser Zeit, wonach es das „Ziel unseres Regierungsbevollmächtigten“ sei, in Dresden das Regierungspräsidium neben der Landesregierung als eine Art „Abfallprodukt“ zu schaffen. Dahinter vermutete sie Bestrebungen, „das Personal der Bezirksverwaltungsbehörde in die Landesregierung einzubringen“. Durch den Regierungsbevollmächtigten werde nicht verstanden, dass das Regierungspräsidium eine einheitliche Organisationsstruktur benötige, die dann nur abhängig von der Zahl der Regierungsbezirke „multipliziert“ werde. Hier habe der Koordinierungsausschuss noch ein „Kampffeld“. Zu erneut formulierten Wünschen aus Chemnitz und Leipzig, dort ebenfalls Ministerien anzusiedeln, wiederholte sie, die Landesregierung müsse in der Landeshauptstadt konzentriert 883 BaySMI: Vorschläge zum Aufbau von föderativen und rechtsstaatlichen Staats- und Verwaltungsstrukturen in der DDR, o. D. (HAIT, KA, IV). 884 BVB Dresden, Abt. Länderbildung: Argumentation zu den Varianten Regierungspräsidien mit einem oder zwei Vizepräsidenten vom 1. 8.1990 (ebd., 61); Protokoll der Sitzung des Regionalausschusses Länderbildung, AG allgemeine Verwaltung vom 2. 8.1990 in der BVB Chemnitz (ebd.); Niederschrift der Beratung zum weiteren Aufbau der Regierungsbezirke, der Einordnung der Ämter in den einzelnen Ministerien. Dresden vom 3. 8.1990 (HAIT, KA, 10.1). 885 Siehe Kap. 5.2.6. 886 Protokoll 2. Beratung Regionalausschuss Länderbildung der BVB Chemnitz am 2. 8. 1990 (Dok. 112). 887 Protokoll über eine Grundsatzberatung zu künftigen Strukturen des Landes Sachsen in der BVB Leipzig – „Landes- und Regionalbehörden“ – am 3. 8.1990 (SächsStAC, BVB, 152198). Teilnehmer: Kleinschmidt und Weber aus Leipzig, Lotze und Zimpel aus Dresden, Krüger, Kretschmar und Kannegießer aus Chemnitz.

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sein.888 Möglichweise waren die Forderungen nach Ministerien Teil einer Drohkulisse, mit deren Hilfe man die eigenen Vorstellungen über Regierungspräsidien und die Ansiedlung nachgeordneter Landesbehörden durchsetzen wollte. Die von Ballschuh ausgehenden Bemühungen, das Dresdner Regierungspräsidium in die Struktur der Landesregierung einzubinden, fügen sich in seine sonstigen Anstrengungen, der ihm unterstehenden Bezirksverwaltung zukünftig möglichst viel Einfluss zu erhalten. Schon aus diesem Grund hatten die Bautzener Bemühungen, das Regierungspräsidium in die Lausitz zu verlegen, keine Aussichten auf Erfolg. In diesem Sinne beauftragte Ballschuh Vaatz am 20. August, bis Anfang September für den jetzigen Bezirk Dresden eine „Vorzugsvariante für den Sitz des herauszubildenden Regierungspräsidiums“ zu erarbeiten.889 Obwohl die Bildung von Regierungsbezirken in Sachsen bereits vorentschieden war, gingen die Auseinandersetzungen über deren Sinn weiter. Preiß vertrat die Auffassung, dass die Regierungsbezirke in verminderter Größe solange weiter bestehen müssten, bis die Länderregierungen wirksam würden. Zu regeln sei der Verbleib von Verwaltungsmitarbeitern für diese Übergangsphase.890 Nach den Rahmenorientierungen seines Ministeriums sollten dauerhaft aber keine Regierungsbezirke geschaffen werden. Preiß wies zum Beispiel aber auch den Vorschlag des Landrates von Annaberg, Wilfried Oettel, zurück, etwas gegen die Bildung von Regierungsbezirken zu unternehmen, da dies Angelegenheit der Länder sei.891 Dabei formulierte Oettel nur eine Kritik, die in nahezu allen Landkreisen vertreten wurde. Vor dem Sächsischen Forum kritisierte auch Christoph Ziemer die geplanten Regierungsbezirke. Sie würden eine Entfernung der Landesregierung von der Basis schaffen, Entscheidungsprozesse verlangsamen und im Hinblick auf die heutige Personalsituation mit dem Beamtenstatus auf Lebenszeit Probleme schaffen, die die Zukunft belasteten. Er fragte, ob nicht „wenigstens die Regierungspräsidenten wählbar sein“ sollten.892 Angesichts der andauernden Diskussionen erläutete Krause am 27. August vor den Volkskammerabgeordneten des Bezirkes Leipzig noch einmal ausführlich die Funktionen von Regierungspräsidien.893 Am selben Tag informierte auch Krüger über die Struktur des künftigen Regierungsbezirkes Chemnitz sowie über die Beratung am 24. August mit Vertretern der drei Bezirke. Da der Bezirk Leipzig nur eine unvollständige Arbeit vorgelegt habe, verzögere sich die endgültige Abstimmung auf den 31. August. Es werde angestrebt, die Verwaltung des künftigen Regierungsbezirkes Chemnitz auf weniger als 600 Mitarbeiter zu reduzieren. Butto888 Handschriftliche Notizen, o. D. (HAIT, KA, 10.1). 889 Festlegungsprotokoll der Beratung des Regierungsbevollmächtigten für den Bezirk Dresden mit den Volkskammerabgeordneten am 20. 8.1990 (Dok. 122). 890 Notiz über die Beratung des Ministers für regionale und kommunale Angelegenheiten mit den Landessprechern am 23. 8.1990 (BArch B, DC 20, 6137). 891 Manfred Preiß an Wilfried Oettel (ebd., DO 5, 129). 892 Stellungnahme von Christoph Ziemer zum Sächsischen Forum (Dok. 111). 893 Vorlage für den Regierungsbevollmächtigten für eine Beratung mit den Abgeordneten der Volkskammer des Bezirkes Leipzig zur Länderbildung am 27. 8.1990 (Dok. 126).

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lo informierte darüber, dass derzeit ein internes Arbeitsmaterial erstellt werde, aus dem hervorgehe, welche Mitarbeiter sofort einsetz- oder umschulbar seien und welche entlassen werden müssten.894 Am 31. August waren sich alle Verantwortlichen einig, dass eine endgültige Abstimmung des Organisationsentwurfs für die Regierungspräsidien erst möglich sei, wenn ein Entwurf für den Aufbau der gesamten Verwaltung des Landes, insbesondere auch für Sonderbehörden und nachgeordnete Behörden vorliege, weil nur so die Abstimmung der Querschnittsaufgaben mit den Fachaufgaben und die Zuordnung von Hilfsdiensten möglich sei. Ein Regierungspräsidium sollte nach übereinstimmender Meinung der drei Bezirke folgende Abteilungen haben: 1. Zentrale Aufgaben, 2. Inneres, 3. Wirtschaft, Verkehr, 4. Bau- und Wohnungswesen, 5. Landwirtschaft und Veterinärwesen, 6. Umwelt und Regionalentwicklung sowie 7. Soziales und Gesundheit.895 Zwar wurde bei der entscheidenden Strukturberatung am 31. August in Dresden die Bildung der Regierungspräsidien abgeschlossen, aber „nochmals dargelegt, dass sich die Landräte und Oberbürgermeister wiederholt gegen die Bildung von Regierungsbezirken ausgesprochen haben“.896 Außerdem wurde betont, dass eine Endabstimmung des Organisationsentwurfes für die Regierungspräsidien erst möglich sei, wenn ein Entwurf für den Aufbau der gesamten Landesverwaltung einschließlich der Sonderbehörden und nachgeordneten Behörden vorliege. Erst dann sei eine Abstimmung der Querschnittsaufgaben mit den Fachaufgaben möglich.897 Die Vorarbeiten waren zu diesem Zeitpunkt soweit vorangeschritten und die Schaffung der Regierungspräsidien in einem Maße Bestandteil von Vereinbarungen zwischen den drei Bezirksverwaltungsbehörden, dass die Absicht Biedenkopfs von Anfang September, die Bezirke aufzulösen und die Landräte und Bürgermeister direkt der Kommunalaufsicht der Landesregierung zu unterstellen,898 wohl eher als Ausdruck noch unzureichender Einarbeitung in die Probleme vor Ort zu deuten war. Auch bei der Sitzung des Koordinierungsausschusses am 6. September hieß es, die Frage der Mittelbehörde sei „zum Abschluss zu bringen“. Für die drei Regierungspräsidien seien Minimalvarianten mit zirka dreihundert Stellen einzuhalten. Ballschuh wur894 BVB Chemnitz: Protokoll der Beratung des Regierungsbevollmächtigten mit den Abgeordneten der Volkskammer des Bezirkes Chemnitz vom 27.8.1990 (SächsStAC, 140104). Schwer zuzuordnen ist die Aussage Krügers, dass „vorgesehen ist, die Landesregierung in Bautzen zu etablieren, die Ministerien in Dresden zu konzentrieren und die Ämter in Leipzig und Chemnitz anzusiedeln“. 895 Protokoll über die 6. Koordinierungsberatung der Stellv. Regierungsbevollmächtigten für die Länderbildung der BVB Chemnitz, Dresden, Leipzig am 31. 8.1990 in Leipzig (HAIT, KA, 68). 896 Protokoll der Dienstberatung des Regierungsbevollmächtigten mit den Abteilungsleitern vom 10. 9.1990 (SächsStAC, 11537). Zur weiteren Entwicklung um die Regierungspräsidien siehe Kap. 5.3.6. 897 BVB Leipzig, Stellv. des Regierungsbevollmächtigten für die Bildung des Landes Sachsen: Protokoll über die 6. Koordinierungsberatung der stellv. Regierungsbevollmächtigten für die Länderbildung der BVB Chemnitz, Dresden und Leipzig am 31. 8.1990 (RPL, AZ 0141.0). 898 Vgl. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 323.

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de gebeten, bei der nächsten Beratung mit den meist widerstrebenden Landräten das Thema Mittelbehörden zu präzisieren, so dass abschließend entschieden werden könne.899 Gespräche waren hier noch notwendig, berichtete Heidrun Lotze doch nur einen Tag später über Bestrebungen der Landräte, keine Regierungspräsidien zu bilden. Immerhin einigten sich die drei stellvertretenden Regierungsbevollmächtigten, bei der weiteren inhaltlichen Ausgestaltung der Regierungspräsidien „diesen Fakt“ zu berücksichtigen und dazu eine einheitliche Argumentation zu erarbeiten.900 Am Willen des Koordinierungsausschusses, drei Regierungspräsidien als Mittel- und Widerspruchsbehörden durchzusetzen, änderten auch Kritiker wie Kurt Biedenkopf oder Anke Fuchs nichts. Heidrun Lotze begründete deren Notwendigkeit nochmals damit, dass sich Sachsen momentan aus 52 Landkreisen und sechs kreisfreien Städte zusammensetze. Müssten diese alle zentral von der Landesregierung beaufsichtigt werden, wäre ein Riesenapparat in der Regierung notwendig. Zur besseren Anleitung sollten die drei Regierungspräsidien bis zu einer eventuellen Gebietsreform in den Grenzen der heutigen Bezirke arbeiten. Die Situation stelle sich anders dar, wenn die Kreise größer würden.901 Auf die Tatsache, dass auch Vaatz am liebsten auf die Regierungspräsidien verzichtet hätte, verweist ein Tagebucheintrag Biedenkopfs vom 11. September. Er registriert hier dessen „gute Vorbereitungsarbeit“, die mit Ausnahme der Mittelinstanzen zu Strukturen geführt habe, die seinen Vorstellungen entsprächen. Lediglich in der Frage der zukünftigen Gestaltung der Mittelinstanz gäbe es Meinungsverschiedenheiten. Als Biedenkopf Vaatz darüber informierte, dass er „auf die Mittelinstanz am liebsten ganz verzichten“ möchte, erklärte dieser, „dass auch er gern ohne Mittelinstanzen auskommen würde“.902 Vaatz konnte aber auf Grund notwendiger Kompromisse gegenüber den Bezirksverwaltungsbehörden in Chemnitz und Leipzig nicht auf die Regierungspräsidien verzichten, hatte man dort doch im Gegenzug die Dominanz des Dresdner Koordinierungsausschusses bei der Landesbildung akzeptiert. Beide Politiker einigten sich aber, die Regierungspräsidien nicht größer als 200 bis 250 Mitarbeiter werden zu lassen, was zwei Tage später wiederum zu Diskussionen auf der nächsten Zusammenkunft des Koordinierungsausschusses führte.903 Bei dieser Sitzung am 13. September wurde noch einmal die Struktur der Regierungspräsidien festgezurrt, und Rudolf Krause betonte deren Notwendigkeit.904 Den Regierungspräsidenten mit je einem Vizepräsidenten sollten Abteilungen 899 BVB Dresden, Stellv. für die Bildung des Landes Sachsen, Koordinierungsausschuss: Protokoll über die Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses am 6.9.1990 (Dok. 132). 900 BVB Leipzig, Stellv. des Regierungsbevollmächtigten für die Bildung des Landes Sachsen: Protokoll über die 7. Koordinierungsberatung der stellv. Regierungsbevollmächtigten für Länderbildung der BVB Dresden, Chemnitz und Leipzig am 7.9.1990 (RPL, AZ 0141.0). 901 Sächsische Zeitung vom 11. 9.1990. 902 Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 331. 903 Wochenbericht des Regierungsbevollmächtigten für den Bezirk Dresden an den Ministerpräsidenten der DDR vom 14. 9.1990 (HAIT, KA, 4.2). 904 Protokoll über die Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses am 13.9.1990 (Sächs HStA, 47561, Bl. 18).

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für 1. Zentrale Aufgaben, 2. Inneres, 3. Wirtschaft und Verkehr, 4. Bau- und Wohnungswesen, 5. Landwirtschaft und Veterinärwesen, 6. Umwelt und Regionalentwicklung sowie 7. Soziales und Gesundheit nachgeordnet werden.905 Auch bei der 8. Koordinierungsberatung der Stellvertreter für Länderbildung am 14. September ging es um die Struktur der Regierungspräsidien und der Landes- sowie Sonderbehörden. Dabei wurden Strukturvorschläge angeglichen und Standortfragen nachgeordneter Behörden diskutiert.906 Auch diese Sitzung zeigte, dass die Regierungspräsidien schon in der Phase ihrer Bildung als Instrumente des Interessenausgleichs zwischen den Bezirksverwaltungen dienten. Hier wurde der von Biedenkopf gewünschte verringerte Personalbestand akzeptiert,907 wofür dieser nun im Wahlkampf öffentlich erklärte, dass es in Zukunft Mittelbehörden geben müsse, die jedoch in späteren Jahren abgeschafft werden sollten.908 Im Sinne dieses Kompromisses wurde auch mit den Landräten Übereinstimmung erzielt, dass die Regierbarkeit des Landes unter vorläufiger Beibehaltung der eingeführten Struktur der Bezirksverwaltungsbehörde gewährleistet werden müsse.909 Auf dieser Grundlage wurde es nun bei einer Zusammenkunft des Regierungsbevollmächtigten des Bezirkes Dresden und seinen Stellvertretern am 26. September als „zwingend angesehen“, auch in Dresden unverzüglich mit dem Aufbau der Verwaltung des Regierungsbezirkes zu beginnen, „um zwischen der zu lösenden täglichen Verwaltungsarbeit und den zu schaffenden Landesstrukturen eine klare Aufgabenteilung im Interesse der sicheren Verwaltung zu schaffen“. Hier war man sich einig, dass das Personal für das Regierungspräsidium im Wesentlichen aus dem Personalbestand der bisherigen Ressorts der Bezirksverwaltungsbehörde gewonnen werden sollte.910 Diese Lösung lag im Interesse Ballschuhs, der den Apparat der Dresdner Bezirksverwaltungsbehörde samt Personal aus dem unmittelbaren Verantwortungsbereich des Koordinierungsausschusses lösen wollte. Deswegen machte er auf einer Arbeitssitzung bei Landessprecher Krause am 27. September nochmals auf das Problem aufmerksam. Man habe in Dresden die Bezirksverwaltungsbehörde und den Koordinierungsausschuss zusammen aufgebaut, ohne eine interne Profilierung vorzunehmen. Mit der Einsetzung eines Landessprechers komme es jetzt zur Abarbeitung ständig zunehmender Aufgaben über die Arbeitsstäbe. Das sei nicht nur eine Frage des Papiers, sondern auch des Inhalts. Es müssten Aufgaben, die von Bonn in neuer Qualität und Dimension gestellt würden und nicht nur die 905 Organigramm Regierungspräsidium vom 13. 9.1990 (HAIT, KA, 68). 906 BVB Leipzig, Stellv. des Regierungsbevollmächtigten für die Bildung des Landes Sachsen: Protokoll über die 8. Koordinierungsberatung der stellv. Regierungsbevollmächtigten für Länderbildung der BVB Chemnitz, Dresden und Leipzig am 14.9.1990 (RPL, AZ 0141.0). 907 Wochenbericht des Regierungsbevollmächtigten für den Bezirk Dresden an den Ministerpräsidenten der DDR vom 14. 9.1990 (HAIT, KA, 4.2). 908 Protokoll der Dienstberatung des Regierungsbevollmächtigten mit den Abteilungsleitern vom 24. 9.1990 (SächsStAC, RdB/BVB, 11538). 909 Protokoll der Beratung des Regierungsbevollmächtigten für den Bezirk Dresden mit den Landräten und Oberbürgermeistern vom 21. 9.1990 (SächsHStA, BT/RdB, 47558). 910 Peter Adler an Siegfried Ballschuh vom 27. 9.1990 (ebd., 47562, Bl. 14).

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einzelne Bezirksbehörde, sondern gleichsam das Land beträfen, gelöst werden. Es müsse folglich zu einer Arbeitsteilung zwischen den Arbeitsstäbe und dem kommen, was in den Mittelbehörden Chemnitz und Leipzig bereits an Strukturen vorhanden sei. Es bestehe der Zwang, die Dresdner Behörde aufzuteilen, da es Überschneidungen von Kompetenzen gebe und die Arbeitszuordnung innerhalb der Behörde nicht mehr zu bewältigen sei. Deshalb habe man in der Dienstberatung vom Vortag die Festlegung getroffen, die Krause bitte bestätigen möge, die Dresdner Behörde aufzuspalten und eine Mittelbehörde mit einem Restbestand an Personal zu schaffen. Krause blieb aber zurückhaltend, wollte er doch in seiner kurz bemessenen Amtszeit Entscheidungen der sächsischen Regierung nicht vorgreifen. Er verwies aber darauf, dass sich Biedenkopf in einem Vier-Augen-Gespräch für das Weiterbestehen von Mittelbehörden in der momentanen Form auf vier, fünf Jahre ausgesprochen und dabei „sogar eine noch größere Zahl genannt“ habe. Gleichzeitig habe er „eine Art Auftrag“ gegeben, „die politisch sauberen Leute in den Verwaltungsbehörden zu halten“. Dieser Haltung stimmte Ballschuh für Dresden zu.911 Landes- und Sonderbehörden: Parallel zu den Debatten über die Schaffung von Regierungsbezirken liefen in den Strukturbereichen bzw. den späteren Arbeitsstäben des Koordinierungsausschusses – verstärkt ab September – die Vorbereitungen zur Schaffung nachgeordneter Landes- und Sonderbehörden. Zuvor war es mehr um die Struktur der Ministerien und Regierungspräsidien gegangen, denen die Landes- und Sonderbehörden bzw. -ämter mehrheitlich zuzuordnen waren. Nach der Vorgabe des Einigungsvertrages vom 31. August, bis Ende des Jahres 1990 über den Erhalt bzw. die Übernahme von Einrichtungen zu entscheiden, geriet die Arbeit unter erheblichen zeitlichen Druck.912 Das lag daran, dass ihre Bildung teilweise mit der Frage der Übernahme bisheriger zentraler und bezirklicher DDR-Institutionen im Bereich des künftigen Sachsens als Landeseinrichtungen zusammenhing. Daher beschloss der Koordinierungsausschuss am 6. September, auf der nächsten Sitzung bereits eine erste Ansiedlungskonzeption für Ämter zu thematisieren (Amt/Personal/Ort).913 Einen Tag später berieten die Stellvertreter für Länderbildung der drei Bezirke den Stand der Vorbereitung von Landesober- und Sonderbehörden. Sie beschlossen, die weitere Präzisierung ihrer Zuordnung, der Arbeits- und Aufgabeninhalte vorzunehmen und die Vorschläge zur Ansiedlung unter Verantwortung der Strukturverantwortlichen für die Ministerien vornehmen und wöchentlich abstimmen zu lassen.914 Mitte September informierte Heidrun Lotze vor dem Sächsischen Forum 911 Stenografisches Protokoll über die Arbeitssitzung beim Landessprecher Dr. Krause am 27. 9.1990 (HAIT, KA, 8). Zur weiteren Entwicklung siehe Kap. 7.2.5, siehe auch Kap. 6.2.2. 912 Vgl. Hauswirth, Regierung und Verwaltung, S, 252. 913 Protokoll über die Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses am 6. 9.1990 (Dok. 132). 914 Protokoll über die 7. Koordinierungsberatung der stellv. Regierungsbevollmächtigten für Länderbildung der BVB Dresden, Chemnitz und Leipzig am 7. 9.1990 (RPL, AZ 0141.0) (HAIT, KA, 10.1).

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über den Stand der Ausarbeitung. Die nachgeordneten Behörden sollten den Ministerien oder Regierungspräsidien auf unterschiedlichen Ebenen untergeordnet werden. Grundsätzliches Ziel war es demnach, typisch sächsische Varianten zu finden, nur die unbedingt notwendigen Ämter und Fachbehörden zu bilden und so eine effektive, kostengünstige Verwaltungsorganisation zu entwickeln. Keineswegs sollten bisherige staatliche Behörden komplett in neue Strukturen überführt werden, einige von ihnen vielmehr gänzlich entfallen. Stattdessen war vorgesehen, völlig neue, bisher nicht vorhandene Behörden zu bilden. In vielen Fällen plante der Koordinierungsausschuss die Privatisierung bisheriger Fachinstitutionen wie Mess- und Prüflabors oder Projektierungs- und Vermessungseinrichtungen. Als Beispiel für diesen Weg nannte Lotze die Bildung der Gewerbeaufsicht, des gewerbeärztlichen Dienstes und die Entwicklung eines TÜV-Konzeptes als privatrechtliche Prüf- und Beratungsorganisation. In ähnlicher Weise sollte unter anderem mit Gewerbe-, Vermessungs- oder Materialprüfämtern verfahren werden. Sie wies darauf hin, dass der Koordinierungsausschuss gerade in diesem Bereich nur Vorarbeiten leisten und der Prozess erst unter Verantwortung der zu bildenden Ministerien zu Ende geführt werden könne.915 Wie bei der Bildung der Ministerien war die Arbeit des Koordinierungsausschusses aber auch in diesem Bereich so weit fortgeschritten, dass Clearingberater Lenz vom Bundesministerium des Innern bei einer Beratung der Dresdner Clearingstelle am 9. Oktober nur konstatieren konnte, dass Überlegungen der Clearingstelle in Bonn über die künftige Behördenstruktur „Sachsen nur am Rande betreffen“. Da die Arbeit hier nicht nur vorlagen, sondern auch für die Bonner Geschäftsstelle als wichtige Vorlage dienten, seien für Sachsen „ausschließlich Ergänzungen zu den bereits überstellten Mitteilungen nach Bonn notwendig“.916 Nach den Ausarbeitungen der Arbeitsstäbe des Koordinierungsausschusses vom September waren im Bereich des Wirtschafts- und Verkehrsministeriums folgende Behörden vorgesehen: Ein Landesamt für Reprivatisierung und Rückerstattung mit drei Außenstellen in den Regierungsbezirken, ein Landesbergamt, ein Landesamt für Braunkohleplanung, ein Landesamt für Geologie und Bodenforschung, ein Landesamt für Statistik, ein Luftamt, ein Landesamt für Mess- und Eichwesen, eine Sächsische Gesellschaft für Materialforschung und -prüfung, eine Wirtschaftsfördergesellschaft, ein Landesamt für Verkehr samt Straßenbauverwaltung, eine Landesentwicklungsgesellschaft, eine Sächsische Aufbaubank und ein Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen. Überlegt wurde, die künftige Landeskreditanstalt ebenfalls dem Wirtschaftsministerium zuzuordnen.917 Zu Auseinandersetzungen kam es im Zusammenhang mit 915 Vortrag von Heidrun Lotze vor dem Sächsischen Forum am 13. 9.1990 (Dok. 135). 916 Vgl. BVB, Koordinierungsausschuss für die Bildung des Landes Sachsen, Clearing-Berater: Clearing ASTB-Beratung am 9.10.1990 (SächsStAC, RdB, 152207). 917 Protokoll über die 7. Koordinierungsberatung der stellv. Regierungsbevollmächtigten für Länderbildung der BVB Dresden, Chemnitz und Leipzig am 7. 9.1990 (RPL, AZ 0141.0) (HAIT, KA, 10.1); BVB Dresden, Ressort Wirtschaft: Besprechungsvermerk vom 13. 9. 1990 (ebd., 68).

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der Überführung der Obersten Bergbehörde der DDR in Leipzig in eine sächsische Landesbergbehörde und um deren künftigen Sitz. Am 12. September protestierte deren Leiter, Gerhard Richter, gegen die im Koordinierungsausschuss geplante Verlegung als künftige Landesbehörde von Leipzig nach Freiberg.918 Auch die Leipziger Bezirksverwaltungsbehörde war darüber offenbar unzureichend informiert. Kleinschmidt wollte wissen, wer beschlossen habe, dass es ein Landesbergamt geben und dass es im Bezirk Chemnitz angesiedelt werden solle. Offensichtlich hatte der Arbeitsstab Wirtschaft ohne Beteiligung eines kompetenten Vertreters aus Leipzig entschieden. Kleinschmidt, so hieß es intern, habe den Verdacht, dass „Dresden und Chemnitz diese Entscheidung geschickt an Leipzig vorbeigeleitet“ hätten.919 Die Zukunft der obersten Bergbehörde der DDR in Leipzig wurde auch bei einer Beratung der Clearingstelle in Bonn „streitig diskutiert“. Die westlichen Bundesländer sahen keinen Grund, im Osten ein „oberstes Bergamt zur gesamten Hand“ beizubehalten. Es wurde darauf hingewiesen, dass wie die bestehenden auch die künftigen Länder bei Bedarf eine Zusammenarbeit von Bergbehörden vereinbaren könnten. Die Außenstellen der bisherigen Bergbehörde seien weiterhin funktionsfähig, sie sollten von den neuen Länder als Landesbehörden übernommen werden.920 Damit war die von der DDR-Regierung gewünschte Überführung der Oberbergbehörde der DDR in eine gemeinsame Einrichtung der neuen Bundesländer vom Tisch. Am 19. Oktober informierte Schmidt im Arbeitsstab „Wirtschaft und Verkehr“ darüber, dass in Sachsen eine dreistufige Bergbehörde mit vorläufigem Sitz in Leipzig gebildet und später nach Freiberg verlegt werden solle.921 Weniger strittig waren die Konzepte für ein Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen, die Ende September vorgelegt wurden. Das lag daran, dass diese neu zu schaffen war. Demnach sollten das einem Ministerium zugeordnete Landesamt und drei völlig eigenständige Außenstellen in den Verwaltungsbezirken eingerichtet werden. Ihnen zugeordnet wurden Ämter für Vermögensfragen in den Landkreisen.922 Dem Innenministerium sollten nach dem Willen des Koordinierungsausschusses ein Polizeipräsidium samt nachgeordneten Direktionen, Landesaufnahmestellen für Asylanten und Aussiedler, ein Landesvermessungsamt, eine Zentrale Stelle für die Aufarbeitung und Auswertung der Liegenschaftsakten, eine Staatliche Hochbauverwaltung, eine Bauaufsicht, Verwaltungs- und Fachhochschulen für Verwaltung, ein Statistisches Landesamt sowie eine Archivverwaltung 918 Gerhard Richter an Rudolf Krause und die Regierungsbevollmächtigten der BVB Leipzig, Dresden und Chemnitz vom 12. 9.1990 (ebd.). 919 Roland Stöckchen an Wolfgang Pfeufer vom 25. 9.1990 (RPL, 3–0213.3–1). 920 Hirschle zur Kenntnis vom 28. 9.1990. Betr.: Clearingstelle des Bundes und der Länder nach dem Einigungsvertrag, hier: Behandlung von Einrichtungen der Verwaltung. Bezug: Sitzung der AG 1 der Geschäftsstelle der Clearingstelle am 27. 9. 90 (HAIT, KA, 9/1). 921 Landesbevollmächtigter Sachsen, Arbeitsstab „Ministerium für Wirtschaft und Verkehr Sachsen“: Protokoll über die 3. Beratung des Arbeitsstabes am 19.10.1990 (RPL, 0144). 922 Schaufuß an BVB Dresden, Ressort Wirtschaft, vom 25. 9.1990 und an BVB Chemnitz, AG Rückerstattung, vom 2.10.1990 (SächsStAC, BVB, 152257).

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nachgeordnet werden.923 Der Leiter des Statistischen Bezirksamtes Leipzig, Muth, wurde noch vom Präsidenten des Statistischen Amtes der DDR mit der Bildung eines entsprechenden Landesamtes Sachsen beauftragt.924 Gemeinsam mit den Leitern der Bezirksämter Chemnitz, Sicker, und Dresden, Tenner, sowie in Abstimmung mit dem Präsidenten des Statistischen Landesamtes von Baden-Württemberg, Max Wingen, und dem Mitarbeiter des bayerischen Informationsbüros in Dresden, Schulz, arbeitete er eine Vorlage zur Bildung des Statistischen Landesamtes aus.925 Dem Finanzministerium sollten die Oberfinanzdirektion samt nachgeordneten Finanzämtern, ein Landesamt für Besoldung, Vergütung und Versorgung, ein Landesfinanzrechenzentrum, die Staatliche Treuhandverwaltung sowie die Sächsische Schlösser- und Gärtenverwaltung zugeordnet werden.926 Von besonderer Bedeutung war hier wegen der Sicherung baldiger eigener Landeseinnahmen die Oberfinanzdirektion. Mit dem Aufbau einer Landesfinanzverwaltung war bereits nach dem ersten Staatsvertrag im Sommer 1990 begonnen worden. Nach einer Vereinbarung der Konferenz der Finanzminister und -senatoren war seitdem Bayern für die Betreuung von 19 Finanzämtern im Raum Gera (Thüringen) und Chemnitz zuständig. Jedem dieser Finanzämter wurde ein bayerisches Finanzamt zur Seite gestellt.927 In den beiden anderen sächsischen Bezirken waren vor allem Baden-Württemberger im Einsatz. Die Oberfinanzdirektion wurde wie üblich konzipiert als Einrichtung des Finanzministeriums und als übergeordnetes Organ der Finanzämter, Hauptzollämter, Liegenschaftsämter sowie angesichts der speziellen Übergangslage in der DDR der Republiksvermögensämter. Zwischen den Ressortleitern Finanzen der drei Bezirksverwaltungsbehörden bestand schon Mitte Juli Übereinstimmung, die Oberfinanzdirektion nicht in Dresden anzusiedeln. Im Juli bewarb sich Leipzig noch intensiv darum,928 im August einigte sich ein Arbeitskreis Sächsischer Bezirksbeauftragter und Bezirksberater der drei Bezirke, sie in Chemnitz anzusiedeln und Bayern die Federführung bei der Konzeption und Betreuung der Oberfinanzdirektion zu übertra-

923 Protokoll über die 7. Koordinierungsberatung der stellv. Regierungsbevollmächtigten für Länderbildung der BVB Dresden, Chemnitz und Leipzig am 7. 9.1990 in Dresden (HAIT, KA, 10.1). 924 Statistisches Bezirksamt Chemnitz an den stellv. Regierungsbevollmächtigten der BVB Chemnitz, Horst Krüger, vom 6. 9.1990 (SächsStAC, 152243). 925 Statistisches Amt der DDR, Beauftragter des Präsidenten für die Bildung des Landesamtes Sachsen, Muth: Vorlage zur Bildung des Statistischen Landesamtes Sachsen vom 5. 9.1990 (SächsStAC, 152243). 926 Protokoll über die 7. Koordinierungsberatung der stellv. Regierungsbevollmächtigten für Länderbildung der BVB Dresden, Chemnitz und Leipzig am 7. 9.1990 (RPL, AZ 0141.0) (HAIT, KA, 10.1). 927 BayStK, Arbeitsstab Deutschlandpolitik, Interministerielle AG Deutschlandpolitik: Gespräch des Bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl mit der Bayerischen Landtagspresse e. V. am 9. 4.1991. Materialien: Aufbau der neuen Länder mit Bayerische Hand (BayStK, Baer). 928 Peter Schönach an Horst Krüger vom 18. 7.1990 (SächsStAC, RdB, 152244).

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gen. Für ihren Aufbau wurde eine Arbeitsgruppe aller drei Bezirke unter Leitung von Klaus Staschik von der Oberfinanzdirektion Nürnberg gebildet.929 Dem Justizministerium wurden ein Landesverfassungsgericht, Oberverwaltungsgerichte, ein Landessozialgericht, ein Landesarbeitsgericht, ein Finanzgericht, Staatsanwaltschaften, Justizvollzugsanstalten, Jugendarrestanstalten, Notariate und Grundbuchämter zugeordnet. Dem Ministerium für Landwirtschaft und Forsten sollten Forstdirektionen, Veterinärämter, eine Direktion für Landesentwicklung und ein Amt für Landwirtschaft zugeordnet werden, dem Kultusministerium Oberschulämter in jedem Regierungsbezirk und nachgeordnete Kreisschulämter sowie Bildungseinrichtungen, dem Sozialministerium ein Landesamt für Arbeitsschutz, Arbeitsmedizin und technische Sicherheit, ein Landesamt für Familie und Soziales sowie Gesundheitsämter.930 Dem Ministerium für Umwelt und Landesentwicklung sollten eine Landesanstalt für Umweltfragen und Fachanstalten für Umweltfragen nachgeordnet werden.931 Die Dresdner Bezirksverwaltungsbehörde empfahl, dem Umweltministerium auch ein Landesamt für Geologie und Bodenforschung zuzuordnen.932 In Arbeit befanden sich auch Konzepte für eine Landesversicherungsanstalt und für einen Landesrechnungshof. Bereits am 8. März 1990 hatte ein erster Entwurf über Aufgaben, Stellung und Struktur eines Landesrechnungshofes Sachsens vorgelegen. Darin war dieser als direkt unterstelltes Prüforgan des Landtages konzipiert gewesen, der das Parlament in allen Finanzfragen beraten sollte.933 Am 10. April legten die Vorsitzenden der Komitees für Volkskontrolle der Bezirke Dresden, Harald Jähne, Leipzig, Rolf Theuerkorn, und Karl-MarxStadt, Gunter Venzke, nach Konsultationen mit Experten der Staatsministerien für Finanzen aus Bundesländern und dortigen Landesrechnungshöfen einen gemeinsamen, völlig veränderten Vorschlag zur Bildung eines Rechnungshofes vor, der nun gegenüber dem Landtag unabhängig war. Mit Blick auf den ersten Entwurf wurde entschuldigend angemerkt, dass international „auch eine Unterstellung unter das Parlament praktiziert“ werde. Es wurde darauf hingewiesen, dass auf DDR-Ebene ein Gesetz über einen Rechnungshof der Republik in Arbeit sei.934 Mit Beschluss des Ministerrates vom 2. Mai über die Länderbildung wurde die künftige Finanzhoheit der Länder begründet. Die Volkskammer leg929 Peter Schönach an Albrecht Buttolo vom 24. 8.1990 (ebd.); Manfred Kolbe: Einrichtung einer Oberfinanzdirektion für Sachsen in Chemnitz (ebd.). 930 Protokoll über die 7. Koordinierungsberatung der stellv. Regierungsbevollmächtigten für Länderbildung der BVB Dresden, Chemnitz und Leipzig am 7. 9.1990 (RPL, AZ 0141.0) (HAIT, KA, 10.1). 931 Zum Aufbau der sächsischen Umweltverwaltung vgl. Seibel, Verwaltungsaufbau, S. 53–57. 932 BVB Dresden, Ressort Wirtschaft: Besprechungsvermerk vom 13.9.1990 (HAIT, KA, 68). 933 Entwurf vom 8.3.1990: Aufgaben, Stellung und Struktur des Landesrechnungshofes Sachsen. Erarbeitet auf den Grundlagen der Landesrechnungshöfe der Bundesländer Niedersachsen und Baden-Württemberg unter Beachtung der Spezifik des künftigen Landes Sachsen (ebd., 31). 934 Komitee für Volkskontrolle der Bezirke Dresden, Leipzig und Karl-Marx-Stadt: Vorschlag zur Bildung eines Landesrechnungshofes im zukünftigen Land Sachsen vom 10. 4.1990 (ebd.).

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te im Juni Ausarbeitungen über die künftigen Landesrechnungshöfe vor.935 Auf Vermittlung des Bundesrechnungshofes und mit Wissen des DDR-Finanzministeriums nahm der Präsident des Rechnungshofes von Baden-Württemberg Kontakt zu den Inspektionen der Finanzrevision der Republik in den drei Bezirken auf und schickte Beamte zu Informationsgesprächen nach Dresden. Nachdem die Inspektionen durch das Rechnungshofgesetz der DDR zu Außenstellen des DDR-Rechnungshofes geworden waren, bot der Präsident des Rechnungshofes von Baden-Württemberg dem Koordinierungsausschuss Ende Juni Unterstützung an, wo diese Hilfe auch dankend angenommen wurde.936 Am 5. Juli fand in der Bezirksverwaltungsbehörde Leipzig eine konstituierende Beratung zur Bildung einer paritätischen Arbeitsgruppe „Landesrechungshof“ statt,937 an der neben Beauftragten der Regierungsbevollmächtigten auch die drei Leiter der Außenstellen des Rechnungshofes der Republik und die Verantwortlichen für die Auflösung der Arbeiter- und Bauerninspektionen auf Bezirksebene teilnahmen. Diese hatten in der DDR im weitesten Sinne vergleichbare Funktionen gehabt, sieht man von ihrer ideologischen Ausrichtung ab. Grundlage der gemeinsamen Arbeit waren unter anderem der Ministerratsbeschluss vom 5. Mai und die Gesetze vom 15. Juni über die Grundsätze der Finanzordnung der DDR und über den Rechnungshof der Republik.938 Der vom Leiter der parallelen Arbeitsgruppe beim Präsidium der Volkskammer, Hirsch, vorgelegte Beschlussentwurf wurde als Arbeitsgrundlage angesehen, und es wurde geplant, durch die Regierungsbevollmächtigen eine paritätische Arbeitsgruppe bilden zu lassen, „die unter Nutzung geltender rechtlicher Bestimmungen der DDR und rechtsstaatlicher Grundlagen der BRD Vorschläge und Entwürfe von landeseigenen Gesetzen zur Gewährleistung der Prüfung und Entlastung der gesamten Haushalts- und Wirtschaftsführung unterbreitet“.939 Der Landesrechnungshof sollte „eine unabhängige, nur dem Gesetz unterworfene, nicht weisungsgebundene oberste Staatsbehörde“ und „keine nachgeordnete Behörde des Rechnungshofes der Republik“ werden. Zur Erarbeitung notwendiger Rechtsvorschriften wurden eine Vorschlagskommission eingesetzt und Personalanalysen für einen erforderlichen Einsatz im Landesrechnungshof und seinen nachgeordneten Behörden vorbereitet. Die Leiter der Außenstellen des DDR-Rechnungshofes sollten gemeinsam mit den Beauftragten zur Auflösung des Komitees für Volkskon935 Volkskammer der DDR, AG Dr. Hirsch beim Präsidium der Volkskammer: Konzeption zur Vorbereitung der Bildung von Landesrechnungshöfen auf dem Gebiet der DDR vom 29. 6.1990 (HAIT, KA, 31). 936 Briefwechsel zwischen dem Präsidenten des Rechnungshofes Baden-Württemberg und Arnold Vaatz vom 28.6. und 6. 7.1990 (ebd.). 937 Protokoll der Beratung zur Vorbereitung der Bildung des Rechnungshofes des Landes Sachsen am 5. 7.1990 in Leipzig (ebd.); Information zur Beratung von Vertretern der Bezirke Leipzig, Chemnitz und Dresden zum Aufbau eines Landesrechnungshofes vom 6. 7.1990 (ebd.). 938 GBl. DDR I, Nr. 33/1990. 939 Volkskammer der DDR, AG Dr. Hirsch beim Präsidium der Volkskammer vom 12. 7.1990: Anlage: Beschluss zur Bildung der paritätischen AG zur Vorbereitung der Einrichtung und Organisation des Rechnungshofes des Landes Sachsen (HAIT, KA, 31).

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trolle Vorschläge zum Einsatz von Personal aus den aufzulösenden Komitees und den Gutachterstellen in den Bezirksverwaltungsbehörden prüfen und geeignetes Personal übernehmen. Am 25. Juli legte das Komitee für Volkskontrolle des Bezirkes Dresden eine Liste geeigneter Personen vor, bei der es sich vor allem um Funktionäre der Arbeiter- und Bauerninspektion auf Bezirksebene handelte.940 Auf einer Beratung der Arbeitsgruppe am 26. Juli in Leipzig wurden nach Diskussion mit Vertretern des Landesrechnungshofes Baden-Württemberg die vorliegenden Gesetzentwürfe an die Arbeitsausschüsse zur organisatorischen Vorbereitung der Bildung des Landesparlamentes und der Landesregierung weitergeleitet und in das Gesetzgebungspaket des Landes eingearbeitet. Beschlossen wurde, nach bayerischem Vorbild neben Staatlichen Rechnungsprüfungsämtern in den Regierungsbezirken keine Vorprüfungsstellen einzurichten. Da die Auflösung der Staatlichen Finanzrevision und des Komitees für Volkskontrolle schneller vor sich ging als die Bildung des Landesrechnungshofes, sah man die Gefahr, dass die weiteren Vorbereitungsarbeiten und die Arbeitsfähigkeit des künftigen Landesrechnungshofes gestört werden könnten. Um eine nahtlose Überführung von Personal aus diesen Einrichtungen zu sichern, wurde den Regierungsbevollmächtigten die Schaffung einer finanziell abgesicherten Vorbereitungsgruppe vorgeschlagen.941 Vom 6. bis 8. August besuchte die Paritätische Arbeitsgruppe den Landesrechnungshof Baden-Württemberg, um die nächsten Arbeitsschritte, die Diskussion der vorliegenden Gesetzesentwürfe und den künftigen Unterstützungsbedarf abzustimmen.942 Am 22. und 23. August folgte ein Besuch beim Bayerischen Obersten Rechnungshof. Themen waren hier das Gesetz über den Rechnungshof des Landes Sachsen, die Rechnungsprüfung zur Haushaltsordnung des Landes Sachsen und Zuarbeiten zur sächsischen Verfassung. Entsprechende Empfehlungen der bayerischen Beamten flossen in die Entwürfe der Arbeitsgruppe direkt ein.943 Nach einem Organigramm vom 3. September sollte der Rechnungshof sieben Abteilungen umfassen, die im Wesentlichen den Landesministerien zugeordnet waren.944 Nach einem Entwurf vom 14. September hatte der Landesrechnungshof die gesamte Haushalts- und Wirtschaftsführung des Landes einschließlich seiner Betriebe und Sondervermögen zu prüfen und in einem Jahresbericht an die Landesregierung zusammenzufassen.945 940 Komitee für Volkskontrolle Bezirk Dresden vom 25. 7.1990: Kader, die in eine Tätigkeit im Rechnungshof des Landes Sachsen bzw. in einem Staatlichen Rechnungsprüfungsamt (Reg.-Bez.) in die Auswahl einbezogen werden könnten (ebd.). 941 Protokoll der 2. Beratung der paritätischen AG zur Vorbereitung der Einrichtung und Organisation des Rechnungshofes des Landes Sachsen am 26. 7.1990 in Leipzig (ebd.). 942 Paritätische AG zur Vorbereitung der Einrichtung und Organisation des Rechnungshofes des Landes Sachsen: Reiseprotokoll des Arbeitsbesuches beim Landesrechnungshof Baden-Württemberg vom 6.–8. 8.1990 in Karlsruhe (ebd.) 943 Paritätische AG zur Vorbereitung der Einrichtung und Organisation des Rechnungshofes des Landes Sachsen: Reiseprotokoll über den Arbeitsbesuch beim Bayerischen Obersten Rechnungshof vom 22.–23. 8.1990 in Nürnberg (ebd.). 944 Organigramm des Rechnungshofes vom 3. 9.1990 (SächsStAC, BVB, 152242). 945 Entwurf vom 14. 9.1990 (HAIT, KA, 31).

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Mit Wirkung vom 3. Oktober wurde die Arbeit der Außenstellen des Rechnungshofes der DDR eingestellt.946 Am 19. Oktober lag der Entwurf eines Gesetzes über den Landesrechnungshof vor, der sich im Wesentlichen an entsprechenden Gesetzen Baden-Württembergs und Bayerns orientierte. Demnach war er eine bei der Durchführung seiner Aufgaben unabhängige, nur dem Gesetz unterworfene oberste Landesbehörde mit Sitz in Leipzig. Er gliederte sich in Prüfungsabteilungen und eine Verwaltung; ihm nachgeordnet waren staatliche Rechnungsprüfungsämter.947 Ende Oktober deutete sich an, dass Alfred Wienrich, Mitglied des baden-württembergischen Rechnungshofes, Präsident des Rechnungshofes Sachsen werden würde. In Stuttgart war man erfreut, war dadurch doch „ein maßgeblicher baden-württembergischer Einfluss in der Sächsischen Landesverwaltung sichergestellt“.948

5.3.7 Arbeit der Gemischten Kommission Sachsen/Baden-Württemberg von April bis November 1990 Neben den sich im Juli bildenden Strukturgruppen des Koordinierungsausschusses arbeiteten auch die Fachgruppen der Gemischten Kommission während des Sommers weiter. Beide Bereiche durchdrangen und beeinflussten sich gegenseitig. In Personen wie Rößler oder Heitmann, die in beiden Gremien verantwortlich tätig waren, zeigte sich die personelle Überlappung, die hier und da die Frage nach den Ursachen für die doppelte Struktur aufwarf. Sie lag in der Entwicklung begründet. Zunächst hatte sich die Gemischte Kommission auf baden-württembergische Initiative gegründet, und erst später der Koordinierungsausschuss. Die Gemischte Kommission war zudem keinesfalls primär als Instrument der Landesbildung gedacht gewesen, sondern sollte baden-württembergische Hilfen in verschiedenen Bereichen sowie Wirtschaftskontakte organisieren. Das macht auch ein Zwischenbericht über die Tätigkeit der Gemischten Kommission deutlich, den Mauksch Ende Mai vorlegte.949 In den meisten Bereichen waren Besuchsreisen und Schulungen und oft auch konkrete Hilfsmaßnahmen organisiert worden. Oft ging es um die Vermittlung und Begleitung von Kontakten bzw. um die Planung einer Delegierung von Leihbeamten. Die dazu ausgewerteten Berichte aus den Fachgruppen zeigten ein breites Spektrum behandelter Fragen und konkreter Maßnahmen, die deutlich machten, wie vielfältig die Aufgaben der angestrebten Strukturveränderung in der DDR waren und wie weit verästelt die Arbeit war. 946 DDR, Rechnungshof der Republik: Hinweise und Festlegungen zur Einstellung der Tätigkeit der Außenstellen des Rechnungshofes der Republik vom 15. 9.1990. (ebd.). 947 Entwurf vom 19.10.1990: Gesetz über den Rechnungshof des Landes Sachsen (Rechnungshofgesetz – RHG) (ebd.). 948 SMBW, Abt. I: Vermerk für Ministerpräsident Späth zur Information vom 25.10.1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). 949 BVB Dresden: Zwischenbericht von Andreas Mauksch über die Tätigkeit der GK S/BW vom 31. 5.1990 (HAIT, KA, V.3).

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Eine erhebliche Veränderung vollzog sich Anfang Juli. Immer mehr neue Kräfte kamen in die Fachgruppen, und diese entwickelten sich dadurch zu Hilfsinstrumenten des Koordinierungsausschusses. Deutlich wurde dies bei einer Tagung der Gemischten Kommission am 6. Juli in Leipzig, die letztmalig von Mauksch geleitet wurde, der eine Tätigkeit in der freien Wirtschaft übernahm. An seine Stelle trat Vaatz als Leiter des sächsischen Teils der Gemischten Kommission. Die personelle Erneuerung zeigte sich aber auch bei der hier vorgenommenen Neubesetzung der Leitung der meisten Fachgruppen sowie bei der Neuaufteilung der Leitungsfunktionen zwischen den drei Bezirken. Aber auch in anderer Hinsicht deuteten sich Veränderungen an. Angesichts der teilweisen Doppelarbeit von Koordinierungsausschuss und Gemischter Kommission wurde in einzelnen Gruppen bereits über ein Ende der Tätigkeit nachgedacht. Als erste kündigte die Fachgruppe Kommunale Partnerschaften ihre Selbstauflösung mit der Begründung an, ihre Aufgabe sei zum „Selbstläufer“ geworden. Vaatz nahm dies zum Anlass zu fragen, ob künftig auch andere Fachgruppen entbehrlich seien. Mengele schlug vor, die Arbeit der Gemischten Kommission erst nach der Landtagswahl mit einer abschließenden Sitzung zu beenden.950 Am 18. Juli beriet Vaatz mit den Leitern und Stellvertretern der Fachgruppen die neue Lage angesichts der inzwischen begonnen Arbeit der Strukturbeauftragten des Koordinierungsausschusses.951 Sein Ziel war eine Schwerpunktverlagerung, in deren Folge aus der Gemischten Kommission ein direktes „Hilfsinstrument des Koordinierungsausschusses“952 und damit „eine zweite Komponente der Konstruktion und Stabilisierung von neuen Institutionen“ werden sollte.953 Wie er sich die Kooperation vorstellte, zeigt das Beispiel der Arbeitsgruppe Verwaltungsstruktur, deren Mitglieder er Mitte Juli darum bat, Grundsatzfragen zur Bildung der Landesministerien mit den neuen sächsischen Gesprächspartnern im Koordinierungsausschuss zu beraten. Dabei ging es unter anderem um die Funktion der Stäbe und Zentralstellen, den Zuschnitt des Inneren Dienstes, Fragen der Abteilungs- und Referatsstruktur sowie der Führungsorganisation.954 Gemeinsam sollten Anzahl und Struktur der Ministerien, Personalstärken, Notwendigkeiten und Strukturen von Mittelbehörden, Strategien des Regierungsaufbaus, des Aufbaus des Innenministeriums sowie Kommunikationsstrukturen und Zuständigkeitsnetze beraten werden.955

950 Bericht über die Sitzung der Vorsitzenden der Fachgruppen der GK S/BW am 6. 7.1990 in Leipzig (SMBW, 0136, Jour Fix – Raum Sachsen des SM). 951 BVB Dresden: Einladung des Stellv. des Regierungsbevollmächtigten für die Bildung des Landes Sachsen, Arnold Vaatz, vom 11. 7.1990 (HAIT, KA, V.2). 952 Interview Arnold Vaatz am 21. 6. 2000. 953 Interview Arnold Vaatz. In: Kleimeier, Sachsen, S. 105 f. 954 Stabsstelle Verwaltungsstruktur, Information und Kommunikation: Neuer Beratungstermin der AG Verwaltungsstruktur (Teil der Gemischten Kommission BW-Sachsen) vom 10. 7.1990 (HAIT, KA, 10.1). 955 Fernschreiben von Arnold Vaatz an das Innenministerium von Baden-Württemberg, Hartmut Kübler, vom 20. 7.1990 (ebd., 3.1).

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Im Folgenden wird die Arbeit der einzelnen Fachgruppen, die in den Unterlagen auch gelegentlich als Fachkommissionen bezeichnet werden, während ihrer Wirkungszeit skizziert, um das Profil der baden-württembergischen Hilfsleistungen zu veranschaulichen sowie personelle Verflechtungen und Überlappungen der Arbeit mit der des Koordinierungsausschusses aufzuzeigen.956 Fachgruppe Wirtschaft, Technologie, Handwerk und Management:957 Nach der konstituierenden Sitzung am 21./22. März in Stuttgart fand am 28./29. Juni in Chemnitz die zweite und zugleich letzte Sitzung der Fachgruppe statt.958 Sie wurde zu diesem Zeitpunkt auf sächsischer Seite vom Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Chemnitz, Wolfram Hoschke, geleitet, Stellvertreter war der Ressortleiter Wirtschaftsförderung der Bezirksverwaltungsbehörde Leipzig, Wolfgang Pfeufer. Leiter einer Unterabteilung „Tourismus“ war der Leiter des Ressorts „Erholung“ der Bezirksverwaltungsbehörde Leipzig, Stefan-Thomas Findeisen (DBD), eine weitere Unterabteilung für „Preisbildung/Überwachung“ leitete Wolfgang Neefe, ebenfalls von der Bezirksverwaltungsbehörde Leipzig.959 Weiterhin gab es Arbeitsgruppen zu den Themen „Mittelstandsförderung“, „Management/Marketing“ und „Energie“. Gemeinsam mit der Fachgruppe Fremdenverkehr standen ihr 1990 insgesamt zehn Mio. DM an Soforthilfe zur Verfügung, die vor allem in umfangreichere Förderbereiche wie Firmenkontakte und den Aufbau neuer Organisationsstrukturen in Sachsen flossen. Hilfen wurden dabei vor allem bei der Personalauswahl, der Aufstellung der Haushaltspläne und beim Aufbau der internen Organisation des dortigen Wirtschaftsministeriums geleistet. Dafür wurde ein Bediensteter des baden-württembergischen Wirtschaftsministeriums für zwei Jahre nach Dresden abgeordnet. Im Rahmen eines überbetrieblichen „Kooperationsförderungsprogrammes Sachsen“ veranstalteten baden-württembergische Wirtschaftsorganisationen Existenzgründungs- und Unternehmensführungslehrgänge sowie Unternehmensberatungen und förderten die Tätigkeit von Senior-Experten. Bis zum Herbst 1990 fanden 265 Lehrgänge statt. Für den Bereich des Handwerks gab es bei der Handwerkskammer Dresden Gruppenberatungen durch organisationseigene und betriebswirtschaftliche Berater der baden-württembergischen Kammern. Mit einem am 17. April gestarteten „Mittelstandsförderungsprogramm Sachsen“ wurden Finanzhilfen in Form von zinsverbilligten Darlehen für den Aufbau selbständiger Existenzen und für die Modernisierung von sächsischen Privatunternehmen vor allem im Handwerksbereich gewährt. Als begleitende Maßnahmen wurden Lehrgänge angeboten. Die baden-württembergische Lan956 Zur Bildung und zu ersten Arbeitsschritten der GK S/BW und ihrer FG siehe Kap. 3.3.3. 957 Ausführliche Unterlagen zur FG in: SMBW 0136, GK S/BW, FG Wirtschaft, Technologie, Handwerk und Management. 958 BVB Leipzig, Ressort Raumordnung und Regionalentwicklung, an Wolfgang Pfeufer vom 9. 8.1990: Vorschlag zur Verfahrensweise zur Umsetzung der Aufgaben aus der FG „Wirtschaft“ zwischen Baden-Württemberg und den sächsischen Bezirken (RPL, AZ 3–0203.3). 959 Wolfgang Pfeufer an Johannes Gläser vom 27. 7.1990 (RPL, AZ 0141.0).

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deskreditbank führte zum Thema „Mittelständische Unternehmen marktwirtschaftlich führen“ im Juli einen Vorbereitungslehrgang für künftige Führungskräfte durch. Im Bereich Management, Marketing und Wirtschaftsrecht wurde bei der Ausstattung wirtschaftsnaher Bildungseinrichtungen in den drei sächsischen Bezirken mit praxisorientierter Literatur geholfen. Es gab ein Seminar zu Fragen des Bildungsmanagements im Bereich der praxisorientierten Weiterbildung von Führungskräften der Wirtschaft, es wurde eine Arbeitsgemeinschaft der Bildungseinrichtungen für Führungskräfte in der sächsischen Wirtschaft zum Thema „Erfolgreiche Unternehmensführung in der sozialen Marktwirtschaft“ eingerichtet, und es gab zweiwöchige Management-Weiterbildungsseminare für sächsische Multiplikatoren mit einem zweimonatigem Praktikum in baden-württembergischen Firmen. Im Bereich der kaufmännischen und technischen Berufsbildung und Umschulung gab es eine enge Zusammenarbeit bei der Qualifizierung von Multiplikatoren. Unter anderem fand ein dreitägiger Workshop in Sachsen statt. Im Hinblick auf den Neuaufbau und die Umstrukturierung von Unternehmen kam der Unternehmensberatung in Sachsen aus baden-württembergischer Sicht ein besonderer Stellenwert zu. Auch hier ging es vor allem um die Qualifizierung von Multiplikatoren. So gab es Weiterbildungsaktionen u. a. durch den baden-württembergischen Handwerkstag, den Einzelhandelsverband, den Groß- und Außenhandelsverband Baden-Württemberg sowie das Rationalisierungskuratorium der Wirtschaft. Außerdem wurde eine Firmenberatung von zwanzig potentiell überlebensfähigen sächsischen Unternehmen in der Größe von 500 bis 2 000 Mitarbeitern durch kompetente baden-württembergische Beratungsunternehmen durchgeführt und Literatur zum Thema „Existenzgründung“ bereitgestellt. Im Bereich „Technologietransfer, Kommunikation und Energieerzeugung“ wurde eine Konzeption für die wissenschaftlich-technologische Zusammenarbeit von Partnern in Baden-Württemberg und Sachsen ausgearbeitet. Sie betrafen die Kooperation des Instituts für Textil- und Verfahrenstechnik Denkendorf mit dem Forschungsinstitut für Textiltechnologie Chemnitz GmbH, des Forschungszentrums für Informatik Karlsruhe mit dem Zentralinstitut für Kybernetik und Informationsprozesse Dresden, des Instituts für Mikroelektronik Stuttgart mit der Gesellschaft für Rationalisierung, Forschung und Entwicklung mbH Chemnitz, des Instituts für industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb der Universität Stuttgart mit der Universität Leipzig und der westdeutschen Gerberschule Reutlingen mit der Technischen Universität Chemnitz. Im Bereich Kommunikation wurden in Dresden drei Telefonvermittlungscontainer installiert. Im Bereich Energie gab es in Dresden eine Konferenz über rationelle und umweltverträgliche Energienutzung und einen Weiterbildungslehrgang über Energieberatung an der Technischen Akademie Esslingen. Außerdem wurden ein Pilotprojekt der verbrauchsabhängigen Heizkostenerfassung einschließlich Kalt- und Warmwassers im individuellen Wohnbereich an jeweils zwei Neubaublöcken in Chemnitz und Leipzig gefördert sowie rund 2 100 Tonnen Hausbrandkoks für soziale Einrichtungen im Bezirk Dresden zur Verfügung gestellt. Die Fachgruppe organisierte einen Fonds für Mittelstandsförderung, dem Ein-

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nahmen aus den Leistungen der baden-württembergischen Seite, insbesondere Teilnehmerbeiträge nach dem „Mittelstandsförderungsprogramm Sachsen“ gutgeschrieben wurden, dessen Mittel für weitere Maßnahmen der Mittelstandsförderung in Sachsen, insbesondere für Maßnahmen der Weiterbildung und Umschulung, eingesetzt wurden. Im Rahmen der Einrichtung von Beratungszentren waren im September zwei Beratungsteams des Landes in Sachsen tätig. Unter Federführung der „Gesellschaft für internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit Baden-Württemberg“ (GWZ) waren daran die Landeskreditbank BadenWürttemberg, die Industrie- und Handelskammer Sachsen, die Handelskammern Baden-Württembergs und Sachsens sowie die Verbindungsbüros der GWZ beteiligt.960 Fachgruppe Soziales, Gesundheit und Arbeit:961 Die Fachgruppe konstituierte sich vom 8. bis 10. März in Stuttgart. Bei ihrer 2. Sitzung am 29./30. April gab es weitere Expertengespräche.962 Bei einem weiteren Treffen am 19. Juni im Kreiskrankenhaus Tuttlingen waren die Räte der Bezirke bereits in Bezirksverwaltungsbehörden umbenannt; die bisherigen Aufgaben der Bezirksärzte der Räte der Bezirke nahmen nun die amtierenden Ressortleiter wahr. Hier ging es unter anderem um die Auflösung der staatlichen Versicherung der DDR und den Aufbau einer gegliederten Sozialversicherung, die Privatisierung der Apotheken durch die Länder und die Zukunft von Polikliniken und Ambulatorien. Leiter der Fachgruppe war zu diesem Zeitpunkt Grosche (SPD) von der Medizinischen Akademie Dresden, sein Stellvertreter Bigl für Chemnitz. Die Gruppe hatte Unterabteilungen für „Partnerschaften im Gesundheitswesen und Gerätehilfen“, „Wirtschaft“, „Verbände und Kammern“, „Weiterbildung und Information“, „Soziale Ämter und Struktur“ sowie „Arbeit“.963 Die Fachgruppe beschloss die Umbenennung der Expertengruppe „Verbände / Kammern“ in „Selbstverwaltungskörperschaften des Gesundheitswesens und Verbände“ und bildete eine neue Expertengruppe „Arbeit“. Wichtigster Teil der Tätigkeit blieb die Schaffung und Förderung von Krankenhauspartnerschaften.964 Außerdem wurde bei dieser Sitzung um Unterstützung beim Aufbau eines sächsischen Sozialministeriums gebeten. Diese sollte aus einer drei- bis viertägigen Informationsveranstaltung für Mitarbeiter der künftigen Landesregierung in Sachsen über die Grundlagen des Sozial- und Arbeitsrechts sowie über die Aufgabentei960 Abschlussbericht der GK S / BW. Hilfsmaßnahmen Baden-Württembergs für Sachsen (1990/1991) (SMBW, 0136, GK S/BW, Allgemeines). 961 Ausführliche Unterlagen der FG Soziales, Gesundheit und Arbeit in: SMBW 0136, GK S / BW, FG Soziales und Gesundheit, sowie SMBW 0136, Jour Fix des SM – Raum Sachsen. 962 RdB Leipzig, Gesundheits- und Sozialwesen: Ergebnisprotokoll der 2. Sitzung der FG „Soziales, Gesundheit und Arbeit“ am 29./30. 4.1990 (HAIT, KA, V.3, 2). 963 BVB Leipzig, Ressort Gesundheits- und Sozialwesen, an Günther Kleinschmidt vom 18. 7.1990: AG in der Zusammenarbeit zwischen den Ländern Baden-Württemberg / Sachsen (RPL, AZ 0141.0). 964 Sozialministerium Baden-Württemberg: Ergebnisprotokoll der Sitzung der FG „Soziales, Gesundheit und Arbeit“ der GK S/BW am 19. 6.1990 im Kreiskrankenhaus Tuttlingen (HAIT, KA, V.3, 2).

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lung und das Zusammenwirken von Bund, Land, Kommunen und freien Trägern bestehen und durch ein vier- bis sechswöchiges Praktikum für Fachleute aus den einzelnen Dezernaten ergänzt werden. Bei der Sitzung erfuhr die baden-württembergische Seite von Vaatz, dass auch Bayern im Bereich des Gesundheitswesens unterstützend tätig war. Der baden-württembergische Leiter der Fachgruppe erklärte dazu, man habe „keinerlei Bedenken“, wenn auch die Hilfe Bayerns in Anspruch genommen werde, bitte jedoch um fair play, um Doppelarbeit zu vermeiden.965 Die letzte Beratung der Fachgruppe fand vom 7. bis 10. Oktober in Markersbach bei Chemnitz statt. Der Fachgruppe Soziales, Gesundheit und Arbeit, die sich auf baden-württembergischer Seite auch aus Mitgliedern des Landkreistages, der Landesärztekammer, des Verbandes der Angestellten-Krankenkasse, des AOK-Landesverbandes, der baden-württembergischen Krankenhausgesellschaft, der Liga der Freien Wohlfahrtspflege und des DGB-Landesbezirks Baden-Württemberg zusammensetzte, standen 1990 Haushaltsmittel in Höhe von 6 Mio. DM zur Verfügung. Angesichts der schlechten Ausstattung sächsischer Krankenhäuser, Behinderteneinrichtungen sowie von Alten- und Pflegeheimen wurden im Vorgriff auf das Sofortprogramm des Landes bereits Ende 1989 Sachhilfen im Wert von 1,3 Mio. DM gewährt. Bei der weiteren Ausstattung mit medizinischen Geräten, Materialien, Heil- und Pflegemitteln, die sich insgesamt auf 4,5 Mio. DM beliefen, wurden vor allem die Fachabteilungen der Krankenhäuser, insbesondere die Diagnostik, aber auch die zahnärztlichen Belange und die Behindertenrehabilitation berücksichtigt. Weitere Schwerpunkte personeller Hilfsmaßnahmen innerhalb der Fachgruppe wurden durch Expertengruppen koordiniert, die die Bereiche „Verwaltungsaufbau und Ämterstrukturen“, „Fortbildung und Informationsaustausch“, „Gerätehilfe und Partnerschaften im Gesundheitswesen“, „Selbstverwaltungskörperschaften und Verbände des Gesundheitswesens“, „Wirtschaft und Industrie“ sowie „Arbeit“ betreuten. Mit Hilfe dieser Expertengruppen gelang es, drei Modell-Sozialstationen in den sächsischen Bezirken einzurichten, die Weiterführung anderer Schwesternstationen zu sichern und bei der Überprüfung der Erhaltensfähigkeit bereits bestehender Einrichtungen mitzuwirken. Es gab zahlreiche Fortbildungs- und Informationsveranstaltungen zu Themen wie Arbeitsmedizin und Arbeitshygiene, öffentlicher Gesundheitsdienst, Seuchenhygiene, Gewerbeaufsicht, Behindertenhilfe, Sozialhilfe, Fragen der Niederlassung, des Sozialversicherungs- und Krankenkassenwesens sowie Rettungsdienst und Katastrophenschutz. Im Rahmen der Förderung von Partnerschaften zwischen Krankenhäusern wurden zahlreiche Partnerschaften geschlossen, psychiatrische Landeskrankenhäuser nahmen Beziehungen zu sächsischen Einrichtungen auf. Dank der Arbeit der Fachgruppe gelang es auch, Kontakte zwischen Firmen und Unternehmen der Pharmaindustrie und der Medizintechnik in beiden Ländern zu vermitteln. Im Rahmen der Expertengruppe Arbeit 965 Bericht über die Sitzung der Vorsitzenden der Fachgruppen der GK S/BW am 6. 7.1990 in Leipzig (SMBW, 0136, Jour Fix – Raum Sachsen des SM).

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wurden arbeitsrechtliche Probleme auf dem Gebiet des Arbeitsschutzes, des Arbeitsrechts und der Arbeitsgerichtsbarkeit behandelt. Der Schwerpunkt im sozialen Bereich lag über 1990 hinaus bei der personellen Hilfeleistung. Zwei Mitarbeiter des baden-württembergischen Sozialministeriums hielten sich seit Herbst 1990 ständig in Sachsen auf. Darüber hinaus wurden regelmäßig Hospitationen von Mitarbeitern der drei sächsischen Bezirke im Geschäftsbereich des baden-württembergischen Sozialministeriums durchgeführt. Intensivseminare für Juristen und andere Führungskräfte der Verwaltung rundeten das Soforthilfeprogramm ab. Die Arbeit wurde auch nach dem Ende der Fachgruppenarbeit fortgesetzt. 1991 lag der Schwerpunkt der Maßnahmen im Bereich von Schulungsmaßnahmen, beim weiteren Ausbau der Modell-Sozialstationen und bei Fortbildungsmaßnahmen.966 Fachgruppe Umwelt: Nach ihrer Konstituierung am 14./15. Februar in Dresden und einer ersten Besprechung am 3. März in Stuttgart tagte die Fachgruppe am 25./26. April in Stetten/Filder. Bei der Zusammenkunft wurden Probleme bei der Koordinierung der Hilfsmaßnahmen zwischen Bayern und BadenWürttemberg deutlich. Der Dresdner Vorschlag, zwei bayerische Vertreter in die Fachgruppe einzubeziehen, wurde von baden-württembergischer Seite abgelehnt.967 Es folgten Sitzungen am 19./20. Juni, 16. Juli und 13. September 1990. Leiter der Fachgruppe war zu diesem Zeitpunkt auf sächsischer Seite der stellvertretende CDU-Landesvorsitzende Horst Metz aus Dresden, sein Stellvertreter war Jörg Hannes aus Leipzig. Bei der letzten Beratung stand die künftige Arbeit zur Diskussion, zeichnete sich doch ab, dass das künftige sächsische Umweltministerium im Laufe des Oktobers seine Arbeit aufnehmen und dann in erster Linie Partner für die Beziehungen nach Baden-Württemberg sein würde. Man vereinbarte, bis zur Klarheit über die künftige Zusammenarbeitsstruktur weiterzuarbeiten968 und tagte am 6./7. Dezember ein letztes Mal in Stuttgart. Die Arbeitsschwerpunkte der Fachgruppe lagen auf den Gebieten der Steuerung und Koordinierung umweltpolitischer Aktivitäten, der Förderung des Wissens und Erfahrungsaustauschs, insbesondere durch Treffen und Seminare der Fachkräfte der Umweltverwaltungen, der gegenseitigen Vermittlung und Benennung von Gesprächspartnern, der Zusammenarbeit bei der Lösung von Umweltproblemen, der gemeinsamen Entwicklung von Konzeptionen z. B. beim Abbau von Altlasten und der Verhinderung neuer Umweltbelastungen, des Informations- und Erfahrungsaustauschs über Fragen der Organisation der Umweltverwaltung im künftigen Land Sachsen, der punktuellen Unterstützung der Umweltverwaltungen der Bezirke in Bezug auf ihre technische Ausstattung, die Eignung von am Markt angebotenen Geräten sowie den Austausch von Infor966 Abschlussbericht der GK S / BW. Hilfsmaßnahmen Baden-Württembergs für Sachsen (1990/1991) (ebd., GK S/BW, Allgemeines). 967 GK S/BW, FG Umwelt: Protokoll der Beratung vom 25./26. April 1990 im Bernhäuser Forst, Stetten/Filder (HAIT, KA, V.3, 3). 968 Protokoll FG Umwelt vom 13. 9.1990 in Dresden (SMBW, 0136, GK S / BW, FG Umweltschutz).

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mationen über verfügbare Umweltschutztechnologien, der Einrichtung von Praktikumsplätzen in den jeweiligen Verwaltungen und dem befristeten Personalaustausch, der Unterstützung bei der Veröffentlichung eines Umweltberichts für Sachsen, der Beteiligung am deutsch-deutschen Umweltschutzmarkt in Markkleeberg / Leipzig sowie bei der Hilfe zum Aufbau eines Umwelt- und Naturschutzzentrums in Niederspree (Bezirk Dresden). Es wurde Verwaltungshilfe bei Genehmigungsverfahren nach dem Umweltrahmengesetz der DDR organisiert und dafür beim Regierungspräsidium Stuttgart eine zehnköpfige Arbeitsgruppe eingerichtet. Hinzu kam eine personelle Unterstützung beim Aufbau der Landesverwaltung durch die Entsendung von sieben Mitarbeitern der badenwürttembergischen Umweltverwaltung nach Sachsen. Bedienstete der sächsischen Umweltverwaltung wurden durch gemeinsame Fachseminare zu den Themen Aufbau der Umweltverwaltung, Naturschutzmanagement, Abfall, betrieblicher Umweltschutz und Gewerbeaufsicht, Struktur und Aufgaben der Wasserwirtschaftsverwaltung in Baden-Württemberg, Naturschutz-Symposium, Emissionsschutzrecht und Wasserrecht geschult. Außerdem gab es ein Seminar „Umweltmanagement für Vertreter basisdemokratischer Gruppen“. Ergänzt wurden die Seminare durch Praktika bei baden-württembergischen Umweltbehörden. So fand im April ein zweiwöchiges Praktikum von Mitarbeitern der Umweltinspektionen der drei Bezirke bei Gewerbeaufsichtsämtern statt. Umgekehrt halfen 35 baden-württembergische Experten bei der Erkundung von Mülldeponien und berieten bei Fragen des Trinkwassers und sonstigen technischen wie verwaltungstechnischen Aspekten. Die baden-württembergische Seite finanzierte Studien zu verschiedenen Umweltproblemen Sachsens, so zur Entschwefelung des Dresdner Kraftwerks „Nossener Brücke“, zur Piloterkundung gefährlicher Mülldeponien, zur Sanierung des Einzugsgebiets der Trinkwassertalsperre Saidenbach im Erzgebirge, zur Wasserversorgung für das Obere Elbetal von Pirna bis Meißen und zur Entwicklung eines Landschaftsrahmenplans für den Verdichtungsraum Dresden. Dank der Initiative der Fachgruppe wurden Messgeräte sowie mobile und stationäre Messkomplexe für Luftverunreinigung im Wert von 1,3 Mio. DM an die zukünftige Umweltbehörde des Landes Sachsen übergeben. Ein politisches Ziel der Fachgruppe war es, durch die Beteiligung von Vertretern der neuen politischen Gruppen diese nachhaltig zu unterstützen. Insgesamt stellte Baden-Württemberg 1990 für Umweltprojekte rund 19 Mio. DM zur Verfügung.969 969 Abschlussbericht der GK S / BW. Hilfsmaßnahmen Baden-Württembergs für Sachsen (1990/1991) (ebd., Allgemeines); Bericht der Bund / Länder-AG zur Erarbeitung von Vorschlägen für die Weiterentwicklung der deutsch-deutschen Zusammenarbeit im Umweltschutz an die UMK [handschr.: 26. 4. 90] (HAIT, KA, V.3, 3); Landesanstalt für Umweltschutz Baden-Württemberg: Liste der Geräte, die für Dienststellen in den Bezirken Dresden, KMS und Leipzig neu gekauft oder gebraucht zur Verfügung gestellt werden. Stand: 25. 4.1990 (ebd.). Staatliche Umweltinspektion beim RdB Dresden: Messgeräteliste, Schenkung aus Baden-Württemberg, vom 10. 5.1990 (ebd.); Vgl. BVB Dresden, Fachamt Umweltschutz, an Arnold Vaatz vom 19. 7.1990 (ebd.).

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Fachgruppe Finanzen: Der von der am 15. März in Stuttgart ins Leben gerufenen Fachgruppe behandelte Gesamtkomplex „Finanzen“ war auf baden-württembergischer Seite beim Finanzministerium angesiedelt und hatte Schwerpunkte in den Bereichen Landessteuern, Landeshaushaltsrecht und Finanzbehörden einer Landesverwaltung. Weil „nach politischen Vorgaben“ auch die Kreditwirtschaft behandelt werden sollte, war der Direktor der Landeskreditbank BadenWürttemberg, Rolf Hohenleitner, gebeten worden, dieses Thema zu betreuen. Hohenleitner stand vor dem Problem, „dass es den sächsischen Fachgruppenmitgliedern schwer fällt, in den für sie völlig neuen Fachgebieten Organisation einer Finanzverwaltung, Steuern und Haushaltswesen Informationsbedürfnisse zu formulieren und dann gezielte Wünsche zu äußern“. Vom Kenntnisstand her sei nur die baden-württembergische Seite in der Lage, ein sachgerechtes Schulungsprogramm zu konzipieren.970 Hier aber tat sich ein zweites Problem auf, denn es zeigte sich rasch, dass das Konzept, wonach Fachleute aus Baden-Württemberg Hilfestellung beim Aufbau Ost leisteten, im Bereich der Kreditwirtschaft nicht zu verwirklichen war. Die in die Fachgruppe entsandten Vertreter der Sparkassen, Volks- und Raiffeisenbanken sowie privater Banken verfolgten die wirtschaftlichen Interessen ihrer Institutionen und waren nicht bereit, Kenntnisse und Planungen im Rahmen der Fachgruppe offen zu legen. Da sich bereits auch Partnerschaften zwischen den Institutsgruppen gebildet hatten, zum Beispiel zwischen baden-württembergischen und sächsischen Sparkassen, bestand kein Bedarf für eine intensive Arbeitsgruppentätigkeit. Hohenleitner verwies deswegen nach einer Sitzung am 3. Mai in Stuttgart auf die bilateralen Partnerschaften und stellte den Institutsgruppen anheim, für weitere Sitzungen der Fachgruppe zu optieren, was erwartungsgemäß nicht geschah.971 Die weitere Arbeit mit den sächsischen Partnern konzentrierte sich daher auf den Ausbau der Landesverwaltung im Bereich Finanzen. Leiter der Fachgruppe auf sächsischer Seite war im Sommer 1990 der Geschäftsführer der sächsischen CDU, Gerd Medger für Dresden, sein Stellvertreter der Leiter der Bezirksgeschäftsstelle Chemnitz des Sparkassenverbandes der DDR, Heinze. Nach ersten Informationsbesuchen der sächsischen Vertreter wurden Seminare insbesondere zu den Themen Haushalt, Kassenwesen, Liegenschaften, Hochbau, Personal und Organisation abgehalten. Außerhalb der Gemischten Kommission wurde im Rahmen der Finanzministerkonferenz vereinbart, dass Baden-Württemberg den Aufbau zwölf neuer Finanzämter im Bezirk Dresden – nach Bildung des Landes Sachsen auch im Süden des früheren Bezirkes Cottbus – unterstützt und unter bayerischer Federführung auch beim Aufbau der Oberfinanzdirektion Chemnitz und des Finanzministeriums in Dresden mitwirkt. Dies wurde von umfassenden Hilfen der Gemischten Kommission begleitet. Die sachliche Unterstützung umfasste insbesondere die notwendige Ausstattung der Finanzämter und 970 Landeskreditbank Baden-Württemberg, Rolf Hohenleitner, an das FMBW, Dieter Riempp, vom 11. 4.1990 (SMBW, 0136, GK S/BW, FG Finanzen und Kreditwesen). 971 Rolf Hohenleitner an den Autor vom 6. 3. 2002.

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einer Finanzschule. Personelle Unterstützung wurde im Bezirk Dresden durch die Schulung von Bediensteten, die Ausbildung von Finanz- und Steueranwärtern sowie eine Betreuung vor Ort durch baden-württembergische aktive und Ruhestandsbeamte geleistet. Hinzu kamen Maßnahmen wie Organisationsberatung, Ausbildung am Arbeitsplatz, Umsatzsteuerprüfungen, Aufbau einer EDV -Unterstützung und Finanzkassenwesen. Es gab laufend Praktika sächsischer Mitarbeiter in Baden-Württemberg. Dortige Finanzämter gewährten im Rahmen von „Finanzamtspartnerschaften“ im Bedarfsfall kurzfristig Beratung und personelle Hilfe. Mit Blick auf die Einrichtung der bislang unbekannten Steuerverwaltung kündigte Baden-Württemberg an, seine Hilfe auch nach 1990 fortzusetzen und Sachsen bei den erst später einsetzenden Massenverfahren wie Lohnsteuerjahresausgleich, Einkommens-, Körperschafts- und Umsatzsteuerveranlagung nach neuem Recht zu unterstützten. Um Sachsen diesbezüglich handlungsfähig zu machen, wurden zusätzliche Hilfen für den Aufbau einer Fachhochschule für Finanzen bzw. des entsprechenden Fachbereichs einer sächsischen Fachhochschule für öffentliche Verwaltung avisiert.972 Fachgruppe Fremdenverkehr: Im Mittelpunkt der Arbeit der bereits Ende Januar 1990 ins Leben gerufenen Fachgruppe, deren letzte Sitzung am 24./25. September in Bad Elster stattfand, standen Maßnahmen zum Bildungstransfer auf den Gebieten Marketing und Management. Leiterin der Fachgruppe war im Sommer 1990 Frau Buschbeck aus Chemnitz. Der Schwerpunkt der durchgeführten Maßnahmen betraf die Fremdenverkehrswirtschaft und kommunale Fremdenverkehrsstellen. Es gab Seminare für Neugastwirte, Unternehmensund Existenzgründungsberatung durch Experten des baden-württembergischen Hotel- und Gaststättenverbandes zu Fragen der Rechtsform, zu betriebswirtschaftlichen Grundfragen, zur Kalkulation und künftigen Markt- und Angebotsstrategie, zu Grundfragen des Steuerrechts und zur Umsatzsteuer. Der Hotelund Gaststättenverband Baden-Württemberg stationierte für die Dauer eines Jahres in Dresden einen juristisch-volkswirtschaftlich ausgebildeten Geschäftsführer zur Beratung des Hotel- und Gaststättengewerbes in allen Vertragsangelegenheiten und parallel hierzu einen Betriebsberater. Es gab Informationsveranstaltungen für Leiter von Campingplätzen und ein allerdings wenig genutztes Sonderprogramm „Camping“ mit zinsverbilligten Krediten über die badenwürttembergische Landeskreditbank für die Errichtung, Erweiterung sowie Modernisierung von Campingplätzen und Ferienhäusern. Die Fachgruppe kümmerte sich freilich auch um die Werbung für kostengünstigen Urlaub in BadenWürttemberg. Kommunale Fremdenverkehrsstellen aus Baden-Württemberg organisierten Seminare für kommunale Fachkräfte in Dresden, und städtische Verkehrsämter in Baden-Württemberg boten Praktikantenschulungen an. Die Fachgruppe beteiligte sich an der Erstellung eines Kurortentwicklungsplans als Pilotprojekt zwischen den Heilbädern Bad Elster und Bad Berka und führte Se972 Abschlussbericht der GK S / BW: Hilfsmaßnahmen Baden-Württembergs für Sachsen (1990/1991) (SMBW, 0136, GK S/BW, Allgemeines).

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minare für die Direktoren von sächsischen Heilbädern zu Fragen des Heilbädermarketings, der Produktgestaltung, der Zusammenarbeit mit den Trägern der Sozialversicherung und zu rechtlichen Problemen durch.973 Fachgruppe Kommunale Partnerschaften:974 Ziel der seit Februar arbeitenden Fachgruppe war es, die Bemühungen der beteiligten kommunalen Körperschaften und Landesverbände sowie der staatlichen Stellen in Sachsen und BadenWürttemberg zur Knüpfung und Vertiefung partnerschaftlicher Kontakte zwischen Städten, Gemeinden und Landkreisen zu unterstützen. Seit den freien Wahlen wurde die Fachgruppe vom Leiter des Ressorts „Raumordnung und Regionalentwicklung der Bezirksverwaltungsbehörde Leipzig, Karl-Heinz Bauer (DA), geleitet, sein Stellvertreter war Erwin Killat vom Neuen Forum Zwickau. Die Fachgruppe konnte über einen Gesamtfinanzrahmen von 1,245 Mio. DM verfügen und arbeitete eng mit den kommunalen Landesverbänden in BadenWürttemberg zusammen. Kernpunkt der Hilfe für Sachsen war ein Informationsangebot für kommunale Mandatsträger und Bedienstete aus der Verwaltung. Im Rahmen der Seminarreihe „Die kommunale Selbstverwaltung in Theorie und Praxis“ organisierte das Stuttgarter Innenministerium im Laufe des Jahres 1990 eine Reihe von Veranstaltungen über Grundkenntnisse der kommunalen Selbstverwaltung im Staatsaufbau des Landes, der Kommunalverfassung, -finanzen und -wirtschaft.975 Nach einer Beratung in Leipzig fand vom 2. bis 7. April in Baden-Württemberg eine erste Weiterbildung über kommunale Selbstverwaltung statt, an der sächsische Kommunalvertreter und Mitglieder des Gründungsausschusses des Sächsischen Gemeindetages teilnahmen.976 Außerdem wurde gemeinsam mit dem baden-württembergischen Städtetag eine Seminarreihe zu Fragen der kommunalen Selbstverwaltung organisiert.977 Dazu gehörten ein Symposium für Mitarbeiter der Räte der Bezirke und regelmäßig stattfindende Fortbildungsveranstaltungen an der Führungsakademie Baden-Württembergs. Dem Wissenstransfer diente auch eine von den kommunalen Landesverbänden Baden-Württembergs ins Leben gerufene Initiative zur Förderung der kommunalen Selbstverwaltung in der DDR. Schwerpunkt waren auch hier Informationsangebote und Beratungsaufenthalte. Ein weiteres Ziel der Fachgruppe war der Ausbau von Städtepartnerschaften.978 Rund 85 Städte und Gemein973 Ebd. 974 Ausführliche Unterlagen zur FG in: SMBW 0136, GK S/BW, FG Kommunale Partnerschaften. 975 Pressemitteilung des SMBW über das baden-württembergische Hilfsprogramm für Sachsen vom 27. 3.1990 (Dok. 30). 976 RdB Dresden: Festlegungsprotokoll über die Beratung der FG Kommunale Beziehungen für die Zusammenarbeit Sachsen/Baden-Württemberg am 9. 2.1990 in Dresden (HAIT, KA, V.3, 6). 977 Gemeindetag und Städtetag Baden-Württemberg, Kommunale Kontakt- und Informationsstelle Baden-Württemberg/DDR: Initiative für kommunale Selbstverwaltung in der DDR vom 14. 2.1990 (ebd.). 978 RdB Dresden, Abt. Internationale Beziehungen: Städte und Gemeinden, die bereits Kontakte zu Partnern in Baden-Württemberg bzw. der BRD aufgenommen haben oder konkrete Partnerwünsche angeben, vom 8. 2.1990 (ebd.).

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den sowie vierzehn Kreise der sächsischen Bezirke nahmen allein bis März kommunale Beziehungen mit dem Ziel auf, Partnerschaftsvereinbarungen abzuschließen. Rund 180 Städte und Gemeinden wandten sich an den baden-württembergischen Gemeinde-, Städte- und Landkreistag, um Partnerschaften vermittelt zu bekommen. Ein Grund für die rege Nachfrage war die Erwartung finanzieller oder materieller Hilfen. Ein weiterer Arbeitspunkt war die inhaltliche Unterstützung bei der Gründung des Sächsischen Städte- und Gemeindetages am 1. April.979 Die Fachgruppe organisierte einen Literaturservice und über fünfzig Seminare zur Verfassung und Verwaltung Baden-Württembergs, zur kommunalen Selbstverwaltung und zu Fragen der kommunalen Finanzwirtschaft. Wichtiger Bestandteil der Arbeit war die Initiierung eines „Experten-Service Sachsen II“, der unter Federführung der kommunalen Landesverbände aufgebaut und organisiert wurde und dessen Ziel es war, Ruhestandsbeamte mit Kommunalerfahrung als Berater für konkrete Projekte in sächsische Gemeinden, Städte und Landkreise zu vermitteln. Das Land beteiligte sich an diesem Service über die finanzielle Unterstützung hinaus auch mit der Entsendung von Landesbeamten im Ruhestand. Da die Arbeit im Sommer 1990 Dank der Initiativen der Kommunen sehr gut lief, kündigte die Fachgruppe im Juli ihre Selbstauflösung mit der Begründung an, ihre Aufgabe sei inzwischen zum „Selbstläufer“ geworden.980 Die Fachgruppe traf sich letztmalig am 1./2. Oktober in Öhringen in Baden-Württemberg.981 Fachgruppe Kultur: Bei Sitzungen der Anfang März konstituierten Fachgruppe vom 24. bis 27. April in Leipzig ging es um Bibliotheksarbeit und Literatur. Teilnehmer waren Bibliothekare, Schriftsteller sowie Vertreter von Verlagen und Literaturinstituten. Ziel war die Unterstützung von Bibliotheken, Literaturmuseen und Instituten, die Ausbildung von Schriftstellern, Ausstellungen sowie die kostenlose Lieferung von Büchern. Nach Besprechungen vom 19. bis 21. Mai in Ludwigsburg und am 11. Juni in Stuttgart folgte am 3. Juli in Chemnitz ein Beratungsseminar für Kulturverwaltungen.982 Klaus Schumann wurde im Juni als Leiter der Fachgruppe Kultur der Gemischten Kommission abgelöst.983 Seine Funktion übernahm Wolfgang Weber aus Chemnitz, hier zugleich Strukturbeauftragter für diesen Bereich, vertreten wurde er von Mauk für Leipzig. Eine

979 Information des RdB Dresden über die Arbeit der GK S/BW vom 13. 3.1990 (Dok. 21). 980 Bericht über die Sitzung der Vorsitzenden der Fachgruppen der GK S/BW am 6. 7.1990 in Leipzig (SMBW, 0136, Jour Fix – Raum Sachsen des SM). 981 Information über die Beratung der FG „Kommunale Partnerschaften“ der GK S/BW am 1./2.10.1990 (SächsStAC, 137632); BVB Chemnitz: Mitteilung des Arbeitsbereichs Internationale Politik an den Regierungsbevollmächtigten vom 21. 9.1990 (ebd.). 982 Protokoll der Literaturtagung der FG Kultur der GM S/BW vom 24.–27. 4.1990 in Leipzig (HAIT, KA, V.3, 7); SMBW, Büro Staatsrat für Kunst: Tätigkeitsbericht des Vorsitzenden der FG Kultur der GK S / BW für das erste Halbjahr 1990 vom 29. 6.1990 (SMBW, 0136, GK S/BW, FG Kultur). 983 SMBW, Büro Staatsrat für Kunst: Tätigkeitsbericht des Vorsitzenden der FG Kultur der GK S/BW für das erste Halbjahr 1990 vom 29. 6.1990 (ebd.).

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letzte Besprechung fand vom 10. bis 12. September in Chemnitz statt.984 Die Fachgruppe unterstützte im professionellen wie im Laienbereich Aktivitäten in den Bereichen Theater, Kabarett, Musik, Literatur, Bildende Kunst, Film, Museum, Denkmalpflege, Volkskunst und Heimatpflege, setzte sich für den Aufbau dauerhafter Beziehungen zwischen Kunst- und Kultureinrichtungen, künstlerischen Ensembles und Stiftungen ein, unterstützte den neuen Sächsischen Kunstverein, den Austausch von Gastprofessoren, organisierte Jahresstipendien, stellte sächsische Kultur im Rahmen der Ludwigsburger Schlossfestspiele vor, organisierte die Durchführung von sächsisch/baden-württembergischen Literaturtagen im Herbst 1990 in Fellbach und förderte die Kooperation zwischen den Musikhochschulen in Dresden, Freiberg und Karlsruhe, ein Gastspiel der Internationalen Bachakademie in Leipzig im Oktober 1990 sowie eine DDRWoche des Theaterhauses Wangen in Stuttgart.985 Fachgruppe Wissenschaft und Bildung: In der am 22. März in Stuttgart gebildeten Fachgruppe gab es zunächst zwei Arbeitsgruppen zu den Themenbereichen „Bildung“ und „Wissenschaft“. Die Arbeitsgruppe „Bildung“ besprach bei der Gründungstagung in Stuttgart Kooperationen in den Bereichen Schulpartnerschaften, Schulkunst, Fortbildung von Pädagogen, „Schule-Familie-Umwelt“ sowie Medienerziehung986 und unterteilte ihre Arbeit nochmals in die zeitweiligen Unterarbeitsgruppen „Landesschulgesetz für Sachsen“, „Inhalte und Strukturen der Oberschul- und Schulämter“ sowie „Inhalte und Struktur der Lehrerfort- und Weiterbildung“.987 In der Arbeitsgruppe Wissenschaft ging es um Möglichkeiten der Zusammenarbeit und der Förderung im Hochschulbereich.988 Unmittelbar nach der Konstituierung kritisierte der Minister für Kultus und Sport Baden-Württembergs, Mayer-Vorfelder, gegenüber Späth den Zuschnitt der Fachgruppe und forderte, mit einer eigenen Fachgruppe in der Gemischten Kommission vertreten zu sein.989 Aufgrund der unterschiedlich gelagerten Arbeitsfelder und des umfangreichen Arbeitsanfalls sei eine „Teilung aus Ressortzuständigkeiten und Fragen der Arbeitsökonomie sachlich dringend geboten“.990 Daraufhin beschloss Ende März auch der Rat des Bezirkes Dresden eine Tren-

984 Abschlussbericht der GK S/BW, Anlage zu III.3: Übersicht über die Sitzungen der Fachgruppen (SMBW, 0136, GK S/BW, Allgemeines). 985 Information des RdB Dresden über die Arbeit der GK S/BW vom 13. 3.1990 (Dok. 21). 986 Ergebnisprotokoll über die Sitzung der FG Wissenschaft und Bildung vom 21.–24. 3. 1990 in Dresden (HAIT, KA, V.3, 8); Abschlussbericht der GK S/BW, Anlage zu III.3: Übersicht über die Sitzungen der Fachgruppen (SMBW, 0136, GK S/BW, Allgemeines). 987 Tischvorlage Nr. 2. FG Wissenschaft und Bildung vom 22. 3.1990 (HAIT, KA, V.3, 8). 988 Ergebnisprotokoll über die Sitzung der FG Wissenschaft und Bildung vom 21.–24. 3. 1990 in Dresden (ebd.); Abschlussbericht der GK S / BW, Anlage zu III.3: Übersicht über die Sitzungen der Fachgruppen (SMBW, 0136, GK S/BW, Allgemeines). 989 SMBW, Abt. V: Vermerk betr. GK S/BW vom 30. 3.1990 (ebd., Sitzung des Ministerrates am 9. 4.1990, TOP 1A: Hilfen für die DDR). 990 MKSBW, Klaus Fischer, an das SMBW, Lorenz Menz, vom 7. 5.1990 (ebd., GK S/BW, FG Wissenschaft und Bildung).

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nung der Fachgruppe.991 Mitte Mai informierte das Staatsministerium das bislang mit der Koordinierung der Arbeiten der Fachgruppe beauftragte Ministerium für Wissenschaft und Kunst von der Teilung,992 die am 21. Mai durchgeführt wurde.993 Von nun an vollzog sich die Arbeit in den getrennten Fachgruppen „Wissenschaft und Hochschulen“, weiterhin unter paritätischer Leitung von KarlHeinz Kammerlohr und Matthias Rößler, sowie „Schule, Jugend, Sport“, auf baden-württembergischer Seite vom Leiter der Grundsatzabteilung des Ministeriums für Kultus und Sport, Wolf-Ulrich Müller, für die sächsische Seite von Klaus Erich Husemann geführt.994 Zwar arbeiteten die Gruppen fortan unabhängig voneinander, tagten aber weiterhin zur selben Zeit am selben Ort (16.– 19.9. in Chemnitz und 16.–18.12. 1990 in Stuttgart) und trafen sich nach den Beratungen gemeinsam im Plenum.995 Die Zusammenarbeit beider Fachgruppen funktionierte wohl auch deswegen gut, weil Husemann und Rößler seit einem Umwelttreffen auf dem Kirchentag 1989 befreundet waren. „An sich“, so Rößler, „wäre da ein Konflikt vorprogrammiert gewesen“, weil Husemann zunächst als Bezirks-, dann als Landesschulrat „auf das Ticket von Reichenbach und de Maizière“ fuhr und somit die „verlängerte Struktur aus Berlin“ verkörperte. Seine Funktion spiegelte aus Rößler Sicht den „Grundkonflikt dieser ganzen Zeit“ wider zwischen dem, „was hier im Land gewachsen war und dem, was man uns aus OstBerlin überstülpen wollte“. Ungeachtet der konträren Anbindung ihrer Funktionen ermöglichte der persönliche Kontakt aber hier wie im Koordinierungsausschuss einen pragmatischen und sachbezogenen Umgang miteinander.996 Fachgruppe Wissenschaft und Hochschulen: Mitglieder der neuen Fachgruppe waren auf baden-württembergischer Seite Vertreter des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst sowie Vertreter der Landesrektorenkonferenzen der Universitäten, Pädagogischen Hochschulen und Fachhochschulen. Auf sächsischer Seite gehörten ihr Professoren und Dozenten der TU Dresden und Chemnitz, der Karl-Marx-Universität Leipzig, der Bergakademie Freiberg, der Ingenieurhochschule Mittweida sowie Vertreter der Räte der Bezirke/Bezirksverwaltungsbehörden an. Die DDR-Vertreter betraten mit dem bundesdeutschen Wissenschaftssystem Neuland, umgekehrt galt dies auch für die westlichen Teilnehmer, die kaum Kenntnisse über die bisherigen Verhältnisse in der DDR, etwa über das Verhältnis von universitärer und außeruniversitärer Forschung hatten.997 991 Beschluss des RdB Dresden 65/90 vom 28. 3.1990: Durchführung der 3. Tagung der GK S/BW vom 4.–5. 4.1990 in Stuttgart (RPL, 0141.0) (HAIT, KA, V.2). 992 SMBW, Lorenz Menz, an das MKSBW, Klaus Fischer, vom 15. 5.1990 (SMBW, 0136, GK S/BW, FG Wissenschaft und Bildung). 993 Programm für die Sitzung der FG Wissenschaft und Bildung vom 21.–23. 5.1990 in Stuttgart (ebd.); Ergebnisprotokoll über die Sitzung der FG Wissenschaft und Bildung vom 21.5.–23. 5.1990 in Stuttgart (ebd.). 994 MKSBW, Klaus Fischer, an das SMBW, Lorenz Menz, vom 7. 5.1990 (ebd.). 995 Abschlussbericht der GK S/BW, Anlage zu III.3: Übersicht über die Sitzungen der Fachgruppen (SMBW, 0136, GK S / BW, Allgemeines); Matthias Rößler, FG Wissenschaft und Bildung vom 25. 5.1990 (HAIT, KA, V.3). 996 Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003. 997 Vgl. Lehmbruch, Die deutsche Vereinigung, S. 187.

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Im Laufe der Arbeit wurden zwei Arbeitsgruppen eingerichtet. Die Gruppe „Hochschulrecht“ arbeitete an der Erstellung sächsischer Hochschulgesetze mit, die Gruppe „Fachhochschulen“ gab Hilfen zum Aufbau eines Fachhochschulsystems in Sachsen. Ziel der Fachgruppe Wissenschaft und Hochschulen war die weitere Entwicklung der Zusammenarbeit in allen Bereichen von Hochschulen und Wissenschaft. Dafür standen 1,356 Mio. DM zur Verfügung. Die geförderte Kooperation umfasste die Universitäten und sonstigen Hochschulen, wissenschaftliche Bibliotheken und Archive sowie andere wissenschaftliche Einrichtungen. Kernstück der Maßnahmen war die Förderung von Informationsund Besuchsaufenthalten. Hunderten von Professoren, Nachwuchswissenschaftlern, Studenten und Verwaltungsfachleuten aus Hochschulen der DDR wurden kurzzeitige Weiterbildungs- und Hospitationsaufenthalte in Baden-Württemberg ermöglicht. Knapp fünfzig Wissenschaftler und Studenten erhielten Stipendien für mehrmonatige Aufenthalte. Umgekehrt führten zahlreiche baden-württembergische Professoren und wissenschaftliche Mitarbeiter Seminar-, Kurs- und Vorlesungsveranstaltungen – auch in Form von Gastprofessuren – an sächsischen Hochschulen durch. In diese Aktivitäten waren alle sächsischen und nahezu alle baden-württembergischen Hochschulen einbezogen. Gefördert wurden alle Wissenschaftsbereiche, Schwerpunkte waren allerdings die Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Die vielfältigen Wissenschaftsbeziehungen führten nach einer bereits 1989 geschlossenen Partnerschaft zwischen der Universität Stuttgart und der TU Chemnitz nun zu weiteren Partnerschafts- und Kooperationsvereinbarungen zwischen der Universität Karlsruhe und der TU Dresden sowie der TH Leipzig, der Universität Tübingen und der Karl-MarxUniversität Leipzig, der Fachhochschule Konstanz und der Ingenieurhochschule Mittweida, der Fachhochschule für Technik Esslingen und der TH Zwickau, der Fachhochschule für Wirtschaft Pforzheim und der Handelshochschule Leipzig sowie der Pädagogischen Hochschulen Freiburg, Ludwigsburg und Schwäbisch Gmünd mit den Pädagogischen Hochschulen Dresden und Leipzig. Außerdem initiierte die Fachgruppe die Durchführung einer Sommeruniversität in Betriebswirtschaftslehre für 160 sächsische Studenten an der Universität Stuttgart, eine Soforthilfe in wirtschaftswissenschaftlicher Literatur für die sächsischen Hochschulen, ein Fortbildungsseminar für Professoren und Nachwuchswissenschaftler im Bereich Wirtschafts- und Personalmanagement, eine Zusammenarbeit im Bereich der wissenschaftlichen Bibliotheken, insbesondere der Württembergischen und Sächsischen Landesbibliothek, sowie Managementseminare der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft/Exportakademie Reutlingen an der TU Dresden. Die Tätigkeit der Fachgruppe erreichte sowohl in Baden-Württemberg als auch in Sachsen durch eine intensive Öffentlichkeitsarbeit einen hohen Bekanntheitsgrad und stärkte nach Meinung der baden-württembergischen Landesregierung „die anfangs schwache politische Stellung der sächsischen Mitglieder, allesamt zunächst neu in diesem Bereich tätig, in bedeutender Weise“. So wurden aus den Reihen der Fachkommission die neu amtierenden Rektoren der Karl-Marx-Universität Leipzig, Günther Wartenberg, und der Ingenieurhoch-

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schule Mittweida, Reinhard Schmidt, sowie der neue Leiter des Rechenzentrums an der TU Dresden, Manfred Frank, rekrutiert. Der Vorsitzende des sächsischen Teils der Fachgruppe und Dozent an der Verkehrshochschule Dresden, Matthias Rößler, wurde sächsischer Landesstrukturbeauftragter für die Bereiche Kultus und Wissenschaft und später sächsischer Staatsminister.998 Er sagte von sich selber, in der Fachgruppe eine „nachhaltige Prägung“ erfahren zu haben.999 Fachgruppe Bildung / Schule, Jugend, Sport: Nach ersten Gesprächen mit DDR-Lehrern wurden die Kooperationsmaßnahmen im Bereich dieser Fachgruppe mit Hilfe des Leiters der sächsische Delegation, des Landesschulrats für Sachsen, Klaus Erich Husemann, umgesetzt. Baden-württembergische Lehrerfortbildungsprogramme wurden für sächsische Teilnehmer geöffnet und im Frühjahr 1990 zentrale Lehrerfortbildungsveranstaltungen für rund zweihundert sächsische Lehrer durchgeführt. Inhalt und Ablauf aller Veranstaltungen wurden gemeinsam geplant und vorbesprochen. Schwerpunkte der Lehrerfortbildung waren die Bereiche Geschichte und Gemeinschaftskunde – hierzu gab es ab Ende 1990 bis einschließlich 1991 vierzig Veranstaltungen mit rund eintausend sächsischen Geschichtslehrern –, ein Führungsseminar für Schulleiter zur Vorbereitung auf neue pädagogische Führungsaufgaben, Seminare für Schulleiter beruflicher Schulen über die Struktur des beruflichen Schulwesens, den Erziehungs- und Bildungsauftrag beruflicher Schulen, Grundfragen der freiheitlich demokratischen Ordnung, Führung und Organisation sowie Zusammenarbeit im dualen System, Einführungsseminare über Schulbücher, Seminare für Lehrer an beruflichen Schulen über Lehrpläne der Berufsschulen des Landes Baden-Württemberg, Sofortaktion zur Versorgung aller sächsischen Berufsschulen mit einem Grundbestand an Bildungsplänen, Informationsveranstaltungen für gewerbliche, kaufmännische und hauswirtschaftlich-pflegerische, landwirtschaftliche und sozialpädagogische Schulleiter, Fortbildungen im Fach Englisch, zum Teil als Anfangsunterricht oder zur Umschulung von Russisch- zu Englischlehrern, Seminare zum Menschenbild mit Themen wie rechtliche, pädagogische und philosophische Fragen, Alternativen zur ideologisierten Schule, individuell verantwortliches Handeln oder Erziehungsziele im demokratischen Staat sowie eine Sofortversorgung im Leihverfahren von 200 000 Schülern in Sachsen mit neuen Schulbüchern der Klassen 2 bis 4. Außerdem wurden im Bereich des vom Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg initiierten Partnerschaftsprogramms rund zweihundert Schulpartnerschaften eingerichtet. Elf Partnerschulen widmeten sich der Entwicklung eines berufsorientierten Bereichs „Arbeit, Wirtschaft, Technik“ und wurden hierzu ebenso besonders gefördert wie modellhafte Kooperationen im Bereich der Werkrealschule, für die auf Grund der bisherigen Polytechnischen Oberschulen auf sächsischer Seite 998 MWKBW, Ref. I/7: Bericht über die Tätigkeit der FG Hochschulen und Wissenschaft der GK S/BW im Jahre 1990 und Ausblick auf 1991 vom 5.11.1990 (SMBW, 0136, GK S / BW, Allgemeines). Vgl. Abschlussbericht der GK S / BW: Hilfsmaßnahmen BadenWürttembergs für Sachsen (1990/1991) (ebd.). 999 Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003.

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ein besonderes Interesse vorhanden war. Im Bereich von Sport, Jugendarbeit, Laienkunst, der öffentlichen Bibliotheken und der Weiterbildung wurden zahlreiche Kontakte geknüpft, in deren Rahmen Hilfe beim Aufbau einer unabhängigen Vereinstätigkeit geleistet werden konnte. Begleitet wurden diese Hilfen von zahlreichen Begegnungsmaßnahmen im Jugendbereich. Auch in diesem Arbeitsbereich wurden die Hilfen nach dem Ende der formalen Fachgruppenarbeit über das Jahr 1990 hinaus fortgesetzt.1000 Fachgruppe Bauwesen, Städtebau und Denkmalpflege: Die Fachgruppe Bauwesen und Städtebau, die sich am 21. Februar in Stuttgart konstituierte, beschloss bei einer Besprechung am 5. April in Stuttgart die erweiterte Bezeichnung „Bauwesen, Städtebau und Denkmalpflege“.1001 Seit dem Sommer wurde die Fachgruppe vom Ressortchef „Bau- und Wohnungswesen“ der Bezirksverwaltungsbehörde Leipzig, Jürgen Namysloh, geleitet.1002 Schwerpunkte der Zusammenarbeit lagen auf den Gebieten des Städtebaus und der Denkmalpflege. Dafür standen im Haushaltsjahr 1990 insgesamt 5 Mio. DM zur Verfügung, wovon 2 Mio. für denkmalpflegerische Aufgaben verwandt wurden. Sie flossen in die Restaurierung vordringlicher Objekte wie des Dresdner Zwingers, von Schloss Hubertusburg, der Albrechtsburg sowie eines historischen Gebäudes am Meißner Marktplatz. Außerdem wurden zur städtebaulichen Erneuerung in den Städten Riesa, Pirna, Görlitz und Altenburg jeweils 0,75 Mio. DM investiert. Als personelle Hilfsmaßnahmen führte die Bauabteilung des baden-württembergischen Innenministeriums von Mai bis Ende 1990 Fortbildungsveranstaltungen zu den Themen städtebauliche Erneuerung, Bauordnungsrecht, Bauleitplanung / Bauplanungs- und Bauordnungsrecht für künftige Baurechtsreferenten, Wohngeld / Wohnungsbauförderung sowie Stadterneuerung durch. Jeweils auf drei Monate abgeordnete Baurechtsreferenten baden-württembergischer Regierungspräsidien berieten fachlich, rechtlich und organisatorisch in den sächsischen Bezirken. Ein Baurechtsreferent des baden-württembergischen Innenministeriums wirkte längerfristig als Berater beim Aufbau der sächsischen Innenverwaltung mit. Die umfangreichen Erneuerungsmaßnahmen und die Beratungshilfe wurden auch nach 1990 fortgeführt.1003 Fachgruppe Ländlicher Raum und Landwirtschaft: Die Fachgruppe setzte ihre Ende Februar begonnene Arbeit mit einer zweiten Sitzung am 4. bis 6. April in Weinsberg fort. Hier wurden mittel- und langfristige Maßnahmen abgestimmt. Die wichtigsten Punkte eines Maßnahmepaketes waren die Informationsvermittlung durch Lehrfahrten, Kontakte, Weiterbildungen und Literatur, der Erfahrungsaustausch durch Expertenschulungen und Praktikantenaus1000 Abschlussbericht der GK S/BW: Hilfsmaßnahmen Baden-Württembergs für Sachsen (1990/1991) (SMBW, 0136, GK S/BW, Allgemeines). 1001 IMBW, Ulrich Hieber, an SMBW, Barbara Lichtenthäler, vom 11. 4.1990 (ebd., FG Bauwesen, Städtebau und Denkmalpflege). 1002 Jürgen Namysloh an Günter Kleinschmidt vom 23. 7.1990 (RPL, AZ 0141.0). 1003 Abschlussbericht der GK S/BW: Hilfsmaßnahmen Baden-Württembergs für Sachsen (1990/1991) (SMBW, 0136, GK S/BW, Allgemeines).

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tausch, materielle und finanzielle Unterstützungsmaßnahmen beim Einsatz umweltfreundlicher Technologien in der Landwirtschaft und bei der Bereitstellung von Pflanzgut insbesondere im Forstbereich.1004 Es folgten Sitzungen vom 11. bis 13. Juni im Bezirk Chemnitz, 9. und 10. August im Bezirk Leipzig und vom 27. bis 29. August in Nagold.1005 Die Fachgruppe leitete seit dem Sommer der Ressortleiter „Ernährung, Landwirtschaft und Forsten“ der Bezirksverwaltungsbehörde Leipzig, Christfried Gebauer;1006 sein Stellvertreter war der Ressortleiter „Ernährung und Landwirtschaft“ der Bezirksverwaltungsbehörde Dresden, Jürgen Gülde. Aus der Arbeit der Fachgruppe entwickelte sich eine intensive Zusammenarbeit mit Dienststellen, Verbänden und Institutionen in Sachsen, die weit über den ursprünglich geplanten Rahmen des Soforthilfeprogramms hinausging. Im Rahmen der für diesen Bereich verfügbaren Mittel im Gesamtvolumen von 1,5 Mio. DM für 1990 wurden folgende Schwerpunktmaßnahmen veranstaltet: Schulungsmaßnahmen, Veranstaltungen zur Aus- und Weiterbildung (z. B. Lehrfahrten und Expertengespräche zur Umstrukturierung der Landwirtschaft), Förderung von Verbandsarbeit (Landjugend, Landfrauen, Bauernschularbeit), Praktikantenaustausch, Hospitationen bei Verbänden und Verwaltungsdienststellen (Einarbeitung aller Leiter der neu zu bildenden staatlichen Forstämter in Sachsen bei staatlichen Forstämtern in Baden-Württemberg; entsprechende Maßnahmen für Funktionsträger der sächsischen Kreislandwirtschaftsämter), Hilfe bei der Umsetzung des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes, Durchführung von vereinfachten Flurbereinigungsverfahren zur Entflechtung von LPGen, Seminarveranstaltungen der Akademie Ländlicher Raum für insgesamt zirka vierhundert Kommunalpolitiker mit dem Schwerpunkt kommunale Planung und Dorfentwicklung, Seminare der Akademie Ländlicher Raum für künftige private Landwirte und Existenzgründer aus dem Bereich der agrargewerblichen Wirtschaft, Fachtagung „Freiflächensicherung in Stadt und Dorf“ der Akademie Ländlicher Raum in Zusammenarbeit mit dem Sächsischen Städte- und Gemeindetag, Aktion „Dorfpartnerschaften“ der Akademie Ländlicher Raum in Zusammenarbeit mit dem Gemeindetag Baden-Württemberg und dem Sächsischen Städte- und Gemeindetag, landwirtschaftliche Referendarausbildung für vier junge Hochschulabsolventen, Unterstützung bei der Fortsetzung der Referendarausbildung sowie Vermittlung von Ausbildungsplätzen in den Bereichen Landwirtschaft, Gartenbau und Forstwirtschaft. Besondere Beachtung fanden Maßnahmen mit Modellcharakter zu den Themen Dorfentwicklung und Biotopvernetzung. Im Bezirk Dresden wurden in den Orten Wachau und Gohrisch 1004 (SMBW, 0136, GK S/BW, Ländlicher Raum und Landwirtschaft); [Handschriftl.:] F. Schweizer. MLR Baden-Württemberg, FG „Landwirtschaft und ländlicher Raum“ (HAIT, KA, V.3, 10). 1005 Abschlussbericht der GK S / BW, Anlage zu III.3: Übersicht über die Sitzungen der Fachgruppen (SMBW, 0136, GK S/BW, Allgemeines). 1006 BVB Leipzig: Betr. Beauftragte des Ressorts Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in AG bzw. Problemlösungen in Zusammenarbeit mit dem Land Baden-Württemberg vom 23. 7.1990 (RPL, AZ 0141.0).

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Modellplanungen mit Dorfentwicklungsmaßnahmen gefördert und umgesetzt, die der Verbesserung der Infrastruktur im Dorf durch integrierte Planung und Durchführung landwirtschaftlicher, gewerblicher und dörflicher Infrastrukturmaßnahmen ebenso dienen sollten wie der Schaffung von außerlandwirtschaftlichen Arbeitsplätzen (z. B. Einrichtung eines Handwerkerhofes) und der Dorfökologie (in Verbindung mit der Planung eines umfassenden Biotopvernetzungssystems). An personeller Hilfe entsandte das Ministerium für Ländlichen Raum Baden-Württembergs im Rahmen der Fachgruppentätigkeit zunächst vier Seniorexperten für jeweils vier Wochen in sächsische Betriebe zur Unterstützung und Beratung bei der Neustrukturierung der Landwirtschaft, im September folgten weitere zwanzig Seniorexperten. Daneben unterstützten vor allem vier Beamte aus dem Geschäftsbereich des Ministeriums Ländlicher Raum in den Fachbereichen „Verwaltung und Recht, Landwirtschaft, Flurneuordnung und Forstwirtschaft“ im aktiven Bereich den Aufbau einer neuen Landwirtschaftsverwaltung. Auch in diesem Bereich wurde eine weitere Zusammenarbeit im personellen Bereich und beim Verwaltungsvollzug über das Jahr 1990 hinaus geplant. So nahm man sich trotz dann anderer organisatorischer Rahmenbedingungen u. a. vor, beim Aufbau des Kreisrehabilitationszentrums Pirna-Sonnenstein zu helfen, wo geschützte Arbeitsplätze in der Landwirtschaft für geistig Behinderte geschaffen werden sollten.1007 Fachgruppe Verkehr und Straßenbau: Bei der Sitzung der Gemischten Kommission am 4. April in Stuttgart konstituierte sich die neue Fachgruppe „Verkehr“. Am 28. März hatte Mauksch in Übereinstimmung mit dem Abteilungsleiter Verkehr des Baden-Württembergischen Innenministeriums, Ministerialdirigent Otto Finkenbeiner, die Bildung einer entsprechenden Fachgruppe beschlossen, für die von sächsischer Seite zunächst das Dresdner Ratsmitglied für Verkehrswesen, Peter Franke, zuständig wurde. Später wurde Dirk-Ulrich Hoedt aus Chemnitz Leiter der Fachgruppe, sein Stellvertreter war Norbert Stams aus Dresden. Die Fachgruppe modifizierte angesichts der Dringlichkeit einer Entwicklung des maroden Verkehrssystems nach der Stuttgarter Tagung ihre Aufgaben und traf sich als Fachgruppe Verkehr und Straßenbau am 29./30. Mai in Dresden. Beteiligt waren Vertreter der Abteilungen Verkehr und Straßenbau der Landesregierung Baden-Württemberg, der Abteilungen Verkehrs- und Nachrichtenwesen der drei Räte sowie Vertreter von Parteien, Bürgerbewegungen und des Landesverbandes für das Fuhrgewerbe. Aufgaben der Fachgruppe waren die Entwicklung direkter Verkehrsbeziehungen, Kontakte zwischen Verkehrsbetrieben, Regierungsbezirken sowie Städten und Gemeinden, die Ausarbeitung von Aufgaben und Struktur der künftigen Ämter der Landesregierung und der Regierungspräsidien sowie Weiterbildungsmaßnahmen.1008 Bei einer Beratung am 6. Juli ging es vor allem um den Ausbau 1007 Abschlussbericht der GK S/BW: Hilfsmaßnahmen Baden-Württembergs für Sachsen (1990/1991) (SMBW, 0136, GK S/BW, Allgemeines). 1008 Peter Franke an Andreas Mauksch vom 2. 4.1990 (HAIT, KA, V.3, 13).

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der Eisenbahn- und Autobahntrassen in Sachsen, den Ausbau der Fernsprechverbindungen und die Erweiterung der direkten Verkehrsbeziehungen zwischen Sachsen und Baden-Württemberg.1009 Eine weitere Sitzung fand am 9./10. August in Stuttgart statt.1010 Da auch Bayern stark am Ausbau der unter kommunistischer Herrschaft heruntergekommenen Verkehrsverbindungen interessiert war, bot der Bayerische Staatsminister für Wirtschaft und Verkehr, August R. Lang, am 2. August die Mitarbeit seines Ministeriums in der Fachgruppe an.1011 Die Kooperation erfolgte dann aber doch stärker über die entsprechenden Strukturbereiche des Koordinierungsausschusses. Ebenfalls im August wurde in der Fachgruppe über die künftige Zuordnung des Bereiches in der Ministerialverwaltung diskutiert. Da zu diesem Zeitpunkt der Bereich Verkehr dem Wirtschaftsministerium und das Straßenwesen dem Innenministerium zugeordnet werden sollte, setzte man sich seitens der Fachgruppen dafür ein, die Bereiche Verkehr und Straßenwesen gemeinsam zu verwalten, wobei man es nicht für entscheidend hielt, in welchem Ministerium dies geschehen würde.1012 Die Straßenbauverwaltung Baden-Württemberg hatte bereits frühzeitig vielfältige Kontakte zu den für den Straßenbau zuständigen Einrichtungen des Landes Sachsen aufgenommen. Hierbei standen vor allem Fragen der Aufbau- und Ablauforganisation der Straßenbauverwaltung im Vordergrund. Gleichzeitig wurde mit der Vermittlung von detaillierten straßenbauspezifischen Fachinformationen und der Übergabe von entsprechenden Unterlagen begonnen. Das Innenministerium Baden-Württemberg stand der Straßenbauverwaltung beratend zur Seite und führte verschiedene Schulungen und Informationsveranstaltungen durch, die Themen wie das Vergabe- und Verdingungswesen, Organisation, Personal und EDV umfassten. Die Verwaltungshilfe wurde durch Ausstattungshilfen ergänzt. So konnten der Straßenbauverwaltung Sachsens bis zum Herbst 1990 mehr als siebzig ausgesonderte Kraftfahrzeuge nebst Zubehör übergeben werden, die in Sachsen noch gute Dienste leisteten. Die Unterstützungsmaßnahmen der Straßenbauverwaltung Baden-Württemberg wurden auch nach 1990 fortgesetzt. Es wurde geplant, den Aufbau der Straßenbauverwaltung Sachsen durch Partnerschaften zwischen den jeweiligen Straßenbaubehörden zu befördern.1013 Fachgruppe Verfassung und Verwaltungsreform: Neben der Fachgruppe „Verkehr“ konstituierte sich am 4. April in Stuttgart auch die neue Fachgruppe „Ver1009 BVB Dresden, Ressort Verkehr und Nachrichtenwesen: Beratung der GK S/BW am 6. 7.1990. Ergebnisse der FG Verkehr/Straßenbau (SMBW, 0136, GK S/BW, FG Verkehr). 1010 Abschlussbericht der GK S / BW, Anlage zu III.3: Übersicht über die Sitzungen der Fachgruppen (ebd., Allgemeines). 1011 Bayerischer Staatsminister für Wirtschaft und Verkehr, August R. Lang, an die BVB Dresden vom 2. 8.1990 (HAIT, KA, V.2). 1012 SMBW vom 23. 8.1990: Betr. GK S/BW, hier: 2. Sitzung der FG Verkehr am 9./10. 8. 1990 (SMBW, 0136, GK S/BW, FG Verkehr). 1013 Abschlussbericht der GK S/BW: Hilfsmaßnahmen Baden-Württembergs für Sachsen (1990/1991) (ebd., Allgemeines).

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fassung und Verwaltungsreform“. Dafür waren bis dahin auf baden-württembergischer Seite bereits der Leiter des Referats „Verfassung, Parlamentsfragen und Verwaltungsrecht“ im Innenministerium, der Leitende Ministerialrat Konrad Freiherr von Rotberg, sowie Leiter anderer Referate, aber auch Juristen und Bürgermeister benannt worden.1014 Auch in dieser Fachgruppe hatten die Räte zunächst ihre übliche Dominanz geplant. Nachdem die Innenminister und -senatoren der Länder am 16. März beschlossen hatten, die neuen Bundesländer bei der Schaffung neuer Verwaltungsstrukturen zu unterstützen,1015 hatten die Vorbereitungen zur Bildung dieser Fachgruppe begonnen. Ihre Notwendigkeit ergab sich aus der bisherigen Arbeit der Gemischten Kommission, bei der Fragen der Verfassungs- und Verwaltungsreform einen breiten, die Arbeit der anderen Fachgruppen sprengenden Raum eingenommen hatten.1016 Die DDR-Delegation hatte im Vorfeld der formalen Konstituierung zunächst der Direktor der Betriebsakademie und Leiter der Abteilung „Ausbildung“ des Rates des Bezirkes Dresden, Holger Löser (bislang SED), geführt. Nach Protesten der neuen politischen Kräfte hatte sich der Rat jedoch Mitte März veranlasst gesehen, ihn um einen weiteren Leiter aus einer neuen Partei zu ergänzen bzw. die Zusammensetzung der Fachgruppe insgesamt auf den Prüfstand zu stellen.1017 Heitmann hat Löser vor allem als den Vertreter beim Rat des Bezirkes in Erinnerung, der dank seiner Funktion die praktischen Voraussetzungen für die Tagungen in Gohrisch schaffte.1018 Am 27. März war die Bildung des sächsischen Teils der Fachgruppe erfolgt, einen Tag später hatte der Rat des Bezirkes Dresden die Konstituierung der Fachgruppe „Verfassung und Verwaltung“ bei der Stuttgarter Tagung am 4./5. April beschlossen und Heitmann sowie Löser als gemeinsame Leiter vorgeschlagen.1019 Aber auch diese Lösung war von den neuen Kräften nicht akzeptiert worden. Bei der Tagung der Gemischten Kommission in Stuttgart am 4. April nahmen sie die Zusammensetzung bei der Konstituierung selbst in die Hand. „Wir haben uns“, so Heitmann, „bemüht, diese Fachgruppe auf eine andere Legitimitätsbasis zu stellen als die anderen Gruppen; wir haben die Runden Tische der drei Bezirke gebeten, die Teilnehmer zu bestätigen. Das

1014 FG Verfassung und Verwaltungsreform, o. D. (HAIT, KA, V.1). 1015 Vgl. Beschlussniederschrift über die Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder am 5. 5.1990 in Berlin. Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik (BArch B, DO 5, 98). Vgl. Manfred Preiß an die AG der Geschäftsstellenleiter von Verwaltungsgemeinschaften in Bayern vom 25. 6.1990 (ebd., 11). 1016 SMBW, Abt. V/Protokoll: Programm für die Dritte Sitzung der GK S/BW vom 4. bis 6. 4.1990 in der Katholischen Akademie Hohenheim, Stuttgart (HAIT, KA, V.1). 1017 1. Stellv. des Vorsitzenden des RdB Dresden: Festlegungsprotokoll der Dienstberatung mit den Abteilungsleitern am 14. 3.1990 (SächsHStA, BT/RdB, 46999, Bl. 18 f.). 1018 Interview Steffen Heitmann. 1019 Protokoll der Beratung der Fachgruppe 11 am 27. 3.1990 (HAIT, Heitmann, Gem. Komm BW/Sachsen); Beschluss 065/90 des RdB Dresden vom 28. 3.1990: Durchführung der 3. Tagung der GK S/BW am 4./5. 4.1990 in Stuttgart (HAIT, KA, V.2).

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ist auch geschehen.“ 1020 Tatsächlich wurden die Mitglieder von den Runden Tischen der Bezirke nach dem Grundsatz eines größtmöglichen parteipolitischen Pluralismus zusammengerufen.1021 Heitmann empfahl auch der baden-württembergischen Seite, „neben Mitgliedern aus den Ministerien auch Vertreter aus anderen gesellschaftlichen Bereichen mitwirken“ zu lassen, gedacht war unter anderem an den „Bereich der parlamentarischen Berater“.1022 Neben einer möglichst angemessenen Beteiligung der politischen Kräfte achtete man auf Sachkenntnis und eine Verteilung der Sitze auf die drei sächsischen Bezirke. So stellten die Bezirke Leipzig und Karl-Marx-Stadt je vier Vertreter.1023 Heitmann achtete darauf, „dass parallele Bemühungen bei den Räten der Bezirke und bei den Parteien in Sachsen eingebunden werden in die Arbeit unserer Fachgruppe“.1024 Er sah die Aufgabe der Fachgruppe in der „konkreten gesetzgeberischen und strukturellen Vorbereitung der Landesbildung“. Durch „personellen und sachlichen Kontakt zu der Koordinierungsstelle für die Länderbildung beim Rat des Bezirkes Dresden“ war die Fachgruppe bemüht, „ihre Arbeit in Verbindung mit den politischen Überlegungen auf ihrem Arbeitsgebiet zu tun und ihre Ergebnisse in die politische Arbeit einfließen zu lassen“.1025 Die Fachgruppe bildete fünf Arbeitsgruppen zu den Themengebieten „Verfassungsrecht“,1026 „Verwaltungsstruktur“, „Kommunale Selbstverwaltung“, „Aus- und Fortbildung“ sowie „Polizeiwesen/Innere Sicherheit“.1027 Arbeitsgruppe Verwaltungsstruktur der Fachgruppe Verfassung und Verwaltungsreform: Die Arbeitsgruppe leitete auf baden-württembergischer Seite Hartmut Kübler vom Stuttgarter Innenministerium, von sächsischer Seite der Abteilungsleiter für Organisation und Kommunalwesen beim Rat des Bezirkes Leipzig, Karl-Heinz Wellhöfer. Heitmann, der sich nicht erinnern kann, mit Wellhöfer zusammengetroffen zu sein, verweist darauf, dass es hinsichtlich der personellen Besetzung in allen Gruppen eine starke Fluktuation gab. Oft hätten Personen auf dem Papier gestanden, die bereits wenig später keine Rolle mehr spielten.1028 Baden-württembergische Mitglieder waren u. a. der frühere Abteilungsdirektor Peter Schieting aus Ostfildern und Regierungsdirektor Peter Musall 1020 Vgl. Heitmann, Die Revolution in der Spur des Rechts, S. 45; Steffen Heitmann/Arnold Vaatz, „Zum Verfassungsentwurf.“ In: Die Union vom 10. 8.1990. 1021 Vgl. Heitmann, Entstehung und Grundgedanken, S. 13. 1022 Steffen Heitmann an Hans-Peter Mengele vom 3. 5.1990 (HAIT, Heitmann, Kontakte nach Baden-Württemberg). 1023 Antrag der FG 11 „Verfassung und Verwaltungsreform“ der GK S/BW auf Bestätigung durch den RTB Dresden vom 27. 3.1990 (Dok. 31). 1024 Steffen Heitmann an Hans-Peter Mengele vom 3. 5.1990 (HAIT, Heitmann, Kontakte nach Baden-Württemberg). 1025 Steffen Heitmann an Andreas Mauksch vom 29. 5.1990: GK S/BW, FG 11 (HAIT, KA, V.3). 1026 Auch AG „Verfassung des Landes Sachsen“ oder „Länderbildung und Verfassungsfragen“ genannt. 1027 Abschlussbericht der GK S/BW: Hilfsmaßnahmen Baden-Württembergs für Sachsen (1990/1991) (SMBW, 0136, GK S/BW, Allgemeines). 1028 Interview Steffen Heitmann.

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vom Tübinger Regierungspräsidium. Von sächsischer Seite gehörten der Arbeitsgruppe der Vorsitzende des Bezirksverbandes der SPD Chemnitz, Volker Wohlgemuth, Herr Fischer von der LDP Leipzig und der Archivar der Domowina, Erhard Hartstock, an. Karlheinz Blaschke beriet die Gruppe.1029 Da die Bildung in die politische Umbruchphase nach dem 18. März fiel, hatte es auf sächsischer Seite zunächst Irritationen und Auseinandersetzungen um die Besetzung gegeben. Da sich die Vertreter der Räte auch mit dem Scheitern ihrer Initiative im Zusammenhang mit der abgesagten Meißner Tagung am 18. April konfrontiert sahen, wurde von sächsischer Seite Bedarf gesehen, zunächst die divergierenden Vorstellungen über die künftige Verwaltungsstruktur untereinander zu harmonisieren. Daher, und wegen der Neubesetzung der sächsischen Seite, wurde eine erste, für den 25. April angesetzte Besprechung verschoben.1030 Die sächsischen Mitglieder formierten sich in der zweiten Aprilhälfte und nahmen Ende des Monats die Arbeit auf. Seit dem Sommer leitete Johannes Gläser von der Leipziger Bezirksverwaltungsbehörde die Arbeitsgruppe, sein Stellvertreter war der mit Vaatz in die CDU gewechselte Dresdner Bürgerrechtler Harald Röthig. Es wurde angekündigt, bis Mitte Mai ein erstes Gesamtkonzept vorzustellen, bei dem es vor allem um die Struktur der Regierungspräsidien gehen sollte.1031 Die Arbeitsgruppe traf sich schließlich am 17./18. Mai in Leipzig und 24./25. Juli in Dresden.1032 Gegenstand der Beratungen war der Verwaltungsaufbau Baden-Württembergs und die Diskussion von Entwürfen für den Aufbau der Landesministerien und der Regierungspräsidien in Sachsen. Kernfragen dabei waren Grundsatzfragen der Ressortabgrenzung, Funktion von Stäben und Zentralstellen, des inneren Dienstes, die Struktur von Abteilungen und Referaten und die Führungsorganisation.1033 In mehreren Einzelkontakten und bei der Sitzung der Arbeitsgruppe am 17./18. Mai wurde über die Landesverwaltung Baden-Württemberg informiert. Bei der Beratung der hier vorgelegten sächsischen Entwürfe für die künftigen Landesministerien und Regierungspräsidien herrschte weitgehende Einigkeit, dass das Modell Baden-Württemberg nur als grober Rahmen für die Weiterentwicklung der Verwaltungsstruktur in Sachsen brauchbar sei, da die neue sächsische Verwaltung in wesentlichen Teilbereichen anderen Anforderungen gerecht werden müsse. Von sächsischer Seite wurde betont, dass „jede Weiterentwicklung der Verwaltungsstruktur an dem vorhandenen Verwaltungs - und Personalbestand anknüpfen“ müsse. Deswegen befasste sich die Arbeitsgruppe damit, 1029 Vorläufige Liste der Mitglieder der FG „Verfassung, Verwaltungsreform“ im Rahmen der GK S/BW (SMBW, 0136, GK S/BW, FG Verfassung und Verwaltungsreform). 1030 Positionspapier der Stabsstelle Verwaltungsstruktur, Information und Kommunikation des IMBW zur Verwaltungsstruktur Sachsens vom 23. 4.1990 (ebd.). 1031 IMBW an die Mitglieder der AG Verwaltungsstruktur der FG 11 der GK S/BW vom 27. 4.1990 (ebd.). 1032 Abschlussbericht der GK S / BW, Anlage zu III.3: Übersicht über die Sitzungen der Fachgruppen (SMBW, 0136, GK S/BW, Allgemeines). 1033 Abschlussbericht der GK S/BW: Hilfsmaßnahmen Baden-Württembergs für Sachsen (1990/1991) (ebd.).

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den Aufgaben - und Organisationsstand der Bezirke möglichst genau zu erheben und zu dokumentieren.1034 Die Zusammenkunft stellte die baden-württembergischen Teilnehmer vor Probleme, die Kübler in einem Positionspapier zusammenfasste. Die geplante Unterstützung stoße auf einige Schwierigkeiten. So zeige sich, dass die Vertreter der Parteien und Runden Tische überwiegend keine Verwaltungserfahrung hätten. Die kompetenten Gesprächspartner seien „im Regelfall Mitglieder der ehemaligen SED-Nomenklatura, bei denen der Verdacht nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie ihr Terrain absichern“ wollten. Da den baden-württembergischen Mitgliedern detaillierte Kenntnisse der Verwaltung in Sachsen fehlten, könne man die unterbreiteten Vorschläge für eine Neuorganisation nur bedingt beurteilen. Außerdem bestehe die Gefahr, „dass unsere Äußerungen den sächsischen Kollegen zur Legitimation ihrer persönlichen Vorstellungen dienen“. Kübler machte auch deutlich, dass die von sächsischer Seite vorgetragenen Vorstellungen auf eine verstärkte Überbürokratisierung hinausliefen. Es gebe entschieden zu viele kommunale Einheiten. Auf diesen „kleinmaschigen Gesamtrahmen“ würden die von sächsischer Seite vorgetragenen Reformüberlegungen auf die vorhandene Behördenstruktur weitere Organisationseinheiten aufpfropfen. Dadurch werde der schon jetzt überdimensionierte öffentliche Dienst weiter aufgeblasen. Da davon auszugehen sei, dass mittelfristig wesentliche Teile des Investitions- und Verwaltungshaushalts Sachsens vom Westen bezahlt werden müssten, könne dies der dortigen Bevölkerung nur verständlich gemacht werden, wenn „drüben wie hier die Staatsausgaben möglichst schlank gehalten werden“. Der Auftrag der baden-württembergischen Experten, beim Aufbau einer sächsischen Landesverwaltung zu helfen, habe „einige markante Schwächen“. So hänge es von den sächsischen Teilnehmern ab, „was sie als Problem sehen und uns servieren wollen“. Zur Zeit seien dies die Regierungspräsidien. Außerdem wisse man zu wenig über die sächsischen Verhältnisse. Der Bericht ließ die wachsende Einsicht der baden-württembergischen Seite erkennen, dass die Verwaltungsprobleme im Zusammenhang mit der Landesbildung von den Personen vor Ort mangels entsprechender Kompetenz kaum zu lösen waren. Damit stand auch das bisherige Hilfskonzept einer „Hilfe zur Selbsthilfe“ auf dem Prüfstand. Kübler deutete an, dass eine andere Dimension der Hilfsleistungen notwendig sei, um die anstehende Aufgaben zu lösen. Er schlug eine „größere Lösung“ vor, die Aufgaben- und Organisationsanalysen vor Ort einschließen müsse.1035 Das Ergebnis entsprechender Überlegungen in Stuttgart war schließlich ein massiver Personentransfer, in dessen Ergebnis die Struktur der Verwaltung in Sachsen von baden-württembergischen Experten vor Ort selbst geschaffen wurde. Eine solche Lösung deutete sich bereits auf der zweiten, hochrangig besetzte Tagung der Arbeitsgruppe am 24./25. 1034 Zwischenbilanz und Vorschläge des IMBW für das weitere Vorgehen der AG Verwaltungsstruktur Sachsen der GK S/BW vom 22. 5.1990 (Dok. 73). 1035 IMBW Stabsstelle Verwaltungsstruktur, Information und Kommunikation: Betr. Verwaltungsstruktur Sachsens. Positionspapier vom 23. 4.1990 (SMBW, 0136, GK S/BW, FG Verfassung und Verwaltungsreform).

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Juli in Dresden an. Von Seiten des Stuttgarter Innenministeriums waren an dieser Besprechung, die mitten in die aktivste Zeit der Bildung neuer Verwaltungsstrukturen fiel, u. a. die Ministerialräte Fetzer und Thomas Hirschle sowie Bernd Herzer, von sächsischer Seite die stellvertretenden Regierungsbevollmächtigten Vaatz, Kleinschmidt und Krüger sowie mehrere Mitarbeiter aus den drei Bezirksverwaltungen beteiligt. Hier ging es um Anzahl und Zuschnitt der Ministerien einschließlich Personalstärken und Kostenaussagen für die Aufstellung erster Budgetansätze, die Notwendigkeit sowie Zahl von Regierungspräsidien und deren nachgeordneten Bereichen, die Organisation der Ministerien und Regierungspräsidien sowie um das praktische Vorgehen bei der Überleitung der alten Behördenstruktur in die neue Landesverwaltung. Diskutiert wurde anhand der bereits erarbeiteten Organigramme, die sich weitgehend an baden-württembergischen Vorbildern orientierten. Die baden-württembergische Seite drängte auf eine möglichst schlanke, kostensparende und flexible Verwaltung und verhindert eine ebenfalls ins Auge gefasste Ausweitung der Zahl der Ministerien durch Einrichtung selbständiger Bau-, Verkehrs- und Kunstministerien. Seitens der sächsischen Teilnehmer war man sich der eigenen Kompetenzdefizite im Klaren und drängte darauf, möglichst für jeden Sachbereich mindestens einen badenwürttembergischen Verwaltungsexperten als Berater vor Ort zu erhalten. Dabei blieb es nicht ohne Einfluss auf die baden-württembergische Haltung und wurde ausdrücklich im Bericht vermerkt, dass die Bayerische Staatsregierung bereits mehrere „Leihbeamte“ platziert habe. Unterstrichen wurde dies auch dadurch, dass sich Vaatz für den zweiten Beratungstag entschuldigte, da ihm Edmund Stoiber in München ein weiteres personelles Angebot unterbreiten wolle. Fazit des Berichts: „Baden-Württemberg muss hier schnell handeln.“ In diesem Zusammenhang wurde am Rande der Beratungen unter dem Stichwort „Berghofer-Syndrom“ kritisiert, „dass Baden-Württemberg durch sein frühes Engagement frühere SED-Bonzen als Gesprächspartner aufgewertet und damit alte Strukturen verfestigt habe“.1036 Arbeitsgruppe Kommunale Selbstverwaltung der Fachgruppe Verfassung, Verwaltungsreform: Die Arbeitsgruppe wurde auf baden-württembergischer Seite zunächst von Herrn Sixt vom Gemeindetag Baden-Württemberg, später von Ernst Füsslin geleitet.1037 Ihr gehörten von baden-württembergischer Seite die Referatsleiter „Kommunales Verfassungsrecht“, Quecke, und „Kommunalwirtschaft und Kommunalfinanzen“, Belz, der Abteilungsdirektor im Ruhestand, Peter Schieting sowie die Oberbürgermeister von Ludwigsburg, Henke, und Neckarsulm, Erhard Klotz, an. Mitglieder auf sächsischer Seite waren Karl Bönninger, der Vorsitzende des Volkskammerausschusses für „Verfassung und Verwaltungsreform“, Roland Becker (CDU Leipzig), der Landesschatzmeister der CDU, Gerd Medger aus Dresden, und Lothar Mende vom CDU-Landesvorstand. Le1036 Stabsstelle Verwaltungsstruktur, Information und Kommunikation: Betr. Beratungen der AG Verwaltungsstruktur am 24./25. 7.1990 in Dresden (ebd.). 1037 Lutz Boden an Steffen Heitmann vom 11. 9.1990 (HAIT, Heitmann, Gem. Komm. BW/Sachsen).

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diglich sporadisch beteiligte sich der Bezirk Chemnitz durch den Bürgermeister von Falkenstein, Rauchalles, an der Arbeit. Leiter des sächsischen Teils der Arbeitsgruppe war Lutz Boden aus Leipzig,1038 Sekretär Lothar Homeier von der Bezirksverwaltungsbehörde Leipzig.1039 Außerdem sollten je ein Bürgermeister aus den Bezirken sowie Vertreter des Sächsischen Städte- und Gemeindetages einbezogen werden.1040 Bei der Konstituierung der Arbeitsgruppe wurde eine Koordinierung der Arbeit mit der der Fachgruppe Kommunale Partnerschaft besprochen.1041 Es kam auf baden-württembergischer Seite zu Umbesetzungen von Experten mit Kompetenzen für die Erarbeitung kommunaler Gesetzgebung.1042 Die Aufgabe der Arbeitsgruppe Kommunale Selbstverwaltung bestand darin, bis Oktober Entwürfe für kommunalrechtliche Gesetze zu erarbeiten und dadurch zu versuchen, einen Beitrag zur Vorbereitung von Gesetzgebungsvorhaben des sächsischen Landtages zu leisten. Dabei wurde auch auf den von den Räten der Bezirke verantworteten Entwurf einer sächsischen Gemeindeordnung als Arbeitsgrundlage zurückgegriffen, der allerdings unter dem Einfluss der baden-württembergischen Berater soweit verändert wurde, dass er mit der Ausgangunterlage kaum noch etwas zu tun hatte.1043 Die Arbeitsgruppe erarbeitete bis zum Herbst 1990 Gesetzesentwürfe einer Gemeindeordnung, einer Landkreisordnung, eines Gesetzes über kommunale Zusammenarbeit, eines Gesetzes über den kommunalen Finanzausgleich, eines Kommunalabgabengesetzes, eines Gesetzes über die Eigenbetriebe der Gemeinden sowie einer Gemeindehaushaltsverordnung.1044 Die Gesetzesentwürfe wurden bei der letzten Sitzung der Arbeitsgruppe im Oktober 1990 in Leipzig einem offiziellen Vertreter des Landes Sachsen übergeben und 1991 veröffentlicht.1045 Arbeitsgruppe Aus- und Fortbildung der Fachgruppe Verfassung, Verwaltungsreform: Die Arbeitsgruppe wurde vom Ministerialrat im baden-württembergi-

1038 Lutz Boden an Steffen Heitmann vom 11. 9.1990 (ebd.). Hier wird Homeier als Sekretär genannt. 1039 BVB Leipzig: Betr. Mitarbeit in AG der Gemischten Kommission Sachsen / BadenWürttemberg vom 24. 7.1990 (RPL, AZ 0141.0). 1040 Vorläufige Liste der Mitglieder der FG „Verfassung, Verwaltungsreform“ im Rahmen der GK S/BW (SMBW, 0136, GK S/BW, FG Verfassung und Verwaltungsreform). 1041 Gemischte Kommission Sachsen/Baden-Württemberg, FG 11: Protokoll der 1. Beratung der AG Kommunalverfassung / Kommunale Selbstverwaltung am 28. 4.1990 (HAIT, Heitmann, Gem. Komm. BW/Sachsen). 1042 IMBW, Ernst Füsslin, an Herbert Göpfert und Steffen Heitmann vom 6. 4.1990 (SMBW, 0136, GK S/BW, Allgemeines). 1043 Zu Einzelheiten vgl. Rösler, Rechtsformen, S. 221 f. 1044 Entwürfe von Kommunalgesetzen finden sich in: HAIT, Heitmann, Entwürfe Kommunalgesetze). 1045 Abschlussbericht der GK S/BW: Hilfsmaßnahmen Baden-Württembergs für Sachsen (1990/1991) (SMBW, 0136, GK S/BW, Allgemeines); BVB Chemnitz, Abt. Bau- und Wohnungswesen: 3. Beratung des Arbeitsstabes Innenministerium am 12.10.1990 (RPL, 0144); IMBW an SMBW vom 20. 2.1991: Betr. AG Kommunale Selbstverwaltung der FG Verfassung, Verwaltungsreform (SMBW, 0136, GK S/BW, FG Verfassung und Verwaltungsreform).

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schen Innenministerium, Walter Schmid, geleitet. Federführend auf sächsischer Seite war zunächst der Leiter der Abteilung Ausbildung beim Rat des Bezirkes Dresden, Holger Löser (bislang SED). Baden-württembergische Mitglieder waren Regierungsdirektor Peter Musall vom Regierungspräsidium Tübingen, Ministerialrat Gerhard Teufel vom Staatsministerium, der Verlagsleiter des Kohlhammer Verlages, Jochen Schmid und der Direktor der Landeszentrale für politische Bildung, Siegfried Schiele. Außer Löser waren auf sächsischer Seite bei Gründung noch keine weiteren Mitglieder benannt.1046 Bei den zwei Sitzungen der Arbeitsgruppe am 19./20. Juni in Dresden1047 und am 27./28. September in Chemnitz1048 sowie bei anderen Kontakten wurde im Rahmen der Schaffung von Voraussetzungen für die Heranbildung neuer Verwaltungsbeamter und Juristen in Sachsen von baden-württembergischer Seite das Konzept einer systematischen Fortbildung von Mitarbeitern der sächsischen Verwaltung aller Ebenen erarbeitet, das schließlich auch umgesetzt wurde. Auf Grundlehrgängen in acht verschiedenen Fachbereichen mit je sechzig Stunden wurden allen Teilnehmern zunächst Grundlagen im Staatsrecht und im allgemeinen Verwaltungsrecht vermittelt. Es folgen Informationen über die jeweiligen Fachgebiete der Teilnehmer wie Polizeiordnungsrecht (insbesondere Gaststätten- und Gewerberecht), Kommunalrecht, kommunales Abgabenrecht, Baurecht, Umweltrecht, Haushaltsrecht und Finanzrecht, Sozialrecht oder Ausländer und Asylrecht. Die Organisation der Lehrgänge wurde durch die Regierungspräsidien in BadenWürttemberg übernommen. Außerdem wurde in der Arbeitsgruppe die Entsendung von Verwaltungsmitarbeitern zu Lehrgängen der allgemeinen dienstlichen Fortbildung der Landesverwaltung Baden-Württemberg organisiert. Da Lehrkräfte aus Baden-Württemberg das erforderliche Lehrangebot nur kurzfristig und teilweise abdecken konnten, gab es im Anschluss an die theoretische Grundlegung Praxiszeiten in Baden-Württemberg und Bayern.1049 Arbeitsgruppe Polizeiwesen und Innere Sicherheit der Fachgruppe Verfassung, Verwaltungsreform: Die Arbeitsgruppe wurde vom Präsidenten der Landespolizeidirektion Stuttgart, Hanspeter Sturm, und vom Leiter der Offiziershochschule des MdI Dresden, Oberst der VP Professor Rudi Rödszus (bislang SED)geleitet.1050 Mitglieder waren der Chemnitzer Strukturbeauftragte Zenker (CDU), 1046 Vorläufige Liste der Mitglieder der FG „Verfassung, Verwaltungsreform“ im Rahmen der GK S/BW (ebd.). 1047 IMBW: Erste Sitzung des Arbeitskreises Aus- und Fortbildung der GK S/BW (SMBW, 0136, GK S/BW, FG Aus- und Fortbildung); Gemischte Kommission Sachsen/BadenWürttemberg, FG 11, AG Aus/Fortbildung: Stand der Arbeit der Unterarbeitsgruppe Aus/Fortbildung (HAIT, Heitmann, Gem. Komm. BW/Sachsen). 1048 SMBW 0136, FG Aus- und Fortbildung. 1049 Abschlussbericht der GK S/BW: Hilfsmaßnahmen Baden-Württembergs für Sachsen (1990/1991) (SMBW, 0136, GK S/BW, Allgemeines). 1050 Vorläufige Liste der Mitglieder der FG „Verfassung, Verwaltungsreform“ im Rahmen der GK S / BW (SMBW, 0136, GK S / BW, FG Verfassung und Verwaltungsreform). Rödszus, Rudi (Hg.): AG „Polizeirecht und -organisation“ in der Gemischten Kommission Sachsen/Baden-Württemberg, Entwurf eines Landespolizeigesetzes, o. D. (HAIT, KA, 66). Zur Person vgl. ebd., 3.2.

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Schletter (SPD), Putzke (DSU), Hans-Jürgen Magerstädt (ehemals Gruppe der 20) sowie Oberkirchenrätin Hannelore Leuthold. Als Fachberater fungierten mehrere VP-Oberräte sowie Mitarbeiter der Kriminalpolizei. Kontaktpartner im Stuttgarter Innenministerium war außerdem Ernst Füsslin.1051 Die Teilnehmer trafen sich neben zahlreichen Einzelkontakten zu Beratungen am 31. Mai/ 1. Juni und vom 12. bis 15. Juni.1052 In der Arbeitsgruppe wurden Sofortmaßnahmen im Bereich der inneren Sicherheit konzipiert und umgesetzt. Für dieses Gebiet waren eine Reihe von Maßnahmen im Rahmen der Innenministerkonferenz von Bund und Ländern beschlossen worden. Zur raschen Umsetzung von Soforthilfemaßnahmen in der polizeilichen Aus- und Fortbildung, des Expertenaustausches, der Beratungshilfen, der Hospitationen und der Ausstattungshilfen sowie der über die Gemischte Kommission eingebrachten Vorschläge für die Unterstützung der Polizei in den sächsischen Bezirken wurde im Innenministerium Baden-Württemberg eine Arbeitsgruppe „Polizei Sachsen“ eingerichtet. Konkretes Ziel aller theoretischen und praktischen Unterstützungsmaßnahmen auf dem Gebiet der Aus- und Fortbildung war es, die Angehörigen der Polizei in Sachsen mit den grundlegenden rechtlichen und organisatorischen Strukturen der Polizei in Baden-Württemberg vertraut zu machen, ihnen ein demokratisch-rechtsstaatliches Berufsverständnis und eine am Leitbild einer bürgernahen Aufgabenerfüllung orientierte Berufsauffassung zu vermitteln. Es wurden Fortbildungsseminare veranstaltet, es gab Informationsaufenthalte, und es wurden Experten zu Dienststellen der Polizei in Sachsen entsandt, um über polizeiliche Probleme zu referieren. Unterstützung und Beratung gab es auch in den Bereichen Ausländer- und Asylwesen und im Bereich des Melde- und Ausweiswesens. Daneben gab es konkrete Ausstattungshilfen. So wurden der Polizei in Sachsen zehn Funkstreifenwagen sowie Fachliteratur zur Verfügung gestellt. Baden-Württemberg entsandte 1990 vier Beamte des höheren Polizeidienstes nach Sachsen. Die Soforthilfe im Bereich der inneren Sicherheit wurde nach 1990 fortgesetzt,1053 wenngleich die Hauptverantwortung für den Wandel des sächsischen Polizeiwesens in bayerischer Hand lag. Arbeitsgruppe Verfassung der Fachgruppe Verfassung, Verwaltungsreform:1054 Die ebenfalls Anfang April in Stuttgart ins Leben gerufenen Arbeitsgruppe Verfassung des Landes Sachsen wurde von Konrad Freiherr von Rotberg und Steffen Heitmann geleitet. Sie wurde bewusst so zusammengesetzt, dass verschiedene politische Kräfte aus allen drei Bezirken Einfluss hatten. Die Arbeitsgruppe konstituierte sich in einer anderen Situation als die zuvor gebildeten. Inzwischen hatten die Volkskammerwahlen stattgefunden und, so Heitmann, „die 1051 Beschluss des RdB Dresden vom 11. 4.1990; Punkt 3. Beratung der GK S / BW am 4./5. 4.1990 (SächsHStA, BT/RdB, 47121, Bl. 49–51). 1052 Abschlussbericht der GK S / BW, Anlage zu III.3: Übersicht über die Sitzungen der Fachgruppen (SMBW, 0136, GK S/BW, Allgemeines). 1053 Abschlussbericht der GK S/BW: Hilfsmaßnahmen Baden-Württembergs für Sachsen (1990/1991) (ebd.). 1054 Unterschiedliche Bezeichnungen geläufig.

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Machtverhältnisse hatten sich deutlich verschoben, insofern war eine ganz andere Grundlage da“. Ihm als Verantwortlichen „war von Anfang an klar, man wird an einer Verfassung nur vernünftig arbeiten können, wenn man die maßgeblichen politischen Kräfte an einen Tisch kriegt. Eine Verfassung braucht zwei Drittel Mehrheit, muss von der überwiegenden Mehrheit der neuen Kräfte getragen sein. Das war mir klar, und deshalb habe ich großen Wert darauf gelegt, dass die unterschiedlichen Kräfte vertreten waren.“1055 Es sollte eine breit angelegte Legitimitätsgrundlage geschaffen und durch die Einbindung verschiedener Parteien erreicht werden, dass der angestrebte Verfassungsentwurf später von der verfassungsgebenden Versammlung angenommen werden würde.1056 Die Parteien vertraten Bernd Kunzmann (zunächst Neues Forum, dann SPD Dresden), zeitweilig Michael Lersow (SPD Freiberg), Norbert Dreßler (PDS Karl-Marx-Stadt), Arnold Vaatz (CDU Dresden) und Martin Böttger (Neues Forum Zwickau). Beteiligt waren auch Ministerialrat Wolf-Dieter Eckardt vom baden-württembergischen Justizministerium, der mit Vaatz in die CDU eingetretene Harald Röthig vom Neuen Forum, Hartstock als Vertreter der Domowina und ab der dritten Session Volker Schimpff (CDU Leipzig).1057 Hinzu kamen die Professoren Hans von Mangoldt (Universität Tübingen), Wolfgang Bernet (Universität Jena) und Alexander Roßnagel (Fachhochschule Darmstadt), sowie als Berater Lutz Zimmermann vom Institut für Recht in Wissenschaft und Technik der TU Dresden, der Leiter des Staatsarchivs Dresden, Rainer Groß, und Karl Bönninger (Lehrstuhl Verwaltungsrecht, Sektion Rechtswissenschaft der KMU Leipzig).1058 Die Mitglieder wurden durch die Runden Tische der Bezirke bestätigt. Gemeinsam versuchte man nach dem „Konsensusprinzip“ zu arbeiten.1059 Die Teilnehmer aus Baden-Württemberg verstanden sich ausschließlich als Berater und blieben ohne Stimmrecht.1060 Das galt für die Zeit am Ende der Beratungen, als mit Abstimmung gearbeitet werden musste, „weil sonst die Zeit nicht gereicht hätte. Vorher habe ich das immer versucht zu vermeiden. Wir haben dann so lange diskutiert, bis wir eine gemeinsame Richtung fanden, aber das ging dann nicht mehr.“1061 Die westlichen Berater hielten sich zurück, wiesen aber immer darauf hin, „wenn etwas wirklich nicht ging“. Ansonsten beschränkten sie sich auf Formulierungshilfen und Erläuterungen.1062 Mit dieser Konstruktion wurde der Eindruck vermieden, die Verfassung sei kein sächsi1055 Interview Steffen Heitmann. 1056 Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. 1057 Nachbemerkung des Koordinierungsausschusses bei der Vorstellung des Gohrischer Entwurfs einer Verfassung des Landes Sachsen vom August 1990 (Dok. 114). Vgl. Interview Steffen Heitmann. In: Die Union vom 16. 7.1990. 1058 Vorläufige Liste der Mitglieder der FG „Verfassung, Verwaltungsreform“ im Rahmen der GK S/BW (SMBW, 0136, GK S/BW, FG Verfassung und Verwaltungsreform). 1059 Steffen Heitmann in: Übertragung der Kassettenaufzeichnung zur 3. Sitzung des Sächsischen Forum am 6. 9.1990 in Chemnitz, S. 13 (HAIT, KA, 2). 1060 Vgl. von Mangoldt, Die Verfassung, S. 28; ders., Grundzüge, S. 226. 1061 Interview Steffen Heitmann. 1062 Interview Volker Schimpff.

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sches Eigenprodukt. Lersow zog sich später aus der Arbeitsgruppe zurück, weil er die SPD durch Kunzmann gut vertreten sah und er seinen Auftrag, den Sächsischen Landesverband zu entwickeln, wahrnehmen wollte.1063 Kunzmann hatte sich bis Anfang März bei der Forumpartei engagiert, nach dem Scheitern einer Vereinigung mit dem Demokratischen Aufbruch aber der SPD angeschlossen. Nach Meinung Heitmanns war er ein „unermüdlicher, sorgfältiger Arbeiter“, der die Aufgabe der Verfassungsgebung auch als Abgeordneter bis zur Beschlussfassung im Landtag „mit einer bewundernswerten Energie und mit bewundernswerter Sachkenntnis“ betrieb.1064 Durch die Teilnahme von Heitmann und Vaatz stand die Arbeit in der Kontinuität der ersten Bemühungen der Gruppe der 20 um einen Verfassungsentwurf.1065 Dieser Entwurf aus der Feder von Vaatz stellte denn auch seit dem ersten Treffen der Arbeitsgruppe am 26./27. April in Gohrisch1066 eine zentrale Grundlage der Arbeit dar, hier liegen die Wurzeln der sächsischen Verfassung.1067 Natürlich unterschied sich der spätere Gohrischer Entwurf teils erheblich vom nicht ausgereiften Entwurf von Vaatz.1068 Am 25. April legte auch Hans von Mangoldt einen Kommentar zum Verfassungsentwurf der Gruppe der 20 vor, den er am 2. Mai ergänzte.1069 Ebenso stand aber auch der Entwurf der Räte der Bezirke zur Diskussion, zu dem das baden-württembergische Ministerium für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten am 19. April einen 51seitigen Kommentar vorgelegt hatte.1070 Auch diese Arbeiten flossen somit, wenn auch eher beiläufig, in die Überlegungen der Arbeitsgruppe Landesverfassung ein.1071 Als Arbeitsgrundlagen dienten ebenfalls die sächsischen Landesverfassungen von 1920 und 1947, der Verfassungsentwurf des Zentralen Runden Tisches in Berlin sowie bundesdeutsche Länderverfassungen. So diente etwa die Landesverfassung Nordrhein-Westfalens als Vorbild für die Reduzierung der Anzahl der Abgeordneten im Landtag.1072

1063 1064 1065 1066 1067 1068 1069 1070 1071 1072

Lersow, Von der Bürgerbewegung, S. 37 f. Heitmann, Die Revolution in der Spur des Rechts, S. 47. Vgl. Richter/Sobeslavsky, Die Gruppe der 20, S. 155; siehe Kap. 4.1.4. Gemischte Kommission Baden-Württemberg / Sachsen, FG 11: Tagung der Unterarbeitsgruppe 1 Länderbildung/Landesverfassung am 26./27.4.1990 in Gohrisch (HAIT, Heitmann, Gem. Komm. BW/Sachsen). Vgl. Heitmann, Geschichtliche Entwicklung, S. 43 f.; von Mangoldt, Die Verfassung, S. 28; ders., Grundzüge, S. 226. Vgl. Verfassung des Freistaates Sachsen, S. 8–12; Drehwald/Jestaedt, Sachsen als Verfassungsstaat, S. 71; Heitmann, Geschichtliche Entwicklung, S. 44 f. Hans von Mangoldt: Betr. Verfassung des Landes Sachsen – Entwurf der Gruppe der 20, Stand vom 13. und 26. 3.1990 vom 2. 5.1990 (HAIT, KA, 11.1). Ministerium für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten Baden-Württemberg: Betr. Entwurf einer Verfassung des Landes Sachsen vom 19. 4.1990 (SMBW, 0136, Partnerschaft mit Dresden/Sachsen). Nicht ganz richtig ist daher die Feststellung, dass „die Anfangsinitiativen der Bezirksverwaltung ab April im Nichts verliefen“. So Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 112 f. Vgl. FAZ vom 26. 5.1992; Nachbemerkung. In: Verfassung des Landes Sachsen. Gohrischer Entwurf, S. 53.

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Die Arbeitsgruppe tagte von nun an unregelmäßig im Ferien- und Gästehaus des Rates des Bezirkes in Gohrisch. Die Wahl fiel auf diesen Kurort in der Sächsischen Schweiz, weil die Organisation der Gemischten Kommission formal in den Händen des Rates des Bezirkes Dresden lag, die das Anwesen verwaltete. Bis in die sechziger Jahre hatten hier noch Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl ihren Urlaub verbracht. Heitmann erinnert sich an das „rührend gehobene DDRNiveau“ des Hauses mit ausgezeichneter Küche. Zwischen den Zusammenkünften in Gohrisch trafen sich die sächsischen Teilnehmer zu ganztägigen Sitzungen in Heitmanns Büro im Bezirkskirchenamt Dresden-Blasewitz. Dort wurde an den Papieren gearbeitet, die dann den westdeutschen Beratern zugeschickt wurden. Diese nahmen dazu schriftlich Stellung, bevor man sich erneut zu einer großen Tagung in Gohrisch traf.1073 Bei Heitmann wie in Gohrisch wurde nun intensiv über den Weg zu einer sächsischen Verfassung, zunächst unter den Prämissen der Regierungserklärung de Maizières vom 19. April, diskutiert. Die Teilnehmer gingen in der ersten Zeit, ähnlich wie Bevölkerung und Regierung, von einer längeren Existenz der DDR aus und koppelten ihre Überlegungen daher auch an die Diskussion über eine neue DDR-Verfassung. Vaatz trug sich zeitweilig mit der Idee, durch geringfügige Änderungen der DDR-Verfassung von 1968 und die Außerkraftsetzung des Gesetzes „über die weitere Demokratisierung des Aufbaus“ von 1952 der Restitution der Länder einen Weg zu öffnen.1074 Die Idee, die alten Landesverfassungen auf diese Weise wieder in Kraft zu setzen, war bei ihm freilich von vornherein mit der Absicht verbunden, diese zu ändern. Seine Idee hatte Vaatz bereits in die Rottenburger Erklärung eingebracht. Auf der Basis der alten Landesverfassung wollte er auch die Landtage wählen lassen. Die 1947er Landesverfassung sollte damit die Funktion übernehmen, die später das Vorschaltgesetz erfüllte.1075 Vaatz waren die Mängel der alten Landesverfassung durchaus klar, sein Vorschlag zielte darauf, „dass zunächst irgend ein geltendes Recht da war, auf dessen Basis man Wahlen machen kann“. Er räumt ein, dass dadurch Gebiete, die heute wieder zu Sachsen gehören, nicht zum Freistaat gekommen wären.1076 Vor allem Heitmann und Bönninger standen dem Konzept von Anfang an kritisch gegenüber,1077 aber auch andere Verfassungsexperten lehnten es ab, galt die Sächsische Verfassung von 1947 doch als „das zweifelhafteste Stück Verfassungsgeschichte, das in Sachsen je gegolten hat“.1078

1073 Interview Steffen Heitmann. 1074 Vorschlag von Arnold Vaatz zum Verfahren der Länderbildung im Falle des Landes Sachsen von Mai 1990 (Dok. 68). Eine frühere Fassung befindet sich im SächsStAC, BVB, 152198. 1075 Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 1076 Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. Siehe Kap. 5.2; Richter, Entscheidung für Sachsen, S. 23–31, 45–48. 1077 Steffen Heitmann beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002; Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. 1078 Drehwald/Jestaedt, Sachsen, S. 58.

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Die Phase der Orientierung an der DDR samt ihrer bisherigen oder einer neuen Verfassung blieb angesichts der rasanten Entwicklung nur eine Episode. Schnell wurde klar, wohin die Reise geht, und die Teilnehmer einigten sich darauf, keine „Sandkastenspiele“ mehr zu betreiben, sondern sich „auf den Boden der Tatsachen“ zu stellen. Nun gab das Grundgesetz die Rahmenbedingungen vor,1079 und es kristallisierten sich als neue Basis des Vorgehens drei Voraussetzungen heraus: Die Landesverfassung musste passfähig und maßstabsgerecht zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sein, sie sollte eine Vollverfassung mit klar definierten Staatszielen und einem eigenen Grundrechtskatalog sein, und es sollten schließlich „Forderungen und Tendenzen, wie sie in der revolutionären Bewegung des Jahres 1989 sichtbar wurden“, Eingang finden.1080 Die Orientierung am Grundgesetz hatte sich auf der zweiten Sitzung der Arbeitsgruppe am 14. und 15. Juni in Gohrisch bereits durchgesetzt. Zur Diskussion stand hier ein entsprechender Verfassungsentwurf,1081 zu dem von Mangoldt einen Kommentar1082 sowie von Rotberg und Eckardt Stellungnahmen vorlegten.1083 Es galt nun vor allem, das Verhältnis von Landesverfassung und Bundesverfassung zu klären, ebenso wurden aber auch Gliederungsfragen, das Verhältnis politischer und sozialer Grundrechte, von Grundrechten und Staatszielen, Ort und Umfang von Grundrechtsregelungen in der Landesverfassung sowie Stellenwert und Ausmaß sogenannter basisdemokratischer Elemente erörtert.1084 Im Juli kam es in der Frage der Verankerung des Religionsunterrichtes zu Auseinandersetzungen zwischen Vertretern der Evangelischen Landeskirche und Vaatz, der gemäß seiner Überzeugung vom Sinn einer Trennung von Staat und Kirche für die Fortsetzung der außerschulischen Christenlehre plädierte.1085 Demgegenüber sprachen sich die Vertreter der Landeskirche für die Wiedereinführung des Religionsunterrichtes und – ein weiterer Streitpunkt – die

1079 Übertragung der Kassettenaufzeichnung zur 3. Sitzung des Sächsischen Forums am 6. 9.1990 in Chemnitz, Beitrag Steffen Heitmann (HAIT, KA, 2). Vgl. Interview Steffen Heitmann. In: Die Union vom 16. 7.1990. 1080 Nachbemerkung des Koordinierungsausschusses bei der Vorstellung des Gohrischer Entwurfs einer Verfassung des Landes Sachsen vom August 1990 (Dok. 114). 1081 SMBW: Betr. Verfassung des Landes Sachsen (SMBW, 0136, GK S/BW, FG Verfassung und Verwaltungsreform) vom 22. 6.1990. 1082 Hans von Mangoldt: Betr. Verfassung des Landes Sachsen, hier: Entwurf nach dem Stande vom 14. 6.1990. Tübingen vom 25. 6.1990 (HAIT, KA, 11.1). 1083 Stellungnahme zu Art. 21 ff. des Entwurfs einer Verfassung des Landes Sachsen. Stand: 14. 6.1990. Stuttgart vom 26. 6.1990 (ebd., 11.2). 1084 Nachbemerkung des Koordinierungsausschusses bei der Vorstellung des Gohrischer Entwurfs einer Verfassung des Landes Sachsen vom August 1990 (Dok. 114). 1085 Ähnlich argumentierte u. a. Richard Schröder: Unter welchem Rechtstitel soll die Kirche in der neuen Verfassung der DDR vorkommen? vom 12. 3.1990 (HAIT, Heitmann, Staatskirchenrecht zur Landesverfassung).

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Eintreibung der Kirchensteuer durch den Staat wie in der Bundesrepublik aus.1086 Sie folgten damit einer Empfehlung des Kirchenamtes der EKD in Hannover.1087 Anfang Juni erhielt Vaatz aus Leipzig überraschend einen Verfassungsentwurf zugeschickt, von dessen Ausarbeitung man in der Gohrischer Gruppe bis dahin nichts wusste. Initiator war Volker Schimpff, von Beruf Althistoriker und seit November 1989 Mitglied der Leipziger CDU, also wie Vaatz ein „Neuer“ in der Partei. Er schickte ihm einen „Leipziger Entwurf“ und merkte an, dass dieser „in sehr vielen Punkten“ mit dem Gohrischer Entwurf übereinstimme.1088 Er meldete aber auch Kritik an, die insbesondere den Passagen galt, in denen Formen direkter Demokratie verankert waren. Vaatz meint im Nachhinein dazu, Schimpff habe in dieser Hinsicht „die Sache realistischer gesehen“ als er.1089 Der Entwurf der Leipziger CDU, wie er seitdem in Abgrenzung vom Entwurf der Leipziger Hochschullehrer bezeichnet wird, entsprang der Eigeninitiative von Schimpff. „Ohne auf Auftragsbefehl, Fristsetzung und Vorgaben aus Dresden zu warten“ und ohne von den Gohrischer Arbeiten zu wissen, habe er den Entwurf als Reaktion auf die Verfassungsentwürfe der Räte der Bezirke und der Gruppe der 20 verfasst. Vielleicht gilt dies für die Startphase, denn die Mitglieder der Gruppe, die den Entwurf mit ihm erstellten, lassen es unwahrscheinlich erscheinen, dass man in Leipzig nichts von der Tätigkeit der Arbeitsgruppe der Gemischten Kommission gewusst habe, gehörte doch der Vorsitzende des Ausschusses für Verfassung und Verwaltungsreform der Volkskammer, Roland Becker, dazu, der außerdem in der Arbeitsgruppe Kommunale Selbstverwaltung der Fachgruppe Verfassung und Verwaltungsreform der Gemischten Kommission mitwirkte, der selben Fachgruppe also, der auch die Gohrischer Gruppe angehörte. Herbert Goliasch war stellvertretender Vorsitzender des CDU-Kreisverbandes Leipzig und wirkte ebenfalls in der Gemischten Kommission mit. Vierter im Bunde war der Leipziger Notar Georgi. Die Hauptarbeit am „Leipziger CDU-Entwurf“ leistete freilich Schimpff selbst. Er schrieb den Text, die anderen Mitglieder redigierten diesen und beteiligten sich an den Diskussionen. In verschiedenen Punkten wiesen die Verfassungsentwürfe Parallelen auf. Allerdings war Schimpffs Entwurf „nicht so ausschließlich an Baden-Württemberg angelehnt“. Abgesehen von „einer Reihe eigenständigerer Dinge und dem Fehlen von allzu viel Revolutionslyrik“ hatte er sich, „mit Querblicken durch alle

1086 Niederschrift über ein Gespräch am 4. 7.1990 in der BVB Dresden zu Fragen der Landesverfassung (LKA Dresden, 1018 Band 8, 573). Teilnehmer vom LKA Sachsen: OLKR Zweynert, OKR Zuber, OKR Kreß, vom Bistum Dresden-Meißen Generalvikar Hanke; Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. 1087 Kirchenamt der EKD an die Leitungen der Gliedkirchen der EKD vom 9. 5.1990 (HAIT, Heitmann, Staatskirchenrecht zur Landesverfassung). Vgl. dazu Winter, Staatskirchenrecht, S. 9–29. 1088 Volker Schimpf an Arnold Vaatz vom 2. 6.1990. Anlage: Sächsische Verfassung, Leipziger Entwurf (HAIT, KA, 66). Vgl. Sächsische Verfassung. Leipziger Entwurf der CDU vom 20. 6.1990 (Dok. 80). 1089 Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003.

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Landesverfassungen“, vor allem an Bayern und Rheinland Pfalz orientiert.1090 Laut Diskussionsstand vom 24. Juni hatten er und seine Koautoren auf einen Grundrechtsteil verzichtet und in nur sehr geringem Umfang plebiszitäre Elemente vorgesehen. Unmittelbare Beteiligungsmöglichkeiten waren für den Bereich der Gesetzgebung nicht geplant. Es bestand lediglich die Möglichkeit einer vorzeitigen Auflösung des Landtages durch Volksabstimmung nach Maßgabe eines Zustimmungsquorums von der Hälfte der Wahlberechtigten, zu denen ausschließlich Deutsche gehörten. Dieses Verfahren war nur bei einem erfolgreichen Volksbegehren statthaft, an dem sich mindestens ein Sechstel der Wahlberechtigten beteiligen musste. Die Wiedervereinigung sollte durch Beitritt vollzogen werden.1091 Nachdem Schimpff den Entwurf Anfang Juni sowohl an den Leipziger Regierungsbevollmächtigten, Rudolf Krause,1092 als auch an Vaatz geschickt hatte, blieb eine Reaktion zunächst aus. Nach einigen Wochen schickte er den Entwurf daraufhin an die Mitglieder der Arbeitsgruppe Recht beim Landesvorstand Sachsen der CDU.1093 Nun musste Vaatz als deren Vorsitzender reagieren. Schimpff, dessen Sichtweise stark vom Konflikt Leipzig-Dresden geprägt war, deutete die ausbleibende Antwort so, dass man in Dresden wohl ärgerlich war, dass die Akteure der Leipziger CDU „es wagen konnten, die ganze Arbeit zu sabotieren, indem wir etwas anderes auf den Tisch legten, womöglich gar besseres“. Das sei „natürlich nicht gesagt“ worden, „aber so habe ich es verstanden“.1094 Schimpff beschwerte sich schließlich ganz offiziell beim CDU-Landesvorstand über die ausbleibende Reaktion. Vaatz erklärte später dazu, dass der Entwurf in der Tat „nicht zeitig genug bearbeitet worden“ sei, weil ihm die Zeit und auch die Möglichkeit gefehlt habe, ihn in die Gohrischer Beratungen „logistisch einzuspeisen“. Die Verzögerung habe auch damit zu tun gehabt, dass der Entwurf zunächst dem CDU-Landesvorstand vorgelegt werden musste, von diesem aber noch nicht zum Beschluss erhoben worden sei. Das aber sei die formal korrekte Voraussetzung dafür gewesen, den Entwurf seitens der CDU in Gohrisch ernsthaft vertreten zu können. Schimpffs Verstimmung über das Verfahren sei berechtigt gewesen und „durch die Terminkette verursacht“.1095 Die Verzögerung lag aber wohl auch in der diskontinuierlichen Arbeit der von Vaatz geleiteten Arbeitsgruppe Recht des CDU-Landesvorstandes begründet, in der Schimpff, nachdem seine Arbeiten am eigenen Entwurf schon fortgeschritten

1090 Interview Volker Schimpff. 1091 Sächsische Verfassung. Leipziger Entwurf der CDU vom 20. 6.1990 (Dok. 80). Vgl. Sampels, Bürgerpartizipation, S. 114. 1092 Volker Schimpff an Rudolf Krause vom 6. 6.1990 (HAIT, Heitmann, Gem. Komm. BW/ Sachsen). 1093 Volker Schimpff an die Mitglieder der AG Recht/Inneres bei Landesvorstand Sachsen der CDU vom 4. 7.1990. Anlage: Sächsische Verfassung, Leipziger Entwurf (BArch B, DO 5, 156). 1094 Interview Volker Schimpff. 1095 Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003.

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waren, mitarbeitete.1096 So hieß es in einem Papier der Gruppe kritisch, dass in der Arbeitsgruppe, „unter den gegenwärtigen erschwerten Bedingungen eine kontinuierliche Arbeit eines festen Teilnehmerstammes nicht in der erforderlichen Konsequenz durchhaltbar“ sei.1097 Ende Juli schickte Schimpff den Entwurf an den Leipziger Regierungsbevollmächtigten Krause, der ihn mit der Aufforderung einer Kontaktaufnahme an Heitmann weitervermittelte.1098 Heitmann bekam so erstmalig Kenntnis von diesem Entwurf. „Und“, so erinnert er sich, „da war mir natürlich sofort klar, hier wächst eine Gefahr von außen heran, wenn du das nicht einbindest. Denn der Entwurf war ja in der Konzeption völlig anders als unsere Erarbeitung. Ich habe dann rasch mit Schimpff Kontakt aufgenommen und habe ihn eingeladen, an der Arbeit der Verfassungskommission teilzunehmen.“1099 Dies war schon deswegen notwendig, um dem selbst gesteckten Anspruch gerecht zu werden, möglichst viele Kräfte bei der Ausarbeitung der Landesverfassung zu bündeln. Die Arbeitsgruppe, so Heitmann, habe stets angestrebt, alle sächsischen Bemühungen um eine neue Verfassung, die „irgendwo auftauchten“ einzubinden. Aber auch er räumt ein, dass dies beim erst spät zur Kenntnis der Arbeitsgruppe gelangten Entwurf der Leipziger CDU am schwierigsten gewesen sei.1100 Schließlich schlug er Schimpff einfach vor, mit nach Gohrisch zu kommen. Dieser nahm daraufhin neben Heitmann, Böttger, Groß, Kunzmann, Zimmermann, von Rotberg, Eckhardt und von Mangoldt erstmalig an der dritten Sitzung vom 26. bis 28. Juli teil, und der Leipziger CDUEntwurf wurde so noch berücksichtigt.1101 Viel Einfluss auf den inzwischen fast fertigen Entwurf war freilich nicht mehr möglich, aber auch Vaatz hatten es nach Schimpffs Eindruck nicht leicht, sich mit Vorschlägen gegen Heitmann als den Leiter der Gruppe durchzusetzen, der „damals noch ein sehr bürgerbewegter Evangelischer Kirchenmann“ gewesen sei.1102 Heitmann macht ihm klar, „dass man einen solchen Entwurf nicht noch einmal gänzlich umkrempeln kann und jetzt etwa seinen Entwurf zur Basis nimmt“.1103 Immerhin konnte nun mit Fug und Recht behauptet werden, der Gohrischer Entwurf stütze sich auch auf Vorarbeiten der Leipziger CDU. In Gohrisch wurden schließlich die noch nicht überarbeiteten Teile des Verfassungsentwurfs besprochen, insbesondere die Abschnitte Verwaltung, Finanzwesen, Schul- und Hochschulwesen, Kirchen und Religionsgemeinschaften sowie die Schlussbestimmungen. Ferner wurde der gesamte Entwurf noch einmal überarbeitet und Ende Juli beschlossen, dass die sächsischen Teilnehmer die Schlussredaktion des Entwurfs vornehmen und ihn 1096 Interview Arnold Vaatz und Volker Schimpff. 1097 AG „Recht“ der CDU (PB Hans Geisler). 1098 Rudolf Krause an Steffen Heitmann vom 25. 7.1990 (HAIT, Heitmann, Gem. Komm. BW/Sachsen). 1099 Interview Steffen Heitmann. 1100 Vgl. Heitmann, Die Revolution in der Spur des Rechts, S. 46. 1101 Von Mangoldt, Die Verfassung, S. 28; ders., Grundzüge, S. 226. 1102 Interview Volker Schimpff. 1103 Interview Steffen Heitmann.

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danach der Öffentlichkeit als „Gohrischer Entwurf“ übergeben. Heitmann verschickte anschließend einen nunmehr vollständig überarbeiteten Verfassungsentwurf und bat um Stellungnahmen.1104 Auf sächsischen Wunsch arbeitete die Arbeitsgruppe noch weiter, um eingehende Stellungnahmen einarbeiten zu können.1105 Hier ging es um das Signal, dass es wichtig sei, die Bevölkerung in den Prozess der Verfassungsdiskussion einzubinden. Im Sommer stand die Arbeitsgruppe wie die gesamte Gemischte Kommission vor dem Problem, ihre Tätigkeit mit der des Koordinierungsausschusses koordinieren zu müssen. Hierbei erwies sich die Teilnahme von Vaatz als vorteilhaft, der sich zwar kaum selbst an den Beratungen beteiligte, aber erklärte, dass die Arbeitsgruppe im Auftrag des Koordinierungsausschusses tätig sei.1106 Er bezeichnete die Gruppe im Nachhinein sogar als Teil des Koordinierungsausschusses.1107 So war seine persönliche Einbindung in die Gruppe wichtig, weil Vaatz „die Legitimitätslinie zum Koordinierungsausschuss herstellte“.1108 Dies galt ebenso für Heitmann, der im Koordinierungsausschuss als Landestrukturbeauftragter für Verfassungsfragen wirkte. Die Gruppe ist ein gutes Beispiel für die enge Verflechtung von Gemischter Kommission und Koordinierungsausschuss. Wenngleich Heitmann formal auch als Landesstrukturbeauftragter für Verfassungsfragen fungierte, fand die wesentliche Arbeit an der Landesverfassung doch in der Gohrischer Gruppe der Gemischten Kommission statt, deren Leiter er auf sächsischer Seite ebenfalls war. Umgekehrt war das Verhältnis in anderen Bereichen, wo sich die Strukturgruppen des Koordinierungsausschusses zum Zentrum der Arbeiten entwickelten. Eine organisatorische Logik lag dem nicht zugrunde, die Arbeitsteilung richtete sich nicht nach formalen Kriterien, sondern danach, wo Personen vorhanden waren, die kompetent und bereit waren, die notwendige Arbeit zu leisten.

1104 Steffen Heitmann an die Mitglieder und Berater der Unterarbeitsgruppe 1 „Länderbildung/Landesverfassung“ der FG 11 der GK S/BW vom 18. 7.1990. Anlage: Verfassung des Landes Sachsen (HAIT, KA, 11.1). 1105 SMBW: Betr. GK S / BW, hier AG „Verfassung“, gez. Freiherr von Rotberg (SMBW, 0136, GK S/BW, FG Verfassung und Verwaltungsreform) vom 2. 8.1990. 1106 Steffen Heitmann / Arnold Vaatz: „Zum Verfassungsentwurf.“ In: Die Union vom 10. 8.1990; Abschlussbericht der GK S/BW: Hilfsmaßnahmen Baden-Württembergs für Sachsen (1990/1991) (SMBW, 0136, GK S/BW, Allgemeines). 1107 Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. 1108 Vgl. Heitmann, Die Revolution in der Spur des Rechts, S. 47.

Baden-Württemberg und Bayern

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5.3.8 Personalhilfe und Informationsbüros Baden-Württembergs und Bayerns Baden-Württemberg: Zu Beginn der Zusammenarbeit im Rahmen der Gemischten Kommission hatten Wünsche der sächsischen Seite nach Ausrüstungs- und Ausstattungsgegenständen im Vordergrund gestanden. Nach den Kommunalwahlen im Mai 1990 veränderte sich dies in Richtung Aufbauhilfen bei den Strukturen des künftigen Landes samt allen damit verbundenen Verwaltungssparten. Es wurde immer deutlicher, dass der unmittelbaren personellen Hilfe und dem Ingangbringen der Verwaltung eine weitaus höhere Priorität beizumessen war als der Unterstützung einzelner Projekte.1109 Die baden-württembergische Landesregierung begann bereits Anfang Mai mit der Organisierung einer personellen Aufbauhilfe für Sachsen. Nachdem sich Landwirtschaftsminister Gerhard Weiser am 9. Mai mit einem Personalvorschlag an Späth gewandt hatte, mahnte dieser beim Staatssekretär des Staatsministeriums ein „einheitliches Verfahren für die anstehende Personalhilfe“ an. Dieser veranlasste daraufhin die Erarbeitung einheitlicher Kriterien und Kategorien für den Personaleinsatz.1110 Nachdem daraufhin auch der Amtschef des Sozialministeriums, Walter Kilian, bei der Sitzung des Vorkabinetts am 18. Mai mitteilte, dass die Schwerpunkte bei der Zusammenarbeit mit Sachsen künftig noch stärker auf den Aufbau der Verwaltung in Sachsen, insbesondere unter Mithilfe von Experten, die längerfristig in Sachsen als Berater auf Ministerebene fungieren, ausgerichtet werden sollten, sprach Staatssekretär Lorenz Menz in der folgenden Konferenz aller Amtschefs den Komplex der Verwaltungshilfe an und erbat Informationen über die Personalplanungen der Ressorts samt damit verbundener Stellen- und Finanzierungsprobleme.1111 Ende Juni lag nach Beratung im Kabinett eine Konzeption vor, wonach Sachsen ein Personalkontingent von 151 überwiegend hoch qualifizierten Stellen zur Verfügung gestellt werden sollte.1112 Kern des Konzeptes war ein 20-Stellen-Pool von Beamten, die vorzugsweise im Zentralstellenbereich der künftigen Ministerien ab Oktober 1990 in Sachsen zum Einsatz kommen und vor allem für Personaleinstellungen zuständig sein sollten. Vorgesehen waren hierfür besonders qualifizierte Beamte des höheren Dienstes mit längerer Verwaltungserfahrung. Die Ministerien hatten dem Staatsministerium dazu bis Ende August Vorschläge zu unterbreiten, das dann endgültig über die Stellenbesetzung entschied.1113 Am 28. Juni informierte Späth Klaus Reichenbach über den Plan und stellte ihm, als dem vermeintlich künftigen 1109 SMBW, Abteilung V: Vermerk für Lorenz Menz vom 19.9.1990 (SMBW, Ordner Reden, Grußworte, Interviews, 2. BW/Sachsen). Vgl. Häußer, Zum Aufbau von Regierungszentralen, S. 129. 1110 Gerhard Weiser an Lothar Späth vom 9. 5.1990 (SMBW, 0136). 1111 Lorenz Menz an alle Ministerialdirektoren vom 22. 5.1990 (SMBW, 0305.0/I). 1112 SMBW, Abt. I: Vermerk für Ministerpräsident Lothar Späth vom 27. 6.1990 (SMBW, 0305.0/I). Vgl. Stuttgarter Zeitung und FAZ vom 30. 6.1990. 1113 SMBW, Abteilung I an Abteilungen I der Ministerien vom 2.7.1990 (SMBW, 0305.0/I).

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sächsischen Ministerpräsidenten, zum 1. Juli als ersten Beamten aus diesem Pool Eberhard Wurster aus dem Innenministerium als Berater zur Verfügung. Späth bat Reichenbach um konkrete Aussagen, wohin die anderen Spitzenbeamten geschickt werden sollten und welches ihre Aufgaben seien. Ausdrücklich wurde vermerkt, dass die Beamten als Berater der neuen Minister an der Schaltstelle zwischen Politik und Verwaltung gedacht seien.1114 Neben diesem Pool wurden 15 Stellen in den Stuttgarter Ministerien festgelegt, die die ressortspezifische Verwaltungshilfe für Sachsen koordinierten. Für die nachgeordneten Bereiche wurden zehn Stellen zum Aufbau einer Kultusverwaltung sowie, in Absprache mit dem Bund, 16 Richterstellen zum Aufbau der Justiz, fünf Stellen zum Aufbau der Arbeitsgerichte, 68 Steuerbeamtenstellen zur Schaffung der Finanz- und Steuerverwaltung sowie 17 Stellen für Umweltgenehmigungsverfahren und den Aufbau einer Umweltverwaltung ausgewiesen. Um längerfristig eigenes sächsisches Verwaltungspersonal zu schulen, organisierte das Innenministerium Ende Juni ein Symposium „Die Landesverwaltung Baden-Württemberg“ für Teilnehmer aus den drei Bezirken.1115 Das baden-württembergische Konzept schien so überzeugend, dass Minister Preiß im Vergleich aller entstehenden Länder konstatierte, am weitaus besten klappe der Personaleinsatz in Sachsen. Bis in die unteren Strukturen hinein berate Stuttgart dort mit fähigen, zurückhaltenden Leuten, weshalb Sachsen die geringsten Probleme bei der Länderbildung haben werde.1116 In der Tat beschränkte sich die Personalhilfe nicht auf die oberste Landesverwaltung. In Schreiben an die Landräte, Oberbürgermeister und Fraktionsvorsitzenden der CDU in den Kreistagen und Gemeinderäten Baden-Württembergs warb Späth mit dem Argument um Unterstützung beim Aufbau einer neuen Kommunalstruktur in Sachsen, dass ein Steckenbleiben der Demokratisierungsbemühungen im verfilzten Apparat der alten Bürokratiestrukturen zu befürchten sei.1117 In Dresden setzte sich, auch angesichts der guten Erfahrungen in den Fachgruppen der Gemischten Kommission, die Erkenntnis durch, dass eine sehr viel stärkere personelle Unterstützung seitens der westlichen Partnerländer für eine qualifizierte Arbeit zur Bildung des Landes unerlässlich sei. Nach Bekanntwerden des 20-Stellen-Pools informierte Ballschuh Ende Juli Wolfgang Zeller vom baden-württembergischen Sozialministerium darüber, dass nach seiner Ansicht „Leihbeamte“ nicht erst nach Bildung der Landesregierung eingesetzt werden sollten, sondern bereits im laufenden Prozess der Länderbildung. Dies habe den Vorteil der „Unverfänglichkeit der Personalentscheidungen“. Außerdem verfügten nur diese über die notwendige Fachkompetenz. Der Leiter des baden-württembergischen Verbindungsbüros in Dresden, Walter Rogg, teilte Zeller in die1114 SMBW, Abteilung I: Vermerk für Lothar Späth zum Gespräch mit Klaus Reichenbach am 28. 6.1990 (SMBW, 0305.0. 1990). 1115 IMBW: Symposium „Die Landesverwaltung Baden-Württemberg“ vom 25.–29. 6.1990 in Stuttgart (AdSD, SPD-LV Sachsen, 20). 1116 Zit. in „Aufbau von Länderstrukturen.“ In: Die Welt vom 29. 6.1990. 1117 Schreiben Lothar Späths vom 23. 7.1990 (HAIT, KA, V.2).

Baden-Württemberg und Bayern

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sem Zusammenhang mit, es sei bekannt, dass Ballschuh dem Staatsministerium mitgeteilt habe, dass „er davon ausgehe, dass die Verbindungsbüros zu Koordinierungsbüros ausgebaut würden, da die Fachgruppenarbeit in ihrem derzeitigen Zuschnitt nach Einsetzung der sächsischen Landesregierung sicherlich nicht mehr sinnvoll sei“.1118 Am 2. August präsentierte Ballschuh Späth eine Wunschliste mit über zwanzig Beratern für verschiedene Aufgabengebiete, die vorübergehend nach Sachsen abgeordnet werden sollten.1119 Da man Ballschuhs Bedenken in Stuttgart teilte, beschloss die Landesregierung nach Befürwortung durch die Regierungsbeauftragten von Chemnitz und Leipzig Mitte August, in Dresden ein Koordinierungsbüro zur Steuerung der personellen Hilfe beim Aufbau der sächsischen Landesverwaltung zu bilden, das auch den Einsatz der kommunalen Bediensteten leiten sollte. Von vornherein war vorgesehen, in Chemnitz und Leipzig ebenfalls Koordinierungsbüros einzurichten, wobei Dresden eine zentrale Koordinierungsfunktion für alle Bezirke haben sollte.1120 Neben Eberhard Stilz waren Thomas Hirschle, Hubert Wicker und, ebenfalls aus dem Innenministerium, Bernd Herzer die ersten offiziellen Abgeordneten aus Baden-Württemberg. Sie waren formal der Regierung der DDR zugeordnet und bekamen DDR-Dienstausweise. Von Berlin aus wurden sie nach Dresden delegiert, wo sie am 13. August ihre Tätigkeit aufnahmen. Leiter des Dresdner Büros wurde zunächst Wicker, ab September Hirschle, beide aus dem Stuttgarter Innenministerium.1121 Dabei war es kein Zufall, dass die Verantwortlichen im Koordinierungsbüro aus dem Innenministerium kamen. Zum einen war dieses wie üblich auch das „Organisationsministerium“, zum anderen lag es auch daran, dass Innenminister Dietmar Schlee „eine starke Figur“ war und sich „ganz stark“ einbrachte. Schlee, zugleich CDU-Bezirksvorsitzender in Südwürttemberg-Hohenzollern, wollte „Leute seines Vertrauens drüben haben“, die „politisch auf der richtigen Linie“ lagen. Wicker und Hirschle waren beide auch in der CDU engagiert und gehörten zu seinen politischen Vertrauten.1122 Die Gründung des Büros, so Wicker, verlief wenig formal, eher pragmatisch: „Wir sind eines Tages angereist, und dann sind wir zum Herrn Ballschuh gegangen und haben gesagt: Wir hätten gern erstens einen Raum und zweitens, wo kann man schreiben lassen, und drittens wir sind aus Baden-Württemberg. Und dann sind wir halt in das Räumchen, das man dann bereitgestellt hat und haben 1118 Sozialministerium Baden-Württemberg, Ref. 55, 27. 7.1990: Betr. Reise unter Leitung von Dr. Zeller am 24./25. 7.1990 nach Dresden und Chemnitz (SMBW, 0136, Jour Fix, Raum Sachsen des SM). 1119 Koordinierungsstelle des Landes Baden-Württemberg in Dresden: Aufbau der Landesverwaltung in Sachsen, 16. 8.1990, hier: Anforderung von Fachberatern aus BadenWürttemberg (HAIT, KA, V.2). Die gleiche Liste sandte Ballschuh auch an Ministerpräsident Streibl in München. 1120 Interview Thomas Hirschle. 1121 Lorenz Menz an die Amtschefs der baden-württembergischen Ministerien, undat. (HAIT, KA, V.2). 1122 Interview Hubert Wicker.

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ganz einfach begonnen.“1123 Hirschle fuhr regelmäßig am Wochenende nach Stuttgart und gab dort Anfang der Woche im Staatsministerium Bericht. Seine Aufgabe bestand vor allem darin, den Einsatz der baden-württembergischen Beamten zu koordinieren, von denen ab August von Woche zu Woche mehr kamen.1124 Herzer nahm mit seiner Familie Wohnsitz in Dresden. Er leitete die tägliche Arbeit des baden-württembergischen Koordinierungsbüros und zugleich die der Strukturgruppe Inneres des Koordinierungsausschusses. Zentrale Aufgabenstellung aller drei baden-württembergischen Büros in Sachsen war die Koordinierung des Einsatzes von rund dreihundert badenwürttembergischen Beamten auf Landes-, Regierungsbezirks- und Kommunalebene.1125 Die wichtigste Funktion des Dresdner Koordinierungsbüros war die Bündelung aller baden-württembergischen Aktivitäten in den Bereichen der personellen Hilfen sowie der Aus- und Fortbildung. Als Exekutivorgan des Staatsministeriums setzte es die Beamten aus dem 20-Stellen-Pool ein und diente als zentrale Anlaufstelle für alle baden-württembergischen Beamten. Die Ministerialdirektoren der baden-württembergischen Ministerien wurden gebeten, sämtliche DDR-Aktivitäten mit dem Büro abzustimmen.1126 Neben der Koordinierung des Einsatzes kommunaler Bediensteter in Sachsen berieten seine Mitarbeiter Ballschuh1127 und hielten Kontakt mit Klaus Reichenbach, den anderen Regierungsbevollmächtigten und dem Koordinierungsausschuss.1128 Das Chemnitzer Koordinierungsbüro wurde im August mit dem in Sachsen geborenen Wolfgang Fröhlich und mit Dieter Hauswirth, beide ebenfalls aus dem Stuttgarter Innenministerium, besetzt. Ihre Aufgabe bestand unter anderem darin, Beamte an die Bezirksverwaltung und an kommunale Stellen zu vermitteln, Wirtschaftsfördergesellschaften zu beraten und Firmenkontakte zu fördern. Eine zentrale Aufgabe bestand in der Beratung des Regierungsbevollmächtigten Buttolo und seiner Mitarbeiter.1129 Arbeitsteilig war Fröhlich für die Kontakte in Richtung Dresden zuständig, während es die Hauptaufgabe von Hauswirth war, die Bezirksverwaltungsbehörde in ein Regierungspräsidium umzuwandeln.1130 Daneben bestand seine Aufgabe darin, aktive Bedienstete aus badenwürttembergischen Landkreisen und Kommunen (Experten-Service I) und Ruheständler (Experten-Service II) als Berater beim Verwaltungsaufbau in die Landkreise und Kommunen zu vermitteln.1131 Das Leipziger Koordinierungsbü1123 1124 1125 1126 1127 1128 1129 1130 1131

Interview Thomas Hirschle. Interview Bernd Herzer. IMBW, Pressemitteilung, 10. 8.1990 (HAIT, KA, V.2). Schreiben des Staatssekretärs im SMBW, gez. i.V. Richard Arnold, an alle Ministerialdirektoren vom 20. 8.1990 (ebd.). IMBW an Bernd Herzer vom 14.8.1990: Zusammenarbeit mit dem Land Sachsen (ebd.). Schaubild des Koordinierungsbüros Dresden vom August 1990, o. D. (HAIT, KA, 10.1). Interview Wolfgang Fröhlich. Interview Dieter Hauswirth. BVB Chemnitz. Koordinierungsbüro Baden-Württemberg, gez. Dieter Hauswirth, an: IMBW: Erfahrungsbericht über die Tätigkeit vom 1.9. bis 1.12.1990 im Koordinierungsbüro Baden-Württemberg bei der BVB in Chemnitz (SächsStAC, RdB, 137815).

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ro wurde von Ministerialrat Futter aus dem Stuttgarter Justizministerium geleitet. Er unterstützte Krause direkt als Regierungsbevollmächtigten, Landessprecher und später als Landesbevollmächtigten. Er leitete die Zentralstelle und bereitete Ausarbeitungen vor. Ihm zur Seite standen ab Anfang Oktober der Referent aus dem Personalreferat des Stuttgarter Kultusministeriums, der in Leipzig gebürtige Michael Merker, sowie Michael Feist aus dem Stuttgarter Landwirtschaftsministerium.1132 Das Staatsministerium teilte am 20. August den Ministerialdirektoren aller Häuser die Einrichtung der Büros mit und betonte, dass alle Aktivitäten der baden-württembergischen Ministerien im Bereich der Personalhilfe und der Ausund Fortbildung im Staatsministerium gebündelt würden.1133 Neben den in Chemnitz und Leipzig noch im Aufbau befindlichen Koordinierungsbüros arbeiteten auch die bereits Anfang des Jahres eingerichteten baden-württembergischen Verbindungsbüros weiter, die sich vor allem um wirtschaftliche Kooperationen bemühten. Ebenfalls am 20. August merkte das Staatsministerium in einer Analyse für Späth in diesem Zusammenhang an, dass die Tätigkeit der Verbindungsbüros von sächsischer Seite auch weiterhin als wesentlich und hilfreich bewertet werde. Eine Verstärkung der entsprechenden Präsenz BadenWürttembergs sei daher beabsichtigt. Derzeit gebe es im Wirtschaftsministerium und bei der „Gesellschaft für internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit Baden-Württemberg“ Überlegungen, das bislang im Dresdner Gebäude des VEB Kombinat Robotron installierte Verbindungsbüro spätestens ab Frühjahr 1991 an einen zentraler gelegenen Standort in der Dresdner Innenstadt zu verlegen. Unter der Bezeichnung „Haus Baden-Württemberg“ sei daran gedacht, die wirtschaftlich-technische Repräsentanz des Landes um eine aus dem Sozialbereich (Zunahme der sozialen Fragen mit Verschärfung der Wirtschaftslage in der DDR) und eine Repräsentanz des Umweltbereichs (Personelle Erleichterungen im Hinblick auf die Aufgaben Baden-Württembergs im Rahmen des Umweltrahmengesetzes) zu erweitern.1134 Am 27. August legte das Staatsministerium Späth eine Analyse des Personaleinsatzes vor, wonach sich zu diesem Zeitpunkt rund einhundertzehn Beamte in der DDR aufhielten bzw. sich in den Ressorts ausschließlich mit DDR-Angelegenheiten beschäftigten. Diese Zahl, so hieß es, werde bis zum Jahresende auf zirka zweihundert steigen. Ab September könne das Programm zur Entsendung kommunaler Bediensteter anlaufen, sobald der Ministerrat einen entsprechenden Beschluss gefasst und der Landtag die Finanzierung gebilligt habe. Dann würden im Laufe der Monate September bis Dezember zirka 150 Kommunalbeamte nach Sachsen entsandt werden. All dies werde aber bei weitem nicht ausreichen, um dort eine befriedigende Verwaltungsarbeit zu gewährleisten, 1132 Interview Michael Merker. 1133 SMBW, Staatssekretär an Ministerialdirektoren vom 20. 8.1990 (HAIT, KA, V.2). 1134 SMBW, Abt. V: Vermerk für Ministerpräsident Späth vom 20. 8.1990. Betr.: Zusammenkunft mit Heitmann und Vaatz am 20. 8.1990 (SMBW, 0136, Partnerschaft mit Dresden/Sachsen).

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vielmehr werde es nach Auffassung des Staatsministeriums „noch längere Zeit sehr chaotisch“ zugehen. Wollte man ein Chaos vermeiden oder auf ein Minimum reduzieren, müsse „personell noch weitaus stärker eingestiegen werden“. Es ginge dann nicht mehr um Hunderte, sondern um Tausende von Stellen. „Die Verwaltungsarbeit müsste dann praktisch von Baden-Württembergern gemacht werden“, was aber finanzpolitisch nicht zu vertreten sei und dem bisher durchgehaltenen Prinzip widerspräche, ausschließlich Hilfe zur Selbsthilfe zu geben.1135 Auf die Notwendigkeit des Einsatzes zusätzlicher Spezialisten aus dem Westen wies einen Tag später auch Wicker vom Dresdner Koordinierungsbüro hin. Mit den alten DDR-Kräften sei der Landesaufbau nicht zu schaffen, es fehle an neuen Kräften, außerdem seien die wenigen vorhandenen fachlich oft nicht ausreichend kompetent. Bewerber aus dem Westen mit den erforderlichen Qualitäten seien angesichts der Einkommens-, Arbeits- und Lebensbedingungen in der DDR kaum zu gewinnen. Für einen Aufbauzeitraum dürfte daher an Leihbeamten aus den bisherigen Ländern der Bundesrepublik für alle Ebenen der Verwaltung kein Weg vorbeiführen.1136 Ende August wies die Abteilung I des Staatsministeriums in einem Vermerk für Staatssekretär Menz darauf hin, dass Baden-Württemberg durch Späths Unterstützung von Biedenkopfs Kandidatur für das Amt des sächsischen Ministerpräsidenten1137 „im Hinblick auf die personelle Hilfestellung in Sachsen nicht nur gute Chancen, sondern auch besondere Verpflichtungen“ habe. Biedenkopf habe gegenüber Späth bereits erklärt, er benötige rasch dreißig bis vierzig Beamte. Deshalb habe der Verwaltungsaufbau in Sachsen jetzt „allererste politische Priorität“. Ein Teil des 20-Stellen-Pools sei bereits im Vorgriff besetzt worden. Die Funktion dieser Beamten werde nach der Wahl des Ministerpräsidenten und der Ernennung der Minister vor allem darin liegen, im Zentralstellenbereich der einzelnen Ressorts und der Staatskanzlei koordinierend und beratend zu arbeiten. Außerdem werde es notwendig sein, tage-, wochen- und monatsweise Experten aller Fachrichtungen und Ebenen nach Sachsen zu entsenden, auch wenn dies die Arbeitsfähigkeit der Ressorts in Baden-Württemberg belaste. Es sei nicht auszuschließen, dass „die personelle Hilfe solche Dimensionen“ annehme, dass „auch stellenmäßig noch einmal kräftig nachgeladen werden“ müsse.1138 Bayern: Bayerische Kooperationen und Hilfeleistungen konzentrierten sich von Anfang an auf bestimmte Bereiche. In Anlehnung an das Modell der Gemischten Kommission Sachsen/Baden-Württemberg plante die Bezirksverwaltungsbehörde Dresden Anfang Juni mit Bayern Fachgruppen zu den Themen 1. Staatsaufbau, Verwaltungsreform, kommunale Selbstverwaltung, Untergruppe Rechtspflege, 2. Umweltschutz und Raum-Landesplanung, 3. Wirtschaft und 1135 SMBW, Abt. I: Vermerk für Ministerpräsident Späth. Betr.: Personelle Hilfe der Landesverwaltung für die DDR. Zwischenbilanz vom 27. 8.1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). 1136 SMBW: Zur Situation im künftigen Land Sachsen vom 28. 8.1990 (SMBW, 0305.0/I). 1137 Siehe Kap. 5.4.1. 1138 SMBW, Abt. I: Vermerk für Staatssekretär Menz zur Vorkonferenz am 31. 8.1990 (SMBW, 0305.0. 1990).

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Energiefragen, 4. Technisches Bauwesen und Verkehrswesen, 5. Gesundheitsund Sozialwesen sowie 6. Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Nahrungsgüter- und Verarbeitungsindustrie zu bilden.1139 Ende Juni informierten sich Mitarbeiter der Abteilung Internationale Arbeit der Bezirksverwaltungsbehörde Dresden in der Bayerischen Staatskanzlei über die Organisation der Europa- und Regionenarbeit Bayerns.1140 Am 28. Juni fand die konstituierende Sitzung einer Arbeitsgruppe Landwirtschaft Bayern-Sachsen auf der Giechburg bei Bamberg statt. Ziel der auf bayerischer Seite vom Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten geleiteten Sitzung war die Festlegung von Grundsätzen für die weitere Zusammenarbeit. Vor allem ging es um personelle Unterstützung beim Aufbau des Landwirtschaftsministeriums, die Zusammenarbeit in Wissenschaft und Forschung, Schulung, Beratung und die Herstellung von Wirtschaftskontakten.1141 Insgesamt aber blieb die Zusammenarbeit im Vergleich zu BadenWürttemberg eher sporadisch, und auch die personelle Unterstützung hinkte hinterher. Mögliche Ursache war die Verankerung der Zuständigkeit im Finanzministerium. Der bayerische Ministerrat hatte die Staatsministerien bereits im Frühjahr beauftragt, unter Federführung des Finanzministeriums und in Abstimmung mit dem Bund und den übrigen Ländern ein Gesamtkonzept zur personellen Unterstützung des Aufbaus einer leistungsfähigen dezentralen Verwaltung und Rechtspflege zu erstellen,1142 dies lag aber erst Ende Juni vor und regelte im Wesentlichen die beamtenrechtlichen Rahmenbedingungen der Verwaltungshilfe wie Aufwandsentschädigungen, Kosten oder die Einstellung von Ersatzkräften. Ebenfalls bereits im Frühjahr hatte die Bayerische Staatsregierung festgelegt, dass Bayern, anders als Baden-Württemberg, vom Bund mindestens die halbe Kostenerstattung bei entsandten Landesbeamten verlangen werde. Die Staatskanzlei bestätigte diese Haltung am 9. Juli und legte zur Behandlung im Ministerrat den Stand der bayerischen Verwaltungshilfe dar. Demnach waren Anfang Juli gerade einmal rund zehn Beamte in den von der DSU geführten DDR-Ministerien sowie in den bayerischen Informationsbüros in Erfurt und Dresden tätig. Aus der in München durchaus registrierten Tatsache, dass die baden-württembergische Landesregierung nicht nur Personalwünsche wesentlich schneller bediente, sondern sogar „selbst die Initiative für Beratungstätigkeit in den künftigen Ländern der DDR“ ergriff, wurde nun geschlussfolgert, dass die Staatsregierung die Zusammenarbeit mit den künftigen Ländern Thüringen und Sachsen konsequent ausbauen müsse, um den bayerischen Einfluss auf die Politik im vereinten Deutschland zu erhalten. Personelle Hilfen beim Aufbau der Länder und der Einrichtung der Länderministerien stellten schließlich „eine gute Inves-

1139 RdB Dresden: Michael Kunze an Holger Löser vom 5. 6.1990 (HAIT, KA, IV). 1140 BVB Dresden: Informationsbericht zur Dienstreise nach Bayern vom 26.–29. 6.1990 (ebd., 52). 1141 Ergebnisprotokoll der konstituierenden Sitzung der AG Landwirtschaft Bayern-Sachsen am 28. 6.1990 (PB Manfred Kolbe). 1142 Siehe Kap. 4.1.5.

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tition in die Zukunft“ dar.1143 Das bayerische Kabinett beschloss daraufhin die Gewährung von Aufwandsentschädigungen und beauftragte Staatskanzlei und Staatsministerien, den Personaleinsatz untereinander und mit anderen Ländern abzustimmen. Anders als in Stuttgart reagierte man in Personalfragen weiterhin nur auf Anfragen aus Sachsen. Eine Ursache für die bayerische Zurückhaltung und das geringere Engagement lag angesichts der Sonderbeziehungen zur DSU in den fehlenden Kontakten auf der CDU-Parteischiene.1144 Hinzu kam, dass Späth „ungleich interessierter an den Vorgängen, informierter und auch kompetenter“ war als Streibl. Während Späth in ständigem Kontakt mit seinen leitenden Beamten vor Ort stand, gab es nur eine einzige Unterredung Streibls mit Kolbe als dem Leiter des Bayerischen Verbindungsbüros anlässlich eines Wahlkampfauftritts in Dresden. Das Thema, so dieser, habe ihn offensichtlich nicht interessiert. Nicht gerade förderlich war zudem der Umstand, dass die Beziehungen zur DSU zwar offizielle Parteilinie der CSU waren, diese aber weder im von Edmund Stoiber geleiteten Innenministerium noch in der Staatskanzlei sonderlich unterstützt wurden. Hier bedauerte man die dadurch eingeschränkten Handlungsoptionen gegenüber der sächsischen CDU. Die Staatskanzlei ignorierte bei ihrer Arbeit die Sonderbeziehungen zur DSU so weit als möglich. Hier, so Kolbe, waren Verantwortliche wie Rauscher oder Baer ihm denn „auch nicht so furchtbar böse“, dass er als Leiter des Bayerischen Informationsbüros „primär auf die CDU setzte“.1145 Das von Kolbe geleitete bayerische Informationsbüro hatte eine längere Vorgeschichte. Am 27. März hatte der bayerische Ministerrat eine Vorlage der Staatskanzlei bestätigt, die unter anderem die Einrichtung von Informationsbüros in Thüringen und Sachsen vorsah. Erst Ende Mai hatte sich eine Runde der Amtschefs der bayerischen Ministerien erneut mit der Bildung dieser Büros befasst und die Ressorts aufgefordert, Beamte zu benennen.1146 Nach längerer vergeblicher Suche war die Wahl schließlich auf Manfred Kolbe aus der Staatskanzlei gefallen. Dieser hatte sich nach der Volkskammerwahl bei der Bundesregierung um einen Einsatz in der DDR beworben und war der bayerischen Staatskanzlei dadurch aufgefallen. Er wurde in Naunhof bei Grimma geboren, seine Familie war jedoch noch vor dem Mauerbau in den Westen übergesiedelt, so war er zunächst in Rom aufgewachsen, hatte anschließend in München Jura studiert, dabei aber stets den Kontakt zu seinen Verwandten in der Nähe von Leipzig gehalten. Angesichts der sich abzeichnenden Wiedervereinigung interessierte er sich für eine Aufgabe in Sachsen. Kolbe war zum Zeitpunkt seiner Auswahl Ende Mai Richter am Finanzgericht, wo er eine für Juristen in der Staatsregierung 1143 BayStK, Ministerialdirektor: Gesamtkonzept zur personellen Unterstützung des Aufbaues einer leistungsfähigen dezentralen Verwaltung und Rechtspflege in der DDR vom 9. 7.1990 (BayStK, Baer). 1144 Interview Manfred Kolbe am 13. 3. 2000. 1145 Interview Manfred Kolbe am 16. 5. 2003. 1146 BayStK, Abteilung B I: Informationsbüros Bayerns in der DDR vom 28. 5.1990 (BayStK, Baer).

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obligatorische Zeit in der Außenverwaltung absolvierte. Am 30. Mai wurde er in die Staatskanzlei bestellt und mit der Aufgabe betraut, ein Informationsbüro in Dresden aufzubauen. Am 7. Juni hielt er sich in dieser Sache erstmalig in Dresden auf.1147 Die Staatsregierung stellte ihm Wolfgang Brückl, einen Mitarbeiter aus dem Rudolf Baer unterstehenden Referat für deutsch-deutsche Beziehungen der Staatkanzlei, zur Verfügung. Weitere Mitarbeiter waren bis September Bernhard Schulze vom Finanzamt Weiden und im September und Oktober Hans-Joachim Raden vom Bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen.1148 Bei seinem ersten Besuch nahm Kolbe Kontakt zu Iltgen und zu Vaatz auf, letzterer war gerade in die ehemalige Bezirksverwaltungsbehörde als Stellvertreter des Regierungsbeauftragten für die Länderbildung eingezogen. Zunächst mussten Räumlichkeiten für das Informationsbüro gefunden werden, womit Hermann Henke beauftragt wurde. Nachdem eine Anfrage beim CDU-Landessekretär Johannes Schramm zwecks Unterbringung in der CDU-Zentrale ohne Erfolg geblieben war, wandten sich Henke und Vaatz an Ballschuh,1149 der durch die Schließung der Abteilung für Internationale Beziehungen über freie Räume verfügte, für die sich auch Vaatz interessierte. Hier erhielt Kolbe schließlich in unmittelbarer Nachbarschaft zum Koordinierungsausschuss zwei Räume, die das Informationsbüro am 22. Juni bezog. Den Vorschlag Ballschuhs, die Räume gemeinsam mit Baden-Württemberg zu nutzen, lehnte Kolbe ab.1150 Brückl leitete nun das Büro und kümmerte sich zugleich um den Koordinierungsausschuss, in dem er technische Geräte und Büromaterial besorgte.1151 Das Büro entwickelte sich dank seiner Lage im heutigen Gebäude der Staatskanzlei schnell zu einem zentralen Anlaufpunkt.1152 Dadurch, dass Kolbe mit dem Koordinierungsausschuss Tür an Tür arbeitete, entstanden freundschaftliche Beziehungen zum Personenkreis um Vaatz, und Kolbe kam „irgendwie in diese Runden rein“.1153 Anfang Juli konnte das Informationsbüro seine Arbeit aufnehmen. Organisatorisch war es wie das etwa zeitgleich eröffnete Informationsbüro in Erfurt als Referat der Bayerischen Staatskanzlei angegliedert.1154 Neben diesen „bayeri-

1147 Interview Manfred Kolbe am 16. 5. 2003. 1148 Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Jahresbericht 1990 (PB Manfred Kolbe). 1149 Hermann Henke beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 1150 Dritte Dienstreise zur Einrichtung des Informationsbüros des Freistaates Bayern in Dresden am 22./23. 6.1990 (PB Manfred Kolbe). 1151 Interview Manfred Kolbe am 16. 5. 2003. 1152 Interview Manfred Kolbe am 13. 3. 2000. 1153 Interview Manfred Kolbe am 16. 5. 2003. 1154 Artikel von Wilhelm Vorndran für die Bayerische Staatszeitung: Informationsbüros des Freistaates Bayern in Dresden und Erfurt eröffnet [handschr.:] Stand 28. 8.1990 (BayStK, Baer). Vgl. Rommelfanger, Das Werden des Freistaates Thüringen, S. 24.

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schen Brückenköpfen“ wurde ein Berliner Verbindungsbüro eingerichtet.1155 Kolbe meldete den Arbeitsbeginn nach München und bat auch deswegen um personelle Unterstützung, um den Anspruch auf die Räume in der Bezirksverwaltungsbehörde zu untermauern. Da er zudem bereits als Landesstrukturbeauftragter für Finanzen tätig war, wurde ihm wie erwähnt Wolfgang Brückl zugeordnet.1156 Kolbe, der sich als eine Art „bayerischer Botschafter im künftigen Land Sachsen“ fühlte, blieb die Woche über in Dresden und erstattete jeden Montag in München Bericht bei der Sitzung des Arbeitsstabes Deutschlandpolitik.1157 Er verstand seine Funktion von Anfang an auch als eine politische und unterstützte den Koordinierungsausschuss in Personalfragen. Kontakte zur DSU unterhielt er zwar ebenfalls, diese spielten aber wegen der von ihm geteilten Zurückhaltung der Staatskanzlei gegenüber der DSU keine besondere Rolle.1158 Am 20. Juli wurde das Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden vom Leiter der Bayerischen Staatskanzlei, Wilhelm Vorndran, schließlich in Anwesenheit von rund zweihundert geladenen Gästen offiziell eröffnet.1159 Aus diesem Anlass fand eine Podiumsdiskussion zum Thema „Der Föderalismus braucht ein starkes Land Sachsen“ statt, an der der Vizepräsident des Bayerischen Senats, Ekkehard Schumann, Senator Walter Schmitt-Glaeser, der Präsident des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes, Klaus W. Lotz, der Leiter der Rechtsabteilung der Bayerischen Staatskanzlei, Ministerialdirigent Hans W. Klotz, Siegfried Ballschuh und Arnold Vaatz teilnahmen.1160 Zwar waren die bayerischen Hilfsmaßnahmen in Sachsen während des Juli weitergegangen, diese konnten sich aber nicht mit den intensivierten baden-württembergischen Hilfsmaßnahmen messen. So bot Anfang Juli der Bayerische Landesbeauftragte für den Datenschutz seine Mithilfe beim Aufbau eines Datenschutzes in Sachsen an.1161 Ende Juli stellte die Regierung von Oberfranken nach Absprache mit Diakonie und Caritas 600 000 DM für Altenpflegeheime und Sozialstationen zur Verfügung, die der bayerische Arbeits- und Sozialminister, Gebhard Glück, bereitgestellt hatte. Bayern beteiligte sich daneben mit 1,3 Mio. DM an einem Investitionsprogramm des Bundesfamilienministeriums zum Aufbau von Sozialstationen in der DDR.1162 Eine Liste vom 31. Juli nannte 38 Fördermaßnah1155 BayStK, Arbeitsstab Deutschlandpolitik, Interministerielle AG Deutschlandpolitik: Gespräch Max Streibls mit der Bayerischen Landtagspresse am 9. 4.1991, Materialien: Aufbau der neuen Länder mit Bayerischer Hand (BayStK, Baer). 1156 Interview Wolfgang Brückl. 1157 Interview Manfred Kolbe am 13. 3. 2000. 1158 Interview Manfred Kolbe am 16. 5. 2003. Siehe Kap. 5.4.2. 1159 Die Union vom 21./22. 7.1990; Sächsische Zeitung vom 23. 7.1990; Sächsisches Tageblatt vom 25. 7.1990. 1160 Artikel von Wilhelm Vorndran für die Bayerische Staatszeitung: Informationsbüros des Freistaates Bayern in Dresden und Erfurt eröffnet. [handschr.:] Stand 28. 8.1990 (BayStK, Baer). 1161 Bayerischer Landesbeauftragter für den Datenschutz vom 10. 7.1990 (HAIT, KA, 52). 1162 Das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung teilt mit: Freistaat Bayern unterstützt soziale Einrichtungen in Sachsen vom 4. 9.1990 (ebd., 59).

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men im Rahmen der Soforthilfen im Gesundheitswesen der DDR.1163 Die Bayerische Landesärztekammer übernahm die Schirmherrschaft für die Gründung der künftigen Sächsischen Ärztekammer und leistete Beratungshilfe bei der Bildung einer Kassenärztlichen Vereinigung.1164 Da sich sowohl Baden-Württemberg als auch Bayern in Sachsen engagierten, standen beide Partnerländer in einem Konkurrenzverhältnis zueinander und zwar sowohl hinsichtlich ihrer Hilfsmaßnahmen als auch bezüglich ihrer Interessenvertretung. Ungeachtet dessen gab es in Sachsen ein produktives und kollegiales Miteinander und zahlreiche Kontakte. Unter den Beamten vor Ort verlief die Zusammenarbeit, so Hirschle, „wenig formalisiert und durchstrukturiert“. Es „war einfach ein relativ pragmatisches Vorgehen. Wer halt gerade konnte, der hat etwas gemacht.“ Es gab „mehr Kooperation als Wettbewerb, weil die Dinge, die zu erledigen waren, so gigantisch waren, dass wir uns mit den paar Hanseln, die wir zusammen waren, nicht auch noch die Zeit für größere Reibereien leisten konnten. Man hat sich abgesprochen, wer was macht.“1165 In Stuttgart versuchte man angesichts der zunehmenden bayerischen Konkurrenz dafür zu sorgen, dass die sächsische Seite die doppelte Partnerschaft nicht ungebührlich strapaziert. So hieß es in einer Notiz des Sozialministeriums, bayerische Initiativen in Sachsen würden „grundsätzlich begrüßt“, die sächsischen Vertreter jedoch gebeten, diese transparent zu machen, um „Doppelarbeit“ und ein unproduktives „Nebeneinander“ zu vermeiden.1166 Am 22. Juni wies Teufel Späth auf entsprechende Probleme bei der Zusammenarbeit mit Sachsen hin. Seit BadenWürttemberg sich in Sachsen engagiere, seien „auch entsprechende Aktivitäten unseres Nachbarlandes Bayern“ festzustellen. Teufel stimmte Späth zu, dass man keine Ausschließlichkeit für die Beziehungen zu Sachsen beanspruchen könne und es nicht schade, wenn auch Bayern Sachsen unterstütze. Allerdings zeichne sich in drei Bereichen eine bayerische Monopolsituation ab, was „sicher nicht in unserem Interesse“ liege, und zwar im Rundfunkbereich, im Bankenbereich und bei der Energieversorgung. „Die Entwicklung in diesen Bereichen“, so Teufel, „macht mir doch Sorgen.“1167 Vom 27. Juni stammt ein Hinweis Füsslins, dass in der Bezirksverwaltung Dresden mehrere bayerische Berater arbeiteten. Es sei im Einzelnen nicht klar, auf welchen Grundlagen diese Beratung beruhe. Zu vermuten sei, dass einiges über die Parteischiene DSU-CSU laufe. Er berief sich auf Informationen des früheren Leiters der Instrukteursabteilung des Rates des Bezirkes, Werner Schnuppe, der inzwischen für Ballschuhs Informati1163 Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung. Informations- und Koordinierungsstelle auf dem Gebiet des Gesundheitswesens der DDR, Fördermaßnahmen im Rahmen der Soforthilfen im Gesundheitswesen der DDR vom 31. 7.1990 (ebd.). 1164 Vgl. Die Union vom 17. 7.1990. 1165 Interview Thomas Hirschle. 1166 Sozialministerium Baden-Württemberg. Ergebnisprotokoll: Sitzung der FG „Soziales, Gesundheit und Arbeit“ der GK S/BW am 19. 6.1990 im Kreiskrankenhaus Tuttlingen (HAIT, KA, V.3, 2). 1167 Erwin Teufel an Lothar Späth vom 22. 6.1990 (SMBW, 0136, Partnerschaft mit Dresden/Sachsen).

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onspolitik zuständig war. Dieser habe ihn darauf hingewiesen, „dass der bayerische Einfluss bei den zu treffenden politischen Entscheidungen im Rahmen der Ländereinführung usw. möglicherweise schnell zunehme“, während BadenWürttemberg „in diesem politischen Prozess ins Hintertreffen gerate“. Offenbar gehe die politische Entwicklung beim Aufbau der Landesverwaltung dahin, dass die Parteien des Regierungslagers in der Bezirksverwaltung „Vertreter“ installierten, die sich um den Aufbau der einzelnen Ministerien kümmern. So sei ein Vertreter der DSU für den Aufbau des künftigen Innenministeriums zuständig. Angesichts der zuverlässigen Informationen Schnuppes sei es „vordringlich, dass das Land nunmehr rasch tätig wird und eine Beratergruppe organisiert, damit Bayern nicht das ganze Feld überlassen“ werde. Die Sache sei „politisch sehr dringlich“.1168 Die Meldungen, die hinsichtlich der Wirksamkeit der bayerischen Seite kaum der Realität entsprachen, bewirkten aber, dass die badenwürttembergische Landesregierung forciert an den Ausbau der weiter oben beschriebenen Personalhilfe und die Einrichtung von Informationsbüros ging. Das wiederum stachelte die bayerische Seite an, ihren Personaltransfer nach Sachsen zu intensivieren. Kolbe berichtete am 20. Juli, Baden-Württemberg wolle Sachsen vorübergehend 151 Beamte zum Aufbau der Landesverwaltung zur Verfügung stellen. Ein Gespräch mit einer leitenden Mitarbeiterin des dortigen Arbeits- und Sozialministeriums habe ergeben, dass Baden-Württemberg diese Beamten „keinesfalls nur als Berater, sondern als vollentscheidungsbefugte Beamte in Schlüsselstellungen nach Sachsen bringen möchte“. Die befragte Person etwa strebe die Leitung der Personal- und Zentralabteilung des Arbeitsministeriums „und damit die gesamte Personalauswahl dieses Ressorts an“. Es sei daher „dringend geboten1169 hier ein bayerisches Gegenkonzept zu entwickeln, damit Sachsen nicht teilweise von Stuttgart aus regiert wird und bayerische Interessen dann völlig zurücktreten“.1170 Knapp eine Woche später hieß es in einem Bericht des Stuttgarter Innenministeriums an das Staatsministerium über eine Sitzung der Arbeitsgruppe Verwaltungsstruktur der Gemischten Kommission, dass die Bayern in Dresden bereits mehrere „Leihbeamte“ platziert hätten. Vaatz habe die Beratungen verlassen, weil ihm Innenminister Stoiber „ein weiteres personelles Angebot“ unterbreiten wollte. Baden-Württemberg müsse „schnell handeln“.1171 In einem Bericht des Sozialministeriums hieß es, das bayerische Informationsbüro habe sich in der Bezirksverwaltungsbehörde eingerichtet. Bereits im Eingangsbereich befinde sich auf der Informationstafel ein nicht zu

1168 Vermerk von Ernst Füsslin vom 27. 6.1990. Betr. Ländereinführung, hier: Situation in Sachsen; Aufbau eines Beraterservices des Landes (ebd.). 1169 Hervorhebung im Original. 1170 Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Bericht vom 16.–20. 7.1990 (PB Manfred Kolbe). 1171 IMBW, Stabsstelle Verwaltungsstruktur, Information und Kommunikation, Betr.: Beratungen der AG Verwaltungsstruktur am 24./25. 7.1990 in Dresden vom 26. 7.1990 (HAIT, KA, 10.1.).

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übersehender Hinweis „Bayerisches Informationsbüro“ mit Staatswappen.1172 Entsprechende Vermerke an Späth sorgten dafür, dass dieser seine Beamten auf Dominanz Baden-Württembergs bei der Verwaltungshilfe für Sachsen orientierte. Als er darüber informiert wurde, dass Bayern mit baden-württembergischer Unterstützung die Personalabteilungsleiter der Staatskanzleien und Innenministerien der unionsregierten Länder zu einer Koordinierungsbesprechung einladen wollte, notierte Späth handschriftlich: „Was soll das? Wieso Bayern und nicht BW?“1173 Im Laufe des August verschärfte sich mit dem intensivierten Personaleinsatz Baden-Württembergs die Konkurrenzsituation. Am 17. August empfahl Manfred Kolbe den Ressorts der bayerischen Staatsregierung, eventuelle Anregungen für die Strukturbereiche des Koordinierungsausschusses „unverzüglich einzubringen, da die Einflussmöglichkeiten von Tag zu Tag geringer“ würden. Am erfolgversprechendsten sei ein persönliches Gespräch mit dem jeweiligen Landesstrukturbeauftragten oder „die Beiordnung eines ständigen Beraters, wie es Baden-Württemberg erfolgreich für das Innen- und Justizressort“ praktiziere.1174 Während Kolbe so in München Handlungsbedarf anmeldete, erhielt Späth eine Analyse seiner Staatskanzlei auf den Tisch. Hier hieß es zum „Verhältnis Bayern/Baden-Württemberg bei der Zusammenarbeit“, wenngleich „hinsichtlich der projektbezogenen Zusammenarbeit eine neidlose Anerkennung nahezu aller Bundesländer“ bestehe, was baden-württembergische Aktivitäten betreffe, so habe sich dennoch in den letzten Monaten der Eindruck verstärkt, dass Bayern bei der personellen Hilfe „die Nase vorn“ habe. Dieser Eindruck sei vor allem dadurch entstanden, dass Vaatz einen längerfristigen Kontakt mit der bayerischen Staatskanzlei gehabt habe und von dort inzwischen angeboten worden sei, einen Platz für einen sächsischen Vertreter im Brüsseler Büro der Bayern zur Verfügung zu stellen. Baden-Württemberg habe ebenfalls ein entsprechendes Angebot, das eine Präsenz bei der Landesvertretung in Bonn einbeziehe, über das Büro von Minister Reichenbach abgegeben. Ein weiteres Merkmal, dass die Dominanz der Bayern in der Öffentlichkeit verstärke, sei die Tatsache, dass sich die bayerischen Berater unmittelbar im Gebäude der Bezirksverwaltung etabliert und dies durch ein „Staatswappen“ dokumentiert hätten. Hier habe Baden-Württemberg in den letzten Wochen mit der Installierung des Koordinierungsbüros bei der Bezirksverwaltung gleichgezogen.1175 Um den vermeintlichen personellen Vorsprung der Bayern aufzuholen, wurde Ende August ein Teil der Stellen des „20 - Stellen - Kontingents“ für Führungspersonal, 1172 Sozialministerium Baden-Württemberg, Ref. 55, 27. 7.1990: Betr. Reise unter Leitung von Dr. Zeller am 24./25. 7.1990 nach Dresden und Chemnitz (SMBW, 0136, Jour Fix, Raum Sachsen des SM). 1173 SMBW, Abt. II an Abt. I. Betr.: Verwaltungshilfe für die DDR vom 27. 7.1990 (ebd., GK S/BW, Allgemeines). 1174 Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Bericht vom 13.–17. 8.1990 (PB Manfred Kolbe). 1175 SMBW, Abt. V: Vermerk für Ministerpräsident Späth vom 20. 8.1990. Betr.: Zusammenkunft mit Heitmann und Vaatz am 20. 8.1990 (SMBW, 0136, Partnerschaft mit Dresden/Sachsen).

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die eigentlich erst ab Oktober zur Verfügung stehen sollten, wegen „Eilbedürftigkeit“ bereits im Vorgriff besetzt. Die Funktion dieser zwanzig Beamten sollte nach der Wahl des Ministerpräsidenten und der Ernennung der Minister vor allem darin bestehen, „im Zentralstellenbereich der einzelnen Ressorts und der Staatskanzlei koordinierend und beratend zu arbeiten“.1176 In der von Konkurrenz geprägten Situation wurde eine Kooperation über die Grenzen der je eigenen Claims immer schwieriger. Vaatz konstatierte, dass die Kooperation in dieser Phase „klimatisch nicht so besonders gelaufen“ sei. Das sei schade gewesen, „weil es eigentlich sehr euphorisch begonnen hatte“. Dennoch sei unterm Strich die Möglichkeit, beide Länder zu vergleichen und ihre Praktiken kennenzulernen, für die sächsische Seite nützlich gewesen.1177

5.3.9 Vorstellung des Gohrischer Verfassungsentwurfs und des Entwurfs von Leipziger Hochschullehrern In allen sich neu bildenden Bundesländern lagen bis zum Sommer 1990 mehr oder weniger ausgefeilte Entwürfe von Landesverfassungen vor.1178 In Mecklenburg-Vorpommern wurde der Entwurf einer Landesverfassung am 23. Juli in der Presse veröffentlicht und zur öffentlichen Diskussion gestellt. In Brandenburg legte eine Arbeitsgruppe der Babelsberger Akademie für Staat und Recht einen Referentenentwurf vor,1179 der als Grundlage für eine öffentlichen Diskussion als Broschüre herausgegeben wurde, jedoch später keine Rolle mehr spielte. Auch in Sachsen-Anhalt erschien mit Arbeitsstand vom 29. Juni eine Broschüre mit Entwürfen einer Landesverfassung, einer Kommunalverfassung und anderen Dokumenten zur Landesbildung, die an wissenschaftliche Einrichtungen, die Landratsämter und alle Bürgermeister übergeben wurde.1180 Daneben erarbeitete die Unterarbeitsgruppe „Verfassung“ einer Arbeitsgruppe „Landtag“ den Entwurf einer am 3. Juli vorgestellten Verfassung für Sachsen-Anhalt.1181 In Thüringen legte der Unterausschuss Verfassung des mit der Landesbildung beauftragten Politisch-beratenden Ausschusses am 30. August auf der Grundlage der Thüringer Landesverfassungen von 1921 und 1946 sowie von Entwürfen des Lehrstuhls Staatsrecht der Juristischen Fakultät der Universität 1176 SMBW, Abt. I. Vermerk für Staatssekretär Menz zur Vorkonferenz am 31. 8.1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). 1177 Interview Arnold Vaatz am 21. 6. 2000. Zur weiteren Entwicklung siehe Kap. 5.5.2. 1178 Vgl. dazu BVB Erfurt. Information über den Erfahrungsaustausch der BVB Rostock über die Durchführung der Verwaltungsreform und das Herangehen bei der Vorbereitung der Länderbildung. 30. 7.1990 (AThLT, 0/B0416/14). 1179 Verfassung für das Land Brandenburg [Referentenentwurf] vom 22. 4.1990 (Brandenburg. LHA, Rep. 401, A3603, Bl. 78–107). Vgl. Kotsch, Das Land Brandenburg, S. 610. 1180 Landtag Sachsen-Anhalt. Entwurf. Landesverfassung, Kommunalverfassung, Geschäftsordnung, Struktur des Landtages und der Landtagsverwaltung (AThLT, 0/B0416/14). 1181 Unterarbeitsgruppe Verfassung. AG Landtag. Entwurf Verfassung Sachsen-Anhalt. 3. 7.1990 (LA Merseburg, Rep. RdB/BT 21129/1).

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Jena den Entwurf einer Landesverfassung vor. Herangezogen wurden ebenfalls Verfassungen alter Bundesländer und die Entwürfe neu entstehender Länder.1182 Sämtliche Entwürfe waren bei weitem nicht so ausgereift wie in Sachsen und basierten auch nicht auf einem so breiten politischen Konsens wie hier. In Sachsen wurde der Gohrischer Entwurf, in den zuletzt noch einige Anregungen aus dem von Schimpff initiierten Entwurf der Leipziger CDU eingeflossen waren, am 5. August präsentiert.1183 Obwohl von einer Arbeitsgruppe der Gemischten Kommission Sachsen/Baden-Württemberg erarbeitet, trat der Koordinierungsausschuss damit an die Öffentlichkeit und bestätigte damit die auch personell enge Verknüpfung der Arbeitsgruppen beider Gremien. Der in der letzten Kommissionssitzung fertiggestellte Entwurf wurde Anfang August in den Bezirken Dresden und Chemnitz in den Tageszeitungen „Die Union“ und „Sächsische Zeitung“ im vollen Wortlaut veröffentlicht. Die Leipziger Volkszeitung sah von einer Publizierung ab, obwohl der Text auch ihr zur Verfügung gestellt worden war. Außerdem wurde der Gohrischer Verfassungsentwurf als Broschüre vertrieben und an wichtige Politiker verschickt.1184 Der Entwurf, so hieß es in einer Nachbemerkung, werde der Öffentlichkeit in der Hoffnung vorgelegt, dass er von allen politischen und gesellschaftlichen Kräften, von allen Bürgerinnen und Bürgern des künftigen Landes Sachsen als Diskussionsgrundlage akzeptiert werde und so als „Kern des konstitutiven Fundaments unseres neu erstehenden Landes Sachsen“ diene. Die Bevölkerung wurde aufgefordert, bis zum 30. September Stellungnahmen an den Koordinierungsausschuss zu richten. Dort konnten auch Exemplare der Broschüre angefordert werden.1185 Die Verfasser nutzten die Gelegenheit der Vorstellung, Erläuterungen zur Entstehung zu geben. So wurde der Entwurf in eine Traditionslinie des Entwurfs der Gruppe der 20 vom März 1990 gestellt. In einem begleitenden Kommentar von Heitmann und Vaatz hieß es, obwohl der Entwurf der Gruppe der 20 juristische Mängel aufgewiesen habe, sei er „klar von rechtsstaatlichem Denken“ ausgegangen und habe so „die Grundlage weiteren Nachdenkens“ bilden können. Darüber hinaus habe die Veröffentlichung dieses Textes „die beabsichtigte Wirkung nicht verfehlt und maßgeblich dazu beigetragen, dass die Aktivitäten nicht legitimierter Kreise, die auf die vorschnelle Installierung eines aus altem Geist geborenen Länderbildungsgremiums gerichtet waren, nicht zum Ziel kamen“. Der Gohrischer Entwurf könne für sich in Anspruch nehmen, von 1182 Verfassung des Landes Thüringen (Entwurf). Erfurt, 30. 8.1990 (AThLT, 0/B0416/11). Der SPD-Spitzenkandidat für Thüringen, Friedhelm Farthmann, kritisierte den Thüringer Verfassungsentwurf. Diese enthalte gravierende Mängel und müsse schnell überarbeitet werden. Vgl. SPD. Verfassungsentwurf ist diskussionsbedürftig (ebd. 17). 1183 Zur Erarbeitung siehe Kap. 5.3.9. 1184 Steffen Heitmann. Koordinierungsausschuss. Arbeitsstab Verfassung/Recht. Das Erörterungsverfahren zum Gohrischer Verfassungsentwurf (HAIT, KA, 11.1/1). Vgl. Steffen Heitmann an Lothar Späth vom 31. 8.1990 (SMBW, 0136, Partnerschaft mit Dresden/Sachsen). 1185 Nachbemerkung des Koordinierungsausschusses bei der Vorstellung des Gohrischer Entwurfs einer Verfassung des Landes Sachsen vom August 1990 (RPL 0141.0) (Dok. 114).

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einem hierfür ausgewählten Kreis erarbeitet worden zu sein und „über einige der beteiligten Personen in direkter Verbindung zu den revolutionären Ereignissen des Oktober und November 1989 zu stehen“.1186 Obwohl sich der Entwurf auf die Gruppe der 20 berief, wurden einige, teils kategorisch formulierte Bestimmungen dieses Entwurfs nicht aufgegriffen, so die, wonach Sachsen keinen Geheimdienst unterhalte (Art. 10), es ein Recht auf Arbeit (Art. 4) und einen uneingeschränkten Datenschutz gebe (Art. 6). Auch seitens der beteiligten Juristen wurde der Bezug zum Entwurf der Gruppe der 20 betont. So wies von Mangoldt die Behauptung zurück, der Gohrischer Entwurf stamme „aus einem kleinen, vom Volke abgehobenen, nicht durch dieses legitimierten Sachverständigenzirkel“. Richtig sei, dass die großen Dresdner Demonstrationen des Oktober und November 1989 die Gruppe der 20 gleichsam als Sprecherrat“ hervorgebracht hätten. Auf diese Weise sei Bürgerpartizipation im Hinblick auf zu lösende Sachentscheidungen zur „vermittelten Partizipation“ geworden.1187 Selbst Bönninger, der dem Entwurf schließlich kritisch gegenüber stand, stellte fest, dass der Entwurf der Gruppe der 20 für die Gohrischer Arbeitsgruppe „in gewisser Weise Ausgangspunkt ihrer Arbeit“ war, zumal „ihre Mitglieder teilweise identisch“ gewesen seien.1188 Übersehen wurde bei dieser auf Dresden zentrierten Sicht, dass mit dem Entwurf der Leipziger CDU unter Leitung von Schimpff, wenn auch in bescheidenerem Umfang, auch die Tradition der Leipziger Herbstrevolte Eingang in den Entwurf gefunden hatte. Betont wurde freilich nicht allein die Herleitung aus den Dresdner Herbstdemonstrationen, sondern auch die breite Beteiligung unterschiedlicher repräsentativer politischer Strömungen an der Ausarbeitung. Über die sächsischen Teilnehmer und Berater habe es Verbindungen zu weiteren Arbeits- und Beratungsgruppen gegeben, die sich mit Verfassungsfragen beschäftigen, so dass z. B. auch liberales und grünes Gedankengut in die Überlegungen eingeflossen seien. Die Verfasser hätten versucht, „den politischen Kompromiss zu suchen, ohne einen Teil des politischen Spektrums zu verlieren“. Eine Verfassung müsse auch den Boden darstellen, auf dem sich möglichst alle politischen Kräfte wiederfinden. Das sei nicht immer leicht und das Konsensusprinzip nicht immer durchzuhalten gewesen.1189 Der „breite Konsens“1190 spiegelte sich im Herbst 1990 in der Bereitschaft der SPD-Fraktion im Verfassungs- und Rechtsausschuss wider, den Gohrischer Entwurf als Verfassungsgrundlage zu akzeptieren.1191

1186 Steffen Heitmann/Arnold Vaatz, „Zum Verfassungsentwurf.“ In: Die Union vom 10. 8. 1990; Nachbemerkung des Koordinierungsausschusses bei der Vorstellung des Gohrischer Entwurfs einer Verfassung des Landes Sachsen vom August 1990 (Dok. 114). 1187 Von Mangoldt, Bürgerpartizipation, S. 198. 1188 Bönninger, Verfassungsdiskussion im Lande Sachsen, S. 9. 1189 Nachbemerkung des Koordinierungsausschusses bei der Vorstellung des Gohrischer Entwurfs einer Verfassung des Landes Sachsen vom August 1990 (Dok. 114); Steffen Heitmann/Arnold Vaatz, „Zum Verfassungsentwurf.“ In: Die Union vom 10. 8.1990. 1190 Interview Michael Lersow. 1191 Vgl. von Mangoldt, Bürgerpartizipation, S. 209 f.

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Ebenfalls herausgehoben wurde, dass die sächsischen Mitglieder der Kommission den Gohrischer Entwurf „selbst gemacht“ hätten.1192 An Abstimmungen hätten ausschließlich die sächsischen Teilnehmer gleichberechtigt teilgenommen. So sei zwar kein Expertenentwurf entstanden, aber ein Entwurf des politischen Kompromisses unter Beratung von Experten. Den drei bundesdeutschen Juristen wurde für ihre „einfühlsame, zurückhaltende und überaus sachkundige Beratung“ gedankt, ohne die die Arbeit in dieser Qualität nicht zu bewältigen gewesen wäre.1193 Von Mangoldt nahm wenig später zur eigenen Rolle Stellung.1194 Man habe die eigene Aufgabe so verstanden, den sächsischen Mitgliedern bei der Konzeption eines Entwurfs behilflich zu sein, der sich in die Mindestanforderungen des Homogenitätsgebotes des Grundgesetzes (Art. 28 Abs. 1 und 3) einfügt. Niemals sei es darum gegangen, ihnen eine bestimmte Struktur der Verfassung „aufzuschwatzen“. Deshalb habe es auch keinen Versuch gegeben, mit unerbetenen Textvorschlägen zu einzelnen Artikeln oder Absätzen des Entwurfes gleichsam die Feder zu führen. Im Gegenteil seien von Anfang an aufgrund zuvor herbeigeführter Einverständnisse Auffassungsunterschiede über das, was nach dem grundgesetzlichen Homogenitätsprinzip von einer Landesverfassung zu erfüllen sein müsse, offengelegt worden und den sächsischen Mitgliedern dadurch Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum zugewachsen.1195 Dennoch war die Mitarbeit der baden-württembergischen Verfassungsexperten natürlich schon insofern wichtig, als sich der Text in Teilen an der dortigen Landesverfassung orientierte. Aber, so Heitmann und Vaatz, obwohl aus der Verfassung Baden-Württembergs einige Passagen nahezu wortgleich übernommen wurden, sei doch insgesamt ein „organischer neuer Text“ entstanden. Außerdem sei in der Rechtssetzungspraxis „Abschreiben offensichtlich ausgefeilter und bewährter Regelungen keine Schande“.1196 In der Präambel fand der Gohrischer Entwurf „große Worte im richtigen dichterisch-musikalischen Tone“.1197 Schimpff spricht in diesem Zusammenhang von „Revolutionslyrik“.1198 Hier hieß es: „Anknüpfend an die mehr als tausendjährige Geschichte der Mark Meißen und des sächsischen Staates, gestützt auf Traditionen der sächsischen Verfassungsgeschichte, ausgehend von den Erfahrungen nationalsozialistischer und stalinistischer Gewaltherrschaft, eingedenk der Schuld an seiner eigenen Vergangenheit, hat sich das Volk des Landes Sachsen im Ergebnis der friedlichen Revolution des Oktobers 1989 diese Ver-

1192 Vgl. ebd., S. 200. 1193 Nachbemerkung des Koordinierungsausschusses bei der Vorstellung des Gohrischer Entwurfs einer Verfassung des Landes Sachsen vom August 1990 (Dok. 114). 1194 Bönninger kritisierte in der „Döbelner Allgemeinen Zeitung“ vom 19. 9.1990 den Einfluss der baden-württembergischen Beratergruppe. 1195 Vgl. von Mangoldt, Bürgerpartizipation, S. 200. 1196 Steffen Heitmann/Arnold Vaatz, „Zum Verfassungsentwurf.“ In: Die Union vom 10. 8. 1990. 1197 So Häberle, Die Verfassungsbewegung, S. 79. 1198 Interview Volker Schimpff.

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fassung gegeben.“1199 Heitmann und Vaatz nannten die Kriterien, die bei der Ausarbeitung des Entwurfs eine Rolle gespielt hatten. So musste die Landesverfassung passfähig und maßstabsgerecht zum Grundgesetz sein, sie sollte als Vollverfassung über klar definierte Staatsziele und einen eigenen Grundrechtskatalog verfügen, „damit die Bürgerinnen und Bürger des neu entstehenden Landes sich mit ihrer Verfassung besser identifizieren können und die Staatsqualität Sachsens deutlicher wird“, und schließlich sollten „Forderungen und Tendenzen, wie sie in der revolutionären Bewegung des Jahres 1989 sichtbar wurden“, Eingang finden. Aus diesem Grunde sei „aus Respekt vor den bewährten Regelungen des Grundgesetzes und der rechtsstaatlichen Struktur der bundesdeutschen Länder“ gearbeitet worden, „ohne die Besonderheiten unserer jüngsten Geschichte aus dem Blick zu verlieren“.1200 Der Entwurf hatte darüber hinaus das Ziel, Besonderheiten des Landes Sachsen wie die Festlegung der Landeshauptstadt Dresden und des Wappens sowie insbesondere die jüngste Geschichte Sachsens in seinen Regelungen zu berücksichtigen. Das kam in der starken Ausprägung von Elementen direkter Demokratie zum Ausdruck. Dazu gehörte die Möglichkeit der Auflösung des Landtages durch Volksbegehren und Volksentscheid, die Definition eines eigenen Grundrechtskataloges, in dem über die Grundrechte des Grundgesetzes hinaus das Recht auf Datenschutz und Auskunft über Umweltdaten formuliert worden waren, die Anerkennung der Rechte auf menschenwürdiges Dasein, Arbeit, angemessenen Wohnraum, angemessenen Lebensunterhalt und soziale Sicherung.1201 Eine Besonderheit des Entwurfs war in der Tat die Möglichkeit eines dreistufigen Volksgesetzgebungsverfahrens, das einen Volksantrag mit der Unterstützung von 40 000 Stimmberechtigten voraussetzte. Ein anschließendes Volksbegehren erforderte 200 000 Stimmberechtigte. Die Vorlage sollte durch Volksentscheid angenommen sein, wenn sich bei einfacher Mehrheit ein Drittel der Stimmberechtigten beteiligt hatten. Auch Verfassungsänderungen waren im Wege des Volksentscheides möglich. Mit der Möglichkeit einer vorzeitigen Landtagsauflösung durch Volksentscheid wurde eine Idee des Leipziger CDU-Entwurfs berücksichtigt.1202 Darüber hinaus übernahm man die Überlegung der Gruppe der 20 über einen Volksentscheid auf Anordnung der Regierung.1203 Kritik an diesem Prozedere kam von der Bürgerinitiative „Initiative DEmokratie Entwickeln“ (IDEE), die den Entwurf der Leipziger Hochschullehrer favorisierte. Sie forderte die Absenkung der Quoren und hielt 25 000 Stimmen für eine Volksinitiative sowie 60 000 Stimmen für das Volksbegehren für ausreichend. Zudem wurde der Verzicht auf ein Beteiligungs1199 Präambel des Gohrischer Entwurfs einer Verfassung des Landes Sachsen (Dok. 113). 1200 Steffen Heitmann/Arnold Vaatz, „Zum Verfassungsentwurf.“ In: Die Union vom 10. 8. 1990. 1201 Vorlage für den Regierungsbevollmächtigten für eine Beratung mit den Abgeordneten der Volkskammer des Bezirkes Leipzig zur Länderbildung am 27. 8.1990 (Dok. 126). 1202 Sächsische Verfassung. Leipziger Entwurf der CDU vom 20. 6.1990 (Dok. 80). 1203 Vgl. Sampels, Bürgerpartizipation, S. 117; Interview Steffen Heitmann. In: Sächsische Zeitung vom 3. 8.1990.

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quorum beim Volksentscheid gefordert und die Volksabstimmung auf Regierungsinitiative kritisiert. Die Verfasser des Gohrischer Entwurfs, so hieß es, hätten aus der deutschen Geschichte nichts gelernt. Im Dritten Reich und bei der Verabschiedung der DDR-Verfassung im Jahre 1968 seien Volksentscheide missbräuchlich initiiert worden, um die Regierungspolitik zu rechtfertigen. Deshalb dürfe das Initiativrecht weder bei der Regierung noch beim Parlament liegen.1204 Neben den Regelungen über eine Volksgesetzgebung war die Aufnahme von Mitwirkungsmöglichkeiten bei Wahlen und Abstimmungen für ausländische Mitbürger eine Besonderheit des Gohrischer Entwurfs. Die Annahme der Verfassung war nach Art. 120 durch einen Beschluss des Landtages vorgesehen. Auf einen Volksentscheid sollte verzichtet werden. Nach der Veröffentlichung in der Presse wurde der Entwurf „zur Erhöhung der Wirksamkeit des Sächsischen Forums“ in den Mittelpunkt der zweiten Beratung des Sächsischen Forums gestellt. Auf Beschluss Heitmanns und Iltgens fand die Beratung mit einiger Verzögerung statt, „um Zeit für die Verbreitung und Lektüre des Entwurfs zu gewinnen“.1205 Die Beratung des Sächsischen Forums am 23. August wurde von 246 geladenen Gästen und interessierten Bürgern besucht. Heitmann stellte sich der Diskussion über den Gohrischer Entwurf, und Heidrun Lotze gab erste Informationen über den Arbeitsstand sowie das Personal des Koordinierungsausschusses. Nachdem ein Vertreter der Bezirksverwaltungsbehörde Chemnitz den Vorschlag unterbreitet hatte, das Sächsische Forum im Rotationsprinzip auch in den anderen Bezirkshauptstädten stattfinden zu lassen, schlug Iltgen vor, die kommende Sitzung in Chemnitz abzuhalten.1206 Vor allem der Verfassungsentwurf fand breites Interesse und wurde angeregt diskutiert. Die Teilnehmer gaben verschiedene Anregungen; unter anderem wurde vorgeschlagen, Arbeitsgruppen des Sächsischen Forums zu bilden.1207 In der Tat bildeten sich Arbeitsgruppen zu den wesentlichen Bereichen des Verfassungsentwurfs, von denen einige mehrfach zusammenkamen. Am 20. September tagten in der Dresdner Bezirksverwaltung Arbeitsgruppen zu den Themen „Staatsziel/Bestimmungen/Grundrechte“, „Die 3 Gewalten des Staates“, „Verwaltung/Finanzen/Schluss- und Übergangsbestimmungen“, „Schule und Hochschule“ sowie „Religion und Kirche“.1208 Auch in den anderen beiden Bezirken informierte die Presse darüber, dass Ergänzungs- und Änderungsvorschläge erwünscht seien und die Möglichkeit der Mitwirkung in Arbeitsgruppen bestehe. Am 5. September schickte Heitmann Ballschuh den Gohrischer Ent1204 1205 1206 1207 1208

Vgl. Sampels, Bürgerpartizipation, S. 113. Sächsisches Forum, gez. Rust, an Arnold Vaatz vom 3. 8.1990 (HAIT, KA, 3). Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 182 f. Vgl. Die Union vom 24. 8.1990. BVB Dresden, Stellv. für die Bildung des Landes Sachsen, Koordinierungsausschuss. Protokoll über die Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses am 6. 9.1990 (Dok. 132). Vgl. Steffen Heitmann an die Mitglieder der UAG 1 „Länderbildung/Landesverfassung“ der Fachgruppe 11 „Verfassung/Verwaltungsreform“ der Gemischten Kommission Sachsen/Baden-Württemberg vom 14. 9.1990 (HAIT, KA, 11.1).

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wurf mit der Bitte um Stellungnahme,1209 einen Tag später leitete ihn dieser in der Hoffnung „auf eine freundliche Aufnahme“ an Preiß weiter.1210 Ende August wurde der Entwurf den sächsischen Volkskammerabgeordneten vorgestellt.1211 Bis zum Ende der Äußerungsfrist am 30. September fanden drei weitere Veranstaltungen des Sächsischen Forums in Dresden, Leipzig und Chemnitz statt, auf denen der Entwurf vorgestellt wurde. Heitmann nahm außerdem an diversen anderen Diskussionsveranstaltungen teil.1212 Am 6. September stellte Heitmann in Chemnitz, „um den Nachholbedarf an Informationen in Chemnitz gerecht zu werden“ als einzigen Tagesordnungspunkt des Sächsischen Forums die Grundzüge des Gohrischer Entwurfs dar.1213 Wortmeldungen wie die der SPD-Politiker Michael Lersow und Bernd Kunzmann ließen bereits den nahenden Wahlkampf spüren. Auch Redner der FDP, der Grünen und von Bündnis 90 meldeten sich, bisher unüblich, mit der Nennung ihrer Parteizugehörigkeit. Joachim Nestler von der DSU kritisierte die Dominanz Dresdens bei der Erarbeitung des Verfassungsentwurfes. Herr Bartsch von der DFP drückte hinsichtlich der Landesverfassung die Erwartung aus, dass sich Chemnitz nicht auf die „Dresdner Linie“ festlegen lasse, sondern seine eigenen Gedanken entwickelt.1214 Auch bei der 5. Beratung des Sächsischen Forums in Leipzig ging es ausschließlich um die Diskussion des Gohrischer Entwurfs.1215 Bis Ende September gingen beim Koordinierungsausschuss rund 150 schriftliche Stellungnahmen ein. In den Tageszeitungen gab es Leserbeiträge. Die Stellungnahmen kamen vor allem von Interessengruppen, kirchlichen und politischen Organisationen, aber auch von Einzelpersonen. Überwiegend wurde in ihnen jeweils zu einer Vielzahl von Bestimmungen zustimmend, ablehnend oder mit Ergänzungs und Änderungsvorschlägen Stellung bezogen. Jede Stellungnahme wurde von Verfassungsexperten geprüft,1216 wobei vor allem Heitmanns Mitarbeiter Rühmann ein wichtige Rolle spielte.1217 Verfassungsentwurf von Leipziger Hochschullehrern: Einen Tag nach der Vorstellung des Gohrischer Entwurf vor den sächsischen Volkskammerabgeordneten war auch der „Leipziger Entwurf sächsischer Hochschullehrer“1218 am 1209 Steffen Heitmann an Siegfried Ballschuh vom 5. 9.1990 (SächsHStA, 49110). 1210 Ballschuh an Preiß vom 6. 9.1990 (BArch B, DO 5, 156). 1211 Vorlage für den Regierungsbevollmächtigten für eine Beratung mit den Abgeordneten der Volkskammer des Bezirkes Leipzig zur Länderbildung am 27. 8.1990 (Dok. 126). 1212 Steffen Heitmann in: Koordinierungsausschuss. Arbeitsstab Verfassung / Recht. Das Erörterungsverfahren zum Gohrischen Verfassungsentwurf (HAIT, KA, 11.1/1). 1213 Übertragung der Kassettenaufzeichnung zur 3. Sitzung des Sächsischen Forum am 6. 9.1990 in Chemnitz (ebd., 2). 1214 BVB Chemnitz. Protokoll zur 3. Beratung des Regionalausschusses Chemnitz am 6. 9.1990 (AdSD, 3/SNAB000019) (Dok. 133). 1215 Beratung in Leipzig am 25. 9.1990 (HAIT, KA, 2). 1216 Steffen Heitmann. In: Koordinierungsausschuss. Arbeitsstab Verfassung/Recht. Das Erörterungsverfahren zum Gohrischen Verfassungsentwurf (ebd., 11.1/1). 1217 Interview Steffen Heitmann. 1218 Verfassung des Freistaates Sachsen, Entwurf sächsischer Hochschullehrer (HAIT, KA, 66).

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28. August in einer wissenschaftlichen Session durch den Staatsrechtler Ekkehard Lieberam vom Institut für Internationale Studien der Karl-Marx-Universität Leipzig (KMU) vorgestellt und anschließend veröffentlicht worden.1219 Die Initiative für den Entwurf ging von Karl Bönninger, Inhaber des Lehrstuhls für Verwaltungsrecht an der KMU, aus. Bönninger, der in Bonn Jura studiert hatte, gehörte bis zum Juni der Arbeitsgruppe Verfassung der Fachgruppe Verfassung und Verwaltungsreform der Gemischten Kommission Sachsen / Baden-Württemberg an. Heitmann beschreibt ihn als einen „Mann von persönlicher Integrität, aber von einer schwärmerisch-kommunistischen Auffassung“.1220 Bönninger konnte, so Sampels, seine „an einem sozialistischen Weltbild ausgerichteten Vorstellungen“ in der Gruppe nicht realisieren.1221 Er habe, so Heitmann, „bei einem bestimmten Gesprächsstand, an dem wir uns befanden, einfach innerlich von seiner Haltung her nicht mehr mitgekonnt. Also die Mehrheit war anderer Meinung als er, und er hat daraufhin gemeint, er müsse mit Leuten ähnlicher Auffassung, wie er sie hat, einen eigenen Entwurf machen.“ Daher sehe man dem Leipziger Entwurf deutlich den Gesprächsstand der Gohrischer Gruppe an, der in anderer Weise weiterbearbeitet worden sei.1222 Tatsächlich begründete Bönninger seinen Austritt aus der Gohrischen Gruppe im nachhinein damit, dass er keine Chance gesehen habe, seine Vorstellungen von einer Verfassung, zu der soziale Grundrechte und ein starker Ausbau plebiszitärer Elemente gehörten, zu realisieren. Die westdeutschen Berater hätten im Grunde nur ihre baden-württembergische Landesverfassung in Sachsen realisieren wollen.1223 Er kritisierte, dass die damals im Entwurf der Gruppe der 20 formulierten Ideen, insbesondere hinsichtlich des starken Ausbaus plebiszitärer Elemente, nicht übernommen worden seien. Nach seiner Einschätzung zeigte dies den Einfluss der konservativen Berater aus Baden-Württemberg, die die Beratungen zu sehr dominiert hätten. Wegen „unüberbrückbarer Meinungsverschiedenheiten“ verließ er die Gohrischer Gruppe. Um sein eigenes Verfassungskonzept umsetzen zu können, initiierte er zusammen mit seinem in europäischem und außereuropäischem Verfassungsrecht versierten Hochschulkollegen Ekkehard Lieberam eine Arbeitsgruppe zur Erarbeitung einer Landesverfassung. Der Kreis wurde durch weitere Mitglieder vergrößert, die sich auf verschiedenen Diskussionsforen kennen gelernt hatten. Bönninger stand, wie erwähnt, auch in engem Kontakt mit der Bürgerinitiative IDEE, die in Sachsen reelle Chancen sah, ihre Vorstellungen von plebiszitären Elementen in einer Verfassung zu realisieren und 1219 Abgedruckt in JöR 42 (1994), 253 ff. (Textanhang III/1). Die Döbelner Allgemeine Zeitung vom 19. 9.1990 sprach von einem wegweisenden Verfassungsentwurf. Vgl. Sampels, Bürgerpartizipation, S. 118; von Mangoldt, Bürgerpartizipation, S. 197. 1220 Vgl. Heitmann, Die Revolution in der Spur des Rechts, S. 46 f. 1221 Sampels, Bürgerpartizipation, S. 115 f. Zu Bönningers Grundüberzeugungen vgl. Karl Bönninger: (Entwurf) Grundsätze und Ziele der Verfassung vom 2.1.1990 (HAIT, Heitmann, Material zur Verfassung). 1222 Übertragung der Kassettenaufzeichnung zur 3. Sitzung des Sächsischen Forums am 6. 9.1990 in Chemnitz (HAIT, KA, 2). 1223 Aussage Karl Bönninger. Zit. in Sampels, Bürgerpartizipation, S. 115 f.

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aus dieser Richtung Kritik am Gohrischer Entwurf übte.1224 Im Juni gehörten der von Bönninger geleiteten Arbeitsgruppe elf Mitglieder an, darunter Rechtswissenschaftler, Theologen und Wirtschaftsexperten.1225 Nach Meinung Lersows „betrieb“ auch Lutz Zimmermann vom Institut für Recht in Wissenschaft und Technik der TU Dresden, obwohl weiterhin der Gohrischer Gruppe angehörig, „die Entstehung dieses Gegenentwurfes“, der nach Lersows Überzeugung „in weiten Teilen dem Geist der SED“ entsprach. Angesichts seiner Rolle bei der Ausarbeitung des Leipziger Entwurfs sei deutlich geworden, „welche Aufgabe und welchen Auftrag jener Prof. Zimmermann in unserer Gruppe wahrnahm“.1226 Diese habe „ganz obskure Gedanken in diese Verfassungsdiskussion eingebracht“ und letztendlich den Gohrischer Entwurf nicht mitgetragen.1227 Wahrscheinlich versuchte Zimmermann aber nur, seinen Einfluss auf den Gohrischer Verfassungsentwurf weiter geltend zu machen. So betonten die Verfasser des Leipziger Entwurfs auf einem Kolloquium der Juristischen Fakultät der KMU zum Leipziger Verfassungsentwurf im September, dass sie keinen „Alternativentwurf im eigentlichen Sinne“ planten, sondern die verfassungspolitische und -theoretische Diskussion mit ihrem Entwurf beleben und sich in die Diskussion am Gohrischer Entwurf einbringen wollten.1228 Inhaltlich ging der Entwurf, so Bönninger, davon aus, dass man eine Zeit erlebe, „die von der Renaissance der großen Ideen von den unveräußerlichen Menschenrechten, der Volkssouveränität und der Gewaltenteilung geprägt ist, die seit 200 Jahren in den Einzelstaaten der späteren USA und in Frankreich verfassungsrechtlich fixiert wurden“. Der Entwurf berücksichtige den Entwurf des Zentralen Runden Tisches der DDR, die spanische Verfassung und die novellierte Verfassung Schleswig-Holsteins.1229 Lieberam erklärte, man habe sich auf die schleswig-holsteinische Landesverfassung bezogen, weil diese Verfassung als einzige westdeutsche Landesverfassung aus dem Jahr 1990 stamme und somit „brandneu“ sei. Ihr sei bei der Ausarbeitung des Entwurfs auch deswegen besondere Aufmerksamkeit geschenkt worden, weil sie als Reaktion auf immer wieder möglichen massiven Machtmissbrauch, wie er sich in der Barschel-Affäre gezeigt habe, modernisiert worden sei.1230 Entscheidender aber war, dass die Autoren ihre Ausarbeitung vor dem Hintergrund der Entwicklung einer neuen gesamtdeutschen Verfassung sahen. Für sie war das Grundgesetz nicht, wie beim Gohrischer Entwurf, der Maßstab schlechthin, sondern vielmehr eine bloße Orientierungshilfe für den Verfassungsgeber in Sachsen. Sie rechneten mit einer baldigen Ausarbeitung einer neuen 1224 Ders., S. 118. 1225 Vgl. Sächsisches Tageblatt vom 22. 6.1990. 1226 Michael Lersow: Von der Bürgerbewegung in die Parteistruktur der SPD (unveröff. Manuskript) (HAIT, Michael Lersow). 1227 Interview Michael Lersow. 1228 Übertragung der Kassettenaufzeichnung zur 3. Sitzung des Sächsischen Forums am 6. 9.1990 in Chemnitz, Beitrag Heitmann (S. 31) (HAIT, KA, 2). 1229 Bönninger, Verfassungsdiskussion im Lande Sachsen, S. 11. 1230 LVZ vom 13. 9.1990.

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gesamtdeutschen Verfassung, für die die sächsische Landesverfassung als Anregung dienen sollte. Der Verfassungsentwurf verstand sich daher „als ein solcher für ein Land im Bund deutscher Länder. Er fußt auf den bewährten Regelungen des Grundgesetzes, schöpft den demokratischen und sozialen Gehalt der staatlichen Ordnung der Bundesrepublik voll aus und regt mit den ihm zugrundeliegenden konzeptionellen Ideen zur Diskussion um eine künftige gesamtdeutsche Verfassung an. Der Entwurf geht von einem Demokratiebegriff und von einem Begriff der Volkssouveränität aus, der an der Einheit von repräsentativer und unmittelbarer Demokratie orientiert ist.“1231 Im Leipziger Hochschullehrerentwurf wurde das Land Sachsen in Artikel 1 als ein Staat des Bundes Deutscher Länder bezeichnet. Hinsichtlich des Volksgesetzgebungsverfahrens war ein zweistufiges Verfahren vorgesehen, dem ein Volksantrag fakultativ vorgeschaltet war. Ein Volksantrag kam bereits mit den Unterschriften von 10 000 Wahlberechtigten zustande, das Volksbegehren benötigte 100 000 Unterschriften. Beteiligungsquoren waren dafür generell nicht vorgesehen. Nur bei Verfassungsänderungen durch Volksentscheid musste eine Zweidrittelmehrheit zustimmen und sich die Hälfte der Wahlberechtigten beteiligen. Auch Ausländer und Staatenlose sollten an Wahlen und Abstimmungen teilnehmen können, sofern sie ihren Wohnsitz im Land Sachsen hatten. Für die Annahme der Verfassung war ebenfalls ein Volksentscheid vorgesehen, bei dem mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten zustimmen mussten. Eng mit der Frage der Plebiszite verbunden war ein sogenanntes Landesforum und die besondere Stellung der Bürgerinitiativen. Als „erwähnenswertes Novum in der neueren deutschen Verfassungsgeschichte“ schlug der Hochschullehrerentwurf damit die Installierung einer Art zweiten Kammer vor, durch die die Bürgerbewegungen Verfassungsrang erhalten sollten. Dieses Landesforum war dem Landtag beratend zur Seite gestellt. Es sollte sich aus Körperschaften des öffentlichen Rechts sowie verschiedenen Verbänden und Bürgerinitiativen zusammensetzen und das Recht haben, Gesetzesinitiativen in den Landtag einzubringen. Parteien und Abgeordnete betreffende finanzwirksame Gesetze sollten der Zustimmung des Landesforums bedürfen. Vorbild für die Konzipierung des Landesforums war die Stellung des Senats in der bayerischen Verfassung vom 2. Dezember 1946 sowie der Wirtschafts - und Sozialrat in Frankreich. Das Landesforum sollte eine Ergänzung des parlamentarischen Systems darstellen, das die demokratische Tradition des Runden Tisches fortsetzt. Das Mitspracherecht in besonderen Finanzbereichen sollte dazu dienen, den missbräuchlichen Zugriff der Parteien auf die Staatskasse zu unterbinden. Insbesondere wurde auf das Problem der Diäten für Abgeordnete verwiesen. Im Gohrischen Entwurf war ein dem Landesforum vergleichbares Gremium nicht vorgesehen.1232 Auch der Entwurf

1231 Bönninger, Verfassungsdiskussion im Lande Sachsen, S. 11. Hier auch weitere Einzelheiten. Vgl. Sampels, Bürgerpartizipation, S. 118 f. 1232 Sampels, Bürgerpartizipation, S. 119 f.

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Politische Entwicklungen vor Einigungsvertrag

von Leipziger Hochschullehrern wurde öffentlich diskutiert. So lud die IDEE in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung für den 14. September in Dresden zu einem Fachgespräch zum Thema „Demokratie in der neuen sächsischen Landesverfassung“ ein1233 und legte dazu eine Ausarbeitung über die Verfassung aus der Sicht von Bürgerbewegungen bei.1234 Kritik am Entwurf kam vor allem vom Berater der Gohrischer Gruppe, von Mangoldt, der meinte, der Text orientiere sich zum Teil am SED-Entwurf von 1946 für die Verfassungen der Länder der SBZ und an der sächsischen Verfassung von 1947, hänge in Teilen dem demokratischen Zentralismus nach und gebe sich „recht deutlich als AntiGrundgesetz“.1235 Der Entwurf wurde später von der PDS in den Landtag eingebracht und wenig modifiziert auch von Bündnis 90/Grüne übernommen.1236

5.4

Politische Entwicklungen im Vorfeld des Einigungsvertrages

5.4.1 Kampf um den CDU-Kandidaten für das Amt des sächsischen Ministerpräsidenten Mit den Entscheidungen der Regierung de Maizière zur Länderbildung von April und Mai stellte sich zunehmend auch die Frage, wer den künftigen Ländern als Ministerpräsidenten vorstehen würde. Nach den Wahlerfolgen der CDU bei den Volkskammer- und Kommunalwahlen bestand in Sachsen kaum noch ein Zweifel daran, dass es sich dabei in Sachsen um einen Politiker aus den Reihen der CDU handeln werde. Zwar, so Kurt Biedenkopf damals, waren in dieser Partei „viele versammelt, die sich dazu berufen fühlen“,1237 tatsächlich aber gab es, so Helmut Kohl, kaum Zweifel, dass der sächsische Landesvorsitzende, Klaus Reichenbach, die besten Chancen hatte.1238 Berthold Rink, der Reichenbach 1991 kurzzeitig als CDU-Landesvorsitzender folgte, meint, dass sich dieser bereits seit seiner erfolgreichen Kampfkandidatur gegen Arnold Vaatz auf dem 1. Landesparteitag Anfang März 1990 sicher war, sächsischer Ministerpräsident zu werden.1239 Das sah Lothar Späth offenbar zunächst anders, versuchte er doch, den früheren Dresdner SED-Oberbürgermeister Wolfgang Berghofer, den er als reformorientierten Pragmatiker kennen und schätzen gelernt hatte, in die CDU aufnehmen zu lassen und zum Kandidaten für das Amt des sächsischen Ministerpräsidenten aufzubauen.1240 Berghofer war seit 1986 Dresd1233 Anschreiben der Initiative DEmokratie Entwickeln vom 23. 8.1990 (HAIT, KA, 11.1). 1234 Michael Arnold und Thomas Mayer: Wege zur Teilnehmerdemokratie. Die neue sächsische Verfassung aus der Sicht von Bürgerbewegungen und Bürgerinitiativen (PB Andreas Nätner). 1235 Vgl. von Mangoldt, Grundzüge, S. 226 f.; ders., Die Verfassung, S. 28. 1236 Vgl. dazu Kap. 7.4. 1237 Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 223. 1238 Vgl. Kohl, Mein Tagebuch, S. 119. 1239 Interview Berthold Rink. 1240 Vgl. Kohl, Mein Tagebuch, S. 121.

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ner Oberbürgermeister gewesen, zuvor hatte er mehrere Jahre als Abteilungsleiter im Zentralrat der FDJ gearbeitet und Ende 1989 kurzfristig die Funktion des stellvertretenden Vorsitzenden der SED-PDS übernommen. Über Sachsens Grenzen hinaus bekannt war er durch seine Gesprächsbereitschaft mit Dresdner Demonstranten am 8. Oktober 1989 und seine Zusammenarbeit mit der daraus hervorgegangenen Gruppe der 20 geworden.1241 Späth hatte bei gemeinsamen Auftritten mit Berghofer erlebt, dass ihm in der Bevölkerung Sympathie entgegengebracht wurde, und hielt ihn auch deswegen für geeignet, künftig Führungsaufgaben zu übernehmen. Ähnlich war Biedenkopfs Einschätzung, der ihn Anfang des Jahres ebenfalls aufgefordert hatte, an seiner politischen Karriere zu arbeiten. Berghofer hatte dies mit der Begründung abgelehnt, seine SED-Vergangenheit lasse dies nicht zu, er habe „Dreck am Stecken“. Er rechnete damit, dass ihn Personen wie Steffen Heitmann oder Herbert Wagner, die er aus der Arbeit mit der Gruppe der 20 kannte, politisch angreifen würden.1242 Ungeachtet solcher Erwägungen drängte Späth nach dem Beitritt von Vaatz und anderen Mitgliedern der Bürgerbewegungen den Dresdner CDU-Verband, auch Berghofer aufzunehmen.1243 Zuvor hatte dieser bereits erfolglos versucht, in der SPD eine neue politische Heimat zu finden. Im Januar hatte ihm Manfred von Ardenne entsprechende Schritte nahegelegt und in seinem Gartenhaus in Dresden ein Treffen mit Markus Meckel organisiert. Hier hatte Berghofer erklärt, er könne sich einen Wechsel zur SPD vorstellen, aber darauf hingewiesen, dass dies über seine Person hinaus in der gesamten SED-PDS Signalwirkung haben werde.1244 Nach Beratungen im Vorstand der SPD in Ost und West hatten sich Hans-Jochen Vogel und Ibrahim Böhme jedoch schließlich in einer Grundsatzentscheidung gegen die Aufnahme von SED-Mitgliedern ausgesprochen. Nachdem auch die Dresdner SPD all jenen, die erst nach dem Jahreswechsel 1989/1990 die SED verlassen hatten, eine vierjährige Karenzzeit verordnet hatte, war Berghofer gar nicht mehr wegen einer Mitgliedschaft an die SPD herangetreten.1245 Nun bastelte Späth stattdessen an seiner CDU-Karriere, ohne ihn, nach eigenem Bekunden, überhaupt einzuweihen.1246 Freilich stieß Späth damit bei Klaus Reichenbach auf entschiedenen Widerstand. Für ihn kam ein CDU-Beitritt des Reformkommunisten nicht infrage.1247 Späth drohte daraufhin damit, Berghofer in die baden-württembergische CDU aufnehmen zu lassen, und schrieb der CDU in Dresden einen „bösen Brief“.1248 Nun versuchten Reichenbach und Vaatz parallel, Späth von seiner Idee abzubringen. Reichenbach tat 1241 1242 1243 1244 1245 1246 1247 1248

Vgl. Richter/Sobeslavsky, Die Gruppe der 20, insb. S. 193–197. Telefonische Auskunft von Wolfgang Berghofer am 13. 2. 2003. Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. Telefonische Auskunft von Wolfgang Berghofer am 13. 2. 2003. Interview Günter Neumann. Telefonische Auskunft vom 13. 2. 2003 und Email von Wolfgang Berghofer an den Autor vom 13. 6. 2003. Interviews Berthold Rink und Klaus Reichenbach. Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002.

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dies, weil Berghofers Beitritt im Sinne früherer Nähe von SED und CDU gedeutet werden konnte, Vaatz wegen prinzipieller Vorbehalte gegen bisherige Nomenklaturkader. Er protestierte schriftlich bei Späth und schickte Kopien des Schreibens an Teufel und Helmut Rau.1249 Teufel intervenierte daraufhin intern gegen eine Aufnahme Berghofers und setzte das Thema auf die Tagesordnung des baden-württembergischen CDU-Landesvorstandes.1250 Dieser befasste sich in Gegenwart Reichenbachs mit der Problematik, der hier erklärte, nur weil Späth und Berghofer „dicke befreundet“ seien, komme eine CDU-Karriere Berghofers in Sachsen nicht in Frage. Der Landesvorstand stimmte dieser Auffassung mehrheitlich zu, und Späth musste einen Rückzieher machen.1251 Rau berichtete Vaatz am nächsten Tag telefonisch, Späth habe „eine Weile geredet“, dann „schnell drei-vier Nebeltöpfe geworfen“ und die Versammlung verlassen.1252 Nachdem ihm der eigene Landesverband deutlich gemacht hatte, wie abwegig sein Plan sei, empfahl Späth Berghofer nach einer Tagung des Bergedorfer Gesprächskreises in Dresden am 29. April, sich beruflich in Richtung Wirtschaft zu orientieren. In der Politik sehe er für ihn keine Chancen mehr. Mit seiner Unterstützung wurde Berghofer schließlich Generalbevollmächtigter der Stuttgarter Häussler-Gruppe für die neuen Bundesländer und Osteuropa.1253 Nach diesem abenteuerlich anmutenden Intermezzo ließ sich Späth von Reichenbach überzeugen, dessen Kandidatur zu unterstützen. Ein westlicher Kandidat kam zu diesem Zeitpunkt nicht in Betracht, meinten doch sowohl CDUChef de Maizière als auch der sächsische Landesvorstand, es käme einem Ausverkauf der DDR gleich, einen Bundespolitiker vorzuschlagen.1254 So schien es folgerichtig, als Reichenbach Mitte Mai erklärte, er wolle sich im Auftrag der sächsischen CDU um das Amt bewerben.1255 Bayerns späterer „Botschafter“ in Sachsen, Manfred Kolbe, sprach in diesem Zusammenhang freilich eher von einer Selbsternennung Reichenbachs, da er von keiner sächsischen Parteigliederung außer der des Landkreises Chemnitz zur Kandidatur aufgefordert worden sei.1256 Wenig günstig war für Reichenbach in diesem Zusammenhang seine Benennung zum Staatsminister im Amt de Maizières, hielt er sich dadurch doch nur noch sporadisch in Sachsen auf. In der Nacht vor den Koalitionsverhandlungen, fünf Minuten vor seiner Ernennung, so erinnert er sich, habe de Maizière ihn gebeten, DDR-Innenminister zu werden. Nach seiner Ablehnung habe er gedrängt, wenigstens als Amtsleiter in seinem Amt des Ministerpräsidenten im Range eines Staatssekretärs zur Verfügung zu stehen. Das habe er de Maizière 1249 1250 1251 1252 1253 1254 1255 1256

Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003; Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003. Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. Interview Klaus Reichenbach. Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. Vgl. Berghofer, Dresdner Jahre, S. 219–243. Vgl. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 223. Interview Klaus Reichenbach. In: Berliner Allgemeine vom 14. 5.1990. Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Bericht vom 20.–24. 8.1990 (PB Manfred Kolbe).

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nicht abschlagen können. Als die SPD bei den Koalitionsverhandlungen dann überraschend einen weiteren Ministerposten forderte, habe de Maizière ihn zwecks Wahrung der Parität ohne weitere Rücksprache in den Rang eines Staatsministers erhoben. „Da haben sie alle Ja gesagt, und so war ich es.“ Er habe das Amt nicht angestrebt und auch keine Vorstellung gehabt, welche Arbeit damit verbunden war: „Ich war einfach dabei und bin mitgeschwommen.“1257 Da er seine gerade errungene Funktion als CDU-Landesvorsitzender nun kaum noch angemessen wahrnehmen konnte, berief er seinen Stellvertreter, Rolf Rau, der von April 1989 bis zur Bildung des Landesverbandes im März 1990 Vorsitzender des CDU-Bezirksverbandes Leipzig gewesen war, zum amtierenden Landesvorsitzenden.1258 Daneben vertrat ihn auch Präsidiumsmitglied Horst Metz, der ihm gegenüber wie Rau „sehr loyal“ war.1259 Anders verhielt es sich mit Vaatz, der seine Wahlschlappe auf dem 1. Landesparteitag noch nicht weggesteckt hatte und sich, ebenfalls als Landesvorstandsund Präsidiumsmitglied, nach Kräften bemühte, eine Kandidatur Reichenbachs zu verhindern.1260 Selbst hatte Vaatz nach eigenem Bekunden nie die Absicht, für das Amt des Ministerpräsidenten zu kandidieren, obwohl ihm dies von verschiedenen Seiten angetragen und nachgesagt worden sei. Er habe sich die Aufgabe zum einen nicht zugetraut und zum anderen seit seiner Kandidatur auf dem 1. Landesparteitag gewusst, dass er zu umstritten war, um eine Mehrheit in der CDU hinter sich zu bringen.1261 Es gab bezüglich seiner Ambitionen freilich auch andere Eindrücke. So war sich Reichenbach sicher, dass Vaatz Ministerpräsident werden wollte,1262 und auch Biedenkopf notierte nach einem Gespräch mit ihm Anfang Mai, „der sehr agile junge Herr Vaatz“ halte „sich selbst für geeignet, Ministerpräsident des Landes Sachsen zu werden“.1263 Für Reichenbach sollte sich erweisen, dass er in Vaatz, ungeachtet von dessen Ambitionen, den entschiedensten Gegner gefunden hatte. Noch deutete sich dies erst an, und der Staatsminister der ersten frei gewählten DDR-Regierung gab auf einer erweiterten Sitzung des CDU-Landesvorstandes unter Beteiligung von Volkskammerabgeordneten und Regierungsbevollmächtigten am 7. Juli seine Spitzenkandidatur für die Landtagswahl offiziell bekannt: „Sofern es die Partei wünscht, stehe ich zur Verfügung. Es war nie meine Absicht, in Berlin zu bleiben.“ Er habe sich als Minister bei de Maizière getestet und traue sich die Arbeit zu.1264 Nach dem Landesvorstand begrüßten die Präsidiumsmitglieder Reichenbach, Metz, Rink, Schramm, Medger, Vaatz und Terp die Kandidatur. Von 1257 1258 1259 1260 1261 1262 1263 1264

Interview Klaus Reichenbach. Festlegungsprotokoll der Sitzung des CDU-Landesvorstandes Sachsen am 19. 5.1990 in Leipzig (ACDP, VII-012, 3915). Interview Klaus Reichenbach. Zum Konflikt zwischen beiden Politikern siehe Kap. 3.2.5. Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. Interview Klaus Reichenbach. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 223. Zit. in Die Welt vom 9. 7.1990. Vgl. Sächsisches Tageblatt vom 10. 7.1990; Die Union vom 12. 7.1990.

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Widersprüchen war nach außen keine Rede, so dass weder Späth noch Biedenkopf zu diesem Zeitpunkt Zweifel daran hegten, dass Reichenbach sächsischer Ministerpräsident werden würde.1265 Als Staatsminister und Leiter der zentralen Verwaltungsangelegenheiten war er zu diesem Zeitpunkt unter anderem mit der Abwicklung des Regierungsapparates befasst, wobei sein politischer Einfluss täglich schrumpfte.1266 Vielleicht war dies, samt der Erkenntnis, dass die Zeit der letzten DDR-Regierung nicht wie zunächst gedacht nach Jahren, sondern nach Monaten oder Wochen zählte, der Grund für seine Erklärung, nie beabsichtigt zu haben, in Berlin zu bleiben. Hinsichtlich seiner politischen Zukunft fiel aber nicht nur seine Karriere im Umbruchprozess, sondern auch sein politischer Werdegang in der DDR ins Gewicht. Er war seit 1969 CDU-Mitglied, seit 1974 Vorsitzender des CDU-Kreisverbandes Karl-Marx-Stadt (Land), seit 1987 Mitglied des Hauptvorstandes der CDU und seit 1988 Vorsitzender des CDU-Bezirksverbandes Karl-Marx-Stadt gewesen. Er hatte in der DDR Staats- und Rechtwissenschaften studiert und zunächst als Geschäftsführer der Familienfirma, dann als Direktor des enteigneten und verstaatlichten „VEB Feinstrickwaren Goldfasan“ gewirkt. In die CDU war er nach eigener Aussage eingetreten, um von der SED in Ruhe gelassen zu werden. Den Posten als Betriebsdirektor habe er schließlich zugunsten der Funktion des CDU-Bezirksvorsitzenden aufgegeben, weil er „die Nase von der DDR-Wirtschaft restlos voll“ gehabt habe.1267 Noch am 28. September 1989, zu einem Zeitpunkt, als die Massenflucht aus der DDR bereits in vollem Gange war und sich immer mehr Menschen zur Montagsdemonstration vor der Leipziger Nikolaikirche sammelten, hatte Reichenbach die bisherige erzwungene Unterordnung der CDU unter die SED gelobt, sich öffentlich für den Erhalt des Sozialismus in einer eigenständigen DDR ausgesprochen und die Vereinbarkeit von Christentum und Sozialismus betont. „Leuten wie Rühe und Kohl“, so konnte man im SED-Bezirksorgan Karl-Marx-Stadt „Freie Presse“ lesen, gehe es keineswegs um Reformen in der DDR, vielmehr wollten diese „unser politisches Bündnis beseitigen“ und „uns zum Kapitalismus zurückdrängen“. „Die erarbeiteten Güter so zu verteilen, dass alle satt werden und soziale Gerechtigkeit waltet“, das sei christlicher Humanismus. Dieser habe sich nicht etwa in den „Ausbeutergesellschaften“ durchgesetzt, sondern werde im Sozialismus verwirklicht. In diesem Sinne hätten CDU und SED „von je her das Gemeinsame gesucht und ausgeübt“.1268 Nach einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ soll er im September 1989 zudem den „Brief aus Weimar“1269 als „Pamphlet“ bezeichnet und an die SED-Bezirksleitung geschrieben haben, im Kriegsfalle werde sich der CDU-Bezirksvorstand Karl-Marx-Stadt Seite an Seite mit der SED in der Zivilverteidigung 1265 1266 1267 1268 1269

Vgl. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 270. Interview Thomas de Maizière. Interview Klaus Reichenbach. In: Das Parlament vom 14. 9.1990. Freie Presse vom 28. 9.1989. Darin forderten mehrere CDU-Funktionäre eine Demokratisierung von CDU und Gesellschaft. Vgl. Richter, Zur Entwicklung der Ost-CDU im Herbst 1989, S. 119–121.

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bewähren.1270 Seit sich im Oktober 1989 eine Veränderung der politischen Verhältnisse abzeichnete, betonte er hingegen mehrfach, weder hätten die bisherigen Stellungnahmen seinen tatsächlichen Ansichten entsprochen noch das tatsächliche Stimmungsbild in der CDU wiedergegeben. Sie seien in seiner Funktion aber unumgänglich gewesen. Derartige Bekundungen lassen sich im Nachhinein bekanntermaßen schlecht überprüfen. Politische Wirksamkeit entfaltet ohnehin nur das gesprochene, nicht aber das gedachte Wort. Uwe Grünings Votum, man habe Nomenklaturfunktionen wie die eines CDU-Bezirksfunktionärs in der kommunistischen Diktatur eben gar nicht erst annehmen dürfen, gilt deswegen auch für Reichenbach.1271 Dennoch scheint dieser tatsächlich wenig Sympathien für das System gehabt zu haben. Kaum einmal wird ihm eine innere Nähe zum kommunistischen Regime unterstellt, eher Opportunismus und eine gewisse Blauäugigkeit. Jedenfalls gehörte er mit seiner Stellungnahme von Ende September 1989 nicht nur zu den letzten Verbal-Apologeten der kommunistischen Diktatur, sondern ab Mitte Oktober 1989 auch zu den ersten CDU-Funktionären, die für eine Demokratisierung von CDU und Gesellschaft eintraten. Auf einer Tagung des Präsidiums des Hauptvorstandes der CDU mit den Bezirkssekretären am 16. Oktober 1989 kritisierte er – neben anderen – den Vorsitzenden und erklärte, dass es in der CDU längst eine andere CDU gebe als die, die Gerald Götting zu führen meine.1272 Anders als der Vorsitzende des CDU-Bezirksverbandes Dresden, Herbert Dreßler, galt Reichenbach auch unter seinen Kritikern zu keinem Zeitpunkt als ideologischer Hardliner. Er war, so zum Beispiel Rößler, „überhaupt kein Scharfmacher, ganz im Gegenteil“.1273 Mengele war Reichenbach bei den ersten Kontakten als „zupackender Kritiker der DDR-Zustände“ aufgefallen, Späth beeindruckte er mit realistischen Einschätzungen des desolaten Zustandes der „volkseigenen“ Wirtschaft. Zwischen beiden entwickelte sich ein gutes persönliches Verhältnis, und Späth unterstützte ihn nach dem Berghofer-Intermezzo bei seiner Kandidatur.1274 Dies veranlasste im Übrigen Manfred Kolbe, der Münchner Staatskanzlei dringend zu empfehlen, den Kontakt zu Reichenbach zu intensivieren. Von Späth werde dieser „hofiert“, man dürfe ihm aber „im Interesse des bayerischen Einflusses in Sachsen nicht alleine das Feld überlassen“.1275 Späth beweise mit seiner Haltung gegenüber Reichenbach „einen merkwürdigen Hang zur Kontinuität“ und habe im Übrigen mit Eberhard Wurster aus dem Stuttgarter Innenministerium bereits einen Beamten im Büro Reichenbachs platziert.1276 Reichenbach wusste, dass die Un1270 1271 1272 1273 1274 1275 1276

Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 12.12.1991. Interview Uwe Grüning. Vgl. Richter, Zur Entwicklung der Ost-CDU im Herbst 1989, S. 123. Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003. Mengele, Wer zu Späth kommt, S. 216 f. Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Bericht vom 16.–20. 7.1990 (PB Manfred Kolbe). Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Bericht vom 13.–17. 8.1990 (ebd.).

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terstützung aus Stuttgart wichtig für seine Kandidatur war, er aber auch die Bonner CDU-Führung nicht ignorieren durfte. Hier half ihm der Umstand, dass er als Staatsminister sowohl auf die Rückendeckung de Maizières bauen konnte, er durch seine Funktion aber auch über Kontakte zu führenden Politikern der Bundesregierung verfügte. Schnell wurde er zum Beispiel von Schäuble und Seiters unterstützt, mit denen er wegen der Einigungsverhandlungen in Berlin häufig zu tun hatte und bestens kooperierte. Der Bundesinnenminister fasste zu ihm als dem Vorsitzenden des stärksten und in der Wahl erfolgreichsten CDULandesverbandes „rasch Vertrauen“,1277 das sich in Folge auch auf den Bundeskanzler und CDU-Vorsitzenden übertrug. Entsprechend hatte auch Kohl „keine Vorbehalte gegen Klaus Reichenbach“. Was gegen ihn vorgebracht wurde, empfand er als „eher banal, wenn man es mit Funktionären in der DDR und Verstrickungen mit der Stasi anderer vergleicht“.1278 So konnte sich Reichenbach zwar der Unterstützung nahezu aller entscheidenden CDU-Politiker in Ost und West sicher sein, hatte die Rechnung aber ohne die Vaatz-Gruppe gemacht, die seine Kandidatur verhindern wollte. Hier befürchtete man, so Rößler, dass es mit Reichenbach nicht die gewünschten Veränderungen geben und die CDU die Landtagswahl verlieren werde.1279 Durch seine früheren Funktionen habe Reichenbach, so Vaatz, die CDU nicht nur Glaubwürdigkeit gekostet; hinzu sei gekommen, dass er sich im bundesdeutschen Rechtssystem nicht auskannte, weshalb nicht auszuschließen gewesen sei, dass er „den sächsischen Karren in den Morast“ fährt. Für Sachsen wäre es gefährlich gewesen, von jemandem regiert zu werden, „der in den Ministerpräsidentenrunden nicht weiß, wovon gesprochen wird, und den man an allen Ecken und Enden über den Tisch ziehen kann“.1280 Die Skepsis wuchs, als bekannt wurde, dass die SPD bereits damit begonnen hatte, Reichenbachs SED-freundliches Interview in der „Freien Presse“ für den Wahlkampf zu vervielfältigen. In dieser Situation erwies es sich für die sächsische CDU als äußerst hilfreich, dass sich neue und alte Kräfte nicht nur in Form von Parteien wie SPD und CDU gegenüberstanden, sondern Vertreter neuer politischer Gruppierungen in der CDU ihre Zelte aufgeschlagen hatten, um sich auf den Weg durch diese Institution zu machen. Für die SPD wäre es ein gefundenes Fressen gewesen, ihren politischen Rivalen als bisherigen Sparring-Partner der SED vorführen zu können. Mit der Gruppe der neu zur CDU gestoßenen Wortführer der Dresdner Bürgerbewegungen aber verfügte die Partei über ein inneres Relais, das verhinderte, es so weit kommen zu lassen, und welches dafür sorgte, dass die politische Auseinandersetzung zwischen alt und neu auch innerhalb der CDU selbst ausgetragen wurde. Die Befürchtung von Vaatz und seinen politischen Mitstreitern, Reichenbach werde eine nennenswerte personelle Erneuerung in Sachsen verhindern, 1277 1278 1279 1280

Schäuble, Der Vertrag, S. 107. Interview Helmut Kohl. Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003. Interview Arnold Vaatz am 21. 6. 2000.

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lag vor allem darin begründet, dass die neuen Kräfte die personellen Entscheidungen zur Besetzung der Posten der drei Regierungsbevollmächtigten und anderer wichtiger Funktionen in den Bezirksverwaltungsbehörden mit CDU-Altfunktionären auf Reichenbachs Einfluss in Regierung und CDU-Landesvorstand zurückführten. Für sie war klar, dass Reichenbach als Ministerpräsident die Weichen anders stellen würde, als sie es wünschten. Die führenden Akteure im Koordinierungsausschuss, egal welcher politischen Provenienz, mussten interessiert sein, dass der künftige Regierungschef den Koordinierungsausschuss, seine Akteure und die von ihnen erarbeiteten Strukturen akzeptieren würde. Ansonsten wäre aus ihrer Sicht die Revolution „auf der Zielgeraden abgefangen“ worden und der Koordinierungsausschuss „eine folgenlose Episode“ geblieben.1281 Vor diesem Hintergrund wurden hier auch die Bestrebungen der Regierung de Maizière gewertet, hinsichtlich der Länderbildung andere Strukturen zu erarbeiten und personelle Weichenstellungen vorzunehmen. Nach der Übernahme der Landeshoheit hätten die Aktivitäten des Koordinierungsausschusses zurückgedrängt und seine Konzepte in die Schublade verbannt werden können. Vaatz ging davon aus, dass bei einer Regierungsübernahme Reichenbachs die Arbeit des Koordinierungsausschusses zur personellen Erneuerung vergeblich gewesen wäre,1282 und auch Kolbe als sein Mitstreiter meint, „der hätte uns alle rausgeschmissen“.1283 Offen muss bleiben, ob ein weitergehendes Entgegenkommen Reichenbachs gegenüber der den Koordinierungsausschuss tragenden Vaatz-Gruppe deren Haltung seiner Kandidatur gegenüber verändert hätte. Angesichts der grundsätzlichen Bedenken scheint dies eher fraglich. Tatsächlich stellte sich die Frage nicht, denn Vertreter der Vaatz-Gruppe waren in einem möglichen Kabinett Reichenbach nicht vorgesehen. Freilich verfügte dieser auch noch nicht über eine fertige Kabinettsliste. Da er meinte, man solle „das Fell des Bären erst verteilen“, wenn er erlegt sei; deshalb betrieb er zunächst nur eine „lockere Suche“ nach Ministerkandidaten. Verbindlich angefragt hatte er bei seinem parteilosen Kabinettskollegen und Ressortchef für Bildung und Wissenschaft in der Regierung de Maizière, Hans Joachim Meyer: „Zu dem habe ich gestanden, der Mann hat mir imponiert, der hat eine saubere, klare Politik gemacht, hatte auch einen tollen Standpunkt, war vom Intellekt her gesehen absolut für so eine Position geeignet.“ Deswegen habe er ihn gebeten, nach Sachsen zu kommen.1284 Neben Meyer hatte er auf Anraten Späths auch Birgit Breuel gefragt, ob sie sich vorstellen könne, sächsische Wirtschaftsministerin zu werden. Während diese ihn hinhielt, habe sich ihm auch Biedenkopf für dieses Amt angeboten,1285 was dieser jedoch bestreitet. Nach Reichenbachs Aussage suchte ihn Biedenkopf im Berliner Amt des Ministerpräsidenten 1281 1282 1283 1284 1285

Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 211. Zit. in Lesch, Die CDU-Reformer in Sachsen, S. 41. Interview Manfred Kolbe am 16. 5. 2003. Interview Klaus Reichenbach. Meyer bestätigt die Anfrage. Interview Hans Joachim Meyer am 3. 3. 2003. Interview Klaus Reichenbach.

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auf und bot sich ihm als Wirtschaftsminister an. Er habe nach dem Gespräch bei Späth nachgefragt, der ihm erklärt habe, Biedenkopf könne er nehmen, der sei „nicht schlecht, aber natürlich ein absoluter Top-Theoretiker“.1286 Biedenkopf bestreitet, Reichenbach in der Sache gefragt zu haben. Er habe „nie erwogen“, unter Reichenbach Wirtschaftsminister in Sachsen zu werden.1287 Es habe verschiedene Anfragen dieser Art gegeben, so von Peter-Michael Diestel in Brandenburg; er habe dies aber nie verfolgt. Sein Ziel sei es gewesen, nochmals bis zum Pensionsalter für den Bundestag zu kandidieren, in Leipzig Vorlesungen zu halten und sich „im Übrigen an dem Prozess hier mit meinem Fachwissen zu beteiligen“.1288 Hier steht Aussage gegen Aussage. Sicher scheint nur, dass Reichenbach verschiedene Personen über die vermeintliche Anfrage Biedenkopfs informierte. Kohl berichtet: „Klaus Reichenbach sagte mir in der Zeit, als er noch für das Amt des sächsischen Ministerpräsidenten im Gespräch war, dass er Kurt Biedenkopf gefragt habe, ob dieser in sein Kabinett als Wirtschaftsminister eintreten würde. Biedenkopf habe ihm dies zugesagt.“1289 In seinem Tagebuch schreibt er, Biedenkopf habe sich „während der Personaldebatte bereits mit dem potenziellen sächsischen Ministerpräsidenten Klaus Reichenbach getroffen und ihm für den Fall seiner Wahl die Mitarbeit als Wirtschaftsminister in seinem Kabinett angeboten“.1290 Vaatz berichtet, Reichenbach habe ihn informiert, dass sich Biedenkopf ihm „in aller Form als Wirtschaftsminister angeboten“ habe.1291 Auch Reichenbachs politischer Freund Bertram Wieczorek meint, als klar zu sein schien, dass der Landesvorsitzende Reichenbach auch Ministerpräsident werde, habe es auch Gespräche gegeben, „das weiß ich noch ganz genau, mit dem Herrn Biedenkopf, der gleich dem Klaus das ‚Du‘ anbot und sagte, er würde auch gerne Wirtschaftsminister in Sachsen werden“.1292 Im internen Kreis der Akteure der sächsischen Landesbildung wurden gerüchteweise auch andere Kandidaten gehandelt. Iltgen erinnert sich, dass bereits alle Posten unter Funktionären der alten CDU aufgeteilt gewesen seien. Nach seiner Kenntnis wollte Reichenbach Ballschuh das Innenressort anbieten,1293 nachdem sich dieser nach Informationen Adlers zunächst selbst Hoffnungen gemacht haben soll, Ministerpräsident zu werden, und „zutiefst enttäuscht“ gewesen sei, darauf seitens der CDU nicht angesprochen worden zu sein.1294 Deswegen habe er versucht, dies über eine SPD-Mitgliedschaft zu erreichen. Ballschuh habe, so Adler, schon „einen alten SED-Mann“ als Chef der Staatskanzlei ausgeguckt gehabt. Er habe sich persönlich an ihn gewandt und „wollte mit mir gegenseitige 1286 1287 1288 1289 1290 1291 1292 1293 1294

Interview Klaus Reichenbach. Kurt Biedenkopf an den Autor vom 1. 6. 2003. Hervorhebung im Original. Interview Kurt Biedenkopf. Interview Helmut Kohl. Kohl, Mein Tagebuch, S. 121. Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. Interview Bertram Wieczorek. Sollte es eine entsprechende Anfrage Biedenkopfs gegeben haben, scheint jedenfalls ein früherer Zeitpunkt als der 21. 8.1990 plausibler. Interview Erich Iltgen. Interview Peter Adler.

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Unterstützung absprechen“. Als Gegenleistung für seine Unterstützung „wollte er mit der gesamten Volkssolidarität – er war damals deren Vorsitzender – in die SPD eintreten“. Adler lehnte dies alles ab.1295 Ballschuhs Stellvertreter für Verwaltung glaubt außerdem, Indizien dafür zu haben, dass der Referatsleiter für Wirtschaft in der Dresdner Bezirksverwaltungsbehörde, Herbert B. Schmidt, unter Ballschuh Wirtschaftsminister werden sollte. Der Dresdner Regierungsbevollmächtigte habe außerdem den vom letzten Dresdner Ratsvorsitzenden, Michael Kunze, geschassten Klaus Schumann für den Fall aller Fälle als in der Bezirksverwaltungsbehörde für Landesbildung zuständigen Funktionär reaktiviert, um nicht unvorbereitet zu sein, „wenn er in die Konstellation kommt“.1296 Nun aber hatte sich Reichenbach durchgesetzt, was nach Kolbes Meinung deswegen auf der Hand lag, weil Ballschuh zu zurückhaltend gewesen sei, als dass er eine herausragende Führungsfunktion hätte auf Dauer übernehmen können.1297 Vaatz weiß zu berichten, dass der bisherige Bezirksarzt des Rates des Bezirkes Dresden und Gesundheitsminister der Regierung de Maizière, Jürgen Kleditzsch, als Sozialminister vorgesehen gewesen sei.1298 Als Umweltminister, so schließlich Dieter Angst, sei Horst Metz im Gespräch gewesen.1299 Vaatz, Iltgen und andere versuchten über Bernd-Dietmar Kammerschen via Bundespartei Einfluss auf die Kandidatenkür zu gewinnen, mussten aber erfahren, dass ihre Bestrebungen in Bonn erfolglos blieben. Vaatz hatte den Eindruck, dass Schäuble unter dem Einfluss de Maizières meinte, mit ihm und seinen Mitstreitern könne er keine Politik machen. Er habe in ihnen „Chaoten“ gesehen, die „irgendwie beschäftigt“ und „so schnell wie möglich getitelt und ungefährlich gemacht werden“ müssten. Schäuble habe wie Späth eher auf „bewährte Kräfte“ gesetzt.1300 In Stuttgart, so der spätere Strukturbeauftragte für Justiz, Eberhard Stilz, habe es zunächst keine unerhebliche Rolle gespielt, dass „die alten Seilschaften“ versucht hätten, „ihren Einfluss, ihre Pfründe zu verteidigen“ und ein positives Bild von sich zu zeichnen. Vaatz und seine politischen Partner seien hingegen als „Querulanten“ abgetan und hier deswegen zunächst nicht wirklich ernst genommen worden. Leichtgläubig hätten sich manche westlichen Politiker über den diktatorischen Hintergrund von Funktionären des bisherigen Regimes hinweggesetzt und seien froh gewesen, „jemanden zu haben, der vernünftig wirkte, aufgeschlossen war, mit dem man reden konnte, und der sich als ein überzeugter Demokrat ausgab“. Zugleich seien die, die schon unter der SED als Querulanten abgestempelt worden waren, nun von DDR-Altkadern erneut und auf ähnliche Weise in Misskredit gebracht worden. Stilz, den dieses von ihm so wahrgenommene Vorgehen ärgerte, bemühte sich, eine Lanze für die „politische Formation um Vaatz“ zu brechen und in Stuttgart klarzumachen, 1295 1296 1297 1298 1299 1300

Interview Peter Adler. In: Kleimeier, Sachsen, S. 12 f. Interview Peter Adler. Interview Manfred Kolbe am 16. 5. 2003. Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. Interview Dieter Angst. Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002.

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dass Vaatz nicht nur ein „hochintelligenter, hochfähiger und integrer Mensch“ sei, sondern dass seiner und nicht der Linie Reichenbachs „die Zukunft gehören müsse“.1301 Ähnliche Bedenken meldete im Juli Hubert Wicker an und plädierte im Stuttgarter Staatsministerium dafür, auf die Vaatz-Gruppe und nicht auf „die alten Kräfte“ zu setzen. Er tat dies freilich mehr aus taktischen, denn aus moralischen Gründen, meinte er doch, bei den Neuen stecke „mehr Power dahinter“. Es sei damals schwer gewesen, die politischen Verhältnisse in Sachsen einzuschätzen, weil die Vaatz-Gruppe nur in Dresden agierte, die Verhältnisse in den anderen Bezirken aber eher Späth Recht zu geben schienen.1302 Ungeachtet der schwer abschätzbaren Aussichten, Reichenbachs Kandidatur mittels eines Gegenkandidaten zu verhindern, wurden in Vaatz’ Umfeld entsprechende Überlegungen angestellt und mögliche Personen kontaktiert. So war Kurt Biedenkopf bereits einige Tage vor den Kommunalwahlen von Vertretern der neuen Kräfte gefragt worden, ob er gegebenenfalls in Sachsen zur Verfügung stehe und hatte prinzipielles Einverständnis signalisiert. Unmittelbar nach seiner Antrittsvorlesung an der Karl-Marx-Universität in Leipzig hatte er noch erklärt, keine Ambitionen auf eine politische Karriere im künftigen Land Sachsen zu haben.1303 Nun wurde seine Person von den neuen Kräften der sächsischen CDU grundsätzlich mit ins Kalkül gezogen. Freilich glaubte man nicht, ihn durchsetzen zu können, ging man doch davon aus, die Führung der BundesCDU müsse den Kandidaten akzeptieren und unterstützen.1304 Die „Personalie Biedenkopf“ schien gegenüber Kohl nicht durchsetzbar zu sein.1305 Dennoch kursierten bald Gerüchte, Biedenkopf habe seit Mai 1990 mit Mitgliedern der sächsischen CDU verhandelt, was dieser aber später dementierte.1306 Neben Biedenkopf waren bald auch andere Namen im Gespräch. Ende Juli sprach sich der sächsische Startrompeter Ludwig Güttler für Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth als Spitzenkandidatin aus.1307 Auf einer Pressekonferenz mit Volker Rühe in Bonn hieß es daraufhin, Süßmuth sei „im Gespräch“. Diese erklärte am 20. Juli, mit ihr habe niemand über eine Kandidatur gesprochen.1308 Genannt wurden in der Presse auch Lothar Späth selbst und von CSU/DSU-Seite Personen wie Albert Prinz von Sachsen Herzog zu Sachsen, Max Strauß, Monika Hohlmeier oder Peter Gauweiler, mit denen man offensichtlich Alternativen zum Kandidaten aus den Reihen der früheren Block-CDU bieten wollte. Für den Fall aller Fälle erklärte auch Maria Emanuel Markgraf zu Meißen: „Falls die Sachsen sich wieder für eine Monarchie entscheiden, stehe ich zur Verfügung.“1309 1301 1302 1303 1304 1305 1306 1307 1308 1309

Interview Eberhard Stilz. Interview Hubert Wicker. Vgl. Sächsisches Tageblatt vom 10. 4.1990. Interview Arnold Vaatz. In: Die Union vom 27. 8.1990. Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. Vgl. Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt vom 28. 9.1990. Die Union vom 24. 7.1990. FAZ vom 21. 7.1990; vgl. ebd. vom 25. 7.1990. Sie bestätigte dies gegenüber dem Autor in einem Telefongespräch am 12. 6. 2003. Zit. in Sächsische Zeitung vom 20. 7.1990.

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Hatten die meisten dieser Vorschläge wenig mit den politischen Machtverhältnissen im entstehenden Sachsen zu tun, so waren die aus Dresden kommenden Signale der neuen CDU-Kräfte, man werde Reichenbach als Kandidaten nicht widerspruchslos hinnehmen, für die Bonner CDU-Führung durchaus ernst zu nehmen. Um die Lage zu erkunden, trat Rühe inoffiziell mit Vaatz in Verbindung. Er musste vorsichtig agieren, hatte man doch in der Bonner CDUZentrale nicht vor, es sich mit einem künftigen Ministerpräsidenten zu verscherzen. Beide trafen sich, während Reichenbach im Urlaub weilte, am Abend des 25. Juli im Weimarer Hotel Elefant, wo der CDU-Generalsekretär seine Bereitschaft erklärte, einen geeigneten Gegenkandidaten zu unterstützen, wenn dieser zuvor von sächsischen Kräften auf den Schild gehoben würde.1310 Was beide zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen konnten, war, dass Reichenbach, nach eigenem Bekunden, während seines Urlaubes gemeinsam mit seiner Frau beschlossen hatte, seine Bewerbung für den Fall zurückzuziehen, dass er einen geeigneteren Kandidaten finden würde. Das hieß jedoch auch, dass er nicht bereit war, das Feld kampf- und alternativlos zu räumen. Angesichts der Attacken gegen ihn waren aber seine Zweifel am Sinn einer Kandidatur gewachsen, zeichnete sich doch ab, dass er „als Ministerpräsident nach drei Monaten mit Schimpf und Schande gescheitert und in die Wüste gejagt worden“ wäre. Er informierte Kohl über seine Entscheidung und bat um personelle Alternativen, hatte aber den Eindruck, dass das Thema den vielbeschäftigten Kanzler nicht sonderlich interessierte.1311 Auch sonst waren die internen Reaktionen widersprüchlich. Während ihn der ebenfalls kontaktierte Rühe in seinem Verzicht bestärkte, drängte ihn de Maizière zur Kandidatur.1312 Dieser, so erinnert sich Reichenbach, erklärte ihm, ihre Situation ähnele jener der Akteure der Französischen Revolution. Jene Personen, welche die Revolution mit durchgeführt und deren Anfang organisiert hätten, seien im alten System verankert gewesen. Auch damals habe „kein Straßenkehrer mit einem Schlag der große Führer“ werden können. Nun sei es ähnlich, weswegen er sich der Aufgabe stellen müsse. Natürlich seien sie beide angreifbar, hätten sie beide doch „mit dem halben Bein im alten System dringehangen“, seien deshalb „Übergangserscheinungen“ und würden wie die frühen Akteure der Französischen Revolution „früher oder später abgebrochen“ werden. Angesichts solch wenig ermunternden Zuspruchs blieb Reichenbach bei seinem Entschluss und konzentrierte sich darauf, eine personelle Alternative zu präsentieren.1313 Um sich freilich nicht alle Optionen zu verbauen, und weil er in seiner Entscheidung wohl doch schwankte, trat er öffentlich weiterhin als Spitzenkandidat der sächsischen CDU auf. Vaatz, über solcherart Hintergründigkeiten nicht informiert und seit dem Treffen in Weimar der Unterstützung Rühes versichert, ließ mit weiteren Attacken gegen Reichenbach nicht auf sich warten. In einer Fernsehdiskussion er1310 1311 1312 1313

Vgl. Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 213. Interview Klaus Reichenbach. Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 3. 9.1990. Interview Klaus Reichenbach.

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klärte er, es führe zwar kein Weg daran vorbei, die künftige Landesverwaltung mit Personen zu besetzen, die schon früher eine vergleichbare Arbeit gemacht hätten, allerdings dürfe im Landtag niemand sitzen, der vom „psychischem Tschernobyl“ der Diktatur „kontaminiert“ sei. Sonst bestehe die Gefahr, dass „wir uns in Stellvertreterkriege verwickeln“, „eine die Demokratie belastende Immunschwäche aufhalsen“ und „letzten Endes noch über Jahre hinweg an dem einen oder anderen Globke-Syndrom knabbern“.1314 Vaatz wandte sich nicht direkt gegen Reichenbach, formulierte aber auf Vorschlag Iltgens fernsehöffentlich allgemeine Kriterien, die den CDU-Landesvorsitzenden praktisch von einer Kandidatur ausschlossen. „Die Union“ machte sie publik: „Ich wünsche mir, dass kein Kandidat irgendeiner Partei für den neuen sächsischen Landtag kandidiert, der vorher in einem Bezirkstag saß, der vor der Wende in der Volkskammer saß oder Mitglied der Bezirksleitung einer Partei war.“ Nur so seien die Ziele der Revolution vom Herbst in neue gesellschaftliche Strukturen hinüberzuretten. Redakteur Uwe Eckart Böttger deutete Vaatz’ Fernsehauftritt als „überdeutliche Rücktrittsaufforderung an Reichenbach“, was dieser arbeitsteilig so nicht bestätigte.1315 Der Artikel, der den Eindruck hinterließ, der sächsischen CDU drohe bei einer Nominierung Reichenbachs die Spaltung, wurde wiederum von Kammerschen per Telefax des Büros des Bistums Dresden-Meißen an die CDUBundesgeschäftsstelle gesandt, wo er Eingang in den meinungsbildenden „CDUPressespiegel“ fand, der bis dato keine sächsischen Zeitungen auswertete.1316 Bei den Altfunktionären stießen die Angriffe von Vaatz auf heftige Kritik. Auch dessen permanenter Hinweis, dass die CDU im eigenen Interesse versuchen müsse, zwischen solchen Personen zu unterscheiden, die nicht systemkonform waren, und jenen, die zwar ein CDU-Parteibuch gehabt hätten, tatsächlich aber Anhänger der Diktatur gewesen seien,1317 fand bei letzteren wenig Gefallen. Der frühere Bezirksarzt des Rates des Bezirkes Dresden, Jürgen Kleditzsch (CDU), inzwischen DDR-Gesundheitsminister der Regierung de Maizière und möglicher Ressortchef im Kabinett Reichenbach, gab dem Landesvorstand daher „in alter Verbundenheit“ die „dringende Empfehlung, Herrn Vaatz auch innerhalb unserer Partei in einen politischen Rahmen zu passen“. Er sei bereits wiederholt auf seine „extremen Verhaltens- und Handlungsweisen“ angesprochen worden. Seine Äußerungen zeugten von „großer politischer Unreife“ und von „politischem Dilettantismus“.1318 Die internen Äußerungen des bisherigen Abteilungsleiters im Rat des Bezirkes erinnerten fatal an den Jargon, in dem in der DDR Hüter der Staatsideologie bereits ab der Schulzeit „Andersdenkende“ abgekanzelt hatten. Da den Altkadern aber die früher üblichen und teils drako1314 1315 1316 1317 1318

Hans Globke hatte als Oberregierungsrat im Reichsministerium des Innern 1935 einen amtlichen Kommentar zu den Nürnberger Rassegesetzen mitverfasst und war 1953 von Konrad Adenauer zum Staatssekretär berufen worden. Die Union vom 26. 7.1990. Vgl. Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 214. Interview Bernd Herzer. Jürgen Kleditzsch an Eduard Bahsler vom 2. 8.1990 (HAIT, KA, 67).

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nischen Mittel der Disziplinierung politischer Störenfriede in der friedlichen Revolution abhanden gekommen waren, konnten sie nicht verhindern, dass Vaatz bei der Sitzung des Präsidiums des CDU-Landesvorstandes seine öffentlich vorgetragene Forderung als Antrag wiederholte. Freilich hatten sie Einfluss genug, diesen erwartungsgemäß mit vier gegen eine Stimme bei einer Enthaltung abzulehnen.1319 Nach einem Bericht Kolbes stand bei der entsprechenden Sitzung allerdings ein Eklat kurz bevor: „Dem Vernehmen nach wollte dort einerseits Klaus Reichenbach seine Kandidatur beschließen lassen und gleichzeitig den Parteiausschluss von Arnold Vaatz beantragen und andererseits Letzterer gerade dieses beides verhindern. Gegen 20.00 Uhr konnte von der Straße durch die geöffneten Fenster des großen Sitzungssaales der CDU-Landesparteizentrale eine lautstarke Debatte vernommen werden.“ Im Ergebnis der Sitzung wurde der Ausschlussantrag gegen Vaatz fallengelassen und Reichenbach „relativierte“ seine Kandidatur.1320 Inzwischen wurde der Streit auch im Bonner Konrad-Adenauer-Haus genauer zur Kenntnis genommen. Rühe, dessen Vorbehalte gegen die Blockpartei bekannt waren und der seine Bedenken bislang aus parteitaktischen Gründen zurückgestellt hatte, setzte sich hier nun für die Vaatz-Gruppe ein. „Sein Dilemma war, dass er hier eine potentielle neue Führungsgruppe vorfand, mit der die West-CDU gerne kooperieren wollte; andererseits durfte aber – mit Blick auf die bevorstehende Parteifusion im Oktober 1990 und die für die strukturelle Mehrheit der CDU entscheidenden ersten gesamtdeutschen Bundestagswahlen – die bisherige Konstruktion, die auf der Adoption der Blockpartei und der Nutzung ihrer Parteistrukturen basierte, nicht gefährdet werden.“1321 In Dresden trat nach Gesprächen mit Vaatz Anfang August erneut der international renommierte Star-Trompeter Ludwig Güttler an die Öffentlichkeit. Zuvor hatte er seine Bedenken dem CDU-Landesvorstand schriftlich mitgeteilt, aber nicht einmal eine Antwort erhalten.1322 In der „Union“ plädierte er nun für erfahrene und kompetente Ministerpräsidenten sowie Wirtschafts- und Finanzminister aus der Bundesrepublik. Auf die Frage Uta Dittmanns, ob nicht junge Nachwuchspolitiker, die sich für die demokratische Erneuerung eingesetzt hätten, die Funktion ausfüllen sollten, meinte er, es gebe einige, deren Namen jeder kenne, allerdings viel zu wenige. Aber abgesehen davon, dass „gerade diese neuen Kräfte vom alten Apparat ständig blockiert und an den Rand gedrängt“ würden, sei es nicht sinnvoll, „die sich mühsam Demokratie Aneignenden“ im Wust der Tagespolitik vor der Zeit zu verschleißen. Es wäre eine verheerende Selbstüberschätzung, wenn die CDU glaube, dass vielleicht die Kräfte aus dem DA oder ein 1319 1320 1321 1322

Festlegungsprotokoll des Präsidiums des Landesvorstandes der CDU Sachsen am 27. 7.1990 (CDU-Landesgeschäftsstelle Sachsen, Protokolle und Festlegungen vom 28.3.–10. 9.1990). Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Bericht vom 23.–27. 7.1990 (PB Manfred Kolbe). Schmidt, Von der Blockpartei zur Volkspartei, S. 175 f. Interview Ludwig Güttler.

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„verschwindend geringer Teil eigener progressiver Kräfte“ das vorhandene Personaldefizit auffüllen könne. Schlimm sei, dass sie ja nicht einmal darauf baue. Mit den in Blockpolitik eingeübten Leitungskadern in die Landtagswahlen zu gehen, werde die Partei möglicherweise und mit Recht entscheidende Prozente kosten.1323 Erneut wurde das Interview Güttlers, dessen Meinung in der DDR einiges Gewicht hatte, an die Pressestelle des Konrad-Adenauer-Hauses gefaxt und über den „CDU-Pressespiegel“ verbreitet.1324 Unmittelbar nach dem Interview suchte Reichenbach Güttler auf und beschwerte sich darüber, von Güttler demontiert zu werden. Dieser hatte dabei keinesfalls den Eindruck, dass Reichenbach inzwischen nicht mehr kandidieren wolle.1325 Nun intensivierte sich auf allen Seiten die Suche nach einem geeigneten Ministerpräsidenten. Die Vaatz-Gruppe suchte nach einem Gegenkandidaten für Reichenbach, nicht wissend, dass dieser sich selbst bereits um eine mögliche Alternative bemühte. Reichenbach bat erneut Kohl, einen Kandidaten vorzuschlagen. Als dieser daraufhin Rudolf Krause nannte, erklärte Reichenbach nach eigener Erinnerung: „Herr Bundeskanzler, nehmen Sie mir das nicht übel, nur über meine Leiche.“ Ihm sei bis heute nicht klar, wer Krause, dessen MfS-Kontakte zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt waren, ins Gespräch gebracht hatte. Reichenbach wandte sich an Späth und bat diesen, in Sachsen zu kandidieren, schließlich habe er in Baden-Württemberg alles erreicht und könne nun seine Erfolgstour im Osten fortsetzen.1326 Er konnte nicht wissen, dass auch Vaatz bei Späth wegen einer Kandidatur angefragt hatte und dieser ihm gegenüber zumindest nicht gleich „Nein“ gesagt hatte. Späth war zwar, so Kohl, nach seinem Scheitern auf dem Bremer Parteitag „sehr stark interessiert, in Sachsen eine neue Basis zu finden“,1327 entschied sich aber schnell gegen eine Kandidatur. Bei einer CDU-Besprechung in Chemnitz erläuterte er seine Beweggründe. Am Vorabend der letzten Landtagswahl in Baden-Württemberg habe er vor laufenden Kameras erklärt, das Amt nur bei einer absoluten Mehrheit zu übernehmen. Da die CDU diese dann tatsächlich erreichte, könne er sich nun nicht im Nachhinein aus der Verantwortung stehlen.1328 Reichenbach vertraute er an, wegen seiner möglichen Kandidatur in Sachsen heftige Debatten mit Schlee und Teufel gehabt zu haben, die befürchteten, die CDU werde im Falle seines Wegganges bei den nächsten Wahlen mindestens fünf Prozent weniger Stimmen erhalten.1329 Wie Reichenbach, so suchte auch die Vaatz-Gruppe nach geeigneten Kandidaten. „Die Alternativen“, so Landesvorstandsmitglied Grüning, „lagen überhaupt nicht auf der Straße.“ Erstens fehlte den Ost-Akteuren der Überblick, zweitens musste es jemand sein, der in der DDR einen minimalen Bekanntheits1323 1324 1325 1326 1327 1328 1329

Interview Ludwig Güttler. In: Die Union vom 3. 8.1990. Vgl. Lesch, Die CDU-Reformer in Sachsen, S. 41. Interview Ludwig Güttler. Interview Klaus Reichenbach. Interview Helmut Kohl. Interview Berthold Rink. Interview Klaus Reichenbach.

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grad hatte.1330 In dieser Situation brachte Kammerschen den Staatssekretär im Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, Walter Priesnitz, ins Gespräch. Er erinnerte sich an einen Besuch von Ex-Bundespräsident Karl Carstens im Juni in Dresden, in dessen Begleitung Priesnitz gereist war, und schlug Vaatz, lltgen und Reinfried den Staatssekretär als Kandidaten vor. Kammerschen hatte sich bereits im Mai am Rande einer Veranstaltung im Rahmen der Dresdner Kathedralvorträge länger mit Priesnitz unterhalten, wobei dieser „über eine mögliche Tätigkeit in einem künftigen Landeskabinett in Sachsen sinniert“ haben soll. Am 3. August kam es daraufhin im Weimarer Hotel „Elefant“ zu einem Treffen, bei dem sich Priesnitz zur Kandidatur bereit erklärte. Gemeinsam mit befreundeten Redakteuren der „Union“ bereitete man eine entsprechende Information für die Ausgabe am 5. August vor, die dann tatsächlich „wie eine Bombe einschlug“. Die sächsische CDU stand vor einer Kampfkandidatur.1331 Walter Priesnitz war 1932 im schlesischen Hindenburg geboren worden. Von 1945 bis 1950 hatte er das Gymnasium in Zwickau besucht und eine Lehre als Bankkaufmann absolviert. 1951 war er mit seiner Familie in die Bundesrepublik übergesiedelt, hatte in West-Berlin Jura studiert und die höhere Beamtenlaufbahn eingeschlagen. Im Mai 1988 war er in Nachfolge Ludwig Rehlingers Staatssekretär im Ministerium für innerdeutsche Beziehungen und als solcher Beauftragter der Bundesregierung für humanitäre Angelegenheiten gegenüber der DDR-Regierung geworden. In dieser Funktion hatte er mit Rechtsanwalt Wolfgang Vogel unter anderem wegen des von der SED-Führung betriebenen Menschenhandels mit Ausreisewilligen und Häftlingen in Kontakt gestanden. 1989 war er Sonderbeauftragter der Bundesregierung bei den Gesprächen mit der DDR-Regierung wegen der Botschaftsflüchtlinge in Prag und Warschau gewesen, kannte die DDR also recht gut. Durch sein Wirkungsfeld war Priesnitz in der DDR zwar kein Unbekannter, verfügte aber nicht über das Renommee, Reichenbach problemlos aus dem Rennen zu werfen. Grüning meinte daher, Vaatz habe hier „eine gute Sache nicht gut angepackt“. Ein „Nichtsachse“ als Gegenkandidat zu Reichenbach mit dessen starker Klientel hätte, anders als der Spitzenbeamte Priesnitz, auf jeden Unvoreingenommenen sofort überzeugend wirken müssen.1332 Reichenbach, der inzwischen mangels personeller Alternativen aus der DDR selbst einen bekannten bundesdeutschen CDU-Politiker suchte, wurde vom Vorschlag überrascht. Er kannte Priesnitz kaum, konnte dessen Eignung nicht beurteilen und wusste nur, dass er im Ministerium für innerdeutsche Beziehungen tätig war, dessen Arbeit er wenig schätzte. Für ihn war er nicht bereit, auf seine Kandidatur zu verzichten. Er war auch insofern in einer schwierigen Lage, als sein Kontrahent Vaatz Priesnitz vorgeschlagen hatte. Mit einer Zustimmung hätte er sein „Renommee als Landesvorsitzender mit dem ersten 1330 1331 1332

Interview Uwe Grüning. Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 214. Vgl. Lesch, Die CDU-Reformer in Sachsen, S. 42. Interview Uwe Grüning.

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Vorschlagsrecht abgegeben“ und wäre blamiert gewesen. Schon deswegen habe er Priesnitz abblocken und gegenüber dem Landesvorstand erklären müssen, weiter zu kandidieren, obwohl er intern eine andere Lösung suchte.1333 Nun setzte eine Auseinandersetzung ein, die sich kaum um Priesnitz selbst drehte, schließlich handelte es sich bei ihm um einen kompetenten und renomierten Spitzenbeamten der Bonner Ministerialbürokratie. Allerdings geriet er in die Schusslinie des Konfliktes zwischen alten und neuen Kräften innerhalb der Ost-CDU. Am 8. August sprachen sich Dresdens Oberbürgermeister Herbert Wagner und der Chemnitzer CDU-Fraktionsvorsitzende des Stadtrates, Joachim Pilz, öffentlich für Priesnitz aus.1334 Solcherart Zustimmung reichte freilich nicht. Schnell zeigte sich, dass die Führung der Ost-CDU schon deswegen gegen ihn eingestellt war, weil Parteichef de Maizière Wert darauf legte, dass alle neuen Ministerpräsidenten aus der DDR kamen. Auch Schäuble war gegen seine Kandidatur, während sich Kohl nach außen neutral verhielt1335 und, so Vaatz, „unsere Attacke mit Priesnitz weder unterstützte noch bekämpfte“. Schäuble sei prinzipiell dagegen gewesen, auf die Neuen in der sächsischen CDU zu hören. Er war, so sein dezidiertes Urteil, „unser entschiedenster Gegner“ und habe „immer auf der Seite von de Maizière und der staatsnahen CDU“ gestanden.1336 Vaatz als „eigentlicher Ministerpräsident“ machte sich auch schon Gedanken um die künftige Kabinettsstruktur unter Priesnitz und fragte unter anderem Kajo Schommer, ob er sich vorstellen könne, als Wirtschaftsminister nach Sachsen zu kommen.1337 Am 9. August bat Vaatz Kohl schriftlich um Zustimmung zur Kandidatur von Priesnitz und malte dabei das Bild einer Wahlniederlage im Fall einer Kandidatur Reichenbachs an die Wand. Diese habe Signalwirkung und werde die Beziehungen der Altfunktionäre untereinander weiter revitalisieren. In der sächsischen CDU würden sich Fronten bilden, deren Folge „schwere Reibungsverluste“ wären.1338 Trotz des Szenarios blieb Kohls Zustimmung aus, sah dieser doch, ungeachtet von Reichenbachs eigenen Bedenken, keinen Anlass, dessen Kandidatur zu torpedieren. Er folgte damit dem Rat Schäubles, der sich wiederum den Auffassungen seines wichtigsten Partners in den Einigungsverhandlungen, de Maizière, anschloss. Die Gründe dafür lagen aus Sicht von Vaatz auf der Hand: Zwischen Schäuble, Günter Krause und de Maizière hatte sich eine „Kollegialloyalität“ herausgebildet. Aus der gemeinsamen Arbeit für die deutsche Einheit unterstützten und achteten sie sich gegenseitig.1339 Aber nicht nur mit den CDU-Vorständen in Bonn und Ost-Berlin hatte Vaatz Probleme, auch das Präsidium des sächsischen Landesverbandes sprach sich am 10. August mit drei Stimmen gegen eine Stimme bei einer Enthaltung für Rei1333 1334 1335 1336 1337 1338 1339

Interview Klaus Reichenbach. Vgl. Die Union vom 8. 8.1990. Interview Helmut Kohl. Interview Arnold Vaatz am 21. 6. 2000. Interview Kajo Schommer. Zit. in Lesch, Die CDU-Reformer in Sachsen, S. 42. Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002.

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chenbach als Spitzenkandidaten aus. Immerhin wurde Vaatz beauftragt, Priesnitz zur nächsten Landesvorstandssitzung am 17. August einzuladen.1340 An dem Ergebnis hatte auch ein Interview nichts geändert, dass am Morgen des Sitzungstages in der „Union“ erschienen war. Hier hatte Vaatz etwas dialektisch-konstruiert und deswegen wenig glaubwürdig erklärt, es gehe ihm nicht um eine Schuldzuweisung gegenüber Kandidaten der Block-CDU, sondern gerade darum, solche künftig zu vermeiden. Er wolle „jene, die für Schläge unter die Gürtellinie schon deshalb ein gutes Ziel bieten, weil sie ‚Altlast‘ zu verkörpern scheinen, vor diesen Angriffen schützen“. Kämen sie in den Landtag, gäben sie „eine vorzügliche Zielscheibe“ ab und böten ohne eigene Schuld Anlass, „Debatten auf das Niveau der gegenseitigen Verdächtigungen und Vorhaltungen herabzuzerren“.1341 Innerhalb der Kreis- und Ortsverbände des jungen Landesverbandes führte die Personaldebatte zu ersten Anzeichen einer Polarisierung. Während zum Beispiel Jürgen Oehlke, CDU-Ortsgruppenvorsitzender in Dresden, Vaatz öffentlich Recht gab, dass ein Kandidat zu SED-Zeiten kein hauptamtlicher Parteifunktionär, Mitglied eines Bezirkstages, Bezirksvorstandes der Volkskammer oder Mitarbeiter des MfS gewesen sein dürfe, wandte sich der Vorsitzende der Dresdner Stadtverordnetenfraktion der demokratischen Union (DU), Ludwig Dieter Wagner, gegen solche formalen Kriterien und erklärte, auch frühere Funktionsträger dürften nicht prinzipiell von politischer Mitwirkung ausgeschlossen bleiben.1342 Am 11. August beschloss ein Parteitag des Dresdner CDU-Kreisverbandes in geheimer Wahl mit 92 gegen neun Stimmen, dem Landesvorstand zu empfehlen, Priesnitz als Spitzenkandidaten zu nominieren. Oberbürgermeister Herbert Wagner nannte ihn eine Integrationsfigur für Sachsen.1343 Den Parteitag nahm der Vorsitzende des Dresdner CDU-Kreisverbandes, Reinfried, später zum Anlass, Rühe gegenüber zu erklären, allein Priesnitz sei nach demokratischen Regeln aufgestellt und nominiert worden, während andere Optionen den Geruch des Diktats, des „Imports auf allerhöchste Weisung“ hätten.1344 Freilich reichte die Zustimmung eines CDU-Kreisverbandes für die Nominierung nicht aus, schließlich gab es mehr als fünfzig andere Kreisverbände, von denen etwa die von Chemnitz und Leipzig erklärten, ihr Kandidat müsse auf jeden Fall aus Sachsen kommen.1345 Konnte die Vaatz-Gruppe somit vor allem den von ihr dominierten Dresdner Kreisvorstand mobilisieren, stützte sich Reichenbach auf seine Anhänger bei den Kreisvorsitzenden und Bezirkssekretären in Chemnitz

1340 1341 1342 1343 1344 1345

Festlegungsprotokoll zur Beratung des Präsidiums des Landesvorstandes der CDU Sachsen am 10. 8.1990 (CDU-Landesgeschäftsstelle Sachsen, Protokolle und Festlegungen vom 28.3.–10. 9.1990). Interview Arnold Vaatz. In: Die Union vom 10. 8.1990. Vgl. ebd. vom 7. und 10. 8.1990. Vgl. Die Union und Dresdner Morgenpost vom 13. 8.1990. Dieter Reinfried an Volker Rühe vom 21. 8.1990 (HAIT, KA, 3.1). Vgl. Die Welt vom 16. 8.1990.

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und Leipzig.1346 Mitte August spitzte sich der Konflikt weiter zu. Uta Dittmann gab in der „Union“ nochmals die Sicht der Vaatz-Gruppe wieder, bei der Kandidatenfrage gehe es um nichts Bedeutsameres als um „Erneuerung oder Restaurierung“.1347 Am 13. August rief Reichenbach seine Anhänger im Dresdner „Blockhaus“ an der Elbe zusammen. Auf den hier ebenfalls anwesenden Rühe soll diese Veranstaltung „im Stil der Nationalen Front“ verheerend gewirkt haben. Mit Hilfe Kammerschens wurde der Presse über die CDU/CSU-Bundestagsfraktion erneut eine Lageanalyse zugespielt. Hier hieß es, „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit werde es in der sächsischen CDU zu einer Spaltung kommen, sollte sich Reichenbach durchsetzen“. Obwohl die Fraktion erklären ließ, es handele sich um keine offizielle Stellungnahme schlug auch diese Meldung „wie eine Granate“ ein.1348 Das Mittel gezielter Presseinformation nutzte die Vaatz-Gruppe mit Kammerschens Hilfe inzwischen recht professionell. Dieser, so Vaatz’ Mitarbeiterin Margita Herz, erhielt stets alle wichtigen Informationen und sorgte dafür, dass sie in Bonn in den entsprechenden Pressespiegeln erschienen.1349 Aber auch Reichenbach schlief nicht und erhielt weiterhin Schützenhilfe von Späth, der mit ihm im Fernsehen auftrat. Gleichzeitig drohte der stellvertretende Vorsitzende der Ost-CDU, Horst Korbella, wie andere führende CDU-Funktionäre bislang als IM des MfS tätig, dem Dresdner CDU-Kreisverband, „gegebenenfalls ganz schnell eine entsprechende Parteilobby zu mobilisieren“.1350 Anlässlich des Besuches von Rühe in Dresden trat am 14. August der CDU-Landesvorstand zusammen, um mit ihm über die Kandidatenfrage zu beraten.1351 Von der Besprechung stand kein Protokoll zur Verfügung, bekannt ist aber die Vereinbarung, Reichenbach und Priesnitz am 18. August anzuhören und die letzte Entscheidung dem auf den 1. September angesetzten Nominierungsparteitag des Landesverbandes zu überlassen. Reichenbach erklärte nach der Sitzung, er werde einer Kampfabstimmung mit Priesnitz nicht aus dem Weg gehen, aber auch dessen Sieg anerkennen.1352 Rühe betonte den Zusammenhang zwischen der sächsischen Kandidatenaufstellung, dem Ergebnis der sächsischen Landtagswahl und den ersten gesamtdeutschen Bundestagswahlen. Angesichts der Bedeutung der Landtagswahl müsse die sächsische CDU geschlossen und in innerer Übereinstimmung agieren. Nur wenn sie es schaffe, die unterschiedlichen Flügel zu integrieren, könne sie eine starke integrierende Kraft werden. Vaatz erklärte, die neuen Kräfte der CDU müssten begreifen, dass sie ohne die alten nicht auskommen, während die alten Kräfte einsehen müssten, dass sie ohne die neuen keine Zukunft hätten. Er sehe Chancen dafür, dass sich die Erkenntnis auch in der Personalfrage durchsetze und eine Lösung gefunden werde, die 1346 1347 1348 1349 1350 1351 1352

Vgl. Schmidt, Von der Blockpartei zur Volkspartei, S. 163 f. Die Union vom 11./12. 8.1990. Lesch, Die CDU-Reformer in Sachsen, S. 42. Interview Marita Herz. Zit. in Lesch, Die CDU-Reformer in Sachsen, S. 42. Vgl. Sächsische Zeitung vom 14. 8.1990; Die Union vom 15. 8.1990. Vgl. FR vom 15. 8.1990.

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„eine hohe Integrationskraft“ habe und dem Identifikationsbedürfnis der Menschen entgegenkomme.1353 In der SPD verfolgte man die Kandidatensuche der CDU genau. Hier war inzwischen die Wahl auf Anke Fuchs gefallen. Mit ihr, so „Die Union“, habe die SPD in der Kandidatenfrage die Nase vorn. Die Bundesgeschäftsführerin der SPD erlaube sich, Reichenbach „mit bissiger Ironie [...] nicht einmal richtig wahrzunehmen“.1354 Fuchs selbst erklärte in der „Sächsischen Zeitung“, Reichenbach werde es bei der „Altlast“, die er trage, schwer haben. Priesnitz kenne sie als sehr guten Beamten, wie er aber Wahlkampf machen wolle, sei ihr schleierhaft. Insofern sehe sie beiden Kandidaten gelassen entgegen.1355 Anfang August hatte sich auch der parteilose Steffen Heitmann in die Auseinandersetzungen eingeschaltet, sah er doch durch Reichenbachs Kandidatur die Ergebnisse der Arbeit des Koordinierungsausschusses gefährdet. Am 6. August hatte er, von baden-württembergischer Seite bereits als „möglicher Kandidat für das Amt des sächsischen Justizministers“ eingeschätzt, um „ein dringendes Gespräch mit Herrn MP betreffend künftiger sächsischer Ministerpräsident“ gebeten, das, während Rühe in Dresden mit dem CDU-Landesvorstand beriet, am 14. August im Baden-Württembergischen Staatsministerium stattfand.1356 Dass er überhaupt eingeladen wurde, lag an seinem engen persönlichen Kontakt zu Hans-Peter Mengele seit ihrer Begegnung im Januar.1357 Schon zuvor hatte er Mengele aufgefordert, eine Kandidatur Reichenbachs zu verhindern. Gebraucht werde eine erfahrene und profilierte Persönlichkeit, „die anerkannt wird und Halt bietet“, am besten einen Politiker aus dem Westen. Reichenbach entspreche nicht den Anforderungen eines sächsischen Neubeginns. Mengele hatte Heitmann seinerseits darüber informiert, dass Reichenbach Späths Unterstützung erfahre. Sollten sich seine Einwände bestätigen, müsse man freilich neu nachdenken. Auf Mengeles Anraten hatte sich Heitmann auch mit Reichenbach getroffen, wodurch sich seine Meinung verfestigte, dieser sei für das Amt des Ministerpräsidenten ungeeignet. In Stuttgart nun erörterten Späth, Mengele und Heitmann mögliche Optionen. Heitmann gelang es, Späth „die Augen dafür zu öffnen“, dass Reichenbach nicht der geeignete Kandidat sei.1358 „Für einen Moment“, so Mengele, „sah es so aus, als könnte Späth selbst an einer solchen Mammut-Aufgabe und persönlichen Herausforderung im Osten Deutschlands gefallen finden“, schließlich aber akzeptierte er die „unerwartete Vermittlerrolle“ bei der Kandidatensuche der sächsischen CDU und schlug spontan Heiner Geißler sowie Kurt Biedenkopf vor, wovon Heitmann sofort angetan war.1359 1353 1354 1355 1356 1357 1358 1359

Zit. in Die Union vom 15. 8.1990. Ebd. Sächsische Zeitung vom 15. 8.1990; FAZ vom 3. 9.1990. Zur SPD siehe Kap. 5.4.2. SMBW, Abt. V: Vermerk an das Persönliche Büro vom 7. 8.1990 (SMBW, 0136 Partnerschaft mit Dresden/Sachsen). Interview Steffen Heitmann. Interview Steffen Heitmann. Mengele, Wer zu Späth kommt, S. 219–221.

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Man vereinbarte, dass alle Beteiligten nochmals überlegen und sich, auf Vorschlag Heitmanns, in ein paar Tagen erneut gemeinsam mit Vaatz beraten sollten, der im Gegensatz zum parteilosen Heitmann dem entscheidenden CDULandesvorstand angehörte.1360 Späth ließ daraufhin Vaatz telefonisch mitteilen, man habe die eigene Meinung neu bedacht und sei zu dem Schluss gekommen, Reichenbachs Kandidatur sei „vielleicht doch nicht der Königsweg“.1361 Vaatz begab sich daraufhin zwei Tage später per reparaturbedürftigem Wartburg nach Stuttgart, wo Späth seine Vorschläge wiederholte. Vaatz und Heitmann stimmten nun gemeinsam zu, obwohl Vaatz von Biedenkopf nicht besonders begeistert war.1362 Für Späth war damit seine Unterstützung Reichenbachs beendet, wohl wissend, dass dieser selbst nicht mehr voll hinter seiner eigenen Kandidatur stand. Die Vaatz-Gruppe verbuchte es als ihren Erfolg, nach Rühe auch die badenwürttembergische CDU- und Landesführung überzeugt zu haben, nicht länger auf Reichenbach zu setzen. Mit dieser Gewissheit leitete Vaatz nun Mitte August „in bewundernswerter Weise“1363 Presseaktivitäten gegen Reichenbach ein und stützte sich dabei vor allem auf dessen Interview vom September 1989, das für die Aktivisten des Koordinierungsausschusses „Gold wert“ war.1364 Schon bei seiner Ernennung zum Staatsminister in der Volkskammer waren Reichenbach seine Aussagen in der „Freien Presse“ vom Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Grüne, Werner Schulz, vorgehalten worden. Reichenbach hatte damals geantwortet: „40 Jahre Stalinismus sind auch nicht an mir vorbeigegangen“ und ein „Schuldbekenntnis“ abgelegt. Das Interview habe nicht seiner inneren Überzeugung, wohl aber der offiziellen CDU-Politik entsprochen, die er „als Bezirksvorsitzender mitgetragen“ habe. In Bezug auf Kohl und Rühe habe er sich „Gott sei Dank geirrt“, denn „sonst säßen wir alle nicht hier“. Für seine damaligen Äußerungen hatte er vor allem Spott geerntet,1365 nun schien es, als würde er nicht mehr so glimpflich davonkommen. Verschiedene Zeitungen befragten ihn nach diesem Interview. Am 12. August erklärte er gegenüber „Bild“, er sei „mehr oder weniger gezwungen“ gewesen, das Interview zu geben. SED-Politbüro-Mitglied Siegfried Lorenz habe ihn dazu aufgefordert, was unter den damaligen Bedingungen „einem Befehl gleich“ gekommen sei. Er habe sich für Reformen ausgesprochen, die entsprechenden kritischen Passagen seien aber nicht gedruckt worden.1366 Der Wochenzeitung „Das Parlament“ sagte er, er habe in dem Interview „offizielle CDU-Politik“ machen müssen. Aus einem anderthalb Stunden langen Interview habe der Korrespondent der Zeitung einen „roten Kaffeesatz“ herausgefiltert. Zwar hätte er die Möglichkeit gehabt, den Text am folgenden 1360 1361 1362 1363 1364 1365 1366

Interview Steffen Heitmann. Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. Interview Steffen Heitmann. Nach Heitmanns Aussage wäre ihr Votum für Biedenkopf negativer ausgefallen, hätten sie von dessen enger Beziehung zu Berghofer gewusst. Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003. Interview Eberhard Stilz am 26.11.1999. Volkskammer der DDR, 10. WP, 2. Tagung am 12. 4.1990, Bl. 31 und 34 f. Zit. in Bild vom 13. 8.1990.

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Tag zu verändern, dies aber auf Grund von Terminen versäumt. Außerdem wäre auch dann die Grundaussage die gleiche geblieben. Das Interview habe ihm mehrere Morddrohungen, zwei zerbrochene Fensterscheiben und etliche böse Briefe eingebracht. Es sei sein größter politischer Fehler gewesen, und er schäme sich jetzt für den Inhalt. Schon in der Schule habe er gelernt, etwas anderes zu sagen als zu denken.1367 Auch in der „Neuen Zeit“ war zu lesen, dass er sich schäme, Gemeinsamkeiten zwischen SED und CDU betont zu haben. Dies sei „die dümmste politische Tat“ seines Lebens.1368 Den Lesern der „tageszeitung“ teilte er mit, wer vierzig Jahre Kommunismus hinter sich habe, wisse genau, was er da gedacht hat und was er sagen musste. Er habe im neunten und zehnten Schuljahr „immer verschiedene Dinge sagen müssen, um eine Eins zu erhalten“, die er „nie so gedacht“ habe. Er gab zu bedenken, dass er es gewesen sei, der die Erneuerer in die CDU geholt habe, die ihm nun seine Vergangenheit vorwerfen.1369 Deren Verhalten und ihr Kandidat Priesnitz, in dessen Händen er Sachsens Zukunft nicht liegen sehen wollte, erzürnten ihn nun besonders, und hielten ihn davon ab, das Ende seiner Kandidatur öffentlich zu machen. In der „Sächsischen Zeitung“ erklärte er, dass jene irrten, die meinten, die CDU werde durch seine Kandidatur gespalten. Das werde auf keinen Fall passieren. Er werde aber auf jeden Fall antreten, solange auch Priesnitz kandidiere. Er schätze ihn, ungeachtet dessen sei er nicht der richtige Mann für Sachsen, weil er „zu kalt“ und „technokratisch“ wirke. Im Übrigen habe keiner das Recht, die CDU in Neue und Alte zu spalten. Auch er habe nur Minister und Spitzenkandidat werden können, weil er seinen Beitrag zur friedlichen Revolution geleistet habe. Alte CDU-Mitglieder hätten „genau die gleichen Anteile an dieser Revolution“ wie die neuen Kräfte.1370 Tatsächlich führte gerade die Pressekampagne dazu, dass sich in der CDU Lager pro und contra Reichenbach bildeten. So erklärte de Maizière, der sich seit seiner Amtsübernahme im November 1989 innerhalb der CDU zunächst als Befürworter eines demokratisch-sozialistischen Weges und dann als Fürsprecher des Funktionärsapparates erwiesen hatte, die Diskussion über die frühere Zugehörigkeit Reichenbachs zu einer Blockpartei sei „an den Haaren herbeigezogen“.1371 Auch die DDR-Ministerin für Jugend und Sport, Cordula Schubert (CDU) stärkte ihm den Rücken. Der Ministerpräsident sollte aus Sachsen sein; sie traue Reichenbach dieses Amt zu.1372 Da in der Presse eine mögliche Spaltung des sächsischen CDU-Landesverbands im Falle der Kandidatur Reichenbachs thematisiert wurde, besprachen Mitte August Kohl, Rühe, Reichenbach und de Maizière am Rande einer gemeinsamen Sitzung der CDU / CSU-Bundestagsfraktion mit der CDU-Volkskammerfraktion in Berlin die Lage. Hier erklärte sich Reichenbach bereit, auf eine Kandidatur zu verzich1367 1368 1369 1370 1371 1372

Interview Klaus Reichenbach. In: Das Parlament vom 14. 9.1990. Zit. in Neue Zeit vom 15. 8.1990. Zit. in die tageszeitung vom 15. 8.1990. Sächsische Zeitung vom 16. 8.1990. Zit. in Die Welt vom 16. 8.1990. Zit. in Die Union vom 17. 8.1990.

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ten. De Maizière, der die neuen Kräfte um Vaatz als „Berufsrevoluzzer“ titulierte, plädierte für die Fortsetzung seiner Kandidatur. Schließlich verständigte man sich auf den Kompromiss, weder er noch Priesnitz sollten kandidieren.1373 Vor diesem Hintergrund trat der Landesvorstand der sächsischen CDU am Abend des 17. August in Dresden zusammen.1374 Auf dem Tisch lagen die Morgenzeitungen, in denen Reichenbach wiederholt hatte, er sei über Priesnitz „nicht ganz entzückt“. Der Bonner Staatssekretär sei nicht die Figur, die eine Integration der Partei garantiere. Er würde, so Reichenbach auch öffentlich, zurücktreten, wenn er wüsste, dass es einen anderen Kandidaten gebe, der für Sachsen und die Partei besser geeignet sei als er selbst.1375 Am Mittag schickte er ein Fernschreiben an die „Die Union“ in Chemnitz, in dem er erklärte, in einer demokratischen Partei sei es durchaus üblich, dass es zwei Kandidaten gebe. Es diene der CDU aber nicht, wenn eine Gruppe glaube, „über die Presse die eigenen Vorstellungen ständig ins Gespräch bringen zu müssen“. Derjenige solle Kandidat werden, der „in seiner Person dafür einsteht, dass die Partei geschlossen und einig bleibt“. Er werde sich für eine Lösung einsetzen, die alle Gruppierungen in der CDU mittragen könnten, gleich wie diese Lösung ausfalle.1376 Von Priesnitz war zur gleichen Zeit in der Presse zu lesen, er habe den Eindruck, als „Bonnimport“ vor allem der Favorit der „Kräfte der neuen Union“ zu sein. Er sei langjähriges CDU-Mitglied, habe aber „das Glück, es nicht hier gewesen zu sein“.1377 Bei der Vorstandssitzung wurde Priesnitz von der Mehrheit „mit eisiger Kälte“ empfangen.1378 Reichenbach bekräftigte zunächst seine Bereitschaft zur Fortsetzung der Kandidatur.1379 In seinem Redeentwurf hieß es, das SED-Regime habe mit seiner Missachtung des Individuums vielen Menschen an Leib und Seele Schaden zugefügt oder sie aus dem Land getrieben. Andere hätten Kompromisse mit dem System geschlossen. Er habe „allergrößten Respekt vor denen, die sich mehr oder weniger offen gegen dieses Regime gestellt“ hätten, verwahre sich aber „gegen die Ausgrenzung derer, die im Rahmen des alten Systems etwas von ihren Überzeugungen einbringen wollten“. Diese Ausgrenzung sei „mit einer Pressekampagne in den letzten Wochen auch aus den Reihen der CDU heraus betrieben“ worden. Man dürfe die neue Freiheit nicht durch eine neue Atmosphäre der Intoleranz belasten. Es könne nicht sein, dass „eine kleine Gruppe“ den Anspruch erhebe, zu bestimmen, wer 1373 1374 1375 1376 1377 1378 1379

Lesch, Die CDU-Reformer in Sachsen, S. 42. LV der CDU Sachsen, Landessekretariat: Protokoll der Landesvorstandssitzung am 17. 8.1990 (CDU-Landesgeschäftsstelle Sachsen, Protokolle und Festlegungen vom 28.3.–10. 9.1990). Die Union und Sächsische Zeitung vom 17. 8.1990. Fernschreiben du kmst an union dd, 17.8.90 (PB Klaus Reichenbach). Zit. in Sächsische Neueste Nachrichten vom 16. 8.1990. Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Bericht vom 20.–24. 8.1990 (PB Manfred Kolbe). LV der CDU Sachsen, Landessekretariat. Protokoll der Landesvorstandssitzung am 17. 8.1990 (CDU-Landesgeschäftsstelle Sachsen, Protokolle und Festlegungen vom 28.3.–10. 9.1990).

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künftig politische Verantwortung tragen dürfe. Die CDU brauche keine „selbsternannte Elite“, sondern die Mitwirkung aller, die sich zu den Zielen der Partei bekennen.1380 Laut Presseberichten erklärte Reichenbach, er habe viel mehr unter dem Sozialismus in der DDR zu leiden gehabt als Vorteile erfahren. Wer ihm unterstelle, sozialistisch zu denken und zu fühlen, habe „keine Ahnung, wie dieses Leben gewesen ist“. Sein Vorteil gegenüber Priesnitz sei, dass ihn viele kennen. Priesnitz zeichne dagegen aus, „dass er mehr Fachkompetenz in der ganzen Abarbeitung der Länderstrukturen und in der Strukturiertheit dieser Bürokratie“ habe. Nach Reichenbachs Ausführungen stellte sich Priesnitz vor und erklärte, im Falle einer Nominierung durch den Parteitag alles zu tun, um „die AltCDU und die Neu-CDU“ zusammenzuführen. Er wisse, dass Block-CDU und CDU-Mitgliedschaft zwei Paar Schuhe seien. Er habe sich vor der „Wende“ zwar gegen offizielle Kontakte zur Ost-CDU ausgesprochen, doch Verbindungen zu den CDU-Mitgliedern auf allen Ebenen gefördert.1381 Auf Antrag kam es schließlich zur geheimen Abstimmung. Von 35 anwesenden Mitgliedern des Landesvorstandes stimmten bei zwei Stimmenthaltungen 27 für Reichenbach und sechs für Priesnitz. Damit war Reichenbach mit überwältigender Mehrheit als Spitzenkandidat bestätigt worden.1382 Der neu in den Landesvorstand kooptierte DA-Aktivist Helmut Münch meinte zur Abstimmung und zu den Chancen von Priesnitz: „Wenn sich der liebe Gott als unser Kandidat vorgestellt hätte, den hätte man auch nicht nominiert.“1383 Aber selbst Vaatz räumte im Nachhinein ein, dass ihm das Hauptargument gegen Priesnitz einleuchtete, es entstehe ein ungünstiger Eindruck, wenn man jemanden zum Ministerpräsidenten küre, „weil er gerade seinen Job als Staatssekretär verliert“.1384 Nach Rinks Meinung hatte Priesnitz dafür, dass er „uns erstmalig in dieser Landesvorstandssitzung als möglicher Kandidat gegen unseren eigenen Vorsitzenden präsentiert“ wurde, sogar „ein Riesenergebnis“ erzielt.1385 Diese Bewertung Rinks, der wie Vaatz aus dem Neuen Forum zur CDU gestoßen war, macht deutlich, für wie abwegig die Nominierung von Priesnitz, unabhängig vom politischen Herkommen, gehalten wurde. Der Presse wurde das Ergebnis „mit Rücksicht auf die BundesCDU“ nicht mitgeteilt,1386 der amtierende Landesvorsitzende, Rolf Rau, erklärte lediglich, trotz unterschiedlicher Meinung der Dresdner Mitglieder habe der Landesvorstand die Geschlossenheit der sächsischen CDU dokumentiert.1387 1380 1381 1382 1383 1384 1385 1386 1387

Redeentwurf Klaus Reichenbachs für die Sitzung des Landesvorstandes der CDU Sachsen am 17. 8.1990 (PB Klaus Reichenbach). Zit. in Die Union vom 18./19. 8.1990. LV der CDU Sachsen, Landessekretariat: Protokoll der Landesvorstandssitzung am 17. 8.1990 (CDU-Landesgeschäftsstelle Sachsen, Protokolle und Festlegungen vom 28.3.–10. 9.1990). Interview Helmut Münch. In: Kleimeier, Sachsen, S. 78. Interview Arnold Vaatz am 9. 6.1999. Interview Berthold Rink. Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Bericht vom 20.–24. 8.1990 (PB Manfred Kolbe). Vgl. Die Welt vom 20. 8.1990.

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Das Ergebnis zeigte, dass sich die Mehrheitsverhältnisse im Landesvorstand durch die Einbeziehung neuer Mitglieder aus dem DA (Beyer, Rößler, Münch) nicht geändert hatten,1388 auch wenn die DA-Leute „in der Regel eloquenter“ und „unbezahlbar für die Erneuerung der CDU“ waren.1389 Reichenbach hatte nun zwar sein Ziel erreicht, die Kandidatur von Priesnitz zu verhindern, stand aber trotz Bestätigung durch den Landesvorstand in der Pflicht, einen anderen Kandidaten zu präsentieren. Er forderte den Landesvorstand daher auf, weitere Personen zu benennen und sie dem Parteitag Anfang September vorzuschlagen.1390 Auf sein Drängen wurde auch keine Empfehlung zur Kandidatur gegeben. Beide Kontrahenten erklärten anschließend gegenüber der Presse, der Landesparteitag am 1. September solle in geheimer Abstimmung entscheiden.1391 Da Reichenbach erklärt hatte, seine Kandidatur zurückzuziehen, wenn auch sein Konkurrent verzichte, wurde Priesnitz nun aus Bonn wie aus Dresden beschworen, seine Kandidatur zu beenden, um so den Weg für Reichenbachs Rücktritt frei zu machen. Vaatz erinnert sich, dass er „die freundliche Aufgabe“ erhielt, Priesnitz diese Bitte zu überbringen.1392 Der „Süddeutschen Zeitung“ erschien er wie ein „Bauernopfer zu höheren Zwecken“, der zurücktreten müsse, „weil anders Reichenbach nicht zum Rücktritt zu bewegen“ sei.1393 Angesichts der CDU-internen Beschlüsse, dass weder Reichenbach noch Priesnitz kandidieren sollten, wurde Reichenbachs, von ihm nicht verhinderte, Nominierung auf der Sitzung des Landesvorstandes als „Vorpreschen“ kritisiert und rief in der Bonner CDU „bis nach ganz oben hin Unmut hervor“. Auch deswegen wurde dort nun die Suche nach alternativen Kandidaten intensiviert.1394 Bereits am 20. August wusste „Die Welt“ zu berichten, es sei damit zu rechnen, dass in den nächsten Tagen andere prominente CDU-Mitglieder in „das sächsische Wahlpoker“ eingebracht würden, so dass eine Kampfabstimmung über die bisherigen Kontrahenten am 1. September gar nicht mehr zu erwarten sei. Wahrscheinlich werde ein „lachender Dritter“ Spitzenkandidat. Noch aber war Reichenbach offizieller Kandidat der CDU, was Vaatz nach seinen Gesprächen mit Heitmann in Stuttgart zur Drohung veranlasste, wieder aus der CDU auszutreten und mit DA, DFP und DSU eine Liste mit einem eigenen Kandidaten zu bilden. Zwar war nicht wirklich an ein solches Bündnis gedacht, war doch gerade Vaatz klar, dass man damit bundesweit im politischen Abseits landen würde, dennoch erreichte die Drohung eine gewisse Wirkung. 1388 1389 1390 1391 1392 1393 1394

Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003. Interview Uwe Grüning. LV der CDU Sachsen, Landessekretariat: Protokoll der Landesvorstandssitzung am 17. 8.1990 (CDU-Landesgeschäftsstelle Sachsen, Protokolle und Festlegungen vom 28.3.–10. 9.1990). Vgl. Die Union vom 18./19. 8.1990. Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. Süddeutsche Zeitung vom 3. 9.1990. Was nicht ganz stimmt, weil Reichenbach seine Bereitschaft zum Rücktritt intern bereits erklärt hatte. Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Bericht vom 20.–24. 8.1990 (PB Manfred Kolbe).

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Ganz abwegig schien sie nicht, hatte manch einer doch noch die Pläne von Vaatz oder Herbert Wagner von Anfang des Jahres in Erinnerung, mit einer neuen Union gegen die Ost-CDU zu Felde zu ziehen. Am 22. August zitierte „Die Union“ aus einer von Kammerschen veranlassten Analyse der Arbeitsgruppe Deutschlandpolitik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, wonach die Fraktion eine Spaltung der sächsischen Union befürchtete: „Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ werde es dazu kommen, wenn sich Reichenbach als Kandidat durchsetze. Die „tiefe innere Spaltung“ der sächsischen CDU falle ins Auge. Die neuen Kräfte seien integer und nicht belastet, ihnen stünde die alte Blockpartei gegenüber, die sich auf etwa siebzig Prozent der Mitglieder stütze. Der hauptamtliche Apparat sei weitgehend unverändert. Der Schlüssel zur Lösung der Krise liege „einzig und allein in Bonn“. Mit Reichenbach könne die CDU nur in die Opposition gehen, Verluste von bis zu zwanzig Prozent seien programmiert. Uta Dittmann ging erneut kritisch mit Reichenbach ins Gericht. Die Chance einer vernünftigen Lösung im Landesvorstand sei vertan worden. Wer die dortigen Machtverhältnisse kenne, wundere sich nicht über die Unterstützung Reichenbachs. Dieser sei „der Vertreter des Funktionärs-Establishments der alten Block-CDU und damit der Garant für die sorgenfreie Zukunft des Apparates, der sich heute im Land Sachsen bereits wieder als die CDU“ fühle. Niemand habe Reichenbach zur „bequemen Funktionärskarriere“ gezwungen, niemand, wenige Tage vor Ausbruch der Revolution ein bündnistreues Interview zu geben. Während Reichenbach so von der Idee ferngehalten werden sollte, eine Kandidatur möglicherweise doch zu erwägen, wurden intern die Weichen umgestellt. Nach seinen Gesprächen mit Heitmann und Vaatz über eine mögliche Kandidatur von Geißler oder Biedenkopf setzte sich Späth mit Geißler in Verbindung. Der befand sich auf einer Klettertour in den Alpen, war deswegen zunächst nicht erreichbar und bat nach Kontaktaufnahme über eine Berghütte um Bedenkzeit.1395 Der frühere Bundesminister und CDU-Generalsekretär kam schließlich am 19. August aus den Allgäuer Alpen nach Stuttgart, wo ihn Späth mehrere Stunden lang zur Spitzenkandidatur drängte. Er versprach ihm massive Wirtschaftshilfe für Sachsen und seine Begleitung zur Landesvorstandssitzung nach Chemnitz, damit es ihm dort nicht wie Priesnitz ergehe. Nach einer zunächst unverbindlichen Zusage lud Späth am 20. August Vaatz und Heitmann sowie Reichenbach zu getrennten Gesprächen mit Geißler auf die Solitude bei Stuttgart ein, „um die Sache festzuklopfen“.1396 Vaatz gab dabei zu bedenken, dass eine Kandidatur Geißlers bedeute, dass man jetzt nicht mehr mit dem Bundeskanzleramt und der Parteizentrale in Bonn gemeinsam agiere, sondern möglicherweise gegen deren Widerstand. „Da zuckte“, so Vaatz, „Späth mit den Schultern, und mir war klar, das war ihm so ungelegen nicht.“1397 Auch 1395 1396 1397

Vgl. Mengele, Wer zu Späth kommt, S. 220 f. Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Bericht vom 20.–24. 8.1990 (PB Manfred Kolbe). Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002.

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beim folgenden Gespräch mit Reichenbach erklärte Geißler, er sei prinzipiell zur Kandidatur bereit, müsse dies freilich noch überdenken. Nun galt es, den Bundesvorsitzenden der CDU für eine Unterstützung seines geschassten Generalsekretärs zu gewinnen. Wie sich Kohl die Situation darstellte, vertraute er seinem Tagebuch an. Hier heißt es, keine zehn Monate nach dem Bremer Parteitag sei „die Putschgruppe“ wieder zusammengekommen, „um auf der Sonnenseite meiner Politik Karriere zu machen“. Hauptakteure dieser Gruppe seien Lothar Späth, Heiner Geißler, Kurt Biedenkopf und Rita Süssmuth. Kohl wusste, dass Späth hinter Geißlers Kandidatur stand und Reichenbach seinen Anspruch bereits zurückgezogen hatte. Ihm war auch klar, dass „die sächsischen Freunde“ mit Reichenbach an der Spitze „angesichts des bekannt zerrütteten Verhältnisses zwischen Geißler und mir sehr verunsichert“ waren, ob er diesen unterstützen würde. „Dabei“, so Kohl, „fiel es mir sogar ganz im Gegenteil außerordentlich leicht, entschieden für Geißlers Nominierung einzutreten, der aufgrund der Qualifikation und Erfahrung als Landes- und Bundesminister hervorragend für das Amt des sächsischen Ministerpräsidenten geeignet war.“ Der Kanzler setzte sich somit aus parteistrategischen Erwägungen über seine Vorbehalte gegenüber Geißler hinweg, obwohl er überzeugt war, dass dieser seit seiner Entmachtung „von Hass und Rachegefühlen getrieben“ sei. Geißler habe nicht verwinden können, dass er ihn „dabei ertappte, wie er in den letzten Jahren als CDU-Generalsekretär unter Bruch jeglicher Loyalität gegen mich als Parteivorsitzenden konspirierte“. Das gleiche gelte für seinen gescheiterten Versuch, Späth auf dem Bremer Bundesparteitag gegen ihn ins Rennen um den CDU-Vorsitz zu schicken.1398 Ungeachtet aller Animositäten empfing Kohl Geißler am 21. August und erklärte ihm, die bisherigen Auseinandersetzungen zwischen ihnen spielten jetzt keine Rolle. Er verfüge über alle Voraussetzungen, das Amt zu übernehmen, und wenn er das wolle, werde er ihn voll und ganz unterstützen.1399 Unmittelbar im Anschluss an diese Unterredung hatte Reichenbach einen Termin bei Kohl, wobei sich beide Besucher kurz begegneten. Reichenbach fragte Kohl, ob er mit Geißler einverstanden sei. Kohl erklärte ihm, er sei nicht gerade sein bester Freund, aber er akzeptiere dessen Kandidatur. Geißler sei „ein fairer Mann“, und er könne damit leben.1400 Nach Kohls Erinnerung war Reichenbach „sehr erstaunt, dass ich die Kandidatur von Heiner Geißler unterstützte“.1401 Nach dem Treffen mit Kohl eröffnete Reichenbach Biedenkopf am Rande der Nachtsitzung der Volkskammer vom 22. auf den 23. August, bei der ein Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober beschlossen wurde, dass er sich nicht länger um das Amt des Ministerpräsidenten bewerbe: „Er wolle sich nicht den innerparteilichen Spannungen aussetzen, von denen er nicht wisse, ob er sie durchstehen könne. Auch fehlten ihm die notwendigen 1398 1399 1400 1401

Kohl, Mein Tagebuch, S. 118. Interview Helmut Kohl. In: Die Zeit vom 27. 8.1998. Interview Klaus Reichenbach. Interview Helmut Kohl.

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Kenntnisse und Erfahrungen für die Aufgabe. Deshalb habe er sich als Landesvorsitzender der sächsischen CDU entschlossen, einen anderen als Kandidaten vorzuschlagen. Man habe an mich und an Geißler gedacht. Gegen mich habe Kohl entschiedene Einwände erhoben. Man könne sich über sie nicht hinwegsetzen. Dazu sei die eigene Position zu schwach. Deshalb sei man an Heiner Geißler herangetreten. Dieser habe signalisiert, dass er bereit sei, die Aufgabe zu übernehmen, auch wenn er enorme Schwierigkeiten in der eigenen Bezirkspartei und im Wahlkreis überwinden müsse. Es wäre aber gut, wenn Biedenkopf in diesem Team mitmachen würde.“ Nach dieser Notiz war Biedenkopf zum einen bereits darüber informiert, dass er seit zirka einer Woche neben Geißler im Gespräch war, zum anderen sagte er Geißler Unterstützung zu,1402 was auch bedeuten konnte, dass er für dessen Regierungsmannschaft zur Verfügung stand. Biedenkopf war nach eigenem Bekunden sehr zufrieden damit, „dass die Sache auf Heiner Geißler zulief“, und teilte ihm auch mit, dass er sich keine bessere Lösung vorstellen könne.1403 Geißler erklärte ihm daraufhin jedoch, dass seine Entscheidung noch keinesfalls endgültig sei. Er wolle seinen Wahlkreis nicht im Stich lassen, auch die Bezirks- und Landespartei brauche ihn, schließlich sei er in seiner pfälzischen Heimat tief verwurzelt.1404 Biedenkopf versicherte Geißler daraufhin, im Falle einer Absage statt seiner zur Verfügung zu stehen.1405 Geißlers Entscheidungsfindung stand von nun an unter der Prämisse, in Biedenkopf einen alternativen Kandidaten zu wissen. Am 24. August erörterte er daraufhin die Situation erneut mit Kohl. Obwohl seine Kandidatur auch vom rheinland-pfälzischen CDU-Landesvorsitzenden, Georg Gölter, unterstützt wurde,1406 schreckte er, so Kohl, plötzlich vor der Herausforderung zurück und stellte eine „unerfüllbare Bedingung“: Er wollte die Unterstützung dafür, dass er in Sachsen als Spitzenkandidat zur Landtagswahl am 14. Oktober antreten und sich gleichzeitig in seinem Landauer Wahlkreis erneut um einen Sitz bei der Bundestagswahl am 2. Dezember bewerben könne. Es sei offensichtlich gewesen, dass er dem Wahlergebnis in Sachsen nicht traute und kein Risiko eingehen wollte. Kohl habe ihm daraufhin unmissverständlich erklärt, dass er ein derartiges Verfahren für „völlig indiskutabel“ halte, „weil die Menschen in Sachsen eine solche Verhöhnung ihres Wählerwillens zu Recht nicht verstehen würden“. Außerdem hätte es eine negative Wirkung in der CDU, wenn sich deren Spitzenrepräsentant bei einer so wichtigen Entscheidung vor allem vom Gedanken einer Risikoabsicherung leiten ließe. Offensichtlich habe Geißler „auf der sicheren Seite stehen und sein Bundestagsmandat für den Fall der Fälle behalten“ wollen.1407

1402 1403 1404 1405 1406 1407

Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 298 f. Zit. in FR vom 29. 8.1990. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 298 f. Email von Heiner Geißler an den Autor vom 2.9.2003. Vgl. Die Rheinpfalz vom 27.8. 1990. Vgl. Die Rheinpfalz vom 25. 8.1990. Kohl, Mein Tagebuch, S. 120.

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Bis in die Nacht des 24. August verhandelte in Berlin eine Spitzenrunde aus Politikern von Ost- und West-CDU unter anderem über die sächsische Spitzenkandidatur.1408 Hier stellte sich noch immer de Maizière quer, der weiterhin der Meinung war, dass für die CDU nur Spitzenkandidaten aus der DDR antreten sollten. Er und Reichenbach wünschten außerdem gemäß ihrer eigenen ex-sozialistischen Positionen einen Kandidaten aus dem linken Spektrum der CDU, der den Sozialausschüssen und dem Arbeitnehmerflügel der Union nicht ablehnend gegenüberstehen sollte. Letztes Kriterium hätte Geißler erfüllt, eher stand ihm seine pfälzische Herkunft im Wege. De Maizières Bedenken wurden hinfällig, als Geißler gegen 23.00 Uhr seine Absage mitteilte, für die er sich nach dem Gespräch mit Kohl entschieden hatte. Im Nachhinein begründete er seine Entscheidung mit Rücksichten auf seine Familie, die strikt gegen eine Kandidatur war und sich weigerte, nach Dresden zu ziehen.1409 Mit seiner Absage habe er sich „zum ersten Mal in meinem Leben gegen die Politik und für den Menschen Heiner Geißler entschieden“. Er habe „keine zusätzliche Portion Unglück in mein Leben bringen“ und „das mir und meiner Familie nicht mehr zumuten wollen“.1410 Nach eigenem Bekunden hätte er die Aufgabe aber trotz aller Bedenken übernommen, „wenn wir, d. h. Lothar Späth und ich, nicht in Kurt Biedenkopf eine sehr gute Alternative gefunden hätten“ und dieser sich nicht bereit erklärt hätte, für ihn einzuspringen. Seine Absage stand also unter dem Vorbehalt der bereits vorab gegebenen Zusage Biedenkopfs, für diesen Fall zur Verfügung zu stehen.1411 Kohl zeigte sich über die Absage brüskiert, hatte er sich doch extra dazu durchgerungen, Geißler trotz persönlicher Animositäten zu unterstützen. Nach Geißlers Überzeugung intervenierte er deswegen später massiv und erfolgreich, als er 1993 CDU-Landesvorsitzender und 1996 Spitzenkandidat der CDU in Rheinland-Pfalz werden wollte.1412 Auch in Sachsen war die Enttäuschung zunächst groß. Geißler wäre, so Rößler, in Sachsen gern gesehen gewesen, aber „er wollte ja nicht, er wollte weiter Drachenfliegen und seinen Bundestagswahlkreis haben. Uns hat er einen Korb gegeben.“1413 Nach Geißlers Absage musste noch in der nächtlichen Berliner Besprechung eine andere Lösung gefunden werden, tagte doch am nahenden Vormittag in Chemnitz der sächsische CDU-Landesvorstand. Da nicht auszuschließen war, dass die Mehrheit des Vorstandes mangels personeller Alternativen Rudolf Krause nominieren würde, brachte Späth nun als möglichen Konsenskandidaten für

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Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Bericht vom 20.–24. 8.1990 (PB Manfred Kolbe). Vgl. Bonner Rundschau vom 27. 8.1990. Vgl. Wendt, Kurt Biedenkopf, S. 107 f. Interview Heiner Geißler. In: Magazin der Süddeutschen Zeitung vom 13.10. 2000. Heiner Geißler an den Autor vom 24. 7. 2003. Geißler lehnte „trotz flehentlicher Bitten aus der CDU Brandenburg“ auch eine dortige Spitzenkandidatur ab, woraufhin Diestel die Aufgabe übernahm, der aber gegen Stolpe erfolglos blieb. Vgl. Die Welt vom 23. 8.1990. Interview Heiner Geißler. In: Magazin der Süddeutschen Zeitung vom 13.10. 2000. Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003.

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alte und neue CDU-Kräfte Kurt Biedenkopf ins Spiel. Einige Tage zuvor hatte er mit Kohl beraten, wobei sich der Kanzler gegen ihn ausgesprochen hatte.1414 Gegenüber Späth und de Maizière soll er erklärt haben, sie könnten jeden auffordern, nur nicht „diesen Traumtänzer“. Deswegen hatte es Biedenkopf trotz seiner prinzipiellen Zusage bislang für ausgeschlossen gehalten, dass ihm eine Kandidatur in Sachsen angetragen werden würde.1415 Späth ignorierte nun offenbar bewusst Kohls Bedenken und schlug Biedenkopf vor, nachdem er mit Heitmann und Vaatz bereits am 14. August diesbezüglich Einigkeit erzielt hatte. Offensichtlich gab es in der Berliner Runde auch keinen Widerspruch, denn Späth rief daraufhin kurz vor Mitternacht bei Reichenbach in Hartmannsdorf an, informierte ihn über Geißlers Rückzug und fragte nach seiner Haltung zu Biedenkopf. Reichenbach stimmte zu,1416 woraufhin Späth gegen 00.30 Uhr des 25. August Biedenkopf in dessen Haus am Chiemsee anrief, über Geißlers Absage informierte und im Auftrag der Berliner Runde fragte, ob er zu seiner Zusage für diesen Fall stehe. Man habe, so erinnert sich Biedenkopf an Späths Anruf, bereits den ganzen Tag bis in die Nacht verhandelt und überlegt. Geißler habe abgesagt, Reichenbach selbst wolle nicht mehr antreten, Priesnitz sei ausgeschieden. Er selbst komme nicht in Frage. Man habe erwogen, Rudolf Krause zu bitten, sei sich aber einig geworden, dass er dafür nicht geeignet sei. „Wenn ein Mann wie er gewählt würde, zöge er, Späth, sich zurück. Mit solchen Leuten könne und wolle er nicht arbeiten.“ Deshalb habe er trotz der Proteste Kohls erneut Biedenkopf vorgeschlagen. Biedenkopf, der trotz seiner Bereitschaftserklärung, im Falle einer Absage Geißlers einzuspringen, überrascht war, erklärte, dass er eine solche Entscheidung nicht nachts um halb eins treffe. Späth erläuterte ihm, dass am Vormittag, also in wenigen Stunden, der in Chemnitz tagende sächsische CDU-Landesvorstand in dieser Frage zu einer Entscheidung kommen wolle. Deswegen habe er nur bis 07.30 Uhr Bedenkzeit, anschließend fliege Späth nach Chemnitz. Biedenkopf stand vor einer Lebensentscheidung. „In der nächsten Stunde“, so notierte er im Tagebuch, „ergab sich aus Ingrids und meinen Überlegungen, dass ich zur Verfügung stehen sollte, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt würden.“1417 Kurz vor 07.30 Uhr beriet sich Biedenkopf noch kurz mit seinem Vertrauten, dem Wirtschaftsexperten Meinhard Miegel.1418 Als Späth wenig später anrief, nannte er seine Bedingungen. Würden sie akzeptiert und ließen sich seine persönlichen Verhältnisse regeln, gebe er „grünes Licht“. Seine Empfehlung müsse durch den Landesvorstand einmütig erfolgen, sich der Parteitag darüber hinaus mit überzeugender Mehrheit für ihn ent-

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Vgl. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 299; Interview Kurt Biedenkopf; Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Bericht vom 20.–24. 8.1990 (PB Manfred Kolbe). Zit. in Köpf, Der Querdenker, S. 191. Interview Klaus Reichenbach. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 300 f. Vgl. Interview Kurt Biedenkopf. Vgl. Wendt, Kurt Biedenkopf, S. 108.

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scheiden und er in der Personalauswahl seiner Regierung freie Hand haben.1419 Der Grund für seine Vorsicht war wohl neben der fehlenden Unterstützung durch den Bundeskanzler und CDU-Vorsitzenden, dass er von den innerparteilichen Differenzen in der sächsischen CDU wusste und befürchtete, wie zuvor Priesnitz, in einer Kampfabstimmung zermahlen zu werden. Späth informierte ihn über die interne Zusage Reichenbachs, nicht anzutreten und seine Kandidatur zu unterstützen.1420 Schon zuvor war Biedenkopf von Späth über die Zustimmung von Heitmann und Vaatz vom 14. August informiert worden, wusste damit also alte und neue Kräfte in der sächsischen CDU auf seiner Seite. Der baden-württembergische Ministerpräsident versprach ihm zudem, wie zuvor Geißler, die sächsische Landesregierung im Falle seiner Wahl nach Kräften zu unterstützen und sicherte ihm eine „nahtlose politische Zusammenarbeit“ zu. Er habe bereits fünfzig Leerstellen für Mitarbeiter in den Landesetat aufnehmen lassen, die am Aufbau der sächsischen Landesregierung mitwirken sollten.1421 Nachdem Biedenkopf „seinen Förderer“1422 über die Bereitschaft unter dem Vorbehalt eines eindeutigen Votums der Chemnitzer Vormittagsrunde informiert hatte, rief Späth Reichenbach und Vaatz an, um sich nochmals deren Unterstützung bei der bevorstehenden Vorstandssitzung zu vergewissern. Am Morgen des 25. August trat der Landesvorstand der sächsischen CDU in Chemnitz zusammen. Noch waren die Neuigkeiten über das Kandidatenkarussell nicht durchgedrungen, und die Runde diskutierte über personelle Alternativen aus den eigenen Reihen. Zunächst ging es um Rudolf Krause, der von „enttäuschten CDU-Vertretern des Reichenbach-Flügels ins Gespräch“ gebracht wurde.1423 Herbert Goliasch fragte ihn, ob er bereit sei, zu kandidieren. Krause, den auch Kohl als mögliche Alternative für Reichenbach in Erwägung zog, hätte im Landesvorstand durchaus Chancen gehabt, nominiert zu werden. Er wäre, so Vaatz, zumindest von den Leipzigern unterstützt worden. Neben Krause wurde vom amtierenden Landesvorsitzenden Rolf Rau auch der sächsische CDUVolkskammerabgeordnete Bertram Wieczorek vorgeschlagen, der aber keine ausreichende Unterstützung fand.1424 Schließlich sprachen sich die Bezirksgeschäftsstellenleiter von Chemnitz und Leipzig, Conrad Loibl und Werner Stahlmüller, für eine Fortsetzung der Kandidatur Reichenbachs aus. Dieser habe die Funktion des CDU-Bezirksvorsitzenden Karl-Marx-Stadt nicht aus Staatsüberzeugung, sondern aus Verbundenheit mit den CDU-Mitgliedern übernommen. Ein Beleg dafür sei seine andauernde Popularität, die darauf beruhe, dass er sich zu SED-Zeiten weit moderater als manch anderer Bezirkschef verhalten habe.1425 1419 1420 1421 1422 1423 1424 1425

Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 302. Vgl. Die Welt vom 28. 8.1990. Vgl. Mengele, Wer zu Späth kommt, S. 221. Vgl. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 302. Kohl, Mein Tagebuch, S. 121. So Bernd-Dietmar Kammerschen am 5. 5.1994. Zit. in Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 216. Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. Vgl. Sachsen-Spiegel vom 7. 9.1990.

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Während die Runde so das vorhandene Personaltableau altgedienter Funktionäre durchdeklinierte, meldete sich der vom DA in den Landesvorstand kooptierte Helmut Münch mit einem kurzen Beitrag zu Wort, der freilich, so Vaatz, von „ausschlaggebender Bedeutung“ war. Er erklärte, dass eine Kandidatur Krauses gegen die bei der Fusion getroffene Vereinbarung von CDU und DA verstoße, wonach ein Spitzenkandidat der CDU auch der Zustimmung der aus dem DA kommenden Landesvorstandsmitglieder bedürfe.1426 Nach dieser Intervention lehnte Krause ab, erwartete aber nach Vaatz’ Überzeugung weiterhin, als Landessprecher eine wichtige Rolle in der Regierung zu spielen.1427 Während die Diskussion noch andauerte, so erinnert sich Vaatz, ging die Tür auf. Der per Hubschrauber eingeflogene Späth betrat in Begleitung seines Innenministers, Dietmar Schlee, die Runde und erklärte kurzerhand, „er kenne jemanden am Chiemsee, der bereit wäre“.1428 Damit konnte jeder etwas anfangen. Alle waren, so Reichenbach, begeistert „und damit war unser Kandidat Biedenkopf“.1429 Reichenbach erklärte daraufhin ebenfalls „ganz deutlich“, er habe gesagt, wenn ein Kandidat gefunden werde, den er akzeptiere, trete er zurück. Da dies nun der Fall sei, ziehe er seine Kandidatur offiziell zurück.1430 Beifall bekam daraufhin ein Antrag Grünings, der Landesvorstand möge Reichenbach für den Verzicht seine Hochachtung aussprechen. Der erklärte daraufhin, die Entscheidung sei ihm „nicht so schwer gefallen“ und „nicht durch die Dinge hervorgerufen“ worden, die in der Presse ausgeschlachtet wurden. Ihm liege die Geschlossenheit der Partei am Herzen. Er glaube inzwischen selbst, dass kein Kandidat aus den eigenen sächsischen Reihen in der Ministerpräsidentenrunde bestehe würde. Ihn habe Kohl gebeten, ins Kanzleramt nach Bonn zu kommen.1431 Nach seinem Rückzug von der Kandidatur wurde über Biedenkopf abgestimmt. Er erhielt in geheimer Wahl die Stimmen aller 35 anwesenden Landesvorstandsmitglieder.1432 Zuvor hatte Späth auf eine Frage zu den Meinungsverschiedenheiten mit Kohl erklärt, zum einen werde Biedenkopf sachlich mit Kohl zusammenarbeiten, zum anderen sei es „für Sachsen eher ein Vorteil, einen unabhängigen Ministerpräsidenten zu haben statt eines Befehlsempfängers aus Bonn“.1433 Nach der Abstimmung verließ Späth kurz den Raum, um mit Biedenkopf zu telefonieren. Als er anschließend dessen Zustimmung bekannt 1426

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Telefonische Auskunft Helmut Münchs am 2. 9. 2003; Arnold Vaatz beim HAITWorkshop am 15. 6. 2002; Interview Arnold Vaatz am 9. 6.1999. Dem Fusionsprotokoll ist eine solche Vereinbarung freilich nicht zu entnehmen. Vgl. Protokoll der Aussprache zwischen dem Landesvorstand des DA Sachsen und dem Präsidium der CDU des Landesvorstandes Sachsen am 27. 7.1990 (Dok. 109). Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. Interview Klaus Reichenbach. Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003. Fernschreiben du kmst an union dd vom 26.8.90, 12.50 uhr. nachlieferung fuer abteilung politik (PB Klaus Reichenbach). Handschriftliche Niederschrift [Michael Gaerdt] der Landesvorstandssitzung der sächsischen CDU am 25. 8.1990 (CDU-Landesgeschäftsstelle Sachsen). Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 303 f.

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gab, brach „einhelliger Jubel“ aus, war der Vorstand doch „aus einer Not heraus“.1434 Vaatz ist sich allerdings nicht ganz sicher, ob damals tagsüber eine Telefonverbindung nach Bayern technisch überhaupt möglich war.1435 Auch Köpf berichtet, Biedenkopf habe vergeblich auf einen Anruf gewartet, weil wieder einmal die Telefonverbindungen zusammengebrochen waren. Er habe schließlich aus den Hörfunknachrichten von dem einstimmigen Votum erfahren.1436 Die neue Einigkeit im Landesvorstand bot zugleich Anlass, die bisherigen Querelen auszuwerten. So wurde mehrfach Kritik an der Berichterstattung der die Vaatz-Gruppe unterstützenden Dresdner Tageszeitung „Die Union“ geübt. Sie habe ein Bild der Zerrissenheit der CDU und einer Haltung Reichenbachs gezeichnet, das mit der Wirklichkeit wenig zu tun habe. Tatsache sei, dass Späth „angeregt durch Reichenbach“ nach einem geeigneten Kandidaten gesucht habe. An Vaatz ging die Aufforderung, seinen Einfluss geltend zu machen, in Zukunft die Geschlossenheit der Partei in der Öffentlichkeit zu betonen. Vaatz, der Biedenkopfs Kandidatur ausdrücklich begrüßte und Reichenbach dankte, die Entscheidung ermöglicht zu haben, meinte, für einen Teil der Vorwürfe nicht zuständig zu sein. Mit seinem Fernsehauftritt habe er zwar die Initialzündung für eine Kampagne gegen den Landesvorsitzenden gegeben, dann aber habe die Entwicklung ihre eigene Dynamik erhalten.1437 Die Sitzung endete „mit einer fast euphorischen Stimmung“. Nach der Landesvorstandssitzung sprach sich auch das Präsidium des Landesvorstandes einstimmig dafür aus, Biedenkopf um die Übernahme der Spitzenkandidatur zu bitten. Alternativen wurden nicht angeboten. Krause wiederholte, er stehe für das Amt nicht zur Verfügung, und votierte nachdrücklich für Biedenkopf.1438 Bereits wenig später äußerte sich Vaatz freilich in der gescholtenen „Union“ in einer Weise, die kaum als Schuldeingeständnis gedeutet werden konnte. Die jetzige Wendung sei „so glücklich, wie wir es nicht zu träumen wagten“. Die bisherigen Auseinandersetzungen seien aber notwendig gewesen und hätten der Selbstfindung in der CDU gedient. Bei diesem wichtigen Prozess sei „das Problem der drohenden Restauration des Blockpartei-Apparates“ erkannt und ausgeräumt worden.1439 Späth berichtete Biedenkopf am Nachmittag, die Diskussion im Landesvorstand sei „außerordentlich fruchtbar und erfolgreich“ verlaufen. Mit seltener Klarheit habe man nicht nur über taktische Fragen, sondern auch über die Personen diskutiert, die zur Auswahl standen. Vor allem die Leipziger hätten sich für ihn stark gemacht.1440 Biedenkopf erklärte anschließend gegenüber der Presse, das einstimmige Votum des sächsischen Landesvorstandes der CDU sei für 1434 1435 1436 1437 1438 1439 1440

Interview Uwe Grüning. Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. Vgl. Köpf, Der Querdenker, S. 193. Fernschreiben du kmst an union dd vom 26.8.90, 12.50 uhr. nachlieferung fuer abteilung politik (PB Klaus Reichenbach). Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 302–304. Interview Arnold Vaatz. In: Die Union vom 27. 8.1990. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 303.

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seine Entscheidung ausschlaggebend gewesen.1441 Nach der Sitzung informierte Reichenbach Kohl über die Entscheidung für Biedenkopf.1442 Der Kanzler hatte ihm schon zuvor angeboten, als Ostexperte in seinem Team im Bundeskanzleramt tätig zu werden. Einen Tag nach der Chemnitzer Vorstandssitzung erläuterte Biedenkopf Reichenbach, nun schon mit Blick auf das künftige Verhältnis zwischen ihm als Ministerpräsidenten und Reichenbach als CDU-Landesvorsitzenden, seine Ansicht, dass Kohl ihn nur deswegen nach Bonn holen wolle, weil er daran interessiert sei, „den Ministerpräsidenten und den Landesvorsitzenden zu trennen und beide, wenn möglich, gegeneinander auszuspielen“. Er möge bedenken, dass er als Landesvorsitzender in Bonn seine Basis verliere und damit auch für Kohl uninteressant werde. Der Kanzler mache ihn nicht zum parlamentarischen Staatssekretär oder Junior-Minister, weil er seine Qualifikation schätze, sondern um durch ihn politischen Einfluss zu nehmen. Lohne sich dies nicht mehr, werde er sein Interesse an ihm verlieren.1443 Zwar hatte sich Kohl Späth gegenüber nicht gerade erfreut über Biedenkopfs Kandidatur gezeigt, nachdem ihn nun aber der sächsische CDU-Landesvorstand auf den Schild gehoben hatte, argumentierte er ähnlich wie zuvor im Fall Geißler. Ungeachtet persönlicher Differenzen werde er seine Kandidatur unterstützen, sei er doch überzeugt, dass der frühere CDU-Generalsekretär „alle Voraussetzungen mitbringe, an exponiertester Stelle des neuen Landes Sachsen Politik für Deutschland zu gestalten“.1444 Diese Haltung vertrat er auch gegenüber der Presse,1445 die nun vor dem Hintergrund der früheren Konflikte zwischen dem CDU-Vorsitzenden und seinem Generalsekretär über künftige Konfliktpotentiale sinnierte und Biedenkopfs Kandidatur ausführlich kommentierte. Nachdem dieser 1975 auf Distanz zum CDU-Bundesvorsitzenden Kohl gegangen war, hatte er zwei Jahre später durch Verzicht auf eine neue Kandidatur Platz für Heiner Geißler gemacht. 1980 war Biedenkopf nach dem Tod des CDUSpitzenkandidaten Heinrich Köppler zum Herausforderer von Ministerpräsident Johannes Rau (SPD) geworden. Mitte der 80er Jahre wurde er erster Vorsitzender der vereinten NRW-CDU. 1987 musste er, anderthalb Jahre nach der Fusion der Landesverbände Westfalen-Lippe und Rheinland, den Vorsitz an Norbert Blüm abtreten. Vor dem Hintergrund dieser Ereignisse, die vielen DDRBewohnern kaum mehr bewusst waren, wurde nun von der bundesdeutschen Presse die aktuelle Entwicklung in Sachsen bewertet. Zum früheren Konflikt war in der Berliner „tageszeitung“ zu lesen, Kohl habe Biedenkopf seinerzeit „wegen dessen ausgeprägter Fähigkeit, über Parteimittelmäßigkeit hinauszudenken, geschasst“.1446 Der „Querdenker“ Biedenkopf sei „in der CDU völlig abgehalftert“. Er sei aus dem Präsidium und dem NRW-Landesvorsitz gedrängt wor1441 1442 1443 1444 1445 1446

Vgl. dpa vom 27. 8.1990. Interview Klaus Reichenbach. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 307 f. Kohl, Mein Tagebuch, S. 121. Vgl. z. B. Interview Helmut Kohl. In: Die Zeit vom 27. 8.1998. die tageszeitung vom 3. 9.1990.

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den, weil er es gewagt habe, „Die Grünen“ als politikfähig zu bezeichnen.1447 Kohl habe, so die „Frankfurter Rundschau“, die Flucht nach vorn angetreten und mitteilen lassen, dass er Biedenkopfs Kandidatur als eine sehr gute Lösung für Sachsen betrachte. Ähnlich äußere sich nun auch Biedenkopfs anderer Erzrivale aus NRW-Zeiten, Norbert Blüm, der nun dem „mit seiner Hilfe abgesägten Vorgänger im Parteivorsitz“ nachrufe, er könne „wie kaum jemand sonst die Herkulesarbeit“ in Sachsen bewältigen. Trotz zustimmender Stellungnahmen Blüms oder Kohls, für den „die höchste Steigerungsform des Feindes der Parteifreund Kurt Biedenkopf“ sei, gefalle ihm dessen Sieg nicht, denn da drohe die Gefahr eines Bundesratsmitgliedes „schlimmer als Lafontaine und Schröder zusammen“.1448 Pikant werde sein, so die „Rheinische Post“, wie sich Kohl beim Wahlkampf für Biedenkopf einsetze, den er bekanntlich seit Jahren so gern habe „wie Bauchschmerzen“. Über ihm habe schon „die milde Abendsonne“ geschienen, nun stehe er wieder im gleißenden Licht.1449 Im Bonner „General-Anzeiger“ war zu lesen, Biedenkopf, der als „Intimfeind des Bundeskanzlers“ gelte, sei „die größte Überraschung“. Ihm gehe der Ruf voraus, „zwar ein exzellenter politischer Denker zu sein, der es allerdings auch gerne bei Denkspielen belässt“. Jetzt aber seien Macher gefragt. Es sei naheliegend, dass einige DDRLänder sich für Politiker aus der Bundesrepublik als Spitzenkandidaten entscheiden. Nicht zuletzt „das amateurhafte Agieren der DDR-Regierung“ habe gezeigt, dass man Politik nach westlichem Muster nicht über Nacht lernen könne.1450 Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ meinte, Biedenkopf zähle in der Union „schon längst nicht mehr zur ersten Garnitur“. „Politiker-Export dieser Art“ sei wenig glaubwürdig.1451 Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ verglich den „verhinderten Ideenlieferanten und Querdenker der westdeutschen CDU“ mit einer Ente, die immer wieder auftauche. Doch werde sich „der witzig-rührige StehaufPolitiker davor hüten müssen, Fehler zu wiederholden, die er in Düsseldorf begangen“ habe, wo er zum Beispiel „seine Parteifreunde nicht selten wie studentische Anfänger in einem Proseminar behandelt“ habe.1452 Biedenkopf, so die „Osnabrücker Zeitung“, sei ein „brillanter Ideenlieferant“, politisches Taktieren sei jedoch nicht seine Stärke.1453 Für das „Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt“ wirkte er in Sachsen „wie ein Mann, der sich nach einem langen Weg endlich am Ziel weiß“.1454 Biedenkopfs Nominierung, so der „Rheinische Merkur“, sei eine „Mixtur aus Zufall, Berechnung, Palastintrige und Parteisolidarität“. Seine Kandidatur nannte das Blatt die „bemerkenswerteste Personalentscheidung in den zukünftigen DDR-Ländern“,1455 „Die Welt“ die „größte Überra1447 1448 1449 1450 1451 1452 1453 1454 1455

Ebd. vom 27. 8.1990. FR vom 28. und 29. 8.1990. Rheinische Post vom 27. 8.1990. General-Anzeiger vom 27. 8.1990. Kölner Stadt-Anzeiger vom 27. 8.1990. FAZ vom 27. 8.1990. Osnabrücker Zeitung vom 27. 8.1990. Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt vom 28. 9.1990. Rheinischer Merkur vom 31. 8.1990.

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schung“1456 und die „Süddeutsche Zeitung“ die „spektakulärste Aquisition“, keinesfalls aber eine Verlegenheitslösung.1457 Er erlebe, so die „Neue Ruhr Zeitung“, obwohl er in der CDU bereits totgesagt worden sei, seinen „zweiten politischen Frühling“ und sei für die CDU ein „Glücksfall“. Sein Sachverstand sei unumstritten, und durch seine Leipziger Gastprofessur dürfe er sogar „heimischen Stallgeruch reklamieren“. Für Anke Fuchs werde die Kandidatur gegen Biedenkopf zum „Himmelfahrtskommando“.1458 An seiner Intelligenz, so die „Frankfurter Neue Presse“, habe bisher niemand gezweifelt, eher an seiner Klugheit. Er habe Kampagnen zur Unzeit entfesselt, wie etwa die im Bundestagswahlkampf 1976 gegen den DGB, oder revolutionäre Programme gegen starke Kräfte innerhalb der eigenen Partei vorgelegt. Mit solchen Aktionen verbinde sich sein Name. Persönlicher und parteipolitischer Solidarität ziehe er das Markenzeichen der Unbequemlichkeit vor. In Sachsen werde er aber nicht nur ungeduldig sein dürfen, wenn jemand zufällig nicht so schnell denke wie er. Er werde seine Ziele und die seiner Partei im Auge behalten und „sich als Politiker erweisen müssen“.1459 Am 27. August traf Biedenkopf Späth am Stuttgarter Flughafen, wo dieser ihm noch mal seine Unterstützung zusicherte. Am selben Tag stellte Reichenbach ihn auf einer Pressekonferenz als Kandidaten vor, und auch de Maizière gab nun seinen „Segen“. „Er schien sich“, so Biedenkopf, „dabei wohl zu fühlen“ und berichtete ihm, mit Kohl über seine Kandidatur gesprochen zu haben. Der Kanzler sei nicht begeistert gewesen, habe die Entscheidung aber akzeptiert.1460 Da nun die Würfel gefallen waren, regte auch Kolbe in München an, von bayerischer Seite Kontakte zum künftigen sächsischen Ministerpräsidenten aufzunehmen, um die Bindungen zwischen beiden Ländern zu vertiefen.1461 Noch vor seiner offiziellen Nominierung zum Spitzenkandidaten der sächsischen CDU äußerte sich Biedenkopf über die Gründe seiner Kandidatur und seine politischen Ziele. Im Deutschlandfunk erklärte er zum Problem des Westimports, ihm sei in Sachsen bislang vor allem Sympathie entgegengebracht worden. Er halte nicht viel vom Begriff „Import“, schließlich seien die Deutschen in Sachsen ebenso wenig Ausländer wie die Bewohner Nordrhein-Westfalens. Es gehe in der gegenwärtigen Situation um unerlässliche gegenseitige Hilfe. Die Menschen in der DDR wüssten besser als die Westdeutschen, was sie alles lernen müssten, um sich in einer hochentwickelten Industriegesellschaft und modernen Demokratie zurechtzufinden. Ihre Defizite seien kein Ausdruck von Unfähigkeit, sondern das Ergebnis einer vierzigjährigen Isolierung infolge der Teilung Europas und des „stalinistischen Unrechtssystems in der DDR“. Zur 1456 1457 1458 1459 1460 1461

Die Welt vom 27. 8.1990. Süddeutsche Zeitung vom 28. 8.1990. Neue Ruhr Zeitung vom 27. 8.1990. Frankfurter Neue Presse vom 27. 8.1990. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 306–308. Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Bericht vom 27.–31. 8.1990 (PB Manfred Kolbe).

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Frage der von der Bundesregierung nicht als notwendig erachteten Steuererhöhungen zur Finanzierung der deutschen Einheit verwies er darauf, deren Notwendigkeit bereits im März betont zu haben. Es sei selbstverständlich, dass die Westdeutschen für ein paar Jahre einen entsprechenden Beitrag von drei bis vier Prozent des Bruttosozialproduktes leisten müssten. Was die Menschen „im unfreiheitlichen Teil Deutschlands“ während der letzten vierzig Jahre erlitten hätten, sei das „Ergebnis des von uns allen verlorenen Krieges“. Er halte es für völlig undiskutabel, auch nur einen Gedanken darauf zu verschwenden, ob die Unterstützung geleistet werden müsse. Hilfe sei eine Selbstverständlichkeit. Die Situation bedeute eine Bewährung für Deutschland und „unsere Fähigkeit als Deutsche, füreinander einzustehen“. Als Ministerpräsident werde er selbstverständlich mit dem Bundeskanzler konstruktiv und auf die Zukunft gerichtet zusammenarbeiten. Meinungsverschiedenheiten in einer Volkspartei wie der CDU habe er immer als Vorteil für die Partei empfunden.1462 Zentrale Aussagen Biedenkopfs, die er auch an anderer Stelle immer wiederholte, waren, dass er die „bisherige Bundesrepublik“ bei der Finanzierung des Aufbaus der neuen Bundesländer zur Kasse bitten werde1463 und dass der Neuaufbau im Osten Deutschlands für ihn nicht nur eine Aufgabe der ehemaligen DDR-Bewohner, sondern aller Deutschen sei.1464 Bereits Anfang Januar 1990 hatte er einen Lastenausgleich der Bundesrepublik gegenüber der DDR gefordert, da beide Staaten von den Folgen der Teilung höchst unterschiedlich betroffen gewesen seien.1465 Noch vor seiner offiziellen Nominierung intensivierte Biedenkopf auch sein wirtschaftliches Engagement im Osten Deutschlands. Bereits am 14. August war er Aufsichtsratsvorsitzender des Leipziger Bau- und Gießereimaschinenwerkes Baukema und Aufsichtsratsmitglied der Bunawerke geworden, die sein Vater vor 50 Jahren als Technischer Direktor geleitet hatte. Am 30. August wurde er außerdem Aufsichtsratsvorsitzender der Heckmannwerk GmbH Heidenau, des ersten privatisierten Unternehmens in Sachsen.1466 Am 1. September fand im Dresdner Hygienemuseum der 2. Landesparteitag der sächsischen CDU statt, der wegen der Nominierung Biedenkopfs deutschlandweites Interesse fand.1467 Neben anderen Gästen erschien „mit großem Gefolge“ auch Lothar Späth, dem die Freude über Biedenkopfs Kandidatur ins Gesicht geschrieben stand, als er ganz selbstverständlich auf dem Podium Platz nahm. Der baden-württembergische Ministerpräsident und CDU-Landesvorsitzende ließ sich feiern, und, so die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, wohl mancher Delegierte bekam „Zweifel, wer denn nun eigentlich der neue Spitzenkandidat sei“. Nicht nur für Biedenkopf, auch für Späth schien der Erfolg in Sachsen 1462 1463 1464 1465 1466 1467

Interview Kurt Biedenkopf im Deutschlandfunk am 28. 8.1990. In: Deutschland 1990, Band 94, S. 241 f. FR vom 28. 8.1990. Handelsblatt vom 28. 8.1990. Vgl. Die Union vom 5.1.1990. Interview Kurt Biedenkopf. In: die tageszeitung vom 19. 9.1990. 2. Landesparteitag der CDU Sachsen am 1. 9.1990 (CDU-Landesgeschäftsstelle Sachsen, 2. Landesparteitag in Sachsen am 1. 9. 90).

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die „Rückkehr auf die große Bühne der Bundespolitik“ zu bedeuten.1468 die „tageszeitung“ wusste denn auch gleich zu berichten, dass am Rande des Parteitages die Vermutung diskutiert worden sei, mit Biedenkopfs Kandidatur in Sachsen und den daraus resultierenden innerparteilichen Machtkämpfen in der Bundes-CDU könnte eine „neue Runde der gesamtdeutschen Partei eingeläutet werden“.1469 CDU-Landesvorsitzender Klaus Reichenbach eröffnete den Landesparteitag und damit zugleich die aktive Phase des Wahlkampfs. Deutlich fiel sein Bekenntnis zu Biedenkopf aus: „Ich sage klar, die Zukunft Sachsens hat nur einen Namen: CDU und Kurt Biedenkopf.“ Mit ihm habe die sächsische CDU „einen hervorragenden Bewerber um das Amt des Ministerpräsidenten“ gewonnen. In einem „Eventualblock“ seiner Rede bat Reichenbach um ein persönliches Wort.1470 Er betonte, „mit ganzem Herzen“ hinter Biedenkopf zu stehen. Ihn habe persönlich sehr betroffen gemacht, wie „einige Leute mit Hilfe von gewissen Presseorganen“ versucht hätten, „einen Teil der Bürger unseres Landes beim Aufbau Sachsens auszugrenzen und eine Spaltung der CDU förmlich herbeizureden“. Er habe „großen Respekt vor denen, die unter Gefahr für Freiheit und Gesundheit auf der Straße den Wandel erstritten“ hätten, verwahre sich aber dagegen, dass „eine kleine Gruppe für sich in Anspruch“ nehme, zu bestimmen, wer am Aufbau Sachsens mitwirken dürfe und wer nicht.1471 Mit Spannung wurde vor allem die Rede Biedenkopfs erwartet. Er sprach über die von der DDR eingebrachte Identität und ihre Bedeutung für die weitere Entwicklung ganz Deutschlands. Es gebe in der Bundesrepublik viele, die glaubten, die Verwirklichung der Einheit laufe im Wesentlichen darauf hinaus, dass die DDR ein Teil der Bundesrepublik werde. Das sei ein Irrtum, weil tatsächlich ein neues Deutschland entstehe, in dem die Bundesrepublik genauso aufgehe wie die DDR. Die Ersten, die gemerkt hätten, dass sich auch in der Bundesrepublik vieles ändern werde, seien die Ministerpräsidenten der Länder gewesen, die deshalb mit einer Diskussion über die Stimmenverhältnisse im Bundesrat angefangen hätten. Sie hätten „plötzlich gemerkt, dass sich die ganzen eingespielten Seilschaften verändern“. Die Zweiten, die das merken würden, seien „die Betreiber von Seilschaften in der CDU“, denn ab dem 3. Oktober würden die bisherigen Seilschaften nicht mehr stimmen. Den Streit in der sächsischen CDU nannte er einen „befriedenden Vorgang“. Nun aber gehe es darum, dass die Kräfte in der Union auf gleiche Ziele hinarbeiten. Mit Hilfe seiner Person sollten nicht nur die politischen Spannungen in der CDU, sondern auch die zwischen den ehemaligen Bezirken zum Ausgleich kommen.1472 Seine Rede wurde 1468 1469 1470 1471 1472

FAZ vom 3. 9.1990. die tageszeitung vom 3. 9.1990. Unklar ist, ob er zum Vortrag kam, jedenfalls drückt er Reichenbachs Haltung aus. Redeentwurf für Herrn Minister Reichenbach. Begrüßung und Einleitung beim Landesparteitag im Hygienemuseum in Dresden am 1. 9.1990 (PB Klaus Reichenbach). Rede Biedenkopfs auf dem Landesparteitag am 1. 9.1990. Unkorrigierte Bandabschrift (CDU-Landesgeschäftsstelle Sachsen, 1. Landesparteitag am 3. 3.1990 Dresden) (HAIT, KA, 67). Vgl. Die Union vom 1./2. 9.1990.

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durchweg positiv aufgenommen. Die „Süddeutsche Zeitung“ meinte, Biedenkopf habe „mit seiner ganzen politischen Brillanz und rhetorischen Bravour“ geglänzt: „Unter seiner gekonnt einschmeichelnden Rede schmolz der Parteitag förmlich dahin. Sogar sächseln konnte der Mann, der auch bereits mancherlei Landeskenntnisse verriet.“1473 Auch der „Stuttgarter Zeitung“ war es die Notiz wert, dass Biedenkopf „zur Freude der Delegierten für einen Halbsatz ins Sächsische“ fiel.1474 Tatsächlich gelang es Biedenkopf sofort, ein sächsisches Image zu vermitteln, das ihm vielleicht auch deswegen abgenommen wurde, weil sein Vater in Chemnitz geboren worden war, er selbst von 1938 bis 1945 in Schkopau gelebt und dort die Volksschule besucht hatte.1475 Klaus Husemann erinnert sich, dass ihm die Delegierten „nach dieser Rede zu Füßen“ lagen.1476 De Maizière nutzte den Parteitag zu einer nochmaligen Abrechung mit der Vaatz-Gruppe. Die sächsische CDU verfüge über „Freunde, die sich mit der Erneuerung unserer Partei in den Dienst der Politik stellten“. Ihre Dynamik habe der Partei wichtige Schubkraft vermittelt. Aber selbst Laien wüssten, „dass Kräfte, die etwas voran bringen wollen, in eine Richtung wirken müssten und nicht gegeneinander. Zur Demokratie gehöre zwar die sachlich faire Auseinandersetzung, es liege aber „zuviel Arbeit vor uns allen, als dass wir es uns leisten könnten, die Kräfte in pharisäerischer Eigenprofilierung zu verschleißen“. Er wünschte den Sachsen, „dass sie im Wahlkampf alle zusammenfinden, einander gelten lassen und die gemeinsame Verantwortung über das Trennende stellen“. Biedenkopf, so de Maizière, sei keine Notlösung, sondern ein Glücksfall. Mit ihm werde in Sachsen ein Mann vorne stehen, der universelles Wissen und politische Erfahrung mit Integrationskraft und ausgewiesenen Führungsqualitäten verbinde. Klaus Reichenbach zeigte sich beim Landesparteitag erleichtert. Er sei „heilfroh“, nicht als Spitzenkandidat antreten zu brauchen: „Vielleicht wäre ich der Sache noch nicht gewachsen gewesen. Es wäre für mich ein Spiel um alles oder nichts geworden.“ Als Vorsitzender des Landesverbandes gebe er Biedenkopf seine volle Unterstützung, Kriegsbeile seien nun begraben. Er teilte mit, dass er auf Wunsch von Bundeskanzler Kohl künftig in Bonn arbeiten werde.1477 Zwar bestand nicht erst seit seiner Rede kein Zweifel an der Wahl Biedenkopfs, dennoch hatte Biedenkopf einen heimlichen Gegenkandidaten. Schon im Vorfeld des Nominierungsparteitages wusste der Bundestagsabgeordnete Dirk Bierling zu berichten, dass es einen Herausforderer aus den Reihen der CDUAltfunktionäre gebe, und zwar Bertram Wieczorek, einen Facharzt aus Auerbach im Vogtland.1478 Der Journalist Markus Lesch1479 wusste zu berichten, 1473 1474 1475 1476 1477 1478 1479

Süddeutsche Zeitung vom 3. 9.1990. Stuttgarter Zeitung vom 3. 9.1990. Interviews Kurt Biedenkopf. In: die tageszeitung vom 19. 9.1990 und Freie Presse vom 26. 9.1990. Interview Klaus Husemann. Zit. in Die Welt vom 3. 9.1990. Wieczorek wurde später Parlamentarischer Staatssekretärs im Bundesumweltministerium und Vorstandsvorsitzender der Berliner Abwasserbetriebe. Heute Pressesprecher im Sächsischen Staatsministerium der Finanzen.

Kandidaten für Amt des Ministerpräsidenten

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dass Biedenkopf rechtzeitig gewarnt worden sei,1480 er selbst erklärte auf Anfrage, von einer entsprechenden Gegenkandidatur nichts zu wissen.1481 Nach Darstellung Wieczoreks sollte er zunächst „auf Betreiben des Kanzleramtes“ und de Maizières Kandidat für das Ministerpräsidentenamt in Brandenburg werden. De Maizière sollte demnach als CDU-Landesvorsitzender gleichzeitig als Bundesminister nach Bonn gehen. Dieser Plan sei an Peter-Michael Diestel gescheitert, der wegen eigener Ambitionen „heftigst intervenierte“. Danach habe man im engen Führungszirkel de Maizières, zu dem Wieczorek nach eigenem Bekunden zählte, einen Sturz Reichenbachs durch Vaatz zu verhindern gesucht. Auch er sei der Meinung gewesen, dass Reichenbach „seine Chance bekommen“ sollte. Als dessen Rücktritt von der Kandidatur jedoch feststand, habe ihn der sächsische CDU-Volkskammerabgeordnete Reiner Jork darüber informiert, dass die Gruppe der sächsischen CDU-Volkskammerabgeordneten „übereinstimmend zu der Auffassung gekommen“ sei, ihn beim 2. Landesparteitag zur Kandidatur gegen Biedenkopf aufzufordern. Man habe jemanden ins Rennen schicken wollen, „der Erfahrung hat, aus Sachsen kommt und in Sachsen Politik macht“. Er habe sich dem nicht grundsätzlich verweigert, aber auf dem Parteitag, als er „merkte, wo der Hase lang läuft, gesagt, ihr braucht mich nicht vorschlagen, ich werde nicht aufgestellt“. Biedenkopf habe eine so „fulminante Rede“ gehalten, dass ihm klar gewesen sei, dass er keine Chance habe.1482 So erhielten nur wenige Delegierte überhaupt Kenntnis vom Versuch einiger Altkader, Biedenkopfs Kandidatur in letzter Minute zu verhindern. Zu ihnen gehörte Matthias Rößler, der meinte, die Altfunktionäre um Jork und Wieczorek hätten „sich schlicht nicht getraut“.1483 Auch Kajo Schommer erinnert sich, dass Wieczorek noch Anfang September „gehandelt“ wurde.1484 Klaus Reichenbach behauptet, die Aktion sei „mehr oder weniger“ an ihm vorbeigelaufen,1485 was die Deutung nahe legt, er habe zumindest davon gewusst. Berthold Rink, wie Wieczorek Mediziner aus dem Vogtland, erklärte, er habe von der Aktion überhaupt nichts erfahren. Das Thema sei auch im Landesvorstand niemals diskutiert worden. Im Übrigen könne er sich auch nicht vorstellen, dass es in der sächsischen CDULandesgruppe in der Volkskammer „auch nur überlegt“ worden sei. Zwar habe es einige Kandidaten gegeben, über die in diesem Zusammenhang diskutiert wurde, dabei habe aber der Name Wieczorek keine Rolle gespielt.1486 Keine Rolle spielte Wieczorek jedenfalls bei der Wahl auf dem Dresdner Landesparteitag, wo Biedenkopf mit „fast volksdemokratischer Mehrheit“1487 von 97,37 Prozent (260 von 268 gültigen Stimmen) zum Spitzenkandidaten für das 1480 1481 1482 1483 1484 1485 1486 1487

Vgl. Lesch, Die CDU-Reformer in Sachsen, S. 43. Interview Kurt Biedenkopf. Interview Bertram Wieczorek. Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003. Interview Kajo Schommer. Interview Klaus Reichenbach. Interview Berthold Rink. Süddeutsche Zeitung vom 3. 9.1990.

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Politische Entwicklungen vor Einigungsvertrag

Amt des Ministerpräsidenten gewählt wurde. Biedenkopf erklärte dazu: „Es bedeutet für mich die Einbürgerung in Sachsen.“1488 Nach Meinung der „Süddeutschen Zeitung“ hatte sich Biedenkopf gerade deshalb durchsetzen können, weil er über keine Hausmacht in der sächsischen CDU verfügte,1489 ein Umstand, aus dem sich im künftigen Amt als Ministerpräsident freilich Probleme ergeben konnten. Zwei Tage nach seiner Nominierung stattete Biedenkopf Kohl im Bundeskanzleramt einen Besuch ab, um die Modalitäten des Wahlkampfes zu besprechen.1490 Dabei erläuterte er dem Kanzler auch die Dringlichkeit weiterer Finanzhilfen für die neuen Bundesländer.1491 Auch an anderer Stelle wiederholte er nun immer wieder, Steuererhöhungen seien im Zusammenhang der Einheit unvermeidlich.1492 Angesichts der Tatsache, dass Kohl seiner Kandidatur im Gegensatz zu der Geißlers zunächst ablehnend gegenübergestanden hatte, versicherte er sich hier der Unterstützung Kohls. In seinem Tagebuch ist zu lesen: „Nichts mehr von Animosität. Er habe meine Kandidatur unterstützt und sei entschlossen, alles zu tun, um ihr zum Erfolg zu verhelfen. Uns verbinde das gleiche Interesse, er sei zur dauerhaften Zusammenarbeit bereit.“1493 Der Presse erklärte er wenig später, „von Anfang an die volle Unterstützung von Helmut Kohl“ erhalten zu haben. Welche Bedeutung sie für ihn hatte, macht seine Äußerung deutlich, ohne Rückendeckung Kohls „hätte ich es nicht gemacht“.1494 „Die Aussicht, in Sachsen zum Ministerpräsidenten gewählt und damit Kohls Partner im Bundesrat zu werden, hat unser Verhältnis neu gestaltet.“1495 Kohl erinnert sich, dass er ihm beim rund einstündigen Gespräch „jedwede Unterstützung“ zusagte, ein Versprechen, das er durch sein Engagement im Wahlkampf auch einlöste.1496 Klaus Reichenbach hatte bereits im August die Offerte erhalten, trotz CDULandesvorsitz als Staatssekretär für die neuen Länder ins Bundeskanzleramt nach Bonn zu wechseln. „Leider“, so Kohl, „war das Personalangebot aus den neuen Bundesländern nicht sehr groß, und wir hatten nur wenige Minister und Staatssekretäre aus dem Gebiet der ehemaligen DDR in unserer Regierung.“1497 Nach der Nominierung Biedenkopfs intensivierten sich nun die Spekulationen über Reichenbachs politische Zukunft. Die Deutsche Presse-Agentur wusste schon Ende August zu berichten, ihm solle „zum Ausgleich offenbar ein Amt in Bonn angeboten werden“.1498 Als es Mitte September tatsächlich so weit war, 1488 1489 1490 1491 1492 1493 1494 1495 1496 1497 1498

Zit. in Die Welt vom 3. 9.1990. Süddeutsche Zeitung vom 3. 9.1990. Zum Wahlkampf siehe Kap. 7.1.1. Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 4. 9.1990. Interview Kurt Biedenkopf. In: Westfälische Rundschau vom 24. 9.1990. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 316 f. Zit. in Bonner Rundschau vom 26. 9.1990. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 318. Kohl, Mein Tagebuch, S. 121 f. Zum Wahlkampf siehe Kap. 7.1.1. Interview Helmut Kohl. dpa vom 25. 8.1990.

Kandidaten für Amt des Ministerpräsidenten

Bild 6:

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Klaus Reichenbach und Kurt Biedenkopf im September 1999 in Chemnitz.

mutmaßten, wie zuvor Biedenkopf selbst, dpa-Korrespondenten, Kohl sehe im sächsischen CDU-Landesvorsitzenden Reichenbach „den idealen Mann, Bonner Positionen in die sächsische Union hineinzutragen und so den Einfluss seines einstigen Generalsekretärs und Widersachers Biedenkopf zu begrenzen“.1499 In Bonn gehörte er ab Mitte September als Ostvertreter zur Wahlkampfmannschaft im Kanzleramt. Aber kaum in der Bundeshauptstadt gelandet, setzte eine neue Pressekampagne gegen ihn ein. Mitte September 1990 nannten die „Berliner Zeitung“, die „Dresdner Morgenpost“ und „Bild am Sonntag“ im Zusammenhang mit Stasi-Vorwürfen gegen verschiedene Minister auch seinen Namen. Da er nie IM des MfS gewesen war, wies er die Vorwürfe zurück. Außerdem wurde das Bundeskanzleramt nun aus Dresden zusätzlich mit Protestbriefen gegen Reichenbach eingedeckt. Da absehbar war, dass er nicht aus der politischen Schusslinie geraten würde, verabschiedete sich Kohl von seiner Absicht, ihm in einer gesamtdeutschen Regierung ein Amt anzubieten. Stattdessen erhielt Rudolf Seiters die undankbare Aufgabe, ihm noch vor der Bundestagswahl zu er-

1499

dpa vom 14. 9.1991.

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Politische Entwicklungen vor Einigungsvertrag

klären, dass er von seinen Aufgaben im Bundeskanzleramt entbunden sei.1500 Allerdings wurde er im Dezember 1990 Bundestagsabgeordneter, ins Präsidium der Bundes-CDU gewählt und blieb CDU-Landesvorsitzender. Als er auch letztere Funktion im September 1991 aufgeben musste, erklärte er gegenüber der Presse, er werde an Grundsätzen gemessen, die in vierzig Jahren Demokratie und Freiheit entstanden seien. Wenn man „diese moralische Elle“ künftig an die neuen Länder anlege, werde es „eine ganz schlimme Sache“.1501 5.4.2 Parteienentwicklungen und -fusionen im Vorfeld der Landtagswahl1502 Fusion CDU/DA: Der Anfang des Jahres 1990 begonnene Prozess der Polarisierung und Adaptierung an das bundesdeutsche Parteiensystem1503 setzte sich im Sommer des Jahres fort. Im Demokratischen Aufbruch (DA)1504 strebte man nach den Kommunalwahlen Anfang Mai in Dresden auch für die Landtagswahlen eine Listenverbindung nach dem Vorbild der „Demokratischen Union“ mit „Deutscher Forum-Partei“ (DFP) und CDU an. Am 10. Mai boten DA und DFP dem Landesvorstand der CDU ein solches Bündnis auch für die Landtagswahlen an. Nach einem Kandidatenschlüssel sollte die CDU 67, DFP und DA zusammen 33 Prozent der erreichten Sitze erhalten.1505 Für diese Verbindung hatten die Dresdner auch die Rückendeckung von DA-Generalsekretär Wolf-Dieter Beyer. Allerdings riet dieser ab, die Listenverbindung erneut „Demokratische Union“ zu nennen, gebe man damit doch den eigenen Namen auf.1506 Dieser Kurs der Eigenständigkeit wurde auch auf einer Vorstandssitzung am 26. Mai bestätigt.1507 In Dresden fand am 5. Juni eine erste Mitgliederversammlung des DA nach den Kommunalwahlen statt. Hier wurde über die Einberufung einer Landesdelegiertenkonferenz zur Bildung eines sächsischen Landesverbandes und über mögliche Listenverbindungen zur Landtagswahl beraten. Vier Varianten standen zur Diskussion: 1. die „Demokratische Union“ aus DA, CDU und DFP wie bei den Kommunalwahlen, 2. ein Bündnis aus DSU, DA und DFP ohne die CDU, wobei hierfür ein eigener profilierter Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten notwendig war, 3. ein breites Bündnis zwischen CDU, DA, DFP und DSU sowie schließlich 4. ein Bündnis zwischen DA und DFP. Hans

1500 1501 1502 1503 1504 1505 1506 1507

Interview Klaus Reichenbach. Interview Klaus Reichenbach. In: Freie Presse vom 16. 9.1991. Zum Wahlkampf der Parteien siehe Kap. 7.1.1. Vgl. dazu Kap. 3.2.4. Vgl. Urich, Die Bürgerbewegung, S. 395–409; Fiedler, Demokratischer Aufbruch, S. 64–66. Brief des DA und der DFP an den CDU-Landesvorstand Sachsen vom 10. 5.1990 (PB Wieland Orobko). Wolf-Dieter Beyer vom 4. 5.1990 (HdG, Projektgruppe Leipzig, Rasch 23). DA-Kurzinformation 3/90 (PB Wieland Orobko).

Parteienentwicklungen vor der Landtagswahl

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Geisler empfahl zudem eine Listenverbindung zwischen CDU und DA.1508 Helmut Münch unterstützte die Idee einer „Allianz für Sachsen“ aus CDU, DSU und DA.1509 Landessprecher Horst Rasch schlug vor, den DA mit der Vereinigung von Ost- und West-CDU in der dann gesamtdeutschen CDU aufgehen zu lassen, um so den Eindruck zu vermeiden, man fusioniere mit der bisherigen Blockpartei. Alternativ dachte er an ein Zusammengehen mit der DFP, wobei in diesem Fall der Name „Demokratischer Aufbruch“ beibehalten werden sollte.1510 Deutliche Kritik wurde an der uneinheitlichen und diskontinuierlichen Haltung der DA-Zentrale in Berlin geübt.1511 Schon im Mai war es zwischen Dresden und Berlin zu Auseinandersetzungen über die zukünftige Orientierung des DA gekommen. Während in Berlin vor allem Rainer Eppelmann auf eine weitere Eigenständigkeit und sogar europäische Ausdehnung des DA setzte, orientierte man in Dresden auf eine schnelle Wiedervereinigung. Im Juni kam es deshalb erneut zum Streit, in dessen Folge der Dresdner DA-Vertreter, Matthias Rößler, aus dem DDR-Vorstand zurückgezogen und damit gedroht wurde, Sachsen und Thüringen würden der Bundesrepublik nach Artikel 23 des Grundgesetzes im Alleingang beitreten. Der DA Sachsen verstärkte seitdem seine Aktivitäten im Koordinierungsausschuss zur Bildung des Landes Sachsen, um so den sächsischen Sonderweg zu unterstreichen. Ebenso wurden die schleppenden Verhandlungen über eine Fusion mit der CDU kritisiert, an denen weder Eppelmann noch Beyer sonderliches Interesse hatten und die vor allem von CDU-Generalsekretär Volker Rühe und in Sachsen von CDU-Vertretern aus Baden-Württemberg sowie von Vaatz vorangetrieben wurden.1512 Wäre es nach dem DA in Dresden gegangen, hätte die Fusion viel früher erfolgen müssen.1513 Immerhin beschloss der DA-Vorstand am 22. Juni, schnellstmöglich Verhandlungen über einen Eintritt des DA als Arbeitskreis in der CDU aufzunehmen.1514 Nach einem Treffen der drei DA-Bezirksvorstände Chemnitz, Leipzig und Dresden verabredeten diese für den 23. Juni die Bildung eines Landesverbandes. Hier berichtete Beyer über den nun eingeschlagenen Kurs des DA in Berlin in Richtung CDU. Hans Geisler betonte die Wichtigkeit des Weges in eine „politisch relevante Partei“ und der Bildung eines Arbeitskreises DA in der CDU.1515 Die Landesdelegiertenkonferenz wählte Horst Rasch zum ersten Landesvorsitzenden des DA in Sachsen. Dem Vorstand gehörten zudem für den Bezirk Dres1508 1509 1510 1511 1512 1513 1514 1515

Handschriftliche Notizen von Dietmar Franke vom 5. 6.1990 (HdG, Projektgruppe Leipzig, Franke 35). Interview Matthias Reichenbach am 15. 7. 2003. Handschriftliche Notizen von Horst Rasch vom 31. 5.1990 (HdG, Projektgruppe Leipzig, Franke 35). Horst Rasch an die Mitglieder im Bezirk Ostsachsen und an den Hauptvorstand des DA vom 10. 5.1990 (ebd., 36). Interviews Matthias Rößler am 27.1.1997 und 24. 4. 2003. Protokoll des Sonderparteitags des DA am 4. 8.1990 (ACDP, VII-012–035). Protokoll der Vorstandssitzung des DA vom 22. 6.1990 (ebd. 3505). Protokoll der Landesdelegiertenkonferenz des DA zur Gründung des LV Sachsen am 23. 6.1990 in Dresden (HdG, Projektgruppe Leipzig, Rasch 38).

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den Helmut Münch und Matthias Rößler, für Leipzig Petra Guse, Dagobert Janitschke und Karl Wruck und für Chemnitz Roland Naumann, Wieland Orobko und Uta Nordsiek an.1516 Wesentliches Thema der Landesdelegiertenkonferenz war die Vorbereitung der Landtagswahl. Gerd Medger überbrachte die Grüße des CDU-Landesvorstandes, Norbert Müller die der DFP. Müller stellte fest, dass sich sowohl die DFP als auch der DA am Scheideweg befänden, da es in beiden Parteien sowohl christdemokratische als auch liberale Strömungen gebe. Die Entscheidung über den künftigen Kurs müsse möglichst noch vor den Landtagswahlen fallen, sei dies doch die letzte Gelegenheit, die demokratischen Kräfte zu bündeln. Beyer räumte ein, dass bei der Diskussion um eine Fusion mit der CDU inzwischen machtpolitisches Kalkül in den Vordergrund getreten sei. Seitens der Bundes-CDU werde Handlungsbedarf angemeldet, weswegen man für den 25. Juni ein Gespräch mit Ost-CDU-Generalsekretär Martin Kirchner verabredet habe, dem am 30. Juni eine Sitzung des Hauptvorstandes folge. Im Falle einer Einigung werde ein Sonderparteitag einberufen. Im Hinblick auf die bevorstehenden gesamtdeutschen Wahlen müsse man den Weg in eine „politisch relevante Partei“ anstreben. Wichtig sei, dass innerhalb der CDU ein Arbeitskreis DA entstehe, um eine schleichende Auflösung des DA zu verhindern und die sozialen und ökologischen Zielstellungen, mit denen man im Herbst angetreten sei, weiter vertreten zu können. Auch Münch sprach sich für eine Bündelung der liberalen und der konservativen Kräfte aus. Nach der Delegiertenkonferenz betonte Rasch, dass auch er aufgrund der programmatischen Nähe ein Bündnis mit der CDU bevorzuge, aber zugleich für die Offenhaltung der Option einer Listenvereinigung von DA, DFP und DSU plädiere. Diese Bündnisoption biete die Chance, dem Vorwurf des kritiklosen Zusammengehens mit „halbgewendeten“ Blockparteien zu entgehen.1517 Am 30. Juni diskutierten Hauptausschuss und Vorstand des DA erneut über die Zukunft der Partei. Hier sprach sich Helmut Münch als sächsischer Vertreter für eine Liste von DA, DSU und DFP aus, „um die stalinistische CDU an schwächster Stelle zu packen“, und plädierte dafür, das Profil des DA zu wahren. Ungeachtet dessen beschloss der Hauptausschuss, die Fusion mit der CDU vorzubereiten und die Landesverbände aufzufordern, ab dem 9. Juli mit den CDU-Landesverbänden Gespräche über den Beitritt auf Landesebene zu führen.1518 Am 3. Juli entsprach die Führung der Ost-CDU dem Anschlussersuchen, danach informierte Beyer die Mitglieder über den Stand der Fusionsverhandlungen.1519 Ungeachtet der nun klaren Vorgaben aus Berlin beriet der DA-Landesverband Sachsen am 6. Juli nochmals mit Vertretern von DSU und DFP über mögliche Optionen. Hermann Henke, Peter Berauer und Jachmann von der DSU setzten 1516 1517 1518 1519

Ebd., 39. Ebd., 38. DA: Fusion mit der CDU (ACDP, VII-012–3505). Innerparteiliche Information von DA-Generalsekretär Wolf-Dieter Beyer, o. D. (HdG, Projektgruppe Leipzig, Rasch 58).

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sich nochmals für ein Bündnis zwischen DA, DSU und DFP ein. Eine solche Listenverbindung könne erheblichen Einfluss auf den Wahlkampf gewinnen, seitens der CSU könne mit Unterstützung beim Wahlkampf gerechnet werden. Berauer und Jachmann berichteten, auf dem DSU-Parteitag hätte sich die Mehrzahl der Delegierten von einem allgemein registrierten Rechtsruck in der Partei distanziert. Rasch regte daraufhin an, die DSU solle eine Pressemitteilung herausgeben, um ihre Haltung zur Oder-Neiße-Grenze und ihr Verhältnis zu HansWilhelm Ebeling und Peter-Michael Diestel in der Öffentlichkeit richtig zu stellen.1520 Beyer und Münch berichteten über die Verhandlungen zwischen dem DA und der CDU. Die Bundes-CDU habe bislang keine konkreten Aussagen über eine Fusion mit dem DA gemacht.1521 Um die Frage des Wahlbündnisses zu klären und Kandidaten für die Wahlen zu nominieren, berief der Landesvorstand für den 28. Juli eine Mitgliedervollversammlung des sächsischen DA ein. In seinem Einladungsschreiben vom 15. Juli erklärte Rasch, der Vorstand habe mehrfach Verhandlungen mit DSU und DFP geführt. Es sei zu erwarten, dass sich beide Parteien auf die beabsichtigte Listenverbindung orientieren werden. Ausgelöst durch den Hauptausschussbeschluss zur Fusion mit der CDU, habe er den sächsischen CDU-Landesvorsitzenden gebeten, im Falle eines ernsthaften Interesses Vorschläge zu den Bedingungen einer Fusion zu unterbreiten. Zur DA-Vorstandssitzung am 13. Juli sei aber weder ein Vertreter des CDU-Landesvorstandes erschienen, noch habe eine schriftliche Erklärung vorgelegen. Somit sehe der Vorstand keinen Hinderungsgrund, in der kommenden Woche eine endgültige Vereinbarung mit DSU und DFP zu verhandeln.1522 Auf einer Vorstandssitzung des DA in Berlin am 23. Juli berichtete Beyer, selbst bis zuletzt Gegner einer Fusion mit der CDU,1523 dass in Sachsen eine Listenverbindung mit der CDU abgelehnt werde und eine „Allianz für Sachsen“ aus DA, DSU und DFB bestehen bleiben solle.1524 Nach Meinung Orobkos war die Zurückhaltung im Landesvorstand auch damit zu erklären, dass die Mehrheit der Altfunktionäre nicht danach drängte, mit dem DA zu verhandeln, um nicht die ReichenbachGegner um Vaatz mitten im Streit um die Auswahl eines Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten weiter zu stärken.1525 So war es kein Wunder, dass vor allem Vaatz auf eine Fusion mit dem DA drängte, ging es doch darum, „neues Potential in die CDU“ zu holen. In Dresden gab es über die „politische und strategische Nähe“ der neuen CDU-Kräfte zu denen aus DA, SPD oder DSU hinaus eine personelle Verbindung von neuen CDU-Mitgliedern und führenden DA-Politikern innerhalb der Vaatz-Gruppe, die „faktisch nicht mehr zu 1520 1521 1522 1523 1524 1525

Vgl. dazu den Abschnitt über die DSU im gleichen Kapitel. Protokoll über die Beratung des Landesvorstandes des DA Sachsen am 6. 7.1990 in Dresden (HdG, Projektgruppe Leipzig, Franke 41). Ebd., 42. Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003. Vgl. Dresdner Neueste Nachrichten vom 6.12.1991. Protokoll der Vorstandssitzung des DA vom 23. 7.1990 (ACDP, VII-012–3505). Interview Wieland Orobko.

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Politische Entwicklungen vor Einigungsvertrag

trennen“ war. Geringer war die Neigung zur Fusion hingegen bei Beyer und Rasch, die gern am eigenen Projekt „Demokratischer Aufbruch“ festgehalten hätten. Auch im Leipziger DA war die Neigung gering, sich der CDU anzuschließen. Hier hatte bis zu seinem Austritt aus dem DA der linke Flügel eine wichtige Rolle gespielt, dem verbliebenen Rest gelang es nicht mehr, sich innerhalb des sächsischen DA zu profilieren.1526 Ungeachtet dessen forderte die Leipziger Geschäftsstelle des DA den Vorstand in Berlin auf, „eine Missbilligung an den DA Dresden wegen unabgestimmter Gesprächsführung mit der CDU“ auszusprechen.1527 So war das Verhältnis der DA-Verbände in den Bezirken auch in der Frage des Verhältnisses zur CDU eher von Streit und Rivalitäten als von einem Zusammenwachsen geprägt.1528 Für den 28. Juli hatte der DA eine Gesamtmitgliederversammlung einberufen, die basisdemokratisch über künftige Bündnisse und mögliche Fusionen entscheiden sollte. Öffentlich wurde der Eindruck verbreitet, ein Bündnis von DA mit DFP und DSU stehe auch angesichts des Desinteresses des CDU-Landesvorstandes kurz bevor. Das setzte Klaus Reichenbach unter Druck, wäre doch ein Alleingang der CDU in Sachsen gegenüber Berlin und Bonn kaum erklärbar gewesen. Dem Landesvorstand blieb daher keine Wahl, als die Partei über die Gruppe um Vaatz hinaus für weitere neue Kräfte zu öffnen. Vor diesem Hintergrund kam es am 27. Juli, dem Vorabend der Gesamtmitgliederversammlung des DA, in letzter Minute zur Einigung zwischen dem Landesvorstand des DA und dem Präsidium des Landesvorstandes der CDU, die für den DA überraschend gut ausging. Grundlage der Einigung waren die Fusions-Richtlinien beider DDR-Parteivorstände. Auf dem Verhandlungstisch lag zur Kenntnis und Mahnung die Vereinbarung über eine Listenvereinigung von DA, DFP und DSU, bei der die DSU allerdings klar die Regie geführt hätte. Sie beanspruchte 58 der insgesamt 79 Kandidaten für sich, während sie dem DA nur 14 und der DFP gar nur sieben Kandidaten zubilligte. Auf der Liste beanspruchte die DSU die Plätze zwei, fünf bis neun und elf. Die übrigen Plätze sollten nach folgendem Schlüssel vergeben werden: drei für die DSU, einer für den DA, einer für die DFP, zwei für die DSU, einer für den DA, zwei für die DSU und so weiter. Für die gesamtdeutschen Wahlen sollte entweder eine gemeinsame Partei gegründet werden oder DA und DFP sollten die Kandidaten der DSU unterstützen.1529 Bei den Verhandlungen mit der CDU drängte Matthias Rößler, seit der Volkskammerwahl selbst entschiedener Vertreter des Beitritts des DA zur CDU, auf möglichst viele aussichtsreiche Plätze auf der CDU-Landesliste und forderte immer wieder die Plätze drei, sieben, elf sowie in Fünferschritten jeden weiteren. Unterstützung erhielt er dabei von Vaatz.1530 Nach der Vereinbarung zwischen 1526 1527 1528 1529 1530

Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003. Protokoll der Vorstandssitzung vom 23.7.90 (ACDP, VII-012–3505). Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003. Vereinbarung über eine Listenverbindung zwischen DSU, DA und DFP zur Landtagswahl in Sachsen (HdG, Projektgruppe Leipzig, Rasch 55). Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003.

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den Landesvorständen von CDU und DA wurden drei Mitglieder in den Landesvorstand kooptiert, davon eines zusätzlich in das Präsidium. Am Vereinigungsparteitag der CDU am 1./2. Oktober in Hamburg sollten fünf DA-Mitglieder als Delegierte teilnehmen. Für die sächsischen Landtagswahlen empfahl das Präsidium der CDU allen Kreisverbänden, ein Mitglied des DA als Direktkandidaten zu nominieren. Entscheidend war Punkt Fünf der Vereinbarung, in dem das Präsidium der CDU, wie von Rößler gefordert, dem Demokratischen Aufbruch die Plätze drei, sieben, elf und fünfzehn auf der Landesliste zusagte. Bei einem Wahlsieg der CDU und der Bildung einer Regierung wurde dem DA zugesichert, dass bei einem Wahlergebnis ab dreißig Prozent für die CDU ein Mitglied des DA für einen Ministerposten und weitere fünf als höhere Beamte der Landesregierung Berücksichtigung finden sollten. Voraussetzung für das Inkrafttreten dieser sechs Punkte war, dass mindestens vierhundert Mitglieder des DA beim Fusionsvorgang in die CDU eintreten würden. Das war knapp, denn entgegen früherer Prophezeiungen zählte zum Beispiel der DA im Bezirk Chemnitz im Juli 1990 gerade einmal 162 Mitglieder, von denen aber nicht alle in die CDU wechseln wollten.1531 Die Realisierung der vorgenannten Vereinbarung wurde an die Bedingung geknüpft, dass die bisher konzipierte Listenvereinigung „Allianz für Sachsen“ aus DSU, DA und DFP nicht zustande kommen würde. Die Entscheidung darüber sollte auf der Mitgliederversammlung am nächsten Morgen getroffen werden. Das Präsidium des Landesvorstandes der CDU erklärte, es verspreche sich vom Beitritt des DA „progressive und kompetente Kräfte, die in der Revolution 1989 entscheidend mitgewirkt haben“ und mit denen sich die politische Glaubwürdigkeit der CDU erhöhen werde. Die Vereinbarung wurde von Klaus Reichenbach und Helmut Münch unterzeichnet.1532 Nach Darstellung Beyers, der an den Fusionsverhandlungen beteiligt war, hatte die vorherige Arbeit des Parteivorstandes den Weg für die Einigung bereitet. Nachdem de Maizière sich zunächst gesträubt habe, dem DA günstige Konditionen einzuräumen, habe man diese durch Verhandlungen mit dem CDUBundesvorsitzenden durchsetzen können. Kohl war angesichts des noch kaum verblassten Images der Ost-CDU als „Blockflöte“ unbedingt daran interessiert, den Einfluss des DA in der CDU zu stärken. Seine Forderung nach entsprechender Unterstützung wurde über die Parteivorstände schließlich in die Kreisverbände „durchgestellt“ und war „die entscheidende Grundlage“ für die Verhandlungen auf Landes- und Kreisebene.1533 Wie de Maizière stand Reichenbach dieser Politik skeptisch gegenüber. Aus seiner Sicht war es „ein absoluter Witz“, dass der DA hochrangige Positionen im Landesvorstand besetzen konnte, ob1531 1532

1533

DA, Regionalverband Westsachsen: Parteimitglieder im Bezirk Chemnitz, 4. 7.1990 (PB Wieland Orobko). Für Dresden und Leipzig lagen keine Zahlen vor. Protokoll der Aussprache zwischen dem Landesvorstand des DA Sachsen und dem Präsidium der CDU des Landesvorstandes Sachsen am 27. 7.1990 (Dok. 109); Festlegungsprotokoll des Präsidiums des Landesvorstandes der CDU Sachsen am 27. 7. 1990 (CDU-Landesgeschäftsstelle Sachsen, Protokolle und Festlegungen vom 28.3.– 10. 9.1990). Interview Wolf-Dieter Beyer.

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wohl nach seiner Schätzung in Sachsen insgesamt rund 150 DA-Mitglieder in die CDU wechselten.1534 Im sächsischen DA jedenfalls freute man sich über das gute Ergebnis, mit dem so keiner gerechnet hatte.1535 Trotz des damit intendierten positiven Signals ging auf der Mitgliederversammlung des DA am nächsten Tag der Beschluss zum Eintritt in die CDU eher knapp aus. Von den 70 abgegebenen Stimmen waren 36 dafür, 22 für eine Listenverbindung mit der DSU und der DFP, 10 Delegierte enthielten sich, und 2 Stimmen waren ungültig.1536 Bei der anschließenden Nominierung der Landtagskandidaten erhielt Helmut Münch die meisten Stimmen, Matthias Rößler kam nach Stichwahl auf Rang zwei, Horst Rasch auf drei, gefolgt von Dietmar Franke, Wolf-Dieter Beyer, Wieland Orobko, Karlheinz Bauer, Ingrid Preuße, Manfred-Gerhard Böttcher und Tilo Kempe. Zur Kooptierung in den CDU-Landesvorstand wurden Münch, Rößler und Beyer bestimmt, Münch wurde zusätzlich Mitglied des CDU-Präsidiums.1537 Damit hatte der DA den großen Spagat von der völligen Ablehnung der Ost-CDU zum Beitritt vollzogen. Am 4. August beschloss der DA auf einem Sonderparteitag mit 75 Prozent der Stimmen die Fusion mit der CDU.1538 Er stellte es den Kreisverbänden, die dies nicht mittragen wollten, frei, als „Bürgerinitiative Demokratischer Aufbruch sozial & ökologisch“ oder als „Freie Wählergemeinschaft sozial & ökologisch“ weiterzuarbeiten.1539 Am 8. August begrüßte der bisherige sächsische DA-Landesvorsitzende Rasch die Fusion mit der CDU. Man habe dies in Dresden viel eher gewollt, sei aber an Eppelmann gescheitert.1540 Für Hans Geisler ist es „bis heute ein Wermutstropfen“, dass man mit der Ost-CDU fusionieren musste, weil Kohl einen direkten Anschluss an die Bundes-CDU aus politischem Kalkül ablehnte.1541 Der Landesvorstand des DA beschloss in seiner Beratung am 20. August die Abwicklung der Partei und den Übergang in die CDU. Der Arbeitskreis Demokratischer Aufbruch in der CDU sollte auch auf Landesebene aktiv werden,1542 was aber nur für kurze Zeit gelang. In Sachsen befürwortete die Mehrheit der Mitglieder die Fusion mit der CDU. Etwa ein Drittel ging in die DSU,1543 andere traten aus oder plädierten für die Bildung einer Bürgerbewegung DA. Einige Kreisverbände machten von der Möglichkeit Gebrauch, eigenständig zu blei1534 1535 1536 1537 1538 1539 1540 1541 1542 1543

Interview Klaus Reichenbach. Interview Wieland Orobko. Protokoll der Mitgliederversammlung des LV Sachsen des DA am 28. 7.1990 in Dresden (ACDP, VII-012–3509). Protokoll über die Beratung des Landesvorstandes am 20. 8.1990 (HdG / Projektgruppe Leipzig. Objekt Rasch 41). Vgl. Umfrage an alle DA-Mitglieder in Sachsen vom 1. 8.1990 (PB Wieland Orobko). Beschluss des DA vom 4. 8.1990 (HdG, Projektgruppe Leipzig, Rasch 60). Vgl. Information Nr. 5/90 an die Mitglieder des DA vom 14. 8.1990 (ebd., 64). Ebd., 61. Vgl. Jäger/Walter, Allianz, S. 147. Interview Horst Rasch. In: Die Union vom 8. 8.1990. Interview Hans Geisler. In: Kleimeier, Sachsen, S. 51. Protokoll der Beratung des Landesvorstandes Sachsen des DA am 20. 8.1990 (HdG, Projektgruppe Leipzig, Rasch 41). Protokoll der Hauptausschusssitzung des DA vom 31. 8.1990 (ACDP, VII-012-3505).

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ben. So gründete der ehemalige Kreisverband in Pirna eine Bürgerbewegung „Demokratischer Aufbruch“. Als Kreisverband war man hier „der geschlossenen Meinung“, als unabhängige Bürgerbewegung mehr für Städte und Gemeinden bewerkstelligen zu können. Kein Interesse hatte man, in einer „Massenpartei“ wie der CDU unterzugehen, zumal diese im Kreis Pirna „mit stalinistischen Mitteln und Methoden“ weiterhin versuche, „ihre alte Politik voranzutreiben“.1544 Ungeachtet solcher Einzelfälle wurden alle DA-Mitglieder, die nicht austraten, automatisch CDU-Mitglieder.1545 Viele sahen sich dabei, wie etwa in Leipzig Günter Kleinschmidt, vor die Alternative gestellt, entweder „im Rahmen der CDU etwas in der Politik zu bewegen oder gar nichts mehr, denn der DA war zum Auslaufmodell geworden“. Für ihn kam daher, „wenn auch mit Bauchgrimmen“, nur die CDU infrage. In Leipzig fiel der durch den frühen Austritt des linken Flügels ohnehin stark dezimierte DA nach dem Fusionsbeschluss endgültig auseinander. Einige Mitglieder wechselten zur CDU, andere zur DSU oder beendeten ihre politische Tätigkeit.1546 Am 1. September fasste der 2. Landesparteitag der CDU, auf dem Kurt Biedenkopf zum CDU-Kandidaten für das Amt des sächsischen Ministerpräsidenten gewählt wurde, den Beschluss der Mitgliederversammlung des Landesverbandes Sachsen des DA vom 28. Juli über ihren Zusammenschluss mit dem Landesverband Sachsen der CDU mit Wirkung vom 1. September zur Kenntnis zu nehmen und die Gesamtrechtsnachfolge des Landesverbandes Sachsen des DA anzutreten.1547 Fusion von DFP und CDU: Auch in der „Deutschen Forum-Partei“ (DFP) gab es Bestrebungen einer Fusion mit der CDU. Am 7. Juli trug Alexander Schintlmeister das „Anliegen der DFP zur Fusion mit der CDU vorab einer Beschlussfassung“ vor. Die Mitglieder des Präsidiums (Reichenbach, Metz, Rink, Schramm, Medger, Vaatz, Terp) sprachen sich dafür aus. Alle weiteren Schritte sollten nach Beschlussfassung durch die Landesverbände festgelegt werden. Für Mandate wurde keine Zusagbe gegeben.1548 Am 10. August baten Jörg Wildoer1549 und Norbert Müller von der DFP das CDU-Präsidium darum, Mitglieder der DFP in den Landesverband der CDU zu übernehmen. Das CDUPräsidium erklärte seine Bereitschaft zur Übernahme einzelner Mitglieder, wiederholte aber auch seine Bereitschaft zur Fusion.1550 1544 1545 1546 1547 1548 1549 1550

Schreiben der Bürgerbewegung „Demokratischer Aufbruch“ Pirna vom 19. 8.1990 (HdG, Projektgruppe Leipzig, Franke 47). Brief an alle ehemaligen Mitglieder und Freunde des DA vom 27. 9.1990 (PB Beate Bartsch). Interview Günter Kleinschmidt. Beschluss über den Zusammenschluss des LV Sachsen der CDU mit dem LV Sachsen des DA vom 1. 9.1990 (PB Beate Bartsch). CDU Landesverband Sachsen. Landessekretär. Festlegungsprotokoll über die im Anschluß des Landesvorstandes stattgefundene Beratung des Präsidiums des CDU-Landesverbandes Sachsen am 7. 7.1990 (ACDP, VII-012, 3915). Hier Wildow genannt. Festlegungsprotokoll zur Beratung des Präsidiums des Landesvorstandes der CDU Sachsen am 10. 8.1990 (PB Klaus Reichenbach). Weitere Informationen lagen nicht vor.

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Fusion von CDU und DBD: Auch die Führung der „Demokratischen Bauernpartei Deutschlands“ (DBD) diskutierte nach ihren enttäuschenden Ergebnissen bei den Kommunalwahlen im Mai 1990 über den weiteren Weg der Partei.1551 Sie führte Sondierungsgespräche mit der CDU, der DSU, dem DA, der FDP, DFP und dem BFD1552 und beschloss schließlich den Anschluss an die CDU.1553 Das Präsidium des CDU-Hauptvorstandes vereinbarte daraufhin am 17. Juni auf deren Antrag, mit der DBD über einen Beitritt zu verhandeln. Den Orts-, Kreis- und Landesverbänden wurde empfohlen, Mitarbeiter der DBD in die legislative und exekutive Arbeit der jeweiligen Ebene zu integrieren. Mit Beschluss vom 25. Juni empfahl der Vorstand der DBD daraufhin den Mitgliedern den Übertritt zur CDU. Die Einigung sollte von der Basis ausgehen und jedes Mitglied den Entschluss für sich selbst treffen.1554 In der sächsischen DBD gab es Kritik am Beschluss zur Fusion mit der CDU. Die Basis, so hieß es, sei nicht gefragt worden. Der CDU-Landesvorstand hatte zuvor den Fusionsbeschluss des DBD-Parteivorstandes begrüßt.1555 Nach Schätzungen der CDU vollzogen diesen Schritt rund 30 000 der insgesamt etwa 80 000 DBD-Mitglieder. Drei DBD-Volkskammerabgeordnete wechselten zur SPD. Bis Ende Juli trat ein Drittel der DBD-Parteigliederungen auf Ortsebene zur CDU über. Bei einer Beratung der sächsischen Landesvorstände von CDU und DBD erklärten die DBDVertreter, es sei damit zu rechnen, dass in Sachsen ca. 8 000 Bauernparteimitglieder zur CDU überwechselten. Ausgehend davon forderten sie einen Anteil von 42 Delegierten beim Landesparteitag am 1. September und von neun Delegierten beim Bundesparteitag in Hamburg, auf dem der Beitritt der Ost-Landesverbände zur Bundes-CDU vollzogen werden sollte. Acht ehemalige DBDMitglieder sollten in den Landesvorstand aufrücken, davon ein stellvertretender Landesvorsitzender und ein Präsidiumsmitglied. Außerdem verlangten sie eine Aufnahme in die Landesliste für den Landesparteitag in die 5. Reihe und eine Verständigung zur Nominierung für den Bundestag.1556 Seitens der neuen Kräfte in der CDU wurde die Fusion von CDU und DBD kritisch beurteilt, verschlechterten sich doch dadurch im CDU-Landesvorstand die Mehrheitsverhältnisse zugunsten der alten Kräfte, auch wenn die DBD-Vertreter hier ihre Vorstellungen von einem erheblichen Einfluss in der Führung der CDU keinesfalls verwirklichen konnten.1557 Bei den Neuen galten „die Bauernparteileute“ als „noch 1551 1552 1553 1554

1555 1556 1557

Vgl. Richter, Zur Entwicklung der Ost-CDU, S. 249 f. Vgl. ND vom 25. 5.1990. VII. Tagung des Parteivorstandes der DBD am 26. 6.1990: Antrag des Präsidiums an den Parteivorstand (ACDP, VII-012–3528). Pressestelle des Parteivorstandes der DBD – Informationsdienst – Beschluss der 6. Tagung des Parteivorstandes der DBD am 25. 6.1990: Drei Argumente zum Beschluss des Parteivorstandes vom 25. 6.1990 (ebd.). Vgl. Bauern Echo vom 26. und 30. 6.1990. Vgl. Die Union vom 12. 7.1990. Festlegungsprotokoll zur Beratung des Präsidiums des Landesvorstandes der CDU Sachsen am 10. 8.1990 (PB Klaus Reichenbach). Interviews Arnold Vaatz am 16. 4. 2003 und Berthold Rink.

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einen ganzen Zahn schärfer als die schwierigsten CDU-Funktionäre“. Gegen sie, so Rößler, war „jeder traditionelle CDU-Funktionär liberal und flexibel“.1558 Am 15. September beendete eine Zentrale Delegiertenversammlung der DBD die politische Arbeit der Partei.1559 Der geschäftsführende stellvertretende Vorsitzende der CDU, Horst Korbella, und der amtierende Vorsitzende der DBD, Ulrich Junghans, unterzeichneten vertragliche Vereinbarungen zur Ausgestaltung der Gesamtrechtsnachfolge der DBD durch die Ost-CDU, in denen unter anderem die Übernahme der Beschäftigten der DBD durch die CDU geregelt war.1560 Zwar hatte man die Forderungen auf Präsenz in den Führungsgremien der sächsischen CDU nicht verwirklichen können, im Gegensatz zum DA gelang es der DBD aber, 13 Mitglieder über die CDU-Landesliste in den Landtag zu delegieren. Aus dem DA zog nur Dietmar Franke über die CDU-Landesliste in den Landtag ein, Beyer, Münch, Rasch und Rößler konnten einen eigenen Wahlkreis erobern. Aus der DBD gelangte nur Karl Sachse über den Wahlkreis Torgau in den Landtag. Der CDU-Landesvorstand räumte der DBD also wesentlich günstigere Konditionen bei den Landtagswahlen ein als dem DA, konnte man sich hier doch einer Verstärkung der „alten Reihen“ sicher sein. So kann es auch kaum verwundern, dass von den 14 Landtagsabgeordneten die Hälfte zu Zeiten der Diktatur Funktionen auf Kreis-, Bezirks- und DDR-Ebene innehatte.1561 DSU:1562 Die Entwicklung der DSU hatte für die Situation im neu entstehenden Sachsen insofern Bedeutung, als damit unmittelbar das Verhältnis der bayerischen CSU und der von ihr gestellten Staatsregierung verbunden war. Manche Entwicklung im Zusammenhang der Länderbildung wäre wohl anders gelaufen, hätte die CSU ähnlich intensive Kontakte zur sächsischen CDU aufgebaut, wie dies von Stuttgart aus geschah. Dabei stand die Situation der sächsischen DSU im untrennbaren Zusammenhang mit der DSU-Entwicklung in der DDR insgesamt. Nach dem schlechten Abschneiden der Partei bei der Volkskammerwahl am 18. März berichtete der „Parlamentarisch-Politische Pressedienst“ in Bonn am 17. April unter Berufung auf CSU-Führungskreise in München, die CSU plane eine Fusion mit der DSU. Im Blick auf die künftige eigenständige Rolle als gesamtdeutscher Partei sei von der CSU-Zentrale der Austritt aus der Allianz für Deutschland angeregt worden. Die CSU wolle bei gesamtdeutschen Wahlen landesweit antreten.1563 Offensichtlich stieß man damit aber bei DSU-Chef Hans-Wilhelm Ebeling, der die DSU auch als Partner der Bundes-CDU ansah, auf taube Ohren. Am 19. April erklärte dieser, die 1558 1559 1560 1561 1562 1563

Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003. Zentrale Delegiertenversammlung der DBD am 15. 9.1990 in Borkheide: Antrag des Präsidiums des Parteivorstandes der DBD auf Vollendung des Zusammenschlusses der DBD mit der CDU (ACDP, VII-012–3521). Vertragliche Vereinbarungen zur Ausgestaltung der Gesamtrechtsnachfolge der DBD durch die CDU vom 15. 9.1990 (ebd.). Vgl. Tab. 12 im Anhang. Vgl. ausführlich Urich, Die Bürgerbewegung, S. 365–370. Vgl. Die Union vom 18. 4.1990.

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DSU sehe keine Veranlassung, sich aus der Allianz für Deutschland zu lösen. Ebenso wenig werde es eine Umbenennung in CSU geben.1564 Stattdessen setzte er sich für eine Fraktionsgemeinschaft mit der CDU in der Volkskammer und damit für eine Annäherung beider Parteien ein. Dies lehnte jedoch wiederum CSU-Chef Theo Waigel ab und riet stattdessen, die DSU mit Unterstützung der CSU als eigenständige Kraft in Konkurrenz zur CDU zu profilieren.1565 Von nun an kollidierten die unterschiedlichen Vorstellungen über den künftigen Weg der Partei ständig miteinander und führten zu einer weiteren Begrenzung der ohnehin bescheidenen politischen Wirkungsmöglichkeiten der Partei. In der DSU standen sich die Vertreter einer Fusion mit der CSU und die einer Annäherung sowohl an die CDU als auch an die CSU gegenüber. In der CSU-Führung hatte die unbotmäßige Haltung der DSU-Führung ein nachlassendes Engagement zur Folge, bevor die Unterstützung überhaupt richtig einsetzte. Aber auch hier gab es keine einheitliche Linie, und der Kurs Waigels wurde weder in der Staatskanzlei noch im Innenministerium wirklich mitgetragen.1566 Kolbe meint, die CSU habe die DSU „nie richtig unterstützt“, seit man erkannte, dass ihre Chancen begrenzt waren. Zwar habe man formal weiter an ihrer Seite gestanden, um den Einfluss der CSU im vereinten Deutschland nicht unnötig zu schmälern, dem habe aber keine ausgefeilte und konsequent angewandte Strategie zugrunde gelegen, vielmehr habe es sich um ein „unrealistisches Wunschdenken“ gehandelt.1567 Bei den Kommunalwahlen kam die DSU über Achtungserfolge nicht hinaus. In Dresden zahlte sich ein intensiver Wahlkampf noch am ehesten aus. Die Deutsch-Sozialen erreichten elf von 120 Sitzen und wurden damit hinter CDU, PDS und SPD viertstärkste Fraktion im Stadtparlament.1568 Auch nach den Kommunalwahlen war die Bereitschaft der DSU-Führung gering, sich allein auf die CSU zu fixieren. Mitte Mai erklärte der Fraktionsvorsitzende der DSU in der Volkskammer, Hansjoachim Walther, die DSU-Basis wünsche keine Fusion mit der CSU. Eine eigenständige DSU sei notwendig, um bei gesamtdeutschen Wahlen eine Mehrheit für die bürgerlichen Parteien zu sichern.1569 Am 2. Juni einigte sich Theo Waigel mit dem Bundesvorstand der DSU in Leipzig darauf, dass die DSU bei der kommenden Bundestagswahl nur auf dem Gebiet der DDR antritt, dies jedoch in enger Partnerschaft mit der CSU.1570 Noch hofften die Parteivorstände von CSU und DSU durch gute Ergebnisse bei den Landtagswahlen und bei der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl ihren Einfluss auf die politische Landschaft in den neuen Ländern und damit des Bundes zu verstärken. Das Verhältnis von CDU und CSU zur DSU spielte auch auf dem Dresd1564 1565 1566 1567 1568 1569 1570

Vgl. ebd. vom 19. 4.1990. Vgl. Jäger/Walter, Allianz, S. 175 f. Vgl. dazu Kap. 5.3.8. Interview Manfred Kolbe am 16. 5. 2003. Vgl. Urich, Die Bürgerbewegung, S. 368. Die Union vom 17. 5.1990. Vgl. ebd. vom 5. 6.1990.

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ner Landesparteitag der DSU am 23. Juni eine zentrale Rolle. Als Gäste sprachen hier unter anderem der deutschlandpolitische Sprecher der CDU/CSUBundestagsfraktion, Eduard Lintner, sowie Albert Prinz von Sachsen Herzog zu Sachsen, der den Willen zur Übernahme politischer Verantwortung im künftigen Land Sachsen bekräftigte. Lintner sprach von der „geistig-programmatischen Partnerschaft CSU-DSU“ und erklärte, „unter den speziellen Bedingungen der DDR mit der CDU als ehemaliger Blockpartei“ müsse es eine eigenständige DSU geben. Er „glaube, dass es im konservativen Wählerbereich Platz für die CDU und für die DSU gibt, ähnlich wie es sich in der Bundesrepublik mit der Rollenverteilung von CDU und CSU“ darstelle. Eine Partei wie die DSU, welche sich „etwas schärfer und dezidierter artikuliert“, sei durchaus „vonnöten, um auch jene anzusprechen, deren Gesinnung patriotisch oder national“ sei. Hansjoachim Walther erklärte, man sei in der DSU „in der übergroßen Mehrheit gern bereit, mit unserer Schwesterpartei, der CSU, enger zusammenzuarbeiten, bis hin zu einer Vereinigung“. In dieser Frage seien derzeit Gespräche mit der CSU-Führung im Gange. Landesvorsitzender Koch beklagte organisatorische Schwierigkeiten und teilte mit, die DSU zähle in Sachsen rund 6 000 Mitglieder. Neben einführenden Worten beschränkte sich der Parteitag auf die Wahl eines Vorsitzenden, wobei sich der bisherige Landesvorsitzende Norbert Koch mit 71 gegen 66 Stimmen gegen Jürgen Schwarz durchsetzte.1571 Richtungsstreit und Personalquerelen führte auf dem DDR-Parteitag der DSU am 30. Juni in Leipzig-Markkleeberg in Anwesenheit Waigels zu einer Eskalation. Hansjoachim Walther wurde in einer Kampfabstimmung gegen Hubertus Nowack zum neuen Bundesvorsitzenden der DSU gewählt, Nowack schaffte es nicht einmal; erster Stellvertreter zu werden, er wurde von Jürgen Schwarz aus Dresden verdrängt. Peter-Michael Diestel erklärte daraufhin seinen Austritt aus der Partei und behauptete, Walther unterhalte Kontakte zu rechtsradikalen Parteien. Unmittelbar nach dem Parteitag traten Hans-Wilhelm Ebeling, Hubert Nowack, Dieter Schwarze und Generalsekretär Ralph Schick aus der DSU aus. Sie begründeten ihren Schritt mit einem Rechtsruck in der Partei, der sich unter anderem in der Ablehnung der Erklärung zur Oder-Neiße-Grenze in der Volkskammer ausdrücke. Walther wurden Kontakte zu den Republikanern unterstellt.1572 CSU-Generalsekretär Erwin Huber erklärte daraufhin, die CSU dulde keinerlei rechtsradikale Kontakte. Zur Trennung von der DSU sehe er aber derzeit keinen Anlass.1573 Der Fraktionssprecher in der Volkskammer, Jürgen Schwarz, nannte die Austritte ein „reinigendes Gewitter“. Die Dresdner Bezirksvorsitzende, Birgit Zander, dementierte, dass in Folge der Austritte der Führungsperso-

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Tages- und Geschäftsordnung des Landesparteitages der DSU Sachsen am 23. 6. 1990 in Dresden (PB Manfred Kolbe); Dritte Dienstreise zur Einrichtung des Informationsbüros des Freistaates Bayern in Dresden am 22./23. 6.1990 (ebd.); Die Union vom 25. 6.1990. Vgl. Berliner Zeitung vom 2. 7.1990, FAZ vom 3. 7.1990. Zit. in Die Union vom 3. 7.1990.

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nen zahlreiche Mitglieder die Partei verlassen hätten.1574 Dass die CSU eine Begrenzung der DSU auf das Gebiet der DDR wünschte, wurde deutlich, als sie am 6. Juli eine einstweilige Verfügung gegen eine Gruppierung erwirkte, die in Düsseldorf mit dem Namen DSU eine Ausdehnung auf das Gebiet der Bundesrepublik erreichen wollte. CSU-Chef Waigel erklärte dazu, das Thema Ausweitung der DSU sei ein für alle Mal erledigt.1575 Bereits im April hatte die CSU aus namensrechtlichen Gründen vorsorglich in der Bundesrepublik eine DSU gründen lassen. Sie wurde im oberbayerischen Weilheim mit Wissen und Billigung der DDR-DSU in das Vereinsregister eingetragen. CSU-Sprecher Peter Hausmann erklärte nochmals, die CSU trete nur in Bayern an, die DSU nur in der DDR.1576 Die Richtungskämpfe beschränkten sich aber nicht nur auf die DSU selbst, die in ihrer Namensgebung bereits ein Entgegenkommen an bayerische Wünsche bedeutete, es gab auch CSU-Anhänger, die eine authentische CSU in der DDR schaffen wollten und sich gerade mit diesem in München nicht unterstützten Wunsch in einen unlösbaren Widerspruch zur authentischen bayerischen CSU begaben. Am 10. Juli kam es zu einem ersten Treffen des neugegründeten CSU-Landesverbandes Sachsen in Auerbach im Vogtland. Die eigentliche Gründung war eine Woche zuvor im kleinen Kreis von Kreis- und Ortsvorsitzenden erfolgt. Die Landesversammlung mit 250 Teilnehmern bestätigte einstimmig den 62-jährigen Industriekaufmann Manfred Helbig als Vorsitzenden. Nach eigenen Angaben verfügte die CSU in Sachsen über rund eintausend Mitglieder und zwanzig bis dreißig Ortsgruppen. Helbig kündigte an, er werde am 25. Juli mit Waigel und Walther zusammentreffen. Erwin Huber kritisierte, dass es neben der DSU in der DDR eine CSU gebe.1577 Am 13./14. Juli fand in Nürnberg ein Parteitag der CSU statt. Auf dem sonst sehr durchorganisierten Treffen gab es „zur großen Verärgerung der Parteitagsführung“ hinsichtlich des Verhältnisses zur DSU heftige Diskussionen.1578 Waigel plädierte hier für eine weitere Unterstützung der DSU und forderte die CSU-Gruppen in der DDR auf, sich der DSU anzuschließen. DSU-Chef Walther kündigte vor den Delegierten an, mit Zustimmung Rühes bei den kommenden Wahlen auch in West-Berlin antreten zu wollen.1579 Die Entwicklung der DSU in Sachsen war maßgeblich durch die Gesamtentwicklung in der DDR und das Verhältnis zur CSU bestimmt. Hier gab es unter anderem vom stellvertretenden Dresdner Regierungsbevollmächtigten, Matthias Reichenbach (DSU), und von Helmut Münch (DA) getragene Überlegungen, im Landtagswahlkampf analog der erfolgreichen „Allianz für Deutschland“ aus CDU, DSU und DA eine „Allianz für Sachsen“ unter Einschluss der DFP zu bilden. Hintergrund war auch hier das bereits im Frühjahr reflektierte Konzept 1574 1575 1576 1577 1578 1579

Vgl. ebd. vom 11. 7.1990. Vgl. ebd. vom 6. 7.1990. Vgl. ebd. vom 7./8. 7.1990. Ebd. vom 12. 7.1990. Hermann Henke beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. Vgl. Die Union vom 14./15. 7.1990.

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der Bildung einer neuen Union für Sachsen, mit deren Hilfe man sich von der früheren Blockpartei abgrenzen bzw. deren Einfluss relativieren wollte. Freilich scheiterte der Versuch, die Idee an Waigel heranzutragen. In der CSU-Führung setzte man eher auf einen Kurs der Abgrenzung von Biedenkopf im Wahlkampf, sodass auch Überlegungen, die Allianz als Vorstufe einer Fusion von DSU und CDU in Sachsen zu konzipieren, hinfällig wurden.1580 Ohnehin hatte man seitens des CDU-Landesverbandes angesichts des guten Abschneidens bei den Volkskammer- und Kommunalwahlen der Idee einer Listenverbindung zur Landtagswahl frühzeitig eine Absage erteilt und einen entsprechenden Antrag des DA und der DFP zurückgewiesen. Bereits am 19. Mai hatte der Landesvorstand festgelegt, „dass zur Landeswahl keinerlei Listenvereinigungen eingegangen werden“.1581 Auch Biedenkopf hatte wenig Ambitionen mit der DSU zu kooperieren, die sich im Wahlkampf deutlich von ihm abgrenzte. Sein Verhältnis zur CSU war ohnehin getrübt, seit Franz Josef Strauß einmal erklärt hatte, „diesem Bürscherl“ erst mal „Kunstdünger in die Schuhe schütten“ zu wollen.1582 Aber auch seitens der CSU gab es wenig Interesse an Allianzen, war sich die CSU doch sicher, so Streibl am 30. Juli, dass die DSU zusammen mit der CSU „im vereinten Deutschland eine wichtige, ja ich möchte sagen eine ausschlaggebende Rolle spielen“ werde.1583 SPD: Der 1. konstituierende Landesparteitag der SPD am 26. Mai in Chemnitz machte mit seinen Differenzen zwischen Chemnitz, Dresden und Leipzig deutlich, dass die alte DDR-Bezirksstruktur noch fest in den Köpfen verankert war. Vorsitzender wurde der Chemnitzer SPD-Bezirkschef, Michael Lersow, der sich gegen seine Dresdner und Leipziger Mitkonkurrenten Karl-Heinz Kunckel und Ernst Benedict durchsetzte.1584 Die Leipziger Vertreter unterstützten, nachdem Benedict unterlegen war, Lersow, um den Dresdner Kunckel zu verhindern.1585 Bereits auf der Landesvorstandssitzung am 25. Juni war die bevorstehende Landtagswahl zentrales Thema. Der Leipziger Bezirksgeschäftsführer Nikolaus Voss wurde SPD-Landeswahlkampfleiter, und es wurden Arbeitskreise eingesetzt, die ein „Wahlprogramm für das Land Sachsen“ erarbeiten sollten. Bis zum 23. Juli hatten die SPD-Bezirksverbände Listenvorschläge vorzulegen. Für die Spitzenpositionen der Landesliste wurden Landesvorsitzender Lersow und seine Stellvertreter vorgeschlagen.1586 Nach Lersows Meinung kam es auch hier zu Rivalitäten zwischen den Bezirken, die verhinderten, dass sich der Ver1580 1581 1582 1583 1584 1585 1586

Interview Matthias Reichenbach am 15. 7. 2003. CDU LV Sachsen. Landessekretär. Festlegungsprotokoll zur Landesvorstandssitzung am 19. 5.1990 in Leipzig (ACDP, VII-012, 3915). Zit. in Wirtschaftswoche vom 19.10.1990. Interview Max Streibl. In: Süddeutsche Zeitung vom 30. 7.1990. Protokoll des Landesparteitages Sachsen der SPD am 26. 5.1990 (AdSD, SPD-LV Sachsen, SPD-Unterbezirk Leipzig, Signatur 59 [vorläufig]). Vgl. Lersow, Von der Bürgerbewegung, S. 39. Interview Peter Adler. Protokoll der SPD-Landesvorstandssitzung am 25. 6.1990 (AdsD Bonn, SPD-LV Sachsen, Protokolle).

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treter eines Bezirkes durchsetzen konnte.1587 Stattdessen beschloss eine Mehrheit des Landesvorstandes mit zehn gegen acht Stimmen, prominente SPDWestpolitiker zur Kandidatur aufzufordern. Gedacht war an den früheren Ersten Bürgermeister Hamburgs, Klaus von Dohnanyi, den nordrhein-westfälischen Sozialminister Hermann Heinemann, SPD-Bundesgeschäftsführerin Anke Fuchs, den ehemaligen Bundesminister Hans Apel sowie SPD-Bundesschatzmeister Hans-Ulrich Klose. Lersow erhielt den Auftrag, zuerst mit Klaus von Dohnanyi, dann mit Anke Fuchs und schließlich mit Hermann Heinemann Verhandlungen aufzunehmen.1588 Er berichtete daraufhin am 9. Juli, er habe bei einem Besuch in München „betreff eines Kandidaten für den Spitzenplatz auf der Landesliste Schritte unternommen“.1589 Am 18./19. Juli ging es bei einer SPD-Tagung in Bernau um die Marschrichtung im Wahlkampf. Hier wurde berichtet, dass Nicolaus Voss als Wahlkampfleiter fungieren und der Landesparteirat am 27. Juli den Spitzenkandidaten bestimmen werde. Strittig war, ob Westpolitiker als Spitzenkandidaten fungieren sollten. Da die Entscheidung für einen Westkandidaten im sächsischen SPD-Landesvorstand bei einer knappen Hälfte der Vorstandsmitglieder auf wenig Gegenliebe stieß, wurde hier betont, dass in Sachsen kurzfristig eine Entscheidung fallen müsse, ob „Import oder DDR-Spitzenkandidat“.1590 Das Problem löste sich zunächst dadurch, dass alle drei Wunschkandidaten absagten. Daraufhin entschied sich der Landesparteirat bei der Aufstellung der Landesliste am 27. Juli für eine reine „Ost-Liste“. Spitzenkandidat wurde nun Michael Lersow (10 Stimmen), auf den Plätzen zwei und drei folgten Kunckel (7 Stimmen) und Johannes Kehl (1 Stimme).1591 Damit war Leipzig auf den Spitzenplätzen nicht vertreten. In Chemnitz verabschiedete der Parteirat auch ein Wahlkampfprogramm.1592 Hatte man sich nach den Absagen aus dem Westen gerade auf eine rein sächsische Spitzenmannschaft verständigt, platzte plötzlich aus Bonn die Information herein, Anke Fuchs werde auf Drängen Oskar Lafontaines doch kandidieren. „Dieser Ruf“, so Lersow, hatte „nichts, aber auch gar nichts mit der sächsischen SPD zu tun“. Fuchs sei „wie aus heiterem Himmel“ präsentiert worden, „obwohl demokratisch gesehen alles gewählt war“ und man so „eine demokratische Botschaft“ an die Bevölkerung hätte versenden können. Stattdessen gab es „negative demokratische Botschaften“, die nach Lersows Meinung nicht ohne Folgen für das Wahlverhalten der Bevölkerung blieben. Obwohl für ihn die Haltung der Bundes-SPD nicht nachvollziehbar war, er spricht gar vom Versagen der Führung der Bundes-SPD, setzte er sich im Sinne der Parteiräson für Anke Fuchs 1587 1588 1589 1590 1591 1592

Interview Michael Lersow. Protokoll der SPD-Landesvorstandssitzung am 25.6.1990, Verschlussprotokoll (AdsD Bonn, SPD-Landesverband Sachsen, Protokolle); Interview Michael Lersow. Protokoll der SPD-Landesvorstandssitzung Sachsen am 9. 7.1990 (AdSD, SPD-LV Sachsen, Protokolle). 3. SPD-Workshop am 18./19. 7.1990 in Bernau: Vorbereitung Landtagswahl (ebd.). Wahlprotokoll zur Reihung der Kandidaten für den sächsischen Landtag vom 27. 7. 1990 (ebd., Landesvorstand 1990–92). Wahlkampfprogramm der sächsischen SPD vom 27. 7.1990 (Dok. 106).

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ein. Er habe ihre Kandidatur zwar nach Kräften befürwortet, machte aber auch keinen Hehl daraus, dass er sie zu einem früheren Zeitraum mehr unterstützt und „auch innerlich dahinter gestanden“ hätte.1593 Auch Adler meint, die Art, wie es zum Vorschlag kam, habe Defizite im demokratischen Meinungsbildungsprozess offenbart.1594 Jedenfalls berichtete „Die Union“ am 4./5. August, für die SPD seien in Thüringen der Fraktionschef im Landtag von Nordrhein-Westfalen, Friedhelm Farthmann, und für Sachsen Bundesgeschäftsführerin Anke Fuchs im Gespräch. Farthmann habe bereits ein entsprechendes Angebot vom thüringischen SPD-Landesvorsitzenden Bernd Brösdorf erhalten und seine Bereitschaft signalisiert. Fuchs habe ihre Ablehnung nach einem Gespräch mit dem SPD-Vorsitzenden noch einmal überdacht. „Nach langen Gesprächen im Familienrat und intensiven Beratungen mit Oskar Lafontaine“,1595 so ließ sie dem sächsischen SPD-Landesvorstand am 6. August ausrichten, werde sie für die Landesliste der SPD in Sachsen als Spitzenkandidatin zur Verfügung stehen.1596 Daraufhin wurde die Wahlliste noch einmal geöffnet und Fuchs erhielt in einer weiteren Sitzung des Landesparteirates am 13. August ein einstimmiges Votum der 15 anwesenden Mitglieder.1597 Zwar übten sich die Kreisvertreter in Parteidisziplin, von Zufriedenheit konnte jedoch keine Rede sein. Lersow erinnert sich, dass Fuchs zwar einstimmig gewählt wurde, allerdings „mit danach stattfindenden furchtbaren Diskussionen, wie schlimm es wäre, dass sie doch kandidiere“.1598 Auch Fuchs selbst war wenig begeistert, lag es doch auf der Hand, dass nach den Niederlagen der SPD bei der Volksammerwahl und den Kommunalwahlen bei den bevorstehenden Landtagswahlen „keine Lorbeeren zu ernten“ sein würden.1599 Konnte sie anfangs noch auf eine Kandidatur Reichenbachs hoffen, hatte sie auch nach eigener Überzeugung gegen Biedenkopf keine Chance: „An seinem Wahlsieg gab es zu keinem Zeitpunkt einen Zweifel, nur über die Höhe hatten die Wähler noch zu entscheiden.“ Sie trat somit in erster Linie an, um der SPD einen Achtungserfolg zu verschaffen. Was Reichenbach im Wahlkampf erwartet hätte, machte sie mit dem Vorwurf deutlich, er habe noch im September 1989 „ein flammendes Bekenntnis zum Stalinismus“ abgelegt.1600 Nun aber musste sie gegen Biedenkopf antreten, weswegen sie nur mit einer „Rückfahrkarte nach Bonn“ in der Tasche bereit war, in den sächsischen Wahlkampf zu ziehen.1601 Sie kündigte an, im Fall einer Niederlage Bundesgeschäftsführerin der SPD zu bleiben, eine Funktion, die sie seit 1987 ausfüllte. Diese Aussagen minderten wiederum ihre Wahlchancen. Günter Neumann, seit 1593 1594 1595 1596 1597 1598 1599 1600 1601

Interview Michael Lersow. Interview Peter Adler. Fuchs, Mut zur Macht, S. 174. Protokoll der SPD-Landesvorstandssitzung am 6. 8.1990 in Leipzig (AdSD, SPD-LV Sachsen, Protokolle). Protokoll der erweiterten SPD-Landesvorstandssitzung am 13. 8.1990 (ebd.). Interview Michael Lersow. Fuchs, Mut zur Macht, S. 174. Zit. in Die Union vom 10.10.1990. Siehe Kap. 5.4.1. Fuchs, Mut zur Macht, S. 177 f.

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Januar 1990 Vorsitzender des SPD-Bezirksverbandes Dresden, meint, er habe die Kandidatur „überhaupt nicht so richtig ernst genommen“.1602 Peter Adler, seit Juli Vorsitzender des SPD-Bezirksverbandes Ost-Sachsen, stand, wenn auch als einziger im Dresdner Bezirksvorstand, der Kandidatur deswegen ebenfalls kritisch gegenüber. Zwar habe er ihre Ehrlichkeit in dieser Frage geschätzt, dennoch sei es falsch gewesen, dies so zu verkünden. Damit habe sie ein „tief verwurzeltes Empfinden“ der DDR-Bewohner getroffen, wonach „Besucher aus dem Westen“ einige Tage blieben und dann zurück in die Bundesrepublik fuhren. Im Westen sei ein solches Prozedere vielleicht ein normaler Vorgang gewesen, nicht aber im Osten: „Wir wollten, dass jemand zu uns kommt und hier bleibt.“ Hier habe Biedenkopf „das ganz große Plus“ gehabt, durch seine Lehrtätigkeit in Leipzig ein Bekenntnis zum Osten abgelegt zu haben. Das sei ihm freilich deswegen nicht schwer gefallen, weil er inzwischen im Westen „ein NoName geworden“ sei.1603 Die konkurrierenden Parteien nutzten Fuchs’ Ankündigung der Rückkehr im Wahlkampf weidlich aus. DSU-Generalsekretär Alexander Achminow forderte Anke Fuchs auf, ihren ebenfalls behaltenen Listenplatz auf der nordrhein-westfälischen SPD-Bundestagsliste aufzugeben. Die Wähler in Sachsen könnten es nicht akzeptieren, wenn eine Landtagskandidatin zur gleichen Zeit in einem anderen Land für den Bundestag kandidiere.1604 Wenig punkten konnte Fuchs auch mit ihrer Herkunft, die im Wahlkampf in den entstehenden und sich um neue Identität bemühenden Bundesländern eine nicht unerhebliche Rolle spielte. Während sich Biedenkopf einfach zum Sachsen umdefinierte, erklärte Anke Fuchs, zwar stamme ihre Mitarbeiterin aus Altenburg1605 und ihr Mann habe früher einmal im Leipziger Thomaner-Chor gesungen, aber viel mehr kenne sie von Sachsen nicht.1606 Statt auf Emotionen setzte sie auf inhaltliches Profil. Bei einer Pressekonferenz in Dresden erklärte sie am 14. August ihren Drei-Punkte-Plan für Sachsen. Er bestand aus einer Investitionsoffensive, dem ökologischen Umbau der sächsischen Industrie und einer Qualifizierungsoffensive für Arbeitnehmer. Hier erklärte sie, der Aufforderung zu kandidieren gern gefolgt zu sein. Mit der Unterstützung der sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Rau, Lafontaine, Engholm, Schröder, Momper, Wedemeier und Voscherau könne sie „für Sachsen eine solidarische Mehrheit im Bundesrat versprechen“. Alte Wahlergebnisse zählten nicht, die kommende Landtagswahl hätte ihre eigenen Gesetze.1607

1602 1603 1604 1605 1606 1607

Interview Günter Neumann. Interview Peter Adler. Vgl. Die Union vom 6./7.10.1990. Dessen Kreistag hatte freilich gerade den Wechsel aus dem Bezirk Leipzig ins Land Thüringen beschlossen. Vgl. Osnabrücker Zeitung vom 21. 8.1990. Mitteilung für die Presse vom 14. 8.1990 (AdSD, SPD-LV Sachsen 5, 8.1).

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5.4.3 Verhandlungen zum Einigungsvertrag: Länderbildung ohne die neuen Länder Die seit Anfang des Jahres andauernden Auseinandersetzungen zwischen Bund und Ländern über ihre jeweilige Rolle im Einigungsprozess setzten sich im Sommer fort, freilich auf der Grundlage eines veränderten Kräfteverhältnisses im Bundesrat, wo die SPD-regierten Länder seit der Niedersachsen-Wahl im Mai über eine Mehrheit verfügten.1608 Freilich gab es auch in unionsregierten Bundesländern Kritik an der bisherigen Dominanz der Bundesregierung. Überhaupt zeigten alle Länder bei der Wahrung ihrer Interessen ein großes Maß an Übereinstimmung. Im Entwurf einer Entschließung des SPD-Bundesvorstandes vom 14. Juni hieß es, der Bundeskanzler habe die Länder von den Vorbereitungen zum Staatsvertrag ausgesperrt, sie über die Vorstellungen der Bundesregierung unzureichend informiert und erst zu einem Zeitpunkt beteiligt, als Änderungen nicht mehr möglich waren. Das sei ein Verstoß gegen die föderalen Prinzipien des Grundgesetzes. Die SPD warne davor, den Weg zur deutschen Einheit zu missbrauchen, um die föderale Ordnung auszuhebeln und zentralstaatliche Ansprüche durchzusetzen.1609 Dass die SPD mit ihren Bedenken nicht allein stand, zeigte eine Konferenz der Ministerpräsidenten der Länder am 22. Juni, bei der sich A- und B-Länder einig waren, dass der zweite Staatsvertrag1610 und seine Durchführung weitreichende Schritte zur Veränderung der staatlichen Ordnung in Deutschland darstellten, die die Länder in ihrer staatlichen Existenz und in ihrem Mitwirkungsrecht im Bundesstaat unmittelbar berührten. Daher würden deren Regierungschefs erwarten, dass die Landesregierungen in dem mit der DDR vereinbarten gemeinsamen Regierungsausschuss zur Vorbereitung der staatlichen Einheit gleichgewichtig vertreten sind. Angesichts der nächsten Phase des Einigungsprozesses forderten die Länder, durch die Bundesregierung über alle weiteren Vorhaben auf dem Weg zur deutschen Einheit umfassend informiert und an allen Vorbereitungen und Verhandlungen wirksam beteiligt zu werden. Sie unterstrichen ihre „im Verhältnis zum Bund gleichgewichtige Mitverantwortung“ für den Einigungsprozess.1611 Am 26. Juni kam es zu einem Gespräch zwischen dem Chef des Kanzleramtes, Rudolf Seiters, Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble sowie den Chefs der Staatskanzleien von Nordrhein-Westfalen, Wolfgang Clement, Bayern, Klaus Rau1608

1609 1610 1611

Zur bisherigen Entwicklung siehe Kap. 4.2.5. Zur Beteiligung der Bundesländer an den Verhandlungen zur deutschen Einheit vgl. Jäger, Geschichte, S. 518–525. Die gesamtdeutsche Handlungsebene wird knapp und ohne Anspruch auf Vollständigkeit dargestellt, jedoch deswegen erwähnt, weil die sächsische Entwicklung nicht losgelöst davon betrachtet werden kann. Entwurf einer Entschließung des SPD-Parteivorstandes vom 14.6.1990 (AdSD, SPDLV Sachsen, 53). 1. Staatsvertrag: Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vom 18. 5.1990; 2. Staatsvertrag: Einigungsvertrag vom 31. 8.1990. Vorläufiges Ergebnisprotokoll der Ministerpräsidentenkonferenz am 22. 6.1990 in Bonn (SMBW, I 0305.0. 1990).

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scher, und der Berliner Senatskanzlei, Dieter Schröder. Bei diesem Gespräch wurde von Bayern die Frage einer Anpassung des Stimmgewichts im Bundesrat durch Änderung von Artikel 51 Abs. 2 GG angesprochen. Ebenso drängte Nordrhein-Westfalen, das allein mehr Einwohner hatte als die fünf neuen Bundesländer, auf eine Vergrößerung des Einflusses der bevölkerungsstärksten Länder im Bundesrat. Clement schlug vor, Nordrhein-Westfalen und Bayern zwei zusätzliche Stimmen, Baden-Württemberg und Niedersachsen, gegebenenfalls auch Hessen, je eine zusätzliche Stimme zuzubilligen. Nach der seit 1962 gültigen Sitzzuweisungsregel hätten vieren der neuen Länder je vier Sitze im Bundesrat zugestanden, wodurch sie, gemessen an ihren Einwohnerzahlen, überrepräsentiert gewesen wären.1612 Auch in einem anderen zentralen Punkt zeichnete sich ab, dass die Länder ihre Auffassungen durchsetzen würden. So begrüßten ihre Innenminister und -senatoren am 29. Juni die Zusage Schäubles, beim DDR-Beitritt nur die Überleitung von Bundesrecht vorzusehen. Anders als die DDR-Regierung sah die Bundesregierung also davon ab, gesetzliche Vorgaben für die neuen Länder zu formulieren. Erneut wurde der Bundesinnenminister aufgefordert, die Länder an den Beitrittsverhandlungen zu beteiligen. Auf diese Weise könnten auch die Interessen der künftigen Länder mitvertreten werden. Wichtig sei die Beteiligung vor allem in den Bereichen, die Auswirkungen auf die Länder und deren Kompetenzen hätten. Zentrale Übergangsregelungen bis zur Bildung der neuen Länder, die in der Bundesrepublik in die Kompetenz der Länder fielen, dürften nicht zu einer Kompetenzverschiebung zugunsten des Bundes führen. Da durch das Überleitungsgesetz in der DDR teilweise Bundesrecht in Kraft gesetzt werde, müsse im Interesse einer homogenen Entwicklung strikt auf die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern geachtet werden. Insbesondere sollten keine Regelungen erlassen werden, welche die zukünftigen Länder mehr als notwendig festlegen. In allen Gesetzen oder in einem Vorschaltgesetz sollten Vorbehalte zugunsten einer zukünftigen Ländergesetzgebung in der DDR aufgenommen und der Übergangscharakter zum Ausdruck gebracht werden.1613 In einer überarbeiteten Beschlussvorlage hieß es, da mit einer baldigen Erstreckung von Bundesrecht auf das Gebiet der DDR zu rechnen sei, bestehe die Notwendigkeit, möglichst rasch ergänzendes Landesrecht wie z. B. ein Polizeigesetz zu erlassen. Da die Länder erst noch zu bilden seien, müssten bereits jetzt im Vorgriff Überlegungen über die künftigen grundlegenden Landesgesetze angestellt werden. Dies könne zum einen durch den Erlass von Gesetzen durch die Volkskammer erfolgen, zum anderen durch Vorbereitun1612

1613

Vgl. BayStK, Arbeitsstab Deutschlandpolitik, Interministerielle AG Deutschlandpolitik: Gespräch des Bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl mit der Bayerischen Landtagspresse am 9. 4.1991, Materialien: Aufbau der neuen Länder mit Bayerischer Hand (BayStK, Baer); Schäuble, Der Vertrag, S. 114 f.; Rutz, Die Wiedererrichtung der östlichen Bundesländer, S. 282 f.; Dästner, Die Mitwirkung der Länder, S. 40 f. Beschlussniederschrift über die Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder am 29. 6.1990 in Bonn. TOP 5b: Verhandlungen über die Herstellung der Deutschen Einheit, hier: Position der Länder (BArch B, DO 5, 6).

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gen auf der Ebene der künftigen Länder. Dem föderalen Aufbau Deutschlands werde der zweite Weg besser gerecht. Es widerspreche dem Verständnis des Grundgesetzes, wenn Gesetze, für welche die Länder die Gesetzgebungskompetenz hätten, von der Zentralgewalt erlassen würden.1614 In der Beschlussniederschrift hieß es schließlich, die Innenminister und -senatoren hätten am 29. Juni in Übereinstimmung mit der DDR-Regierung eine grundsätzliche Zuordnung bei der Zusammenarbeit zwischen den Bundesländern und den künftigen DDRLändern in den Bereichen Innere Sicherheit, Feuerwehr, Katastrophenschutz, Rettungswesen, Aufbau rechtsstaatlicher Staats- und Verwaltungsstrukturen, Aufbau einer kommunalen Selbstverwaltung sowie Vermessungs- und Katasterwesen beschlossen. Für Sachsen wurden Baden-Württemberg und Bayern als Partner benannt, die Städte Dresden und Leipzig bekamen zudem Hamburg und Nordrhein-Westfalen zugeteilt. Bei sich überschneidenden Länderaktivitäten sollten die Partnerländer ihre Maßnahmen untereinander abstimmen.1615 Dass das hier vereinbarte Prozedere nicht überall auf Zustimmung stieß, machte der CDU-Fraktionsvorsitzende im baden-württembergischen Landtag, Erwin Teufel, deutlich, der sich nach der Vereinbarung dagegen aussprach, „die DDR nach dem Zugriffsverfahren unter sich aufzuteilen“. Am Aufbau der neuen Länder sollten die Bundesländer entsprechend ihrer Leistungskraft beteiligt werden. Die DDR brauche marktwirtschaftliche Vielfalt, nicht aber einen Konkurrenzkampf um Marktanteile.1616 Den Ländern ging es nicht nur um die Verteilung von Aufgaben im Einigungsprozess, sie erkannten auch die einschneidende Bedeutung der Wiedervereinigung für das föderale System. Das machten ihre „Eckpunkte für die bundesstaatliche Ordnung im vereinten Deutschland“ vom 29. Juni deutlich.1617 Hier betonten sie erneut ihren Anspruch, aktiv am Einigungsprozess beteiligt zu werden. Es gehöre auch zu ihrer Verpflichtung, die Grundstrukturen der staatlichen Ordnung eines vereinten Deutschlands und die zu ihr führende zweite Stufe des Einigungsprozesses maßgeblich mitzugestalten. Das vereinte Deutschland dürfe „schon von seiner Größe und seinem Gewicht her kein Nationalstaat im historischen Sinne“, vielmehr müsse es „in viel stärkerem Maße ein entschieden föderativ geprägter Bundesstaat“ sein. Seine künftige Struktur werde stärker als bisher die Eigenstaatlichkeit der Länder mit eigener, nicht vom Bund abgeleiteter, sondern von ihm nur anerkannter staatlicher Hoheitsmacht zur 1614 1615

1616 1617

Innenministerkonferenz am 29.6.90 TOP 5b: Verhandlungen über die Herstellung der Deutschen Einheit, hier: Position der Länder, überarbeiteter Beschlussvorschlag (ebd., 206). Diese Fassung taucht so in der Beschlussniederschrift nicht mehr auf. Beschlussniederschrift über die Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder am 29.6.1990 in Bonn, TOP 5e: Koordination der Zusammenarbeit zwischen den Bundesländern und den künftigen Ländern in der DDR (ebd., 6). Zit. in FAZ vom 30. 6.1990. Die „Eckpunkte“ der Bundesländer für den Föderalismus im vereinten Deutschland vom 29. 6.1990 (BA, B 137, 10857, 3440, Band 2). Text der Fassung vom 5. 7.1990 in: ZParl 21 (1990), S. 461–463. Vgl. Henke, Maßnahmen zur Stärkung, S. 10 f.

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Geltung zu bringen haben. Um ihr Ziel, die Stärkung der bundesstaatlichen Ordnung, zu erreichen, schlugen die Länder verschiedene Änderungen des Grundgesetzes vor. So sollte die Finanzverfassung ebenso reformiert werden wie die Abgrenzung der Gesetzgebungskompetenzen und die Regelungen über die Beziehungen zu zwischenstaatlichen Einrichtungen. Entgegen den Erwartungen der Länder spielten die hier angemahnten Grundgesetzänderungen bei den Verhandlungen zur deutschen Einheit jedoch keine Rolle. Das lag vor allem daran, dass nur einigungsbedingte Änderungen des Grundgesetzes in den Einigungsvertrag vom 31. August aufgenommen wurden, um die Annahme des Einigungsvertrages nicht zu gefährden, der sowohl von der Volkskammer als auch von Bundestag und Bundesrat mit Zwei-Drittel-Mehrheit bestätigt werden musste. So wurden Themen möglicher Verfassungsänderungen zwar in Artikel 5 des Einigungsvertrages genannt, der künftige Verfassungsgeber dadurch aber inhaltlich nicht gebunden. Damit blieb auch der Verweis, das Verhältnis von Bund und Ländern sollte innerhalb von zwei Jahren gemäß den „Eckpunkten“ der Ministerpräsidenten von Bundestag und Bundesrat neu durchdacht werden, relativ unbestimmt.1618 Anfang Juli flammten erneut Auseinandersetzungen um die künftigen Modalitäten beim Länderfinanzausgleich auf, nachdem die DDR-Regierung bei den Verhandlungen zum zweiten Staatsvertrag eine sofortige Einbeziehung in den Finanzausgleich von Bund und Ländern verlangt hatte. Freilich konnte sie gegen die Front der Bundesländer nichts ausrichten, die sich geschlossen gegen eine Änderung der Regelungen zum „Fonds Deutsche Einheit“ wehrten.1619 Hatte auch in dieser Frage schon die DDR-Regierung kaum eine Chance, sich gegen die übermächtigen westdeutschen Verhandlungspartner zu behaupten, so galt dies vielmehr für Vertreter aus den Regionen der künftigen, staatlich noch nicht verfassten Bundesländer. Daher blieb zum Beispiel ein Beschluss des Koordinierungsausschusses zur Bildung des Landes Sachsen ohne erkennbare Wirkung, in Rücksprache mit dem Regierungsbeauftragten „die Einflussnahme des Koordinierungsausschusses auf die Ausarbeitung des zweiten Staatsvertrages in Bonn zu sichern“. Bei ihm ging es darum, bei Fragen der Regelung des Länderfinanzausgleichs, der Verteilung der Umsatzsteuer und der Zuordnung der Treuhandanstalt unter Länderkompetenz mitreden zu können.1620 Ebenso erfolglos blieben vor diesem Hintergrund Interventionen von Vaatz, der sich „aus der Sicht des künftigen Landes Sachsen ganz entschieden gegen das Verfahren“ zur Wehr setzte, wie „über die Köpfe der künftigen 5 Länder“ hinweg entschieden werde. Bei den Vereinbarungen über die Finanzen der künftigen Länder, welche die Finanzkraft Sachsens ganz erheblich schwächten, handele es sich um „Geschäfte zu Lasten unbeteiligter Dritter“, deren Rechtmäßigkeit anzuzwei1618 1619 1620

Vgl. Laufer/Münch, Die Neugestaltung, S. 80 f. und 221. Vgl. Interview Manfred Preiß. In: Sächsische Zeitung vom 20. 7.1990. Protokoll der Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses am 30. 7.1990 (Dok. 110).

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feln sei. Auch im täglichen Rechtsleben könnten A und B keinen Vertrag über das Vermögen C schließen, ohne letzteren zu beteiligen. Genau dies werde mit dem Einigungsvertrag getan. Die Bundesrepublik Deutschland, einschließlich der dortigen Länder, würden sich mit der Noch-DDR auf Kosten des unbeteiligten Sachsens einigen. Er werde deshalb in Bonn gegen das Verfahren intervenieren und „endlich einmal die sächsische Position in die Verhandlungen“ einbringen.1621 Angesichts der zentralistischen Länderbildungspolitik der DDRRegierung blieben solche Stimmen freilich ungehört. Bessere Karten als die Sachsen hatten die westlichen Bundesländer. Am 5. Juli trafen sich deren Chefs der elf Staats- und Senatskanzleien im Kanzleramt, um den zweiten Staatsvertrag zu beraten. Zum wiederholten Male forderten sie in einem gemeinsamen Beschluss eine generelle Erweiterung der Länderrechte – eine Forderung, deren Erfüllung auch den künftigen Ländern zugute kommen würde. Unter anderem verlangten sie eine Verstärkung der Länderrechte bei Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen sowie hinsichtlich des Abschlusses völkerrechtlicher Verträge, eine Verschärfung der Voraussetzungen für die Wahrnehmung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz durch den Bund, eine Fristverlängerung für Bundesrat und Vermittlungsausschuss im Gesetzgebungsverfahren sowie eine generelle Zustimmungsbedürftigkeit für alle durch die Länder auszuführenden Bundesgesetze. Ausgehend von der ursprünglichen Staatsgewalt der Länder als kennzeichnendem Merkmal des Bundesstaates wollten die Länder damit eine größere Teilnahme an der Wahrnehmung der gesamtstaatlichen Souveränität sicherstellen und die Gesetzgebungskompetenz der Länder stärken.1622 Zudem ging es erneut um die künftige Finanzierung der Haushalte der neuen Länder, hier freilich gegen deren Interessen. Vertreter der entstehenden Länder waren am Finanzpoker nicht beteiligt. Die Haltung der Bundesländer, wonach die neuen Länder bis einschließlich 1994 nicht am Länderfinanzausgleich beteiligt werden, ihren Geldbedarf vielmehr allein aus dem „Fonds Deutsche Einheit“ decken sollten, wurde angesichts eigener Finanzprobleme erneut betont und damit in Kauf genommen, dass die neuen Länder von Anfang an Länder „zweiter Klasse“ ohne Finanzspielraum sein würden. Zu diesem Zeitpunkt lag die Schätzung künftiger Steuereinnahmen der neuen Länder bei etwa einem Viertel der Einnahmen westdeutscher Länder. Ungeachtet dessen sprach die schleswig-holsteinische Finanzministerin, Heide Simonis, die Meinung aller aus, dass die elf Bundesländer „nicht fünf weitere durchschleppen“ könnten.1623 Damit war auch die Absicht von Bundesfinanzminister Theo Waigel zum Scheitern verurteilt, die Fi1621

1622 1623

Interview Arnold Vaatz. In: Die Union vom 4./5. 8.1990. Vgl. Föderalismus braucht finanzkräftiges Sachsen. Interview mit dem stellv. Regierungsbevollmächtigten für die Landesbildung Arnold Vaatz, der nächst Woche in Bonn die Interessen Sachsens wahren will (HAIT, KA, 6). Vgl. BMB, IIA3 (Dr. Mahnke): Landesverfassungsgesetz und Einigungsvertrag vom 19.11.1990 (BArch, B 137, 3440, Band 2). Zit. in FR vom 5. 7.1990.

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nanzlage der neuen Bundesländer indirekt durch einen höheren Anteil am Umsatzsteueraufkommen aufzubessern. Die Bundesregierung hatte geplant, die Umsatzsteuer weiterhin nach dem bisherigen Schlüssel zu verteilen, wonach die Bundesregierung 65, die Länder 35 Prozent der Umsatzsteuer erhielten. Das hätte zu Mindereinnahmen der westdeutschen Länder von vier bis fünf Milliarden D-Mark geführt, da die Steuereinnahmen auf mehr Länder als bislang hätten verteilt werden müssen. Bei den Bundesländern stießen auch diese Pläne auf strikte Ablehnung. Waigels Absicht, so Späth, bedeute nicht nur ein „Heraushebeln“ aller bisherigen Absprachen, es „hätte mit Sicherheit zur Folge, dass die Länder ihre Möglichkeiten, die sie beim Staatsvertrag und in anderen Bereichen haben, benutzen würden, um gewissermaßen mit dem Bund dann in eine andere Verhandlungsgrundlage zu kommen“.1624 Die Länder sahen durch den Vorschlag die Absprachen über die Finanzierung des „Fonds Deutsche Einheit“ und die Vereinbarung über die Einbeziehung der neuen Länder in den Finanzausgleich 1994 unterminiert. Sie weigerten sich erkennbar, den neuen Bundesländern über ihren Finanzierungsbeitrag zum „Fonds Deutsche Einheit“ hinaus direkt oder indirekt zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen.1625 Da selbst das CSU-geführte Bayern gegen Waigels Vorschläge intervenierte, konnte Bayerns Ministerpräsident, Max Streibl, am 11. Juli beruhigt erklären, die von der DDR bei den Verhandlungen zum zweiten Staatsvertrag verlangte sofortige Einbeziehung in den Finanzausgleich sei vom Tisch. Das Bundesfinanzministerium habe ihm mitgeteilt, dass eine solche Regelung nur im Einvernehmen mit den Bundesländern möglich sei. Da sich auch Bayern einer solchen Regelung widersetze, werde es 1991 nicht zur Einbeziehung der neuen Länder in den Finanzausgleich kommen. Auch Hamburgs Bürgermeister, Henning Voscherau, sprach sich nochmals nachdrücklich gegen eine sofortige Beteiligung der neuen Länder am Finanzausgleich aus.1626 Das früher eher DDR-freundliche Wochenblatt „Die Zeit“ urteilte, allein der Versuch Waigels, „die Länder auszutricksen“, sei ein Affront, wie man ihn im Verhältnis zwischen Bund und Ländern selten finde.1627 Dabei hatte Waigel lediglich versucht, die durch die DDR-Regierung formulierten Interessen der neuen Bundesländer stärker in den Bund-Länder-Auseinandersetzungen zu berücksichtigen, eine Haltung, deren Notwendigkeit bereits ein Jahr später allgemein anerkannt wurde. Zunächst aber war der Versuch gescheitert, im interessenbestimmten Spiel der Kräfte westdeutscher Lobbyisten Interessen der DDR zur Geltung zu bringen. Zwar war der entsprechende Ärger in Ost-Berlin groß, andererseits fehlten der Transformationsregierung einflussreiche Interessenvertretungen und Sanktionsmöglichkeiten im bundesdeutschen System, um eigene Positionen in den Einigungsverhandlungen kraftvoll vertreten zu können. Der Minister der Regierung de Maizière, Hans Joachim Meyer, urteilte denn auch, die alten Bundesländer hätten bei den Einigungsver1624 1625 1626 1627

Zit. in Süddeutsche Zeitung vom 9. 7.1990. Vgl. FAZ vom 10. 7.1990. Vgl. dpa vom 11. 7.1990. Die Zeit vom 13. 7.1990.

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handlungen „im Wesentlichen ihre eigenen Interessen vertreten“. Ihnen habe daran gelegen, ihre Stimmenmehrheit im Bundesrat zu sichern und sich von den finanziellen Konsequenzen des Einigungsprozesses möglichst auf Distanz zu halten. Die DDR-Regierung habe nicht viel tun können, ihr „lief die Zeit davon“. Für sie seien die Bedingungen für den Einigungsvertrag täglich schlechter geworden, wozu die „Auflösungstendenzen innerhalb der DDR“ nicht unerheblich beigetragen hätten.1628 Die Verhandlungsschwäche der DDR-Seite hing auch damit zusammen, dass die neuen, sich gerade erst bildenden Länder, die das Erbe der DDR anzutreten hatten, nicht an den Verhandlungen beteiligt wurden. Das hieß freilich nicht, dass Vertreter der sich bildenden Länder nicht auf Mitsprache drängten. Entsprechende Forderungen wurden von den westlichen Bundesländern sogar unterstützt, sofern dadurch Vorteile aller Länder im künftigen föderalen Machtverhältnis zu erwarten waren. So erklärte zum Beispiel Lothar Späth bereits Ende April, man müsse bei den Verhandlungen zur deutschen Einheit die Parität der Delegationen beachten. Da auf Seiten der Bundesrepublik auch Vertreter der Länder mitwirkten, sei die Mitsprache der Regierungsbevollmächtigten der Bezirke zu gewährleisten.1629 Tatsache war aber, dass die entstehenden Bundesländer dank der Haltung der Regierung de Maizière keinen Einfluss auf die Einigungsverhandlung gewannen1630 und die Regierungsbevollmächtigten ein System repräsentierten, dass ihren eigenen Einfluss auf Fragen der Länderbildung vor Ort reduzierte. Auf der deutsch-deutschen Handlungsebene waren weder sie noch andere Repräsentanten der Regionen der künftigen Länder erwünscht. Ein anderer Grund war, dass die Länderbildung in den Einigungsverhandlungen generell lange vernachlässigt wurde. Noch am 11. Juli wies zum Beispiel der Leiter des Rechtsreferates im Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen in einem Gutachten darauf hin, dass die Neubildung der Länder der DDR auch im Einigungsvertrag ihren Niederschlag finden müsse und „in diesem Zusammenhang schwierige Rechtsfragen aufwerfen“ werde. Er konstatierte, dass noch in der am 9. Juli auf Staatssekretärsebene gefertigten Verhandlungsplanung für den Einigungsvertrag das Problem der Neubildung der Länder nicht einmal auftauche und somit „auch bisher keinem Ressort zugewiesen“ sei.1631 Durch die von westlichen Experten flankierten Beratungen zur Ausarbeitung des Ländereinführungsgesetzes am 22. Juli1632 und auf dessen Grundlage zur Ausarbeitung des zweiten Staatsvertrages trat die Notwendigkeit aktiver Schritte zur Länderbildung nun stärker ins Bewusstsein.

1628 1629 1630 1631 1632

Interview Hans Joachim Meyer am 3. 3. 2003. Lothar Späth am 29. 4.1990 in Dresden. In: Bergedorfer Gesprächskreis Nr. 90 1990, S. 22. Interview Thomas de Maizière. BMB, IIA3, Dr. Hans-Heinrich Mahnke, Betr. Einigungsvertrag, hier: Neubildung der Länder der DDR vom 11. 7.1990 (BArch, B 137, 10857, 3440). Vgl. dazu Kap. 5.2.1.

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In der DDR machten sich unterdessen Vertreter in und aus den Regionen der sich bildenden Länder in der Volkskammer Gedanken darüber, wie sie an den Einigungsverhandlungen beteiligt werden könnten. Am 11. Juli befasste sich der Ausschuss „Deutsche Einheit“ der Volkskammer mit dieser Frage und beschloss, entsprechende Vertreter der künftigen Länder von einem Gremium benennen zu lassen, das sich aus den Volkskammerabgeordneten der künftigen Länder und den Regierungsbevollmächtigten der entsprechenden Bezirke zusammensetzen sollte.1633 Für Sachsen bat Preiß Krause, gemeinsam mit den Regierungsbevollmächtigten der anderen sächsischen Bezirke im Koordinierungsausschuss zu entscheiden, wer „als Vertreter des Arbeitsausschusses“, beginnend mit dem zweiten Arbeitstreffen Anfang August, an den Plenarberatungen zwischen beiden deutschen Regierungen teilnehmen sollte.1634 Da neben den Länderbildungsgremien der Regierungsbevollmächtigten der Bezirke vor allem auch Volkskammerabgeordnete der entsprechenden Regionen beteiligt werden sollten, trafen sich dies am 18. Juli länderweise, um in Gegenwart der Regierungsbevollmächtigten eine Auswahl vorzunehmen.1635 Zwei Tage später wählte die Volkskammer die von den Volkskammerfraktionen benannten Vertreter der künftigen Länder für die Verhandlungsdelegation zum Einigungsvertrag.1636 Für Sachsen waren dies Karl-Heinz Kunckel (SPD), Gerhard Schulz (CDU/DA) und Frieder Werner (PDS),1637 alles Abgeordnete also, die mit der konkreten Länderbildungsarbeit in Sachsen wenig zu tun hatten. Diese bemühten sich nun hinsichtlich der Thematik des Einigungsvertrages mehr oder weniger vergeblich um Zusammenarbeit mit den stellvertretenden Regierungsbevollmächtigten für Länderbildung. So bat zum Beispiel Schulz Kleinschmidt am 5. August um eine Stellungnahme des künftigen Landes Sachsen zum Einigungsvertrag, was diesen veranlasste, Vaatz eine Beratung zur Koordinierung des gemeinsamen Vorgehens vorzuschlagen.1638 Angesichts des komplizierten Verfahrens in einer extrem dynamischen Zeit war es kein Wunder, dass die Arbeit der „Ländervertreter“ der Volkskammer nicht sehr effizient war. Thomas de Maizière erinnert sich, dass die Vertreter der Volkskammer, insbesondere aus dem Ausschuss deutsche Einheit, zwar forderten, stärker in die Verhandlungen eingebunden zu werden, dann aber ein Gremium aus dreißig bis vierzig Personen geschaffen hätten, innerhalb dessen eine Einbindung in die komplizierte Vertragskonstellation nicht sinnvoll besprochen werden konnte. Obwohl man keine geeignete Form der Mitarbeit am Einigungsprozess fand, wurden die Einflüsse der regionalen Gruppen in der Volkskammer im Laufe der Zeit immer stärker und rückten Fragen 1633 1634 1635 1636 1637 1638

Sabine Bergmann-Pohl an Manfred Preiß vom 11. 7.1990 (BArch B, DO 5, 1); Manfred Preiß an alle Regierungsbevollmächtigten vom 13. 7.1990 (LA Merseburg, Rep. RdB/BT, 320). Manfred Preiß an Rudolf Krause vom 12. 7.1990 (RPL, AZ 0141.0). Sabine Bergmann-Pohl an Manfred Preiß vom 11. 7.1990 (BArch B, DO 5, 1). Volkskammer der DDR, 10. WP, 26. Tagung am 20. 7.1990, S. 1123. Ebd., Drucksache 162 vom 20. 7.1990. Günter Kleinschmidt an Arnold Vaatz vom 6. 8.1990 (RPL, AZ 0141.0).

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der Länderbildung und -struktur immer mehr ins Zentrum des Interesses. Besonders Harald Ringsdorf (SPD), der als „Gegenspieler von Günther Krause“ aufgetreten sei, habe immer wieder die Sorge zum Ausdruck gebracht, die Regierung der DDR präjudiziere zu viele Dinge für die zu bildenden Länder. Hier drückte sich ein strukturelles Defizit der Regierung de Maizière aus, die es dank entsprechender Empfehlungen des Bundesinnenministeriums und der Haltung ihres verantwortlichen Ministers Preiß unterlassen hatte, Strukturen zu entwickeln, in denen die tatsächlich Verantwortlichen für die Länderbildung eingebunden wurden. Dieses Defizit war sowohl der Beschleunigung der Abläufe als auch der Unerfahrenheit der Akteure, vor allem aber einer Interessenlage geschuldet, die nicht auch noch die Vertreter der entstehenden Länder am Verhandlungstisch sitzen sehen wollte. In der Tat, so Thomas de Maizière im Nachhinein, hätte die Regierung hinsichtlich der Beteiligung der künftigen Länder aktiver sein können. Nach seiner Erinnerung spielten selbst die formal eingebundenen Regierungsbevollmächtigten in diesem Zusammenhang keine Rolle. Es sei auch niemand auf die Idee gekommen, sie um Mitwirkung zu bitten, allenfalls habe man ihnen den aktuellen Stand mitgeteilt. „Einflusswünsche“ aus den Reihen der Volkskammerabgeordneten seien „sanft aber wirksam zurückgedrängt“ worden. Vor allem Günther Krause habe sich „von niemandem reinreden lassen“.„Und so scheiterte das. Es ist eigentlich schade, dass es da so wenig Dialog gab.“1639 Angesichts einer solchen Haltung der Regierung waren praktisch alle Bemühungen von Vertretern der Regionen zum Scheitern verurteilt, ihre Interessen im Einigungsprozess angemessen zu artikulieren.1640 Ihnen blieb nur, wie in Dresden, mit der Landesbildungsarbeit vor Ort die zentralistisch angelegte Länderbildungspolitik durch eigenmächtige Schritte zugleich zu konterkarieren und zu ergänzen. Dass und in welchem Maße sich die Vertreter der Regionen dabei aber auch noch selbst behindern konnten, macht der Versuch der Benennung des Leiters des Koordinierungsausschusses für Landesbildung, Vaatz, zum „Vertreter des Arbeitsausschusses für die Plenarberatungen der beiden deutschen Staaten“ deutlich. Nachdem der Regierungsbevollmächtigte von Chemnitz, Buttolo, Preiß mitgeteilt hatte, dass man im Konsens mit Dresden Vaatz benenne,1641 erklärte der stellvertretende Leipziger Regierungsbevollmächtigte Steinbach intern, mit ihm habe es keine diesbezügliche Absprache gegeben. Zwar habe Vaatz ihn angerufen, weil er „meine Zustimmung erheischen wollte“, zum Vertreter des Arbeitsausschusses für die Plenarberatungen der beiden deutschen Staaten ernannt zu werden. „Diese Zustimmung“, so der SPD-Pfarrer, „hat er von mir nicht erhalten.“ Dazu sei „eine nochmalige Abstimmung zwi1639 1640 1641

Interview Thomas de Maizière. Vgl. Kilper/Lhotta, Föderalismus, S. 248; Jäger, Geschichte, S. 463; Kaufmann, Bundesstaat, S. 93. Albrecht Buttolo an Manfred Preiß, o. D. [Handschriftl.: Eingang über Herrn Stöckchen am 25.7.90] (RPL, AZ 0141.0).

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schen den drei beteiligten Regierungsbevollmächtigten erforderlich“.1642 Hier ging es offensichtlich um regionale Rivalitäten, denn eigentlich war klar, dass Vaatz als der in Sachsen für Landesbildung zuständige Koordinator diese Aufgabe am besten ausfüllen konnte. Die Verantwortung für die mangelnde Einbindung der geeigneten Personen traf also nicht nur die Regierung in Berlin, sondern auch deren primär regional denkenden und agierenden Regierungsvertreter in den Bezirken. Unbeeinflusst von solch regionalen Scharmützeln, fand vom 3. bis 6. August im Staatsratsgebäude der DDR die zweite Verhandlungsrunde zum Einigungsvertrag statt. Der Beginn der Verhandlungen brachte zwei Überraschungen: Die erste bestand darin, dass der Verhandlungsführer der DDR, Günther Krause, die „Rohskizze“ eines eigenen Vertragsentwurfs präsentierte, der den Vertretern der Bundesländer genau eine Stunde vor Beginn der Verhandlungen zugänglich gemacht wurde und mit den Ergebnissen der Vorgespräche, die der Bundesinnenminister den Ländern am 23. Juli übersandt hatte, wenig gemein hatte. Die zweite Überraschung war, dass Schäuble als Verhandlungsführer der Bundesregierung diesen Entwurf als Verhandlungsgrundlage akzeptierte. Aus Sicht der SPD-geführten Länder lag es nahe, „ein abgekartetes Spiel“ zwischen Bundesregierung und DDR-Regierung zu vermuten, zumal sich auf der DDRSeite zahlreiche Berater aus Bundesministerien befanden. Die Beteiligung der Länder an den Vorgesprächen schien weitgehend leerzulaufen, denn Verhandlungsgrundlage wurde ein grundlegend anders strukturierter Entwurfstext. Inhaltlich begegnete der DDR-Entwurf zahlreichen Vorbehalten der Ländermehrheit. In Artikel 5 sah er nur eine Änderung der Präambel des Grundgesetzes und die Aufhebung des Artikels 23 vor. Gleiches galt für ein in Artikel 13 des Entwurfs „für eine Übergangszeit“ vorgesehenes Aufbauministerium, das mit dem Ziel eingerichtet werden sollte, eine rasche Angleichung an das Niveau der bestehenden Bundesländer auf wirtschaftlichem, finanziellem, sozialem und kulturellem Gebiet zu sichern.1643 Aufbauministerium: Die Idee eines Aufbauministeriums war Anfang Juli von Preiß an Krause herangetragen worden. Aus Sicht der sich „nur schrittweise herausbildenden Funktionsfähigkeit der Länder“ in der DDR, ihrer „wirtschaftlichen Spezifik“, wie etwa ihrer relativen Wirtschafts- und Finanzschwäche sowie der Notwendigkeit der Weiterführung der Verwaltungsreform, erachtete er die Bildung eines Bundesministeriums für Länderangelegenheiten für notwendig. Dabei ging er davon aus, dass die DDR „nicht mit voll funktionsfähigen Ländern der BRD beitreten“ werde.1644 Das neue Übergangsministerium sollte im zweiten Staatsvertrag fixiert werden. Auch beim Beitritt des Saarlandes zur Bundesrepublik sei ein spezielles Eingliederungsministerium geschaffen wor1642 1643 1644

Walter Christian Steinbach an Günther Kleinschmidt vom 27. 7.1990 (RPL, AZ 0141.0). Vgl. Dästner, Die Mitwirkung der Länder, S. 44 f. Interview Manfred Preiß. In: Sächsische Zeitung vom 20. 7.1990.

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den.1645 De Maizière trug den Gedanken am 6. Juli der Bundesregierung vor. Schon zuvor hatte es darüber Vorgespräche zwischen Kohl, de Maizière, Krause und Schäuble gegeben. Anstelle eines Aufbauministeriums zog der Bundesinnenminister eine eigens für diese Aufgaben mit besonderen Rechten ausgestattete Sonderkonferenz der Ministerpräsidenten der neuen Länder in Erwägung. Das Aufbauministerium mit den Aufgaben der Sanierung und Förderung der neuen Bundesländer und der Koordinierung der Bonner Aktivitäten sollte in Berlin angesiedelt werden. Schäuble kam de Maizière zunächst insofern entgegen, als er sich vorstellen konnte, „dass der Bundeskanzler eine spezifische Interessenvertretung der DDR im Kabinett vorsehen werde“.1646 In der Presse erklärte Preiß Mitte Juli, das „Harmonisierungsministerium“ solle die Rolle eines Fürsprechers der fünf armen neuen Länder übernehmen. Die noch zu wählenden Ministerpräsidenten wären der Aufgabe, das bestmögliche für ihre Länder herauszuholen, allein nicht gewachsen. Wenn diese „unerfahrenen Leute“ mit westlichen Ministerpräsidenten verhandelten, sprächen sie doch „wie die Kuh vom Rückenschwimmen“,1647 eine Einschätzung, die Ministerpräsident de Maizière aber CDU-intern nicht davon abhielt, darauf zu bestehen, dass alle CDUKandidaten für die Ämter der Ministerpräsidenten aus der DDR kamen.1648 Offensichtlich meinte Preiß mit seiner langjährigen Arbeit für das MfS aber, selbst über ausreichende Erfahrungen zu verfügen, denn natürlich ließ er von Anfang an keinen Zweifel daran, in diesem Ministerium eine gewichtige Rolle spielen zu wollen. Gegenüber Krause erklärte er, er denke nicht an eine „einseitig zentrale Bundesbehörde für die neugebildeten Länder“, sondern an eine Organisationsform, die sowohl vom Bund als auch von den neuen Bundesländern getragen werde. Der Begriff „Ministerium für Wirtschaftskooperation“ oder „Aufbauministerium“ sei zu eingeengt. Besser wäre für eine Legislaturperiode ein „Ministerium für Regionalaufbau“ oder „Ministerium für Strukturanpassung“.1649 Der DDR-Ministerrat beschloss daraufhin am 16. Juli, „im Interesse eines solidarischen Handelns“ der neuen Länder für eine Übergangsfrist sowohl eine Ministerkonferenz dieser Länder mit dem Einigungsvertrag anzustreben als auch „ein entsprechendes Ministerium“ für eine befristete Übergangszeit zu schaffen und „mit einem auf diese Aufgabe bezogenen Sonderstatus auszustatten“. Durch Staatsverträge zwischen den fünf Ländern sollte „das notwendige gemeinschaftliche Handeln entsprechend ihren gegenüber anderen Bundesländern spezifischen Bedingungen gewährleistet werden“, etwa in den Bereichen Wissenschaft,

1645 1646 1647 1648 1649

Scheiben von Manfred Preiß an Günther Krause vom 5. 7.1990: Zuarbeit des MRKA zu den Fragen an die Ressorts zur Vorbereitung des Staatsvertrages zur Herstellung der deutschen Einheit (BArch B, DO 5, 12). Schäuble, Der Vertrag, S. 134 f. Zit. in Berliner Morgenpost vom 8. 7.1990. Siehe Kap. 5.4.1. Manfred Preiß an Günther Krause vom 13. 7.1990 (BArch B, DO 5, 12).

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Bildung und Medien.1650 Unklar blieb dabei, wie man die Länder zum Abschluss derartiger Staatsverträge veranlassen wollte. Abgesehen von solch unrealistischen Forderungen, konnte die Sitzung bei einem unbeteiligten Beobachter den Eindruck erwecken, die DDR-Regierung sehe die Wiedervereinigung als eine Art „feindliche Übernahme“ an, vor deren Folgen man sich tunlichst zu schützen habe. Zudem erübrigt sich angesichts der zentralistischen Länderbildungspolitik de Maizières der Hinweis, dass, jedenfalls in Sachsen, Vertreter des Koordinierungsausschusses zur Länderbildung nicht nach ihrer Meinung gefragt wurden. Hier musste die arrogante Haltung der Regierung, die selbst den künftigen Ministerpräsidenten eine ausreichende Befähigung zur Führung der Staatsgeschäfte á priori absprach, ebenso auf Ablehnung stoßen wie die aus zentralistischem Staatsverständnis erwachsene Unterminierung föderaler Grundprinzipien. Am 24. Juli schied der „Bund Freier Demokraten“ (BFD) aus der Koalition aus, weil er sich in der Frage des Beitritttermins nicht hatte durchsetzen können. Dennoch führten die Minister Viehweger und Preiß ihre Amtsgeschäfte weiter. Gegenüber der Presse erklärte Preiß erneut, das von ihm geplante „Ministerium für Strukturanpassung“ solle den Übergang der fünf Länder in das Gesamtdeutschland oder den Anschluss an die jetzt bestehenden elf Bundesländer erleichtern, Hilfe leisten und die entsprechende Vertretung in der Bundesregierung darstellen. Es sei „kein Dach“ für die fünf neuen Länder und werde „in keiner Weise“ in Landesbefugnisse eingreifen,1651 eine Behauptung, die sich selbst ad absurdum führte, griff doch allein seine Existenz in deren Belange ein. Intern schlug Preiß Krause zur Vorbereitung des Einigungsvertrages zugleich vor, die Länder in der DDR nach ihrer Bildung bis zum avisierten Beitritt mit beratender Stimme an der Arbeit des Bundesrates zu beteiligen. Zu diesem Zeitpunkt ging die Regierung noch davon aus, dass zunächst Länder der DDR entstehen und erst dann der Beitritt erfolgen würde. Nach vollzogener Einheit sollten sie mit jeweils vier Stimmen an der Länderkammer beteiligt werden. Bis zu gesamtdeutschen Wahlen und der Bildung der ersten gesamtdeutschen Regierung, so der vermessene Vorschlag von Preiß, werde er die Interessen der Länder im Auftrag der Ministerpräsidenten wahrnehmen. Er informierte Krause darüber, dass in einer Beratung seines Ministeriums mit den Bundesministerien des Innern und für innerdeutschen Beziehungen in dieser Hinsicht bereits Übereinstimmung erzielt worden sei. „Bis zur vollen Angleichung der neuen Länder“ sollte für ein oder anderthalb Legislaturperioden ein Ministerium für Strukturanpassung gebildet werden. Man sei sich einig gewesen, zur Vorbereitung der erforderlichen Schritte eine paritätische Arbeitsgruppe einzusetzen, die nach dem 30. Juli ihre Arbeit aufnehmen werde.1652 1650 1651 1652

Beschluss des DDR-Ministerrates über den Einigungsvertrag vom 16. 7.1990 (ebd., DC 20, I/3 3024). Vgl. Protokoll der 17. (außerordentlichen) Sitzung des Ministerrates der DDR am 16. 7.1990 (ebd., 11626). Interview Manfred Preiß. In: Junge Welt vom 26. 7.1990. Manfred Preiß an Günther Krause vom 26. 7.1990 (BArch B, DO 5, 12).

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Vor dem Hintergrund dieser bisherigen Entwicklung brachte de Maizière die Idee eines Aufbauministeriums in die Verhandlungen über den Einigungsvertrag ein.1653 Die Chancen schienen nicht schlecht zu stehen, denn auch Bundeskanzler Kohl erklärte während der Verhandlungen öffentlich, ein Ministerium für den Aufbau der neuen Länder schaffen zu wollen.1654 In einem Schreiben an Otto Graf Lambsdorff schickte Preiß diesem am 14. August bereits eine Rohskizze seines „Strukturministeriums“,1655 gegenüber de Maizière erklärte er zwei Tage später, bis zur Angleichung der Länder auf dem Territorium der DDR an die Bundesländer sei die Einrichtung einer dafür zuständigen Bundesbehörde mit Sitz in Berlin eine „zwingende Notwendigkeit“. Die Interessen der Länder sollten in der Zeit nach dem Beitritt bis zu gesamtdeutschen Wahlen im Auftrag der Ministerpräsidenten der fünf Länder durch ihn wahrgenommen werden.1656 In einem Schreiben an Klaus Reichenbach erklärte er auch den Sinn seiner Initiative, die er unter anderem darin sah, die Mitarbeiter seines Ministeriums „in eine zu schaffende Einrichtung für Strukturanpassung zu überführen“,1657 die unter seiner Leitung stehe sollte. Auch Priesnitz fand angesichts der Diskussionen über die Zukunft des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen offenbar Gefallen an einem neuen Bundesministerium und erklärte, dass er sich bei einer Nichtwahl im künftigen Aufbauministerium besonders für Sachsen engagieren werde.1658 Ebenso wäre es für Geißler „das mindeste“ gewesen, „dass man eine zentrale Stelle in der Regierung geschaffen hätte, ein Aufbauministerium oder ähnliches, das für die Umsetzung des Einigungsvertrages die politische Verantwortung gehabt hätte.1659 Freilich hatten Bundes- und DDR-Regierung die Rechnung ohne den Wirt machen wollen. Anfang August wandte sich die Bayerische Staatsregierung dagegen, zentralistische Strukturen der DDR durch ein Aufbauministerium festzuschreiben.1660 Auch bei allen anderen Bundesländern stieß der Gedanke auf entschiedenen Widerstand. Sie sahen darin einen Ansatz, dem Bund, bezogen auf das künftige Bundesgebiet, vorübergehend Kompetenzen zu übertragen, die nach dem Grundgesetz den Ländern zustanden. Derartige Abweichungen im Kompetenzbereich, durch die Teile der zentralen DDR-Strukturen aufrechterhalten und in das bundesdeutsche Verfassungssystem überführt werden sollten, wurden selbst für den Fall als unannehmbar angesehen, dass der Bund im Auftrag der Ministerpräsidenten der fünf neuen Länder handeln würde. Stattdessen erwogen die Länder die Einrichtung eines Generalsekretariats der Ministerpräsidentenkonferenz mit Sitz 1653 1654 1655 1656 1657 1658 1659 1660

Vgl. Schreiben von Manfred Preiß an Klaus von Dohnanyi vom 9. 8.1990 (ebd.). Vgl. Die Union vom 6. 8.1990. Manfred Preiß an Otto Graf Lambsdorff vom 14. 8.1990 (BArch B, DO 5, 12). Manfred Preiß an Lothar de Maizière: Persönliches Gespräch am 16. 8.1990 (ebd., 164) Manfred Preiß an Klaus Reichenbach vom 30. 8.1990 (ebd., 12). Die Union vom 18. 8.1990. Geißler, Heiner Geißler, S. 106. Vgl. dpa vom 2. 8.1990.

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in Potsdam, das die Aufbauhilfe für die neuen Länder koordinieren könnte.1661 Aber auch die „unerfahrenen Leute“ aus dem Osten zeigten keine Neigung, das eigennützige Spiel der DDR-Regierung mitzuspielen. Als Krause Biedenkopf das Aufbauministerium am 27. August schmackhaft machen wollte, lehnte auch dieser ab. Ein solches Ministerium gebe keinen Sinn, noch weniger notwendig sei es, „eine Art Zwischenregierung der DDR am Kabinettstisch einer gesamtdeutschen Regierung zu etablieren“. Nach seiner Meinung wollte sich Kohl damit lediglich „den weiteren Zugriff auf die DDR und ihre Länder sichern und Krause sich die Macht, die er als Verhandlungsführer der DDR-Regierung erlebt hat“.1662 Von den noch hinzukommenden Ambitionen des im Herbst 1990 enttarnten IM des MfS, Preiß, war keine Rede. Finanzen: Ein weiteres Thema der zweiten Runde der Einigungsverhandlungen war erneut die künftige Finanzausstattung der neuen Länder.1663 Hier prallten die Meinungen hart aufeinander, und auch hier hatten die neuen Länder keine Möglichkeiten, ihre Interessen unvermittelt zu vertreten. Die Bundesregierung war bislang davon ausgegangen, dass die 115 Milliarden D-Mark aus dem „Fonds Deutsche Einheit“ nur zur Hälfte den neuen Ländern zufließen würden. Mit der anderen Hälfte sollten Aufgaben des Bundes in der DDR finanziert werden. Die fünf neuen Bundesländer sollten erst ab 1995 am Bund-Länder-Finanzausgleich voll beteiligt werden, zuvor kamen die Hauptleistungen aus dem „Fonds Deutsche Einheit“. Krause verlangte jedoch die sofortige Anwendung des Grundgesetzartikels 107, also die sofortige Einbeziehung der neuen Länder in den Finanzausgleich. Schäuble wies dieses Ansinnen zurück,1664 was wiederum die SPD-geführten Länder am 19. August zum Anlass nahmen, der Bundesregierung vorzuwerfen, sie statte die neuen Länder und ihre Kommunen finanziell unzureichend aus.1665 Den Regierungschefs der A-Länder war also durchaus klar, dass die Finanzausstattung der künftigen Bundesländer unzulänglich war, freilich schoben sie, die sich ebenfalls weigerten, zusätzliche Leistungen aufzubringen, den schwarzen Peter dem Bund zu. Ungeachtet dessen einigten sich Bundesfinanzminister Waigel und die Finanzminister der Länder am 28. August weitgehend über Finanzfragen im Zusammenhang mit der deutschen Einheit. Demnach erhielten die neuen Länder 85 statt 80 Prozent aus dem „Fonds Deutsche Einheit“ sowie einen von 1991 bis 1994 jährlich steigenden Anteil von 55 bis zuletzt 70 Prozent des Länderanteils an der Umsatzsteuer. Die Finanzminister der Länder drängten im Gegenzug darauf, dass der Bund anerkennt, dass die im Artikel 7 des Einigungsvertrages vorgesehene Regelung zur Umsatzsteuerverteilung zwischen den Ländern zu erheblichen finanziellen Mehrbelastungen der westlichen Länder im Zeitraum 1991 bis 1994 führe. Ihnen, so das Ergebnis einer Konferenz der Finanzminister, verbleibe in diesem Zeitraum ein Weniger an Um1661 1662 1663 1664 1665

Vgl. Dästner, Die Mitwirkung der Länder, S. 42. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 309. Zur bisherigen Entwicklung vgl. weiter oben im gleichen Kap. Vgl. Schäuble, Der Vertrag, S. 181. Vgl. Dästner, Die Mitwirkung der Länder, S. 58 f.

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satzsteueranteilen in der Größenordnung von 4 bis 5 Mrd. DM. Die vorgesehene Regelung zur Umsatzsteuerverteilung stehe damit im Widerspruch zu den Vereinbarungen im Zusammenhang mit dem „Fonds Deutsche Einheit“, wonach die Länderbeteiligung an den Kosten des Einigungsprozesses damit abschließend geregelt sei. Die Länder, so empfahlen die Minister, sollten dem nur zustimmen, wenn der Bund förmlich erkläre, dass die Ausgaben des Bundes für das Gebiet der DDR (Nachfolge Zentralhaushalt bzw. Länderhaushalte) als Gegenstück für die Nichteinbeziehung der DDR-Länder in die Deckungsquotenberechnung bei der Umsatzsteuerverteilung nicht in die Deckungsquotenberechnung im Verhältnis Bund/West-Länder für die Umsatzsteuerverteilung einbezogen werden dürften. Außerdem solle der Bund definitiv erklären, dass die Länder mit der Finanzierung des „Fonds Deutsche Einheit“ ihren Beitrag zur Finanzierung der Vereinigung beider deutscher Staaten abschließend geleistet hätten und eventuell darüber hinausgehende Verpflichtungen dem Bund oblägen.1666 Stimmenverhältnis im Bundesrat: Am 23. August beschloss die Volkskammer den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes. Das hatte erhebliche Auswirkungen auf das am 22. Juli von der Volkskammer verabschiedete Ländereinführungsgesetz, das ursprünglich am 14. Oktober 1990 in Kraft treten sollte, da für diesen Tag der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik vorgesehen war. Durch den Beschluss der Volkskammer wurde dieser Zeitpunkt unter Protesten der SPD auf den 3. Oktober vorgezogen, wodurch auch der für den 31. August vorgesehene Einigungsvertrag von dieser Terminierung ausgehen und eine entsprechende Änderung für das Inkrafttreten des Ländereinführungsgesetzes erfolgen musste.1667 Unmittelbar vor Unterzeichung des Einigungsvertrages setzten die bevölkerungsreichsten Bundesländer erneut das Thema einer Stimmenänderung im Bundesrat auf die Tagesordnung. Der Bundesrat brachte am 24. August die Neuverteilung der Länderstimmen auf den Weg. Mit 27 gegen 18 Stimmen wurde ein Gesetzentwurf verabschiedet, der zunächst der Bundesregierung zugeleitet und abschließend im Bundestag behandelt werden musste. Er sah die Änderung des Artikels 51 des Grundgesetzes vor. Nach dem im Bundesrat ausgefertigten Gesetzentwurf sollte es zu einem neuen Verteilungsschlüssel unter Vermehrung der Bundesratsstimmen von 41 auf 79 kommen. Nordrhein-Westfalen sollte acht statt bisher fünf, Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen je sieben statt bisher fünf Stimmen erhalten. Ausgelöst wurde die Initiative durch die Tatsache, dass die Zahl von fünf kleinen Ländern, die durch das Ländereinführungsgesetz beschlossen worden waren, Probleme bei der Sitzverteilung im Bundesrat aufwarf. Nach der 1962 gemäß Artikel 51, Abs. 2 GG beschlossenen Sitzzuweisungsregel hätten vier der neuen Länder je vier Sitze im Bundesrat zugestanden; sie wären dadurch, gemessen an ihren Ein1666 1667

Bundesrat, Finanzausschuss. Ergebnisniederschrift über die Finanzministerkonferenz am 28. 8.1990 in Bonn (BFM, 105, Fz Ref, FzA, FMK, ab 24./25. 4.1990 bis 6. 9. 1990). Vgl. Marek/Schilling, Neubildung, S. 64.

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wohnerzahlen, weit überrepräsentiert gewesen. Wäre die Drei-Länder-Lösung nach Blaschke zustande gekommen, hätte sich im Bundesrat ein der Bevölkerungsverteilung entsprechendes Stimmenverhältnis ergeben. Nachdem die DDR-Regierung sich aber für eine Fünf-Länder-Lösung entschieden hatte, sahen sich die bevölkerungsreichsten Bundesländer veranlasst, eine Neuverteilung der Bundesratssitze zu erwirken, um das Ungleichgewicht zwischen Sitzverteilung und Bevölkerungszahl zu mildern.1668 Hauptinitiatoren der Änderung waren Clement und Streibl. Letzterer erläuterte die Gründe für seine Initiative. Der Vorschlag einer „Spreizung des Stimmrechts“ im Bundesrat orientiere sich an Sinn und Inhalt der föderalistischen Staatsform. Eine Änderung des Artikel 51 GG diene dazu, den Sinn der „bewährten verfassungsrechtlichen Organisationsvorschrift an die neue Situation eines Gesamtdeutschland anzugleichen“. Ziel sei es, die bisherige Ausgewogenheit im Bundesrat zu erhalten. Dazu müsse die Stimmenrelation im Bundesrat stärker an die Relation der Einwohnerzahlen der Länder im vereinten Deutschland angepasst werden, da sonst die neuen Länder zusammen mit Berlin mit 24 von insgesamt 65 Stimmen eine Sperrminorität gegen Verfassungsänderungen erhielten. Dagegen hätte Nordrhein-Westfalen trotz seiner 16,4 Mio. Einwohner weiterhin nur fünf Stimmen, während die fünf neuen DDR-Länder mit knapp 15,2 Mio. Einwohnern zwanzig Stimmen im Bundesrat hätten. Das entspreche nicht dem Sinn des Artikel 51 des Grundgesetzes. Daher seien Vorwürfe gegen eine Änderung „völlig abwegig“.1669 Das änderte freilich nichts daran, dass sich vor allem die kleinen Bundesländer gegen den Gesetzentwurf wehrten, da sie ihren Einfluss in der Länderkammer schrumpfen sahen. Berlins Regierender Bürgermeister, Walter Momper, der sich selbst noch im Dezember 1989 für die Beibehaltung der Zweistaatlichkeit ausgesprochen hatte, meinte, vor allem Bayern und Nordrhein-Westfalen belasteten durch ihr „egoistisches Verhalten“ die Einheit Deutschlands und orientierten sich nur an den eigenen kurzfristigen Interessen. Es sei unerträglich, dass die großen Länder ihren Einfluss im Bundesrat verstärken wollten. Der vorgeschlagene Verteilungsschlüssel sei „ein Instrument zur Abschottung gegen den Osten Deutschlands“. Die großen Länder wollten ihre Stellung im Bundesrat stärken, ohne den neuen Ländern eine Chance zur Mitsprache einzuräumen.1670 Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb, die großen Länder betrieben „Besitzstandswahrung“ und teilten sich so viele Stimmen zu, dass ihre Macht und ihre Sperrminoritäten erhalten blieben. Nicht nur bei den Finanzen, auch hier würden sie ohne Skrupel zeigen, dass sie die deutsche Einheit vor allem unter dem Gesichtspunkt des eigenen Vorteils sähen. Daran würde auch ihre Verwaltungshilfe nichts ändern.1671 Die 1668 1669 1670 1671

Vgl. Rutz/Scherf/Strenz, Die fünf neuen Bundesländer, S. 119. Rede des Bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl im Bundesrat anlässlich der Bundesratsinitiative zu Art. 51 Abs. 2 Grundgesetz – Neuverteilung der Länderstimmen – am 24. 8.1990 (BayStK, Baer). dpa vom 17. 8.1990. Süddeutsche Zeitung vom 18./19. 8.1990.

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„Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hatte die geplante Änderung schon im Frühsommer als opportunistisch und in sich wenig schlüssig bezeichnet. Sie sei skandalös, weil sie in Eile vor dem Beitritt noch das Gewicht der West-Länder im Verhältnis zu den Ost-Ländern einschließlich Berlins verschiebe und den großen Ländern damit beinahe eine Zwei-Drittel-Mehrheit verschaffe.1672 Fritz Ullrich Fack nannte die Rolle der Bundesländer Ende August „eines der traurigsten Kapitel der Wiedervereinigung“.1673 Auch die DDR-Regierung lehnte die Regelung am 29. August ab.1674 Übergang von Einrichtungen und Personal: Ein anderes Thema der Verhandlungen zum Einigungsvertrag war der im Paragraphen 22 des Ländereinführungsgesetzes geregelte Übergang von Einrichtungen und Personal in die Hoheit der Länder. Schon im Vorfeld des Ländereinführungsgesetzes hatte Preiß diesbezüglich auch hier klare Verhältnisse schaffen wollen. In einer Zuarbeit für die Einigungsverhandlungen hieß es, der Übergang derzeitiger Republikskompetenz auf die künftigen Länder bzw. die Bundesbehörden nach der Einheit Deutschlands erforderten Festlegungen aller Ministerien, welche Organisationseinheiten und Einrichtungen mit Personal zu welchem Zeitpunkt an die Länder übergehen sollten. Im Einigungsvertrag müssten die organisatorischen und personellen Fragen der Überleitung von Republikskompetenzen und -verwaltungsaufgaben geklärt1675 und deutlich darauf hingewiesen werden, „dass mit der Übernahme von Verwaltungsaufgaben der Länder von der Republik das Personal anteilmäßig auf die Länder übergeht“.1676 Diese Position trug Preiß nun laufend vor. Am 26. Juli wies er Krause in Vorbereitung der zweiten Runde der Einigungsverhandlungen nochmals darauf hin, dass die im Ländereinführungsgesetz in den Paragraphen 10 und 18 festgelegten Gesetzgebungs- und Verwaltungsbefugnisse mit der Herstellung der Einheit in die Verantwortung der Länder übergehen würden. Das schließe Verwaltungsorgane und sonstige der öffentlichen Verwaltung oder Rechtspflege dienende Einrichtungen, „einschließlich des Personals“ ein, die bislang diese Aufgaben wahrgenommen hätten.1677 Die Problematik der Übernahme von Institutionen samt Personal wurde auch auf einer Beratung mit den Regierungsbevollmächtigten der Bezirke am 30. Juli besprochen, freilich anschließend durch die Regierung als eines der zur Zeit offenen Probleme bewertet. Offenbar wurde hier Kritik am forschen Kurs von Preiß formuliert, denn im Regierungsbeschluss über die Besprechung hieß es, dass „in diesem Zusammenhang“ eine Überprüfung des Beschlusses des Ministerrates vom 1672 1673 1674 1675 1676 1677

FAZ vom 2. 5.1990. Vgl. Mäding, Die föderativen Finanzbeziehungen, S. 319. FAZ vom 22. 8.1990. Protokoll der 27. Sitzung des Ministerrates der DDR am 29. 8.1989, Bl. 7 (BArch B, DC 20, I/3–3052). Scheiben von Manfred Preiß an Günther Krause vom 5.7.90: Zuarbeit des MRKA zu den Fragen an die Ressorts zur Vorbereitung des Staatsvertrages zur Herstellung der deutschen Einheit, Anlage (BArch B, DO 5, 12 ). Manfred Preiß an Günther Krause vom 13. 7.1990 (ebd.). Manfred Preiß an Günther Krause vom 26. 7.1990 (ebd., 206).

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16. Mai über weitere Aufgaben und Maßnahmen, die sich aus der Auflösung des MfS/AfNS ergeben, hinsichtlich der Übergabe der Objekte der ehemaligen Bezirks- und Kreisdienststellen an die Länder bzw. Kommunen gefordert worden sei. Preiß und andere Minister, der Oberbürgermeister von Ost-Berlin sowie die Regierungsbevollmächtigten wurden beauftragt, zur verfahrensrechtlichen Regelung des Übergangs von Einrichtungen und Personal in die Hoheit der Länder dem Ministerrat bis Mitte September eine Durchführungsverordnung vorzulegen.1678 Auf Proteste von Regierungsbevollmächtigten gegen die in die Entscheidungsfreiheit der künftigen Länder eingreifende Regelung deutet auch die Tatsache hin, dass Preiß’ Abteilungsleiter Dudek am 6. August im Zusammenhang mit der Regelung im Paragraphen 22 des Ländereinführungsgesetzes jovial zugestand, bei der Auswahl künftiger leitender Angestellter der neuen Landesregierungen stünde „selbstverständlich der Berücksichtigung von Bewerbern auch außerhalb der Bezirksverwaltungsbehörden, Ministerien und anderen Verwaltungsbehörden nichts im Wege“.1679 Wie ernst es der Regierung mit der Überleitung des Personals aus dem eigenen, aufgeblähten und ideologisch gepolten Staatsapparat war, zeigt eine von Klaus Reichenbach übermittelte Aufforderung von Günter Krause, in Kooperation mit den bundesdeutschen Partnerministerien die Vorbereitung der Überführung der Verwaltungsorgane, Einrichtungen und Institutionen der Ministerien in die unmittelbare oder mittelbare Bundes- oder Landesverwaltung vorzunehmen. Soweit Ministerien Aufgaben wahrnähmen, für die künftig die Länder zuständig seien, werde das Personal der Ministerien anteilmäßig auf die Ministerien der Länder übergeleitet. Dasselbe gelte analog für Behörden der Verwaltung.1680 Von einem Mitspracherecht der künftigen Länder hinsichtlich dieser ureigensten Belange war keine Rede. Um den Übergang genau zu regeln, hatten die Staatssekretäre dem Kabinett bis zum 29. August sogar bereits eine Durchführungsverordnung vorzulegen.1681 Der Ministerrat beauftragte Preiß gleichzeitig damit, dafür zu sorgen, „dass in Vorbereitung der Bildung der Landesbehörden keine zeitlich unbefristeten Arbeitsverträge abgeschlossen werden“.1682 Möglicherweise wollte die Regierung so verhindern, dass in den entstehenden Ländern in personeller Hinsicht bereits vollendete Tatsachen geschaffen würden, die einer anteiligen Übernahme von Mitarbeitern aus den Ministerium im Wege stehen könnten.

1678 1679 1680 1681 1682

Beschluss des Ministerrates der DDR 24/17/90 vom 8. 8.1990 zur Information über die Beratung mit den Regierungsbevollmächtigten in den Bezirken am 30. 7.1990 (Dok. 115). Standpunkt Rainer Dudeks vom 6. 8.1990 zum Schreiben des Stellv. des Leiters für regionale und kommunale Angelegenheiten der BVB Neubrandenburg vom 11. 7. 1990 (BArch B, DO 5, 129). Klaus Reichenbach an Manfred Preiß vom 13. 8.1990 (ebd., 12). Protokoll über die Beratung am 20. 8.1990 mit den Staatssekretären der Ministerien zur Vorbereitung der Ministerratsrunde am 22. 8.1990 (BArch B, DC 20, 8968, Bl. 37–44). Protokoll der 27. Sitzung des Ministerrates am 29. 8.1990 (ebd., 11626).

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Hinter den Plänen der DDR-Regierung, möglichst viel Personal in die künftigen Landesverwaltungen zu transferieren, stand wie so oft in diesen Wochen und Monaten bereits die Bundesregierung als wesentlich mitentscheidender Akteur. Für sie war der Regelungsbedarf größer als für die sich selbst abschaffende DDR-Regierung, würde man doch binnen kurzer Zeit für die gesamte Problematik verantwortlich sein. Wohl deswegen meinte Schäuble denn auch, dass die rund zwei Millionen Beschäftigten des DDR-Staatsapparates „eine faire Chance“ erhalten müssten, sich „in dem Prozess der deutschen Einheit wiederzufinden“, was hieß, dass er „nachdrücklich dafür“ eintrat, vor allem „die in der früheren DDR tätigen Menschen für den Aufbau auch neuer Verwaltungen einzusetzen“.1683 Dass er angesichts der ohnehin immensen Kosten für die Wiedervereinigung verständlicherweise Personalkosten für den Bund sparen und auf die neuen Bundesländer abwälzen wollte, zeigt seine Erklärung gegenüber Preiß, es werde „unbedingt darauf zu achten sein, dass in größtmöglichem Umfange das Personal für die neu zu schaffenden Länderverwaltungen aus der bisherigen Zentralverwaltung requiriert wird“.1684 Freilich gab es hier auch entgegengesetzte Auffassungen. So meinte der Rechtsberater des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen, Mahnke, bereits Anfang Juli, es gelte „zu verhindern, dass die ehemaligen SED-Kader aus den Berliner Zentralministerien nunmehr die Landesverwaltungen füllen“.1685 Klaus von Dohnanyi, bis 1988 Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, forderte die neuen politischen Kräfte direkt zu einem völlig anderen Kurs auf. Wenn man wirklich zu einer glaubhaften Demokratie kommen wolle, müssten glaubwürdige Menschen „an die Schaltstellen der Macht und des demokratischen Vertrauens“ gelangen. Dies sei wichtiger als fachliche Kompetenz, weil Glaubwürdigkeit die Grundvoraussetzung einer funktionierenden Demokratie sei: „Hier sollten Sie bitte aus unseren Fehlern nach 1945 lernen und keine Kompromisse machen.“1686 Diese Position entsprach der, die auch die Vaatz-Gruppe und, in direkter Verantwortung, der Dresdner stellvertretende Regierungsbevollmächtigte für Personal, Matthias Reichenbach, vertrat und praktisch umsetzte.1687 Hier lag eine der Quellen für die Konflikte zwischen den Dresdner Revolutionären und Schäuble, der nach ihrer Überzeugung den Staatsfunktionären der SEDDiktatur nicht kritisch genug gegenüberstand und außerdem deren Qualifikationsniveau überschätzte. Diesbezüglich waren die Einschätzungen der Fachleute recht eindeutig. Führende Verwaltungsexperten schätzten den fachlichen 1683 1684

1685 1686 1687

Schäuble, Der Vertrag, S. 202–205. BMI, Abt. O: Betr. Antrittsbesuch des Ministers für regionale und kommunale Angelegenheiten der DDR, Manfred Preiß, am 27. 4.1990 im BMI, Teil 4.1: Aufbau von Verwaltungsstrukturen in den künftigen Ländern der DDR (BArch, B 106, 301132, VI1–110851/0, Band 2). BMB, IIA3, Dr. Mahnke: Betr. Besprechung der Chefs des Bundeskanzleramtes mit den Chefs der Staats- und Senatskanzleien der Länder zur deutschlandpolitischen Situation am 5. 7.1990 (ebd., B 137, 10857, 3440). Dohnanyi, Brief an die deutschen demokratischen Revolutionäre, S. 29 f. Vgl. dazu Kap. 5.1.2.

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Ausbildungsstand des DDR-Verwaltungspersonals als „erstaunlich gering“ ein. Während in der Bundesrepublik Deutschland ein guter Teil praktischer Verwaltungsarbeit von einem hervorragend ausgebildeten und motivierten gehobenen Dienst geleistet werde, fehle ein dieser Laufbahngruppe entsprechender Personalkörper in der DDR vollständig. Den Mitarbeitern des Staatsapparates fehlten „selbst elementare Grundkenntnisse des Verwaltungsverfahrens und der Grundsätze der Verwaltungsentscheidung sowie des materiellen Verwaltungsrechts“. Verwaltungsjuristen seien praktisch unbekannt. Die Frage der Qualifikation erstrecke sich nicht nur auf die fachliche Eignung, sondern auch darauf, inwieweit das vorhandene Personal überhaupt dazu in der Lage sei, in freiheitlich-rechtsstaatliche Kategorien umzudenken.1688 Über Jahrzehnte waren die Mitarbeiter des Staatsapparates genau ausgesucht und intensiver als andere Bevölkerungsgruppen im Sinne kommunistischer Ideologie indoktriniert worden. Im DDR-Lehrbuch für Verwaltungsmitarbeiter hieß es: „Alle Staatsorgane sind ständig und systematisch klassenmäßig zu stärken. Das erfordert, die Leitungsfunktionen mit fähigen, der Sache der Arbeiterklasse und ihrer Partei treu ergebenen Kadern zu besetzen.“1689 Die enge personelle Verflechtung von Parteiund Staatsapparat war nun nicht durch ein paar voluntaristische Bekundungen aufzulösen, zeigte doch selbst die Arbeit der Regierung de Maizière, dass auf allen Ebenen des Staatsapparates „Selbstverwaltung“, „Föderalismus“ oder „Subsidiarität“ als Ideen weitgehend unbekannt waren und das Verwaltungsdenken „hochgradig zentralistisch“ war.1690 Preiß war bei seinem Antrittsbesuch im Bundesinnenministerium der, freilich vergebliche, Hinweis nicht erspart geblieben, in der DDR sei ein neues Bewusstsein über die Werte der föderativen Strukturen in einem Gesamtstaat unabdingbar.1691 Trotz dieser Probleme war klar, dass bei der Übernahme der bundesdeutschen Verwaltung das bisherige Verwaltungspersonal nicht einfach komplett ausgewechselt werden konnte. Auch in der Vaatz-Gruppe wusste man, dass ein solcher Weg unrealistisch und falsch gewesen wäre. Notwendig war eine schnelle und umfassende Qualifikation der Betroffenen, ergänzt durch die beschleunigte Herausbildung einer neuen Verwaltungselite. Bis dahin führte am Import von westlichen Beamten kein Weg vorbei. Einrichtung einer Clearingstelle: Dass die kritische Beurteilung der Fähigkeiten der Mitarbeiter des Staatsapparates auch in der Bundesregierung geteilt wurde, zeigte eine Beratung unter Leitung des für Verwaltungsorganisation zuständigen Abteilungsleiters im Bundesinnenministerium, Hans-Dieter Wedler. Hier wurde erörtert, wie die Funktionsfähigkeit der Verwaltung in den Ländern der DDR angesichts der Tatsache sichergestellt werden konnte, dass der Beitritt 1688 1689 1690 1691

Bernet/Lecheler, Die DDR-Verwaltung, S. 38 f. Vgl. S. 1. Verwaltungsrecht – Lehrbuch, S. 86. Vgl. Bernet/Lecheler, Die DDR-Verwaltung, S. 6. Ebd., S. 40. BMI, Abt. O: Betr. Antrittsbesuch des Ministers für regionale und kommunale Angelegenheiten der DDR, Manfred Preiß, am 27. 4.1990 im BMI, Teil 4.1: Aufbau von Verwaltungsstrukturen in den künftigen Ländern der DDR (BArch, B 106, 301132, VI1–110851/0, Band 2).

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erfolgen würde, bevor die neugeschaffenen Länder handlungsfähige Regierungen hatten. Beteiligt waren Vertreter der Bundesministerien des Innern, der Finanzen, für Wirtschaft, für Justiz, für Verteidigung und für innerdeutsche Beziehungen sowie des Bundeskanzleramtes. Alle waren „übereinstimmend der Auffassung, dass die Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung in den Ost-Berliner Ministerien und den Bezirksverwaltungen weder fachlich noch von ihrer politischen Einstellung her zu einer sachgerechten und wirkungsvollen Verwaltungsarbeit in der Lage“ seien. Selbst die Landessprecher würden „nicht über die erforderliche Autorität“ verfügen, „um eine funktionsfähige Länderverwaltung nach dem Beitritt zu garantieren“. Angesichts dieser ernüchternden Analyse wurden in der Runde drei Lösungsmodelle diskutiert. Das Bundesinnenministerium schlug vor, die Institution des Landessprechers durch die Aufnahme in den Einigungsvertrag rechtlich zu stärken und über den Beitritt hinaus zu sichern. Den Landessprechern sollte bis zur Wahl der Ministerpräsidenten ein umfassendes Weisungsrecht auf Länderebene zugestanden werden. Sie bzw. nach deren Wahl die Ministerpräsidenten sollten die Möglichkeit haben, Bundes- und westliche Landesbehörden um Verwaltungshilfe zu bitten. Zur näheren Festlegung der einzelnen Unterstützungsmaßnahmen sollte ein Gremium aus den fünf Landessprechern bzw. Ministerpräsidenten und Vertretern des Bundes und der westlichen Länder gebildet werden. Die Einrichtung dieses Gremiums sollte die „politische Verdaulichkeit“ dieses Modells ebenso sicherstellen wie die Tatsache, dass die Verwaltungshilfe nur auf Anforderung der DDR-Landessprecher bzw. Ministerpräsidenten erfolgen sollte. Demgegenüber sprach sich der zuständige Abteilungsleiter des Bundesjustizministeriums, Coburg, dafür aus, dass die Bundesländer den beitretenden Ländern in eigener Verantwortung Hilfe leisten sollten. Bis zur Wahl der Ministerpräsidenten sollte demnach ein von dem jeweiligen westlichen Patenland eingesetzter Länderkommissar das neue Bundesland unter Rückgriff auf den Verwaltungsapparat des westlichen Patenlandes betreuen. Dabei sollten die Patenschaften bereits im Einigungsvertrag verbindlich festgeschrieben werden. Dieses sogenannte „Patenmodell“ ging davon aus, dass die Wahrnehmung sämtlicher Verwaltungsaufgaben in den beigetretenen Ländern durch den Bund mit der föderalen Struktur des Grundgesetzes nicht vereinbar und gegenüber den Bundesländern im Bundesrat nicht durchsetzbar war. Die Vertreter des Bundesfinanz- und Bundeswirtschaftsministeriums vertraten den Standpunkt, dass konsensuale Verwaltungshilfen, wie sie dem Modell des Bundesinnenministeriums zugrunde lagen, nicht geeignet seien, nach dem Beitritt aus dem Stand effektive Verwaltungsstrukturen zu gewährleisten. Sie traten deshalb für ein Weisungsrecht des Bundes für sämtliche Landesaufgaben bis hin zur Ersatzvornahme und der Entsendung von Bundesbeauftragten ein und meinten, die damit verbundene „vorübergehende Abweichung von der grundgesetzlichen, föderalen Ordnung“ werde „durch die außerordentlichen Umstände und den im Einigungsvertrag neu zu schaffenden Artikel 143 GG gedeckt“. Für die zeitweilige Übernahme der gesamten Verwaltung in den beigetretenen Ländern durch den Bund sprach, dass der Bund die

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politische Gesamtverantwortung für die Wiedervereinigung und die erfolgreiche Integration der neuen Bundesländer trug. Dieser politischen Verantwortung konnte der Bund am ehesten gerecht werden, wenn ihm entsprechende umfassende Weisungsrechte zukamen. Die Gefahr, dass der Bund sich bei dem Versuch einer umfassenden Gewährleistung der Länderverwaltung verheben würde, konnte jedoch nicht von der Hand gewiesen werden. Es war fraglich, ob die Bundesverwaltung fachlich und personell für eine umfassende Betreuung sämtlicher neuer Bundesländer, auch in ureigenen Länderangelegenheiten, ausgestattet war, sodass sie aus dem Stand eine funktionierende Länderverwaltung sicherstellen konnte. Das vom Bundesinnenministerium vorgeschlagene „Gremienmodell“ sah zwar eine Beteiligung der Bundesländer vor. Nach Meinung des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen mussten bei dessen Realisierung aber schon im Voraus klare Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten sichergestellt werden, damit keine allzu großen Reibungsverluste bei den notwendigen Abstimmungsprozessen entstanden. Letztlich wurde hier eine Kombination des „Weisungsmodells“ mit dem „Patenmodell“ für unumgänglich gehalten, erschien ein völliger Verzicht auf die Verwaltungserfahrung der Länder doch weder sachgerecht noch politisch durchsetzbar.1692 Diese Kombination sollte in der von nun an installierten Clearingstelle ihren Ausdruck finden. Am 20. August erörterten Seiters und Schäuble mit den Chefs der Staatsund Senatskanzleien unter Beteiligung der Staatssekretäre Hans-Heinrich Neusel (BMI) und Peter Klemm (BMF) „die Notwendigkeit, nach Wirksamwerden des Beitritts der DDR die Verantwortung der Exekutive der Länder in der DDR bis zur Herstellung der Funktionsfähigkeit der Länder zu organisieren“. Die Länder erklärten ihre grundsätzliche Bereitschaft, mit dem Bund Verwaltungshilfe beim Aufbau der Länderverwaltungen zu leisten und zur Durchführung der Verwaltungshilfe eine Clearingstelle zwischen Bund und Ländern einzurichten.1693 Am 29. August beschlossen daraufhin der Bundeskanzler und die Regierungschefs der Länder „für die Durchführung der Art. 14 und 15 des Entwurfs des Einigungsvertrages“ die Einrichtung einer Clearingstelle von Bund und Ländern. Teilnehmer sollten je ein Vertreter der Bundesländer bzw. der neu zu bildenden Länder in der DDR, der Chef des Bundeskanzleramtes, sowie die Bundesminister des Innern, der Finanzen, für Wirtschaft und für Arbeit und Sozialordnung sein. Aufgaben der Clearingstelle waren unter anderem die Entwicklung von Musterstellenplänen und Personalabbauplänen, eine entsprechende Unterstützung der in Bildung befindlichen Länder, die Abstimmung von Qualifizierungs- und Weitervermittlungsmaßnahmen sowie der Verwaltungshil1692 1693

BMB, IIA3. Betr.: Sicherstellung der Verwaltung in den Ländern der heutigen DDR nach deren Beitritt, hier: Ressortbesprechung im BMI am 17. 8.1990 vom 20. 8.1990 (ebd., B 137, 3440, Band 2). Ergebnisprotokoll der Besprechung des Chefs des Bundeskanzleramtes mit den Chefs der Staats- und Senatskanzleien der Länder am 20. 8.1990 in Bonn (HAIT, KA, 3.1). Text in: Dokumente zur Deutschlandpolitik. Deutsche Einheit. Sonderedition aus den Akten des Bundeskanzleramtes 1989/90, S. 1473–1476.

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fe des Bundes und der Länder beim Aufbau der Landesverwaltungen, die Abstimmung der Aufgabenstellung und Arbeitsweise von gemeinsamen Einrichtungen der Länder, die übergangsweise Aufgaben der Länder erfüllen sollten. Dazu wurde beim Bundesinnenminister unter Leitung Wedlers eine Geschäftsstelle mit je zwanzig Mitarbeitern aus Bund und Ländern eingerichtet.1694 Vaatz meint dazu, dass offensichtlich das Vertrauen der Bundesregierung in die Fähigkeit der DDR-Regierung, aus eigenen Kräften ein „wiedervereinigungsfähiges Gebilde“ zu schaffen, begrenzt gewesen sei, sonst hätte sich eine solche Clearingstelle erübrigt. In der Bundesregierung habe man erst zu diesem Zeitpunkt mit Erschrecken zur Kenntnis genommen, dass es bald Länder geben würde, zu deren Organisation es seitens des Bundes keine Ausarbeitungen gab.1695 Die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit einer gemeinsamen Stelle von Bund und Ländern zum Aufbau der Landesverwaltungen wurde auch in den Ländern gesehen, die sich bislang allein um den Verwaltungsaufbau im Osten Deutschlands gekümmert hatten. So hieß es in einem Vermerk für Staatssekretär Lorenz Menz vom baden-württembergischen Staatsministerium, die geplante Clearingstelle werde auch für den Personaleinsatz eine wichtige Funktion erhalten. Es sei „deshalb nicht nur wichtig, dass wir in dieser Clearingstelle hochrangig vertreten sind, sondern auch, dass wir versuchen, in die Geschäftsstelle 2 qualifizierte Mitarbeiter zu entsenden. Denn dort wird letztlich entschieden werden, welches Bundesland für welche Fachbereiche und welche geographischen Teile der DDR die Verwaltungshilfe leistet“. Bisher sei „diesbezüglich noch vieles offen“.1696 Einigungsvertrag: Am 31. August unterzeichneten Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und der Parlamentarische Staatssekretär beim DDR-Ministerpräsidenten, Günther Krause, in Gegenwart von DDR-Ministerpräsident de Maizière im Berliner Palais Unter den Linden den Einigungsvertrag.1697 Er war in der Vertragsgeschichte „eine einmalige Erscheinung“,1698 schuf er doch die Grundlagen für das Zusammenwachsen zweier Volksteile, die mehr als vierzig Jahre diametral entgegengesetzte wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Entwicklungen genommen hatten. Die rasante Geschwindigkeit des Einigungsprozesses hatte den ursprünglichen Plan zunichte gemacht, zunächst einen Bundes1694

1695 1696 1697

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Ergebnisprotokoll der Besprechung des Bundeskanzlers mit den Regierungschefs der Länder am 29. 8.1990 in Bonn, TOP 2 (BArch B, DO 5, 223); Beschluss der Regierungschefs von Bund und Ländern vom 29. 8.1990. Anlage 1 des Schreibens des Bundesministers des Innern an die Mitglieder der Bund / Länder-Clearingstelle für die Verwaltungshilfe vom 5.10.1990 (LA Merseburg, Rep. RdB/BT 21129/2). Vgl. Der Tagesspiegel vom 12. 9.1990. Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. SMBW, Abt. I. Vermerk für Staatssekretär Lorenz Menz zur Vorkonferenz am 31. 8.1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). BGBl II Nr. 35 1990 S. 885–1236. Bulletin Nr. 104 vom 6. 9.1990, S. 877–1120. Vgl. Der Vertrag zur deutschen Einheit, S. 43–93; Protokoll der 28. Sitzung des Ministerrates der DDR am 31. 8.1990, Anlage (BArch B, C 20, I/3–3055, Bl. 11–66, 3056, 3057); Texte zur Deutschlandpolitik. Reihe III/Band 8b – 1990, S. 7–603. Zum Einigungsvertrag vgl. Jäger, Geschichte, S. 478–525. Klaus Kinkel. In: FAZ vom 2.10.1991.

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staat DDR zu konstituieren und erst dann den Beitritt zu vollziehen. Statt dessen sah der Einigungsvertrag die Länderbildung mit dem Wirksamwerden des Beitritts vor. Konkret hieß es dazu: „Mit dem Wirksamwerden des Beitritts der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 23 des Grundgesetzes am 3. Oktober 1990 werden die Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Länder der Bundesrepublik Deutschland.“ Dadurch waren die ersten freien Landtagswahlen am 14. Oktober bereits Wahlen in den fünf neuen Bundesländern, und die Bildung der neuen Länder erfolgte mit dem Beitritt am 3. Oktober 1990. Der Einigungsvertrag übertrug das gesamte rechtliche System, einschließlich des Verwaltungsaufbaus der Bundesrepublik, auf die fünf noch zu gründenden Länder der sich bereits auflösenden DDR. In Artikel 1 wurde die Weitergeltung des Ländereinführungsgesetzes vom 22. Juli vereinbart, jedoch in vermindertem Umfang. Dadurch wurden am 3. Oktober nur die Regelungen wirksam, die für die Eingliederung in das westdeutsche Verfassungssystem erforderlich waren. In Kraft blieben nur die Bestimmungen über die Bildung der fünf Länder, die Möglichkeit der Änderung von Landesgrenzen, den Übergang von Einrichtungen und Personal sowie über die Wahl der Landtage, denen die Aufgabe von verfassungsgebenden Landesversammlungen übertragen wurde, und die Bildung von Landesregierungen. Artikel 3 bestimmte, dass das Grundgesetz in den neuen Ländern und in dem Teil Berlins, in dem es noch nicht galt, in Kraft gesetzt wurde. Der Vertrag machte deutlich, dass die Vereinigung den Bundesrat quantitativ und strukturell veränderte. Durch Artikel 4 wurde das Stimmgewicht der Länder im Bundesrat, das bereits 1973 und 1976 eine „Enquetekommission Verfassungsreform“ beschäftigt und seitdem die verfassungspolitische Diskussion bestimmt hatte, verfassungsrechtlich neu geordnet. Die Stimmendifferenzierung betrug demnach nicht mehr 3–4–5, sondern 3–4–5–6. Dadurch sollte einerseits die Bevölkerungsverteilung der einzelnen Länder innerhalb der erweiterten Bundesrepublik stärker berücksichtigt, andererseits vermieden werden, dass eine Minderheit der Bevölkerung durch eine Mehrheit im Bundesrat vertreten wird und diese gegebenenfalls die parlamentarische Mehrheit im Bundestag blockiert. Vor allem aber wollten die wohlhabenden Flächenstaaten der alten Bundesrepublik verhindern, dass die neuen Bundesländer mit den weniger wohlhabenden Ländern eine Mehrheitskoalition bilden, die sie vor allem bei finanzpolitischen Entscheidungen hätte dominieren können.1699 Auch das strittige Thema der Finanzierung der neuen Bundesländer wurde im Einigungsvertrag (Artikel 7) geregelt. Es wurde vereinbart, das Umsatzsteueraufkommen in einen Ost- und einen Westanteil aufzuteilen, wobei ein Bewohner der neuen Bundesländer 1991 einen durchschnittlichen Umsatzsteueranteil von 55 Prozent des Umsatzsteueranteils eines Bewohners der alten Bundesländer erhalten sollte. Der Anteil sollte bis 1995 angeglichen werden. Vereinbart 1699

Laufer/Münch, Die Neugestaltung, S. 226.

Verhandlungen zum Einigungsvertrag

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wurde außerdem, dass die Kommunen der neuen Länder bis Ende 1994 mindestens zwanzig Prozent der Steuereinnahmen der Länder und vierzig Prozent der Steuereinnahmen der Länder aus dem „Fonds Deutsche Einheit“ erhalten, der zu 85 Prozent den neuen Ländern und zu 15 Prozent dem Bund für Aufgaben in den neuen Ländern zufloss. Ein horizontaler Finanzausgleich wurde bis Ende 1994 nicht vorgesehen. Die gesamten Schulden der DDR wurden von einem Sondervermögen des Bundes unter Verwaltung des Finanzministers übernommen. Bei der Aushandlung des Einigungsvertrages hatte sich die sofortige vollständige Einbeziehung der neuen Bundesländer in die Finanzverfassung der Bundesrepublik als undurchführbar erwiesen. Ferner waren die neuen Länder zunächst nicht in voller Höhe entsprechend ihrer Einwohnerzahl am Länderanteil des Umsatzsteueraufkommens beteiligt, sondern nur in festen, bis 1995 stufenweise steigenden Prozentsätzen.1700 Ursache dieser Regelungen war, dass die bundesstaatlichen Finanzbeziehungen im föderativen System durch die Vereinigung erheblich tangiert wurden. Die erheblichen Unterschiede zwischen den Wirtschafts- und Finanzstrukturen der Bundesrepublik und der DDR wirkten sich einschneidend auf die föderative Finanzordnung im neuen größeren Bundesstaat aus. Dieser konnte nicht einfach die in den Artikeln 104a bis 115 GG normierte Finanzverfassung übernehmen, sondern wurde „durch die divergierenden, ja gegensätzlichen Interessenlagen von Bund, alten und neuen Ländern, armen und reichen unter den alten Ländern gezwungen, ein Netz neuer Regelungen für die verschiedenen Handlungsebenen zu knüpfen“. Es „musste ein Ausgleich gefunden werden zwischen dem verständlichen und berechtigten Verlangen nach einer für die Bewältigung der Zukunftsaufgaben ausreichenden Finanzausstattung der neuen Bundesländer und dem Bestreben der bisherigen Bundesländer, ihre finanzielle Position durch den deutschen Einigungsprozess möglichst wenig beeinträchtigen zu lassen“. Dabei hatte der Bund darauf zu achten, seine zur Erfüllung zentralstaatlicher Aufgaben im erweiterten Bundesgebiet erforderliche finanzielle Leistungskraft zu erhalten. Durch den Beitritt der neuen Länder wurde auch die im Grundgesetz geregelte Finanzverfassung für die Finanzbeziehungen dieser Länder zum Bund und zu den alten Bundesländern verbindlich. Die im Grundgesetz normierten rechtlichen Positionen, Verfahrensregeln und Handlungsrahmen beanspruchten von nun an auch für die neuen Länder Rechtsverbindlichkeit und gaben ihrer Kooperation und Auseinandersetzung mit dem Bund und den alten Ländern Regeln und Form. Doch die politisch-staatliche und sozioökonomische Situation veranlassten Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag sowie die Regierung der DDR, für die neuen Bundesländer Sonderregelungen im Bereich der Finanzverfassung zu treffen.1701 Wie schon bei den Verhandlungen zum Einigungsvertrag mussten sich nach dessen Abschluss vor allem die alten Bundesländer mit dem Vorwurf mangeln1700 1701

Seibel, Zur Situation der öffentlichen Verwaltung, S. 491 f. Vgl. Laufer/Münch, Die Neugestaltung, S. 231 f.

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der Solidarität und reiner „Besitzstandswahrung“1702 auseinandersetzen. Die Vorwürfe basierten teilweise auf der Tatsache, dass die künftigen Länder an den Verhandlungen zum Einigungsvertrag praktisch nicht beteiligt gewesen waren und somit im Gegensatz zum Bund, den westlichen Bundesländern und der DDR-Regierung kein Mitspracherecht hinsichtlich ihrer künftigen Finanzausstattung gehabt hatten. Keine der drei beteiligten Seiten hatte die finanziellen Interessen der neuen Länder angemessen vertreten wollen oder können. In der Frage der Finanzen zeigte sich das Demokratie- und Föderalismusdefizit des Ländereinführungsgesetzes wie des Einigungsvertrages, das in der fehlenden Einbeziehung der neuen Länder bestand, besonders deutlich. Den nominierten Ministerpräsidenten blieb, wie im Fall Biedenkopfs, nur, auf die unzureichende Finanzausstattung hinzuweisen. Verhandlungsspielräume erwuchsen ihnen erst nach Bildung der Länder.1703 So blieb Kurt Biedenkopf Ende August lediglich die Möglichkeit, anzukündigen, er werde die „bisherige Bundesrepublik“ nach Amtsbeginn bei der Finanzierung des Aufbaus der neuen Bundesländer zur Kasse bitten.1704 Die alten Länder hätten sich im Zuge der deutschen Einheit „nicht gerade als Vorreiter der Solidarität erwiesen, jedenfalls nicht in ihrer Gesamtheit“.1705 Ähnliche Kritik formulierte später Sachsens Finanzminister Georg Milbradt. Im Westen sei die Herstellung der inneren Einigung als kurzfristiges Übergangsproblem für die Gesellschaft und die Wirtschaft der neuen Länder angesehen worden, zu dem der Westen lediglich Hilfestellung zu leisten habe. Diese Ansicht finde sich auch in den finanzpolitischen Vorschriften des Einigungsvertrages. Hier gebe es „keine mittelfristig angelegte und solide finanzierte Aufbaukonzeption für den Osten, sondern kurzfristige Übergangsregelungen, insbesondere über den überwiegend kreditfinanzierten ‚Fonds Deutsche Einheit‘ anstelle eines geregelten Finanzausgleichs West-Ost“.1706 Vor der Volkskammer bemängelte auch Thierse am 13. September die nach Meinung der OstSPD „völlig unzureichende Ausstattung der zukünftigen Bundesländer“ mit Steuermitteln.1707 Freilich trugen die SPD-regierten Bundesländer an dieser Regelung wesentlichen Anteil. Nach Aussage von Otto-Erich Geske, dem Berater des DDR-Finanzministers Walter Romberg, bezeichnete dieser die im Einigungsvertrag vorgesehene Finanzausstattung der neuen Länder ebenfalls als unverantwortlich.1708 Geske selbst kritisierte, der Einigungsvertrag habe den neuen Ländern „die westdeutsche Finanzverfassung und das westdeutsche Steuer- und Verwaltungsrecht übergestülpt, obwohl die faktischen Grundlagen dort überhaupt nicht oder nur in Ansätzen vorhanden waren“.1709 Nach Meinung des 1702 1703 1704 1705 1706 1707 1708 1709

Handelsblatt vom 3. 9.1990. Vgl. Kaufmann, Bundesstaat, S. 123 f. Zit. in FR vom 28. 8.1990. Interview Kurt Biedenkopf. In: die tageszeitung vom 19. 9.1990. Milbradt, Strategien für die Zukunft, S. 571. Thierse, Mit eigener Stimme sprechen S. 65 f. Vgl. Geske, Finanztransfer, S. 63. Vgl. ebd., S. 65.

Verhandlungen zum Einigungsvertrag

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Staatsrechtlers Josef Isensee war die im Einigungsvertrag enthaltene Regelung zum Länderfinanzausgleich sogar verfassungswidrig. Auch von anderer Seite hagelte es Kritik. Panische Angst vor den „fünf armen Vettern“ in Gestalt der neuen Bundesländer hätten die alten Länder gehabt.1710 „Ein schöner Herrenclub“ sei dieser Bundesrat, so spottete Friedrich Karl Fromme in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, eine „Versammlung von Egozentrikern“ gemessen am Bedarf und den Interessen der neuen Länder.1711 Andere Experten hielten das Verhalten der Westländer nicht für überraschend, schließlich „wurde Ländersolidarität immer schon kleingeschrieben, wenn es um finanzielle Fragen ging“.1712 Weniger ins Gewicht als die Frage der künftigen Zuweisungen aus Steuermitteln fiel der Umgang mit dem öffentlichen Finanzvermögen der DDR, das nach Artikel 22 nicht der Treuhandanstalt unterstellt, sondern je zur Hälfte auf den Bund und die neuen Länder aufgeteilt wurde. Das Wohnungseigentum der staatlichen Wohnungswirtschaft ging mit allen Schulden an die Kommunen über. Artikel 23 bestimmte, dass die Haushaltsschulden der DDR vom Bund, den neuen Ländern und der Treuhandanstalt übernommen werden mussten. Die Treuhandstelle wurde zu einer bundesunmittelbaren Anstalt des öffentlichen Rechts mit der Aufgabe der Privatisierung der staatlichen Betriebe der DDR (VEB). Sie wurde der Aufsicht des Bundesfinanzministers unterstellt und mit einem Kreditrahmen von bis zu 25 Mrd. DM versehen. Vereinbart wurde, die Einnahmen der Treuhand ausschließlich in den neuen Ländern zu verwenden. Laut Artikel 28 wurden die neuen Länder bei der bundesdeutschen Wirtschaftsförderung besonders berücksichtigt. Nach Artikel 35 wurden zentrale Kultureinrichtungen von Kommunen und Ländern übernommen. Die wissenschaftlichen Einrichtungen der DDR wurden nach Artikel 38 bis zum 31. Dezember 1991 vom Wissenschaftsrat begutachtet. Bis dahin sollten sie als Einrichtungen der Länder fortbestehen und von Bund und Ländern finanziert werden. Artikel 13 regelte die künftige Zuordnung von Verwaltungsorganen. Die bisherigen Auseinandersetzungen hatten deutlich gemacht, dass die Frage der Überleitung von Behörden und deren Personal in Landeshoheit erhebliche politische Bedeutung hatte, ging es doch darum, ob und in welchem Umfang in der SED-Diktatur geprägte Verwaltungsstrukturen Bestand haben würden. Der Einigungsvertrag nahm hier die Regelungen des Ländereinführungsgesetzes auf, modifizierte sie zwar, nicht aber in der Frage des Übergangs von Verwaltungsorganen samt Personal auf die Länder. Demnach unterstanden künftig Verwaltungsorgane und sonstige der öffentlichen Verwaltung oder Rechtspflege dienende Einrichtungen in den neuen Bundesländern künftig der Regierung des Landes, in dem sie örtlich gelegen waren. Einrichtungen mit länderübergreifendem Wirkungskreis gingen in die gemeinsame Trägerschaft der betroffenen Länder über. Betroffen waren unter anderem Einrichtungen der Kultur, der Bil1710 1711 1712

Röper, Beitritt nach Artikel 23 GG, S. 559. FAZ vom 28. 8.1990. Schmidt, Manfred G., Die politische Verarbeitung, S. 450.

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Zwischen Einigungsvertrag und DDR-Beitritt

dung und Wissenschaft sowie des Sports, Einrichtungen des Hörfunks und des Fernsehens, deren Rechtsträger die öffentliche Verwaltung ist. Zur Behandlung des in den Apparaten verbliebenen Personals wurden keine direkten Aussagen gemacht, allerdings auf die Fortgeltung des Paragraphen 22 des Ländereinführungsgesetzes verwiesen. Vor der Volkskammer nannte Thierse am 13. September Mängel des Einigungsvertrages. Dazu gehörten nach Meinung der SPD auch die Tatsache, dass die neuen Länder mit dem Problem der Überbeschäftigung im öffentlichen Dienst allein gelassen würden.1713 Artikel 14 regelte die Frage gemeinsamer Einrichtungen der Länder. Demnach wurden Einrichtungen oder Teile von Einrichtungen, die bis zum Wirksamwerden des Beitritts Aufgaben erfüllt haben, die nach der Kompetenzzuordnung des Grundgesetzes von den Ländern wahrzunehmen sind, bis zur endgültigen Regelung durch die neuen Bundesländer vorübergehend als gemeinsame Einrichtungen weitergeführt. Dies galt aber von vornherein nur, soweit die übergangsweise Weiterführung für die Erfüllung der Aufgaben der Länder als unerlässlich angesehen wurde. Die gemeinsamen Einrichtungen der Länder unterstanden laut Einigungsvertrag bis zur Wahl der Ministerpräsidenten der Länder den Landesbevollmächtigten des Bundes. Mit der Überleitung der Einrichtung war noch keine Aussage über das Personal getroffen. Unausgesprochen war jedoch eine Übernahme der Arbeitsverhältnisse durch die neuen Träger der Einrichtung, den Bund oder die Länder, wie im Ländereinführungsgesetz vorgesehen, intendiert. Zur gleichen Zeit hatten die Clearingstelle in Bonn und die Behörden der künftigen Länder die Einrichtungen, die gemäß Einigungsvertrag auf den Bund bzw. auf die Länder übergingen, ausfindig zu machen. Dabei kam es etwa bei den Fachschulen zu Unstimmigkeiten zwischen Bund und Ländern über die Zuordnung. Der Artikel 15 enthielt Übergangsregelungen für die Landesverwaltung. Hier hieß es, die alten Länder und der Bund hätten auf Ersuchen der Ministerpräsidenten der neuen Länder längstens bis zum 30. Juni 1991 Verwaltungshilfe zu leisten. Bei der Verwaltungshilfe des Bundes hatte dieser auch die erforderlichen Haushaltsmittel zur Verfügung zu stellen, die dann mit dem Anteil des jeweiligen Landes an den Leistungen des „Fonds Deutsche Einheit“ oder der Umsatzsteuer verrechnet werden sollten. Zur Abstimmung der Verwaltungshilfen des Bundes und der Länder beim Aufbau der Landesverwaltungen und bei der Durchführung bestimmter Fachaufgaben wurde die kurz zuvor gebildete Clearingstelle von Bund und Ländern bestimmt. Am 20. September 1990 verabschiedeten Bundestag und Volkskammer den Einigungsvertrag. In beiden Parlamenten wurde die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit erreicht. Gegenstimmen kamen im Bundestag von der Fraktion der Grünen und von 13 Abgeordneten der CDU/ CSU-Fraktion, die mit der Anerkennung der Oder-Neiße-Linie als deutsch-polnischer Grenze bzw. mit der Regelung von Enteignungs- und Entschädigungsfragen nicht einverstanden waren.

1713

Thierse, Mit eigener Stimme sprechen S. 65 f.

Regierung beruft Landessprecher und Arbeitsstäbe

5.5

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Zwischen Einigungsvertrag und DDR-Beitritt: Kampfplatz Interessen- und Personalpolitik

5.5.1 Regierung beruft Landessprecher und Arbeitsstäbe Der September, die Zeit zwischen Unterzeichnung des Einigungsvertrages und dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober, war in Sachsen hinsichtlich der Länderbildung von einer finalen Zuspitzung der Auseinandersetzungen gekennzeichnet, die sich nun, nach weitgehendem Abschluss der Arbeiten an der Organisation der Landesverwaltung, an der Frage des künftigen Personals festmachten. Die Bundesregierung sah sich angesichts des vorgezogenen Beitrittstermins der DDR plötzlich mit der Aufgabe konfrontiert, die künftigen, vorübergehend unselbständigen Bundesländer kompatibel zur bundesdeutschen Ordnung zu gestalten. Sie rang mit den Bundesländern um Einfluss auf diesen Prozess, Baden-Württemberg und Bayern wiederum stritten um Machtanteile im künftigen Sachsen und die DDR-Regierung intensivierte ihre Anstrengungen, eigene Institutionen samt Personal in Einrichtungen des Bundes bzw. der entstehenden Länder zu entsorgen. Dafür verstärkte sie ihren bisherigen zentralistischen Länderbildungskurs noch. Im entstehenden Sachsen strebte der Konflikt zwischen dem Koordinierungsausschuss und der Bezirksverwaltungsbehörde um Einfluss auf die Landesbildung vor diesem Hintergrund und unter Beteiligung aller genannten Akteure seinem Höhepunkt zu. Die DDR stand vor ihrem Ende, und alle Parteien der seit Anfang des Jahres andauernden Auseinandersetzung um die Landesbildung hofften auf günstige personelle Startbedingungen beim bundesdeutschen Neubeginn. Obwohl die Gruppe der sächsischen Volkskammerabgeordneten, die bisher als „eine Art Ersatz-Landesparlament“ fungiert hatte, vor diesem Hintergrund und mit dem Näherrücken des Beitritts „rapide an Gewicht“ verlor, fand am 3. September eine große Beratung der drei Regierungsbevollmächtigten mit den Volkskammerabgeordneten der Bezirke unter Leitung des designierten Landessprechers Krause statt. Es bleibe abzuwarten, so Kolbe im Vorfeld der Zusammenkunft, inwieweit die Abgeordneten angesichts der allgemeinen Lage „überhaupt noch gewillt bzw. in der Lage“ seien, auf die Landesbildung Einfluss zu nehmen.1714 Die Tagung zeigte, dass dies durchaus noch der Fall war.1715 In der Volkskammer, die bisher auch aufgrund der Mehrheit der Mandatsträger aus den Reihen der ehemaligen Blockparteien mehrheitlich die Politik der Regierung de Maizière gestützt hatte, änderte sich nun mit Blick auf die föderale Zukunft die Loyalitäten ebenso. Selbst für Mandatsträger, die schon eine politische Karriere im SED-Staat hinter sich hatten, erschien es plötzlich plausibler, die 1714 1715

Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Bericht vom 27.–31. 8.1990 (PB Manfred Kolbe). Festlegungsprotokoll der Beratung der Regierungsbevollmächtigten für die Bezirke Chemnitz, Dresden und Leipzig mit den Volkskammerabgeordneten der Bezirke am 3. 9.1990 (Dok. 129).

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Interessen der Länder zu vertreten, in denen sie Mandate besaßen. Auch der Regierung blieb nicht verborgen, dass sich die Abgeordneten plötzlich stärker für regionale Belange ins Zeug legten.1716 Auf der Tagung erläuterten die Strukturbeauftragten noch einmal den Stand der Arbeiten. Von erheblicher Bedeutung war es, dass die Volkskammerabgeordneten den Koordinierungsausschuss autorisierten, auf neuer Grundlage als Organ des Landessprechers weiterzuarbeiten. Angesichts dieser Legitimierung fiel es Vaatz leicht, den Abgeordneten für ihre bisherige konstruktive Arbeit zu danken, sie aufzufordern, ihre Mitarbeit nicht zu beenden, und anzukündigen, man werde sie auch künftig über alle weiteren Schritte in Kenntnis setzen. Die Zusammenkunft war aber auch wichtig, weil hier einstimmig vorgeschlagen wurde, die Bezirksverwaltungsbehörde Dresden zu ermächtigen, bis zu einem Votum der sächsischen Volkskammerabgeordneten keine Verhandlungen hinsichtlich des in den Einigungsvertrag übernommenen Paragraphen 22 des Ländereinführungsgesetzes (LEG) mit der Regierung aufzunehmen. Bis zur Bestätigung des Einigungsvertrages durch Bundestag und Volkskammer sollten hier noch Änderungen erreicht werden. Die Volkskammerabgeordneten, die das Gesetz am 22. Juli selbst mit verabschiedet hatten, wandten sich nun gegen den in den Einigungsvertrag übernommenen Regierungsvorschlag, wonach Verwaltungsorgane und sonstige der öffentlichen Verwaltung oder Rechtspflege dienenden Einrichtungen der Republik, soweit sie bislang Aufgaben wahrnahmen, die nun Ländersache wurden, samt Personal von den Ländern übernommen werden sollten. Hinsichtlich dieser Regelung konnten Konflikte nicht ausbleiben, plante die Regierung doch bereits die Bildung von Arbeitsstäben unter Leitung der Landessprecher, deren Aufgabe darin bestehen sollte, diese Überführung zu organisieren. Am 31. August legten die Minister Reichenbach und Preiß eine Beschlussvorlage vor, wonach in jedem Verwaltungsorgan und jeder sonstigen öffentlichen Verwaltung oder der Rechtspflege dienenden Einrichtung der DDR, deren Aufgaben künftig auf die Länder übertragen werden sollte, sowohl auf zentraler als auch auf Länderebene je ein Arbeitsstab als Bindeglied zwischen den Landessprechern, der künftigen Landesregierung und dem zentrale Verwaltungsorgan zu bilden war.1717 Die Arbeitsstäbe auf Länderebene sollten bis zum 14. Oktober unter Mitarbeit von Vertretern der DDR-Ministerien den Übergang von Einrichtungen und Personal in die Länderhoheit vorbereiten. Einen Tag vor Unterzeichnung des Einigungsvertrages drängte Vaatz, hinsichtlich des Paragraphen 22 LEG eine Abstimmung über die Rolle des Landessprechers herbeizuführen und die künftige Rolle der zentralen Arbeitsstäbe zu klären.1718 Seitens der SPD machte der Abgeordnete Jürgen 1716 1717

1718

Interview Thomas de Maizière. Beschluss zur Vorbereitung des Übergangs von Verwaltungsorganen und sonstigen öffentlichen Verwaltung oder Rechtspflege dienenden Einrichtungen der Republik in die Hoheit der Länder vom 31. 8.1990, gez. Klaus Reichenbach und Manfred Preiß (BArch B, DO 5, 190). Protokoll der Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses am 30. 8.1990 (Dok. 127).

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Klingbeil geltend, dass es sich bei der Umsetzung des Paragraphen 22 LEG „grundsätzlich nur um eine Verfahrensregelung handeln“ könne. Weder könnten durch die Arbeitsstäbe detaillierte Aufgaben, Rechte und Pflichten noch Ansprüche für die jetzige Zentralverwaltung bzw. die künftigen Länder geregelt werden. Außerdem müsse die Regelung gewährleisten, dass in kürzester Zeit die volle Arbeitsfähigkeit der Länder hergestellt werde.1719 Hier wurde also sowohl die Gefahr gesehen, dass die Arbeitsstäbe zur Behinderung der Länderbildung führen, als auch, dass sie souveräne Entscheidungen der Länder beeinträchtigen könnten. Daraufhin sprachen sich die Volkskammerabgeordneten einstimmig dafür aus, „dass die zukünftigen ministeriellen Verwaltungsstellen (Abteilungsleiter, Referatsleiter) ausgeschrieben werden sollten und nicht durch Mitarbeiter der Ministerien der jetzigen Regierung besetzt werden“.1720 Am 6. September fand eine Volkskammerberatung zum Paragraphen 22 LEG in der Fassung des Einigungsvertrages statt, bei der die Volkskammerabgeordneten ein Votum gegen die entsprechenden Passagen erreichen wollten. Alle Fraktionen mit Ausnahme der PDS beantragten entsprechende Änderungen. Die SED-Nachfolgepartei hatte erkennbar wenig Probleme damit, ihr ergebene Staatsfunktionäre demnächst möglichst zahlreich in den neuen Landesverwaltungen wiederzufinden. Für die SPD kritisierte Joachim Richter aus Sachsen den Passus, wonach das Personal anteilig auf die Länder übergehen sollte, als „verhängnisvolle Fehlentscheidung bei der Besetzung der Länderministerien“. Die Folge wäre, dass die Ministerien das vorhandene Personal einschließlich der „Erblasten“ automatisch übernehmen müssten. Dies gehe schon deswegen nicht, weil das vorhandene Personal zahlenmäßig viel größer sei, als die Ministerien verkraften könnten. Zudem würden die Länder auf Personal festgelegt, ohne dieses überprüfen zu können. Einen solchen „Blankoscheck“ könnten die Länder nicht übernehmen, zumal die Möglichkeit eigener Ausschreibungen dann nicht mehr gegeben seien. Deswegen wurde vorgeschlagen, den Passus dahingehend zu verändern, dass sich das bisherige Regierungspersonal gleichberechtigt um die Stellen in den Landesministerien bewerben könne.1721 Nach Behandlung der Anträge im Ausschuss für Verfassung und Verwaltungsreform empfahl dieser, in Nachverhandlungen zum Einigungsvertrag eine Änderung des Passus zu erwirken.1722 Daraufhin wurden entsprechende Verhandlungen aufgenommen,1723 und es zeichnete sich ab, dass die Fassung des Paragraphen 22 LEG im Einigungsvertrag, die auch von der Bundesregierung mitgetragen worden war, 1719 1720 1721 1722 1723

Zu § 22 des Ländereinführungsgesetzes, gez. Klingbeil, 26. 8.1990 (BArch B, DC 20, 11632). Festlegungsprotokoll der Beratung der Regierungsbevollmächtigten für die Bezirke Chemnitz, Dresden und Leipzig mit den Volkskammerabgeordneten der Bezirke am 3. 9.1990 (Dok. 129). Volkskammer der DDR, 10. WP, 34. Tagung am 6. 9.1990, S. 1584. Ebd., S. 1618 f. Protokoll der Beratung des Ministers im Amt des Ministerpräsidenten mit den Staatssekretären der Ministerien am 10. 9.1990 zur Vorbereitung der Ministerratsrunde am 12. 9.1990 (BArch B, 8968, Bl. 12–16).

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keine Aussicht hatte, von der Volkskammer bestätigt zu werden. In Bonn hatte man der Regelung zugestimmt, weil man sich so eines Teils des Personalproblems auf Kosten der neuen Länder zu entledigen gedachte. Klar war, dass eine Durchsetzung des Paragraphen 22 LEG auch in Sachsen auf den entschiedenen Widerstand aller relevanten Parteien mit Ausnahme der SED-Nachfolger gestoßen wäre. Bereits am 4. September informierte der Chemnitzer Regierungsbevollmächtigte Buttolo seine Mitarbeiter darüber, dass die sächsischen Volkskammerabgeordneten und die Regierungsbevollmächtigten wider die entsprechende Regelung des Einigungsvertrages beschlossen hätten, die Referate und Abteilungen der Landesregierung nach Gesprächen mit den Parteivorsitzenden und Spitzenkandidaten auszuschreiben: „Entgegen den Festlegungen des Ministerrates werden keine Personen der jetzigen Regierung einfach übernommen; sie können sich gleichfalls an den Ausschreibungen beteiligen.“ 1724 Das war eine unmissverständliche Zurückweisung des Versuchs der Regierung de Maizière, einen Großteil des Altkaderstamms aus Regierungs- und Bezirksapparaten in die Landesverwaltungen hinüberzuretten und die künftigen Landesverwaltungen mit einst meist parteitreuem Regierungspersonal aus Berlin zu überschwemmen. Noch aber war die Regierungsstrategie einer „Wiederbelebung“1725 der Ressortleiter aus den ehemaligen Räten der Bezirke nicht vom Tisch. Am 4. September schickte Preiß den Mitgliedern des Ministerrates eine Übersicht über die Bestellung der Landessprecher und über die von ihnen benannten Beauftragten für die Bildung der künftigen Ministerien. Diese Liste konnte vom Koordinierungsausschuss nur als Affront gewertet werden. Darin führte Preiß von Krause benannte Leiter der Arbeitsstäbe in Sachsen auf. Dabei handelte es sich bis auf wenige Ausnahmen um frühere Leitungskader des Rates des Bezirkes bzw. der Bezirksverwaltungsbehörde Dresden, unter ihnen etliche bisherige SED-Kader. Die Genannten hatten fast durchweg mit den aktuellen Arbeiten zur Landesbildung nichts zu tun.1726 Lediglich Gülde und Schmidt gehörten als Landesstruk1724 1725 1726

Dienstberatung des Regierungsbevollmächtigten der BVB Chemnitz vom 4. 9.1990 (SächsStAC, RdB/BVB, 11536). Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 135. MRKA: Information über die Bestellung der Landessprecher und über die durch die Landessprecher benannten Beauftragten für die Bildung der künftige Ministerien bzw. Ressorts auf Länderebene vom 4.9.1990, gez. Preiß, Anlage 2 (HAIT, KA, 10.1). Inneres: RL Inneres BVB Dresden, Siegfried Protze; Wirtschaft: RL Wirtschaft BVB, Herbert B. Schmidt; Bereiche des Referats Wirtschaft: Bereich Energie: Stellv. Vors. RdB, Bereichsleiter Energie, Walter Hornig; Bereich Handel: Stellv. Vors. RdB für Handel und Versorgung, Bereichsleiterin Handel BVB, Helga Nosseck; Bereich Tourismus: Md RdB für Örtliche Versorgungswirtschaft, Bereichsleiter Tourismus BVB, Dieter Bellmann; Finanzen: RL Finanzen BVB, Frau Hietzge; Gesundheitswesen, Arbeit und Soziales: RL Gesundheit und Sozialwesen BVB, Heidemarie Neubert; Bildung, Jugend und Sport: RL Bildung, Jugend, Sport BVB, Herr Martin; Familie und Frauen: RL Gleichstellung und Frauenförderung BVB, Frau Kühnert; Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: RL Ernährung und Landwirtschaft BVB, Jürgen Gülde (In einem anderen Exemplar wurde „Post und Fernmeldewesen“ durchgestrichen und handschriftlich

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turbeauftragte dem Koordinierungsausschuss an. Offensichtlich sahen Krause und Preiß, beide früher Inoffizielle Mitarbeiter des MfS, in den Personalvorschlägen die letzte Gelegenheit, den alten Apparat in Form der Bezirksverwaltungsbehörde doch noch zum beherrschenden Akteur der Länderbildung zu machen. Im revolutionär gestimmten Koordinierungsausschuss in Dresden löste die Liste energischen Protest und Widerstand aus. Am 5. September diskutierten auf einer DDR-Beratung Landessprecher, Vertreter des Bundeskanzleramtes sowie des Bundesinnenministeriums „Regelungen zu Stellung, Aufgaben und Befugnissen der Landessprecher als Landesbevollmächtigte“. Mit den anwesenden Vertretern der Bundesregierung wurde Einvernehmen erreicht, dass die Landessprecher nach dem 3. Oktober als Landesbeauftragte der Bundesregierung bis zur Wahl des Ministerpräsidenten weiter tätig sein würden. Am 11. September legte Preiß das Papier de Maizière mit der Bitte „um Unterzeichnung dieser Regelungen als Arbeitsgrundlage für die Landessprecher als Landesbevollmächtigte“ vor.1727 Am 6. September erklärte Preiß, es sei mit dem Bundesinnenministerium vereinbart worden, im Auftrag der fünf neuen Länder eine Koordinierungsstelle einzurichten, die bis zur Funktionsfähigkeit der Ländervertretungen den Kontakt zum Bund halten solle. Die Stelle werde mit vierzig Westbeamten und Fachleuten aus seinem Ministerium besetzt. Das ursprünglich geplante Aufbauministerium sei in Bonn auf wenig Gegenliebe gestoßen.1728 Ungeachtet des sich abzeichnenden Widerstands in der Volkskammer gegen die Konstruktion aus Landessprechern und Arbeitsstäben zur Steuerung der Länderbildung stimmte der Ministerrat am 5. September den Personalvorschlägen für die Landessprecher zu.1729 Zugleich legte der Ministerrat deren Aufgaben und Befugnisse fest. Demnach waren sie gegenüber der Regierung für alle mit der Länderbildung zusammenhängenden Aufgaben verantwortlich und dienten bis zur Bildung der Landesregierungen als Verbindungsstellen zwischen Regierung und Gebietskörperschaften. Sie hatten die Tätigkeit der Regierungsbevollmächtigten und Bezirksverwaltungen im Sinne von Landesbevollmächtigten zu organisieren und die Bildung funktionsfähiger Landesregierungen einschließlich der gesamten Verwaltungsorganisation der künftigen Länder,

1727 1728 1729

vermerkt: „Soll nicht sein lt. Postminister“. MRKA: Information über die Bestellung der Landessprecher und über die durch die Landessprecher benannten Beauftragten für die Bildung der künftige Ministerien bzw. Ressorts auf Länderebene vom 4. 9. 1990, gez. Preiß. Anlage 2 [BArch B, DS 20 11632]); Umwelt- und Naturschutz: RL Umwelt- und Naturschutz RdB / BVB, Manfred Wölke; Bauwesen, Städtebau und Wohnungswirtschaft: AL Bauwesen RdB/BVB, Wolfgang Rank; Verkehr, Post und Fernmeldewesen: 2. Stellv. RdB für Verkehrs- und Nachrichtenwesen, RL Verkehr, Post, Fernmeldewesen BVB, Peter Franke; Kultur: RL Kultus BVB, Ingo Zimmermann. Manfred Preiß, i.V. Klingbeil, an Lothar de Maizière, ohne Datum [handschr. 11. 9. 1990] (BArch B, DC 20, 6065, Bl. 144). Berliner Morgenpost vom 7. 9.1990. Protokoll der 29. Sitzung des Ministerrates am 5. 9.1990 (BArch B, DC 20, 11626). Landessprecher wurden Karl-Hermann Steinberg (Sachsen-Anhalt), Martin Brick (Mecklenburg-Vorpommern), Rudolf Krause (Sachsen), Jochen Wolf (Brandenburg) und Josef Duchac (Thüringen).

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deren personelle Besetzung und räumliche Ansiedlung sowie die Erarbeitung von Verfassungs- und anderen Gesetzesentwürfen vorzubereiten. Dazu wurden ihnen Beauftragte für die Bildung der künftigen Ministerien auf Länderebene zugeordnet.1730 Bei einer Beratung am 5. September erläuterte Preiß ihnen ihre Aufgaben und betonte bereits in seiner Einladung, dass es ebenfalls darum gehe, „dass Aufgaben unseres Ministeriums im Rahmen einer gemeinsamen Einrichtung der Länder weitergeführt werden“.1731 Schon am 29. August hatte der Ministerrat beschlossen, die Landessprecher mit beratender Stimme an den Sitzungen des Ministerrates zu beteiligen.1732 Landessprecher für Sachsen wurde der Leipziger Rudolf Krause. Zunächst hatte es mit Ballschuh einen zweiten Interessenten gegeben. Der Dresdner Regierungsbevollmächtigte hatte bereits seit längerem auf diese Position hingearbeitet. Der Chemnitzer Buttolo zog für sich das Amt des Landessprechers nicht in Erwägung, war ihm doch klar, dass es ansonsten eine Pattsituation gegeben hätte. Nachdem beide Kandidaten Buttolo „eine Weile bedrängt“ hatten, entschied dieser sich als „Zünglein an der Waage“ für Krause, um damit eine Dresdner Dominanz zu verhindern. Für ihn spielte es eine Rolle, dass Krause „von seinem Auftreten her eine vorzeigbare Persönlichkeit“ war.1733 Seine frühere Zusammenarbeit mit dem MfS ahnte zu diesem Zeitpunkt niemand. Nach Ballschuhs Erinnerung fiel die Entscheidung zügig: „Buttolo war der Meinung, Krause solle das machen. Krause war auch dieser Meinung.“1734 Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass Buttolo später Parlamentarischer Staatssekretär in dem von Krause geführten Innenministerium wurde. In Leipzig übernahm Krauses erster Stellvertreter Steinbach eher formal, denn inhaltlich die Funktion des amtierenden Regierungsbevollmächtigten, denn praktisch erledigte Krause diese Arbeit gleich mit. Kleinschmidt ist nicht erinnerlich, das Steinbach je mit den Regierungsbevollmächtigten von Chemnitz und Dresden zusammengetroffen wäre oder gemeinsame Absprachen geführt hätte. Dies hätten „stets die CDU-Kollegen“, mit Krause „unter sich“ getan. Steinbach habe sich bei ihm über die Situationen beklagt und geäußert, er, Kleinschmidt, erhalte als DA-Vertreter und damit der CDU näherstehend, eher Informationen als er.1735 Auch unter Krause als Landessprecher blieb der Koordinierungsausschuss in Dresden angesiedelt, allenfalls gab es eine leichte Arbeitsverlagerung nach Leipzig, und es war noch weniger klar, wer für welche Entscheidungen zuständig

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Vgl. Protokoll der 29. Sitzung des Ministerrates der DDR am 5. 9.1990 (ebd., I/33058, Bl. 34–41); Ministerpräsident der DDR: Regelungen zu Stellung, Aufgaben und Befugnissen der Landessprecher als Landesbevollmächtigte vom 17.9.90 (MLHA, RdB Schwerin, Z 123/91 37922). Einladung von Manfred Preiß vom 30. 8.1990 (BArch B, DO 5, 191). 27. Sitzung des Ministerrates der DDR am 29.8.1990 (ebd., C 20, I/3–3054, Bl. 131). Interviews Albrecht Buttolo am 18.10.1999 und 12. 2. 2003. Interview Siegfried Ballschuh am 28. 2.1994. In: Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 132. Interview Günter Kleinschmidt.

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war.1736 Am 11. September erhielt Menz den Vermerk, dass Krause „den Arbeitsstab in Dresden ansiedeln“ möchte, womit wohl der Beraterstab der Clearingstelle gemeint war.1737 Um seine Arbeitsverbindung mit dem Beraterstab zu verbessern, bildete er außerdem in Leipzig eine „Zentralstelle“, die mit Futter als Ersatz für Bühler, Feist und einem weiteren Mitarbeiter besetzt wurde.1738 Zu Leiterbesprechungen fuhr er nach Dresden. Auch nach Meinung Kleinschmidts gab Krause in seiner Funktion in repräsentativer Hinsicht „eine gute Figur“ ab. Er hatte auch den Eindruck, dass Krause Leipziger Interessen hinter sich ließ und sich bemühte, seine neue Funktion bezirksübergreifend auszufüllen. Offenbar habe er versucht, „Weichen für eine gute Position in der späteren Landesregierung zu stellen“. Sein Kontakt mit Vaatz sei gut gewesen, hatte er doch erkannt, so Kleinschmidt, dass dieser „nicht nur als Leiter des Koordinierungsausschusses ein hilfreicher Partner war, sondern auch in seiner Bedeutung für die Erneuerung der CDU insbesondere im Raum Dresden“.1739 Von einem guten Verhältnis zwischen Vaatz und Krause wusste auch das bayerische Informationsbüro in Dresden zu berichten.1740 Ebenfalls am 5. September und im direkten Zusammenhang mit der Einsetzung der Landessprecher beschloss der Ministerrat, in allen Verwaltungs- und Rechtspflegeorganen, deren Aufgaben auf die Länder übergingen, zentrale Arbeitsstäbe zu bilden. Dasselbe galt für jede künftige Einrichtung auf Länderebene. Die Arbeitsstäbe sollten als „Bindeglied zwischen dem Landessprecher der künftigen Landesregierung und dem zentralen Verwaltungsorgan“ fungieren, ihre Arbeitsdauer hatten die Länder zu entscheiden.1741 Damit schuf sich die Regierung trotz erkennbarer Widerstände in der Volkskammer und in den sich bildenden Ländern das Instrumentarium zur Durchsetzung des Paragraphen 22 LEG. In Dresden wurden die Berliner Aktivitäten schon wegen der als völlig abwegig angesehenen Personalvorschlagsliste zur Besetzung der Arbeitsstäbe mit der gegenüber der Regierung üblichen Skepsis betrachtet. Im Wochenbericht Kolbes hieß es, da die DDR-Ministerialbürokratie mit dem Nahen des Beitritts 1736 1737

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1739 1740 1741

Interview Eberhard Stilz. Siehe dazu Kap. 6.2.1. Die Bezeichnungen „Arbeitsstab“ und „Beraterstab“ werden teilweise synonym verwendet, was zu Verwechslungen führen kann, da ab September auch die Strukturgruppen des Koordinierungsausschusses als „Arbeitsstäbe“ bezeichnet werden. Ebenso werden später die Begriffe „Arbeitsstab“ und „Aufbaustab“ synonym verwendet, korrekt ist die Bezeichnung „Arbeitsstab“. SMBW, Abt. I: Vermerk für Staatssekretär Menz vom 11. 9.1990. Betr. Personalhilfe Sachsen. Besprechung mit Landessprecher Dr. Krause, Leipzig und Bezirksbeauftragten Buttolo, Chemnitz, im Anschluss an den BMI-Termin (SMBW, I 0305.0. 1990). Interview Günter Kleinschmidt. Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Bericht vom 17.–21. 9.1990 (PB Manfred Kolbe). Beschluss des Ministerrates 29/8/90 vom 5. 9.1990 zur Vorbereitung des Übergangs von Verwaltungsorganen und sonstigen der öffentlichen Verwaltung oder Rechtspflege dienenden Einrichtungen der Republik in die Hoheit der Länder (BArch B, DO 5, 96) (HAIT, KA, 66).

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ihr Ende kommen sehe, werde „quasi in letzter Minute noch der Sprung in die Landesstrukturen“ versucht. Als Vehikel hierfür diene der Paragraph 22. Bei ihrem Versuch der Rettung von Teilen des Regierungsapparates machte die Regierung auch immer wieder Vorschläge zur Bildung von Landesministerien. So ging es bei der Sitzung des DDR-Ministerrates am 5. September um die Bildung eines Ministeriums für Verkehr sowie Post- und Fernmeldewesen in Sachsen,1742 am 14. September setzte sich der DDR-Minister für Bauwesen, Städtebau und Wohnungswirtschaft, Viehweger, bei Krause für die Bildung eines sächsischen Landesministeriums für Bauwesen, Städtebau und Wohnungswirtschaft ein.1743 In Sachsen fanden die Vorschläge wenig Beachtung. Hier wie andernorts konstatierte man, dass die DDR-Regierung Zerfallserscheinungen aufwies. Die Ministerien waren kaum noch handlungsfähig, von ihnen gingen kaum mehr Ernst zu nehmende Impulse aus.1744 Neben den Berliner Arbeitsstäben sollten auch auf Länderebene Arbeitsstäbe für die künftigen Ministerien gebildet werden, in denen mindestens je ein Vertreter der Regierung mitwirken sollte. Da der Ministerratsbeschluss vom 5. September keine Aussagen zum Verhältnis zwischen Berliner und Landesarbeitsstäben treffe, bleibe, so Kolbe, „abzuwarten, wie die jeweiligen Arbeitsstäbe miteinander auskommen und wer letztendlich das Sagen“ habe.1745 In der Tat waren die entsprechenden Beschlüsse der Regierung hinsichtlich der Kompetenzen und Zusammensetzungen der Arbeitsstäbe recht unpräzise. Sie räumten damit den Landessprechern erhebliche Handlungsspannen ein. Ganz abgesehen davon, standen die Bestimmungen des Paragraphen 22 LEG, deren Umsetzung die Arbeitsstäbe dienen sollten, in der Volkskammer auf der Kippe. Auch war unklar, wann sich die Berliner Arbeitsstäbe bilden, wann sie Kontakt in die Länder aufnehmen und wie und wann die Regierung die dortigen Arbeitsstäbe bei den Landessprechern mit ihren Vertretern besetzen würden. Mit dem Scheitern des Paragraphen 22 LEG in der Volkskammer deutete sich schließlich das Ende der Arbeitsstäbe in der Berliner Ministerialbürokratie an, war doch nun kein gesetzlich dekretierter Übergang des Personals der Regierung auf die Landesverwaltungen durchzusetzen. In Sachsen sah man in den Arbeitsstäben auf Länderebene ohnehin von Anfang an weniger den verlängerten Arm der zu Ende gehenden Regierung als vielmehr geeignete Instrumentarien zur Bildung der Landesverwaltung. Wie schon mehrfach zuvor definierte man Vorgaben aus Berlin im eigenen sächsischen Sinne um und veränderte so ihre Stoßrichtung. So nannte Kolbe die Arbeitsstäbe in Sachsen „ein qualifiziertes Gegengewicht gegen die Ost-Berliner Arbeitsstäbe“.1746 Krauses baden-württembergischer Berater Bühler empfahl denn auch, 1742 1743 1744 1745 1746

Protokoll der 29. Sitzung des Ministerrates am 5. 9.1990 (ebd., DC 20, 11626). Axel Viehweger an Rudolf Krause vom 14. 9.1990 (HAIT, KA, 3.1). Vgl. Bayer, Die Konstituierung der Bundesländer, S. 1017. Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Bericht vom 10.–14. 9.1990 (PB Manfred Kolbe). Ebd.

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die Bildung von Arbeitsstäben durch die Regierung nicht abzuwarten. Statt dessen sollte der Landessprecher in Abstimmung mit den anderen Regierungsbevollmächtigten „bereits jetzt seinerseits Arbeitsstäbe zum Aufbau der Ministerien“ vorbereiten, die dann ab dem 3. Oktober voll aktiviert werden könnten.1747 Adler und Vaatz wurden beauftragt, bis zum 13. September Vorschläge für die Einrichtungen zu unterbreiten, für die auf der Ebene des Landes Sachsen Arbeitsstäbe zu bilden waren.1748 Aus Sicht des Koordinierungsausschusses waren die von der Regierung geplanten Landesarbeitsstäbe in Form der Strukturbereiche des Koordinierungsausschusses ja bereits vorhanden. Deswegen schien es nahe liegend, keine neuen Arbeitsstäbe zu bilden, sondern die bestehenden Strukturen des Koordinierungsausschusses durch die Einbeziehung von Vertretern des Bundes und der DDR-Regierung zu ergänzen.1749 Dieses Konzept setzte sich denn auch bald durch. Im Anschluss an die konstituierende Sitzung der Clearingstelle am 11. September in Bonn kamen Krause, die Regierungsbevollmächtigten und ihre Stellvertreter überein, auf Grundlage des „Denkmodells der Gruppe Vaatz“ weiterzuarbeiten. Für die vorgesehenen acht Ministerien, die Staatskanzlei und den Landtag sollten insgesamt zehn entsprechende Arbeitsstäbe die Organisationsvorstellungen des Koordinierungsausschusses fortentwickeln. Sie sollten mit jeweils zehn Personen besetzt werden, und neben den Landesstrukturbeauftragten waren Vertreter der Bezirke, der DDR-Spiegelministerien sowie jeweils ein Fachberater aus Baden-Württemberg und Bayern vorgesehen. Die Arbeitsstäbe sollten auch bei der Personalvorauswahl beteiligt werden.1750 Vaatz nutzte die Gunst der Stunde und fasste die Bonner Beschlüsse in einer Information für die Regierungsbevollmächtigten zusammen. Dabei betonte er, es sei beschlossen worden, dass vorerst der jeweilige Landesstrukturbeauftragte im Koordinierungsausschuss Dresden die Leitung des entsprechenden Arbeitsstabes übernehmen werde. Die amtierenden Ressortleiter der drei Bezirksverwaltungsbehörden würden darin mitarbeiten. Je Bezirk würden bis zu zwei weitere Sachverständige unter besonderer Beachtung der Mitglieder der Gemischten Kommission Sachsen/Baden-Württemberg und aus Bayern hinzugezogen werden. Je Arbeitsstab werde mindestens ein Berater aus Baden-Württemberg und Bayern mitarbeiten. Aus dem Bestand der Ministerien würden für jeden Arbeitsstab ein bis zwei Vertreter zugeordnet. Sie sollten sich aber vorab bereit erklären, auch später im

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BVB Leipzig, Stellv. d. Regierungsbevollmächtigten: Betr. Besprechung des Regierungsbevollmächtigten Rudolf Krause als Landessprecher mit der Regierung am 5. 9.1990 in Berlin (RPL, AZ 0142). BVB, Regierungsbevollmächtigter: Laufzettel Nr. 118/90 (HAIT, KA, 66). Stenografisches Protokoll über die Arbeitssitzung bei Landessprecher Krause am 27. 9.1990 (ebd., 8). SMBW, Abt. I: Vermerk für Staatssekretär Menz vom 11. 9.1990. Betr. Personalhilfe Sachsen. Besprechung mit Landessprecher Krause, Leipzig und Bezirksbeauftragten Buttolo, Chemnitz, im Anschluss an den BMI-Termin (SMBW, I 0305.0. 1990).

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Land Sachsen für eine Mitarbeit zur Verfügung zu stehen.1751 Um die Zusammensetzung im Sinne der Dominanz der Landesstrukturbeauftragten in den Arbeitsstäben zu sichern, fragte Vaatz am 12. September bei Krause nach der Relevanz seiner von Preiß zitierten Personalvorschläge vom 4. September nach, in dem er fast durchweg Abteilungs- und Referatsleiter der Bezirksverwaltungsbehörden als Leiter der Arbeitsstäbe benannt hatte.1752 Offensichtlich machte Krause hier einen Rückzieher, denn am 13. September beschloss die Leiterrunde des Koordinierungsausschusses, die Dresdner Landesstrukturbeauftragten zu beauftragen, die Zentralen Arbeitsstäbe für die Bildung des Landes Sachsen funktionstüchtig zu gestalten.1753 Damit wurde ein wichtiger Schritt getan, um den bislang formal bezirklich angebundenen Koordinierungsausschuss zu dem für die Landesbildung zuständigen Gremium des Landessprechers, also aller drei Bezirke, zu machen. Dem spezifischen sächsischen Weg der Landesbildung entsprach es denn auch, den aktuellen Stand am 13. September vor dem Sächsischen Forum bekannt zu machen.1754 Abweichend von der Liste der bisherigen Ressort- und Referatsleiter der Bezirksverwaltungsbehörden als den künftigen Arbeitsstableitern, wie Preiß sie verschickt hatte, informierte Vaatz die Landesstrukturbeauftragten am 18. September über die Zusammensetzung der Arbeitsstäbe. Als Leiter waren nun jeweils die Landesstrukturbeauftragten aus Dresden vorgesehen, dazu wurden unterschiedlich viele Mitarbeiter aus Chemnitz und Leipzig genannt.1755 Vaatz sandte seine Namensliste an die DDR-Regierung und berief sich auf die Zustimmung der Clearingstelle.1756 Seine Korrektur wurde in Berlin überraschend akzeptiert, womit der ohnehin kaum aussichtsreiche Versuch abgewehrt war, vor allem Vertreter des alten Apparats in letzter Minute für den Aufbau der Landesregierung in die Verantwortung zu rufen. Am 19. September wurde die VaatzListe nochmals korrigiert und ergänzt. Für Inneres war nun statt Bozenhard Hirschle und für Soziales statt Schirotzek Schrenker benannt. Ergänzt wurden als Verantwortliche für die Bereiche Information und Dokumentation Israel, für Landesvermögen und Ansiedlung Henke, für den Landtag Iltgen und für den Gerichtsaufbau Heitmann.1757 Während Ballschuh am 21. September Minister1751 1752 1753 1754 1755 1756 1757

Information von Arnold Vaatz über die Bildung zentraler Arbeitsstäbe zur Vorbereitung der Landesstrukturen vom 11. 9.1990 (Dok. 134). Vgl. Berater aus Baden-Württemberg für die zentralen Arbeitsstäbe vom 19. 9.1990 (HAIT, KA, 3.1). Arnold Vaatz an Rudolf Krause vom 12. 9.1990 (RPL, 0144). Protokoll der Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses am 13. 9.1990 (Dok. 139). Vortrag von Heidrun Lotze vor dem Sächsischen Forum am 13. 9.1990 (Dok. 135). Arnold Vaatz, an die Landesstrukturbeauftragten: Arbeitsstäbe für die Bildung des Landes Sachsen vom 18. 9.1990 (HAIT, KA, 3.1). Arnold Vaatz, Aktennotiz vom 19. 9.1990: Liste Arbeitsstäbe für die Bildung des Landes Sachsen vom 18. 9.1990 (ebd.). MRKA: Information über die Bestellung der Landessprecher und über die durch die Landessprecher benannten Beauftragten für die Bildung der künftige Ministerien bzw. Ressorts auf Länderebene. Berlin, 4. 9.1990, gez. Preiß, Fassung vom 19. 9.1990 (BArch B, DO 5, 190).

Übernahme DDR-Einrichtungen/Gemeinsame Einrichtungen

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präsident de Maizière berichtete, die Bildung der Landesarbeitsstäbe mit Vertretern der drei Bezirke, der Ministerien in Bonn und Berlin sowie mit Vertretern der Partner-Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg schreite gut voran,1758 machte eine Besprechung von Preiß mit den Landessprechern am 19. September endgültig die geringe Bedeutung und unklare Rolle der Arbeitsstäbe in den DDR-Ministerien deutlich. Die Landessprecher bezeichneten das Zusammenwirken der zentralen Arbeitsstäbe mit den Arbeitsstäben auf Länderebene zur Abwicklung der zentralen Einrichtungen der DDR insgesamt, besonders aber im Bereich der Polizei, als „unzureichend“. Hinsichtlich der Ausschreibungen für den öffentlichen Dienst auf Landesebene und für Bewerbungen aus zentralen Ministerien betonten sie noch einmal unmissverständlich ihre und vor allem die Personalhoheit der künftigen Landesregierungen.1759 Ende September konstatierte Krause, er wisse, „dass es in Berlin abstirbt“. Die Kommunikation mit Berlin sei unbefriedigend. Man habe die Leiter der Stäbe von sich aus gemeldet und um Ansprechpartner gebeten, die Reaktion aber sei ungenügend. Lediglich im Bildungs- und Finanzressorts sei viel Bereitschaft zu Kontakten vorhanden. Es überwiege aber die Kritik, nicht nur in Dresden.1760 Mit dem Scheitern des Paragraphen 22 LEG waren auch die zu seiner Durchsetzung geschaffenen Berliner Arbeitsstäbe obsolet geworden, und auch die Landessprecher fühlten sich mehr ihren kommenden Ländern als der gehenden DDR-Regierung verpflichtet.

5.5.2 Übernahme von DDR-Einrichtungen durch das Land Sachsen, Gemeinsame Einrichtungen und Gemeinschaftsstelle der neuen Bundesländer Übernahme von DDR-Einrichtungen: Neben dem Personaltransfer aus dem DDR-Staatsapparat sollte die Überführung von Einrichtungen der DDR in die Länder nach dem Willen der Regierung de Maizière eine weitere Aufgabe der Landessprecher und Arbeitsstäbe sein. Der Einigungsvertrag räumte Bund und neuen Ländern Sonderbefugnisse für die organisationspolitische und personalwirtschaftliche Auseinandersetzung mit den überkommenen Organisations- und Personalstrukturen der DDR ein. Gemäß Artikel 13 des Einigungsvertrages gingen die zirka eintausend zentralstaatlichen Einrichtungen der DDR auf Bund und Länder über, 800 davon fielen in die Zuständigkeit der Länder. Der Einigungsvertrag bestimmte grundsätzlich die Fortdauer aller Beschäftigungsverhältnisse im Staatsdienst über den 3. Oktober hinaus, allerdings hatten Bund und Länder das bis zum 31. Dezember 1990 befristete Recht, das personell-institu1758 1759 1760

Fernschreiben der BVB Dresden, Regierungsbevollmächtigter, an den Ministerpräsidenten der DDR vom 21. 9.1990: Wochenbericht des Regierungsbevollmächtigten für den Bezirk Dresden (HAIT, KA, 4.2). Protokoll über die Beratung des Ministers für regionale und kommunale Angelegenheiten mit den Landessprechern am 19. 9.1990 (BArch B, DO 5, 192). Zur weiteren Entwicklung der Arbeitsstäbe des Koordinierungsausschusses siehe Kap. 6.2.3.

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tionelle Erbe der DDR auszuschlagen, sofern es sich um Einrichtungen oder Teileinrichtungen handelte, die Aufgaben zu erfüllen hatten, die künftig nach Meinung von Bund und Ländern nicht mehr von der öffentlichen Verwaltung wahrgenommen werden sollten. Diese Einrichtungen wurden „abgewickelt“.1761 In Sachsen hatte man sich rechtzeitig darüber Gedanken gemacht, welche Einrichtungen für das künftige Land sinnvoll und von Nutzen sein könnten. Der Koordinierungsausschuss erstellte bereits seit August entsprechend Listen. Am 10. September schickte Preiß an den Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Hans-Wilhelm Ebeling, eine „Rahmenorientierung zur Aufgabenverteilung und Organisationsstruktur der Landesverwaltungen in der DDR“, die unter Federführung des Instituts für Verwaltungsorganisation Leipzig, bei Konsultationen des Bundesinnenministeriums und der Innenministerien der Bundesländer erarbeitet und mit allen Ministerien, Regierungsbevollmächtigten sowie Landessprechern abgestimmt worden war. Preiß hatte seinerzeit dafür gesorgt, dass der Passus in den Paragraphen 22 des Ländereinführungsgesetzes aufgenommen wurde, wonach die Länder Einrichtungen samt Personal der Regierung übernehmen sollten, die Aufgaben wahrnahmen, die künftig in die Verantwortung der Länder fielen.1762 Nachdem sich die Volkskammer nun weigerte, diese in den Einigungsvertrag übernommene Bestimmung hinsichtlich der Übernahme des Personals zu bestätigen, blieb ihm nichts anderes übrig, als zu betonen, dass selbstverständlich die letztendliche Entscheidung in dieser Frage den Landesparlamenten und -regierungen vorbehalten bleibe.1763 Diese wurden nun seitens der DDR-Ministerien mit Listen zu übernehmender Einrichtungen konfrontiert, die oft fehlerhaft waren. Nicht nur deswegen wurde auf der Clearing-Beratung am 25. September festgelegt, die Empfehlungen der Ministerien über Auflösung oder Verbleib der Institutionen durch die Arbeitsstäbe überprüfen zu lassen,1764 sondern auch, um so die Hoheit der künftigen Länder zu wahren. Bei einer Beratung der Clearingaußenstelle in Dresden am 28. September wurde im Blick auf die kommende Sitzung der Clearingkoordinierungsstelle am 1. Oktober in Bonn beschlossen, wie bezüglich von Sachsen zu übernehmender Einrichtungen zu verfahren sei. Danach sollten sämtliche Institutionen, bei denen nicht ausdrücklich ein anderer Bescheid erging, als Landeseinrichtungen des künftigen Freistaates Sachsen übernommen werden. Ausdrücklich wurde betont, dass dies nicht bedeute, sämtliche Arbeitsverhältnisse automatisch weiterzuführen, sondern lediglich, sie zur Zeit nicht aufzulösen. Zu den genannten Institutionen gehören insbesondere Kreis- und Bezirksgerichte, diesen zugeordnete Staatsanwaltschaften, Strafvollzugsbehörden, Schulen und Hochschulen (ausgenommen Parteischulen), Liegenschaftsämter, soziale und medizinische Einrichtungen, Museen, Theater und andere kulturelle Einrichtungen.1765 Grundlage der Ent1761 1762 1763 1764 1765

Vgl. Wollmann, Entwicklung, S. 39 f. Siehe Kap. 5.2.1. Manfred Preiß an Hans-Wilhelm Ebeling vom 10. 9.1990 (BArch B, DO 5, 13). Protokoll der Clearing-Beratung am 25. 9.1990 (Dok. 142). Protokoll der Clearing-Außenstellenberatung in Dresden am 28. 9.1990 (Dok. 144).

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scheidung waren Zuarbeiten der Arbeitsstäbe. Eine ältere Liste mit Stand vom 17. August hatte 115 Positionen mit künftigen Landeseinrichtungen umfasst, darunter ein Landesbergamt, das Landesamt für Statistik, diverse Kammern, eine Sächsische Landesbank und eine Wirtschaftsförderungsgesellschaft, die Oberfinanzdirektion, das Landesamt für Besoldung und die Schlösser- und Gärtenverwaltung, alle Gerichte und Justizvollzugsanstalten, ein Landesvermessungsamt und ein Landesarchiv, ein Landesamt für Denkmalpflege, Straßenbauämter und Straßenmeistereien, ein Landeskriminalamt, alle Polizeidienststellen und -ausbildungseinrichtungen, die Forstverwaltung, Veterinärämter, Landesämter für Umweltfragen, die Schulverwaltung, eine Landesmusikschule und eine öffentlich-rechtliche Landesrundfunkanstalt, Universitäten, Fachschulen, Akademien, Museen, staatliche Theater und Opern, Bibliotheken, Landesgesundheitsamt, Landeskrankenhäuser, Versorgungsämter und vieles mehr.1766 Diese Aufzählung macht deutlich, dass die Überleitung von Behörden in Landeseinrichtungen mehr bedeutete als den Aufbau einer Ministerialverwaltung, auch wenn deren Aufbau als politisches Steuerungs- und Aufsichtsorgan natürlich die besondere Aufmerksamkeit des Koordinierungsausschusses galt. Die am 28. September beschlossene Liste wurde über Krause der Clearingstelle Bonn übermittelt und floss am 1. Oktober in die Entscheidung für alle fünf neuen Länder und Berlin ein. In einer Clearingbesprechung im Bundesministerium des Innern wurde an diesem Tag unter Beteiligung der Landessprecher festgelegt, dass bestimmte Einrichtungen von den Ländern übernommen werden müssen. Dazu zählten die Einrichtungen der Justiz und des Strafvollzugs, die allgemeinbildenden Schulen, die Berufsschulen und Schulämter, die in den Bezirken gebildeten Finanzämter und die Bezirksbehörden und Kreisämter der Polizei.1767 Mit Wirkung vom 3. Oktober verfügte Landessprecher Krause, für Einrichtungen oder Teileinrichtungen im Sinne des Einigungsvertrages sei die Entscheidung über die Überführung oder Abwicklung bis spätestens zum 31. Dezember 1990 hinausgeschoben, sofern nicht im Einzelfall bis dahin eine andere Organisationsentscheidung ergehe. Es sei davon auszugehen, dass im Rahmen der Neuordnung der Verwaltung eine Reihe von Einrichtungen bestimmt werde, deren Fortbestehen nicht erforderlich sei. In diesen Fällen würden diese möglichst rasch abgewickelt. Für die Bezirksverwaltungen und zugeordnete Einrichtungen werde gemäß Einigungsvertrag die Entscheidung über die Überführung oder Abwicklung ebenfalls bis zum 31. Dezember hinausgeschoben.1768 In Sachsen war nun das Innenministe1766 1767

1768

Nachgeordnete Einrichtungen. Arbeitsstand per 17. 8.1990. Zit. in Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 165 f. Ergebnisprotokoll der 3. Sitzung der Clearingstelle am 1.10.1990 (HAIT, KA, 56). Vgl. Fernschreiben des MfiA der DDR an die Landessprecher vom 2.10.1990: Überführung und Abwicklung von Ländereinrichtungen (ebd., 9); SMBW an Hischle: 3. Sitzung der Clearing-Stelle am 1.10.1990 in Bonn (HAIT, KA, 9); Pressemitteilung des Landessprechers Rudolf Krause vom 2.10.1990 (ebd., 3.2). Verfügung des Landesbevollmächtigten für Sachsen, Rudolf Krause, vom 1.10.1990 (Dok. 147); Pressemitteilung von Landessprecher Krause über die Fortsetzung der Arbeit in der Verwaltung vom 2.10.1990 (Dok. 149).

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rium für die Übernahme bzw. Abwicklung zuständig. Im Kabinett herrschte im Dezember die Meinung vor, nur das zu übernehmen, was unbedingt notwendig und auf jeden Fall künftig Landesaufgabe sei. In einer Kabinettssitzung kurz vor Weihnachten wurde die gesamte Liste mit 28 Seiten abgehandelt. Dabei herrschten teilweise chaotische Verhältnisse. In jeder Kabinettssitzung tauchten, so Günter Meyer, immer neue Listen mit Einheiten auf. Die Entscheidungen über Abwicklung oder Erhalt seien zum Teil „aus dem Bauch“ getroffen worden. Eine andere Vorgehensweise war nicht möglich, stand doch zum einen noch kein funktionierender Regierungsapparat zur Verfügung und fehlten zum anderen Möglichkeiten, einzelne Einrichtungen auf ihre Notwendigkeit zu überprüfen. „Da gab es“, so Meyer, „Einrichtungen über Einrichtungen, man wusste gar nicht, was die machen.“ Nach seinem Eindruck habe das Landwirtschaftsministerium die meisten Einrichtungen übernommen.1769 In der Frage, ob es Abwicklungen gab, die später wieder rückgängig gemacht wurden,1770 gehen die Meinungen auseinander. Günter Meyer meint, es sei „nicht ein einziger Fall aufgetreten, wo wir eine Einrichtung abgewickelt haben, die wir nachher wieder hätten neu begründen müssen“. Allerdings habe man Einrichtungen erhalten, die man im Sinne einer sparsamen, vernünftig funktionierenden Verwaltung besser nicht erhalten hätte.1771 Nach allgemeiner Einschätzung war die Zeit, die beide deutsche Regierungen den neuen Bundesländern im Einigungsvertrag für die Entscheidung einräumten, entschieden zu knapp bemessen. Unklar ist, ob es sich dabei um politisches Kalkül handelte oder ob sich hier ebenfalls nur die fehlende Beteiligung der neuen Länder an den Modalitäten der deutschen Einheit und ihrer Bildung negativ auswirkte.1772 Klar war jedenfalls, dass die Länder nach dem 14. Oktober zunächst mit der Regierungsbildung und dem Aufbau arbeitsfähiger Ministerialstrukturen beschäftigt waren und kaum ansatzweise über die Struktur zur Bewältigung solch auch finanziell weitreichender Entscheidungen verfügen würden. So kam es zum Beispiel im Hochschulbereich zu einigen panikartigen Abwicklungen kurz vor Weihnachten, weil die Einrichtung ansonsten hätten weitergeführt werden müssen. Auch Hans Reckers erinnert sich, dass zunächst schnell geklärt werden musste, welche Einrichtungen zum Freistaat Sachsen gehören sollten, da nur bis Ende 1990 ganze Einrichtungen problemlos abgewickelt werden konnten. Die Frist sei viel zu kurz gewesen, so dass innerhalb weniger Wochen in einer schwierigen Informationslage, in der für die westlichen Beamten ohnehin alles neu gewesen sei, in einem richtigen Chaos so fundamentale Entscheidungen getroffen werden wie die Abwicklung ganzer Einheiten.1773 Günter Meyer hält die kurze Frist bis zum 31. Dezember 1990 für „eine der größten Schwächen des Einigungsvertrages“. Es sei unmöglich gewesen, eine 1769 1770 1771 1772 1773

Interview Günter Meyer. So Keller, Aufbau, S. 100; Wollmann, Um- und Neubau, S. 22. Interview Günter Meyer. Siehe dazu Kap. 6.1.2. Interview Hans Reckers.

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Regierung zu bilden und zugleich solche tiefgreifenden Entscheidungen zu treffen.1774 Auch Thomas de Maizière meint, die eingeräumte Frist sei viel zu kurz gewesen. Von einer funktionierenden Verwaltung habe zu diesem Zeitpunkt nicht einmal ansatzweise die Rede sein können. Mit dem Aufbau erster Grundlagen der Ministerien beschäftigt, hätten die wenigen Anfangsakteure überhaupt keinen Überblick über die vorhandenen Einrichtungen haben können. Die Länder hätten zwangsläufig zu viele Einrichtungen übernommen, weil sie ansonsten definitiv hätten sagen müssen, diese oder jene Einrichtung wird abgewickelt. In dieser Fehlentscheidung beider deutscher Regierungen sieht Thomas de Maizière „eine der zentralen Ursachen für den überbordenden Personalbestand der ostdeutschen Länder“. Hätte man ihnen drei Monate mehr Zeit zur Verfügung gestellt, wäre die Entwicklung anders verlaufen.1775 Gemeinsame Einrichtungen der Länder: Neben der Übernahme von Einrichtungen der DDR in die Hoheit des Freistaates Sachsen war die Staatsregierung auch mit dem Problem der zeitweilig existierenden gemeinsamen Einrichtungen der neuen Bundesländer konfrontiert. Obwohl einige von ihnen notwendig waren, standen sie in Sachsen von Anfang an unter dem doppelten Generalverdacht, zum einen der Versorgung von Mitarbeitern des Regierungsapparates zu dienen und zum anderen Ausdruck des andauernden Willens der von der Bundesregierung beratenen DDR-Regierung zu sein, in die Belange der Länder hineinzuregieren. Frühzeitig wies der Arbeitsstab Justiz des Koordinierungsausschusses beim sächsischen Landessprecher, so die nun formal korrekte Zuordnung der Arbeitsstäbe, darauf hin, dass die Fortführung gemeinsamer Einrichtungen auf unbedingt notwendige Einzelfälle beschränkt werden sollte. Im Regelfall werde es effektiver sein, eine Einrichtung in die Obhut eines Landes zu geben und den anderen Ländern vertraglich eine Mitbenutzung einzuräumen. So wurde zum Beispiel im Fall der Fachhochschule für Strafvollzug Radebeul „dringend geraten, von der zentralen Empfehlung Ostberlins abzuweichen“. Eine gemeinsame Trägerschaft der fünf Länder für Einrichtungen sei „uneffektiv und eine in der Praxis nicht bewährte Form,“ da die gemeinsame „Regierung“ und Verwaltung durch fünf Bundesländer zu viel Kraft und Aufwand binde und dies zu Lasten der eigentlichen Aufgabenstellung gehe.1776 Hier klang deutlich die Sorge der westlichen Partnerländer mit, der Bund könne auf dem Umweg über gemeinsame Einrichtungen seinen Einfluss auf die neuen Länder verstärken. Strittig waren zu diesem Zeitpunkt zwischen Vertretern des Bundes und der Länder auch die vom Bund vorgetragenen Vorschläge zur Behandlung von Teilen einzelner Ministerien. Das machte eine Sitzung der Clearingstelle am 27. September, also etwa eine Woche vor dem Beitritt der DDR, deutlich. Hier unterschieden sich die Auffassungen von Bund und Ländern fundamental. 1774 1775 1776

Interview Günter Meyer. Interview Thomas de Maizière. Koordinierungsausschuss, Strukturbeauftragte Justiz, Thaut: Entscheidungsvorschläge des Arbeitsstabes Justiz zur Tischvorlage „Überführung und Abwicklung von Ländereinrichtungen“ (HAIT, KA, 10.1).

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Während die Vertreter des Bundes vorschlugen, in einer Anlage aufgeführte DDR-Einrichtungen als gemeinsame Einrichtungen der Länder weiterzuführen, unterstützten die Ländervertreter die von Baden-Württemberg vorgetragene Haltung „einmütig“, wonach gemeinsame Einrichtungen nach Sinn und Text des Einigungsvertrags, aber auch zur Wahrung der Eigenständigkeit der neuen Bundesländer nur vorgesehen werden dürften, wenn eine weitere Tätigkeit solcher Einrichtungen tatsächlich unerlässlich sei. So fand auch der Vorschlag von Bundesinnenminister Schäuble keine Zustimmung, aus dem Bestand des Ministeriums für regionale und kommunale Angelegenheiten eine Organisationseinheit mit zirka dreißig Mitarbeitern zu bilden, die für Themen wie Raumordnung und Gebietsreform, kommunale Selbstverwaltung, Wirtschaftstätigkeit der Kommunen, Vermögens- und Finanzierungsfragen der Länder und Kommunen sowie Verwaltungsorganisation zuständig sein sollte. Die Ländervertreter meinten, diese Aufgaben gehörten zum Kernbestand der Aufgaben der neuen Länder. Eine solche gemeinsame Einrichtung sei nicht nur überflüssig, sie würde auch die Eigenständigkeit der neuen Länder beeinträchtigen. Die Vertreter der Länder schlugen deshalb vor, diesen Teil des Ministeriums abzuwickeln. Es müsse verhindert werden, so hieß es, aus den bisherigen Ministerien neue Zentralverwaltungen entstehen zu lassen, welche die neuen Länder in ihrer Eigenständigkeit behindern. Auch um den notwendigen personellen Neuaufbau zu ermöglichen, sollte die Abwicklung dieser Teile der bisherigen Ministerien der DDR vorgesehen werden. Die alten Bundesländer würden hier die entstehenden neuen Länder in ihrer Eigenständigkeit unterstützen und durch ihr Eintreten für diese Lösung auch die Verantwortung für unerlässliche „Grausamkeiten“ bei der Beendigung von Dienstverhältnissen bisheriger Mitarbeiter mittragen. Jede gemeinsame Verwaltung einer Einrichtung „zur gesamten Hand“ der neuen Länder stelle, so die Grundhaltung der Bundesländer, eine erhebliche Belastung für die Gestaltungsmöglichkeiten der neuen Länder dar. Besonders problematisch sei, dass unklar bleibe, wie die Länder sich aus einer gemeinsamen Einrichtung wieder lösen könnten. Da der Bund die Auffassung vertrete, das Ausscheiden eines Landes aus einer gemeinsamen Einrichtung sei nur durch eine Vereinbarung mit den anderen vier Ländern möglich und dafür ein Staatsvertrag nötig, wurden seitens der westlichen Bundesländer „die Voraussetzungen für eine gemeinsame Einrichtung der Länder nur in seltenen Ausnahmen angenommen“. Sie schlugen deshalb in der Regel für die in der Liste enthaltenen Einrichtungen vor, die „Fußnote“ anzuwenden, in deren Folge das „Sitzland“ ab dem 3. Oktober für die Einrichtung bei Weiterfinanzierung der Kosten bis zum Jahresende aus dem Bundeshaushalt zuständig werde. Diese Regelung führte nach Meinung der Länder zum „dringend notwendigen Klärungsprozess vor Abschluss des Jahres 1990“. Auch die anwesenden Vertreter der Landessprecher der künftigen Länder unterstützten diese Haltung,1777 deren Folge freilich chaotische Zustände in 1777

Vorlage für Hirschle vom 28. 9.1990: Betr. Clearingstelle des Bundes und der Länder nach dem Einigungsvertrag, hier: Behandlung von Einrichtungen der Verwaltung. Bezug: Sitzung der AG 1 der Geschäftsstelle der Clearingstelle am 27. 9. 90 (ebd., 9/1).

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den Landesregierungen waren, die, ohne bereits selbst hinlänglich zu funktionieren, vor weitreichende Entscheidungen gestellt wurden. Nur in wenigen Fällen stimmten die Ländervertreter der vorübergehenden Etablierung gemeinsamer Einrichtungen zu, so etwa bei der Beibehaltung der zentralen Einwohnerkartei der DDR als gemeinsame Einrichtung der Länder bis zur Überführung der Dateien auf die Gemeinden. Keine Einigkeit herrschte zwischen Bund und Ländern aber bereits wieder hinsichtlich der vom Bund vorgeschlagenen Aufsichtsstelle über die Einwohnerdatei. Die Länder forderten, diese Aufsicht selbst auszuüben. Auch die zur Begründung vorgetragene Notwendigkeit, die „Kommunen beim Aufbau arbeitsfähiger Strukturen zu Melde-, Einwohner-, Personenstands-, Pass- und Ausweiswesen“ zu unterstützen und den Ländern „in den Bereichen Brand- und Katastrophenschutz, Strafvollzug, Archivwesen, Geodäsie und Kartografie“ zu helfen, wurde von allen Ländervertretern bestritten. Notwendige Verwaltungshilfe werde von den alten Ländern geleistet. Insbesondere wurde die Auffassung des Bundesministers des Innern zurückgewiesen, für den Brand- und Katastrophenschutz sei die Beibehaltung gemeinsamer „Führungsstrukturen“ notwendig. In einer Vorlage für Hirschle hieß es dazu, es sei offenkundig gewesen, dass dieser Vorschlag „dem auf allen politischen und Verwaltungsebenen unternommenen Versuch der zuständigen Abteilung des BMI, mehr Einfluss im landesrechtlichen Katastrophenschutz und im Feuerwehrwesen zu gewinnen“, entsprochen habe. Schäuble strebe in diesem Bereich „entgegen der jetzigen Aufgabenverteilung des Grundgesetzes die Einrichtung einer Gemeinschaftsaufgabe an“, womit er den „offenkundigen Rückgang der Bedeutung der zivilen Verteidigung im Aufgabenbereich des Bundes ausgleichen“ wolle. Bis auf Bremen seien alle Länder diesem Unterfangen nachdrücklich entgegengetreten. Zwischen den Ländern bestand auch Einvernehmen darüber, Aufgaben des Strafvollzugs so schnell wie möglich in den Bereich der Justiz der Länder zu übertragen. Die Länder bestanden abschließend darauf, dass der Verwaltungsbereich des bisherigen Ministeriums des Innern in Berlin mit Ausnahme der Einwohnerdatei abzuwickeln sei. Zugestimmt wurde lediglich, die „Bezirksbehörden der Polizei und Kreisämter der Polizei“, sofern es sich um die Dienststellen des Polizeivollzugsdienstes bzw. der Vollzugspolizei handelte, zu übernehmen. Im kulturellen Bereich versuchten die Vertreter des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft zu erreichen, Teile des bisherigen DDR-Ministeriums für Kultur mit etwa sechzig Mitarbeitern als gemeinsame Einrichtung der Länder weiterzuführen. Diese sollten für die finanzielle Förderung kultureller Einrichtungen der Länder wie Orchester und Theater zuständig werden. Die Vertreter der Landessprecher wiesen hingegen darauf hin, dass alle Fördermittel für 1990 längst ausbezahlt seien und weitere Maßnahmen nicht anstünden. Sie vertraten mit Unterstützung der Vertreter der Landessprecher die Auffassung, die Fördermittel sollten ab 1991 vom Bund direkt an die neuen Länder gegeben werden. Die Länder beharrten deshalb darauf, auch diese Teile des Ministeriums für Kultur abzuwickeln. Ähnlich unterschiedlich waren die Auffassungen

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hinsichtlich der künftigen Förderung des Breitensports. Auch hier sollte nach Meinung des Bundes eine gemeinsame Einrichtung der Länder weiterarbeiten. Die Vertreter der Länder meinten jedoch übereinstimmend, für die vorgesehenen Aufgaben sei keine gemeinsame Einrichtung erforderlich, und schlugen vor, auch diesen Teil des bisherigen Ministeriums für Jugend und Sport abzuwickeln. Längere und kontroverse Diskussionen ergaben sich hinsichtlich von schulischen Einrichtungen und weiterführenden „Bildungseinrichtungen unterschiedlicher Bezeichnung“. Die Ländervertreter wiesen darauf hin, dass die Liste zahlreiche Einrichtungen enthalte, deren Fortführung unter keinen Umständen wünschenswert sei. Es bestand Einvernehmen, die klassischen Universitäten weiterzuführen. Gewünscht wurde deshalb eine Unterscheidung zwischen diesen und anderen Hochschulen. Dazu sah sich der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft aber nicht in der Lage. Die Länder wiesen außerdem darauf hin, dass eine Fortführungsentscheidung auch dazu führen werde, dass Hochschulen nach dem künftig geltenden Hochschulrahmenrecht verhältnismäßig schnell ihre Autonomierechte bei der Berufung von Hochschullehrern geltend machen würden. Dies könne dazu führen, dass die bisherigen Inhaber von Stellen, gestützt auf die Hochschulautonomie, auf die künftigen Lehrstühle berufen würden. Einvernehmen bestand schließlich darüber, für Fachschulen die „Fußnote“ anzuwenden. Die Länder plädierten dafür, für Hochschulen einen Vorschlag zu formulieren, der sich an die Regelung für die Akademie der Wissenschaften anschließt. Es sollte deshalb vorgeschlagen werden, die Hochschulen „vorläufig“ fortzuführen und den neuen Trägern der Hochschulen nahe zulegen, vor dem 31. Dezember 1991 über die endgültige Weiterführung ihrer Einrichtung zu entscheiden.1778 Nach der Tagung war klar, dass die westlichen Bundesländer nur in ausgesuchten, ihren Interessen entsprechenden oder unabdingbaren Bereichen vorübergehend bereit waren, der Bildung gemeinsamer Einrichtungen und einer Gemeinschaftsstelle der neuen Bundesländer zuzustimmen. Damit war der Versuch des Bundes gescheitert, auf dem Umweg über die Länderneubildung im Osten eine Erweiterung zentraler Kompetenzen zu erreichen. Gemeinschaftsstelle der Länder für Landes- und Kommunalfragen: In Bonn war bei der Sitzung der Clearinggeschäftsstelle am 28. September eine Vereinbarung zwischen Preiß und den Landesbeauftragten über die Einrichtung einer „Gemeinschaftsstelle der Länder für Landes- und Kommunalfragen“ unterzeichnet worden. Deren Aufgabe sollte demnach in der Fortführung von Vorhaben des Ministeriums für regionale und kommunale Angelegenheiten bestehen, für die nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes die Länder zuständig waren. Vereinbart wurde, dass die Ministerpräsidenten der neuen Länder im Dezember 1990 über die Fortsetzung der Arbeit der Stelle entscheiden sollten. In einer Protokollnotiz wurde ausdrücklich erwähnt, dass die Unterschriftsleistung des sächsischen Landessprechers, Rudolf Krause, unter dem Vorbehalt erfolge, „dass der zukünftige Ministerpräsident einen vorzeitigen Austritt aus die1778

Ebd.

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ser Vereinbarung veranlassen kann“.1779 Mit dem Beitritt der DDR stellte das Ministerium für regionale und kommunale Angelegenheiten seine Arbeit ein. Teile des Apparates fungierten als Bereich regionale und kommunale Angelegenheiten der Außenstelle Berlin des Bundesinnenministeriums weiter.1780 Am 4. Oktober nahm die Gemeinschaftsstelle der Länder ihre Arbeit auf. Sie unterstand den fünf Landesbeauftragten bzw. später den zu wählenden Landesministerpräsidenten. Leiter wurde der bisherige Staatssekretär im Ministerium für regionale und kommunale Angelegenheiten, Jürgen Klingbeil. Preiß kam wegen seiner inzwischen bekannt gewordenen Zusammenarbeit mit dem MfS nicht mehr in Frage. Neben der Gemeinschaftsstelle arbeiteten entsprechend Artikel 14 des Einigungsvertrages seit dem 4. Oktober gemeinsame Einrichtungen der Länder für verschiedene Ressorts wie für Inneres, Schule und Hochschule. Der Bereich Inneres hatte seinen Sitz bei der Außenstelle des Bundesinnenministers in Berlin und unterstand der Leitung des bisherigen Staatssekretärs der Regierung de Maizière, Eberhard Stief. Er hatte im Bereich Inneres Aufgaben weiterzuführen, die zwar in die Kompetenz der Länder fielen, aber aufgrund noch nicht vorhandener Voraussetzungen begrenzte Zeit durch gemeinsame Einrichtungen der Länder wahrgenommen wurden. Sie hatten die Länder im Bereich Inneres bei der Bildung entsprechender Struktureinheiten, der Geschäftsverteilung, der Gesetzgebungsarbeit sowie der Wahrnehmung länderübergreifender Interessen zu unterstützen. Aufgaben, die bis zum Beitritt durch das DDR-Innenministerium erfüllt worden waren und künftig in die Länderkompetenz fielen, wurden durch die gemeinsame Einrichtung im Bereich des Bundesinnenministeriums den entsprechenden Landeseinrichtungen nach ihrer Bildung übertragen.1781 In den Arbeitsstäben des Koordinierungsausschusses sah man einerseits die Notwendigkeit, für eine kurze Übergangszeit über gemeinsame Einrichtungen zur Überführung bislang zentral geregelter Bereiche zu verfügen, andererseits war der Drang nicht zu übersehen, möglichst bald eigene Wege zu gehen. So informierte zum Beispiel Rößler auf der ersten Sitzung des von ihm geleiteten Arbeitsstabes „Kultus“ am 16. Oktober über die Einrichtung einer Außenstelle des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft in Berlin und eine gemeinsame Ländereinrichtung zur vorübergehenden Wahrnehmung von Länderaufgaben im Bildungsbereich. Er stellte aber klar, dass jedes Land jederzeit berechtigt sei, aus der Vereinbarung auszusteigen. Gegenwärtig könnten jedoch noch nicht alle Aufgaben selbständig übernommen werden.1782 Am 19. Oktober be1779 1780 1781 1782

Vereinbarung zwischen dem MRKA und den Landesbeauftragten der neuen Bundesländer über die Bildung der „Gemeinschaftsstelle der Länder für Landes- und Kommunalfragen“ ab 3.10.1990 vom 28. 9.1990 (BArch B, DO 5, 214). BMI, Außenstelle Berlin, Bereich regionale und kommunale Angelegenheiten, an die Deutsche Bundesbank, Filiale Berlin, vom 4.10.1990 (ebd., 211). Gemeinsame Einrichtungen der Länder arbeiten seit dem 4.10.1990 (SächsStAC, RdB, 152280). Niederschrift der 1. Sitzung des Arbeitsstabes „Kultus“ am 16.10.1990 (HAIT, KA, 28).

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fasste sich der Arbeitsstab erneut mit gemeinsamen Einrichtungen der Länder. Man war sich darüber einig, deren Aufgaben möglichst schnell in die Kompetenz der Landesregierung zu überführen.1783 Auf der Jahreskonferenz der Ministerpräsidenten am 18./19. Oktober, an der Buttolo als Gast aus Sachsen teilnahm, wurde erneut deutlich, dass die westlichen Bundesländer den gemeinsamen Einrichtungen skeptisch gegenüberstanden, sah man darin doch die Gefahr einer Untergrabung der Länderhoheit.1784 Ungeachtet dessen bestand bei einer Besprechung am 22. Oktober Einvernehmen über die Bildung einer Arbeitsgruppe der fünf neuen Länder zur Behandlung gemeinsam interessierender Fragen bei der Überführung und Abwicklung von Landeseinrichtungen.1785 Der Entwurf einer Rahmenvereinbarung zur Bildung gemeinsamer Ländereinrichtungen vom 23. Oktober zeigte das Bemühen, gemeinsame Einrichtungen auf unbedingt notwendige Bereiche und einen möglichst kurzen Zeitraum zu begrenzen. Als notwendig wurden ein gemeinsames Landeskriminalamt, ein Amt für Vermessungs- und Kartenwesen, das Zentrale Einwohnerregister, ein gemeinsames Statistisches Amt und die Länderbereiche im Bestand der Außenstellen Berlin der Bundesministerien angesehen. Es wurde vereinbart, die Überleitung der gemeinsamen Ländereinrichtungen in die Kompetenz der beteiligten Länder gemäß Artikel 13 des Einigungsvertrages zu gestalten.1786 Ende Oktober schlug eine Arbeitsgruppe der Clearingstelle eine Mustergeschäftsordnung für gemeinsame Einrichtungen der Länder und die Bildung einer Arbeitsgruppe zum Themenkomplex vor. Die Landesbevollmächtigten stimmten dem Beschlussvorschlag zu.1787 Auch im Bereich Bildung und Wissenschaft wurde mit Wirkung vom 1. November aus Teilen des zuständigen DDRMinisteriums eine gemeinsame Einrichtung der neuen Länder mit Sitz in Berlin gebildet.1788 Mitte Oktober war auch die Bildung eines Aufbauministeriums für die neuen Länder in Bonn noch nicht endgültig vom Tisch. Biedenkopf sprach sich am 11. Oktober offen gegen eine solche Unternehmung aus, die lediglich Bürokra-

1783

1784 1785 1786 1787 1788

BVB Leipzig, Ressort Kultur, Kunst und Wissenschaft: Information über die Sitzung des Arbeitsstabes „Kultus“ am 19.10.1990 (RPL, 0144); Arbeitsstab „Kultus“ beim Landessprecher für Sachsen: Niederschrift über die 2. Sitzung des Arbeitsstabes „Kultus“ am 19.10.1990 (ebd.). Büro Leipzig des Landesbevollmächtigten für Sachsen: Bericht vom 22.10.1990 für die Kabinettssitzung am 25.10.1990. Betr.: Ministerpräsidentenkonferenz vom 18./19.10.1990 in Hannover (HAIT, KA, 3.2). Ergebnisniederschrift über die 4. Sitzung der Bund-Länder-Clearingstelle für die Verwaltungshilfe am 22.10.1990 im BMI (HAIT, Iltgen, 3). BMI, Außenstelle Berlin, Länderbereich: Entwurf einer Rahmenvereinbarung (Staatsvertrag) zur Bildung gemeinsamer Ländereinrichtungen vom 23.10.1990 (SächsStAC, RdB, 152280). Ministerialrat Futter: Bericht von der Clearingstelle vom 23.10.1990 (HAIT, Iltgen, 3). Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft im Einvernehmen mit den Landesbevollmächtigten: Organisationsverfügung zur Bildung einer gemeinsamen Einrichtung gemäß Artikel 14 des Einigungsvertrages vom 22.10.1990 (HAIT, KA, 28).

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tie und Inneffizienz schaffen würde.1789 Zunehmende Akzeptanzprobleme bekam aber bald auch die „Gemeinschaftsstelle der Länder“. Noch aber kämpfte der als Leiter eingesetzte Klingbeil um den Fortbestand seiner rudimentären Bürokratie. Angesichts des fehlenden Rückhalts sowohl in den neuen wie in den alten Ländern bat er Lothar de Maizière, die Arbeit der Gemeinschaftsstelle „durch geeignete Informationen – insbesondere hinsichtlich der Ergebnisse der vom Kanzleramtsminister Seiters geleiteten regelmäßigen Arbeitsbesprechungen – hilfreich zu begleiten“.1790 In einer PR-Aktion informierte er über vermeintliche Aufgaben der ungeliebten Gemeinschaftsstelle, die angeblich darin bestanden, „das Selbstverwaltungsrecht der Länder, Kreise, Städte und Gemeinden zu befördern“. Die Gemeinschaftsstelle der Länder habe sich das Ziel gestellt, den Ländern, Kreisen, Städten und Gemeinden kreative Hilfe in Form von Orientierungen und Entscheidungshilfen nach den Grundsätzen kommunaler Selbstverwaltung und zum Aufbau föderativer Strukturen zu geben.1791 Am 9. November übergab die Gemeinschaftsstelle den Landesbeauftragten sowie allen Landräten und Oberbürgermeistern Empfehlungen bezüglich der Entwicklung der kommunalen Gemeinschaftsarbeit, der Inanspruchnahme von Fördermitteln des Bundes in den Kommunen, zum Gebührenrecht, zur Übertragung von Volkseigentum in kommunales Eigentum und über Eigenbetriebe für die neuen Länder.1792 Einen Bedarf gab es dafür nicht, konnten die überall im Einsatz befindlichen westlichen Leihbeamten doch wesentlich kompetenter Auskunft geben als die versprengten Bürokratiereste des Ministeriums für regionale und kommunale Angelegenheiten, das schon zu Zeiten seiner kurzen Existenz laufend wegen fehlender Kompetenz kritisiert worden war. Wie ein ungeliebtes Kind saß die Gemeinschaftsstelle denn auch zwischen allen Stühlen. Selbst das Bundesinnenministerium nahm mit Verwunderung zur Kenntnis, dass die Gemeinschaftsstelle wegen der Änderung von Landesgrenzen direkt Kontakt aufnahm. Bei der „Gemeinschaftsstelle“, so hieß es in einer Vorlage, handele es sich „anscheinend um eine Einrichtung, die nach Art. 14 Abs. 1 des Einigungsvertrages als ,gemeinsame Einrichtung der Länder‘ weitergeführt“ werde. Wenn dies richtig sei, unterstehe sie den Ministerpräsidenten. Daher wäre „zu bemängeln, dass sie sich direkt an den BMI gewandt hat“. Außerdem hieß es, eine Übernahme des Personalbestandes der Gemeinschaftsstelle durch den Bund bei Beibehaltung ihrer Aufgabenstellung könne „unter keinen Umständen in Erwägung gezogen werden“.1793 Aber nicht nur der Bund schlug das Erbe von Minister Preiß aus, auf einer der Sitzungen der Clearingstelle votierten auch die neuen Länder Ende November 1990 gegen eine Weiterführung der Arbeit der „Ge1789 1790 1791 1792 1793

Vgl. Kölner Stadt-Anzeiger vom 11.10.1990. Jürgen Klingbeil an Lothar de Maizière vom 11.10.1990 (BArch B, DO 5, 215): Gemeinschaftsstelle der Länder für Landes- und Kommunalfragen an alle Landräte und Oberbürgermeister vom 12.10.1990 (ebd., 226). Jürgen Klingbeil an die Landesregierungen der neuen Bundesländer vom 9.11.1990 (ebd., 215). BMI, AL V an AL Z vom 27.11.1990 (BArch, B 106, 328233, V1b 110851/1).

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meinschaftsstelle“. Sie stellte daraufhin per 31. Dezember 1990 ihre Tätigkeit ein. Nach ihrer Auflösung fungierte Klingbeil bis Mitte 1991 zu ihrer Abwicklung als Leiter eines Fachbereichs regionale und kommunale Angelegenheiten in der Außenstelle Berlin des Bundesinnenministeriums.1794 Anders als die Gemeinschaftsstelle arbeiteten die ressortbezogenen gemeinsamen Einrichtungen weiter. Im Vordergrund der Beratungen einer speziell gebildeten Arbeitsgruppe „Gemeinsame Einrichtungen“ stand seit Januar 1991 die Frage der Fortführung bzw. Abwicklung von Einrichtungen mit länderübergreifendem Wirkungsbereich unter Einbeziehung der im Osten Berlins gelegenen Einrichtungen. Demgegenüber wurden die letzten Teile der DDR-Ministerien bis zum 30. Juni 1991 als gemeinsame Einrichtungen der neuen Länder endgültig und ausnahmslos abgewickelt. Andere gemeinsame Einrichtungen wie das Zentrale Einwohnerregister, das Gemeinsame Landeskriminalamt, das Statistische Amt verschwanden erst, als entsprechende Landesbehörden gebildet worden waren. Bis dahin lag die Federführung für die Übergangsbehörden bei jeweils einem der neuen Länder.1795

5.5.3 Personaleinsatz Baden-Württembergs und Bayerns sowie Streit um Einfluss Bei den Auseinandersetzungen um gemeinsame Einrichtungen der neuen spielten die alten Bundesländer eine maßgebliche Rolle, ging es hierbei doch auch um Einfluss in den neuen Bundesländern. Das betraf auch die Personalpolitik der künftigen sächsischen Landesregierung, wegen der es zu Auseinandersetzungen zwischen den beiden Partnerländern Baden-Württemberg und Bayern kam.1796 Am 3. September beschloss das Kabinett in Stuttgart, Sachsen beim Aufbau der Landes- und Kommunalverwaltung intensiver zu unterstützen. Rund dreihundert Beamte sollten für längere Zeit als Berater nach Sachsen gehen, etwa die Hälfte davon für den Aufbau von Ministerien, Bezirksverwaltungen und nachgeordneten Behörden, die andere Hälfte sollte im kommunalen Bereich eingesetzt werden. Die Büros in Chemnitz, Dresden und Leipzig hatten den Einsatz zu koordinieren.1797 Einen Tag später erklärte auch die bayerische Staatsregierung, man werde Sachsen durch weitere Leihbeamte und Software-Programme der bayerischen Familienkassen beim Aufbau einer zur raschen Abwicklung des Bundeserziehungsgeldes einsatzfähigen Leistungsverwaltung und beim Aufbau 1794 1795 1796 1797

Jürgen Klingbeil an die Gemeindeverwaltung des Ostseebades Boltenhagen vom 8. 2.1991 (BArch B, DO 1, 39.0 55368, FV-177220/4); Jürgen Klingbeil an den Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern vom 5. 2.1991 (ebd.). Vgl. Reusch, Starthilfe, S. 231. Zur bisherigen Entwicklung siehe Kap. 5.3.8. Koordinierungsbüro Baden-Württemberg beim Bezirk Leipzig: Betr. Einsatz von Kommunalbediensteten im künftigen Land Sachsen. Bezug: Kabinettssitzung der Landesregierung von Baden-Württemberg am 3. 9.1990 (RPL, 0141.0); SMBW, Abt. 1: Vermerk für die Sitzung des Ministerrates am 3. 9.1990. Entwurf (SMBW, 0305.0. 1990–1998).

Personaleinsatz Baden-Württemberg und Bayern

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eines flächendeckenden Netzes von Schwangerenberatungsstellen unterstützen.1798 Zuvor hatte Vaatz mehrfach um eine Intensivierung der Personalhilfe aus Bayern gebeten. Er wünschte sich für die mehr als fünfzig Abteilungen aller Ministerien sowohl politische Berater als „Paten“ für zwei bis drei Monate oder länger, aber auch Sachgebietsleiter und Abteilungsleiter für ein halbes oder ganzes Jahr.1799 Am 5. September trat der bayerische Arbeits- und Sozialminister in Dresden vor die Presse. Die Beziehungen Bayerns zu Sachsen und Thüringen, so Gebhard Glück, verfügten über eine jahrhundertelange und gute Tradition. Seit den Ereignissen im November 1989 sei es für die bayerische Staatsregierung ein vordringliches Anliegen, an diese gewachsenen Strukturen anzuknüpfen. Die bayerische Hilfe habe nichts mit Überheblichkeit oder Bevormundung zu tun. Die Bundesrepublik Deutschland habe nach dem Zweiten Weltkrieg die Hilfen des Marshall-Planes und die günstigen Bedingungen der sozialen Marktwirtschaft nutzen können, während der Osten unter der Last eines aufgezwungenen Systems gelitten habe. Die Hilfen seien „daher nichts anderes als der Teil der Unterstützung und der Bedingungen, auf die Sie seit 1945 Anspruch hatten, den aber anzunehmen Ihnen verwehrt war“.1800 Angesichts der restriktiven Haltung der Bundesländer beim Länderfinanzausgleich und der Verteilung des Umsatzsteuereinkommens waren dies hehre Worte. Ungeachtet des bewundernswerten Engagements vieler Helfer und des finanziellen Einsatzes Bayerns, änderten sie nichts daran, dass man auch dort seinen Partnerländern nur zubilligte, was zuvor im Finanzpoker zwischen Bund und Ländern ausgehandelt worden war. Die Haltung Bayerns wurde auch im Zusammenhang mit der im Einigungsvertrag festgelegten Clearingstelle von Bund und Ländern deutlich. Einen Tag vor einer Koordinierungsberatung zum Personaleinsatz der B-Länder in den neuen Bundesländern wurde bei einer vorbereitenden Besprechung im bayerischen Staatsministerium des Innern über die Rolle der Clearingstelle ebenso diskutiert, wie darüber, inwieweit diese eigenständige bayerische Entscheidungen beeinflussen könne. Man war sich einig, dass die Clearingstelle nur subsidiär tätig werden und keiner Geschäftsverteilung innerhalb der Clearingstelle, weder regional noch sektoral, zugestimmt werden könne, die „einzelnen Ländern zurechenbare Aufgabenbereiche schafft“. Der Personalbedarf in den neuen Bundesländern sollte von den Landessprechern ermittelt werden, bevor zunächst die Partnerländer versuchen sollten, diesen Bedarf zu decken. Erst so nicht gedeckte Personalanforderungen sollten durch die Clearingstelle erfüllt werden. Auf das Argument eines Vertreters des Staatsministeriums für Landesentwicklung und Umweltfragen, „dass es doch letztlich egal sei, von wem Sachsen Hilfe erwarte“, wurde erwidert, dass es „nach Auffassung der Staatskanzlei 1798 1799 1800

Das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung teilt mit: Freistaat Bayern unterstützt soziale Einrichtungen in Sachsen vom 4. 9.1990 (HAIT, KA, 59). BaySMI: Protokoll der Besprechung am 5. 9.1990 im BaySMI (BaySMI, Zusammenarbeit Bayern-Sachsen, Bl. 21–27). Statement des Bayerischen Arbeits- und Sozialministers Gebhard Glück bei der Pressekonferenz am 5. 9.1990 in Dresden (HAIT, KA, 59).

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ein originäres Interesse gebe, Einfluss zu nehmen“. Bayern müsse präsent sein, da es gelte, für die Zukunft Bündnispartner zu gewinnen. Baden-Württemberg habe „schon sehr früh die intensive Zusammenarbeit gesucht“. „Führende Leute“ in Sachsen fühlten sich deswegen gegenüber Baden-Württemberg zu Dank verpflichtet. Ob die neuen Kräfte um Vaatz ebenso eng mit Stuttgart zusammenarbeiten wollten, sei offen. Vaatz habe es jedenfalls begrüßt, dass Bayern die Koordinierung zwischen den B-Ländern übernommen habe. Der Vorteil BadenWürttembergs liege im eindeutigen politischen Bekenntnis zur Partnerschaft mit Sachsen. Stuttgart habe bereits 150 Stellen für den staatlichen und ebensoviele für den kommunalen Bereich bereitgestellt. Beraten wurden auch die Kosten des bayerischen Beamteneinsatzes und die Modalitäten des eigenen Vorgehens. Den zu erwartenden Kosten wurde gegenüber gestellt, „was Verzögerungen aufgrund einer nicht funktionierenden Verwaltung“ in Sachsen und Thüringen „Bayern mittelbar kosten würden“. Ein Vertreter der Staatskanzlei schlug vor, öffentlich zu erklären, dass Bayern „nicht weniger Hilfe als Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen“ leiste. Kritisiert wurde, dass die baden-württembergische Regierung mit hohen Zahlen operiere, ohne dass die genannten Beamten tatsächlich dauernd in der DDR tätig seien. Man lehnte es ab, „nun genauso zu bluffen, da dies für die Zukunft nur Probleme schaffen würde und der bayerischen Bevölkerung politischen Zündstoff schaffe“.1801 Tatsächlich übte sich die Staatsregierung hinsichtlich großer Zahlen in Zurückhaltung, galt es doch die bevorstehenden Landtagswahlen trotz aller Umbrüche im Zusammenhang mit der deutschen Einheit unbeschadet zu überstehen. Am 6. September trafen sich im bayerischen Staatsministerium des Innern Abteilungsleiter der Innenministerien und Staatskanzleien der unionsgeführten Länder Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz, um sich auf die Besprechung der Clearingstelle am 11. September in Bonn vorzubereiten und ihren Personaleinsatz in Sachsen und Thüringen zu koordinieren.1802 Die Einladung ging von Bayern aus,1803 dass von den Chefs der vier Staatskanzleien beauftragt worden war, den Personaleinsatz der unionsgeführten „B-Länder“ zu lenken.1804 Zu diesem Zeitpunkt gab es nur vier „B-Länder“. Die SPD-regierten „A-Länder“ Bremen, Berlin, Hamburg Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Schleswig-Holstein waren im Bundesrat wie auch in der Clearingstelle in der Mehrheit, was für die unionsgeführten Länder neben dem Verhältnis zum SPD-regierten Bund ein weiterer Anlass war, ihre Positionen abzustimmen. Hinsichtlich der Aufteilung auf Thüringen und Sachsen war klar, dass Rhein1801 1802 1803 1804

BaySMI: Protokoll der Besprechung am 5. 9.1990 im BaySMI (BaySMI, Zusammenarbeit Bayern-Sachsen, Bl. 21–27). Protokoll der Besprechung am 6. 9.1990 im BaySMI. Koordinierung des Personaleinsatzes in der DDR zwischen den B-Ländern (HAIT, KA, 9). BaySMI: Anschreiben vom 29. 8.1990 (ebd., 25). BaySMI. Koordinierung der Zusammenarbeit der Länder Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz mit Thüringen; Besprechung am 28. 8.1990 in Mainz (BaySMI, Zusammenarbeit Bayern-Sachsen, Bl. 3f).

Personaleinsatz Baden-Württemberg und Bayern

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land-Pfalz und Hessen nur an Thüringen interessiert waren und sich BadenWürttemberg allein auf Sachsen konzentrierte. Lediglich Bayern wollte beim Verwaltungsaufbau beider künftigen Nachbarländer mitwirken, wodurch es im Falle Sachsens zu Problemen mit Baden-Württemberg, im Falle Thüringens mit Rheinland-Pfalz und Hessen kam. Da der „Rückzug eines Landes aus der Betreuung“ Sachsens nicht zu erreichen war, einigte man sich auf eine „sektorale Aufteilung“ nach Ministerien. Diese Aufteilung der Ressorts war freilich nicht primär eine Entscheidung der Regierungen, sondern bereits das Ergebnis dessen, was sich in der praktischen Arbeit vor Ort herausgebildet hatte. Nach der in München vereinbarten Verteilung übernahm jeweils ein Land federführend den Personaleinsatz in einem Geschäftsbereich, wobei Personalangebote aus anderen Ländern miteinbezogen werden sollten.1805 Stuttgart schlug vor, die Federführung zum Aufbau der sächsischen Ministerien für Inneres, Kultus, Justiz, Wirtschaft und Umwelt zu übernehmen.1806 Nach bayerischer Deutung schlug Baden-Württemberg zugleich vor, dass Bayern die Bereiche Finanzen, Soziales, ländlicher Raum und Staatskanzlei betreut.1807 Nach baden-württembergischer Lesart wurden Bayern jedoch nur die Ressorts Finanzen, Landwirtschaft und Soziales zugestanden. Auch hinsichtlich der Staatskanzlei gab es Meinungsunterschiede. Menz erhielt nach der Sitzung die Mitteilung, die Staatskanzlei falle Baden-Württemberg „nach der jetzigen Konstellation ohnehin zu“. Hier hatten beide Konkurrenten die Rechnung ohne Biedenkopf gemacht, der die Staatskanzlei schließlich nach eigenem Gusto besetzte. Nach dem Eindruck baden-württembergischer Teilnehmer war Bayern wie in Thüringen auch, „ohne das ausdrücklich zu sagen, massiv am Innen- und Wirtschaftsministerium interessiert“. Freilich hatten die Bayern bei der Durchsetzung ihrer Interessen unter anderem deshalb einen schwierigen Stand, weil die CSU mit der DSU eine Partei unterstützte, die mit der CDU im Landtagswahlkampf offen konkurrierte. Vor diesem Hintergrund konnte es mit seinem Einfluss recht zufrieden sein. Keine Meinungsdifferenzen gab es hinsichtlich der Entsendung von Richtern und Finanzbeamten, da diese Bereiche bereits durch Beschlüsse der Justiz- und Finanzministerkonferenz abgedeckt waren und es einen riesigen Bedarf an geschultem Personal gab. Das zweite große Thema der Runde war die künftige Strategie bei der Mitarbeit in der Bund-Länder-Clearingstelle. Man war sich einig, dass diese im Sinne der Länder eingesetzt werden müsse, sollte sie nicht zu einem Instrument des Bundes im ständigen Machtpoker mit den Ländern werden. Außerdem hielt man es für vorteilhaft, als negativ empfundene Beschlüsse, etwa zum Stellenabbau oder zu Strukturen der künftigen Verwaltung in den 1805 1806 1807

BaySMI: Protokoll der Besprechung am 6. 9.1990 im BaySMI: Koordinierung des Personaleinsatzes in der DDR zwischen den B-Ländern (ebd., Bl. 13–20). SMBW, Abteilung I: Vermerk für Staatssekretär Menz, Betr.: Koordinierung des Personaleinsatzes in Sachsen unter den B-Ländern vom 7. 9.1990 (SMBW, 0305.0/I). BaySMI: Protokoll der Besprechung am 6. 9.1990 im BaySMI: Koordinierung des Personaleinsatzes in der DDR zwischen den B-Ländern (BaySMI, Zusammenarbeit Bayern-Sachsen, Bl. 13–20).

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neuen Ländern, durch die Clearingstelle fassen zu lassen, weil so „die politische Verantwortlichkeit vom Bund bzw. dem beratenden Partnerland auf die anonyme und politisch neutralisierte Stelle ,abgeladen‘ werden“ konnte. Insgesamt wurde die Aufgabenbeschreibung der Clearingstelle „als unglücklich empfunden“, weil die Entwicklung, jedenfalls in Sachsen, bereits über ein Teil der Fragen hinausgegangen sei.1808 Auch hier zog sich die Frage des Umgangs mit dem Personal des aufgeblähten DDR-Staatsapparates durch die Diskussionen, es zeichnete sich aber – ähnlich der Haltung des Koordinierungsausschusses – ein Vorgehen ab, sich trotz damit verbundener sozialer Friktionen vom Großteil des Personals zu trennen. In einem Bericht des baden-württembergischen Innenministeriums nach der Sitzung wurde betont, dass die Clearingstelle „im Wesentlichen die Aufgabe“ habe, „die neuen Bundesländer bei der Überleitung bzw. Abwicklung von bisher bestehenden Verwaltungseinrichtungen, beim Aufbau neuer Verwaltungen sowie bei der Beseitigung von Investitionshemmnissen zu unterstützen“.1809 Im bayerischen Protokoll hieß es, man sei sich einig gewesen, dass „die Clearingstelle bei der Steuerung der Personalhilfe nur subsidiäre Funktionen haben“ dürfe. Etwaigen Festlegungen sollten Vorabstimmungen zwischen den B-Ländern vorausgehen und die jeweiligen Partnerländer selbst den Umfang von Hilfen bestimmen.1810 Während so einerseits die Notwendigkeit eines massiven Personalabbaus im Bereich des bisherigen DDR-Staatsapparates gesehen wurde, zeigte sich andererseits, dass der Verwaltungsaufbau in den neuen Bundesländern ohne eine wesentliche Aufstockung der westlichen Helfer und eine Neufassung von deren Aufgaben nicht zu realisieren war. Nach einer Vorlage des baden-württembergischen Staatsministeriums vom 7. September war inzwischen deutlich geworden, dass die Beratungshilfe in der bisher praktizierten Form für einen raschen Verwaltungsaufbau in Sachsen nicht ausreichte. Sollte ein „Chaos in der öffentlichen Verwaltung“ vermieden werden, müssten Beamte aus den alten Bundesländern nicht nur als Berater in die neuen Länder gehen, sondern dort selbst Funktionen übernehmen. Das gelte sowohl für Führungspositionen wie auch für Referenten- und Sachbearbeitertätigkeiten auf allen Ebenen. Bisher sei es freilich „wegen der Ostbezahlung unrealistisch, Beamte in die DDR zu schicken“. Soweit es um das baden-württembergische Interesse gehe, „in Sachsen Einfluss zu gewinnen und auch möglichst viele Baden-Württemberger in wichtigen Positionen zu platzieren“, wäre ein direkter Einsatz „vor allem für den Führungsbereich interessant“. Bei der Besetzung von Referenten- und Sachbe1808 1809 1810

SMBW, Abt. I: Vermerk für Staatssekretär Lorenz Menz vom 7. 9.1990. Betr.: Koordinierung des Personaleinsatzes in Sachsen unter B-Ländern, Besprechung am 6. 9.1990 in München (SMBW, I 0305.0. 1990). Bericht des IMBW über Maßnahmen zur Unterstützung des Landes Sachsen vom 8.10.1990 (Dok. 154). BaySMI: Protokoll der Besprechung am 6. 9.1990 im BaySMI: Koordinierung des Personaleinsatzes in der DDR zwischen den B-Ländern (BaySMI, Zusammenarbeit Bayern-Sachsen, Bl. 13–20).

Personaleinsatz Baden-Württemberg und Bayern

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arbeiterfunktionen in Sachsen entstünden erhebliche Kosten. In diesen Bereichen sei das baden-württembergische Eigeninteresse nur sehr gering. Da die Hilfe in diesem Bereich „im Wesentlichen altruistisch“ sei, wurde empfohlen, sich hier „eher defensiv zu verhalten und bei der Abstimmung mit anderen Bundesländern keine Vorreiterrolle zu übernehmen“. Den enormen Kosten stehe hier für Baden-Württemberg kein Ertrag gegenüber.1811 Waren sowohl Bayern als auch Baden-Württemberg somit weniger an der Besetzung nachgeordneter Funktionen interessiert, setzte zwischen beiden Partnerländer ein Wettstreit um die Besetzung von Führungspositionen ein. In Stuttgart wurde intern empfohlen, eine „offene Federführungsdiskussion“ zu vermeiden, da man „ohnehin in der Vorhand“ sei, „wenn Sachsen unser massives 20-Stellen-Konzept akzeptiert“.1812 Vor diesem Hintergrund fand am 11. September in Bonn unter Leitung Schäubles die erste Sitzung der Bund-Länder-Clearingstelle statt. Anwesend waren Vertreter des Bundeskanzleramtes sowie verschiedener Bundesministerien, der Bundesländer, kommunaler Spitzenverbände auf Bundesebene, der DDRRegierung und die ihr unterstehenden Landessprecher. Hier ging es neben zahlreichen anderen Themen auch um den künftigen Ansprechpartner der Partnerländer in Sachsen. Ziel der baden-württembergischen Landesregierung war es, „Hirschle als den bereits etablierten Ansprechpartner“ als Koordinator aller bayerischen und baden-württembergischen Bemühungen in Sachsen „förmlich festzulegen“. Bayern, so hieß es von baden-württembergischer Seite, habe sich im Nachgespräch mit einer sektoralen Aufteilung einverstanden erklärt. Akzeptiert hätten die Bayern auch die baden-württembergische Verantwortung für die sächsischen Ministerien für Wirtschaft, Kultus, Umwelt und Justiz. Offen geblieben sei die Zuständigkeit für das Innenministerium.1813 Am 13. September benannte Staatssekretär Menz die baden-württembergischen Vertreter im künftigen Beraterstab des Landessprechers für Sachsen. Hirschle war für die Staatskanzlei zuständig, Bühler für das Umweltressort, Geiger für das Wirtschaftsressort, Herzer für das Innenressort, Futter für das Justizressort und Nuding für das Ressort Wissenschaft, Kultus und Sport. Bayern benannte Kolbe für das Ressort Finanzen, Schrenker für das Sozialressort und Wüst für das Landwirtschaftsressort. Koordinator des Beraterstabes wurde der Baden-Württemberger Hirschle, vertreten durch den Bayern Kolbe.1814 Am selben Tag berichtete Menz Biedenkopf über die Auseinandersetzungen zwischen Baden-Württemberg und Bayern um „die Frage der Federführung beim Aufbau der sächsischen Landesregierung“. Die Bayern würden das Wirtschaftsministerium, das Innenministerium und eine Reihe anderer Ressorts als ihre Ministeri1811 1812 1813 1814

SMBW, Abt. I: Vermerk von Günter Kunz für Staatssekretär Lorenz Menz vom 7. 9. 1990. Betr. Personelle Hilfe für Sachsen (SMBW, I 0305.0. 1990). SMBW, Abteilung I: Vermerk für Staatssekretär Menz vom 11. 9.1990 (ebd.). SMBW: Betr.: Bund-Länder-Clearing-Stelle zur Durchführung des Artikels 15 des Einigungsvertrages, Bildung der Clearing-Stelle am 11. 9.1990 in Bonn (HAIT, KA, 9). Staatssekretär SMBW an Bundesministerium des Innern, Geschäftsstelle der Clearingstelle vom 13. 9.1990 (ebd.).

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en beanspruchen. Nachdem sie anfangs gezögert hätten, sich in Sachsen zu engagieren, weil sie geglaubt hätten, über die DSU auf die Landespolitik einwirken zu können, versuchten sie jetzt, sich mit Macht zu etablieren. „Beide Länder“, so resümierte Biedenkopf das Gespräch, „streiten sich wie zwei Hunde um einen saftigen Knochen. Mit dem Selbstverständnis der Sachsen ist dies unvereinbar. Deshalb schlage ich Herrn Menz vor, sich mit Bayern dahingehend zu verständigen, dass die Frage durch Sachsen entschieden wird. Ich werde dies auch selbst noch beiden Ministerpräsidenten mitteilen.“1815 Auch in einem Vermerk über die Dienstreise eines Mitarbeiters des baden-württembergischen Sozialministeriums nach Berlin und Dresden ist der Eindruck festgehalten, dass offenbar „der Wettstreit um leitende Positionen voll entbrannt“ sei.1816 Um unnötige Spannungen zu vermeiden, versuchten Menz und Rauscher am 13. September telefonisch die Modalitäten des Einsatzes der Berater beim sächsischen Landessprecher abzustimmen.1817 Nach Informationen aus dem badenwürttembergischen Sozialministerium klärten beide Amtschefs dabei, welche Ressorts von welchem Land besetzt werden sollten. Demnach beanspruchte Bayern weiterhin die Geschäftsbereiche Soziales, Finanzen und Landwirtschaft sowie die Staatskanzlei für sich. Im baden-württembergischen Sozialministerium fand es wenig Zustimmung, dass Bayern den Sozialbereich für sich beanspruchte. Am 17. September wertete der spätere Staatssekretär für Arbeit und Verkehr im Sächsischen Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit, Wolfgang Zeller, die Einsetzung des stellvertretenden Referatsleiters aus dem bayerischen Arbeitsministerium, Reiner Schrenker, als Arbeitsstabsleiter „Soziales“, wie auch die beabsichtigte Errichtung eines Landesamtes für Familie und Soziales mit Hauptfürsorgestellen nach bayerischem Vorbild als „sichtbare Belege dafür, dass der Freistaat Bayern im künftigen Land Sachsen zunehmend an Boden“ gewinne. Augenfällig wirke sich der bayerische Einfluss beispielsweise in der Ablehnung von Landeswohlfahrtsverbänden aus. Zeller teilte mit, dass er am 25. September in München mit seinem Amtskollegen Helmut Vaitl ein Gespräch über die Aufgabenverteilung zwischen Baden-Württemberg und Bayern in Sachsen führen werde.1818 In der Tat war die bayerische Staatsregierung bemüht, den Personaleinsatz zu intensivieren. Inzwischen zeigten alle demoskopischen Umfragen einen klaren Sieg der CSU bei den bayerischen Landtagswahlen am 14. Oktober voraus. Das erhöhte die Handlungsfreiheit hinsichtlich von Hilfen gegenüber den neuen Bundesländern, wurden diese doch offensichtlich von der Wahlbevölkerung akzeptiert. Innenminister Stoiber erklärte am 18. September, dass Bayern jetzt bis zu zehn Beamte als politische Berater, Funktionsträger und Berater von Abteilungen in die zu betreuenden Ministerien entsenden sollte. In 1815 1816 1817 1818

Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 338. MAGFSBW, Ref. 55, Jour-Fixe-Sachsen vom 18. 9.1990: Ergebnisvermerk zur Besprechung am 17. 9.1990 (SMBW, 0136, Jour Fix, Raum Sachsen des SM). Vgl. Lorenz Menz an Klaus Rauscher vom 27. 9.1990 (PB Manfred Kolbe). MAGFSBW, Ref. 55, Jour-Fixe-Sachsen vom 18. 9.1990: Ergebnisvermerk zur Besprechung am 17. 9.1990 (SMBW, 0136, Jour Fix, Raum Sachsen des SM).

Personaleinsatz Baden-Württemberg und Bayern

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der Staatskanzlei sah man die Notwendigkeit schneller Entscheidungen, das sonst die Gefahr bestehe, „dass die interessanten Positionen anderweitig vergeben werden und Bayern dann später die Positionen besetzen muss, die kein anderes Land will“.1819 Der zwischen München und Stuttgart ausgebrochene Streit um die besten Pfründe stieß in Sachsen auf Ablehnung. Biedenkopf verabredete deswegen mit Vaatz regelmäßige Lagebesprechungen unter Hinzuziehung der baden-württembergischen wie bayerischen Berater, bei denen klar gemacht werden sollte, dass „wir die Absicht hätten, die Führung im Aufbau der Ministerien selbst zu übernehmen“. Freilich waren hinsichtlich der Stellenbesetzung bereits Tatsachen geschaffen worden, die wegen des damit verbundenen Kompetenztransfers auch Sinn machten und nicht ohne Weiteres rückgängig gemacht werden sollten und konnten. Nach Darstellung Biedenkopfs meinte Vaatz zudem, dass sich der Konflikt zwischen Baden-Württemberg und Bayern schnell wieder beruhigen werde. Er führte dies besonders auf die kooperative Rolle Stoibers zurück, mit dem er sich gut verstehe. Der bayerische Innenminister sei nicht an einem Konflikt mit Baden-Württemberg oder Sachsen interessiert.1820 In einem Presseinterview bestätigte Biedenkopf die Bemühungen um Einfluss in Sachsen und deutete den Streit als „Machtproblem“. Baden-Württemberg habe sich sehr viel mehr um Sachsen gekümmert, sei viel früher da gewesen und habe sich auch um die CDU bemüht. Die bayerische CSU habe sich hingegen ausschließlich um die DSU gekümmert, was sich jetzt als eine Fehlinvestition erweise. Nun gebe es „unschöne Eifersüchteleien über die Frage“, wer welches Ministerium zum Paten haben solle. Das aber werde man in Sachsen selbst entscheiden.1821 Einen Tag nach dem Interview befasste sich der bayerische Ministerrat mit seiner Personalhilfe. Die stellvertretende Ministerpräsidentin betonte nochmals, dass Bayern bei der Konkretisierung der Hilfsangebote gegenüber den Festlegungen anderer Länder zurückliege. Es bestehe die Gefahr, dass Sachsen und Thüringen von Baden-Württemberg und Hessen „vereinnahmt“ würden. Auch Stoiber vertrat die Auffassung, dass endgültige Entscheidungen zum Personaleinsatz „äußerst eilbedürftig“ seien. Es müsse klar werden, in welchen Fachbereichen und mit welchen Angeboten sich Bayern engagiere. Gebhard Glück wies darauf hin, dass „eine rasche Hilfe letztlich billiger sei, weil sie dazu führe, dass die neuen Länder schneller auf eigene Beine kämen“. Im Übrigen bräuchte Bayern Sachsen und Thüringen als „Mitstreiter in föderalen Fragen“. Der Ministerrat bekräftigte seine bisherige Haltung, die Hilfen im personellen Bereich auf Sachsen und Thüringen zu konzentrieren, und erklärte seine Bereitschaft, die Verwaltungshilfe zu verstärken. Zum Aufbau der Ministerien werde Bayern in Abstimmung mit den Landesbevollmächtigten und den kommenden Landesregierungen Berater und weitere Mitarbeiter entsenden. Die beabsichtigten Maßnahmen dürften jedoch die Qualität der Verwaltungsarbeit in Bayern 1819 1820 1821

BayStK, Abt. A I: Einsatz bayerischer Beamter beim Aufbau einer Verwaltung in Thüringen und Sachsen vom 17. 9.1990 (BayStK, Baer). Vgl. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 364 f. Interview Kurt Biedenkopf. In: Westfälische Rundschau vom 24. 9.1990.

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nicht beeinträchtigen.1822 Einen Tag nach der Sitzung lobte der Staatssekretär im baden-württembergischen Staatsministerium, Menz, gegenüber dem Amtschef der Bayerischen Staatskanzlei, Rauscher, ausdrücklich den telefonisch am 13. September abgestimmten Einsatz der Berater des Landessprechers. Da, so Menz, aus allen Berichten deutlich werde, „dass wir große Schwierigkeiten haben werden, den zahlreichen personellen Hilfeanforderungen aus Sachsen zu entsprechen“, sei es richtig, wenn beide Seiten ihre „Fachleute dort einsetzen, wo sie den höchsten Nutzen für das künftige Land Sachsen“ brächten. Aus der Federführung für einen bestimmten Sachbereich sollten hierfür keine Hemmnisse erwachsen.1823 Dieses Friedenssignal traf in Bayern freilich auf eine Situation intensivierter Überlegungen, den eigenen Personaleinsatz expandieren zu lassen und bot daher Anlass, die Entsendung eigenen Personals an strategisch wichtige Posten zu forcieren. Am 4. Oktober forderte Rauscher alle Ministerialdirektoren mit ausdrücklichem Hinweis auf das Schreiben von Lenz auf, im Rahmen ihrer Möglichkeiten qualifiziertes Personal in die Leitungsbereiche der künftigen sächsischen und thüringischen Verwaltung zu entsenden, unabhängig davon, welche „Federführung“ bisher in Aussicht genommen worden sei.1824 Tatsächlich war damit die bisher angestrebte klare Trennung der Zuständigkeitsbereiche vom Tisch. Bei einer Besprechung der DDR-Koordinatoren am 1. Oktober im bayerischen Innenministerium wurde entsprechend konstatiert, dass Baden-Württemberg in Sachsen zwar die Federführung für die Bildung und Beratung der überwiegenden Zahl der künftigen Ressorts übernommen habe, Bayern hingegen im Bereich Landwirtschaft, Finanzen sowie Arbeit und Soziales einschließlich Gesundheit, dass aber vereinbarungsgemäß die Federführung durch ein anderes Bundesland künftig nicht mehr bedeute, dass nicht auch von Bayern in dem jeweiligen Bereich ergänzende Personalhilfe geleistet werden könne.1825

5.5.4 Erste Ausschreibungen zur Personalgewinnung Ausdruck des Willens, sich weder von den Partnerländern die personelle Besetzung der Führungspositionen vorgeben zu lassen, noch sich an die Bestimmungen des Paragraphen 22 LEG zur Übernahme von Einrichtungen und Personal aus dem DDR-Staatsapparat zu halten, waren die bereits seit Anfang September verstärkt betriebenen Vorbereitungen zur Ausschreibung der Leitungsfunktionen und anderer Personalstellen der künftigen Landesverwaltung. Das Prin1822 1823 1824 1825

Voraus-Auszug aus der Niederschrift über die Ministerratssitzung vom 25. 9.1990 (BaySMI, Zusammenarbeit Bayern-Sachsen, Bl. 29–31); BayStK an BaySMF vom 26. 9.1990: Personalhilfe in den Ländern Thüringen und Sachsen (ebd., Bl. 33 f.). Vgl. Lorenz Menz an Klaus Rauscher vom 27. 9.1990 (PB Manfred Kolbe). Klaus Rauscher an die Ministerialdirektoren vom 4.10.1990 (ebd.). BaySMI: Besprechung der DDR-Koordinatoren am 1.10.1990 (BaySMI, Zusammenarbeit Bayern-Sachsen, Bl. 89f). Zur weiteren Entwicklung siehe Kap. 7.2.8.

Erste Ausschreibungen zur Personalgewinnung

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zip „Ausschreibung“ stand dabei vor allem gegen das von der DDR-Regierung favorisierte und vom Bundesinnenministerium unterstützte Prinzip der ausschreibungsfreien Übernahme von Mitarbeitern des Staatsapparates. Letzteres bot der Vermutung Nahrung, beiden Regierung gehe es lediglich um eine kostenneutrale Entsorgung der letzten Teile des überdimensionierten DDR-Staatsapparates. Unterstützung bei ihrem Vorgehen erhielten die Neugestalter Sachsens inzwischen von den sächsischen Volkskammerabgeordneten. Bei einer Beratung des Koordinierungsausschusses, der drei Regierungsbevollmächtigten und der 47 sächsischen Volkskammerabgeordneten am 3. September1826 billigten die Parlamentarier einstimmig das Vorgehen, die Abeilungsleiter- und Referatsleiterstellen auszuschreiben und nicht durch Mitarbeiter der Ministerien der jetzigen Regierung zu besetzen.1827 Es wurde festgelegt, dass eine Ausschreibung für die Staatskanzlei und die Landesministerien erst nach einer Zusammenkunft der Regierungsbevollmächtigten, der Spitzenkandidaten der verschiedenen Parteien für die Landtagswahlen und der Landesparteivorsitzenden erfolgen sollte.1828 Ziel war es, so Vaatz, „die Plätze nicht automatisch mit den Vorhandenen zu besetzen, sondern jetzt wirklich eine ganz herkömmliche Ausschreibung mit einer Bewerbungsprozedur ablaufen zu lassen, wo der beste, der qualifizierteste, oder der nach Meinung des jeweiligen Personalchefs entwicklungsfähigste Bewerber eine Chance bekommt“. Damit sei zwar noch kein Elitenwechsel erfolgt, aber die Grundlage für die Entwicklung eines neuen Personalkörpers geschaffen worden.1829 Die frühzeitigen Ausschreibungen tangierten aber nicht nur die Interessen der Regierung de Maizière, sondern auch die der Partnerländer. Am 5. September war das sächsische Vorgehen daher auch Thema einer Besprechung im bayerischen Innenministerium.1830 Walter Schön von der Staatskanzlei berichtete über Informationen von Vaatz, wonach die organisatorischen Überlegungen weitgehend abgeschlossen seien und nun die Personalauswahl der Abteilungs- und Referatsleiter anstehe.1831 Auch in Stuttgart wurden die Modalitäten der Besetzung der Führungspositionen thematisiert, berührten sie doch ebenfalls die eigenen Bemühungen, Beamte in leitende Positionen zu entsenden. Hier wurde im sächsischen Vorgehen ein Vorgriff auf die Hoheit der künftigen Landesregierung gesehen. Das baden-württembergische Koordinierungsbüro in Dresden forderte das Staatsministerium am 11. September daher auf, gegen die personalpoliti1826 1827 1828 1829 1830 1831

Siehe dazu Kap. 5.5.1. BVB Dresden, Stellvertreter des Regierungsbevollmächtigten für Personalfragen, Matthias Reichenbach: Entwurf als Diskussionsgrundlage zur Beratung mit den sächsischen Volkskammerabgeordneten am 3. 9.1990 (HAIT, Iltgen, 3) (RPL, 0141.0). Festlegungsprotokoll der Beratung der Regierungsbevollmächtigten für die Bezirke Chemnitz, Dresden und Leipzig mit den Volkskammerabgeordneten der Bezirke am 3. 9.1990 (Dok. 129). Interview Arnold Vaatz. In: Kleimeier, Sachsen, S. 101. Siehe dazu 5.5.3. BaySMI: Protokoll der Besprechung am 5. 9.1990 im BaySMI (BaySMI, Zusammenarbeit Bayern-Sachsen, Bl. 21–27).

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Zwischen Einigungsvertrag und DDR-Beitritt

schen Vorstellungen in Sachsen zu intervenieren. Biedenkopf müsse „entweder diese Arbeit abbrechen (dürfte schwierig sein) oder massiven Einfluss auf ihre Arbeit nehmen. Andernfalls vergibt er sich seine Gestaltungsmöglichkeiten.“1832 Der am 3. September nominierte CDU-Spitzenkandidat machte sich freilich weniger Kopfzerbrechen als die Strategen in der Stuttgarter Regierungszentrale, war er doch Politprofi genug, auch ohne entsprechende Hinweise zu wissen, dass es galt, die Lage frühzeitig in seinem Sinne zu beeinflussen. Statt die frühzeitigen Aktivitäten des Koordinierungsausschusses zur Personalgewinnung abzuwürgen, machte er sich dessen Arbeit zu eigen und führte bereits regelmäßig Rücksprachen mit dessen Vertretern durch.1833 In seinem Tagebuch vermerkte er am 11. September, benötigt würden etwa fünfzig bis sechzig Abteilungsleiter und rund dreihundert Referatsleiter. Nach der bundesweiten Ausschreibung sollte in einem ersten Durchlauf unter sachverständiger Mitwirkung baden-württembergischer Personalleiter die Spreu vom Weizen getrennt werden. Die verbliebenen Bewerber sollten dann begutachtet und durch einen Personalausschuss befragt werden.1834 Biedenkopf hatte auch deswegen keine Probleme mit den entsprechenden Vorarbeiten des Koordinierungsausschusses, weil absehbar war, dass endgültige Entscheidungen wegen des einige Zeit dauernden Verfahrens erst in seiner Amtszeit fallen würden. So entsprachen die baden-württembergischen Bedenken wohl eher eigenen Befürchtungen, bei der Stellenvergabe zu kurz zu kommen. Biedenkopf konnte sich auch auf Erklärungen des Personalbeauftragten Matthias Reichenbach stützen, wonach der Ministerpräsident die „Führungspositionen besetzen muss“.1835 Bedenken wie in Stuttgart und München gab es eher auch in der Regierung de Maizière, die sich am 12. September mit der „Übergabe und Abwicklung der Aufgaben der Ministerien“ befasste,1836 zu deren Durchsetzung sie das ganze System der Arbeitsstäbe bei den Landessprechern etablieren wollte. Wie die Regierung versuchte zudem die Volkskammer, ihr Personal in den Landesverwaltungen unterzubringen. Volkskammerpräsidentin Bergmann-Pohl bat alle Regierungsbevollmächtigten um Übernahme von Mitarbeitern in den Parlamentsdienst der entstehenden Länder,1837 ein Vorstoß, der auch vom Bundesinnenministerium unterstützt wurde.1838 Während die Volkskammerpräsidentin sich noch um die Zukunft des Personals der Volkskammer sorgte, berichtete am 1832 1833 1834 1835 1836 1837 1838

SMBW, Abt. I: Vermerk für Staatssekretär Menz. 11. 9.1990. Betr. Personalhilfe Sachsen. Besprechung mit Landessprecher Dr. Krause, Leipzig und Bezirksbeauftragten Buttolo, Chemnitz, im Anschluss an den BMI-Termin (SMBW, I 0305.0. 1990). Interview Manfred Kolbe am 16. 5. 2003. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 332 f. Zit. in Die Welt vom 27.10.1990. Protokoll über die Beratung des Ministers im Amt des Ministerpräsidenten am 10. 9. 1990 mit den Staatssekretären der Ministerien zur Vorbereitung der Ministerratsrunde am 12. 9.1990 (BArch B, 8968, Bl. 12–16). Sabine Bergmann-Pohl an Josef Duchac vom 14. 9.1990 (AThLT 0/B0416/13). Bundesminister des Innern an die Landessprecher vom 8.10.1990 (LA Merseburg, Rep. RdB/BT 21129/7).

Erste Ausschreibungen zur Personalgewinnung

731

13. September der CDU-Abgeordnete und Vorsitzende des Ausschusses für Verfassung und Verwaltungsreform, Roland Becker, vor der Volkskammer, dass eine Änderung im Einigungsvertrag erfolgen werde und die Volkskammer daher eine Änderung des Paragraphen 22 beschließen könne. Die entsprechende Änderung wurde daraufhin mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit angenommen und folgender Satz gestrichen: „Soweit Aufgaben auf die Länder übergehen, geht das Personal anteilmäßig auf die Länder über.“ Damit entfiel die Pflicht, Mitarbeiter aus den zentralen Dienststellen zu übernehmen. Es wurde nur noch die Arbeitsaufgabe an die entsprechenden Landesbehörden übertragen.1839 Bei einer Besprechung mit Preiß über Ausschreibungen für den öffentlichen Dienst auf Landesebene und Bewerbungen aus zentralen Ministerien für solche Tätigkeiten betonten die Landessprecher am 19. September nochmals ihre und die Personalhoheit der künftigen Mitglieder der Landesregierungen.1840 Preiß musste nach der Besprechung konstatieren, dass bei der Übernahme von Fachpersonal aus den DDR-Ministerien „seitens der künftigen Länder eine geringe Bereitschaft“ festzustellen sei.1841 Angesichts des von allen Seiten einsetzenden Drängens in die Führungspositionen der sächsischen Landesverwaltung legte Matthias Reichenbach am 14. September noch einmal sein mit dem Koordinierungsausschuss abgestimmtes Konzept zur Stellenausschreibung vor.1842 Um die Handlungsfähigkeit und Effizienz des Landtages und der Landesregierung nach dem 14. Oktober schnellstmöglich zu gewährleisten, seien schnell „leistungs- und vertrauensfördernde Personalentscheidungen“ erforderlich. Grundsätzlich gelte vorbehaltlich abweichender Regelungen im Einigungsvertrag und in Nachfolgebestimmungen, dass Abteilungs- und Referatsleiterstellen öffentlich ausgeschrieben werden. Eine deutschlandweite Stellenausschreibung für die acht sächsischen Ministerien, die Staatskanzlei und die Landtagsverwaltung werde sofort nach Bestätigung der Vorlage ausgelöst. Handlungsgrundlage dafür sei der gegenwärtig erreichte Arbeitsstand der Strukturvorschläge des Koordinierungsausschusses. Bei den Ausschreibungen müsse unmissverständlich darauf hingewiesen werden, dass es sich um vorläufige Strukturen handele und zunächst keine Verbeamtung auf Lebenszeit erfolge. Für die sächsischen Regierungspräsidien werde nach der noch ausstehenden Entscheidung im Falle der Bildung von Regierungsbezirken analog ausgeschrieben. Dies gelte auch für die nachgeordneten Ämter. Das Papier basierte auf einem Konzept Reichenbachs vom 16. August, in dem er schon ge1839 1840 1841 1842

Volkskammer der DDR, 10. WP, 35. Tagung am 13. 9.1990, S. 1688. Vgl. BVB Dresden, Bereich Koordinierung, Abt. Grundsatzfragen, Verwaltung und Recht, an Ballschuh vom 20. 9.1990 (SächsHStA, 49111). Protokoll über die Beratung des Ministers für regionale und kommunale Angelegenheiten mit den Landessprechern am 19. 9.1990 (BArch B, DO 5, 192). MRKA, Abteilung Verwaltungsreform, UA Staatsaufbau, Staatsorganisation und Gebietsreform: Information vom 25. 9.1990 zum Stand der Verwirklichung des § 22 LEG und dem dazu gefassten Beschluss des Ministerrates vom 5. 9.1990 (ebd., 164). Matthias Reichenbach: Konzeption zu Stellenausschreibungen für öffentliche Verwaltungen des künftigen Landes Sachsen vom 14. 9.1990 (HAIT, KA, 3.1).

732

Zwischen Einigungsvertrag und DDR-Beitritt

fordert hatte, dass ein „Gutachterausschuss“ Personalvorschläge erarbeiten und ein „Personalausschuss“ Entscheidungen treffen sollte. Die Ausgewählten sollten danach befristet eingestellt und von der künftigen Landesregierung endgültig bestätigt werden.1843 Das modifizierte Konzept Reichenbachs von Mitte September wurde nun mit Landessprecher Krause, den drei Regierungsbevollmächtigten und den Spitzenkandidaten der Parteien zur Landtagswahl beraten und fand allgemeine Zustimmung. Gefordert wurde lediglich, das Verfahren „so durchzuführen, dass keine ehemaligen Mitarbeiter der Staatssicherheit im öffentlichen Dienst beschäftigt werden“.1844 Somit war die im Papier als Voraussetzung genannte Zustimmung der Parteispitzen erfüllt, und die Ausschreibungen konnten beginnen. „Wir haben das so schnell wie möglich gemacht“, so erinnert sich Vaatz. „Dankenswerterweise haben etliche Zeitungen auf die Gebühren verzichtet. Oder wir konnten zumindest zu relativ günstigen Konditionen inserieren. Und wir mussten die Entscheidungen so schnell fällen, weil ja die Landtagswahlen im Oktober bevorstanden. Wir wollten, dass die neue Regierung nicht mit Ministern ohne jegliches Beiwerk startet. Wir wollten vorher wenigstens einen Mindestapparat bereitstellen, auf den der jeweilige Minister zurückgreifen kann, wenn er das will.“1845 Nun begann „eine ungewöhnliche und einmalige Aktion“.1846 Am 17. September wurden in einem Sonderdruck des neuen „Sächsischen Amtsblatts der Bezirksverwaltungsbehörden Chemnitz, Dresden und Leipzig“ eine erste Welle an Stellenausschreibungen gestartet. In einer detaillierten Aufstellung wurden alle 313 Abteilungs- und Referatsleiter gemäß der erarbeiteten Organigramme für die Staatskanzlei und die geplanten künftigen Ministerien Sachsens ausgeschrieben.1847 Auf diesen Sonderdruck des Amtsblattes wurde in Anzeigen verwiesen, die vor allem in den sächsischen und einigen überregionalen Zeitungen geschaltet wurden. Jetzt galt es, die eingehenden Bewerbungen abzuwarten.1848 Am 26. September wurde Matthias Reichenbach von Krause auf Vorschlag von Vaatz zum Personalbeauftragten des Landessprechers ernannt. Zusätzlich zum bisherigen Aufgabengebiet umfasste die Aufgabe die personelle Vorbereitung der sächsischen Ministerien und der Staatskanzlei.1849 Er war nun unter anderem für die Organisation der Auswertung der Ausschreibung verantwortlich.1850 1843

1844 1845 1846 1847 1848 1849 1850

BVB / Stellvertreter des Regierungsbevollmächtigten für Personalfragen: Entwurf / Diskussionsgrundlage Vorgehensweise zur personellen Besetzung künftiger Ministerien, Regierungspräsidien und nachgeordneter Ämter Sachsens von Mitte August 1990 (ebd.); Koordinierungsstelle des Landes Baden-Württemberg in Dresden: Aufbau der Landesverwaltung in Sachsen vom 16. 8.1990 (HAIT, KA, V.2). Protokoll der Beratung des Landessprechers Sachsen, Rudolf Krause, mit den Spitzenkandidaten für die Wahl zum Landtag am 17. 9.1990 (SächsHStA, BT / RdB, 47558). Interview Arnold Vaatz. In: Kleimeier, Sachsen, S. 102. Interview Matthias Reichenbach am 30. 3. 2000. Sächsisches Amtsblatt, Sonderdruck 1/90 vom 17. 9.1990 (HAIT, KA, 3.2.). Zum weiteren Ausschreibungsverfahren siehe Kap. 7.2.7. Rudolf Krause an Matthias Reichenbach vom 26. 9.1990 (HAIT, KA, 3.1). Interview Matthias Reichenbach am 30. 3. 2000.

Biedenkopf in aktiver Wartestellung

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5.5.5 Biedenkopf in aktiver Wartestellung Die Ausschreibungen und der fortgeschrittene Stand der Ausarbeitungen zur Landesverwaltung warfen die Frage auf, wie der künftige Ministerpräsident die Vorarbeiten bewerten würde. Vor allem in Stuttgart sah man die Gefahr, dass der seit September dem Landessprecher zugeordnete Koordinierungsausschuss Biedenkopf, von dessen Wahl allgemein ausgegangen wurde, vor vollendete Tatsachen stellen würde. Dabei ließ Vaatz keine Gelegenheit aus, zu betonen, dass alle Vorarbeiten des Koordinierungsausschusses nur empfehlenden Charakter für die zukünftige Landesregierung hätten und dazu beitragen sollten, deren schnelle Arbeitsfähigkeit nach den Landtagswahlen zu gewährleisten.1851 Die Regierung sei „in keiner Weise gezwungen“, die vom Koordinierungsausschuss vorgestellten Strukturen zu akzeptieren oder gar zu verewigen. Insofern sei das Resultat der Arbeit ein vorläufiges.1852 Andererseits war man sich im Koordinierungsausschuss sicher, dass sich Biedenkopf auf die mit Hilfe westlicher Experten erstellten Ausarbeitungen stützen würde. „Wir haben“, so Heidrun Lotze Mitte September, „alles mit fachkompetenten Leuten vorbereitet, sodass es die Politiker nicht mehr völlig umwerfen werde.“1853 Bei einem Gespräch mit Krause, Buttolo und Ballschuh am 30. August in Leipzig bat Biedenkopf darum, ihm zu verschiedenen Fragen Ausarbeitungen anzufertigen, was auch zugesagt wurde. Biedenkopf dachte zu diesem Zeitpunkt noch daran, sich beim Aufbau der Landesverwaltung an Hessen zu orientieren, das eine etwa gleich große Bevölkerung hatte.1854 Nach seiner Nominierung fand er eine Ausarbeitung vor, in der im Wesentlichen die Struktur für die neue Regierung bereits entwickelt war, „und zwar in einer Form, die ich ohne wesentliche Veränderungen übernehmen konnte“.1855 Biedenkopf notierte in seinem Tagebuch, Vaatz habe ihm die Ergebnisse der Arbeit des Koordinierungsausschusses und seine eigenen Beiträge zur Lektüre überlassen. Er habe „mit großer Erleichterung“ feststellen können, „dass gute Vorbereitungsarbeit geleistet und Strukturen entwickelt wurden, die weitgehend meinen Vorstellungen entsprechen“. Lediglich in der Frage der zukünftigen Gestaltung der Mittelinstanz gebe es Meinungsverschiedenheiten. Im Übrigen sei die Struktur für die Landesregierung mit acht Ministerien „plausibel und gut fundiert“. Hier bedürfe nur die Gestaltung des Umweltministeriums weiterer Präzisierung.1856 Auch gegenüber Kolbe erklärte Biedenkopf bei einem Treffen im September, dass er sich im Wesentlichen auf die Arbeit des Koordi1851 1852 1853 1854 1855 1856

Festlegungsprotokoll der Beratung der Regierungsbevollmächtigten für die Bezirke Chemnitz, Dresden und Leipzig mit den Volkskammerabgeordneten der Bezirke am 3. 9.1990 (Dok. 129). Arnold Vaatz an Ralf Donner, Forum für direkte Demokratie, vom 25. 9.1990 (HAIT, KA, 3.1). Zit. in Sächsische Zeitung vom 11. 9.1990. Vgl. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 313 f. Biedenkopf, Regierungs- und Verwaltungsprobleme, S. 22. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 331.

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Zwischen Einigungsvertrag und DDR-Beitritt

nierungsausschusses stützen werde,1857 wobei klar war, dass dies mit der maßgeblichen Mitarbeit westlicher Verwaltungshelfer zusammenhing. Diese versäumten es auch nicht, ihn auf ihre Rolle hinzuweisen.1858 Biedenkopf beließ es aber nicht bei passiver Kenntnisnahme. Er konnte sich zwar einerseits noch nicht als künftiger Ministerpräsident gerieren, immerhin fanden die Landtagswahlen erst Mitte Oktober statt, andererseits konnte auch er sich ausrechnen, dass bald die oberste Verantwortung in Sachsen in seinen Händen liegen würde. Wollte er verantwortlich handeln, hatte er gar keine andere Wahl, als sich umfassend vorzubereiten und auch indirekt sowie mit gebotener Zurückhaltung Richtungsentscheidungen zu beeinflussen. Seit seiner Nominierung gab es regelmäßige Rücksprachen mit den verschiedenen Akteuren der Landesbildung. Auch Kolbe meint, dass Biedenkopf im September bereits indirekt Weichen gestellt habe, denn es sei ja zu erwarten gewesen, dass er gewinnt. Auch der Koordinierungsausschuss habe sich mit ihm getroffen, und er war teilweise bei den Arbeitsstabsitzungen anwesend.1859 Vaatz hatte seinerseits zunächst Bedenken, weil Biedenkopf anfänglich den Kontakt zu Ballschuh gesucht hatte. Das aber habe sich als völlig unbegründet erwiesen. Seitens des Koordinierungsausschusses habe man ihm, wie auch Anke Fuchs, bereits im Vorfeld des Wahlkampfes angeboten, alle Entscheidungen abzusprechen. Während Fuchs ablehnte, habe Biedenkopf das Angebot genutzt. Seit Anfang September gab es daher jeden Dienstag „Kabinettssitzung bei Biedenkopf im Hotel Bellevue“. Auf diese Weise sei keine Entscheidung mehr zustande gekommen, die nicht vorher mit ihm abgesprochen war. Formal hatte er zwar keine Einspruchsmöglichkeit, seine Ratschläge waren aber dennoch von erheblicher Bedeutung.1860 Am 22. September vereinbarten Biedenkopf und Vaatz regelmäßige Besprechungen unter Einbeziehung der Beauftragten aus Baden-Württemberg und Bayern. Auch die Meinung der neuen Kräfte war ihm wichtig. Er bat Heitmann, einen Beraterkreis aus den Bereichen Kirche, Kultur und neue reformerische Kräfte ins Leben zu rufen.1861 Im Spiel der Kräfte um Einfluss auf die künftigen Landesstrukturen stellte Biedenkopf daher bereits im September eine maßgebliche Größe dar. Die enge Zusammenarbeit löste nur vereinzelt den Vorwurf einer zu großen Festlegung des Koordinierungsausschusses auf Biedenkopf aus. So fragte die „Dresdner Morgenpost“ am 1. Oktober: „Leistet die Dresdner Bezirksverwaltungsbehörde Amtshilfe für Kurt Biedenkopf und die sächsische CDU?“ Ein hoher bundesdeutscher Leihbeamter habe den Verkehrsdezernenten schon zwei Wochen vor der Landtagswahl angewiesen, Teile einer Regierungserklärung auszuarbeiten. SPD-Spitzenkandidatin Anke Fuchs sei platt gewesen, als sie plötzlich Teile der Regierungserklärung einer Regierung in Händen hielt, die erst in zwei Wochen gewählt wird. „Der Vorgriff auf das Wahlergebnis“, so das 1857 1858 1859 1860 1861

Interview Manfred Kolbe am 13. 3. 2000. Lorenz Menz an Kurt Biedenkopf vom 24. 9.1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). Interview Manfred Kolbe am 16. 5. 2003. Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. Vgl. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 348 und 364.

Biedenkopf in aktiver Wartestellung

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Blatt, sei „schlechter politischer Stil“. Ballschuh beauftrage noch am selben Tag seinen Stellvertreter Peter Adler (SPD), „in ihrem Bereich eine Aufklärung zur angeblichen Erarbeitung einer Regierungserklärung vorzunehmen“. Alle Aktivitäten, die wahlpolitischen Charakter trügen, hätten zu unterbleiben.1862 Hintergrund der Vorwürfe war, dass Hans von Scherpenberg Peter Franke beauftragt hatte, eine Zuarbeit zum Thema „Verkehr und Straßenbau“ einer künftigen Regierungserklärung zu erarbeiten.1863 Da sich aber herausstellte, dass die Referentenvorlage keinerlei parteipolitische Präferenzen verriet, verlief die Angelegenheit im Sande.

1862 1863

Siegfried Ballschuh an Peter Adler vom 1.10.1990 (SächsHStA, 48558). Peter Adler an Siegfried Ballschuh vom 5.10.1990 (ebd.).

6.

Sachsen im Interregnum – Bundesland ohne Staatlichkeit

6.1

Gründung des Bundeslandes Sachsen

6.1.1 Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland und Länderbildung Am 3. Oktober 1990 um 00.00 Uhr trat die Deutsche Demokratische Republik der Bundesrepublik Deutschland bei. In einer „logischen Sekunde“ wurden in einem „verfassungsrechtlich einzigartigen Akt schöpferischer Zerstörung“ das Verfassungs- und Rechtssystem der DDR außer Kraft gesetzt und das bundesdeutsche auf die neuen Bundesländer ausgedehnt.1 Mit dem Beitritt wurden diese laut Ländereinführungsgesetz in der Fassung des Einigungsvertrages automatisch als Länder der Bundesrepublik Deutschland konstituiert und damit gewissermaßen in den Bundesstaat „hineinkatapultiert“.2 Ihre Bildung verband sich „in geradezu symbolträchtiger Weise“ mit dem staats- und völkerrechtlichen Untergang der DDR3 und stellte das „Herzstück“ des deutschen Einigungsprozesses dar.4 Über Nacht verschwanden die Regierungs- und Organisationsstrukturen der DDR. Die Gründung der Länder war eine Folge und die Vollendung der friedlichen Revolution, die auf eine Beseitigung der zentralistischen SED-Herrschaft abgezielt hatte.5 Mit dem Aufbau landespolitischer Strukturen wurde eine neue Legitimation staatlichen Handelns geschaffen, die dem Anspruch des engagierten Kritikers aller Staatsgebilde und Nationalökonomen Wilhelm Röpke entsprach, der eine „Dezentralisation des Misstrauens gegenüber der unpersönlichen Kollektivität der natürlichen Stufenfolge von unten nach oben“ forderte.6 Dabei war die Föderalisierung als Wiedereinsetzung eines prägenden historischen Prinzips in Deutschland neben der Friedlichkeit als Methode ein weiteres Erfolgsgeheimnis der friedlichen Revolution gewesen.7 Zugleich war die Vereinigung auf föderaler Grundlage ein europäisches Ereignis. Die neuen Bundesländer und der Ostteil Berlins wurden Jahre vor den bisherigen „Bruderstaaten“ der DDR Teil der Europäischen Gemeinschaft. Schon im April 1990 hatte der Präsident des Mainzer Landtages, Heinz Peter Volkert, festgestellt, dass die Wiederherstellung von Ländern in der DDR für die „Euro-

1 2 3 4 5 6 7

Wollmann/Derlin u. a., Die institutionelle Transformation, S. 12. Vgl. Wollmann, Institutioneller Umbruch, S. 527. Kaufmann, Bundesstaat, S. 101. Vgl. Das staatsrechtliche Prozedere für die neuen Länder (HAIT, KA, 3.1); Molodowsky, Verwaltungshilfe, S. 481; Starck, Verfassungsgebung, S. 1. Dietlein, Die Verfassungsgebung, S. 401. Hesse, Der Aufbau, S. 57. Vgl. Blaschke, Alte Länder – Neue Länder, S. 39; von Mangoldt, Grundzüge, S. 221. Zit. in Deuerlein, Föderalismus, S. 246. Vgl. Künhardt, Föderalismus, S. 37. Vgl. Helmut Herles: „Das deutsche Volk in seinen Stämmen.“ In: FAZ vom 3.1.1990.

738

Gründung Bundesland Sachsen

pa-Verträglichkeit“ des vereinten Deutschlands wichtiger sei, als die meisten Politiker meinten.8 Freilich ließ die Freude über das historische Ereignis die Kritiker an den Modalitäten der Länderbildung nicht verstummen. Weiterhin wurde gefragt, ob nicht weniger neue Länder sinnvoller gewesen wären. Diese seien „überstürzt und gegen bessere Einsicht“ errichtet worden.9 „Ein folgenreicher Schwachpunkt“ wurde darin gesehen, dass mit der Bildung von fünf Ländern „die kleinstaatliche Variante des deutschen Föderalismus verstärkt“ worden sei.10 Auch der Schriftsteller Erich Loest zählte es zu den größten Versäumnissen der DDRRegierung, nicht für neue, größere Länder gesorgt zu haben. Keine einzige Partei habe eine Regelung angestrebt, die lebensfähige Gebilde hervorgebracht hätte. „Vielleicht“, so Loest, „weil man dann weniger Chancen gehabt hätte, Abgeordneter oder Minister zu werden?“ Nun sei „miefige Kleinstaaterei“ programmiert.11 Die neuen Länder, so auch andere Kritiker, seien im Sinne des Artikels 28 des Grundgesetzes auf absehbare Zeit weder wirtschaftlich, finanziell noch administrativ leistungsfähig und somit von Geburt an Kandidaten für eine Neugliederung des Bundesgebietes. Sie stellten auch mit Blick auf den europäischen Prozess eine „denkbar schlechte Organisationsform für die Förderung des Wirtschaftsaufschwungs im Beitrittsgebiet“ dar. Auf europäischer Ebene werde gefordert, dass größere und leistungsfähige Regionen entstünden. Insofern sei die Bildung von fünf Ländern nicht zukunftsorientierte, sondern „rückwärtsgewandte Politik, die dem vereinten Deutschland eine schwere Last“ auferlege.12 Die bei ihrer Bildung angewandten Methoden entsprächen nicht dem aktuellen Stand wissenschaftlich begründeter politischer Raumordnung. Sie seien von den Zwängen einer emotional agierenden, in sachlicher Hinsicht wenig informierten Bevölkerung, vom Druck einer sich bildenden Lobby, aber auch von den Machtinteressen der sich schnell verfestigenden neuen Länder bestimmt gewesen. Die Länderneubildung habe sich leider, so Blaschkes hartes Verdikt, auf einem „primitiven politischen Niveau“ vollzogen.13 Eine Folge der Bildung von fünf Ländern sei ihr geringes Gewicht in bundespolitischen Entscheidungsprozessen. Dazu hätten auch die westlichen Länder beigetragen, indem sie eine Erhöhung der Bundesratsstimmen der vier bevölkerungsreichsten Länder durchsetzten. Deswegen sei auch nicht auszuschließen, dass die alten Länder mittels ihrer Partnerschaften politischen Einfluss auf die neuen Ländern

8 Peter Volkert: „Zentralismus lähmt die Bürgerfreiheit.“ In: Rheinischer Merkur vom 13. 4.1990. 9 Rutz, Die Wiedererrichtung der östlichen Bundesländer, S. 286. Vgl. Greulich, Länderneugliederung, S. 151. 10 Wollmann, Um- und Neubau, S. 27. 11 Loest, Erich: „Sie können auch anders.“ In: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt vom 31. 8.1990. 12 Schmidt, Die politische Verarbeitung, S. 452 f. 13 Blaschke, Das Werden der neuen Bundesländer, S. 142.

Beitritt der DDR und Länderbildung

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Bild 7: Festakt aus Anlass des Tages der deutschen Einheit und der Bildung des Landes Sachsen am 3. Oktober 1990 auf der Albrechtsburg in Meißen.

auszuüben vermögen, wodurch deren politische Autonomie beschränkt werde.14 Ungeachtet solcher und anderer Bedenken und Kritiken wurde am 3. Oktober 1990 in einem Festakt in der Meißner Albrechtsburg, die als Geburtsort Sachsens und Kristallisationspunkt seiner tausendjährigen Geschichte gilt, das Land Sachsen neu gebildet. Im Beisein von Vertretern aus Politik und Gesellschaft sowie des früheren Herrscherhauses Wettin gab Karlheinz Blaschke einen historischen Abriss der Geschichte, Rudolf Krause und Erich Iltgen wandten sich in feierlichen Ansprachen an die geladenen Gäste.15 Krause sprach von einem historischen Tag im Leben des deutschen Volkes und des Landes Sachsen sowie von der Pflicht, „große Achtung gegenüber unseren jungen Menschen zu empfinden, die mutig und entschlossen für unser neues, befreites Le14 Vgl. Häußer, Die Staatskanzleien, S. 115. 15 Programm zum Festakt anlässlich des Tages der deutschen Einheit und der Bildung des Landes Sachsen am 3.10.1990 in der Albrechtsburg Meißen (HAIT, KA, 67).

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Karte 7: Grenzen der Bezirke und des Freistaates Sachsen 1990.

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Peter W. Baumann: verändert nach Atlas für Sachsen, 1998.

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Kreisgrenzen mit Kreisstädten 1990

Bezirk Karl-Marx-Stadt/ Chemnitz bis 1990

Bezirk Dresden bis 1990

Bezirk Leipzig bis 1990

Freistaat Sachsen ab 1990

Löbau

Görlitz

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Weißwasser

740 Gründung Bundesland Sachsen

Beitritt der DDR und Länderbildung

741

ben“ eingetreten seien. Der Beitrag der Bürgerbewegungen dürfe niemals vergessen werden. Er dankte den Partnern aus Baden-Württemberg und Bayern für ihre Hilfe beim Übergang zu neuen Verwaltungsstrukturen. Sein diesbezüglicher Dank galt aber auch den Mitarbeitern der Bezirksverwaltungsbehörden.16 Sachsen hatte sich in seiner territorialen Struktur im Vergleich zu 1952 verändert. Seine Fläche war größer, die Einwohnerzahl kleiner geworden. Durch die Bildung von Bezirken und die damit verbundenen territorialen Abweichungen hatte sich die Anzahl der Kreise fast verdoppelt.17 Bereits im Vorfeld der Landesbildung war die Frage nach Fahne und Wappen, oder moderner ausgedrückt, nach der corporate identity des neuen Sachsens geklärt worden. Auch Kommunen und Landkreise hatten seit Anfang September beim Staatsarchiv Dresden verstärkt wegen der Genehmigung oder Verleihung von Wappen, Fahnen und Dienstsiegeln nachgefragt und Heitmann daraufhin klargestellt, dass rechtliche Regelungen erst von der künftigen Landesregierung getroffen werden könnten.18 Hinsichtlich der Landessymbole war Kinze beauftragt gewesen, Entwürfe vorzubereiten.19 Angesichts der entsprechenden Jahrhunderte langen Tradition Sachsens gab es kaum Zweifel daran, dass die Farben des Landes weiß-grün und das Wappen des Freistaates Sachsen dasjenige des früheren Herzogtums Sachsen sein würden. Das Wappen ist ein schwarz und gold neunmal quergeteilter Schild, belegt mit einem grünen Rautenkranz. Das ursprüngliche Wappenbild, die Balken, stellte die Wiedergabe eines Schildbeschlages dar, den Bernhard von Anhalt, Herzog von Sachsen (gest. 1212) als Wappenschild annahm. Sein jüngerer Sohn, Albrecht I. von Sachsen, unterschied sein Wappen von dem seines älteren Bruders, Heinrich I. von Anhalt, dadurch, dass er über den Schild einen Laubkranz, das sogenannte Schapel, legte. Dieser Rautenkranz bezeichnete eine jüngere Linie und wurde in das ursprüngliche Wappen des askanischen Herzogtums Sachsen um das Jahr 1200 als Beizeichen aufgenommen, um den Verzicht der Herzöge von Sachsen-Wittenberg auf die askanischen Stammlande Niedersachsen mit Lauenburg zu kennzeichnen. Nach dem Aussterben des Hauses Sachsen-Wittenberg übernahm sein Nachfolger in der sächsischen Herzogswürde, das Haus Wettin, dasselbe Wappenbild, nach Abdankung der Wettiner 1918 schließlich der Freistaat Sachsen.20 Während sich die Bevölkerung fast durchweg mit dem Wappen iden-

16 Reden zum Tag der deutschen Einheit und zur Bildung des Landes Sachsen am 3.10.1990 (HAIT, KA, 67). 17 Siehe Tabelle 9 im Anhang. 18 Hausmitteilung von Steffen Heitmann an Arnold Vaatz vom 5. 9.1990 (HAIT, KA, 11.1). 19 Protokoll der Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses am 30. 8.1990 (Dok. 127). Zur Diskussion um das Landeswappen vgl. Unterlagen im Privatbestand Hermann Henke. 20 Vorlage an den Ministerpräsidenten: Bezeichnung und Anschriften der Ministerien sowie Gesetzesvorlage über die Führung des Wappens des Freistaates Sachsen vom 1.11.1990 (RPL, AZ 0142). Vgl. Diener/Hoffmann, Blickpunkt DDR, S. 57.

742

Gründung Bundesland Sachsen

tifizierte, war die Neigung gering, sich eine eigene Sachsen-Hymne zuzulegen. Noch 1994 meinten 72 Prozent der Sachsen, darauf verzichten zu können.21 Sachsen konnte für sich in Anspruch nehmen, das neue Bundesland mit der längsten staatlichen Geschichte zu sein. Mecklenburg war erst in den dreißiger Jahren aus zwei Herzogtümern hervorgegangen. Brandenburg war zwar das Kernland Preußens gewesen, infolge des Zweiten Weltkrieges aber nun territorial wesentlich kleiner als der preußische Hegemonialstaat des Deutschen Reiches nach 1871. Thüringen gab es als einheitliches Staatsgebilde erst seit 1920. Dazu gehörten auch einige ganz oder teilweise kursächsisch gewesene ernestinisch-sächsische Fürstentümer. Weite Teile hatten bis 1485 zum Kurfürstentum Sachsen gehört. Damals kam es zur Teilung in der Linie der wettinischen Landesherren. Die albertinische Linie regierte fortan den Vorläufer des heutigen Sachsens, die Ernestiner einen Teil Thüringens. Nach dem Wiener Kongress wurden große Teile Sachsens an Preußen abgetreten. Aus der so gebildeten preußischen Provinz Sachsen entstand nach Auflösung Preußens 1947 das Land Sachsen-Anhalt, zuvor seit 1945 „Provinz Sachsen“ genannt.22 Die „wirkliche Stärke“, die das neue Sachsen von den anderen neuen, aber auch von den westlichen Bundesländern unterschied, war nach Meinung Biedenkopfs, seine „geradezu einmalige Kombination von industrieller Erfahrung sowie staatlicher und kultureller Identität“, die es so nicht einmal in Bayern gebe. Seine in Jahrhunderten gewachsene und in der kollektiven Erinnerung präsente staatliche Identität mache die Sachsen stark und selbstbewusst.23 Das galt freilich nicht für alle Landeskinder. Die Bevölkerungsteile, die das untergegangene kommunistische Regime getragen und sich mit ihm identifiziert hatten, nutzten offenbar andere Eckdaten für ihre historische Identifizierung. So meinte der letzte Vorsitzende des Rates des Bezirkes Dresden, Michael Kunze (NDPD), dieser Personenkreis wollte sich durch seine Identifizierung mit dem neuen Land Sachsen seine „verloren gegangene Identität in der DDR“ zurückholen.24 Nicht in der jahrhundertealten Tradition des von der SED abgeschafften Sachsens sah sich diese Personengruppe demnach, sondern in jener der gerade beseitigten SED-Diktatur. Mit der diktatorischen, gegen die Interessen der früheren Länder und ihrer Menschen gerichteten Politik hing auch ein weiterer Streitpunkt bei der Bildung des Landes Sachsen zusammen. Nicht wegen ihrer mehr oder weniger langen Geschichte, sondern wegen der im Verhältnis dazu kurzen Existenz der Länder und (ehemals preußischen) Provinzen von 1945/47 bis 1952 gab es Meinungsverschiedenheiten in der Frage, ob die neuen Bundesländer Neugründungen seien oder ob sie in der Kontinuität der Länder stünden, die 1952 in zentralistisch gelenkte Bezirke zergliedert worden waren. Vor allem bei Stellungnahmen von 21 22 23 24

Vgl. Schöppner/Sagurna, Sächsische Meinungsbilder, S. 56. Siehe dazu Kap. 2.1. Interview Kurt Biedenkopf. Interview Michael Kunze: Keine Gründung des Kuratoriums Land Sachsen am 18. 4. 1990 (Dok. 51).

Beitritt der DDR und Länderbildung

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Politikern ging es dabei oft weniger um diese Frage selbst, sondern um aktuelle politische Ziele, die mit der einen oder anderen Antwort durchgesetzt werden sollten. So orientierten sich die Regierungspläne de Maizières von vornherein an den Länderstrukturen, wie sie bis 1952 bestanden hatten, weil er so hoffte, die Länder schnell und unkompliziert ins Leben rufen zu können. Deswegen war in der Regierung auch die Argumentation verbreitet, die Wiederbegründung der ursprünglichen Länder der SBZ/DDR würde eine Reföderalisierung des Staatsaufbaus der DDR darstellen. Vor der Volkskammer vertrat für die SPD auch Frank Heltzig am 22. Juli die Meinung, dass es sich „nicht um Neugründungen, sondern um Wiedergründungen deutscher Länder“ handele.25 Auch hier ging es darum, möglichst bald Länder zu bekommen. Ähnlich war die Argumentation von Vaatz, der auf diese Weise zudem eine Gleichrangigkeit der West- und der Ostländer als von den Besatzungsmächten geschaffen erreichen wollte.26 Ähnlich ergebnisorientiert war auch ein Gutachten des Direktors des Stadtarchivs für den Runden Tisch und den Rat der Stadt Halle, wonach eine gesetzliche Auflösung des Landes Sachsen-Anhalt nie erfolgt sei. Es müsse nichts Neues gebildet, sondern nur der alte Zustand wieder hergestellt werden.27 Dem Archivar ging es deutlich um die Ansprüche Halles, wieder Landeshauptstadt zu werden. Aus anderen Motiven votierte FDP-Präsidiumsmitglied Walter Hirche für die alten Länder. Niemand solle verkennen, so meinte er, dass „in der DDR gerade in der Wiederherstellung der alten Länder ein tiefes Stück historischer wie emotionaler Selbstvergewisserung“ liege, indem an Strukturen angeknüpft werde, welche die deutsche Geschichte geprägt hätten, längst bevor von Deutschland als Staat die Rede gewesen sei. Ihm ging es um „das ungeschmälerte Festhalten an der Verfassungstradition starker, eigenständiger regionaler politischer Einheiten, eben der Länder“. In ihnen sah er „eine Absage an die Allmacht einer Zentrale, ein Ja zur Sicherung von Freiräumen von unten“.28 Unter Wissenschaftlern gingen die Meinungen auseinander. Der bekannte bundesdeutsche DDR-Verfassungsrechtler Mampel meinte, dass zwischen den Ländern der SBZ/DDR und den neuen Bundesländern Identität bestehe. Die alten Länder existierten rechtlich fort und seien nur als Gliedstaaten der Bundesrepublik neue Länder.29 Auch Röper ging vom juristischen Fortbestand der alten SBZ/DDR-Länder und ihrer Verfassungen aus, da kein normativer Akt der DDR diese Länder aufgelöst habe. Es seien somit 1990 keine neuen Länder geschaffen worden, sondern die früheren durch „Aufhebung der sie überlagernden Bezirksstruktur“ wieder handlungsfähig geworden. Demnach waren für ihn auch die Landtage „pouvoir constitué schon vor 1949 bestehender Länder“.30 Bayer meinte, die Frage, ob die Länder 1952 oder 1958 tatsächlich oder de ju25 26 27 28 29 30

Volkskammer der DDR, 10. WP, 27. Tagung am 22. 7.1990, S. 1214. Siehe dazu Kap. 6.1.2. Vgl. „Sachsen-Anhalt nie aufgelöst.“ In: FAZ vom 10. 2.1990. Hirche, Die Funktionen der Länder, S. 58. Vgl. Mampel, Föderalismus, S. 122. Röper, Verfassungsgebung, S. 149–151 und 159 f.

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re verschwanden, sei müßig, da sie spätestens 1968 rechtlich untergegangen seien. Die in diesem Jahr verabschiedete DDR-Verfassung erwähnte die Länder nicht mehr. Ein latentes Fortbestehen über das Jahr 1968 hinaus bis zum 3. Oktober 1990, wie von Mampel oder auch von Lapp behauptet, könne nicht angenommen werden.31 Beeinflusst wurde die Diskussion von der Frage, ob die frühere Existenz von Ländern Ausdruck eines tatsächlichen Föderalismus gewesen sei oder ob es sich nicht eher um einen „Pseudoföderalismus“ gehandelt habe.32 Die Frage nach der Fortexistenz der Länder verband sich dadurch auch mit der nach der Weitergeltung der sächsischen Verfassung von 1947. Gegen deren Weitergeltung wurden ernsthafte juristische Bedenken geltend gemacht, sodass sich diese Auffassung nicht durchsetzen konnte. „Ein Festhalten an der Illusion, dass in der nach 1952 entwickelten einheitlichen Staats- und Rechtsordnung der DDR juristisch noch Platz für ,ruhende Landesverfassungen‘ gewesen sei“, lasse, so Tautz, die weitreichenden verfassungsrechtlichen Konsequenzen übersehen, die sich aus einer Teilweiterführung der alten Rechtsordnung ergeben würden.33 Auch Kaufmann ging von keinem rechtlichen Fortbestand der Länder über das Jahr 1952 hinaus aus. Die Verfassung von 1968 sei unverkennbar die eines zentralistischen Einheitsstaates gewesen und lasse für derartige Überlegungen keinen Raum. Eine bloße Reanimation der 1946/47 von der sowjetischen Besatzungsmacht geschaffenen Länder komme nicht in Betracht, weswegen es richtig gewesen sei, mittels eines Ländereinführungsgesetzes neue Länder zu schaffen.34 Biedenkopf meinte gar, es gebe Sachsen nicht mehr, seitdem die Nazis die Länder zugunsten von Gauen aufgelöst hätten, denn die kurze Zeit einer Länderstruktur nach 1945 habe nicht gereicht, einen Apparat aufzubauen.35 Da die nach 1945 gebildeten Länder „nicht nur tatsächlich, sondern auch rechtlich aufgelöst“ worden seien, so Bayer, müssten die neuen Bundesländer als Rechtssubjekte neu geschaffen werden. Sie seien weder im Verhältnis zu den ehemaligen Ländern noch im Verhältnis zur DDR deren universelle Rechtsnachfolger. Dies schließe jedoch nicht aus, dass sie partiell eine Funktionsnachfolge sowohl der früheren Länder als auch der DDR angetreten hätten.36 Auch Häußer meint, bei der Länderbildung habe es sich um eine staatsrechtliche Neugründung gehandelt.37 Ebenso meint Linck, dass am 3. Oktober 1990 ein neues Land Sachsen entstand, dessen parlamentarische Vertretung zugleich die Aufgabe besaß, neues originäres Verfassungsrecht zu setzen.38 Bernet erklärte 31 32 33 34 35 36 37 38

Vgl. Bayer, Die Konstituierung der Bundesländer, S. 1015. So Häußer, Die Staatskanzleien, S. 111. Tautz, Die Entstehung einer Verfassung, S. 26 f. Kaufmann, Bundesstaat, S. 73 und 75. Ähnlich auch Marek / Schilling, Neubildung, S. 61; Hesse/Renzsch, Zehn Thesen, S. 563. Vgl. Interview Kurt Biedenkopf. In: die tageszeitung vom 19. 9.1990. Bayer, Die Konstituierung der Bundesländer, S. 1015. Vgl. Häußer, Die Staatskanzleien, S. 112. So auch Steinberg, Verfassungsgebung, S. 498; Hölscheidt, Grundlagen, S. 1066 f. Vgl. Linck, Die vorläufigen Verfassungen, S. 732; Staats- und verwaltungsmäßige Vorschriften, S. IX.

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ebenfalls frühzeitig, es handele sich um eine Föderalisierung des Staatsaufbaus, da eine vergleichbare föderale Ordnung vorher in der DDR nicht existiert habe.39 Die neuen Länder und ihre staatlichen Verwaltungen seien „Neuschöpfungen, die sich überwiegend in der Hand von Politikern und Verwaltungspersonal aus den alten Bundesländern“ befänden.40

6.1.2 Zentrale und dezentrale Kräfte der Länderbildung – die neuen Länder im Vergleich „Die eigentliche verfassungsrechtliche Frage, die sich in der heutigen Situation der umwälzenden politischen Entwicklung in Deutschland aber stellt, ist diese: In welcher Form und mit welcher staatstheoretischen Berechtigung können und müssen die deutschen Länder in beiden Staaten an der staatlichen Ausformung der deutschen Einheit aus eigenem Recht beteiligt werden?“41 Diesen Satz schrieb der Referatsleiter Recht des Bundesministeriums für innerdeutsche Beziehungen, Hans-Heinrich Mahnke, Anfang Februar 1990. Ihre Antwort auf diese Frage gaben die westdeutschen Bundesländer, indem sie ihre Rolle im Prozess der deutschen Einheit selbst definierten und im zum Teil harten Ringen mit dem Bund durchsetzten. Schlechter sah es dabei für die erst im Entstehen begriffenen Länder in der DDR aus. Anders als zunächst geplant, existierten sie zum Zeitpunkt der deutschen Einheit noch nicht, waren vielmehr deren erstes und unmittelbares Ergebnis. Als nicht existente Länder aber unterlagen sie bis dahin einem „unvermeidbaren Mitwirkungsdefizit“.42 Um diese Möglichkeit zu vermeiden, hatte sich Vaatz, wenn auch vergeblich, für eine Wiederherstellung der Länder aus der Zeit bis 1952 stark gemacht. Auf diese Weise hätten die früheren Länder, deren demokratische Defizite nach seiner Überzeugung schnell auszubügeln gewesen wären, Mitgestalter der deutschen Einheit auf bundesstaatlicher Grundlage werden können. So aber mussten sie eine Länderbildung über sich ergehen lassen, die ihnen von vornherein wichtige Möglichkeiten vorenthielt, sie im Sinne von Interessen des Zentralstaates zu missbrauchen drohte und zu Bittstellern im vereinten Deutschland degradierte. Generell sind entstehende Gliedstaaten bei der wohl eher seltenen Föderalisierung eines Einheitsstaates dessen verfassungspolitischem Diktat ausgeliefert, sofern sich ihre Bildung nicht mit einer von außen herbeigeführten Föderalisierung verbindet, wie dies in Deutschland nach 1945 der Fall gewesen war. Weder damals noch 1990 konnte ein nicht existentes Bundesland sich selbst hervorbringen, fehlte dafür doch eine abgegrenzte und handlungsfähige politische Einheit. Ein Land muss zunächst als solches geschaffen werden, bevor es ein 39 Bernet, Zur landes- und kommunalrechtlichen Entwicklung, S. 33. 40 Bernet, Gemeinden, S. 27. 41 BMB, II A 3, Hans-Heinrich Mahnke: Verfassungsrechtliche Aspekte der Neukonstituierung der Länder der DDR vom 14. 2.1990 (BArch, B 137, 10857, 3440, Band 1). 42 Kaufmann, Bundesstaat, S. 124. Vgl. Bäumlin, Die rechtsstaatliche Demokratie, S. 147.

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„Selbst“ darstellt, das zu einer Selbstbestimmung über die besondere Form seiner politischen Existenz in der Lage ist. Auch die Länderbildung in der sich seit Mitte 1990 als föderatives Staatswesen definierenden DDR bzw. in der Bundesrepublik erforderte den „Kreationsakt einer außerhalb liegenden Instanz“.43 Bei den alten Ländern spielte diese Rolle die jeweilige Besatzungsmacht oder später der Bundesgesetzgeber. So wurde das Land Baden-Württemberg 1951 durch Bundesgesetz gebildet. Da eine Wiederbelebung der früheren SBZ / DDR-Länder aus verschiedenen Gründen nicht in Frage kam, sollte in der DDR zunächst das Ländereinführungsgesetz diese Funktion erfüllen.44 Angesichts des vorgezogenen Beitritts samt Länderbildung im Hauruckverfahren wurde es Teil des Einigungsvertrages als eines bilateralen Staatsvertrages. Da die Länderbildung an der zeitlichen Schnittstelle von DDR und Bundesrepublik erfolgte, wurden damit beide deutsche Regierungen gleichermaßen zu externen Instanzen der Länderbildung. Beide beschritten mit ihrer zentral gesteuerten Länderbildung somit den in formal-rechtlicher Hinsicht einzig gangbaren Weg. Nachteil dieser Lösung war, dass es sich bei der Bundesregierung nicht um einen neutralen Außenseiter, sondern um einen der Pole im künftigen Bund-LänderVerhältnis handelt. Damit war nicht auszuschließen, dass die Länderbildung zur Interessendurchsetzung genutzt und in diesem Sinne Einfluss auf die DDR-Regierung ausgeübt wurde. Waren die Alliierten nach dem Krieg eher an einer Stärkung der Länder interessiert gewesen, so zielten die Länderbildungsaktivitäten des Bundes eher auf eine Stärkung der aus seiner Sicht unzureichenden Bundeskompetenzen. Da der Prozess der Länderbildung unter extremen Zeitdruck erfolgte, wurde in allen Ländern möglichst einheitlich vorgegangen. Aus Sicht Lothar de Maizières, der zunächst selbst die Wiederbelebung der früheren Länder der SBZ/ DDR befürwortet hatte, gab es dazu keine Alternative. Dieser Weg, so sein bundesdeutscher Staatssekretär im Amt des Ministerpräsidenten, Thomas de Maizière, war „richtig so, sonst wäre das nichts geworden. Es war ja auch kein legitimierter Ansprechpartner da.“ Lediglich die Regierung der DDR sowie Kommunen und Landkreise waren demokratisch gewählt.45 Die Notwendigkeit einer zentral gesteuerten Länderbildung wurde grundsätzlich auch in Sachsen gesehen, freilich zum Teil widerstrebend und in der Erwartung, stärker in den Prozess eingebunden zu werden. Auch der Chemnitzer Regierungsbevollmächtigte sah für die Regierung keine andere Möglichkeit, als die Länderbildung zentral zu lenken. Es habe, so Buttolo, die Struktur gefehlt, anders vorzugehen. Die Regierungspolitik habe deswegen eine zentralistische Tendenz gehabt, um in der Kürze der Zeit gesichert föderale Strukturen herstellen zu können.46 Deutlichster Ausdruck der Unterstützung der Regierungsverantwortung für die Länderbildung war in Sachsen die Rottenburger Erklärung, in welcher der 43 44 45 46

Boehl, Landesverfassungsgebung im Bundesstaat, S. 587 f. Vgl. Bayer, Die Konstituierung der Bundesländer, S. 1014. Interview Thomas de Maizière. Interview Albrecht Buttolo am 12. 2. 2003.

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Regierung die entsprechende Verantwortung zugewiesen wurde.47 Aber auch hier ist die historische Situation genau zu analysieren, um die Gründe für die Zustimmung einzelner Akteure richtig zu deuten. Zu diesem Zeitpunkt, kurz nach der ersten freien Volkskammerwahl, war die Landesbildung noch vom Gegeneinander von Räten und Runden Tischen der Bezirke bestimmt. Mit der Rottenburger Erklärung wollte ein Teil der Unterzeichnenden den demokratisch nicht legitimierten Aktivitäten der Räte eine durch die Regierung demokratisch legitimierte Alternative entgegensetzen. Die hier noch beschworene Steuerung des Prozesses durch die Regierung führte aber bald zum Konflikt zwischen den neuen Kräften im sächsischen Koordinierungsausschuss und der Ost-CDU-geführten Regierung. Auslöser dafür war die zunächst nicht zu überblickende Rolle, die de Maizière den bisherigen Räten der Bezirke samt dem dort beschäftigten Personal aus Zeiten der SED-Diktatur zubilligte. Zwar half Vaatz selbst, den Koordinierungsausschuss in die regierungsoffizielle Länderbildungspolitik einzupassen, wie sie im Rottenburger Papier vereinbart worden war, freilich hinderte ihn dies nicht, die Landesbildung forciert und auf eigenen Wegen voranzutreiben, als erkennbar war, dass die Regierung in den Bezirksverwaltungen die Hauptinstrumente der Länderbildung vor Ort sah. Ohnehin hieß für ihn zentrale Steuerung durch Berlin nicht, auf eigene Aktivitäten zu verzichten. Umso mehr galt dies, als der Rat als Hauptkontrahent des bisherigen Runden Tisches des Bezirkes zum regionalen Hauptakteur der Landesbildung gekürt werden sollte. Mit großer Energie wurde der Koordinierungsausschuss als das Gremium der Runden Tische der Bezirke zur Landesbildung in einer Weise aufgebaut, die es der Regierung praktisch unmöglich machte, ihn künftig zu ignorieren. Das Konzept ging auf, und die Regierung sah sich veranlasst, den Koordinierungsausschuss in ihre Pläne einzubinden. Der Vorgang macht aber auch deutlich, dass von einer generellen Verweigerung der Kooperation mit regionalen Akteuren durch die Regierung nicht gesprochen werden kann. Tatsächlich war diese mit sehr unterschiedlich intensiven und orientierten Bemühungen der Länderbildung in den Bezirken konfrontiert, die es schwierig machten, sie in ein einheitliches Regierungskonzept einzubinden. Ein alternatives Konzept, das regionale Aktivitäten von vornherein voraussetzte und ins Kalkül einbezog, gab es wie bereits erwähnt nicht. Angesichts der von der Regierung bevorzugten Handlungsoption einer ungeteilt in den Händen der Regierung und ihrer bezirklichen Außenstellen liegenden Länderbildung ergab sich auch insofern ein Problem dadurch, dass die Regierung durch regionale Aktivitäten „nicht mehr stellvertretend für alle Länder im Beitrittsgebiet verhandeln“ konnte.48 Eine Koordinierung diverser Aktivitäten in den Bezirken hätte die Verhandlungsführung der Regierung gegenüber der Bundesrepublik im Einigungsprozess erschwert. Ähnlich restriktiv bewertete im Üb-

47 Siehe Kap. 4.1.6. 48 Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003.

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rigen auch die Bundesregierung die gewünschte westliche Länderbeteiligung an den Verhandlungen. Die Unterzeichnung der Rottenburger Erklärung durch Vaatz hatte gezeigt, dass er keine grundsätzlichen Bedenken gegen eine zentrale Steuerung der Länderbildung hatte. Probleme taten sich eher auf, weil nach seiner Überzeugung erkennbar wurde, dass auch die Politik de Maizières darauf ausgerichtet war, „die alten Personalstrukturen zu schützen und dafür zu sorgen, dass es nicht zu einer wesentlichen Veränderung in der Administration kommt“. Das aber war für ihn die „Grundvoraussetzung für die Glaubwürdigkeit und das Funktionieren des neuen Verwaltungssystems“. Die personelle Erneuerung war aus seiner Sicht der Grund für alle Aktivitäten in Sachsen, weniger der Wille, dass Sachsen das Land Sachsen aufbauen.49 Die Aussage ist deswegen von zentraler Bedeutung, weil sie zeigt, dass die Aktivitäten des Dresdner Koordinierungsausschusses nicht primär regionalistisch ausgerichtet waren, sondern dieser das politische Ziel der Erneuerung fortsetzen wollte, wie es seit dem Herbst 1989 auf den Straßen formuliert worden war. Der Koordinierungsausschuss war keine vor allem regional orientierte, sondern eine regional wirkende politische Gruppierung neuer Kräfte. Auch die geforderte stärkere Beteiligung der Regionen an der Länderbildung war vor allem eine Forderung nach mehr Demokratie. Deswegen machte sich die Kritik am Vorgehen der Regierung de Maizière denn auch weniger an ihrer zentralgesteuerten Länderbildung fest, sondern daran, dass diese deutlich erkennen ließ, dass sie Eigeninitiativen in den Regionen vor allem dann störten, wenn sie von politischen Kräften getragen wurden, die der bisherigen Block-CDU und ihrem Kurs einer Erneuerung kritisch gegenüber standen. Es ging somit weniger um die künftigen Strukturen des Landes Sachsen, hier herrschte schon angesichts bundesdeutscher Zielvorgaben weitgehende Übereinstimmung, sondern um die künftige personelle Besetzung der Landesverwaltung. Würden hier die bisherigen Funktionäre der Block-CDU das Sagen haben wie in Thüringen, Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg-Vorpommern oder Vertreter der sich in der friedlichen Revolution konstituierten neuen Gruppierungen? Buttolo meint, angesichts des Zeitdrucks habe es für „demokratische Varianten“ wie eine intensive Mitwirkung regionaler Kräfte „keine realistische Möglichkeit“ gegeben,50 und Thomas de Maizière stellt richtig fest, dass es nicht dem Kurs der Regierung entsprochen habe, sich auf „irgendwelche Runde-Tisch-Bevollmächtigungen“ oder ähnliches einzulassen.51 Tatsache ist aber, dass das Grundgesetz der Bundesrepublik nicht ohne Grund für hier tangierte Entscheidungen wie Länderzugehörigkeiten und vergleichbare gravierende Voten eigentlich ein höheres Maß an direkter Bürgerbeteiligung vorsah. Deswegen sprach auch bei der Bildung der neuen Bundesländer vieles für die Notwendigkeit einer besonderen demokratischen Legitimation des „Diktates 49 Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. 50 Interview Albrecht Buttolo am 12. 2. 2003. 51 Interview Thomas de Maizière.

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von oben“,52 von dem die Regierung in Sachen Länderbildung Gebrauch machte. Legt man die Maßstäbe des Grundgesetzes an, dann war für die Entscheidungen im Zusammenhang mit der Länderbildung die Legitimation der Regierung durch die Volkskammerwahl unzureichend. Sie hätte durch direktdemokratische Entscheidungen der betroffenen Bevölkerung flankiert werden müssen. Nichts macht diese Tatsache deutlicher als das Demokratiedefizit bei der Bestimmung der Zugehörigkeit strittiger Kreise und Kommunen bei der Festlegung der Ländergrenzen.53 Das galt aber auch für die innere Ausformung der künftigen Länder. Die unzureichende Einbeziehung der betroffenen Regionen in die Bildung der neuen Bundesländer ist „ein wesentliches Defizit der Länderbildung“.54 Das zeigt auch die Tatsache, dass erst die souveränen neuen Bundesländer Anfang 1991 ihre in der gemeinsamen historischen Verantwortung begründeten und daher berechtigten finanziellen Ansprüche gegenüber dem Bund und den reicheren Westländern geltend machen konnten. Zuvor waren sie ein Spielball diverser Interessen und besaßen weder Stimme noch Lobby im mehrstimmigen Chor des Bundesstaates. Das Mitwirkungsdefizit zeigte sich bereits, als die entstehenden Länder zwangsläufig nicht an der Ausarbeitung des Ländereinführungsgesetzes beteiligt werden konnten und die DDR-Regierung unbehelligt von zum Teil überforderten Volkskammerabgeordneten unter dem Einfluss engagierter Bundesberater Knebelbestimmungen für die künftigen Länder wie die des Paragraphen 22 einfügen konnte. Zum Glück für die neuen Länder revidierten die Abgeordneten mit Blick auf neue Mandate und Loyalitäten in den Ländern ihre Haltung in den Nachverhandlungen zum Einigungsvertrag und kippten, nun unter der Regie von Beratern westlicher Bundesländer, den Paragraphen kurz vor der Ziellinie. Eine weitere Besonderheit war es, dass die neuen Länder durch das Zusammenfallen von staatlicher Einheit und Länderbildung auf beide Prozesse keinen Einfluss hatten. Wäre ihre Bildung ohne eigene Beteiligung bereits erfolgt gewesen, hätten sie wenigstens auf die Einigungsverhandlungen Einfluss ausüben und eigene Interessen durchsetzen können. Durch die Kopplung beider Prozesse wurden die neuen Bundesländer als die eigentlichen Erben der DDR dazu verurteilt, dem vor allem sie selbst betreffenden Vorgang bestenfalls als Statisten zu verfolgen. Eine Abstimmung der Interessen fand im Prozess der mit der Vergrößerung des Bundesstaates einhergehenden Länderbildung nur zwischen beiden deutschen Regierungen sowie mit den westlichen Bundesländern statt. Das war insofern von Bedeutung, weil es nicht allein um die Bildung neuer Länder ging, sondern zugleich und damit verbunden um den Umbau eines bereits vorhandenen Bundesstaates durch dessen Erweiterung. Vor allem angesichts solcher Wichtigkeit war eine Beteiligung gesellschaftlicher und politischer Kräfte in den sich formierenden Ländern wie etwa der Runden Tische der Bezirke 52 Kaufmann, Bundesstaat, S. 93 f. 53 Siehe Kap. 5.2.3. Vgl. Richter, Entscheidung für Sachsen. 54 Kaufmann, Bundesstaat, S. 123 f.

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oder von Gremien wie des Koordinierungsausschusses weder erwünscht noch vorgesehen. In der DDR-Regierung sah man in ihnen nach dem 18. März rudimentäre Überbleibsel eines nur vermeintlich abgeschlossenen revolutionären Prozesses; in der Bundesregierung deutete man ihr Agieren vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen mit gesellschaftlichen Gremien im pluralistischen System der Bundesrepublik und setzte unter dem Einfluss Schäubles lieber auf „etablierte“ Kräfte aus den bisherigen Blockparteien. Dabei wollte die Regierung de Maizière nicht völlig auf eine demokratische Begleitung des Prozesses der Länderbildung mit Hilfe ihrer bezirklichen Statthalter verzichten. In ihrem parlamentarisch-demokratischen Selbstverständnis schuf sie für jedes zu bildende Land ein Gremium aus den jeweiligen Volkskammerabgeordneten der betroffenen Bezirke, kooperierte aber auch mit unabhängigen Gremien wie zum Beispiel mit dem Politisch-beratenden Ausschuss in Thüringen oder dem Koordinierungsausschuss in Sachsen und zeigte Bereitschaft, Ländervertreter an den Einigungsverhandlungen beratend zu beteiligen. Generell kann somit nicht gesagt werden, dass die Regionen prinzipiell ausgeschlossen waren. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob mit der Bildung des Koordinierungsausschusses in Sachsen ein Sonderweg bei der Bildung der neuen Bundesländer beschritten wurde, wie unter anderen von Erich Iltgen55 und Kurt Biedenkopf,56 aber auch von den meisten Akteuren aus dem Koordinierungsausschuss behauptet. So hatte zum Beispiel Rößler „immer das Gefühl, dass die anderen neuen Bundesländer sozusagen von Berlin aus geschaffen worden sind, während dieser Prozess in Sachsen von unten nach oben erfolgte.“ Die aktive Gestaltung direkt aus dem sich bildenden Land heraus war nach seiner Überzeugung „einmalig in den neuen Bundesländern“. Das habe es „in der Form in keinem anderen neuen Bundesland gegeben“.57 Die sächsischen Akteure konnten sich in ihren Urteilen noch nicht auf genauere Analysen der Prozesse in Sachsen wie in den anderen neuen Bundesländern stützen, vielmehr erlebten sie die Entwicklungen in den außersächsischen Bezirken während ihrer praktischen Arbeit eher am Rande. Da die Prozesse in den anderen Ländern bislang unzureichend untersucht worden sind, steht ein abschließendes Urteil in dieser Frage aus. Um aber wenigstens über eine minimale Vergleichsgrundlage zu verfügen, wurde nicht auf kurze Abstecher in die wichtigsten Landesarchive ver-

55 Nach Iltgen beschritt der Koordinierungsausschuss bei der Landesbildung „einen Sonderweg der fünf neuen Bundesländer“. Iltgen, Neue Politik, S. 155. Die Bildung des Koordinierungsausschusses war für ihn „das einzig Selbständige des revolutionären Prozesses durch die neuen politischen Kräfte seit dem Herbst ’89“. Damit verband sich der „zweifellos einmalige Sonderweg in der Vorbereitung der Bildung des Landes“. Erich Iltgen. In: Reden zum 4. Jahrestag der Gründung des Koordinierungsausschusses, S. 16. 56 Nach Biedenkopf wurde „im Unterschied zu anderen ostdeutschen Ländern“ ein Koordinierungsausschuss berufen, „um zu verhindern, dass die alten politischen Kräfte die Neuentstehung des Freistaates Sachsen besetzen“. Biedenkopf, Regierungs- und Verwaltungsprobleme, S. 22. 57 Matthias Rößler beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002.

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zichtet, um mehr oder weniger ausführliche Abrisse der dortigen Entwicklungen anbieten zu können. Brandenburg: Bereits Mitte Februar beschlossen die Räte der Bezirke Cottbus, Frankfurt(Oder) und Potsdam nach Konsultationen ihren Standpunkt, dass „die Bildung des Landes Brandenburg durch die Zusammenführung der drei Bezirke in ihren Territorialgrenzen des Jahres 1990“ erfolgen sollte. Zur weiteren Erarbeitung von Grundsätzen für die künftige politisch-territoriale Gliederung des Landes wurde die Bildung eines gemeinsamen Koordinierungsausschusses beschlossen und die Runden Tische aufgefordert, dafür und für zehn zu bildende Fachausschüsse Vertreter zu benennen.58 Der Koordinierungsausschuss bestätigte am 23. Februar die Empfehlung, „von der Zusammenführung der drei Bezirke in ihren Territorialgrenzen des Jahres 1990 auszugehen“.59 Am 28. Februar konstituierte sich daraufhin „in Übereinstimmung der drei Räte der Bezirke“ ein gemeinsamer Koordinierungsausschuss zur Herausbildung des Landes Brandenburg60 mit elf Fachausschüssen.61 Dem Ausschuss gehörten Vertreter der Räte und Runden Tische der Bezirke sowie Wissenschaftler an.62 Er legte im März 1990 eine Analyse der Ausgangsbedingungen für die Länderbildung vor.63 Später wurde der Referentenentwurf einer Landesverfassung als Grundlage für die Diskussion veröffentlicht. Für die brandenburgische Landesregierung sah der Koordinierungsausschuss neun Ministerien vor. Dazu wurden die Ressortleiter der Bezirksverwaltungsbehörden bereits entsprechend den zu bildenden Ministerien eingesetzt. Bereits Ende Juli waren die Strukturen der Ministerien bis auf die Ebene der Abteilungsleiter „als Mindestvariante erarbeitet und personell untersetzt“. Außerdem waren Mittelbehörden als Verwaltungsbezirke vorgesehen. Im August legte der Arbeitsausschuss bereits auf zirka 150 Seiten entwickelte Vorstellungen zur Entwicklung des Landes Brandenburg

58 Beschlussvorlage des RdB Cottbus über Maßnahmen zur Vorbereitung der Herausbildung des Landes Brandenburg vom 21. 2.1990 (Brandenburg. LHA, Rep. 801, 24494). Vgl. zur Entwicklung in Brandenburg Kotsch, Das Land Brandenburg. S. 609–625. 59 Protokoll zur Beratung des Koordinierungsausschusses zur Vorbereitung der Bildung des Landes Brandenburg am 23. 2.1990 (Brandenburg. LHA, Rep. 801, 24495). 60 Koordinierungsausschuss zur Vorbereitung der Bildung des Landes Brandenburg: Zur Herausbildung des Landes Brandenburg unter besonderer Berücksichtigung der historischen, wirtschaftlichen und regionalen Entwicklung, Potsdam am 28. 2.1990 (BArch B, DO 5, 179). Peter Siegemund an Manfred Preiß vom 23. 4.1990 (Brandenburg. LHA Rep. 801, 24497). 61 BVB Erfurt: Information über den Erfahrungsaustausch der BVB Rostock über die Durchführung der Verwaltungsreform und das Herangehen bei der Vorbereitung der Länderbildung am 30. 7.1990 (AThLT, 0/B0416/14). 62 Vgl. „Wie soll das künftige Land Brandenburg aussehen?“ In: Tagesspiegel vom 16. 3.1990. 63 Koordinierungsausschuss zur Vorbereitung der Bildung des Landes Brandenburg: Analyse der Ausgangsbedingungen des Landes Brandenburg und der Anteil der drei Bezirke Potsdam, Cottbus, Frankfurt (Oder) an der Bildung eines Landes Brandenburg von März 1990 (Brandenburg. LHA, Rep. 801, 24490).

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vor.64 Angesichts der bevorstehenden Landesbildung wandelte sich der auf Initiative der Räte der Bezirke gebildete und von ihnen dominierte Koordinierungsausschuss immer mehr zum Vorläufer der künftigen Landesregierung. Je ein Ressortleiter der drei Bezirksverwaltungsbehörden übernahm bezirksübergreifend die Leitung eines Ressorts im Koordinierungsausschuss. Parallel dazu wandelten sich Teile der Bezirksverwaltungsbehörden in Arbeitsbereiche der Geschäftsstelle des Ausschusses um.65 Mecklenburg-Vorpommern: Im späteren Land Mecklenburg-Vorpommern konstituierte sich, getragen von den Runden Tischen, den Räten der Bezirke und den Bezirkstagen Rostock, Schwerin und Neubrandenburg, am 2. März ein „Regionalausschuss Verwaltungsreform der drei Nordbezirke“.66 Auf dieser Grundlage erfolgte nach einer Beratung aller Parteien am 22. Mai das koordinierte Zusammenwirken bei der Landesbildung. Nach der Umbildung der Räte in Bezirksverwaltungsbehörden wurde der Regionalausschuss am 20. Juni durch die drei Regierungsbevollmächtigten in einen gemeinsamen Arbeitsausschuss umgebildet, in dem je vier Vertreter der Bezirksverwaltungsbehörden und der Landschaften vertreten waren. Sein Verbindungsbüro befand sich in Rostock. Er erarbeitete eine Konzeption zur Landesbildung und bildete dazu fünf Unterarbeitskreise. Die Berater der Bundesländer arbeiteten im Koordinierungsausschuss mit. Früh herrschte Einigkeit, keine Regierungsbezirke, sondern Landschaftsverbände zu bilden, die die Aufgaben staatlicher Mittelbehörden wahrnehmen sollten. Am 23. Juli wurde der Entwurf einer Landesverfassung in der Presse veröffentlicht und zur öffentlichen Diskussion gestellt. Der Ausschuss plante die Bildung von 13 Ministerien und legte dazu Strukturentwürfe vor. Bereits im Sommer 1990 wurden die Personen benannt, die in den Ministerien arbeiten sollten. Die personelle Besetzung sollte bis Ende August abgeschlossen sein. In Auswertung eines Erfahrungsaustauschs der Bezirksverwaltungsbehörde Rostock mit Vertretern aus Schwerin, Dresden, Halle, Potsdam und Erfurt am 30. Juli hieß es hinsichtlich des Vorgehens in Rostock und Sachsen ausdrücklich, „die Herangehensweise und das Zusammenwirken der drei Bezirksverwaltungsbehörden“ sei „analog wie in Rostock“,67 was so freilich höchstens in formaler Hinsicht korrekt ist. Sachsen-Anhalt: Die Runden Tische der Bezirke Magdeburg und Halle sowie der Stadt Dessau bildeten am 28. März 1990 einen gemeinsamen Runden Tisch

64 Arbeitsausschuss zur Bildung des Landes Brandenburg: Vorstellungen zur Entwicklung des Landes Brandenburg, Entwurf von August 1990 (AThLT, 0/B0416/14). 65 Vgl. Kotsch, Das Land Brandenburg, S. 621. 66 Arbeitsausschuss Verwaltungsreform der drei Nordbezirke: Konzeption für die weitere Durchsetzung der Verwaltungsreform, insbesondere für die Bildung des Landes Mecklenburg-Vorpommern vom 2. 7.1990 (MLHA, BT/RdB, Z 123/91, 37950). 67 BVB Erfurt: Information über den Erfahrungsaustausch der BVB Rostock über die Durchführung der Verwaltungsreform und das Herangehen bei der Vorbereitung der Länderbildung am 30. 7.1990 (AThLT, 0/B0416/14).

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zur Vorbereitung des Landes Sachsen-Anhalt.68 Ausgangspunkt dafür war eine Beschlussvorlage des Rates des Bezirkes Halle vom 15. März über die Bildung eines Runden Tisches Sachsen-Anhalt samt einer paritätischen Koordinierungsgruppe mit Untergliederungen.69 Der Runde Tisch sprach sich bei seiner konstituierenden Sitzung am 28. März in Dessau dafür aus, drei Arbeitsgruppen zur Bildung des Landes Sachsen-Anhalt unter Leitung einer Koordinierungsgruppe zu bilden. Gebildet wurden Arbeitsgruppen zur Bildung des Landtages, der Landesstruktur sowie der Landesregierung bzw. von Regierungsbezirken. Zur Vorbereitung der Ministerien wurden Unterarbeitsgruppen ins Leben gerufen.70 Die „Bürger der Region zwischen unterer Unstrut und Havel, zwischen Harz und Annaberger Heide“ wurden aufgefordert, sich mit Vorschlägen an der Landesbildung zu beteiligen.71 Für die Besetzung der Unterarbeitsgruppen zur Länderbildung wurden freilich ausschließlich Mitarbeiter der Räte der Bezirke, teils der Kreise sowie anderer staatlicher Einrichtungen benannt.72 Die Entwicklung im entstehenden Sachsen-Anhalt war auch durch einen Hallenser Sonderweg geprägt. Der hiesige Bezirkstag wurde nach der Volksammerwahl im April neu zusammengesetzt. Alle freien Mandate wurden mit Vertretern der Parteien und politischen Gruppierungen auf der Grundlage des übertragenen bezirklichen Wahlergebnisses besetzt. Die Parteien und politischen Organisationen des Bezirkes Halle gingen dabei davon aus, „dass mit den vorgenommenen Veränderungen die Legitimität des Bezirkstages und des Rates des Bezirkes bis zu den Landtagswahlen gegeben ist“. Volkskammerpräsidentin Sabine Bergmann-Pohl wurde aufgefordert, „eine generelle Auflösung nicht zu formulieren, sondern die Entscheidung den Bezirken selbst zu überlassen“.73 Damit versuchte der Bezirkstag, seine Existenz bis zur Landesbildung zu sichern. Wie in Dresden gab es Proteste, als die Regierung de Maizière die Sonderentwicklung nicht berücksichtigte und ein Ende von Bezirkstagen und Runden Tischen dekretierte. Der Runde Tisch des Bezirkes Halle schrieb de Maizière, das Vorhaben, die Befugnisse des Rates auf eine Auftragsverwaltung zu reduzieren, berühre das Selbstverständnis der Arbeit des Runden Tisches. In Halle sei die Zusammensetzung des Bezirkstages in Anlehnung an die Ergebnis68 Vorsitzende der RdB Halle, Wolfgang Süß, und Magdeburg, Siegfried Grünwald, sowie des amtierenden OB der Stadt Dessau, Döring, an den Vorsitzenden des RdB Cottbus, Peter Siegemund, Posteingang: 17. 4.1990 (Brandenburg. LHA, Rep. 801, 24497). 69 Beschlussvorlage des RdB Halle vom 15. 3.1990: Vorschlag zur Bildung eines Runden Tisches Sachsen-Anhalt der Bezirke Halle und Magdeburg unter Einbeziehung der Stadt Dessau (LA Merseburg, Rep. RdB/BT, 21129/7); Beschluss 1207–6/90 vom 15. 3.1990 (ebd., 20110/2). 70 Beschluss 001 des Runden Tisches Sachsen-Anhalt: Organisationsschema für die Vorbereitung des Landes Sachsen-Anhalt, Entwurf vom 24. 4.1990 (Brandenburg. LHA, Rep. 801, 24497). 71 Aufruf, Halle am 24. 4.1990: An alle Bürger des Landes Sachsen-Anhalt (ebd.). 72 Vorschläge zur personellen Besetzung von Unterarbeitsgruppen für die Erarbeitung von Entwürfen der Struktur einer künftigen Landesregierung, Bezirk Magdeburg (LA Merseburg, Rep. RdB/BT, 21129/7). 73 Wolfgang Süß an Sabine Bergmann-Pohl vom 18. 4.1990 (ebd., 298).

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se der Volkskammerwahl verändert und ein neuer Ratsvorsitzender gewählt worden. Daran wolle man festhalten. Die DDR-Regierung nahm darauf jedoch keine Rücksicht, weil eine solche Entwicklung angeblich in anderen Bezirken ausblieb. De Maiziére wurde daraufhin in Halle ein neuer Zentralismus vorgehalten.74 Die Räte der Bezirke Halle und Magdeburg legten im April Strukturvorschläge für eine Landesregierung vor.75 Der Rat des Bezirkes Halle schlug Ende April vor, die Landesministerien durch die Zusammenlegung der entsprechenden Stellvertreterbereiche des Rates des Bezirkes zu schaffen.76 Am 18. Mai legte die Arbeitsgruppe Landesregierung/Regierungsbezirke ein Strukturkonzept für eine Landesregierung und Bezirksregierungen in Sachsen-Anhalt vor.77 Mitte Juni legten die Bezirksverwaltungsbehörden Halle und Magdeburg sowie der Regionalausschuss Dessau getrennte Empfehlungen zur Struktur des Landes vor.78 Am 26. Juli fand die erste Beratung der Arbeitsgruppe zur Vorbereitung der Bildung des Landes Sachsen-Anhalt unter Leitung des Regierungsbevollmächtigten der Bezirksverwaltungsbehörde Halle statt.79 Da noch im August die Arbeiten zur Landesbildung in beiden Bezirksstädten getrennt liefen, erklärte de Maizière Mitte August, dass ausgehend vom Handlungsbedarf im Zusammenhang mit der Länderbildung und den Landtagswahlen jetzt eine angestrengte Arbeit in den Bezirksverwaltungsbehörden zur Vorbereitung der Bildung von Landesregierungen erforderlich sei. Deshalb sei es „unverständlich, dass es zu den Vorbereitungsarbeiten in Halle und Magdeburg bisher keine Verständigung zwischen beiden Regierungsbevollmächtigten“ gebe. Um keinen weiteren Zeitverzug zuzulassen, wurde der Regierungsbevollmächtigte in Halle, Klaus Keitel, beauftragt, Preiß bis Ende August eine gemeinsame Konzeption für die Bildung der Landesregierung Sachsen-Anhalt auf der Grundlage der Rahmenorientierung für den Aufbau der Landesregierung zu übergeben, die auch die Strukturen der Ministerien und Ämter einschließlich Festlegungen zu ihrer konkreten Ansiedlung enthalten müsse.80 Der Regierung war bekannt, dass die Landesbildung in Halle und Magdeburg vom Ringen beider Bezirksverwaltungsbe74 Vgl. „Neuer Zentralismus aus Ost-Berlin?“ In: FAZ vom 25. 5.1990. 75 Strukturvorschlag des RdB Magdeburg für eine Landesregierung vom 10. 4.1990 (LA Merseburg, Rep. RdB/BT, 21129/8). 76 Beschlussvorlage 2/9 des RdB Halle vom 26. 4.1990: Grundkonzept zur inhaltlichen und strukturellen Organisation der Verwaltung des RdB Halle mit dem Blick auf die Verwaltungsstrukturen des Landes Sachsen-Anhalt (ebd., 21129/6). 77 Bezirksregierung im Land Sachsen-Anhalt: Diskussionsmaterial zur Struktur Landesregierung vom 18. 5.1990 (ebd.). 78 BVB Halle/Regionalausschuss Dessau/BVB Magdeburg: Gemeinsame Empfehlung zur Organisation der Landesverwaltung Sachsen-Anhalt auf der Oberstufe (Ministerien), der Mittelstufe (Bezirksregierungen, Zentrale Landesämter/Landesinstitutes) und der Ämter der Landesverwaltung auf der Ortsstufe. Erarbeitet während einer Klausurtagung in Harzgerode vom 11.–15. 6.1990 (ebd., 21129/5). 79 BVB Halle, der Regierungsbevollmächtigte: Protokoll 7 der Beratung der AG zur Vorbereitung der Bildung des Landes Sachsen-Anhalt am 13. 9.1990 (ebd.). 80 Lothar de Maizière an Klaus Keitel vom 16. 8.1990 (ebd., 320).

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hörden geprägt war und sich darum drehte, welche der beiden Städte die künftige Landeshauptstadt sein würde. Deswegen wurden in der zweiten Augusthälfte für die Mitglieder aller Kreistage eine geheime Abstimmung durchgeführt, die 882 Stimmen für die frühere Landeshauptstadt Halle und 1 298 für Magdeburg brachte. Die letztendliche Entscheidung wurde dem künftigen Landtag überlassen. Noch aber war der Streit nicht beendet. Am 7. September äußerten der Magistrat der Stadt Dessau und die Koalitionsparteien CDU, FDP und SPD die Befürchtung, dass durch den anhaltenden Streit um den Sitz der Landeshauptstadt Entscheidungen zur Strukturierung des Landes nicht gefällt werden könnten. Dadurch entstünden dem Land bereits jetzt Nachteile. Keine Erleichterung brachte das Angebot Dessaus, selbst als künftige Landeshauptstadt zur Verfügung zu stehen.81 Am 5. September übernahm die Bezirksverwaltungsbehörde Halle die Federführung bei der Vorbereitung der konstituierenden Sitzung des Landtages und erforderlicher Gesetze, die Bezirksverwaltungsbehörde Magdeburg bei der Festlegung und ersten Ausstattung der Ministerien.82 Einen Tag später wurde beschlossen, die Ministerien unbeschadet der künftigen Landeshauptstadt etwa je zur Hälfte in Halle und Magdeburg anzusiedeln. Das Kultusministerium und der Landesrechnungshof sollten nach Dessau kommen.83 Mitte September wurden elf Projektgruppen zur Vorbereitung der einzelnen Ministerien und nachgeordneter Strukturen und für Querschnittsaufgaben eingesetzt.84 Es wurde ein dreistufiger Behördenaufbau aus Landesregierung mit Staatskanzlei und zehn Ministerien, Bezirksregierungen sowie Landesämtern/ -instituten und Ämtern der Landesverwaltung auf Ortsstufe konzipiert.85 Nun wurde die Regierungsstruktur durch paritätisch besetzte Projektgruppen für jedes Ministerium ausgearbeitet.86 Am 2. Oktober beauftragte der Landessprecher von Sachsen-Anhalt, Karl-Hermann Steinberg, die Regierungsbevollmächtigten von Halle und Magdeburg für ihren Bereich mit der Wahrnehmung seiner Zuständigkeiten, soweit nicht vorbehalten. Dazu gehörten auch Aufgaben für das gesamte Land Sachsen-Anhalt.87 Bis zur Festlegung der noch immer offe81 Fernschreiben Stadtverwaltung Dessau an das Amt des Ministerrates der DDR vom 7. 9.1990 (ebd., 319). 82 Protokoll der gemeinsamen Abstimmung zwischen der BVB Halle und der BVB Magdeburg am 5. 9.1990 (ebd., 21129/5). 83 BVB Halle, der Regierungsbevollmächtigte: Protokoll 6 der Beratung der AG zur Vorbereitung der Bildung des Landes Sachsen-Anhalt am 6. 9.1990 (ebd.). 84 BVB Halle, der Regierungsbevollmächtigte: Protokoll 7 der Beratung der AG zur Vorbereitung der Bildung des Landes Sachsen-Anhalt am 13. 9.1990 (ebd.). 85 BVB Halle und Magdeburg: Gemeinsame Empfehlung zur Organisation der Landesverwaltung Sachsen-Anhalt auf der Oberstufe (Ministerien), der Mittelstufe (Bezirksregierungen, Zentrale Landesämter (Landesinstitute) und der Ämter der Landesverwaltung auf der Ortsstufe, o. D. (ebd., 20643/2); der Landessprecher Sachsen-Anhalt: Stand der Vorbereitung der Landesverwaltung Sachsen-Anhalt, Halle/Saale am 21. 9.1990 (ebd.). 86 Der Landessprecher Sachsen-Anhalt: Stand der Vorbereitung der Landesverwaltung Sachsen-Anhalt, Halle/Saale am 21. 9.1990 (ebd.). 87 Landessprecher für das Land Sachsen-Anhalt: Vorläufige Regelung für die Verwaltung des Landes Sachsen-Anhalt vom 2.10.1990 (ebd., 20643/1); BVB Halle: Kurzprotokoll

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nen Landeshauptstadt hatte der Landessprecher seinen Arbeitssitz je zwei Tage in Halle und Magdeburg.88 Thüringen: In den drei Thüringer Bezirken Erfurt, Gera und Suhl hatten die Runden Tische bereits im Januar 1990 ihre gemeinsame Konstituierung auf Landesebene erörtert. Angesichts der in diesen Gremien repräsentierten politischen Interessengegensätze nahmen hier die Kirchen eine Vermittlerrolle ein und sicherten dadurch oftmals hart umstrittene Konsensbeschlüsse, die eine Außenwirkung der Runden Tische überhaupt erst ermöglichten.89 Seitens der Räte wurde vor allem der Rat des Bezirkes Erfurt aktiv. Er beschloss bereits am 8. Januar die Erarbeitung einer Diskussionsgrundlage für die Bildung eines Arbeitsgremiums zur Bildung des Landes Thüringen. Dazu sollten eine Analyse des früheren Landes Thüringen ebenso gehören wie Vorschläge zur territorialen Gliederung und zur organisatorischen Vorbereitung.90 In den Unterlagen des Bezirkes Gera finden sich keine Hinweise auf entsprechende Aktivitäten,91 Suhl wurde nicht untersucht. Der Rat des Bezirkes Erfurt, bei dem sich die Länderbildungsaktivitäten von nun an konzentrierten, plante Ende Februar, zur Beschleunigung des Zusammenschlusses der drei Thüringer Bezirke und der Herausbildung der Landesregierung Thüringen auf staatlicher Ebene einen Vorbereitungsausschuss mit Unterkommissionen zu bilden. Für die entsprechenden Aufgaben waren „kompetente Mitarbeiter des Rates des Bezirkes“ vorgesehen.92 Anfang März wurden alle Ratsmitglieder des Rates beauftragt, Standpunkte zur Länderbildung auszuarbeiten und dem Ratsvorsitzenden zu übergeben. Es wurde darüber informiert, dass sich nach dem 18. März ein Runder Tisch als Vorbereitungsausschuss zur Länderbildung bilden werde, dem jeweils zwei Mitglieder der Räte der Bezirke Erfurt, Gera und Suhl angehören sollten.93 Am 27. März legten die Räte der drei Thüringer Bezirke Vorschläge zur Länderbildung vor, die für den künftigen Runden Tisch des Landes Thüringen gedacht waren. Darin war die Bildung von Arbeitsgruppen vorgesehen, die im Auftrag des Runden Tisches des Landes für die Koordinierung aller Arbeiten zur Bildung des Landes zuständig sein sollten. Unter Leitung der Parteien und Bürgerbewegungen sollten Mitarbeiter der Räte in den Arbeitsgruppen tätig werden. Außer-

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der 2. Beratung der Lenkungsgruppe des Landessprechers mit den Projektgruppenleitern zur Vorbereitung der Bildung des Landes Sachsen-Anhalt am 2.10.1990 (ebd.). Kurzprotokoll der 3. Beratung des Lenkungsgruppe des Landessprechers mit den Projektverantwortlichen und den Beraterstäben aus Bonn und Niedersachsen zum Aufbau der Landesregierung Sachsen-Anhalt am 9.10.1990 (ebd.). Vgl. Marek/Schilling, Neubildung, S. 62. Beschlussprotokoll der 106. Sitzung des RdB Erfurt am 8.1.1990 (ThHStA, BT/RdB, 042045). Beschluss Nr. 3 RdB Gera vom 22.1.1990: Maßnahmen des RdB in Auswertung der 16. Tagung des BT Gera am 10.1.1990 (ThStAR, BT/RdB, 2). Beschlussprotokoll der 112. Sitzung des RdB Erfurt am 19. 2.1990 (ThHStA, BT/RdB, 042050). Beschlussprotokoll der 114. Sitzung des RdB Erfurt am 5. 3.1990 (ebd., 042052).

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dem wurden erste Vorschläge zur Struktur einer Landesverwaltung gemacht.94 Anfang April legten die Fachorgane des Rates des Bezirkes Erfurt Strukturvorschläge für eine künftige Thüringer Landesregierung vor.95 Am 10. April tagte der Geraer Ratsvorsitzende zusammen mit den Bezirksparteivorsitzenden der CDU und SPD. Der Ratsvorsitzende unterbreitete den zuvor abgestimmten Vorschlag der Schaffung eines politischen Kontrollorgans analog der Zusammensetzung der in die Volkskammer gewählten Abgeordneten der Parteien und Organisationen, der die Schritte des Rates des Bezirkes zur Vorbereitung der Länderbildung anleiten und überwachen sollte.96 Unterdessen ergriffen die Runden Tische der Bezirke eigene Aktivitäten zur Bildung eines Runden Tisches „Land Thüringen“. Der evangelisch-lutherische Landesbischof, Werner Leich, gab am 9. April vor dem Landeskirchenrat bekannt, dass er für den 18. April zur Bildung eines solchen Runden Tisches in Weimar eingeladen habe. An ihm sollten alle an den Runden Tischen der Bezirke tätigen Mitglieder beteiligt werden. Er sollte die Geschäftsordnung des Runden Tisches übernehmen. Seine Bildung sollte nicht die automatische Beendigung der Runden Tische der Bezirke bedeuten.97 CDU und DA schlugen die Einladung dazu jedoch aus, womit das Projekt zum Scheitern verurteilt war. Der Runde Tisch Land Thüringen kam nicht zustande, weil sich, so Leich, „die Parteien der Allianz für Deutschland einem solchen Anliegen verschließen“.98 CDU-Landesvorsitzender Uwe Ehrich erklärte, dass mit der in der Volkskammerwahl zum Ausdruck gekommenen politischen Willensbildung die Notwendigkeit einer solchen Institution fragwürdig sei.99 Stattdessen schlug er am 9. Mai allen Parteien und Vereinigungen, die bei den Volkskammerwahlen sowie der Kommunalwahl am 6. Mai eine größere Anzahl von Stimmen auf sich vereinigen konnten, vor, einen „Politisch-beratenden Ausschuss zur Gründung des Landes Thüringen“ einzurichten.100 Dieser konstituierte sich am 16. Mai in Erfurt. In ihm waren elf Parteien und Vereinigungen nach einer von den Ergebnissen der Volkskammer- und Kommunalwahlen abgeleiteten Sitzverteilung vertreten. Die Leitung oblag dem Landesvorsitzenden der CDU, die im Politischberatenden Ausschuss mit 13 Sitzen am stärksten vertreten war. Allerdings gab die CDU einen Sitz an das Neue Forum ab, das dadurch über zwei Sitze verfügte. Den stellvertretenden Ausschussvorsitzenden stellte die SPD als mit sechs Ausschusssitzen zweitstärkste Partei. In seiner Geschäftsordnung stellte sich der 94 RdB Erfurt, Gera und Suhl: Vorschläge über Arbeitsaufgaben zur Entwicklung des künftigen Landes Thüringen vom 27. 3.1990 (ebd., 042057). 95 118. Sitzung des RdB Erfurt am 9. 4.1990 (ebd.). 96 Festlegungsprotokoll der Beratung des Vorsitzenden des RdB Gera am 10.4.1990 (ebd., 1). 97 Protokoll des Landeskirchenrates über einen Runden Tisch „Land Thüringen“ und den Runden Tisch Bildungswesen des Bezirkes Erfurt vom 9. 4.1990. Zit. in John, Thüringen 1989/90, Band 2, S. 337 f. 98 Werner Leich an Reinhard Klein (Landesvorsitzender des DBD) vom 4. 5.1990. Zit. in ebd., S. 340. 99 Vgl. FAZ vom 18. 4.1990; Marek/Schilling, Neubildung, S. 62. 100 Ebd., vgl. Linck, Haus demokratischer Willensbildung, S. 105.

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Ausschuss die Sicherung der strukturellen und technisch-organisatorischen Vorbereitung der Bildung des Landes Thüringen zur Aufgabe. Seine lediglich Empfehlungscharakter tragenden Beschlüsse waren an den künftigen Landtag und an die Landesregierung gerichtet. Die Tätigkeit des Ausschusses sollte mit der Wahl des Landtages enden. Es herrschte Einigkeit, Mitarbeiter der Räte ebenso in die Arbeit einzubeziehen wie Westberater und Wissenschaftler. Außerdem sollte die Zusammensetzung auch nach territorialen Gesichtpunkten erfolgen. Ehrich betonte ausdrücklich, dass der Ausschuss nicht vorhabe, den Räten der Bezirke vor Einsetzung von Regierungsbevollmächtigten „bei der aktuellen Arbeit zur Seite zu stehen oder Kontrollaufgaben“ zu übernehmen. Aufgabe des Ausschusses müsse es vor allem sein, „zur Vorbereitung des Landes Thüringen alle Strukturen zu beraten“.101 Im Unterschied zu Sachsen wurde bei der Schaffung des Politisch-beratenden Ausschusses ausdrücklich Wert darauf gelegt, dass das Gremium der Landesbildung in keiner Verbindung mit den als politisch belasteten Räten der Bezirke stand. Dieser politische Gesichtspunkt diente hier zur Rechtfertigung dafür, eine Einbindung in die Bezirksstrukturen zu unterlassen. In von den Bezirken unabhängigen Kommissionen des Ausschusses wurde hier die Bildung des Landes Thüringen vorgeplant.102 Zwischen dem 16. Mai und dem 21. September 1990 hielt der Politisch-beratende Ausschuss insgesamt zehn Sitzungen ab. Von seinen 16 Arbeitsgruppen bildete speziell die Tätigkeit der „Arbeitsgruppe Verwaltungsstruktur“ einen Schwerpunkt der Beratungen, wobei hier wiederum die Problematik des mehrstufigen Aufbaus der künftigen Landesverwaltung intensiv diskutiert wurde. Weiterhin nahm man zur Frage der Landeshauptstadt Stellung und legte einen Verfassungsentwurf vor.103 Die drei Regierungsbevollmächtigten nahmen nach ihrer Einsetzung an den Beratungen des Ausschusses teil, hatten jedoch nicht das alleinige Entscheidungsrecht.104 Praktisch flossen auch die Arbeiten der Räte der Bezirke trotz formaler Trennung der Gremien in die Arbeit des Ausschusses ein. So legte zum Beispiel der Rat des Bezirkes Erfurt am 28. Mai einen Vorschlag zu Aufbau und Struktur der Landesregierung vor.105 Am 30. Mai beschloss der Ausschuss, auch Vertreter der Kirchen und Jüdischen Gemeinde zu den Beratungen einzuladen. Der Rat des Bezirkes Erfurt wurde mit der Bildung eines Sekretariats des Ausschusses beauftragt.106 Eine auf den 30. Mai datierte Geschäftsordnung fass101 Konstituierende Tagung des Politisch-beratenden Ausschusses zur Bildung des Landes Thüringen am 16. 5.1990 (AThLT, 0/ B0416/11). Vgl. Marek / Schilling, Neubildung, S. 62 f.; Rommelfanger, Das Werden des Freistaates Thüringen, S. 25. 102 Vgl. Hauschild, DDR, S. 219. 103 Vgl. Marek/Schilling, Neubildung, S. 62 f.; Jäger, Geschichte, S. 467 f. 104 MRKA: Information zum aktuellen Stand der Vorbereitung der Länderbildung vom 28. 8.1990 (BArch B, DO 5, 162). 105 Material des RdB Erfurt für die Tagung des Politisch-beratenden Ausschusses zur Bildung des Landes Thüringen vom 28. 5.1990: Vorschlag über den Aufbau und die Struktur der Landesregierung (ThHStA, BT/RdB, 044690). 106 Festlegungsprotokoll der 2. Beratung des Politisch-beratenden Ausschusses zur Vorbereitung des Landes Thüringen am 30. 5.1990 (AThLT, 0/B0416/11).

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te noch einmal die wesentlichen Beschlüsse der konstituierenden Sitzung zusammen. Danach war der Politisch-beratende Ausschuss „ein Gremium, dessen Arbeit darauf gerichtet ist, die strukturelle und technisch-organisatorische Vorbereitung der Bildung des Landes Thüringen zu sichern. Seine Beschlüsse tragen Empfehlungscharakter, ihr Adressat ist der künftige Landtag bzw. die Landesregierung.“ Er setzte sich wie folgt zusammen (Sitze): CDU (13), SPD (6), PDS (3), BFD [handschr. F.D.P.] (2), DSU (2), Bündnis 90/Neues Forum (2), Grüne/UFV (1), DA (1), DBD (1),107 Bauern (1) und DFD (1). Es wurde festgelegt, dass der Ausschuss vom Landesvorsitzenden der CDU, in seiner Abwesenheit vom Landesvorsitzenden der SPD, geleitet wird. An seinen Beratungen durften als ständige Teilnehmer „nur die von den Parteien benannten Persönlichkeiten“ teilnehmen. Eine Vertretung war nicht möglich. Bei Beschlüssen galt einfache Stimmenmehrheit.108 Verfolgt man die Aktivitäten der Runden Tische und der Landesparteien, so zeigt sich, dass in Thüringen die Aktivitäten zur Länderbildung „auf zwei häufig miteinander kooperierenden Ebenen“ liefen. Neben der administrativen Ebene des Regierungsbevollmächtigten bzw. später des Landesbevollmächtigten gab es mit dem Politisch-beratenden Ausschuss „eine thüringische Spezialität“, die an Stelle der in anderen neuen Ländern üblichen Runden Tische auf Landesebene gebildet wurde.109 Fasst man die Ergebnisse in den verschiedenen Ländern zusammen, so ergibt sich folgendes Bild: In Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern wurden keine Hinweise auf einen Runden Tisch des Landes gefunden. In Brandenburg wurde auf Initiative der Räte der Bezirke ein Koordinierungsausschuss gebildet, dem Vertreter der Räte, Runden Tische der Bezirke sowie Wissenschaftler angehörten. Später wandelte sich der Koordinierungsausschuss, der von den Räten der Bezirke dominiert wurde, immer mehr zum Vorläufer der künftigen Landesregierung. Je ein Ressortleiter der drei Bezirksverwaltungsbehörden übernahm bezirksübergreifend die Leitung eines Ressorts im Koordinierungsausschuss. Parallel dazu wandelten sich Teile der Bezirksverwaltungsbehörden in Arbeitsbereiche der Geschäftsstelle des Ausschusses um. In MecklenburgVorpommern bildete sich, getragen von den Runden Tischen, den Räten der Bezirke und den Bezirkstagen der drei Nordbezirke ein „Regionalausschuss Verwaltungsreform“. Nach der Bildung der Bezirksverwaltungsbehörden wurde er durch die drei Regierungsbevollmächtigten in einen gemeinsamen Arbeitsausschuss umgebildet, in dem Vertreter der Bezirksverwaltungsbehörden und der Landschaften vertreten waren. In Thüringen scheiterte die Bildung eines Runden Tisches auf Landesebene am abweichenden Modell der Mehrheit der Parteien und Gruppierungen, die ein an den demokratischen Wahlergebnissen orientiertes Gremium schaffen wollten. Auf Vorschlag der von früheren Mitglie107 DA und DBD sind im Dokument durchgestrichen. 108 Geschäftsordnung für den Politisch-beratenden Ausschuss (PBA) in Vorbereitung der Gründung des Landes Thüringen vom 30. 5.1990, [gez.] Uwe Ehrich, Landesvorsitzender der CDU Thüringen (AThLT, 0/B0416/11). 109 Linck, Haus demokratischer Willensbildung, S. 105.

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dern und Funktionären dominierten CDU entstand der „Politisch-beratende Ausschuss“, der unabhängig von den Räten und Runden Tischen der Bezirke vor allem von den Landesparteien getragen wurde. Er kooperierte jedoch mit entsprechenden Arbeitsgruppen der Räte und entwickelte sich vor der Landesgründung zum Vorläufer der Regierung. In Sachsen wurde statt eines zunächst erwogenen Runden Tisches auf Landesebene das „Sächsische Forum“ als Öffentlichkeitsorgan des Koordinierungsausschusses gebildet. Auf Initiative des Runden Tisches des Bezirkes Dresden bildeten die Runden Tische der Bezirke einen gemeinsamen Koordinierungsausschuss zur Landesbildung. Er erhielt nach Umwandlung der Räte in Bezirksverwaltungsbehörden formal den Status eines Stellvertreterbereiches des Dresdner Regierungsbevollmächtigten, behielt aber seine inhaltliche Eigenständigkeit als Gremium der neuen politischen Kräfte. Bei der Landesbildung übernahm er die Funktion einer Vorläufer- und Übergangsregierung. In Sachsen-Anhalt bildeten die Runden Tische der Bezirke sowie der Stadt Dessau auf Initiative des Rates des Bezirkes Halle einen gemeinsamen Runden Tisch zur Vorbereitung des Landes. Dieser sprach sich dafür aus, drei Arbeitsgruppen zur Bildung des Landes Sachsen-Anhalt unter Leitung einer Koordinierungsgruppe zu bilden. Ungeachtet dessen liefen die Arbeiten zur Landesbildung noch im August in beiden Bezirksstädten getrennt, was mit dem Ringen beider Bezirksverwaltungsbehörden um Dominanz zusammenhing. Angesichts der Tatsache, dass die Entwicklung in jedem sich bildenden Bundesland unterschiedlich verlief, erübrigt sich hinsichtlich formaler Kriterien die Betonung eines sächsischen Sonderweges. Es gab so gesehen fünf Sonderwege. Generell kann festgestellt werden, dass sich die Ausschüsse zur Länderbildung, die sich in allen entstehenden Ländern bildeten, in ihrer Aufgabenkoordination, Zusammensetzung und Legitimation unterschieden.110 Die Argumentation der Regierung gegenüber den einzelnen Bezirken, dass eine zentrale Steuerung allein deswegen unerlässlich sei, weil in den Bezirken nur in unzulänglichem Maße an der Landesbildung gearbeitet werde, ist nicht stichhaltig. Tatsächlich gab es ein breites Spektrum an Aktivitäten, in denen sich der Wille der Bevölkerung nach einer stärkeren Beteiligung am Prozess der Länderbildung ausdrückte. Das Beispiel Sachsen-Anhalts zeigt außerdem, dass die Delegierung der Landesbildungsarbeit durch die Regierung an die ihr nachgeordneten Bezirksverwaltungsbehörden nicht unbedingt zur Vereinheitlichung des Prozesses führte. Hier gab es bereits seit Januar Tendenzen der Dezentralisierung und Umorientierung auf die künftigen Aufgaben im Rahmen der sich bildenden Länder, die diese Behörden nur bedingt geeignet erschienen ließen, Regierungsinteressen in den Regionen umzusetzen. Damit erweist sich das Argument der Regierung als ebenso wenig stichhaltig, durch Konzentrierung auf die Bezirksverwaltungsbehörden zu einer Vereinheitlichung und Beschleunigung der Landesbildung zu kommen. 110 Vgl. Sampels, Bürgerpartizipation, S. 48 f.

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Fragt man nach, worauf sich der Mythos eines sächsischen Sonderweges stützt, so lenkt dies den Blick weg von eher formalen hin auf politische Aspekte. Das wesentliche Kennzeichen der Situation in Sachsen war der im Zusammenhang mit der Landesbildung ausgetragene Konflikt zwischen alten Kräften aus der früheren Blockpartei und den dank Vaatz im Koordinierungsausschuss dominierenden Vertretern neuer politischer Gruppierungen. Diese brachten sich nicht nur von vornherein in den Prozess der Bildung des Landes ein und überließen diesen nicht der Exekutive, sondern übernahmen selbst eine Leitfunktion. Das war ein „für die neuen Bundesländer einmaliger Vorgang der Machtverteilung“.111 Da einige Vertreter neuer Gruppierungen inzwischen führende Mitglieder der CDU geworden waren, wurde der Konflikt zu einem CDUintern ausgetragenen Streit, der auch nach der Bildung des Freistaates Sachsen andauerte. Dabei ging es weniger um die Strukturen des künftigen Landes, ja nicht einmal um dessen politische Ausrichtung – in beiden Punkten lagen die Kontrahenten nicht weit auseinander –, sondern um personelle Kontinuität oder Erneuerung. Nirgends sonst wurde der Streit zwischen alten und neuen Mitgliedern mit solcher Vehemenz und Härte ausgetragen wie in Dresden. Die Folge war, dass hier wichtige Vertreter aus den neuen politischen Gruppierungen den Weg in führende Regierungsämter fanden und Sachsen das einzige Land war, dessen CDU- und Landesführung letztlich ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit für sich beanspruchen konnte. Dadurch gelang es hier, die politischen Wirren der Anfangszeit nahezu unbeschadet zu überstehen. Da der Streit zwischen alten und neuen Kräften in der CDU in den anderen Ländern kaum stattfand, vielmehr ein auch vom sächsischen CDU-Landesvorsitzenden, Klaus Reichenbach, vermitteltes Bedürfnis nach Harmonie zwischen Altfunktionären und neuen Mitgliedern Raum griff, setzten sich frühere Führungskader der Block-CDU in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern durch. In Brandenburg stand schon die schillernde Persönlichkeit Peter-Michael Diestels einem Sieg der CDU direkt im Wege. Außerhalb Sachsens und Brandenburgs aber bildeten die Altfunktionäre der CDU die Landesregierungen und scheiterten bald an ihrer politischen wie fachlichen Unfähigkeit, ein Bundesland kompetent zu führen. Hier nun kommt eine zweite wesentliche Besonderheit der vom sächsischen Koordinierungsausschuss zu verantwortenden Situation zum Tragen. Dieser setzte nicht nur aus Gründen politischer Glaubwürdigkeit auf personelle Erneuerung, sondern auch aus Gründen in der DDR nicht vorhandener Kompetenz. Die Geschichte des Koordinierungsausschusses ist nicht umsonst auch die Geschichte seines Kampfes um Anerkennung bei den westlichen Partnerländern. Die Kompetenz der westlichen Helfer aber war es, die wesentlich zum Siegeszug des Koordinierungsausschusses beitrug. So lässt sich die Besonderheit des sächsischen Koordinierungsausschusses, vorbehaltlich weiterer Studien zu den anderen neuen Bundesländern, an den Begriffen „personelle Erneuerung“ und 111 Schmidt, Von der Blockpartei zur Volkspartei S. 162.

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„Kompetenz“ festmachen. Letztere sorgte auch für den gewaltigen Vorsprung des sächsischen Koordinierungsausschusses in der Vorbereitung der Landesbildung gegenüber den anderen neuen Bundesländern. Durch ihn konnte das sächsische Modell zur von der Bundesregierung vermittelten Vorlage für die anderen neuen Bundesländer werden. Auch der Konflikt zwischen der Regierung de Maizière und dem Koordinierungsausschuss hat unmittelbar mit beiden Aspekten zu tun. In ihm wiederholte sich der auch innerhalb des sächsischen CDU-Landesvorstandes ausgetragene Streit. Er war zugleich ein Streit zwischen alten und neuen Kräften in der Union. Er hat seine Ursache darin, dass ein großer Teil der neuen politischen Kräfte nach der Zerschlagung der SED-Herrschaft nicht die nun demokratisch abgesicherte Herrschaft der Kader aus der zweiten Reihe akzeptieren wollte. Dieser Konflikt zieht sich als ein wesentliches Grundmuster durch alle die Bildung des Landes Sachsen betreffenden Auseinandersetzungen und verband sich dabei auch mit unterschiedlichen Politikverständnissen. Die erste demokratisch gewählte Regierung der DDR setzte unter dem Einfluss von Politikern aus den Reihen früherer Blockparteien und von Beratern der Bundesregierung fast ausschließlich auf parlamentarisch-demokratische Instrumentarien und Mechanismen; die neuen Kräfte, die in Sachsen die Landesbildung dominierten, waren stärker direktdemokratisch orientiert. Sie witterten aufgrund negativer Erfahrungen mit der zentralistischen SED-Diktatur beim repräsentativ-demokratischen Herangehen der von der ehemaligen Block-CDU dominierten Regierung noch den Geruch der untergegangenen Diktatur. Die Regierung tat das ihrige dazu bei, indem sie nach ihrer Machtübernahme den aus der friedlichen Revolution hervorgegangenen Gremien wie Bürgerkomitees und Runden Tischen auf allen Ebenen den Kampf ansagte und deren Wirken rigoros beenden wollte. Politiker wie Innenminister Peter-Michael Diestel gelten DDR-Bürgerrechtlern unter anderem deswegen bis heute als rotes Tuch. Statt sich, wie zum Beispiel Iltgen mit dem Landtag, symbolisch in die Tradition der friedlichen Revolution zu stellen, setzte die Regierung de Maizière auf die alten Apparate, aus denen ein Großteil ihrer Verantwortungsträger kam. Nicht umsonst hatte sich Lothar de Maizière bereits auf dem Sonderparteitag der CDU im Dezember 1989 zur Mitschuld der CDU bekannt, was darauf hin gedeutet hatte, dass er sich mehr als Sprecher der Funktionäre, denn der einfachen Mitglieder verstand. Der frühere Partei- und Staatsapparat war um die führende Partei erleichtert worden, nun behandelte man den übriggebliebenen Staatsapparat, als habe er sich zu Zeiten der Diktatur neutral und kompetent verhalten. Tatsache war aber, dass auch hier zahlreiche Stützen des Regimes tätig gewesen waren, unter ihnen viele jetzige, demokratisch gewählte Verantwortungsträger, die natürlich nicht vorhatten, sich selbst aus dem Wege zu räumen. Die zahlreichen Enttarnungen früherer Zuträger des MfS unter den CDU-Funktionären sprechen eine eigene Sprache. Die mit Blick auf die CDU Helmut Kohls in demokratischen Wahlen geadelten Altfunktionäre fanden unter den neuen Kräften ihre ärgsten Kritiker und behandelte diese teilweise so, als hät-

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ten sie einen neuen „Klassenfeind“ ausgemacht. So meint zum Beispiel Rößler, die Regierung habe „überhaupt nicht gern gesehen“, was sie machten. Sie habe zwar versucht, „das irgendwie einzubinden, einzufangen“, aber die Kommentare, mit denen dieser Vorgang in Regierungskreisen begleitet wurde, seien „nicht positiv für unsere Aktivitäten“ gewesen: „Man hat uns dort nie besonders gemocht.“112 Die Antipathie fiel in Sachsen deswegen besonders auf, weil hier die neuen Kräfte aus SPD, DA, DSU und CDU parteiübergreifend kooperierten und sich in einer Dauerfehde mit dem von alten Funktionären dominierten CDU-Landesvorstand befanden. DA-Aktivist Hans Geisler meint, die Regierung de Maizière habe die Chance verpasst, wenigstens an den wenigen Stellen, wo es neue Gruppierungen gab, die bereit waren, Verantwortung zu übernehmen, diese ins Gespräch mit einzubinden. Das habe im Falle Sachsens auch am Staatsminister und CDU-Landesvorsitzenden Klaus Reichenbach gelegen, der sächsischer Ministerpräsident werden wollte und kein Interesse hatte, die gegen ihn agierende Vaatz-Gruppe im Koordinierungsausschuss zu unterstützen.113 Vor dem Hintergrund historischer Erfahrungen erhielt der Konflikt zwischen der von Berlin aus zentral gesteuerten Länderbildung und sächsischen Eigenbemühungen noch einen weiteren bitteren Beigeschmack. Angesichts früherer sächsisch-preußischer Konflikte und dem zentralistisch-diktatorischen Kurs der SED-Führung, die sich permanent über sächsische Interessen hinweggesetzt und zum Niedergang Sachsens beigetragen hatte, handelte eine zwar demokratisch legitimierte, aber immer noch zentralistisch orientierte Berliner Regierung ohne wesentliche sächsische Mitbeteiligung und teils gegen sächsische Interessen. Das zeigte sich besonders deutlich bei der Festlegung der Landesgrenzen zwischen dem einst preußischen Brandenburg und Sachsen. Hier ignorierte die Berliner Regierung die Mehrheitsvoten der Bürger mehrerer Kreise, die beschlossen hatten, zukünftig zum Freistaat Sachsen zu gehören. Die Regierung des erklärten Preußen Lothar de Maizière tat sich nicht nur schwer mit einer angemessenen Beteiligung der Sachsen an ihren ureigensten Belangen, sie setzte sich auch noch über die vom Grundgesetz vorgegebenen Bürgervoten in der Frage der Länderzugehörigkeit hinweg. Sie trug so wesentlich dazu bei, dass heute die Territorien der früheren Kreise Bad Liebenwerda und Senftenberg nicht zu Sachsen, sondern zu Brandenburg gehören und Kommunen nicht von ihrem Recht Gebrauch machen konnten, selbst über ihre Landeszugehörigkeit zu bestimmen.114 Der problematische Umgang der Regierung de Maizière mit der gerade errungenen Demokratie zeigt sich auch an den Friktionen innerhalb des Regierungsbündnisses. Insgesamt kann wohl nur schwerlich behauptet werden, dass die Regierung de Maizière einen wesentlichen Beitrag zur Herausbildung eines demokratischen Bewusstseins in der Bevölkerung der neuen Bundesländer geleistet hat. Wohl aber ist es ihr so gelungen, die DDR binnen kürzester 112 Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003. 113 Interview Hans Geisler. 114 Siehe Kap. 5.2.4. Vgl. Richter, Entscheidung für Sachsen.

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Zeit in der Bundesrepublik Deutschland aufgehen zu lassen. So gesehen waren ihre Demokratiedefizite dem vorübergehend höheren Ziel der staatlichen Einheit geschuldet.

6.1.3 Staatsrechtlicher Status des Landes Sachsen nach dem 3. Oktober 1990 Zwar wurde die Neubildung Sachsens am 3. Oktober 1990 auf der Meißner Albrechtsburg in würdiger Form gefeiert, vielleicht hätte der Festakt aber doch besser in Bonn oder Berlin stattfinden oder auf die Zeit nach der Konstituierung des Landtages und die Wahl des Ministerpräsidenten verschoben werden sollen. Zunächst nämlich war Sachsen ein Land unter der Regie des Bundes, ohne eigene Souveränität und Staatlichkeit. Alle neuen Länder waren nach dem Beitritt zunächst „Leerräume ohne Parlament, Regierung oder rechtsstaatlich geordnete Verwaltung“, in denen nur ein partielles Staatsorganisationsrecht existierte.115 Es gab keine unmittelbar durch das Volk gewählten Verfassungsorgane. Ihre Handlungsfähigkeit war eingeschränkt. Im Bundesrat konnten sie nicht mit abstimmen, da die Länderkammer gemäß Artikel 51 des Grundgesetzes aus Mitgliedern der Regierungen besteht. Zur Gesetzgebung nach Artikel 70 folgende waren sie auch nicht befähigt, da diese Funktionen nach Artikel 28 nur von einer aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangenen Vertretung des Volkes wahrgenommen werden konnten. Ausdruck der fehlenden Souveränität war auch die Tatsache, dass der sächsische Haushalt gemäß Artikel 15 des Einigungsvertrages vom Beitritt bis zur Wahl des Ministerpräsidenten in der Verantwortung des Bundes vollzogen wurde. Erst mit der Wahl Biedenkopfs erlosch diese Zuständigkeit bzw. basierte von diesem Zeitpunkt an auf der souveränen Entscheidung des sächsischen Ministerpräsidenten.116 Ausdruck der Übergangssituation war auch die faktische Doppelherrschaft durch den Landesbevollmächtigten und den „Koordinator“ der Clearingstelle in Sachsen.117 Der unklare und teils chaotische Übergangscharakter bei der Landesbildung war das Ergebnis einer ebensolchen Politik der DDR-Regierung, die ihrerseits hilflos versucht hatte, mit den ihr vertrauten Instrumentarien auf die rasante Dynamik des revolutionären Einigungsprozesses zu reagieren. Hinzu kam, dass sie unter dem Einfluss der Bundesregierung handelte, deren Ziel eine Verstärkung des zentralstaatlichen Einflusses im künftigen Bundesstaat war. Auch hier war es vor allem Vaatz gewesen, der nicht nur auf eine stärkere Beteiligung der Bezirke an der Landesbildung plädiert hatte, sondern auch dafür, die alten Länder wieder einzurichten, wie sie bis 1952 bestanden hatten. Damit wären, so seine 115 Hall, Die Hochschulgesetzgebung, S. 167. 116 Koordinierungsausschuss für die vorläufige Verwaltung des Landes Sachsen, Arbeitsstab Finanzen: Sitzung des Koordinierungsausschusses des Freistaates Sachsen am 1.11. 1990 (HAIT, KA, 3.3). 117 Siehe dazu Kap. 6.2.1.

Status Sachsens nach dem 3. Oktober 1990

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Überzeugung, alle Länder in Ost wie in West auf der Basis des Besatzungsstatuts der Nachkriegszeit zustande gekommen. Mit ihrer formalen Wiederherstellung, so seine Argumentation, wären die Länder in Ost und West gleich und „in der selben konstitutiven Lage“ gewesen. Diese Lösung war nach seiner Überzeugung durch die Bezirksverwaltungsbehörden verhindert worden, die sich aus „Angst, ihr eigenes Revier zu verlieren“, dagegen gewehrt hatten, die 1952 gebildeten Bezirke wieder im Sinne der Landesgrenzen der früheren Länder zu zerschneiden. Infolgedessen seien die Länder am 3. Oktober „zunächst einmal auf Staatsbeschluss entstanden“, womit „das konstitutive Moment gewissermaßen gar nicht“ gegeben gewesen sei. Damit seien die Länder durch „eine Zersplitterung infolge der Wiedervereinigung“ zustande gekommen, nicht aber konstitutive, staatsgründende Teile gewesen.118 Führt man sich vor Augen, dass es das Besondere der durch das Grundgesetz konstituierten Bundesrepublik Deutschland ist, dass die Bundesländer die Staatsqualität ebenso besitzen wie der Bund, die Staatlichkeit und Staatsgewalt der Länder somit rechtlich ursprünglich und unabgeleitet ist,119 so fällt der ungewöhnliche Übergangs- und Startcharakter der neuen Bundesländer besonders deutlich ins Auge. Aber nicht nur ihr staatsrechtlicher Status war kurzzeitig ungewöhnlich, auch die Bundesrepublik Deutschland insgesamt hatte vorübergehend einen veränderten Status. Für die kurze Übergangszeit vom 3. Oktober bis zur Wahl der Ministerpräsidenten der neuen Bundesländer bestand sie sowohl aus eigenständigen westlichen Bundesländern als auch aus fünf vom Bund abhängigen und gelenkten Gliedstaaten einer vorübergehend, aber seit ihrer Gründung erstmals nur teilföderativen Bundesrepublik. Wegen dieses Intermezzos im Oktober 1990 kann heute nicht mehr behauptet werden, die Bundesrepublik sei seit ihrer Gründung stets ein föderativer Bundesstaat gewesen. Indem sie nach dem vorgezogenen Beitritt übereilt das Erbe der trotz gegenteiliger Verfassungsbehauptung bis zuletzt zentralistisch strukturierten und agierenden DDR antreten musste, wirkte sich deren staatsrechtliche Organisation, vermittelt durch den Einigungsvertrag als rechtliche Grundlage der staatsrechtlichen Interimszeit nach dem 3. Oktober, auf die Strukturen der Bundesrepublik Deutschland aus. Erst im November kehrte in dieser Hinsicht wieder föderale Normalität in Deutschland ein. Dabei war der konfuse Zustand natürlich auch nicht das von beiden deutschen Regierungen angestrebte Ziel gewesen, sondern hing mit der sich aus der Dynamik des Einigungsprozesses und der sich zuspitzenden Krise der DDRStaatlichkeit im Sommer 1990 ergebenden Verschiebung der Termine der Landtagswahlen und des Beitritts zusammen. Noch im Mai hatte es das Bundesinnenministerium nicht ausgeschlossen, dass die DDR zum Zeitpunkt des Beitritts nicht in Länder gegliedert sein würde bzw. die Länder noch keine funktionsfähigen Verfassungsorgane besitzen würden. Daher sollten Übergangsvorschriften geschaffen werden. Bis zur Bildung von Länderregierungen könnten, 118 Interview Arnold Vaatz am 9. 6.1999. 119 Vgl. Boehl, Landesverfassungsgebung im Bundesstaat, S. 582.

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so hieß es, deren Aufgaben geschäftsführend vom DDR-Ministerrat wahrgenommen werden.120 Bereits Ende Juni hatte sich die Lage völlig verändert, und es zeichnete sich ab, dass die Landtagswahlen in den neuen Bundesländern wahrscheinlich gemeinsam mit denen in Bayern, nämlich am 14. Oktober, durchgeführt werden würden. Pläne der DSU, Landtags- und Bundestagswahlen zusammenzulegen, hatte Preiß abgelehnt. Ziel seiner Regierung war es, einigermaßen funktionstüchtige Länder ins vereinte Deutschland einzubringen. Das war nach seiner Überzeugung bei einem einheitlichen Wahltermin nicht möglich.121 Anfang Juli hatte Staatsminister Klaus Reichenbach bestätigt, die Regierung wolle sich mit allen Parteien über diesen Termin verständigen.122 Am 22. Juli hatte Preiß vor der Volkskammer vorgeschlagen, den noch zu bestimmenden Tag der Landtagswahlen als Tag der staatsrechtlichen Existenz der Länder festzulegen. Die im Länderbildungsgesetz benannten Termine für die Konstituierung der verfassungsgebenden Landesversammlungen gewährleisteten demnach eine schnelle, praktische Funktionsfähigkeit der Länder.123 Ziel der Regierung de Maizière war es in dieser gesamten Zeit, der Bundesrepublik mit funktionstüchtigen DDR-Ländern beizutreten. Freilich kam es anders, und die neuen Bundesländer wurden bereits am 3. Oktober, zeitgleich mit dem DDRBeitritt, gewissermaßen per Kaiserschnitt ins Leben geholt. Damit und mit dem Untergang der DDR als Staat und Völkerrechtssubjekt war für das ursprünglich für den 14. Oktober mit Bildung von DDR-Ländern geplante Inkrafttreten von DDR-Recht kein Platz mehr. Die neuen Länder wurden weder allein nach DDR-, noch nach Bundesrecht gebildet. Vielmehr regelte der Einigungsvertrag als bilateraler Vertrag zwischen beiden deutschen Staaten die Länderbildung. Artikel 1 stellte fest, dass die neuen Länder nach den Bestimmungen des in den Vertrag übergeleiteten Ländereinführungsgesetzes am 3. Oktober Länder der Bundesrepublik sein würden. Zum fortgeltenden Recht der DDR gehörte laut Einigungsvertrag auch die Bestimmung des Paragraphen 23 LEG zu den Landtagen als verfassungsgebenden Versammlungen.124 Demnach wurden am 14. Oktober auch die Landtagsabgeordneten noch nach bilateral vereinbarter, zentraler Gesetzgebung gewählt. Insgesamt war der staatsrechtliche Status der neuen Bundesländer nach dem 3. Oktober somit vor allem die Folge des vorgezogenen und mit der Länderbildung gekoppelten Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland. Die rechtliche Grundlage der Arbeit nach dem 3. Oktober stellte 120 Aufzeichnung des Bundesministers des Innern vom 28. 5.1990: Grundstrukturen eines Staatsvertrages zur Herstellung der Deutschen Einheit (BMI, GE-020056/0 Band 3). Text in: Dokumente zur Deutschlandpolitik. Deutsche Einheit. Sonderedition aus den Akten des Bundeskanzleramtes 1989/90, S. 1151–1154. 121 Vgl. Der Tagesspiegel und ND vom 28. 6.1990, FR vom 28. 6.1990. 122 Vgl. Die Welt vom 29. 6. und 2. 7.1990. 123 Ausführungen des Ministers für regionale und kommunale Angelegenheiten, Manfred Preiß, zum Ländereinführungsgesetz vor der Volkskammer am 22. 7.1990 (BArch B, DO 5, 17/262–17/276). 124 Vgl. von Mutius/Friedrich, Verfassungsentwicklung, S. 267; Boehl, Landesverfassungsgebung im Bundesstaat, S. 573 f.

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der Einigungsvertrag als ein Vertrag zwischen zwei Staaten einer Nation dar. In ihm war ein Teil des Rechtes der DDR aus ihrer demokratischen Phase als nach dem Beitritt fortgeltendes Recht fixiert. Neben dem nun zugleich geltenden bundesdeutschen Recht war eine der Existenzgrundlagen Sachsens zwischen dem 3. Oktober und der Wahl des Ministerpräsidenten somit fortgeltendes Recht der DDR.125

6.1.4 Veränderungen des föderativen Systems im vereinten Deutschland Neben die Diskussion, ob eine Reföderalisierung stattgefunden habe oder nicht und ob die Länderbildung zu Recht eher zentral oder regional dominiert gewesen sei, trat bald eine eminent wichtige, weil das künftige föderative System des vereinten Deutschlands direkt betreffende Debatte. Sie betraf den Zustand und die Zukunft des Föderalismus in Deutschland nach der Wiedervereinigung. Im Westen, so Georg Milbradt, sah man das wiedervereinigte Deutschland eher als eine erweiterte Bundesrepublik an, nicht als etwas qualitativ Neues. Juristisch sei diese Ansicht sicher richtig, politisch und ökonomisch seien die gesamtdeutschen Probleme jedoch in wesentlichen Teilen andere als die der alten Bundesrepublik. Diese sei „durch die Vereinigung untergegangen“.126 In der Tat brachte der Zusammenschluss der beiden Staaten gravierende institutionelle Veränderungen, bei denen es angebracht war, darüber nachzudenken, „ob wir es nicht mit einem völlig anderen Bundesstaat zu tun haben als vor der Vereinigung“;127 immerhin war der Beitritt „der tiefste Einschnitt in das föderale System der Bundesrepublik seit 1949“.128 Der Zuwachs an neuen Bundesländern brachte den Bundesstaat dabei in seine schwerste Bewährungsprobe. Durch Vereinigung und Länderneubildung wurde das föderative Gefüge zusätzlich zu den Auswirkungen der europäischen Einigung erschüttert.129 Die Anpassungsfähigkeit des föderativen Systems steht seitdem vor der doppelten Herausforderung durch den europäischen wie deutschen Einigungsprozess.130 Man baue darauf, so Bayerns Ministerpräsident Max Streibl noch im April 1991, „dass die fünf neuen Länder den bundesstaatlichen Charakter unseres Vaterlandes stärken werden“.131 Die föderale Solidarität in der Bundesrepublik Deutschland, so Bundespräsident Johannes Rau im Jahr 2000, habe seine

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Siehe Kap. 7.1.5. Milbradt, Strategien für die Zukunft, S. 570 f. Benz, Reformbedarf, S. 455. König/Meßmann, Organisations- und Personalprobleme, S. 86. Vgl. Benz, Perspektiven des Föderalismus, S. 586 und 592 f.; Hesse, Das föderative System, S. 431. 130 Vgl. Hesse/Renzsch, Zehn Thesen, S. 563. 131 Statement Max Streibls vor dem Verein der Bayerischen Landtagspresse am 9. 4.1991: Die Zukunft der alten und neuen Länder in der Bundesrepublik Deutschland (BayStK, Baer).

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Bewährungsprobe „mit Bravour“ bestanden.132 Solch euphemistische Beurteilungen werden in der Wissenschaft kaum geteilt. Hier sieht man gravierende Veränderungen im föderativen System, die nicht ausschließlich auf die Wiedervereinigung und die Bildung der neuen Bundesländer zurückzuführen sind, auf jeden Fall aber eine Reform des Föderalismus angezeigt sein lassen. Das föderative System Deutschlands war und ist sowohl durch eine vielfältige Kooperation zwischen dem Zentralstaat und den Gliedstaaten als auch zwischen diesen, sowie durch mannigfaltige und teilweise sehr engmaschige Politikverflechtung gekennzeichnet. In dieses Netz von Selbstkooperation und Politikverflechtung sind seit 1990 die neuen Bundesländer eingebunden.133 Letztere Tatsache hat freilich zu einer problematischen Veränderung der Struktur des Föderalismus geführt.134 Während der deutsche Föderalismus auf europäischer Ebene immer mehr Modellcharakter anzunehmen beginnt, mehren sich die kritischen Stimmen, denen zufolge sich die strukturellen Vorteile des föderalstaatlichen Systems der Bundesrepublik aufgrund der mit dem Beitritt der neuen Länder verbundenen Probleme in ihr Gegenteil verkehren könnten. Dies gilt vor allem mit Blick auf die ungleichen Länderstrukturen, das Aufbrechen neuer Disparitäten, erschwerte Willensbildungs- und Abstimmungsprozesse sowie Zentralisierungstendenzen im Verhältnis zwischen Bund und Ländern.135 Die alte Bundesrepublik war „ein sorgfältig austariertes System von Chancen und Möglichkeiten“. Man könne sich das, so Biedenkopf, „vorstellen wie ein Mobile mit Hunderten von Teilen. Was passiert nun, wenn ich eins von diesen Gewichtchen verändere? Dann geht ein leichtes Vibrieren durch das ganze Mobile.“ Mit der deutschen Einheit aber sei „plötzlich ein Pfundgewicht in das Mobile gehängt“ worden. Damit sei „das ganze System aus dem Gleichgewicht“ gekommen.136 Dazu trugen mehrere Ursachen gleichzeitig bei. So stieg die Zahl der Bundesländer von 11 auf 16 an. Daraus ergaben sich zum Beispiel Probleme für die Permanenz von Wahlen. Bei zeitlich gestreuten Landtagswahlterminen droht das Land im Dauerwahlkampf zu versinken, bei zusammengefassten Terminen gewinnen die Landtagswahlen noch mehr als früher die Bedeutung von Richtungsentscheidungen für den Bund. Die Anzahl der Bundesländer stieg aber nicht nur, vor allem erhöhte sich dank der Entscheidung der Regierung de Maizière für das von Wissenschaftlern abgelehnte Fünf-Länder-Modell der Anteil kleinerer und wirtschaftsschwacher Länder. Dies wiederum führte zu einer quantitativen und strukturellen Veränderung der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat, der am 9. November 1990, bei seiner ersten Sitzung in Berlin seit 1959, 132 Johannes Rau: „Geprägte Form, die lebend sich entwickelt. Vor zehn Jahren beschloss die Volkskammer die Bildung von Ländern in der DDR.“ In: Thüringer Allgemeine vom 22. 7. 2000. 133 Vgl. Laufer/Münch, Die Neugestaltung, S. 228. 134 Vgl. Schmidt, Die politische Verarbeitung, S. 453. 135 Vgl. Hesse, Das föderative System, S. 446; Rutz/Scherf/Strenz, S. 132; Reichard, Auf dem Wege, S. 394. 136 Interview Kurt Biedenkopf. In: Wochenpost vom 8.10.1992.

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um die fünf neuen Länder erweitert wurde. Dadurch gewannen die unionsgeführten Länder hier wieder die Mehrheit, die sie im Mai 1990 durch den Wahlsieg Gerhard Schröders in Niedersachsen verloren hatten. Aber nicht nur gewann die Union zeitweilig die Mehrheit in der Länderkammer zurück, dauerhaft waren von nun an die strukturschwächeren Länder hier in der Mehrzahl.137 Die Stimmendifferenzierung beträgt seitdem nicht mehr 3–4–5, sondern 3–4–5–6.138 Dadurch sollte einerseits die Bevölkerungsverteilung der einzelnen Länder innerhalb der erweiterten Bundesrepublik stärker berücksichtigt, andererseits vermieden werden, dass eine Minderheit der Bevölkerung durch eine Mehrheit im Bundesrat vertreten wird und diese gegebenenfalls die parlamentarische Mehrheit im Bundestag blockiert. Vor allem aber wollten die reicheren Flächenstaaten der alten Bundesrepublik verhindern, dass die armen Vettern und Cousinen im Osten mit den weniger wohlhabenden Westländern eine Mehrheitskoalition bilden und vor allem bei finanzpolitischen Entscheidungen dominieren könnten. Der Bundesrat besteht seit November 1990 aus 16 Ländern mit zusammen über 68 Stimmen. Diese verteilen sich wie folgt: Baden-Württemberg, Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen haben je sechs Stimmen; Berlin, Brandenburg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen je vier; Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und das Saarland je drei Stimmen. Entscheidungen im Plenum des Bundesrates bedürfen jetzt einer Mehrheit von mindestens 35 Stimmen, für eine Zweidrittelmehrheit sind 45 Stimmen erforderlich. Die 16 Ausschüsse des Bundesrates bestehen seit der Wiedervereinigung aus jeweils 16 Mitgliedern, sodass jedem Land auf Dauer der Vorsitz in einem Ausschuss zusteht. Die veränderte Zusammensetzung des Bundesrates hat Auswirkungen in parteipolitischer Hinsicht als auch unter Interessenaspekten. Die Chancen, dass sich Mehrheiten gegen die Regierungskoalition bilden, sind gestiegen. Das wiederum hat Auswirkungen auf die Regierungsfähigkeit der Bundesrepublik und auf das Verhältnis von Bund und Ländern. Immer öfter zwingen die Bundesratskonstellationen mit ihren unterschiedlichen Koalitionsregierungen in den Ländern Bundesregierung und Regierungsfraktionen des Bundestages zu einer kompromissbereiten Politik, die erheblich konsensfähiger sein muss als vor der Einheit. Außerhalb des Bundesrates wurde die Ländersolidarität durch die Vereinigung erschwert und zum Teil unmöglich gemacht.139 Gradmesser für diesbezügliche Grenzen der Anpassungsfähigkeit und Stabilität des föderativen Systems der alten Bundesrepublik war hier immer der Streit um den Länderfinanzausgleich gewesen, der vor allem seit Mitte der achtziger Jahre das Bund-LänderVerhältnis wesentlich mitgeprägt hatte. Ursache für wachsende Spannungen waren seitdem und bis 1990 horizontale Verteilungskonflikte zwischen den Län137 Vgl. Scharpf, Föderalismus an der Wegscheide, S. 582. 138 Siehe Kap. 5.4.3. 139 Vgl. Schmidt, Die politische Verarbeitung, S. 453.

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dern gewesen. Mit der deutschen Einheit verschärften sich diese nicht nur, es entfielen seitdem auch wesentliche Voraussetzungen für strukturimmanente Anpassungsprozesse in den Bund-Länder-Beziehungen. Im Verhältnis zwischen den Ländern kam es seitdem zu massiven Verteilungsproblemen. Durch den Aufbau in den neuen Bundesländern wurden Ressourcen aus dem Westen abgezogen. Gegen die Umschichtung von Finanzmitteln leisteten und leisten die alten Länder Widerstand.140 Die Schwäche der neuen Länder hat somit zur Folge, dass das relative Gleichgewicht zwischen den alten Ländern ins Wanken geriet. Seit 1990 gibt es Asymmetrien, zunehmende Verteilungskämpfe und Abhängigkeiten der neuen Länder vom Bund.141 Die Ungleichgewichte behindern eine kooperative Politik; verstärkte Verteilungskämpfe stellen die etablierten Verfahren solidarischen Handelns infrage, die Herausbildung einer „Zwei-Klassen-Gesellschaft“ zwischen den Bundesländern verschiebt die gebietskörperschaftlichen Gewichte.142 Die Folge ist eine „Schieflage“ im föderativen System „mit geographischer West-Ost-Ausrichtung“.143 Da die neuen von den alten Ländern zwar Verwaltungshilfe, aber wie die Verhandlungen um deren Beteiligung an den finanziellen Lasten der Vereinigung zeigten, möglichst wenig finanzielle Unterstützung erwarten durften, konnten sie nur durch massive Hilfen des Bundes in die Lage versetzt werden, ihren Aufgaben gerecht zu werden. Das hat sie schon seit ihrer Bildung vom Bund abhängig gemacht. Dieser gewann Einfluss auf die Landespolitiken, der auch genutzt wurde. Damit verstärkten sich „Zentralisierungstendenzen“,144 die der Bund schon in den Verhandlungen zur deutschen Einheit offen angestrebt hatte. Der Bund hat seit der Wiedervereinigung einen Einfluss- und Kompetenzzuwachs realisiert. Mit erheblichem finanziellen Mitteleinsatz fördert er seitdem wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische sowie infrastrukturelle, kulturelle und städtebauliche Maßnahmen in den neuen Ländern. Die Mittel wurden und werden durch Steuererhöhungen eingetrieben. Dass der Bund durch seine Unterstützungsleistungen von Beginn an in die Kompetenzen der Länder eingriff, wurde von diesen zwar teilweise beklagt – so protestierte die Kultusministerkonferenz im April 1991 gegen die Einschränkung der Kulturhoheit der Länder –, ernsthafte Widerstände aber gab es nicht, schon gar nicht im Chor der Länder. Über Finanzhilfen, auf die die leistungsschwächeren Länder angewiesen waren, konnte der Bund die Länder immer wieder dazu gewinnen, bundespolitischen Interessen den Vorrang vor landespolitischen einzuräumen. Die Rede ist in diesem Zusammenhang von „goldenen Zügeln“ und einer „Angebotsdiktatur“ des Bundes.145 Die neuen 140 Vgl. Benz, Reformbedarf und Reformchancen, S. 458–460. 141 Vgl. Häußer, Die Staatskanzleien, S. 120; Mampel, Föderalismus, S. 95 f.; Benz, Perspektiven des Föderalismus, S. 586 f.; Scharpf, Föderalismus an der Wegscheide, S. 579 f.; Reichard, Auf dem Wege, S. 394. 142 Vgl. Hesse, Das föderative System, S. 437 f.; Hesse/Renzsch, Zehn Thesen, S. 562 f.; Scharpf, Föderalismus an der Wegscheide, S. 583. 143 König/Meßmann, Organisations- und Personalprobleme, S. 86. 144 Hesse, Das föderative System, S. 437 f. Vgl. Hesse/Renzsch, Zehn Thesen, S. 562 f. 145 Ebd., S. 565.

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Länder aber sind dank ihrer unzureichenden Finanzausstattung politisch und administrativ zu schwach, um sich gegen eine nach der Maxime „wer zahlt, schafft an“ praktizierte Ausweitung der Bundesverantwortung zu sträuben.146 Die alten Länder aber müssen diese Praxis solange akzeptieren, wie sie selbst nicht in der Lage oder willens sind, zusätzliche eigene Mittel umzuverteilen. Dieser Grundkonflikt zwischen den Ländern schwächt wiederum ihre politische Position gegenüber dem Bund, wenn es um die Verhinderung von Zentralisierungstendenzen geht. Aber auch der Bund hat durch die Einheit nicht unbedingt größere Gestaltungsmöglichkeiten gewonnen. Vielmehr wurde er mit den finanziellen Folgen der deutschen Einheit in einem Maße überlastet, die seine Handlungsfähigkeit erheblich reduziert hat. Deutliches Kennzeichen dafür ist seine hohe Verschuldung.147 Mit der Verlagerung von Steuerungskompetenzen auf den Bund verliert die Landespolitik an Bedeutung, gleichzeitig droht der Bund finanziell überfordert zu werden. Dennoch ist der Zentralisierungsgrad der föderativ strukturierten Bundesrepublik im internationalen Vergleich natürlich immer noch ausgesprochen niedrig. Der Bund war bislang in einer vergleichsweise schwachen Position, sofern es um autonome zentralstaatliche Politik ging. Problematisch könnte es werden, weil angesichts der Vorteile, die die ärmeren Länder durch ihre Abhängigkeit vom Bund haben, eine neue Machtkonstellation rechnerisch möglich ist, bei der es zu einer dauerhaften Koalition zwischen Bund und strukturschwachen Ländern gegen strukturstarke Länder kommt.148 Die ursprünglichen Hoffnungen der alten Länder, durch die neuen Bundesländer eine Stärkung ihrer Position zu erreichen, haben sich so jedenfalls nicht erfüllt. Es ist bislang nicht gelungen, den „zwar schleichenden, aber doch ständigen Kompetenzverlust der Länder“ zu revidieren.149 Der Versuch der Länder, die deutsche Einheit zu nutzen, um die im Grundgesetz vorgegebene Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern zugunsten einer Stärkung der Länderkompetenzen infrage zu stellen, hat einer differenzierteren Lösung Platz gemacht, die auf allen Seiten Gewinner und Verlierer kennt.150 Die Lage ist seit der Einheit gekennzeichnet vom Zusammenfallen von Bund-Länder-Konflikten um Zentralisierung oder Dezentralisierung von Aufgaben mit Verteilungskonflikten zwischen den Ländern. Je mehr die alten Länder einer Umverteilung von Ressourcen zugunsten der neuen Länder Widerstand entgegensetzten, desto mehr wurde der Bund gezwungen, zugunsten der neuen Länder zu intervenie146 Scharpf, Föderalismus an der Wegscheide, S. 582. 147 Vgl. Benz, Reformbedarf und Reformchancen, S. 457 f. 148 Vgl. Schmidt, Die politische Verarbeitung, S. 453. Daneben wurde aber auch die Gefahr gesehen, dass durch die Patenschaften zwischen Ost und West die schwächeren der neuen Länder mittelfristig zu „Trabantenländern“ und unselbständigen Provinzen werden, „deren faktische Eigenständigkeit auf diejenige von Selbstverwaltungskörperschaften herabzusinken droht“. Kaufmann, Bundesstaat, S. 162. Dieses Szenario schient aber im Vergleich zu den Zentralisierungstendenzen eher unwahrscheinlich. 149 Hirche, Die Funktionen der Länder, S. 58. 150 Vgl. Fiedler, Die Regelung der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen, S. 1264.

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ren. Zöge sich der Bund aus der Unterstützung der neuen Länder zurück, müssten entweder die alten Länder einspringen oder das Wohlstandsgefälle zwischen West und Ost würde aufrechterhalten. Dies kann erhebliche politische Spannungen erzeugen und dürfte die Position der Länder gegenüber dem Bund schwächen. Angesichts der verschiedenen, sich gegenseitig bedingenden Sachverhalte scheint hinsichtlich der künftigen Funktionsfähigkeit des Bundesstaates Skepsis angebracht und eine grundlegende Reform des Bundesstaates dringend geraten zu sein.151 Insgesamt hat der Föderalismus bei der deutschen Einigung und bei der Verarbeitung der Folgeprobleme, nüchtern betrachtet, eher Schaden genommen. Es gibt seitdem einen höheren Zentralisierungsgrad als zuvor und der Bundesstaat ist reformbedürftiger als je zuvor. Die eigentliche Nagelprobe auf die Leistungsfähigkeit des Föderalismus im vereinten Deutschland steht daher noch aus. Es muss sich zeigen, ob der Föderalismus zur Selbstreform fähig ist. Dazu gehört auch die Neugliederung des Bundesgebietes in einer Form, die an Stelle von strukturschwachen Ländern im Osten und im Westen Deutschlands leistungsfähigere Länder setzt.152 Insofern bewahrheitet sich die Prognose von Minister Preiß vom Sommer 1990, dass die Fünf-Länder-Lösung im Osten Deutschlands nur eine vorübergehende, den Zwängen des Einigungsprozesses geschuldete sein könne.

6.1.5 Fortgang der Diskussion über eine Länderneugliederung nach der Einheit Angesichts dieses sich frühzeitig abzeichnenden Sachverhalts war es wohl kein Wunder, dass die Ende 1989 eingesetzte Diskussion über eine Länderneugliederung auch während und nach der Vereinigung nicht abriss.153 Im August 1990 sprach sich Hessens Ministerpräsident Walter Wallmann erneut für eine Länderneugliederung aus. Es sei mit dem Selbstbewusstsein der Länder nicht vereinbar, auf Dauer auf Finanzausgleich angewiesen zu sein. Probleme werde es freilich geben, so räumte er ein, wenn es plötzlich weniger Landesverbände, Landesvorsitzende, Ministerpräsidenten, Minister sowie Vorsitzende von Landesgewerkschaften und sonstigen Organisationen geben solle.154 Möglicherweise sind es aber tatsächlich derartige Egoismen, die Veränderungen im Wege stehen. Es widerspricht den Regeln des politischen Geschäfts, zum eigenen Machtverlust beizutragen. Die Regierung de Maizière war hier aufgrund des deutlichen Wählerauftrages zur Selbstdemontage die Ausnahme. Anders als Ministerpräsident Wallmann widersprach die rheinland-pfälzische FDP Anfang 151 Vgl. Benz, Reformbedarf und Reformchancen, S. 458–460. 152 Vgl. Schmidt, Die politische Verarbeitung, S. 453. 153 Zu Diskussion über eine Neugliederung in den 90er Jahren vgl. Matz, Länderneugliederung, S. 110 f. 154 Vgl. Rheinische Post vom 9. 8.1990.

Fortgang Diskussion Länderneugliederung

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September nachdrücklich allen Bestrebungen, das Bundesgebiet im Zuge der deutsch-deutschen Vereinigung neu zu gliedern,155 und rief prompt den Widerspruch des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten, Carl-Ludwig Wagner, hervor. Dieser betonte wie Wallmann die Notwendigkeit einer Neugliederung, die innerhalb der nächsten ein bis zwei Jahre in Angriff genommen werden müsse. Ziel sei die Schaffung von acht bis zehn Ländern. Infrage käme ein Zusammenschluss mit dem Saarland, aber auch mit Hessen, wenn dieses nicht mit Thüringen fusionieren wolle. Rückendeckung erhielt er vom schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten, Björn Engholm, der ebenfalls für acht, höchstens zehn Länder plädierte.156 Im Stuttgarter Landtag setzte sich Ende September gar eine breite Mehrheit der Fraktionen für eine Länderneugliederung ein. Erwin Teufel bezeichnete sie wegen des Finanzausgleichs als „objektive Notwendigkeit“.157 Nach dem Beitritt ging die Diskussion weiter, freilich hatten sich die Voraussetzungen für eine Länderneugliederung insofern verschlechtert, als nun die kleinen Länder in der Mehrheit waren, die eine Politik kaum noch akzeptierten, die ihren Bestand bedroht. Durch die neuen Bundesländer in der einmal geschaffenen Form wurde eine Länderneugliederung somit eher erschwert als erleichtert. Schon die Art ihrer Entstehung hatte freilich darauf hingedeutet, dass kurz- oder mittelfristig nicht mit einer Neugliederung zu rechnen war.158 Ungeachtet dessen meldete sich bereits unmittelbar nach der Wiedervereinigung erneut Wallmann zu Wort und verlangte eine Länderneugliederung, sobald sich die neuen Länder konstituiert hätten.159 Bei der ersten Konferenz der Ministerpräsidenten der Länder nach dem Beitritt im Oktober in Hannover, an der erstmals die Landesbeauftragten der neuen Länder teilnahmen, wurde die Diskussion nicht vertieft. Einig waren sich die meisten Teilnehmer aber bereits, dass Änderungen angesichts der Finanzschwäche einiger alter und der neuen Länder zwar geboten, politisch aber kaum durchsetzbar seien.160 Im Vorfeld des Treffens sprach sich nun auch Bundesbildungsminister Jürgen Möllemann vehement für ein Acht-Länder-Modell aus.161 SPD-Chef Hans-Jochen Vogel empfahl hingegen Zurückhaltung,162 während sich Willy Brandt im Dezember ausdrücklich für eine Länderneugliederung aussprach. Aber auch er äußerte Skepsis hinsichtlich der Realisierbarkeit.163 Für Lothar Späth wiederum war die Frage der Länderneugliederung anders als für Erwin Teufel zum Jahresende passé. Sie werde, obwohl notwendig, in der Praxis nicht gelingen. Nach Späth hätte es 155 Beschluss des außerordentlichen Landesparteitages der FDP am 1. 9.1990. Betr.: Länderneugliederung (KAS, Wiss. Dienste, Pressedokumentation). 156 Vgl. Handelsblatt vom 4. und 7. 9.1990; Süddeutsche Zeitung vom 17. 9.1990. 157 Stuttgarter Zeitung vom 20. 9.1990. 158 Vgl. Benz, Reformbedarf, S. 469; Wurzel, Zur Neugliederung, S. 91 f. 159 Vgl. dpa vom 8.10.1990. 160 Vgl. Die Welt vom 20.10.1990. 161 Vgl. Rhein-Zeitung vom 18.10.1990. 162 Vgl. dpa vom 1.11.1990. 163 Vgl. FAZ vom 15.12.1990.

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einen Sinn ergeben, Thüringen mit Hessen und Niedersachsen mit Sachsen-Anhalt zu verbinden. Von den neuen Bundesländern hielt er nur Sachsen wirtschaftlich und finanziell für überlebensfähig. Ähnlich wie Späth war SPD-Fraktionschef Dieter Spöri zwar auch für eine Gebietsreform, meinte aber, dass die Fixierung auf alte Ländergrenzen im Osten Deutschlands so gut wie unüberwindbar sei.164 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang ein Schreiben von Hans-Peter Mengele an den sächsischen Justizminister Steffen Heitmann von Ende Februar 1991. Die politischen Probleme in den neuen Bundesländern, so Mengele, träten langsam in der Dimension zutage, wie sie nach Jahrzehnten sozialistischer und nationalsozialistischer Misswirtschaft zu erwarten gewesen seien. Leider sei der große Schwung bei der Umsetzung der deutschen Einheit stark erlahmt, und er habe zunehmende Zweifel, ob überhaupt das geeignete innerstaatliche Verfassungsgefüge gewählt worden sei. Er äußerte die Befürchtung, die fünf neuen Bundesländer seien unter den gegebenen Bedingungen nicht lebensfähig. Wie Späth meinte er, man hätte die westlichen Länder härter in die Pflicht nehmen und Mecklenburg-Vorpommern mit Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt und Thüringen mit Hessen bzw. Niedersachsen und Brandenburg mit Berlin zu Bundesländern vereinigen sollen. Diese hätten über das komplette Instrumentarium verfügt, um die Verpflichtung zur raschen Angleichung der Lebensbedingungen zu verwirklichen. Als einziges neues Land hätte Sachsen die Hilfe der anderen erhalten müssen.165 Die Diskussion zeigte, wie schon im Sommer 1990, dass das Für und Wider einer Länderneugliederung aus westlicher Sicht eng mit der Frage des Länderfinanzausgleichs verbunden war, während es in den neuen Bundesländern eher um Fragen der neugewonnenen Selbstbestimmung und regionalen Identität ging. Bayerns Finanzminister, Georg von Waldenfels, forderte Ende Januar 1991 eine Neugliederung der Länder, weil 16 vorwiegend kleinere Länder nicht überlebensfähig seien. Der Länderfinanzausgleich bringe die finanzschwachen Länder immer mehr in die Abhängigkeit des Bundes.166 Freilich hatte sich auch Bayern von Anfang an vehement für eine Neubildung der früheren fünf Länder in der DDR eingesetzt und damit die Schaffung kleiner Länder unterstützt. Nun setzten das Saarland und Bremen als ärmste Länder der alten Bundesrepublik im Kampf um ihre künftige Selbständigkeit auf eine Koalition mit den noch finanzschwächeren fünf neuen Ländern. Ende Januar erklärten der saarländische Finanzminister Hans Kasper (SPD) und Bremens Finanzsenator Claus Grobecker (SPD), es sei ihr Ziel, in den nächsten Monaten eine „neue Phalanx“ im Bundesrat zu schmieden. Mit einer Sperrminorität von 25 der insgesamt 68 Stimmen wollten sie eine Neugliederung der Länder vermeiden.167

164 Vgl. Die Welt vom 31.12.1990. 165 Hans-Peter Mengele an Steffen und Christine Heitmann vom 27. 2.1991 (HAIT, Heitmann, Kontakte nach Baden-Württemberg). 166 Vgl. dpa vom 30.1.1991. 167 dpa vom 31.1.1991.

Fortgang Diskussion Länderneugliederung

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Rückendeckung erhielten die Verfechter kleinerer Länder im Februar 1991 vom Züricher Professor Peter Bohley, der meinte, die mit der Diskussion über eine Neugliederung einhergehende Debatte um eine neue Sitzverteilung im deutschen Bundesrat zeige, dass es in erster Linie um die Wahrung bestehender Einflüsse einiger Länder auf die bundesstaatliche Gesetzgebung, um Sperrminoritäten und ähnliches gehe. Er sprach sich deutlich gegen eine Zentralisierung und Entföderalisierung im Sinne der Schaffung größerer Länder aus, wie sie sich in der Diskussion über die Zusammenlegung kleinerer Bundesländer ausdrücke. Die USA, so sein Argument, setzten sich aus 50 Gliedstaaten zusammen, deren kleinster (Wyoming mit 471 000 Einwohnern) gegenüber dem größten (Kalifornien mit 28,2 Millionen Einwohnern) im Verhältnis von 1 zu 60 stehe. Die Schweiz habe 26 Gliedstaaten und ein Verhältnis des kleinsten (Appenzell-Innerrhoden mit 13 300 Einwohnern) zum größten (Kanton Zürich mit 1,14 Millionen Einwohnern) von 1 zu 87. Die deutschen Länder seien nach ihrer Bevölkerung viel ausgeglichener. Bremen und Nordrhein-Westfalen stünden demnach im Verhältnis von 1 zu 25. Aber weder in den USA, noch in der Schweiz gebe es Bestrebungen zu einem Zusammenschluss; im Gegenteil: In der Schweiz werde die 1979 erfolgte Neubildung des kleinen und durchaus strukturschwachen Kantons Jura (mit 65 000 Einwohnern) durch Abtrennung vom Kanton Bern eher als Stärkung und als Zeichen der Vitalität des Schweizer Föderalismus empfunden. Das Beispiel der Schweiz, in der die Kantone weitergehende Rechte als die deutschen Länder hätten, zeige zudem, dass kleinere Verwaltungseinheiten keinesfalls teurer seien als große. Im zusammenwachsenden Europa hätten nur Länder mit starken Identitäten eine Chance.168 Die weitere Diskussion verlief nun vor allem entlang der Frontlinie zwischen reicheren und größeren Ländern einerseits, die sich von einer Länderneugliederung finanzielle Entlastungen erhoffen konnten, und finanzschwächeren kleineren Ländern einschließlich der neuen Länder andererseits, die als Nehmerländer allesamt Zahlungen aus dem Länderfinanzausgleich erhielten und über eine Anzahl an Stimmen im Bundesrat verfügten, die bei einer Reform nicht zu halten wäre. Im März 1991 setzten sich Erwin Teufel, nun als neuer baden-württembergischer Ministerpräsident, und der bayerische Europaminister Thomas Goppel erneut für eine Neugliederung der Bundesländer ein. Teufel meinte, es sei kein Ruhmesblatt der bundesdeutschen Geschichte, dass der Auftrag zur Länderneugliederung nicht verwirklicht und auch die Chance der Wiedervereinigung nicht genutzt worden sei. Als günstig könne es sich bei einer Neuordnung erweisen, bisherige Ländergrenzen zur DDR zu überschreiten.169 Es wäre besser gewesen, wenn sich in der DDR statt fünf nur drei Länder gebildet hätten. Bei der in wenigen Jahren anstehenden Reform des Länderfinanzaus-

168 Peter Bohley: „Neugliederung – Gefahr für die Identität der Länder.“ In: FAZ vom 19. 2.1991. 169 Vgl. Teufel, Neugliederung, S. 15.

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gleichs werde man sehen, was versäumt wurde.170 Goppel schlug die Schaffung je einer großen Süd- und Nordregion vor. Wenn es bei „reinen Ost- und reinen Westländern“ bleibe, verstärke dies den politischen Zündstoff in Deutschland. Die Südschiene sollten Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Thüringen und Sachsen bilden. Sie sollte aus vier, etwa gleich großen Ländern mit jeweils rund zehn Millionen Einwohnern bestehen. In der Praxis hätte dies unter anderem den Zusammenschluss von Thüringen und Sachsen bedeutet.171 Walter Wallmann meinte ebenfalls erneut, das Thema dürfe kein Tabu sein, sondern müsse im Laufe des Jahrzehnts gestellt werden.172 Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident, Johannes Rau, gab erneut zu bedenken, dass eine an sich begrüßenswerte Länderneugliederung in naher Zukunft unerreichbar sei. Stattdessen empfahl er einen „kooperativen Föderalismus“, der die staatliche Selbständigkeit kleinerer und schwächerer Länder prinzipiell erhalte.173 Als Vertreter der neuen Bundesländer äußerten Alfred Gomolka und Manfred Stolpe demgegenüber Vorbehalte gegen eine Neuordnung.174 Brandenburg, so Stolpe ohne Bezug auf die finanzielle Dimension des Problems, habe die geschichtslose Gleichmacherei der Vergangenheit mit ein paar Schrammen und Kratzern überstanden und sei heute „vielen Heimat und gefühlsmäßige Verwurzelung“.175 Im Sommer 1991 sprach sich der Vizepräsident des Bundestages, Julius Cronenberg (FDP), für eine Verringerung der Zahl der Bundesländer von 16 auf neun bis elf aus. Nur Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg und Hessen seien wirklich lebensfähig. Als sinnvoll bezeichnete er eine Vereinigung von Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Der Bund der Steuerzahler unterstützte seinen Vorstoß. Einige Bundesländer seien finanziell allein nicht lebensfähig. In den neuen Bundesländern stießen die Vorstellungen hingegen auf Ablehnung. Der Sprecher der sächsischen Staatsregierung erklärte, derzeit sei es, nachdem die Chance einer Neugliederung 1990 verpasst wurde, vorrangig, die innere Ordnung Sachsens herzustellen.176 Hier schloss man freilich eine Neugliederung nicht prinzipiell aus, stieß aber auf wenig Gegenliebe.177 Thüringens Ministerpräsident Josef Duchac erklärte, er sei strikt dagegen, dass die Thüringer durch die Zusammenlegung von Ländern erneut „heimatlos“ würden. Es sei unsinnig, dass die neuen Länder, die langsam wieder in ihre Traditionen hineinwüchsen, diese neu gewonnene Identität zugunsten angeblich effi-

170 BPA-Nachrichtenabteilung, Ref. II A 5: Erwin Teufel zur Hilfestellung für die neuen Bundesländer (KAS, Wiss. Dienste, Pressedok.). 171 dpa vom 25. 3.1991. 172 Vgl. Wallmann, Neugliederung, S. 10; JU-Pressedienst 10/91 vom 14. 3.1991. 173 Rau, Mut zum „kooperativen Föderalismus“, S. 16. 174 Vgl. Gomolka, Gleiche Lebensverhältnisse, S. 4. 175 Stolpe, Teilen und Ausgleichen, S. 9. 176 Vgl. dpa vom 17. 7.1990; Rheinische Post vom 1. 8.1991; Süddeutsche Zeitung vom 26. 8.1991. 177 Vgl. Heribert Prantl: „Deutschland – neu gliedern.“ In: Süddeutsche Zeitung vom 18.10.1991.

Fortgang Diskussion Länderneugliederung

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zienterer künstlicher Staatsgebilde opferten.178 Rückendeckung erhielt er von den Sachsen selbst, von denen im Mai 1992 nur 42 Prozent für eine Neuordnung der Bundesländer plädierten, sofern dabei die eigenständige Existenz Sachsens als Bundesland beendet würde; 95 Prozent forderten, Sachsen müsse als eigenes Bundesland bestehen bleiben.179 Bis in die Gegenwart flammt die Diskussion immer wieder einmal auf. Ein Auslöser war das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 11. November 1999 zum Gesetz über den Finanzausgleich, mit dem das bisherige Verfahren der föderalen Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern untereinander nur noch für eine Übergangszeit bis längstens Ende 2002 bzw. 2004 für rechtmäßig erklärt wurde. Danach, so das Urteil, müssten die Finanzbeziehungen neu verhandelt werden. Im April 2000 plädierte Leipzigs Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee dafür, ein Bundesland aus Sachsen, Thüringen und Teilen SachsenAnhalts zu bilden.180 Der Vorschlag wurde von Erich Loest und Sachsens Innenminister, Klaus Hardraht, begrüßt.181 Nachdem Thüringens Ministerpräsident, Bernhard Vogel, jedoch erklärte, es gebe keine Veranlassung, über eine Länderfusion nachzudenken,182 betonte auch Biedenkopf, er halte eine Fusion nicht für notwendig. Die historisch gewachsenen Einheiten, ob sie nun größer oder kleiner seien, hätten in ihrer Vielfalt durchaus eine eigene Existenzberechtigung. Niemand käme auf die Idee, die Beneluxstaaten zu einem Land zusammenzuschließen, obwohl das von der Größe her sinnvoll wäre. Während Biedenkopf nur die Notwendigkeit infrage stellte, sprach sich Sachsen-Anhalts Ministerpräsident, Reinhard Höppner, nachdrücklich gegen eine Länderfusion aus. Die Menschen bräuchten „überschaubare Einheiten, in denen sie sich wiederfinden“.183 Was folgten, waren Verhandlungen zwischen den drei mitteldeutschen Ländern über Formen länderübergreifender Zusammenarbeit. Am Ende behielten die Kritiker der Regierung de Maizière Recht, die gemeint hatten, das es kaum möglich sein werde, einmal gebildete Länder zu fusionieren. Immerhin gibt es mit dem Begriff „Mitteldeutschland“, der sich auch im gemeinsamen „Mitteldeutschen Rundfunk“ der drei Länder Sachsen, Sachen-Anhalt und Thüringen ausdrückt, diesbezüglich eine historisch begründete und von der Bevölkerung verinnerlichte Brücke. Die sich darin ausdrückende Identifizierung mit einer Ländergrenzen überschreitenden Region könnte im Falle einer erneut und ernsthaft auf die Tagesordnung gesetzten Länderneugliederung richtungsweisend werden.

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Neue Zeit vom 6. 9.1991. Vgl. dpa vom 31.10.1991. Vgl. Schöppner/Sagurna, Sächsische Meinungsbilder, S. 53. Vgl. „Tiefensee für ein Bundesland mit Leipzig und Halle.“ In: LVZ vom 12. 4. 2000. Vgl. „Dresden dringt auf neuen Zuschnitt der Ost-Länder.“ In: Die Welt vom 10. 5. 2000. 182 Vgl. „Sachsen-Thüringen: Ein Land so groß und stark wie Hessen.“ In: LVZ vom 13. 4. 2000. 183 Thüringische Landeszeitung vom 21. 7. 2000.

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6.2

Exekutivstrukturen im Interregnum

Exekutivstrukturen und Landesbildungsfunktionen im Interregnum

6.2.1 Landesbevollmächtigter unter Kontrolle des Clearingkoordinators der Bundesregierung Ab dem 3. Oktober wirkten die von der DDR-Regierung eingesetzten Landessprecher als Landesbevollmächtigte der Bundesregierung. Ihre Aufgaben bestimmten sich nach Artikel 15 des Einigungsvertrages, in dem die Übergangsregelungen für die Landesverwaltung festgelegt waren. Demnach nahmen die Landessprecher in den neuen Bundesländern ihre bisherigen Aufgaben vom Beitritt bis zur Wahl der Ministerpräsidenten in der Verantwortung der Bundesregierung wahr und unterstanden deren Weisungen. Die Landessprecher hatten als Landesbevollmächtigte die Verwaltung ihres Landes zu leiten und dabei ein Weisungsrecht gegenüber den Bezirksverwaltungsbehörden sowie bei übertragenen Aufgaben auch gegenüber den Gemeinden und Landkreisen. Sie konnten ab dem 3. Oktober an den Sitzungen des Bundesrates mit beratender Stimme teilnehmen.184 Auch an der Jahreskonferenz der Ministerpräsidenten am 18. und 19. Oktober nahmen die neuen Länder nur als Gäste teil. Auf Vorschlag Späths verzichteten die Ministerpräsidenten aber wenigstens hier auf weitreichende Beschlüsse, um die neuen Bundesländer nicht erneut vor vollendete Tatsachen zu stellen.185 Auf Grundlage des Einigungsvertrages erließ die Regierung de Maizière am 17. September „Regelungen zu Stellung, Aufgaben und Befugnissen der Landessprecher als Landesbevollmächtigte“ ab dem 3. Oktober. Sie regelte damit, einem politischen Testament gleich, die Aufgaben, welche die Landessprecher als Landesbevollmächtigte nach dem Ende der DDR haben würden. Verbindlichkeit konnte dies nicht mehr beanspruchen, eher handelte es sich um Empfehlungen. Die gesetzliche Grundlage für ihr Handeln stellte allein der Einigungsvertrag dar, deren Wortlaut auch weitgehend übernommen wurde. Nach den „Regelungen“ waren die Landessprecher ab dem 3. Oktober gegenüber der Bundesregierung für alle mit der Länderbildung zusammenhängenden Aufgaben verantwortlich. Sie hatten im Sinne von Landesbevollmächtigten die Tätigkeit der Regierungsbevollmächtigten und der Bezirksverwaltungsbehörden im jeweiligen Gebiet zu organisieren und koordinieren. Vorbehaltlich künftiger Entscheidungen der Landesparlamente und Landesregierungen sollten sie Festlegungen zu den Vorschlägen der Arbeitsausschüsse zur weiteren Vorbereitung der Länderbildung nach Anhörung der Regierungsbevollmächtigten treffen. Ihre Aufgaben umfassten die Vorbereitung der Bil184 Einigungsvertrag vom 31. 8.1990, Artikel 15 und 43. Text in: Texte zur Deutschlandpolitik III/ 8b. Vgl. Aufgaben der Berater des Bundes im Land Sachsen ab dem 3.10.1990 (Dok. 146). Zur Berufung und Tätigkeit des Landesprechers im September siehe Kap. 5.5.1. 185 Büro Leipzig des Landesbevollmächtigten für Sachsen, Michael Feist: Bericht für die Kabinettssitzung am 25.10.1990 (HAIT, KA, 3.3).

Landesbevollmächtigter und Clearingkoordinator

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dung funktionsfähiger Landesregierungen einschließlich der gesamten Verwaltungsorganisation, deren personelle Besetzung und räumliche Ansiedlung sowie die Erarbeitung von Verfassungs- und anderen Gesetzesentwürfen, die Wahrnehmung aller Aufgaben im Zusammenhang mit der Übertragung bzw. Übernahme von Verwaltungsvermögen in die Hoheit der Länder, die Übertragung bzw. Übernahme von Verwaltungsorganen und sonstigen der öffentlichen Verwaltung oder Rechtspflege dienenden Einrichtungen der Republik in die Hoheit der Länder gemäß Paragraph 22 des Ländereinführungsgesetzes – einschließlich der Einrichtungen, die als gemeinsame Einrichtungen der Länder weitergeführt werden sollten – die Eingliederung von Landkreisen, die im Rahmen der Länderbildung aus ihrer bisherigen Bezirkszugehörigkeit herausgelöst wurden, sowie die „Mitarbeit an der Regierungstätigkeit, um eine wirksame und sachkundige Interessenvertretung des künftigen Landes zu gewährleisten“. Letzteres sollte „vor allem die Beachtung und Wahrung der Rechte und Kompetenzen der künftigen Länder bei der Gesetzgebung und bei der Verwaltung“ betreffen, wie sie sich aus dem Ländereinführungsgesetz ergaben“. In den „Regelungen“ wurden auch „Befugnisse der Landessprecher“ definiert, die freilich ebenfalls nur insoweit Verbindlichkeit beanspruchen konnten, als sie durch die Vereinbarungen des Einigungsvertrages gedeckt waren. Sie umfassten die „im Sinne des Vorhalts der Entscheidungen des Landesparlaments bzw. der Landesregierung“ endgültige Entscheidung über die Arbeitsergebnisse der Arbeitsausschüsse zur Vorbereitung der Länderbildung, die Entscheidung bei übertragenen Aufgaben von überbezirklicher Bedeutung, sofern sie künftige Länderbefugnisse betrafen, die Vertretung des künftigen Landes gegenüber der Bundesregierung, die Teilnahme an den Kabinettssitzungen mit beratender Stimme und ein Einspruchsrecht gegen Verwaltungsentscheidungen von Bundesministerien, die Angelegenheiten des künftigen Landes betrafen.186 Vor allem mit den letzten Regelungen griff die DDR-Regierung weit in Kompetenzen des Bundes ein und definierte Befugnisse, zu deren Durchsetzung notwendige Sanktionspotentiale im Falle einer Nichtgewährleistung freilich nicht mitgeliefert werden konnten. Tatsächlich waren die Landesbevollmächtigten vollständig vom Bund abhängig. Das hing mit dem bereits beschriebenen Status der neuen Bundesländer vom 3. Oktober bis zur Wahl der Ministerpräsidenten der Länder zusammen.187 Die Landessprecher unterstanden zwar der Verantwortung und dem Weisungsrecht der Bundesregierung, waren jedoch keine Organe des Bundes oder gar Staatskommissare. Vielmehr handelte es sich um „eine besondere Form bundesstaatlicher Aufsicht über Länderorgane“.188 So unklar wie ihre Stellung war ihr Verhältnis zur Bund-Länder-Clearingstelle, die sich am 11. September unter Leitung Schäubles in Bonn konstituierte. 186 Ministerpräsident der DDR: Regelungen zu Stellung, Aufgaben und Befugnissen der Landessprecher als Landesbevollmächtigte vom 17. 9.1990 (BArch B, DO 5, 123). 187 Siehe Kap. 6.1.2. 188 Bayer, Die Konstituierung der Bundesländer, S. 1018.

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Exekutivstrukturen im Interregnum

Bei der Gründung waren unter anderem Vertreter des Bundeskanzleramtes, der Bundesministerien des Innern, für Finanzen und Wirtschaft, der Bundesländer, der kommunalen Spitzenverbände auf Bundesebene, der DDR-Regierung und die Landessprecher anwesend. Es wurde beschlossen, bei den Landessprechern Beraterstäbe zu schaffen, und zwar jeweils von Bund und Ländern mindestens acht Berater für die einzurichtenden klassischen künftigen Länderressorts, sowie je ein Berater für die Staatskanzleien und künftigen Landtage. Sie sollten aus Bundesministerien und den Landesministerien der Partnerländer kommen. Neben den Landessprechern sollte es für jedes neu zu bildende Land je einen Koordinator des Bundes und je einen gemeinsamen der westdeutschen Partnerländer geben. Letzterer sollte vom federführenden Land benannt werden. Baden-Württemberg und Bayern einigten sich darauf, dass in Sachsen Thomas Hirschle aus dem Stuttgarter Innenministerium die Funktion übernehmen und Manfred Kolbe ihn vertreten sollte. Die Koordinatoren von Bund und Ländern wurden „mit Weisungsrechten gegenüber den Ressorts spezifisch zu bestellenden Beratern seitens der Bundes- bzw. der Landesebene ausgestattet“.189 Als „Hauptarbeitsorgan, das in ständiger Besetzung die Vorbereitung der Beschlüsse der Clearing-Stelle wahrnimmt“, wurde eine Geschäftsstelle der BundLänder-Clearingstelle im Bundesinnenministerium gebildet, die am 19. September ihre Arbeit aufnahm. Seitens des Bundes war die Stelle mit hochrangigen Beamten aus verschiedenen Bundesministerien besetzt, außerdem entsandte jedes Bundesland zwei führende Landesbeamte. Es wurden vier Arbeitsgruppen gebildet, die sich mit der Überführung und Abwicklung von Landeseinrichtungen, Qualifizierungs- und Weitervermittlungsmaßnahmen von Beschäftigten, der Beseitigung von Investitionshemmnissen und der Erarbeitung von Musterstellenplänen zu befassen hatten.190 An den nun folgenden zentralen Beratungen der Bund-Länder-Clearingstelle beteiligten sich die neuen Bundesländer nach ihrer Bildung am 3. Oktober zunächst provisorisch durch ihre Landesbevollmächtigten. Erst nach Bildung der Regierungen waren sie für die verbleibende Zeit mit Sitz und Stimme durch die Chefs der Staatskanzleien vertreten. Darüber hinaus nahmen Vertreter des Deutschen Städtetages, des Deutschen Städte- und Gemeindebundes sowie des Deutschen Landkreistages an den Beratungen teil.191 Die Geschäftsstelle koordinierte den Einsatz der Beamten der fünf Außenstellen in den neuen Bundesländern und gab Hilfestellungen. Die wesentliche Arbeit aber wurde von den Clearingberatern vor Ort geleistet. 189 Ergebnisprotokoll der 1. Sitzung der Clearingstelle am 11. 9.1990 (LA Merseburg, Rep. RdB/BT 21129/2). Vgl. SMBW: Betr. Bund-Länder-Clearing-Stelle zur Durchführung des Artikels 15 des Einigungsvertrages, Bildung der Clearing-Stelle am 11. 9.1990 in Bonn (HAIT, KA, 9); Fernschreiben von Manfred Preiß an die Landesbeauftragten vom 6. 9.1990 (Brandenburg. LHA, Rep. 801, 23642). 190 Geschäftsstelle der Clearingstelle Bonn: Beratungsunterlagen vom 18.10.1990 (BArch B, DO 5, 214); Telex des BMI an das SMBW vom 13. 9.1990 (HAIT, KA, V.2); SMBW: Betr. Bund-Länder-Clearing-Stelle zur Durchführung des Artikels 15 des Einigungsvertrages, Bildung der Clearing-Stelle am 11. 9.1990 in Bonn (ebd., 9). 191 Vgl. Reusch, Starthilfe, S. 230.

Landesbevollmächtigter und Clearingkoordinator

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In jedem neuen Bundesland wurde ein Beraterstab der Clearingstelle bei den Landesbevollmächtigten gebildet. Er stand vereinbarungsgemäß unter der doppelten Leitung von zwei jeweils vom Bund sowie von den alten Bundsländern bestimmten Koordinatoren und setzte sich entsprechend dem Schema der Clearingstelle paritätisch zusammen. Die Beraterstäbe der Clearingaußenstellen ersetzten oder bündelten die bis dahin im Rahmen von Partnerschaften zwischen alten und neuen Ländern sehr unterschiedlich praktizierten Maßnahmen der Verwaltungshilfe. In jedem neuen Bundesland wurden zehn von den Ländern und zehn vom Bund benannte Berater tätig. Durch Beschluss vom 11. September wurde auch hier die Hinzuziehung von Vertretern der kommunalen Spitzenverbände ermöglicht. Clearingkoordinator des Bundes in Sachsen wurde Günter Ermisch. Dieser war zunächst Ministerialdirektor im Bundesinnenministerium und anschließend unter Minister Manfred Wörner vier Jahre als Staatssekretär im Verteidigungsministerium tätig gewesen. Nach der Affäre um General Kießling war er in die Industrie gewechselt, als ihn Staatssekretär Kroppenstedt vom Bundesinnenministerium fragte, ob er die Funktion in Sachsen übernehmen wolle. Da er der ranghöchste Beamte war, konnte er sich das Land für seinen Einsatz auswählen. Seine Familie stammte teilweise aus Sachsen, so entschied er sich für Dresden. Unklar war die oberste exekutive Zuständigkeit im interimistischen Gliedstaat Sachsen. Lag sie beim Landesbevollmächtigten Krause oder beim Clearingkoordinator des Bundes Ermisch? Noch Ende August hatte die Bundesregierung den Vorschlag der Regierung de Maizière abgelehnt, die Landesbevollmächtigten zu „Provinzialministern“ zu ernennen. Zu diesem Zeitpunkt war Preiß der künftige Status der Landessprecher noch unklar gewesen. Gegenüber den Regierungsbevollmächtigten hatte er zugeben müssen, nicht zu wissen, ob es sich bei den Landesbevollmächtigten der Bundesregierung nach dem 3. Oktober um die jetzigen Landessprecher handeln werde, „oder ob sie von Bonn direkt benannt“ würden.192 Der Einigungsvertrag bestimmte schließlich, dass die Landessprecher der DDR-Regierung ab dem 3. Oktober als Landesbevollmächtigte der Bundesregierung weiterarbeiten würden. Dabei handelte es sich um eine besondere Form bundesstaatlicher Aufsicht über Länderorgane, die bislang staatsrechtlich unzureichend untersucht worden ist. Nicht umsonst ist auf die „Unklarheiten und die Lückenhaftigkeit der Bestimmungen über die Landesbevollmächtigten“ hingewiesen worden, die wegen des kurzen Interregnums bislang auf kein sonderliches Interesse gestoßen sind.193 Das mag auch daran 192 Zit. in Festlegung aus der Dienstberatung der BVB Erfurt mit den Leitern der Ressorts am 27. 8.1990 (ThHStA, BT/RdB, 044694). 193 Bayer, Die Konstituierung der Bundesländer, S. 1018. Vgl. Häußer, Die Staatskanzleien, S. 125. Dabei ist der Auffassung Bayers zu widersprechen, dass man die Frage auf sich beruhen lassen sollte, welche hoheitlichen Befugnisse die Landesbevollmächtigten im Einzelnen wahrnehmen durften und sollten, welchen persönlichen Status sie hatten, ob das Weisungsrecht der Bundesregierung vom fachlich zuständigen Minister ausgeübt werden durfte und wie die Weisungen gegebenenfalls durchgesetzt werden konnten.

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Exekutivstrukturen im Interregnum

liegen, dass sie für die Bundesregierung und insbesondere das Bundesinnenministerium nicht gerade ein Ruhmesblatt darstellen. Festzuhalten ist, dass Gesetze und Bestimmungen der DDR, sofern sie nicht ausdrücklich von der Bundesrepublik als weiter geltendes Recht der DDR in den bundesdeutschen Rechtskorpus übernommen wurden, keine Bedeutung hinsichtlich des Status des Landesbevollmächtigten haben konnten. Abenteuerlich mutet in diesem Zusammenhang die Argumentation Dudeks von Ende August an, die Unterordnung der Landesbevollmächtigten unter die Bundesregierung basiere auf einem Beschluss der Volkskammer, so dass sie „in dieser Funktion demokratisch legitimiert“ seien.194 Natürlich konnte sich die Legitimierung nur auf die Staatlichkeit der DDR beziehen und nicht bundesdeutsche Strukturen präjudizieren. Der Status des Landesbevollmächtigten konnte sich ausschließlich aus den Bestimmungen des Einigungsvertrages ergeben. Hier stand, dass er seine bisherigen Aufgaben als gegenüber der DDR-Regierung verantwortlicher Landessprecher ab dem 3. Oktober in der Verantwortung der Bundesregierung wahrnehmen und deren Weisungen unterstehen würde. Bekannt ist auch, dass Bundesinnenminister Schäuble mit Beginn des Inkrafttretens des Einigungsvertrages am 3. Oktober bis zur Wahl einer Landesregierung die Aufsicht und das Weisungsrecht über den Landesbevollmächtigten ausübte. Rudolf Krause bestätigte seinerzeit im Interview, dass Schäuble ihm Weisungen erteilen könne. Seine Funktion bestehe darin, „entsprechende Verbindungen zu halten“, damit in diesen Wochen „kein gesetzloser Zustand“ entstehe. Ansonsten seien seine Aufgaben dieselben wie als Landesprecher.195 Er betonte zwar, dass der Bundesinnenminister die Landesbevollmächtigten „ausdrücklich ermächtigt“ habe, ihre „Befugnisse auszuschöpfen und gestalterisch tätig“ zu werden,196 die Frage seines Status, auch im Verhältnis gegenüber dem Clearingkoordinator des Bundes in Sachsen, Ermisch, blieb damit unbeantwortet. Eine verbindliche Regelung, die den Status des Bonner Clearingkoordinators definiert, liegt nicht vor. Im Ergebnisprotokoll der konstituierenden Sitzung der Bonner Clearingstelle am 11. September ist dazu lediglich festgehalten, das die Koordinatoren sowohl des Bundes als auch der Länder „mit Weisungsrechten gegenüber den Ressorts spezifisch zu bestellenden Beratern seitens der Bundes-

Dies gilt ebenso für die Frage, ob die Regelungen über den Status der Landesbevollmächtigten einen „bundesstaatswidrigen Sündenfall“ darstellen. Immerhin geht es hier um die Modalitäten der Bildung der fünf neuen Bundesländer und den vorübergehenden Status der Bundesrepublik Deutschland. Auch das Verhältnis von Landesbevollmächtigtem und oberstem Clearingberater des Bundes ist vor diesem Hintergrund noch nicht thematisiert worden. 194 Anruf Rainer Dudek am 22. 8.1990, 8.35 Uhr, Information für Minister Preiß (BArch B, DO 5, 134). 195 Interview Rudolf Krause. In: Sächsische Zeitung vom 19. 9.1990. Vgl. Das staatsrechtliche Prozedere für die neuen Länder (HAIT, KA, 3.1). 196 Stenografisches Protokoll der Arbeitssitzung bei Landessprecher Krause am 27. 9.1990 (ebd., 8).

Landesbevollmächtigter und Clearingkoordinator

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bzw. der Landesebene ausgestattet“ waren.197 Als wesentlich weitgehender beschreibt jedoch Günter Ermisch selbst seine Kompetenzen. Demnach setzte die Bundesregierung für jedes Land „Koordinatoren“ ein, welche die Rechte der Bundesregierung vor Ort wahrnahmen. Ein Grund dafür sei die Sorge gewesen, es könne „zu sozialen Unruhen“ kommen. Man habe in Bonn nicht so recht gewusst, „wie das alles läuft“. Um sicherzugehen, habe die Bundesregierung „ihren Weisungspart direkt an Ort und Stelle“ gelegt. Wegen der „Empfindsamkeit“ der entstehenden Länder, aber auch der westlichen Bundesländer im Verhältnis zum Bund seien die verantwortlichen Vertreter des Bundes „nicht als Aufpasser deklariert“ worden, sondern man habe die Bezeichnung „Koordinatoren“ gewählt. Unter ihrer Leitung sei jedoch de facto für jedes neue Bundesland eine Einrichtung als „der verlängerte Arm der Bundesregierung“ geschaffen worden. Der Begriff „Clearingstelle“ sei deswegen „ein bisschen geschönt“. Tatsächlich habe man ab dem 3. Oktober die nun allein verantwortliche Bundesregierung vertreten. Wenn nötig, hätte man in Bonn oder direkt durch die Clearingstelle Weisungen erteilt. Dazu und zu irgendwelchen Konflikten sei es nie gekommen, was auch daran gelegen habe, dass sich die Bundesbeamten der Clearingstelle „nicht als eine Nebenregierung aufspielten, die die Weisungsrechte der Bundesregierung wahrnimmt“. Tatsache sei aber gewesen, dass die Länder der Bundesregierung unterstanden.198 Auch in einem Papier über die Aufgaben der Berater des Bundes in Sachsen aus dem Herbst 1990, das wahrscheinlich aus der Feder von Ermisch stammt, heißt es, dass der Landessprecher den Weisungen der Bundesregierung untersteht. Die Berater des Bundes würden in dieser Zeit als Beauftragte die Interessen der Bundesregierung wahrnehmen.199 Landessprecher Krause, so Ermisch, habe daher nicht das Recht gehabt, der Clearingstelle gegenüber Weisungen auszusprechen. Es sei eher so gewesen, dass sich Beamte der Clearingstelle „manchmal auch unaufgefordert“ in die Sitzungen und Beratungen Krauses einschalteten, vor allem, wenn es um die innere Sicherheit ging: „Wir mussten ja aufpassen, dass das alles seine Ordnung erhielt und die äußere Sicherheit nicht von Leuten, die ihr Süppchen kochen wollten, missbraucht würde.“ Diese Gefahr habe freilich nur theoretisch bestanden, es habe nie entsprechende Probleme gegeben. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Ermisch, egal ob er nun vor allem oder gemeinsam mit Krause interimistisch das höchste Weisungsrecht in Sachsen ausübte, während der Zeit seines Einsatzes in Sachsen weiterhin von seinem Unternehmen bezahlt wurde.200 Das heißt, dass ein in der privaten Wirtschaft Beschäftigter als oberster Vertreter der Bundesregierung vor Ort einem nicht souveränen Sachsen vorstand. Das war ohne Zweifel eine abenteuerliche Konstruktion, mit der Schäuble den Gliedstaat Sachsen bedachte. 197 Ergebnisprotokoll der 1. Sitzung der Clearingstelle am 11. 9.1990 (LA Merseburg, Rep. RdB/BT, 21129/2). 198 Interview Günter Ermisch. 199 Aufgaben der Berater des Bundes im Land Sachsen ab dem 3.10.1990 (Dok. 146). 200 Interview Günter Ermisch.

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Exekutivstrukturen im Interregnum

Neben Ermisch als Clearing-Koordinator des Bundes fungierte Hirschle als Clearing-Koordinator der Partnerländer Baden-Württemberg und Bayern. Die Clearingstelle in Sachsen war keine reine Angelegenheit des Bundes. Die Bundesregierung, bei der „eine gewisse Ratlosigkeit“ hinsichtlich der konkreten Aufgaben vor Ort herrschte, bedurfte beim Aufbau der Verwaltung ohnehin „dringend der Mithilfe der Länder“.201 Trotz der formalen Einbindung der Aktivitäten der Länder in die Arbeit der Bund-Länder-Clearingstelle, die sich auch darin ausdrückte, dass die von Hirschle geleitete Koordinierungsstelle BadenWürttembergs in Sachsen „zugleich als Arbeitsstab der Clearingstelle in Sachsen“ fungierte,202 verstanden die bereits seit längerem in Sachsen tätigen Bayern und Baden-Württemberger ihre Aktivitäten als „unabhängig von der Clearingstelle“.203 Bereits im Mai hatte das baden-württembergische Innenministerium die Einrichtung einer mit baden-württembergischer Hilfe aufgebauten Stabsstelle für Verwaltungsorganisation auf der Ebene der künftigen Landesministerien in Sachsen vorgeschlagen. Sie sollte im Herbst die Organisation sowie Grundfragen der Personalplanung für die künftigen Landesministerien erarbeiten. Der frühere Abteilungsleiter Peter Schieting, der aktiv in der Gemischten Kommission mitwirkte, erklärte sich bereit, im Herbst einige Wochen in Sachsen tätig zu werden. Ferner sollten mindestens zwei „Zöglinge der Führungsakademie“ ihr „Auslands-Praktikum“ auf den Aufbau dieser Stabsstelle konzentrieren.204 Kurz vor dem Eintreffen der Bonner Clearingberater bauten die Baden-Württemberger ihre Führungsstrukturen in Sachsen aus. Am 19. Oktober benannte Hirschle, als Vorschlag umschrieben, Struktur und Aufgaben eines Landesaufbaustabes, der am 22. Oktober seine Arbeit aufnehmen sollte. Seine Hauptaufgabe bestand demnach in der „Bearbeitung von landespolitischen Schwerpunktaufgaben im Sinne eines Projektmanagements für Schwerpunkte der Landespolitik“. Der Landesaufbaustab sollte kurzfristig handlungsfähig werden und aus Personen mit umfassenden juristischen, wirtschaftlichen und politischen Kenntnisse bestehen. Hirschle betonte, es müsse „sichergestellt sein, dass die Arbeit ohne Probleme mit der Tätigkeit der Arbeitsstäbe bzw. der sich bildenden Ministerien koordiniert“ werden könne und ein reibungsloser Übergang seiner Tätigkeit in die künftige Staatskanzlei sowie von Anfang an die Zusammenarbeit mit der sich bildenden Staatskanzlei gesichert sei. Der Stab sollte zunächst mit drei Personen besetzt werden. Er selbst schlug den derzeitigen Leiter des Chemnitzer Verbindungsbüros von Baden-Württemberg, Wolf201 Sozialministerium Baden-Württemberg, Ref. 55, Jour-Fixe-Sachsen vom 18. 9.1990: Ergebnisvermerk zur Besprechung am 17. 9.1990 (SMBW, 0136, Jour Fix, Raum Sachsen des SM). 202 IMBW: Vermerk für den Herrn Minister: Betr. Bund-Länder-Clearing-Stelle vom 17. 9.1990 (HAIT, KA, 9). 203 IMBW: Protokoll über den Verlauf einer Besprechung zur Zusammenarbeit mit dem künftigen Land Sachsen am 21. 9.1990 (ebd., V.2). 204 Zwischenbilanz und Vorschläge des IMBW für das weitere Vorgehen der AG Verwaltungsstruktur Sachsen der Gemischten Kommission vom 22. 5.1990 (Dok. 73).

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gang Fröhlich, vor. Vaatz schlug mit Pechstein und Hans-Jochim Nothelfer zwei westdeutsche Juristen vor. Der Landesaufbaustab sollte organisatorisch vorläufig in die Geschäftsstelle des Koordinierungsausschusses eingegliedert werden und sich zur Erledigung seiner Aufgaben der Arbeitsstäbe für die künftigen Ministerien bedienen können.205 Als die Bonner Beamten eintrafen, waren in Sachsen also bereits hinsichtlich der stabsmäßigen Leitung der Arbeit Vorkehrungen getroffen worden, und die Baden-Württemberger zeigten zudem wenig Neigung, ihre bisherigen Vorarbeiten durch Bundesbeamte examinieren zu lassen. Sie waren inzwischen eng mit den Arbeitsstäben des Koordinierungsausschusses verbunden. Auch mit den Fachgruppen der Gemischten Kommission hatten sich längst eigene Strukturen entwickelt, die nun freilich ihrem Ende entgegensah.206 Den Konflikt verdeutlichte eine Besprechung in der Clearing-Geschäftsstelle im Bundesinnenministerium am 22. September, bei der es zur Auseinandersetzung zwischen den Vertretern des Bundes und Baden-Württembergs kam. Als Hans-Dieter Wedler, Leiter der Geschäftsstelle, „erneut und diesmal mit unmissverständlicher Deutlichkeit“ den Versuch unternahm, „der Geschäftsstelle der Clearingstelle die Aufgabe zuzuweisen, die unter maßgeblicher Mithilfe der westdeutschen ‚Patenländer‘ in den neuen Ländern erarbeiteten Organisationsvorstellungen konkret einer kritischen Prüfung zu unterziehen“, und dabei ausdrücklich auf das Beispiel der Verwaltungshilfe Baden-Württembergs und Bayerns für Sachsen hinwies, protestierte der Vertreter des baden-württembergischen Finanzministeriums, Stegmann, gegen den Versuch, sich in die Arbeit seines Landes einzumischen. Wedler hatte moniert, dass die Organisationsvorschläge für die sächsische Landesverwaltung „eine optimale Organisation mit einem entsprechend hohen Personalbedarf“ darstellten und „unter Außerachtlassung finanzpolitischer Belange aller Länder zustande gekommen“ seien. Die Organisationsmodelle, so Stegmann daraufhin, hätten sich sehr wohl am finanziell Machbaren orientiert. „Ein Verdikt über konkret erarbeitete Organisationsmodelle“ gehe „über die Kompetenz der Clearingstelle hinaus“.207 Friktionen zwischen Sachsen, Baden-Württembergern und Bayern auf der einen sowie Beratern des Bundes auf der anderen Seite deuteten sich auch bei der zwei Tage später erfolgenden Ankunft der Bonner Clearingberater in Dresden an. Offizieller Anreisetag war der 24. September. Aus jedem Bundesministerium kamen ein oder zwei Vertreter nach Sachsen. Sie bildeten unter der Leitung Ermischs als Koordinator in Kooperation mit den Beratern der Länder unter Leitung von Hirschle und dessen bayerischem Vertreter Kolbe den gemeinsamen Clearingstab. Als er kam, so Ermisch, habe es bereits einen „Strang“ aus 205 Vorschlag von Dr. Hirschle zur Bildung eines Landesaufbaustabs vom 19.10.1990 (Dok. 158). 206 Siehe Kap. 7.2.7. 207 Finanzministerium Baden-Württemberg: Betr. Bund-Länder-Clearingstelle für die Verwaltungshilfe, hier: Sitzung am 22.10.1990 (HAIT, KA, 9).

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Schmidt, Kolbe, Hirschle und anderen gegeben, die ihrerseits unmittelbar dem Stab von Vaatz zugeordnet waren.208 Die Clearing-Berater wurden am 25. September in einer Sitzung mit den Arbeitsstableitern beim Leiter des Koordinierungsausschusses vorgestellt.209 Ihre Ankunft wurde allgemein als so negativ empfunden, dass sich einige wichtige Akteure bis heute weigern, ihre Eindrücke offen zu schildern. Die vor allem anfänglichen Konflikte, die bald einem meist konstruktiven Miteinander wichen, hatten verschiedene Ursachen. Zum einen kamen die Clearingberater des Bundes mit der Instruktion nach Dresden, dort für eine Interimszeit das Sagen zu haben. Wie ihr Auftreten aussah, zeigt die eben beschriebene Sitzung am 22. Oktober in Bonn. Dabei hatten sie wenig Kenntnisse von der Lage vor Ort. Zum anderen schlug sich auch der Konflikt zwischen Bund und Ländern sowie der allgemeine Kampf um Einfluss auf die Landesbildung nieder. Aus Sicht der Akteure des Koordinierungsausschusses wurden diese ohnehin von allen Seiten mit dem Anspruch konfrontiert, Einfluss auf die Gestaltung des Landes zu nehmen. Man legte zwar Wert auf Hilfe, wollte aber das Ruder doch selbst in der Hand behalten. Es wiederholte sich ein Konflikt, den es zuvor schon in ähnlicher Weise zwischen dem Koordinierungsausschuss und der Regierung de Maizière gegeben hatte. Er ergab sich aus den fortgeschrittenen Arbeiten zur Landesbildung vor Ort und dem Anspruch der Regierung, diese eigentlich lenken und beeinflussen zu wollen. Ähnlich war es nun wieder. Bei einem Gespräch Biedenkopfs mit Lorenz Menz am 11. September hatte dieser Biedenkopf zugestimmt, dass „wir in Sachsen mit den Vorbereitungen für die Bildung einer Landesregierung schon viel weiter fortgeschritten sind, als es in Bonn vermutet wird“. Die von Bonn vorgeschlagene Einrichtung von Koordinierungs- und Beratungsstellen komme für Sachsen zu spät, man brauche sie nicht mehr. Dies bedeute aber auch, dass „die Möglichkeit der Einwirkung auf unsere Entwicklung durch Bonn wesentlich geringer ist, als man sich das in der Bundeshauptstadt vorstellt“.210 Die Bonner Clearingberater kamen mithin zu einem Zeitpunkt, als die Arbeiten schon weit fortgeschritten waren – ein Umstand, den bei einem Besuch am 19. September auch der Beamte der Clearingstelle Groß feststellte. Er zeigte sich in Dresden beeindruckt von der bisherigen Arbeit des Koordinierungsausschusses. Sachsen, so meinte er, liege von allen neuen Ländern bei der Landesbildung klar vorn. Als er eine Liste der Bundesbeamten übergab, die demnächst in Dresden tätig sein würden, betonte er deswegen fast entschuldigend, dass diese lediglich beratende Funktionen haben und vom Koordinierungsausschuss eingesetzt werden sollten.211 Der Eindruck des Beamten basierte auch auf Unterlagen wie Geschäftsverteilungsplänen, Organigrammen und Ausschreibungskonzepten, die der Koordi208 Interview Günter Ermisch. 209 BVB Dresden, Koordinierungsausschuss: Protokoll der Clearingberatung vom 25. 9. 1990 (HAIT, KA, 63). 210 Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 332. 211 Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Bericht vom 17.–21. 9.1990 und Anlage 3: Beraterstäbe Ressortvertreter vom 17. 9.1990 (PB Manfred Kolbe).

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nierungsausschuss der Clearingstelle in Bonn vorab hatte zukommen lassen. Ein wichtiges Dokument war dabei der von Ende August stammende Gesamtentwurf mit ausführlichen Erläuterungen zum Aufbau der jeweiligen Ministerien samt Musterstellenplänen durch die Arbeitsstäbe,212 der vom Bundesinnenministerium per Rundschreiben als Muster am 24. September an alle Landessprecher versandt wurde. Auch Sachsen, so Vaatz, habe so aus Bonn seine eigenen Unterlagen in bestätigter Form als Vorlage wieder erhalten. Erst später habe er erfahren, dass die Unterlagen aus Dresden auch in den anderen Ländern als Vorlagen der Bundesregierung zum Einsatz kamen. Überall stützte man sich unter anderem auf die im Koordinierungsausschuss konzentrierte Kompetenz. Das heißt, so Vaatz, „die Dinge wären möglicherweise in Mecklenburg, in Thüringen und überall anders gelaufen, wenn man diese Dinge nicht so gemacht hätte bei uns“.213 Die Übertragung des Vorgehens des Koordinierungsausschusses auf die anderen Länder habe den Sieg der grundlegenden Aussage „Die Kästchen sind leer“ in ganz Ostdeutschland214, und dort angesichts fehlender eigener Vorbereitungen auf die unerwartete Verantwortungsübernahme durch die Vorverlegung der Länderbildung auf den 3. Oktober für die anderen Clearingaußenstellen, geradezu „die Erlösung“ bedeutet.215 Ungeachtet des Respekts vor den sächsischen Vorarbeiten kam es aber, wie erwähnt, zunächst zu Konflikten zwischen Bonner „Neulingen“ und „alten Hasen“ aus Bayern und Baden-Württemberg, die in modifizierter Form den westdeutschen Bund-Länder-Konflikt um Dominanz im Länderbildungsprozess widerspiegelten. Der bayerische Landesstrukturbeauftragte für Soziales, Rainer Schrenker, etwa empfand die Bonner Spitzenbeamten zunächst als „eine Art Aufpasser“, deren plötzlicher Einsatz komisch gewirkt habe. Die bereits seit längerem in Sachsen agierenden Bayern hätten gemeint, ihre Arbeit gut zu machen und sich nicht von „irgendeinem Bundesbeamten sagen lassen“ zu müssen, „dass eins und eins zwei ist“. In Sachsen habe es eingespielte Mannschaften gegeben, die bereits „eine Art Vorministerien“ geschaffen hätten, und plötzlich seien die Bundesbeamten gekommen, hätten sich „wie Fremdkörper oben draufgesetzt“ und gesagt, „jetzt fangen wir neu an“.216 Auch ein hoher baden-württembergischer Beamter, der anonym bleiben möchte, meinte, man habe die Clearingstelle zunächst als Fremdkörper empfunden. Diejenigen, die bereits mitten in der Arbeit zur Landesbildung steckten und Verhältnisse und Möglichkeiten einschätzen konnten, seien plötzlich mit „irgendwelchen mehr oder weniger älteren Herren“ aus Bonn konfrontiert worden, die erklärt hätten, „sie seien jetzt die Clearingstelle“. Tatsächlich aber hätten sie meist „von Tuten und Blasen keine Ahnung“ gehabt, sich aber ungeachtet dessen „als ganz wichtig und was ganz 212 Koordinierungsausschuss Land Sachsen: Struktur und Aufgaben der Ministerien im künftigen Land Sachsen vom 27. 8.1990 (Entwurf) (HAIT, KA, 10.5). 213 Interview Arnold Vaatz am 21. 6. 2000. 214 Interview Arnold Vaatz am 9. 6.1999. 215 Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 216 Interview Reiner Schrenker.

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Besonderes“ gefühlt.217 Während Bayern und Baden-Württemberg höhere und mittlere Beamte geschickt hätten, so berichtet auch ein die Anonymität vorziehender hoher bayerischer Beamter, seien aus Bonn „nur Häuptlinge“ ab Besoldungsstufe B 3 gekommen, die nicht mal mehr in der Lage gewesen seien, selbst Vermerke zu schreiben. Als erstes wollten sie angemessen untergebracht werden, was im September 1990 in Dresden unmöglich war, dann wollten alle eigene Büros mit Vorzimmer und Sekretärin haben, was ebenfalls fern jeder Realität gewesen sei. Bei einigen sei es gleich um führende Funktionen in der sächsischen Ministerialbürokratie gegangen; einer habe direkt Oberfinanzpräsident werden wollen. Während es sich bei den Leuten aus Baden-Württemberg und Bayern durchweg um „hervorragende Leute“ gehandelt habe, weil die Landesregierungen anfänglich „wirklich die Besten geschickt“ hätten, sei bei einigen Beamten aus Bonn der Eindruck entstanden, es habe sich um überzählige Beamte gehandelt.218 Der Landesstrukturbeauftragte für Wirtschaft, Schmidt, meint zudem, ein Teil der Bonner Clearingbeamten hätte unter dem Eindruck von „interessierten DDR-Altkräften“ gehandelt, die zu dieser Zeit zahlreich in Bonn vorsprachen, um sich für den Erhalt ihrer Institutionen stark zu machen. Die Clearingvertreter hätten, wie zuvor schon Schäuble, die Argumentation dieser Altkader übernommen und versucht, deren Sichtweise in Sachsen durchzusetzen. Außerdem, so sein pointierter Vorwurf, habe die Bundesregierung mit der Clearingaußenstelle eine Art „Spionagezentrale“ geschaffen, mit deren Hilfe auch eigenständige Ideen kaputt gemacht werden sollten.219 Hier klingt die Enttäuschung über Projekte wie die von ihm engagiert vertretene privat finanzierte Bundesautobahn nach Niederschlesien an, was am 3. Oktober 00.00 Uhr von der Bundesregierung per Fernschreiben gestoppt wurde. Es gab aber auch generationsbedingte Spannungen. Die meisten Akteure im Koordinierungsausschuss waren relativ jung, während es sich bei den Bonner Beamten meist um „ältere Herrschaften“ handelte. Schrenker erinnert sich, dass diese ihm das Gefühl vermittelten, er sei „unerfahren, ein junger Spund, der das überhaupt nicht kann“.220 Bereits unmittelbar nach Eintreffen war die Lage jedenfalls so angespannt, dass die künftige Rolle der Clearingvertreter des Bundes und ihr Auftreten bereits am 27. September auf einer Besprechung der Landessprecher kontrovers thematisiert wurde. Krause machte hier auf „komplizierte psychologische Sachverhalte“ aufmerksam, die sich durch das Eintreffen der Bonner Clearingberater ergeben hätten. Um die Lage zu entspannen, müssten sich die Berater des Bundes einbinden und die Leiter der Arbeitsstäbe „sehr kooperativ verhalten“. Abgesehen von den „falschen Vorstellungen über das hier Vorhandene“, müsse beiderseitig Verständnis für die komplizierte Situation des Einstiegs aufgebracht 217 Interview, interne Sign. A1. 218 Interview, interne Sign. A2. 219 Herbert B. Schmidt beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 220 Interview Reiner Schrenker.

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werden. Auch Fragen der Unterbringung und Honorierung, bei denen die Bonner überzogene Erwartungen vorgetragen hätten, müssten vernünftig gelöst werden, ohne es an die Öffentlichkeit zu tragen. Man müsse sich mit der Situation abfinden, „auch wenn sie Schmerzen bereite“. Vaatz wies darauf hin, dass die meisten Berater bisher keinen Kontakt mit der DDR gehabt hätten. Es gelte aber, „die notwendige Eingewöhnungsphase abzukürzen und Turbulenzen in der Arbeit zu vermeiden“. Auch über Diskrepanzen im Arbeitsstil müsse gesprochen werden. „Die BRD-Berater“ hätten „offenbar nicht erwartet, dass die Argumente mit großer Geschwindigkeit, wie es jetzt üblich sei, hin- und herflögen. Sie stünden fertigen Konzepten gegenüber, während alle Randbedingungen ein einziger Appell an das nicht vorhandene Improvisationsvermögen seien, und das hätten sie nicht erwartet.“ Man müsse bestrebt sein, „die Initiative nicht abzugeben und die Herren aus Bonn in einen funktionierenden Betrieb einzubinden“. Es gelte, sie nicht vor vollendete Tatsachen zu stellen, sondern in die Debatte um Zuständigkeiten einzubeziehen. Krause bekräftigte, dass jeder dieser Beamten das Gefühl haben müsse, hier angenommen zu werden und dass hart gearbeitet werde. „Obwohl das alles sehr kluge Menschen seien, werde sicher die Ernsthaftigkeit der Situation und manches unserer Probleme in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit gar nicht verstanden.“221 Vaatz war hinsichtlich der Bonner Clearingberater in einer etwas anderen Situation als seine Mitstreiter aus Baden-Württemberg und Bayern, sah er in ihnen doch eine Möglichkeit, das konkurrierende Drängen der Partnerländer nach Einfluss im künftigen Sachsen etwas zu neutralisieren. Er wusste trotz der anfänglichen Spannungen auch um die Bedeutung der Clearingberater für die Zukunft des Koordinierungsausschusses und seiner Personalpolitik. Diese, so erklärte er, seien in der Absicht gekommen, „genau das zu leisten, was der Koordinierungsausschuss sich auch vorgenommen hatte“. Daraus habe sich zum einen die Gefahr einer möglichen Rivalität zweier paralleler Strukturen ergeben, nicht auszuschließen sei zum anderen aber auch gewesen, dass Ermisch stärker auf Ballschuh setzen würde. Deswegen sei man auf die Beamten aus Bonn zugegangen und habe gesagt: „Wir bearbeiten im Augenblick dasselbe Thema, das sie sich auch vorgenommen haben. Sollten wir uns nicht zusammentun?“222 Mit einem ironischen Unterton meint Heitmann, es sei Vaatz auf diese Weise „gelungen, den Ermisch zu vereinnahmen“.223 Man holte die per Flugzeug eintreffenden Berater am Flughafen Dresden-Klotzsche ab und fuhr mit ihnen direkt in die Geschäftsstelle des Koordinierungsausschusses.224 Die später eintreffenden Clearing-Beamten meldeten sich dort dann meist schon von selbst. 221 Stenografisches Protokoll der Arbeitssitzung bei Landessprecher Krause am 27. 9.1990 (HAIT, KA, 8). 222 Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 223 Steffen Heitmann beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 224 Interview Bernd-Dietmar Kammerschen am 2. 3.1994. Zit. in Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 154.

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Auch die Clearingberater des Bundes hatten vorab beraten, wie sie vorgehen und mit wem sie zusammenarbeiten sollten. Immerhin setzte das Bundesinnenministerium auf Kooperation mit de Maizière und, durch diesen vermittelt, mit den vorhandenen, jetzt CDU-gelenkten Resten des DDR-Staatsapparates. Ermisch berichtet aus seiner Perspektive, er habe mit den anderen Beratern lange überlegt, wie sie die Aufgabe anpacken sollten: „Machen wir das neben dem Koordinierungsausschuss von Herrn Vaatz oder klinken wir uns völlig ein und machen einen Strang daraus.“ Er habe dafür geworben, sich völlig beim Koordinierungsausschuss einzuklinken, um ein einheitliches Vorgehen sicherzustellen und konkurrierende Strukturen zu vermeiden. Deswegen habe sein erster Besuch Vaatz gegolten, was „gar nicht selbstverständlich“ gewesen sei. Vaatz habe im ersten Gespräch ausdrücklich für eine Zusammenarbeit geworben. Er habe deswegen bei Ballschuh „ein bisschen Massage“ betreiben und erklären müssen, warum man nicht mit „den alten Strängen der Bezirksverwaltung“ zusammenarbeite. Ihm war klar, dass die Form der Kooperation mit dem Koordinierungsausschuss in Sachsen nicht selbstverständlich war und dass die Clearingstellen in anderen Ländern zum Teil ganz anders vorgingen. Jeder Chefkoordinator habe seine Aufgabe etwas anders aufgefasst und umgesetzt: „Der eine war neben den Aufstellungsstäben, der andere war integriert, wie wir das gemacht haben.“225 Ausschlaggebend waren für ihn die weit gediehenen Vorarbeiten, über die Ermisch bestens informiert und durch die der Koordinierungsausschuss ebenso eingeführt war. Das, was die Clearingberater in Sachsen vorfanden, sei, so auch Heidrun Lotze, nach deren eigenem Bekunden das „Breiteste und das Praktikabelste“ aller neuen Bundesländer gewesen.226 „Wir haben“, so Vaatz, „eine Verwaltungsstruktur entworfen, da, mit der Clearingstelle, mit Ermisch und seinen Mitstreitern, die Ausschreibungen vorbereitet, und dann schließlich unsere Arbeiten abgesprochen und koordiniert, und die haben im Wesentlichen unsere Vorgehensweise gebilligt, die im Übrigen auch schon dadurch abgestützt und qualifiziert worden war, dass wir für jedes dieser vorzubereitenden Ministerien schon Mitarbeiter gewonnen hatten aus den Spiegelministerien im Westen.“227 Durch die „Substanz“ der Vorarbeiten des Koordinierungsausschusses bedurfte es in Sachsen der „Beratung durch die Bundesberater nicht in dem Maße“ wie in anderen Ländern. Sie hätten, so auch Milbradt, „den eigenständigen Aufbau in Sachsen, vor allen Dingen auch eigenständig von den Bezirksbehörden, sehr erleichtert“.228 Dabei war allen Seiten klar, dass das hohe Niveau der Vorarbeiten dem Mitwirken vor allem westlicher Spitzenbeamter aus den Partnerländern zu verdanken war. Deren Know how hatte wesentlich auch schon zur bisherigen Durchsetzung des Koordinierungsausschusses gegenüber den Bezirksverwaltungen beigetragen. Nun zahlte es sich erneut aus und führte dazu, dass „die Anderen völlig abgemeldet“ waren. 225 Interview Günter Ermisch. 226 Heidrun Lotze beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 227 Interview Arnold Vaatz am16. 4. 2003. 228 Interview Georg Milbradt.

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Wichtig dabei war für die neuen Kräfte, dass durch die Kooperation zwischen Clearingstelle und Koordinierungsausschuss die eigene, gegen die Altkader gerichtete Personalpolitik Unterstützung erfuhr. Versuche Ballschuhs und Schumanns, so Vaatz, „eine andere Landesverwaltung aufzubauen“, seien „definitiv dadurch beendet worden“, dass die Clearingkommission aus Bonn auf den Koordinierungsausschuss setzte. Dessen Erfolg sei „letzten Endes zustande gekommen durch die Anerkenntnis unserer Vorstellungen durch die Clearingkommission und die Nichtanerkenntnis der anderen Vorstellungen durch dieselbe Kommission“.229 Vaatz verweist aber auch noch auf einen anderen Aspekt, der Ermisch veranlasst habe, auf den Koordinierungsausschuss zu setzen. Das Bundesinnenministerium sei durch die Vorverlegung der Termine für den Beitritt und die Länderbildung zu spät mit der Tatsache konfrontiert worden, dafür Verantwortung zu tragen, dass es nach den Landtagswahlen im Osten funktionierende Länder geben müsse. Es sei den Verantwortlichen des Bundes „eigentlich nicht mehr möglich gewesen“, in der kurzen Zeit Landesverwaltungen aufzubauen. Deswegen sei Ermisch bereit gewesen, mit dem Koordinierungsausschuss zusammenzuarbeiten, konnte er doch so auf dessen Vorarbeiten zurückgreifen.230 Für die neuen Kräfte sei es „ein außerordentlicher Glücksumstand“ gewesen, dass „die Clearing-Stelle sich alles angeschaut“ und dann beschlossen habe, mit dem Koordinierungsausschuss zu kooperieren. Damit sei von der Clearingstelle „das methodische Prinzip des Koordinierungsausschusses gewürdigt und weitergeführt“ worden.231 So entwickelte sich trotz anfänglicher, teils auch anhaltender Reibungen nach kurzer Zeit ein alles in allem kooperatives Arbeitsklima.232 Die Arbeit war bald so eng mit der des Koordinierungsausschusses verwoben, dass es nur noch wenige separate Besprechungen der Clearingstelle gab. Meist beriet man gemeinsam mit dem Koordinierungsausschuss.233 Die Clearingbeamten wurden in die Koordinierungsstäbe eingeordnet. Sie saßen mit in der Runde der Leiter der Arbeitsstäbe, übernahmen teilweise Arbeitsstäbe selbst oder ordneten sich unter. Schließlich produzierten Clearingstelle und Koordinierungsausschuss sogar gemeinsame Unterlagen.234 „Wir haben“ so Ermisch, „dann unsere Organisationsform gefunden.“ Die Beamten gingen in die Aufbaustäbe der Ministerien, und er sei neben Vaatz „sozusagen der Chefberater“ geworden. Man habe die Arbeit „nicht nebeneinander, sondern von Anfang an miteinander“ erledigt.235 Nach der Wahl Biedenkopfs hätten die Bonner Vertreter ohnehin nicht mehr wie besserwissende Kolonialbeamte auftreten können. Von nun an agierten sie 229 Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. 230 Interview Arnold Vaatz am 21. 6. 2000. 231 Interview Arnold Vaatz. In: Der Sächsische Landtag. Von der Wende zum Parlament, S. 53. 232 Interview Eberhard Stilz. 233 Interview Günter Ermisch. 234 Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 235 Interview Günter Ermisch.

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in einem eigenständigen Bundesland, dessen faktische, weil finanzielle Abhängigkeit vom Bund zwar noch länger andauerte, das sich aber unter seinem Ministerpräsidenten dennoch selbstbewusst und eigenständig gab. Bis zur Amtsübernahme durch Ministerpräsident Kurt Biedenkopf aber vereinigte die BundLänder-Clearing-Außenstelle in Sachsen in sich die Funktionen eines Koordinierungs-, Beratungs- und Schiedsgremiums.236 Die von der Clearingstelle zu leistende Verwaltungshilfe von Bund und Ländern umfasste sowohl den Aufbau der Verwaltungen als auch den anlaufenden Verwaltungsvollzug. Die Clearingberater koordinierten die Arbeiten und klärten Aufgaben und Größe der Ressorts, Abteilungen und Referate. Sie wirkten an der Entflechtung und Überleitung zentralstaatlicher Einrichtungen oder Teilen von Einrichtungen mit, deren Aufgaben künftig entsprechend der Ordnung des Grundgesetzes von den Ländern wahrzunehmen waren. Sie halfen besonders bei der Auslegung der Bestimmungen des Einigungsvertrages. „Und die haben wir dann einfach mutig, ohne großes Zögern, auch entschieden, manchmal auch falsch.“ Ermisch erinnert sich, dass er „so eine Art Auslegungspapst“ gewesen sei. So wurde bei komplizierten Fragen der Überleitung von Einrichtungen der DDR in Einrichtungen des Bundes, der neuen Bundesländer oder in gemeinsame Einrichtungen der neuen Bundesländer, aber auch in arbeitsrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Behandlung des bisherigen Personals im Zuge der Überleitung geholfen. Die Berater ermittelten den Personalbedarf und forderten Verwaltungshilfen des Bundes an. Sie waren beim Ausfindigmachen von Liegenschaften behilflich, die in das Eigentum des Landes übergingen oder für die neuen Landesbehörden verfügbar gemacht werden konnten, wie etwa militärische Liegenschaften.237 Zudem lag der gesamte Versorgungsbereich im Argen. Es gab keine zuständige Stelle für die Kriegsopfer. Die Behörden mussten schnellstens aufgebaut oder zumindest handlungsfähig gemacht werden, damit Zahlungen erfolgen und Aufgaben wahrgenommen werden konnten. Einfluss gewannen die Clearingberater vor allem in den Arbeitsstäben für Landwirtschaft und Soziales, die in erster Linie von Bayern betreut wurden. Im Bereich Soziales stellten von Wulfen und Gärtner entscheidende Weichen.238 Weniger ausrichten konnten sie dagegen in den Arbeitsstäben für Finanzen, Wirtschaft und Inneres, wo die Arbeiten unter baden-württembergischer Regie bereits weiter fortgeschritten waren und man zum Teil weniger Wert auf ihre Hilfe legte. Für den Finanzbereich war die Unterstützung der Clearingbeauftragten dagegen dennoch, so Milbradt, „ausgesprochen wichtig“. Das zeigte sich auch daran, dass der Finanzminister später zwei Clearingmitarbeiter aus den Bundesbehörden für das Ministerium gewann, nämlich Reckers, der für das Kanzleramt in Berlin gearbeitet hatte, und den Leiter der Abteilung Haushalt, der als Verbindungsmann des Bundesfinanzministeriums in Berlin tätig gewesen war.239 236 Vgl. Reusch, Starthilfe für die neuen Länder, S. 230. 237 So z. B. im Fall der Unterbringung des Sächsischen Landtags. Siehe Kap. 7.1.2. 238 Interview Günter Ermisch. 239 Interview Georg Milbradt.

Trennung Koordinierungsausschuss von BVB Dresden

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6.2.2 Trennung des Koordinierungsausschusses von der Bezirksverwaltungsbehörde Dresden Für den Koordinierungsausschuss war es nicht nur von erheblicher Bedeutung, durch den Zuspruch des Clearingkoordinators des Bundes hinsichtlich seiner zentralen Rolle bei der Landesbildung bestätigt zu werden; Ermisch wies dem Koordinierungsausschuss und seinen Arbeitsstäben zudem auch noch die Funktion eines interimistischen Exekutivorgans des Landesbevollmächtigten und damit einer direkten Vorläufereinrichtung der Landesregierung zu. Als er in Dresden ankam, so erinnert sich Ermisch, habe der Koordinierungsausschuss derartige Aufgaben nicht gehabt, sondern nur die künftige Landesstruktur vorplanen sollen. Die Exekutivbefugnisse hätten bei der „alten Bezirksverwaltung“ unter Leitung Ballschuhs gelegen. Dieser habe, so Ermisch, versucht, die „alten Stränge“ zu halten und dezidiert für sich in Anspruch genommen, „das Sagen“ zu haben. Der daraus resultierende Konflikt mit Vaatz sei ein Riesenproblem gewesen. Ballschuh habe versucht, seine Linie zu fahren und der Koordinierungsausschuss seinen Kurs vertreten, wozu vor allem gehört habe, bei der anstehenden Personalrekrutierung mit „Altlasten“ aufzuräumen. Klar war, dass beide Institutionen, die organisatorisch eigene Einheiten bildeten, nach Gründung des Landes in der bisherigen Form nicht mehr existieren würden. Kern der Auseinandersetzung in ihrer finalen Phase war der Streit um den personellen Einfluss in der künftigen Landesverwaltung. Bedingt war der Konflikt auch durch das ungeklärte Verhältnis beider Organisationseinheiten zueinander. Die Bezirksverwaltungsbehörde Dresden hatte sich auf Grund ihrer Sonderstellung bei der Landesbildung mit dem Koordinierungsausschuss als Stellvertreterbereich bislang nicht in dem Maße als künftiges Regierungspräsidium profiliert wie die Behörden in Chemnitz und Leipzig. Hinzu kamen Diskussionen um einen Regierungsbezirk Bautzen und die zu diesem Zeitpunkt noch vertretene Ablehnung von Regierungspräsidien durch Biedenkopf. Formal konnte es Ballschuh nur um zwei Varianten der Einflusssicherung gehen: Entweder es gelang ihm, die Bezirksverwaltungsbehörde samt eines großen Teils des Personals in ein Regierungspräsidium zu überführen, oder er konnte sich als formal übergeordnete Behörde des Koordinierungsausschusses als Gremium der Landesbildung profilieren, das in der einen oder anderen Form im künftigen Land eine Rolle spielen würde. Die Perspektive innerhalb des Koordinierungsausschusses war eine andere. Hier sah man sich nicht erst seit der Anbindung an den Landessprecher als eigenständige Handlungseinheit, die nur aus formalen Gründen beim Regierungsbevollmächtigten angebunden war und dies auch blieb, nachdem Krause erklärt hatte, dass der Koordinierungsausschuss ihm zugeordnet sei. Vorrangiges Ziel des Koordinierungsausschusses war weniger die Sicherung der Institution selbst, schließlich war ja klar, dass es den Ausschuss nur vorübergehend geben konnte; den hiesigen Akteuren ging es vielmehr um ein eminent politisches Ziel, nämlich einen personellen Neuanfang beim Start der Landesverwaltung. Dem waren alle formalen Kategorien nachgeordnet. Schon die be-

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vorzugte Besetzung des Koordinierungsausschusses mit Vertretern neuer politischer Kräfte und westlichen Experten samt deren geballter Kompetenz war Ausdruck dieses Zieles gewesen. Ermisch fand sich zwischen den streitenden Parteien. Seine Entscheidung, auf den Koordinierungsausschuss zu setzen, stand fest. In ihm fand er den geeigneten Nukleus der künftigen obersten Landesverwaltung, der zudem den Vorteil bot, in der bisherigen Form bald aufgelöst zu werden. Mit dem Koordinierungsausschuss standen also keine institutionell begründeten Ansprüche ins Haus, die bekanntermaßen zu den zählebigsten überhaupt gehören. Ermisch versuchte Ballschuh deswegen nicht nur klar zu machen, dass der Koordinierungsausschuss der Kern der künftigen obersten Landesverwaltung sei;240 er musste ihm auch eine hinlänglich deutliche Perspektive für die Bezirksverwaltungsbehörde aufzeigen. Wie frühere Kapitel der Darstellung deutlich machen konnten, hatte der Konflikt zwischen Bezirksverwaltungsbehörde und Koordinierungsausschuss eine längere Vorgeschichte. Prinzipiell hatte Ballschuh als einer von drei Regierungsbevollmächtigten seit der Umwandlung der Räte der Bezirke in Bezirksverwaltungsbehörden im Juni 1990 keine über den Bezirk Dresden hinausgehende Rolle. Nur das Aufgabenfeld des ihm auf eigenen Wunsch formal unterstellten Koordinierungsausschusses wies über den Bezirk hinaus. Auf diesen aber gewann Ballschuh trotz entsprechender Bemühungen keinen wirklichen Einfluss, sodass es bei einer rein formalen Zuordnung blieb. Formal hatten alle drei Regierungsbevollmächtigten einerseits und der Koordinierungsausschuss andererseits unterschiedliche, aber korrespondierende Aufgabenfelder. Die Regierungsbevollmächtigten hielten in erster Linie die Verwaltungsstrukturen auf Bezirksebene arbeitsfähig; erst in zweiter Linie sollten sie sich an der Vorbereitung der Länderstrukturen beteiligen. Für Fragen der Landesbildung waren in allen drei Bezirken stellvertretende Regierungsbevollmächtigte zuständig. Deren Arbeit wurde durch den Koordinierungsausschuss abgestimmt, der dadurch eine Sonderrolle einnahm. Wie klar die Trennung war, zeigt der Hinweis Buttolos, das die Regierungsbevollmächtigten eine „ganz andere Aufgabenausrichtung als die Kommission von Herrn Vaatz und seinen Leuten“ gehabt hätten. Der Koordinierungsausschuss habe für ihn als Regierungsbeauftragten von Chemnitz „überhaupt keine Konsequenzen“ gehabt, da dessen Aufgabe des Aufbaus der Landesstruktur „parallel zu unserer Regierungsbevollmächtigtentätigkeit“ lief, die „doch mehr oder weniger mit der täglichen Arbeit vor Ort voll ausgefüllt“ war. Deswegen habe er auch „nie eine Diskrepanz gesehen zwischen dem, was wir in Chemnitz und Leipzig taten, und dem, was wir in Dresden im Koordinierungsausschuss planten“.241 Die Zuordnung des Koordinierungsausschusses zu allen drei Bezirksverwaltungsbehörden schützte ihn auch vor Ansprüchen der Dresdner Bezirksverwaltungsbehörde, die andererseits wie in Chemnitz und Leipzig formal das Recht hatte, unabhängig vom Koordinierungs240 Interview Günter Ermisch. 241 Interview Albrecht Buttolo.

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ausschuss eigene Gremien der Landesbildung zu unterhalten. Freilich war der Koordinierungsausschuss nicht nur das Koordinierungsorgan aller drei Bezirke, sondern zugleich der Stellvertreterbereich der Bezirksverwaltungsbehörde Dresden für Landesbildung. Diese Doppelfunktion führte immer wieder zu Streitereien hinsichtlich seiner Zuständigkeiten, und zwar sowohl innerhalb der Dresdner Bezirksverwaltungsbehörde als auch zwischen den Bezirken. In Dresden gab es ein Nebeneinander von Verwaltungs- und Länderbildungstätigkeit. Die hauptamtlichen Mitarbeiter des Koordinierungsausschusses saßen zwar auf Stellen der Bezirksverwaltung, waren aber außerhalb der Verwaltungshierarchie angeordnet. Andererseits war der Ausschuss nicht sonderlich an Zugriffsmöglichkeiten auf den Verwaltungsapparat interessiert. Man wollte den alten Apparat lediglich daran hindern, selbst zur oberen Landesverwaltung zu werden, wie dies wohl am deutlichsten in Brandenburg geschah. Es bestand auch kein direkter Arbeitskontakt untereinander, stattdessen informierte der in die Arbeit des Koordinierungsausschusses eingeweihte Stellvertreter des Regierungsbevollmächtigten für Verwaltung, Peter Adler, die Ressortleiter alle zwei Wochen über den Stand der Projektierung. Tatsache war aber, dass Ballschuh kraft Regierungsauftrag die oberste Exekutiv- und Weisungsbefugnis auch über den Koordinierungsausschuss hatte, was Vaatz veranlasste, sich gegen den formal begründeten Führungsanspruch zu behaupten. Er konnte in der Gewissheit handeln, dass sein Bereich die künftigen, bleibenden Strukturen vorbereitete, während Ballschuh auf einem absterbenden Ast saß und eine vergehende Struktur lenkte. Schon daraus ergab sich „eine natürliche Gegnerschaft“. Wie verschiedene Berichte beteiligter Akteure zeigen, kam es immer wieder zu Problemen bei der Abgrenzung der Zuständigkeiten und entsprechenden Reibereien. Bernd Herzer erinnert sich an Situationen, in denen „sehr unterschiedliche Auffassungen fachlicher Art“ ebenso zutage traten wie „das Bemühen des Herrn Ballschuh, die Gruppe Vaatz als Zuarbeitergruppe zu betrachten, die Weisungen des Bezirksverantwortlichen entgegen nehmen müsse“. Dabei habe Ballschuh stets als Vertreter der Regierung de Maizière agiert. Er habe die „zentrale Linie“ durchgesetzt und „nicht als Individuum gegen Vaatz“ gehandelt.242 Vaatz habe hingegen von vornherein auf weitgehender Selbständigkeit bestanden. Michael Kinze erinnert sich, dass Ballschuh bis zuletzt versucht habe, ihn aus der Verantwortung für die Staatskanzlei herauszudrängen, um seine „alte Truppe zu installieren“. Das sei mit Hilfe von Vaatz erfolgreich abgewehrt worden.243 Vaatz vertrat Ballschuh zwar gelegentlich und übernahm dann auch dessen exekutive Befugnisse, musste ihm ansonsten aber seine Planungen vorlegen und ihn um Umsetzung bitten. Es sei, so erinnert sich Vaatz, „allerdings in den seltensten Fällen so gewesen, dass er mir etwas verweigern konnte“. Meist wurde Streit dadurch vermieden, dass Ballschuh den Wünschen des Koordinierungs242 Interview Bernd Herzer. 243 Interview Michael Kinze.

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ausschusses entsprach.244 Vaatz’ enger Mitstreiter Helmut Münch erlebte Ballschuh in dem Konflikt als zwar zum Apparat gehörig, aber auch als Pragmatiker. Er sieht es als „größtes Verdienst“ von Ballschuh an, „dass er den Vaatz hat machen lassen“. Man habe nicht gewusst, „ob er mit dem Herzen dabei war“, aber er habe fast alles unterschrieben, was Vaatz ihm vorgelegt habe und die Struktur des Koordinierungsausschusses, dessen Finanzierung und den gesamten Ablauf im Wesentlichen akzeptiert. Von sich aus habe er keinen Kontakt zum Koordinierungsausschuss gesucht.245 Aus Ballschuhs Sicht verlief die Länderbildung „in Sachsen am unkompliziertesten“, weil sich „der Apparat von Anfang an für die Kräfte der Erneuerung geöffnet“ habe. Die klare Trennung von laufender Bezirksverwaltung und zukunftsorientierter Projektierung von Länderstrukturen habe dazu geführt, dass es „nie zu einem Versagen der Verwaltung gekommen“ sei. In Sachen Länderbildung habe er Vaatz freie Hand gelassen und die Arbeit des Koordinierungsausschusses nicht behindert. Ballschuh ließ im Nachhinein keinen Zweifel daran, dass es ihm in erster Linie um die „Funktionsfähigkeit der Mittelbehörde“ und die „Fortsetzung der Verwaltungstätigkeit“ ging. Die Arbeit des Koordinierungsausschusses erschien ihm insofern suspekt, als er in verschiedenen Handlungen „Vorgriffe auf landeshoheitliche Rechte“ sah, etwa wenn Einstellungen vorgenommen, Gesetzesentwürfe und Verfassungstexte formuliert und Ministerialstrukturen erarbeitet wurden. Auch missbehagte ihm der revolutionäre Ansatz von Vaatz, der am liebsten die Bezirksverwaltungen aufgelöst hätte: „Wir hätten natürlich den ganzen Rat des Bezirkes leer blasen können, dann hätte gar nichts mehr funktioniert.“246 Die Tatsache, dass Ballschuh den Koordinierungsausschuss zwar formal akzeptierte, dessen revolutionäre Gesinnung aber ablehnte, blieb auch den revolutionär Gesinnten nicht verborgen. Hermann Henke erinnert sich, dass Ballschuh die Vertreter des Koordinierungsausschusses „mit spitzen Fingern“ anfasste und sie eigentlich „überhaupt nicht wollte“.247 Auch Matthias Rößler hatte den Eindruck, dass es der Regierung und ihrem Dresdner Statthalter darum ging, „uns niederzuhalten“. Er habe dies „nie anders erlebt“, und der Regierungsbevollmächtigte sollte dabei exekutieren.248 Das Verhältnis zum alten Apparat sei, so Vaatz, durch „kühle, freundliche, aus einem bestimmten Überlegenheitsgefühl“ resultierende Zurückhaltung geprägt gewesen, die erst „in ein beflissentliches Beliebtmachen“ umschlug, als sich die Großwetterlage „zu unseren Gunsten“ änderte.249 Ballschuh ließ es sich auch nicht nehmen, abseits des Koordinierungsausschusses eigene Aktivitäten zu starten, die, so Vaatz, „uns zum Teil nicht offenkundig wurden und die auf die Stabilisierung der ursprünglichen Struktur hi244 245 246 247 248 249

Interview Arnold Vaatz. In: Kleimeier, Sachsen, S. 103. Interview Helmut Münch am 23. 4. 2003. Interview Siegfried Ballschuh. In: Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 98 f. Hermann Henke beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. Interview Matthias Rößler. In: Kleimeier, Sachsen, S. 92. Interview Arnold Vaatz. In: ebd., S. 105 f.

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nausliefen“.250 Zentrale Figur dabei war Klaus Schumann. Adler meint, Ballschuh selbst habe sich „bedeckter gehalten“, aber Schumann „installiert“ und mittels seiner Person „bestimmte Dinge vorbereitet“, um, „wenn er in die Konstellation kommt, dann nicht unvorbereitet“ zu sein.251 Der letzte Dresdner Ratsvorsitzende, Michael Kunze, hatte Ex-SED-Mitglied Schumann am 9. Mai zugunsten von Vaatz von seiner Funktion als Leiter der Arbeitsgruppe Verwaltungsfragen entbunden,252 Ballschuh aber dennoch nicht auf seine Mitarbeit verzichten wollen.253 Für Vaatz war Schumann, der einige Zeit später durch Suizid aus dem Leben schied, „der wesentliche Konfrontationspolitiker“ und „der treibende Keil der Restauration“. Er habe als erster im Rat des Bezirkes „erkannt, in welcher Gefahr“ man durch den Koordinierungsausschuss war. Für ihn war er „der politisch bedeutsamste Mann unter denjenigen, die sich dagegen gestellt haben“. Wie Kunze habe auch er „offen nichts gesagt, aber mit großer Effizienz gegen uns gearbeitet“. Kunze und Schumann seien „relativ schwere Brocken“ für den Koordinierungsausschuss gewesen. Die anderen hätten sich dagegen „zunehmend Perspektiven nach beiden Seiten hin“ offengehalten.254 Schumann habe sich „im Wesentlichen darauf konzentriert, meine Arbeit zu beenden“, weil er in ihm „die größte Gefahr für den Fortbestand der von ihm präferierten Personalkonstellation“ gesehen habe. Demzufolge sei er von ihm „wirklich ernsthaft bekämpft“ worden. Wenn es Schumann gelungen wäre, „mich dort raus zu kanten, dann hätte Sachsen hinterher ganz anders ausgesehen“. Schumann habe zwar unter Ballschuh weiter an der Landesbildung gearbeitet, Vaatz wurde aber durch Heidrun Lotze darüber laufend informiert. Aber auch auf anderem Wege erhielt er Nachrichten, dass man in der Bezirksverwaltung „ganz andere Wege“ gehen wollte. Dabei sei es „im Wesentlichen um die Rettung der Personalstruktur“ der Bezirksverwaltungsbehörde gegangen. Schumann sei selbst einmal zu ihm gekommen und habe angeboten, zusammen zu arbeiten. Es habe sich aber „schnell herausgestellt, dass er Vorstellungen hatte, die überhaupt nicht kompatibel waren“.255 Beide seien einfach „nicht diejenigen“ gewesen, „die von der ganzen Ausrichtung her zusammen arbeiten konnten und wollten“. Sie „standen für unterschiedliche Ideologien“. Henke und Münch schließen nicht aus, dass Schumann eine regelrechte Gefährdung für Vaatz war. Dabei sei es immer um die Frage gegangen, wer das Sagen hat: „Entweder haben die neuen Kräfte das Sagen oder die alten Kräfte.“256 Noch bevor Ermisch in die Auseinandersetzungen eingriff, hatten sich durch die Anbindung des Koordinierungsausschusses an den Landessprecher die 250 Ebd., S. 103. 251 Interview Peter Adler. 252 Beschluss des RdB Dresden vom 9. 5.1990: Einschätzungen zur Lage im Bezirk (SächsHStA, BT/RdB, 47122, Bl. 222 f.). 253 Siehe Kap. 5.1.3. 254 Interview Arnold Vaatz. In: Kleimeier, Sachsen S. 108. 255 Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. 256 Interview Helmut Münch am 23. 4. 2003.

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Machtverhältnisse in der Dresdner Bezirksverwaltungsbehörde bezüglich der Länderbildung verändert. Nach Ballschuhs Erinnerung liefen spätestens ab der Benennung Krauses „verschiedene Dinge an mir vorbei“. Die Rolle des Regierungsbeauftragten für den Prozess der Länderbildung sei spätestens von da an nur noch marginal gewesen.257 In dieser Situation trat Ende September die Clearingstelle Dresden samt Bundeskoordinator Ermisch auf den Plan und sorgte für klare Verhältnisse in den bislang verworrenen Strukturen. Unter seiner Leitung, so Ermisch, habe die Clearingstelle das „zusammengeschoben“, so dass die Aufgaben der Bezirksverwaltung „in einem kybernetischen Prozess“ Schritt für Schritt einmündeten in die der Aufbaustäbe des Koordinierungsausschusses. Das sei sehr schwierig gewesen und habe zu „wilden Auseinandersetzungen“ geführt, in denen er habe klären müssen. Ihm sei es aber auch darum gegangen, „diese Reformkräfte um den Herrn Vaatz nach vorn zu bringen, denn die wollten ja ihr Land selber gestalten“. Im Gespräch mit Ballschuh sei ihm der „Durchbruch“ gelungen, dass nicht mehr die Bezirksverwaltung das Sagen hatte, sondern „langsam der Aufbaustab von Herrn Vaatz“. Ballschuh habe deswegen einsichtig reagiert, weil er noch ein führendes Amt angestrebt habe und „zumindest Innenminister“ werden wollte. Deswegen habe er Ermischs Plänen zugestimmt, wohl wissend, dass er sonst überhaupt keine Chancen gehabt hätte. Der Bundeskoordinator erinnert sich, dass er Ballschuh fragte: „‚Ist das so richtig? Machen wir das so?‘ Und da hat er gesagt: ‚Ja, wir machen es so.‘ Und da war er quasi mündlich gebunden. Das hat er von sich aus getan, der Ballschuh.“ Ermisch hatte den Eindruck, dass er der einzige war, der mit Ballschuh sprechen konnte. Der Dresdner Regierungsbevollmächtigte habe ihn akzeptiert, weil er der ranghöchste Bundesbeamte in Sachsen war und, anders als die Vertreter aus Baden-Württemberg und Bayern, in den bisherigen Auseinandersetzungen keine Rolle gespielt hatte. Diese hätten „im Clinch“ mit Ballschuh gelegen, und in der Bezirksverwaltungsbehörde habe man Aversionen gegen sie gehabt. Ihm als „Neuen“ habe Ballschuh hingegen „sehr viel Vertrauen entgegengebracht“, so dass es „den Bundesleuten“ möglich geworden sei, die „Änderung der Exekutivfunktionen langsam voranzutreiben“.258 Freilich war Ermischs Anfrage bei Ballschuh wohl eher seiner niveauvollen Umgangsart als den tatsächlichen Machtverhältnissen geschuldet, denn selbstverständlich hätte er die Funktionsverschiebung nach dem 3. Oktober einfach dekretieren können. Ungeachtet des Hinweises von Ermisch, Ballschuh habe das Amt des Innenministers angestrebt, kann wohl davon ausgegangen werden, dass dieser zumindest erhebliches Interesse am Erhalt der Bezirksverwaltungsbehörde als Regierungspräsidium und damit verbunden eines möglichst großen Teils des Personalkörpers des früheren Rates des Bezirkes hatte. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass Ballschuh als früheres Mitglied des Rates für Wohnungspolitik und -wirtschaft der ranghöchste CDU-Funktionär im 257 Siegfried Ballschuh. Zit. in Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 100. 258 Interview Günter Ermisch.

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bezirklichen Staatsapparat gewesen war, diesem also keinesfalls ablehnend gegenübergestanden hatte. Mit vielen Mitarbeitern verband ihn ein aus Zeiten der Diktatur herrührendes kollegiales Verhältnis, und er sah sich in der Pflicht, nach dem Ende der SED-Herrschaft für deren berufliche Zukunft zu sorgen. Dieses Interesse stand dem von Vaatz diametral entgegen, den alten Apparat möglichst komplett und unter Einschluss der hohen CDU-Funktionäre aufzulösen und nur einzelne, geeignete Mitarbeiter über das Ausschreibungsverfahren für die neue Landesverwaltung zu gewinnen. Ballschuhs Interesse, den Personalkörper möglichst zu erhalten, bestimmte dessen Handeln Ende September, als es für Ermisch darum ging, den Koordinierungsausschuss zum interimistischen Landesexekutivorgan weiterzuentwickeln. Bei der zentralen Besprechung Krauses mit den Regierungsbevollmächtigten am 27. September machte Ballschuh auf das speziell Dresden betreffende Problem aufmerksam, dass hier die Bezirksverwaltungsbehörde und der Koordinierungsausschuss zusammen aufgebaut worden waren, ohne dass eine interne Profilierung vorgenommen worden war. Mit der Einsetzung des Landessprechers als Landesbevollmächtigten des Bundes ab dem 3. Oktober müsse es in Dresden zu einer Arbeitsteilung zwischen den Arbeitsstäben des dem Landessprecher zugeordneten Koordinierungsausschusses und dem kommen, was in den Mittelbehörden Chemnitz und Leipzig bereits an Strukturen vorhanden sei. Es bestehe der Zwang, die Dresdner Behörde aufzuteilen. Deshalb habe man in der Dienstberatung der Bezirksverwaltungsbehörde am Vortag beschlossen, die Dresdner Behörde aufzuspalten. Mit der künftigen Lösung hänge unmittelbar die Frage der Weiterbeschäftigung der Mitarbeiter zusammen, die im Rahmen der Arbeit des Koordinierungsausschusses an der Lösung von Landesaufgaben arbeiteten. Matthias Reichenbach stimmte insofern zu, als auch hinsichtlich der in seiner Verantwortung stehenden Personalfrage eine Aufgabenteilung durch die Spaltung der Behörde in Regierungspräsidium und Landesbehörde erfolgen sollte. Die von Vaatz ebenfalls mitgetragene Entkopplung von Bezirksverwaltungsbehörde und Koordinierungsausschuss warf freilich noch einmal die Frage der paritätischen Vertretung der drei Bezirke im nun von den Bezirken unabhängigen Koordinierungsausschuss auf. Wie bereits in der Vergangenheit drängten die anderen Bezirke auf eine stärkere Gleichrangigkeit in den Arbeitsstäben. Ein Blick auf die entsprechenden Personalvorschläge zeigt freilich, dass sie dafür nicht immer geeignete Kandidaten bereitstellen konnten. Krüger wies für Chemnitz darauf hin, dass man sich bisher im Kreise der Stellvertreter ohne große Schwierigkeiten im Turnus zwischen den drei Bezirken in der Leitung von Sitzungen abgelöst habe. Der Gastgeber sei jeweils auch der Leiter gewesen. Kleinschmidt aus Leipzig schlug vor, die Stellvertreter der Regierungsbeauftragten zu den Koordinierungsberatungen mit einzuladen.259 Kleinschmidt gehörte zu den Kritikern der Dominanz des an den Landessprecher angebundenen Koordinierungsausschus259 Stenografisches Protokoll Arbeitssitzung bei Landessprecher Rudolf Krause am 27. 9. 1990 (HAIT, KA, 8). Siehe dazu auch Kap. 5.3.6.

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ses. Krause habe „in der Regel nach Gesprächen mit dem Dresdner Kollegen die anderen 1. Stellvertreter des Regierungsbevollmächtigten schlichtweg vor vollendete Tatsachen“ gestellt. Keiner der Leiter der Arbeitsstäbe sei aus Leipzig, Chemnitz oder aus der „Fläche“ gekommen. Soweit es sich nicht um Beamte aus Baden-Württemberg oder Bayern gehandelt habe, seien dies durchweg Dresdner gewesen.260 Krause bat am 27. September darum, das Stellvertreterproblem nicht überzubewerten. Hinsichtlich der Leiter der Arbeitsstäbe sei keine andere Lösung möglich, jedoch würden die Stellvertreter aus allen drei Bezirken kommen. Heilmann aus Chemnitz stimmte zu, dass man die Lösung der Besetzung der Arbeitsstäbe des Koordinierungsausschusses durch die bisherigen Dresdner Landesstrukturbeauftragten aus Orts- und Zeitgründen sanktionieren müsse. Dass es bei der Auseinandersetzung vor allem um Einfluss in der künftigen Landesregierung ging, macht die Erklärung von Vaatz deutlich, mit der personellen Einordnung der Arbeitsstäbe sei „nicht das Jota eines Vorrechts für die Besetzung der späteren Ministerien“ gegeben.261 Das war wohl notwendig, denn Peter Adler bestätigt, dass sich einige Dresdner Landesstrukturbeauftragte schon als künftige Minister in ihrem Bereich gesehen hätten. Das habe in Chemnitz und Leipzig natürlich die Frage nach der Gleichrangigkeit in Führungspositionen der Regierung aufgeworfen. Vaatz sei aber nicht müde geworden, zu erklären, dass das Eine nichts mit dem Anderen zu tun habe. Der künftige Ministerpräsident beanspruche in dieser Hinsicht ohnehin freie Hand.262 Fasst man die Diskussion zusammen, so standen sich zwei unterschiedliche Strukturmodelle gegenüber. Bei der vor allem von den Leipziger und Chemnitzer Vertretern befürworteten „triopartitiven Kooperationslösung“ wären die drei Regierungsbevollmächtigten mit dem Landessprecher als Primus inter pares und ihre jeweiligen Stellvertreter für Landesbildung das entscheidende Gremium und wäre der Koordinierungsausschuss diesem Leitungsgremium nachgeordnet gewesen. Dem stand das von Vaatz vertretene „Staatskanzleimodell“ gegenüber, bei dem der Koordinierungsausschuss als bezirksübergreifende Einrichtung dem Landessprecher unmittelbar zugeordnet war. Dem Leiter des Koordinierungsausschusses unterstanden dabei die Arbeitsstäbe, die von den bisherigen Landesstrukturbeauftragten geleitet wurden. Eine Abstimmung mit Leipzig und Chemnitz sollte sich dadurch erübrigen, dass diese Bezirke zusätzliche Mitarbeiter in die bestehenden Arbeitsstäbe entsandten.263 Das letztere Modell setzte sich dank Unterstützung der Clearingstelle und des Landessprechers durch. Krause erklärte, er werde sich künftig wöchentlich mit Ballschuh und Buttolo treffen, um landespolitisch wichtige Vorhaben zu bera-

260 Interview Günter Kleinschmidt. 261 Stenografisches Protokoll Arbeitssitzung bei Landessprecher Rudolf Krause am 27. 9. 1990 (HAIT, KA, 8). 262 Interview Peter Adler. 263 Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 138–140.

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ten und zu entscheiden. Diese Arbeitssitzungen seien als „Vorläufer künftiger Ministerratssitzungen“ gedacht.264 Mit der Sitzung am 27. September und der teils missmutigen Einigung der drei Bezirke war der Weg frei für die endgültige Trennung des Koordinierungsausschusses von der Bezirksverwaltungsbehörde Dresden. Nun ergab sich die umgekehrte Situation, dass der Regierungsbevollmächtigte für den Bezirk Dresden nicht mehr nur keine Aufsichtsfunktionen über den Koordinierungsausschuss beanspruchen konnte, sondern ab dem 3. Oktober selbst der Weisung durch den Koordinierungsausschuss als oberster Landesbehörde unterstand. Hatte sich der Koordinierungsausschuss schon bisher im Rahmen seiner Arbeiten zur künftigen Landesverwaltung auch mit der Zukunft der Bezirksverwaltungsbehörde Dresden als Regierungspräsidium beschäftigt, so war ihm diese nun auch im laufenden Verwaltungsvollzug nachgeordnet. Allerdings blieb Vaatz trotz der veränderten Unterstellungsverhältnisse formal bei der Bezirksverwaltungsbehörde angestellt. Erst am 30. November berief Ballschuh ihn nach seiner Aufnahme der Tätigkeit als Staatsminister in der Staatskanzlei von der Funktion des Regierungsbevollmächtigten für Landesangelegenheiten ab.265 Im Zusammenhang mit den Funktionsverschiebungen sind Schilderungen aufschlussreich, wie sich das Verhältnis der Mitarbeiter beider Personalkörper veränderte. Die wenigen Mitarbeiter des Koordinierungsausschusses hatten nach ihrem Einzug im Sommer im ehemaligen Gebäude des Rates des Bezirkes zunächst einer Mehrheit von über tausend Beschäftigten gegenübergestanden. Diese konnten, so Vaatz, nach ihrem Einzug überhaupt nicht fassen, „dass dort jetzt zehn Leute rein kommen und sich wirklich allen Ernstes einbilden, die Verwaltung umzukrempeln“. Deswegen habe man ihre Anwesenheit „zunächst belustigt“ zur Kenntnis genommen. Die vorherrschende Meinung sei gewesen, „es genüge, uns jeden Tag den Schreibtisch voll Papier zu knallen, dann seien wir beschäftigt, und wenn sich die Lage wieder stabilisiere, flögen wir wieder hinaus“.266 Für viele dieser Leute sei es ein traumatisches Erlebnis gewesen, „dass wir uns dann auf einmal durchgesetzt haben“.267 Freilich habe es, so Rößler, auch Mitarbeiter gegeben, die schnell merkten, dass sich „die Machtverhältnisse“ zugunsten derer änderten, die im Koordinierungsausschuss wirkten und die nun versuchten, diesen als „den neuen Mächtigen entgegenzukommen“. Manch einer habe aus „dem sicheren Gefühl, dass es jetzt anders kommt“, den „neuen Herrn seine Dienste“ angeboten. Diese subalterne Haltung habe der Arbeit des Koordinierungsausschusses genützt und man habe dies deswegen in Anspruch genommen.268 Die Verschiebung der Machtverhältnisse zwischen dem alten 264 Stenografisches Protokoll über die Arbeitssitzung bei Landessprecher Rudolf Krause am 27. 9.1990 (HAIT, KA, 8); Pressemitteilung des sächsischen Landessprechers, Rudolf Krause, vom 27. 9.1990 (Dok. 143). 265 BVB Dresden, Regierungsbevollmächtigter Ballschuh vom 30.11.1990 (HAIT, KA, 3.2). 266 Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 267 Interview Arnold Vaatz. In: Kleimeier, Sachsen, S. 105 f. 268 Interview Matthias Rößler. In: ebd., S. 95.

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Staatsapparat, auf den man anders als in Bayern in Baden-Württemberg lange gesetzt hatte, führte auch in Stuttgart zur weiteren Kurskorrektur. Nachdem Ermisch sofort auf den Koordinierungsausschuss setzte, musste sich das Stuttgarter Innenministerium Ende September mit der Kritik des Mitglieds des CDU-Landespräsidiums Otto Hauser auseinandersetzen, die dieser nach einem Besuch in Dresden formulierte. Die bisherige Arbeit, insbesondere in den Kommissionen, habe sich bislang „häufig auf Mitarbeiter konzentriert“, die „wegen ihrer politischen Vergangenheit wohl in nächster Zukunft ausgewechselt“ würden. Er warnte davor, die bisherigen Mitarbeiter in den Bezirksverwaltungen weiterhin zu unterstützen, da diese notwendige Aktivitäten „teilweise erheblich bremsen“, weswegen auch das Misstrauen der Gemeinde- und Kreisräte gegenüber der Verwaltung sehr groß sei.269 Freilich ist dabei in Rechnung zu stellen, dass die sofortige Orientierung Ermischs auf den Koordinierungsausschuss sich darauf stützen konnte, dass zwischenzeitlich auch die neuen Kräfte massive Unterstützung aus Stuttgart erfahren hatten.

6.2.3 Koordinierungsausschuss als oberste Landesbehörde mit exekutiven Vollmachten Nach Klärung des Verhältnisses des Koordinierungsausschusses zur Bezirksverwaltungsbehörde Dresden und des Einflusses aller drei Bezirke beauftragte Krause Vaatz in Absprache mit Ermisch am 28. September mit der Gesamtleitung der Arbeitsstäbe: „Vaatz ist zur Erledigung der laufenden Verwaltungsgeschäfte bevollmächtigt und übt unter meiner direkten Dienst- und Fachaufsicht die Aufsicht über die einzelnen Arbeitsstäbe für die ministeriellen Geschäftsbereiche des künftigen Landes Sachsen aus. Damit entfällt fortan jedwede Unterstellung von Herrn Arnold Vaatz unter den Regierungsbevollmächtigten des Bezirkes Dresden.“270 Die Gründe für die von Ermisch vorbereitete Entscheidung lagen auf der Hand: Mit der Institutionalisierung des Landessprechers, der Länder selbst und des Landesbeauftragten war der Koordinierungsausschuss das am besten geeignete Gremium, die Landesbildung fortzusetzen und die notwendigen Verbindungen zum Bund und zu den in Auflösung befindlichen Ministerien in Berlin zu halten.271 Noch am selben Tag ernannte Vaatz im Auftrag Krauses die bisherigen Dresdner Landesstrukturbeauftragten des Koordinierungsausschusses zu Leitern der Zentralen Arbeitsstäbe für ihre jeweiligen Ressorts und ermächtigte sie

269 IMBW: Protokoll über den Verlauf einer Besprechung zur Zusammenarbeit mit dem künftigen Land Sachsen am 21. 9.1990 (HAIT, KA, V.2). 270 BVB Leipzig, der Landessprecher: Festlegung vom 28. 9.1990 (ebd., 3.1.). 271 Interview Arnold Vaatz. In: Neue Zeit vom 27.10.1990.

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dort zur Fachaufsicht und zur Erledigung laufender Verwaltungsgeschäfte.272 Krause betonte ausdrücklich, dass für ihn die bisherigen Landesstrukturbeauftragten als Leiter der Arbeitsstäbe im jeweiligen Geschäftsbereich die maßgeblichen Ansprechpartner seien, über die sich alle anderen Mitglieder in den Prozess der Landesbildung einzubringen hätten.273 Kolbe meint, die Leiter der Arbeitsstäbe seien vom 3. Oktober bis Anfang November so etwas wie „Vorminister“ einer „Notverwaltung“ gewesen.274 Nach Meinung Wolfgang Zellers waren die Arbeitsstäbe jedoch „subalterner besetzt“ als die Fachgruppen der Gemischten Kommission. Bei den westlichen Mitgliedern habe es sich in der Regel um Mitarbeiter des höheren Dienstes, aber nicht aus dem Führungsmanagement der Ministerien gehandelt. Es seien „aufgeweckte, junge Mitarbeiter“ gewesen, „die aber mehr oder weniger die ihnen bekannten Strukturen hier einfach überstülpen wollten“. Es habe „nicht so viel an neuer Kreativität“ gegeben, wie dies in den Fachgruppen der Gemischten Kommission der Fall gewesen sei. Dort sei man „wesentlich radikaler und kreativer“ gewesen.275 Bei den Chemnitzer und Leipziger Mitarbeitern der Arbeitsstäbe handelte es sich in erster Linie um Mitarbeiter der Bezirksverwaltungsbehörde, in einzelnen Fällen ergänzt durch Mitarbeiter aus ehemaligen Fachbehörden der DDR wie der Wasserwirtschaftsdirektion, dem Bezirkshygieneinstitut oder der Staatlichen Umweltinspektion.276 Am 3. Oktober gab Landessprecher Krause eine erste Verfügung als Landesbevollmächtigter heraus, die ebenfalls von Ermisch vorformuliert worden war. Danach bestellte Krause die Regierungsbevollmächtigten Ballschuh und Buttolo zu seinen Stellvertretern. Ihnen stand im Vertretungsfall sein persönliches Büro in Leipzig zur Verfügung, zu dessen Leiter er Herrn Futter bestellte. Von Steinbach war in diesem Zusammenhang keine Rede. Für den bislang bei der Bezirksverwaltungsbehörde Dresden angesiedelten Koordinierungsausschuss war es von gravierender Bedeutung, dass er von Krause „als Koordinierungsausschuss für die vorläufige Verwaltung des Landes Sachsen unter Leitung von Arnold Vaatz fortgeführt“ wurde. Festgehalten wurde auch seine Struktur aus Arbeitsstäben für die Fachgebiete. Krause bezeichnete diese als „zuständig und weisungsberechtigt für die laufenden Geschäfte der Landesverwaltung und alle Angelegenheiten von nicht grundsätzlicher Bedeutung“. Er beauftragte den Koordinierungsausschuss mit der Leitung des weiteren Aufbaus der Ministerien. Eine enorme Aufwertung und Funktionserweiterung bedeutete es, dass er nun auch „die Zuständigkeit der obersten Landesbehörden“ ausübte, „soweit und 272 BVB Dresden, Koordinierungsausschuss, der Landessprecher: Festlegung durch Arnold Vaatz im Auftrag des Landessprechers vom 28. 9.1990 (HAIT, KA, 3.1). Zu den Arbeitsstäben siehe folgendes Kapitel. 273 Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Bericht vom 17.–21. 9.1990 (PB Manfred Kolbe). 274 Interview Manfred Kolbe am 16. 5. 2003. 275 Interview Wolfgang Zeller. 276 Interview Günter Kleinschmidt.

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solange diese noch nicht errichtet“ waren.277 Dem Landessprecher wurde somit nach dem 3. Oktober 1990 der Koordinierungsausschuss als „Exekutivorgan“ zugeordnet,278 der damit direkter Vorläufer der Exekutive wurde.279 Die Geschäftsstelle des Koordinierungsausschusses, das Büroumfeld von Vaatz also, wurde durch die Funktionsübertragung zur „embryonalen Staatskanzlei“.280 Die Rede war auch vom „Kabinett“ des Landesbevollmächtigten.281 Die Vertreter der Clearingstelle wurden als „Mitglieder der Arbeitsstäbe“ definiert. Die geringere Bedeutung der formalen gegenüber der funktionalen Hierarchie machte die Bemerkung Herzers vom 10. Oktober deutlich, Ermisch und Hirschle seien Vaatz als Leiter des Koordinierungsausschusses für die Arbeitsstäbe „zur Seite gestellt“.282 Allein diese funktionale Zuordnung macht deutlich, dass es auch zu diesem Zeitpunkt weniger um Formalitäten als vielmehr um die Bewältigung einer gigantischen Aufgabe ging. Krause ermächtigte in der Verfügung den bisherigen Stellvertreter des Regierungsbevollmächtigten in Dresden für Personalfragen, Matthias Reichenbach, im Einvernehmen mit Vaatz vorläufig zur Regelung der Personalangelegenheiten der Arbeitsstäbe, einschließlich des Landtages und der künftigen Ministerien. Allerdings blieb die Besetzung der ausgeschriebenen Stellen der aus der Landtagswahl hervorgehenden Exekutive vorbehalten.283 Mit der Verfügung Krauses war der Koordinierungsausschuss endgültig aus der Bezirksstruktur herausgewachsen und vom Regierungsbevollmächtigten abgekoppelt. Er unterstand nun direkt der Aufsicht des Landesbevollmächtigten, war dessen „Exekutivorgan“, und auch die Arbeitsstäbe nahmen exekutive Befugnisse wahr.284 Der Zwang zur Kooperation mit den Einrichtungen der Bezirke Chemnitz und Leipzig trat in den Hintergrund, weil nunmehr auch formal die Anbindung an ein übergreifendes Länderorgan, den Landessprecher, gegeben war. Zusätzlich zur Strukturentwurfstätigkeit kamen nun konkrete administrative Aufgaben im Vollzug hinzu, was nicht nur nach Ansicht von Vaatz eine außerordentliche Aufwertung und Anerkennung der Tätigkeit des Koordinierungsausschusses bedeutete.285 Hirschle erklärte am 4. Oktober bei einer Arbeitstagung des Landessprechers, so auch weiterhin die Bezeichnung der Lan277 Landessprecher für das Land Sachsen: Verfügung 1/90 vom 3.10.1990 (Dok. 152). 278 Land Sachsen, Der Landesbevollmächtigte: Stand der Vorbereitungen für den Aufbau der Strukturen der Landesverwaltung (HAIT, KA, 10.1). 279 Interview Georg Milbradt; Interview Matthias Rößler. In: Kleimeier, Sachsen, S. 94. 280 Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 146. 281 BVB Chemnitz, Abt. Bau- und Wohnungswesen: 3. Beratung des AS Innenministerium am 12.10.1990 (RPL, 0144). 282 BVB Chemnitz, 2. Stellv. des Regierungsbevollmächtigten: Protokoll der Beratung des Arbeitsstabes Innenministerium am 5.10.1990 (SächsStAC, BVB, 152240). 283 Pressemitteilung von Landessprecher Rudolf Krause vom 5.10.1990 (Dok. 153). 284 Bericht des Landesbevollmächtigten zum Stand der Vorbereitungen für den Aufbau der Strukturen der sächsischen Landesverwaltung von Mitte Oktober 1990 (Dok. 156); Interview Günter Ermisch. 285 Interview Arnold Vaatz in: Der Sächsische Landtag: Von der Wende zum Parlament, S. 51.

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desbevollmächtigten, man habe es jetzt mit dem Land Sachsen zu tun und damit die Pflicht, eine funktionsfähige Landesregierung vorzubereiten. Dem Landessprecher müsse eine Organisation nachgeschaltet werden, die ministerielle Aufgaben erledigen könne und in ihrer gesetzlichen Konstruktion dem entspreche, was der Ministerrat für das Land sei. Bisher habe sich der Koordinierungsausschuss unter Leitung von Vaatz mit den Strukturen der künftigen Ministerien und der Verwaltungsorganisation in Sachsen beschäftigt. Aus den bereits ressortmäßig gegliederten Gruppierungen gelte es nun eine Struktur zu schaffen, die über die rein organisatorische Aufgabe der Gestaltung von Ministerien hinaus auch die verwaltende Funktion übernehme. Daher schlage er vor, die Arbeitsstäbe, die sich aus Vertretern der Bezirke unter Beteiligung des Bundes, der Partnerländer und der DDR-Regierung gebildet hätten, zur „Kerntruppe“ zu machen, die über das Organisatorische hinaus auch die verwaltungsmäßige Abwicklung der Regierungsaufgaben einzuleiten habe. Bei der Gestaltung der Übergangsverwaltung sollten sich die Arbeitsstäbe der Bezirksverwaltungsbehörden bedienen, bis diese durch die Landesregierung in eine endgültige Form gebracht würde. Da die Arbeitsstäbe einer gewissen zentralen Steuerung bedürften, schlage man vor, dass der Koordinierungsausschuss unter Leitung von Vaatz „die Führung und Betreuung der Arbeitsstäbe mit der Errichtung einer Geschäftsstelle = Staatskanzlei in den neuen Formen weiterhin übernehme“. Vaatz wertete das Modell als Versuch, „tatsächlich Verantwortung an diesem Punkt zu konzentrieren und Möglichkeiten für Entscheidungen zu schaffen“. Es gehe nicht mehr an, dass diese durch lange Dienstwege verzögert oder gar verhindert würden und die Dinge dem Selbstlauf überlassen blieben. Ermisch verwies im Hinblick auf die administrativen Befugnisse der Arbeitsstäbe darauf, dass diese „Weisungsrecht wie Ministerien haben müssten, sonst habe das keinen Zweck. Man müsse klar ausdrücken, dass da die Zukunft liege.“ Krause behielt sich auch in der neuen Struktur das letztgültige Weisungsrecht vor: „Er ziehe die fachliche Verantwortung für die Arbeitsstäbe an sich und verleihe ihnen damit den Charakter von obersten Landesbehörden.“ Sie seien gleichsam „Vorschaltinstitutionen“ für die künftigen Landesministerien. Er übertrage die Erledigung der laufenden Geschäfte der obersten Landesbehörde auf die Arbeitsstäbe, möchte jedoch über alle wesentlichen Entscheidungen informiert werden. In Zweifelsfällen sei auf seine Entscheidungen und Weisungen zu achten. Er beauftrage Vaatz als den Leiter des Arbeitsstabes Staatskanzlei mit der Koordinierung der Erfüllung der den Arbeitsstäben obliegenden Aufgaben. Ermisch und Hirschle bat er, beratend zur Seite zu stehen und ihre Erfahrungen einzubringen.286 Zwar betonte Krause als Landesbevollmächtigter der Bundesregierung seine Führungsfunktion, dennoch blieb Ermisch im Hintergrund die graue Eminenz der interimistischen Auftragsverwaltung des Bundes. Er war es, der die 286 Stenographisches Protokoll der Arbeitssitzung bei Landessprecher Rudolf Krause mit Regierungsbevollmächtigten, Strukturbeauftragten und Beratern am 4.10.1990. Zit. in Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 146–150.

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Umwandlung des Koordinierungsausschusses in die Exekutive zu verantworten hatte, wobei er sich im Übrigen stets mit Hirschle absprach und gemeinsam mit ihm alle Schritte plante.287

6.2.4 Arbeitsstäbe des Koordinierungsausschusses Mit Wirkung vom 3. Oktober wurden aus den Landesstrukturbeauftragten die Vorsitzenden der Arbeitsstäbe, die unter Leitung von Vaatz dem Landessprecher unmittelbar untergeordnet waren. Die Arbeitsstäbe erhielten vom Landessprecher eine detaillierte Arbeitsanleitung. Danach hatten ihre Leiter durch Schaffung von Unterarbeitsgruppen oder eine Aufgabenverteilung an einzelne Mitglieder in Anlehnung an die geplante Gliederung der künftigen Ministerien eine zweckmäßige innere Gliederung sicherzustellen. Die Bezirksverwaltungen hatten die Arbeitsstäbe bei ihrer Aufgabenerfüllung zu unterstützen. Diese sollten einmal pro Woche tagen, wobei alle Mitglieder Gelegenheit zur Stellungnahme und Mitwirkung erhalten sollten. Das war wichtig, kamen diese doch aus sehr unterschiedlichen Institutionen des Bundes, der Partnerländer, der DDR und aus dem bisherigen Koordinierungsausschuss. Entscheidungen sollten, soweit erforderlich, durch den Leiter des Arbeitsstabes im Benehmen mit den Vertretern des Bundes und der Partnerländer getroffen werden. Die Arbeitsstäbe hatten die Entscheidungen des Landesbevollmächtigten durch die Erarbeitung schriftlicher Vorlagen vorzubereiten und die Geschäftsstelle des Koordinierungsausschusses von den Beratungen und Entscheidungen zu unterrichten.288 Die Arbeitsstäbe tagten jeweils dienstags unter Vorsitz des Leiters der Koordinierungsstelle, um die Arbeit zu koordinieren und Entscheidungen des Landessprechers vorzubereiten. Die Leiter zeichneten im Auftrag des Landessprechers, ein Vertreter der Bundesregierung und der Vorsitzende der Koordinierungsstelle zeichneten mit. Neben dem Leiter des Koordinierungsausschusses waren die Clearingkoordinatoren des Bundes und der Länder das Bindeglied zu den Arbeitsstäben, die jeweils für eines der künftigen Ressorts oder einer wichtigen Landeseinrichtung, wie zum Beispiel dem Landesrechnungshof, verantwortlich waren. In die Arbeitsstäbe war jeweils ein Vertreter der Clearingstelle und der Partnerländer Baden-Württemberg und Bayern integriert. Die Arbeitsstäbe trugen die Verantwortung für die laufende Verwaltung und hatten dazu Weisungsbefugnis gegenüber den nachgeordneten Behörden. Daneben führten sie die Vorbereitung der Landesstrukturen weiter, indem sie die Ministerien auf unteren Ebenen personell besetzten und ihnen Arbeitsauf-

287 Interview Günter Ermisch. 288 Hausmitteilung der Geschäftsstelle des Koordinierungsausschusses an die Leiter der Arbeitsstäbe vom 12.10.1990. Anlage: Arbeitsanleitung für die Arbeitsstäbe (HAIT, KA, 22.1).

Arbeitsstäbe des Koordinierungsausschusses

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gaben aus ihren kommenden Zuständigkeitsbereichen übertrugen.289 Die Arbeitsstäbe zur Bildung der Landesregierung war ressortmäßig durchgegliedert. Ihre Zusammensetzung änderte sich später zugunsten westdeutscher Leihbeamter. Staatskanzlei: Mit der Leitung des Arbeitsstabes Staatskanzlei beauftragte Vaatz Michael Kinze.290 Chemnitz war hier durch den Abteilungsleiter der Bezirksverwaltungsbehörde, Roland Seyd, Herrn Kretschmar und den Strukturbeauftragten Justiz, Zenker, vertreten, Leipzig durch den Referatsleiter Raumordnung der Bezirksverwaltungsbehörde, Karlheinz Bauer. Clearingberater des Bundes waren Ermisch, Lenz und Kammerschen.291 Unmittelbare Verwaltungshelfer aus Bayern und Baden-Württemberg gab es hier nicht.292 Wie die anderen Arbeitsstäbe stellte der Arbeitsstab Staatskanzlei Ende Oktober eine fünfköpfige Arbeitsgruppe für Personalangelegenheiten zusammen, die in ihrer Zusammensetzung (Kinze, Muster, Kammerschen, Herz, Bauer) vom Leiter des Koordinierungsausschusses bestätigt wurde. Nach Kinzes Meinung stellte das von seinem Arbeitsstab ausgearbeitete Organigramm beim tatsächlichen Aufbau der Staatskanzlei die Grundlage dar, sei aber natürlich verfeinert worden. Es handelte sich um „ein originär sächsisches Modell ohne bundesdeutsche Berater“. Freilich war es nach Analyse bundesdeutscher Organigramm-Vorlagen erstellt worden.293 „Die Vorarbeit“, so Michael Muster, „war sächsisch mit Vorlagen anderer Staatskanzleien der Altländer, und es waren keine Verwaltungshelfer dabei, die sich da eingemischt hätten. Wir haben überall das, was uns am besten erschien, ausgewählt und auf unsere Interessen hin ausgelegt.“294 Die Organisationsstruktur basierte auf Erfahrungen aus Kontakten zwischen Vaatz und der Bayerischen Staatsregierung und einer mehrtägigen Hospitation vom Michael Kinze in München, bei der Organisationsschemata der Sächsischen Staatskanzlei, Stellenplanentwürfe und haushaltsrechtliche Grundlagen erarbeitet worden waren.295 Dennoch entsprach die Organisationsstruktur nicht dem Modell der bayerischen Staatskanzlei, eher, so Meyer, war es am baden-württembergischen Modell orientiert. Ohnehin strebte man in

289 Bericht des Landesbevollmächtigten zum Stand der Vorbereitungen für den Aufbau der Strukturen der sächsischen Landesverwaltung von Mitte Oktober 1990 (Dok. 156). 290 BVB Dresden, Koordinierungsausschuss für die Bildung des Landes Sachsen, Landessprecher: Festlegung vom 28. 9.1990 (HAIT, KA, 66). Vgl. Interview Michael Kinze. In: Die Union vom 26. 9.1990. 291 Der Landessprecher für das Land Sachsen, Büro Dresden: Arbeitsstäbe, Stand 8.10. 1990 (HAIT, KA, 3.2); Günter Kleinschmidt an Arnold Vaatz vom 11.10.1990 (ebd.). 292 Interview Michael Muster. 293 Interview Michael Kinze. 294 Interview Michael Muster. 295 BayStK, Arbeitsstab Deutschlandpolitik, Interministerielle AG Deutschlandpolitik: Gespräch des Bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl mit der Bayerischen Landtagspresse e. V. am 9. 4.1991. Materialien: Aufbau der neuen Länder mit Bayerischer Hand (BayStK, Baer).

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Sachsen aus finanziellen Gründen ein verkleinertes Modell der Staatskanzleien in westlichen Bundesländern an.296 Inneres: Der Arbeitsstab Inneres wurde Anfang Oktober aus Mitarbeitern der Bezirksverwaltungsbehörden sowie Beratern des Bundesinnenministeriums und Baden-Württemberg gebildet. Die Leitung des Arbeitsstabes Inneres übernahm Thomas Hirschle, unterstützt durch Bernd Herzer. Hubert Wicker war hier später für den Bereich Innenverwaltung tätig.297 Chemnitz war durch den stellvertretenden Regierungsbevollmächtigten Horst Krüger sowie die Herren Neumann und Frenzel vertreten, Leipzig durch sechs Mitarbeiter, nämlich Henning Diestel, Schütze, Lischke, Burk, Bräuer und Frau Noke. Matthias Reichenbach wurde neben seinen sonstigen Verpflichtungen zusätzlich beauftragt, das Personalreferat der Abteilung I des Innenministeriums im Rahmen des Arbeitsstabes vorzubereiten.298 Als Clearingberater des Bundes war hier Josef Höß vom Bundesbauministerium tätig.299 Jedes Arbeitsstabsmitglied war für den Aufbau je einer Abteilung oder eines Referates verantwortlich. Der Arbeitsstab befasste sich zudem mit dem Aufbau nachgeordneter Behörden und Einrichtungen. Dabei handelte es sich zum Teil um die Umwandlung vorhandener, zum Teil um die Schaffung völlig neuer Strukturen. So ging es unter anderem um die schrittweise Anpassung der Polizeistrukturen an den von einer Arbeitsgruppe unter Beteiligung Baden-Württembergs und Bayerns erarbeiteten Aufbauplan, um die Übertragung von bisherigen Polizeiaufgaben an kommunale Verwaltungen (Pass- und Meldewesen, Kfz-Zulassungen), um die Einrichtung von Landesaufnahmestellen für Asylanten und Aussiedler, die Bildung eines Landesvermessungsamtes und einer zentralen Stelle für die Aufarbeitung und Auswertung der Liegenschaftsakten, die Erarbeitung von Aufbaukonzeptionen für die staatliche Hochbauverwaltung und für die Bauaufsicht, um Konzeption für ein statistisches Landesamt und eine Archivverwaltung, die Vorbereitung der personellen und sachlichen Ausstattung des Innenministeriums sowie von Gesetzesentwürfen und Verwaltungsvorschriften.300 Der Arbeitsstab tagte seit Anfang Oktober wöchentlich als Vorläufer des Ministeriums, wobei alle Abteilungen und einige Referate durch Mitglieder des Stabes repräsentiert wurden. Am 2. und 5. Oktober fanden die ersten Beratungen des Arbeitsstabes Innenministerium unter Leitung Herzers statt. Beraten wurden die Aufgaben der Verantwortlichen für die Abteilungen.301 Bei der dritten Beratung des Arbeitsstabes Innenministerium am 12. Oktober wurde darauf hingewiesen, dass jeder für den Aufbau des Innenministeriums benannte Abteilungs- und Referatsleiter „die Geschäfte auf sei296 Interview Günter Meyer. 297 Interview Hubert Wicker. 298 Interview Matthias Reichenbach am 30. 3. 2000. 299 Der Landessprecher für das Land Sachsen, Büro Dresden: Arbeitsstäbe, Stand 8.10. 1990 (HAIT, KA, 3.2); Günter Kleinschmidt an Arnold Vaatz vom 11.10.1990 (ebd.). 300 Bericht des Arbeitsstabes „Inneres“ über den Arbeitsstand zum 31.10.1990 (ebd., 25). 301 Beratung des Arbeitsstabes Innenministerium am 2.10.1990 (SächsStAC, BVB, 152240); Beratung des Arbeitsstabes Innenministerium am 5.10.1990 (HAIT, KA, 25).

Arbeitsstäbe des Koordinierungsausschusses

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nem Arbeitsgebiet im Sinne einer Landesregierung und für das Land Sachsen eigenverantwortlich und vorausschauend abwickelt“.302 Am 26. Oktober informierte Herzer über den Stand des Personalauswahlverfahrens für die Führungskräfte. Die Bewerbungen waren nach Abteilungen und Referaten geordnet, so dass die Personalarbeitsgruppe aus Herzer, Diestel (Leipzig) und Krüger (Chemnitz) mit der Auswahl beginnen konnten.303 Anfang November nannte Herzer Schwerpunktthemen des Geschäftsbereiches Inneres. Dazu gehörte der „Aufbau einer leistungsfähigen und an den Interessen der Bürger orientierten schlanken Landesverwaltung“. Anstelle der „zentralistischen Mammutverwaltungen mit ihren riesigen Wasserköpfen in Gestalt der jeweils nach Tausenden zu zählenden Mitarbeiter der Berliner Ministerien, die Verwaltung als Selbstzweck betrachtet haben“, wolle man nun eine Landesverwaltung aufbauen, die nach fachlichen Gesichtspunkten sinnvoll in überschaubare Geschäftsbereiche gegliedert und vom Ballast unnötiger Aufgaben befreit sei, die nach dem Subsidiaritätsprinzip nicht vom Staate wahrgenommen werden müssten, sondern von Privaten besser und zumeist auch billiger erfüllt werden könnten. Die Verwaltung sollte streng Recht und Gesetz unterworfen sein und dem Bürger bei der Wahrnehmung seiner Interessen als Partner und Dienstleistungsunternehmen zur Verfügung stehen, durch leistungsbezogene Komponenten des Besoldungs- und Tarifgefüges motivierte Mitarbeiter haben und mit sowenig Staat wie möglich und soviel Staat wie notwendig die Rahmenbedingungen für die Entwicklung des Landes schaffen. Hinzu komme der Aufbau einer nach rechtsstaatlichen Prinzipien arbeitenden leistungsfähigen Polizei, die Stärkung der Selbstverwaltungskraft der Gemeinden und Landkreise, die Neuorganisation des staatlichen Vermessungswesens und des Liegenschaftsdienstes und eine verstärkte Wohnraumsanierung. Der Arbeitsstab Inneres hatte neben dem Aufbau des Ministeriums auch die Konzeption für ein statistisches Landesamt, für die Asylbewerber- und Aussiedlereingliederung, für eine Umstrukturierung der Polizei und des Zivilschutzes, sowie für eine Landesvermessungsverwaltung vorzubereiten.304 Am 9. November befasste sich der Arbeitsstab mit der Abwicklung bzw. Weiterführung von Einrichtungen gemäß Einigungsvertrag.305 Zum Abschluss seiner Tätigkeit legte Herzer einen Sachstandbericht zur Vorlage für die Sitzung des Kabinetts vor. Darin wurde der Arbeitsstand der einzelnen Abteilungen benannt und betont, im Arbeitsstab seien die Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten entsprechend dem vom Koordinierungsausschuss gebilligten Organigramm des künftigen Innenministeriums verteilt.306 302 BVB Chemnitz, Abt. Bau- und Wohnungswesen: 3. Beratung des Arbeitsstabes Innenministerium am 12.10.1990 (RPL, 0144). 303 Protokoll des Arbeitsstabes Innenministerium vom 26.12.1990 (HAIT, KA, 25). 304 Leiter des Arbeitsstabes Inneres, Herzer: Schwerpunktthemen im Geschäftsbereich Inneres [Handschr.: 5.11.90] (ebd., 25/1). 305 Protokoll der 7. Beratung des Arbeitsstabes Innenministerium vom 9.11.1990 (ebd., 25). 306 Sachstandbericht des Arbeitsstabes „Inneres“ zum 12.11.1990 [Handschr.: Zuarbeit Inneres (Herzer) für MR-Sitzung] (ebd.).

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Wirtschaft: Den Arbeitsstab Wirtschaft leitete Herbert B. Schmidt. Parallel dazu führte er sein Amt als Ressortleiter Wirtschaft der Bezirksverwaltungsbehörde Dresden bis Ende November weiter.307 Chemnitz wurde durch den stellvertretenden Regierungsbevollmächtigten, Paul-Willy Heilmann, durch den bisherigen DA-Generalsekretär Wolf-Dieter Beyer und Herrn Kronach vertreten, Leipzig durch den Referatsleiter für Wirtschaftsförderung der Bezirksverwaltungsbehörde, Wolfgang Pfeufer, Herrn Gruner und Frank Artmann vom ehemaligen Rat des Bezirkes. Als Clearingberater des Bundes wirkte Herr Obernolte vom Bundeswirtschaftsministerium mit.308 Schmidt habe, so Jörg Geiger, mehr als in anderen Arbeitsstäben auf Mitarbeiter der Bezirksverwaltungsbehörden zurückgegriffen.309 Die Planungen im Arbeitsstab orientierten auf ein Ministerium für Wirtschaft, Verkehr und Straßenbau.310 In der Beratung des Arbeitsstabes Wirtschaft am 4. Oktober informierte Schmidt darüber, dass der Arbeitsstab die Aufgabe habe, sowohl das Ministerium organisatorisch vorzubereiten als auch die laufenden verwaltungsmäßigen Aufgaben zu erledigen. Es wurde beschlossen, diese bis zum Aufbau der ministeriellen Strukturen von der Bezirksverwaltungsbehörde wahrnehmen zu lassen. Die Arbeit sollte sich neben dem Aufbau ministerieller Strukturen auch auf die Bildung nachgeordneter Ämter und Einrichtungen konzentrieren. Wie alle Arbeitsstäbe musste über die Fortführung von DDR-Einrichtungen vorentschieden werden. Für die künftige Arbeit wurden Unterarbeitsgruppen eingerichtet. Geplant waren als dem Wirtschaftsministerium nachgeordnete Ämter und Einrichtungen eine Bergverwaltung, ein Landesamt für Mess- und Eichwesen, eine Sächsische Gesellschaft für Materialforschung- und Prüfung, eine Wirtschaftsfördergesellschaft Sachsen, ein Landesamt für Verkehr als Straßenbauverwaltung, eine Landesentwicklungsgesellschaft Sachsen, eine Sächsische Aufbaubank sowie ein Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen. In der Beratung hieß es, der derzeitige Personalstand der Bezirksverwaltungsbehörde, Ressort Wirtschaft, müsse daraufhin überprüft werden, welches Personal künftig für die Regierungspräsidien und andererseits für das Ministerium geeignet erscheine. Zuständig für diese Eignungsprüfung seien die jeweiligen Ressortleiter. Ein anderes Mitglied des Arbeitsstabes wies darauf hin, dass von Seiten des ehemaligen Ministeriums für Wirtschaft in Berlin ebenfalls Personal zur Verfügung gestellt werden könne. Gegenüber diesen Versuchen, Altkader in Stellung zu bringen, erklärte Münch, dass alle Abteilungsleiter- und Referatsleiterstellen bundesweit ausgeschrieben würden und sich jeder bewerben könne.311 Am 12. Oktober fand die zweite Sit307 Die Tätigkeit von Dr. Herbert B. Schmidt in der DDR im Jahre 1990 (PB Herbert B. Schmidt). 308 Der Landessprecher für das Land Sachsen, Büro Dresden: Arbeitsstäbe, Stand 8.10.1990 (HAIT, KA, 3.2); Günter Kleinschmidt an Arnold Vaatz vom 11.10.1990 (ebd.). 309 Interview Jörg Geiger. 310 Ders. 311 Protokoll über die 1. Beratung des Arbeitsstabes Wirtschaft am 4.10.1990 (HAIT, KA, 22.1).

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zung des Arbeitsstabes „Ministerium für Wirtschaft und Verkehr“ statt. Dabei wurde die Arbeitsanleitung für die Arbeitsstäbe erläutert und auf die Stellenausschreibungen unterhalb der Referatsleiterebene hingewiesen.312 Am 16. Oktober schlug Schmidt Biedenkopf eine Entflechtung des HO-Handels vor. Einen Tag später folgte eine Übersicht über aktuell verfolgte Wirtschaftsvorgänge in Sachsen wie Privatisierungen, infrastrukturelle Investitionen, Existenzgründungen, Neuansiedlungen und Ankurbelungsmaßnahmen, Maßnahmen im Wohnungs- und Bauwesen, im Bereich Messen und Außenwirtschaft sowie im Tourismus.313 Themen der dritten Beratung am 19. Oktober waren unter anderem die Arbeit der Unterarbeitsstäbe und Stellenausschreibungen. Einig war man sich, eine dreistufige Bergbehörde mit vorläufigem Sitz in Leipzig zu bilden, die später nach Freiberg verlegt werden sollte.314 Am 4. November übergab Schmidt Vaatz Zuarbeiten seines Arbeitsstabes zur Wirtschaftspolitik und zum Verkehrskonzept.315 In einer Vorlage für Schommer von November findet sich das Organigramm vom 10. September. Offensichtlich gab es hier keine Veränderungen, bevor Biedenkopf das Ministerium umstellte.316 Am 8. November legte Schmidt ein Konzept für private Autobahnen nach Görlitz und Prag vor.317 Noch im Nachhinein betont er, dass die vom Arbeitsstab entworfene Wirtschaftsverwaltung und -konzeption „ein eigenständiges Gewächs“ gewesen sei. „In dieser Eigenständigkeit“ habe man „revolutionäre Gedanken“ entwickelt: „Wir waren fertig mit der privat finanzierten Autobahn von Dresden nach Görlitz zum Erhalt der Oberlausitz, weil wir wussten, wenn da die Autobahn nach üblichem westdeutschen Ritus gebaut wird, dauert das zehn Jahre, und bis dahin ist die Oberlausitz kaputt.“ Neben dem Autobahnprojekt habe es noch andere, eigenständige Ideen gegeben, die es weder in Bayern, noch in Baden-Württemberg oder auf Bundesebene gab.318 Freilich fand Schmidt mit seinen Ideen in Bonn wenig Resonanz. Der Bundesverkehrsminister fand wenig Gefallen an privaten Autobahnen.319 Bereits am 3. Oktober um 00.00 Uhr war in der Bezirksverwaltung Wirtschaft ein Telex aus dem Bundesverkehrsministerium angekommen, in dem ihm jegliche Tätigkeit in Sachen privater Autobahn untersagt worden war. Schon in der „Sekunde der deutschen Einheit“, so berichtet ein enttäuschter Schmidt, habe die Bundesregierung samt ihrer „Spionagezent312 Protokoll der 2. Beratung des Arbeitsstabes „Ministerium für Wirtschaft und Verkehr“ am 12.10.1990 (ebd. 1); Mitteilung von Pfeufer an Kleinschmidt: Information über die 2. Sitzung des Arbeitsstabes „Ministerium für Wirtschaft und Verkehr“ am 12.10.1990 (RPL, 0144). 313 Herbert B. Schmidt an Kurt Biedenkopf vom 16. und 17.10.1990 (HAIT, KA, 22.1). 314 Protokoll der 3. Beratung des Arbeitsstabes „Ministerium für Wirtschaft und Verkehr Sachsen“ am 19.10.1990 (RPL, 0144) (HAIT, KA, 22.2). 315 Herbert B. Schmidt an Arnold Vaatz vom 4.11.1990 (ebd., 22.1). 316 Ebd., 22.2. 317 Arbeitsstab „Ministerium für Wirtschaft und Verkehr Sachsen“: Beratungsvorlage: Bau von Bundesautobahnen auf der Basis von Privatfinanzierungen vom 8.11.1990 (ebd., 22.1). 318 Herbert B. Schmidt beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 319 Vgl. Die Union vom 19.10.1990.

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rale“, gemeint ist die Clearing-Außenstelle Dresden, sämtliche eigenständige Ideen, die man damals durchaus hätte durchsetzen können und sollen, kaputt gemacht.320 Aber auch Biedenkopf fand wenig Gefallen an Schmidts Ideen. Dieser legte Biedenkopf für seine Regierungserklärung Vermerke zur Wirtschaftspolitik vor, in denen er sich für eine forcierte Privatisierung, die Rückführung sächsischen Vermögens aus der Treuhand in Landeseigentum, eine Handelsentflechtung sowie die Förderung des Mittelstandes und der freien Berufe einsetzte. Als wichtigstes Ziel der Wirtschaftspolitik in Sachsen nannte er es, den Investitionsstandort für Produktionsbetriebe zu verbessern, wozu die Infrastruktur ausgebaut werden müsse.321 Freilich mochte sich dieser auf Grund unterschiedlicher Konzepte und früherer Differenzen nicht für Schmidt erwärmen und berief Schommer zum Minister für Wirtschaft und Arbeit. Fröhlich, der im Arbeitsstab Wirtschaft mitwirkte, als Schommer bereits im Amt war, berichtet von Differenzen mit Schmidt: „Wir haben dann sehr schnell einen Kollegen aus dem Wirtschaftsministerium, den Herrn Geiger zum Geschäftsführer dieses Stabes etabliert.“ Geiger kam aus dem Wirtschaftsministerium Baden-Württembergs und wurde schnell die „treibende Kraft in diesem Aufbaustab“.322 Finanzen: Dem Arbeitsstab Finanzen stand Manfred Kolbe „als Vorminister“ vor.323 An seine Stelle trat im November Ministerialrat Hubert May aus dem Bayerischen Staatsministerium der Finanzen,324 da Kolbe im Dezember für den Wahlkreis Grimma in den Deutschen Bundestag einzog und mit dem Wahlkampf beschäftigt war. Als Mitarbeiter aus Chemnitz waren der Clearingberater Finanzen der Bezirksverwaltungsbehörde Chemnitz, Gall, und Staguhn325 sowie aus Leipzig Frau Prag genannt.326 Clearingberater des Bundes waren hier Ebermann und Hahn vom Bundesfinanzministerium.327 Bei der vierten Sitzung des Arbeitsstabes Finanzen am 17. Oktober wurden sechs Unterarbeitsgruppen mit jeweils einem Vertreter aus Chemnitz, Leipzig und Dresden sowie des Bundes, Bayerns und Baden-Württembergs gebildet.328 Am 26. September trat der Arbeitsstab Finanzen zur ersten Sitzung zusammen. Themen waren die Überführung und Abwicklung von Ländereinrichtungen gemäß Einigungsvertrag, der Nachtragshaushalt 1990 sowie nachgeordnete Behörden im Geschäfts320 Herbert B. Schmidt beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. 321 Herbert B. Schmidt an Arnold Vaatz vom 4.11.1990 (PB Herbert B. Schmidt). 322 Interview Wolfgang Fröhlich. Siehe dazu auch den entsprechenden Abschnitt in Kap. 7.2.4. 323 Interview Manfred Kolbe am 16. 5. 2003. 324 Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Bericht 5.–11.11.1990 (PB Manfred Kolbe). 325 Wahrscheinlich handelt es sich um den Leipziger Strukturbeauftragten Bruno Staguhn, hier fälschlich Chemnitz zugeordnet. 326 BVB Dresden, Koordinierungsausschuss, gez. Vaatz i.A. des Landessprechers: Beauftragung von Manfred Kolbe vom 28. 9.1990 (PB Manfred Kolbe). 327 Der Landessprecher für das Land Sachsen, Büro Dresden: Arbeitsstäbe, Stand 8.10. 1990 (HAIT, KA, 3.2); Günter Kleinschmidt an Arnold Vaatz vom 11.10.1990 (ebd.). 328 Protokoll der 4. Sitzung des Arbeitsstabes Finanzen am 17.10.1990 in Dresden (RPL, 0144).

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bereich des Finanzministeriums wie Oberfinanzdirektion, Beamtenfachhochschule, Landesrechenzentrum, Landesamt für Besoldung und Versorgung, Statistisches Landesamt und Sächsische Landesbank.329 Im Bereich des Finanzministeriums gab es „so gut wie keine Vorarbeiten organisatorischer und technischer Art“. Es handelte sich um einen kompletten Neuaufbau.330 Kolbe erinnert sich, dass im Arbeitsstab viel Arbeit zu leisten war. Ab dem 3. Oktober habe man dieselbe Post gekriegt wie ein normales Finanzministerium, das seien allein „Unmengen“ an Arbeit gewesen, für die eigentlich kein entsprechender Apparat zur Verfügung stand.331 Alles musste schnell gehen. Die Abteilungen mussten strukturiert und es musste durchgestellt werden, welche Entscheidungen zu treffen waren. Wichtig war die Außenverwaltung. Die Finanzämter mussten funktionieren. Es gab einen Aufbaustab Oberfinanzdirektion, der schon Mitte 1990 die Arbeit aufgenommen hatte.332 Der Arbeitsstab musste die nachgeordneten Behörden entwickeln und entschied, die Oberfinanzdirektion in Chemnitz anzusiedeln. Kolbe wurde beauftragt, einen Leiter zu suchen. Er trug den Wunsch in der Bayerischen Staatsregierung vor, die daraufhin Klaus Staschik delegierte.333 Bayern übernahm insgesamt federführend den Aufbau des Sächsischen Finanzministeriums und der Sächsischen Oberfinanzdirektion in Chemnitz. Außerdem leistete es Verwaltungshilfe beim Aufbau des sächsischen Landesamtes für Finanzen. Beim Aufbau der Mittelinstanzen und Finanzämter im Bereich der Finanzverwaltung war die Oberfinanzdirektion Nürnberg federführend tätig. Das ursprünglich ebenfalls in Sachsen engagierte NordrheinWestfalen zog sich bis Juli 1991 aus Sachsen zurück und übergab Bayern die zuständigen Bereiche.334 Trotz der enormen Belastung brachte der Arbeitsstab einen ersten Haushalt auf den Weg und entwarf erste Strukturen.335 Am 12. Oktober lag der Nachtragshaushaltsplan für die verbleibende Zeit des Jahres 1990 vor. Danach ergab sich ein finanzieller Gründungsbedarf von 37,679 Mio. DM, wovon 25,777 Mio. DM aus dem Bundeshaushalt vorgesehen waren.336 Anfang November stellte sich Georg Milbradt Kolbe als künftiger Finanzminister vor. Kolbe übergab ihm die Unterlagen des Arbeitsstabes, Milbradt übernahm auch dessen Mitarbeiter.337 Er war mit der Vorarbeit mehr als zufrieden und meinte,

329 Tagesordnung 1. Sitzung Arbeitsstab Finanzen am 26. 9.1990 (PB Manfred Kolbe). 330 Interview Georg Milbradt. 331 Interview Manfred Kolbe am 16. 5. 2003. 332 Interview Walter Woydera. 333 Interview Manfred Kolbe am 13. 3. 2000. 334 BayStK, Arbeitsstab Deutschlandpolitik, Interministerielle AG Deutschlandpolitik: Gespräch des Bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl mit der Bayerischen Landtagspresse e. V. am 9. 4.1991. Materialien: Aufbau der neuen Länder mit Bayerischer Hand (BayStK, Baer). 335 Interview Manfred Kolbe am 16. 5. 2003. 336 Finanzieller Gründungsbedarf des Landes Sachsen für die Zeit vom 3.10.–31.12.1990 (PB Manfred Kolbe). 337 Interview Manfred Kolbe am 16. 5. 2003.

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der Koordinierungsausschuss habe in seinem Bereich „gute Strukturen“ vorgegeben.338 Justiz: Am 4. Oktober konstituierte sich der Arbeitsstab Justiz.339 Er wurde durch Edeltraud Thaut geleitet. Chemnitz war durch den dortigen Strukturbeauftragten Zenker, Leipzig durch die Herren Koch und Kleine vertreten. Eberhard Stilz leitete die Arbeit wesentlich mit und übernahm schließlich die Leitung. Er selbst meint, es sei „nie so genau geklärt“ worden, „wer was zu leiten hatte“. Es sei „halt die Arbeit gemacht worden. Und gefragt worden ist der, der sich auskannte.“340 Den Bereich Gerichtsaufbau leitete Steffen Heitmann, Leipzig schickte hier den ehemaligen Mitarbeiter des Rates des Bezirkes, Terz. Beim Arbeitsstab Justiz handelte es sich zunächst um „eine sehr kleine Truppe“, die vor allem aus Stilz und Thaut bestand. „Und dann“, so Ellenberger, „war unter anderem auch Herr Heitmann da, der eine Tätigkeit im Rahmen des Verfassungsentwurfes wahrnahm“.341 Kultus: Leiter des Arbeitsstabes Kultus war Matthias Rößler. Mitarbeiter aus Chemnitz war Wolfgang Weber, aus Leipzig Gerhard Rühl, der ehemalige Bezirksschulrat Hans-Joachim Erdmann und Frau Lukat.342 Aus Stuttgart arbeitete Reinhard Retzlaff mit. Zur Arbeitsgruppe Personal des Arbeitsstabes Kultus gehörten Rößler, Klaus Erich Husemann, Gerhard Rühl, Wolfgang Weber und Ingo Zimmermann.343 Nach Meinung Rößlers war „Kultus“ von allen Arbeitsstäben am weitesten ausgebaut gewesen.344 Ziel der Strukturgruppe Kultus des Koordinierungsausschusses war bislang ein einheitliches Kultusministerium gewesen. Bei einer Beratung der Fachgruppen „Schule, Jugend, Sport“ sowie „Hochschule und Wissenschaft“ am 17./18. September in Chemnitz informierte Husemann darüber, dass der Kultusbereich in einem „Elefanten-Ministerium“ zusammengefasst werden solle.345 Krause äußerte daraufhin am 19. Sep338 Interview Georg Milbradt. 339 Blitztelegramm von Edeltraud Thaut an Günter Kleinschmidt vom 1.10.1990 (RPL, AZ 0142). 340 Interview Eberhard Stilz. 341 Interview Volker Ellenberger. 342 Am 8. November gehörten folgende Personen zum Arbeitsstab Kultus: Zur Abteilung „Hochschulen und Wissenschaft“ Rößler als Leiter (Dresden), Andreas Jenkner (Dresden), Manfred Werner (Dresden), Wolfgang Weber (Chemnitz), Gerhard Rühl (Leipzig), zur Abteilung „Bildung“ Klaus Erich Husemann als Leiter (Dresden), Herr Fiebig (Leipzig), Herr Berenbruch (Dresden), Herr Martin (Dresden), Herr Feiereis (Chemnitz), Hans-Joachim Erdmann (Leipzig), zur Abteilung „Kunst und Kultur“ Harald Schubärth (Dresden), Frau Lukat (Leipzig) und Herr Eppenhardt (Chemnitz). Aus Baden-Württemberg gehörten dem Arbeitsstab Reinhard Retzlaff, Rolf Lange und Johannes Nuding an; die Clearingstelle Bonn war durch Schmidt und Staab vertreten. Vom früheren Ministerium für Bildung und Wissenschaft der DDR kam G. Maibaum, vom Ministerium für Forschung und Technologie Urban und vom Ministerium für Kultur Schilling. Arbeitsstab Kultus, Zusammensetzung vom 8.11.1990 (HAIT, KA, 28). 343 Matthias Rößler an Matthias Reichenbach vom 19.10.1990 (ebd.). 344 Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003. 345 SMBW, Abt. III /3 vom 4.10.1990: Betr. Ergebnisprotokoll der Beratungen der Fachgruppe Schule, Jugend, Sport am 17./18. 9.1990 in Chemnitz (SMBW, 0136, Gemisch-

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tember Bedenken gegen ein „Mammutministerium“ für Bildung, Jugend, Kultur, Kunst und Wissenschaft. Darüber müsse „man sicherlich noch einmal nachdenken“.346 Als Reinhard Retzlaff am 1. Oktober in Dresden anreiste, um im Arbeitsstab Kultus mitzuarbeiten, umfasste dieser nach seiner Erinnerung eine größere Zahl von Personen, die im Bereich der Bildung, der Wissenschaft, der Kultur im Bereich des künftigen Freistaates Sachsen tätig waren. Sie kamen aus den Bezirken Chemnitz, Leipzig und Dresden. Es habe sich um Personen gehandelt, „die in der demokratischen Aufarbeitung aktiv waren, gleichwohl aber über Expertenkenntnisse und Erfahrungen verfügten“. Sie stammten zu einem Teil aus der alten Bezirksverwaltung. Beim aktiven Teil des Arbeitsstabes, der die Geschäfte führte, habe es sich um „eine Handvoll Personen“ um Rößler herum gehandelt. Retzlaff war zunächst der einzige Berater aus dem Westen im Arbeitsstab. Er hat die Arbeitsbedingungen als „wirklich einzigartig“ in Erinnerung. Die Situation sei „auf der einen Seite chaotisch“ gewesen, „auf der anderen Seite hochgradig interessant, faszinierend und anspruchsvoll“. Zunächst sei im Arbeitsstab ein einheitliches Kultusministerium angestrebt worden, „um die Strukturen nicht ohne Not zu stark zu verbreitern“.347 Bei einer Besprechung am 10. Oktober berichtete Husemann über die Entwicklung im Schulbereich. Er hatte mit baden-württembergischer Unterstützung ein Landesschulgesetz ausgearbeitet und dem Landessprecher Verfahrensmöglichkeiten zur Entlassung „politisch vorbelasteter Lehrer“ vorgeschlagen.348 Schulen, so Husemann am 10. Oktober, könnten im Gegensatz zu Betrieben für die Zeit des Umbaus nicht einfach geschlossen werden, sondern müssten kontinuierlich weiterlaufen. Daraus folge die Notwendigkeit zu parallelen Maßnahmen und zur Akzeptanz von Übergangsregelungen und Kompromisslösungen. Die Fülle der Tagesaufgaben verlange eine kontinuierliche Arbeit des im Juli von der DDR-Regierung eingesetzten „Landesschulrats“ als vorläufiger oberster Schulbehörde im Land Sachsen. Mit verschiedenen Maßnahmen sei erreicht worden, dass politisch besonders belastete Lehrer aus Leitungsfunktionen entfernt wurden. Sämtliche 57 Kreisschulräte seien neu ernannt und die Routinebeförderungen zum 1. Oktober ausgesetzt worden, weil noch immer die von DDR-Bildungsministerin Margot Honecker begründeten Beförderungsrichtlinien gegolten hätten. In der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit sei es nicht möglich gewesen, die Spreu vom Weizen zu trennen. Um sicher zu gehen, dass sich nicht wieder die alten Kader gegenseitig vorschlagen würden, seien die Beförderungen zurückgestellt worden, bis das Land Sachsen selbst für die Schulpolitik verantwortlich sei und te Kommission für die Zusammenarbeit des Landes BW mit Sachsen, Fachgruppe Schule, Jugend und Sport). 346 Interview Rudolf Krause. In: Sächsische Zeitung vom 19. 9.1990. 347 Interview Reinhard Retzlaff. 348 BVB Dresden, Landesschulrat für Sachsen: Vermerk „Kündigung politisch vorbelasteter Lehrer“ und Anschreiben an Landessprecher Krause vom 23.10.1990. Anlage: Musterbrief zur Kündigung von Lehrern. Zit. in Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 116 f.

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neue Beförderungsrichtlinien erlassen habe. Die Erweiterten Oberschulen hätten zu siebzig Prozent neue Schulleiter, bei vierzehn Prozent handele es sich um die früheren, der Rest sei als geschäftsführende Schulleiter bestellt worden. Es gebe eine Übersicht, wer ab Oktober 1989 aus dem MfS und dem sonstigen Partei- und Staatsapparat in den Schulbereich übergewechselt sei. Namen und Arbeitsstellen seien bekannt. Husemann nannte den erreichten Stand bei der inhaltlichen Neustrukturierung des Schulwesens gut. Es lägen konkrete Vorstellungen über ein flexibles Schulwesen, über den äußeren Rahmen für Lehrpläne und ähnliches vor. Diese Vorstellungen sollten nunmehr umgesetzt werden. Die Planungen über die künftige Struktur der obersten Schulbehörde seien abgeschlossen, für die nachgeordneten Behörden lägen ebenfalls Pläne vor. Es bedürfe noch der politischen Grundsatzentscheidung, ob eigenständige Oberschulämter und Kreisschulämter gebildet werden sollten.349 Auf der 1. Sitzung des Arbeitsstabes „Kultus“ am 16. Oktober informierte er über die Einrichtung einer Außenstelle des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft in Berlin und eine gemeinsame Ländereinrichtung zur vorübergehenden Wahrnehmung von Länderaufgaben im Bildungsbereich. Er stellte aber klar, dass jedes Land jederzeit berechtigt sei, aus der Vereinbarung auszusteigen. Gegenwärtig könnten jedoch noch nicht alle Aufgaben selbständig übernommen werden.350 Am 19. Oktober kam der Arbeitsstab Kultus zur 2. Sitzung zusammen. Themen waren die „Gemeinsamen Einrichtungen der Länder“, die Studentenwerke, der Haushalt 1991, der Stellenplan, eine vorgesehene Arbeitsgruppe Personalangelegenheiten sowie die Sichtung der eingegangenen Bewerbungen durch Untergruppen.351 Zu den Gemeinsamen Einrichtungen war man sich einig, deren Aufgaben möglichst schnell in die Kompetenz der Landesregierung zu überführen.352 Bei der 3. Sitzung der Arbeitsgruppe am 26. Oktober ging es um die eingegangenen Bewerbungen, um die Stellenausschreibung für nachgeordnete Behörden und erneut um die Gemeinsamen Einrichtungen der Länder.353 Noch in einer Vorlage vom 30. Oktober ist nur von einem Staatsministerium für Kultus die Rede.354 Rößler ging als Leiter des Arbeitsstabes Kultus bis Anfang November davon aus, dass es ein einheitliches Ministerium geben würde. Nach Nollaus Kenntnis hatte der Aufbaustab die Vorstellung, einen Minister und drei Staats349 BVB Dresden, Landesschulrat für Sachsen, Klaus Husemann: Besprechung am 10.10. 1990, hier: Situation im Schulbereich (HAIT, KA, 68/1). 350 Niederschrift über die 1. Sitzung des Arbeitsstabes „Kultus“ am 16.10.1990 in Dresden (ebd., 28). 351 Niederschrift über die 2. Sitzung des Arbeitsstabes „Kultus“ am 19.10.1990 (RPL, 0144). 352 BVB Leipzig, Ressort Kultur, Kunst und Wissenschaft: Information über die Sitzung des Arbeitsstabes „Kultus“ am 19.10.1990 (RPL, 0144); Arbeitsstab „Kultus“ beim Landessprecher für Sachsen: Niederschrift über die 2. Sitzung des Arbeitsstabes „Kultus“ am 19.10.1990 (ebd.). 353 Niederschrift über die 3. Sitzung des Arbeitsstabes „Kultus“ am 26.10.1990 (RPL, 0144). 354 Koordinierungsausschuss Sachsen, Arbeitsstab Regierungsgebäude: Vorläufige Bezeichnungen und Dienstanschriften von Ministerien vom 30.10.1990 (HAIT, KA, 3.3).

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sekretäre in einem gemeinsamen Ministerium zu haben.355 Doch bereits wenig später wurden diese Vorstellungen von Biedenkopf verworfen. Bei der Sitzung des Arbeitsstabes Kultus am 2. November unter Vorsitz Rößlers regte Husemann daraufhin an, zu entscheiden, ob angesichts der Zweiteilung des Ministeriums eine Zweiteilung des Arbeitsstabes erfolgen sollte. Man einigte sich, darüber nach Vorstellung der Regierung am 8. November zu entscheiden. Diskutiert wurden der Stand der Arbeiten in den drei Bereichen und die Frage der Übernahme von Einrichtungen. Uwe Fischer berichtete, für alle drei Bereiche Bildung, Hochschulen und Wissenschaft sowie Kultur seien die Arbeiten im Gange. Rößler berichtete aus dem Hochschulausschuss des Landtages, dass dort an einem Papier zur Vorlage an die Amtschefkonferenz gearbeitet werde, das Vorschläge für eine Verfahrensweise zur Erneuerung des Personalbestandes im Professorenbereich an Hochschulen unterbreite. Die Überlegungen zielten darauf ab, die bisherigen Berufungen als nicht ordnungsgemäß anzusehen und jeweils Neuberufungen vorzunehmen. Gerhard Rühl verwies darauf, dass eine Reform von innen nicht zu erwarten sei und verhindert werden müsse, dass Konzepte verwirklicht würden, wonach eine Überleitung der bisherigen Hochschullehrer nach C3 oder C4 erfolge. Rößler wurde beauftragt, zur Amtschefkonferenz am 8. November zu fahren, um dort für die Überlegungen des Hochschulausschusses einzutreten.356 Nach Bekanntgabe der Aufteilung des Ressorts schlug Rößler vor, die Arbeitsbereiche „Hochschulen und Wissenschaft“, „Bildung“ sowie „Kunst und Kultur“ bis zur Arbeitsfähigkeit der unterschiedlichen Ministerien bzw. der zuständigen Stelle für Kunst und Kultur unter Weisung der verantwortlichen Minister getrennt fortzuführen. Die Grundlage für die gemeinsame Arbeit des Arbeitsstabes sei entfallen. Handschriftlich vermerkte Vaatz auf der Vorlage, es gebe keine Bedenken, entsprechend zu verfahren.357 Die Sitzung des Arbeitsstabes „Kultus“ am 9. November wurde nicht mehr von Rößler, sondern von Jenkner geleitet. Hier herrschte Einigkeit, die Aufgaben des Arbeitsstabes nach Ressorts getrennt fortzuführen.358 Ab dem 15. November nahm Michael Merker die Vertretung des Ressorts Kultus, Jugend und Sport im Arbeitsstab wahr. Ein zweiter Beamter aus dem Kultusministerium Baden-Württemberg, Johannes Nuding, übernahm den Stab Wissenschaftsministerium.359 Der Arbeitsstab trat nach der Regierungsbildung „sehr schnell in den Hintergrund“,360 was auch daran lag, dass Meyer für seinen Ressortbereich wenig Wert auf die Vorarbeiten legte. Das lag zum einen an den unterschiedlichen personalpolitischen Vorstellungen Rößlers und Meyers, zum anderen aber auch an 355 Interview Volker Nollau. 356 Arbeitsstab „Kultus“: Niederschrift über die 4. Sitzung des Arbeitsstabes „Kultus“ am 2.11.1990 (HAIT, KA, 28) (RPL, 0144). 357 Formblatt für Vorlagen an den Ministerpräsidenten. Federführender Arbeitsstab: Kultus, Bearbeiter: Rößler, undatiert (HAIT, KA, 28). 358 Niederschrift über die 5. Sitzung des Arbeitsstabes „Kultus“ am 9.11.1990 (ebd.). 359 Interview Michael Merker. 360 Interview Reinhard Retzlaff.

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Exekutivstrukturen im Interregnum

der veränderten Organisationsstruktur in den Bereichen Schule, Hochschule und Kultur.361 Soziales: Den Arbeitsstab Soziales leitete Reiner Schrenker. Ihm zur Seite stand für Chemnitz der Strukturbeauftragte Bigl und der Referatsleiter Gesundheits- und Sozialwesen der Bezirksverwaltungsbehörde Leipzig, Volker Rust, sekundiert von Frau Pönisch. Auch Heidrun Lotze arbeitete führend im Aufbaustab für das Sozialministerium mit, der in der Übergangsphase zum Ministerium vor allem durch die Clearingberater des Bundes, Mathias von Wulffen, Richter am Bundessozialgericht, und Reinhard Gärtner vom Bundesministerium für Jugend, Frauen und Familie, unterstützt wurde.362 Der Arbeitsgruppe Personal des Arbeitsstabes Soziales gehörten Schrenker, Bigl, Rust und Frau Grundmann an.363 Der Arbeitsstab tagte Ende Oktober nicht mehr insgesamt, sondern die einzelnen Arbeitsbereiche getrennt.364 Schrenker sah seine Aufgabe zunächst darin, den Arbeitsstab zu verbreitern. Er bemühte sich bei der bayerischen Staatsregierung um geeignete Beamte, etwa für die Gewerbeaufsicht oder die Versorgungsverwaltung, orientierte sich an bayerischen Vorgaben und versuchte, „manches zu optimieren“. Das betraf zum Beispiel den Aufbau der Arbeitsund Sozialgerichtsbarkeit, wo auch wegen der Vielzahl kleiner Landkreise in Sachsen versucht wurde, „nicht so in die Breite“ zu gehen, sondern mehr große, schlagkräftigere Gerichte zu bilden.365 Die Einsetzung des Bayern Schrenker wie auch die beabsichtigte Errichtung eines Landesamtes für Familie und Soziales mit Hauptfürsorgestellen nach bayerischem Vorbild wertete man in Stuttgart als sichtbare Belege dafür, dass der Freistaat Bayern im künftigen Land Sachsen zunehmend an Boden gewinne. Augenfällig, so Wolfgang Zeller, wirke sich der bayerische Einfluss beispielsweise in der Ablehnung von Landeswohlfahrtsverbänden aus. Vielmehr wolle man jetzt in Sachsen ein Landesamt für Familie und Soziales einrichten.366 Zum Schluss war der Arbeitsstab Soziales „so eine Art Vorministerium“ mit etwa dreißig Personen für alle Fachbereiche. Seine letzte große Aufgabe war es, Personalgespräche zu führen und Referatsleiter sowie weitere Mitarbeiter auszuwählen. Tag und Nacht saß Schrenker nach eigener Erinnerung über Bergen von Bewerbungsunterlagen, um geeignete Personen herauszufiltern.367 Landwirtschaft: Dem Arbeitsstab Landwirtschaft stand Jürgen Gülde vor. Chemnitz war durch die vier Mitarbeiter Hennig, Drechsel, Jörg und Weißbach 361 Zur weiteren Entwicklung siehe Kap. 7.2.4. 362 Der Landessprecher für das Land Sachsen, Büro Dresden: Arbeitsstäbe, Stand 8.10.1990 (HAIT, KA, 3.2); Günter Kleinschmidt an Arnold Vaatz vom 11.10.1990 (ebd.). 363 Matthias von Wulffen an Matthias Reichenbach vom 19.10.1990 (ebd., 29). 364 Volker Rust an Günter Kleinschmidt vom 25.10.1990 (RPL 0144). 365 Interview Reiner Schrenker. 366 Sozialministerium Baden-Württemberg, Ref. 55, Jour-Fixe-Sachsen vom 18. 9.1990: Ergebnisvermerk zur Besprechung am 17. 9.1990 (SMBW, 0136, Jour Fix, Raum Sachsen des SM). 367 Interview Reiner Schrenker.

Arbeitsstäbe des Koordinierungsausschusses

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vertreten, Leipzig durch die Herren Deckert und Meißner. Den Bund vertrat hier als Clearingberater Heinrich von Uechtritz und Steinkrich vom Bundeslandwirtschaftsministerium.368 Mitglieder der Arbeitsgruppe zur Personalauswahl wurden neben Gülde Frau Lässig für Dresden, Köthe für Chemnitz, Deckert für Leipzig sowie Natter aus Baden-Württemberg und von Uechtritz aus Bonn.369 Am 17. Oktober legte Gülde einen Stellenplan für die vorgesehenen sieben Abteilungen des Ministeriums vor. Demnach wurden hier 84 Abteilungs- und Referatsleiter gesucht, dazu 40 Referenten und 39 Sachbearbeiter.370 Bei der Sitzung des Arbeitsstabes am 19. Oktober ging es um die Bildung und Besetzung der Arbeitsgruppe für Personalangelegenheiten und deren Arbeitsweise. Teilnehmer der Sitzung waren neben dem Landesstrukturbeauftragten Jürgen Gülde, Ortmann und Lässig für Dresden, der Leiter des Ressorts Ernährung, Landwirtschaft und Forsten der Bezirksverwaltungsbehörde Chemnitz, Gerald Thalheim, und in Vertretung des Leiters des Ressorts Ernährung, Landwirtschaft und Forsten der Bezirksverwaltungsbehörde Leipzig, Christfried Gebauer, Deckert.371 Umwelt: Am 26. September konstituierte sich der Arbeitsstab Umwelt. Thema der Beratung waren die Einrichtungen, die erhalten werden sollten.372 Leiter des Arbeitsstabes war Kurt Kny, sein Stellvertreter Herr Meckel von der Bezirksverwaltungsbehörde Chemnitz. Hinzu kamen aus Chemnitz erneut Hennig und Drechsel, die auch im Arbeitsstab Landwirtschaft mitwirkten, aus Leipzig Golsch, Hagelglanz und Schubert, der baden-württembergische Berater für Umweltfragen beim Landessprecher Sachsen, Bühler, sowie Frau Goldmann. Bühler wechselte aus Leipzig in den Arbeitsstab Umwelt.373 Als Clearingberater des Bundes wirkte Fleischhauer vom Bundesumweltministerium mit.374 Der Arbeitsgruppe Personal des Arbeitsstabes gehörten Bühler, Fleischhauer, Kleinschmidt, Kny, Meckel und Metz an. Sie hatten die Bewerbungen auszuwerten, von denen bis zum 19. Oktober 260 für 35 ministerielle Stellen vorlagen, davon zehn Prozent aus den westlichen Bundesländern.375 Er orientierte sich vor allem an den Organisationsstrukturen Baden-Württembergs und Bayerns. Die 368 Der Landessprecher für das Land Sachsen, Büro Dresden: Arbeitsstäbe, Stand 8.10. 1990 (HAIT, KA, 3.2); Günter Kleinschmidt an Arnold Vaatz vom 11.10.1990 (ebd.). 369 BVB Dresden, Ressort Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Mitglieder der AG „Personalangelegenheiten“ vom 22.10.1990 (ebd., 26). 370 BVB Dresden, Ressort Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Vorläufiger Stellenplan des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 17.10.1990 (ebd.). 371 Vorbereitung Arbeitsstab am 19.10.1990. Vorschlag Vorgehensweise zur personellen Besetzung des zukünftigen Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (ebd.); Protokoll Arbeitsstab Ernährung, Landwirtschaft und Forsten am 19.10.1990 (ebd.). 372 Protokoll der 1. Sitzung des Arbeitsstabes Umwelt am 26. 9.1990 in Dresden (ebd., 27). 373 Interview Günter Kleinschmidt. 374 Der Landessprecher für das Land Sachsen, Büro Dresden: Arbeitsstäbe Stand 8.10. 1990 (HAIT, KA, 3.2). Günter Kleinschmidt an Arnold Vaatz vom 11.10.1990 (ebd.). 375 Ergebnisprotokoll der 4. Sitzung des Arbeitsstabes Umwelt und Landesentwicklung am 19.10.1990. Zit. in Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 124.

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Exekutivstrukturen im Interregnum

Zuordnung der Landesentwicklung zum Umweltressort entsprach einerseits dem seit 1970 in Bayern praktizierten Modell, andererseits der zunehmenden „ökologischen Orientierung“ der Raumplanung seit den achtziger Jahren.376 Bei der 3. Sitzung des Arbeitsstabes am 12. Oktober ging es unter anderem um die Planungen für eine geologische Landesanstalt und die Zukunft mit ökologischen Fragen befasster Einrichtungen der DDR.377 Am 19. Oktober übergab der Arbeitsstab eine Smogordnung für Sachsen. Andere Themen des Tages waren die Zusammensetzung des Arbeitsstabes, die Bildung einer Projektgruppe zur Vorbereitung des Bezugs eines Gebäudes und Erarbeitung einer Abfallrahmenkonzeption. Eine Woche später ging es um die Frage, ob das Landesamt für Braunkohleplanung und Rekultivierung dem Wirtschaftsministerium oder dem Ministerium für Umwelt und Landesplanung angeschlossen werden sollte. In Abstimmung mit der Clearing-Stelle wurde beschlossen, es dem Umweltministerium anzugliedern. Bei einer Beratung am 2. November wurden die Erstellung von Übersichten über ökologische Altlasten und Haushaltsplanungen nachgeordneter Landesämter thematisiert. Meinungsverschiedenheiten gab es zur Errichtung eines Landesamtes für Braunkohleplanung und Rekultivierung im Ministerium für Umwelt und Landesentwicklung zwischen den Vertretern des Bundesumweltministeriums, den Beratern aus Bayern sowie den verantwortlichen Ressortleitern in Sachsen.378 Bei der 7. Sitzung des Arbeitsstabes am 9. November erläuterte Weise die ökologischen Ziele der Staatsregierung, wie sie Biedenkopf in seiner Regierungserklärung dargelegt hatte. Die „durch das SED-Regime verursachten Verwüstungen der Natur“ müssten in einer Schadensbilanz analysiert und die vorhandenen Mittel zur schnellen Verbesserung der Lebensqualität eingesetzt werden. Wichtig sei die finanzielle Unterstützung durch die alten Bundesländer. Weise plädierte dafür, ökologische Aspekte stärker in die soziale Marktwirtschaft einfließen zu lassen.379 Landtag: Erich Iltgen leitete den Arbeitsstab Landtag, Chemnitz war hier dreimal vertreten durch Hubert Katzorke, Hans-Jörg Kannegießer und den Strukturbeauftragten Kunz, Leipzig durch Frau Dähn. Clearingberater des Bundes war Hans Merkel von der Bundestagsverwaltung in Bonn.380 Der Arbeitsstab stellte bereits zum 6. September den Entwurf einer Geschäftsordnung und eines Stellenplanes fertig, die den zur Landtagswahl am 14. Oktober beteiligten

376 Vgl. Eisen, Institutionenbildung, S. 121. 377 Ergebnisprotokoll der 3. Sitzung des Arbeitsstabes Umwelt und Landesentwicklung am 12.10.1990 (HAIT, KA, 27). 378 BVB Leipzig, Ressort Raumordnung und Regionalentwicklung: Mitwirkung in den Arbeitsstäben zum Aufbau der Sächsischen Landesverwaltung vom 5.11.1990 (RPL, 0144). 379 Ergebnisprotokoll der 7. Sitzung des Arbeitsstabes Umwelt und Landesentwicklung am 9.11.1990 (HAIT, KA, 27). 380 Der Landessprecher für das Land Sachsen, Büro Dresden: Arbeitsstäbe, Stand 8.10.1990 (ebd., 3.2); Günter Kleinschmidt an Arnold Vaatz vom 11.10.1990 (ebd.).

Arbeitsstäbe des Koordinierungsausschusses

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Parteien und Listenverbindungen übersandt wurden.381 Am 13. September übertrug der Koordinierungsausschuss Iltgen die Vorbereitung der Landtagsverwaltung als amtierenden Direktor des künftigen Landtages. Die Landtagsvorbereitung musste vorgezogen werden, weil der Landtag vor der Regierungsbildung arbeitsfähig sein musste. Landessprecher Krause berief Iltgen mit Wirkung vom 19. September zum amtierenden Personalchef der sächsischen Landtagsverwaltung. Iltgen arbeitete seitdem unabhängig von der Bezirksverwaltungsbehörde und konnte eigenständig Ausschreibungen und Einstellungen für die Landtagsverwaltung vornehmen. Der Aufbaustab beendete seine Tätigkeit am 27. Oktober mit der konstituierenden Sitzung des Landtages.382 Neben den offiziellen, an die Struktur der künftigen Regierung und des Landtages angelehnten Arbeitsstäben arbeiteten im Querschnittsbereich auch die Arbeitsstäbe Information und Dokumentation sowie Landesvermögen und Ansiedlung weiter. Den Arbeitsstab Information und Dokumentation leitete Herr Israel. Chemnitz war hier nicht vertreten, Leipzig durch Frau Seibert und Herrn Hellmund. Hermann Henke stand dem Arbeitsstab Landesvermögen und Ansiedlung vor, ein Mitarbeiter war Herr Ziegs aus Leipzig. Henke hatte je einen Stellvertreter in Leipzig und Chemnitz und in Dresden Objektbeauftragte für Hauptobjekte.383

381 AG Landtagsvorbereitung: Vorlage an den Koordinierungsausschuss zur Bildung des Landes Sachsen zur Arbeitsberatung am 6. 9.1990. Anlage: Stellenplan. Zit. in Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 197. 382 Interview Michael Muster. 383 Arbeitsstab Landesvermögen und Regierungsbauten. Bericht von Hermann Henke über die Aktivitäten zur räumlichen Einrichtung des Sächsischen Landtages vom 11.12.1990 (HAIT, KA, 30.1).

7.

Sachsen – Freistaat der Bundesrepublik Deutschland

7.1

Sächsischer Landtag

7.1.1 Landtagswahl am 14. Oktober 1990 Am 14. Oktober 1990 fanden in den bislang vom Bund regierten neuen Bundesländern Landtagswahlen statt. Die rechtliche Grundlage war mit dem Gesetz über die Wahlen zu Landtagen in der DDR (Länderwahlgesetz vom 22. Juli 1990) gegeben, das laut Einigungsvertrag fortgeltendes Recht war. Es enthielt die technischen Durchführungsbestimmungen für die Landtagswahlen. Diese wurden nach den Grundsätzen einer mit der Personenwahl verbundenen Verhältniswahl durchgeführt. In Anlehnung an das Bundeswahlgesetz erfolgte die direkte Wahl in Wahlkreisen und mit Zweitstimme nach Landeslisten. Gewählt wurden in Brandenburg 88, in Mecklenburg-Vorpommern 66, in Sachsen 160, in Sachsen-Anhalt 98 und in Thüringen 88 Landtagsabgeordnete. Eine Hälfte der Abgeordneten wurde nach Wahlkreisvorschlägen in den Wahlkreisen, die andere über Landeslisten gewählt. Jeder Wähler hatte zwei Stimmen, eine für den Wahlkreiskandidaten und eine für die Landesliste. In Sachsen bestätigte der Landeswahlausschuss Ende August die Zulassung von dreizehn Landeslisten: 1. Bürgerbewegung Demokratischer Aufbruch „sozial + ökologisch“, 2. CDU, 3. Christliche Liga – Die Partei für das Leben, 4. Deutsche Biertrinker Union, 5. DSU, 6. FDP, 7. Linke Liste – PDS (Die Nelken, FDJ, KPD, Marxistische Jugendvereinigung „Junge Linke“, 8. NPD, 9. Neues Forum/Bündnis/Grüne (DJ, Die Grünen, NF, UFV), 10. Reine Arbeiter Partei, 11. Sächsische Humanistische Bewegung, 12. SPD und 13. USPD.1 Anträge des DA und der DFP an die CDU, zur Landtagswahl eine Listenverbindung einzugehen, waren schon Ende Mai 1990 vom CDU-Landesvorstand zurückgewiesen worden.2 Ein Formfehler führte in Sachsen zum Ausschluss der Republikaner von der Landtagswahl, ein Einspruch wurde zurückgewiesen.3 Zirka neunhundert Kandidaten bewarben sich um die 160 Mandate. 3,5 Mio. Bürgerinnen und Bürger waren wahlberechtigt. Ende August / Anfang September begannen die Parteien mit ihrem Wahlkampf, der anders als bei der Volkskammerwahl von einem höheren Maß an Fairness gekennzeichnet war. CDU: Seit seine Nominierung als sicher galt, begann Kurt Biedenkopf gemeinsam mit seiner Frau Ingrid, Wahlkampf zu betreiben und sie traten bei rund 1

2 3

Landeswahlausschuss Sachsen: Sachstandinformation zur Vorbereitung der Wahl des Landtages Sachsen am 14.10.1990 vom 18. 9.1990 (HAIT, KA, 65). Zur Übersicht über die Parteien, politischen Vereinigungen und Listenvereinigungen siehe Tabelle 10 im Anhang. CDU-LV, Landessekretär: Festlegungsprotokoll zur Landesvorstandssitzung am 19. 5. 1990 in Leipzig (ACDP, VII-012, 3915). Vgl. Handelsblatt und Neues Deutschland vom 29. 8.1990.

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170 Kundgebungen und Versammlungen auf.4 Am 10. September bezogen sie eine Wohnung in Dresden und führten von hier aus den Wahlkampf. Für die Bevölkerung war das Auftreten einer „First Lady“ nach amerikanischem Vorbild eine neue Erfahrung. So wurde Ingrid Biedenkopf bekannt und zur Ansprechpartnerin für diverse Sorgen der Bürgerinnen und Bürger. Am 14. September bat Biedenkopf den deutschlandpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Eduard Lintner, ihm während des Wahlkampfes Bernd-Dietmar Kammerschen zur Verfügung zu stellen, der bislang an der Seite von Vaatz aktiv war.5 Kammerschen, so die Mitarbeiterin von Vaatz, Margita Herz, war die „wichtigste Verbindungsstelle“ des Koordinierungsausschusses in Bonn, wenn auch „völlig inoffiziell“.6 Seitens der CDU war der Wahlkampf von Optimismus hinsichtlich der Zukunft Sachsens bestimmt. Keine Ausnahmen waren Erklärungen wie die von Rudolf Krause, Sachsen werde, wenn die CDU die Wahl gewinne, in vier Jahren „ein so starkes Land sein“, dass man „durchaus mit der anderen Südschiene, also Baden-Württemberg und Bayern, mithalten“ könne.7 Ähnlich optimistisch äußerte sich immer wieder auch Biedenkopf. Unterstützung erfuhr der in den süddeutschen Ländern dezidiert vertretene Föderalismus. So trat die sächsische CDU für eine klare Gewaltenteilung zwischen Gesamtstaat, Bundesländern und Kommunen ein. Aus der Erfahrung des diktatorischen SED-Zentralismus, aber auch, weil er der geschichtlichen Tradition entspreche und „den Menschen Identität und Heimat vermittelt“, nannte die CDU den Föderalismus „die dem deutschen Gesamtstaat angemessene Organisationsform“.8 Biedenkopf verbreitete nach Meinung der „Süddeutschen Zeitung“ im Wahlkampf den „Eindruck einer schier unschlagbaren Kompetenz“.9 Auch die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“ meinte, sein Bild strahle hell, seine Kompetenz erscheine unangreifbar. Dass er früher einmal beim Versuch gescheitert sei, Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen zu werden, interessiere in Sachsen ebenso wenig wie sein Rausschmiss als CDU-Generalsekretär und seine Dauerfehde mit dem Bundeskanzler.10 Erstaunlich war, dass es ihm frühzeitig gelang, eine eigene sächsische Identität zu vermitteln. Hilfreich waren dabei Äußerungen wie: „Ich bin jetzt Sachse, und ich habe auch die Absicht, genau das zu leben. Sonst hat die Sache doch gar keinen Sinn.“11 Gegenüber der Presse bestätigte er, dass ihn sein Engagement in Sachsen mehr bewege als alles zuvor in seiner politischen Laufbahn. Das liege „an der Art, in der die Menschen mich annehmen. Sie nehmen mich uneingeschränkt so an wie ich bin. 4 John Dornberg: „Kurt Biedenkopf, Streiter für Sachsen.“ In: Reader’s Digest vom 6. 9. 1993, S. 71–77. 5 Kurt Biedenkopf an Eduard Lintner vom 14. 9.1990 (BArch B, DO 5, 67). 6 Notiz von Margita Herz, o. D. (HAIT, KA, 65). 7 Zit. in Sächsische Zeitung vom 19. 9.1990. 8 Sachsen unsere Heimat – Deutschland unser Vaterland – Europa unsere Zukunft (ACDP, VII-011, 3594). 9 Süddeutsche Zeitung vom 6. 9.1990. 10 Vgl. Hannoversche Allgemeine Zeitung vom 11.10.1990. 11 Interview Kurt Biedenkopf. In: die tageszeitung vom 19. 9.1990.

Landtagswahl am 14. Oktober 1990

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Bild 8: Wahlplakate zur Landtagswahl 1990.

Hier gibt es nicht die Verbiegungen und Verkrampfungen, die in der Bundesrepublik beim Werben um Mehrheiten von Politikern erwartet werden. Ich brauche hier überhaupt nicht zu überlegen, was ich sagen darf und was nicht. Das wäre ganz typisch für einen Wahlkampf in Westdeutschland. Hier steht das überhaupt nicht an. Ich sage ohne jede Scheu, was ich für richtig halte. Und so wird das auch verstanden.“12 Im Wahlkampf unterstützte Helmut Kohl seinen bisherigen Kontrahenten Biedenkopf. „Ich habe“, so der Bundeskanzler, „im Landtagswahlkampf viele Wahlversammlungen in Sachsen durchgeführt und seine Wahl unterstützt.“ Biedenkopf habe sich dafür auch bei ihm bedankt.13 Die gemeinsamen Kundgebungen seien „große Erfolge“ gewesen. Deswegen hatte aus Kohls Sicht die absolute Mehrheit der CDU in Sachsen am 14. Oktober „auch mit meinem Engagement zu tun“.14 Wichtig war für Biedenkopf wie für die CDU aber auch die Unterstützung der baden-württembergischen CDU, die in Stuttgart als Beginn einer langen Partnerschaft verstanden wurde. Sämtliche Kreisverbände der CDU hatten einen Partnerkreisverband in Sachsen, bei dessen Aufbau sie mithalfen. Alle Kreisgeschäftsführer der CDU waren über Wochen im Einsatz im sächsischen Wahlkampf.15 Biedenkopf notierte dazu unter dem 12. September, die baden-württembergische Hilfe sei wertvoll, die personelle Unterstützung auf Stabsebene unverzichtbar.16 Gegenüber seiner SPDKonkurrentin Anke Fuchs sah sich Biedenkopf dadurch im Vorteil, dass er sich 12 13 14 15 16

Kurt Biedenkopf. In: Westfälische Rundschau vom 24. 9.1990. Interview Helmut Kohl. Kohl, Mein Tagebuch, S. 121 f. Erwin Teufel an den Autor vom 10.1. 2003. Vgl. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 335.

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bereits ein Dreivierteljahr in Sachsen aufhielt, „und die Sachsen wussten, wer ich bin“. Durch seine auf Anregung von Gewandhausdirektor Kurt Masur angenommene Gastprofessor in Leipzig habe er viel gelernt und deswegen gewusst, wovon er rede. Wenn er in ein Kombinat gegangen sei, habe er Kenntnis gehabt, wie dieses funktioniere und wie bislang die „Herrschaftsverhältnisse“ gewesen waren. Durch diesen entscheidenden Vorteil habe er „einen Riesenvorsprung“ vor Frau Fuchs gehabt, was dieser auch bewusst gewesen sei. Dennoch sei der Wahlkampf äußerst fair verlaufen: „Wir haben uns da nie gehakelt oder so.“17 Freilich ließ der Wahlkampf keinen Zweifel daran, dass die SPD im Fall einer Kandidatur von Klaus Reichenbach anders reagiert hätte. Die Blockvergangenheit der CDU war ein zentraler Angriffspunkt der SPD, und Anke Fuchs bezeichnete Biedenkopf in diesem Zusammenhang als „moralisches Feigenblatt“ der CDU. Das Vertrauen in die junge Demokratie werde derzeit vor allem dadurch untergraben, dass „die belasteten Stützen des alten Systems nach wie vor an den Schaltstellen der Macht“ in den Betrieben, Schulen, Universitäten und in der Verwaltung säßen. Von politischer Erneuerung könne keine Rede sein, solange die CDU „eine gestandene Blockflöte wie Herrn Reichenbach“ in ihr Präsidium wähle. Biedenkopfs „politische Solotänze“ sollten vergessen machen, „dass die CDU im Kern ihrer Mitgliedschaft immer noch die alte Blockpartei“ sei. Die SPD werde mit den alten Seilschaften aufräumen und dafür sorgen, dass „die alten Kameraden freiwillig-unfreiwillig ins zweite, oder besser noch dritte Glied zurücktreten“.18 Jetzt zeigte sich, so Helmut Münch, der Vorteil, dass sich in Sachsen innerhalb der CDU Kräfte der Erneuerung durchgesetzt hatten. Dadurch war die Spitze der Partei hier hinsichtlich von Vorwürfen wegen einer früheren Rolle im SED-Staat schwer angreifbar gemacht worden. Die Vorwürfe, mit denen die SPD immer wieder und oft zu Recht argumentierte, trafen auf Sachsen weniger zu. Hier erwies es sich als entscheidender strategischer Vorteil, „dass die handelnden Personen integer und nicht durch die Vergangenheit belastet waren“,19 ein Umstand, der den Politikern der Vaatz-Gruppe innerhalb der CDU taktische wie strategische Vorteile brachte. SPD: Bereits am 21. August begann Anke Fuchs gemeinsam mit dem SPDLandesvorsitzenden Michael Lersow und seinen Stellvertretern Karl-Heinz Kunckel und Johann Kehl als Höhepunkt des Wahlkampfes eine „SachsenTour“, die bis zum 13. September durch alle drei Bezirke führte.20 Am 5. September eröffnete die SPD in Freiberg in Anwesenheit von Wolfgang Thierse, Michael Lersow und Dieter Rudorf offiziell den Wahlkampf.21 Auf einem Sonderparteitag in Görlitz wurde Anke Fuchs Anfang September mit 83 von 85 17 18 19 20

Interview Kurt Biedenkopf. SPD-Pressemitteilung vom 12.10.1990 (AdSD, SPD-LV Sachsen, 5). Interview Helmut Münch. In: Kleimeier, Sachsen, S. 81 f. Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 6. 9.1990; Erzgebirgsensemble Aue, Frau Anke Fuchs in Aue (AdSD, SPD-LV Sachsen 3/SNAB000019). 21 Vgl. Die Union vom 6. 9.1990; Freie Presse, Ausgabe Freiberg, vom 11. 09.1990.

Landtagswahl am 14. Oktober 1990

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Bild 9: Wahlkampfveranstaltung der SPD September 1990 in Aue (v. l. n. r.: Michael Lersow, Anke Fuchs, Hans-Jochen Vogel).

Stimmen ohne Gegenstimmen zur Spitzenkandidatin der sächsischen SPD gewählt. Es waren gerade einmal 85 von 150 geladenen Delegierten erschienen, sodass der Parteitag nur knapp beschlussfähig war.22 Im Vergleich zum Volkskammerwahlkampf konnte sich die SPD diesmal auf ein ausgefeilteres Management stützen.23 Unter Anleitung des SPD-Parteivorstandes gab es seit dem Frühsommer Workshops zur Vorbereitung des Wahlkampfes, bei denen es um Themen wie Medienwirkung, Wahlkampfausstrahlung, Wahlkoordinierung, Wahlkampfphilosophie und inhaltliche Themen ging. Im SPD-Regierungsprogramm „Uns geht’s um Sachsen“24 bekannte sich die SPD zur sozialen Marktwirtschaft und zum ökonomischen und ökologischen Umbau der Wirtschaft. Die „ineffizienten Kombinate“ sollten entflochten und klein- und mittelständische Betriebe angesiedelt werden. Unternehmen „die Umweltschutz produzieren“, sollten etabliert, der Handel entmonopolisiert und das Bank- und Kredit22 Vgl. Die Welt und Stuttgarter Zeitung vom 3. 9.1990. 23 Vgl. Schmeitzner/Rudloff, Geschichte der Sozialdemokratie, S. 155–157. 24 Uns geht’s um Sachsen. Regierungsprogramm der SPD für die Wahlen zum Sächsischen Landtag. Zit. in Schmeitzner/Rudloff, Geschichte der Sozialdemokratie, S. 155–157.

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wesens neu strukturiert werden. Die SPD kündigte an, den Aufbau von Banken und Handelshäusern besonders in den Städten zu fördern, um Sachsen wieder zur Drehscheibe des Handels mit den östlichen Nachbarn zu machen. Dazu sollte die Leipziger Messe modernisiert und ausgebaut werden. Ebenso zählten für die SPD Ausbau und Modernisierung der Infrastruktur, insbesondere im Bereich der Autobahnen und der Flughäfen, zur notwendigen Standortverbesserung. Zur Modernisierung der sächsischen Energiewirtschaft wollte die Partei die Förderung der Braunkohle halbieren und moderne Braunkohlenkraftwerke projektieren lassen. Neue Arbeitsplätze versprach sie sich auch durch verstärkte Umschulung und Qualifizierung von Arbeitnehmern, die Ausweitung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und Hilfen bei der Gründung von Beschäftigungsgesellschaften. Im Bereich des Gesundheits- und Sozialwesens plädierte sie für eine Sanierung und Modernisierung der medizinischen Versorgungseinrichtungen und ein flächendeckendes Netz von Kinderbetreuungseinrichtungen. Eine Chancengleichheit im Bildungsbereich glaubte sie mit der Ersetzung der Zehnklassenschule durch Gesamtschulen am besten zu befördern. In der Landesverfassung wollte die sächsische SPD soziale Grundrechte wie das Recht auf Arbeit, Wohnraum, umfassenden Schutz der Gesundheit und im Alter sowie die Pflicht des Staates zum Umweltschutz verankern. Die repräsentative Demokratie sollte durch plebiszitäre Elemente ergänzt, Rechte auf Schutz aller persönlichen Daten, vor Gefährdung durch neue Technologien und der Rechte von Minderheiten in der Verfassung verankert werden. Ungeachtet des Programms sah sich Anke Fuchs immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, zu wenig Kenntnisse von den Verhältnissen vor Ort zu haben. Zwar waren Anmerkungen von Biedenkopf wie z. B., dass Fuchs „relativ wenig“ von der Wirtschaft und von Sachsen wisse,25 im Wahlkampf verständlich; ähnliche Kritiken kamen aber auch aus den eigenen Reihen. So kritisierte die stellvertretende Vorsitzende des Bezirksverbandes Ost-Sachsen, Renate Jäger, wenn auch intern, Fuchs’ Äußerungen zur Landwirtschaft und zur Bauernschaft und erklärte Lersow gegenüber, so könne man im Osten nicht argumentieren: „Damit gewinnen wir keine einzige Wählerstimme der Bauern, die sich von der CDU abgewandt haben.“ Es handele sich um ein DDR-spezifisches Problem, dass Fuchs „aus bundesdeutscher Sicht nicht so verstehen“ könne.26 Generell befand sich Anke Fuchs in einer Situation, in der sie ihre spezifischen Kenntnisse unzureichend anwenden konnte und auf Probleme stieß, auf die sie nicht immer ausreichend vorbereitet war. Hinzu kam, dass sie immer wieder mit dem Bundesvorsitzenden in Verbindung gebracht wurde. So nannte zwar auch Biedenkopf sie „eine respektable Politikerin“, bemerkte aber zugleich, ihr Einsatz werde „durch das Verhalten der Bundespartei außerordentlich erschwert“.27 Die 25 Interview Kurt Biedenkopf. In: die tageszeitung vom 19. 9.1990. 26 Renate Jäger an Michael Lersow vom 10. 9.1990 (AdSD, SPD-LV Sachsen 3/ SNAB000019). 27 Zit. in Wendt, Kurt Biedenkopf, S. 126.

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Kritik zielte auf den SPD-Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine, der nach verbreiteter Meinung der Kandidatur von Anke Fuchs wie der gesamten SPD in der DDR eher schadete.28 Im Wahlkampf verfestigte sich in der Bevölkerung die Meinung, bei der SPD handele es sich eher um einen Westimport. Hier war die CDU in der glücklicheren Lage, mit ihrem inneren Spannungsfeld von alten und neuen Kräften aus Ost und West sowohl Kontinuität als auch Aufbruch zu signalisieren. Für den als nicht unwahrscheinlich angesehenen Fall, dass die CDU die absolute Mehrheit verfehlen würde, ging man im SPD-Landesvorstand von einer Regierungsbeteiligung aus.29 Anke Fuchs erklärte kurz nach der Wahl, sie hätte in diesem Fall eine große Koalition mit Biedenkopf begrüßt, weil dieser für eine andere Politik stehe als Kohl.30 Sie legte sich aber bereits im Wahlkampf intern darauf fest, im Falle einer Koalitionsregierung selbst nicht zur Verfügung zu stehen. Für sie kam nur die Funktion der sächsischen Ministerpräsidentin in Frage.31 Wie üblich debattierte der SPD-Landesvorstand für den Fall einer Regierungsbeteiligung Personalfragen. Unmittelbar vor der Wahl führten Fuchs, Kunckel, Steinbach und Adler dazu ein Gespräch in Leipzig. Hier bekräftigte Fuchs nochmals ihre Haltung, „nur noch ein bestelltes Feld hinterlassen“ zu wollen. Grundsätzlich kamen Steinbach und Adler für das Amt des Innenministers in Frage, Kunkel konnte sich vorstellen, im Wissenschaftsbereich eine Rolle zu spielen.32 Steinbach hätte sich nach Lersows Meinung nur mit Hilfe Kunckels durchsetzen können. Lersows Ambitionen gingen „in Richtung Wirtschaft oder Landesentwicklung“. Er hätte sich auch vorstellen können, im Hochschulbereich Verantwortung zu übernehmen. Mit diesen Personen sah sich der SPDLandesvorstand ausreichend auf die Situation vorbereitet.33 DSU: Am 18. August nominierte ein Wahlparteitag der Deutschen Sozialen Union in Dresden den Volkskammerabgeordneten Jürgen Schwarz zum DSUSpitzenkandidaten. Albert Prinz von Sachsen Herzog zu Sachsen nahm Platz 5 der Landesliste ein,34 Norbert Koch belegte Platz 7. Außerdem wurden einige der vorderen Plätze für Kandidaten der CSU in Sachsen reserviert, um diese so zu einem Wechsel in die DSU zu motivieren.35 Am 24. August gab die DSU ihre Spitzenkandidaten für den Wahlkampf bekannt. Spitzenkandidat Jürgen Schwarz hatte er bei Erreichen der Fünf-Prozent-Hürde gute Chancen auf einen Platz im Landtag. Der frühere Lehrer für Geschichte und Staatsbürgerkunde kündigte an, bei der Regierungsbildung unter Beteiligung der DSU den Posten 28 29 30 31 32 33 34

Vgl. FR vom 15. 9.1990. Interview Michael Lersow. Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 16.10.1990. Interview Michael Lersow. Interview Peter Adler. Interview Michael Lersow. Vgl. FAZ vom 15. 8.1990. In Sachsen-Anhalt war Eduard Prinz von Anhalt Herzog zu Sachsen Spitzenkandidat der DSU. 35 Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Bericht vom 20.–24. 8.1990 (PB Manfred Kolbe).

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des Kultusministers zu beanspruchen.36 Die DSU könne zwanzig Prozent der Stimmen erreichen und ein ernstzunehmender Partner der CDU in der Regierung werden.37 DSU-Chef Hansjoachim Walther begründete die Notwendigkeit seiner Partei erneut damit, dass auf den Landtagslisten der CDU zahlreiche Altfunktionäre zu finden seien.38 Die DSU warb im Wahlkampf unter anderem mit dem Slogan, Sachsen müsse von Sachsen regiert werden. Am 19. September prognostizierte Ministerpräsident Streibl bei einer DSU-Wahlkundgebung in Dresden, die CDU werde in Sachsen die absolute Mehrheit verfehlen und es deshalb zu einer Koalitionsregierung mit der DSU kommen. Deswegen werde man die CDU im Wahlkampf auch nicht angreifen.39 Noch am 15. Oktober erklärte auch Edmund Stoiber, die ideale Konstruktion CDU/CSU in der früheren Bundesrepublik müsse „ihr Pendant finden in einem Nebeneinander von CDU und DSU“.40 Tatsächlich aber trat die DSU bis zuletzt in Konkurrenz zur CDU auf, und Biedenkopf fand es „nicht gerade sehr freundlich“, dass CSUChef Theo Waigel unmittelbar vor seiner Schlusskundgebung eine solche für die DSU bestritt, statt in bisher gewohnter Manier den Kandidaten der CDUSchwesterpartei zu unterstützen.41 Sonstige: Andere Parteien als CDU und SPD spielten im Wahlkampf eine nachgeordnete Rolle. Bei der PDS war dies nicht wegen fehlender Zustimmung aus der Bevölkerung der Fall, sondern weil niemand bereit war, mit der SEDNachfolgepartei eine Regierung zu bilden. Spitzenkandidat der PDS in Sachsen war der bisherige Chemnitzer Oberbürgermeister Eberhard Langer.42 Spitzenkandidat der Listenverbindung Neues Forum/Bündnis/Grüne wurde Klaus Gaber, der den Beauftragten für die Landesbildung vorwarf, sie ließen „Gesetze nach dem Vorbild konservativer Bundesländer von CDU-Beratern maßschneidern“, bevor der Landtag überhaupt jemanden dazu legitimiert habe.43 Der DDR-Minister für Städtebau und Wohnungswirtschaft, Axel Viehweger, trat als Spitzenkandidat der FDP an. Er war vor Übernahme seiner Ministerfunktion Dresdner Stadtrat für Energie gewesen und hatte in dieser Funktion inoffiziell mit dem MfS zusammengearbeitet. Nachdem dies im September 1990 bekannt geworden und Viehweger zurückgetreten war, befand sich die FDP, die wie die DSU damit geworben hatte, mit einem Kandidaten aus dem Osten anzutreten, in einer schwierigen Situation. Am 22. September verabschiedete die NPD auf einem Parteitag in Dresden ihr Wahlprogramm. Ihr Spitzenkandidat Peter Marx erklärte gegenüber der Presse, es sei kein Versehen, dass die Republikaner nicht 36 37 38 39

Vgl. Die Welt vom 24. und 25. 8.1990. Interview mit Jürgen Schwarz. In: Sächsische Zeitung vom 27. 8.1990. Vgl. Die Union vom 20. 9.1990. Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Bericht vom 17. –21. 9.1990 (PB Manfred Kolbe). 40 Interview Edmund Stoiber. In: Deutschland 1990, Band 94, S. 463–465 (deu-rftv dlf, 15.10.1990). 41 Interview Kurt Biedenkopf. 42 Vgl. Junge Welt vom 15.10.1990. 43 Zit. in Die Union vom 10.10.1990.

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anträten, dafür trete die NPD in Bayern nicht an. Man rechen mit etwa zehn Prozent der Stimmen.44 Tatsächlich wurden die Republikaner wie auch die Ökologisch Demokratische Partei, die Europäische Föderalistische Partei – Europapartei (Sektion der DDR) und der Arbeitslosenverband der DDR e. V. wegen Verstoßes gegen das Länderwahlgesetz nicht zugelassen.45 Jenseits des Wahlkampfes lenkte ein anderes Ereignis noch einmal das Interesse der Öffentlichkeit auf sich. Am 11. Oktober trat das Sächsische Forum mit 91 Teilnehmern im Plenarsaal der Dresdner Bezirksverwaltungsbehörde zur letzten Sitzung zusammen, die in Vertretung Iltgens von Michael Kinze geleitet wurde.46 Noch einmal informierten die Strukturbeauftragten über ihre Konzepte für den Aufbau der Landesregierung; Landeswahlleiter Otto Wuttke gab Informationen zur Landtagswahl, und Hermann Henke informierte über die Probleme bei der Unterbringung von Landtag und Regierung.47 Durch den Abschluss seiner Tätigkeit kurz vor der Wahl zum Sächsischen Landtag wurde noch einmal der Anspruch des aus den Runden Tischen der drei Bezirke hervorgegangen Sächsischen Forums unterstrichen, eine Art „Vorparlament“, was es, so Rößler, „sonst nirgends“ gegeben hatte.48 Mit dem Ende seines Wirkens wurde ein demokratischer Willensprozess abgeschlossen, bei dem, so Iltgen, weitestgehend unabhängig von den Räten der Bezirke „die Vorbereitung der Bildung des Landes von der Basis her vollzogen“ worden sei. Dieser Prozess sei in den fünf neuen Bundesländern einmalig gewesen.49 In Sachsen, so Iltgen, habe „der Wille des Runden Tisches Dresden, das Land Sachsen durch seine neuen politischen Kräfte vorzubereiten, noch vor den Landtagswahlen seinen krönenden Abschluss“ erfahren. „Die Basisdemokratie“ habe „die von ihr selbst übernommene Verantwortung an die demokratisch gewählten Vertreter des wiedererstandenen Landes Sachsen in Art eines Staffelstabes“ abgegeben.50 Tatsächlich hatte die Stärke des Sächsischen Forums vor allem im Symbolischen gelegen. Sein Anliegen, so Kleinschmidt, sei gut gewesen, jedoch sei seine Wirksamkeit in den anderen Städten als Dresden und in der „Fläche“ beschränkt geblieben.51 Dennoch tat der am 14. Oktober gewählte Sächsische Landtag gut daran, sich in die Tradition des Sächsischen Forums und damit der Runden Tische der Bezirke zu stellen. Die Ergebnisse der Landtagswahlen wurden überall in Deutschland mit Spannung erwartet, hing von ihnen doch nicht nur die politische Ausrichtung der neuen Bundesländer, sondern auch die künftige Zusammensetzung des Bundes44 45 46 47

Vgl. Die Union vom 24. 9.1990. Vgl. ebd. vom 25./26. 8.1990. Einladung zur 7. Tagung des Sächsischen Forum vom 28. 9.1990 (HAIT, DS, Vaatz 2). Fernschreiben der BVB Dresden, Regierungsbevollmächtigter, an das Bundeskanzleramt, Außenstelle Berlin, vom 12.10.1990: Wochenbericht des Regierungsbevollmächtigten für den Bezirk Dresden (HAIT, KA, 4.2). Vgl. Die Union vom 12.10.1990. 48 Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003. 49 Interview Erich Iltgen. In: Der Sächsische Landtag. Von der Wende, S. 32. 50 Iltgen, Neue Politik, S. 156. 51 Interview Günter Kleinschmidt.

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rates ab. Bei allgemein niedriger Wahlbeteiligung ging die CDU, außer in Brandenburg, wo die SPD siegte, als klarer Sieger hervor. In drei Ländern errang sie die relative, in Sachsen die absolute Mehrheit. In allen Ländern waren auch die FDP und die PDS in den Landesparlamenten vertreten. In vier Ländern übersprang Bündnis 90, zum Teil in Listenverbindungen mit den Grünen, die FünfProzent-Hürde. Die DSU war in keinem Landtag vertreten.52 In Sachsen kam die CDU auf 53,8 Prozent, gefolgt von der SPD mit 19,1, der Linken Liste / PDS mit 10,2 und der FDP mit 5,3 Prozent der Zweitstimmen. Mit 5,6 Prozent war auch das Abschneiden der politischen Gruppierungen aus dem Spektrum von Bündnis 90/Grüne enttäuschend.53 Ihre Liste „Neues Forum / Bündnis / Grüne“ erreichte in den Dresdner Wahlkreisen von Reinfried und Vaatz sogar unter einem Prozent der Stimmen, sonst lag die Liste hier zwischen zehn und 15 Prozent.54 Erstmals in der Geschichte Sachsens wurde die nach 1945 in Leben gerufene, überkonfessionelle CDU stärkste Kraft und stellte allein die Regierung.55 In der Presse wurden die Siege der CDU in den neuen Bundesländern durchweg mit der Person Helmut Kohls und kaum mit den CDU-Kandidaten vor Ort in Verbindung gebracht. Auch Kohl meint, die absolute Mehrheit der CDU in Sachsen habe „sicher auch mit meinem Engagement zu tun“. Biedenkopf habe sich bei ihm dafür auch ausdrücklich bedankt.56 So als wäre es gar nicht um politische Parteien gegangen, erklärte Biedenkopf seinen Wahlsieg seinerseits damit, dass vor allem er als Person gewählt worden sei. Der frühere CDU-Generalsekretär meinte, „kein Parteimann“ zu sein und sich „für diese parteipolitischen Dinge nicht interessiert“ zu haben. Er sei zwar der Kandidat der CDU gewesen, aber die Sachsen hätten ihn nicht wegen seiner Zugehörigkeit zur CDU gewählt. Vielleicht sei er „gerade deshalb hier an der Wahlurne der erfolgreichste Ministerpräsident der CDU seit 1946 geworden“. Er habe großen Wert darauf gelegt, „die Menschen hier vor Vorurteilen zu schützen und dem Westen zu sagen, geht erst einmal her und lernt, was hier passiert ist, ehe ihr euch ein Urteil bildet“. Die Menschen hätten ihn gekannt und gewusst, er sei unabhängig, „nicht fremdgesteuert“ und „läuft dem Kohl nicht nach“. Dank seiner Professur in Leipzig sei zudem die Meinung verbreitet gewesen, er habe sich schon zu einer Zeit um den Osten gekümmert, als es noch nicht um Regierungsämter ging. Vor allem aber sei man von seinem fachlichen Können überzeugt gewesen: „Die Leute hier haben einen sehr guten Instinkt für Kompetenz. Das ist ja ein Teil der sächsischen Tradition.“57 52 Zur Wahl vgl. Falter, Wahlen 1990, S. 176; Lapp, Fünf neue Bundesländer, S. 1659– 1661. 53 Ergebnisse der Landtagswahlen am 14.10.1990 im Freistaat Sachsen siehe Tabelle 11 im Anhang. 54 Vgl. Die Union vom 16.10.1990. 55 Zu den Ergebnissen der wichtigsten Parteien bei den Wahlen in Sachsen 1930, 1932, 1946 und am 18. 3.1990 siehe Tabelle 2 im Anhang. 56 Interview Helmut Kohl. 57 Interview Kurt Biedenkopf.

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Anders beurteilte man in der SPD den „Faktor CDU“. Der Pressesprecher von Anke Fuchs, Michael Scholing, erklärte nach der Wahl, in Sachsen hätte auch ein Besenstiel die Wahl für die CDU gewonnen.58 Mit 19,1 Prozent unterlag die SPD deutlich der CDU. Es gelang ihr in keinem Wahlkreis, ein Direktmandat zu erringen.59 Dennoch zeigte sich Fuchs im ZDF mit dem Wahlergebnis gar „nicht so unzufrieden“. Das Ergebnis sei für sie „so deprimierend nicht“,60 immerhin hatten ihr Demoskopen kurz vor der Wahl etwa 18 Prozent der Stimmen vorausgesagt.61 Im Vergleich zur Volkskammerwahl hatte die SPD sachsenweit einen Zugewinn von zirka vier Prozent erzielen können und in Leipzig-Stadt mit 28,3 Prozent ihr bestes Ergebnis erreicht. Auffällig war das unterschiedliche Wählerverhalten in den sächsischen Regionen. Während die SPD in Südwestsachsen auf dem Niveau ihres Landesdurchschnittsergebnisses lag und in Westsachsen einige Prozentpunkte darüber, verharrte sie in Ostsachsen bei Ergebnissen um 15 Prozent. Einige SPD-Landtagsabgeordnete führten die Unterschiede auf die unterschiedlich intensiven Empfangsmöglichkeiten der öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF vor 1989 zurück.62 Lersow sieht eine Ursache für ihr schlechtes Abschneiden darin, dass die SPD „die sächsische Identitätskomponente nicht richtig gespielt“ habe.63 Rößler weist darauf hin, dass Bonner Akteure der SPD ganz schwach in Sachsen vertreten gewesen seien.64 Insgesamt hatte die SPD, so Lerchner, zu wenig Personen in den Gremien, so dass sie schon personell keine erhebliche Rolle spielen konnte. Sie sei „stark in der Minderheit“ gewesen.65 Für Anke Fuchs war es ein „kleiner Trost am Wahlabend“, dass sich einige junge Leute von der CDU aufrichtig für ihren Einsatz bedankten und meinten, dass davon Erneuerungsdruck auf die CDU ausgegangen sei. In gewisser Weise stimme das, denn ohne ihre Nominierung hätte die CDU nicht Kurt Biedenkopf geholt.66 Nach der Wahl wertete die sächsische SPD das Wahlergebnis aus.67 Noch am 15. Oktober erklärte der Landesverband, trotz der Wahlniederlage konstruktiv am Wiederaufbau Sachsen mitwirken zu wollen. Die SPD werde sich vorrangig dafür einsetzen, den wirtschaftlichen Strukturwandel so zu gestalten, dass Massenarbeitslosigkeit verhindert und die Umwelt wieder hergestellt werde. Die ökologische und soziale Erneuerung der sächsischen Industriegesellschaft bleibe vorrangiges Ziel ihrer Politik.68 58 59 60 61 62 63 64 65 66 67

Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 16.10.1990. Vgl. Schmeitzner/Rudloff, Geschichte, S. 155–158. ZDF am 14.10.1990, 20.55 Uhr. In: Deutschland 1990, Band 95, Bl. 844. Vgl. Frankfurter Neue Presse vom 10.10.1990. Vgl. Schmeitzner/Rudloff, Geschichte der Sozialdemokratie, S. 157 f. Interview Michael Lersow. Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003. Interview Martin Lerchner. In: Kleimeier, Sachsen, S. 69 f. Fuchs, Mut zur Macht, S. 187. Protokolle der Landesvorstandssitzungen am 15.10. und 12.1.1990 in Dresden (AdSP, SPD-LV Sachsen, Landesvorstand 1990–1992). 68 SPD-Pressemitteilung vom 15.10.1990 (ebd., 5).

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Enttäuschend war auch das Abschneiden der DSU. Sie erreichte bei allen Landtagswahlen in den neuen Bundesländern im Schnitt nur noch 2,1 Prozent der Zweitstimmen. Auch in den Hochburgen Sachsen und Thüringen scheiterte sie an der Fünf-Prozent-Hürde. In Sachsen rutschte sie von den 13,1 Prozent am 18. März auf nun 3,43 Prozent. Das Ergebnis hing erneut damit zusammen, dass eine mögliche Wählerschaft der Partei das Original „CSU“ und keine auf die das Gebiet der DDR bezogene Kopie unter einem ungewohnten Namen wollte. Die Schlappen der „Schwesterpartei“ DSU in den neuen Bundesländern, so schrieb der „Münchner Merkur“, dürfte manchem Strategen in Bayern die Siegeslaune verdorben haben. Jetzt gebe es nur noch zwei Möglichkeiten: entweder die DSU ganz fallen zu lassen, oder sie in „CSU“ umzubenennen.69 Da die zweite Variante aus prinzipiellen Erwägungen ausschied, war aus Sicht der CSU mit der Landtagswahl der letzte entscheidende Test negativ ausgegangen, ob es gelingen könnte, die DSU bundesweit zu einer Konkurrenz zur CDU aufzubauen. Auf einem Kleinen Parteitag in München erklärte die CSU nach ihrem eigenen Wahlsieg in Bayern, sie bleibe eine bayerische Partei mit deutschlandpolitischem Anspruch.70 Bei den ersten gesamtdeutschen Wahlen im Dezember 1990 verschwand die DSU mit einem Prozent der Stimmen in der Bedeutungslosigkeit. 1991 beschloss sie ihre Ausdehnung auf ganz Deutschland, was zur Folge hatte, dass die CSU die Verbindungen vollständig abbrach. Ihr nun folgender Versuch, sich als „nationale, konservative und soziale Partei“ und damit als „Alternative in Deutschland für Bürger, die insbesondere bei der CDU und deren Linkstendenzen keine politische Heimat finden“ zu präsentieren, wurde von den Wählern nicht honoriert.71 Eine gewisse Perspektive behielt sie als regionale Partei im kommunalen Bereich, wo sie nach wie vor in verschiedenen Parlamenten vertreten ist.

7.1.2 Wohin mit dem Landtag? Erhebliche Probleme ergaben sich bei der Unterbringung von Regierung und Landtag, für die im Koordinierungsausschuss Hermann Henke zuständig war. Während man für die Regierung zunächst auf die Gebäude des Rates des Bezirkes zurückgreifen konnte, fanden sich für den Landtag und dessen Verwaltung lange Zeit keine geeigneten Unterbringungsmöglichkeiten.72 Auch wenn es sich um keinen direkten Teil der politischen Entstehungsgeschichte Sachsens handelt, wirft die Suche nach einer geeigneten Unterkunft für die Parlamentarier doch ein bezeichnendes Licht auf die damaligen Arbeitsumstände. 69 Wilhelm Christbaum. In: Münchner Merkur vom 15.10.1990. 70 Vgl. Die Union vom 30./31.10.1990. 71 Weimarer Aktionsprogramm der DSU vom 2. Bundesparteitag am 20. 6.1992 in Weimar (HAIT, Pröhl, DSU, 2). 72 Zum Aufbau der Landtagsverwaltung vgl. Krieg, Die Landtagsverwaltung, S. 203–221.

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Vom 25. Juni stammte eine erste Konzeption der Bezirksverwaltung Dresden für die künftige Unterbringung des Landtages. Am 20. Juli legte Hermann Henke dem Regierungsbevollmächtigten dazu ein Konzept vor.73 Seine Hauptarbeit bestand in der Folgezeit in der Organisation der Unterbringung des Landtages. Am 31. Juli lag ihm ein Angebot des Arbeitsamtes zum Erwerb des Verwaltungsgebäudes des früheren VEB Betonleichtbaukombinates in der Semperstraße 2 vor.74 Der Gebäudekomplex Semperstraße/Devrientsraße war 1928 bis 1930 als Oberfinanzverwaltung errichtet worden, hatte sich bis 1952 im Besitz des Landes befunden, war 1955 in SED-Besitz übergegangen und hatte bis zur friedlichen Revolution als Sitz der Bezirksleitung der SED gedient. Am 10. August informierte Vaatz Ballschuh über die Möglichkeit, die konstituierende Sitzung des Landtages im Kongreßzentrum der Dreikönigskirche stattfinden zu lassen. Alternativ komme der Saal der Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei in Frage. Langfristig müsse über den Wiederaufbau des Landtages in der Augustusstraße entschieden werden. Als Arbeitssitz des Landtages sei das Gebäude Devrientstraße 4 vorgesehen, das der aus dem Betonleichtbaukombinat hervorgegangenen Fundament GmbH Berlin gehöre, auf das aber das Land Sachsen das Eigentumsrecht anmelden werde.75 Bislang hatte hier die SED-Bezirksleitung residiert. Am 13. August teilte das „Haus der Kultur und Bildung“ in der Maternistraße 17 Henke auf Anfrage mit, dass eine vollständige Nutzung des Hauses durch den Landtag wegen einer Vielzahl laufender Mietverträge nicht möglich sei.76 Am 17. August bat Ballschuh den Präsidenten der Treuhand, Rainer Gohlke, einem Verkauf des Gebäudes Semperstraße 2 an das Arbeitsamt zwecks Sicherung der Arbeitsfähigkeit des Landtages zuzustimmen.77 Drei Tage später unterbreitete das Haus der Kirche ein Mietangebot für die konstituierende Sitzung des Landtages.78 Bei einer Sitzung des Dresdner Regierungsbevollmächtigten mit den Volkskammerabgeordneten der Bezirke am 28. August ging es unter anderem um die Nutzung des Gebäudes Devrientstraße 4 für Landtag und Landtagsverwaltung.79 Die Abgeordneten wurden gebeten, sich für den Erwerb des Gebäudes in der Semperstraße 2 zugunsten des Arbeitsamtes bei der Regierung der DDR und der Treuhandanstalt entsprechend dem Kaufantrag und dem Dringlichkeitsschreiben des Regierungsbevollmächtigten einzusetzen, um die Voraussetzungen für die Unterbringung des Landtages zu 73 Arbeitsstab Landesvermögen und Regierungsbauten: Bericht von Hermann Henke über die Aktivitäten zur räumlichen Einrichtung des Sächsischen Landtages vom 11.12.1990 (HAIT, KA, 30.1). 74 Hermann Henke an Kurt Biedenkopf vom 18.10.1990 (ebd.). 75 Arnold Vaatz an Siegfried Ballschuh vom 10. 8.1990 (ebd.). 76 Haus der Kultur und Bildung an Henke vom 13. 8.1990 (ebd.). 77 Siegfried Ballschuh an Rainer Gohlke vom 17. 8.1990 (ebd.). 78 Dreikönigskirche Dresden, Haus der Kirche: Ergänzung zum Angebot zur Durchführung der konstituierenden Sitzung des Sächsischen Landtages vom 20. 8.1990 (ebd., 20). 79 Niederschrift der 1. Beratung der AG „Vorbereitung Erste Sitzung des Landtages“ am 5. 9.1990 (ebd., 30.1).

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schaffen.80 Vaatz legte am 28. August einen Gebäudeplan für Regierung und Landtag vor. Bis zum Wiederaufbau des am Ende des Zweiten Weltkrieges zerstörten Landtagsgebäudes an der Brühlschen Terrasse sollte demnach das Gebäude in der Devrientstraße 4 als Sitz des Landtags genutzt werden.81 Am 30. August wurde beschlossen, bis dahin mit der evangelischen Kirche eine Nutzung der Dreikönigskirche bis Ende 1990 zu vereinbaren.82 Am 4. September verhandelten Vertreter des Arbeitsamtes Dresden, der Bundesanstalt für Arbeit und des Arbeitsstabes Regierungsbauten des Koordinierungsausschusses bei der Treuhand in Berlin über den Verkauf des Leitungsgebäudes des früheren Betonleichtbaukombinats in der Semperstraße, um so die Voraussetzungen für einen etappenweise Einzug des Arbeitsamtes zu erreichen.83 Die Verhandlungen ergaben ein „übereinstimmendes Konzept mit dem Ziel des Vertragsabschlusses bis 21. 9. 90 und Teilumzug (160 Mitarbeiter) des Arbeitsamtes bis 15.10. 90“.84 Angesichts der unerwarteten Schwierigkeiten wurde auf einer ersten Beratung der Arbeitsgruppe zur Vorbereitung der ersten Landtagssitzung am 5. September gefordert, zum 1. Oktober Bedingungen für die Arbeit des Landtages zu schaffen. Immerhin war inzwischen klar, dass es hinsichtlich der ersten Landtagssitzung im Haus der Kirche keine unlösbaren Probleme mehr gab. Henke informierte darüber, dass das Objekt Devrientstraße 4 für die Arbeit der Landtagsverwaltung, der Fraktionen, des Präsidenten und Präsidiums in Etappen bis Mitte Oktober zur Verfügung stehen werde. Voraussetzung dafür sei, dass das Arbeitsamt ebenfalls in Etappen in die Semperstraße umziehe. Grundsätzlich musste Iltgen aber feststellen, dass „das Funktionieren und die Arbeitsbedingungen für die Landtagsverwaltung zur Sicherung der Arbeit des Landtages insgesamt gefährdet“ seien. Es gelte daher, unverzüglich Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen. Henke wurde beauftragt, Nutzungsverträge mit der Sächsischen Treuhand GmbH vorzubereiten und zu sichern.85 In einer Mitteilung an den Koordinierungsausschuss wies Iltgen auf die Notwendigkeit hin, dafür zu sorgen, „dass der Landtag als erste Körperschaft arbeitsfähig sein“ müsse. Dazu seien kurzfristig die politischen, personellen und finanziellen sowie organisatorischtechnischen Voraussetzungen zu schaffen.86 Am 10. September nannte Iltgen den 15. September als Termin der Arbeitsaufnahme der Landtagsverwaltung. Bis zum 1. Oktober müsse die Arbeitsfähigkeit „mit vorgeschlagener Minimal80 Festlegungsprotokoll der Beratung des Regierungsbevollmächtigten für den Bezirk Dresden mit den Volkskammerabgeordneten am 20. 8.1990 (Dok. 122). 81 BVB Dresden, gez. Arnold Vaatz: Regierungsgebäude für die Landesregierung, Landtags- und Ministerialgebäude vom 28. 8.1990 (HAIT, KA, 30.1 und 10.5). 82 Protokoll der Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses am 30. 8.1990 (Dok. 127). 83 Zentr. AV, Aktennotiz vom 5. 9.1990 (HAIT, KA, 30.1). 84 Hermann Henke an Kurt Biedenkopf vom 18.10.1990 (ebd.). 85 Niederschrift zur 1. Beratung der AG „Vorbereitung Erste Sitzung des Landtages“ am 5. 9.1990 (ebd.). 86 AG Landtagsvorbereitung: Vorlage an den Koordinierungsausschuss zur Bildung des Landes Sachsen zur Arbeitsberatung am 6. 9.1990 (SächsStAC, RdB/BVB, 152198).

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variante“ gesichert sein. Dazu gehörten neben dem Plenarsaal weitere Sitzungs-, Dienst- und Arbeitsräume. Iltgen schlug vor, unverzüglich Verträge zu den vorgesehenen Objekten in der Devrientstraße 4 und mit der Dreikönigskirche abzuschließen.87 Daraufhin beantragte Vaatz noch am selben Tag bei der für die Devrientstraße 4 zuständigen Sächsischen Grundstücks- und Treuhandgesellschaft die Anmietung von Räumen.88 Ihm wurde die ausschließliche und sofortige Vermietung zugesagt, sobald eine Lösung für die derzeitigen Mieter (u. a. PDS, Arbeitsamt, Sender Dresden) gefunden worden sei.89 Um als Verhandlungspartner auftreten zu können, wurde Iltgen durch Vaatz zum amtierenden Direktor des künftigen Landtages mit der Aufgabe der Vorbereitung der Landtagsverwaltung ernannt. Dazu hieß es, die Landtagsvorbereitung müsse vorgezogen werden und arbeite nun „unabhängig von der jetzigen Behörde“. Iltgens Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Befugnisse leiteten sich ab sofort vom vorliegenden Entwurf der Geschäftsordnung des künftigen sächsischen Landtages ab.90 In der ohnehin schwierigen Situation wurde am 20. September bekannt, dass die sächsische Treuhand „mit anderen Zielen ohne Kenntnis des Arbeitsamtes über das Objekt Semperstraße 2 verhandelt“. Mitarbeiter der Treuhand, so Henke, lehnten Verhandlungen mit dem Arbeitsstab Regierungsgebäude ab und verleugneten das Verhandlungsergebnis vom 4. September. Erst später wurde bekannt, dass die Treuhand noch im September und Oktober Räume in der Semperstraße 2 an Fremdfirmen vermietete.91 Der Koordinierungsausschuss beschloss daraufhin, für den Landtag „eine endgültige Entscheidung herbeizuführen“.92 Henke berichtete am 26. September: „Zwischen sächsischer Grundstücks- und Treuhandvermögen ist die Nutzung für 2 Räume für den Landtag abgeschlossen im Gebäude Devrientstraße 4. Ab 4.10. nutzbar. Mehr nicht. Es werden Zwischenlösungen angeboten. Gebäude Schevenstraße, Klub der Intelligenz (Dresdner Klub), Kinder- und Jugendsportschule Freiberger Str./ Ecke Maternistraße.“ Die Arbeitsgruppe zur Vorbereitung der ersten Sitzung des Landtages legte daraufhin fest, dass jede Interimslösung für Sitz und Arbeitsmöglichkeiten der Landtagsverwaltung und des Landtages aufgrund der Wichtigkeit abgelehnt werde, und beschloss, durchzusetzen, dass die Räume im Gebäude Devrientstraße 4 „freigelenkt werden“. Es wurde beschlossen, das Problem dem Landessprecher vorzutragen und „um notwendige Einflussnahme

87 Erich Ilgen an die Mitglieder des Koordinierungsausschusses vom 10. 9.1990 (HAIT, KA, 30.1). 88 Arnold Vaatz an die Sächsische Grundstücks- und Treuhandgesellschaft vom 10. 9.1990 (ebd.). 89 Sächsische Grundstücks- und Treuhandgesellschaft an Arnold Vaatz vom 13. 9.1990 (ebd.). 90 Protokoll der Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses am 13. 9.1990 (Dok. 139). 91 Hermann Henke an Kurt Biedenkopf vom 18.10.1990 (HAIT, KA, 30.1). 92 Protokoll der Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses am 20. 9.1990 (Dok. 140).

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zu bitten“.93 Iltgen wandte sich daraufhin an Krause und bat „dringend um Ihre Einschaltung zwecks Klärung der Angelegenheit“.94 Dieser richtete in der Sache einen Appell an Staatssekretär Hans-Heinrich Neusel vom Bundesinnenministerium.95 Gleichzeitig wandte sich Henke mit einem Dringlichkeitsantrag an Ermisch und von Hammerstein von der Dresdner Clearingstelle des Bundes und der Länder und bat um dringende Unterstützung zur Bereitstellung militärischer Objekte in Dresden für das Arbeitsamt Dresden, um in der Devrientstraße 4 Platz für die Landtagsverwaltung zu schaffen.96 Am 28. September beschloss die Clearingstelle daraufhin, Landtag und Landtagsverwaltung in den Räumen des bisherigen Arbeitsamtes in der Devrientstr. 4 in Dresden zu lokalisieren. Das Arbeitsamt sollte vorläufig in den Räumlichkeiten der bisherigen Militärakademie „Friedrich Engels“ untergebracht werden. Die Bundesministerien des Innern und für Arbeit und Soziales wurden gebeten, sich in dieser Angelegenheit unverzüglich auf Leitungsebene mit dem zuständigen Bundesministerium für Verteidigung in Verbindung zu setzen. Franz Kroppenstedt und von Hammerstein wurden als Vertreter der Clearingstelle beauftragt, für die Umsetzung des Beschlusses in Bonn zu sorgen.97 Erst auf diese Weise konnte eine Lösung für die Arbeit des Landtages erreicht werden, nachdem die dem Bundesfinanzministerium nachgeordnete Treuhand keinerlei Interesse an einer Lösung der politisch zentralen Frage der Arbeitsfähigkeit des Sächsischen Landtages gezeigt hatte. Wie in anderen Fällen war es hier ausschließlich um die finanziellen Aspekte des Problems gegangen. Kurz vor den Landtagswahlen kam es nochmals zu einer Zuspitzung der Lage, als am 2. Oktober festgestellt wurde, dass im Gebäude Devrientstraße 4 gerade einmal zwei Räume für den Landtag zur Verfügung standen.98 Am 4. Oktober informierte Iltgen Vaatz über neue Schwierigkeiten im Gebäude Holländische Straße, dem heutigen Bernhard-vonLindenau-Platz vor dem Sächsischen Landtag.99 Bereits bei der Treuhand angemietete Räume waren vom Landessender Sachsen belegt, der von einer Vermietung an den Landtag nichts wusste. Außerdem stellte sich heraus, dass die Zahl der größeren Sitzungsräume nicht ausreichte, um die Arbeit der Fraktionen zu gewährleisten. Geeignete Räume wurden vom Arbeitsamt genutzt, und dem Landessender Sachsen war vertraglich die volle Nutzung des Plenarsaals und eines Klubraums zugesichert. Iltgen sah sich daher „nicht in der Lage, den Umzugsplan, wie er Ihnen als Vorlage unterbreitet wurde, einzuhalten“. Damit, so sein Urteil, sei „die Vorbereitung der Ersten Tagung des Landtages nicht mehr gesichert“. Ebenso sei der Terminplan beim Aufbau der Landtagsverwaltung ge93 Protokoll der 2. Beratung der AG Vorbereitung der Ersten Sitzung des Landtages am 26. 9.1990 (HAIT, KA, 30.1). 94 Erich Iltgen an Rudolf Krause vom 26. 9.1990 (ebd.). 95 Vgl. BMI an Rudolf Krause vom 15.10.1990 (HAIT, Iltgen, 3). 96 Hermann Henke an Günter Ermisch und Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein (Clearingstelle Bonn) vom 28. 9.1990 (HAIT, KA, 30.1). 97 Protokoll der Clearing-Außenstellenberatung in Dresden am 28. 9.1990 (Dok. 144). 98 Protokoll der Clearing-Außenstellenberatung in Dresden am 2.10.1990 (Dok. 148). 99 Das Gebäude wurde von der Devrientstraße und der Holländischen Straße umgrenzt.

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fährdet.100 Staatssekretär Kroppenstedt wandte sich daraufhin mit der dringenden Bitte an den Bundesverteidigungsminister, sofort die Genehmigung zu erteilen, den Raumbedarf des Arbeitsamtes in der Militärakademie zu decken und damit einen umgehenden Umzug dieser Behörde zu ermöglichen. Dem Koordinierungsausschuss wurde zugesichert, dass mit dem unmittelbaren Eingang eines positiven Bescheids gerechnet werden könne.101 Nach einem Jour fixe mit Iltgen, Kinze, Heitmann, Kammerschen, Stilz und Hirschle am Morgen des 5. Oktober102 schrieb Vaatz im Auftrag Krauses an Rohwedder und forderte ihn auf, dafür zu sorgen, dass das Landesarbeitsamt in das freiwerdende Gebäude des früheren Betonleichtbaukombinats Dresden ziehen könne, um den Landtag nach den Wahlen im Gebäude Devrientstraße 4 einzuquartieren, wo Teile des Landesarbeitsamtes untergebracht waren. Das Gebäude Semperstraße sei für die Verwaltung des Landes Sachsen dringend erforderlich. „Ich bitte Sie hiermit dringend, angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen eine Sofortentscheidung zu treffen, die den unverzüglichen Umzug des Arbeitsamtes Dresden von der Devrientstraße in die Semperstraße ermöglicht.“ Nur der sofortige Bezug könne „die katastrophale Lage, dass der Landtag nicht arbeitsfähig sein wird, verhindern“.103 Bei der Clearing-Außenstellenberatung am 9. Oktober konnte Henke mitteilen, dass für den Landtag sieben Büroräume und drei große Räume in der Holländischen Straße zur Verfügung stünden. Die Treuhand Berlin werde am 10. Oktober entscheiden, dass das Arbeitsamt in die Semperstraße umziehen könne.104 Am 9. Oktober informierte dass Bundesverteidigungsministerium darüber, dass Gerhard Stoltenberg „einen Prüfantrag hinsichtlich einer anderen Verwendung des in Rede stehenden Objektes erteilt“ habe. Am 11. Oktober teilte Ermisch mit, dass Stoltenberg mit der Nutzung der Militärakademie durch das Arbeitsamt einverstanden sei. Inzwischen hielt das Arbeitsamt die Räume nach einer Besichtigung für ungeeignet, war aber bereit, in die Semperstraße zu ziehen. Ein Einverständnis der Treuhand sei schnell zu erwarten, da dort ein Wechsel in der Zuständigkeit stattgefunden habe.105 Am 11. Oktober teilte Staatssekretär Karl-Heinz Carl vom Bundesverteidigungsministerium Staatssekretär Kroppenstedt „auf Ihre fernschriftliche Bedarfsanforderung vom 1. Oktober 1990 für das ehemalige Luftgaukommando Ost in Dresden“ (in der DDR „Militärakademie Friedrich Engels“) mit, dass sein Ministerium den Seitenflügel der Liegenschaft Teplitzer Straße „unter Zurückstellung des vorhandenen militärische Bedarfs, im Zusammenhang mit der Un100 Erich Iltgen an Arnold Vaatz vom 4.10.1990 (HAIT, KA, 20). 101 Koordinierungsausschuss zur Bildung des Landes Sachsen, Abt. Vorbereitung Landtag: Vorlage zur Umzugsplanung für die Landtagsverwaltung und den künftigen Landtag vom 4.10.1990 (ebd.). 102 Jour fixe am 5.10.1990 im Hotel Bellevue (ebd., 9). 103 Krause, i. A. Vaatz, an Dr. Rohwedder, Treuhandanstalt, vom 5.10.1990 (ebd., 30.1). 104 Clearing ASTB-Beratung am 9.10.1990 (SächsStAC, BVB, 152207) (HAIT, KA, 29.2). 105 Hans Merkel, Arbeitsstab Landtagsvorbereitung: Betr. Einzug der Landtagsverwaltung und des Landtages in das Gebäude Holländische Straße (Devrientstraße 4) vom 11.10.1990 (ebd.).

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terbringung des sächsischen Landtags zur Verfügung stellen“ werde.106 Damit waren drei Tage vor der Landtagswahl freilich nicht alle Probleme aus der Welt geschafft, weswegen Iltgen Krause am 12. Oktober „umgehend um eine politische Grundsatzentscheidung dahingehend“ bat, „dass dem Funktionieren des künftigen Landtages höhere Priorität einzuräumen ist als allen anderen Erwägungen hiesiger Dienststellen“.107 Über die Probleme um den Landtag informierte Ballschuh auch in seinem weiterhin üblichen Wochenbericht, den nun nicht mehr die DDR-Regierung, sondern das Bundeskanzleramt erhielt. Hier hieß es, während die Organisationsstrukturen und die Geschäftsverteilungspläne der künftigen Ministerien und der Staatskanzlei bestätigt seien, gebe es nach wie vor Probleme wegen der „nicht geklärten Arbeitsmöglichkeiten der neuen Landtagsverwaltung“.108 Zwei Tage vor der Landtagswahl trug Iltgen die Raumprobleme in die Öffentlichkeit. In „Die Union“ war zu lesen, die Raumfrage sei „ein großes Minus“. Wenn die Landtagsverwaltung nicht arbeitsfähig sei, werde es keine Sitzungen geben: „So einfach ist das. Obwohl alle Verantwortungsträger mit mir einer Meinung sind, ist zur Zeit keine praktikable Lösung in Aussicht. Das ist das Kuriose.“ Die Verantwortung liege eindeutig bei der Treuhandstelle in Berlin. Diese habe die Objekte vermittelt und Verträge abgeschlossen. Die Sächsische Treuhandgesellschaft habe das Objekt übernommen und vermiete es jetzt offensichtlich im Auftrag. Dort liege das Problem. Der Sächsischen Treuhandgesellschaft müsse deutlich gemacht werden, dass „der Anspruch durch den Sächsischen Landtag der primäre“ sei.109 Einen Tag nach den Landtagswahlen informierte das Bundesinnenministerium über die Entscheidung des Bundesverteidigungsministeriums vom 12. Oktober, wonach in der Militärakademie in Dresden ein Flügel für das Arbeitsamt Dresden bereitgestellt würde, so dass das Gebäude in der Devrientstraße 4 für den Landtag von Sachsen zur Verfügung stehe.110 Damit standen zwar Arbeitsmöglichkeiten für die Landtagsverwaltung in Aussicht, Iltgen musste aber am 16. Oktober konstatieren, dass noch immer keine befriedigende Arbeitsmöglichkeit für die Fraktionen und die Landtagsverwaltung sichergestellt sei. Die Situation sei „äußerst unbefriedigend“. Henke wiederholte, dass die seit August laufenden Bemühungen um Freimachung der Räume bei der Treuhand nicht erfolgreich gewesen seien. Herbert B. Schmidt schlug vor, dass „Ermisch beim Bundesminister für Finanzen interveniert und eine Weisung an die Treuhand verlangt, wonach die entsprechenden Räume dem Landtag von Sachsen zur Verfügung zu stellen

106 Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, Karl-Heinz Carl, an den Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Franz Kroppenstedt, vom 11.10.1990 (ebd.). 107 Erich Iltgen an Rudolf Krause vom 12.10.1990 (ebd., 20). 108 Fernschreiben der BVB Dresden, Regierungsbevollmächtigter, an das Bundeskanzleramt, Außenstelle Berlin, vom 12.10.1990: Wochenbericht des Regierungsbevollmächtigten für den Bezirk Dresden (ebd., 4.2). 109 Interview Erich Iltgen. In: Die Union vom 12.10.1990. 110 Fernschreiben des BMI an Krause vom 15.10.1990 (HAIT, Iltgen, 3).

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sind“.111 Die Lage schlug sich in einem Vermerk für Krause nieder, in dem es hieß, die vorläufige Landtagsverwaltung sei bislang noch immer kaum arbeitsfähig. Es sei nicht gelungen, mit der Treuhand und der Bundesanstalt für Arbeit die Raumfrage befriedigend zu klären. Iltgen habe die Besorgnis geäußert, dass die konstituierende Sitzung nicht am 27. Oktober durchgeführt werden könne. Bei einer Beratung am 16. Oktober mit Treuhand und Bundesanstalt für Arbeit müsse sichergestellt werden, dass die aufgetretenen Schwierigkeiten umgehend gelöst würden.112 Einen Tag später berichtete Iltgen, dass die Raumprobleme noch immer nicht befriedigend gelöst seien. Man hoffe aber, dass ab Montag 27 Räume in der Devrientstraße für die Landtagsverwaltung und die Fraktionen zur Verfügung stünden.113 Nachdem lange keine Lösung für den Sitz des Landtages gefunden worden war, kam Mitte Oktober „Rettung in letzter Not“, wie Henke handschriftlich auf dem Dokument anmerkte. Nach der Verhandlung mit der Treuhand erhielt Clearingberater Matthias von Wulffen die Zusage, dass das Arbeitsamt das Gebäude Semperstraße 2 für mindestens vier Jahre nutzen könne.114 Dadurch war die Unterbringung der Landtagsverwaltung und des Landtages in der Devrientstraße 4 ab dem 22. Oktober gesichert.115 Iltgen informierte nun Biedenkopf darüber, dass das Arbeitsamt aus der Devrientstraße 4 in das Objekt Semperstraße 2 umziehen müsse, welches in Verwaltung der Treuhandanstalt Berlin und bereits seit längerem zu zirka sechzig Prozent leer stehe. Trotz wiederholter Anträge und Verhandlungen habe die Treuhandanstalt Berlin erst drei Tage nach den Landtagswahlen die Zustimmung zum Einzug des Arbeitsamtes Dresden in das Gebäude Semperstraße 2 gegeben. Durch die Verzögerung sei eine äußerst komplizierte Lage für die Aufnahme der Arbeit des Landtages und der Landtagsverwaltung entstanden.116 Am 22. Oktober konnte die Clearingstelle im Bundesinnenministerium konstatieren, dass in der Militärakademie Dresden ein Flügel für die Unterbringung des Arbeitsamtes geräumt worden sei, damit der Landtag in die ehemaligen Räume des Arbeitsamtes in der Devrientstraße 4 einziehen könne.117 Ende Oktober waren damit zwar die ärgsten Nöte des Landtages, keinesfalls aber alle Probleme beseitigt. Noch Ende November erklärte Iltgen, die Landtagsarbeit sei erheblich blockiert. Der Landtag verfüge nur über einige wenige der für ihn gedachten Räume im Gebäude der ehemaligen SED-Bezirksleitung. Die Fundament-GmbH erkläre sich 111 Geschäftsstelle des Koordinierungsausschusses: Protokoll der Vorbereitungssitzung der Leiter der Arbeitsstäbe am 16.10.1990 (HAIT, KA, 3.3). 112 Büro des Landesbevollmächtigten, Regierungsdirektor Michael Feist: Vermerk für Rudolf Krause: Betr. Kabinettssitzung am 17.10.1990. Bezug: Vorkonferenz am 16.10. 1990 (RPL, AZ 0142). 113 Geschäftsstelle des Koordinierungsausschusses: Protokoll der Leiterrunde am 17.10. 1990 (ebd.). 114 Treuhandanstalt. Berlin, vom 17.10.1990 (HAIT, KA, 30.1). 115 Beraterstab-Bund, Koordinator, gez. Ermisch: Betr. Unterbringung Landtag/Landtagsverwaltung vom 17.10.1990 (ebd.). 116 Hermann Henke an Kurt Biedenkopf vom 18.10.1990 (ebd.). 117 Geschäftsstelle der Clearingstelle: Ergebnisniederschrift über die 4. Sitzung der BundLänder-Clearingstelle für die Verwaltungshilfe am 22.10.1990 im BMI (HAIT, Iltgen, 3).

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nicht in der Lage, den jetzigen Mietern neue Räume zuzuweisen.118 Am 18. November bat Henke die Treuhandstelle Parteieneigentum im Bundeskanzleramt um „Unterstützung zur Durchsetzung der Ansprüche des Freistaates Sachsen, die sich aus Ansprüchen des Landes Sachsen aus den Jahren 1949/52 oder aus dem Bedarf für Zwecke des Verwaltungsaufbaus ableiten“. Dabei handele es sich um den ehemaligen Sitz der SED-Bezirksleitung Devrientstr. 4, auf das auch der Bund Rechtsanspruch angemeldet hatte, da das Gebäude bis 1945 Reichsvermögen gewesen war, das Haus der Kultur und Bildung, Maternistraße 17, das Gästehaus Hermann-Prell-Str. 6 sowie weitere Objekte.119 Auf Antrag der SPD120 und mit Unterstützung sämtlicher Fraktionen empfahl das Präsidium des Landtages dem Landtag, in seiner Sitzung am 13. Dezember den Petitionsausschuss als Untersuchungsausschuss einzusetzen und zu klären, warum dem Landtag und seinen Ausschüssen bis dato nicht genügend Räumlichkeiten zur ordnungsgemäßen Durchführung seiner Arbeit zur Verfügung stünden.121 Ziel des Ausschusses war es vor allem, Licht in die Eigentumslage Holländische Straße/Devrientstraße zu bringen und Rechte des Landes geltend zu machen. Ab Januar 1991 tagte der Landtag in diesem Gebäude, und bis zum 30. Juni 1991 war der etappenweise Auszug des Arbeitsamtes in sein neues Domizil in der Semperstraße abgeschlossen. Mehrmonatige Recherchen und die Überführung von Teilen des PDS-Vermögens, zu denen auch das heutige Landtagsgebäude zählte, in Treuhandverwaltung brachten das Problem einer Lösung nahe. Im Sommer 1991 übergab die Treuhand an Landtagspräsident Iltgen den Gebäudekomplex Devrientstraße/Holländische Straße. Damit war der langanhaltende Streit über das Eigentum an der „Modrow-Burg“ beendet.122 Das Plenum des Landtages tagte bis zur Einweihung des Landtagsneubaus am 3. Oktober 1993 in der Dreikönigskirche auf der neustädtischen Elbseite.

7.1.3 Konstituierung des Landtages im Oktober 1990 Nach fast vierzigjähriger Unterbrechung und den Querelen um seine räumliche Unterbringung wurde mit der Konstituierung des neuen Sächsischen Landtages eine Tradition wieder aufgenommen, die bis in die Frühzeit sächsischer Territorialgeschichte zurückreicht.123 Schon im 15. Jahrhundert wurden in Sachsen 118 Vgl. dpa vom 30.11.1990. 119 Hermann Henke an das Bundeskanzleramt, Außenstelle Berlin, Treuhandstelle Parteieneigentum, vom 18.11.1990 (HAIT, KA, 30.1). 120 Antrag der Fraktion der SPD, gez. Karl-Heinz Kunckel, vom 23.11.1990 (ebd.). 121 SStK, Abteilung Richtlinien der Politik: Sitzung des Präsidiums des Sächsischen Landtages am 28.11.1990 (ebd.). 122 Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden. Bericht vom 8.–14. 7.1991 (PB Manfred Kolbe). Vgl. „Vom Mieter zum Hausherrn – eigener Plenarsaal 1993.“ In: Landtagskurier Freistaat Sachsen 2 (1992) Nr. 1, S. 1 f. 123 Vgl. Karlheinz Blaschke: „Aus dem Auftrag erwächst die Würde.“ In: Die Union vom 27./28.10.1990. Zur Geschichte des Landtages vgl. Denk/Matzerath, Die drei Dresd-

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Landtage abgehalten, freilich gingen die alten Landstände nicht aus gleichen und allgemeinen Wahlen hervor. Ihr wichtigstes Recht war die Steuerbewilligung. Zwischen 1770 und 1776 wurde in der Residenzstadt Dresden ein eigenes Gebäude für die Zusammenkunft der Landstände errichtet. Dieses Gebäude, das Landhaus, das seit 1966 das Museum für Geschichte der Stadt Dresden beherbergt, blieb trotz schwerer Zerstörungen erhalten. Im Jahr 1831 erhielt Sachsen eine Verfassung und zwei Kammern, die von nun an im Landhaus tagten. 1848 hob der Landtag die ständische Gliederung auf und führte direkte Wahlen ein. 1850 wurden die Kammern erneut aufgelöst und das Wahlgesetz von 1848 zurückgezogen. 1868 wurde die ständische Gliederung der zweiten Kammer erneut aufgehoben. Das Zweikammersystem blieb bis 1918 bestehen. Am Ende der Regierungszeit von König Johann (1854–1873) gab es eine liberale Mehrheit in der zweiten Kammer. 1877 gewannen die Konservativen die Mehrheit zurück und behaupteten sie bis 1918. 1877 zog, erstmals für ein deutsches Länderparlament überhaupt, ein Sozialdemokrat in das Landhaus ein. 1896 wurde das Dreiklassenwahlrecht eingeführt und damit eine Wahl von Sozialdemokraten in den Landtag fast unmöglich. 1909 wurde es durch das Pluralwahlrecht abgelöst. Im November 1918 trat die Ständekammer zur letzten Sitzung zusammen. Überall im Lande bildeten sich Arbeiter- und Soldatenräte, die ein Ende der parlamentarischen Demokratie forderten. Im Februar 1919 fanden Wahlen zur sächsischen Volkskammer statt. Die beiden sozialdemokratischen Parteien MSPD und USPD erhielten die Mehrheit. Nach den Turbulenzen der Weimarer Zeit scheiterte im April 1932 ein von der KPD initiierter und von der NSDAP unterstützter Volksentscheid über die Auflösung des Landtages. Im Februar 1933 trat der Landtag zur letzten regulären Sitzung zusammen. Im April wurde er auf Grundlage des Ländergleichschaltungsgesetzes neu gebildet. Die NSDAP wurde stärkste Fraktion. Es folgte das Verbot demokratischer Parteien und das Ende des Parlamentarismus. Nach 1945 wurde der Landtag neu gebildet, verlor aber im Prozess der Diktaturdurchsetzung in Sachsen schnell an Bedeutung124 und verschwand mit der Auflösung der Länder 1952 bis zum Herbst 1990 von der politischen Landkarte Sachsens.125 Die Wiedereinführung des Parlamentarismus in Sachsen war, so Karl-Heinz Kunckel, „das Ergebnis der ersten wirklich erfolgreichen Revolution ‚von unten‘ in der deutschen Geschichte“.126 Dabei ging es, so außerdem Blaschke, „um nichts Geringeres als die Neubelebung einer demokratischen Einrichtung, die in einem großen Zusammenhang europäischer Verfassungsgeschichte“ stand und steht.127 Bei der Konstituierung des Sächsischen Landtages stand nach Auszählung der Stimmen fest, dass die CDU von 160 Abgeordnetensitzen 92 gewonnen hat-

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ner Parlamente; Groß, Zur Geschichte des Landtages, S. 5 f.; Schmeitzner/Rudloff, Geschichte der Sozialdemokratie im Sächsischen Landtag. Vgl. Behring/Schmeitzner, Diktaturdurchsetzung in Sachsen. Siehe dazu Kap. 2.1. und 2.2. Kunckel, Die friedliche Revolution, S. 31. Blaschke, Landstände, S. 7.

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te, die SPD 32, die Linke Liste/PDS 17, Bündnis 90/Grüne zehn und die FDP neun.128 Vor der ersten Landtagssitzung konstituierten sich die Fraktionen. Von den 92 CDU-Abgeordneten hatten 65 schon vor 1989 der CDU in der DDR angehört, davon 20 Funktionen im Partei- und Staatsapparat auf Kreis-, neun auf Bezirks- und drei auf DDR-Ebene innegehabt. Von den insgesamt zehn CDUAbgeordneten aus den früheren Reihen der DBD hatten vier Abgeordnete Funktionen auf Kreis-, ein Abgeordneter auf Bezirks- und zwei auf DDR-Ebene ausgeübt. Vaatz’ Anspruch vom August 1990, dass kein früherer Funktionsträger in den Landtag gehöre, hatte sich somit nicht erfüllt. Zwei Abgeordnete, Kurt Biedenkopf und Klaus Leroff, kamen aus der West-CDU, fünf aus dem Demokratischen Aufbruch, drei aus dem Neuen Forum und zehn waren der CDU ab dem Oktober 1989, also unter veränderten politischen Rahmenbedingungen, beigetreten.129 Damit verfügten die Mitglieder der früheren Block-CDU über eine Mehrheit von rund siebzig Prozent in der Fraktion, zählt man die Mitglieder der DBD als „alte Kräfte“ hinzu, so waren dies über achtzig Prozent. Im Gegensatz zum DA war es der DBD gelungen, im Rahmen der Fusion mit der CDU dreizehn Mitglieder über die CDU-Landesliste in den Landtag delegieren zu lassen. Aus dem DA zog nur Dietmar Franke über die CDU-Landesliste in den Landtag ein; Beyer, Münch, Rasch und Rößler eroberten einen eigenen Wahlkreis. Die drei zuvor im Neuen Forum engagierten CDU-Abgeordneten Grüning, Vaatz und Reinfried setzten sich ebenfalls in ihren Wahlkreisen durch. Aus der DBD gelangte nur Karl Sachse über den Wahlkreis Torgau in den Landtag, er musste seine Funktion 1991 wegen Vorwürfen einer Zusammenarbeit mit dem MfS niederlegen. Der CDU-Landesvorstand räumte der DBD also wesentlich günstigere Konditionen bei den Landtagswahlen ein als dem DA. Damit stand der unter dem Einfluss der neuen Kräfte im Koordinierungsausschuss gebildeten Staatsregierung mit starkem Westanteil eine von Altmitgliedern dominierte Fraktion mit verschwindend geringem Westanteil gegenüber. So war es auch kein Wunder, dass Herbert Goliasch am 24. Oktober mit 58 von 88 Stimmen zum Fraktionsvorsitzenden gewählt wurde.130 Goliasch war bis 1989 CDU-Ortsvorsitzender in Leipzig und anschließend stellvertretender CDUKreisvorsitzender gewesen. Er legte später seine Ämter wegen Vorwürfen einer Zusammenarbeit mit dem MfS nieder. Goliasch setzte sich gegen Reinfried durch, den die neuen Kräfte in der CDU aufgestellt hatten, obwohl klar war, dass sie in der Fraktion keine Mehrheit hatten.131 Erster Stellvertreter wurde Karl-Heinz Binus, der die CDU schon in der ersten frei gewählten Volkskammer vertreten hatte. Stellvertretende Vorsitzende wurde daneben Rita Henke, die bislang als stellvertretende Ortsgruppenvorsitzende und CDU-Kreistagsabgeordnete in Leipzig aktiv gewesen war. Als ehemals einfache Mitglieder der 128 Zur Sitzverteilung im Sächsischen Landtag siehe Tabelle 13 im Anhang. Zur Sitzverteilung in den Landtagen aller neuen Bundesländer siehe Tabelle 14 im Anhang. 129 Siehe Tabelle 12 im Anhang. 130 Vgl. Die Union vom 25.10.1990. 131 Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003.

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Block-CDU gehörten dem Fraktionsvorstand Uwe Albrecht, Volker Bandmann, Eckhard Börner, Heinz Lehmann, Hans Heinz Lehner, Ludwig Noack, Mark Schiemann, Kurt Stempell, Wolfgang Süß, Hartmut Ulbricht und Hermann Winkler an. Funktionen auf Kreisebene hatten neben Goliasch Rita Henke und Andrea Hubrich innegehabt; auf Bezirksebene waren Friedbert Groß im Kulturaktiv des CDU-Bezirksvorstandes und als berufenes Mitglied der Ständigen Kommission Kultur des Bezirkstages Leipzig sowie Karl Mannsfeld als Leiter des Aktivs Umweltschutz beim CDU-Bezirksverband Dresden aktiv gewesen. Als einziges von rund zwanzig Mitgliedern des Fraktionsvorstandes kam Matthias Rößler aus den Reihen der neuen politischen bzw. der neu in die Partei eingetretenen Kräfte. Rößler wurde zugleich ohne Gegenkandidat hochschulpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion.132 Auch die bisherigen DBD-Mitglieder konnten eines ihres Mitglieder, Peter Jahr, in den Fraktionsvorstand entsenden. Angesichts des Miteinanders von alten und neuen Mitgliedern in der CDUFraktion blieben Spannungen nicht aus. Auslöser waren jedoch kaum die ehemaligen einfachen Mitglieder der Blockparteien CDU und DBD, sondern eher die doch in erheblicher Zahl vertretenen früheren Funktionäre des Partei- und Staatsapparates. CDU-Landesvorsitzender Klaus Reichenbach, der dem Landtag selbst nicht angehörte, erinnert sich an die Auseinandersetzungen, die er zu schlichten versuchte. Die Mehrheitsverhältnisse seien so gewesen, dass der Minderheit von einigen „Neuen“, wie unter anderem Vaatz, Rößler, Münch, Lämmel oder der im Januar 1991 hinzukommende Aktivist des Neuen Forums Lars Rohwer, eine Mehrheit „alter CDU-Leute“ gegenüberstand. Reichenbach betont, immer nach Kompromissen gesucht zu haben. Er und Goliasch hätten, wenn sie hätten konfrontativ arbeiten wollen, „jedes Mal ihre Mehrheiten gehabt“. Wenn er es „hätte darauf ankommen lassen wollen, hätten wir den Arnold Vaatz dort isoliert und ihn mehr oder weniger rausgeschoben“. Freilich wäre das, „politisch gesehen, ein Riesenfehler gewesen, weil das natürlich in der Presse dann und in den Medien uns in keiner Weise geholfen hätte. Deswegen habe ich das auch nie gemacht.“ Allerdings hätten „die Alten“ ihn immer wieder aufgefordert, Vaatz wegen parteischädigenden Verhaltens auszuschließen. Er habe versucht zu schlichten und versucht, fair mit Vaatz umzugehen, auch um jeden Vorwurf zu vermeiden, er blockiere die Neuen. Was er nicht vermeiden konnte, sei gewesen, dass „ein paar von den Alten auch einmal dem Vaatz den Knüppel zwischen die Beine gehauen haben“.133 DA-Generalsekretär WolfDieter Beyer, der ohne viel Verve mit seiner Partei in die CDU gewechselt war, meint, die „Alt-CDU“ in der Landtagsfraktion habe „sich lange abgeblockt gegen uns“. In der Fraktion sei das nachteilig gewesen, „weil wir ja relativ wenig waren und die waren ja im Block und dann noch Goliasch dazu“, der schon wegen seiner Vergangenheit „kein Interesse gehabt“ habe, „konsequente Stasi-

132 Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003. 133 Interview Klaus Reichenbach.

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Gegner oder alte Systemgegner zu unterstützen“. Goliasch habe anfänglich bei der Wahl zu den diversen Funktionen nur sagen brauchen, „der taugt ja nichts“, dann habe derjenige keine Chancen mehr gehabt.134 Albrecht Buttolo erinnert sich, dass es einen undifferenzierten Alt-Neu-Richtungsstreit noch lange nach der Landtagswahl gab. Die entsprechenden Debatten hätten eine ganze Reihe von Fraktionssitzungen und auch eine Klausur ausgefüllt. Man sei auch deshalb innerhalb der CDU-Landtagsfraktion sehr zerstritten gewesen, weil einige NeuMitglieder zu wenig nach den Gründen früherer Mitglieder der Blockparteien für ihr Engagement unter den Bedingungen der SED-Diktatur gefragt hätten. Der Streit sei vom Konkurrenzkampf um Positionen überlagert gewesen. Dabei seien Altmitglieder „in arge Bedrängnis gebracht“ worden, obwohl sie sich „in der Wendezeit mindestens genau so engagiert“ hätten wie die neuen Kräfte.135 Probleme mit Altkadern konnte es in der SPD-Fraktion, die sich am 16. Oktober konstituierte, nicht geben.136 Insgesamt zogen 32 Sozialdemokraten durchweg über die Landesliste in den Sächsischen Landtag ein. Überraschend wurde nicht der vom Landesvorstand nominierte Michael Lersow Vorsitzender der Fraktion, sondern der als Stellvertreter in Aussicht genommene Karl-Heinz Kunckel. Mit Kunckels Wahl war der Gedanke einer Personalunion der höchsten sozialdemokratischen Ämter in Freistaat erledigt und einer „Doppelspitze“ der Weg geebnet. Die weiteren Besetzungen des Fraktionsvorstandes erfolgten wie geplant. Neben Lersow wurde der Leipziger SPD-Bezirksvorsitzende Christian Steinbach stellvertretender Landesvorsitzender, er legte sein Mandat jedoch schon im Februar 1991 nieder und wurde Regierungspräsident in Leipzig. Seine Nachfolge trat die Vorsitzende des Unterbezirks Obererzgebirge, Gisela Schwarz, an. Das Amt des Parlamentarischen Geschäftsführers übernahm der Dresdner SPD-Bezirksvorsitzende Peter Adler. Zu weiteren Vorstandsmitgliedern wählten die Abgeordneten die Sozialexpertin Marlies Volkmer, den Experten für Wissenschaft und Bildung Alfred Förster und den Experten für Inneres und kommunale Angelegenheiten Christian Preißler. Die acht Arbeitskreise der Fraktion umfassten folgende Themenbereiche: Inneres und kommunale Angelegenheiten (Leiter: Christian Preißler), Wirtschaft und Finanzen (Leiter: Friedemann Tiedt), Kultur und Medien (Leiter: Benedikt Dyrlich), Bildung, Wissenschaft, Jugend, Sport (Leiter: Alfred Förster), Ökologie, Landwirtschaft, Raumordnung (Leiter: Johannes Gerlach), Gesundheit, Arbeit und Soziales (Leiterin: Marlies Volkmer), Justiz, Recht und Verfassung (Leiter: Bernd Kunzmann) und Frauen/Familie (Leiterin: Gisela Schwarz). Die Sozialdemokraten übernahmen den Vorsitz von drei der insgesamt 16 Ausschüsse des Landtages, nämlich Friedemann Tiedt den Haushalts- und Finanzausschuss, Alfred Förster den Ausschuss für Wissenschaft und Hochschulen und Klaus Dreikopf in der 134 Interview Wolf-Dieter Beyer. 135 Interview Albrecht Buttolo am 12. 2. 2003. 136 Protokoll der Sitzung des SPD-Landesvorstandes am 15.10.1990 in Dresden (AdSP, SPD-LV Sachsen, Landesvorstand 1990–1992). Zur Zusammensetzung der SPD-Fraktion siehe Tabelle 12 im Anhang.

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Nachfolge von Hans-Jürgen Richter den Sonderausschuss zur Untersuchung von Amts- und Machtmissbrauch infolge der SED-Herrschaft. Dieter Rudorf wurde entsprechend der Stärke der SPD-Landtagsfraktion Erster Vizepräsident des Sächsischen Landtages.137 Fraktionsvorsitzender Karl-Heinz Kunckel erinnert sich, dass der Fraktion als Geschäftsräume zwei Zimmer von zusammen dreißig Quadratmetern zugewiesen wurden. Das Mobiliar bestand aus zwei kleinen Tischen und zwei Stühlen. Wenn er als Fraktionsvorsitzender einen Gast empfing, habe der Parlamentarische Fraktionsgeschäftsführer Peter Adler im Stehen weiterarbeiten müssen. In diesem „revolutionären Ambiente“ sei die konstituierende Sitzung des Landtages vorbereitet worden.138 Vorsitzender der Fraktion Linke Liste / PDS, deren Abgeordnete ebenfalls durchweg über ihre Landesliste in den Landtag einzogen, wurde der frühere Funktionär der SED-Bezirksleitung Karl-Marx-Stadt, Klaus Bartl. Als seine Stellvertreterin fungierte Angela Schneider aus Chemnitz. Zum Parlamentarischen Geschäftsführer wählte die Fraktion den früheren Abteilungsleiter Landwirtschaft beim Rat des Kreises Dresden, Detlef Wehnert; sein Stellvertreter wurde der FDJ-Vorsitzende des Bezirkes Leipzig, Michael Elsner. Der Fraktion gehörten überwiegend frühere einfache SED-Mitglieder an. Neben Bartl hatte nur noch Helmar Hegewald eine Funktion auf Bezirksebene ausgefüllt, nämlich als SED-Abgeordneter im Bezirkstag. Damit unterschied sich die Fraktion deutlich von der CDU-Fraktion, in der zahlreiche frühere Funktionäre reüssierten. Die Ursache des unterschiedlichen Herangehens lag im Vertrauensverlust in den SED-Apparat begründet, von dem der alte CDU-Apparat so nicht betroffen war. Offensichtlich wusste die Bevölkerung zwischen der führenden Partei der Diktatur und den zum Mitwirken gezwungenen Blockparteien zu unterscheiden. In der Union kam die Kritik an der Dominanz der Altkader vorwiegend aus den Reihen der neu zur CDU gestoßenen Mitglieder. Neuzugänge in der PDS gab es zunächst kaum. Marxistische Potentiale sammelten sich zunächst in neuen Gruppierungen, die aber zum Teil mit der PDS eine Fraktionsgemeinschaft bildeten. So vertraten in der Fraktion Linke Liste/PDS die Abgeordneten Bernd Schreier „Die Nelken“ und Ekkehard Uhlmann die KPD, deren Vorsitzender er zugleich war.139 Nach einer Information der Tageszeitung „Die Union“ wählte die Landtagsfraktion von Bündnis 90/Grüne den Aktivisten des Zwickauer Neuen Forums Martin Böttger zum Fraktionsvorsitzenden.140 Laut Handbuch des 1. Sächsischen Landtages trat später der bisherige stellvertretende Regierungsbevollmächtigte von Leipzig und Strukturbeauftragte für Kultur, Michael Weber, an seine Stelle.141 Stellvertretende Vorsitzende wurden Cornelia Matzke vom Unabhängigen Frauenverband und der Landessprecher des Neuen Forums, 137 138 139 140 141

Schmeitzner/Rudloff, Geschichte der Sozialdemokratie, S. 158 f. Kunckel, Die friedliche Revolution, S. 29. Zur Zusammensetzung der Fraktion Linke Liste/PDS siehe Tabelle 12 im Anhang. Vgl. Die Union vom 25.10.1990. Sächsischer Landtag, 1. Wahlperiode, 1. Auflage.

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Michael Arnold. Als Parlamentarischer Geschäftsführer fungierte der Mitbegründer der „Demokratie-Initiative 90, Forum für direkte Demokratie“, Ralf Donner. Mit Karl-Heinz Gerstenberger als Schatzmeister war auch „Demokratie Jetzt“ vertreten, mit Klaus Gaber die Bürgerinitiative „Gruppe der 20“. Vorsitzender der FDP-Fraktion wurde FDP-Mitbegründer Günter Kröber, der dem Sächsischen Landtag bereits einmal ab 1950 für die LDPD angehört hatte. Zu seinen Stellvertretern wurden Angelika Freiherr von Fritsch und Wolfgang Richter gewählt. Parlamentarische Geschäftsführerin wurde das frühere Mitglied des LDPD-Kreisvorstandes Dresden, Ute Georgi. Um die Konstituierung des Landtages vorzubereiten, wurde ein vorläufiges Präsidium aller Parteien gebildet, die in den Landtag einzogen. Es trat am 18. Oktober zu seiner ersten Sitzung zusammen und legte unter anderem die Tagesordnung der ersten Sitzung fest.142 Am 23. Oktober beriet auch der Arbeitsstab Sächsischer Landtag des Koordinierungsausschusses mit den Vertretern der Fraktionen die Modalitäten der ersten Landtagssitzung. Bis auf die Bestimmungen des Einigungsvertrages gab es dazu keine gesetzlichen Festlegungen. Der neue Landtag war bis auf die Bindung an das seit Beitritt geltende Grundgesetz frei, eigene Konstituierungs- und Verfahrenswege zu beschließen und zu beschreiten. Von allen Fraktionen kamen noch Änderungsanträge zur Geschäftsordnung und zum Vorschaltgesetz, die Meinungsunterschiede zur Wahl des Vizepräsidenten und zum Sitzverteilungsmodus deutlich machten.143

7.1.4 Vorschaltgesetz, Wahl Iltgens und Biedenkopfs sowie Beschluss „Freistaat Sachsen“ Laut Ländereinführungsgesetz in der Fassung des Einigungsvertrages musste der Sächsische Landtag spätestens zwei Wochen nach der Wahl zusammentreten und spätestens am zwanzigsten Tag nach seinem Zusammentritt eine vorläufige Landesregierung bilden. Er konstituierte sich am 27. Oktober. Der Tag begann mit einem Ökumenischen Gottesdienst in der Dresdner Kreuzkirche, zelebriert vom evangelischen Landesbischof Johannes Hempel. Die Gebete sprach der katholische Bischof des Bistums Dresden-Meißen, Joachim Reinelt. Anschließend begaben sich die 160 Abgeordneten, 22 davon Frauen, zum Haus der Kirche. Hier eröffnete der 1925 geborene Alterspräsident, der Chemnitzer CDU-Abgeordnete und Unionsmitbegründer nach 1945, Heinz Böttrich, unter dem dominanten Wandbild des Malers Werner Juza um 11.30 Uhr die Sitzung. Es schloss sich eine allgemein als chaotisch charakterisierte Debatte zur Beschlussfassung über die vom Arbeitsstab Landtag des Koordinierungsausschus142 Vgl. Interview Erich Iltgen. In: Die Union vom 12.10.1990. 143 Festlegungsprotokoll des Arbeitsstabes Sächsischer Landtag mit Vertretern der Fraktionen zur Vorbereitung der Ersten Sitzung des Sächsischen Landtages am 27.10.1990 vom 23.10.1990 (HAIT, Iltgen, 1).

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Bild 10: Ökumenischer Gottesdienst in der Dresdner Kreuzkirche vor Eröffnung des Sächsischen Landtages am 27. Oktober 1990.

ses gefertigte vorläufige Geschäftsordnung an.144 Böttrich, so kommentierte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, brachte „wohl zum letzten Mal das Moment des Unprofessionellen in diesen Höhepunkt und Abschluss des Jahres der Wende“ ein. Die „liebenswerte Konfusion seiner Leitung“, in die sich aus dem Plenum „erste Töne politischer Gereiztheit“ mischten, sei völlig „aus der Regie des Souffleurs aus der Rechtsabteilung des baden-württembergischen Landtags“ geraten.145 Vor allem die Abgeordneten von Bündnis 90/ Grüne, aber auch der SPD machten reichlich Gebrauch von der aus der Praxis der 10. Wahlperiode der Volkskammer mitgebrachten Geschäftsordnungsdebatten. Die Mandatsträger von Bündnis 90/Grüne, so erinnert sich Kunckel, trieben mit ihrer Geschäftsordnungsdebatte „den Alterspräsidenten an den Rand der Verzweiflung“.146 Vor allem, so Biedenkopf, sei es um den Wunsch gegangen, alle wesentlichen Entscheidungen des neuen Parlaments mit Zwei-Drittel-Mehrheit zu verabschieden und damit der vermeintlichen Gefahr entgegenzusteuern, dass die CDU als Mehrheitsfraktion die anderen Gruppierungen überstimmen 144 Sächsischer Landtag, 1. WP, 1. Sitzung am 27.10.1990, Bl. 4–9. 145 FAZ vom 29.10.1990. 146 Kunckel, Die friedliche Revolution, S. 29 f.

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könnte. Den neu gewählten Parlamentariern, auch in den Reihen der Mehrheit selbst, sei es offensichtlich schwer gefallen, sich an Mehrheitsentscheidungen zu gewöhnen. Bisher habe man sich um Konsens bemühen müssen, denn für Mehrheiten habe es am Runden Tisch keine institutionellen Vorkehrungen gegeben.147 So habe man diese Praxis auch jetzt beschworen und die Auffassung erkennen lassen, dass „Mehrheiten, die ohne Konsens entscheiden, im Grunde undemokratisch handeln und an die überwundene Vorherrschaft einer Partei erinnern“.148 Der rund eineinhalbstündigen Geschäftsordnungsdebatte schlossen sich die Wahl des Präsidenten des Landtages, seiner Stellvertreter und des Präsidiums an.149 Seitens der CDU-Fraktion schlug Fraktionsvorsitzender Goliasch Erich Iltgen für das Amt vor, und seitens der Fraktion Bündnis 90/Grüne benannte Fraktionsvorsitzender Böttger den bisherigen stellvertretenden Leipziger Regierungsbevollmächtigten, Michael Weber, als Kandidaten. An der Wahl beteiligten sich 153 Abgeordnete. Erich Iltgen erhielt 132 Stimmen. Mit Nein stimmten fünf Abgeordnete, fünf weitere enthielten sich der Stimme. Auf andere Namen entfielen zehn Stimmen, ein Stimmzettel war ungültig. Damit war der bisherige Leiter des Sächsischen Forums und frühere Moderator des Runden Tisches des Bezirkes Dresden zum Präsidenten des Sächsischen Landtages gewählt worden. Ein Versuch aus Chemnitz, die Wahl Iltgens bereits im Vorfeld zu verhindern, war nicht über „eine Hinterzimmerrevolte“ hinausgekommen.150 Die Chemnitzer, die über eine Mehrheit in der CDU-Fraktion verfügten, hatten Bernd Klaußner gegen Iltgen ins Rennen schicken wollen, der als CDU-Abgeordneter dem Bezirkstag Karl-Marx-Stadt und bis 1989 sogar dem CDU-Hauptvorstand angehört hatte. Iltgen selbst war im Bezirk Chemnitz weitgehend unbekannt. Grüning, selbst aus dem Bezirk Chemnitz, versuchte daraufhin, „ein paar Leute zu Iltgen rüberzuziehen“, weil ihm klar war, dass Klaußner, den er persönlich gut kannte, als früherer Nomenklaturkader für die Funktion nicht geeignet war.151 Iltgen hatte innerhalb der Fraktion aber auch andere politische Gegner. Dazu gehörte das Leipziger CDU-Landesvorstandsmitglied Rudolf Ahnert. Für Vaatz ordneten sich Attacken aus Chemnitz und Leipzig in dortige Bemühungen „gegen alles, was aus Dresden kam“, ein. Bedeutung hätten die Aktionen nicht erlangt. Eine gewisse Rolle habe dabei auch „eine leicht beginnende Rivalität“ zwischen Iltgen und dem Ministerpräsidenten gespielt,152 die sich auch hinsichtlich ihrer Vorstellungen von parlamentarischer Arbeit unterschieden. War Biedenkopf ein dezidierter Anhänger des repräsentativen Parlamentarismus bundesdeutscher Machart, so forderte Iltgen nach seiner Wahl zum Parlaments-

147 148 149 150 151 152

Was so nicht stimmt (d. A.). Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 400 f. Sächsischer Landtag, 1. WP, 1. Sitzung am 27.10.1990, Bl. 9–11. Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. Interview Uwe Grüning. Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003.

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präsidenten, die Kultur des Runden Tisches und der Konsensbereitschaft sollten Eingang in die Parlamentsarbeit finden.153 Der Wahl Iltgens, der Vizepräsidenten, des Präsidiums und der Schriftführer folgte die Verabschiedung des Gesetzes zur Herstellung der Arbeitsfähigkeit des Sächsischen Landtages und der Sächsischen Landesregierung, das sogenannte „Vorschaltgesetz“.154 Laut Ländereinführungsgesetz in der Fassung des Einigungsvertrages oblag dem erstgewählten Landtag zugleich die Aufgabe einer verfassungsgebenden Landesversammlung.155 Ein entsprechendes Vorschaltgesetz war vor allem von Vaatz und seinen Mitarbeitern vorbereitet worden.156 Vaatz hatte bei der Sitzung der Leiterrunde des Koordinierungsausschusses am 17. Oktober den Entwurf des Koordinierungsausschusses erläutert und betont, dass dieses die unverzichtbare Grundlage für die Arbeit von Parlament und Regierung bis zur Entscheidung über eine Verfassung darstelle.157 Am 24. Oktober hatte Biedenkopf das Vorschaltgesetz mit der SPD-Fraktion beraten und die SPD den Wunsch geäußert, das Gesetz im Landtag mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit zu verabschieden, da es sich um ein verfassungsähnliches Gesetz handele. Biedenkopf hatte erwidert, „dass die CDU nicht bereits zu Beginn der parlamentarischen Arbeit auf ihre Entscheidungskompetenz als Mehrheitspartei verzichten und die Entscheidung mit den Oppositionsparteien teilen könne. Einen vorkonstitutionellen Grundsatz, dass Gesetze von der Art des Vorschaltgesetzes nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit verabschiedet werden könnten, gibt es nicht.“ Kunckel teilte seine Meinung, stieß allerdings in der eigenen Fraktion auf Widerstände. Auf einer Sitzung aller fünf Fraktionsvorsitzenden am 26. Oktober wurde ein Kompromiss gesucht, der es dennoch erlaubte, das Vorschaltgesetz mit großer Mehrheit zu verabschieden. Vorübergehend schien sich die CDUFraktion auf eine Zwei-Drittel-Mehrheit festlegen zu lassen, Biedenkopf hielt sie jedoch mit der Begründung davon ab, sie müsse lernen, die Verantwortung notfalls auch alleine zu tragen. Schließlich wurde ein Kompromiss gefunden, der die Zustimmung der SPD erlaubte. Weitere Gesetze mit verfassungsähnlichem Charakter sollten im Landtag mit Zwei-Drittel-Mehrheit verabschiedet werden. Der Landtag hatte dann zu bestimmen, ob es sich um solche Gesetze handele. Tatsächlich hatte „damit die CDU-Fraktion die Entscheidung darüber zu treffen, ob sie sich durch eine Zwei-Drittel-Mehrheit binden oder mit normaler Mehrheit entscheiden“ wollte. So war „die Formel eher ein Weg, der es der SPD ermöglicht, ohne Gesichtsverlust ihre bisherige Position zu räumen“. Die FDP stimmte dem Weg ebenfalls zu.158 Anders als die entsprechenden Notizen Bie153 154 155 156 157

Sächsischer Landtag, 1. WP, 1. Sitzung, Bl. 11 f. Sächsischer Landtag, 1. WP, Drucksache 1/1. Vgl. Starck, Verfassungsgebung, S. 1. Vgl. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 394. Vorschaltgesetz zur Arbeitsfähigkeit des Landtages Sachsen und der Landesregierung, Entwurf (HAIT, Iltgen, 1); Land Sachsen, Koordinierungsausschuss, Geschäftsstelle. An: Leiter Arbeitsstab Landtag, Erich Iltgen: Sitzung Leiterrunde am 17.10.90. Anlage: Protokoll der Leiterrunde des Koordinierungsausschusses am 17.10.1990 (ebd., 3). 158 Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 398.

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denkopfs liest sich eine Presserklärung der SPD vom 26. Oktober, wonach der Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion, Goliasch, der SPD mitgeteilt habe, dass alle am Vortag zwischen den Fraktionen vereinbarten Kompromisse hinsichtlich des Vorschaltgesetzes und der vorläufigen Geschäftsordnung von der CDUFraktion nicht mehr mitgetragen würden. Ausgenommen sei der vereinbarte Weg zur Annahme der sächsischen Verfassung. Die CDU-Fraktion möchte bis zur Annahme der Landesverfassung alle Gesetze, auch die mit Verfassungscharakter, mit einfacher Mehrheit verabschieden. Die SPD bedauerte „das Abgehen der CDU-Fraktion vom mühsam erarbeiteten Kompromiss“, mit dem die Regierungsfähigkeit des Landes so schnell wie möglich erreicht werden sollte. Dadurch sei es der SPD „nicht mehr möglich, die grundlegenden Anträge zum Vorschaltgesetz und zur vorläufigen Geschäftsordnung im Konsens in die konstituierende Sitzung des sächsischen Landtages einzubringen“.159 Die Atmosphäre, so Kunckel, war gereizt. Streitpunkt seien vor allem verlässliche Regelungen der Minderheitenrechte als Geschäftsgrundlage für die kommende Arbeit gewesen. Eine Einigung sei erst beim morgendlichen Gottesdienst vor der konstituierenden Sitzung am 27. Oktober erreicht worden. Ergebnis war der Entschließungsantrag der SPD-Fraktion, wonach der Landtag beschließen möge, dass der Schutz der Minderheitenrechte für die parlamentarische Opposition im Sächsischen Landtag in keinem Punkt hinter den Regelungen zum Schutz der Minderheitenrechte für die parlamentarische Opposition in jedem der bisherigen Bundesländer zurückbleiben dürfe. Dieser Antrag wurde angenommen – laut Kunckel ein „erster Sieg für die parlamentarische Demokratie“.160 Um die Funktionsfähigkeit von Landtag und Regierung trotz fehlender Verfassung zu sichern, wurde schließlich am Nachmittag der Sitzung das „Gesetz zur Herstellung der Arbeitsfähigkeit des sächsischen Landtages und der Sächsischen Landesregierung (Vorschaltgesetz)“ mit 126 von 153 Stimmen bei 27 Gegenstimmen angenommen. Ein solches Gesetz musste sich, um der Verfassung nicht vorzugreifen, auf rechtlich unbedingt notwendige Regelungen beschränken und vor allem das Verhältnis zwischen Landtag und Landesregierung für die Übergangszeit ordnen. Es galt nun bis zum Inkrafttreten der Sächsischen Verfassung und bestimmte, dass die Sächsische Verfassung durch Volksentscheid oder mit den Stimmen von zwei Dritteln der Mitglieder des Landtages angenommen werden musste.161 Die Verabschiedung solcher vorläufiger Gesetze ist in Umbruchzeiten üblich, um schon vor einer Verfassungsgebung die Grundlagen für staatliches Handeln zu schaffen. So waren unter anderem die Weimarer Nationalversammlung mit ihrem Gesetz über die vorläufige Reichs159 Pressemitteilung der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag vom 26.10.1990: Kompromiss gescheitert! (AdSD, SPD-LV Sachsen, 5). 160 Kunckel, Die friedliche Revolution, S. 29 f. 161 Gesetz zur Herstellung der Arbeitsfähigkeit des sächsischen Landtages und der Sächsischen Landesregierung (Vorschaltgesetz) vom 27.10.1990 (Dok. 161).

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Bild 11: Sächsischer Landtag 1990. Im Gespräch (v. l. n. r.: Rudolf Krause, Kurt Biedenkopf, Herbert Goliasch, Karl-Heinz Kunckel).

gewalt vom 10. Februar 1919 oder der erstgewählte Niedersächsische Landtag mit seinem Gesetz zur vorläufigen Ordnung der niedersächsischen Landesgewalt vom 11. Februar 1947 verfahren. Nun mussten in den neuen Bundesländern „die als Abschluss eines revolutionären Vorganges gewählten Parlamente zunächst für eine parlamentarisch-demokratische Berufung der Staatsorgane sorgen“.162 Für die Schaffung und Inkraftsetzung einer Verfassung als höchster Form positiver Rechtsordnung gibt es aus staatsrechtlicher Sicht keine positivrechtliche Vorgabe. Der Verfassungsgeber findet keine Rechtgrundlage vor, sondern schafft sie erst und handelt dabei selbst im verfassungslosen Zustand. Insofern handelt es sich bei der Verfassungsgebung gegenüber der normalen Rechtssetzung um eine „exzeptionelle Situation“. Die Rechtswissenschaft hält für diesen Vorgang die Lehre von der „pouvoir constituant“, von der verfassungsgebenden Gewalt des Volkes bereit. Die ersten Organe, die originäre Landesgewalt in den am 3. Oktober gebildeten neuen Bundesländern ausüben konnten, waren die am 14. Oktober gewählten Landtage. Sie konnten als erste 162 Friedrich-Karl Fromme. In: FAZ vom 31.10.1990.

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auf eine demokratische Legitimation durch die jeweiligen Landesvölker verweisen. Trotz ihres Namens handelte es sich aber um keine normalen Landtage und legislativen Verfassungsorgane wie in den alten Bundesländern, weil keine Verfassungen existierten, aufgrund derer sie hätten gebildet werden können. Sie übten daher demokratisch legitimierte, aber vorverfassungsmäßige Gewalt aus. Bei den am 14. Oktober gewählten Landtagen handelt es sich funktionell um verfassungsgebende Landesversammlungen.163 Das Gesetz zur Herstellung der Arbeitsfähigkeit des Sächsischen Landtages und der Sächsischen Landesregierung vom 27. Oktober stellte somit einen Akt der verfassungsschöpfenden konstituierenden Verfassungsgebung (pouvoir constituant) dar und nicht etwa eine Verfassungsrevision etwaiger Vorläuferverfassungen durch verfassungsändernde Gewalt (pouvoir constitué bzw. institué). Es handelte sich somit nicht um eine Verfassungsänderung der Vorläuferverfassung des Landes vom 28. Februar 1947. Sachsen und die anderen neugeschaffenen Länder setzten in einer Art „normativen Urknalls“ neues originäres Verfassungsrecht.164 Bei dieser Verfassungsschöpfung blieb der pouvoir constituant (Verfassungsgeber) des Landes Sachsen weitgehend ungebunden, was auch darin seine Ursache hatte, dass die deutschen Bundesländer ebenso die Staatsqualität besitzen wie der Gesamtstaat, also der Bund. Ihr Staatlichkeit und Staatsgewalt ist rechtlich, nicht notwendig auch historisch, ursprünglich und unabgeleitet. Der Bund konnte zwar die Gestaltungsbefugnisse der Länder an den äußeren Grenzen der Homogenitätserfordernisse im Bundesstaat begrenzen und durch seine Verfassung das Verfassungsrecht der Länder beeinflussen, aber er konnte nicht selbst Landesverfassungsrecht setzen, denn die verfassungsmäßige Ordnung im Lande fiel und fällt in den Bereich der unabgeleiteten Verfassungshoheit der Länder.165 Das Homogenitätsgebot aus Artikel 28 Absatz 1 des Grundgesetzes stellte einen bestimmten Rahmen dar, der vor allem in der Achtung der Menschenwürde und der Prinzipien der Staatlichkeit bestand. Darüber hinaus banden den Landesverfassungsgeber lediglich die im Ländereinführungsgesetz enthaltenen weitergeltenden Vorschriften über die Änderung von Landesgrenzen und die Rückkehr von Gemeinden in das Land, dem sie am 23. Juli 1952 angehört hatten.166 Bedauerlicherweise entwickelte sich gerade dies als Nachwirkung des funktionalen Demokratieverständnisses der Regierung de Maizière zu einer die neue Demokratie diskreditierenden Provinzposse, in deren Folge zwischen Brandenburg und Sachsen keine einzige Gemeinde von ihrem Anspruch auf Landeswechsel Gebrauch machen konnte.167 Das Vorschaltgesetz enthielt mit seinen Regelungen über die Ausübung der Staatsgewalt Vorschriften mit Verfassungscharakter, stellte somit eine „Vorläufige Verfassung“ dar.168 Nachdem in 163 164 165 166

Vgl. Boehl, Landesverfassungsgebung im Bundesstaat, S. 575 f. und 585. Linck, Die vorläufigen Verfassungen, S. 732. Boehl, Landesverfassungsgebung im Bundesstaat, S. 582 und 588. Staats- und verfassungsrechtliche Vorschriften, S. IX. Vgl. Vogelsang, Die Verfassungsentwicklung, S. 24. 167 Vgl. Richter, Entscheidung für Sachsen, S. 71–162. 168 Zu den Einzelheiten vgl. Steinberg, Verfassungsgebung, S. 506.

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der Debatte über das Vorschaltgesetz Anträge von Bündnis 90/Grüne, die Notwendigkeit einer Zweidrittelmehrheit für das Vorschaltgesetz festzustellen und ein Landesverfassungsgericht einzusetzen, abgelehnt wurden, erklärte die stellvertretende Vorsitzende der Fraktion, Cornelia Matzke vom Unabhängigen Frauenverband Leipzig, sie wolle beim Bundesverfassungsgericht gegen das vom Landtag beschlossene Vorschaltgesetz klagen, da es die CDU-Mehrheitsfraktion ermächtige, grundlegende verfassungsrelevante Entscheidungen mit einfacher Mehrheit zu fassen.169 In der Tat reichte die Fraktion wenig später beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eine Verfassungsbeschwerde gegen das Vorschaltgesetz mit dem Ziel ein, es als verfassungswidrig zu bezeichnen und durch „Einstweilige Anordnung“ zu untersagen. Das Gesetz sei unter falschen Voraussetzungen zustande gekommen und enthalte Bestimmungen, die einer Verfassungsermächtigung für die alleinregierende CDU gleichkämen.170 In der Haltung der Bürgerrechtler drückte sich eine konsensdemokratische Einstellung aus, die fast für den gesamten Landtag typisch war und sämtliche Verhandlungen im Vorfeld der ersten Landtagssitzung prägte. Sie war das Ergebnis des kooperativen Stils des Umgangs der politischen Gegner während der friedlichen Revolution gewesen und hatte in der Kultur der Runden Tische einen markanten Ausdruck gefunden. Einer ihrer Hauptprotagonisten, der frühere Moderator des Runden Tisches des Bezirkes Dresden, Iltgen, vertrat nun auch als Landtagspräsident eine auf Konsens orientierte Haltung. „Der eigentliche Wert der gewaltlosen Revolution“, so Iltgen, „des damals begonnenen Dialogs zwischen Andersdenkenden, so haben wir es erfahren, der sich am Runden Tisch auf allen Ebenen fortsetzte, war eine politische Kultur, die es in Deutschland niemals zuvor gegeben hatte. Eine politische Kultur, die im Andersdenkenden, ja im Gegner, zuerst den Menschen mit seiner unverletzlichen Würde wahrnahm und achtete. Darin war sie spirituell, ja im tiefsten Sinne evangelisch geprägt. Wir hätten gerne etwas bewahrt und hinübergenommen von dieser Kultur, diesem wunderbaren Wir-Gefühl, in die neue Demokratie. Die Wahlkämpfe des Jahres 1990, die uns nach westlichem Muster voneinander trennten und uns gegeneinander stellten in den Macht- und Profilkämpfen der Parteiendemokratie, haben deshalb gerade die Menschen, die die friedliche Revolution vorbereitet, getragen und geführt haben, als Verlust empfunden. Hier hätten sie etwas einzubringen gehabt, hätten eine eigene Form der politischen Auseinandersetzung der ausschließlich im Westen entwickelten Demokratie entgegensetzen können. Sie mussten aber feststellen, dass auch diese Entwicklung unter den neuen Umständen nicht bestehen konnte.“171 Iltgen machte dennoch keinen Hehl daraus, dass er sich gewünscht hätte, „dass die Kultur des Runden Tisches im Umgang mit Andersdenkenden, das Aushalten von Spannungen, die Bereitschaft zum Konsens Eingang in die Parlamentsarbeit finden mögen“.172 Tatsäch169 170 171 172

Vgl. dpa vom 29.10.1990. Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 30.10.1990; FAZ vom 31.10.1990. Iltgen, Strukturreformen, S. 104 f. Iltgen, Vom Runden Tisch, S. 30.

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lich blieb, ungeachtet politischer Differenzen, innerhalb der CDU-Fraktion im Landtag über längere Zeit ein Stil erhalten, der sich deutlich von den Ritualen der westdeutschen Parlamente unterschied. Einen wesentlichen Beitrag leisteten hier die Abgeordneten aus den Reihen der neuen politischen Kräfte, die bislang vor allem in der Streitformation „Alt gegen Neu“ gefochten hatten, sich nun auf verschiedene Fraktionen verteilt fanden und oft in den eigenen Reihen auf schärfere Kontrahenten stießen als in den anderen Fraktionen. Durch die Kooperationen an den Runden Tischen, im Koordinierungsausschuss und in den Fachgruppen der Gemischten Kommission gab es eine an politischen Zielen ausgerichtete Zusammenarbeit, die sich über die durch das übernommene bundesdeutsche System gesetzten Parteigrenzen hinwegsetzte.173 Sowohl der eher repräsentativ-demokratisch ausgerichtete Biedenkopf als auch die Führung der SPD erkannten frühzeitig, „dass es unmöglich war, die Abgeordneten mit ihrer im Vergleich zum Westen völlig anderen Sozialisation einfach in das disziplinierte und zugleich altbackene Parteienschema der alten Bundesrepublik zu pressen. Schließlich fand Biedenkopf auch Lust an der Art des Umgangs, denn sie kam seiner angestrebten Integrationsrolle entgegen, in der er gelegentlich keine Parteien mehr kennt.“174 Schon nach seiner Wahl erklärte er, für ihn sei die Wahl Ausdruck einer besonderen, konsensorientierten politischen Kultur in Sachsen. Die politischen Gegner müssten „sanft überwunden“ werden.175 Zwar versuchte SPD-Bundesgeschäftsführer Karlheinz Blessing die SPD-Führung in Dresden, bundesdeutschen Politiktraditionen folgend, davon zu überzeugen, dass sie mit ihrem Wahlergebnis nur mit einer Totalopposition die Chance hätte, auf Dauer bayerische Verhältnisse zu vermeiden. SPD-Fraktionschef Kunckel lehnte jedoch alle Vorschläge einer Fundamentalopposition gegen die CDU ab, weil diese Strategie weder seiner politischen Sicht der Dinge noch seinem Naturell entsprach. Die gravierenden Probleme in Sachsen, so sein Motto, ließen auch der SPD keine andere Wahl, als in vielen Dingen mit der CDU zusammenzuarbeiten. „Wäre ich dem Rat gefolgt und hätte auf Totalopposition gesetzt“, glaubt Kunckel, „wäre die SPD in Sachsen heute dort, wo die CDU in Brandenburg unter Ulf Finck hingeraten ist.“176 Aber auch trotz Konsensorientierung blieb der Einfluss der SPD in der parlamentarischen Praxis, insbesondere im Gesetzgebungsprozess, gering. Auf Grund der absoluten Mehrheit der CDU-Fraktion scheiterten nahezu alle eigenen Gesetzgebungsinitiativen. Lediglich in der Ausschussarbeit und mit Anträgen konnten kleinere Erfolge erzielt werden.177 Eine der Entscheidungen des Landtages am 27. Oktober war die für den Namen „Freistaat Sachsen“ und damit verbunden für die Bezeichnungen „Staats173 174 175 176 177

Vgl. Wendt, Kurt Biedenkopf, S. 140. Wendt, Kurt Biedenkopf, S. 142. Die Welt vom 29.10.1990. Zit. in Wendt, Kurt Biedenkopf, S. 142. Vgl. Schmeitzner/Rudloff, Geschichte der Sozialdemokratie, S. 159.

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regierung“ und „Staatsminister“.178 Auch hier war die Entscheidungsfindung eher durch Konsensbereitschaft geprägt. Die Bezeichnung „Freistaat Sachsen“ war eine der Forderungen der revoltierenden Demonstranten gewesen. Bereits Mitte November 1989 hatte zum Beispiel die SED-Kreisleitung Meißen entsetzt feststellen müssen, dass Sprecher bei einer Demonstration von 3 000 Bürgern vor dem Gebäude des Rates des Kreises in Meißen neben „Angriffen auf die Partei [...] bis zur Schaffung des Freistaates Sachsen“ gegangen seien.179 Ebenfalls festgehalten ist die Forderung bei einer Demonstration am 25. Januar 1990 in Brand-Erbisdorf unter dem Motto „Gegen eine wiedererstarkende SED-PDS – für eine geeinte Nation“. Hier wurden weiß-grüne Fahnen getragen und die Bildung eines Freistaates Sachsen gefordert.180 Die Tatsache, dass auch der Enkel des letzten sächsischen Königs, Prinz Albert von Sachsen Herzog zu Sachsen, bei einem Auftritt in Dresden für einen „Freistaat Sachsen“ plädierte, ließ „die tageszeitung“ am 7. April polemisieren, die gemeinsame „Freistaatisierung“ Bayerns und Sachsens sei wohl nur der erste Schritt zur Sezession des schwarzen Südens vom roten Norden. Allerdings bewies das links-alternative Berliner Blatt damit eher mangelnde Geschichtskenntnisse, denn Sachsen hatte sich nach der Abdankung des letzten sächsischen Königs, Friedrich August III., bereits im Februar 1919 als erstes Land in Deutschland zum Freistaat erklärt. Sachsen war also schon vor Bayern (November 1919) ein „Freistaat“ gewesen. Im „Vorläufigen Grundgesetz für den Freistaat Sachsen“ vom 28. Februar 1919 hatte es geheißen, Sachsen sei „ein demokratisch-sozialistischer Freistaat im Rahmen des Deutschen Reiches“. Hintergrund der Benennung war die Tatsache gewesen, dass die Weimarer Reichsverfassung in ihrer Homogenitätsvorgabe den Ländern eine freistaatliche Verfassung abverlangt hatte. Daraufhin hatten sich u. a. Sachsen und Bayern als Länder, in denen die Monarchie besonders tief verwurzelt gewesen war „und deren Königshäuser sich auch in republikanischer Ära der Sympathie in breiten Bevölkerungskreisen erfreuten und noch erfreuen“, Freistaat genannt.181 Andere Länder wählten andere Bezeichnungen. Hessen wurde zum „Volksstaat“, Württemberg zum „freien Volksstaat“, Baden zur „Republik“. Die ursprüngliche Bedeutung erfuhr jedoch in der Diskussion von 1990 in der Tat einen Bedeutungswandel. Die Forderung folgte weniger republikanischen und schon gar nicht sozialistischen Prinzipien, sondern drückte vor allem den Wunsch nach Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie aus. Mit dem Begriff wurde vor allem die Abkehr vom diktatorischen SED-Zentralstaat verbunden.182 Auch hier war es Vaatz, der auf die Idee kam, dem Begriff 178 Sächsischer Landtag, 1. WP, 1. Sitzung am 27.10.1990, Bl. 27 f. 179 Fernschreiben der Abt. Parteiorgane, Sektor Parteiinformation, an ZK der SED, Abt. Parteiorgane, Sektor Parteiinformation: Aktuelle Information über die politische Lage und das Stimmungsbild im Bezirk vom 15.11.1989 (BStU, ASt. Dresden, BV, AKG 7001, S. 7, 14). 180 Vgl. Freie Presse, Ausgabe Brand-Erbisdorf, vom 27.1.1990. 181 Josef Isensee. In: Stern, Deutsche Wiedervereinigung I, S. 37 f. 182 Vgl. Tautz, Die Entstehung einer Verfassung, S. 25 f.; Häußer, Die Staatskanzleien, S. 116.

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zu neuer Bedeutung zu verhelfen. Als er bei der Ausarbeitung des Verfassungsentwurfs der Gruppe der 20 im März 1990 unter anderen die Sächsische Verfassung von 1920 studierte, kam ihm der Gedanke, Sachsen wieder Freistaat zu nennen. Er schrieb dies aber nach eigenem Bekunden deswegen nicht in den Entwurf, weil er befürchtete, der Begriff könne auf Ablehnung stoßen und „von den Linken ganz und gar abgelehnt“ werden.183 Auch die Gohrischer Gruppe sprach zunächst vom „Land Sachsen“, weil die Meinung überwog, „Freistaat“ klinge vielleicht etwas antiquiert oder aufgesetzt.184 Scheinbar waren derartige Befürchtungen aber unbegründet, denn es war gerade der SPD-Volkskammerabgeordnete Frank Heltzig, der bei der Diskussion des Ländereinführungsgesetzes am 22. Juli den Antrag stellte, Sachsen wieder zum Freistaat zu machen.185 Seine Initiative wurde fraktionsübergreifend auch von anderen sächsischen Abgeordneten der Opposition mitgetragen. Heltzig, der SPD-Beobachter im Europarat war, meinte freilich irrtümlich, als Freistaat habe Sachsen erweiterte Souveränitätsrechte, die sich bei einer EG-Mitgliedschaft auswirken könnten. Außerdem könne es als Freistaat ebenfalls Staatsverträge abschließen.186 Aber nicht deswegen wies der DSU-Abgeordnete Norbert Koch den Antrag als Eingriff in die Länderhoheit zurück, sondern weil darüber nicht die Volkskammer, sondern nur der sächsische Landtag und die Bürger Sachsens entscheiden könnten.187 In Sachsen setzte sich weiterhin vor allem Vaatz für den Begriff ein, so etwa am 2. August vor dem Sächsischen Forum.188 Nachdem Biedenkopf als CDU-Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten gewonnen war, warb Vaatz darum, dass Biedenkopf die Bezeichnung „Freistaat“ übernehme. Biedenkopf befasste sich zunächst selbst ausgiebig mit der sächsischen Geschichte dieses Begriffes und trat schließlich der Auffassung von Vaatz bei, indem er auch öffentlich die Bezeichnung „Freistaat Sachsen“ verwendete.189 Als er auf dem Nominierungsparteitag am 3. September ankündigte, Sachsen wolle wieder ein Freistaat werden, erhielt er für diese Bemerkung den meisten Beifall.190 Daraufhin schlug er auf der CDU-Landesvorstandssitzung am 10. September die Bezeichnung „Freistaat“ offiziell vor. „Es war“, so Vaatz, „sein Vorschlag, aber vorher habe ich ihn darum gebeten.“191 Daraufhin beschloss das Präsidium des CDU-Landesverbandes einstimmig die Bezeichnung „Freistaat Sachsen“. Im Protokoll liest sich das wie folgt: „Freistaat? – Wir sind dafür – einstimmig beschlossen.192 Damit, so Biedenkopfs Pressesprecher Albrecht Schnee, sollte sich 183 184 185 186 187 188 189 190 191 192

Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. Vgl. Heitmann, Die Revolution in der Spur des Rechts, S. 48 f. Volkskammer der DDR, 10. Wahlperiode, 27. Tagung am 22. 7.1990, S. 1214 f. Vgl. Sächsische Zeitung vom 20. 7.1990. Volkskammer der DDR, 10. Wahlperiode, 27. Tagung am 22. 7.1990, S. 1214 f. Junge Welt vom 2. 8.1990. Interview Michael Sagurna. Vgl. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 318. Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. Handschriftliches Protokoll der Sitzung des Präsidiums des LV der CDU am 10. 9.1990 (CDU-Landesgeschäftsstelle Sachsen).

Vorschaltgesetz, Wahl Iltgens und Biedenkopfs

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keine Sonderrolle Sachsens verbinden, es handelte sich nur um eine Übersetzung des Begriffes „Republik“ ins Deutsche.193 Hinter der „Eindeutschung von Republik“, so auch Biedenkopf später selbst, verbarg sich „kein besonderer Kompetenzanspruch“.194 Bei soviel Euphorie war es nun ein Wertkonservativer wie Steffen Heitmann, der bei der Beratung des Sächsischen Forums am 25. September in Leipzig zu bedenken gab, ob man sich so für den Freistaatsbegriff warm machen sollte. Immerhin habe es im „Vorläufigen Grundgesetz für den Freistaat Sachsen“ vom 28. Februar 1919 geheißen, Sachsen sei „ein demokratisch-sozialistischer Freistaat im Rahmen des Deutschen Reiches“.195 Aber auch Heitmanns Bedenken ließen sich angesichts des erkennbaren Bedeutungswandels ausräumen. Nach seiner eigenen Erzählung war die Bitte eines Stempelmachermeisters aus der Lausitz für ihn ein Schlüsselerlebnis, der sich ihm gegenüber engagiert für den Begriff „Freistaat“ einsetzte. Das, so Heitmann, habe auch ihn überzeugt.196 Auf der konstituierenden Sitzung des Landtages am 27. Oktober wurde Sachsen als Freistaat proklamiert. Freilich gab es auch hier noch gegenteilige Meinungen. So bat die Fraktion Linke Liste/PDS in der Debatte um Auskunft, worin die „eigenständige Staatsqualität des Freistaates“ bestehe. CDU-Fraktionschef Goliasch erklärte daraufhin, der Begriff sei juristisch ohne Bedeutung, „Freistaat“ sei ein anderes Wort für „Republik“. Seitens der Fraktion Bündnis 90/Grüne kam der Vorwurf, die Namensänderung koste nur Geld. Sachsen solle sein Selbstwertgefühl mit mehr Bescheidenheit verbinden. Auch FDP-Fraktionschef Günter Kröber erklärte, man möge sich die Umbenennung noch einmal überlegen. Nicht neue Namen seinen wichtig, sondern neue Politik. Karl-Heinz Kunckel meinte dagegen für die SPD, der Begriff „Freistaat“ habe „etwas Liebenswürdiges“. Der Antrag der CDU-Fraktion wurde schließlich mit großer Mehrheit angenommen. Vielleicht wegen der Zustimmung der SPD befand Landtagspräsident Iltgen später, der Begriff „Freistaat“ erinnere an „die Tradition sozialdemokratischer Politik und ihrer Gestaltungskraft seit 120 Jahren in Sachsen“.197 Es folgte auf der konstituierenden Sitzung am 27. Oktober die Bestellung des Verfassungs- und Rechtsausschusses, des Geschäftsordnungs- und des Sonderausschusses zur Untersuchung von Amts- und Machtmissbrauch infolge der SED Herrschaft.198 Die übrigen Ausschüsse des Landtages konstituierten sich sechs Wochen nach den Landtagswahlen.199 In den meisten hatte die CDU den Vorsitz. Die SPD stellte, wie bereits erwähnt, den Vorsitzenden im Sonderausschuss zur Untersuchung von Amts- und Machtmissbrauch infolge der SED193 Vgl. Die Union vom 12. 9.1990. 194 Biedenkopf, Regierungs- und Verwaltungsprobleme, S. 18. Freilich ist „Republik“ (res publica) nur bei sehr weiter Auslegung mit „Freistaat“ übersetzbar. 195 5. Beratung des Sächsischen Forums in Leipzig am 25. 9.1990 (HAIT, KA, 2). 196 Vgl. Heitmann, Die Revolution in der Spur des Rechts, S. 48 f. 197 Iltgen, Die Bedeutung des Landtages, S. 16. 198 Sächsischer Landtag, 1. WP, 1. Sitzung, Bl. 28 f. 199 Siehe Tabelle 15 im Anhang.

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Bild 12: Vereidigung von Ministerpräsident Prof. Kurt Biedenkopf am 27. Oktober 1990.

Herrschaft, im Haushalts- und Finanzausschuss sowie im Ausschuss für Wissenschaft und Hochschulen. Die FDP leitete den Wirtschaftsausschuss, die Linke Liste / PDS den Umweltausschuss und Bündnis 90/ Grüne den Ausschuss für Kultur und Medien. An der anschließenden Wahl des Ministerpräsidenten beteiligten sich 151 Abgeordnete.200 Kurt Biedenkopf erhielt 120 Stimmen. Da die CDU-Fraktion nur über 92 Sitze verfügte, war klar, dass er 28 Stimmen aus den Reihen der Opposition erhalten hatte.201 Mit Nein stimmten zehn Abgeordnete, 21 enthielten sich der Stimme. Auf einen anderen Namen entfiel eine Stimme. Nach seiner Vereidigung erklärte Biedenkopf, er sehe in seiner Wahl über die Parteigrenzen hinweg „eine große Inpflichtnahme, aber auch ein großes Stück politischer Kultur“.

200 Sächsischer Landtag, 1. WP, 1. Sitzung, Bl. 29 f. 201 In Mecklenburg-Vorpommern hatte sich Alfred Gomolka (CDU) gegen Klaus Klingner (SPD) durchgesetzt, in Sachsen-Anhalt Gerd Gies (CDU) gegen Reinhard Höppner (SPD), in Thüringen Josef Duchac (CDU) gegen Friedhelm Farthmann (SPD) und in Sachsen Kurt Biedenkopf (CDU) gegen Anke Fuchs (SPD). Nur in Brandenburg gelang Manfred Stolpe (SPD) ein Sieg gegen den CDU-Kandidaten Peter-Michael Diestel.

Landesgesetze und fortgeltendes DDR-Recht

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7.1.5 Ausarbeitung von Landesgesetzen und fortgeltendes DDR-Recht Vor dem Landtag als dem Gesetzgeber wie vor der Exekutive als dem hauptsächlichen Einbringer von Gesetzesvorlagen lag nun die gewaltige Aufgabe, neben einer Landesverfassung einen Corpus an Landesgesetzen vorzulegen und zu verabschieden. Diese Zeit war freilich für den Landtag besonders interessant und wichtig, wurde er in ihr doch in höherem Maße als später seiner eigentlichen Funktion einer Legislative gerecht. Gesetzgebung und Gesetzesvollzug liegen nach dem Grundgesetz in der Zuständigkeit der Länder, soweit es nicht ausdrücklich Abweichungen vorsieht. Freilich wird die grundsätzliche Länderzuständigkeit durch die ausschließliche und konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes umfassend beschnitten. Diese Bestimmungen des Grundgesetzes waren für die neuen Bundesländer nur bedingt anwendbar, da hier zunächst Landesgesetze nicht oder nur in Ansätzen existierten. In der DDR hatte es nur ein einheitliches Recht gegeben. Da keine Länder existierten, entfiel die Frage der Zuständigkeitsaufteilung zwischen Zentralstaat und Gliedstaaten. Ab dem Beitritt konnte auf dem Gebiet der neuen Bundesländer Bundesrecht aber nur in den Bereichen in Kraft treten, die unter die Gesetzgebungs- und Verwaltungszuständigkeit des Bundes fielen. Es ergab sich damit eine Gesetzeslücke für den umfassenden Bereich der Landesgesetzgebung. Deswegen wurde in den Einigungsverhandlungen festgelegt, dass durch die Übernahme von Bundesrecht in den neuen Bundesländern DDR-Recht insoweit nicht beseitigt wurde, als es sich nach der Ordnung des Grundgesetzes um Landesrecht handelte. Diese Regelung galt solange, bis die Länder weitergeltendes DDR-Recht durch Landesgesetze ersetzten. Nach Artikel 9 des Einigungsvertrages mussten für das Fortgelten von DDR-Recht einige Voraussetzungen erfüllt sein. Vor allem musste das weitergeltende DDR-Recht grundsätzlich mit dem Grundgesetz sowie mit dem nach Artikel 8 des Einigungsvertrages in den neuen Bundesländern in Kraft gesetzten Bundesrecht, aber auch mit dem unmittelbar geltenden Recht der Europäischen Gemeinschaft vereinbar sein.202 Angesichts des unübersichtlichen Spektrums an DDR-Rechtsquellen wurde zunächst von einem erheblichen Corpus als Landesrecht weitergeltenden DDR-Rechts ausgegangen.203 In einem „Fundstellennachweis zum Recht der ehemaligen DDR am 2. Oktober 1990“, den das Bundesjustizministerium auf Veranlassung der Clearing-Stelle herausgab, wurden 3173 DDR-Vorschriften als fortgeltend eingeschätzt und dokumentiert. Auch der Clearingkoordinator des Bundes in Sachsen, Ermisch, wies im Oktober auf die Notwendigkeit einer systematischen Erfassung des geltenden DDR-Rechts hin.204 Nach Bildung der neuen Bundesländer bereiteten deren Landesjustizminister eine Rechtsbereinigung vor. Eine gemeinsame Ar202 Vgl. Stollreither, Das vereinigte Deutschland, S. 21 und 27 f. 203 Vgl. Wollmann, Entwicklung, S. 37. 204 Günter Ermisch an Wolfgang Schäuble vom 11.10.1990. Zit. in Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 115 f.

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beitsgruppe legte 1996 einen Katalog von 243 früheren DDR-Vorschriften vor, von deren Fortgeltung ausgegangen wurde. Sie wurden die Grundlage für ein „Rechtsbereinigungsgesetz“ der Landtage.205 Im Koordinierungsausschuss war man sich frühzeitig über die bevorstehende Situation mangelnden Landesrechts bewusst. Ein Arbeitsfeld war deshalb in Kooperation mit der Gemischten Kommission die Gesetzesentwurfstätigkeit. Damit gelang es wenigstens, hinsichtlich künftiger Landesgesetze einen gewissen Vorlauf zu schaffen. Zugleich stellte die Ausarbeitung von Entwürfen zum Landesrecht ein Stück Selbstklärung der sächsischen Akteure in einem für die meisten ungewohnten Bereich dar. Auch Dank des Engagements von Steffen Heitmann waren die Arbeiten zum Zeitpunkt des Beitritts der DDR bereits weiter fortgeschritten als in anderen neuen Bundesländern.206 Es entstanden „fiktive gesetzliche Vorlagen“, die dem Landtag zur Verfügung gestellt wurden.207 Zwar überdauerte kaum ein Entwurf den Koordinierungsausschuss, dennoch wurden sie später zur Ausarbeitung der meist mit zeitlichem Abstand folgenden Gesetze herangezogen. Im Folgenden wird exemplarisch auf einige entsprechende Projekte hingewiesen: Mit Stand vom 2. Oktober übergab der Arbeitsstab Umwelt des Koordinierungsausschusses unter anderem Entwürfe eines Landeswassergesetzes, eines Immissionsschutzgesetzes, eine Verordnung zur Verhinderung schädlicher Umwelteinwirkungen bei austauscharmen Wetterlagen (Smog-Verordnung), eines Landesabfallgesetzes, eines Gesetzes zum Schutz des Bodens, den ersten Entwurf eines sächsischen Ausführungsgesetzes zum Chemikaliengesetz und einen Gesetzentwurf zum Umgang mit Kernmaterial.208 Mitte Oktober lag auch der Entwurf eines Schulgesetzes vor. „Eine ganz kleine Truppe bis hin zum jetzigen schulpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion, Gunther Hatzsch“, so erinnert sich Klaus Husemann, hatten daran mitgearbeitet. Man habe gemeinsam überlegt, wie man vorgehen könnte und die Resultate zur juristischen Prüfung nach Baden-Württemberg geschickt.209 Der Mitte Oktober vorliegende Entwurf war zwar „inhaltlich ein sächsisches Gesetz“, entsprach daher „im äußeren Aufbau aber noch sehr dem baden-württembergischen Schulgesetz“. Er wurde deshalb erst nach einer Überarbeitung Ende Oktober zur Diskussion freigegeben.210 Einen erheblichen Anteil an der Ausarbeitung von Gesetzesvorlagen hatten neben denen aus Bayern vor allem Baden-Württemberger Rechtsexperten. Das hing auch damit zusammen, dass in allen Fachgruppen der Gemischten Kommission bereits frühzeitig über die Ausarbeitung von Landesgesetzen nachgedacht worden war. Hier waren neben den Arbeiten an einer Sächsischen Verfassung vor 205 206 207 208 209 210

Vgl. Wollmann, Entwicklung, S. 37 f. Siehe Kap. 5.3.1. Interview Arnold Vaatz. In: Neue Zeit vom 27.10.1990. Erarbeitete Entwürfe gesetzlicher Regelungen vom 2.10.1990 (HAIT, KA, 27). Interview Klaus Husemann. BVB Dresden. Landesschulrat für Sachsen, Klaus Husemann: Betr. Besprechung am 10.10.1990, hier: Situation im Schulbereich (HAIT, KA, 68/1).

Landesgesetze und fortgeltendes DDR-Recht

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Bild 13: Beratung des Sächsischen Landtages am 27. Juni 1991 in der Dresdner Dreikönigskirche.

allem auch diverse kommunalrechtliche Bestimmungen vorbereitet worden, so eine Gemeindeordnung,211 eine Landkreisordnung, eine Gemeindehaushaltsverordnung, ein Gesetz über kommunale Zusammenarbeit, ein Kommunalabgabengesetz, ein Gesetz über den kommunalen Finanzausgleich sowie ein Gesetz über kommunale Eigenbetriebe. Diese wurden am 22. Oktober 1990 anlässlich der Abschlussberatung der Gemischten Kommission übergeben.212 Anfang Oktober standen auch ein Zweckverbandsrecht und ein Eigenbetriebsgesetz kurz vor dem Beratungsabschluss.213 Unter den Beteiligten war es kein Geheimnis, dass bei vielen Gesetzen, „die man auf die Schnelle machen musste, natürlich klar war, dass man zunächst einmal guckt, wie wird es in Bayern oder in BadenWürttemberg gemacht. Und häufig hat man ja Gesetzestexte schlicht abgeschrieben.“ Für Thomas Hirschle war dies in der angespannten Situation „Ausdruck einer ganz pragmatischen Vorgehensweise, weil es schnell gehen musste. 211 Entwurf einer Gemeindeordnung für Sachsen vom 22.10.1990. Textauszug in: Pitschas, Rechtsvereinheitlichung, S. 252–300. 212 Vgl. BVB Chemnitz, Abt. Bau- und Wohnungswesen: 3. Beratung des Arbeitsstabes Innenministerium am 12.10.1990 (RPL, 0144). 213 Bericht des IMBW über Maßnahmen zur Unterstützung des Landes Sachsen vom 8.10.1990 (Dok. 154).

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Und am schnellsten bringt man halt ein Gesetz auf den Weg, indem man es abschreibt.“ Dabei ergab sich ebenfalls eine Arbeitsteilung zwischen Bayern und Baden-Württemberg. So kümmerte sich Bayern zum Beispiel um die Finanzgesetzgebung und übernahm dabei weitgehend die eigenen Verwaltungsvorschriften.214 Auf der Arbeitssitzung beim Landessprecher am 10. Oktober betonte Vaatz die Notwendigkeit einer Rumpfgesetzgebung, die als Gesetzespaket vom Landtag verabschieden werden sollte. Es stelle sich die Frage, welche Gesetze für den Vollzug der künftigen Regierungsarbeit unerlässlich seien, was an Gesetzesbestand bereits vorhanden bzw. zu ergänzen sei.215 Dabei ging es ihm nach Einschätzung des baden-württembergischen Koordinierungsbüros in Leipzig um die Festlegung von Kompetenzen und die Sicherstellung zügiger Verfahren für Verwaltung und Gesetzgebung. Nach eingehender Aussprache wurde vereinbart, dass die Arbeitsstäbe ermitteln, welcher Rechtsbestand gegenwärtig in den einzelnen Bereichen gegeben ist. Sie sollten die Bereiche zusammenzustellen, in denen umgehende Entscheidungen durch den künftigen Gesetzgeber unabdingbar seien.216 Nach ihrer Wahl stand die neue sächsische Staatsregierung vor der Aufgabe des Aufbaus einer Landesrechtsordnung. Eine Vielzahl an Gesetzen wie Verfassung, Abgeordnetengesetz, Datenschutzgesetz, Gerichtsorganisationsgesetz, Kindergartengesetz, Landeshaushaltsordnung, Landkreis- und Gemeindeordnung, Meldegesetz, Polizeigesetz, Verwaltungsvollstreckungsgesetz etc. mussten in Gang gebracht, ausgearbeitet und erlassen werden.217 Die unabwendbare Folge war eine stellenweise hektische Gesetzgebungstätigkeit des Landtages in der ersten Legislaturperiode. Es galt, in kürzester Zeit die gesetzgeberischen Grundlagen für die sehr komplexe Struktur eines Bundeslandes mit seiner gesamten Infrastruktur zu schaffen. Ein wesentlicher Teil dieser Gesetzgebung, so Biedenkopf, musste rezipiert werden: „Wir haben uns natürlich bemüht, soweit wie möglich sächsische Bedürfnisse zu berücksichtigen, aber in der Kürze der Zeit war das kaum möglich.“218 Ein Grund dafür war, dass angesichts der diktatorischen Vorgeschichte des Freistaates Sachsen nicht an eine Tradition angeknüpft werden konnte, sondern mit der Ausarbeitung von Landesrecht „ein Neuanfang“ gewagt werden musste.219

214 Interview Thomas Hirschle. 215 Clearing ASTB-Beratung am 9.10.1990 (SächsStAC, RdB, 152207) (HAIT, KA, 29.2). 216 Koordinierungsbüro Baden-Württemberg beim Bezirk Leipzig: Vermerk für Rudolf Krause über Herrn Futter: Kabinettssitzung am 10.10.1990. Bezug: Vorkonferenz am 9.10.1990 (RPL, AZ 0142). 217 Vgl. Häußer, Die Staatskanzleien, S. 114. 218 Biedenkopf, Regierungs- und Verwaltungsprobleme, S. 19. 219 Jestaedt, Zur Geschichte des Sächsischen Staats- und Verwaltungsrechts, S. 41.

Koordinierungsausschuss Übergangsregierung

7.2

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7.2.1 Ende der Clearingstelle und Koordinierungsausschuss als Übergangsregierung Biedenkopf erließ am Tage seiner Wahl am 27. Oktober eine Verfügung „zum Zwecke der vorläufigen Aufrechterhaltung der bestehenden Verwaltung im Freistaat Sachsen“.220 Die Leiterrunde unter Vorsitz Krauses hatte am 17. und 25. Oktober auf Anregung des Koordinierungsausschusses beschlossen, dem Ministerpräsidenten eine solche Verfügung vorzuschlagen, und Vaatz hatte sich am 25. Oktober dafür ausgesprochen, nach der Konstituierung des Landtages und der Landesregierung einen gleitenden Übergang der Arbeitsstäbe auf Ministerien und die Staatskanzlei vorzunehmen.221 Die Arbeitsstäbe wurden darüber informiert, dass sie nach der Wahl des Ministerpräsidenten bis zur Regierungsbildung und auch danach weiterarbeiten würden, sofern der betreffende Minister dies wünsche.222 Biedenkopf folgte den Vorschlägen und beauftragte den Koordinierungsausschuss samt Arbeitsstäben, seine Aufgaben zunächst gemäß der Verfügung des Landesbevollmächtigten vom 3. Oktober weiter wahrzunehmen. Er ernannte Vaatz zu seinem Stellvertreter und beauftragte die Regierungsbevollmächtigten, weiter als Leiter der Bezirksverwaltungsbehörden zu fungieren. Entsprechend arbeiteten die Arbeitsstäbe, nun unter Regie des Ministerpräsidenten, zunächst bis zur Vereidigung der Minister am 8. November weiter. In dieser Zeit bestand die Staatsregierung nur aus dem Ministerpräsidenten und seinem Verwaltungsstab samt Arbeitsstäben.223 Die Mitarbeiter der Arbeitsstäbe hatten Vorlagen nun nicht mehr wie bisher dem Landesbevollmächtigten, sondern dem Ministerpräsidenten zu übergeben.224 Ihre Aufgabe bestand nun vor allem in der Ausschreibung der Abteilungs- und Referatsleiterstellen sowie den Mitarbeiterstellen, der Sichtung der Bewerbungsunterlagen, der Einstellung von Personal und der Bildung nachgeordneter Behörden. Am 6. November bat Vaatz die Leiter, zwecks geordneter Überleitung ihrer Arbeitsstäbe in die entstehenden Ministerien, bis zum 12. November Berichte über den Sachstand der Arbeit an die Minister zu fertigen.225 Es sollte auf einen fließenden Übergang in Vorkonferenz und Kabinett hingewirkt werden und die Arbeitsstäbe solange in Funktion bleiben, bis die Abteilungsleiter ihre Arbeit aufgenommen haben 220 Verfügung des sächsischen Ministerpräsidenten zur vorläufigen Aufrechterhaltung der Verwaltung im Freistaat Sachsen vom 27.10.1990 (Dok. 160). 221 Protokolle der Leiterrunden des Koordinierungsausschusses am 17. und 25.10.1990 (RPL, AZ 0142). 222 BVB Chemnitz: Protokoll der Beratung des Arbeitsstabes Innenministerium am 26.10. 1990 (SächsStAC, BVB, 152240). 223 Interview Jörg Geiger. 224 Protokoll über die 5. Beratung des Arbeitsstabes „Ministerium für Wirtschaft und Verkehr Sachsen“ am 2.11.1990 in Dresden (HAIT, KA, 22.1). 225 Land Sachsen, Koordinierungsausschuss: Protokoll der Vorbereitungssitzung am 6.11. 1990 (ebd., 3.3).

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Sächsische Staatsregierung

würden.226 Mit der Vereidigung der Minister trafen die Arbeitsstäbe keine wesentlichen inhaltlichen Entscheidungen mehr. In der Regel waren die Minister ab Mitte November damit befasst, „über die Arbeitsstäbe ihr Ministerium zu übernehmen“.227 Eine für den Koordinierungsausschuss zentrale Frage war, in welchem Umfang sich der Ministerpräsident auf die inhaltlichen Vorarbeiten der Arbeitsstäbe stützen würde. Biedenkopf hatte sich zwar bereits mehrfach lobend geäußert, allerdings auch Modifikationen angekündigt. Mit Bildung des Kabinetts entbrannte, so erinnert sich Bernd Herzer, die politische Auseinandersetzung darüber noch einmal neu, und es gab Verschiebungen. Nur Minister Meyer erklärte dezidiert, nicht auf die Vorarbeiten zurückgegriffen zu haben. Dies hing, wie der Konflikt zwischen Meyer und Rößler zeigt, mit politisch begründeten Meinungsverschiedenheiten und dem Abweichen vom Modell eines einheitlichen Kultusministeriums zusammen. Am Grundmodell der Landesregierung, wie es „die Gruppe Vaatz“ erarbeitet hatte, änderten sich aber dennoch nur Details. Im Dezember wurde es dem Kabinett präsentiert und bestätigt. Offen blieb die Zuordnung einzelner Verwaltungsbereiche.228 Biedenkopf betonte die Bedeutung des Koordinierungsausschusses bei der Ausarbeitung von Vorlagen für die Regierung anfänglich mehrfach. Die Strukturbereiche und späteren Arbeitsstäbe hätten eine „hervorragende Arbeit vorgelegt“. Auch wenn er die Struktur der Regierung verändert habe, habe er dennoch auf „eine phantastische Vorarbeit“ zurückgreifen können. Auch dank der Hilfe westlicher Sachverständiger hätten Personen, die kaum über Erfahrung verfügen konnten, Strukturüberlegungen vorgelegt, die „sehr nahe an das ran kam, was nachher richtig war“. Ihn habe das beeindruckt und gezeigt, „was da für ein Potential“ vorhanden gewesen sei.229 Margita Herz erinnert sich, dass Biedenkopf sehr dankbar für die Vorarbeit war. Vaatz habe auch stets Wert darauf gelegt, keine Namen, sondern nur Strukturen zu präsentieren, um nicht den Eindruck eines Anspruchs auf Vorentscheidungen zu erwecken.230 Auch in seiner Regierungserklärung bekannte sich Biedenkopf zum Erbe der friedlichen Revolution und des Koordinierungsausschusses.231 Vaatz meint, dass es von Anfang an das Ziel der Landesregierung gewesen sei, „die aus der friedlichen Revolution geborene Politik des Koordinierungsausschusses zu vollenden und fortzuschreiben“.232 Michael Sagurna erinnert sich, dass Biedenkopf Vaatz und dessen Aufbauarbeit im Koordinierungsausschuss „immer in den höchsten Tönen gelobt“ und diese 226 Vermerk von Michael Feist für Rudolf Krause: Entscheidungsvorschläge für den Ministerpräsidenten. Bezug: Vorkonferenz am 6.11.1990 (RPL, AZ 0142). 227 Koordinierungsstelle Dresden: Bericht Thomas Hirschle vom 17.11.1990 über die Zeit bis zum 15.11.1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). 228 Interview Bernd Herzer. 229 Interview Kurt Biedenkopf. 230 Interview Marita Herz. 231 Sächsischer Landtag, 1. WP, 2. Sitzung am 8.11.1990, Bl. 52–66. Vgl. Sächsische Staatskanzlei, Mitten in Europa, S. 44. 232 Vaatz, Die friedliche Revolution, S. 22.

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Phase der Landesbildung stets hervorgehoben habe. Dank dieser Vorarbeiten sei die Staatsregierung „früher in die Puschen gekommen“ und habe „einen glatteren Neuanfang hingekriegt“.233 Nach Iltgens Meinung hatte Biedenkopf allen Grund, dankbar zu sein, konnte er sich durch die Vorarbeiten doch „auf ein gesatteltes und gezäumtes Pferd setzen“.234 Mit Biedenkopf, so schließlich auch Rößler, habe die Konsolidierungsphase des Landes begonnen. Der Ministerpräsident habe „in einer kontinuierlichen Entwicklung die Strukturen auf unserem Fundament aufgebaut“. Ein stabiles Fundament sei aber dank der Arbeit des Koordinierungsausschusses schon gelegt gewesen. Dank des Professionalismus des Ministerpräsidenten sei darauf ein ebenso festes staatliches Gebilde errichtet worden.235 Die Arbeit des Koordinierungsausschusses war damit im Wesentlichen abgeschlossen. Für den 20. November lud Vaatz die Mitglieder zum Abschluss „in würdiger Form“ ins Hotel „Schloss Eckberg“ ein.236 Nach der Bildung der Staatsregierung ging auch die Arbeit der Clearingstelle ihrem Ende entgegen. Nach Artikel 15 des Einigungsvertrages waren die Berater des Bundes dem Landesbevollmächtigten zugewiesen worden. Mit der Wahl des Ministerpräsidenten endete diese Zuordnung.237 Ermisch regte allerdings an, darüber nachzudenken, ob die Berater nicht weiterhin auf anderer gesetzlicher Grundlage tätig sein sollten.238 Am 1. November äußerte Biedenkopf daraufhin „den ausdrücklichen Wunsch, dass die Berater des Bundes weiterhin in Sachsen verbleiben“.239 Ende Dezember erhielt Späth den Vermerk, dass die Clearingstelle „ihre originäre Kompetenz verloren“ habe. Sie könne nur noch beratende Funktionen wahrnehmen. Es wurde vorgeschlagen, sich in der Bonner Clearingzentrale für ihre Auflösung einzusetzen. Dem Fortbestand sollte nur zugestimmt werden, wenn die neuen Bundesländer dies ausdrücklich wünschen.240 Tatsächlich zogen sich bald fast alle Bonner Clearingbeamten wieder in ihre Bundesministerien zurück. In der Staatsregierung blieb nur Günter Ermisch als Staatssekretär für Bundes- und Europaangelegenheiten der Staatskanzlei erhalten; im Landtag fungierte Hans Merkel von der Bonner Bundestagsverwaltung als provisorischer Landtagsdirektor.

233 Interview Michael Sagurna. 234 Interview Erich Iltgen am 1. 3.1994. Zit. in Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 189 f. Wendt meint hingegen, Biedenkopf habe eine Landesregierung mehr oder weniger aus dem Nichts aufgebaut. Er ignoriert damit die von Biedenkopf ausdrücklich anerkannten Leistungen des Koordinierungsausschusses. Vgl. Wendt, Kurt Biedenkopf, S. 128. 235 Interview Matthias Rößler. In: Kleimeier, Sachsen, S. 92. 236 Land Sachsen, Koordinierungsausschuss: Protokoll der Vorbereitungssitzung am 6.11. 1990 (HAIT, KA, 3.3). 237 Interview Günter Ermisch. 238 Günter Ermisch an Arnold Vaatz vom 19.10.1990 (HAIT, KA, 3.2). 239 Freistaat Sachsen, Koordinierungsausschuss: Protokoll der Leiterrunde am 1.11.1990 (ebd., 3.3). 240 SMBW, Abt. I: Vermerk für Ministerpräsident Späth zur Ministerpräsidentenkonferenz am 20./21.12.1990 in München (SMBW, I 0305.0. 1990).

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Das Urteil über den Koordinierungsausschuss fällt meist positiv aus. Seine entscheidende Leistung, so Helmut Münch, sei die rechtzeitige Vorbereitung der Strukturen der Landesverwaltung durch Personen gewesen, die das Vertrauen der neuen Kräfte hatten und darauf achteten, dass die Einflüsse der alten Kräfte gering blieben.241 Mit „relativ bescheidenen Bordmitteln“ habe man, so Kolbe, doch „halbwegs eine Landesverwaltung in Gang gesetzt“ und die Grundstrukturen des kommenden Landes bestimmt.242 Durch die Arbeit des Koordinierungsausschusses, so auch Friedrich Karl Fromme, habe Sachsen im Landesaufbau einen Vorsprung vor den anderen neuen Ländern gehabt,243 was zur Folge hatte, dass die Vorarbeiten dort zum Teil Vorbildwirkung erlangten. In der halbjährigen Entwicklung des Koordinierungsausschusses habe es, so Kolbe, mehrere Phasen gegeben: eine erste „Amateurphase“, dann eine zweite, „etwas professionalisierte Phase“ im August und September und schließlich ab Mitte September die Phase, in der sich die Strukturen herausbildeten und die politische Macht an den Koordinierungsausschuss überging. Vor allem in der ersten Zeit, so der damals 37-jährige Jurist aus Bayern, habe ihn der Koordinierungsausschuss hin und wieder an „eine Mischung aus Studentenparlament und Revolutionstribunal“ erinnert. Manchmal sei es „relativ wild“ zugegangen. Gelegentlich hätten ihn die Ereignisse an die Jakobinerzeit der Französischen Revolution erinnert, etwa die Art, wie Leute ernannt oder entlassen wurden.244 Auch für Rößler war der Koordinierungsausschuss „eine Art Revolutionsregierung“ oder „revolutionärer Kommandorat“.245 Aber selbst der moderate evangelische Moderator des Runden Tisches des Bezirkes Dresden, Martin Lerchner, zeigte für die entschiedene Personalpolitik, einschließlich einer gewissen Geheimniskrämerei, Verständnis. Es habe eben eine Revolution stattgefunden, die Gott sei Dank ohne Blutvergießen abgelaufen sei.246 Für Kolbe hatte die Arbeit des Koordinierungsausschusses immer auch „ein bisschen den Hauch des Irrealen“. Man habe sich getroffen, Strukturen gezeichnet und manchmal gefragt: „Es ist ja wunderbar, was wir hier machen, aber wird denn das einmal Realität?“ Gelegentlich sei ihm dies alles vorgekommen wie ein Sandkastenspiel. Dennoch seien alle zielorientiert und begeistert bei der Sache gewesen. Für ihn sei es die „vielleicht schönste politische Zeit“ gewesen. Es habe einen Freundeskreis mit einem „menschlich sehr angenehmen Klima“ gegeben. Man habe hervorragend kooperiert und sei noch nicht mit Intrigen konfrontiert worden, wie es sie zehn Jahre später auch in Sachsen gegeben habe.247 An der engen Zusammenarbeit änderte auch die Tatsache nichts, „dass wir“, so Vaatz, „in der damaligen Zeit als Koordinierungsausschuss fast durchgehend in einer ver241 242 243 244 245 246 247

Interview Helmut Münch. In: Kleimeier, Sachsen, S. 82. Interview Manfred Kolbe am 16. 5. 2003. Friedrich Karl Fromme: „Ein altes, neues Land gewinnt Gestalt.“ In: FAZ vom 2.1.1991. Interviews Manfred Kolbe am 13. 3. 2000 und 16. 5. 2003. Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003. Interview Martin Lerchner. In: Kleimeier, Sachsen, S. 69 f. Interview Manfred Kolbe am 16. 5. 2003.

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zweifelten Lage“ waren.248 Stets musste der Koordinierungsausschuss um seine Anerkennung kämpfen. Dass dies gelungen sei, so Kolbe, sei vor allem das persönliche Verdienst von Arnold Vaatz gewesen,249 den auch die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ damals als eines „der politischen Wunderkinder der Novemberrevolution“ bezeichnete.250 Vaatz, so auch sein Mitstreiter Rößler, habe sich bei der Länderbildung „die größten Verdienste überhaupt in Sachsen“ erworben.251 Seine Stärke, so Husemann, habe darin bestanden, die „Knackpunkte“ der Entwicklung erkannt zu haben. Tatsächlich war es Vaatz trotz mehrfach wechselnder Rahmenbedingungen gelungen, den Koordinierungsausschuss durch vorausschauende strategische Entscheidungen und taktische Schachzüge im Rennen zu halten und so schließlich für seine Durchsetzung zu sorgen. In der revolutionären Umbruchsituation sei ihm seine Eigenschaft, Dinge nach einem Schwarz-Weiß-Schema zu beurteilen, entgegengekommen.252 Hans Joachim Meyer meint, dass sein Politikverständnis diesbezüglich durch die politisch polarisierte Erfahrung in der DDR geprägt gewesen sei.253 Nach Grünings Meinung war es nicht gerade seine Stärke, Mehrheiten durch Kompromisse zu sammeln, eher durch Polarisierung. Abstriche an seinen ursprünglichen Zielen habe er schwer akzeptieren können, hier sei er eher ein „Maximalist“ gewesen.254 Später, so das Urteil einiger Mitstreiter, standen ihm einige der Fähigkeiten eher im Wege, die ihn für seine Funktion im Umbruchprozess geradezu prädestinierten.255 Vaatz, so auch Meyer, sei ohne Frage eine „große politische Begabung“, aber er habe auch Eigenschaften, die ihn später „wiederholt politikunfähig gemacht“ hätten.256 Vaatz selbst sieht Fehler seiner und der Arbeit des Koordinierungsausschusses vor allem darin, zu wenig Energie und Beharrlichkeit darauf verwendet zu haben, die Bezirke Leipzig und Chemnitz in die Arbeit einzubeziehen. Dadurch sei der Eindruck ihrer bewussten Marginalisierung entstanden, was aber zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt gewesen sei. Dieses Vorgehen werfe seine Schatten bis in die Gegenwart.257 Außerdem hätte manches schneller erkannt und zügiger geregelt werden können. Sie seien manchmal nicht entschlossen genug gewesen, Kompetenzen strikt einzufordern.258 Dem stimmt Kolbe insofern zu, als manche Ziele des Koordinierungsausschusses nicht mehr erreicht werden konnten, nachdem seine Strukturen erst einmal „in der allgemeinen bundesrepubli248 249 250 251 252 253 254 255 256 257

Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. Interview Manfred Kolbe am 16. 5. 2003. Johann Michael Möller. In: FAZ vom 3. 9.1990. Matthias Rößler beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. Interview Klaus Husemann. Interview Hans Joachim Meyer am 3. 3. 2003. Interview Uwe Grüning. Dies lässt sich mehreren Interviews entnehmen. Interview Hans Joachim Meyer am 3. 3. 2003. Vgl. Arnold Vaatz. In: Reden zum 4. Jahrestag der Gründung des Koordinierungsausschusses, S. 34; ders., Die friedliche Revolution, S. 21. 258 Interview Arnold Vaatz. In: Neue Zeit vom 27.10.1990.

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kanischen Bürokratie aufgingen und teilweise auch untergingen“. Auch dank der Clearingberater sei „manche innovative Idee des Koordinierungsausschusses stecken geblieben“, wobei Sachsen immer noch innovativer gewesen sei als andere Länder.259 Ein wesentliches Charakteristikum des Koordinierungsausschusses war die in ihm praktizierte Zusammenarbeit neuer Parteien.260 Er war ein überparteiliches Gremium, in das neben den neuen Kräften aus der CDU vor allem Mitglieder der SPD und DSU fest integriert waren. So erschien der Koordinierungsausschuss zurecht als „das Medium der Einflussnahme der revolutionären Eliten“.261 In seiner parteiübergreifenden Konsenskultur neuer politischer Gruppierungen im Streit mit den so verorteten „alten Kräften“ aus den Blockparteien prägte er die politische Kultur und die Geschicke des Landes bis zu den ersten Landtagswahlen wie kaum eine zweite Institution. Dies sei, so Vaatz ,,nicht in erster Linie das Ergebnis des politischen Geschickes seiner Mitglieder oder gar seines Leiters“, sondern „der öffentlichen Akzeptanz und der Entschlossenheit der Sachsen, alte Verhältnisse, alte Loyalitäten und illegitime Besitzstände nicht fortzuschreiben“, zu verdanken gewesen.262 Mit der Konstituierung des Landtages, so auch die „Neue Zeit“, endete eine fast sechsmonatige Phase, in der das politische Leben, die Entwicklung einer demokratischen Kultur in Sachsen, maßgeblich durch die Tätigkeit des Koordinierungsausschusses bestimmt worden war.263 Die in ihm wie im Sächsischen Forum fortlebende Konsenskultur der Runden Tische prägte auch die weiteren Geschicke Sachsens. Kurt Biedenkopf berichtete mehrfach über entsprechende Eindrücke aus dem Sächsischen Landtag.264 Für Sachsen spezifisch und aus der Entstehungsgeschichte des Freistaates resultierend gilt bis heute eine Vielzahl an Beiräten und Runden Tischen sowie das Beauftragtenwesen. Hier gibt es „Nachwirkungen des auf Konsens angelegten Koordinierungsausschusses“.265 In seiner spezifischen Konstruktion war der Koordinierungsausschuss „eines der letzten autarken ostdeutschen politischen Gremien“ und „keine Kopie eines westdeutschen Originals wie später so vieles andere“.266 Iltgen sieht in seiner Bildung sogar „das einzig Selbständige des revolutionären Prozesses durch die neuen politischen Kräfte seit dem Herbst ’89“.267 Ein Merkmal des Koordinierungsausschusses war auch seine „allgemeine Akzeptanz unter der Bevölkerung“.268 Mehr als dies beanspruchte er bewusst nicht. Er „verstand sich nie als 259 260 261 262 263 264 265 266 267

Interview Manfred Kolbe am 16. 5. 2003. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 346 f. Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 10 f. Vaatz, Die friedliche Revolution, S. 21. Neue Zeit vom 27.10.1990. Siehe Kap. 7.1.4. König, Aufbau, S. 251 f. Vaatz, Die friedliche Revolution, S. 21 f. Erich Iltgen. In: Reden zum 4. Jahrestag der Gründung des Koordinierungsausschusses, S. 16. 268 Interview Arnold Vaatz. In: Neue Zeit vom 27.10.1990.

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demokratisch legitimiertes Gremium, eher als ein per Akklamation eingesetztes Provisorium, dessen Ziel es war, sich baldmöglichst selbst überflüssig zu machen“. Er sah sich als ein „Treuhänder des öffentlichen Willens, der die Macht unbefugtem Zugriff entziehen und der Demokratie den Weg bereiten wollte“.269 Mit diesem Anspruch stand er auch deutlich in der Tradition der Gruppe der 20.270 Dabei hatten seine Mitglieder, so Biedenkopf, keinen gesetzgeberischen Auftrag und konnten sich nicht auf staatliche oder verfassungsrechtliche Institutionen berufen. Die Strukturen, deren sie sich bedienten, existierten „allein kraft der Autorität und des Konsenses, den ständig zu erneuern sie fähig“ gewesen seien.271

7.2.2 Auswahl der Staatsminister, Staatssekretäre und Parlamentarischen Staatssekretäre Für die Auswahl seiner Ministerriege hatte sich Biedenkopf bei seiner Nominierung vom CDU-Landesvorstand ausdrücklich Handlungsfreiheit zusichern lassen. Sein Vorgehen zeigte, dass er sich zwar mit allen wichtigen Partnern absprach, sich aber in der Tat nicht in Personalentscheidungen hineinreden ließ. Hinsichtlich einiger Minister hatte er schon genaue Vorstellungen, bei anderen musste er sich umsehen. Klar war für ihn, dass „Westimporte“ dabei sein mussten, benötigte er doch deren Qualifikation. Deswegen legte er auch keinen unbedingten Wert auf ein „lupenreines CDU-Kabinett“; was zählte, war fachliche Kompetenz.272 Sein Ziel war eine ausgewogene Mischung. Grundsätzlich wollte er „so viele Leute wie möglich aus dem Osten“,273 meinte er doch, die friedliche Revolution in der DDR habe „viel an unverbrauchter politischer Substanz“ gezeigt und „ungewöhnliche politische Talente“ hervorgebracht.274 Klar war aber auch, dass Bereiche wie Wirtschaft, Arbeit oder Finanzen von Experten aus dem Westen besetzt werden mussten, weil hier wegen der notwendigen Ausbildung und Berufserfahrung Fachleute aus der DDR nicht zur Verfügung stehen konnten.275 Er musste aber auch konfessionelle und regionale Aspekte beachten und durfte die sächsische CDU-Führung nicht unnötig verärgern. Anfang November beschloss er, die Minister nach Möglichkeit aus dem Osten zu berufen, dafür aber die Ebene der Staatssekretäre mit West-Experten zu besetzen.276 Viel Zeit für die Auswahl blieb nicht, offiziell vom 27. Oktober bis zum 269 Vaatz, Die friedliche Revolution, S. 21. 270 Vgl. Richter/Sobeslavsky, Die Gruppe der 20, S. 217 f. 271 Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 346 f. Dem ist nur mit Einschränkung zuzustimmen. Der Koordinierungsausschuss war formal Teil der BVB Dresden und stellte nach der Wahl Biedenkopfs vorübergehend die oberste Landesverwaltung dar. 272 Interview Kurt Biedenkopf. In: Der Spiegel vom 22.10.1990. 273 Interview Kurt Biedenkopf. 274 Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 203. 275 Vgl. Interview Kurt Biedenkopf. In: Sächsische Staatskanzlei, Aller Anfang, S. 74. 276 Vgl. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 407.

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8. November. Deswegen hatte er auch „keinen langen Plan“. Bereits zuvor hatte er unter anderen mit Späth Sondierungsgespräche geführt.277 Iltgen und Ziemer bat er um vertrauliche Kabinettslisten aus ihrer Sicht. Ebenso stand er mit Vaatz in regelmäßigem Kontakt.278 Bei den Gesprächen wurde er mit einer Vielzahl an Erwartungen und Ansprüchen konfrontiert, mit denen sensibel umgegangen werden musste. Auch Vaatz erinnert sich, dass ihm in der Zeit der Auswahl der Minister etliche Personen begegnet seien, „die dachten, dass sie in die allererste Wahl kommen“ und demnächst Minister in Sachsen würden. Einige Bewerber hätten „versucht zu drängeln“, andere ein „Schaulaufen“ veranstaltet.279 Vaatz hatte freilich selbst auch Erwartungen hinsichtlich der Besetzungen, weswegen es zu Auseinandersetzungen mit Biedenkopf kam.280 Seine Vorstellungen von Personalbesetzungen, so der spätere Pressesprecher des Freistaates Sachsen, Michael Sagurna, hätten aber „wenig Berücksichtigung gefunden“. Es sei Biedenkopfs „klare Ansage im Landesvorstand der CDU“ gewesen, dass er in Personalfragen keine Vorentscheidungen akzeptiere, sondern sein Führungspersonal selbst rekrutiere.281 In der akuten Phase der Auswahl der Minister wusste auch die baden-württembergische Staatsregierung über „atmosphärische Störungen“ zwischen Biedenkopf und Vaatz zu berichten, „weil Biedenkopf möglicherweise in Schlüsselpositionen um sich herum Gefolgsleute aus Nordrhein-Westfalen installieren“ wolle. Die von Vaatz favorisierten BadenWürttemberger kämen dadurch „erst in zweiter Linie zum Zuge“. Dies war wiederum Anlass, Späth zu empfehlen, „Biedenkopf darauf hinzuweisen, dass die baden-württembergischen Top-Beamten in zentralen Funktionen untergebracht werden sollten“. Für eine bloße Zuarbeit im Dienste von „Jungkarrieristen aus Nordrhein-Westfalen“ seien sie zu schade.282 Schon im September hatte CDUFraktionschef Erwin Teufel öffentlich den Wunsch geäußert, Baden-Württemberg möge im Kabinett Biedenkopfs angemessen repräsentiert sein;283 am 6. November hatte Innenminister Schlee die Erwartung seiner Landesregierung wiederholt, „mit eigenen Leuten im Kabinett vertreten zu sein“. Biedenkopf war zwar nicht bereit, derart unverblümte „Anregungen“ zu erfüllen, sicherte aber zu, dem wichtigsten Partnerland auf der Ebene der Staatssekretäre „erhebliches Gewicht“ einzuräumen.284 Nachdem alle Entscheidungen gefallen waren, stellte Biedenkopf sein Kabinett am 6. November der CDU-Landtagsfraktion vor,285 von deren Meinung er

277 278 279 280 281 282

Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 335. Interview Manfred Kolbe am 16. 5. 2003. Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. Interview Kurt Biedenkopf. Interview Michael Sagurna. SMBW, Abt. I: Vermerk für Ministerpräsident Späth vom 26.10.1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). 283 Vgl. Stuttgarter Zeitung vom 17. 9.1990. 284 Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 407. 285 Interview Kajo Schommer.

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sich freilich zuvor bewusst nicht abhängig gemacht hatte.286 Einen Tag später präsentierte er als letzter Ministerpräsident der neuen Bundesländer seine Ministerriege der Presse, und am 8. November wurden die Staatsminister auf der 2. Plenarsitzung des Sächsischen Landtages im „Haus der Kirche“ „unter zehnfacher Anrufung Gottes“287 ernannt und vereidigt.288 Die Pressereaktionen waren „gelassen wohlwollend“.289 Die Fraktion Bündnis 90/Grüne beantragte bei der Vereidigung, zunächst eine Aussprache über das Kabinett Biedenkopf zu führen und danach lediglich eine vorläufige Landesregierung zu bestätigen. Das Ansinnen wurde zurückgewiesen, woraufhin die Fraktion den Saal unter Protesten verließ. Hintergrund der Auseinandersetzung war die Tatsache, dass das Recht des Ministerpräsidenten, Minister zu ernennen und zu entlassen, in den neuen Bundesländern unterschiedlich geregelt war. Nach dem Vorschaltgesetz war dies in Sachsen, zum Ärger von Bündnis 90/Grüne, alleinige Angelegenheit des Ministerpräsidenten, ohne dass der Landtag dies, wie zum Beispiel in Thüringen, bestätigen musste. In Brandenburg hat der Landtag das Recht, durch Beschluss der Mehrheit der Abgeordneten dem Ministerpräsidenten die Entlassung von Ministern zu empfehlen.290 Mit der Wahl des Ministerpräsidenten und der Bestätigung der Landesregierung durch den Landtag war die Neubildung Sachsens im staatsrechtlichen Sinne abgeschlossen, da auch ohne die noch ausstehende Verabschiedung einer Landesverfassung die Existenz der Länder grundgesetzlich verankert war.291 Zum Staatsminister und Chef der Staatskanzlei wurde Arnold Vaatz ernannt. Die Ressorts leiteten Rudolf Krause (Inneres), Steffen Heitmann (Justiz), Georg Milbradt (Finanzen), Stefanie Rehm (Kultus), Hans Joachim Meyer (Wissenschaft), Kajo Schommer (Wirtschaft und Arbeit), Rolf Jähnichen (Landwirtschaft, Ernährung und Forsten), Karl Weise (Umwelt und Landesentwicklung) und Hans Geisler (Soziales, Gesundheit und Familie).292 Damit waren Vertreter der neuen politischen Kräfte im Kabinett anteilmäßig gut vertreten. Die Vaatz-Gruppe, so urteilte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, habe es „ganz offensichtlich geschafft, den Schwung der Erneuerung bis in die Regierungsbildung hineinzutragen“.293 Vaatz und Heitmann kamen direkt aus dem Koordinierungsausschuss, Geisler hatte bislang den DA in der Volkskammer bzw. in der Regierung de Maizière vertreten. Mit seiner Berufung wurde zugleich der Vereinbarung im Fusionsvertrag von CDU und DA in Sachsen vom August ent286 287 288 289 290 291 292 293

Interview Hans Joachim Meyer am 31. 3. 2000. die tageszeitung vom 9.11.1990. Sächsischer Landtag, 1. WP, 2. Sitzung am 8.11.1990, Bl. 49–52. Koordinierungsstelle Dresden: Bericht Thomas Hirschle vom 17.11.1990 über die Zeit bis zum 15.11.1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). Vgl. Hauschild, DDR, S. 221. Vgl. Marek/Schilling, Neubildung, S. 67. Dennoch wird die Entwicklung bis zur Verabschiedung der sächsischen Landesverfassung in einem eigenen Kapitel abgehandelt. Siehe Tabelle 16 im Anhang. Johann Michael Möller: „Mit Idealisten ist kein Staat zu machen.“ In: FAZ vom 8.11. 1990.

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sprochen, der DA werde im Falle eines Wahlsieges einen Minister stellen.294 Meyer war der CDU erst in der Umbruchzeit beigetreten, nachdem er ihr bereits früher einmal angehört hatte. Bereits zu SED-Zeiten hatten Krause, Rehm, Jähnichen und Weise der CDU angehört, aber nur Krause war in höhere Parteifunktionen aufgestiegen.295 Schon frühzeitig hatte für Biedenkopf festgestanden, dass Vaatz und Krause dem Kabinett aus Gründen „politischer Arithmetik“296 angehören müssten, unklar blieb freilich bis zuletzt, wer stellvertretender Ministerpräsident werden würde. Ging man in der SPD noch Ende Oktober davon aus, dass Vaatz die Funktion übernehmen werde, war nun klar, dass Krause sich durchgesetzt hatte. In der SPD wusste man zu berichten, es habe hinsichtlich der Person von Vaatz in dieser Frage „Unstimmigkeiten in der CDUFraktion“ gegeben,297 wo frühere Mitglieder und Funktionäre der Blockparteien CDU und DBD in der Mehrheit waren. Aber auch so wurde im Landesvorstand „mächtig gemeckert und gemurrt“, weil ausgerechnet der als rebellisch geltende Vaatz als einziger Vertreter des Landesvorstandes berücksichtigt worden war. Auch Klaus Reichenbach brachte „seinen Unmut deutlich zum Ausdruck“.298 Aber obwohl auch Vaatz seine eigenen personellen Vorstellungen nur bedingt verwirklicht sah, urteilte er, Biedenkopf habe trotz noch unzulänglicher Personalkenntnisse in Sachsen bei der Auswahl der Minister richtig gehandelt. Er habe sich nicht auf das durch de Maizière vorausgesuchte Personaltableau des überkommenen CDU-Apparates gestützt, sondern in erheblichem Maße auf neue politische Kräfte. Andererseits fand es Vaatz aber auch richtig, dass der Ministerpräsident nicht die Konfrontation mit de Maizière gesucht hatte. Immerhin waren mit Geisler, Meyer und Haschke drei bisherige Mitglieder der DDR-Regierung gefragt worden, wobei sich letzterer anderweitig orientierte.299 Der Entscheidung, den Landesbevollmächtigten Krause zum Innenminister zu berufen, war es auch zu verdanken, dass Ballschuh „bei Biedenkopf nichts werden“ konnte. Der Dresdner Regierungsbevollmächtigte hatte sich ausgerechnet, in der Regierung eine ähnlich wichtige Rolle zu spielen wie Krause.300 Trotz solch unvermeidlicher Enttäuschungen gelang es durch die „alle Rivalitäten überwölbende, weil machtsichernde Figur Biedenkopfs“, die fortdauernden Konflikte in ein konstruktives Spannungsverhältnis zu setzen. Sein Kurs der Einbeziehung maßgeblicher Vertreter der neuen politischen Kräfte bewahrte die CDU als Regierungspartei in Sachsen auch längerfristig vor spektakulären Regierungskrisen, nachträglichen Personaltransfers in Spitzenämter und Stasi294 Siehe dazu Kap. 5.4.2. 295 Zu den meist später berufenen Staatssekretären und Parlamentarischen Staatssekretären siehe Kap. 7.2.4. 296 Interview Thomas Hirschle. 297 Sächsischer Landtag, Fraktion der SPD: Presseerklärung von Karl-Heinz Kunckel vom 7.11.1990 (AdSD, SPD-LV Sachsen 3/SNAB000019). 298 Interview Berthold Rink. 299 Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. 300 Interview Peter Adler.

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Skandalen. Auch wenn die Flügelkämpfe in Fraktion und Partei keineswegs beendet waren, so besaß die sächsische CDU mit dem relativ stabilen Kern der sächsischen Staatsregierung, zumindest nach außen hin, einen vergleichsweise sicheren Halt.301 Damit unterschied sich die Situation markant von der in Thüringen, Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg-Vorpommern, wo die aus der BlockCDU kommenden Ministerpräsidenten Duchac, Gies und Gomolka schon bald ihre Ämter niederlegen mussten. Biedenkopf gelang nicht nur ein Spagat zwischen der CDU-Lagern, er trug auch dem angespannten Verhältnis der Bezirke untereinander Rechnung. So kamen die Minister Vaatz, Heitmann und Geisler aus dem Bezirk Dresden, Krause, Jähnichen und Weise aus Leipzig; nur Chemnitz war mit Rehm unterrepräsentiert. Auch das Ost-West-Verhältnis war ausgeglichen und der Einsatz westlicher Experten plausibel. Biedenkopf hatte die sächsische Erwartungshaltung, im Kabinett angemessen vertreten zu sein, berücksichtigt und zwangsläufig vorhandene fachliche Defizite durch den Einsatz westdeutscher Staatssekretäre kompensiert. Um dem „ausgeprägten Bedürfnis“ zu entsprechen, „eine sächsische Lösung zu finden“,302 hatte er auch Wünsche aus Stuttgart hintan gestellt, obwohl die von dort kommende personelle Unterstützung auf Stabsebene für ihn eigentlich unverzichtbar war.303 Die ausgewogene Mischung fand denn auch die Akzeptanz der Sachsen. Er habe sich, so Vaatz, bei westlichen Besetzungen zurückgehalten, wohl wissend, dass dies ein wunder Punkt war, konnten doch böswillige Zungen dies so deuten, als seien die Sachsen nicht selbst in der Lage, ihr Land zu regieren. Für Vaatz gab es an den Berufungen „nichts zu tippen“. Biedenkopf habe „achtzig Prozent der Leute richtig besetzt“.304 Neben Relationen wie Alt-Neu und Ost-West hatte Biedenkopf in seiner Kabinettsarithmetik auch Aspekte wie konfessionelle Ausgewogenheit und eine Beteiligung von Frauen zu beachten. Heitmann, Geisler, Rehm, Vaatz und Weise gehörten der evangelisch-lutherischen Kirche an, Jähnichen, Krause, Meyer, Milbradt, Schommer und Biedenkopf waren römisch-katholisch. Damit bestand das Kabinett im inzwischen mehrheitlich nichtchristlichen Sachsen ausschließlich aus Vertretern der großen Konfessionen. Die Verteilung von Katholiken und Protestanten wurde im ehemals protestantisch dominierten Sachsen, in dem die Erinnerung an die Regierung des zum Katholizismus konvertierten Kurfürsten August den Starken in lebendiger Erinnerung gehalten wurde, als katholische Dominanz angesehen und führte zu konfessionellen „Irritationen“.305 Landesbischof Johannes Hempel kritisierte am 19. Oktober das katholische Übergewicht in führenden Positionen und „gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass der Kultusminister ein Protestant werden möge“. Damit geriet der Katholik Biedenkopf unter Druck und sah keine Alternative, als den ebenfalls 301 302 303 304 305

Vgl. Schmidt, Von der Blockpartei zur Volkspartei, S. 164 f. Interview Thomas Hirschle. Vgl. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 335. Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 411. So auch Michael Lersow im Interview.

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katholischen Meyer davon zu überzeugen, sein Ressort entgegen den bisherigen Absprachen zu teilen.306 Um den Wünschen des Bischofs zu entsprechen, holte Biedenkopf Stefanie Rehm als Kultusministerin ins Boot, die somit als Alibifrau zählen konnte, aber auch noch evangelisch war und aus dem unterrepräsentierten Bezirk Chemnitz kam. Ihre fehlende fachliche Eignung fiel angesichts so vieler Vorteile zunächst nicht ins Gewicht. Der Wunsch, ihr einen Kabinettsplatz zu verschaffen, war der entscheidende Grund dafür, das von Rößler und seinem Arbeitsstab konzipierte einheitliche Ministerium für die Bereiche Schule, Hochschule und Kunst aufzugliedern.307 Als Biedenkopf sein Kabinett vorstellte, stand die Trennung von Wissenschaft und Unterricht bereits fest, wobei der Bereich Kultur „noch etwas in der Luft“ hing. Es hieß, der Ministerpräsident erwäge die Einrichtung einer Kulturstiftung.308 Völlig andere Gründe hatte die Verlagerung des Bereichs „Arbeit“ aus dem geplanten Sozialministerium in ein nun so konzipiertes Ministerium für Wirtschaft und Arbeit. Mit diesem Konzept wollte Biedenkopf wirtschaftspolitische Grundüberzeugungen umsetzen. Alles in allem aber orientierte er sich mit Ausnahme der Zusammenlegung von Arbeit und Wirtschaft an den beiden Partnerländern.309 Somit verfügte Sachsen über neun Ministerien, in Sachsen-Anhalt waren es elf, in Brandenburg und Thüringen je zehn, und in Mecklenburg-Vorpommern acht.310 Neben den Ministern ernannte Biedenkopf persönlich für jedes Ministerium einen beamteten Staatssekretär,311 wobei er sich nur teilweise mit den Ministern abstimmte. Um eine Ernennung von Staatssekretären aus den neuen Ländern zu ermöglich, hatte die Bundesregierung Sonderbestimmungen erlassen,312 die aber 1990 praktisch kaum Bedeutung erlangten, da bis auf Jürgen Gülde alle beamteten Staatssekretäre der neuen Bundesländer aus dem Westen kamen. Auch Biedenkopf hatte sich, wie erwähnt, entschlossen, die Minister so weit wie möglich aus der DDR zu berufen und dafür die Ebene der beamteten Staatssekretäre, die als Amtschefs die Verwaltung zu leiten hatten, aus dem Westen zu gewinnen. Sie sollten die politische Führung der Ministerien entlasten, wobei Biedenkopf wünschte, „dass die westliche Verwaltungskompetenz der sächsischen politischen Führung dient“.313 Da sich Sachsen als „Freistaat“ und die Regierung als „Staatsregierung“ definierte, wurden, anders als in den Partnerländern, die Amtschefs als „Staatssekretäre“ und nicht als „Ministerialdirektoren“ bezeichnet, was in Stuttgart insofern zu Problemen führte, als dies für Leihbeamte aus Baden-Württemberg, wie etwa Hirschle, nicht ohne Weiteres möglich 306 Vgl. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 395. 307 Interviews Volker Nollau und Klaus Husemann. 308 Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Bericht vom 5.–11.11.1990 (PB Manfred Kolbe). 309 Vgl. Angst, Aufbau und Struktur, S. 422. 310 Zu den Entwicklungen in den einzelnen sächsischen Staatsministerien siehe Kap. 7.2.4. 311 Siehe Tabelle 16 im Anhang. 312 Bundesminister des Innern: Ernennung von Staatssekretären in den Ländern des Beitrittsgebiets vom 19.10.1990 (LA Merseburg, Rep. RdB/BT, 21129/3). 313 Interview Kurt Biedenkopf. In: Sächsische Staatskanzlei, Aller Anfang, S. 74.

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war.314 Husemann meint, die beamteten Staatssekretäre seien mehrheitlich „Fachleute allererster Güte“ gewesen.315 In der Tat hatten sie für die Regierungstätigkeit erhebliche Bedeutung. Oft wurden Entscheidungen bei der Vorkonferenz der Staatssekretäre getroffen und bei der am nächsten Tag folgenden Kabinettssitzung nur noch bestätigt. Neben den Staatssekretären als Amtschefs der Ministerien berief Biedenkopf Parlamentarische Staatssekretäre.316 Bei ihnen konnte es sich nur um Sachsen handeln, da sie Mitglieder des Landtages sein mussten. Parlamentarische Staatssekretärin wurde auch die Beauftragte der Staatskanzlei für Fragen der Gleichstellung, Friederike de Haas, bis sie 1994 in den Rang einer Staatsministerin aufrückte. Die Staatsministerien für Justiz, Finanzen, Landwirtschaft, Ernährung und Forsten sowie Soziales, Gesundheit und Familie erhielten keine Parlamentarische Staatssekretäre. Die Auswahl hing nicht von der Entscheidung der Minister ab, von denen einige die Funktion ohnehin von Anfang an für überflüssig hielten, sondern wiederum von Biedenkopf. Er konnte so das in mehrfacher Hinsicht austangierte System seiner Regierung beeinflussen und auf „eine möglichst breite Grundlage“ stellen.317 Ihre Berufung hatte für ihn aber auch noch weitere Vorteile. Die Berufungen konnten als Zugeständnis an die Fraktion gedeutet werden, und es war auf diese Weise möglich, Personen aus Sachsen zu bedenken, die bei den Ministerposten leer ausgegangen waren; außerdem half es, den Eindruck zu vermitteln, sein Kabinett setze sich mehrheitlich aus Hiesigen zusammen. Husemann deutete ihre Einsetzung lapidar damit, dass auf diese Weise „ein paar Leute, die sich verdient gemacht hatten, versorgt werden“ konnten.318 Münch sah darin eine Entscheidung, den östlichen „Quereinsteigern“ eine Möglichkeit zu geben, das Regierungsgeschäft zu erlernen, schließlich habe man in Sachsen keine oder ganz wenige Juristen gehabt und musste deshalb versuchen, die durch die friedliche Revolution in die erste Reihe gerückten Techniker mit dem Verwaltungsapparat vertraut zu machen.319 Funktion und Bedeutung der Parlamentarischen Staatssekretäre änderten sich schnell. Biedenkopf erklärte zunächst, sie seien die politischen Vertreter ihrer Minister und würden diese auch im Kabinett vertreten. In der Anfangsphase des Aufbaus der Ministerien spielten so auch vor allem Husemann, Metz und Nollau eine wichtige Rolle. Husemann erinnert sich, am Anfang sei der Parlamentarische Staatssekretär „der zweite Mann im Ministerium“ gewesen, dann erst sei der Amtschef gefolgt.320 Zu Beginn ihrer Tätigkeit, so auch Nollau, habe Biedenkopf ihnen erklärt, sie seien „in den großen und wichtigen Ministerien die poli314 Koordinierungsstelle Dresden: Bericht Thomas Hirschle vom 17.11.1990 über die Zeit bis zum 15.11.1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). 315 Interview Klaus Husemann. 316 Siehe Tabelle 16 im Anhang und Kap. 7.2.4. 317 Interview Kurt Biedenkopf. 318 Interview Klaus Husemann. 319 Interview Helmut Münch am 23. 4. 2003. 320 Interview Klaus Husemann.

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tischen Vertreter der Minister“. In der Tat hätten sie zunächst noch ihre Minister in Kabinettsitzungen vertreten. In dieser Anfangszeit habe man sich am Modell von Baden-Württemberg orientiert, wo die Parlamentarischen Staatssekretäre die politischen Vertreter der Minister seien und die beamteten Staatssekretäre als Leiter der Verwaltung des Ministeriums fungierten.321 Eher ausweichend wirkt dagegen Biedenkopfs Erklärung, die Parlamentarischen Staatssekretäre hätten für eine Übergangsphase der „Verbreiterung des Informationstransfers“ gedient. Für ihn seien sie wichtig gewesen, um sich mit den Verhältnissen vertraut zu machen.322 Tatsächlich erwies sich bald, dass die Regierungsarbeit effektiver funktionierte, wenn mehr Einfluss in die Hand der Amtsleiter gelegt wurde. So dauerte es nur wenige Monate, bis die Parlamentarischen Staatssekretäre „praktisch entmachtet“ und auf parlamentarische Funktionen zurückgestutzt wurden. „Wir waren“, so Nollau, „den beamteten Staatssekretären zu mächtig“, deswegen sei es Anfang des Jahres 1991 zu einer „kalten Palastrevolution“ gekommen. Plötzlich habe es neue Verordnungen gegeben, mit denen ihre Gehälter gekürzt und ihre Kompetenzen reduziert wurden: „Ich hatte dann nur noch eine Sekretärin, einen persönlichen Referenten und einen Fahrer.“ Für eine Übergangszeit sei dann überhaupt nicht mehr klar gewesen, „was wir eigentlich durften und was nicht“. Sie wurden von Kabinettssitzungen ausgeschlossen und konnten ihre Minister im Landtag nur vertreten, so lange keine Gesetzesvorlagen eingebracht wurden. In der Landtagsfraktion gab es gegen ihre Entmachtung keinen erkennbaren Widerstand. Nach Nollaus Überzeugung waren die Abgeordneten zu diesem Zeitpunkt „noch zu blauäugig und naiv“, um den auf dem Verordnungsweg realisierten Machtentzug aus der Landtagsfraktion überhaupt richtig deuten zu können, und machten „sich wegen uns nicht stark“.323 Mit ihrer Entmachtung ging eine Funktionsverschiebung einher. Die Parlamentarischen Staatssekretäre blieben Landtagsabgeordnete und sollten als Bindeglied zwischen Staatsregierung und Landtag dienen. Sie waren, so Münch, „Könige ohne Land“ und hatten „eine große politische Verantwortung“. Allerdings seien ihnen nun andere Funktionen zugewachsen. So wurden aus der Bevölkerung Detailprobleme an sie herangetragen, „die man einem Westbeamten nicht anträgt“ und für die man beim Minister keinen Termin erhält. Der Vorteil sei gewesen, dass dadurch manche Entscheidungen im Lande beschleunigt wurden.324 Diese wie die anderen Funktionen hatten sie freilich mehr oder weniger mit allen Landtagsabgeordneten gemein. Mit dem Ende der ersten Legislaturperiode 1994 wurde die Funktion der Parlamentarischen Staatssekretäre abgeschafft. Es gab im Kabinett eine ausführliche Beratung, bei der beschlossen wurde, „wir brauchen keine Vertretungen der Kabinettsmitglieder durch Parlamentarische Staatssekretäre, wir machen das durch den normalen Staatssekretär. Beide können ja sowieso nicht mitstim321 322 323 324

Interview Volker Nollau. Interview Kurt Biedenkopf. Interview Volker Nollau. Interview Helmut Münch am 23. 4. 2003.

Beginn der Arbeit des Kabinetts

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men.“325 Unter den Betroffenen waren die Reaktionen unterschiedlich. Husemann erklärte im Nachhinein, Parlamentarische Staatssekretäre gäben „keinen Sinn bei einer Regierung, die eine absolute Mehrheit hat“.326 Münch meint, es gäbe „noch heute Leute, auch in den Regionen, die das außerordentlich bedauern. Die sagen, da haben wir einen Ansprechpartner gehabt, wir konnten zu jeder Zeit kommen und da hat sich jemand für uns sofort eingesetzt.“ Sein Minister habe ihm 1994 erklärt, alle Abteilungsleiter hätten sein Ausscheiden bedauert. Angesichts des Funktionswandels sei die Entscheidung aber „letzten Endes nachvollziehbar“ gewesen.327

7.2.3 Beginn der Arbeit des Kabinetts unter Kurt Biedenkopf Dank der intensiven Arbeit des Koordinierungsausschusses fand Biedenkopf gute Voraussetzungen für den Aufbau der Landesregierung vor und musste in der Grundstruktur nur wenig Änderungen vornehmen.328 Die unverbindlichen Vorarbeiten beeinträchtigten seinen Gestaltungsspielraum nicht. Er selbst betonte, dass dieser ohnehin größer gewesen sei, als er es in einem Amt im Westen je hätte sein können. Anders als auf Bundesebene, wo das Beitrittsgebiet die bundesdeutsche Ordnung in allen wesentlichen Grundstrukturen und -funktionsweisen übernahm, gab es in Sachsen nur unzureichende rechtliche Rahmenbedingungen und keine verbindlich vorgeprägten Landesstrukturen. Wie das Motto seines Handelns las sich in diesem Zusammenhang seine Stellungnahme im Wochenblatt „Der Spiegel“: „Wir müssen lernen durch Handeln. Denn alles, was wir machen, ist neu [...] Wir werden sicher viele Fehler machen. Wer durch Handeln lernt, lernt auch durch Fehler.“329 Trotz früherer Differenzen setzte Biedenkopf von Beginn seiner Regierungsarbeit auf Kooperation mit dem Bundeskanzler. Da auch dieser die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit sah, sandten beide Seiten entsprechende Signale aus. CDU-Generalsekretär Volker Rühe war sich nach der Wahl am 14. Oktober sicher, dass es zwischen Kohl und Biedenkopf eine „hervorragende Kooperation“ geben werde.330 Der Konflikt mit Kohl, so Biedenkopf am 21. Oktober, sei angesichts der Aufgabe, die ins Haus stehe, „mit Sicherheit bedeutungslos“ geworden.331 Anfang November erklärte er gar, er wisse, „dass ich ohne Kohl hier nichts schaffen werde“.332

325 326 327 328 329 330

Interview Kurt Biedenkopf. Interview Klaus Husemann. Interview Helmut Münch am 29. 2. 2000. Interview Georg Milbradt. Interview Kurt Biedenkopf. In: Der Spiegel vom 22.10.1990. Interview Volker Rühe am 14.10.1990. In: Deutschland 1990, Band 94, S. 454 (deurftv sat am 14.10.1990). 331 Interview Kurt Biedenkopf. In: Deutschland 1990, Band 95, Bl. 846 (SWF 1 am 21.10. 1990, 12.45 Uhr). 332 Kurt Biedenkopf. Zit. in Die Zeit vom 2.11.1990.

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Am Anfang der Arbeit stand der Aufbau der Ministerien samt nachgeordneter Landesverwaltung. Nach Berufung der Minister wurden die Ministerien von oben nach unten gebildet. Zu diesem Zeitpunkt hatten alle Ministerien und die Staatskanzlei zusammen rund sechzig Mitarbeiter. „Die Aufgabe, vor der wir standen“, so Biedenkopf, „war, in kürzester Zeit die Ministerien aufzubauen“, was bedeutete, zirka fünfzig Abteilungsleiter und rund vierhundert Referatsleiter zu berufen.333 Aber nicht nur hinsichtlich des Aufbaus einer funktionierenden Landesverwaltung stand die Staatsregierung von Anfang an unter enormem Effizienzdruck, war die Verwaltung doch eine unabdingbare Voraussetzung für einen zügigen Aufbau der Wirtschaft. Einem Experten wie Biedenkopf war klar, dass Verzögerungen notwendiger Investitionen und Behinderungen einer prosperierenden Wirtschaftsentwicklung oft die Folge unzulänglicher Verwaltungsstrukturen sind. Zugleich musste seine Regierung die rasch einsetzenden Forderungen nach Rechtsstaatlichkeit, Verantwortlichkeit der Verwaltung und demokratischer Kontrolle, die nach den bisherigen Erfahrungen im diktatorischen System besonders hoch waren, erfüllen. Die Staatsregierung fand sich im Spannungsverhältnis zwischen Effizienz und Rechtsstaatlichkeit wieder, das sich als „Dilemma der Gleichzeitigkeit“ der parallelen Schaffung marktwirtschaftlicher Strukturen und eines konsolidierten Verwaltungssystems ausdrückte.334 Die alternativlose Praxis, Verwaltungsstrukturen zu bilden und gleichzeitig landespolitische Aufgaben wahrzunehmen, wurde als „gleitende Projektierung“ bezeichnet.335 Am 8. November gab Ministerpräsident Biedenkopf nach der Vereidigung der Minister vor dem Landtag seine Regierungserklärung ab.336 Er sah die Bildung des Freistaates Sachsen in der Tradition der friedlichen Revolution, betonte aber auch die Rolle der Bundesrepublik und des Bundeskanzlers im Umbruchprozess. Der erste Teil der Revolution sei mit der staatlichen Einheit erreicht, und nun gelte es, die Kräfte auf den Aufbau von Regierung und Verwaltung, die Verabschiedung einer Landesverfassung, die Überwindung der Altlasten des SED-Regimes und die generelle Erneuerung des Landes zu konzentrieren. Derzeit, so seine nüchterne Feststellung, sei der Freistaat „praktisch ohne Landesverwaltung“. Biedenkopf blieb in seinen Aussagen eher allgemein und richtete sich in weiten Passagen nicht nur an die sächsische Bevölkerung, sondern auch an die Bevölkerung und politisch Verantwortlichen in den westlichen Bundesländern. Besonders betonte er die nunmehr von allen zu tragende Belastung und wies darauf hin, dass der Länderfinanzausgleich früher als zur Stunde geplant Anwendung finden müsse. Andererseits stellte er die Bedeutung Sachsens für das vereinte Deutschland heraus. Die Opposition kritisierte in der nachfolgenden Debatte am 15. November vor allem, die Erklärung enthalte 333 Biedenkopf, Regierungs- und Verwaltungsprobleme, S. 23. 334 Vgl. Häußer, Die Staatskanzleien, S. 110. 335 Vgl. Fiedler, Die politische Entwicklung. In: Freistaat Sachsen 1991/92. Das Jahrbuch, S. 54. Siehe Kap. 7.2.6. 336 Sächsischer Landtag, 1. WP, 2. Sitzung am 8.11.1990, Bl. 52–66.

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Bild 14: Regierungserklärung von Ministerpräsident Prof. Kurt Biedenkopf am 8. November 1990 vor dem Sächsischen Landtag.

kaum konkrete Aussagen für die künftige Regierungsarbeit.337 Sie sei dadurch für alle Parteien konsensfähig. SPD-Fraktionschef Karl-Heinz Kunckel erklärte, die SPD könne der Regierungserklärung in vielen Dingen zustimmen, weil sie so unverbindlich sei. Sie enthalte „Hausmannskost“ und statt konkreter Lösungen vage Feststellungen. Sachsens Bürger seien über den Hoffnungsträger enttäuscht. Auch der Fraktionsvorsitzende der Linken Liste/PDS, Klaus Bartl, erklärte, die Erklärung enthalte keine klaren Konzepte. Kritisiert wurde von der Opposition unter anderem auch, dass Biedenkopf kein eigenes Kulturministerium geschaffen hatte. Schon zuvor hatten die Opposition und gesellschaftliche Gruppierungen die Schaffung weiterer Ministerien vorgeschlagen. So forderte 337 Sächsischer Landtag, 1. WP, 3. Sitzung am 15.11.1990, Bl. 72–95.

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ein „Sächsisches Frauenforum“, was sich am 23. September in Dresden konstituierte, ein eigenes Familienministerium.338 Ende Oktober setzte sich die SPD für ein Landesbauministerium ein. Landesvorsitzender Lersow meinte, die Aufgaben in dieser Branche seien zu vielfältig, als dass sie eher beiläufig bewältigt werden könnten.339 In einer ersten Stellungnahme zum Kabinett Biedenkopf hatte Kunckel am 7. November kritisiert, dass der Ministerpräsident ein Bauministerium nicht für notwendig halte. Bedauerlich sei auch, dass die Bereiche Kunst und Kultur nicht durch ein eigenes Ministerium vertreten seien. Für die Sozialdemokraten stellten diese entscheidende Merkmale sächsischer Identität dar. Die Bildung eines „Superministeriums“ Wirtschaft und Arbeit solle „offenbar annoncieren, dass es keine Interessengegensätze zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern mehr“ gebe, was so aber nicht stimme. Begrüßt wurde die Berufung von Friederike de Haas zur Frauenbeauftragten im Range einer Parlamentarischen Staatssekretärin, „wenn auch die Einrichtung eines Frauenministeriums noch besser gewesen wäre.“ Bedauerlich sei allerdings, dass mit Stefanie Rehm nur eine einzige Frau der Ministerriege angehöre.340 Die anfängliche Arbeitsatmosphäre im Kabinett und in den Ministerien ist den meisten Akteuren trotz enormer Belastungen in bester Erinnerung geblieben. Zunächst war der Arbeitsstil, bedingt durch die Tatsache, dass noch keine hinlängliche Verwaltung existierte, oft unkonventionell. Es gab, so Wicker, „ungeheuer kurze Wege“, und es mussten oft Entscheidungen „unter Missachtung von Zuständigkeiten durch interministerielle Besprechungen am frühen Morgen oder am späten Abend oder auch am Wochenende getroffen“ werden.341 Es waren, so auch Wolfgang Fröhlich, Zeiten, in denen man unkonventionell arbeiten konnte und musste und in denen die Zwänge der Bürokratie oder Ressortegoismen noch kaum eine Rolle spielten.342 Die Arbeit im Kabinett wurde stark durch die Persönlichkeit des Ministerpräsidenten geprägt. Heitmann erinnert sich, dass Biedenkopf eine „sehr angenehme Art“ hatte, die Kabinettssitzungen zu leiten. Positiv habe sich ausgewirkt, dass er für alle Regierungsmitglieder von Anfang an eine anerkannte Autorität gewesen sei. Er habe sehr darauf geachtet, dass in den Sitzungen ein angenehmer Umgangston herrschte, und nicht zugelassen, dass dieser im Eifer des Gefechts durchbrochen wurde. Dennoch habe es „eine ernsthafte und gewissenhafte Auseinandersetzung um die Probleme“ gegeben. Alle Minister seien, wenn auch in unterschiedlichem Umfang, zu Wort gekommen. Manchmal habe einer angesichts der Fülle der Probleme durchsetzen müssen, dass man ihm zuhörte. Biedenkopf selbst habe gern und manchmal auch lange referiert. Den geringsten Widerspruch habe er von Schommer erhalten, den häufigsten von Vaatz, Milbradt, Heitmann und, „in seiner feinen Art“, 338 Vgl. Die Union vom 25. 9. und 22.10.1900. 339 Vgl. ebd. vom 19.10.1990. 340 Sächsischer Landtag, Fraktion der SPD: Presseerklärung von Karl-Heinz Kunckel vom 7.11.1990 (AdSD, SPD-LV Sachsen 3/SNAB000019). 341 Wicker, Der Anteil der alten Länder, S. 64–67. 342 Interview Wolfgang Fröhlich.

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auch von Geisler.343 Vaatz, so Sagurna, galt in den Augen Biedenkopfs vor den Kabinettsmitgliedern eher als Heitmann als „der Sprecher der Ostdeutschen“. Bei Fragen, die aufgrund ihrer Biographie von Westdeutschen kaum oder schwer zu beurteilen waren, habe Vaatz „immer das letzte Wort“ gehabt, und in der Regel sei Biedenkopf ihm darin auch gefolgt.344 Nach Meyers Eindruck verbreitete Biedenkopf eine Grundstimmung, die durch die Überlegung geprägt war: „Wir sind hier jetzt eine Truppe und wir müssen gemeinsam erfolgreich sein.“345 Auch Milbradt erinnert sich gern an die „außerordentlich kollegiale“ Zusammenarbeit im Kabinett. Obwohl jeder mit seinen Aufgaben zu tun gehabt habe und es manchmal „sehr stressig“ gewesen sei, habe sich „eine gewisse Verbundenheit“ ergeben, die bis zum Schluss typisch für das Kabinett gewesen sei. Eine Folge daraus sei die im Vergleich mit den anderen neuen Bundsländer einmalige personelle Stabilität gewesen. Das sonst übliche Hickhack zwischen Ministern sei in Sachsen erst viel später gekommen.346 Eine besondere Rolle für die Regierungsarbeit spielte in den ersten Jahren die „Regierungskommune“ in der Schevenstraße. Da der Umbau der Staatskanzlei noch nicht abgeschlossen war, traf sich das Kabinett in den ersten Wochen hier, direkt über dem „Blauen Wunder“, der bekannten Dresdner Stahlbrücke. Zuvor hatte das Objekt als Gästehaus des MfS gedient. Da sein Umbau erst im Juli 1989 abgeschlossen worden war, hatte sich Erich Mielke nur einmal in der für DDR-Verhältnisse luxuriösen Villa aufgehalten. Nun diente das Haus nicht nur als Ersatzregierungsgebäude, sondern es beherbergte angesichts der katastrophalen Wohnraumsituation in der DDR auch etliche Minister und Staatssekretäre der Staatsregierung aus dem Westen, die sonst kaum eine Möglichkeit gehabt hätten, angemessenen oder überhaupt Wohnraum zu finden. Unmittelbar nach den Landtagswahlen hatte Biedenkopf ihnen das Mitwohnen in der Villa angeboten, die eigentlich nur für ihn und seine Familie zur Verfügung stand. Von der Möglichkeit, „Deutschlands erste und einzige Wohnkommune für regierende Politiker“347 zu beziehen, machten – wenn auch nicht alle zur gleichen Zeit – die Minister Schommer und Milbradt sowie die Staatssekretäre Günter Meyer, Hans Reckers, Wolfgang Nowak, Hermann Kroll-Schlüter und Rüdiger Thiele Gebrauch. Hinzu kamen Biedenkopfs Büroleiterin Ina Martens und Sekretärinnen. Ostdeutsche Regierungsmitglieder waren auf diese Art der Unterbringung nicht angewiesen, kamen aber gelegentlich zur gemeinsamen Beratung beim Abendessen. Dennoch entstand durch die Enge des Zusammenwohnens eine „Konvektion“ unter den Westdeutschen und eine Nähe, die auch dadurch befördert wurde, dass Biedenkopf und Milbradt sich bereits seit längerem gut kannten und Schommer als „Verehrer von Biedenkopf“ zur Runde 343 344 345 346 347

Interview Steffen Heitmann. Interview Michael Sagurna. Interview Hans Joachim Meyer am 3. 3. 2003. Interview Georg Milbradt. Gabor Steingart: „Machtzentrum in der Küche. Über die Wohnkommune von Sachsens Regierungschef Kurt Biedenkopf.“ In: Der Spiegel vom 29. 7.1991, S. 26–28.

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Bild 15: Das 1. Kabinett Biedenkopf November 1990 (v. l. n. r.: Friederike de Haas, Hans Geisler, Arnold Vaatz, Karl Weise, Rudolf Krause, Rolf Jähnichen, Kajo Schommer, Kurt Biedenkopf, Hans Joachim Meyer, Stefanie Rehm, Steffen Heitmann, Georg Milbradt).

stieß.348 Zwischen den Bewohnern bildete sich ein enges informelles Netz, das sich positiv auf die Regierungsarbeit auswirkte.349 Hier wurden Kabinettsentscheidungen vordiskutiert und permanent der Stand der täglichen Arbeit abgeglichen, was nach Schommers Überzeugung „ohne die Kommune nicht geschafft“ worden wäre: „Wir brauchten uns um nichts zu kümmern. Frühstück, Mittagessen, Abendessen – immer. Die Zimmer waren toll. Ich hatte ein ZweiZimmer-Appartement, das wurde sauber gemacht, Bettwäsche, alles war frisch. Keine Kaffeesahne, die sauer wurde, es war alles da, gutes Essen, selbst Müsli. Es war toll, es war wirklich toll.“ Gelegentlich habe man auch bei Schnaps und Bier Probleme gelöst und sich hin und wieder mit der First Lady gestritten, „wenn sie mal ein bisschen zu weit ging“ oder „ein bisschen rigoros“ wurde.350

348 Interview Steffen Heitmann. 349 Vgl. Häußer, Zum Aufbau von Regierungszentralen, S. 135. 350 Interview Kajo Schommer.

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7.2.4 Ministerien und Staatskanzlei Sächsische Staatskanzlei:351 Staatsminister und Chef der Staatskanzlei wurde Arnold Vaatz. Aus Sicht von Biedenkopf sprach einiges dafür, den bisherigen Leiter des Koordinierungsausschusses mit dieser Funktion zu betrauen, war er doch von dessen Begabung und Kompetenz überzeugt. Bereits am 11. September hatte er in sein Tagebuch notiert, Vaatz erweise sich im Gespräch als „ein ungewöhnlich kompetenter, mit der schwierigen Materie umfassend vertrauter junger Mann“, der „offensichtlich hoch begabt“ sei. Er müsse seine bisherige Einschätzung, es handle sich „um einen eher zum Jakobinertum tendierenden Revolutionär“ nachhaltig revidieren.352 Entscheidend für seine Überzeugung, Vaatz werde „in der Staatskanzlei unverzichtbar“ sein,353 war auch der erheblich Einfluss, über den er aufgrund seiner bisherigen Landesbildungsarbeit nach wie vor verfügte. Biedenkopf selbst hatte ihn unmittelbar nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten zu seinem Stellvertreter ernannt. Dies, sowie die Tatsache, dass Vaatz zunächst tatsächlich die Fäden in der Hand hielt und eine Übersicht über die Zusammenhänge im Land hatte, waren für Biedenkopf zwingende Gründe, ihn an vorderster Stelle ins Kabinett zu berufen. Bereits am 25. Oktober wusste das baden-württembergische Koordinierungsbüros in Dresden nach Stuttgart zu berichten, Vaatz solle Staatssekretär in der Staatskanzlei, Michael Muster nachgeordneter Amtschef werden. Der Mitarbeiter der CDU-Landtagsfraktion, Erhard Weimann, werde das Büro des Ministerpräsidenten, die beiden Baden-Württemberger Wolfgang Fröhlich und Dieter Hauswirth eine dem Ministerpräsidenten unmittelbar zugeordnete Task Force leiten.354 Die Informationen zeigen vor allem, dass noch kurz vor der Besetzung der Spitzenpositionen der Staatskanzlei kaum mehr als Spekulationen gehandelt wurden. Vaatz jedenfalls hatte keinesfalls die Absicht, sich mit der Funktion eines Staatssekretärs zufrieden zu geben. Er pokerte in dieser Hinsicht hoch, wusste er doch, dass er auf Grund seiner bisherigen Funktionen und aus Prestigegründen für Biedenkopf kaum verzichtbar war. Noch weniger konnte dieser es sich zu Beginn seiner Amtszeit leisten, ihn als Gegner zu haben. Heute meint Vaatz, diesbezüglich „ganz emotionslos“ gewesen zu sein und die Funktion eines Staatsminister in der Staatskanzlei nicht unbedingt angestrebt zu haben. Ein einfaches Landtagsmandat hätte er einer Funktion als beamteter Staatssekretär vorgezogen. Auch habe er nicht die Absicht gehabt, „Innenminister oder so etwas“ zu werden. Schon gar nicht habe er sich „als Abteilungsleiter II oder so etwas verheizen“ lassen wollen.355 Auch wenn seine nachträglich behauptete Bescheiden351 Zu Struktur und Arbeitsweise der Staatskanzlei vgl. im Einzelnen Häußer, Zum Aufbau von Regierungszentralen, S. 132–149. 352 Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 332. 353 Ebd., S. 365. 354 SMBW, Abt. I: Vermerk für Ministerpräsident Späth zur Information vom 25.10.1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). 355 Interviews Arnold Vaatz am 21. 6. 2000 und 16. 4. 2003.

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heit hinsichtlich einer führenden Funktion in der Exekutive wenig plausibel erscheint, hätte er damit doch plötzlich und ohne erkennbaren Sinn auf einen Schlussspurt in der Politik eines personellen Neuanfangs in der Landeverwaltung verzichtet, so war andererseits sein vitales Interesse an einem Landtagsmandat plausibel, wollte er dort doch die schwache Front der neuen Kräfte stärken. Wegen dieser Prämisse seines politischen Handelns aber kann er nicht wirklich daran gedacht haben, den schwer errungenen Einfluss einfach aus der Hand zu geben. Da für ihn als Abgeordneten aber die Funktion eines beamteten Staatssekretärs nicht in Frage kam und er als Parlamentarischer Staatssekretär wiederum keine Weisungsbefugnis in der Staatskanzlei besessen hätte, so fügte es sich glücklich, dass nur ein Ministeramt an der Seite des Ministerpräsidenten blieb. Wenn, so seine unbescheidene, aber berechtigte Botschaft an Biedenkopf, dann würde er als Chef der Staatskanzlei antreten. Biedenkopf, der eigentlich profilierte Vertraute aus früheren Zeiten um sich scharen wollte, um den schwierigen Neuanfang zu meistern, der sich aber auch in die Traditionslinie des Koordinierungsausschusses stellen wollte, stimmte nolens volens „um den 20. November herum“356 zu und ernannte ihn zum Staatsminister und Chef der Staatskanzlei. In dieser Funktion vereinte Vaatz eine erhebliche Machtfülle in seiner Hand und konnte dennoch als Abgeordneter in den Landtag einziehen.357 Nach den Planungen des Arbeitsstabes „Staatskanzlei“ von Anfang Oktober war eigentlich kein Staatsminister vorgesehen gewesen. Zunächst sollte dem Ministerpräsidenten ein Staatssekretär und ein Amtschef der Staatskanzlei unterstellt werden, wobei der Staatssekretär für Bundes- und Europaangelegenheiten verantwortlich sein sollte. Die Kanzlei sollte in die vier Abteilungen 1. Personal, Verwaltung, EDV, 2. Richtlinien der Politik, 3. Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Medien, Pressesprecher sowie 4. Gesetzgebung und Recht gegliedert werden.358 Diese Planung war nun hinfällig, und Vaatz war als Staatsminister zugleich oberster Amtschef der Landesregierung. In dieser Funktion hatte er die Arbeit der Ministerien zu koordinieren sowie in der wöchentlichen Vorkonferenz mit den Amtschefs die Kabinettssitzungen vorzubereiten. Sein Ziel, Hirschle zum Amtschef der Staatskanzlei und Kammerschen zum Abteilungsleiter für Politische Koordinierung zu machen,359 konnte Vaatz jedoch nicht durchsetzen. Hier kam es offensichtlich zu Auseinandersetzungen mit Biedenkopf. Späth erhielt am 26. Oktober die Information, im Verhältnis Biedenkopf – Vaatz gebe es „atmosphärische Störungen“, weil Biedenkopf „in Schlüsselpositionen um sich herum Gefolgsleute aus Nordrhein-Westfalen installieren“ wolle. Die von Vaatz favorisierten Baden-Württemberger kämen

356 357 358 359

Interview Wolfgang Brückl. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 409 f. Organisationsplan der SStK vom 5.10.1990 (HAIT, KA, 10.4). Arnold Vaatz an Kurt Biedenkopf vom 2.11.1990. Zit. in Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 194–196.

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„erst in zweiter Linie zum Zuge“.360 Sonst aber schien das Verhältnis recht ungetrübt, und für Außenstehende waren Spannungen nicht spürbar,361 obwohl statt wie von Vaatz gewünscht, nicht Hirschle, sondern Biedenkopfs Vertrauter Günter Meyer am 4. Dezember vom Kabinett zum Staatssekretär in der Staatskanzlei berufen wurde.362 Meyer war in der Zeit Generalsekretär der CDU von Westfalen-Lippe gewesen, als Biedenkopf die beiden CDU-Landesverbände Nordrhein und Westfalen-Lippe zum neuen CDU-Landesverband NordrheinWestfalen vereinigt hatte und dessen neuer Landesvorsitzender geworden war. Beim Versuch, Meyer auch zum Generalsekretär des fusionierten Landesverbandes zu machen, war Biedenkopf am Block der von Bernhard Worms repräsentierten Rheinländer gescheitert. Auf Intervention Kohls hatte schließlich Arbeitsminister Norbert Blüm als Kompromisskandidat die Führung des Landesverbandes übernommen. Meyer war zur Konrad-Adenauer-Stiftung gewechselt und sollte 1990 gerade deren neu eröffnetes Büro in Wien übernehmen, als ihn Biedenkopf nach Sachsen rief. Während Vaatz nun offiziell als „Chef der Staatskanzlei“ firmierte, erhielt Meyer den Titel „Amtschef“. Weil Biedenkopf ihn unbedingt bei sich haben wollte, hatte er ihm angeboten, „Amtschef unterhalb des Chefs der Staatskanzlei, sozusagen für den Innendienst“ zu werden.363 Damit entstand um das persönliche Büro des Ministerpräsidenten eine engere Führungsspitze aus seinen bisherigen Vertrauten. Probleme ergaben sich in der Folge daraus, dass die Verantwortungsbereiche des Chefs und des Amtschefs der Staatskanzlei schwer abzugrenzen waren. Meyers Bestreben war es von Anfang an, „zu klären, was er denn überhaupt dort soll; welche Funktion er wahrnehmen soll“.364 Aufgrund der langjährigen Beziehung zu Biedenkopf genoss er dessen Vertrauen und Respekt, während Sagurna das Verhältnis des Ministerpräsidenten zu Vaatz eher wie eine Vater-Sohn-Beziehung erschien. Meyers Einfluss, so der spätere sächsische Regierungssprecher, sei von Anfang an „sehr stark, vermutlich dominant“ gewesen, jedoch habe er sich loyal verhalten und Vaatz’ Position nicht in Frage gestellt. Nach anfänglichen Schwierigkeiten bei der Abgrenzung der Verantwortungsbereiche sei das „ganz gut gelungen“.365 Dabei dachte Vaatz vor allem politisch, während Meyer wohl nicht zu Unrecht als „unauffällig-effektiver Beamter ohne eigene politische Ambitionen“ beschrieben worden ist, der die Leitung der Staatskanzlei Stück für Stück an sich gezogen habe.366 Tatsächlich fiel ihm bereits 1991 bei schrittweiser Zurückdrängung von Vaatz und dessen Vertrauten immer mehr die Schlüsselstellung in der 360 SMBW, Abt. I: Vermerk für Ministerpräsident Späth vom 26.10.1990 [Handschr.: Lag dem MP vor] (SMBW, I 0305.0. 1990). Siehe auch Kap. 7.2.2. 361 Interview Wolfgang Fröhlich. 362 Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Bericht vom 3.–9.12.1990 (PB Manfred Kolbe). 363 Interview Günter Meyer. 364 Interview Dieter Angst. 365 Interview Michael Sagurna. 366 Wendt, Kurt Biedenkopf, S. 133.

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Staatskanzlei zu, bis er im Januar 1992 offiziell zum „Chef der Staatskanzlei“ avancierte, was er dann bis Ende 1996 auch blieb. Neben Meyer berief Biedenkopf im Januar 1991 den von Vaatz empfohlenen Clearing-Koordinator des Bundes für Sachsen, Günter Ermisch, zum Staatssekretär und Bevollmächtigten für Bundes- und Europaangelegenheiten.367 Obwohl dieser zunächst kein nachhaltiges Interesse hatte, ließ er sich schließlich überreden und übernahm die Aufgabe, weil sie ihn reizte und er in Bonn wohnen bleiben konnte.368 Ein Europabeauftragter war notwendig, waren die neuen Bundesländer und Berlin doch mit dem Vollzug der staatlichen Vereinigung zugleich in die Europäische Gemeinschaft aufgenommen worden. Diese Eingliederung fand zwar kaum öffentliche Aufmerksamkeit, hatte aber ungeachtet dessen erhebliche Auswirkungen auf die sächsische Wirtschaft.369 Bereits im September hatte es dazu Beratungen mit Vertretern der EG gegeben, an denen auch Vertreter der Bezirksverwaltungsbehörde Dresden teilgenommen hatten.370 Während Ermisch in dieser Funktion zugleich Koordinator der sächsischen Landesvertretung beim Bund wurde, übernahm der bisherige stellvertretende Chemnitzer Regierungsbevollmächtigte, Paul-Willy Heilmann, die Funktion des Dienststellenleiters, bevor er 1991 als Abteilungsleiter Wirtschaft zurück ins Chemnitzer Regierungspräsidium wechselte.371 Die Landesvertretung fand zunächst in den Räumen der Landesvertretung Baden-Württembergs eine Gastunterkunft,372 bevor sie sich im Juni 1991 im Gebäude der ehemaligen Ständigen Vertretung der DDR in Bonn einrichtete.373 Von Ermisch wurden von hier aus alle mit dem Bund und Europa zusammenhängenden Fragen behandelt. Ein Schwerpunkt der europäischen Arbeit war die Integration Sachsens in die Wirtschaftsstrukturen der EG,374 ein anderer die Beteiligung Sachsens an der „Ständigen Konferenz der Gemeinden und Regionen im Europarat“ in Brüssel, einer Einrichtung, die im Vertrag von Maastricht vereinbart war, und mit der den Kommunen und Regionen in Europa eine Plattform in Form einer beratenden Versammlung in Brüssel geboten wurde.375 Von Dresden aus wur367 368 369 370

371 372 373 374 375

FAZ vom 10.1.1991. Interview Günter Ermisch. Vgl. Laufer/Münch, Die Neugestaltung, S. 237. Die BVB Dresden vertraten Gerhard Fischel und Iris Mihlis. Notiz über die 2. Beratung von Vertretern der BVB der DDR und zentralen Ministerien mit Vertretern der EG und für EG-zuständigen Beamten der Bundesländer NRW und Rheinland-Pfalz vom 10. 9. 1990 (AThLT, 0/ B0416/18); Notiz über die 3. Beratung von Vertretern der BVB der DDR und zentralen Ministerien mit Vertretern des Bundeswirtschaftsministeriums, des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (MLHA, BT/RdB Schwerin, 37922). Interview Günter Ermisch. Geschäftsstelle des Koordinierungsausschusses: Protokoll der Leiterrunde am 17.10. 1990 (HAIT, Iltgen, 3). Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Bericht vom 17.–23. 6.1991 (PB Manfred Kolbe). Vgl. Wegner, Die Neuen Bundesländer in der EG. Interview Günter Ermisch.

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de bereits wenige Wochen nach Gründung des Freistaates die Bildung einer Euroregion Böhmen-Sachsen-Schlesien in Angriff genommen.376 Parlamentarische Staatssekretärin wurde die Beauftragte der Staatskanzlei für Fragen der Gleichstellung, Friederike de Haas, bis ihre Funktion 1994 in den Rang einer Staatsministerin erhoben wurde. In der Staatskanzlei wurden zunächst nach und nach Abteilungsleiter und Referatsleiter eingestellt, letztere vor allem ab 1991. Abteilungsleiter 1 für Personal wurde Herr Ball von der Bundeswehrverwaltung Koblenz. Vaatz hat ihn in guter Erinnerung, weil er stets nach Möglichkeiten gesucht habe, Ostdeutsche einzustellen, obwohl dies von deren fachlichen Voraussetzungen her eigentlich nahezu unmöglich gewesen sei. Als Abteilungsleiter 2 hatte Vaatz zunächst Kammerschen vorgesehen, „weil er über die ganzen Vorbereitungsphasen bestens orientiert und der einzige war, der einen Überblick über das Personal und die jeweiligen politischen Beweggründe hatte, die hinter jedem einzelnen standen“. Es sei aber schnell klar geworden, dass man für eine funktionierende Landesverwaltung einen Beamten brauchte, der sich „auf die Zuordnungs- und Verwaltungsaufgaben und auch auf die Aufgabenverteilung versteht“. Über diese Voraussetzungen verfügte Kammerschen als Berufsanfänger nicht, weswegen er bald durch Gerhart Kunze aus der Berliner Senatskanzlei ersetzt wurde.377 Ende Oktober verständigten sich Vaatz und Biedenkopf darauf, den ostdeutschen Leiter des Arbeitsstabes Staatskanzlei des Koordinierungsausschusses, Michael Kinze, zum Regierungssprecher und Abteilungsleiter 3 für Öffentlichkeitsarbeit zu berufen.378 Von der Referatsleiterstellen wurden nur wenige relativ schnell besetzt. Bernd-Dietmar Kammerschen übernahm nach seiner Episode als Abteilungsleiter das Grundsatzreferat, Michael Merker das Personalreferat in der Abteilung 1, das peu à peu das gesamte Personal einstellte.379 Referatsleiter wurde auch Wolfgang Friedrich, bislang tätig im baden-württembergischen Verbindungsbüro in Chemnitz. Wolfgang Brückl übernahm bis August 1991 die Leitung des Büros von Vaatz; danach war er als Referatsleiter für die sächsische Medienlandschaft zuständig.380 Sitz der „werdenden Staatskanzlei“ blieb zunächst auch nach der Landtagswahl im Oktober eine Suite im Interhotel „Bellevue“, bevor die provisorische Staatskanzlei Anfang November in das ehemaliges Gästehaus des MfS in der Schevenstraße umzog.381 Hier arbeitete sie noch wochenlang räumlich abgetrennt vom übrigen Regierungsapparat außerhalb des Stadtzentrums, hier etablierte sich auch die Wohnkommune der Regierung.382 Erst als ein Hochsicher376 377 378 379 380

Vgl. Biedenkopf, Einheit und Erneuerung, S. 325. Interview Arnold Vaatz am 21. 6. 2000. Interview Günter Meyer. Interview Michael Merker. Interview Wolfgang Brückl. Die Besetzung der Referatsleiterstellen wird nur exemplarisch erwähnt. 381 Vgl. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 394 und 406. 382 Siehe Kap. 7.2.3.

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heitstrakt fertiggestellt und einzelne Ministerien aus dem Gebäude am RudolfFriedrichs-Ufer ausgesiedelt waren, zog die Staatskanzlei um und bezog hier zunächst Räume in dem Gebäude, in dem auch Teile des Innen-, Wissenschafts-, Kultus- und Justizministeriums unterkamen.383 Die arbeitstechnischen Voraussetzungen waren zunächst „äußerst bescheiden“, was aber, so Wolfgang Friedrich, „durch Idealismus ausgeglichen“ wurde. Zunächst sei viel improvisiert worden. Biedenkopfs Ziel sei es gewesen, die Staatskanzlei möglichst klein zu halten. In den ersten Wochen der Arbeit hätten Personalfragen nur am Rande interessiert, eher sei es darum gegangen, die Arbeit ohne große bürokratische Formen zu bewältigen.384 Die Staatskanzlei bestand Anfang Dezember 1990 einschließlich Ministerpräsident und Kraftfahrer aus 39 Personen.385 Anfang 1991 ging die Besetzung der Staatskanzlei weiter. Michael Merker erinnert sich, dass zu diesem Zeitpunkt die Bewerbungen bereits waschkörbeweise im Zimmer standen. Sie wurden gesichtet und es wurde eine engere Auswahl getroffen. Hinzu kamen Empfehlungen und Selbstbewerbungen „aus anderen Kanälen“. Alle Möglichkeiten und Kenntnisse wurden genutzt, um die Staatskanzlei optimal zu besetzen.386 Sehr viele Bewerbungen kamen von bisherigen Mitarbeitern des Staatsapparates und der aufgelösten NVA. Diese hatten kaum Chancen auf eine Anstellung.387 Aus der unklaren Kompetenz- und Arbeitsteilung zwischen Vaatz und Meyer erwuchs im Lauf des Jahres 1991 ein Konflikt, der letztlich zum Wechsel von Vaatz in das Staatsministerium für Umwelt und Landesentwicklung führte. Aus seiner Perspektive bauten sich innerhalb der Staatskanzlei bald „zwei rivalisierende Personalkörper“ auf. Einer stand in der Kontinuität des Koordinierungsausschusses und wurde von Vaatz repräsentiert, der andere gruppierte sich um Meyer, den 1991 als Abteilungsleiter aus Niedersachsen kommenden Hans-Werner Wagner und um Biedenkopfs Büroleiterin Ina Martens. Diese neuen Mitarbeiter, so Vaatz, seien ihm bei ihrer Einstellung nicht einmal vorgestellt worden und hätten von Anfang an „das Vertrauen des Ministerpräsidenten“ genossen. Durch diese Personalpolitik habe sich eine „Staatskanzlei in der Staatskanzlei“ entwickelt, in deren Folge er nur noch als „Grüß-Gott-August“ gedient habe.388 Nach Meinung von Kajo Schommer lag die Ursache des Konflikts freilich nicht in einer verfehlten Personalpolitik, sondern in Spannungen, die sich ergaben, „als Biedenkopf immer deutlicher zeigte, wer nun das Sagen hat“. Vaatz, so Schommer, habe aber weiterhin in dem Bewusstsein agiert, „du bist zwar eingesetzt von mir, aber ich bin hier der eigentliche Chef“.389 Auch Regierungsspre383 Vgl. Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 191 f. 384 Interview Wolfgang Fröhlich. 385 Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Jahresbericht 1990 (PB Manfred Kolbe). 386 Interview Michael Merker. 387 Interview Arnold Vaatz am 21. 6. 2000. 388 Interview Arnold Vaatz am 21. 6. 2000. 389 Interview Kajo Schommer.

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cher Sagurna meint, Vaatz möge „geglaubt haben, er könne unter Biedenkopf der eigentliche strategische Kopf der Regierung bleiben“, ein solcher Glaube sei aber naiv gewesen. Daran habe auch die Tatsache nichts geändert, dass Biedenkopf Vaatz mochte, wie er es öfter intern gesagt und wie es im Übrigen auch jeder gespürt habe.390 Nach Meinung von Günter Ermisch kam es auch deswegen zur Eskalation des Konfliktes, weil Vaatz die bisher vertretenen Prinzipien einer personellen Erneuerung auch in der Staatskanzlei fortsetzen wollte. Biedenkopf hingegen bemühte sich um einen Ausgleich zwischen alten und neuen Kräften innerhalb der sächsischen CDU und fühlte sich dabei durch Attacken von Vaatz gestört, die dieser aus der Staatskanzlei heraus gegen die Funktionäre der früheren Block-CDU führte. Biedenkopf, so Ermisch, habe jemanden gebraucht, der „ihm treu seine Dinge umsetzt“, und habe es nicht so gern gehabt, wenn innerhalb seines Apparates an ihm vorbei Ideen umgesetzt wurden. Ermisch empfahl Vaatz deswegen in dieser Situation, ein Ministerium zu übernehmen und „sich dort aufzubauen“. Für ihn als ambitionierten Politiker mit eigener Zukunft sei es schwierig, „unter einem solch starken Chef zu arbeiten“. Er sei selbst jemand, der ein eigenes Feld beackern müsse. Vaatz habe zunächst gezögert, weil er einen solchen Wechsel als Abstieg ansah.391 Sagurna bestätigt die Sichtweise Ermischs. Biedenkopf habe mit dem Neuaufbau Sachsens eine schwierige Aufgabe übernommen, bei der er „gegen den Baum“ gefahren wäre, wenn er nach hinten geschaut hätte. Vaatz sei für den Ministerpräsidenten mit seiner „Säuberungs-Stoßrichtung“ unverzichtbar gewesen, Biedenkopfs Aufgabe aber habe darin bestanden, „in Bezug auf die Vergangenheit das richtige Maß zwischen Berserkertum und Verdrängen zu finden“.392 Wie sehr die Zeit in der Staatskanzlei Vaatz zusetzte, der immerhin der strategische Kopf der gesamten Landesbildung gewesen war, lassen seine harschen Worte erahnen. Biedenkopf habe es bald nicht mehr interessiert, ob es sich bei Mitarbeitern um Mitgestalter der friedlichen Revolution gehandelt habe oder nicht. Bald hätten westdeutsche Interessen und Sichtweisen diese Fragen überlagert. Statt sich um einer personelle Erneuerung zu bemühen, habe er zugelassen, dass sich eine westdeutsche „Corpsstudenten-Mafia“ ausbreitete und in der Staatskanzlei ostdeutsche Bestrebungen bald „völlig überstimmt“ wurden. Er selbst habe in diesem Prozess mangels eigener Erfahrungen fälschlicherweise nicht damit gerechnet, „dass der persönliche Karriereehrgeiz von strombeförderten Westbeamten in einer solchen Weise über jeden Respekt vor dem, was in Ostdeutschland gemacht worden ist, dominieren würde“. Die neuen westdeutschen Wortführer seien bald bereit gewesen, sich „mit jedem zu verbünden“. Nur um nicht gegen die von den neuen politischen Kräften installierten Grundprinzipien politischer Korrektheit zu verstoßen, nicht aber aus morali390 Schriftliche Auskunft von Michael Sagurna vom 30.1. 2004. 391 Interview Günter Ermisch. 392 Schriftliche Auskunft von Michael Sagurna vom 30.1. 2004.

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scher Überzeugung habe man wenigstens ehemalige SED-Kader gemieden. Insgesamt aber sei die Personalpolitik in der Staatskanzlei bald von „nacktem Ehrgeiz“ und einer „Geringschätzung“ all derer bestimmt gewesen, die den Umbruch gestaltet hätten. Man habe jeden von ihnen als „Abschusskandidaten“ angesehen, dem man „in allen Belangen überlegen“ sei und den man früher oder später „einfach rauskicken“ werde. Als Beispiel für solch arrogantes und ignorantes Auftreten der Westler nennt er Hans-Werner Wagner, der 1991 als Abteilungsleiter in die Staatskanzlei kam. Dieser habe ihm bei einer ihrer ersten Begegnungen belehrt, man brauche eine sächsische Landesverfassung. Mit dem Grundgesetz sei es nicht getan. Er habe ihm, der die gesamte Verfassungsarbeit seit dem Entwurf der Gruppe der 20 wesentlich mit vorangetrieben hatte, empfohlen, einfach die niedersächsische Verfassung zu übernehmen und „überall, wo Niedersachsen steht, einfach nur noch Sachsen“ hinzuschreiben. „Westdeutsche Karrierebeamte, die sich für den Umbruch in Ostdeutschland und für die Träger dieses Umbruchs einen Dreck interessierten und sie auch wie Dreck behandelten“, seien, so das verbitterte Urteil von Vaatz, „die wirklichen Zerstörer“ des Aufbruchs von 1989/90. Die Revolution sei gelungen, was die Entmachtung der SED betreffe. Diejenigen aber, die wesentlich zu ihrem Gelingen beigetragen hätten, seien „durch die neu eintretenden Regeln, die sie zu spät begriffen haben, beschädigt bis an ihr Lebensende“. Die Staatskanzlei aber habe dank der neuen westdeutschen Wortführer einen „Raumschiffcharakter“ angenommen und schwebte mit Biedenkopf über der Realität, den Menschen und dem Land. Angesichts solch krasser Bewertungen war es kaum verwunderlich, dass die Tage von Vaatz in der Staatskanzlei gezählt waren. Ihm sei schon 1991 klar gewesen, „dass die Sache zu Ende geht“.393 Deswegen folgte er nun doch der Empfehlung von Ermisch und wurde ab Januar 1992 Staatsminister für Umwelt und Landesentwicklung. Mit ihm wechselten seine politischen Vertrauten. Michael Kinze übernahm zum 1. Dezember 1991 die Leitung des Landesamtes für Umwelt und Geologie,394 Kammerschen wechselte mit ihm ins Umweltministerium. Staatsministerium des Innern: Am 25. Oktober wurde Späth darüber informiert, dass der sächsische Landesbevollmächtigte, Rudolf Krause, sächsischer Staatsminister des Innern werden würde.395 Hirschle berichtete am 17. November, Krause sei von mehreren Tageszeitungen als „Reichenbach-Mann und Repräsentant der alten CDU im Kabinett“ bezeichnet“ worden.396 Auch de Maizière soll sich für ihn als Innenminister stark gemacht haben.397 Mit seiner Person wurden alle Wünsche des Dresdner Regierungsbevollmächtigten, Ball393 Interview Arnold Vaatz am 21. 6. 2000. 394 Neue Zeit vom 23.10.1991. 395 SMBW, Abt. I: Vermerk für Ministerpräsident Späth zur Information vom 25.10.1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). 396 Koordinierungsstelle Dresden: Bericht Thomas Hirschle vom 17.11.1990 über die Zeit bis zum 15.11.1990 (ebd.). 397 Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 215–217.

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schuh, wenn schon nicht Ministerpräsident, so doch wenigstens Innenminister zu werden, obsolet.398 Für Biedenkopf stand frühzeitig fest, dass Krause zu seiner Regierungsmannschaft gehören würde. Nach Hirschles Meinung bot er sich als Innenminister direkt an. Er hatte in Leipzig die Bezirksverwaltungsbehörde geleitet und auch als Landessprecher bzw. Landesbevollmächtigter „eine Art Innenverwaltungsfunktion“ innegehabt. Seine dortige „Allzuständigkeit“ sei am ehesten mit einem Innenministerium zu vergleichen gewesen.399 Mit ihm, so Vaatz, wurden die Leipziger auf Ministerebene in die Regierung eingebunden. Außerdem habe Biedenkopf ihm gegenüber insofern in der Pflicht gestanden, als Krause im Vorfeld seiner Nominierung selbst auf eine Kandidatur für das Amt des Ministerpräsidenten verzichtet hatte,400 bei der er von den Leipzigern unterstützt worden wäre. Seinen Verzicht hatte er an die Erwartung geknüpft, eine wichtige Position in der Regierung zu besetzen. Deswegen war auch Vaatz, eigentlich politisch eher ein Gegner Krauses, „voll einverstanden, um die Lage zu befrieden, dass auch aus diesem Lager jemand Mitglied der Regierung wird“.401 Vaatz stand insofern in Krauses Schuld, als dieser den Koordinierungsausschuss im September an seine Funktion als Landessprecher bzw. Landesbevollmächtigter angebunden und damit aufgewertet hatte. Trotz ihres unterschiedlichen Herkommens respektierten sich beide und hatten einen recht guten Kontakt.402 Wegen seinen bisherigen herausgehobenen Funktionen konnte sich Krause aussuchen, welches Ministerium er leiten wollte. Für ihn als Lehrer kam das Kultusministerium in Frage; er entschied sich aber, auch auf Zuraten Biedenkopfs, für das wichtige Innenressort. Zugleich wurde er stellvertretender Ministerpräsident.403 Biedenkopf berichtet, er habe bis zu seiner Abberufung ein kooperatives Verhältnis zu ihm gehabt.404 Staatssekretär im Innenministerium wurde Thomas Hirschle, den Späth gern als Amtschef der Staatskanzlei gesehen hätte. Er hatte sich schon als Landesstrukturbeauftragter und Leiter des Arbeitsstabes des Koordinierungsausschusses mit dem Aufbau des Innenressorts befasst und sorgte nun für einen nachhaltigen baden-württembergischen Einfluss im Ministerium. Er „konnte mit dem Krause gut“. Auch fand er die Überlegung Biedenkopfs plausibel, wenn möglich ein Tandem aus einem Ostminister und einem Weststaatssekretär zu bilden.405 Allerdings ließ er von Anfang an keinen Zweifel daran, dass er nicht vorhatte, in Sachsen sesshaft zu werden. Als Späth sein Ministerpräsidentenamt an Teufel abgeben musste, wurde Hirschle bereits im Februar 1991 Fraktionsgeschäftsführer der CDU im baden-württembergischen Landtag. Sein Nachfolger wurde 398 399 400 401 402 403 404 405

Interview Günter Ermisch. Interview Thomas Hirschle. Siehe Kap. 5.4.1. Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. Siehe Kap. 5.5.1. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 395. Interview Kurt Biedenkopf. Zur Biographie von Rudolf Krause siehe Kap. 5.1.1. Interview Thomas Hirschle.

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kurzzeitig der Referatsleiter im Stuttgarter Innenministerium, Joachim Kohler, bevor Hubert Wicker die Funktion bis 1997 übernahm. Parlamentarischer Staatssekretär wurde der bisherige Chemnitzer Regierungsbevollmächtigte, Albrecht Buttolo, der sich inzwischen erfolgreich um ein Landtagsmandat bemüht hatte. Biedenkopf bot ihm wahlweise an, entweder Parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium zu werden und sein Landtagsmandat zu behalten oder das Mandat abzugeben und 1991 Regierungspräsident in Chemnitz zu werden. Buttolo entschied sich für den parlamentarischen Weg und wurde im Dezember 1990 zum Parlamentarischen Staatssekretär berufen.406 Ungewöhnlich schnell berief Krause kommissarische Abteilungsleiter. Die erste Abteilungsleiterbesprechung mit kompletter Besetzung fand bereits einen Tag nach seiner Ernennung statt. Der bisherige Landesstrukturbeauftragte und Arbeitsstabsleiter Inneres des Koordinierungsausschusses, Bernd Herzer, übernahm die Abteilung „Allgemeine Verwaltung“, Percy Rooks die Abteilung „Verfassung, Recht, Kommunalangelegenheiten, Archiv-/Sparkassenwesen“, Fritz Ulrich Maier das Landespolizeipräsidium; der Referatsleiter der Bezirksverwaltungsbehörde Leipzig, Henning Diestel, übernahm die Abteilung „Katastrophen-, Zivilschutz, Feuerwehren, Vermessungswesen, Rettungsdienst“, und der sozialdemokratische Leipziger Referatsleiter der Bezirksverwaltungsbehörde für Bau- und Wohnungswesen, Jürgen Namysloh, der auch die Fachgruppe Bauwesen und Städtebau der Gemischten Kommission geleitet hatte, die Abteilung „Baurecht, Städtebau, Wohnungswesen und Denkmalpflege“. Leiter der Zentralstelle des Ministeriums wurde der frühere Referatsleiter im Ministerium für ländlichen Raum, Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Baden-Württembergs, Michael Feist, der zwischenzeitlich im baden-württembergischen Koordinierungsbüro in Leipzig aktiv gewesen war. Leiter des Ministerbüros wurde schließlich Manfred Fiedler aus Dresden.407 Damit war ein deutliches Leipziger Übergewicht in der Führung des Ministeriums erkennbar. Die Besetzung der Referatsleiterstellen zog sich über einen längeren Zeitraum hin, da zunächst die Struktur des Ministeriums nach und nach verfeinert und mit der Staatskanzlei abgeklärt werden musste.408 Dennoch war die Innenverwaltung von Anfang an gut besetzt, was daran lag, dass Krause keine Scheu hatte, Teile der Bezirksverwaltungen zu übernehmen.409 Nach Meinung von Michael Feist entschied Krause bei der Personalauswahl dennoch sachorientiert und auch nicht primär an Ost oder West orientiert.410 Insgesamt lag die Federführung beim nun einsetzenden Aufbau des Staatsministeriums des Innern und der nachgeordneten Innenverwaltung bei Baden406 Interview Albrecht Buttolo am 18.10.1999. 407 Vgl. „Abteilungsleiter im Ministerium des Innern eingesetzt.“ In: Freie Presse vom 17.11.1990. 408 Interview Michael Feist am 30. 3. 2000. 409 Interview Bernd Herzer. 410 Interview Michael Feist am 30. 3. 2000.

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Württemberg; Bayern war jedoch auch beteiligt. Ermisch hatte den Eindruck, dass ausschließlich Baden-Württemberger für den Aufbau der Innenverwaltung zuständig waren.411 Vielleicht lag dies an der intern ausgegeben Devise des bayerischen Innenministeriums, im Bereich der inneren Verwaltung Sachsens „Zurückhaltung“ zu üben, da „Baden-Württemberg das Innenministerium in Dresden fest im Griff“ habe und Personalhilfe aus Bayern für den Führungsbereich nicht erwartet werde.412 Einen Schwerpunkt bayerischer Hilfe stellte aber zum Beispiel das Landesamt für Verfassungsschutz dar, das der frühere bayerische Leitende Regierungsdirektor Uhl aufbaute. Andere bayerische Beamte waren in den Bereichen Wohnungsbau und Ortsplanung tätig, eine Beamtin half beim Aufbau der Hauptfürsorgestelle Chemnitz. Ebenso wurden die dem Innenministerium nachgeordneten Regierungspräsidien Dresden und Chemnitz von bayerischen Präsidenten geleitet.413 Für das Landeskriminalamt, das Landesamt für Verfassungsschutz und ein statistisches Landesamt wurden bis zum Herbst 1991 Aufbaustäbe eingesetzt. Vor allem für das Landesamt für Verfassungsschutz erwies sich die Personalgewinnung als Problem.414 Deswegen wurde zur Unterstützung beim Aufbau des Landesamtes zum 1. Quartal 1992 die Entsendung von neun bayerischen Beamten mit einer Mindesttätigkeitsdauer von einem Jahr geplant.415 Im Bereich der inneren Verwaltung waren im Herbst 1991 drei Viertel der zur Verfügung stehenden Stellen besetzt. Im Innenministerium fanden sich Leihbeamte aus Baden-Württemberg und im Einzelfall aus Bayern vor allem auf der Führungs- und der Referentenebene. Im Übrigen waren vor allem neu eingestellte Mitarbeiter aus Sachsen tätig. Von 25 Referatsleitern waren Ende 1991 22 besetzt. Durch Leihbeamte mussten weiterhin alle juristische Referate besetzt werden, weil dafür keine geeigneten sächsischen Mitarbeiter vorhanden waren. Technische Referate wurden hingegen für Bewerber aus Sachsen offen gehalten.416 Im Oktober 1991 hatte das Staatsministerium des Innern einen Personalbesetzungsstand von 74 Prozent.417 411 Interview Günter Ermisch. 412 BaySMI: Gespräch des Staatsministers mit dem sächsischen Staatsminister des Innern, Eggert, am 12.10.1990 in Dresden (BaySMI, Zusammenarbeit Bayern-Sachsen, Bl. 41–48). 413 BayStK, Arbeitsstab Deutschlandpolitik, Interministerielle AG Deutschlandpolitik: Gespräch des bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl mit der Bayerischen Landtagspresse e. V. am 9. 4.1991. Materialien: Aufbau der neuen Länder mit Bayerischer Hand (BayStK, Baer). 414 Ergebnisniederschrift über die Koordinierungsbesprechung Bayern / Baden-Württemberg/Sachsen am 18. 9.1991 in Dresden (BaySMI, Zusammenarbeit Bayern-Sachsen, Bl. 75–80). 415 BaySMI: Gespräch des Staatsministers mit dem sächsischen Staatsminister des Innern, Eggert, am 12.10.1990 in Dresden (ebd., Bl. 41–48). 416 Ergebnisniederschrift über die Koordinierungsbesprechung Bayern / Baden-Württemberg/Sachsen am 18. 9.1991 in Dresden (ebd., Bl. 75–80). 417 BaySMI: Gespräch des Staatsministers mit dem sächsischen Staatsminister des Innern, Eggert, am 12.10.1990 in Dresden (ebd., Bl. 41–48).

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Ende September 1991 trat Krause überraschend zurück, nachdem sich Gerüchte bestätigten, er habe zeitweilig als Inoffizieller Mitarbeiter für das MfS gearbeitet.418 Biedenkopf besorgte Krause einen Auftrag für Siemens in der Ukraine. Schon lange vor seiner Demission kursierte unter CDU-Abgeordneten die Abkürzung „IM“ für „Innenminister“.419 Vaatz meinte, Krauses Abtritt habe sowohl mit den Befunden der Gauckbehörde als auch mit „seiner persönlichen Überforderung“ zu tun.420 Michael Sagurna erinnert sich, dass es einen „ganz schnellen kalten Schlag“ gab und alle entsetzt waren. Der Schock darüber, dass der stellvertretende Ministerpräsident und sächsische Innenminister für das MfS gearbeitet hatte, saß so tief, dass ab sofort „darüber nicht mehr gesprochen“ wurde: „Den Namen Krause“, so der langjährige sächsische Regierungssprecher, „habe ich in den ganzen elf Jahren weder am Kabinettstisch, noch in irgendeinem Gespräch ungefragt gehört.“421 Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit: Zunächst stand nicht fest, dass es in Sachsen ein gemeinsames Ministerium für Wirtschaft und Arbeit gebe würde. Eher wurde über die Anbindung des Bereiches „Verkehr“ an das Wirtschaftsministerium diskutiert. Biedenkopf versuchte anfänglich, die Wirtschaftsexpertin der westfälischen CDU, Christa Thoben, für den Posten der Wirtschaftsministerin zu gewinnen, die er aus der gemeinsamen Zeit im Düsseldorfer Landtag kannte. Thoben sagte ihm aber unmittelbar nach den Landtagswahlen ab, da sie einen Monat zuvor in Münster erste Hauptgeschäftsführerin einer deutschen Industrie- und Handelskammer in der 300-jährigen Geschichte der Kammern geworden war. Nun zeigte sie keine Neigung, diese Entscheidung rückgängig zu machen, obwohl sich sogar Bundeskanzler Kohl auf Bitten Biedenkopfs für ihren Wechsel einsetzte.422 Etwas geheimnisvoll mutet eine regierungsinterne Information für Späth vom 25. Oktober aus dem Dresdner Koordinierungsbüros an, Biedenkopf habe sich beim Wirtschaftsminister für den baden-württembergischen Vorschlag entschieden.423 Hier war wohl eher der Wunsch der Vater des Gedankens, denn tatsächlich gingen Biedenkopfs Pläne in eine andere Richtung, nachdem etwa zeitgleich mit Frau Thoben auch der sozialdemokratische Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium, Werner Tegtmeier, den Biedenkopf als Arbeitsminister gewinnen wollte, abgesagt hatte. Bei der Bearbeitung der noch unvollständigen Kabinettsliste kam Biedenkopf am 19. Oktober der Gedanke, eine von ihm seit längerem favorisierte „Überwindung des Gegensatzes von Kapital und Arbeit“ durch ein gemeinsames „Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit“ zu dokumentieren. Damit teilte er das klassische Arbeits-, Sozial- und Gesundheitsministerium auf und beschränkte 418 419 420 421 422 423

Vgl. Neue Zeit vom 1.10.1991. Wendt, Kurt Biedenkopf, S. 136. Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. Interview Michael Sagurna. Vgl. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 368 und 394 f. SMBW, Abt. I: Vermerk für Ministerpräsident Späth zur Information vom 25.10.1990 (SMBW, I 0305.0. 1990).

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letzteres auf Soziales, Gesundheit und Familie.424 Dies war ein Konzept, das dem vom Landesstrukturbeauftragten Herbert B. Schmidt erarbeiteten Konzept in keiner Weise entsprach und mit dem sich auch der Arbeitsstab des Koordinierungsausschusses nicht befasst hatte.425 Das war auch nicht weiter verwunderlich, gab es doch bislang „nirgendwo auf der Welt“ eine solche Verbindung. In aller Regel war der Aufgabenbereich Arbeit dem Sozialministerium zugeordnet.426 Biedenkopf brachte damit institutionell ein von ihm seit Jahren vertretenes Prinzip zum Ausdruck, dass „die Sozialordnung nicht mehr ancillarisch427 für die Arbeitsverhältnisse gesehen werden darf, sondern als selbständige Struktur. Und dass die Arbeit eigentlich die Wirtschaft ist. Das ist insbesondere in einem Land offensichtlich, in dem wir mit der Arbeit angefangen haben, so dass der ganze klassische Konflikt zwischen Kapital und Arbeit schon aus diesem sehr praktischen Grund nicht auftreten kann.“428 Als Minister für Wirtschaft und Arbeit dachte er laut Tagebuch bereits am 19. Oktober an Kajo Schommer.429 Am 2. November gewann Biedenkopf ihn für das Amt, nicht ohne sich für die Entscheidung die „Unterstützung der Hiesigen“ einzuholen.430 Er kannte ihn nicht von früher, aber Schommer war ihm von verschiedenen Seiten, unter anderem vom Hamburger Verleger Gerd Schulte-Hillen, empfohlen worden.431 In Fachkreisen galt er seit langem als „ministrable Erscheinung“.432 Der in der Eifel geborene Schommer war mit einer Leipzigerin verheiratet, was ihm die Entwicklung in der DDR nahe brachte. Als promovierter Wirtschaftswissenschaftler hatte er längere Zeit als Referent im schleswig-holsteinischen Ministerium für Wirtschaft und Verkehr gearbeitet. 1982 war er Stadtkämmerer und Wirtschaftsdezernent von Neumünster geworden, 1986 zum Bürgermeister gewählt und im Oktober 1988 wiedergewählt worden. Er selbst erinnert sich an seine Berufung zum Staatsminister als an „eine unglaublich spannende Geschichte“. In seiner Tätigkeit in Neumünster war er 1990 viel im sich herausbildenden Mecklenburg-Vorpommern unterwegs, um Kommunen und entstehende Kreise über Wirtschaftsförderung, Haushaltsordnungen und Ähnliches zu beraten. Außerdem war er oft als Referent beim Wirtschaftsrat in Dresdens Partnerstadt Hamburg tätig und lernte in diesem Zusammenhang auch Volkskammerabgeordnete aus Sachsen und Arnold Vaatz kennen. Mitte August erhielt er eine Anfrage aus Dresden, ob er Interesse hätte, Wirtschaftsminister unter Ministerpräsident Priesnitz zu werden. Nach einigem Zureden seiner Gattin erklärte sich Schommer bereit. Nur wenig später 424 425 426 427 428 429 430 431 432

Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 394 f. Interview Wolfgang Fröhlich. Angst, Aufbau und Struktur, S. 422. Ancilla lat. die Magd. Biedenkopf, Regierungs- und Verwaltungsprobleme, S. 23. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 395. Interview Kurt Biedenkopf. Vgl. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 407. Johann Michael Möller: „Mit Idealisten ist kein Staat zu machen.“ In: FAZ vom 8.11.1990.

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kam jedoch die Information, dass statt Priesnitz nun Biedenkopf Kandidat der CDU für das Amt des Ministerpräsidenten sei. Er fuhr daraufhin zum Landesparteitag nach Dresden, stellte sich Biedenkopf vor und bekundete sein Interesse, ihm „noch lieber zur Verfügung“ zu stehen als Priesnitz. Biedenkopf zeigte sich aufgeschlossen, aber unverbindlich und forderte ihn auf, ihm „ein paar Ideen“ zu schicken. Beim Hamburger Bundesparteitag der CDU gab es den nächsten kurzen Kontakt, danach bei der Landtagswahl in Dresden. Hier erklärte ihm Biedenkopf, immer noch ausweichend, weil auf der Suche, er überlege, die Westdeutschen zu Staatssekretären zu machen und die Ministerämter Ostdeutschen zu überlassen. Schommer sagte auch für dieses Amt zu.433 Biedenkopf, der ihn kaum kannte, versuchte in dieser Zeit noch, Christa Thoben für das Ministeramt zu gewinnen, und dachte daran, Schommer zum Staatssekretär bei Thoben zu berufen.434 In dieser Situation teilte Volker Rühe Schommer mit, dass der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Gerd Gies, sein Kabinett bilde und ebenfalls einen Wirtschaftsminister suche. Schommer sei ihm vorgeschlagen worden und er möge sich mit Gies innerhalb von 24 Stunden in Verbindung setzen. Schommer informierte Biedenkopf telefonisch darüber und bekräftigte sein Interesse am Amt des sächsischen Wirtschaftsministers. Biedenkopf sagte ihm bis zum Abend eine Entscheidung zu. „Und dann haben wir abends dagesessen, fern geguckt und nah geguckt aufs Telefon. Nichts. Um 23.00 Uhr klingelt es. Schommer – ja hier Biedenkopf. Herr Schommer, lassen sie uns die Zukunft Sachsens gemeinsam gestalten.“435 Offensichtlich stand zu diesem Zeitpunkt noch nicht fest, ein Ministerium für Wirtschaft und Arbeit zu bilden, denn zur Vorstellung des Kabinetts am 6. November ging Schommer noch mit einem Konzept für ein Ministerium für Wirtschaft und Verkehr. Hier eröffnete ihm Biedenkopf eher beiläufig, er habe entschieden, die Bereiche Wirtschaft und Arbeit zusammenzulegen: „Sie machen also ihr Ressort, wie das abgesprochen ist, plus den ganzen Bereich Arbeitsmarkt. Ich habe das schon dem Kollegen Geisler gesagt, das ich das da raus nehme und der ist damit einverstanden.“ Schommer hatte „zehn Minuten Zeit darüber nachzudenken. Dann musste ich mich vorstellen, sagen, was ich gemacht habe und was ich machen würde und natürlich auch schon Überlegungen einbringen.“436 Im Nachhinein sah er, der zunächst für „seine uneingeschränkte Marktgläubigkeit“ gescholten wurde,437 es als Glück an, derjenige gewesen zu sein, der das Biedenkopfsche Modell erstmalig umsetzen konnte: „Das war schon das zweite große Glück. Erstens in Sachsen mit Biedenkopf und dann das. Das war unglaublich, ungeheuerlich.“ Beide hätten sie sich gut ergänzt: „Er

433 434 435 436 437

Interview Kajo Schommer. Interview Michael Sagurna. Interview Kajo Schommer. Interview Kajo Schommer. Fiedler, Die politische Entwicklung. In: Freistaat Sachsen 1991/92. Das Jahrbuch, S. 57.

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war der Analytiker, der Visionär, und ich war der Verkäufer, der Macher, der aber auch kreativ war.“438 Am Tag der Berufung Schommers verlor Herbert B. Schmidt seine Funktion als Leiter des Arbeitsstabes Wirtschaft. Er blieb allerdings zunächst Abteilungsleiter in der Dresdner Bezirksverwaltungsbehörde für Wirtschaft.439 Nach der Vereidigung am 8. November hatte Schommer eine Unterredung mit Schmidt, der „natürlich sauer“ war. „Und da habe ich ihm sofort gesagt, ich weiß, dass es sie gereizt hätte, das Amt auch zu machen. Der Ministerpräsident hat sich für mich entschieden. Ich bin es jetzt und ab sofort habe ich jetzt hier das Sagen. Ich bedanke mich für ihre Aufbauarbeit, die sie geleistet haben, aber jetzt bin ich das hier.“440 Anschließend stellte Schommer sich den anderen Mitarbeitern und Leihbeamten des Arbeitsstabes vor, die von der Entscheidung überrascht worden waren. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es nur den von Schmidt geführten Arbeitsstab, der sich zugleich aus Mitarbeitern der Bezirksverwaltung zusammensetzte. Die Zuständigkeiten zu diesem Zeitpunkt, so Jörg Geiger, seien chaotisch gewesen.441 Für Schmidt war Schommers Berufung eine herbe Enttäuschung, hatte er sich doch Hoffnungen gemacht, das Amt übernehmen zu können. Schon im August hatte man in Stuttgart registriert, dass Schmidt „sich selbst als kommenden Wirtschaftsminister“ ansehe und „wohl auch gewisse Chancen“ habe.442 Bis zur Entscheidung für Schommer hatte er die Unterstützung von Helmut Münch und Arnold Vaatz,443 was ihm aber wenig half, weil Schmidt und Biedenkopf „nicht miteinander harmonierten“ und es „offenbar eine alte Bekanntschaft war, die sich für beide nicht sehr segensreich ausgewirkt hatte“.444 Günter Neumann führt den Konflikt darauf zurück, dass Schmidt Biedenkopf „in früheren Zeiten abgeschossen hatte im Wirtschaftsrat in Bonn“.445 Auch Schommer weiß von Spannungen aus gemeinsamen Zeiten im Wirtschaftsrat zu berichten.446 Dass Biedenkopf nicht erfreut war, Schmidt in Dresden zu treffen, zeigt sein Tagebucheintrag vom 22. September, dass Schmidt „nach wie vor in Dresden herumgeistert“.447 Schmidt hatte sich auch mit einer Rede auf dem CDU-Landesparteitag wenig Freunde gemacht, bei der er, so Schommer, „auf die Gewerkschafter eingedroschen“ hatte. Da habe er gewusst, dass Schmidt keine Chance mehr hatte: „So kann man nicht ein Land aufbauen

438 439 440 441 442 443 444 445 446 447

Interview Kajo Schommer. Interview Jörg Geiger. Interview Kajo Schommer. Interview Jörg Geiger. Zur Situation im künftigen Land Sachsen. Kurzbericht aufgrund der Mitarbeit im Koordinierungsausschuss für die Landesneubildung im Monat August 1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). Interview Kajo Schommer. Interview Arnold Vaatz am 21. 6. 2000. Interview Günter Neumann. Interview Kajo Schommer. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 346.

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und den Hardliner spielen.“448 Schmidt hatte aber nicht nur keine Chance, Minister zu werden, er sollte, so Hirschle am 17. November, nicht einmal ins Ministerium übernommen werden. Formal bliebe er demnach noch bis zum Jahresende Ressortleiter Wirtschaft in der Bezirksverwaltungsbehörde,449 verließ Dresden aber bereits Ende November, nachdem Schommer ihm klar gemacht hatte, dass er ihn „nicht mehr haben“ wolle und ihm den Zugang zum Ministerium verweigerte.450 Schmidt arbeitete danach zunächst für die Treuhandanstalt und später als Wirtschaftsberater in verschiedenen postkommunistischen Staaten. Nachdem Biedenkopf die Bereiche Wirtschaft und Arbeit zusammengelegt hatte, wurden angesichts der zahlreichen, sehr unterschiedlichen Abteilungen und Referate zwei beamtete Staatssekretäre für notwendig gehalten, die für ihre Verantwortungsbereiche die Personalhoheit kooperativ und zusammen mit dem Minister wahrnahmen. Hans Reckers hatte Rüdiger Thiele empfohlen, mit dem auch Biedenkopf sofort einverstanden war. Thiele kam aus dem Bundeswirtschaftsministerium und hatte zuletzt im Bundeskanzleramt gearbeitet. Er gehörte der FDP an, also wie Nowak einer Partei, die nicht in der Regierung vertreten war. Er begann Anfang Dezember mit der Arbeit als Staatssekretär für Wirtschaft. Gleichzeitig wurde er Amtschef des gesamten Ministeriums. Für den Bereich Arbeit und Verkehr zogen Schommer und Biedenkopf zunächst in Erwägung, einen Sozialdemokraten zu berufen. Verschiedene entsprechende Anfragen in Bonn blieben jedoch ohne Erfolg. In dieser Situation wurde Schommer Wolfgang Zeller empfohlen, der im sächsischen Sozialministerium tätig war. Zeller war zuletzt Referatsleiter im Stuttgarter Sozialministerium gewesen und engagierte sich bereits seit Dezember 1989 in Sachsen und in der Gemischten Kommission. Seine Frau kam aus Sachsen. Zeller, so Schommer, war nicht so ein „Hau-Ruck-Typ“ aus dem Westen, wie er sie nicht mochte. Nachdem auch Biedenkopf zustimmte, nahm Zeller Anfang Januar 1991 seine Arbeit als Staatsekretär für den Bereich Arbeit und Verkehr auf.451 Zum Parlamentarischen Staatssekretär für Wirtschaft und Arbeit berief das Kabinett am 4. Dezember den Diplomingenieur Helmut Münch.452 Er übte diese Funktion bis zum Ende der Legislaturperiode aus. Schommer hatte Vaatz nach einem geeigneten Kandidaten gefragt, worauf dieser ihm Münch empfahl, der freilich „der härteste Verfechter für Herbert B. Schmidt“ war.453 Dennoch entschied sich Schommer auf Grund seiner charakterlichen Eignung und erheblichen internen Vorkenntnisse für ihn. Münch hatte sich im Dezember 1989 448 Interview Kajo Schommer. 449 Koordinierungsstelle Dresden: Bericht Thomas Hirschle vom 17.11.1990 über die Zeit bis zum 15.11.1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). 450 Interview Kajo Schommer. 451 Interview Kajo Schommer. 452 Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Bericht vom 3.–9.12.1990 (PB Manfred Kolbe). 453 Interview Kajo Schommer.

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dem DA angeschlossen, der Basisdemokratischen Fraktion der Dresdner Stadtverordnetenversammlung angehört, sich am Runden Tisch des Bezirkes engagiert und war schließlich im August mit seiner Partei zur CDU gewechselt, wo er sofort in den Landesvorstand aufgerückt war. Hier gehörte er auch der neu gegründeten CDU-Wirtschaftsvereinigung in Sachsen an. Im Sommer hatte er in der Fachgruppe Wirtschaft der Gemischten Kommission mitgearbeitet und war als Landestrukturbeauftragter des Koordinierungsausschusses zugleich dessen stellvertretender Leiter und ein enger politischer Gefährte von Arnold Vaatz gewesen. Bei der Landtagswahl hatte er in Dresden ein Direktmandat für die CDU gewonnen. Anfänglich hatte er eine „politische Rolle“ als Stellvertreter des Ministers in Angelegenheiten des Landtages zu spielen. Nachdem diese Funktionen der Parlamentarischen Staatsekretäre reduziert wurden, verstand er sich als Ansprechpartner und Vermittler sächsischer Unternehmer im schwierigen Prozess der von der Treuhand vorangetriebenen Privatisierung. Seine Kooperation mit dem Minister und den beamteten Staatsekretären hat Münch dabei in bester Erinnerung behalten.454 Als Münch seine Arbeit aufnahm, war der Personalaufbau an der Spitze des Ministeriums weitgehend abgeschlossen. Zunächst waren vor allem Leihbeamte aus Baden-Württemberg im Einsatz, die später zurückgingen. Es waren aber auch einige bayerische Leihbeamte beim Aufbau des Wirtschaftsministeriums beteiligt.455 Münch plädierte dafür, möglichst viele Leute „aus dem Reservoir der Sachsen“ mit entsprechenden Vorkenntnissen, auch Seiteneinsteiger, zu gewinnen. Oft scheiterte dies an fehlenden juristischen Kenntnissen.456 Aus dem Osten kamen zum Beispiel der Abteilungsleiter VII (Straßenbau), Rohde, aber auch einige Referatsleiter wie der Sozialdemokrat Günter Neumann für den Bereich Wirtschaftsförderung. Die anderen Abteilungsleiter kamen aus dem Westen. Abteilungsleiter I (Verwaltung und Recht) und II (Wirtschaftspolitik und sektorale Strukturpolitik) wurden die baden-württembergischen Beamten Helfter und Pfeifer, die Abteilung III (Regionale Strukturpolitik und Wirtschaftsförderung) übernahm Schlicht, die Abteilung IV (Technologiepolitik) Flaht, die Abteilung V (Arbeit) Neufischer, die Abteilung VI (Verkehr) Heinemann. Neumann erinnert sich, dass viele Leihbeamte bereits Pensionäre waren, die es nicht mehr nötig hatten, „auf Karriere zu machen“, die aber gearbeitet hätten „wie die Pferde“. Diese Leihbeamten seien es vor allem gewesen, „die Sachsen auf die Beine brachten“. Später seien dann Personen aus der zweiten Reihe nachgerückt, bei denen man in den Wirtschaftsministerien in München und Stuttgart wohl eher froh war, dass sie fort waren.457 Bereits während der Arbeit 454 Interview Helmut Münch am 29. 2. 2000. 455 BayStK, Arbeitsstab Deutschlandpolitik, Interministerielle AG Deutschlandpolitik: Gespräch des Bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl mit der Bayerischen Landtagspresse e. V. am 9. 4.1991. Materialien: Aufbau der neuen Länder mit Bayerischer Hand (BayStK, Baer). 456 Interview Helmut Münch am 29. 2. 2000. 457 Interview Günter Neumann.

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des von Schmidt geleiteten Arbeitsstabes Wirtschaft waren stoßweise Bewerbungsmappen eingegangen, die aber nicht mehr durchgesehen wurden. Erst unter Schommer begann die Auswertung durch den bisherige Referatsleiter des Wirtschaftsministerium Baden-Württembergs, Stein, der nun Abteilungsleiter wurde.458 Wie im Bereich der Finanzen setzte mit Beginn der Arbeit des Ministeriums für Wirtschaft und Arbeit eine Ernüchterung ein. Während unmittelbar nach der Währungsunion noch davon ausgegangen worden war, dass 25 Prozent des vorhandenen Sachanlagevermögens auch unter den neuen marktwirtschaftlichen Bedingungen nutzbar sein würden, sank diese Quote in den folgenden Schätzungen stetig. Eine vom ifo-Institut im Auftrag des Sächsischen Staatsministeriums für Wirtschaft und Arbeit nachträglich vorgenommene Analyse kam zu dem Ergebnis, dass der 1991 im Freistaat Sachsen von den Unternehmen eingesetzte Kapitalstock lediglich ausgereicht hätte, zirka zwanzig Prozent des gesamten Erwerbspersonalpotentials mit wettbewerbsfähigen Arbeitsplätzen zu versorgen. Für Anfang 1991 wurde für den gesamten Unternehmensbereich der sächsischen Wirtschaft eine Kapitallücke von rund 234 Mrd. DM ermittelt.459 Damit waren optimistische Erwartungen Biedenkopfs von Ende Oktober 1990 hinfällig, man werde „in drei Jahren einen akuten Arbeitskräftemangel haben“.460 Das Ausmaß der nicht vorhandenen Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft in den neuen Bundesländern, so Schommer, habe die meisten Erwartungen übertroffen. Die Schärfe des auch Sachsen betreffenden Wirtschaftseinbruchs sei denn auch „in der neueren Wirtschaftsgeschichte ohne Beispiel“.461 Dank des kommunistischen Erbes folgte dem Beitritt am 3. Oktober 1990 eine etwa zweijährige Phase des Niedergangs der Wirtschaft.462 Auch hier war es Biedenkopf, der im November 1990 auf das Prinzip Hoffnung setzte. Trotz der schwierigen Lage prognostizierte er, der Aufschwung werden nicht in vier Wochen oder Monaten kommen, wohl aber in zwei bis drei Jahren. Dann werde man so nah am Niveau des Westens sein, dass man sagen könne: „Es gibt keinen Grund mehr abzuwandern.“463 Ein Schwerpunkt der beginnenden Arbeit des Ministeriums war die Treuhand. Biedenkopf setzte sich von Anfang an für deren Dezentralisierung ein. Bereits vor seiner Wahl zum Ministerpräsidenten erklärte er, man brauche eine auf die Landesbedürfnisse bezogene Institution. Es dürfe in Sachsen keine wesentlichen Entscheidungen mehr ohne die Mitwirkung seiner Landesregierung geben, die Bevölkerung sei lange genug von Berlin aus bevormundet worden. Bleibe es beim gegenwärtigen Verfahren, verliere die Treuhand jedes Vertrauen.

458 459 460 461 462 463

Interview Jörg Geiger. Vgl. Schommer, Die Förderung, S. 321 f. Kurt Biedenkopf. Zit. in Neue Ruhr Zeitung vom 26.10.1990. Schommer, Die Förderung, S. 323. Vgl. Wiesenthal, Die Transformation der DDR, S. 20. Interview Kurt Biedenkopf. In: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt vom 9.11.1990.

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Keine Entscheidung werde dann mehr als legitim akzeptiert.464 Auch in seiner Regierungserklärung vom 8. November sprach er sich gegen das zentralistische Konzept der Treuhand aus und kündigte an, die drei sächsischen Treuhandbüros in den bisherigen Bezirken durch das Wirtschaftsministerium zu „einer Art Treuhandkabinett“ vereinen. Mit seiner Kritik stand er nicht allein. Am 2. Dezember trafen sich die Ministerpräsidenten aller neuen Bundesländer erstmalig in Potsdam und kündigten an, die Ländersitze im Verwaltungsrat der Treuhand künftig persönlich zu übernehmen. Sie äußerten die Erwartung, dass die Länder in allen Bezirksniederlassungen der Treuhand ein aktives Mitwirkungsrecht erhielten.465 Ihre Forderungen waren berechtigt, stellte die Organisation der Treuhandanstalt doch im Hinblick auf das föderative System und die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland einen institutionellen Fremdkörper dar. Sie war „das herausragendste Beispiel institutioneller Persistenz einer für das System der DDR charakteristischen zentralen Verwaltungsbehörde staatlicher Industriebetriebe“.466 Sächsisches Staatsministerium für Soziales, Gesundheit, Familie: Als Minister für den zunächst noch gemeinsam konzipierten Bereich Arbeit und Soziales hatte Biedenkopf zunächst den sozialdemokratischen Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium und engen Vertrauten Norbert Blüms, Werner Tegtmeier, in Betracht gezogen. Dieser sagte ihm aber kurz nach der Landtagswahl ab, weil seine Familie nicht bereit war, von Bonn nach Dresden zu wechseln.467 Von sich aus hatten sich sowohl der frühere Bezirksarzt beim Rat des Bezirkes Dresden und bisherige Minister für Gesundheitswesen der Regierung de Maizière, Jürgen Kleditzsch, als auch die Ministerin für Familie und Frauen der Regierung de Maizière, Christa Schmidt, angeboten,468 für die sich Biedenkopf aber nicht entscheiden mochte. Vorschläge, die ihm DGB-Chef Heinz-Werner Meyer Anfang November unterbreitete, überzeugten ihn ebenso wenig wie die von Lothar Späth.469 Während der Kandidatensuche entschloss er sich, die Überwindung des Gegensatzes von Kapital und Arbeit auch durch die Bezeichnung des Ministeriums zu dokumentieren, das Schommer leiten sollte. Er nannte es „Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit“ und modifizierte damit das klassische Arbeits-, Sozial- und Gesundheitsministerium in ein reduziertes Ministerium für Soziales, Gesundheit und Familie. Anfang November fragte Biedenkopf telefonisch bei Geisler an, ob er Interesse hätte, sächsischer Sozialminister zu werden.470 Er hatte ihn unmittelbar nach der Landtagswahl auf dem gemeinsamen Weg zur Sitzung des CDU-Bundesvorstandes kennengelernt, in den Geisler auf dem Hamburger Parteitag „als DA-Mensch“ gewählt worden war.471 Sagurna 464 465 466 467 468 469 470 471

Interview Kurt Biedenkopf. In: Der Spiegel vom 22.10.1990. Vgl. Der Morgen und Neue Zeit vom 3.12.1990. Eisen/Kaase, Transformation und Transition, S. 36. Vgl. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 394 f. Interview Hans Geisler. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 407. Vgl. ebd., S. 395 und 408. Interview Hans Geisler.

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erinnert sich, dass Biedenkopf ihm erzählte, er sei nach dem ersten Treffen beim Linienflug nach Bonn „enorm beeindruckt“ gewesen.472 Geisler hatte Grund, selbstbewusst aufzutreten, konnte er doch auf ein „überragenderes und besseres Ergebnis“ bei der Wahl des CDU-Bundesvorstandes in Hamburg verweisen als Biedenkopf.473 Für diesen war auch die frühere DA-Mitgliedschaft Geislers von Bedeutung, schien es doch geboten, den Passus in der Fusionsvereinbarung von CDU und DA in Sachsen vom 27. Juli zu erfüllen, wonach bei einem Wahlergebnis ab dreißig Prozent und der Bildung einer Regierung ein Mitglied des DA für einen Ministerposten Berücksichtigung finden sollte. Freilich war und ist bis heute unklar, ob dafür der DA die Voraussetzung erfüllte, bei der Fusion mindestens vierhundert Mitglieder in die CDU mitzubringen.474 Klaus Reichenbach hegte diesbezüglich erhebliche Zweifel.475 Für Biedenkopf war es aber auch wegen der konfessionellen Zusammensetzung des Kabinetts wichtig, den engagierten evangelischen Christen Geisler zu gewinnen, der nach Meinung Hirschles „einer der führenden Kirchentagsleute in der DDR“ gewesen war.476 Biedenkopf machte Geisler aber auch gleich klar, dass das Ministerium den Bereich Arbeit nicht umfassen würde. Zudem plante er, den Bereich der Arbeitsund Sozialgerichtsbarkeit im Justizministerium anzusiedeln. Biedenkopf erinnert sich, Geisler „lange bekniet“ zu haben,477 der von dem Angebot überrascht wurde, bereitete er sich doch bereits auf seine Tätigkeit als Bundestagsabgeordneter vor. Bei der Nominierung in seinem Dresdner Wahlkreis hatte er sich im ersten Wahlgang mit 50,8 Prozent gegen vier Mitbewerber durchgesetzt, unter anderem gegen den Direktor des Dresdner Hygienemuseums, Netz, und den CDU-Volkskammerabgeordneten Frank Schmidt, der stattdessen als Referatsleiter ins Sächsische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst wechselte. Geisler sagte zu, den Vorschlag zu prüfen, stellte aber einige inhaltliche Forderungen und äußerte den Wunsch, im Falle einer Zusage Sachsen im Bundesrat vertreten zu können. Nach Rücksprache mit seiner Frau neigte Geisler zunächst zu einer Absage, ließ sich aber von politischen Bekannten aus Baden-Württemberg überzeugen, dass er als Minister in Sachsen größerer Gestaltungsspielräume haben würde als im Bundestag. Deswegen verfolgte er auch ein Angebot von Rudolf Seiters nicht weiter, als Parlamentarischer Staatsekretär nach Bonn zu wechseln.478 Vaatz begrüßte Biedenkopfs Entscheidung, sich nicht auf das „durch de Maizière im Wesentlichen vorausgesuchte“ Personalangebot des früheren CDU-Apparates gestützt zu haben, sondern „bei denjenigen politischen 472 Interview Michael Sagurna. 473 Interview Hans Geisler. 474 Protokoll der Aussprache zwischen dem Landesvorstand des DA Sachsen und dem Präsidium der CDU des Landesvorstandes Sachsen am 27. 7.1990 (Dok. 109). 475 Interview Klaus Reichenbach. 476 Koordinierungsstelle Dresden: Bericht Thomas Hirschle vom 17.11.1990 über die Zeit bis zum 15.11.1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). 477 Interview Kurt Biedenkopf. 478 Interview Hans Geisler.

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Kräften zuerst gesucht“ zu haben, „die den Umbruch getragen“ hätten,479 übersah dabei aber geflissentlich, dass auch der größere Teil des CDU-Apparates die Systemänderungen unterstützt hatte. Staatssekretär und damit Amtschef im Staatsministerium für Soziales, Gesundheit und Familie wurde Albin Nees, der bislang Referatsleiter im bayerischen Sozialministerium gewesen war. Er übte die Funktion bis Ende 2001 aus. Hans Geisler hatte Nees in seiner Zeit als Parlamentarischer Staatssekretär im Familienministerium der Regierung de Maizière kennengelernt, in das dieser im Juli durch Vermittlung der Bundesregierung abgeordnet worden war. Hier hatte Geisler sich immer wieder auf seinen Sachverstand und seine Kenntnisse stützen können. Nees war im Oktober 1990 nach Sachsen gewechselt, um den Rest seiner insgesamt einjährigen Abordnungszeit hier zu verbringen. Als Geisler ihn hier wiedertraf, bat er ihn, Staatssekretär bei ihm zu werden. Noch nach Geislers Amtsübernahme übte übergangsweise Heidrun Lotze die Funktion der Amtschefin aus. Seitens der Vertreter der Clearingstelle wurde Geisler auch nahegelegt, sie wegen ihrer Qualifikation und internen Kenntnisse in diese Funktion zu berufen; er legte jedoch Wert darauf, mit Personen zusammenzuarbeiten, die nicht aus dem SED-Apparat kamen, auch wenn sie sich inzwischen davon distanzierten.480 Nees, der nicht vorhatte, länger als ein Jahr zu bleiben, machte aber ebenfalls zur Bedingung, dass Geisler intensiv nach einem einheimischen Nachfolger suchte. Mit Zustimmung der bayerischen Staatsregierung wurde er am 20. November einziger bayerischer Staatssekretär in der sächsischen Regierung und bezog auch weiterhin sein Gehalt aus München. Erst als die Suche über drei Jahre erfolglos blieb, ließ sich Nees 1993 nach Sachsen versetzen. Wie in den anderen Ministerien stand zu Beginn der Arbeit die Übernahme des Arbeitsstabes Soziales auf dem Programm. Dieser stand unter Leitung des stellvertretenden Referatsleiters aus dem bayerischen Arbeitsministerium, Reiner Schrenker, der nach Dresden abgeordnet war, um Frau Lotze im Arbeitsstab Soziales zu unterstützen. Nees konnte sich auf dessen Vorarbeiten stützen, die „ganz gut gelungen und auch sehr weit gediehen“ waren.481 Auch Schrenker erinnert sich, dass die Vorarbeiten überwiegend übernommen wurden.482 Das Urteil von Nees hing auch damit zusammen, dass die Organigramme nach bayerischem Muster erstellt worden waren. Vorgesehen war hier freilich noch, den Bereich Arbeit in das Ministerium einzugliedern. Insgesamt hatte Schrenker „das Muster des Aufbaus der Staatsregierung in München auf das Sächsische übertragen“. Dem bayerischen Vorbild folgend, bemühte sich Nees bei Biedenkopf, den Bereich Arbeit doch mit dem Bereich Soziales zu verbinden. Er hatte zwei Jahre zuvor einen Vortrag Biedenkopfs in München zur Problematik gehört, wusste also, dass es sich um eine längerfristige Überlegung handelte. 479 480 481 482

Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. Interview Reiner Schrenker. Interview Albin Nees. Interview Reiner Schrenker.

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Trotzdem sprach er in der Sache mit Biedenkopf, merkte aber sehr schnell, dass es wenig Zweck hatte: „Und dann haben wir auch sehr schnell kapituliert und gesagt, da kämpfen wir nicht drum.“483 Die Arbeit von Abteilungs- und Referatsleitern erledigten wie in allen Ministerien in der ersten Aufbauphase Leihbeamte als „Abteilungsleiter auf Zeit“.484 Nach den Vereinbarungen über die Koordinierung der Aufbauhilfe zwischen den sächsischen Partnerländern war sowohl Bayern als auch Baden-Württemberg für den Aufbau des Sozialministeriums und der nachgeordneten Landesverwaltung zuständig. Beide Länder halfen in diesem Bereich also gemeinsam.485 Neben baden-württembergischen wirkten zum Beispiel zahlreiche bayerische Leihbeamte beim Aufbau der Versorgungsverwaltung in Chemnitz, Dresden und Leipzig sowie besonders beim später umbenannten Landesversorgungsamt.486 Als Geisler mit der Arbeit begann, waren zirka dreißig zeitweilig abgeordnete bayerische Leihbeamte beschäftigt, davon allein zwanzig aus dem bayerischen Sozialministerium. Schrenker etwa kümmerte sich „so quasi als Abteilungsleiter“ um Personalfragen und die Organisation, andere ausschließlich um die Versorgungsverwaltung oder die Gewerbeaufsicht. Die Leihbeamten machten Planungen hinsichtlich der Abteilungen und Referate und nahmen provisorische Besetzungen vor,487 von denen sich einige als dauerhafter erwiesen. Ende November bat Geisler um weitere personelle Unterstützung aus München.488 Einige Beamte wechselten bereits zum Jahreswechsel wieder zurück nach München. In diesem gleitenden Übergangsprozess galt es, das künftige feste Personal von Ministerium und nachgeordneter Landesverwaltung zu rekrutieren. Geisler und Nees bemühten sich, möglichst viele Ostdeutsche in Leitungsfunktionen unterzubringen. Das war aber nicht einfach, da Personen mit Verwaltungserfahrung in der Regel belastet und damit für ein Ministerium, das „belastungsfrei“ aufgebaut werden sollte, nicht geeignet waren. So bemühte man sich, Seiteneinsteiger zu finden, was teilweise gelang. Insgesamt waren die Auswahlkriterien für das Personal „sehr streng“. Nachträglich bekannt werdende Kontakte zum MfS oder eine allzu große Nähe zum SED-Apparat führten zur Nichteinstellung oder zur nachträglichen Entlassung.489 Betroffen davon war auch Heidrun Lotze, die zunächst die Funktion der Abteilungsleiterin I und II übernommen hatte,490 Ende 1991 aber trotz ihrer unbestrittenen Verdienste 483 Interview Albin Nees. 484 Interview Reiner Schrenker. 485 BayStK, Arbeitsstab Deutschlandpolitik, Interministerielle AG Deutschlandpolitik: Gespräch des Bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl mit der Bayerischen Landtagspresse e. V. am 9. 4.1991. Materialien: Aufbau der neuen Länder mit Bayerischer Hand (BaySK, Baer). 486 Interview Albin Nees. 487 Interview Reiner Schrenker. 488 Hans Geisler an Gebhard Glück vom 27.11.1990 (HAIT, KA, 46). 489 Interview Albin Nees. 490 Koordinierungsstelle Dresden: Bericht Thomas Hirschle vom 17.11.1990 über die Zeit bis zum 15.11.1990 (SMBW, I 0305.0. 1990).

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um den Landesaufbau wegen ihrer früheren SED-Mitgliedschaft und Funktion im Staatsapparat entlassen wurde.491 Es zeigte sich, so Vaatz, dass sie den neuen Kriterien nicht genügte. Ihr Fall sei einer von mehreren gewesen, „wie wir sie leider des Öfteren hatten, wo eben dann die wohlbegründeten Kriterien für Personalauswahl, die wir hatten, im Einzelfall eben auch eine Person treffen, die sich tatsächlich und nachweislich ans andere Ufer begeben hatte und auch den Mumm dazu gehabt hatte“. Obwohl man mit ihr während der gesamten Landesbildung eng kooperiert habe, wäre „eine Rechtsungleichheit geschaffen“ worden, „wenn wir da eine Ausnahme gemacht hätten“. Sie sei auch eher von Vertretern „aus dem alten Apparat gestürzt“ worden, die sie „als Verräter“ angesehen und denunzierende „Insider-Information ans Sozialministerium gegeben“ hätten.492 Dass, wie unter anderem von Buttolo oder Grüning kritisiert, die Kriterien der Beurteilung von Mitläufern des SED-Regimes zu scharf gefasst waren, wurde trotz solcher Fälle nicht thematisiert. Ungeachtet der Umstände ihres Abganges bleibt festzuhalten, dass Heidrun Lotze eine der zentralen und konstruktivsten Akteure im Prozess der Neubildung des Landes Sachsen gewesen ist. Relativ frühzeitig zum Abteilungsleiter III (Sozialversicherung) berufen wurde auch Hans-Joachim Raden aus dem bayerischen Staatsministerium für Arbeit und Soziales.493 Raden hatte seit Oktober im bayerischen Informationsbüro Dresden mitgearbeitet. Laut Organigramm vom April 1991 trat Carl Ludwig Zimmer an seine Stelle, der im Juni 1991 seinerseits von Harry Fuchs abgelöst wurde.494 Die Abteilung IV (Familie und Soziales) leitete Wilhelm Vogel aus Baden-Württemberg, die Abteilung V (Gesundheitswesen und Verbraucherschutz) Hartmut Weber-Falkensammer, die Abteilung VI (Veterinärwesen und Verbraucherschutz) Siegfried Bach. Sächsisches Staatsministerium der Finanzen: Lange versuchte Biedenkopf, die bisherige niedersächsische Finanzministerin Birgit Breuel für den Posten der sächsischen Finanzministerin zu gewinnen. Sie sagte ihm aber wie Christa Thoben nach der Landtagswahl ab. Frau Breuel war nach der Regierungsübernahme von Gerhard Schröder in Hannover in den Vorstand der Treuhandanstalt in Berlin gewechselt, wo sie zugesichert hatte, kein politisches Amt zu übernehmen.495 Daraufhin berief Biedenkopf Georg Milbradt. Dieser arbeitete seit 1981 als Lehrstuhlvertreter für Finanzwissenschaften und Volkswirtschaft und seit 1985 als außerplanmäßiger Professor der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster. Außerdem war er Kämmerer der Stadt Münster und Berater der Westdeutschen Landesbank. Er galt als Spitzenexperte auf dem

491 Interview Bernd Herzer. 492 Interview Arnold Vaatz am 21. 6. 2000. 493 Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden. Jahresbericht 1990 (PB Manfred Kolbe). 494 Organisationspläne des Sächsischen Staatsministeriums für Soziales, Gesundheit und Familie vom 2. 4. und 18. 6.1991 (HAIT, KA, 29). 495 Vgl. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 394 f.

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Gebiet der Kommunalfinanzen und Unternehmensbesteuerung. Beide Politiker kannte sich seit Jahren und waren befreundet. Milbradt hatte Biedenkopf in der westfälischen CDU „als einen höchst kreativen und kompetenten Wegbereiter moderner CDU-Politik kennen- und schätzengelernt“ und ihn mit Freunden aus Münster gegen seine innerparteilichen Gegner unterstützt.496 Nun wechselte er ebenfalls „mit voller Unterstützung der Hiesigen“ nach Dresden,497 ließ er doch von Beginn an keinen Zweifel, „sympathiemäßig auf Seiten der neuen CDU“ zu stehen.498 Das machte es für Vaatz um so einfacher, den Norddeutschen wegen seiner für Westimporte nicht selbstverständlichen „Bescheidenheit und in seiner gänzlichen Ablehnung von irgendwelchem formal protokollarischen Getue“ zu loben. Damit habe er sich deutlich von anderen Kandidaten unterschieden, die für ihr „Schaulaufen in der Staatskanzlei“ mit Minister- oder Staatssekretärsposten belohnt werden wollten. Vaatz hielt ihn zunächst für „irgendeinen Referenten oder sonst jemanden“, auf keinen Fall aber für den neuen Finanzminister. Für ihn bedeutete Milbradt den „Wiederbeginn der Normalität“. Der Finanzminister habe „mit einer entwaffnenden Selbstverständlichkeit hochideologisierte Grabenkämpfe durch praktische Vernunft beenden“ können: „Wie verblasen wirkten die linken Utopien, an die wir früher hatten glauben sollen, gegen seine realistischen Visionen.“499 Auch Hirschle betonte, Milbradt vermittele „einen ausgesprochen fachlich kompetenten, zupackenden Eindruck“ und habe „ein erkennbar gutes Verhältnis zum Ministerpräsidenten“.500 Milbradt selbst sah in der Berufung eine Chance und Herausforderung. Er sagte sofort zu, war es doch „für den Ökonomen ein höchst seltener Glücksfall, bei einem solchen Umbruchprozess mitwirken zu können“. Normalerweise kenne man in den Wirtschaftswissenschaften im Gegensatz zu den Naturwissenschaften keine Experimentalsituation. Plötzlich aber habe es eine Lage gegeben, „in der man viel stärker als sonst herausgefordert war, etwas selber zu gestalten“.501 Staatssekretär, Amtschef und „Graue Eminenz“502 wurde auf Wunsch von Milbradt sein persönlicher Freund Hans Reckers, den er bereits seit der Studienzeit kannte.503 Bevor Reckers die Funktion Mitte November übernahm, fungierte kurzzeitig Hubert May vom bayerischen Staatsministerium der Finanzen als Amtschef. Er war seit Anfang November auch Leiter des bayerischen Informationsbüros in Dresden und wurde nach Reckers Amtsantritt Abteilungsleiter für den Bereich Steuern.504 Reckers war zunächst Leiter der Planungsgruppe 496 497 498 499 500 501 502 503 504

Milbradt, Kraft der Visionen, S. 28. Interview Kurt Biedenkopf. Interview Manfred Kolbe am 16. 5. 2003. Arnold Vaatz. Zit. in Milbradt, Kraft der Visionen, S. 43 f. Koordinierungsstelle Dresden: Bericht Thomas Hirschle vom 17.11.1990 über die Zeit bis zum 15.11.1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). Milbradt, Kraft der Visionen, S. 28. Interview Hans Geisler. Interview Georg Milbradt. Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Jahresbericht 1990 (PB Manfred Kolbe).

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bei der CDU-CSU-Fraktion, wechselte dann als Referent ins Bundesfinanzministerium und war seit Herbst 1989 als Gruppenleiter im Bundeskanzleramt für Personal und Organisation der Bundesregierung tätig gewesen. Der Bundeskanzler hatte Reckers während der Einigungsverhandlungen Ministerpräsident de Maizière als Berater zur Seite gestellt, ohne dass er seine Bonner Funktionen dafür aufgab. Obwohl er dort kaum öffentlich in Erscheinung getreten sei, so Hans Geisler, sei er in de Maizières Büro „im Grunde die Führungsperson“ gewesen.505 Hier lernte er Klaus Reichenbach und andere Politiker aus Sachsen kennen. Reckers wechselte Mitte November nach Dresden. Es war sein erster Aufenthalt in Sachsen. Im Mai 1992 zog er aus familiären Gründen zurück nach Bonn und übernahm dort die Leitung der Planungsgruppe in der CDU/CSUFraktion. Sein Nachfolger wurde bis 1999 Karl-Heinz Carl, der zuvor Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung gewesen war. Mit Milbradt und Reckers an der Spitze war das Finanzministerium das einzige Ressort, in dem sowohl der Minister als auch der Staatssekretär aus dem Westen kamen. Das wurde freilich wegen der umfassende Kenntnisse voraussetzenden Materie leichter akzeptiert als in anderen Bereichen.506 Während der Übergangsphase von der Tätigkeit des von Manfred Kolbe geleiteten Arbeitsstabes Wirtschaft des Koordinierungsausschusses zum Finanzministerium bestand das Ministerium zunächst nur aus dem Minister und dem Staatssekretär. Milbradt bezeichnet die Vorarbeiten des Koordinierungsausschusses als wertvoll. Grundstrukturen und Abgrenzungen zwischen den Ministerien waren zu einem Teil dort schon zu seiner Zufriedenheit entworfen bzw. vorgenommen worden. Während es hier nur einiger Modifizierungen bedurfte, griff er auf die bereits eingegangenen Bewerbungen auf die Ausschreibungen nicht zurück. Wie in den anderen Ministerien stützte sich Milbradt zunächst auf die Mitglieder des Arbeitsstabes. Dies waren meist bayerische Leihbeamte, die sich für einige Wochen oder Monate in Sachsen aufhielten,507 die meisten von ihnen aus der Oberfinanzdirektion Nürnberg, aber auch Bedienstete aus dem Osten für die einzelnen Bereiche. Die Bayern übernahmen Funktionsbereiche wie Haushalt, Organisation oder Kasse.508 Zunächst bereitete sogar die Unterbringung Probleme. Das Ministerium war im bisherigen Gebäude der Bezirksbehörde Dresden der Deutschen Volkspolizei untergebracht, das teilweise noch als Fachschule benutzt wurde: „Wir haben also die Polizei dort raus gedrängt, um überhaupt Möglichkeiten zur Unterbringung unserer Leute zu bekommen. Nach und nach ist uns das auch gelungen.“ Erst Schritt für Schritt normalisierte sich auch die Personalsituation. Zunächst wurden Abteilungs- und Referatsleiter eingestellt, wobei die Abteilungsleiter durchweg aus dem Westen kamen. Je „systemabhängiger“ die Arbeit war, desto größer war der Anteil der Westdeutschen. Ostdeutsche arbeiteten in eher technischen Bereichen wie der EDV 505 506 507 508

Interview Hans Geisler. Interview Hans Reckers. Interview Georg Milbradt. Interview Hans Reckers.

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oder im Baubereich, wo spezifische Westkenntnisse nicht so notwendig waren.509 Aber noch Anfang des Jahres 1991 waren die meisten Stellen unbesetzt.510 Für die Leitungen der Abteilungen wurden zunächst Personen beauftragt und erst später Abteilungsleiter eingestellt.511 Insgesamt war der Anteil der Westdeutschen im Finanzministerium nach dem Justizministerium am höchsten, weil hier Erfahrungen aus DDR-Zeiten kaum Bedeutung hatten.512 Ein Teil der Beamten war schon vor Beginn der Arbeit des Ministeriums in Sachsen gewesen und kam aus den Beraterstäben der Bayern und Baden-Württemberger. Oft, so Milbradt, habe es sich um Personen gehandelt, „die auch in ihrem bisherigen Leben gezeigt hatten, dass sie zu einem Wechsel bereit waren“, und die sich „so eine Aufbausituation vorstellen konnten“. Einige waren zuvor im Ausland im Einsatz gewesen, bei anderen handelte es sich um „de Maizières oder Reckers Leute, die schon im Vereinigungsprozess mitgemischt“ hatten. Es waren „nicht die typischen Hocker, die sich in ihrem restlichen Leben nicht vorstellen können, nicht in ihrer Heimatstadt zu wohnen“.513 Im Februar 1991 wurde Jochen Weidner Kommissarischer Abteilungsleiter I. Bis dahin hatte Walter Woydera die Funktion ausgeübt, der jedoch aus persönlichen Gründen wieder nach Bayern ging, bevor er im Dezember 1991 in selber Funktion nach Sachsen zurückkehrte. Hubert May vom Bayerischen Staatsministerium der Finanzen wurde Abteilungsleiter Steuern.514 Milbradt gelang es auch, den Steuerabteilungsleiter der Landesregierung von Schleswig-Holstein nach Sachsen zu holen, was im Übrigen einer der ganz seltenen Fälle war, wo jemand in der gleichen Funktion wechselte. In der Regel seien die Beamten beim Wechsel mindestens eine Besoldungsstufe gestiegen.515 Abteilungsleiter Haushalt wurde der bisherige Verbindungsmann des Bundesfinanzministeriums in Berlin. Der Oberfinanzpräsident hatte zuvor lange Zeit in der Türkei gelebt, deren Steuerrecht dem deutschen sehr ähnlich ist.516 Auf Referatsleiterebene hatten auch Bewerber aus dem Osten Chancen, so dass sich hier ein Verhältnis von etwa sechzig Prozent West- und vierzig Prozent Ostbeamten ergab. Während der Einsatz von Ostdeutschen als Abteilungsleiter auf Grund fachlicher Defizite zunächst nicht möglich war, betrieb Milbradt gezielt eine Personalpolitik, möglichst Hiesige als Referatsleiter einzusetzen. Der Personalkörper wurde „aus drei Richtungen“ eingestellt. Eine erste Gruppe hatte sich zuvor im DDR-Staatsapparat mit Finanzen befasst. Dieser Teil des Personals stammte entweder aus den Abteilungen Finanzen und Preise der früheren Räte der Bezirke, aus dem DDR-Finanzministerium oder aus der Staatli509 510 511 512 513 514

Interview Georg Milbradt. Interview Jochen Weidner. Interview Hans Reckers. Interview Georg Milbradt. Interview Georg Milbradt. Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Jahresbericht 1990 (PB Manfred Kolbe). 515 Interview Hans Reckers. 516 Interview Georg Milbradt.

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chen Finanzrevision. Bei einer zweiten Gruppe handelte es sich um geeignete Personen aus den neuen Ländern, insbesondere aus Sachsen, die in anderen Bereichen tätig gewesen waren. Die dritte Gruppe kam aus dem Westen, vor allem aus Bayern, aber auch teilweise aus Baden-Württemberg und aus Bundesministerien. Am schwierigsten war es, auch wegen der geringen Bezahlung, dauerhaft Beamte aus dem West zu gewinnen. Auch hinsichtlich der Qualifikationen gab es Schwierigkeiten. Da aufgrund des Einigungsvertrages zum Teil noch altes DDR-Recht galt, mussten westliche Beamte hinzulernen und benötigten auch Einfühlungsvermögen für die ungewohnten Verhältnisse. Umgekehrt kannten die Mitarbeiter aus dem Osten, soweit sie aus dem Staatsapparat kamen, die alten Verhältnisse genau, aber nun galt überwiegend neues bundesdeutsches Recht. „Insofern“, so Reckers, „kann man sagen, dass eigentlich niemand aus dem Stand die Dinge richtig beherrschte. Sowohl die Leute aus dem Westen wie die aus Sachsen mussten sich intensiv einarbeiten. Die einen in die Sachfragen, die anderen in das Recht. Und das war für alle Seiten schwierig und anspruchsvoll.“ Einige Westbeamte hätten sich „schnell reingefunden“, für andere sei es ganz schwierig gewesen, denn es ist schon „ein Unterschied, ob man in einer stabilen, geordneten Verwaltung arbeitet oder in einer solchen Umbruchzeit, wo wirklich auch unkonventionell gearbeitet werden musste“.517 Obwohl unmittelbar mit der Ausbildung von Finanzbeamten des gehobenen Dienstes (Inspektoren, Amtmänner) begonnen wurde, vergingen einige Jahre, bis eigenes sächsisches Personal zur Verfügung stand. 1994 schlossen die ersten ihre Ausbildung ab, verfügten aber zu diesem Zeitpunkt immer noch über keine praktischen Erfahrungen. Erst Ende der neunziger Jahre konnte der Freistaat in größerem Umfang auf eigene Kräfte zurückgreifen und nach und nach die aus dem Westen übernommenen Kräfte ersetzen. Der Aufbau der sächsischen Finanzverwaltung war somit auch in personeller Hinsicht „im Wesentlichen ein Neuaufbau“.518 Das galt ebenso für den gesamten Organisationsaufbau der Landesfinanzverwaltung auf den nachgeordneten Ebenen. In der DDR hatte ein Finanzministerium im westlichen Sinne nicht existiert, schon gar nicht in einer dezentralen Länderstruktur. Der Einzug von Steuern war nicht das Hauptfinanzierungsinstrument des Staates gewesen. Die DDR finanzierte sich kaum durch Steuern, sondern durch Abgaben der Betriebe und durch die Festsetzung der Verkaufspreise. In den zentral verwalteten Bezirken gab es lediglich Kassenorganisationen, was auch „das Einzige“ war, was „von diesem alten System vorhanden“ war, als das Staatsministerium der Finanzen errichtet wurde.519 Die einzige Abteilung der Bezirksverwaltungsbehörde, die dem Ministerium unterstellt wurde, war die für Finanzen und Preise, ohne freilich organisatorisch eingegliedert zu werden.520 „Nirgends“, so erinnert sich Milbradt, „funktionierten eingespielte Abläufe, die sich hätten fortsetzen lassen“; nichts von dem war vorhanden, was 517 518 519 520

Interview Hans Reckers. Interview Georg Milbradt. Interview Georg Milbradt. Interview Hans Reckers.

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ihm aus seiner bisherigen Tätigkeit als Professor oder Kämmerer vertraut war.521 Was vor sich ging, war „ein kompletter Neuaufbau“.522 Auch Reckers hat die Anfangszeit als „chaotische Umbruchzeit“ in Erinnerung, in der viel improvisiert wurde. Das Ministerium sei eine einzige „Verwaltungsbaustelle“ gewesen. Andererseits sei es deshalb auch eine sehr interessante Zeit gewesen, in der viel bewegt werden konnte. Dabei ging es unter anderem um Zuordnungsfragen. Es musste geklärt werden, welche Behörden wozu gehörten, welche abgewickelt werden mussten, welche Geldkonten dem Land oder dem Bund gehörten und wie die Gehaltszahlungen gewährleistet werden konnten. Zunächst sei wegen der zentralistischen Struktur der DDR völlig unklar gewesen, was überhaupt zum Freistaat Sachsen gehörte. Vermögenswerte und Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern mussten erst einmal aufgeteilt werden. Hinzu kam, dass bis Ende 1990 die Frist nach Artikel 13 des Einigungsvertrages lief, in der ganze Einrichtungen abgewickelt werden konnten. Freilich war deren Zuordnung oft völlig unklar. Diese Frist sei viel zu kurz gewesen und die Beamten aus dem Westen, für die alles völlig neu war, mussten innerhalb weniger Wochen in einer schwierigen Informationslage so fundamentale Entscheidungen treffen wie z. B. die Abwicklung ganzer Einheiten. Durch diese Regelung sei „teils ein richtiges Chaos“ entstanden. Von Halbjahr zu Halbjahr habe sich die Lage mehr normalisiert, wobei mehrere Jahre Grundprobleme wie die mangelnde Akzeptanz von Westbeamten oder Einarbeitungsprobleme eines erheblichen Teils der Ostbediensteten erkennbar blieben. Die Auswirkungen der Umbruchsituation und der besonderen personellen Konstellation seien jahrelang spürbar gewesen.523 Der Aufbau der nachgeordneten Finanzverwaltung erstreckte sich ebenfalls über einen längeren Zeitraum. Die Finanzämter waren auf Anweisung des DDR-Finanzminister bereits zum Zeitpunkt der Währungsunion in den sächsischen Bezirken mit bayerischer Hilfe errichtet worden und befanden sich daher seit einiger Zeit im Aufbau. Alle anderen nachgeordneten Behörden mussten erst gebildet worden. Dazu gehörte eine Hochbauverwaltung, eine Liegenschaftsverwaltung und die Neuorganisation des gesamten Kassen- und Zahlungswesen.524 Die Unterstützung der Bezirksfinanzdirektionen durch bayerische Experten konzentrierte sich zunächst auf die Einrichtung der Landesoberkassen. Ab März 1991 wurde das Sächsische Landesamt für Finanzen in Dresden mit den Außenstellen in Chemnitz und Leipzig betreut. Bayern betreute in Sachsen insgesamt achtzehn Finanzämter und gemeinsam mit Baden-Württemberg die Oberfinanzdirektion Chemnitz. Vorübergehend wurden die Leiterpositionen aller 35 Finanzämter mit Leihbeamten aus dem Westen besetzt, von denen aber nur einige blieben; der größte Teil ging zurück nach Bayern und Baden-Würt521 522 523 524

Milbradt, Kraft der Visionen, S. 27. Interview Georg Milbradt. Interview Hans Reckers. Interview Georg Milbradt.

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temberg.525 Um eigenes Personal heranzubilden, unterstützte die bayerische Finanzverwaltung den Aufbau der Finanzverwaltung bereits seit April 1990 mit Schulungsmaßnahmen für die Beschäftigten und durch die Ausbildung von Nachwuchskräften. Von April bis Dezember 1990 wurden Schnellkurse für zirka vierhundert Beschäftigte durchgeführt. Für alle Beschäftigten der sächsischen Steuerverwaltung wurde seit Februar 1991 eine zwecks Einheitlichkeit der Steuerbeamtenausbildung konzipierte achtwöchige Grundschulung durchgeführt, an der fast viertausend Mitarbeiter teilnahmen. Anfang der 90er Jahre bildete die bayerische Finanzverwaltung 14 sächsische Baureferendare aus. 1991 lag der inhaltliche Schwerpunkt der bayerischen Betreuung in der Errichtung einer funktionsfähigen Aufbau- und Ablauforganisation in den Finanzämtern, im Aufbau der Finanzkasse und eines funktionsfähigen Besteuerungsverfahrens, um wenigstens die wichtigsten Steuereinnahmen zu sichern. Aus einem ursprünglich für die Finanzämter konzipierten bayerischen „Vorsteherprogramm“ wurde später ein alle Verwaltungen des Geschäftsbereichs des Sächsischen Finanzministeriums umfassendes „Führungskräfteprogramm“. Im höheren Dienst wurden in diesem Rahmen 38 Beamte in Sachsen mit Leitungsaufgaben betraut. Auch im Bereich des mittleren und gehobenen Dienstes leistete die bayerische Steuerverwaltung umfangreiche Aufbauhilfe. Bis 1994 wurden 84 Beamte des gehobenen und mittleren Dienstes für mehr als zwei Jahre nach Sachsen entsandt.526 Auch der Liegenschaftsbereich musste völlig neu aufgebaut werden, gab es doch in der DDR keine dezentrale Liegenschaftsverwaltung. Jede Behörde hatte hier ihre Gebäude in „so einer Art Eigentum“, einem „eigentumsähnlichen Nutzungsrecht“ besessen. Milbradt sorgte dafür, dass in Sachsen schnell eine effektive Liegenschaftsverwaltung durchgesetzt wurde, um die Ressource Grund und Boden effektiv nutzen zu können.527 Bereits 1990 begann mit gemeinsamer bayerischer und baden-württembergischer Unterstützung zudem der Aufbau einer dreistufigen Staatshochbauverwaltung.528 Hier wie in anderen Bereichen konnten die westlichen Unterstützungsarbeiten nur „mit empfindlichen Einschränkungen im eigenen Bereich“ erbracht werden. So kam die Realisierung einer Neukonzeption des Bezügeverfahrens in Bayern nahezu zum Stillstand, und auch im Rechenzentrum der Bezirksfinanzdirektion München verzögerten sich wichtige Arbeiten. „Diese Einschränkungen“, so das bayerische Finanzministerium, „sind jedoch zugunsten unserer Mitbürger in den neuen Bundesländern hinzunehmen.“529 Hilfen wurden aber nicht nur im Bereich des Verwaltungsaufbaus geleistet, hinzu kamen finanzielle Leistungen. 525 Interview Hans Reckers. 526 BSTMF: Konzept Verwaltungshilfe 93/94 (BaySMI Zusammenarbeit Bayern-Sachsen, Bl. 35–40). 527 Interview Georg Milbradt. 528 BSTMF: Konzept Verwaltungshilfe 93/94 (BaySMI Zusammenarbeit Bayern-Sachsen, Bl. 35–40). 529 Ebd.

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Für die Arbeit des Sächsischen Staatsministeriums der Finanzen war es in diesem Zusammenhang maßgeblich, dass Sachsen bis zum Jahresende 1990 finanziell noch nicht selbständig, sondern die Bundesregierung für allen neuen Bundesländer haushaltsmäßig zuständig war. Dafür wurde in Berlin eine Außenstelle des Bundesfinanzministeriums eingerichtet, in der für jedes neue Bundesland Beamte des Bonner Finanzministeriums zuständig waren.530 Dabei handelte es sich um keine Zwangsverwaltung des Bundes. Nur in der Zeit vom 3. Oktober 1990 bis zur Wahl des Ministerpräsidenten wurde der sächsische Haushalt in der Verantwortung des Bundes gemäß Artikel 15 des Einigungsvertrages vollzogen. Mit der Wahl des Ministerpräsidenten erlosch diese Zuständigkeit des Bundes. Nach Artikel 15 des Einigungsvertrages nahm allerdings der Bund diese Aufgabe auf Ersuchen des Ministerpräsidenten weiter wahr, längstens bis zum 30. Juni 1991. Entsprechend bot das Bundesfinanzministerium an, zunächst bis zum Jahresende Verwaltungshilfe beim Vollzug des sächsischen Haushalts zu leisten. Der Koordinierungsausschuss empfahl, das Angebot des Bundes anzunehmen. Das mit der Verwaltungshilfe verbundene Weisungsrecht des Bundes bedeute zwar einen formalen Souveränitätsverlust des Freistaates Sachsen, dies habe jedoch keine Auswirkungen, „da angesichts der beschränkten Mittel und der reinen Vollzugsaufgabe 1990 keine Gestaltungsspielräume vorhanden“ waren und die organisatorischen Voraussetzungen für einen Vollzug des Haushalts in eigener Verantwortung des Freistaates nicht vorlagen.531 In der Tat verfügte der Freistaat Sachsen bis Ende 1990 über keine eigenen Kassen und keine eigene Haushaltführung; sein Landeshaushalt war Teil des Bundeshaushaltes. Erst 1991 wurde Sachsen finanziell selbständig. Das hing auch damit zusammen, dass der DDR-Haushalt seit der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion am 1. Juli 1990 für das zweite Halbjahr, die sogenannte „DM-Zeit“, mit dem Beitritt Teil des Bundeshaushaltes geworden war. Das war für die neuen Bundesländer insofern ein glücklicher Umstand, als es zunächst kaum Steuereinnahmen gab. In der DDR war für das zweite Halbjahr ein Haushaltsplan mit Einnahmen und Ausgaben aufgestellt worden. Die Einnahmen blieben freilich weitgehend aus und nur die Ausgaben mussten getätigt werden. Die Defizite des DDR-Haushaltes wurden in den Bundeshaushalt übernommen.532 Wie zuvor die DDR verfügte auch Sachsen kaum über eigene Einnahmen. Seit Beginn der Regierungsarbeit wiesen Biedenkopf und sein Finanzminister auf die katastrophale Finanzlage Sachsens hin. Schon seit dem Frühjahr hatte der Ministerpräsident eine bessere Finanzausstattung der neu entstehenden Länder gefordert und die Regelungen zum „Fonds Deutsche Einheit“ kritisiert. Vor allem die Finanzregelungen des Einigungsvertrages waren in Sachsen auf Ablehnung gestoßen. Da die DDR-Regierung die künftigen Länder nicht in die Eini530 Interview Hans Reckers. 531 Koordinierungsausschuss, Arbeitsstab Finanzen: Sitzung des Koordinierungsausschusses des Freistaates Sachsen am 1.11.1990 (HAIT, KA, 3.3). 532 Interview Georg Milbradt.

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gungsverhandlungen einbezogen hatte und diese daher ihre Interessen nicht artikulieren konnten, dauerte es bis zur Bildung des Freistaates Sachsen, bis die Proteste in wahrnehmbarer Form artikuliert werden konnten. Aber auch erste Forderungen des neugewählten Ministerpräsidenten vom Oktober 1990 nach einer Steuererhöhung wurden von der Bundesregierung und allen Parteien entrüstet zurückgewiesen.533 Wie er forderten auch seine neu ernannten Minister von Anfang an ein Umdenken derart, dass man künftig nicht länger von Hilfen für den Osten reden dürfe, sondern gesamtdeutsch denken müsse. „Die finanziellen Hilfen aus Westdeutschland“, so Schommer, seien „Investitionen in den Standort Deutschland.“534 Der Aufbau im Osten, so auch Milbradt, sei „kein ostdeutsches Problem, zu dessen Lösung der Westen je nach aus seiner Sicht definierter Zahlungsfähigkeit oder Zahlungswilligkeit beiträgt, sondern ein gesamtdeutsches Problem“.535 „Was wir hier vorfinden“, so Biedenkopf, „ist die letzte große Folge des verlorenen Krieges. Die erste war die ungeheure Zerstörung des ganzen Landes; sie konnte nur im Westen überwunden werden. Die zweite Folge war der Verlust der Ostgebiete. Und die dritte Folge war die Zerstörung der Chance für die 20 Prozent der Deutschen, die im Osten lebten, ihr Land in Freiheit aufzubauen. Statt dessen ist hier der Krieg, der Kalte Krieg, weitergegangen – gegen die Menschenrechte, gegen die Kultur, gegen die Natur.“536 Nun gelte es für alle Deutschen gemeinsam, diese Folgen zu überwinden. Scharfe Kritik an Biedenkopfs kritischer Haltung kam von CSU-Generalsekretär Erwin Huber, der Biedenkopf einen „miserablen politischen Stil“ und „illoyales Verhalten“ vorwarf. Im „Bayernkurier“ schrieb er, Biedenkopfs Forderungen ließen den Verdacht aufkommen, dass er „den ersten Erfolg seiner politischen Laufbahn, den Wahlgewinn in Sachsen, nicht zu verkraften und wohl auch nicht richtig zu gewichten“ wisse.537 Auch CSU-Landesgruppenchef Wolfgang Bötsch nannte Biedenkopf einen „Unions-Störfaktor“.538 Die weitere Entwicklung sollte die beiden CSU-Politiker diesbezüglich freilich ins Unrecht setzen. Finanzminister Milbradt zeigte sich nach einem ersten Kassensturz erschrocken über die Finanzlage. Das Kabinett beschloss am 4. Dezember die maßgeblich von bayerischen Beamten erarbeiteten Entwürfe des Staatsministeriums der Finanzen für ein Vorschaltgesetz 1991, eine sächsische Haushaltsordnung sowie ein Vorschaltgesetz über Kommunalfinanzen.539 Am 5. Dezember kündigte Milbradt angesichts der Finanzlage „harte und schmerzliche Einschnitte“ bei Einrichtungen des Landes und der Kommunen an, um Spielräume für 533 534 535 536 537 538 539

Vgl. Die Union vom 30.10.1990. Schommer, Die Förderung, S. 327. Milbradt, Strategien für die Zukunft, S. 575. Interview Kurt Biedenkopf. In: Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt vom 9.11.1990. Zit. in Die Union vom 8.11.1990. Die Union vom 9.11.1990. Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Bericht vom 3.–9.12.1990 (PB Manfred Kolbe).

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Investitionen zu bekommen.540 Einen Tag später forderte der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Martin Böttger, eine Klage gegen den Bundesfinanzausgleich und sprach vom „Provinzegoismus der Alt-Bundesländer“.541 Das Kabinett beschloss Anfang Dezember 1990 den Entwurf eines Vorschalt-Haushaltsgesetzes sowie einer Haushaltsordnung. Milbradt erklärte dazu, das Vorschaltgesetz sei „nicht die in Zahlen gegossene Politik der neuen Staatsregierung, sondern lediglich die finanzielle Ausgangslage, die wir vom SED-Regime geerbt haben“. Notwendigen finanziellen Ausgaben von 19,3 Mrd. DM stünden lediglich Steuereinnahmen in Höhe von 3,9 Mrd. DM gegenüber. Unter dem Strich bliebe nach allen Zuschüssen aus dem Westen ein Defizit von 4,9 Mrd.542 Die Oppositionsparteien legten der Landesregierung deswegen nahe, gegen den Einigungsvertrag zu klagen. Kunckel erklärte, man habe es nicht verdient, wie Bettler leben zu müssen.543 Mitte Dezember kritisierte Milbradt angesichts der katastrophalen Finanzlage Sachsens die Finanzverteilung zwischen Bund sowie alten und neuen Ländern. Der „Fonds Deutsche Einheit“ sei zu gering bemessen, um das Ost-West-Gefälle in der Steuerkraft auszugleichen.544 Zuvor hatte Biedenkopf bereits konstatiert, dass die Steuereinnahmen für 1991 voraussichtlich wesentlich geringer ausfallen würden als erwartet. Der Bundesfinanzausgleich, von dem die neuen Länder bis 1994 ausgeschlossen waren, müsse neu geregelt werden. Entweder man erreiche einen Ausgleich oder man müsse vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe klagen.545 Nachdem die Defizite Anfang des Jahres 1991 genauer berechnet wurden, zeigte sich, dass die neuen Länder schon in der Ausgangslage eine Verschuldung hatten, die bei der Hälfte des westlichen Niveaus lag. Im Westen hatte es aber über vierzig Jahre gebraucht, um diesen Schuldenstand aufzubauen. Dabei waren Infrastrukturen geschaffen worden, von denen der Osten nur träumen konnte. Deswegen forderten die neuen Länder, den Mehrwertsteueranteil im Jahr 1991 von 55 auf einhundert Prozent pro Kopf des westlichen Niveaus anzuheben und die neuen Länder ab 1992 in die steuerkraftbezogene Verteilung der Mehrwertsteuer einzubeziehen. Bis 1994 sollte zudem der stufenweise Einbau in den bundesdeutschen Finanzausgleich stattfinden.546 Am 8. Januar 1991 schlugen die Finanzminister der Länder daraufhin eine Aufstockung des „Fonds Deutsche Einheit“ um 6 Mrd. DM vor. Die Finanzierung sollte erfolgen, indem die Kreditermächtigung für den Fonds entsprechend erhöht und der Schuldendienst je zur Hälfte von Bund und Ländern geleistet werden sollte. Der Aufstockungsbetrag sollte den neuen Bundesländern sowie dem Ostteil Berlins in voller Höhe

540 541 542 543 544 545 546

dpa vom 5.12.1990. dpa vom 6.12.1990. Zit. in Die Welt vom 8.12.1990. Vgl. dpa vom 19.12.1990; Die Welt vom 20.12.1990. Vgl. Die Welt vom 15.12.1990. Vgl. FR vom 11.12.1990. Zu den Forderungen im Einzelnen vgl. Milbradt, Die Finanzausstattung, S. 280–283.

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zustehen.547 Damit gaben sich die neuen Bundesländer aber nicht zufrieden, weswegen Sachsen weiterhin eine Klage beim Bundesverfassungsgericht erwog.548 Im Februar 1991 forderte die CDU-Landtagsfraktion angesichts der finanziellen Misere des Freistaates auch eine vorgezogene Einbeziehung in den Länderfinanzausgleich.549 Die offensichtlich katastrophale Entwicklung der öffentlichen Finanzen in den neuen Bundesländern mit einem Gesamtdefizit von insgesamt über fünfzig Mrd. DM im Jahre 1991 führte zu einer Korrektur der bisherigen Regelungen. Zu deutlich zeigte sich, dass die bisherigen Schätzungen unrealistisch waren. So hatte es zum Beispiel in einem Szenario möglicher finanz- und haushaltspolitischer Eckdaten für Sachsen vom 31. August 1990 für Späth noch geheißen, Sachsen habe „im Landeshaushalts-Szenario eine unerwartet gute Finanzausstattung“.550 Nun sah die Lage anders aus. Hans-Peter Mengele schrieb an Heitmann, die politischen Probleme in den neuen Bundesländern träten nun langsam „in der Dimension zutage, wie sie nach Jahrzehnten sozialistischer und nationalsozialistischer Misswirtschaft zu erwarten waren“. Leider sei der große Schwung bei der Umsetzung der deutschen Einheit erlahmt, und er habe „zunehmende Zweifel, ob überhaupt das geeignete innerstaatliche Verfassungsgefüge gewählt worden“ sei. Mengele befürchtete gar, die neuen Bundesländer seien „unter den gegeben Bedingungen nicht lebensfähig“. Man hätte die westlichen Länder härter in die Pflicht nehmen und Mecklenburg-Vorpommern mit Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt und Thüringen mit Hessen bzw. Niedersachsen und Brandenburg mit Berlin zu Bundesländern vereinigen sollen. Diese hätten dann über das komplette Instrumentarium verfügt, um die Verpflichtung zur raschen Angleichung der Lebensbedingungen zu verwirklichen. Als einziges neues Land wäre dann Sachsen auf die Hilfe der anderen angewiesen gewesen.551 Auch die CSU, die Biedenkopf gerade noch wegen seiner Einschätzung der Lage scharf attackiert hatte, musste einen Rückzieher machen. „Mittlerweile“, so auch der Leiter der Bayerischen Staatskanzlei, Johann Böhm, am 19. Februar 1991, „wissen wir, dass die Finanzausstattung der neuen Länder angesichts der drückenden Erblast des SED-Regimes unzureichend ist.“552 Angesichts der sich in den Stellungnahmen ausdrückenden Ernüchterung hinsichtlich der finanziellen und ökonomischen Leistungsfähigkeit der Ex-DDR einigten sich die 16 Ministerpräsidenten am 28. Februar 1991 mit Bundeskanzler Kohl, die neuen Länder rückwirkend zum 1. Januar 1991 nun doch in voller Höhe an der Verteilung 547 Bundesrat, Finanzausschuss: Ergebnisniederschrift über die Finanzministerkonferenz am 8.1.1991 in Bonn (BFM, 105, Fz Ref, FzA, FMK, vom 26. 9.1990 bis 7. 2.1991). 548 Vgl. dpa vom 27. 2.1991. 549 Vgl. dpa vom 11. 2.1991; Die Welt vom 12. 2.1991. 550 SMBW, Abteilung I: Vermerk für Ministerpräsident Späth. Betr. Szenario eines Landeshaushaltes 1991 in Sachsen – finanz- und haushaltspolitische Eröffnungsbilanz Sachsen im Jahr 1991 vom 31. 8.1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). 551 Hans-Peter Mengele an Steffen und Christine Heitmann vom 27. 2.1991 (HAIT, Heitmann, Kontakte nach Baden-Württemberg). 552 Staatssekretär Johann Böhm: Die Einheit gestalten vom 19. 2.1991 (BayStK, Baer).

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der Umsatzsteuer zu beteiligen. Damit erhöhten sich deren Finanzmittel um vier bis fünf Mrd. DM pro Jahr und um insgesamt 34 Mrd. DM bis 1994. Den westlichen Bundesländern entstanden dadurch zusätzliche Kosten von 17 Mrd. DM. Beibehalten wurde die Regelung, bis 1995 keinen gesamtdeutschen Finanzausgleich stattfinden zu lassen und die neuen Bundesländer auch nicht mit Bundesergänzungszuweisungen unter die Arme zu greifen. Der Anteil des Bundes am „Fonds Deutsche Einheit“ von fünfzehn Prozent wurde auf die neuen Länder übertragen, was ein zusätzliches Transfervolumen von 5,2 Mrd. DM bedeutete. Außerdem sagten die West-Länder eine intensivere Verwaltungshilfe zu. Dafür mussten sich die neuen Länder zu sparsamster Verwaltungsführung und zum Personalabbau verpflichten. Schließlich waren die neuen Länder 1991 „nahezu so ausgestattet wie ein armes Bundesland“, das heißt mit rund 82 Prozent des Westdurchschnitts.553 Am 8. März 1991 beschloss die Bundesregierung außerdem das „Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost“ mit einem zusätzlichen Finanzvolumen von je zwölf Mrd. DM für die Jahre 1991 und 1992. Durch die Beschlüsse wurden die Finanznöte der neuen Bundesländer und ihrer Kommunen zwar gemildert, die strukturellen Probleme ihrer Finanzausstattung und ihre mittelfristige Benachteiligung gegenüber den westdeutschen Gebietskörperschaften aber keineswegs aufgehoben. Weiterhin blieb die Finanzausstattung pro Kopf der Bevölkerung um bis zu zwanzig Prozent hinter jener der alten Bundesländer zurück. Dennoch waren die „krassesten systematischen Benachteiligungen, die die Regelungen des Einigungsvertrages für die neuen Länder und ihre Kommunen darstellten“, durch die Beschlüsse korrigiert worden.554 Die Finanzgebaren des Bundes und der westlichen Länder in den Jahren 1990 und folgende, die auch Sachsen unmittelbar betrafen, fanden im Nachhinein kaum mehr Befürworter.555 Meist wurde konstatiert, dass die Probleme der neuen Bundesländer im Prozess der Einigung unzureichend berücksichtigt worden seien. Das Handeln der West-Akteure wurde als „kurzatmiges Krisenmanagement“ klassifiziert. Man habe zu spät, zu wenig und zu einfallslos geholfen.556 Der Osten sei finanzpolitisch in einer Art „Generalgouvernement“ regiert und finanziell an den Tropf des Bundes und der westdeutschen Länder gehängt worden,557 dies aber freilich unzureichend. Dabei ging es bei der Finanzausstattung der neuen Bundesländer nicht nur um Geld und Effizienz; vielmehr stellte eine ausreichende Finanzausstattung der Länder die Grundlage der Funktionsfähigkeit von Föderalismus und somit eines Kernelements der Verfassungsordnung dar, wie sie im Grundgesetz garantiert wird.558

553 Milbradt, Die Finanzausstattung, S. 282 f. Vgl. Laufer / Münch, Die Neugestaltung, S. 231 f. 554 Seibel, Zur Situation der öffentlichen Verwaltung, S. 492. 555 Zur Finanzierung der deutschen Einheit vgl. ausführlich Schwinn, Die Finanzierung. 556 Mäding, Die föderativen Finanzbeziehungen, S. 324. 557 Von Beyme, Das politische System, S. 355. 558 Vgl. Seibel, Zur Situation der öffentlichen Verwaltung, S. 491.

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Sächsisches Staatsministerium der Justiz: Biedenkopf hatte bereits frühzeitig bei Steffen Heitmann nachgefragt, ob er bereit sei, Justizminister in Sachsen zu werden.559 Schon Ende August hatte man dem früheren Berater der Gruppe der 20 in Stuttgart eine „politische Zukunft“ als Justizminister zugetraut. Es handele sich bei ihm um einen „hochintelligenten, eigenständigen (aber auch eigenwilligen) Reformpolitiker“, der „bei größeren Veranstaltungen persönliche Ausstrahlung und erhebliches rhetorisches Geschick“ entwickele.560 Auch Hans Joachim Meyer hatte den Eindruck, dass Heitmann durch seine Arbeit für den Verfassungsentwurf relativ früh das Vertrauen Biedenkopfs gewonnen hatte. Für Biedenkopf habe sich damit angeboten, was sonst keinem anderen Ministerpräsidenten gelungen sei, nämlich einen Experten aus der DDR als Justizminister zu gewinnen.561 Am 2. November traf er sich mit Heitmann in der Schevenstraße und fragte ihn definitiv nach seiner Bereitschaft, Justizminister zu werden. Heitmann sagte nach kurzer Beratung mit seiner Frau zu.562 Er war zu diesem Zeitpunkt „eigentlich nicht mehr überrascht“, hatte er doch schon länger das Gefühl, dass die Sache auf ihn zulief. Er wusste, dass er durch sein Mitwirken in der Gruppe der 20 und im Rechtsausschuss der Dresdner Stadtverordnetenversammlung, vor allem aber auch durch die politisch ausgewogene Verfassungsdiskussion und die Arbeiten an Entwürfen sächsischer Landesgesetze für das Amt prädestiniert war. Damit war er der einzige Justizminister der neuen Bundesländer, der nicht aus dem Westen kam. Der 1944 in Dresden geborene Heitmann hatte den Vorteil, trotz DDR-Sozialisation über die richtigen Erfahrungen zu verfügen. Er kannte eine Verwaltungsbehörde von innen und hatte sie schon über Jahre geleitet. Auch wenn die Kirchenverwaltung nicht mit der Landesverwaltung vergleichbar und wesentlicher kleiner war, handelte es sich doch um eine typische Verwaltungsbehördenstruktur. Heitmann war parteilos. Er trat der CDU erst Ende 1991 bei, nachdem Biedenkopf Landesvorsitzender geworden war, weil er sich „einfach nicht vorstellen konnte, unter einem Landesvorsitzenden Reichenbach in die CDU einzutreten“.563 Seine zwangsläufigen anfänglichen Defizite hinsichtlich des bundesdeutschen Rechtssystems kompensierte er mit Offenheit und Aufgeschlossenheit vor allem gegenüber Hinweisen seines Staatssekretärs. Als Kirchenjurist war er niemals in der Praxis tätig, also nie Richter oder Staatsanwalt gewesen, weswegen ihm auch „gewisse praktische Aspekte“ fehlten.564 Staatssekretär wurde Eberhard Stilz aus dem baden-württembergischen Justizministeriums, der sich bereits im Rahmen der Arbeit des Koordinierungsaus559 Interview Kurt Biedenkopf. 560 Zur Situation im künftigen Land Sachsen. Kurzbericht aufgrund der Mitarbeit im Koordinierungsausschuss für die Landesneubildung im Monat August 1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). 561 Interview Hans Joachim Meyer am 3. 3. 2003. 562 Vgl. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 407. 563 Interview Steffen Heitmann. 564 Interview Volker Ellenberger.

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schusses maßgeblich an der Ausarbeitung der Strukturen des Justizministeriums und der Herausbildung des Gerichtsaufbaus beschäftigt hatte.565 Stilz stand, wie andere Leihbeamte auch, trotz seiner hohen Funktion weiterhin in badenwürttembergischen Diensten und wurde nach seinem früheren Referatsleitergehalt besoldet. Freilich lag er damit besser als mit dem ihm zustehenden Ostgehalt als Staatssekretär. Er hatte sich früh auf ein dauerhaftes Engagement in Sachsen festgelegt und beteiligte sich bewusst nicht an baden-württembergischen Stammtischen oder Zirkeln, von denen sich in Dresden etliche bildeten. Er verstand sich nicht mehr als Sachwalter Baden-Württembergs, sondern „Sachwalter Sachsens gegen Baden-Württemberg“, weil er wusste, dass es bei aller Hilfsbereitschaft doch auch divergierende Interessen gab und man „zum Teil auch relativ hart kämpfen“ musste, um Interessen durchzusetzen. Seine berufliche Zukunft in Baden-Württemberg war ihm nach eigenem Bekunden „völlig egal“.566 Dennoch kehrte er 1992, wenn auch ungern,567 aus privaten Gründen nach Baden-Württemberg zurück, wo er Präsident des Oberlandesgerichts in Stuttgart wurde. Heitmann ist noch immer voll des Lobes über seine „außergewöhnliche Persönlichkeit“, seinen „unglaublichen Arbeitseifer“, seine „durchgängige Kompetenz“ und seine „menschlich überaus angenehme Art“. Für ihn sei es „geradezu ein Glücksfall“ gewesen, mit Stilz zusammenarbeiten zu dürfen.568 Aber auch in Stuttgart lobte ihn der spätere Justizminister Thomas Schäuble. Seiner Initiative und Führungsbegabung sowie seinem Organisationstalent, Geschick und Überblick verdanke der Neuaufbau einer rechtsstaatlichen Justiz in Sachsen die entscheidenden Impulse.569 Nachfolger wurde auf seine Empfehlung der bisherige Abteilungsleiter I des Ministeriums, Klaus Hardraht, den Stilz 1990 ins Dresdner Justizministerium geholt hatte. Ihm folgte bis zum Jahr 2000, wiederum aus Stuttgart, Stefan Franke. Die nach und nach gewonnenen Abteilungs- und Referatsleiter kamen notwendigerweise fast durchweg aus dem Westen. Ein anderes Vorgehen war kaum möglich, war in Sachsen doch noch nicht einmal die Richter- oder Staatsanwaltschaft überprüft worden. Genau dies war aber eine der anstehenden Aufgaben. Da man für die Funktionen Juristen benötigte, wären aber aus dem Osten fast nur die bislang systemtreuen Richter und Staatsanwälte in Betracht gekommen. Man konnte aber, so Stilz, im Ministerium schlecht einen unüberprüften Richter in eine führende Position setzen. Später erwies sich, dass die Mehrzahl in Frage kommender Juristen ausfiel, weil sie als Inoffizielle Mitarbeiter dem MfS 565 Bericht von Heidrun Lotze über den Stand der Erarbeitung ministerieller Strukturen vom 15. 8.1990 (Dok. 119). 566 Interview Eberhard Stilz. 567 Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. 568 Interview Steffen Heitmann. 569 Bericht von Justizminister Dr. Thomas Schäuble an den Präsidenten des Landtages von Baden-Württemberg. Betr. Antrag der Fraktion der CDU vom 8. 7.1994: Personalhilfe Baden-Württembergs zum Aufbau der Justiz in den neuen Bundesländern vom 30. 8. 1994 (SMBW, II 0305.0 1991 ff.).

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zugearbeitet hatten. Es stand also so gut wie keine sächsische Justizelite zur Verfügung, auch wenn Heitmann wie auch Stilz „liebend gern“ Personal aus Sachsen genommen hätten.570 Stattdessen versuchte Stilz, hohe Beamte aus dem Bundesjustizministerium sowie aus den Partnerländern Bayern und BadenWürttemberg zu gewinnen.571 Auch Kontakte ins Saarland wurden genutzt, um geeignetes Führungspersonal zu rekrutieren. Die anderen westlichen Bundesländer kamen kaum in Frage, hatten sie als Partner anderer neuer Bundesländer doch selbst Verpflichtungen zu erfüllen.572 Vaatz bat auch die bayerische Staatsregierung um Unterstützung. Da das Justizministerium „keine auch nur annähernd vergleichbare Vorgängereinrichtung“ habe und im Osten „zudem extremer Juristenmangel“ herrsche, sei eine personelle Besetzung äußerst schwierig. Die deutschlandweite Ausschreibung der Abteilungs- und Referatsleiterstellen habe für das Justizministerium „praktisch kein verwertbares Ergebnis“ gebracht. Vaatz bat um die Zuweisung möglichst zahlreicher Leihbeamter und verwies darauf, dass alle wichtigen Referate der Abteilungen 1, 3 und 4 noch unbesetzt seien.573 Als Abteilungsleiter I war es Stilz, wie eben erwähnt, persönlich gelungen, den Abteilungsleiter I der Hamburg Justizverwaltung, Klaus Hardraht, zu gewinnen, der schon zuvor den Arbeitsstab Justiz des Koordinierungsausschusses beraten hatte. Hardraht, der sich in seiner Funktion zunächst nicht verbesserte, wechselte dennoch aus zwei Gründen nach Dresden. Erstens stammte er aus Dresden, und seine gesamte Verwandtschaft lebte nach wie vor in Sachsen und in Mecklenburg-Vorpommern. Seine Verwandtschaft forderten ihn auf, in seine frühere Heimat zurückzukehren, wo gerade Juristen wie er fehlten. Der zweite Grund war Stilz selbst, dem es dank seiner persönlichen Überzeugungskraft gelang, Hardraht zum Wechsel zu bewegen. Nach einem Vorstellungsgespräch bei Heitmann begann er am 3. Dezember mit der Arbeit.574 Die Abteilung 2 (Öffentliches Recht) übernahm der Richter am baden-württembergischen Oberlandesgericht Kindermann, der ebenfalls Anfang Dezember mit der Arbeit begann. Aus Baden-Württemberg kamen auch der Abteilungsleiter für Strafrecht, Unkel, und der Leiter der Abteilung Zivilrecht.575 Aus Bayern kam der Leiter des Strafvollzuges, Rudolf Schmuck.576 570 571 572 573

Interview Eberhard Stilz. Interview Klaus Hardraht. Interview Eberhard Stilz. Fernschreiben von Arnold Vaatz an MR Dr. Schön, BaySMI [undatiert] (HAIT, KA, 24.1, 1). 574 Interview Klaus Hardraht. 575 Bericht von Justizminister Dr. Thomas Schäuble an den Präsidenten des Landtages von Baden-Württemberg. Betr. Antrag der Fraktion der CDU vom 8. 7.1994: Personalhilfe Baden-Württembergs zum Aufbau der Justiz in den neuen Bundesländern vom 30. 8. 1994 (SMBW, II 0305.0 1991 ff.); Koordinierungsstelle Dresden: Bericht Thomas Hirschle vom 17.11.1990 über die Zeit bis zum 15.11.1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). 576 Koordinierungsstelle Dresden: Bericht Thomas Hirschle vom 17.11.1990 über die Zeit bis zum 15.11.1990 (SMBW, I 0305.0. 1990).

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Die Referatsleiterstellen waren Anfang Dezember bis auf den Verwaltungsrichter Volker Ellenberger als Referatsleiter Personal in der Abteilung 1 noch nicht besetzt, den Stilz persönlich angefordert hatte.577 In fast allen Ministerien waren zunächst die Verantwortlichen für die Personalauswahl bestimmt worden. Sie bildeten den Nukleus der weiteren Personalrekrutierung. Die anderen Referatsleiter wurden gemeinsam durch Stilz und Hardraht mit den Leitern der Allgemeinen Verwaltung der Justizministerien in Baden-Württemberg und Bayern ausgewählt. Genutzt wurden auch Hardrahts persönliche Kontakte nach Hamburg; es wurden aber auch einige wenige Juristen aus Nordrhein-Westfalen, Reinland-Pfalz und Hessen gewonnen. Schwierigkeiten, ausgebildete Juristen für diese Verwaltungsebene zu gewinnen, gab es nicht; allerdings waren nicht alle gleich qualifiziert.578 Trotz ihrer juristischen Ausbildung und Mitarbeit als Landesstrukturbeauftragte Justiz des Koordinierungsausschusses wurde Edeltraut Thaut nicht als Referatsleiterin oder als Gerichtsdirektorin eingestellt, da Heitmann sich dagegen aussprach. Sie wurde Vizepräsidentin am Amtsgericht Dresden.579 Im Bereich des Justizministeriums war im Herbst 1991 die schwierigste Phase des Verwaltungsaufbaus überwunden. Es bestand jedoch noch erheblicher Bedarf an qualifizierten Mitarbeitern. Im Ministerium selbst wurden Juristen mit Erfahrungen im Personal- und Haushaltswesen, im Verfassungsrecht, im Strafvollzug und in der Zivilgesetzgebung gesucht.580 Sächsisches Staatsministerium für Kultus: Der Aufbaustab Kultus des Koordinierungsausschusses unter Rößlers Leitung orientierte auf ein einheitliches Kultusministeriums mit den drei Bereichen Schule, Hochschule und Kultur unter einem Dach. Diese Struktur sollte sich in der Besetzung durch einen Minister und drei Staatssekretäre niederschlagen.581 Auch Biedenkopfs Vorstellungen zielten zunächst auf ein einheitliches Ministerium. Später koppelte er den Bereich der Kultur ab, den er durch eine Stiftung verwaltet sehen wollte. Frühzeitig legte sich Biedenkopf auf Hans Joachim Meyer als Kultusminister fest. Kurz vor dem sächsischen CDU-Landesparteitag Anfang September fragte er ihn telefonisch, ob er bereit sei, sächsischer Kultusminister zu werden. „Es ging damals“, so erinnert sich Meyer, noch „um das Ministerium, das alles umfasste“.582 Meyer hatte zu diesem Zeitpunkt auch andere Angebote, die sich im Verlaufe des September erhärteten. Noch waren die Landtagswahlen nicht gewonnen und die DDR der Bundesrepublik nicht beigetreten. Alle Entscheidungen waren insofern unverbindlich. Dennoch stellte Biedenkopf Meyer zu Beginn des 577 Interview Eberhard Stilz am 26.11.1999. 578 Interview Klaus Hardraht. 579 Zum Aufbau der Justiz und zur Einsetzung von Richtern und Staatsanwälten siehe Kap. 7.3. 580 Ergebnisniederschrift über die Koordinierungsbesprechung Bayern / Baden-Württemberg/Sachsen am 18. 9.1991 in Dresden (BaySMI, Zusammenarbeit Bayern-Sachsen, Bl. 75–80). 581 Interviews Volker Nollau am 15. 9.1999 und Klaus Husemann. 582 Interview Hans Joachim am Meyer 3. 3. 2003. Siehe dazu Kap. 6.2.4.

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Landesparteitages der CDU Anfang September seiner Gattin, Ingrid Biedenkopf, mit den Worten vor: „Wenn wir es nun in Zukunft hier miteinander zu tun haben, müssen Sie wenigstens meine Frau kennen lernen.“583 Der gebürtige Rostocker war bis zu seiner Berufung als Minister für Bildung und Wissenschaft der Regierung de Maizière Professor für Sprachwissenschaft an der HumboldtUniversität Berlin gewesen. Trotz seiner hohen Funktion hatte der aktive Katholik auch zu SED-Zeiten keinen Hehl aus seiner Überzeugung gemacht. In den 70er Jahren hatte er der Katholischen Pastoralsynode Dresden angehört, im Februar 1990 den Vorsitz des „Aktionsausschusses Katholischer Christen in der DDR“ übernommen. Politisch stand er der CDU nahe, der er im August 1990 wieder beitrat, nachdem er ihr bereits von 1952 bis 1961 angehört hatte. Der Grund seines damaligen Austrittes war nach eigenem Bekunden seine „endgültige Desillusionierung“ hinsichtlich einer „sinnvollen und verantwortbaren Rolle der CDU“ im SED-Staat gewesen.584 Noch bevor die Rede davon war, dass Biedenkopf sächsischer Ministerpräsident werden würde, hatte er Meyer bei einer Festveranstaltung am 17. Juni 1990 im Berliner Schauspielhaus am Gendarmenmarkt kennengelernt. Sie waren in losem Kontakt geblieben. Nachdem sich eine Kandidatur Biedenkopfs für das Amt des sächsischen Ministerpräsidenten abzeichnete, hatte Meyer ihm bei einem späteren Treffen am Rande einer Volkskammertagung anvertraut, er könne sich vorstellen, in einem der neu entstehenden Länder ein politisches Amt zu übernehmen. Dabei hatte er keinen Hehl daraus gemacht, dass er Sachsen wegen seiner ausgeprägten Wissenschaftslandschaft besonders attraktiv fand.585 Auch aus Sicht Biedenkopfs sprach einiges dafür, Meyer in sein Kabinett zu holen. Obwohl der überzeugte Katholik der Block-CDU kritisch gegenübergestanden hatte, setzte sich sowohl Klaus Reichenbach als auch de Maizière für ihn ein. Reichenbach hatte ihn zunächst selbst für sein mögliches Schattenkabinett in Erwägung gezogen.586 Allgemein war auch bekannt, dass de Maizière und Meyer ein gutes Verhältnis hatten. De Maizière beeindruckte besonders Meyers ausgewogene und differenzierende Argumentation sowie sein hoher Bildungsgrad. Meyer war auf seinen ausdrücklichen Wunsch Minister für Bildung und Wissenschaft seiner Regierung geworden. Nun machte er sich gegenüber Biedenkopf für ihn stark, da er sich, so Nollau, am Ende seiner Regierungszeit verpflichtet fühlte, bei den Ministern, die er selbst in sein Kabinett geholt hatte, dafür zu sorgen, dass sie weiterhin in vergleichbaren Funktionen tätig sein konnten.587 Meyer selbst wusste, dass er die Rückendeckung de Maizières für eventuelle politische Ämter hatte.588 Im September sorgte die sogenannte „Meyerschen Hochschulver-

583 584 585 586 587 588

Interview Hans Joachim am Meyer 31. 3. 2000. Interview Hans Joachim am Meyer 3. 3. 2003. Interview Hans Joachim Meyer am 31. 3. 2000. Interview Klaus Reichenbach. Interview Volker Nollau. Interview Hans Joachim Meyer am 3. 3. 2003.

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ordnung“589 noch einmal für Streit. Für den Hochschulbereich erließ das DDRMinisterium für Wissenschaft und Forschung am 18. September Übergangsregelungen. Während die Verordnungen für die einen nach vierzig Jahren Hochschulentwicklung „fast revolutionär“ wirkten,590 wurde ihm auf der Kultusministerkonferenz daraufhin von bundesdeutschen Bildungspolitikern vorgeworfen, mit einigen über den Tag der Einheit hinaus wirkenden Rechtsverordnungen den Spielraum der Länder einzuengen. Hans Joachim Meyer bekräftigte daraufhin, dass das Bildungswesen auch nach seiner Überzeugung künftig Sache der Länder sein müsse. Er sei „überzeugter Anhänger des Kultur-Föderalismus“. Die Verordnungen über Kindertagesstätten, Schulen und Universitäten müssten jedoch sein, um die Entstehung eines rechtsfreien Raumes nach dem 3. Oktober zu verhindern.591 Angesichts der verbreiteten Meinung, dass der Leiter des Arbeitsstabes Kultus des Koordinierungsausschusses, der DA-Aktivist Matthias Rößler, Kultusminister werden würde, informierte Biedenkopf diesen darüber, dass der Bundeskanzler wünsche, Meyer möge Minister in Sachsen werden.592 Meyer hält es dagegen für unwahrscheinlich, dass sich Kohl für ihn stark gemacht habe. De Maizière habe ihm lediglich berichtet, mit Kohl erörtert zu haben, ihn beim Bundesparteitag im Oktober ins Präsidium zu wählen. Das gelang zwar nicht, aber immerhin wurde er in Hamburg in den CDU-Bundesvorstand gewählt.593 Rößler, der den Kurs des Koordinierungsausschusses maßgeblich mitvertrat, in Sachsen einen personellen Neuanfang in der Landesverwaltung durchzusetzen, sah in der Wahl Meyers eine bewusste Entscheidung gegen den von ihm vertretenen Kurs. Ursache dafür war, dass Meyer als DDR-Bildungs- und Wissenschaftsminister eine gemäßigte Personalpolitik gegenüber Lehrern und Hochschullehrern vertreten hatte, die schon in der SED-Zeit tätig gewesen waren. Er sah in der Funktion des Kultusministers eine Chance zur Erneuerung der Schulund Hochschullandschaft. Bislang war ihm im Koordinierungsausschuss und durch die baden-württembergischen Beamten auch „immer wieder suggeriert“ worden, man sehe in ihm „den zukünftigen Minister“. Nun musste er wohl oder übel akzeptieren, dass Meyer das Ressort übernahm, wobei zunächst noch nicht klar war, dass das Ministerium geteilt werden würde.594 Kompliziert wurde die Angelegenheit für Biedenkopf nach den Landtagswahlen dadurch, dass der evangelisch-lutherische Landesbischof Sachsens, Johannes Hempel, am 19. Oktober das katholische Übergewicht in führenden Positionen kritisierte und ihm im persönlichen Gespräch bedeutete, es dürfe kein solches Übergewicht im Kabinett des traditionell protestantischen Sachsen ent589 Verordnung über Hochschulen (Vorläufige Hochschulverordnung) vom 18. 9.1990, GBl. DDR 1990 I, S. 1585. 590 Vgl. Hall, Die Hochschulgesetzgebung, S. 165 und 167. 591 Zit. in Die Union vom 20. 9., 21. 9. und 1.10.1990. 592 Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003. 593 Interview Hans Joachim Meyer am 31. 3. 2000. 594 Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003.

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stehen. Er „gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass der Kultusminister ein Protestant werden möge“. Um Meyer nicht völlig zu verlieren, blieb Biedenkopf keine Wahl, als entgegen bisheriger Absprachen das Kultusressort zu teilen und Meyer zu überzeugen, ein reduziertes Hochschulressort zu übernehmen.595 Für die Teilung des Ressorts gab es im Übrigen auch inhaltliche Gründe, und sie entsprach den Modellen der westlichen Partnerländer. So gab es in Baden-Württemberg ein Ministerium für Wissenschaft und Kunst sowie eines für Kultus und Sport, in Bayern ein Staatsministerium für Unterricht und Kultus und eines für Wissenschaft und Kunst. Nowak sah denn auch einen Vorteil in der Teilung des Ministeriums darin, dass die Probleme, die „im Schulbereich am Anfang so extrem waren“, besser zu handhaben waren. Immerhin sei es um die Umstellung eines ganzen Schulsystems gegangen.596 Retzlaff meint, mit der Aufteilung habe Biedenkopf „dem Umstand Rechnung getragen, dass hier doch sehr differenzierte und fachlich sehr beanspruchende Geschäftsbereiche vorlagen, auch von politischem Gewicht“.597 Auch für Meyer war die Trennung insofern plausibel, weil „zwei große Reformen und Erneuerungsprojekte“ in Schule und Hochschule durchgeführt werden mussten.598 Sicher lag darin auch seine Entscheidung begründet, trotz der Teilung nach Sachsen zu wechseln. Er stand nun vor der Wahl, einem Angebot von CDU-Ministerpräsident Alfred Gomolka zu folgen, in Mecklenburg-Vorpommern Kultusminister für alle Bereiche, also Schule, Hochschule und Kultur, zu werden oder in Sachsen das Wissenschaftsressort zu leiten. Bislang war Meyers Wahl auf Sachsen gefallen, weil es ihn reizte, einem kompakten Kultusministerium vorzustehen. Zunächst bekräftigte er nur seine Zusage, als Kultusminister zur Verfügung zu stehen,599 später entschied er sich, auch als Wissenschaftsminister nach Sachsen zu gehen.600 Unbegründet scheint die Vermutung Nowaks, in Biedenkopfs Umgebung habe man Meyer „nicht so stark machen“ wollen und ihm deswegen „nicht zwei Häuser und zwei Staatssekretäre“ gegeben. Seine Meinung, Biedenkopf hätte besser daran getan, beide Häuser unter Leitung Meyers zusammen zu legen,601 ist aus der Binnensicht des reduzierten Kultusministeriums verständlich, übersieht aber die Fülle der Sachzwänge, unter denen die Kabinettsbildung insgesamt erfolgte. Zwar sieht auch Meyer einen zusätzlichen Grund für die Teilung des Ressorts darin, dass Biedenkopf „möglicherweise auch Widerstand gegen mich spürte“,602 anderseits blieb Biedenkopf angesichts des Postulats des Landesbischofs kaum eine Wahl, als binnen kurzer Zeit einen evangelischen Kultusminister zu gewinnen. Ein möglicher Kandidat für das Amt des Schulministers war Volker 595 596 597 598 599 600

Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 395. Interview Wolfgang Nowak. Interview Reinhard Retzlaff. Interview Hans Joachim Meyer am 3. 3. 2003. Vgl. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 395. Interview Hans Joachim Meyer am 3. 3. 2003. Zur weiteren Entwicklung des SMWK siehe den folgenden Abschnitt. 601 Interview Wolfgang Nowak. 602 Interview Hans Joachim Meyer am 3. 3. 2003.

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Nollau.603 „Nach zuverlässigen Informationen“ der „Rheinischen Post“ vom 26. Oktober versuchte Biedenkopf aber auch Hans Maier dafür zu gewinnen.604 Dieser erinnert sich freilich an keine entsprechende Offerte und „hätte auch abgelehnt, ebenso wie bei einem früheren (realen) Angebot Walter Wallmanns für Hessen“, da er „der Politik endgültig den Rücken gekehrt“ habe.605 Biedenkopf zog zu diesem Zeitpunkt auch in Erwägung, Rößler zum Kultusminister zu berufen. Nach einer internen Information des baden-württembergischen Koordinierungsbüros in Dresden vom 25. Oktober über Personalentscheidungen Biedenkopfs taucht Rößler als Kultusminister auf.606 Nach Meinung Meyers strebte dieser aber nicht das Schulressort an, sondern interessierte sich für den Wissenschaftsbereich.607 Unter Rößlers Mitstreitern löste die Tatsache, dass dieser nicht wie erwartet ein Ministeramt erhielt, Spekulationen aus. Husemann vermutete, dass Rößlers Alter eine Rolle spielte. Biedenkopf sei jemand, der sich „im Zweifelsfall fürs Bewährte“ entscheide.608 Freilich hätte dann auch Vaatz sein Amt nicht übernehmen können, der selbst meint, es habe möglicherweise mit den Abmachungen zu tun, dass kein Strukturbeauftragter ein Ministeramt anstreben sollte.609 Das hätte freilich auch wiederum gegen ihn und Heitmann als Justizminister gesprochen. Auch Hirschle meint, dass Rößler, der „natürlich von der ersten Minute an als potentieller Kultusminister in der Diskussion war“, Biedenkopf möglicherweise „noch zu jung, zu forsch, zu unerfahren“ gewesen sei. Er selbst habe es ihm „von der ersten Minute an gegönnt“ und ihm nach Biedenkopfs Entscheidung „empfohlen, er soll geduldig bleiben, er wird es ohnehin“.610 Rößler konzentrierte sich nach der Kabinettsbildung im Landtag auf seine Funktion als bildungspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion und verstand sich hier als Widerpart zum Hochschulerneuerungskurs von Staatsminister Meyer. Ausschlaggebend für Biedenkopfs schließlich vorgenommene Wahl dürfte die Tatsache gewesen sein, dass sich seine Hoffnungen auf Frauen im Kabinett durch die Absagen von Thoben und Breuel zerschlagen hatten. Deswegen begab er sich nun auf die Suche nach einer möglichen Schulministerin. „Einen Moment nur“ ging ihm dabei nach Darstellung des Wochenblattes „Die Zeit“ „die Vorstellung einer Schulministerin Bärbel Bohley durch den Kopf“, dann aber legte er die Überlegung schnell als „reinen Feuilletonismus“ ad acta.611 603 Interview Hans Joachim Meyer am 3. 3. 2003. 604 Hans Maier war von 1970 bis 1986 bayerischer Kultusminister, von 1980 bis 1988 Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. 1990 war er Inhaber des Guardini-Lehrstuhls an der Universität München. Vgl. Rheinische Post vom 26.10.1990. 605 Hans Maier an den Autor vom 10.1. 2003. 606 SMBW, Abt. I: Vermerk für Ministerpräsident Späth zur Information vom 25.10.1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). 607 Interview Hans Joachim Meyer am 3. 3. 2003. 608 Interview Klaus Husemann. 609 Interview Arnold Vaatz am 21. 6. 2000. 610 Interview Thomas Hirschle. 611 Die Zeit vom 2.11.1990.

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Nach Informationen Rößlers empfahl Klaus Reichenbach ihm die CDU-Volkskammerabgeordnete und Lehrerin Stefanie Rehm aus dem vogtländischen Aue, die bereits seit 1969 der CDU angehörte und für die Zeit nach dem Ende ihres Bundestagsmandates im Dezember 1990 „noch irgendwas brauchte“.612 Sie selbst hatte sich um die Leitung eines Gymnasiums beworben. Biedenkopf bat sie zum Gespräch über ihre inhaltlichen Vorstellungen, wobei sie einen guten Eindruck auf ihn machte.613 Er traute ihr in ihrer direkten Art zu, „Farbe in das Amt und in das Kabinett“ zu bringen und „in der Kultusministerkonferenz für Bewegung“ zu sorgen. Mit ihr schienen sich für Biedenkopf mehrere Probleme gleichzeitig zu lösen. Er gewann eine Frau für sein Kabinett, sie war evangelisch und auch noch aus dem bislang nicht in der Ministerriege vertretenen Bezirk Chemnitz. Am 3. November sagte Frau Rehm zu.614 Ihre Berufung löste in Sachsen, aber auch in den Kreisen der Volkskammerabgeordneten Verwunderung aus, da sie im DDR-Parlament kaum in Erscheinung getreten war.615 Sie galt allgemein als „Alibibesetzung“616 und hatte im Amt Probleme, sich gegen ihren aus dem Westen kommenden Staatssekretär Wolfgang Nowak zu behaupten, der auch wenig Hehl daraus machte, dass er sie für „überfordert“ hielt.617 Rehm wurde im März 1993 durch den Leipziger CDU-Kreisvorsitzenden Friedbert Groß ersetzt, einen ehemaligen Kruzianer und Lehrer für musikalische Bildung und Rhythmik an der Leipziger Hochschule für Körperkultur. Nach Presseberichten war in den Reihen der CDU-Fraktion erneut auch Rößler als Kandidat gehandelt worden, den Biedenkopf aber nicht wünschte, weil er ihm durch seine Landtagsarbeit „gelegentlich unbequem geworden“ war.618 Zuvor hatte die Landrätin von Meißen, Renate Koch, die Übernahme des Amtes abgelehnt.619 Nachdem Groß bereits bei Amtsantritt angekündigt hatte, nur bis zur Landtagswahl 1994 zur Verfügung zu stehen, wurde zu diesem Zeitpunkt nun doch Rößler Kultusminister. Zum Staatssekretär an seiner Seite berief Biedenkopf seinen Vertrauten Hans-Werner Wagner, der seit 1991 Abteilungsleiter in der Staatskanzlei gewesen war. Staatssekretär im Kultusministerium wurde im Januar 1991 der bisherige Referatsleiter im nordrhein-westfälischen Kultusministerium, Wolfgang Nowak. Zunächst hatte der baden-württembergische Kultusminister, Gerhard MayerVorfelder, Biedenkopf den Konstanzer Rechtsanwalt Wilhelm Matthias Hansen empfohlen, für den sich Biedenkopf jedoch nicht entscheiden konnte.620 Sein Augenmerk war schon zuvor auf Nowak gefallen, den er als engagierten Verfechter einer von Parteien unabhängigen Bildungspolitik erlebt hatte. Nowak 612 613 614 615 616 617 618 619 620

Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003. Interview Kurt Biedenkopf. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 408 f. Interview Klaus Husemann. Fiedler, Die politische Entwicklung. In: Freistaat Sachsen 1991/92. Das Jahrbuch, S. 57. Interview Wolfgang Nowak. Freie Presse vom 3. 3.1993. Vgl. FR vom 17. 2.1993. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 407.

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verfügte zudem über internationale und nationale Erfahrungen in der Wissenschaftsverwaltung und hatte vor seiner Funktion in Düsseldorf für die Deutsche Forschungsgemeinschaft, beim Bundesministerium für Forschung und Technologie sowie beim Berliner Wissenschaftssenator gearbeitet. Biedenkopf hatte ihn bereits kurz nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten am 27. Oktober gefragt, ob er bereit sei, die sächsische Kultusverwaltung aufzubauen. Nowak sagte zu, wies Biedenkopf aber ausdrücklich auf seine SPD-Mitgliedschaft hin. Biedenkopf meinte jedoch, in der Situation des Aufbaus der neuen Bundesländer spielten solche „Details“ keine Rolle. Er suche weder einen Experten für einen baden-württembergisches, sozialdemokratisches oder sonstiges Schulsystem, sondern wolle ein neues sächsisches schaffen. Dafür räumte er ihm erheblichen Freiraum ein.621 Zwar wusste Hirschle bereits am 17. November zu berichten, dass auf Empfehlung Biedenkopfs Wolfgang Nowak im Gespräch sei,622 dennoch war Ministerin Rehm von der Auswahl überrascht, auf die sie selbst auch keinerlei Einfluss nehmen konnte.623 Die Berufung Nowaks als des engsten Mitarbeiters des Kultusministers von Nordrhein-Westfalen, Hans Schwier, sorgte in der CDU-Landtagsfraktion „für einiges Murren“ darüber, dass in ein so wichtige Amt ein profilierter „Vertreter der SPD-Bildungspolitik“ berufen worden sei.624 So war es für Nowak eine „extreme Herausforderung“, als SPD-Mitglied in eine Regierung zu gehen, in der die CDU mit absoluter Mehrheit regierte. Vor allem bei den Vertretern der ehemaligen Block-CDU, von denen viele nach seiner Überzeugung „erst einmal kein Kulturbewusstsein hatten, aber auf jeden Fall feststellen konnten, wer ihr Feind war“, sei er auf „festgefahrene Feindbilder“ gestoßen. Anders sei es bei Frau Rehm gewesen, die es gern gesehen habe, dass er „keinen scharfen CDU-Kurs“ fuhr. Auch Biedenkopf habe nie von ihm verlangt, irgendwelche CDU-Tabus zu berücksichtigen. Er habe ihm im Gegenteil völlig freie Hand gelassen. Sehr viel Rückendeckung habe er von Staatsminister Meyer und aus der Öffentlichkeit erfahren. Nowak begann im Januar 1991 mit dem Aufbau dessen, was er selbst als „Makulaturküche“ bezeichnete. Er hatte den Eindruck, dass der Aufbau des Ministeriums bis zum Zeitpunkt seiner Arbeitsaufnahme mehr oder weniger liegen geblieben war. Rehm und Husemann hätten sich gegenseitig behindert. Auch die Zusammenarbeit mit Baden-Württemberg sei zum Erliegen gekommen, seit man dort erfahren hatte, dass statt eines Baden-Württembergers ein nordrhein-westfälischer Sozialdemokrat Staatssekretär werden würde. Seine Arbeitsbelastung sei enorm gewesen. Von der Postordnung über die Reisekostenrechnung bis hin zum eigentlichen Aufbau der Schulverwaltung sei alles über seinen Schreibtisch gegangen. Nowak meint im Nachhinein, hätte er gewusst, wie „ungeheuerlich groß die Aufga621 Interview Wolfgang Nowak. 622 Koordinierungsstelle Dresden: Bericht Thomas Hirschle vom 17.11.1990 über die Zeit bis zum 15.11.1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). 623 Vgl. Die Welt vom 23.11.1990. 624 Die Welt vom 23.11.1990.

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be“ war, die auf ihn zukam, hätte er zurückgeschreckt.625 Als Problem erwies sich, so Biedenkopf, dass „der Staatssekretär zu dominierend“ war. Sein Konzept, „Minister von hier, Staatssekretäre vom Westen“ habe meist gut funktioniert, nicht jedoch beim Gespann Rehm-Nowak.626 Auch Husemann meinte, als Nowak da war, habe es nur noch ihn gegeben.627 Er selbst führte seine „starke Rolle“ auf die „ausgesprochen schwachen und eher hilflos agierenden“ Minister zurück, denen er nach anderer Meinung aber auch völlig unzureichend unter die Arme griff. Kennzeichnend für sein daraus resultierendes Hierarchieverständnis ist die Aussage: „Beide Minister, die ich hatte, waren überfordert.“ Nowak berichtete, ihm sei bei der Ablösung Rehms angeboten worden, Minister zu werden, wenn er aus der SPD austrete. Freilich sei die Offerte nicht von Biedenkopf, sondern von einem seiner Minister gekommen und er habe nicht gewusst, wie ernst sie gemeint war.628 Da die Widerstände gegen Nowak im Laufe der Zeit auch in der Staatskanzlei wuchsen, entließ Biedenkopf ihn am Ende der Legislaturperiode. Nowak wurde später für einige Zeit Leiter der Grundsatzabteilung des SPD-geführten Bundeskanzleramtes. Nach der Berufung von Stefanie Rehm, aber noch vor Einsetzung eines beamteten Staatssekretärs war der promovierte Ingenieur für Verfahrenstechnik und wissenschaftliche Mitarbeiter am Forschungsinstitut für Aufbereitung der Akademie der Wissenschaften in Freiberg, Klaus Husemann, zum Parlamentarischer Staatssekretär berufen worden. Husemann gehörte der CDU seit dem Herbst 1989 an. Im Mai 1990 hatte ihn die Regierung de Maizière zum Landesschulrat für Sachsen ernannt. In dieser Funktion hatte er für den Bereich „Bildung“ im Strukturbereich und späteren Arbeitsstab Kultus des Koordinierungsausschusses und in der Gemischten Kommission mitgewirkt. Husemann war Mitte November zunächst als Parlamentarischer Staatssekretär im Umweltministerium im Gespräch gewesen.629 Da er wie andere den Leitungsstil Nowaks kritisierte, kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen um Inhalte und Kompetenzen, die Nowak ihm wie allen Ostdeutschen weitgehend absprach. Husemann blieb bis zur Absetzung von Frau Rehm im März 1993 Parlamentarischer Staatssekretär. Seine Position wurde nicht wieder besetzt. Einen Monat später übernahm er eine Professur für Mechanische Verfahrenstechnik an der TU Bergakademie Freiberg. Rehm hatte vorübergehend bereits drei Abteilungsleiterposten besetzt, die Nowak bis auf einen nicht behielt, da ihnen nach seiner Überzeugung – wie Rehm und Husemann – die Kenntnisse fehlten, eine Kultusverwaltung aufzubauen. Er berief den geborenen Sachsen Gerd Friedrich aus dem Stuttgarter Kultusministerium und zwei weitere baden-württembergische Kultusbeamte, 625 626 627 628 629

Interview Wolfgang Nowak. Interview Kurt Biedenkopf. Interview Klaus Husemann. Interview Wolfgang Nowak. Koordinierungsstelle Dresden: Bericht Thomas Hirschle vom 17.11.1990 über die Zeit bis zum 15.11.1990 (SMBW, I 0305.0. 1990).

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Rost und Luding, zu Abteilungsleitern.630 Die Führungskräfte kamen anfänglich nach Nowaks Einschätzung zu sechzig bis siebzig Prozent aus dem Westen und zu vierzig Prozent aus dem Osten. Auf der Referatsleiterebene waren die juristischen Positionen durchweg mit Westdeutschen besetzt, während die Leiter der Oberschulämter in der Regel Ostdeutsche mit westdeutschen Vertretern waren. Die nachgeordnete Verwaltung wurde mehrheitlich mit ostdeutschen Mitarbeitern besetzt. Nowak bemühte sich nach eigenem Bekunden, bald Ostdeutsche in leitende Positionen zu bringen, weil bei denen mehr Verantwortung für das Land vorhanden gewesen und weil den Westdeutschen, die später kamen, zunehmend vorgeworfen worden sei, sie seien nach Sachsen gekommen, weil sie in Westdeutschland nichts geworden wären.631 Sächsisches Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst: Nachdem Biedenkopf beschlossen hatte, das ursprünglich geplante Kultusministerium mit den Bereichen Schule und Wissenschaft aufzuteilen,632 erklärte sich Hans Joachim Meyer bereit, auch ein reduziertes sächsisches Wissenschaftsministerium zu leiten und dafür das Schweriner Angebot auszuschlagen, einem Kultusministerium mit den Bereichen Schule, Wissenschaft und Kunst vorzustehen.633 Er wurde daraufhin zum Staatsminister für Wissenschaft berufen. Damit gehörte er zu den drei Politikern, bei denen es eine personelle Kontinuität aus der letzten DDR-Regierung in Landesregierungen der neuen Bundesländer gab. In Brandenburg waren dies Matthias Platzeck und Regine Hildebrandt, in Sachsen war es Meyer. Bei allen handelte es sich um Akteure, die zur systemkritischen Gegenelite gehört hatten.634 Mit seiner Berufung bestätigten sich interne Informationen für Späth von Ende Oktober nicht, Biedenkopf habe sich für Ingo Zimmermann als Wissenschaftsminister entschieden.635 Nach Erkenntnissen der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ kam für den Fall einer Absage Meyers „der von vielen favorisierte Mathematikprofessor Volker Nollau, ein angesehener Synodaler“, in Frage, der nach der Entscheidung Meyers, das Amt zu übernehmen, ins Glied der Parlamentarischen Staatssekretäre weichen musste.636 Meyers Berufung löste unter einigen Mitgliedern der Vaatz-Gruppe Proteste aus. Rößler, der eng mit Hochschulbasisgruppen zusammenarbeitete, die Meyers ihrer Meinung nach unzureichende Erneuerungspolitik im Rahmen der Regierung de Maizière kritisierten, intervenierte bei Biedenkopf.637 Hirschle berich630 Interview Wolfgang Nowak. Ein Organigramm vom 10. 8.1991 nennt folgende Abteilungsleiter im SMK: AL I Gerd Friedrich, AL II Porune, AL III Berenbruch, AL IV Stöhr, AL V Fiebig. 631 Interview Wolfgang Nowak. 632 Siehe den entsprechenden Abschnitt weiter oben. 633 Interview Hans Joachim Meyer am 31. 3. 2000. 634 Vgl. Derlien, Elitezirkulation, S. 12. 635 SMBW, Abt. I: Vermerk für Ministerpräsident Späth zur Information vom 25.10.1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). 636 Johann Michael Möller: „Mit Idealisten ist kein Staat zu machen.“ In: FAZ vom 8.11. 1990. 637 Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003.

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tete, Meyer sei in der Öffentlichkeit häufig vorgeworfen worden, „gegenüber alten Kadern in den Universitäten nicht konsequent genug vorgegangen zu sein“. Auch in der CDU-Landtagsfraktion habe dies zu „einer breiten Diskussion“ geführt.638 Meyer erinnert sich denn auch, zunächst auf „eine Wand“ gestoßen zu sein, die er dann „Person um Person“ abbaute.639 Die ersten Monate stand Meyer zunächst nur einem „Sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft“ vor, da Biedenkopf plante, für den Kunst- und Kultusbereich eine eigene Kulturstiftung zu bilden. Ende Oktober hatte sich ein von Lutz Heubaum geleiteter „Ausschuss der Arbeitsgruppe Kultur“ des CDU-Landesvorstandes bei Biedenkopf dafür eingesetzt, „die Kultur in der Regierungsstruktur stärker sichtbar zu machen“. Ein „Mauerblümchen Kultur“ als letzte Abteilung eines „stark mit Bildung und Wissenschaft befrachteten Kultusministeriums“ werde der Bedeutung von Kunst und Kultur in Sachsen nicht gerecht. Außerdem sehe der Landesvorstand die „politische Notwendigkeit“, den sich „stärker formierenden linken Tendenzen“ in der Kultur- und Kunstszene entgegenzuwirken.640 Um dem Ansinnen des CDU-Landesvorstandes zu entsprechen, wurde Meyer zunächst nur interimistisch mit der Wahrnehmung der Aufgaben für Kunst betraut. Er sollte die Stiftungsidee auf ihre Realisierbarkeit überprüfen, hielt das Konzept freilich in der von Biedenkopf angedachten Form einer Art Selbstverwaltung von Kultur für realitätsfern. Es widersprach seinen Erfahrungen mit dem Kunst- und Kulturbetrieb. Biedenkopf rückte zunächst dennoch nicht davon ab.641 Am 13. November drängte Heubaum bei Biedenkopf auf eine Lösung.642 Hier war man nach einem Gespräch mit dem Arbeitskreis der CDU-Landtagsfraktion und einer Abordnung der Künstlerschaft zu dem Ergebnis gekommen, dass es notwendig sei, einen Beirat zur Vorbereitung der Kulturstiftung zu berufen, in dem alle Gebiete der Kultur, die CDU-Landtagsfraktion und der CDU-Landesvorstand vertreten sein sollten. Eine zustimmende Information an Heubaum stoppte Biedenkopf freilich mit dem handschriftlichen Hinweis: „Das ist noch nicht entschieden.“643 Am 15. November traf sich ein Gremium, das sich „Kulturrat“ nannte. Ihm gehörten unter anderem Ludwig Güttler, Ingo Zimmermann, Harald Schubärth, Friedrich Wilhelm Junge, Arnold Vaatz, Bernd-Dietmar Kammerschen und Uta Dittmann an. Zunächst wurde darüber beraten, bis zur Bildung einer Kulturstiftung einen Regierungsbeauftragten mit Kabinettsrang mit den Geschäften zu betrauen. Junge schlug hierfür Güttler vor, der dabei eng mit dem bislang im Arbeitsstab Kultus für Kunst und Kultur zuständigen Schubärth zusammen arbeiten sollte. Offenbar war Güttler aber nicht bereit, denn das Protokoll vermerkt abschließend, 638 Koordinierungsstelle Dresden: Bericht Thomas Hirschle vom 17.11.1990 über die Zeit bis zum 15.11.1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). 639 Interview Hans Joachim Meyer am 31. 3. 2000. 640 Lutz Heubaum an Kurt Biedenkopf vom 13.11.1990 (HAIT, KA, 28). 641 Interview Hans Joachim Meyer am 3. 3. 2003. 642 Lutz Heubaum an Kurt Biedenkopf vom 13.11.1990 (HAIT, KA, 28). 643 Vorlage eines Schreibens von Kurt Biedenkopf an Lutz Heubaum vom 15.11.1990 (HAIT, KA, 28).

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man habe keinen Kandidatenvorschlag. Schubärth schlug Biedenkopf vor, übergangsweise einen ehrenamtlichen Senat einzusetzen, dem ein von Biedenkopf bestimmter Regierungsbevollmächtigter angehören sollte. Für den Senat wurden für den Bezirk Leipzig unter anderem Kurt Masur, Friedrich Magirius, Wolfgang Mattheuer, Udo Zimmermann, Erich Loest und Heinz Czechowski, für den Bezirk Chemnitz Uwe Grüning, für den Bezirk Dresden Ludwig Güttler, Friedrich Wilhelm Junge, Ingo Zimmernann und Uta Dittmann vorgeschlagen. Außerdem sollten die Kulturdezernenten der sechs kreisfreien Städte vertreten sein.644 Biedenkopf vertrat nun die Auffassung, dass der Kulturrat über einen Senat verfügen und dessen gewählter Präsident mit Stimmrecht im Kabinett vertreten sein sollte.645 Er hatte bereits Anfang November in Erwägung gezogen, Ludwig Güttler zum Präsidenten des Kulturrates zu ernennen.646 Güttler erinnert sich, dass Biedenkopf ihn fragte, ob er bereit sei, politische Verantwortung im Kultur- und Kunstbereich im Kabinett zu übernehmen. Er habe sich zwar grundsätzlich zur Mitarbeit bereit erklärt, aber auch klar gemacht, dass eine solche Funktion mit seiner Musikertätigkeit kaum vereinbar sei.647 Daraufhin wurde der bisherige Referatsleiter Kultur der Dresdner Bezirksverwaltungsbehörde, Ingo Zimmermann, inzwischen Mitglied der Arbeitsgruppe Kultur beim CDU-Landesvorstand, für diese Funktion in Erwägung gezogen. Etliche sächsische Künstler forderten Biedenkopf im November schriftlich auf, ihn zum Leiter eines solchen Kulturrates und in dieser Funktion zum Staatssekretär für Kultur im Ministerium für Wissenschaft zu ernennen. Da Meyer sich bemühte, Biedenkopf die Idee in der bisherigen Form auszureden, kam es zu einem „handfesten Konflikt“ zwischen Meyer und Zimmermann, der sich „aus nachvollziehbaren Gründen“ gern als Präsident dieser Kulturstiftung gesehen hätte. Auch Meyer hielt eine Kulturstiftung von Anfang an für nützlich, sah aber im Senat in der geplanten Form die Gefahr einer „Nebenregierung“ und eines Konfliktes des Senatspräsidenten zwischen Kabinetts- und die Senatsloyalität. Meyer vertrat, wenn es denn schon nicht das von ihm favorisierte gemeinsame Ministerium für Wissenschaft und Kunst geben sollte, zumindest das Konzept eines „richtigen Kulturministerium“, da die kulturpolitischen Kompetenzen nach seiner Überzeugung in eine Hand gehörten. Auch für eine solche Funktion des Kultusministers zeigte Ingo Zimmermann Interesse. Durch die verzögerte Umsetzung eines Regierungskonzeptes für den Kulturbereich entstand eine Lage, in der sich niemand richtig für den Kulturbereich zuständig fühlte. Inzwischen mehrten sich auch die Gegner, welche die Idee aus unterschiedliche Motiven ablehnten. Die Mehrheit der Landtagsabgeordneten hielt ohnehin wenig davon. Führende Künstler und Intendanten machten Biedenkopf klar, sie wollten mit der Regierung direkt verhandeln und nicht über 644 Protokoll Uta Dittmanns von der Sitzung des Kulturrates am 15.11.1990 (HAIT, KA, 28). 645 Interviews Hans Joachim am Meyer 3. 3. 2003 und Wolfgang Gönnenwein. 646 Vgl. FAZ vom 8.11.1990. 647 Interview Ludwig Güttler.

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ein Zwischengremium. Auf Grund der verschiedenen Einwände legte Meyer das modifizierte Konzept einer Kulturstiftung vor. Anfang Mai 1991 vereinbarten daraufhin der zuständige Landtagsausschuss und Biedenkopf einen Kompromiss, wonach der Senat aus der Kulturstiftung als eine Art „beratendes Oberhaus“ herausgelöst werden und die Kulturstiftung allein arbeiten sollte. Diese Lösung setzte sich durch, weil sie, so Meyer, „sinnvoll und vorteilhaft“ war. Meyer, der es nach wie vor für die beste Lösung hielt, den Kulturbereich seinem Ministerium anzugliedern, machte darüber hinaus am Ende einer Kabinettssitzung den Vorschlag, den gesamten Kulturbereich seinem Ministerium einzugliedern und dieses fortan „Sächsisches Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst“ zu nennen. Er räumte seinem zuvor gut überlegten Vorschlag eine Chance von weniger als fünfzig Prozent ein. Zu seiner Verblüffung sagte Biedenkopf jedoch zu. Für einige Zeit wurde nun aus Gründen der Sparsamkeit im bereits auf Vorrat gedruckten Briefkopf des Ministeriums für Wissenschaft mit Schreibmaschine „und Kunst“ ergänzt.648 Als Meyer Biedenkopf den Gesetzentwurf zur Erweiterung seines Ministeriums vorlegte, räumte dieser indirekt ein, sich geirrt zu haben. Die von ihm favorisierte Kulturstiftung war „schlicht an der Wirklichkeit gescheitert“. Pragmatiker wie er war, akzeptierte und unterstützte er die veränderte Praxis, wie sie bereits in anderen Bundesländern üblich war, mit einer eigenen Kulturstiftung zu arbeiten, die für Dinge zuständig war, die nicht im Verantwortungsbereich der Regierung liegen mussten.649 Zum Staatssekretär und Amtschef im Staatsministerium für Wissenschaft berief das Kabinett am 4. Dezember auf Meyers Vorschlag Eckhard Noack aus dem Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst.650 Meyer war sich mit Biedenkopf einig, wegen der notwendigen Kompetenz einen Staatssekretär aus dem Westen zu gewinnen. Er hatte zunächst an den Juraprofessor Ludwig Schreiber gedacht, der bis zum Regierungswechsel im Mai 1990 Staatssekretär im niedersächsischen Wissenschaftsministerium gewesen war. Schreiber, der später Präsident der Universität Göttingen wurde, hatte jedoch abgesagt und Eckhard Noack aus seiner bisherigen Dienststelle empfohlen.651 Parlamentarischer Staatssekretär wurde der Mathematikprofessor Volker Nollau, in dem bereits viele den künftigen Minister gesehen hatten.652 Biedenkopf hatte Meyer nach dem CDU-Landesparteitag Anfang September nahegelegt, einen Sachsen als Parlamentarischen Staatssekretär zu gewinnen, da Meyer zwar selbst aus der DDR kam, aber als Norddeutscher in Sachsen zunächst mit den üblichen Akzeptanzproblemen zu tun haben würde. Biedenkopf schlug 648 Interview Reinhard Retzlaff. 649 Interview Hans Joachim Meyer am 3. 3. 2003. 650 Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Bericht vom 3.–9.12.1990 (PB Manfred Kolbe). 651 Interviews Hans Joachim Meyer am 31. 3. 2000 und 3. 3. 2003. Vgl. Koordinierungsstelle Dresden: Bericht Thomas Hirschle vom 17.11.1990 über die Zeit bis zum 15.11.1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). 652 Vgl. Johann Michael Möller: „Mit Idealisten ist kein Staat zu machen.“ In: FAZ vom 8.11.1990.

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Nollau vor,653 der bereits zu SED-Zeiten kirchlich aktiv und Mitglied der Synode der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens gewesen war. Einen Tag vor dem Beitritt der DDR war er zum Professor der Mathematik an der Technischen Universität Dresden berufen worden. Nachdem „Die Union“ im Sommer 1991 aus einer vom MfS angelegten IM-Vorlaufakte zitierte, wonach Nollau 1988 Gespräche mit dem MfS hatte und er seine Professur möglicherweise einer Intervention der Staatssicherheit verdankte, trat er im September 1991 zurück, schied wenig später auch aus der Landtagsfraktion aus und widmete sich wieder wissenschaftlichen Studien.654 Vor seinen direkten Kontakten mit dem MfS war Nollau selbst jahrelang wegen seiner kirchlichen Aktivitäten observiert worden und hatte Landesbischof Hempel über seine Gesprächskontakte informiert. Minister Meyer lehnte eine erneute Besetzung des Postens des Parlamentarischen Staatssekretärs ab, wollte er doch seinem wichtigsten Kritiker, dem wissenschaftspolitischen Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Matthias Rößler, keine Chance zu geben, in diese Funktion nachzurücken. Bei der Besetzung der Abteilungs- und Referatsleiterposten wie auch des übrigen Personals achtete Meyer auf Ausgewogenheit zwischen Ost und West.655 Die entsprechenden Entscheidungen behielt er sich vor. Dabei versuchte er grundsätzlich, zunächst Personen aus dem Osten zu gewinnen. Das war, so Frank Schmidt, nicht so problematisch, weil der Markt an westdeutschen Bewerbern nicht so gut und es nicht einfach war, zum Beispiel gute Juristen aus dem Westen zu gewinnen.656 Die Verwaltung sollte nach dem Willen Meyers mit Personen besetzt werden, die die Strukturen sowie wichtige Künstler und Wissenschaftler kannten, die nicht in unzulässiger Weise mit dem SED-System verflochten gewesen waren. Deswegen wurden die drei Fachabteilungen für Hochschulen, für Forschung und für Kunst Ostdeutschen übergeben, während die beiden mehr rechtlich geprägten Abteilungen für zentrale Angelegenheiten und für Grundsatzangelegenheiten westlichen Verwaltungsjuristen zugewiesen wurden.657 Leiter der Abteilung für zentrale Angelegenheiten wurde der bisherige Mitarbeiter des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst Baden-Württemberg, Reinhard Retzlaff. Als Experte der Wissenschafts- und Kulturverwaltung hatte er in Stuttgart Querschnittsaufgaben wahrgenommen und später in der Forschungsverwaltung gearbeitet.658 Die Abteilung II (Grundsatzangelegenheiten) übernahm Poeschel, Leiter der Abteilung III (Hochschulen) wurde der bisherige Mitarbeiter des DDR-Ministeriums für Bildung und Wissenschaft, der aus Dresden stammende Gerd Maibaum. Meyer hatte ihn auf Vorschlag des DSU653 Interview Hans Joachim Meyer am 3. 3. 2003. 654 Vgl. Volker Nollau, „Das Unendliche in mathematischer und philosophischer Sicht.“ In: Wissenschaftliche Zeitschrift der TU Dresden, 45 (1996), S. 31 ff. 655 Interview Reinhard Retzlaff. 656 Interview Frank Schmidt. 657 Interview Reinhard Retzlaff. 658 Interview Reinhard Retzlaff.

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Vorsitzenden Hansjoachim Walther in sein Ministerium nach Berlin geholt. Wie Retzlaff hatte er sich bereits aktiv an der Arbeit des Arbeitsstabes Kultus des Koordinierungsausschusses beteiligt. Im Januar 1991 übernahm der bisherige CDU-Volkskammerabgeordnete und promovierte Physiker Frank Schmidt die Abteilung IV (Forschung). Meyer kannte ihn aus der Volkskammer und trat an ihn heran, nachdem er im Kampf um ein Dresdner Bundestagsmandat gegen Hans Geisler unterlegen gewesen war.659 Die Abteilung V (Kunst) übernahm Rainer Zimmermann, nachdem zunächst vergeblich nach einer Frau gesucht worden war.660 Mit Eva Wiese übernahm aber zumindest eine Frau als persönliche Referentin die Leitung des Büros des Ministers. Sie übernahm später die Leitung des Referats für außeruniversitäre geisteswissenschaftliche Forschung. Bei den Referatsleiterstellen galt ebenfalls das Prinzip, soweit als möglich Personen aus Sachsen zu gewinnen. Meyer gelang es nach eigener Überzeugung auf diese Weise, eine Spitzenmannschaft zusammenzustellen, die seiner Meinung nach zeigte, dass die starke Besetzung mit Westdeutschen in manchen Bereichen nicht notwendig gewesen wäre.661 Die rechtlich oder administrativ geprägten Referate wurden von westlichen Juristen besetzt. Die Institutionen und Referate der drei Fachabteilungen wurden von ostdeutschen Experten, insbesondere aus Sachsen, zusammengestellt und auch geleitet.662 In einer seiner ersten Entscheidungen gewann Meyer den bisherigen CDU-Volkskammerabgeordneten Heinrich Doufflet, der in Sachsen „als eine Art lebendes Denkmal für die Denkmalpflege“ galt.663 Referatsleiter wurden unter anderem die Mitarbeiter des Arbeitsstabes Andreas Jenkner und Manfred Werner, beides politische Vertraute Rößlers aus der gemeinsamen Zeit im Koordinierungsausschuss und im DA. Für das Haushaltsreferat wurde durchweg das bisherige Personal der Dresdner Bezirksverwaltung rekrutiert, mit dem Retzlaff beste Erfahrungen sammelte.664 Nach Meinung Meyers gab es zwar in personeller Hinsicht eine gewisse Kontinuität vom Arbeitsstab des Koordinierungsausschusses zum Ministerium; auf seine Tätigkeit und Planungen aber hätten die Vorarbeiten „keinen Einfluss“ gehabt. Er erinnert sich, seinerzeit in dem von ihm übernommenen Schreibtisch den Entwurf eines sächsischen Hochschulgesetzes gefunden zu haben, das „nach dem Muster des baden-württembergischen gestrickt“ gewesen sei, und habe damals gebeten, es „als Kuriosität aufzubewahren“. Für seine Überlegungen habe es keine Rolle gespielt, weil es ihm ein falscher Weg zu sein schien.665 Die ersten Arbeitsschritte waren wie in den anderen Ministerien von der Auswahl des Führungspersonals und der Entscheidung bestimmt, welche Institutio659 660 661 662 663 664 665

Interviews Hans Joachim Meyer am 3. 3. 2003 und Frank Schmidt. Interview Hans Joachim Meyer am 3. 3. 2003. Interview Hans Joachim Meyer am 3. 3. 2003. Interview Reinhard Retzlaff. Interview Hans Joachim Meyer am 31. 3. 2000. Interview Reinhard Retzlaff. Interview Hans Joachim Meyer am 31. 3. 2000.

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nen im Hochschulbereich bis zum Jahresende übernommen werden sollten. Meyer beschloss die Abwicklung ideologisch ausgerichteter Fachbereiche, die sofortige Einrichtung eines Studienprogramms und die Gewinnung von geeigneten Gründungsdekanen. Diese Suche erwies sich als schwierig. Daneben mussten so rasch wie möglich gesetzliche Grundlagen für den Hochschulbereich geschaffen werden. Neben dem Aufbau des Hauses und der möglichst raschen Gewinnung von Personal habe man in der Anfangsphase auch auf den mehrfachen Streit um den richtigen Weg der Hochschulerneuerung reagieren müssen, den es innerhalb der CDU, im Landtag und mit der Öffentlichkeit gab.666 Kern des Konfliktes mit der Öffentlichkeit und in der CDU-Landtagsfraktion war nach Hirschles Darstellung „der häufig erhobene Vorwurf, gegenüber alten Kadern in den Universitäten nicht konsequent genug vorgegangen zu sein“.667 Schon im Juli, noch in seiner Zeit als Bildungs- und Wissenschaftsminister der Regierung de Maizière, hatte ihn „Die Union“ mit den Worten zitiert, auch Marxisten hätten das Recht, Wissenschaft zu betreiben. Davon zu trennen sei das Problem, dass es in den gesellschafts- und humanwissenschaftlichen Fächern eine Überzahl an Marxisten gebe. Meyer hatte sich damals gegen pauschale Verurteilungen von Bildung und Wissenschaft in der DDR gewehrt. In der DDR habe es erhebliche wissenschaftliche Potentiale gegeben, die es zu erhalten gelte.668 Im November bekannte er sich in seiner neuen Position als sächsischer Hochschulminister weiterhin dazu, „dass die Generalisierung von Negativurteilen und eine pauschale Behandlung der Kolleginnen und Kollegen im Hochschul- und Bildungswesen der DDR der falsche Weg“ sei. Man brauche ein differenziertes Konzept. Radikalkuren würden dem Patienten nicht helfen, sondern in einen schlechteren Zustand bringen. Im Januar 1991 sprach er von „Inseln und Nischen“ im DDR-Wissenschaftsbetrieb, die NS-Zeit und DDR überdauert hätten. Daraus ergaben sich für ihn „zwei miteinander in Spannung stehende ganz verschiedene Ziele“, nämlich einerseits das der „Beseitigung der totalitären Strukturen und einer Amtsenthebung ihrer Repräsentanten“ und andererseits das der „fortführenden Pflege der genannten geistigen Quellen der Menschen in den neuen Bundesländern“. Auf der „Gratwanderung zwischen radikalem Neubeginn und vorsichtiger Kontinuität“ habe sich bereits die von ihm noch als DDR-Minister veranlasste Verordnung über Hochschulen vom 18. September 1990 befunden.669 Das sahen einige Politiker in Sachsen anders, die meinten, Meyer habe mit dieser Verordnung die Selbsterneuerung der DDRHochschulen nicht energisch genug vorangetrieben.670 Hauptkontrahent im Streit um den richtigen Weg war der bisherige Leiter des Arbeitsstabes Kultus 666 Interview Hans Joachim Meyer am 3. 3. 2003. 667 Koordinierungsstelle Dresden: Bericht Thomas Hirschle vom 17.11.1990 über die Zeit bis zum 15.11.1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). 668 Die Union vom 18. 7.1990. 669 Meyer, Erneuern und bewahren, S. 19 und 30. 670 Vgl. Johann Michael Möller: „Mit Idealisten ist kein Staat zu machen.“ In: FAZ vom 8.11.1990.

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des Koordinierungsausschusses und nunmehrige hochschulpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Matthias Rößler. Dieser brachte Anfang November im Hochschulausschuss des Landtages ein Papier auf den Weg, das eine andere Verfahrensweise zur Erneuerung des Personalbestandes im Professorenbereich vorschlug. Nach diesem Konzept sollten die bisherigen Berufungen als nicht ordnungsgemäß angesehen und Neuberufungen vorgenommen werden. Auch sein Mitstreiter aus dem Arbeitsstab, Gerhard Rühl (SPD), verwies darauf, dass eine Reform der Hochschulen von innen nicht zu erwarten sei. Es müsse verhindert werden, dass Konzepte verwirklicht würden, wonach eine Überleitung der bisherigen Hochschullehrer nach den Gehaltsstufen C3 oder C4 erfolge. Rößler wurde beauftragt, die Überlegungen des Hochschulausschusses zu propagieren.671 Damit standen sich zwei unterschiedliche Konzepte gegenüber, eines vom zuständigen Minister der Staatsregierung vertreten, ein anderes vom zuständigen Landtagsausschuss. Konflikte waren vorprogrammiert. Sie hatten, so Rößler, keine persönlichen Gründe, sondern lagen in den unterschiedlichen Herangehensweisen begründet. Er sei für „eine radikale Erneuerung“ eingetreten, Meyers habe hingehen nicht, wie behauptet, „erneuern und bewahren“ wollen, sondern tatsächlich „bewahren und erneuern“. Man habe „vollkommen unterschiedliche Philosophien“ gehabt.672 Auch Biedenkopf bezog Position. Am 22. November erklärte er vor dem Landtag, auch an den Universitäten und Hochschulen müsse eine Überprüfung des Personals erfolgen. Man könne nicht die Ausbildung Jugendlicher den Personen anvertrauen, „die jahre- oder jahrzehntelang ein Unrechtssystem aktiv unterstützt und mit aufrechterhalten haben und die, selbst wenn sie sich inzwischen darauf besonnen haben, dass sie falsch gehandelt haben, jedenfalls in der Öffentlichkeit nicht das Vertrauen für sich in Anspruch nehmen können, das bestehen muss, wenn man ihnen Menschen, junge Menschen zur Ausbildung und Erziehung anvertraut“.673 Trotz dieser Erklärung stützte er die gemäßigtere Linie Meyers. Allerdings gelang es Rößler in der Folgezeit immer mehr, die CDU-Fraktion von seinem Hochschulerneuerungskonzept zu überzeugen. „Das war“, so Rößler, „das einzige politische Projekt, wo sich die CDU-Fraktion auf ganzer Front durchgesetzt hat.“ Es habe sich um „Hochzeiten im Parlament“ gehandelt, weil es „das einzige Mal“ gewesen sei, „dass sich unsere Fraktion gegen die Staatsregierung und gegen einen Ministerpräsidenten so nachhaltig durchgesetzt hat“.674 Die Folge war, dass man Meyers Evaluierungskonzept später verwarf und alle Lehrstühle neu ausgeschrieben wurden.675 671 672 673 674 675

Niederschrift über die 4. Sitzung des Arbeitsstabes „Kultus“ am 2.11.1990 (RPL, 0144). Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003. Sächsischer Landtag, 1. WP, 4. Sitzung am 22.11.1990, Bl. 141. Interview Matthias Rößler am 24. 4. 2003. Vgl. Fiedler, Die politische Entwicklung. In: Freistaat Sachsen 1991/92. Das Jahrbuch, S. 58. Zum Umbau der Hochschullandschaft in Sachsen vgl. exemplarisch Schluchter, Der Um- und Neubau, S. 111–136. Zur Hochschularbeit des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst vgl. Hall, Die Hochschulgesetzgebung, S. 168–171.

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Sächsisches Staatsministerium für Landwirtschaft und Ernährung: Nur wenige Stunden vor Bekanntgabe des Kabinetts vor der Presse am 7. November wurde das Ressort für Landwirtschaft mit dem promovierten Landwirt Rolf Jähnichen besetzt. Er gehörte der CDU seit 1981 an. Von 1964 bis 1970 hatte er in der Abteilung Landwirtschaft des Rates des Bezirkes Leipzig gearbeitet und war danach stellvertretender LPG-Vorsitzender in Neukirchen im Kreis Borna geworden. Er war lange Jahre im systemkritischen „Christlichen Umweltseminar Rötha“ aktiv gewesen und damit neben Karl Weise der zweite Minister, der aus dieser Gruppierung stammte. Seit dem Herbst 1989 gehörte er dem CDU-Parteivorstand in der DDR an und war 1990 Vorsitzender des CDU-Kreisverbandes Borna und dortiger erster frei gewählter Landrat geworden. Seit März war er Mitglied der Fachgruppe Ländlicher Raum und Landwirtschaft der Gemischten Kommission Sachsen/Baden-Württemberg. Biedenkopfs erster Wunschkandidat war Gottfried Haschke gewesen, ein Bauer aus Großhennersdorf in der Oberlausitz und CDU-Wahlkreiskandidat für die Bundestagswahl. Er war seit 1952 Mitglied der CDU und hatte langjährig als LPG-Vorsitzender gearbeitet. De Maizière hatte ihn zum Parlamentarischen Staatssekretär und schließlich zum geschäftsführenden Landwirtschaftsminister berufen. Haschke hatte jedoch Biedenkopfs Angebot abgelehnt und ging stattdessen für drei Jahre als Parlamentarischer Staatssekretär ins Bundeslandwirtschaftsministerium. Statt seiner hatte er Helmuth Müller empfohlen, der Biedenkopf jedoch bereits beim ersten Gespräch „Rätsel“ aufgab. Sein Sachvortrag, so erinnert er sich, war zwar kenntnisreich, aber „von ständigen Bezeugungen persönlicher Geeignetheit unterbrochen“. Trotz Bedenken bat ihn Biedenkopf Anfang November, als Minister für Landwirtschaft zur Verfügung zu stehen, wofür vor allem Haschkes Empfehlung den Ausschlag gab. Müller hatte in der DDR der DBD angehört und als Ökonom in der Abteilung Tierproduktion einer LPG bei Görlitz gearbeitet. Jürgen Gülde, der in der selben LPG wie Müller gearbeitet hatte, wies intern auf mögliche Belastungen hin; Vorwürfe, die sich später so nicht bestätigten. Vaatz meint, Gülde habe Müller möglicherweise denunziert, um sich selbst ins Gespräch für das Amt des Landwirtschaftsministers zu bringen.676 Müller offenbarte Vaatz nach den Vorwürfen, er habe in seiner Funktion Berichte über Kolleginnen und Kollegen schreiben müssen. Er verzichtete, obwohl er nichts mit dem MfS zu tun hatte, angesichts sich möglicherweise ergebender Probleme auf das Amt.677 Neben Vertretern der Block-CDU wie Gülde hatte es zunächst eine weitere Interessengruppe gegeben, die mit der Fusion der Bauernpartei in die Führung des CDU-Landesverbandes und in die CDU-Landtagsfraktion gelangte. Aus dieser Gruppierung seien, so Vaatz, „diverse Anwärter auf den Posten des Landwirtschaftsministers hervorgegangen“, zu denen unter anderem der CDU-Landtagsabgeordnete Herbert Schicke gehörte. Der prokommunistische DBD-Spitzenfunktionär hatte seit 1968 als Nomenklaturkader dem Parteivor676 Interview Arnold Vaatz am 21. 6. 2000. 677 Vgl. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 409–411.

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stand der Bauernpartei angehört. Er musste sein CDU-Landtagsmandat im August 1991 wegen nachgewiesener Kontakte zum MfS niederlegen.678 Die Gruppierung, aus der er kam, hatte jedoch zu keinem Zeitpunkt eine Chance gehabt, den Landwirtschaftsminister zu stellen. Nach der Absage Müllers war nun, kurz vor dem Termin der Berufungen, guter Rat teuer. In schwieriger Situation wurde Biedenkopf Rolf Jähnichen empfohlen.679 Er bat Jähnichen zu sich und dieser musste sich angesichts der Situation innerhalb einer Viertelstunde entscheiden, ob er das Amt übernehmen wollte. Seine Frau erfuhr später aus dem Radio von seiner Berufung und damit, „warum er gerade weg war“.680 Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium wurde bis zum Mai 1991 Jürgen Gülde, der sich selbst Hoffnungen auf das Ministeramt gemacht hatte. Als einziger Staatssekretär kam er aus der DDR, wurde allerdings nicht verbeamtet und nach einer niedrigeren Tarifstufe bezahlt als seine westdeutschen Amtskollegen. Während seiner halbjährigen Amtszeit engagierte er sich vor allem für den Erhalt ehemaliger landwirtschaftlicher DDR-Institutionen samt ihrer Belegschaft, den sogenannten „roten Baronen“. Wegen eines Konfliktes mit dem Abteilungsleiter I des Ministeriums, Thomas Giesen, verließ Gülde das Ministerium und wurde im Mai 1991 zunächst Direktor einer Landesanstalt für Landwirtschaft in Dresden und später eines Landwirtschaftsamtes in Löbau. Sein Nachfolger wurde der westfälische CDU-Bundestagsabgeordnete Hermann KrollSchlüter, den Biedenkopf bereits seit längerem persönlich kannte und der dem Ministerium bis 1999 als Amtschef diente. Die Leitung der Abteilung I (Zentralabteilung) übernahm 1991 der aus Koblenz kommende Kofler, die Abteilung II (Agrarpolitik, ländliche Neuordnung und Betriebswirtschaft) der Baden-Württemberger Spier, Abteilung III (Bildung und Wissenschaft) Wagner, Abteilung IV (Landwirtschaftliche Erzeugnisse) der Ostdeutsche Kleber, Abteilung V (Markt und Ernährung) der Baden-Württemberger Gebhard, Abteilung VI (Landesforstverwaltung) Riedel und Abteilung VII (Recht, Bereich Landwirtschaft) der Baden-Württemberg Mickenautsch.681 Das Ministerium war zunächst in einem kleinen Bürogebäude in der Dresdner Altstadt untergebracht. In beengten Verhältnissen mussten sich bis zu vier Personen ein Zimmer teilen. Ein innerer Dienst fehlte ebenso vollständig wie eine Registratur und eine Dienst- oder Geschäftsordnung. Auf die Stellenausschreibung hatten sich etwa 1 500 Bewerber gemeldet, deren Schreiben jedoch nicht systematisch ausgewertet werden konnten. So erfolgte die Auswahl eher nach „Zufallserwägungen“ bzw. der Bekanntheit der Bewerber. Bis April 1991 war ein Drittel der vorgesehenen Personalstärke erreicht. Alfred Müller aus dem baden-württembergischen Ministerium für den ländlichen Raum, der ab 678 679 680 681

Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 409–411. Interview Kurt Biedenkopf. In: Sächsische Staatskanzlei, Aller Anfang, S. 74. Organisationsplan des Staatsministeriums für Landwirtschaft, Ernährung und Forsten vom 10. 8.1991 (HAIT, KA, 10.1).

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diesem Zeitpunkt das Personalreferat leitete, legte besonderes Gewicht darauf, „Bedienstete mit möglichst geringer politischer Belastung aus der DDR-Vergangenheit“ zu gewinnen. Grundlage dafür war der Beschluss des Kabinetts vom 4. Dezember 1990 zur Überprüfung des Personals auf politische Belastungen. Ende 1992 war ein Stand des Verwaltungsaufbaus erreicht, der „ein geordnetes Funktionieren der sächsischen Landwirtschaftsverwaltung in den meisten Bereichen sicherstellte“. Allmählich konnten ab diesem Zeitpunkt die Partnerländer ihre Hilfeleistungen auf gezielte Einsätze in Schwerpunktbereichen beschränken.682 Vor allem Bayern hatte sich seit Mitte 1990 beim Aufbau des Landwirtschaftsministeriums sowie der nachgeordneten Dienststellen und Forschungseinrichtungen federführend engagiert.683 Sächsisches Staatsministerium für Umwelt und Landesentwicklung: Anfang November gewann Biedenkopf den promovierten Tierarzt Karl Weise als Umweltminister. Seine Berufung war für die Öffentlichkeit eine Überraschung, da sein Name zuvor nicht erwogen worden war.684 Weise, Jahrgang 1926, war älter als Biedenkopf, hatte Anfang der fünfziger Jahre in Gießen Veterinärmedizin studiert und seit 1955 als Tierarzt in Pegau im Kreis Borna südlich von Leipzig gearbeitet. 1990 zog er über seinen Wahlkreis für die CDU in den Landtag ein. Er hatte sich führend im „Christlichen Umweltseminar Rötha“ engagiert, das sich während der kommunistischen Diktatur bei permanenter MfS-Observierung gegen die Umweltzerstörung durch den Braunkohleabbau im Süden Leipzigs gewehrt hatte. „Seit 1973 ist der“, so Biedenkopf, „durch die Kirchen gezogen und hat gepredigt. Ich wusste, dass er krank war, aber er war bereit zu dienen. Und hat das auch gemacht.“685 Er war aus Biedenkopfs Sicht „kein Administrator, sondern eher ein Prediger“. Dennoch beeindruckte ihn „seine Leidenschaft für die Sache“, die er „mit einer fast rührenden Ernsthaftigkeit vorgetragen“ habe. Mit Dieter Angst aus Baden-Württemberg als Staatssekretär an seiner Seite glaubte er, seine Berufung verantworten zu können.686 Zunächst waren ganz andere Kandidaten gehandelt worden. Interesse am Amt des Umweltministers hatten seit dem Sommer die beiden Mitarbeiter der Dresdner Bezirksverwaltung, Manfred Wölke und Horst Metz, gezeigt. Wölke war zuvor Referatsleiter für Umwelt- und Naturschutz in der Bezirksverwaltung gewesen. Metz war seit der Gründung stellvertretender Vorsitzender des CDULandesverbandes Sachsen und wurde im Juli 1990 ebenfalls Referatsleiter für 682 Bericht von Alfred Müller über den Personalaufbau des Sächsischen Staatsministeriums für Landwirtschaft, Ernährung und Forsten von April 1991 bis Oktober 1992, S. 11, 51 und 58 f. (HAIT, KA, V). 683 BayStK, Arbeitsstab Deutschlandpolitik, Interministerielle AG Deutschlandpolitik: Gespräch des Bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl mit der Bayerischen Landtagspresse e. V. am 9. 4.1991. Materialien: Aufbau der neuen Länder mit Bayerischer Hand (BaySK, Baer). 684 Koordinierungsstelle Dresden: Bericht Thomas Hirschle vom 17.11.1990 über die Zeit bis zum 15.11.1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). 685 Interview Kurt Biedenkopf. 686 Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 409.

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Umweltschutz der Bezirksverwaltungsbehörde Dresden. Beide hatten sowohl in der Gemischten Kommission als auch im Koordinierungsausschuss mitgearbeitet. Metz war im Schattenkabinett unter Klaus Reichenbach als Umweltminister vorgesehen gewesen und in Stuttgart auch bereits als solcher gehandelt worden. Metz hatte es vor allem der Vaatz-Gruppe zu verdanken, dass mit dem Scheitern der Kandidatur Reichenbachs auch seine diesbezüglichen Ambitionen nicht zum Tragen kamen. Im Gespräch war zunächst auch Dieter Angst gewesen, nach eigenem Bekunden ein parteiloser „typischer baden-württembergischer Laufbahnbeamter“. Er wurde als Umweltminister gehandelt, weil zunächst nicht klar war, wie sich die politischen Mehrheitsverhältnisse gestalten würden. Deswegen habe, so Angst, Biedenkopf sowohl ihn als Parteilosen als auch Walter Christian Steinbach als SPD-Mitglied als mögliche Minister in der Rückhand gehalten. Nach dem CDU-Wahlerfolg habe die CDU-Landtagsfraktion jedoch gefordert, ein CDU-Mitglied zum Minister zu machen und erfolgreich gegen Steinbach interveniert. Dadurch habe Biedenkopf wenige Tage vor der Regierungsbildung ohne Umweltminister dagestanden, bis ihm Steinbach Weise empfahl.687 Der evangelische Pfarrer Walter Christian Steinbach war einige Jahre Pfarrer in Rötha und Studienleiter der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens gewesen. Er war einer der Aktivisten des „Christlichen Umweltseminars Rötha“, von wo er Weise sehr gut kannte. Zur Debatte hatte in Kreisen des Koordinierungsausschusses auch der aus der Gruppe der 20 kommende Landesstrukturbeauftragte Umwelt des Koordinierungsausschusses, Kurt Kny, gestanden. Er kam aber auch deswegen nicht in Betracht, weil Gerüchte über eine MfS-Mitarbeit kursierten, die sich später freilich als unbegründet erwiesen. Ohne seine Kenntnisse hatte das MfS nach einigen Kontaktversuchen eine IMVorlaufakte angelegt. Kny hatte aber auch deswegen keine Chancen, weil die Landtagsfraktion gegenüber Biedenkopf auf einen CDU-Kandidaten bestand. Kny erhielt stattdessen den Auftrag, ein Landesamtes für Umwelt und Geologie aufzubauen.688 Angst meint, Kny „wäre auch sicherlich überfordert gewesen“. Die Vorarbeiten des von ihm geleiteten Arbeitsstabes Umwelt spielten nach seiner Meinung für den Aufbau des Ministeriums und der Umweltverwaltung keine Rolle. Dort habe man „sich in Planspielen ergangen“ und „über Monate Riesenpapiere gefertigt“, die später keine Bedeutung gehabt hätten. Der Arbeitsstab habe die Konzepte aller alten Bundesländer „nebeneinander gelegt und aus jedem das rausgenommen, was sie für richtig hielten und dann die komplizierteste, umfangreichste und umständlichste Regelung zustande gebracht, die es überhaupt gibt“.689 Offenbar folgte Biedenkopf dieser Ansicht, als er Dieter Angst fragte, ob er bereit sei, als Staatssekretär im Ministerium für Umwelt und Landesentwicklung fachlich „den Laden in den Griff“ zu nehmen.690 Angst, den Biedenkopf für den 687 688 689 690

Interview Dieter Angst. Interview Kurt Kny. Interview Dieter Angst. Interview Dieter Angst.

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Fall, keinen geeigneten ostdeutschen Minister zu finden, als Minister im Blick hatte, erhielt Anfang Dezember den Auftrag, das Ministerium als Amtschef zu organisieren und Minister Weise fachlich zu unterstützen. Beide kooperierten von nun an gut, und Weise war dankbar für die Hilfe seines westlichen Staatssekretärs. Angst war als bisheriger Abteilungsleiter Grundsatzangelegenheiten des Stuttgarter Umweltministeriums neben Hardraht der ranghöchste Westbeamte, der eine Funktion in einem sächsischen Ministerium übernahm. Parlamentarischer Staatssekretär im Umweltministerium wurde der Umweltminister von Reichenbachs Schattenkabinett, Horst Metz. Der CDU-Politiker, nach Meinung von Uwe Grüning ungeachtet seiner früheren Mitgliedschaft in der Block-CDU „einer der wenigen, die klug ihr Sachgebiet immer überschauten“, war zuvor von der Vaatz-Gruppe aus dem Amt des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden gedrängt worden. Biedenkopf und Vaatz, so Grüning, hätten diese Wahl „aus formalen fadenscheinigen Gründen für nichtig erklärt“ und erreicht, dass statt seiner Karl-Heinz Binus und Rita Henke gewählt wurden.691 Da Reichenbach als CDU-Landesvorsitzender jedoch noch immer über erheblichen Einfluss auf die Landtagsfraktion verfügte, war seine Berufung vor diesem Hintergrund wohl auch als Entgegenkommen gegenüber dem Lager der CDU zu verstehen, dessen Mitglieder schon vor 1989 der CDU angehört hatten. Abteilungsleiter wurden Staupe (I Verwaltung und Grundsatzfragen), Jeschke (II Wasser), zu Hohenlohe (III Abfall, Altlasten und Boden), Günter Kleinschmidt (IV Luft, Lärm und Strahlen), Simpfendörfer (V Naturschutz und Landschaftspflege) und Roch (VI Landesentwicklung, Raumordnung, Landesund Regionalplanung). Im Januar 1992 löste Vaatz Weise als Umweltminister ab. Michael Kinze übernahm zum 1. Dezember 1991 die Leitung des Landesamtes für Umwelt und Geologie.692 Vaatz machte Dieter Reinfried zum neuen Parlamentarischen Staatssekretär. Kny wechselte mit Weise in die Staatskanzlei, wo dieser bis zu seiner bevorstehenden Pensionierung für die Euro-Region „Böhmen-SachsenSchlesien“ zuständig wurde. Kny übernahm das Spiegelreferat des Umweltministeriums und übergab das im Aufbau befindliche Landesamt für Umwelt und Geologie an Kinze, der dann dessen Präsident wurde.693 Nach Konflikten zwischen dem neuen Umweltminister Vaatz und Staatssekretär Angst legte dieser sein Amt nieder und arbeitete ab 1996 als Rechtsanwalt in Baden-Württemberg. Inhaltlich ähnelten die ersten Arbeitsschritte denen in den anderen Ministerien. Es galt, Personal zu rekrutieren und das Ministerium wie die nachfolgende Landesverwaltung für Umwelt aufzubauen. Allein für die staatlichen Umweltfachämter lagen zirka dreitausend Bewerbungen vor, für das Landesamt für Umwelt und Geologie rund zweitausend und für das Ministerium noch einmal 691 Interview Uwe Grüning. 692 Neue Zeit vom 23.10.1991. 693 Interview Kurt Kny.

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reichlich eintausend.694 Wichtige Hilfestellungen gab das Partnerland Bayern, das dazu beitrug, dass dem Umweltministerium auch der Komplex „Landesentwicklung“ mit den Bereichen Raumordnung und Landesplanung zugeordnet wurde.695 Später wurde das Umweltministerium mit dem Landwirtschaftsressort zusammengeschlossen.

7.2.5 Regierungspräsidien Im Sommer 1990 kam es in allen DDR-Bezirken zu kontroversen Debatten über Notwendigkeit und Struktur künftiger Mittelinstanzen. Die heftigsten Gegner waren überall die neugewählten Kreistage und Landräte, die eifrigsten Befürworter bisherige Vertreter der Räte der Bezirke und der daraus hervorgegangenen Bezirksverwaltungsbehörden. Auch hier spielte die Meinung der jeweiligen westdeutschen Partnerländer eine Rolle, wo die Konstruktion der Mittelinstanz zeitweise nicht unumstritten gewesen war. So hatte es selbst im bevölkerungsreichen Baden-Württemberg Mitte der 70er Jahre Tendenzen gegeben, die Regierungsbezirke abzuschaffen. Da auch kleinere Länder wie Schleswig-Holstein und das Saarland über keine Mittelinstanz verfügten, schienen sie zumindest für die ebenso bevölkerungsschwachen Länder Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern entbehrlich.696 Am 30. Juli vertrat im Übrigen die DDR-Regierung, sonst eifriger Unterstützer der Bezirksverwaltungsbehörden, die Meinung, in den künftigen kleinen Ländern seien Mittelbehörden nicht bezahlbar.697 Die Diskussionen in den künftigen Ländern beeinflussten sich auch wechselseitig. Zur besseren Einordnung der Entwicklung in Sachsen sei deswegen ein kurzer Blick über die Landesgrenze erlaubt:698 Brandenburg: Noch im Juli waren in Brandenburg Mittelbehörden als Verwaltungsbezirke vorgesehen.699 Bis Ende August hatte es geheißen, in Brandenburg sollten die Bezirksverwaltungsbehörden für einen längeren Zeitraum erhalten bleiben.700 Ministerpräsident Manfred Stolpe ließ unmittelbar nach seiner Wahl durch den brandenburgischen Landtag per Organisationserlass ein „Amt des Ministerpräsidenten“ bilden, dem die Bezirksverwaltungsbehörden unterstellt wurden.701 Schließlich entschied man sich hier aber ähnlich wie 694 695 696 697 698 699 700 701

Interview Kurt Kny. Angst, Aufbau und Struktur, S. 422. Vgl. Seibel, Zur Situation der öffentlichen Verwaltung, S. 479. BVB Erfurt: Festlegungen aus der Dienstberatung der BVB mit den Leitern der Ressorts am 1. 8.1990 (ThHStA, BT/RdB, 044691). Zur bisherigen Entwicklung siehe Kap. 5.3.6. BVB Erfurt: Information über den Erfahrungsaustausch der BVB Rostock über die Durchführung der Verwaltungsreform und das Herangehen bei der Vorbereitung der Länderbildung am 30. 7.1990 (AThLT 0/B0416/14). MRKA: Information zum Stand der Vorbereitung der Länderbildung vom 28. 8.1990 (BArch B, DO 5, 162). Vgl. Häußer, Die Staatskanzleien, S. 160 f.

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Mecklenburg-Vorpommern für eine zweistufige Landesverwaltung. An Stelle einer Mittelinstanz wurden zusätzliche Verwaltungsaufgaben auf Kreise und kreisfreie Städte delegiert und 21 zentrale Sonderbehörden (Landesoberbehörden) geschaffen, die die Ministerien als oberste Landesbehörden entlasten sollten.702 Mecklenburg-Vorpommern: Als kleinstes ostdeutsches Bundesland entschied sich Mecklenburg-Vorpommern schnell gegen die Einrichtung einer Mittelinstanz. Hier sollten Landschaftsverbände die Aufgaben staatlicher Mittelbehörden wahrnehmen.703 Sachsen-Anhalt: Im August plante auch Sachsen-Anhalt die Schaffung von Regierungsbezirken.704 Im September hieß es vorübergehend, man wolle darauf verzichten.705 Wie überall waren hier vor allem die Kreise dagegen. So sprach sich Anfang November das Präsidium des Landkreistages Sachsen-Anhalt dagegen aus.706 Dennoch wurden bis zum Frühjahr 1991 die drei Regierungsbezirke Magdeburg, Halle und Dessau gebildet.707 Hintergrund der Entscheidung waren hier die teils erbitterten Auseinandersetzungen um den Sitz der Landeshauptstadt, die mit der Vergabe von Bezirksverwaltungen geschlichtet werden sollten. Der Vorgang erinnerte an die Zwänge, unter denen der Koordinierungsausschuss in Dresden der Bildung von Regierungspräsidien zugestimmt hatte. Als ernsthafteste Belastung der Arbeit der neuen Bezirksregierungen erwies sich in der Anfangsphase die scheinbare Nähe zur alten Bezirksverwaltungsbehörde.708 In Sachsen-Anhalt wurde der Eindruck noch dadurch verstärkt, dass keine Regierungspräsidien, sondern Bezirksregierungen geschaffen wurden. Thüringen: In Thüringen schlug eine Koordinierungsgruppe der Thüringer Bezirke zunächst die Bildung von drei Regierungsbezirken vor.709 In einer Dienstberatung der Bezirksverwaltungsbehörde Erfurt hieß es daraufhin am 13. August, für die Regierungsbezirke Erfurt, Gera und Suhl werde je eine Mittelbehörde gebildet.710 Der Politisch-beratende Ausschuss Thüringen war sich 702 Vgl. Bullmann/Schwanengel, Zur Transformation, S. 207. 703 BVB Erfurt. Information über den Erfahrungsaustausch der BVB Rostock über die Durchführung der Verwaltungsreform und das Herangehen bei der Vorbereitung der Länderbildung vom 30. 7.1990 (AThLT 0/B0416/14); MRKA: Information zum Stand der Vorbereitung der Länderbildung vom 28. 8.1990 (BArch B, DO 5, 162); Notiz über die Beratung des Ministers für regionale und kommunale Angelegenheiten mit den Landessprechern am 23. 8.1990 (ebd., DC 20, 6137). 704 MRKA: Information zum Stand der Vorbereitung der Länderbildung vom 28. 8.1990 (ebd., DO 5, 162). 705 Ergebnisprotokoll der 1. Sitzung der Clearingstelle am 11. 9.1990 (LA Merseburg, Rep. RdB/BT, 21129/2). 706 Vgl. Volksstimme vom 6.11.1990 707 Vgl. Bullmann / Schwanengel, Zur Transformation, S. 207; Hoffmann, Die staatliche Mittelinstanz, S. 695 f. 708 So der Dessauer Regierungspräsident Gert Hoffmann. Vgl. ebd., S. 694. 709 ThHStA, BT/RdB, 046245. 710 BVB Erfurt: Festlegungen aus der Dienstberatung der BVB mit den Leitern der Ressorts am 13. 8.1990 (ebd., 044692).

Karte 8: Grenzen Sachsens bis 1952 und nach 1990.

Peter W. Baumann: verändert nach Atlas für Sachsen, 1998.

Bayern

Zwickau

0

Chemnitz

10

20 30

T

40

e

50 km

h sc

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Dresden

Meißen

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Bautzen

Hoyerswerda

Brandenburg sitz er

Polen

Freistaat Sachsen nach 1990

Sachsen bis 1952 (Gebiet östlich der Neiße an Polen)

Sachsen vor 1945

Zittau

Görlitz

Lau

e

Plauen

Thüringen

burg

e

Elb

Neiß

Alten-

Leipzig

Sachsen - Anhalt

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ebenfalls einig, Mittelbehörden zu schaffen.711 Auch hier trugen vor allem die im Mai 1990 neugewählten Kreisvertreter Bedenken vor. So erklärte der Kreistag Schleiz, der Aufbau von Regierungsbezirken, gleich welcher Bezeichnung, sei überflüssig und berge die Gefahr in sich, dass in die Apparate der Regierungsbezirke die gleichen Personen übernommen würden, die in den alten Räten der Bezirke tätig seien.712 Auch die Stadtverordnetenversammlung Jena sprach sich gegen Regierungsbezirke aus.713 Angesichts der Widerstände und aus Zweckmäßigkeitserwägungen verschwanden die Vorschläge des Politischberatenden Ausschusses über die Bildung von Regierungsbezirken in der Versenkung. Stattdessen kam es 1991 zu kontroversen Debatten über die Bildung eines Landesverwaltungsamtes Thüringen, das mit Ausnahme von Justiz- und Finanzverwaltung einen überwiegenden Teil der staatlichen Aufgaben zusammenfassen sollte.714 Trotz diverser Bedenken wurde in Thüringen schließlich eine zentrale mittelinstanzliche Behörde in Gestalt eines solchen Landesverwaltungsamtes mit Sitz in Weimar eingerichtet. Es übernahm fast alle herkömmlichen Aufgaben von Bezirksregierungen. Da man befürchtete, dass bei einer einheitlichen Landesbehörde aber der typische Regionalbezug fehlen und das Amt ansonsten auch leicht eine kritische Größe erreichen könnte, wurden gleichzeitig drei Außenstellen in Sondershausen, Meiningen und Stadtroda geschaffen und diesen noch je eine „Außenstelle Umwelt“ in Suhl, Gera und Erfurt zugeordnet. Die regionalen Außenstellen sollten jeweils für ihr Gebiet als Bündelungsbehörden fungieren und alle fachlichen Aufgaben des Landesverwaltungsamtes mit Ausnahme der zentralbehördlichen Dienste wahrnehmen.715 Sachsen: In Sachsen setzte sich die Debatte um die Regierungsbezirke nach Unterzeichnung des Einigungsvertrages fort. Am 7. September informierte Heidrun Lotze die stellvertretenden Regierungsbevollmächtigten für Länderbildung über Bestrebungen der Landräte, Regierungspräsidien zu verhindern. Die Vertreter der Bezirke waren sich einig, „bei der weiteren inhaltlichen Ausgestaltung der Regierungspräsidien diese Tatsache zu berücksichtigen und dazu eine einheitliche Argumentation zu erarbeiten“. Ein vorbereiteter Strukturentwurf wurde mit einigen Änderungen bestätigt.716 Angesichts der heftigen Widerstände gegen die Reste des diktatorischen Staatsapparates erläuterte man in der Presse die Gründe für die Entscheidung. Sachsen habe 52 Landkreise und 6 kreisfreie 711 BVB Erfurt: Festlegung aus der Dienstberatung der BVB mit den Leitern der Ressorts am 27. 8.1990 (ebd., 044694); Politisch-beratender Ausschuss, AG Struktur „Inneres“. Niederschrift über die Beratung am 14. 9.1990 (ThStAR, 32695); MRKA: Information zum Stand der Vorbereitung der Länderbildung vom 28. 8.1990 (BArch B, DO 5, 162). 712 Beschluss Nr. 46–4/90 des KT Schleiz vom 29. 8.1990 (AThL 0/B0416/28). 713 Offener Brief. Beschluss der Stadtverordnetenversammlung Jena vom 5. 9.1990 (ebd.). 714 Vgl. Hajna, Länder, Bezirke, Länder, S. 213. 715 Vgl. Bullmann/Schwanengel, Zur Transformation, S. 207. 716 BVB Leipzig, Stellvertreter des Regierungsbevollmächtigten für die Bildung des Landes Sachsen: Protokoll über die 7. Koordinierungsberatung der stellvertretenden Regierungsbevollmächtigten für Länderbildung der BVB Dresden, Chemnitz und Leipzig am 7. 9.1990 (RPL, AZ 0141.0) (HAIT, KA, 10.1).

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Städte. Würden diese alle zentral von der Landesregierung beaufsichtigt, wäre dort ein Riesenapparat notwendig. Bis zu einer späteren Gebietsreform sollten daher die drei Regierungspräsidien in den Grenzen der heutigen Bezirke arbeiten.717 Erneut sprachen sich daraufhin am 13. September zirka siebzig Landräte und Bürgermeister bei einem Treffen in Zwickau für die Abschaffung der Bezirksverwaltungen und gegen Regierungspräsidien aus.718 Kritik kam aber nicht nur aus den Kreisen; auch die beiden Hauptkontrahenten um das höchste Amt in Sachsen, Anke Fuchs und Kurt Biedenkopf, stellten deren Notwendigkeit in Zweifel. Angesichts der breiten Widerstände erläuterte Heidrun Lotze das Konzept am 13. September vor dem Sächsischen Forum. Bei den Regierungspräsidien handele es sich um etwas prinzipiell anderes als bei den Räten der Bezirke und Bezirksverwaltungsbehörden. Sie hätten keine parlamentarische Vertretung und stellten eine auf reine Verwaltungstätigkeit orientierte Mittelbehörde dar. Sie seien der Landesregierung nachgeordnet. Ihre Aufgabe bestehe in der ressortübergreifenden Bündelung ministerieller Arbeit sowie in der Umsetzung dieser in unmittelbare Verwaltungsakte. Gleichzeitig sollten sie Widersprüche klären, sofern diese über die Möglichkeiten der Landratsämter hinausgingen. Sie hätten aber auch regionale Belange zu bündeln und, falls erforderlich, an die Landesregierung oder den Landtag weiterzuleiten. Wolle man strategisch arbeitende Ministerien, so brauche man auch Regierungspräsidien. In jedem Regierungspräsidium sollten 350 Verwaltungsfachleute arbeiten, während es in den Räten zirka 1500 Beschäftigte gewesen seien.719 Gerade diese einschneidenden personellen Veränderungen aber waren es, die wiederum in den Bezirksverwaltungsbehörden für Unruhe sorgten. Vor allem qualifiziertere Mitarbeiter bemühten sich hier inzwischen um alternative Beschäftigungen. Zeller schilderte Mitte September die Lage. Angesichts der unklaren beruflichen Zukunft der Mitarbeiter befinde sich der bisherige Staatsapparat in einem „Zustand des Umbruchs und der Auflösung“. Die Mitarbeiter verrichteten ihren Dienst in der Erwartung, demnächst in den einstweiligen Ruhestand versetzt zu werden. Auf der Leitungsebene beherrsche das „Ringen um künftige Ämter“ das Tagesgeschehen.720 In dieser Zeit war es offenbar unter anderem Buttolo, der Mittelinstanzen selbst für unverzichtbar hielt und der Biedenkopf Mitte September mit der Begründung überzeugte, man könne nicht sämtliche Landkreise und kreisfreie Städte unmittelbar dem Innenministerium unterstellen, ohne zu einem neuen Zentralismus im Lande beizutragen.721 Nun plädierte auch dieser für die zeitweilige Tätigkeit von Mittelinstanzen, ließ aber offen, in welcher Form sie arbei717 718 719 720

Vgl. Sächsische Zeitung vom 11. 9.1990. Heinrich Haasis an Kurt Biedenkopf vom 18. 9.1990 (HAIT, KA, V.2). Vortrag von Heidrun Lotze vor dem Sächsischen Forum am 13. 9.1990 (Dok. 135). Sozialministerium Baden-Württemberg, Ref. 55, 18. 9.1990 Jour-Fixe-Sachsen. Ergebnisvermerk: Besprechung am 17. 9.1990 (SMBW, 0136, Jour Fix, Raum Sachsen des SM). 721 Vgl. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 363 f.

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ten sollten. Auf einer Veranstaltung mit sächsischen Landräten am 27. September in Torgau erklärte er, dass es Bezirksverwaltungsbehörden in der heutigen Form nicht länger geben werde. Es müsse über neue Formen regionaler Zusammenarbeit wie Regionalverbände nachgedacht werden. Biedenkopf plädierte aber dafür, Mittelinstanzen für eine gewisse Zeit zu nutzen, und forderte die Landräte diplomatisch auf, selbst Vorschläge zu machen.722 Ballschuh erreichte bei einem Treffen mit den Landräten und Oberbürgermeistern des Bezirkes Dresden am 21. September Übereinstimmung, „dass die Regierbarkeit des Landes unter vorläufiger Beibehaltung der eingeführten Struktur der Bezirksverwaltungsbehörde gewährleistet werden“ müsse. Wie Krause vertrat er die Meinung, dass die letzte Entscheidung darüber beim Landtag liege.723 Mit dem generellen Votum Biedenkopfs für Mittelbehörden war eine wichtige Vorentscheidung gefallen. Krause teilte daraufhin den Mitarbeitern der Bezirksverwaltungsbehörden am 25. September mit, dass ihre Verwaltungserfahrung, „gebündelte Fachkenntnis“ und die Möglichkeiten zur Förderung von Vorhaben der Kreise und Kommunen unverzichtbar seien. Anders als Biedenkopf erklärte er dezidiert, es sei notwendig, auch in Zukunft Mittelbehörden in Form von Regierungspräsidien beizubehalten. Gemäß Einigungsvertrag würden die Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter der Bezirksverwaltungsbehörden ab dem 3. Oktober grundsätzlich ruhen. Er mache aber von der Möglichkeit Gebrauch, das Ruhen der Arbeitsverhältnisse um drei Monate hinauszuschieben, um so die Arbeitsfähigkeit der Behörden zu gewährleisten. Dies bedeute aber keine Bestandsgarantie für einzelne Arbeitsverhältnisse.724 Nicht nur hinsichtlich der Dauer der Beschäftigung, sondern generell blieb durch die unterschiedlichen Haltungen Krauses und Biedenkopfs auch im Oktober offen, welche Art Mittelbehörden es in Sachsen, ob es also überhaupt Regierungspräsidien geben würde. Generell herrschte nur Einigkeit, dass Sachsen für einen zweistufigen Verwaltungsaufbau zu groß und regional zu differenziert sei, weshalb die Einrichtung wie auch immer gearteter Mittelbehörden notwendig sei.725 Hinzu kam, dass sich bei nur einer Verwaltungsbehörde, wie sie schließlich nach längeren Diskussionen in Thüringen gebildet wurde, die Frage nach dem Standort stellte. Wäre sie nach Dresden gekommen, hätte dies dem ohnehin im Raum stehenden Vorwurf des Dresden-Zentralismus neue Nahrung gegeben; hätte Leipzig den Zuschlag erhalten, wären, so Hirschle, „die Chemnitzer sauer“ gewesen und umgekehrt.726 Statt eines Hauptstadtstreits, den es 722 Koordinierungsbüro Baden-Württemberg beim Bezirk Leipzig, [gez.] M. Feist. Betr.: Mittelinstanzen in der staatlichen Verwaltung. Bezug: Äußerungen von Prof. Dr. Biedenkopf bei einer Veranstaltung mit Landräten am 27.9. in Torgau (SächsStAC, BVB, 152239). 723 Protokoll der Beratung des Regierungsbevollmächtigten für den Bezirk Dresden mit den Landräten und Oberbürgermeistern vom 21. 9.1990 (SächsHStA, 47558). 724 Landessprecher an die Beschäftigten der BVB Leipzig, Dresden und Chemnitz vom 25. 9.1990. Zit. in Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 166. 725 Vgl. Stölzel, Verwaltungsorganisation, S. 147. 726 Interview Thomas Hirschle.

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in Sachsen nicht gab, hätte es einen Streit um den Sitz der zentralisierten Mittelverwaltung gegeben. Die Akzeptanz Dresdens als Landeshauptstadt und der führenden Funktion des dortigen Koordinierungsausschusses hing mit dem im Sommer geschlossenen stillschweigenden Agreement zusammen, Chemnitz und Leipzig mit Regierungspräsidien auszustatten. In diesem Zusammenhang wurde auch über die Bildung von nur zwei Regierungspräsidien nachgedacht, was von der Bevölkerungszahl durchaus Sinn gemacht hätte. In diesem Fall wäre Dresden ohne Präsidium geblieben, was bedeutet hätte, dass Ostsachsen samt Oberlausitz und Niederschlesien von Chemnitz oder Leipzig verwaltet worden wären. Angesichts des dortigen Drängens nach einem eigenen Regierungsbezirk727 wäre dies nicht zu vermitteln und auch nicht zweckmäßig gewesen. Hätte man nach der schwer errungenen Akzeptanz des Dresdner Koordinierungsausschusses nun den Chemnitzern und Leipzigern keine Regierungspräsidien zugebilligt, wäre es dort zu einem „Aufruhr wegen des Bedeutungsverlusts“ gekommen. Allein schon diese politischen Gründe sprachen für drei Regierungspräsidien.728 Unabhängig davon plädierten auch nahezu alle Verwaltungsexperten aus Bayern und Baden-Württemberg und von der Clearingstelle aus verwaltungstechnischen Gründen dafür. Die bayerische Staatsregierung hatte für Sachsen schon frühzeitig einen dreistufigen Verwaltungsaufbau mit Mittelbehörden vorgeschlagen.729 Wichtige Verwaltungswissenschaftler in der Arbeitsgruppe Verwaltungsstrukturen der Clearingstelle meinten ebenfalls, ab einer gewissen Größenordnung brauche ein Bundesland eine Mittelinstanz, am besten seien Regierungspräsidien geeignet. Auch die Mehrzahl der baden-württembergischen Berater teilte diese Meinung.730 Michael Feist vom Koordinierungsbüro in Leipzig kam im Oktober in einem Gutachten zum Ergebnis, dass Regierungspräsidien erforderlich seien.731 Die Befürworter einer Einrichtung von Regierungspräsidien wiesen darauf hin, dass die Bezirksebenen weder über eigene Haushalte noch über originäre Entscheidungsspielräume verfügten. Ihre Dezernate seien unmittelbar den entsprechenden Fachressorts, die Regierungspräsidien insgesamt den jeweiligen Innenministerien unterstellt, sodass ihre Arbeit auch der vollen Kontrolle durch die Landtage unterliege. Die ohnehin unentbehrliche Kommunalaufsicht sei besser ortsnah als zentral in der Landeshauptstadt auszuüben, da hier auch am ehesten Beratungsfunktionen wahrgenommen werden könnten. Die Behörde mit Bündelungsfunktion und Regionalbezug repräsentiere die Einheitlichkeit der Verwaltung und könne sich gerade in einer schwierigen Aufbausituation als Partner für komplexe Problemlösungen profilieren.732 Lediglich Hirschle war angesichts der Größe Sachsens 727 Siehe Kap. 5.2.6. 728 Interview Hubert Wicker. 729 BaySMI: Vorschläge zum Aufbau von föderativen und rechtsstaatlichen Staats- und Verwaltungsstrukturen in der DDR (SächsStAC, BVB, 152237). 730 Interview Bernd Herzer. 731 Interview Michael Merker. 732 Vgl. Bullmann/Schwanengel, Zur Transformation, S. 205 f.

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nicht von der Notwendigkeit eines dreistufigen Verwaltungsaufbaus und erst recht nicht von Regierungspräsidien überzeugt. Für ihn machte es allenfalls Sinn, die vorhandenen Organisationseinheiten der Bezirksverwaltungsbehörden bei personeller Veränderung als handlungsfähige Verwaltungseinheiten in die neue Landesverwaltung zu überführen. Er riet angesichts seiner Erfahrungen in Baden-Württemberg zwar eher ab, hielt die Frage aber andererseits für weniger wichtig als ein optimales Funktionieren des jeweiligen Verwaltungstyps. Jede Lösung habe Vor- und Nachteile. Die Verwaltung komme letztlich mit jeder Organisationsstruktur zurecht. Seine Empfehlung: „Lasst es, ihr braucht es nicht. Macht wenn, dann allenfalls ein Verwaltungsamt für Sachsen, macht die Verwaltung sonst dezentral.“ Er sei aber am Wunsch der sächsischen Mitarbeiter gescheitert, deren Mobilität nicht sehr ausgeprägt gewesen sei und die alle in den Bezirksstädten konzentriert waren. Wenn man ostdeutschen Mitarbeitern vierzig Kilometer Anfahrt zugemutete habe, seien diese „beinahe in Ohnmacht“ gefallen. Auch für die mittleren und unteren Sonderbehörden habe man eine dezentrale Struktur empfohlen.733 Im traditionsbewussten Sachsen spielte es auch eine Rolle, dass sich die Regierungspräsidien auf eine längere historische Bewährung berufen konnten.734 Sie waren keine bundesdeutsche Erfindung, ihre Wurzeln reichen bis zu den preußischen Verwaltungsreformen von 1815 zurück. Aber auch davor hatte Kursachsen bereits seit dem 15./16. Jahrhundert über eine leistungsfähige staatliche Verwaltung für die Erhebung von Steuern und Einkünften, die Rechtsprechung und das Militäraufgebot verfügt. Sie war mehrstufig aufgebaut gewesen und hatte aus zentralen, regionalen und lokalen staatlichen Behörden, Ministerien und nachgeordneten Kreis- und Amtshauptmannschaften bestanden. Erstmals waren 1835 im territorial dezimierten Königreich Sachsen staatliche Mittelbehörden in Gestalt der vier Kreisdirektionen Bautzen, Dresden, Leipzig und Zwickau eingerichtet worden. Sie hatten sich mit ihrem Sitz und Zuständigkeitsbezirk an die 1547 geschaffene Verwaltungseinteilung Sachsens in Kurkreise angelehnt. Nach der Reichsgründung 1871 war auch in Sachsen ein erneuter Umbau der Verwaltung erfolgt. Per Gesetz vom 21. April 1873 über die Organisation der Behörden der inneren Verwaltung waren aus den Kreisdirektionen vier Kreishauptmannschaften geworden, die auf der untersten Ebene durch 25 Amtshauptmannschaften ergänzt worden waren. Im Jahre 1900 war eine fünfte Kreishauptmannschaft in Chemnitz hinzugekommen. In der Weimarer Republik war die kleinste Kreishauptmannschaft in Bautzen am 30. Juni 1932 aufgelöst und Dresden zugeschlagen worden. Die beiden Diktaturen hatten den sächsischen Verwaltungstraditionen ein vorläufiges Ende gesetzt. Nun galt es, mit Blick auf die kommende bundesdeutsche Struktur Traditionen und Zweckmäßigkeiten abzuwägen. Dabei waren Vorentscheidungen zur Bildung von drei Regierungspräsidien im Grunde bereits gefallen. Bei der Clea733 Interview Thomas Hirschle. 734 Vgl. Blaschke, Die Verwaltung, S. 784 f.

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ringsitzung am 9. Oktober wurde beschlossen, den Strukturbeauftragten, auf Grundlage von Vorarbeiten des Koordinierungsausschusses und, darauf basierend, Kleinschmidts, für die Sitzung am 16. Oktober eine Vorlage zur Entscheidung über die Umstrukturierung der Bezirksverwaltungsbehörden in Regierungspräsidien vorzulegen. Vaatz betonte erneut, die endgültige Entscheidung darüber müsse der künftigen Regierung vorbehalten bleiben. Kleinschmidt beharrte hingegen auf einer Realisierung noch vor der Landtagswahl,735 wollte die Regierung also vor vollendete Tatsachen stellen. Seine Forderungen hingen mit der Erwartungshaltung der Mitarbeiter in der Bezirksverwaltungsbehörde Leipzig zusammen, die Sicherheit hinsichtlich ihrer beruflichen Zukunft verlangten. Hier waren es oft die fachlichen Leistungsträger, die sich angesichts der ungewissen Zukunft nach anderen Betätigungsfeldern umsahen. Entsprechend war die Lage in Chemnitz, wo Buttolo am 15. Oktober erklärte, in ein bis zwei Wochen könnten klare Aussagen zur Zukunft der Bezirksverwaltungen als Mittelbehörden getroffen werden. Die Abteilungsleiter wurden verpflichtet, „bis dahin keine Unruhe in ihre Kollektive zu tragen“.736 Am selben Tag schlugen die Stellvertreter der Regierungsbevollmächtigten für Länderbildung Chemnitz und Leipzig nach der Ausarbeitung von Kleinschmidt nochmals die Freigabe der Umstrukturierung der Bezirksverwaltungsbehörden in Regierungspräsidien nach den vorliegenden Strukturunterlagen vor.737 Kleinschmidt plädierte gegenüber Krause für die vorübergehende Schaffung von Regierungspräsidien. Vor März 1991 seien Ministerialebenen und ihnen zugeordnete Ober-, Sonder- und Unterbehörden nicht arbeitsfähig, weswegen für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren eine Mittelbehörde unerlässlich sei. Außerdem seien die vorliegenden Strukturunterlagen für Regierungspräsidien hinreichend ausgereift. Er schlug vor, sofort die Freigabe der Umstrukturierung der Bezirksverwaltungsbehörde bei Einhaltung einer vorgegebenen Größenordnung zu erteilen und die Ausschreibung der Referats- und Abteilungsleiter, sofern noch erforderlich, zu beginnen.738 Die Bezirksverwaltungen Leipzig und Chemnitz reichten am 16. Oktober beim Koordinierungsausschuss eine Vorlage zur Freigabe der Umstrukturierung der Bezirksverwaltungsbehörden auf der Basis der Strukturanlagen für die Regierungspräsidien ein. Die Vorlage wurde an die Arbeitsstäbe Inneres und Finanzen zur Stellungnahme überwiesen.739 Am 17. Oktober befasste sich die Leiterrunde des Koordinierungsausschusses mit der Frage. 735 Protokoll der Clearing-Außenstellenberatung am 9.10.1990 (HAIT, KA, 29.2). 736 Protokoll der Beratung des Regierungsbevollmächtigten mit den Abteilungsleitern der BVB Chemnitz vom 10. 9.1990 (SächsStAC, BVB, 11540). 737 Stellvertreter des Regierungsbevollmächtigten für Länderbildung Chemnitz und Leipzig: Entscheidungsvorschlag für Landessprecher Krause: Freigabe der Umstrukturierung der BVB auf der Basis der Strukturunterlagen für Regierungspräsidien vom 15.10.1990 (ebd., 152237). 738 Vorlage von Günther Kleinschmidt für Rudolf Krause vom 15.10.1990 (HAIT, KA, 68/2). 739 Protokoll der Vorbereitungssitzung der Leiter der Arbeitsstäbe des Koordinierungsausschusses am 16.10.1990 (ebd., 3.3).

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Krause plädierte dafür, im Interesse der Handlungsfähigkeit der Verwaltung möglichst rasch Klarheit über die Zukunft der Bezirksverwaltungsbehörden zu schaffen. Vaatz hielt dagegen, dass es vor der Regierungsbildung keine Entscheidung geben dürfe, die Auswirkungen auf künftige Strukturfestlegungen habe. Er regte an, dass sich die Regierungsbevollmächtigten in der Frage mit Biedenkopf in Verbindung setzen,740 von dem freilich bekannt war, dass er die Einrichtung von Regierungspräsidien wegen ihrer Ähnlichkeit mit den bisherigen Räten der Bezirke bzw. daraus hervorgegangenen Bezirksverwaltungsbehörden ablehnte. Er wusste, dass die Regierungsbezirke räumlich weitgehend identisch mit den alten Bezirken waren und von der Bevölkerung mit den früheren Räten in Verbindung gebracht wurden. In Teilen der Bevölkerung fand es wenig Verständnis, dass in den Bezirkverwaltungen weiterhin die früheren Mitarbeiter der Räte wirkten und nun eventuell in die neuen Regierungspräsidien übernommen werden sollten.741 Von vielen Bürgern wurde die Konfrontation mit „Vorwendegesichtern“ der Räte der Bezirke als Zumutung empfunden.742 Ähnlich sah dies auch das Präsidium des Sächsischen Landkreistages, das sich am 25. Oktober – wie inzwischen auch Biedenkopf – zwar zum dreistufigen Staatsaufbau bekannte, aber forderte, dass sich die Mittelbehörden von den bisherigen Bezirksverwaltungen grundsätzlich unterscheiden müssten. Hier dachte man an eine Einteilung Sachsens in Regionalverbände und erwog, Biedenkopf die Schaffung von fünf Kreishauptmannschaften vorzuschlagen. In die Landratsämter sollten übergreifende Geschäftsbereiche der Ministerien übernommen werden.743 Nahezu alle im Mai 1990 demokratisch gewählten Landräte lehnten Regierungspräsidien bereits seit dem Sommer ab und wiesen darauf hin, dass die Bezirksverwaltungen für das bisherige Planungs- und Handlungsversagen sowie die staatliche Willkür beim Verwaltungsvollzug trotz zentralisierter Machtstrukturen eine unmittelbare Mitverantwortung trügen.744 In den Kreisen hatte man schlechte Erfahrungen mit der Bezirksebene als regionalem Brückenkopf der diktatorisch-zentralistischen Partei- und Staatsherrschaft gemacht.745 Der riesige, von der SED-Führung kontrollierte Bezirksverwaltungsapparat hatte deren Befehle meist unkritisch übernommen und samt diktatorischen Kontrollmaßnahmen in die Kreise und Kommunen durchgestellt. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen befürchteten Landräte und Bürgermeister eine Begrenzung bei der Ausübung des verfassungsmäßig garantierten Rechtes kommunaler Selbstverwaltung.746 Anders beurteilte der Dessauer Regierungs740 Land Sachsen, Koordinierungsausschuss, Geschäftsstelle, an Leiter Arbeitsstab Landtag, Iltgen. Anlage: Protokoll der Leiterrunde am 17.10.1990 (HAIT, Iltgen, 3). 741 Vgl. Wicker, Der Anteil der alten Länder, S. 63. 742 Eisen, Institutionenbildung, S. 110. 743 Büro des Landrates Reichenbach: Protokoll über die Beratung der Landräte der Vogtlandkreises am 14.11.1990 im Landratsamt Reichenbach (HAV-DS Plauen, VwA Pl 6763). 744 Vgl. Hauschild, DDR, S. 214. 745 Vgl. Wollmann, Um- und Neubau, S. 23. 746 Vgl. Hauswirth, Regierung und Verwaltung, S, 253.

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präsident, Gert Hoffmann, die Haltung der Landräte und Bürgermeister, die in Sachsen-Anhalt nicht anders als in Sachsen war. Aus der Selbsteinsicht ihrer Abschaffung hätten die Bezirksverwaltungsbehörden nach ihrer Bildung keine Aufsichts- und Genehmigungsfunktionen gegenüber der kommunalen Selbstverwaltung ausgeübt. Daraus habe nun der Wunsch vieler Kommunalpolitiker resultiert, weiterhin „unkontrolliert und unbeaufsichtigt“ kommunale Selbstverwaltung zu betreiben.747 Ein weiteres Argument gegen die Einrichtung der neuen Mittelinstanzen war deren mangelnde parlamentarische Kontrolle.748 Es knüpfte an frühere Forderungen aus den Reihen der Bezirkstage an, die Bezirke für die Übergangszeit bis zur Einrichtung von Länderparlamenten mit parlamentarischen Transformationsgremien zur demokratischen Legitimierung einer Landesbildung „von unten“ auszustatten. Um sich ein Bild von der Stimmungslage zu machen, suchte Dieter Hauswirth vom baden-württembergischen Koordinierungsbüro in Chemnitz den Kontakt zu den Landräten und informierte anschließend den stellvertretenden Chemnitzer Regierungsbevollmächtigten, Horst Krüger, über seine Eindrücke. Bei allen Landräten habe er eine reservierte Haltung gegenüber der Bezirksverwaltungsbehörde in Chemnitz und deren Repräsentanten vorgefunden. Es seien Äußerungen wie „arbeitshemmend“, „Kropf“, „unnötig“ und „altlastenverseucht“ gefallen. Die Bezirksverwaltung erfülle ihr Aufgaben derzeit nicht mehr oder nur unzureichend und beschäftige sich nur noch mit ihrer eigenen zukünftigen Struktur. Die Landkreise und Kommunen, so die übereinstimmende Aussage aller Landräte, bräuchten in Zukunft keine „Überwacher“ und „Kommandeure“ mehr. Man sollte auf die „alten Apparate“ verzichten und damit beweisen, dass man es mit der dezentralen kommunalen Selbstverwaltung ernst meine. Ein Teil der Landräte befürworte eine direkte Anbindung der Landkreise an die Ministerien, ein anderer strebte die Bildung von Regional- und Zweckverbänden an. Die Landräte seien auf der letzten Dienstberatung „emotional aufgeladen, überempfindlich und Sachargumenten gegenüber verschlossen“ gewesen. Hauswirth, selbst Befürworter von Regierungspräsidien, schlug vor, der neuen Behörde einen Namen zu geben, der nicht an die bisherige Bezirksverwaltungsbehörde erinnere. Er schlug „Regionalverwaltung der Landesregierung Chemnitz“ oder „Regierungspräsidium der Region Chemnitz“ vor. Die neue Behörde müsse möglichst rasch auf die vorgegebene Größe gebracht werden und dabei auf „unbedingte Loyalität, die Bereitschaft zur Leistung und zu überdurchschnittlichem Engagement“ sowie auf die Erfahrung und Fachkompetenz der Mitarbeiter geachtet werden. Aus optischen Gründen und im Hinblick auf die Akzeptanz bei der Bevölkerung sollte der Umzug in ein anderes Dienstgebäude erwogen und bei der Auswahl des leitenden Personals bedacht werden, dass die Mittelinstanz zwar Dienstaufsichtsbehörde, in erster Linie aber Partner und Berater für die Landkreise und Kommunen sei. Um dies auch personell 747 Hoffmann, Die staatliche Mittelinstanz, S. 692. 748 Vgl. Bullmann/Schwanengel, Zur Transformation, S. 205 f.

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glaubhaft zu machen, wäre die Übernahme eines aktiven Kommunalpolitikers in eine leitende Position des Präsidiums „nicht nur taktisch klug, sondern auch praktisch sinnvoll“. Sobald offiziell die Existenz der Mittelbehörde Chemnitz gesichert sei, sollte unverzüglich eine Patenschaft mit dem Regierungspräsidium Tübingen eingegangen werden. Fachleute der dortigen mittleren Ebene sollten ihre Kollegen in Chemnitz in die praktische Alltagsarbeit einweisen.749 Drastischer fiel sein etwa zeitgleich erstellter Bericht an das baden-württembergische Innenministerium aus. Hier hieß es, die Bezirksverwaltungsbehörden würden in der Öffentlichkeit kein großes Ansehen genießen. Unter den neuen Amtspitzen seien „alte Seilschaften“ am Werk. Die Zielvorstellungen der neuen Führung würden „teilweise bewusst boykottiert“ oder könnten „wegen mangelnder Fachkompetenz der Mitarbeiter“ nicht umgesetzt werden. Juristen oder ausgebildete Verwaltungsfachleute, vergleichbar mit dem gehobenen oder mittleren Dienst der Bundesrepublik, gebe es nicht. Allein die Tatsache, dass das Koordinierungsbüro Baden-Württemberg in der Bezirksverwaltungsbehörde untergebracht sei, habe dessen Arbeit erschwert. Die räumliche Nähe habe gereicht, um bei Kommunalpolitikern große Skepsis hervorzurufen.750 Wie in Chemnitz gingen auch in Leipzig und Dresden die Auseinandersetzungen über mögliche Regierungspräsidien weiter. Kolbe plädierte am 29. Oktober gegenüber Vaatz dafür, die Forderung Kleinschmidts zurückzuweisen und die Umstrukturierung der Bezirksverwaltungsbehörden bis zu einer Entscheidung der Landesregierung zurückzustellen.751 Unmittelbar nach der Wahl Biedenkopfs kam es wegen der Regierungspräsidien auch zu einer Auseinandersetzung zischen dem Ministerpräsidenten und Bernd Herzer, nachdem dieser sich in einer öffentlichen Runde für Regierungspräsidien ausgesprochen hatte. Herzer erinnert sich, dass Biedenkopf ihm daraufhin „praktisch das Wort verboten“ habe, indem er gesagte habe: „Das ist jetzt Ihre Meinung, aber wir wollen uns da noch gar nicht so festlegen.“ Biedenkopf wollte offenbar kein positives Signal in Richtung Regierungspräsidien geben. Ein eigenes Modell, so Herzer, habe er zu diesem Zeitpunkt aber auch nicht vertreten. Es sei lediglich erkennbar gewesen, dass er sich den Standpunkt derer zu Eigen gemacht hatte, die meinten, es könne nicht sein, dass die alten Räte der Bezirke mit ihren riesigen Personalkörpern ohne wesentliche Veränderungen in die neue Funktion übergehen.752 Unterdessen kamen, wie von Biedenkopf eingefordert, aus den Reihen der Landkreise weitere Vorschläge, die auf eine Vermeidung von Regierungspräsidien zielten. So wurde bei einem Treffen von Vertretern verschiedener Landkreise

749 Dieter Hauswirth an Horst Krüger vom 26.10.1990 über die Notwendigkeit von Mittelinstanzen (Dok. 159). 750 Dieter Hauswirth an IMBW: Erfahrungsbericht über die Tätigkeit vom 1. 9. bis 1.12. 1990 im Koordinierungsbüro Baden-Württemberg bei der BVB in Chemnitz (SächsStAC, RdB, 137815). Ein gleichlautender Bericht ging an Lothar Späth (ebd., 152239). 751 Manfred Kolbe an Arnold Vaatz vom 29.10.1990 (HAIT, KA, 68/2). 752 Interview Bernd Herzer.

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des Bezirkes Chemnitz am 21. November vorgeschlagen, wichtige Behörden und Ämter wie zum Beispiel für Gewerbe, Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Wasserwirtschaft, Straßen und Veterinärwesen künftig für mehrere Landkreise in einem Landkreisamt zu konzentrieren. In Anlehnung an die früheren Kreishauptmannschaften sollten Alternativen zu den Bezirksverwaltungsbehörden geschaffen werden. Vom Sächsischen Landkreistag wurde gefordert, künftige Mittelbehörden müssten sich grundsätzlich von den bisherigen Bezirksverwaltungsbehörden unterscheiden.753 Auch der Deutsche Städtetag und die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände appellierten Ende November an die neuen Landesregierungen, alle Bezirksverwaltungen so schnell wie möglich aufzulösen. Mit großer Sorge werde eine „einsetzende Stabilisierung des Verwaltungsapparates auf der Bezirksebene“ und die Tatsache beobachtet, dass der Aufbau einer kommunalen Selbstverwaltung von den alten Verwaltungsapparaten behindert werde. Aus den früheren Verwaltungsapparaten der Bezirke dürften keine Regierungsbezirke entstehen, da diese alte Strukturen verfestigten. Stattdessen sollten größere Verwaltungseinheiten auf Kreisebene geschaffen werden. Der Hauptgeschäftsführer des Städtetages, Jochen Dieckmann, erklärte, dass es auf Bezirksebene nach wie vor „Sickereffekte“ gebe. Dort würden die „alten Mannschaften“ weiterarbeiten.754 Obwohl Biedenkopf die Sichtweise teilte, hatte er hinsichtlich des Druckes aus den Bezirksverwaltungsbehörden in Chemnitz und Leipzig kaum eine Alternative. Hier hatten die Altkader aus den Räten der Bezirke und Vertreter neuer politischer Gruppierungen ein Zweckbündnis mit dem Ziel geschlossen, Mittelbehörden in ihren Städten anzusiedeln. So zeichnete sich, ungeachtet Biedenkopfs persönlicher Wünsche, bereits kurz nach der Regierungsbildung eine Entscheidung zugunsten der Regierungspräsidien ab.755 Wie zuvor Vaatz hatte Konzessionen machen müssen, so galt dies nun auch für Biedenkopf, dem in Chemnitz und Leipzig die Grenzen seiner gerade errungenen Macht aufgezeigt wurden. Einem Bericht Horst Krügers verdanken wir die Information, dass bereits bei einer Beratung mit Biedenkopf am 21. November feststand, dass es drei Mittelbehörden geben werde, die 1991 eventuell auf fünf erweitert werden sollten. Jede von ihnen sollte 250 Mitarbeiter umfassen, später eventuell 350 bis 400. Präsidenten und Vizepräsidenten sollten durch den Innenminister berufen werden und die Vizepräsidenten zugleich eine Abteilung leiten.756 Immerhin aber betonte Biedenkopf die Notwendigkeit eines personellen Neuanfangs. Am 753 Protokoll über die Beratung der Landräte der Kreise Auerbach, Reichenbach, Plauen, Werdau, Zwickau, Glauchau und Freiberg sowie der Oberbürgermeister der Städte Zwickau und Plauen am 21.11.1990 im Landratsamt Reichenbach (HAV-DS Plauen, VwA Pl 6763). 754 Verwaltungserledigung in den neuen Bundesländern. Entschließung des Gesamtvorstandes der kommunalen Spitzenverbände vom 26.10.1990. In: Stadt und Gemeinde 1990, S. 421. Vgl. FAZ vom 28.11.1990. 755 Vgl. Eisen, Institutionenbildung, S. 121 und 204. 756 Vgl. BVB Chemnitz: Protokoll der Dienstberatung des Zweiten Stellvertreters, Horst Krüger, mit den Abteilungsleitern vom 22.11.1990 (SächsStAC, BVB, 11543).

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22. November erklärte er vor dem Landtag, dass auch die künftigen Mittelbehörden personell überprüft werden müssten. Aus den bisherigen Bezirksverwaltungsbehörden würde ein Teil des qualifizierten Personals übernommen werden, weil man darauf angewiesen sei. Andererseits dürfe niemand in Führungspositionen gelangen, der im SED-Apparat an verantwortlicher Stelle tätig gewesen sei. Es sei notwendig, die Neuordnung der Mittelinstanzen zu nutzen, um das Problem der politischen Altlasten endgültig zu lösen. Es gehe um die allerorts diskutierte Frage: „Haben wir nun die friedliche Revolution wirklich gewonnen, oder haben wir sie nicht gewonnen? Wird das Morgen von uns neu gestaltet, oder wird es zu Gunsten der alten Seilschaften gestaltet?“757 Da noch kein Landesverwaltungsgesetz existierte, in dem die Bildung von Behörden gesetzlich geregelt war, konnten die Regierungspräsidien nicht per Verwaltungserlass errichtet werden. Daher musste das Kabinett die Bildung beschließen. In einer Vorlage für die Kabinettssitzung am 27. November hieß es, eine Überführung der Bezirksverwaltungsbehörden mit der Folge eines Überganges der Beschäftigungsverhältnisse aller Mitarbeiter auf den Freistaat solle nicht erfolgen. Andererseits könne der von kommunaler Seite vorgeschlagene Verzicht auf staatliche Mittelinstanzen nicht befürwortet werden. Die Bürger würden zurecht erwarten, dass die öffentliche Verwaltung „im Hinblick auf ihre hoheitliche Tätigkeit als auch im Hinblick auf die Daseinsvorsorge selbst in einer Zeit grundlegender Neugestaltung“ arbeitsfähig bleibe. Dies bedeute, „dass auch bisher bei den Bezirksverwaltungsbehörden beschäftigtes qualifiziertes Personal im erforderlichen Umfang einen neuen Arbeitsvertrag erhalten“ könne. Maßstab für die Ausgestaltung der neuen Mittelbehörden seien entsprechende Empfehlungen der Clearingstelle Bonn vom 7. November 1990.758 Bernd Herzer bereitete eine Kabinettsvorlage vor,759 in der nach seiner Erinnerung als erster Beschlussvorschlag stand, dass auf der mittleren Verwaltungsebene dem Innenministerium nachgeordnete Regierungspräsidien gebildet werden. Zweiter Beschlusspunkt war, dass der Sitz der Regierungspräsidien in Chemnitz, Dresden und Leipzig sein sollte. „Nach langem Kampf und Vorabstimmungen“, so Herzer, sei seine Vorlage ins Kabinett gegeben worden. Innenminister Krause habe dabei nochmals zu bedenken gegeben, dass Biedenkopf keine Regierungspräsidien wünsche. Es habe aber „auch keine Gegenäußerung“ gegeben, „was man statt dessen machen könnte“. Vor der Sitzung des Kabinetts sei dann in der Staatskanzlei der erste Beschlusspunkt gestrichen worden, wonach Regierungspräsidien gebildet werden sollten. Übrig sei der zweite Beschlusspunkt geblieben. Die Folge sei gewesen, dass das Kabinett zwar nicht beschloss, Regierungspräsidien zu bilden, wohl aber einen Beschluss über ihren Sitz fasste. Dabei habe es sich um einen typischen politischen Kompromiss gehandelt. Man habe nicht betonen wollen, dass Präsidien gebildet werden, habe aber auch 757 Sächsischer Landtag, 1. WP, 4. Sitzung am 22.11.1990, Bl. 138–148. 758 SMI: Kabinettssache. Betr. Sitzung des Ministerrates am 27.11.1990, hier: Neuordnung der staatlichen Mittelinstanz (HAIT, Bildung des Freistaates Sachsen). 759 Unklar ist, ob sie mit der o. g. Vorlage identisch ist.

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keine andere Lösung parat gehabt und daher ihren Sitz dort beschlossen, wo bisher die Bezirksverwaltungsbehörden ihren Sitz hatten. Die Folge sei gewesen, dass die Rechtsgrundlage der Regierungspräsidien zunächst strittig war, was insofern Probleme aufwarf, als sie ja selbst Verwaltungsakte erlassen und Widerspruchsentscheidungen treffen mussten.760 Tatsächlich heißt es im Kabinettsbeschluss vom 27. November, mit Wirkung vom 1. Januar 1991 würden „neue Mittelbehörden eingerichtet“. Von Regierungspräsidien war keine Rede. Ihre örtliche Zuständigkeit bestimme sich „zunächst entsprechend der örtlichen Zuständigkeit der bisherigen Bezirksverwaltungsbehörden unter Berücksichtigung der Konsequenzen der Länderneubildung“. Ihre Einrichtung, „insbesondere ihre regionale Gliederung und ihre endgültige Anzahl,“ stehe „unter dem Vorbehalt einer abschließenden gesetzlichen Regelung des staatlichen Behördenaufbaus“. Gleichzeitig wurde der organisatorische Aufbau und die Höchstzahl der Mitarbeiter mit 250 festgeschrieben. Unter Punkt 7 hieß es: „Die Ministerien schlagen dem Innenministerium umgehend vor, welche Teile der derzeitigen Bezirksverwaltungsbehörden auf die Ministerien oder auf sonstige Landesbehörden übergehen sollen, welche auf die neuen Mittelbehörden übergehen sollen und welche abzuwickeln sind.“ Das Innenministerium hatte einen Ist-Zustand der drei Bezirksverwaltungsbehörden zu erstellen.761 Der Beschluss wurde nicht im Wortlaut veröffentlicht und nie durch den Landtag bestätigt. Dazu erklärte Fritz Schnabel, Ministerialrat im Innenministerium, wegen des umstrittenen Charakters habe man die Regierungspräsidien „nicht formell eingeführt“. Im Sinne einer Gesetzesberatung sei das im Landtag nie diskutiert worden.762 Am 29. November forderte Hirschle die drei Regierungsbevollmächtigten auf, möglichst umgehend einen Geschäftsverteilungsplan für staatliche Mittelbehörden vorzulegen. Es sei möglich, für die maximal 250 Bediensteten auch fachlich und persönlich qualifiziertes Personal der Bezirksverwaltungen in die neue Mittelbehörde zu übernehmen. Nur „soweit aus vorhandenem Personal der Bezirksverwaltungsbehörde eine Besetzung der neuen Mittelbehörde nicht möglich“ erscheine, werde eine Ausschreibung erfolgen.763 In einem beiliegenden Organisationsplan unterstanden einem Präsidenten sechs Abteilungen für „Zentrale Aufgaben“, „Inneres“, „Wirtschaft, Verkehr“, „Bauwesen, Wohnungswesen“, „Landwirtschaft und Regionalentwicklung“ sowie „Soziales und Gesundheit“.764 Gleichzeitig erklärte das Innenministerium, dass für eine Überführung von Einheiten der Bezirksverwaltungsbehörden „auf breiter Front kein Raum“ bestehe. Dies ergebe sich schon aus der von der vom Kabinett beschlossenen Mitarbeiterobergrenze von 250. Danach sei eine Überführung von 760 Interview Bernd Herzer. 761 Auszug des Protokolls der Sitzung des Kabinetts am 27.11.1990 (HAIT, Bildung des Freistaates Sachsen). 762 Zit. in Frenzel, Die Eigendynamik, S. 66. 763 SMI, gez. Hirschle, an Regierungsbevollmächtigte Leipzig, Chemnitz, Dresden: Weiteres Vorgehen beim Aufbau allgemeiner staatlicher Mittelbehörden vom 29.11.1990 (SächsStAC, RdB, 152349). 764 Organisationsplan Mittelbehörde vom 23.11.1990, Variante A (ebd.).

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geschlossenen Einheiten der Bezirksverwaltungsbehörde in die neuen Mittelbehörden kaum möglich.765 Damit hatte nur ein Teil der Mitarbeiter Aussichten, über das formal ohnehin offene Ausschreibungsverfahren übernommen zu werden. In Leipzig etwa war die Zahl der Beschäftigten des Rates des Bezirkes von November 1989 bis April 1990 von 1113 auf 976 Beschäftigte gesunken. Am 1. Juli wechselten 866 davon in die Bezirksverwaltungsbehörde.766 Nun wurden die Ressort- und Referatsleiter über die Reduzierung der Stellen von derzeit noch 320 auf 250 informiert. Den Mitarbeitern, die in die Warteschleife gingen, wurde empfohlen, sich bei einer späteren Aufstockung der Stellen wieder zu bewerben, falls ihnen nicht laut Sonderbedingungen des Einigungsvertrages gekündigt werden müsse.767 Auf einer weiteren Dienstberatung am 3. Dezember wurde beschlossen, Biedenkopf zu informieren, dass unter den gegebene Bedingungen die Arbeitsfähigkeit ab dem 1. Januar 1991 „nicht mehr gewährleistet“ sei,768 eine Sicht, die ignorierte, dass es sich um eine neue Behörde handelte und die bisherige Bezirksverwaltungsbehörde nicht weiter existierte. In Chemnitz informierte Buttolo die Abteilungsleiter am 3. Dezember darüber, dass er vom Innenministerium mit der Überführung der Bezirksverwaltungsbehörde in die zu bildende Mittelbehörde beauftragt worden sei.769 Auch hier wurde der Eindruck erweckt, bei der künftigen Mittelbehörde handele es sich um eine modifizierte und abgespeckte Bezirksverwaltungsbehörde. Tatsächlich wurden die Bezirksverwaltungsbehörden, wie im Einigungsvertrag vorgesehen, per 31. Dezember 1990 ohne Rechtsnachfolger aufgelöst. Die Regierungsbevollmächtigten leiteten die Bezirksverwaltungen bis Ende des Jahres 1990 und übergaben im Januar 1991 die Amtsgeschäfte an die Regierungspräsidenten. Am 11. Januar 1991 wurden die Chefs der Regierungspräsidien Ostsachsen (Dresden) und Westsachsen (Leipzig) bestellt. Südostsachsen (Chemnitz) wurde vorerst kommissarisch geleitet.770 Leiter des ostsächsischen Präsidiums wurde der bisherige Regierungsvizepräsident in Bayreuth und Verwaltungsjurist, Helmut Weidelehner. Damit zerschlugen sich letzte Hoffnungen Ballschuhs auf ein führendes Amt. Er wechselte anschließend zu einer GmbH für Stadtentwicklung. Die „Mittelbehörde Westsachsen“ in Leipzig übernahm der bisherige stellvertretende Regierungsbevollmächtigte von Leipzig, Walter Christian Steinbach, nachdem Krause das Innenministerium übernommen hatte. Das Regierungspräsidium in Südostsachsen wurde bis zur Bestellung eines Präsidenten vom bisherigen stellvertretenden Regierungsbevollmächtigten, 765 SMI, gez. Hirschle: Betr. Weiteres Vorgehen beim Aufbau allgemeiner staatlicher Mittelbehörden vom 30.11.1990 (HAIT, KA, 68). 766 Vgl. Welzel, Verwaltung und Management, S. 151. 767 BVB Leipzig: Protokoll der Dienstberatung mit den Ressort- und Referatsleitern am 30.11.1990 (PB Günter Kleinschmidt). 768 BVB Leipzig: Festlegungsprotokoll der 12. Dienstberatung des Regierungsbevollmächtigten mit den Ressortleitern am 3.12.1990 (ebd.). 769 Protokoll der Dienstberatung des Regierungsbevollmächtigten der BVB Chemnitz mit den Abteilungsleitern vom 3.12.1990 (SächsStAC, BVB, 11544). 770 Vgl. Freistaat Sachsen 1991/92. Das Jahrbuch, S. 42.

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Horst Krüger, geleitet. Biedenkopf hatte zuvor Buttolo angeboten, entweder Parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium oder ab 1991 Regierungspräsident in Chemnitz zu werden. Buttolo hatte sich jedoch für den parlamentarischen Weg entschieden.771 Bereits am 15. Januar 1991 beschloss die Staatsregierung, die Mittelbehörden doch als „Regierungspräsidien“ zu bezeichnen und nach ihrem jeweiligen Sitz zu benennen. Den Ausschlag dafür gaben „vor allem pragmatische Gründe und Rücksichten auf Leipzig und Chemnitz“. Mit den Bezirksverwaltungen waren in einer Phase kaum funktionierender Ministerialstrukturen wenigstens Organisationseinheiten auf mittlerer Ebene vorhanden. Die ersten Aufgaben der neuen Regierungspräsidenten bestand nun in der Rekrutierung von Mitarbeitern aus dem Kreis derer, die sich auf Grund einer öffentlichen Ausschreibung beworben hatten. Eingestellt wurden nach politischer und fachlicher Prüfung sowohl in der Warteschleifende befindliche ehemalige Mitarbeiter der Bezirksverwaltungsbehörden als auch neue Angestellte. In Leipzig stieg die Zahl der Mitarbeiter von 85 im Januar 1990 auf 290 im August 1991.772 Am 13. Mai 1991 gab die Staatsregierung schließlich offiziell den dreistufigen Verwaltungsaufbau bekannt.773 Damit wurde die Schaffung staatlicher Mittelinstanzen als Bündelungsbehörde, die in Sachsen als einzigem der neuen Bundesländer strukturell und teilweise auch personell an die bezirklichen Staatsapparate der DDR mit den Bezirkshauptstädten Dresden, Leipzig und Chemnitz (Karl-Marx-Stadt) anknüpften, amtlich.774 In den Regierungspräsidien war der Personalaufbau im Herbst 1991 abgeschlossen. Personelle Hilfe wurde hier weiterhin vor allem projektbezogen für spezielle juristische Aufgaben benötigt. Das galt zum Beispiel für das Regierungspräsidium Chemnitz, bei dem die Asylverfahren konzentriert waren.775 Im Laufe des Jahres 1991 beschloss die Staatsregierung Änderungen, die im November 1991 in einer neuen Organisationsstruktur ihren Niederschlag fanden.776 Dem Regierungspräsidenten waren ein persönlicher Referent, eine Stelle für Presse und Öffentlichkeitsarbeit sowie eine Gleichstellungsbeauftragte zugeordnet. Ihm unterstand ein Regierungsvizepräsident. Neu geschaffen wurden Abteilungen für Straßenbau und Verkehr. In anderen Abtei-

771 Interview Albrecht Buttolo am 18.10.1999. 772 Vgl. Welzel, Verwaltung und Management, S. 152. 773 Bekanntmachung der Sächsischen Staatsregierung über die Verwaltungsstruktur im Freistaat Sachsen vom 13. 5.1991. In: Sächsisches Amtsblatt H. 14 1991, S. 1. 774 Vgl. Hoffmann, Die staatlichen Mitteinstanzen, S. 623 f.; Eisen, Institutionenbildung, S. 108 f. 775 Ergebnisniederschrift über die Koordinierungsbesprechung Bayern / Baden-Württemberg/Sachsen am 18. 9.1991 in Dresden (BaySMI, Zusammenarbeit Bayern-Sachsen, Bl. 75–80). 776 Sächsischer Staatsminister des Innern, Heinz Eggert, an die Staatsministerien, Staatskanzlei und die Vertretung des Freistaates Sachsen beim Bund vom 15.11.1991. Betr.: Verwaltungsstruktur im Freistaat Sachsen, hier: Organisation der Regierungspräsidien (HAIT, KA, 68).

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lungen gab es neue Referate oder Verschiebungen in den Zuständigkeiten.777 Die Neubildung der Regierungspräsidien erfolgte mit umfassender Verwaltungshilfe aus Baden-Württemberg und Bayern. Am 20. Februar 1991 vereinbarten die bayerischen Regierungspräsidenten flächendeckende Patenschaften zwischen bayerischen Bezirksregierungen und den sächsischen Regierungspräsidien. Die Regierungen von Oberbayern und Schwaben unterstützten nun das Regierungspräsidium Dresden, die Regierungen von Ober- und Mittelfranken das Regierungspräsidium Chemnitz. Das Regierungspräsidium Leipzig wurde von Baden-Württemberg unterstützt.778 Verwaltungshilfe wurde in Form von Personalaustausch und Unterstützung in der Abwicklung der Dienstgeschäfte geleistet. Fünf Juristen waren über befristete Verträge durch die Regierung von Oberfranken am Regierungspräsidium Dresden und an den Landratsämtern Oelsnitz und Plauen eingesetzt.779 Im Regierungspräsidium Leipzig waren von 1990 bis 1995 insgesamt 75 Verwaltungsangestellte, insbesondere aus der Innen- und Sozialverwaltung Bayerns und Baden-Württembergs, angestellt. Die Abordnung der Aufbauhelfer endete mit dem 31. Dezember 1995. Einige von ihnen blieben und wechselten in den sächsischen Staatsdienst.780 Bereits nach kurzer Zeit ihrer Arbeit wurde die zunächst erwogene Abschaffung der Mittelinstanz immer unwahrscheinlicher. Schon im Oktober 1991 wurden ihre Verdienste hervorgehoben, und im Mai 1994 hieß es, sie hätten sich bewährt.781 Der Trend ging damit eher in Richtung einer Verfestigung dieser Strukturen,782 zeigten sich doch für die Staatsregierung deutliche Vorteile. So dämpfte ihre Bildung den Anpassungsdruck auf die nachgeordneten staatlichen Verwaltungsebenen und reduzierte den Zwang zu einer zügigen Neustrukturierung der Kreisebene. Die mittlere Verwaltungsebene erlaubte zudem ein weniger massives Vorgehen beim Zuschnitt der künftigen Kreise.783 Zunächst blieben aber die bisherigen, künstlich geschaffenen Kreise, die Bestandteil des zentralistischen Staatsapparates gewesen waren, Bausteine der neuen Länder.784 „Wir fanden“ so Biedenkopf, „48 Kreise und fast 1 600 Gemeinden vor, in einem Land mit 4,7 Mio. Einwohnern eine ganz offensichtlich übertriebene Dezentralisation bzw. Fragmentierung der kommunalen Ebe777 Organisationsplan Regierungspräsidium vom November 1991 (ebd.). Zur Struktur des Regierungspräsidiums Chemnitz siehe SächsStAC, BVB, 152238. 778 BaySMI an BayStK vom 4. 3.1991: Zehnte Sitzung der interministeriellen AG Deutschlandpolitik (BaySMI Zusammenarbeit Bayern-Sachsen, Bl. 105–110). 779 BaySMI: Gespräch des Staatsministers mit dem sächsischen Staatsminister des Innern, Heinz Eggert, am 12.10.1991 in Dresden (ebd., Bl. 41–48). 780 Vgl. Welzel, Verwaltung und Management, S. 152. Zum Aufbau und den Aufgaben der Regierungspräsidien vgl. ebd., S. 153–155. 781 Vgl. König, Aufbau, S. 232. 782 Vgl. Eisen, Institutionenbildung, S. 111. 783 Vgl. Frenzel, Die Eigendynamik, S. 66. 784 Vgl. Blaschke, Das Werden der neuen Bundesländer, S. 138; Wollmann/Derlin u. a., Die institutionelle Transformation, S. 16; König/Meßmann, Organisations- und Personalprobleme, S. 89.

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ne.“785 Wohl deshalb, aber auch mit Blick auf eine zu diesem Zeitpunkt noch angestrebte Neuordnung der Mittelbehörde, stieß er bereits Anfang 1991 die Frage einer Gebietsreform zur Zusammenlegung zu größeren Landkreisen an.786 Um eine gewisse Kontinuität zu wahren, rieten Westberater wie Hirschle zunächst davon ab, sofort eine Kommunal- und Kreisreform in Angriff zu nehmen. Er meinte, man könne nicht alle Verwaltungsebenen zerschlagen und bei Null anfangen. Besser sei es, im laufenden Verwaltungsbetrieb das Neue allmählich auf den Weg zu bringen.787 Ungeachtet dessen beschloss das Kabinett am 16. April 1991 formell den Zeitplan zur Durchführung einer Kreisreform und beauftragte das Innenministerium mit der Vorbereitung. Am 2. Juli legte dieses einen ersten Arbeitsentwurf vor, der nach Rücksprachen in allen Landkreisen am 14. November 1991 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Am 3. März 1992 fasste das Kabinett einen Tendenzbeschluss zur neuen Kreiseinteilung. Am 25. Mai 1993 wurde das Kreisreformgesetz verabschiedet. Vom August 1994 an gab es nur noch 23 statt bisher 48 Kreise.788

7.2.6 Allgemeine Aspekte des Aufbaus der Landesverwaltung Mit den Anfängen des Aufbaus der Ministerien der „Leihbeamtenregierung“,789 das zeigt schon ein Blick auf den Stand der Debatten um die Regierungspräsidien und nachgeordnete sowie Sonderbehörden,790 setzte sich der langwierige Prozess der Schaffung einer neuen Landesverwaltung in Gang. Ende des Jahres 1990 gab es zwar den Freistaat Sachsen, der Aufbau seiner Landesverwaltung, so auch Späth, steckte jedoch „noch völlig in den Anfängen“. Die untere Verwaltungsebene funktionierte noch nicht einmal ansatzweise. Die Ministerien waren nur sehr eingeschränkt arbeits- und handlungsfähig.791 Judikative, Exekutive und Legislative begannen erst, Strukturen zu schaffen. Auch für weite Bevölkerungskreise wurde erst 1991 „in durchaus desillusionierender Weise“ deutlich, dass die Vereinigung beider deutscher Staaten zwar formal vollzogen war, ihre Umsetzung jedoch in mannigfacher Hinsicht noch ausstand. Es fehlte an funktionsfähigen Verwaltungen und zentralen Ordnungs- und Dienstleistungen. 785 786 787 788

Biedenkopf, Regierungs- und Verwaltungsprobleme, S. 23. Vgl. Der Tagesspiegel vom 3. 3.1991. Interview Thomas Hirschle. Zur Geschichte der Kreisgebiets- und Gemeindegebietsreform in Sachsen ab 1991 vgl. Seibel, Verwaltungsaufbau, S. 38–47; Eggert, Kreisgebiets- und Gemeindegebietsreform, S. 30–34; Schnabel/Hasenpflug, Kreisgebietsreform, S. 402–405; Püttner/Bernet, Verwaltungsaufbau; Schmidt-Eichstaedt, Kommunale Gebietsreform, S. 5; Schnabel, Kreisreform, S. 10 f. 789 Interview Michael Merker. 790 Siehe Kap. 5.3.6 und 7.2.5. 791 SMBW, Abt. I: Vermerk für Ministerpräsident Späth zur Ministerpräsidentenkonferenz am 20./21.12.1990 in München (SMBW, I 0305.0. 1990); Albrecht Buttolo an Lothar Späth vom 4.1.1991 (SächsStAC, RdB, 152350). Vgl. Hauschild, DDR, S. 219.

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Alle neuen Bundesländer waren noch weit von einer rechts- und sozialstaatlichen Verwaltung entfernt.792 Dies hatte verschiedene Ursachen und einige schwerwiegende Folgen für den Freistaat. Die wesentliche Ursache für die Situation bestand in der Tatsache, dass die gesamte Vereinigung, bedingt durch den raschen revolutionären Umbruch, aus einer „Serie von Improvisationsakten“ bestanden hatte und „gewissermaßen im Hauruck-Verfahren“ erfolgt war. Eine durchdachte Strategie des institutionellen Umbaus hatte es weder für die politischen Institutionen noch für das Wirtschaftssystem gegeben.793 Die Folge war eine hastige, unreflektierte, zur vereinfachten Übertragung westlicher Konzepte und Regelungen in die Verwaltungsstrukturen der neuen Länder tendierende Entwicklung.794 Dabei war die Situation in Sachsen dank der umfangreichen Vorarbeiten des Koordinierungsausschusses noch als verhältnismäßig günstig einzuschätzen. Es erfolgte zwar eine Übertragung der institutionellen Strukturen des Bundes auf das Beitrittsgebiet, die Strukturen der Länder einschließlich der Landesgesetzgebung fehlten jedoch noch fast völlig und mussten durch weitergeltendes DDR-Recht ersetzt werden.795 Typisches Beispiel dafür ist die Tatsache, dass der Sächsische Landtag erst 1993 ein „Gesetz über die Organisation der Verwaltung im Freistaat Sachsen“ verabschiedete, das die Struktur der Landesverwaltung festlegte. Von einem Institutionentransfer kann ohnehin auf Bundesund Landesebene nicht gleichermaßen gesprochen werden. Während dieser auf Bundesebene formal vollständig vollzogen wurde, galt das hinsichtlich der inneren Struktur der einzelnen Länder so nicht. Hier gab es Gestaltungsräume, die es durchaus als sinnvoll erscheinen lassen, von einem partiellen Neuanfang auf Länderebene zu sprechen. Transferiert wurden hier nur die föderalen Rahmenbedingungen, nicht aber die innere Ausgestaltung der neuen Bundesländer. Während die Transferierung der institutionellen Strukturen des Bundes zunächst im Wesentlichen darin bestand, die Zuständigkeit von im Westen befindlichen Bundeseinrichtungen auf den Osten auszudehnen, kam es in den Ländern zur Herausbildung eigener institutioneller Strukturen. Darin lag zunächst ein Hauptunterschied zwischen beiden Ebenen. Erst peu à peu fassten auch Institutionen des Bundes im Beitrittsgebiet Fuß, allen voran Bundeswehr und Bundesgrenzschutz. Beim formalen Transfer der bundesdeutschen Ordnung auf das Beitrittsgebiet sowohl auf der Ebene des Bundes als auch auf denen der Länder und Kommunen ergaben sich insofern Probleme, als zwar die formalen institutionellen Strukturen des politischen Systems transferiert wurden, nicht jedoch „die zu seiner Funktionsfähigkeit unabdingliche Einbettung in das spezifische soziokulturelle Umfeld“. Die komplexen Interdependenzen und Verflechtungen zwischen politisch-administrativen Institutionen untereinander und mit gesellschaftlichen Organisationen und deren Integration in gesellschaftliche Mikro792 793 794 795

Hesse, Der Aufbau, S. 42 f. Lehmbruch, Institutionentransfer, S. 44. Vgl. Reichard, Auf dem Wege, S. 400. Siehe Kap. 7.1.5.

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strukturen konnten im Beitrittsgebiet nicht einfach miterzeugt oder verfassungspolitisch ins Leben gerufen werden. Andererseits wurde die Verwaltung in den neuen Bundesländern nicht einfach auf einer Tabula rasa errichtet. Die importierten institutionellen Strukturen bundesdeutscher Verwaltungsmuster stießen vielmehr auf strukturelle und personelle Hinterlassenschaften des DDR-Staatsapparates, auf institutionelle „Wrackstücke“ sowie „vagabundierende“ soziale Gruppen und Individuen,796 die ihre Haltung zum politisch-administrativen System und seinen Institutionen erst neu bestimmen mussten.797 In den entstehenden Landesverwaltungen stießen aber nicht nur konkurrierende ostdeutsche Gruppierungen, wie diejenigen, die neu in die Verwaltung kamen und als unbelastet galten, und jene, die aus dem DDR-Staatspaparat stammten, aufeinander; hinzu kamen sehr unterschiedliche westliche Leihbeamte, die in der Anfangsphase laufend wechselten und immer neuen Ideen und Konzepte mitbrachten und auch umsetzen wollten. In den Verwaltungen herrschte deshalb auch eine Konkurrenz zwischen verschiedenen westdeutschen Landsmannschaften.798 Der komplizierte Personenmix trug nicht unbedingt zur Effektivität der Verwaltung bei, außerdem fehlten auch generell noch jede Menge Experten zur Erledigung der fast durchweg dringlichen Aufgaben. So befand sich die öffentliche Verwaltung in den neuen Ländern in einer außerordentlich schwierigen Situation. Zwar war die Ausstattung mit investiven Finanzmitteln gut, jedoch gab es nur unzureichende organisatorische, rechtliche und personelle Voraussetzungen, diese Mittel abfließen zu lassen. Die Verwaltung war durch wesentliche Funktionsschwächen gekennzeichnet. Dabei ging es nicht allein um Ressourcenmobilisierung in personeller, organisatorischer und finanzieller Hinsicht; vielmehr musste sich die öffentliche Verwaltung zunächst auch erst einmal als eine demokratische und rechtsstaatliche Verwaltung bewähren.799 Vor allem aber behinderte die noch wenig funktionsfähige Landesverwaltung die Wirtschaftsentwicklung, sind funktionsfähige öffentliche Verwaltungen und eine leistungsfähige öffentliche Infrastruktur doch bekanntermaßen Schlüsselfaktoren für wirtschaftlichen Aufschwung und sozialen Frieden. Erst 1994 konnte Biedenkopf erklären, die Gründungsphase des Landes Sachsen sei abgeschlossen und die Grundstrukturen geschaffen. Noch aber sei Sachsen „kein normales Bundesland“, lediglich der „Rohbau“ stehe.800 Zu diesem Zeitpunkt waren Behördenstandorte und Dienstbezirke festgelegt, wobei im Zuge der damals noch ausstehenden Kreisreform noch geringfügige Änderungen möglich waren. Ein zentrales Problem beim Aufbau der Landesverwaltung war in Sachsen wie in den anderen neuen Bundesländern die Tatsache, dass es zwar in organisatorischer wie rechtlicher Hinsicht galt, anspruchsvolle bundesdeutsche Rah796 797 798 799

Glaeßner, Demokratie nach dem Ende des Kommunismus, S. 72. Eisen, Institutionenbildung, S. 36. Vgl. Wicker, Der Anteil der alten Länder, S. 64. Vgl. im Einzelnen Seibel, Zur Situation der öffentlichen Verwaltung, S. 477 f.; Scheytt, Städte, Kreise und Gemeinden, S. 12–21; Scheytt/Otto, Der Einigungsvertrag. 800 Biedenkopf, Regierungs- und Verwaltungsprobleme, S. 19 und 26.

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menbedingungen auszufüllen, die Landespolitiker aber keine in modifizierter Form weiterverwendbare Verwaltung vorfanden. So war der Aufbau der Landesverwaltungen über weite Strecken ein Neubau ohne Anknüpfen an irgendwelche Vorgängerinstitutionen. Die Ministerialverwaltung wurde „weitgehend aus dem Nichts neugeschaffen“.801 Das Prinzip „Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht“, das beim Wechsel von der Monarchie zur Republik galt und als ein Grundsatz deutscher Verwaltung gilt,802 war von der SED ausgehebelt worden und konnte deswegen auch 1989/1990 nicht in umgekehrter Logik angewandt werden. Der DDR-Staatsapparat stand nicht in der Tradition der deutschen Verwaltungskultur, hier hatte eindeutig ein Bruch stattgefunden. Nach Jahrzehnten der Diktatur fehlte selbst die überlieferte Erinnerung an die frühere Verwaltung.803 Die Situation unterschied sich somit nicht nur in grundlegenden Elementen von den Transformationsprozessen der übrigen mittelosteuropäischen Staaten, sondern auch von anderen historischen Systemumbrüchen in Deutschland.804 Der DDR-Verwaltung als einer Kaderverwaltung sowjetischen Typs fehlten grundlegende Charakteristika einer professionell-bürokratischen Verwaltung im Sinne eines Weberschen Idealtypus. Deshalb konnte der DDR-Staatsapparat nicht einfach unter bundesdeutschen Länderregimes weiterfunktionieren, wie das von Max Weber als Normalfall konstatiert wurde.805 Vielmehr bestanden für den Umbau der administrativen Institutionen in eine rechtsstaatlich-demokratische Verwaltung kaum strukturelle Anknüpfungspunkte. Die Sachlage in den neuen Bundesländern stellte „in dieser Hinsicht ein historisches Novum“ dar.806 Auch hinsichtlich der engeren Fachqualifikation stellte die Erbschaft des SED-Regimes den öffentlichen Dienst in den neuen Bundesländern vor gewaltige Probleme. Die Verwaltung der DDR war nicht nur weder rechtsstaatlich noch demokratisch, sie war auch keine im eigentlichen Sinne bürokratische Verwaltung. Ihr fehlten weitgehend die Merkmale bürokratisch-legaler Organisation. Das Prinzip der Aktenmäßigkeit der Verwaltung war unbekannt. Es gab weder ein Regelqualifikation noch eine Laufbahnordnung oder verlässliche Ausbildungspläne. Die Ausbildungsinhalte im Staatsdienst standen unter dem Primat der ideologischen Formeln des Marxismus-Leninismus. Eine Ausbildung in Verwaltungsrecht hatte bis 1972 gar nicht stattgefunden, danach war ein einziges Lehrbuch des Verwaltungsrechts erschienen. Der Gedanke des subjektiven öffentlichen Rechts und des Individualrechtsschutzes war der Verwaltung fremd. Unabhängige Verwaltungskontrollen durch Parlamente, Rechnungshöfe und Verwaltungsgerichte existierten nicht. Die Karrie-

801 König/Meßmann, Organisations- und Personalprobleme der Verwaltungstransformation, S. 95; vgl. Reichard, Auf dem Wege, S. 391. 802 Vgl. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Vorwort, S. VI. 803 Vgl. Ellwein, Tradition, S. 36. 804 Vgl. Wahl, Die deutsche Einigung, S. 181–208. 805 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, S. 126 f. 806 Eisen, Institutionenbildung, S. 33.

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ren der Verwaltungsbediensteten gründeten sich weniger auf fachliche Leistung als auf politische Loyalität.807 Somit war praktisch alles neu zu schaffen, nicht nur die Länder, die Landesregierungen, die Landesministerien und die meisten sonstigen Behörden der Landesverwaltung; neu war das gesamte Verwaltungssystem, neu waren auch die Rechts- und Verwaltungsvorschriften. Die Dimension der Aufgaben wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, welche Probleme einer eingespielten Verwaltung bereits dadurch entstehen, dass einzelne Verwaltungselemente, z. B. gesetzliche Vorschriften, neu gefasst werden. In den neuen Ländern aber war fast alles neu zu schaffen.808 Freilich gab es Vorgaben, Traditionen und Orientierungen, an denen sich die Akteure orientierten. So erfolgte der Aufbau der Landesverwaltung im Spannungsfeld der Übernahme unterschiedlicher bundesdeutscher Verwaltungspraktiken und eigener bzw. gemeinsamer Traditionen aus vordiktatorischer Zeit. Letztere verhinderten eine dominierende Orientierung an westdeutschen Leitbildern809 und einen rein bundesdeutschen Institutionentransfer.810 Der Koordinierungsausschuss, so Heidrun Lotze, hatte sich „selbstverständlich an den in den Ländern der Bundesrepublik wirkenden Strukturen“ orientiert, war sich aber bewusst gewesen, dass man diese nicht einfach auf Sachsen übertragen könne. Deswegen habe man sich auch die sächsischen Verwaltungstraditionen angesehen.811 So oder so aber vollzog sich ein „aktiver Systemwandel von einer real-sozialistischen in eine klassisch-europäische Verwaltung“,812 hatte der staatsrechtliche Umbruch in Deutschland doch „zwangsläufig umstürzende Auswirkungen auf die Verwaltungsorganisation der DDR“.813 Für diesen Prozess ist der Begriff „Verwaltungsreform“ auch nach Ansicht von Matthias Reichenbach „missverständlich und viel zu tief gestapelt“. Es habe sich vielmehr um den zweiten Teil der friedlichen Revolution in der Verwaltung gehandelt.814 Ob nun vor oder mit dem Aufbau der Verwaltung in den neuen Ländern, auf jeden Fall musste zunächst die „allgemeine systemische Grenze“ überwunden werden, die bislang die Staatsordnungen Ost- und Westeuropas getrennt hatte.815 Damit war die Schaffung einer neuen Staatsorganisation auf Landesebene integraler Bestandteil des allgemeinen Systemumbruchs im Rahmen der friedlichen Revolution.

807 808 809 810 811 812 813 814 815

Vgl. Seibel, Zur Situation der öffentlichen Verwaltung, S. 487. Vgl. Molodowsky, Verwaltungshilfe, S. 481. Vgl. König, Aufbau, S. 246 f.; Wollmann, Um- und Neubau, S. 18 f. und 23. Vgl. Lehmbruch, Institutionentransfer, S. 41–66. Koordinierungsausschuss zur Bildung des Landes Sachsen: Vortrag von Heidrun Lotze vor dem Sächsischen Forum am 13. 9.1990 (HAIT, Iltgen, 3). Vgl. König, Verwaltung im Übergang, S. 177–184. Bernet/Lecheler, Die DDR-Verwaltung, S. 1. Interview Matthias Reichenbach am 15. 7. 2003. König, Zum Verwaltungssystem der DDR, S. 16. Vgl. Hauschild, DDR, S. 214.

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7.2.7 Partnerländer Baden-Württemberg und Bayern nach der Einheit Baden-Württemberg: Auch in der Zeit nach dem Beitritt und der Bildung des Landes Sachsen halfen beide Partnerländer intensiv und konkurrierten um Einfluss in der entstehenden Landesverwaltung.816 Dabei habe es für Baden-Württemberg, so Erwin Teufel, „kein anderes Anliegen für eine umfassende Hilfe an das junge Bundesland Sachsen“ gegeben, „als die Absicht, einen Beitrag zum Aufbau zu leisten“.817 Jedenfalls ging es bei der Kabinettsberatung der badenwürttembergischen Regierung am 8./9. Oktober um Unterstützungsmaßnahmen für Sachsen, aber auch um die Art ihrer Darstellung in der Öffentlichkeit. Thema war vor allem die künftige Ausrichtung der personellen und wirtschaftlichen Hilfe.818 Insgesamt beliefen sich die Fördermaßnahmen Baden-Württembergs für 1990 auf zirka 26 Mio. DM.819 Das baden-württembergische Innenministerium wurde vom Kabinett beauftragt, in Zusammenarbeit mit den anderen Ressorts den Aufbau der staatlichen Verwaltung in Sachsen auf allen Ebenen durch Beratung in zentralen Fragen zu unterstützen. Ziel war es, Investitionshemmnisse abzubauen und Maßnahmen zur Verbesserung der öffentlichen Infrastruktur vorzubereiten. Der Ministerrat beauftragte die Regierungspräsidien und Landesoberbehörden Baden-Württembergs, Patenschaften für Behörden in Sachsen zu übernehmen.820 Die Sitzung bot Anlass, die bisherige Hilfe zu resümieren. Mit dem Ziel, zum Aufbau einer demokratischen, föderal strukturierten, rechtsstaatlichen Polizei in Sachsen beizutragen, leistete Baden-Württemberg bereits seit Mai 1990 intensive Aus- und Fortbildungshilfe in Form von Seminaren und Hospitationsprogrammen. Da eine „starke Verunsicherung der Polizeibeamten“ konstatiert wurde, die durch die „Unklarheit über die künftige Organisation der Polizei sowie durch umfassende, einschneidende Personalmaßnahmen hervorgerufen“ wurde und „zu einer Auflösung der Führungsstrukturen“ geführt hatte, wurde es als erforderlich angesehen, Führungspositionen in der sächsischen Polizei vorübergehend mit Polizeifachkräften auch aus Baden-Württemberg zu besetzen oder dem dortigen Führungspersonal qualifizierte Beamte als Berater zuzuweisen. Eine gemeinsame Projektgruppe BadenWürttembergs und Bayerns sowie der Bezirksbehörden der Volkspolizei erarbeiteten Grundlagen für die Neugliederung und Personalausstattung der Polizei. Bereits fertiggestellt waren Anfang Oktober Formulierungsvorschläge für ein sächsisches Polizeigesetz, der Entwurf einer Durchführungsverordnung für 816 Zur bisherigen Entwicklung siehe Kap. 5.5.3. 817 Erwin Teufel an den Autor vom 10.1. 2003. 818 IMBW, Zentralstelle: Betr. Klausurtagung des Kabinetts am 8./9.10.1990; hier: Kabinettsvorlage des IMBW über die inhaltliche Ausrichtung der Unterstützungsmaßnahmen für das künftige Land Sachsen. Stuttgart, vom 1.10.1990 (HAIT, KA, V.2). 819 Fördermaßnahmen des Landes Baden-Württemberg für Sachsen im Jahre 1990 (ebd., V.3, 1). 820 Bericht des IMBW über Maßnahmen zur Unterstützung des Landes Sachsen vom 8.10.1990 (Dok. 154).

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Aufbau und Aufgaben des Polizeivollzugsdienstes, ein komplexer Gliederungsund Stärkeplan sowie Errichtungsverordnungen für die neu einzurichtenden Dienststellen und Einrichtungen der Polizei.821 Eine weitere wesentliche Aufgabe war der Aufbau der Grundbuchämter. Seit Oktober 1990 wurden ständig mindestens 25 baden-württembergische Grundbuchbeamte nach Sachsen abgeordnet, die sich einer kaum zu bewältigenden Flut von Anträgen gegenüber sahen. Beim Grundbuchamt Dresden stiegen die Eingänge von 186 im Jahre 1988 auf 38 000 im Jahr 1991 und auf 296 317 im Jahre 1992.822 Die Dringlichkeit lag auf der Hand: „Nur wenn die Grundbuchämter in der DDR in absehbarer Zeit ihre Aufgaben erfüllen können“, so das Kabinett in Stuttgart, „kann davon ausgegangen werden, dass die für den Aufbau der Wirtschaft notwendigen Investitionen getätigt werden.“ 823 Während das Justizministerium Baden-Württemberg personelle Unterstützung für die grundbuchführenden Stellen im Bezirk Dresden leistete, übernahm das Bayerische Staatsministerium der Justiz die Unterstützung für die Bezirke Chemnitz und Leipzig.824 Der für die baden-württembergische Landesregierung weiterhin politisch interessanteste Hilfeschwerpunkt blieb der Aufbau der Ministerien. Kolbe berichtete am 12. Oktober nach Stuttgart, dass Baden-Württemberg Sachsen derzeit mit 31 Leihbeamten beim Aufbau der Ministerien (ohne Finanz- und Justizressort) unterstütze. Es sei vorgesehen, diese Zahl weiter zu erhöhen.825 Mitte Oktober gab es hinsichtlich der baden-württembergischen Hilfe insofern eine Zäsur, als die Arbeit der Gemischten Kommission Sachsen / BadenWürttemberg auslief und sich die Unterstützung nun unmittelbar in Form personeller Mitarbeit in maßgeblichen Regierungsfunktionen vollzog. Bereits im Spätsommer 1990 war die Arbeit der Gemischten Kommission mehr oder weniger durch den Koordinierungsausschuss und seine Arbeitsstäbe überholt worden und die Arbeit der Fachgruppen „zunehmend obsolet“ geworden. Der Apparat von Vaatz und die Gemischte Kommission hätten, so Zeller, nebeneinander her gearbeitet und es habe „sogar eine Art Konkurrenz, einen Wettbewerb zwischen beiden“ um die besseren Konzepte gegeben. 826 Dabei gab es sowohl hinsichtlich der Arbeit der verschiedenen Fachgruppen der Gemischten Kommission als auch der Strukturbereiche/Arbeitsstäbe des Koordinierungsausschusses teils erhebliche Unterschiede. Bei den Fachgruppen lag dies unter 821 Ebd. 822 Bericht von Justizminister Thomas Schäuble an den Präsidenten des Landtages von Baden-Württemberg vom 30. 8.1994. Betr. Antrag der Fraktion der CDU vom 8. 7.1994: Personalhilfe Baden-Württembergs zum Aufbau der Justiz in den neuen Bundesländern (SMBW, II 0305.0 1991 ff.). 823 SMBW: Auszug aus der Niederschrift über die Sitzung des Ministerrates am 24. 9.1990. Entwurf (SMBW, 0305.0. 1990–1998). 824 Lothar Späth an Erwin Teufel vom 23.10.1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). 825 Informationsbericht des Freistaates Bayern in Dresden vom 8.–12.10.1990 (PB Manfred Kolbe). 826 Interview Wolfgang Zeller.

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anderem daran, dass jede Gruppe die Richtung und Intensität der Arbeit selbst bestimmte. In der Regel hatten die Strukturbereiche des Koordinierungsausschusses eine Schlüsselstellung inne, und die Arbeitsergebnisse der Fachgruppen der Gemischten Kommission flossen über Personen, die in beiden Gremien mitarbeiteten, in die Arbeit des Koordinierungsausschusses ein. Eine Ausnahme stellte die Fachgruppe zur Erarbeitung der sächsischen Verfassung dar, bei der die Gewichte umgekehrt verteilt waren. Hier waren es die Arbeitsgruppen des Koordinierungsausschusses, die eher als Anhängsel der „eigentlichen Arbeit“ der Fachgruppe 11 der Gemischten Kommission erschien. In einem Vermerk für Staatssekretär Menz vom 19. September hatte es geheißen, dass die Gemischte Kommission die ihr anfangs zugedachte Aufgabe erfüllt habe.827 In einer anderen Vorlage für die Klausurtagung des Ministerrates in Stuttgart hieß es Anfang Oktober, die Arbeit der Gemischten Kommission werde nach dem 14. Oktober auf sächsischer Seite auf die Ebene der sächsischen Staatskanzlei übergeleitet werden.828 Damit floss auch die baden-württembergische Unterstützung von nun an über Leihbeamte direkt in die Regierungsarbeit ein. Mit den sächsischen Landtagswahlen am 14. Oktober beendete die Gemischte Kommission ihre Arbeit. Ihr sei es gelungen, so hieß es im Abschlussbericht, Verbindungen auf breitester Ebene zu initiieren und anzustoßen. Nach und nach hätten sich immer mehr politische und gesellschaftliche Organisationen und Gruppen aus Baden-Württemberg in Sachsen engagiert. Dadurch sei ein dichtes Netzwerk von Verbindungen im staatlichen und außerstaatlichen Bereich entstanden, das weit über die Gemischte Kommission hinausreiche.829 Bei einer Besprechung des baden-württembergischen Innenministeriums am 24. Oktober kritisierte ein Vertreter des baden-württembergischen Städtetages freilich noch einmal, dass sich die bisherige Arbeit, insbesondere in den Fachgruppen, häufig auf Mitarbeiter konzentriert habe, die wegen ihrer politischen Vergangenheit wohl in nächster Zukunft ausgewechselt würden. Er warnte noch zu diesem Zeitpunkt davor, die bisherigen Mitarbeiter in den Bezirken zu unterstützen, da diese die Aktivitäten zur Landesbildung „teilweise erheblich bremsen“.830 Noch zu diesem Zeitpunkt wirkte sich die von den neuen Kräften stückweise zu ihren Gunsten verschobene Ausgangskonstruktion der Gemischten Kommission aus, die zunächst vornehmlich der Zusammenarbeit BadenWürttembergs mit den Räten der Bezirke gedient hatte. Noch immer waren die Fachgruppen mit zahlreichen Mitgliedern der früheren Räte der Bezirke besetzt, während dies bei den Strukturbereichen des Koordinierungsausschusses 827 SMBW, Abteilung V: Vermerk für Staatssekretär Menz vom 19. 9.1990 (SMBW, Ordner Reden, Grußworte, Interviews, 2. Ba-Wü-Sachsen). 828 SMBW, Abt. V: Vermerk für die Klausursitzung des Ministerrates am 8./9.10.1990 (SMBW, 0136, GK S/BW, Allgemeines). 829 Abschlussbericht der GK S / BW: Hilfsmaßnahmen Baden-Württembergs für Sachsen (1990/1991) (ebd.). 830 IMBW: Protokoll über den Verlauf der Besprechung am 21. 9.1990 zur Zusammenarbeit mit dem künftigen Land Sachsen vom 24.10.1990. Zit. in Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 161 f.

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lediglich bei den Teilnehmern aus Chemnitz und Leipzig der Fall war. Viele der an der Gemischten Kommission beteiligten Staatsfunktionäre hatten diese als „Sprungbrett für künftige Aufgaben“ angesehen. Inzwischen aber war längst klar geworden, dass ihnen die neuen politischen Kräfte einen Strich durch die Rechnung gemacht hatten.831 Nicht die Gemischte Kommission wurde zum Sprungbrett in die Landesverwaltung, sondern eher schon der Koordinierungsausschuss. Die im Verhältnis zum Koordinierungsausschuss nachgeordnete Rolle der Gemischten Kommission lag somit unter anderem darin begründet, dass deren Konstruktion aus der Frühzeit der Kooperation stammte und auf Hilfsund Schulungsmaßnahmen älterer Machart zugeschnitten war. Inzwischen aber waren baden-württembergische Helfer über die Arbeitsstäbe des Koordinierungsausschusses viel direkter in die Verwaltungshilfe eingestiegen und hatten den Verwaltungsaufbau teils selbst maßgeblich in die Hand genommen. In der Endphase der Landesbildung genügte das der Gemischten Kommission zugrunde liegende Hilfskonzept nicht mehr den Anforderungen, die mit dem massiven Personaleinsatz auf Baden-Württemberg zukamen und die weit über die früheren Hilfestellungen hinausgingen. Eine derart massive und direkte Einbindung von Beamten in den Aufbau der Landesverwaltung Sachsens war von den Initiatoren der Gemischten Kommission so nicht vorhergesehen worden. Inzwischen war klar, dass der Aufbau der Landesverwaltung nicht durch rasch geschulte Mitarbeiter des Staatsapparates, flankiert durch punktuelle Sachhilfen, geleistet werden konnte. Die Landesbildung musste vielmehr angesichts massiver Defizite vor Ort vor allem von Beamten des Bundes wie der Partnerländer selbst geschultert werden. Hier erwiesen sich die Arbeitsstäbe des Koordinierungsausschusses als bessere Konstruktion, banden sie doch alle verantwortlichen Akteure ein und grenzten weder Bayern noch Bundesbeamte oder die DDR-Regierung aus. Das war auch hinsichtlich der bayerischen Hilfsangebote wichtig, denn vor allem seit dem prognostizierten Landtagssieg der CSU Mitte Oktober war Bayern, wenn auch spät, „aufgewacht“ und sorgte nun dafür, dass sich die Gewichte verschoben.832 Nicht punktuelle und vorübergehende Hilfe war nun gefragt, sondern westliche Leihbeamte, die den Aufbau der sächsischen Landesverwaltung intensiv und langfristig zur eigenen Angelegenheit machten. Auch diesem Erfordernis wurde der Koordinierungsausschuss besser gerecht. Vor allem in der Schlussphase floss die Hilfe über die baden-württembergischen Helfer im Koordinierungsausschuss direkter in die Arbeit an der Landesverwaltung ein als die der Gemischten Kommission. Die Folge war, dass kaum jemand aus der Gemischten Kommission am Ministerialaufbau beteiligt war, während vor allem Helfer aus den Aufbaustäben in den Ministerien wirkten. Zeller meint, der Aufbaustab sei auch deswegen stärker präsent gewesen, weil er permanent vor Ort saß. Die Gemischte Kommission sei „ein reisendes Gewerbe“ gewesen. Man habe abwechselnd in Baden-Württemberg und Sachsen getagt. Dadurch 831 Interview Arnold Vaatz. In: Kleimeier, Sachsen, S. 105 f. 832 Interview Wolfgang Zeller.

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konnte es nicht die Kontinuität der Arbeit geben wie beim Koordinierungsausschuss. Die Teilnehmer leisteten die Arbeit außerdem nebenberuflich. Weiterhin seien die baden-württembergischen Teilnehmer der Gemischten Kommission etablierter gewesen als die im Koordinierungsausschuss und hätten durchweg „herausragende Funktionen“ innegehabt, weshalb ihr Karrierebedürfnis nicht so ausgeprägt gewesen sei.833 Trotz der im Vergleich zum Koordinierungsausschuss strukturellen Nachteile gingen von allen Fachgruppen wichtige Impulse für die Landesbildung aus, und es kann mit Fug und Recht behauptet werden, dass die Gemischte Kommission die staatliche Neuerrichtung Sachsens maßgeblich mit vorbereitete.834 Neben der Arbeit der Gemischten Kommission Sachsen / Baden-Württemberg ging auch die Tätigkeit einer anderen Institution der baden-württembergischen Verwaltungshilfe ihrem Ende entgegen, nämlich die der Koordinierungsstelle Baden-Württembergs. Mitte November meldete Hirschle nach Stuttgart, dass, „nachdem baden-württembergische Landesbedienstete konkrete Funktionen in den Ministerien übernehmen“ würden, die Arbeit der Koordinierungsstelle nicht mehr in der bisherigen Weise fortgeführt werden könne. Ihre Aufgabe werde sich künftig auf die Steuerung des Einsatzes der Kommunalbediensteten in den Landkreisen reduzieren. Die Leitung der Koordinierungsstelle solle Dieter Hauswirth übertragen werden, der gleichzeitig die Leitung der Stabsstelle „Bürgerangelegenheiten“ der Staatskanzlei übernehme.835 Zwar leistete die Koordinierungsstelle hier noch einige Arbeit, lief dann aber ohne förmlichen Auflösungsbeschluss aus. „Irgendwann einmal“, so Hirschle, „hat sich die Sache von selber praktisch liquidiert gehabt, weil die Dinge in den normalen Gang übergegangen sind.“ Die Beamten, die vom Büro nach Sachsen geholt worden waren und die dort mitgearbeitet hatten, wurden in die Ministerien und nachgeordneten Verwaltungen eingegliedert.836 In einer Vorlage für den Ministerrat von Mitte März 1991 wurde die Koordinierungsstelle in Dresden mit Außenstellen in Chemnitz und Leipzig als ursprünglich „zentrales organisatorisches Element der baden-württembergischen Verwaltungshilfe“ bezeichnet, dessen organisatorische Einheit sinnvoll und notwendig gewesen sei, solange keine eigenständigen rechtsstaatlichen Organisationsstrukturen in Sachsen vorhanden waren. Nachdem die sächsischen Ministerien mittlerweile arbeiteten, könne die Verwaltungshilfe vom Grundsatz her vom jeweiligen baden-württembergischen Ressort zum jeweiligen sächsischen Ressort abgewickelt werden.837 Daraufhin wurden im Frühjahr 1991 die Verbindungsbüros Baden-Württembergs in Leipzig und Chemnitz aufgelöst, das Büro in Dresden blieb noch etwa länger beste833 Interview Wolfgang Zeller. 834 Vgl. Patzelt, Sachsen, S. 504. 835 Koordinierungsstelle Dresden: Bericht Thomas Hirschle vom 17.11.1990 über die Zeit bis zum 15.11.1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). 836 Interview Thomas Hirschle. 837 SMBW: Tischvorlage für die Sitzung des Ministerrats am 11. 3.1991, S. 17 (SMBW, 0305.0. 1990–1998).

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hen.838 Statt des Koordinierungsbüros wurde bei der Sächsischen Staatskanzlei eine regelmäßige Koordinierungsrunde eingerichtet, mit der die Verwaltungshilfe weitergeführt wurde. An dieser im Abstand von sechs Wochen unter Leitung des Chefs der Staatskanzlei tagenden Runde nahmen in der Regel die Abteilungsleiter Personal der bayerischen Staatskanzlei sowie des baden-württembergischen Staatsministeriums teil.839 Bayern: Schon mit dem sich im September abzeichnenden CSU-Sieg bei der bayerischen Landtagswahl war die Ampel in Sachen Ausweitung der Personalhilfe für Sachsen auf Grün gestellt worden.840 Zwei Tage nach dem überragenden Wahlerfolg der Christlich-Sozialen am 14. Oktober beschloss der Ministerrat in München eine erhebliche Ausweitung der Personalhilfe für Sachsen und Thüringen. Schon im September hatte man sich von der bisherigen Strategie verabschiedet, personelle Hilfe nur auf Anforderung zu leisten. Nun wurde man wie zuvor schon Baden-Württemberg von sich aus aktiv. Zugleich rückte Ministerpräsident Streibl von der parteipolitischen Unterstützung für die DSU ab, wie er Biedenkopf Ende Oktober erklärte. Bayern wolle in Sachsen gerne helfen, so Streibl, ohne sich freilich aufzudrängen.841 Letztere Formulierung war wohl eher eine Höflichkeitsfloskel, denn ungeachtet seiner persönlichen Ambitionen war man in München für eine strategisch durchdachte Ausweitung der Personalhilfe gewappnet. Von Mitte Oktober bis Anfang Dezember verdoppelte die Bayerische Staatsregierung die Zahl der längerfristigen Abordnungen und hatte zum Jahresende 126 Beamte und 20 Richter entsandt. Die Mehrzahl der Beamten schickte das Finanzministerium zum Aufbau der Finanzverwaltung in Sachsen sowie das Innenministerium zum Aufbau der Innenverwaltung und der Polizei, hier besonders in Thüringen. Inzwischen ging man davon aus, dass etliche bayerische Beamte auf Dauer in den Dienst der neuen Länder wechseln würden.842 Unterdessen hatte es in der Führung des bayerischen Informationsbüros in Dresden einen Wechsel gegeben. Mitte Oktober verabschiedete sich Manfred Kolbe in den Bundestagswahlkampf und schlug auch als Notar in Grimma neue berufliche Wurzeln in seiner früheren Heimat. Nach seinem Fortgang leitete ab Mitte Oktober 1990 Eckehard Schmidt für kurze Zeit das Büro, ihm folgte am 6. November 1990 Hubert May. Beide kamen vom Bayerischen Staatsministerium der Finanzen. May war zunächst auch amtierender Amtschef im Sächsischen Staatsministerium der Finanzen und danach Abteilungsleiter Steuern. Ende 1990 resümierte May die Arbeit des Büros. Es sei gelungen, einen „guten Draht“ zur Sächsischen Staatsregierung zu ziehen. Es habe dem Koordinierungsausschuss und den sich konstituierenden Staatsministerien geholfen, Bayern aber auch wichtige Informationen über die Entwicklung in Sachsen 838 839 840 841 842

dpa vom 23.10.1990. Vgl. Häußer, Zum Aufbau von Regierungszentralen, S. 130. Siehe Kap. 5.5.3. Vgl. Biedenkopf, Ein deutsches Tagebuch, S. 403. BayStK: Jahreskurzbericht über die Rolle Bayerns bei der deutschen Wiedervereinigung/Teil Beratungs- und Verwaltungshilfe vom 7.12.1990 (BayStK, Baer).

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geliefert, außerdem Kontakte in Verwaltung, Politik und Wirtschaft geknüpft und Besuche führender bayerischer Politiker vorbereitet.843 Die veränderte bayerische Haltung hinsichtlich des Personaleinsatzes blieb natürlich in Dresden nicht unbemerkt. Anfang Dezember übermittelte Kammerschen dem Deutschland- und Europareferenten der CSU-Landtagsfraktion, Wolfgang Kuhn, den Wunsch der Sächsischen Staatskanzlei, „zumindest für eine Übergangszeit“ Spiegelreferenten für die Bereiche „Finanzen“, „Soziales und Gesundheit“ sowie „Landwirtschaft, Ernährung und Forsten“ zur Verfügung zu stellen. Ein stärkeres finanzielles und personelles Engagement Bayerns in Sachsen werde begrüßt und sei „sehr erstrebenswert“.844 Zum Jahresende wurde der Wunsch nach verstärkten personellen Hilfen an das bayerischen Informationsbüro herangetragen. Für eine Übergangszeit, in der Fragen der politischen wie fachlichen Qualifikation der einheimischen Bediensteten zu lösen seien, werde es „massiver Hilfe aus dem Westen bedürfen“, so hieß es im Jahresbericht des Informationsbüros. Es sei anzunehmen, dass „diese Übergangszeit noch länger dauern“ werde.845 Bayern zögerte nun nicht mehr und übernahm federführend den Aufbau des Finanzministeriums und der Oberfinanzdirektion in Chemnitz. Im Finanzministerium war es zuständig für die Finanz- und Steuerverwaltung (Finanzämter, OFD Chemnitz). Außerdem leistete es Verwaltungshilfe beim Aufbau des sächsischen Landesamtes für Finanzen. Beim Aufbau der Mittelinstanzen und Finanzämter im Bereich der Finanzverwaltung war vor allem die Oberfinanzdirektion Nürnberg tätig. Das ursprünglich ebenfalls in Sachsen engagierte NordrheinWestfalen zog sich bis Juli 1991 aus Sachsen zurück und übergab Bayern die zuständigen Bereiche. Im Sozialministerium stellte Bayern unter anderem den Amtschef und half beim Aufbau der Sozialverwaltung und der AOK in Dresden; im Justizbereich stellte es die Präsidenten der Bezirksgerichte Chemnitz und Leipzig sowie die Leiter der Staatsanwaltschaften bei den Bezirksgerichten Chemnitz und Dresden. Es engagiert sich maßgeblich bei der Umwandlung des Strafvollzugs und im Liegenschaftswesen (Grundbuchämter Leipzig und Chemnitz). Nach der Vereinbarung der Clearingstelle war Bayern auch federführend beim Aufbau des Landwirtschaftsministeriums sowie der nachgeordneten Dienststellen und Forschungseinrichtungen beteiligt. Ebenso waren bayerische Beamte beim Aufbau des Wirtschaftsministeriums tätig. In der Sächsischen Staatskanzlei stellte die Bayerische Staatskanzlei die Ressort-Referenten für Finanzen, Wirtschaft und Arbeit, den Referenten für Medienarbeit und -politik sowie den Leiter des Ministerbüros. Die Federführung beim Aufbau des sächsischen Staatsministeriums des Innern lag bei Baden-Württemberg, Bayern beteiligt sich jedoch auch hier. Hier kamen zwei Beamte der allgemeinen inneren Verwaltung zum Einsatz; eine Beamtin half beim Aufbau der Hauptfürsor843 Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Jahresbericht 1990 (PB Manfred Kolbe). 844 Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Bericht vom 3.–9.12.1990 (ebd.). 845 Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Jahresbericht 1990 (ebd.).

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gestelle Chemnitz. Ebenso wurden die Präsidenten der Regierungspräsidien Dresden und Chemnitz von Bayern gestellt.846 Auf Grundlage der Entscheidung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder vom 29. Juni 1990 betreute Bayern den Bereich der ehemaligen Bezirkspolizeibehörde Chemnitz und den Aufbau der Bereitschaftspolizei. Bayern führte im Jahre 1990 61 Unterstützungsmaßnahmen durch, an denen rund 1300 sächsische Bedienstete teilnahmen. Es entsandte rund einhundert bayerische Beamte nach Sachsen, unter anderem als Einsatzberater anlässlich der Leipziger Messe, als Referenten von Seminaren für sächsische Bedienstete oder zur Unterstützung der Sächsischen Polizei bei Fußballspielen.847 An Seminaren der Bayerischen Verwaltungsschule nahmen 1990 über 2 400 sächsische Bedienstete teil. Bayerische Beamte waren aber auch in verschiedenen nachgeordneten Verwaltungen tätig. Beamte halfen beim Aufbau der Versorgungsverwaltung, des Arbeitsschutzes und des Landesjugendamtes. Rechtspfleger leisteten Arbeit in den sächsischen Grundbuchämtern. Im Rahmen des kommunalen Beraterprogramms kamen seit Ende 1990 Fachleute aus bayerischen Kommunen in Kreisen, Städten und größeren Gemeinden Sachsens zum Einsatz. Richter und Staatsanwälte halfen beim Aufbau der Rechtspflege. In der Schulverwaltung und zur Lehrerfortbildung wurden ebenfalls Beamte eingesetzt. Bayerische Professoren agierten als Gründungsdekane für Fachbereiche an sächsischen Hochschulen.848 Insgesamt gab Bayern 1990 folgende Mittel für Hilfsmaßnahmen in der DDR bzw. den neuen Ländern aus: 15,13 Mio. DM für Hilfen beim Aufbau marktwirtschaftlicher und mittelständische Strukturen, insbesondere für das bayerische Mittelstandskreditprogramm „DDR“, 4,29 Mio. DM für Hilfen beim Aufbau leistungsfähiger dezentraler Verwaltungsstrukturen und rechtsstaatlicher Rechtspflege (personelle Hilfe beim Verwaltungsaufbau), 14,7 Mio. DM für die Stärkung der Brückenfunktion des Grenzlands im Infrastrukturbereich (Staatsstraßen- und Kommunalstraßenbau im Grenzland, Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur im Zonenrandgebiet), 2,5 Mio. DM für fachliche Beratungs- und Expertenhilfe und Zuschüsse für wichtige Sanierungsmaßnahmen mit Pilotfunktion (Beratungshilfen für städtebauliche Maßnahmen und im Naturschutzbereich, Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung im Grenzgebiet, Umweltschutz), 8,65 Mio. DM für den Ausbau der Kooperation in verschiedenen Fachbereichen wie Schule, Kultur, Wissenschaft, Gesundheit, Wohl-

846 BayStK, Arbeitsstab Deutschlandpolitik, Interministerielle AG Deutschlandpolitik: Gespräch des Bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl mit der Bayerischen Landtagspresse e. V. am 9. 4.1991. Materialien: Aufbau der neuen Länder mit Bayerischer Hand (BayStK, Baer). 847 BaySMI. IC5. 9.10.1991. Besuch von Staatsminister Stoiber am 12.10.1991 in Sachsen (BaySMI, Zusammenarbeit Bayern-Sachsen, Bl. 81–87). 848 Statement des Bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl vor dem Verein der Bayerischen Landtagspresse am 9. 4.1991 zum Thema: „Die Zukunft der alten und neuen Länder in der Bundesrepublik Deutschland“ (BayStK, Baer).

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fahrtspflege und Sozialwirtschaft.849 Im März 1991 waren regelmäßig rund 1000 bayerische Bedienstete in den neuen Ländern im Einsatz, davon 191 in den oberen Landesbehörden.850 Für die Jahre 1990 bis 1992 wurden seitens der bayerischen Staatregierung für das Sonderprogramm zur Verstärkung von Maßnahmen zum Aufbau in den neuen Ländern, insbesondere für allgemeine Verwaltungshilfe, 200 Mio. DM und für das Expertenprogramm weitere 50 Mio. DM veranschlagt. Dazu kamen Ausgaben für die Dienstbezüge der Beamten, die an Behörden und Dienststellen der neuen Länder entsandt wurden. Diese wurden aus den allgemeinen Haushaltsansätzen bezahlt. Schließlich trug der Freistaat Bayern auch die Kosten für die Stellen im Personalausgleich von Entsendungen bei den Stammdienststellen. Summiert man alle personellen Leistungen, so beliefen sich die finanziellen Belastungen nach Angaben des bayerischen Staatsministeriums der Finanzen in den Jahren 1990 bis 1992 auf bis zu 500 Mio. DM.851 Bei allen Bemühungen, so Streibl im April 1991, habe Bayern ein klares Ziel: „Wir wollen gleichwertige, jedoch nicht gleichartige Lebensbedingungen. Wir wollen ein bundesstaatlich verfasstes Gesamtdeutschland. Dabei bauen wir darauf, dass die fünf neuen Länder den bundesstaatlichen Charakter unseres Vaterlandes stärken werden.“852 Resümiert man die Hilfeleistungen beider Partnerländer, so kommt man allerdings eher zu dem Ergebnis, dass diese bei weitem nicht ausreichten, die Folgen der SED-Diktatur auszugleichen. Zwar war die Verwaltungshilfe und der personelle Einsatz enorm, sie wurden aber flankiert von einer Politik auf bundesstaatlicher Ebene, die die Bemühungen vor Ort teilweise ad absurdum führte. Hier war insbesondere auch die Haltung der beiden Partnerländer vom typischen Landesegoismus geprägt, wie er die Beziehungen zwischen Bund und Ländern sowie unter den Ländern schon vor der Einheit stets prägte.853 Das lag daran, dass die westlichen Bundesländer auch selbst an den finanziellen Folgen der deutschen Einheit zu tragen hatten. Die personellen und finanziellen Ressourcen für Verwaltungshilfen fehlten hier ebenso für die Erledigung eigener Aufgaben wie die Bundesmittel, die zugunsten der neuen Länder umgeschichtet wurden.854 Weder Baden-Württemberg noch Bayern, obwohl mit die reichsten westdeutschen Bundesländer, konnten die enormen Finanzmittel für die 849 BayStK, Arbeitsstab Deutschlandpolitik, Interministerielle AG Deutschlandpolitik: Gespräch des Bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl mit der Bayerischen Landtagspresse e. V. am 9. 4.1991. Materialien: Aufbau der neuen Länder mit Bayerischer Hand (ebd.). 850 Siehe Tabelle 18 im Anhang. 851 BaySTMF: Konzept Verwaltungshilfe 93/94 (BaySMI Zusammenarbeit Bayern-Sachsen, Bl. 35–40). 852 Statement des Bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl vor dem Verein der Bayerischen Landtagspresse am 9. 4.1991 zum Thema: „Die Zukunft der alten und neuen Länder in der Bundesrepublik Deutschland“ (BayStK, Baer). 853 Siehe dazu Kap. 6.1.4. 854 Vgl. Benz, Reformbedarf und Reformchancen, S. 457. Zu den innerbayerischen Auswirkungen der deutschen Einheit und der Verwaltungshilfe vgl. insbesondere BayStK, A III 7. Stand: 18. 9.1991: Ein Jahr Deutsche Einheit – eine Bilanz für Bayern (BayStK, Baer).

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neuen Bundesländer aus der Portokasse bezahlen. Um Mittel zur Verfügung stellen zu können, kam es in den eigenen Haushalten zu Umdisponierungen. Auf bayerische Initiative ging zum Beispiel der Beschluss „Verfahrensvereinfachung und Beschränkungen der Rechtsmittel in der Gerichtsbarkeit“ durch die Ministerpräsidentenkonferenz vom 28. Februar 1991 zurück, dessen Ziel es war, durch die Straffung von Verwaltungsverfahren personelle Kapazitäten für die neuen Länder freizubekommen.855 „Zur Gewinnung erfahrener Mitarbeiter aus der bayerischen Verwaltung“, so auch Streibl im April 1991, „müssen wir uns auch in der Erfüllung unserer eigenen Aufgaben stärker auf das Notwendige beschränken.“ Der Ministerrat habe die Staatsministerien beauftragt, umfassende Vorschläge zum Abbau von Staatsaufgaben einschließlich der Privatisierung, zur Verwaltungsvereinfachung und Verfahrensbeschleunigung sowie zur Verbesserungen der Verwaltungsorganisation zu erarbeiten.856 Weniger dramatisch deutet hingegen Hirschle für Baden-Württemberg die Rückwirkung des Engagements seines Landes in Sachsen. Für die Verwaltung sei das kaum messbar oder spürbar gewesen. In diesem Bereich habe sich genau belegbar nichts umgewandelt oder geändert. Allerdings habe sich die Stellung Baden-Württembergs in der Bundesrepublik verändert: man sei „in eine Randlage gerutscht“. Außerdem seien die Baden-Württemberger, die in Sachsen tätig waren, „alle mit einer Erfahrung zurückgekommen, die sicher einmalig ist im Leben“. Sie seien alle gefordert gewesen wie nie zuvor und hätten „eine ganz andere Beziehung zu diesen Themenstellungen gekriegt“. Viele Erfahrungen aus dem Einsatz seien „quasi unmerklich, mit den Köpfen der Leute, die diese Erfahrung gewonnen haben,“ in die baden-württembergische Verwaltung „zurückgeflossen“. An banalen Beispielen im Sprachgebrauch lasse sich zum Beispiel zeigen, dass sogar Begriffe aus dem DDR-Sprachgebrauch in den Westen importiert wurden. Begriffe wie „etwas andenken“ oder „abnicken“ habe er nicht gekannt. Heute werde in allen Ministerien in Stuttgart „etwas angedacht“ und „abgenickt“.857 Um die Hilfestellungen beider Partnerländer vorurteilsfrei bewerten zu können, bedarf es weitergehender Untersuchungen auf vergleichender Grundlage. Ein abschließendes Urteil steht noch aus. Wohl aber ist Kurt Biedenkopf zuzustimmen, wenn er im Oktober 1991 vor dem Landtag ausführte, dass Sachsen ohne die Unterstützung von Baden-Württemberg und Bayern noch nicht soweit wäre. „Ohne die fast 700 Mitarbeiter in der öffentlichen Verwaltung aus BadenWürttemberg und Bayern hätten wir die neue Landesregierung nicht so zügig

855 BayStK, Arbeitsstab Deutschlandpolitik, Interministerielle AG Deutschlandpolitik: Gespräch des Bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl mit der Bayerischen Landtagspresse e. V. am 9. 4.1991. Materialien: Aufbau der neuen Länder mit Bayerischer Hand (ebd.). 856 Statement des Bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl vor dem Verein der Bayerischen Landtagspresse am 9. 4.1991 zum Thema: „Die Zukunft der alten und neuen Länder in der Bundesrepublik Deutschland“ (ebd.). 857 Interview Thomas Hirschle.

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aufbauen und uns das Wissen aneignen können, das man für eine moderne, freiheitliche und rechtsstaatliche Staats- und Gesellschaftsordnung braucht.“858

7.2.8 Erneuerung und Kompetenz – Probleme der Personalgewinnung Während des gesamten Sommers 1990 war es immer wieder um die Frage gegangen, in wessen Händen die Länderbildung liegen würde: in denen bisheriger Funktionsträger des DDR-Staatsapparates aus der zweiten Reihe oder in denen von Vertretern neuer politischer Gruppierungen und Parteien. Durch den CDUBeitritt wichtiger Vertreter der Bürgerbewegungen und die Fusion des DA mit der CDU war dieser Konflikt in den CDU-Landesverband hineingetragen worden. Weniger um die künftigen Strukturen ging es in diesem Streit; vielmehr drängten die neuen Kräfte darauf, dass kompetente und politisch unbelastete Personen die neue sächsische Landesverwaltung prägen würden. Im Koordinierungsausschuss sah man im Zweckbündnis neuer Kräfte und westlicher Experten dafür die beste Voraussetzung. Bereits am 6. September war es in der Volkskammer zu einer Modifizierung der Bestimmung des Ländereinführungsgesetzes in der Form des Einigungsvertrages gekommen, wonach mit der Übernahme von Einrichtungen der DDR in die Hoheit der Länder auch das Personal anteilig zu übernehmen war. Mit Mehrheit beschlossen die Abgeordneten, dass die Länder bei der Übernahme von Einrichtungen der DDR in die Hoheit der Länder nicht mehr zwangsläufig das Personal anteilig übernehmen müssten. Statt dessen hieß es nun: „Das freiwerdende Personal kann sich gleichberechtigt für die zu besetzenden Ministerialstellen in den Ländern bewerben.“859 Als Übergangsregelung wurde entschieden, dass die Arbeitsverhältnisse aller Mitarbeiter ab dem 3. Oktober ruhten, die nicht unmittelbar vom Bund oder von einem Land übernommen wurden. Erhielten Mitarbeiter nicht innerhalb von sechs Monaten die Zusage einer Weiterbeschäftigung, endete ihr Arbeitsverhältnis mit Ablauf dieser Frist. Bis dahin befanden sie sich in der so genannten „Warteschleife“. Die Länder mussten in dieser Zeit darüber entscheiden, welche Einrichtungen weitergeführt und welche abgewickelt würden.860 Von dieser Entscheidung hing ab, welche Mitarbeiter Aussichten hatten, auf dem Wege einer Neubewerbung in eine weitergeführte Einrichtung übernommen zu werden. Ab dem 3. Oktober ruhten auch in den Bezirksverwaltungsbehörden die Arbeitsrechtsverhältnisse, obwohl sich hier bereits abzeichnete, dass an ihre Stelle Mittelbehörden, wahrscheinlich in Form von Regierungspräsidien, treten würden. Bereits Ende September entschied Krause daher, von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, das vom Einigungsvertrag ermöglichte Ruhen der Arbeitsverhältnisse um drei Monate hinauszu858 Sächsischer Landtag. 1. Wahlperiode, 30. Sitzung am 25.10.1991, S. 1888. 859 Volkskammer der DDR, 10. WP, Drucksache Nr. 223. Vgl. 34. Tagung am 6. 9.1990, Bl. 1618 f. 860 Siehe dazu Kap. 5.5.2.

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schieben, so dass die Arbeit der Bezirksverwaltungsbehörden nach dem 3. Oktober zunächst fortgesetzt werden konnte.861 Am 1. Oktober erklärte er in der Presse, das Personal der Verwaltungs-, aber auch der Justizeinrichtungen, die künftig in die Kompetenz des Landes fallen würden, könne mit einer sicheren Perspektive rechnen. Ein Hinderungsgrund sei freilich ein zu hohes Maß persönlicher Verstrickungen in menschenrechtswidrige Praktiken des SED-Regimes.862 Biedenkopf lobte daraufhin „die verantwortungsbewusste und politisch sehr durchdachte Entscheidung des Landessprechers“ und kündigte ebenfalls an, die Arbeitsverhältnisse im öffentlichen Dienst nach seiner Amtsaufnahme weiterzuführen.863 Damit zeichnete sich bereits Anfang Oktober für einen Teil des Personals des DDR-Staatsapparates eine berufliche Perspektive in den künftigen Justiz- und Mittelbehörden Sachsens ab. In Rücksprache mit Biedenkopf ging es Anfang Oktober auch um die Modalitäten zur Personalrekrutierung für die Ministerien. Am 3. Oktober ermächtigte Krause Matthias Reichenbach, gemeinsam mit Vaatz Regelungen zur Stellenbesetzung in den künftigen Ministerien unterhalb der Ebene der ausgeschriebenen Führungspositionen vorzunehmen. Die Leiter der Arbeitsstäbe wurden bevollmächtigt, die Personalunterlagen ihres Fachbereiches zu sichten.864 Bei einer Beratung der Dresdner Clearingstelle am 9. Oktober wurde festgelegt, die Einstellung der Abteilungsleiter den Ministern vorzubehalten, während Referatsleiter, vorerst als stellvertretende Referatsleiter, bereits durch Matthias Reichenbach eingestellt werden könnten. Er wurde beauftragt, Entscheidungsvorlagen für den Landessprecher auch zur Ausschreibung der Stellen unterhalb der Referatsleiterebene vorzubereiten. Ziel war es, bis zum Beginn der Arbeit der Landesregierung dreißig, bis zum Jahresende fünfzig Prozent der Stellen zu besetzen. Freilich waren bislang gerade einmal 250 Bewerbungen für 300 ausgeschriebene Stellen eingegangen, die wenigsten davon in den Bereichen Finanzen und Justiz. Deswegen wurde beschlossen, auch Bewerbungen zu berücksichtigen, die nach Ablauf der festgelegten Frist eingingen und sämtliche Stellen unterhalb der Referatsleiterebene für alle Ministerien ebenfalls auszuschreiben.865 In der wöchentlichen Arbeitssitzung beim Landesbevollmächtigten wurde die Stellenbesetzung einen Tag später diskutiert und dem Vorschlag von Ermisch zugestimmt, schon jetzt aus dem Personal der Bezirksbehörden „in behutsamer Weise das untere Personal für die Landesministerien in spe zu rekrutieren“. Um eine „Katastrophe“ zu vermeiden, dürfe man nicht bis zur Vereidigung der Minister warten. Wegen der geringen Zahl an Bewerbungen wurde die ursprüng861 Rudolf Krause an die Mitarbeiter der Verwaltungen und staatlichen Einrichtungen in den Bezirken Chemnitz, Dresden und Leipzig vom 27. 9.1990 (HAIT, KA, 4.1); Protokoll der Dienstberatung des Ersten Stellvertreters mit den Abteilungsleitern der BVB Chemnitz vom 1.10.1990 (SächsStAC, 11539). 862 Presseerklärung von Rudolf Krause vom 1.10.1990 (HAIT, KA, 67). 863 Presseerklärung von Kurt Biedenkopf vom 1.10.1990 (ebd.). 864 BVB Leipzig, Landessprecher: Verfügung 1/90 vom 3.10.1990 (ebd., 3.2.). 865 Protokoll der Clearingaußenstellenberatung am 9.10.1990 (ebd.).

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liche Bewerbungsfrist um zwei Tage auf den 12. Oktober verlängert. Ballschuh versuchte, kommissarische Einstellungen unter Verweis auf das Mitspracherecht der Personalräte zu bremsen, um so den Personalzugang von außerhalb des bisherigen Staatsapparates zu reduzieren866 und damit die Chancen der bisherigen Mitarbeiter der Bezirksverwaltungsbehörde zu verbessern. Angesichts des mäßigen Eingangs an Bewerbungen kritisierte die Bonner Clearinggeschäftsstelle am 9. Oktober die Stellenausschreibungspraxis in den neuen Ländern generell. Sie forderte, Führungspositionen bundesweit in überregionalen Tageszeitungen auszuschreiben, um Chancengleichheit zu wahren und potentielle Interessenten anzusprechen.867 Daraufhin wurde am 12. Oktober mittels neuer Zeitungsannoncen eine zweite deutschlandweite Ausschreibungswelle gestartet. Da Mittel fehlten, bat Vaatz überregionale Blätter wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, die Ausschreibung kostenlos zu annoncieren, was diese auch taten.868 Auf diese Weise wurde für eine breite Streuung der Ausschreibung im Westen Deutschlands gesorgt. Die sächsische Ausschreibungspraxis war im Übrigen Vorbild für andere Bundesländer. So wurde in einer Beratung des Landessprechers von Sachsen-Anhalt beschlossen, die Planstellen für die Ministerien „nach dem Beispiel von Sachsen auszuschreiben“.869 Nun stieg die Anzahl der Bewerbungen binnen einer Woche sprunghaft auf über zweitausend. Mitte Oktober wurde das Verfahren zur Auswahl des Personals festgelegt.870 Bereits im August war der Umgang mit Bewerbungen im Papier „Verfahrensweise bei Personalauswahl und Stellenbesetzung“ vorläufig geregelt worden. Danach sollten die Arbeitsstäbe Arbeitsgruppen für Personalangelegenheiten einrichten, die die eingegangenen Bewerbungen für jede Stelle sichten und bewerten sowie einen Besetzungsvorschlag unterbreiten sollten. Schwierigster Punkt war die Erarbeitung von Kriterien, anhand derer charakterliche Eignung, Befähigung und Leistungen der künftigen Beamten beurteilt werden konnten. Reichenbach, so urteilte Kolbe, besaß hierfür „keinen einzigen qualifizierten Mitarbeiter“, da ihm niemand aus dem Westen zur Seite stand und er kaum auf die alte Kaderabteilung zurückgreifen konnte.871 Mit Heitmanns Hilfe, der über Erfahrungen in der kirchlichen Praxis verfügte, wurde Anfang Oktober ein Fragenkatalog für Vorstellungsgespräche erstellt, der Hinderungs- und Ausschluss866 Sten. Protokoll der Beratung beim Landesbevollmächtigten Rudolf Krause am 10.10. 1990 (ebd., 8). 867 Bundesminister für Wirtschaft, Vertreter in der Geschäftsstelle der Clearingstelle, an Bundesminister des Innern, Clearingstelle, vom 9.10.1990 (ebd., 47). 868 Arnold Vaatz an die Geschäftsführung der FAZ vom 28.10.1990 (ebd., 3.2.). 869 BVB Halle: Kurzprotokoll der 2. Beratung der Lenkungsgruppe des Landessprechers mit den Projektgruppenleitern zur Vorbereitung der Bildung des Landes Sachsen-Anhalt am 2.10.1990 (LA Merseburg, Rep. RdB/BT 20643/1). 870 Büro des Landesbevollmächtigten: Vermerk Feist für Krause. Betr.: Kabinettssitzung am 17.10.1990 (RPL, AZ 0142). 871 Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Bericht vom 13.–17. 8.1990 (PB Manfred Kolbe).

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gründe nannte. Darin wurde nach einer Zusammenarbeit mit dem MfS, nach Mandaten in Parteien und Massenorganisationen, Leitungsfunktionen in Betrieben, Auslandseinsätzen und -ausbildungen, Lehrgängen an Parteischulen sowie nach Fremdsprachenkenntnissen gefragt. Außerdem sollte das Einverständnis für die Einsicht in MfS-Unterlagen erteilt werden.872 Die Bewerbungsunterlagen wurden nun auf die Arbeitsstäbe verteilt, wo Arbeitsgruppen für Personalangelegenheiten für die Besetzung von Referats- und Abteilungsleiterstellen Unterlagen sichteten und eine Vorauswahl trafen.873 Am 17. Oktober legte die Leiterrunde des Koordinierungsausschusses unter Leitung von Krause eine Verfahrensweise bei der Personalauswahl und der Stellenbesetzung fest. Krause plädierte dafür, den Vorsitz der Personalarbeitsgruppen der Arbeitsstäbe ausschließlich an Vertreter aus Chemnitz und Leipzig zu vergeben, da die Leiter der Arbeitsstäbe alle aus Dresden kämen.874 Reichenbach berichtete, dass der Eingang an Bewerbungen inzwischen erheblich sei. Der Höhepunkt sei der letzte Montag mit über tausend Bewerbungen gewesen. Die Erfassung und Weiterleitung zur Bearbeitung an die Arbeitsstäbe sei in vollem Gange.875 Auf ein anderes Problem machte wenig später die Bonner Clearinggeschäftsstelle aufmerksam. Vor Beginn der Einstellungen musste die künftige personelle Größe der Ministerien und sonstigen Verwaltungen bestimmt werden. Schon zuvor hatte man hier gedrängt, die Personalkörper möglichst klein zu halten. Nun wurde darauf verwiesen, dass es schwierig sei, verbindliche Personalzahlen für den aktuellen und künftigen Bedarf der Länderministerien und der nachgeordneten Behörden zu ermitteln. Eine „Arbeitsgruppe Personalbedarfsermittlung“ der Clearingstelle legte dafür Zahlen vor. Angesichts des großen Personalüberhangs im bisherigen Staatsapparat, vor allem auf der Ebene der Bezirke, ließ man sich hier vom Gedanken leiten, der Gefahr eines Erstickens der Landeshaushalte unter dem Personalkostendruck entgegenzuwirken. Freilich wurde dies seitens der Länder nur als unverbindliche Empfehlung angesehen. Hier behielt man sich die Personalhoheit auch in quantitativer Hinsicht vor.876 Allerdings entsprachen die Vorstellungen der Clearingstelle auch denen Biedenkopfs, der mit einem Finanzvolumen von 45 bis 50 Prozent des hessischen Personaletats einen knappen, aber effizienten Apparat aufbauen wollte. Sein Ziel war nach eigenem Bekunden herauszufinden, „ob es nicht möglich ist, eine Landesregierung zu führen, bei der kein Ministerium mehr als 200 Leute hat“.877 872 Koordinierungsausschuss, Arbeitsstab Verfassung/Recht, Steffen Heitmann: Entwurf eines Fragenkatalogs für Bewerber vom 9.10.1990. Zit. in Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 173. 873 Geschäftsstelle des Koordinierungsausschusses: Protokoll der Leiterrunde am 17.10. 90, Vorlage des Personalbeauftragten des Landesbevollmächtigten (HAIT, KA, 3.2 und 3.3). 874 Zur Zusammensetzung siehe Kap. 6.2.4. 875 Geschäftsstelle des Koordinierungsausschusses: Protokoll der Leiterrunde am 17.10. 1990 unter Leitung von Rudolf Krause (HAIT, Iltgen, 3). 876 Geschäftsstelle der Clearingstelle, AG 4: Entwurf einer Empfehlung für die Sitzung der Clearingstelle am 12.11.1990 (HAIT, KA, 9). Vgl. Reusch, Starthilfe, S. 231. 877 Zit. in Wirtschaftswoche vom 16.11.1990.

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Unterdessen stieg die Zahl der Bewerbungen weiter. Anfang November standen den insgesamt 313 ausgeschriebenen Stellen zirka 3 700 Bewerbungen gegenüber, es kamen also etwa elf Bewerbungen auf eine Stelle. Mit 950 kamen etwa ein Viertel aus den westlichen Bundesländern. Obwohl das Anfangsgehalt für Ostdeutsche zunächst nur 35 Prozent des Lohns westlicher Kandidaten betrug, stammte die überwiegende Mehrzahl der Bewerber aus den neuen Bundesländern. Allein rund 600 Mitarbeiter der Dresdner Bezirksverwaltungsbehörde hatten sich beworben. Die meisten Bewerbungen lagen für die hier noch so deklarierten Ministerien für Wirtschaft und Verkehr (685) sowie für Kultus (556) vor.878 Der Anteil westdeutscher Bewerber lag außer beim Justizministerium (60 Prozent) und der Staatskanzlei (40 Prozent) stets unter einem Drittel.879 Für Referatsleiterstellen gab es mehr Bewerbungen von Ostdeutschen, Westdeutsche wollten eher Abteilungsleiter werden. Generell hielten sich ostdeutsche Bewerber bei Führungspositionen eher zurück.880 Die plötzliche Flut der Bewerbungen war kaum angemessen zu bearbeiten. Die Unterlagen wurden in Wäschekörben deponiert. Schnell wurde nach einer ersten Sichtung klar, dass die meisten Bewerber ungeeignet waren. Aus den westlichen Bundesländern hatten sich viele beworben, die glaubten, im Osten „trotz mangelnder Qualifikation den großen Sprung machen zu können“. Viele Bewerbungen Ostdeutscher stammten von früheren Funktionären des Parteiund Staatsapparats. Michael Muster erinnert sich an „ein unwahrscheinlich dreistes Auftreten“ ehemaliger Mitglieder der DDR-Führungselite. „Ohne jede Scham“ hätten sich diese auf Führungspositionen im demokratischen Staat beworben und seien dabei ganz systematisch vorgegangen.881 Michael Kinze, der an der Auswertung der Bewerbungen für die Staatskanzlei beteiligt war, erinnert sich, dass unter den zahlreichen Bewerbern aus dem Apparat des Rates des Bezirkes für die Staatskanzlei auch verschiedene Mitarbeiter des Referats für internationale Zusammenarbeit waren, die für ihn wegen ihrer MfS-Kontakte ein „rotes Tuch“ gewesen seien.882 Sogar der ehemalige Generaldirektor eines Kombinates bewarb sich bar jeder Kenntnis der neuen Strukturen für eine gar nicht ausgeschriebene Staatssekretärsstelle.883 Zwar gab es auch Bewerbungen neuer politischer Kräfte – Lersow forderte die SPD-Mitglieder ausdrücklich auf, sich zu bewerben –,884 sie standen aber in keinem Verhältnis zur Anzahl der Bewerbungen früherer Mitarbeiter des Partei- und Staatsapparates. Von diesen wurden schon aufgrund der Menge der Bewerbungen viele in Funktionen übernommen. Das Ziel, die neue Landesverwaltung mit einem neuen Personalkörper aufzubauen, drohte mangels personeller Alternativen zu scheitern. 878 879 880 881 882 883 884

Stand der Ausschreibungen vom 1.11.1990 (PB Matthias Reichenbach). Interview Matthias Reichenbach am 30. 3. 2000. Interview Michael Muster. Interview Michael Muster. Interview Michael Kinze. Interview Matthias Reichenbach am 15. 7. 2003. Michael Lersow vom 2.10.1990 (AdSD, SPD-LV Sachsen, 20).

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Dabei bestand seitens der Bevölkerung zu den bisherigen, kommunistisch indoktrinierten Verwaltungsangehörigen, die sie früher oft genug obrigkeitlich und drangsalierend behandelt hatten, kein Vertrauen. Hier legte man Wert auf eine Erneuerung des Verwaltungspersonals.885 In den Bereichen der Verwaltung, die keinen Kontakt zur Öffentlichkeit hatten, wurde das Überleben der Altkader kaum registriert. Proteste gab es aber dort, wo die alten SED-Kader der Bevölkerung nun als Vertreter des neuen Sachsen entgegentraten. In der Bevölkerung bildete sich bald die Meinung heraus, die alten Verantwortungsträger seien auch die neuen. Das betraf zum Beispiel die Besetzung der Führungsfunktionen der Arbeits- und Finanzämter mit früheren SED-Funktionären. Manfred Kolbe erklärte im November nach massiven Protesten aus der Bevölkerung, dass alle im Finanzbereich tätigen Führungskräfte, insbesondere alle Vorsteher der Finanzämter und ihre Vertreter, die bis zum Herbst 1989 Funktionsträger der SED gewesen waren, überprüft und gegebenenfalls von ihren Funktionen entbunden würden. Es gehe nicht an, dass „die Bürger im kommenden Jahr ihre Steuererklärungen bei denjenigen machen, die schon vor der Wende im Auftrag der SED Finanzen verwaltet haben“. Achtzig Prozent der Vorsteherpositionen seien mit ehemaligen „SED-Räten“ besetzt. Diese seien teilweise unter Verantwortung der Regierung de Maizière in ihre herausgehobenen Positionen gelangt. Ihre Stellen sollten generell neu ausgeschrieben werden.886 Aber nicht nur in der Verwaltung drohte die Rückkehr der alten Avantgarde der Diktatur. Am 22. November beantragten die Landtagsfraktionen von CDU, SPD und FDP eine Überprüfung aller Abgeordneten auf Zusammenarbeit mit dem MfS. Biedenkopf betonte vor dem Landtag die Bedeutung des Umgangs mit Altkadern und Seilschaften für die Bevölkerung. Die Zukunft Sachsens könne nicht durch die „Verantwortlichen für das Gestern“ gestaltet werden. Das gelte für die Wirtschaft wie für Verwaltungen, Schulen und Hochschulen. Deswegen beabsichtige die Regierung, dass alle Mitarbeiter der Landesverwaltung eine Erklärung abgeben müssten, keine hauptamtlichen Funktionen im SEDParteiapparat innegehabt zu haben. Biedenkopf appellierte an alle, „die in der Vergangenheit durch aktive Unterstützung der SED-Herrschaft sich und andere Menschen belastet haben, von sich aus die Einsicht zu haben, ins dritte Glied zurückzukehren“. Für die SPD-Fraktion begrüßte Kunckel die Erklärung, fragte jedoch, ob der Kreis der Verantwortlichen nicht auf die Funktionsträger der Massenorganisationen und Blockparteien ausgedehnt werden müsste. Auch Bartl forderte für die Fraktion Linke Liste / PDS eine Gleichbehandlung von Funktionären der SED und der Blockparteien, die wie die SED über einen Stimmenanteil von rund vierzig Prozent in der Volkskammer und den Bezirkstagen verfügt hätten.887

885 Vgl. Reichard, Auf dem Wege, S. 394 f. 886 Zit. in Die Union vom 8.11.1990. 887 Sächsischer Landtag, 1. WP, 4. Sitzung am 22.11.1990, Bl. 138–148.

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Bereits unmittelbar nach der Regierungsbildung hatte Biedenkopf angewiesen, die Landesverwaltung rigoros im Sinne des Einigungsvertrages von MfS-belasteten Mitarbeitern zu säubern. Ein entsprechender Beschluss samt Regelanfrage wurde nun in einem Kabinettsbeschluss am 4. Dezember festgeschrieben.888 Die Staatsregierung erklärte, alle Bediensteten im Lande müssten künftig eine Erklärung über eine eventuelle MfS-Verstrickung abgeben. Bewerber mit einer Tätigkeit in der SED hätten keine Chance auf Anstellung.889 In den Ministerien wurden nun Personalarbeitsgruppen zur Auswertung der persönlichen Erklärungen des Personals der Ministerien und nachgeordneten Behörden aktiv. Genauer beschrieben ist dieser Prozess im Staatsministerium für Landwirtschaft und Ernährung. Hier setzte sich die Personalarbeitsgruppe aus elf Personen zusammen, von denen acht aus den neuen Bundesländern kamen. Eine Beschlussfassung war nur mit einer Zweidrittelmehrheit möglich. Es wurde ein Kriterienkatalog erstellt, nach dem folgende Funktionen eine Mitarbeit im öffentlichen Dienst Sachsens ausschlossen: offizielle und inoffizielle Mitarbeiter des MfS/ AfNS, hauptamtliche politische Mitarbeiter im SED-Parteiapparat, hauptamtliche Funktionäre von Massenorganisationen, Nomenklaturkader des Politbüros des ZK der SED, Leiter und leitende Mitarbeiter in Kaderabteilungen, Kommandeure der Kampfgruppen und deren Stellvertreter. Bei der Aufstellung des Kriterienkatalogs war deutlich die Handschrift der an die Macht gelangten Funktionäre der Blockparteien zu erkennen, denn zwar wurden hauptamtliche Funktionäre von Massenorganisationen ausgeschlossen, nicht aber die von Blockparteien. Während ein hauptamtlicher Funktionär einer Massenorganisation seinen Hut nehmen musste, konnte ein hoher CDU-Funktionsträger wie Krause, der zudem noch für das MfS gearbeitet hatte, sächsischer Staatsminister des Innern und stellvertretender Ministerpräsident werden. Bei geringerer Bedeutung der Funktionen im SED- und Staatsapparat war eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst möglich, jedoch nicht in höheren Funktionen. So konnte zum Beispiel ein früherer Abteilungsleiter beim Rat des Kreises, der SED-Mitglied war, nicht im höheren Dienst und auch nicht als Leiter einer Dienststelle oder als dessen Stellvertreter tätig werden. Bis Ende Oktober 1992 wurde das gesamte vorhandene und neu eingestellte Personal des Staatsministeriums für Landwirtschaft und Ernährung überprüft, beim nachgeordneten Dienst nur das höhere Personal. Es kam zu Entlassungen und Umbesetzungen. Im September 1992 ergab sich folgender Stand: Von 456 überprüften Personen waren im öffentlichen Dienst des Ministeriums 324 Personen uneingeschränkt einsetzbar, 88 Personen eingeschränkt, 34 Personen mit starken Einschränkungen und zehn Personen überhaupt nicht. Zu diesem Zeitpunkt konnte noch nicht überprüft werden, ob jemand für das MfS gearbeitet hatte, wenn dies verschwiegen wurde. Bei wichtigen Funktionsträgern wurden Eilanfragen beim Bundesbeauf888 Vgl. Catenhusen, Die Stasi-Überprüfung, S. 310. Hier auch das weitere Prozedere (S. 310–322). 889 Vgl. dpa vom 5.12.1990.

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tragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes gestellt. Der Leiter des Personalreferats kam zu dem Ergebnis, dass es nicht möglich sei, die sächsische Landwirtschaftsverwaltung ausschließlich mit unbelasteten Bediensteten aufzubauen. Zu viele fachlich qualifizierte Personen seien in der einen oder anderen Weise im SED-System verhaftet gewesen. Nur Personal aus dem Westen einzustellen, schied als Alternative aus. Grundsätzlich wurde daher angestrebt, „bei guter fachlicher Qualifikation möglichst wenige alte Systemträger zu übernehmen“. Dabei habe die deutliche Reduzierung des Anteils der SED-Mitglieder und -Funktionäre „einen glaubhaften Neuanfang“ dokumentiert.890 Unter dieser Prämisse galt das Ministerium, das zudem über den höchsten Anteil übernommener DDR-Einrichtungen verfügte, bald als eine Hochburg früherer Mitglieder und Funktionäre der Ost-CDU. Bei den Einstellungen von Mitarbeitern des SED- und Staatsapparates ging es vordergründig um deren frühere Funktionen, generell setzte man bei ihnen jedoch eine fachliche Eignung voraus. Freilich gingen und gehen in dieser Hinsicht die Meinungen von Experten auseinander. Generell wurde darauf verwiesen, dass es, anders als bei früheren Regimewechseln in Deutschland wie etwa 1918 oder 1945, in den Verwaltungen der neuen Länder keinerlei Kontinuität auf der Ebene der fachlichen Qualifikation des Personalkörpers gab. In der DDR sozialisierten Verwaltungsführungskräften wurden „Defizite in ihren policy-making-Fähigkeiten“ unterstellt.891 Fehlende Fähigkeiten und Kenntnisse würden dabei weniger in technischen, sondern mehr in wirtschaftlich-juristischen Bereichen gesehen. Hier mangele es an der Kombination von fachspezifischem Wissen und einer beruflichen Orientierung an den Grundsätzen rechtsstaatlicher Verwaltung und demokratischer Kontrolle der Exekutive, wie sie für den öffentlichen Dienst in den alten Bundesländern kennzeichnend sei.892 Die Verbindung der unzureichenden Qualifikation des überwiegenden Teils des Verwaltungspersonals mit oft negativen Einstellungen zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung stellt „eines der gravierendsten Probleme“ des Neubaus der Verwaltungsorganisation dar.893 Vor diesem Hintergrund wurde den ehemaligen Mitarbeitern des DDR-Staatsapparates nach der Typisierung Colin Campbells das Charakteristikum der „politisierten Inkompetenz“ zugeschrieben,894 deren Folgen in allen Politikbereichen von der Wirtschaft bis zur Gesundheitsfürsorge, vom Umweltschutz bis zur Technologie erkennbar waren. Die notwendige inhaltlich-fachliche Kompetenz in Verbindung mit einer dem Grundgesetz konformen Verfassungsloyalität konnten sich nicht plötzlich herausbilden.895 Das Primat der politischen Loyalität über Fachwissen hatte in der 890 Bericht von Alfred Müller über den Personalaufbau des Sächsischen Staatsministeriums für Landwirtschaft, Ernährung und Forsten von April 1991 bis Oktober 1992, S. 51–55 (HAIT, KA, V). 891 Reichard, Auf dem Wege, S. 394 f. 892 Vgl. Seibel, Zur Situation der öffentlichen Verwaltung, S. 487. 893 Stölzel, Verwaltungsorganisation, S. 134 f. 894 Campbell, Administration and Politics, S. 483. 895 Vgl. Häußer, Die Staatskanzleien, S. 221; Biedenkopf, Ein guter Anfang, S. 10.

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SED-Diktatur einen Staatsdiener produziert, der sich gemessen an den Standards westdeutscher Rechtsstaatlichkeit und neutraler Amtsführung durch politisierte Inkompetenz auszeichnete.896 Dabei bezieht sich die Bewertung auf die Anforderungen klassisch-europäischer Verwaltungen und ihrer legalistisch-rationalen Traditionen. Hinsichtlich der sozialistisch-diktatorischen Kaderverwaltung waren natürlich Kenntnisse vorhanden,897 bei denen sich Fachwissen in ideologisierender Weise mit generellen Welterklärungsmustern und politisierten Handlungsanleitungen kommunistischer Machart verwoben. Deshalb kann wohl zu Recht behauptet werden, dass im Personalbereich die schwerwiegendsten Probleme der Verwaltungsintegration in Deutschland zu lösen waren. Die durch das kommunistische Regime geprägten Menschen konnten nicht umgestaltet werden wie Organisationsstrukturen, Rechtsformen oder Finanzverfassungen. Ihr Beruf und die darin erworbenen Qualifikationen samt Denk- und Verhaltensgewohnheiten waren fester Bestandteil ihrer Persönlichkeit. Die mit dem Umbruch verbundenen grundlegenden Änderungen in ihrem Berufsleben betrafen deswegen nicht nur ihre formale Qualifikation, sondern beruflich bedingte Mentalitäten und die persönliche Identität in ihrer „biografischen Tiefenstruktur“. Eine wesentliche und langfristige Bewährungsprobe lag und liegt deswegen im Feld der „psychologischen Integration“.898 Wie bereits angedeutet, traf die Charakterisierung der „politisierten Inkompetenz“ nicht oder kaum auf technische und naturwissenschaftliche Bereiche zu, sondern galt im Wesentlichen für ideologisch geprägte Bereiche des Staatsapparates wie Ökonomie, Justiz oder Bildung. Fachverwaltungen, wie etwa die Wasserwirtschaft, zeichneten sich dagegen durch einen hohen Grad an fachlicher Professionalität aus. Aber auch über das Fachwissen hinaus verfügten auch die stärker ideologisierten Mitarbeiter des Staatsapparates über Fähigkeiten, die treffend durch den Begriff der „Chaosqualifikation“ bezeichnet worden sind. Sie bestanden darin, Freiräume im schwerfälligen zentralistischen Planungssystem gut nutzen zu können, um das System trotz widriger Umstände in Funktion zu halten. Genau diese Improvisationsfähigkeit erwies sich für die erste chaotische Phase des Verwaltungsaufbaus als durchaus funktional und wurde vielen Anforderungen des Umbruchs eher gerecht als die Verwaltungsroutine mancher westdeutscher Aufbauhelfer.899 Darüber hinaus verfügten die Mitarbeiter des Staatsapparates aber auch über eine Fähigkeit jenseits konkreter Fachkenntnisse, die sie für die neuen Verwaltungen geeignet erscheinen ließen: ihre Routine im Umgang mit Verwaltungsaufgaben gleich welcher Art. So wenig sich Theologen als Ersatz für DDR-Polizisten eigneten, so wenig stellten Bürgerrechtler geeignetes Personal für mittlere Verwaltungen dar. Angesichts der schwierigen Gemengelage standen die für Personalentscheidungen Verantwortlichen häufig vor dem Dilemma des Abwägens zwischen 896 897 898 899

Vgl. Derlien, Elitezirkulation, S. 12. Eisen, Institutionenbildung, S. 38 f. Seibel, Zur Situation der öffentlichen Verwaltung, S. 487 f. Eisen, Institutionenbildung, S. 38 f.

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fachlicher Qualifizierung und politischer Loyalität. Zur Auswahl standen „politisch belastete Qualifizierte“ und der „politisch saubere Dilettant“. Der dringend gesuchte „politisch saubere Qualifizierte“ war aufgrund der DDR-Rekrutierungs- und Sozialisationsbedingungen kaum verfügbar.900 Ein großer Teil des Problems löste sich dadurch, dass es einen übergroßen Bedarf an geeigneten Personen gab, wodurch Personal aus dem früheren Staatsapparat übernommen werden musste und auch Personalangebote aus der DDR-Regierung „keinesfalls mit spitzen Fingern angefasst“ wurden.901 Die von der sozialistischen Staatlichkeit hinterlassenen Organisations- und Personalstrukturen dienten als „Steinbruch der Institutionenbildung“.902 Auch seitens des Koordinierungsausschusses war stets betont worden, es gehe keinesfalls um einen personellen „Kahlschlag“ im bisherigen Staatsapparat. Ziel, so Vaatz, war es, den Personalkörper „aus dem Leim“ zu nehmen, in seine Bestandteile zu zerlegen und „was tragbar ist, fürs neue Haus zu verwenden“. Dazu sollten aus dem Westen Personen gewonnen werden, „die bereits die Zukunft kennen, also die zukünftige gesetzliche Lage“.903 So sei auch nie die beabsichtigt gewesen, die gesamte Volkspolizei oder den Vollzugsdienst in den Haftanstalten durch ungeübte Kräfte zu ersetzen. Dagegen habe man durchaus gewollt, dass sich jeder neu bewerben müsse. Dadurch wollte man „besondere Scharfmacher“ herausfinden und entlassen.904 Nicht die Weiterbeschäftigung ehemaliger Mitarbeiter des Staatsapparates generell wurde abgelehnt, sondern die pauschale Übernahme ganzer Strukturen. Überall in der Landesverwaltung gab es Bereiche, für die bisherige Experten aus der DDR gefragt waren, so etwa in den technischen Verwaltungen. Aber nicht nur hier, vor allem auch in der Staatskanzlei und in der Landtagsverwaltung begannen etliche ehemalige Mitarbeiter des Rates des Bezirkes eine zweite berufliche Karriere. Nach Musters Erfahrungen zogen sie, in Funktionen mit Personalverantwortung gelangt, immer wieder „wie ein Magnet ihre Leute“ nach oder machten zumindest entsprechende Vorschläge. Oft nutzten sie auch die Unerfahrenheit westlicher Verwaltungshelfer aus, die den Stellenwert früherer Funktionen in der DDR nicht einschätzen konnten. Dadurch, so Muster, seien „manche durch die Lappen“ gegangen.905 Um die ostdeutschen Bediensteten auf die neuen Erfordernisse auszurichten, begann eine „gigantische wie historisch einmalige Fortbildungswelle“.906 Zunächst gab es eine Reihe von punktuellen Fortbildungsmaßnahmen zu den Themen Planung, Organisation und Personal, Kommunale Selbstverwaltung, Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung, zur Landesverwaltung von Baden-Württemberg sowie zu Fragen des Umweltschutzes und der Europäischen Gemein900 901 902 903 904 905 906

Reichard, Auf dem Wege, S. 394 f. Interview Thomas Hirschle. Vgl. Interview Matthias Reichenbach am 15. 7. 2003. Wollmann/Derlin u. a., Die institutionelle Transformation, S. 10. Arnold Vaatz beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. Arnold Vaatz. In: Kleimeier, Sachsen, S. 101. Interview Michael Muster. So Regina Erhardt. In: Pitschas, Verwaltungsintegration, S. 241.

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schaft. Diese ersten Sofortmaßnahmen gingen später in eine systematische Fortbildung über. Dabei unterstützte das baden-württembergische Innenministerium den Freistaat Sachsen bei der Schaffung von Ausbildungseinrichtungen für den mittleren und gehobenen Verwaltungsdienst. Für den gehobenen Dienst wurde 1991 die Einrichtung einer Fachhochschule für öffentliche Verwaltung und Rechtspflege mit 400 Anwärtern begonnen. Sechs Dozenten stellte die Fachhochschule Kehl, vier die Fachhochschule Ludwigsburg zur Verfügung. Für den mittleren nichttechnischen Verwaltungsdienst wurde eine Verwaltungsschule in Frankenberg eingerichtet. Auch hier fehlten im Herbst 1991 noch Lehrbeauftragte. Die baden-württembergischen Kommunen stellen insgesamt 250 Ausbildungsplätze für Verwaltungsangestellte und für Auszubildende im mittleren und gehobenen Verwaltungsdienst zur Verfügung. Die theoretische Ausbildung fand in Sachsen statt. Um Juristen heranzubilden, wurde an der Technischen Universität Dresden eine Juristische Fakultät eingerichtet.907 All diese Maßnahmen griffen aber nicht sofort und änderten daher nichts am akuten Expertenmangel. Allen Beteiligten war klar, dass ein wesentlich verstärkter Einsatz westlicher Leihbeamter unabdingbar war, der weit über die bisherigen Zahlen hinausgehen musste. Eine erste, ernüchternde Auswertung der eingegangenen Bewebungen führte deswegen dazu, dass Anfang November erneut und gezielt Rekrutierungsbemühungen in bundesdeutschen Ministerien und in den Partnerländern unternommen wurden.908 Die prekäre Lage war am 30. Oktober sogar Thema eines Gespräches zwischen Biedenkopf und Kohl. Dabei waren sich beide einig, dass es angesichts der politischen Belastung der bisherigen Führungsschicht außerordentlich schwierig sei, geeignetes Führungspersonal für den öffentlichen Dienst zu gewinnen. Biedenkopf drängte deswegen, die Bezahlung attraktiver zu gestalten. Statt der vorgesehenen 35 sollte sie 60 Prozent der Besoldung nach dem Bundesbesoldungsgesetz betragen. Beide stimmten überein, „dass die Besoldung in einer Übergangszeit von 2 ½ Jahren ein Niveau erreichen soll, das einen vergleichbaren Lebensstandard ermöglicht,“ und dass dies „nur durch eine vollständige Anpassung an die Sätze des Bundesbesoldungsgesetzes möglich“ sei.909 Am 1. November 1990 erklärte Biedenkopf daraufhin, dass von einem sechzigprozentigen Einstieg in die Bundesbesoldungsordnung ausgegangen werden könne. Eine volle Angleichung der Gehälter solle Ende 1992 erreicht werden.910 Noch aber war (und ist) es nicht soweit, und es galt, trotz schlechter Bezahlung bestehende Kontakte nach Bayern, Baden-Württemberg und in andere Bundesländer zu nutzen, um Personen für Anstellungen oder vorübergehende Hilfestellungen zu gewinnen.911 907 Ergebnisniederschrift über die Koordinierungsbesprechung Bayern / Baden-Württemberg/Sachsen am 18. 9.1991 in Dresden (BaySMI, Zusammenarbeit Bayern-Sachsen, Bl. 75–80); Bericht des IMBW über Maßnahmen zur Unterstützung des Landes Sachsen vom 8.10.1990 (Dok. 154). Vgl. Reusch, Starthilfe, S. 231. 908 Interview Michael Muster. 909 Kurt Biedenkopf an Helmut Kohl vom 2.11.1990 (PB Matthias Reichenbach). 910 BVB Chemnitz: Protokoll Arbeitsstab Inneres am 2.11.1990 (HAIT, KA, 25). 911 Interview Thomas Hirschle.

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Diese Personalgewinnung war unerlässlich, benötigte man doch aus dem Stand Experten mit einem Fachwissen, das im Osten nicht vorhanden sein konnte. „Wenn man“, so Milbradt, „das ganze System umstellt, muss man auch Leute haben, die sich im westdeutschen System auskennen und entsprechende Erfahrungen importieren, um es sofort zum Laufen zu bringen.“ Das sei zwar am Anfang ein harter Prozess gewesen, man sei aber dadurch im Vorteil gegenüber den anderen Ländern des Ostblocks gewesen, in denen die Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit bis heute Probleme aufwerfe. So hätten sich zwar Länder wie Polen oder Tschechien ebenfalls Gesetze nach westeuropäischem Muster gegeben, es hätten aber die Richter und Anwälte gefehlt, die diese wirklich beherrschten. Andererseits sei in den neuen Bundesländern immer wieder der Vorwurf erhoben worden, dass der Bevölkerung „ein völlig fremdes Rechtsgesellschaftssystem mit den entsprechenden Koordinatoren, also Westdeutschen, übergestülpt“ worden sei. Aber um etwa bundesdeutsches Planungs- oder Baugenehmigungsrecht zu exekutieren, seien anfänglich nun einmal westdeutsche Experten unabdingbar gewesen.912 Ähnlich bewertet Wicker die Situation. Ab dem 3. Oktober habe plötzlich ein völlig neues Verwaltungs- und Rechtssystem existiert. Der Unterschied zu den anderen Ostblockländern habe darin bestanden, dass es in ganz Deutschland ein System gab, welches aber nur von den achtzig Prozent Westbevölkerung beherrscht wurde, nicht aber von den zwanzig Prozent neuer Bundesbürger. In den anderen ehemaligen Ostblockländern habe mehr Chancengleichheit geherrscht, wenn auch auf niedrigem Niveau. Im vereinten Deutschland aber seien die Westdeutschen im Vorteil gewesen. Dennoch habe es keine Alternative gegeben, als das neue System im Osten durch westdeutsche Verwaltungsexperten umzusetzen.913 Diese Meinung wird allgemein geteilt. Das Vorhandensein und die Unterstützungsbereitschaft bundesdeutscher Akteure waren „konstitutive Faktoren des ostdeutschen Transformationsfalls“. Ohne deren unmittelbare Beteiligung wäre die „Transformation per Vereinigung“ nicht möglich gewesen.914 Ihr Einsatz war ein „unverzichtbares Element des Verwaltungsaufbaus im Osten Deutschlands“.915 Ohnehin habe keine Seite Wahlmöglichkeiten gehabt. Die Regierung, so Herzer, sei in der schwierigen Situation gewesen, möglichst schnell handlungsfähig werden zu müssen, ohne zu viele Leute aus dem alten Staatsapparat übernehmen zu wollen.916 Münch sieht im Einsatz von Westexperten den Vorteil, dass es dadurch in Sachsen gelungen sei, „die Spitzen unangreifbar“ zu machen. Dies sei sowohl aus fachlicher als auch aus politischer Sicht notwendig gewesen, um zu vermeiden, dass die Spezialisten aus der alten Verwaltung den neuen politischen Kräften, die über keine Verwaltungserfahrung verfügten, ihre alten Modelle andien912 913 914 915 916

Interview Georg Milbradt. Wicker, Der Anteil der alten Länder, S. 62. Wiesenthal, Die Transformation der DDR, S. 55. Häußer, Die Staatskanzleien, S. 221; vgl. Biedenkopf, Ein guter Anfang, S. 10. Interview Bernd Herzer.

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ten.917 Deutlich wird aber auch, dass westliches Know how vor allem in den Bereichen gefragt war, in denen Kenntnisse aus DDR-Zeiten mit Ideologie durchwachsen waren. In technischen Bereichen habe es, so Wicker, zwischen den Diplomingenieuren aus Ost und West fast keine Verständigungsschwierigkeiten gegeben. Deswegen sei die notwendige Verwaltungshilfe hier wesentlich geringer ausgefallen als zum Beispiel in der Justiz, der Steuerverwaltung oder der allgemeinen Verwaltung, wo außerordentlich komplexe Rechtssysteme übernommen werden mussten.918 Gerade in diesen Bereichen trafen die Westberater auf ein „Chaos, das gar nicht zu ordnen war“. Sie kamen im Sommer 1990 zunächst, um Verwaltungshilfe zu leisten, fanden sich aber plötzlich in der Situation wieder, angesichts fehlender Kenntnisse und Erfahrungen mit einer westlichen Verwaltung das Management des Verwaltungsaufbaus an der Seite des Koordinierungsausschusses selbst leisten zu müssen. Die Berater wurden zu Implementären.919 Dieses Problem konnte auch durch die Ausschreibungen nicht gelöst werden, weil Bewerber aus den neuen Bundesländern über notwendige Voraussetzungen in bestimmten Bereichen gar nicht verfügen konnten. Hinzu kam ein weiteres Problem. Zunächst hatten die Partnerländer im Rahmen der Verwaltungshilfe Spitzenbeamte nach Sachsen delegiert. Die Situation änderte sich aber, als westliche Beamte, Juristen, Wirtschaftsexperten etc. in größerer Zahl benötigt wurden. Diese zeigten zunächst deswegen wenig Neigung, in die neuen Bundesländer zu gehen, weil das Einkommen dort nur etwa ein Drittel dessen betrug, was man in gleicher Funktion im Westen erwarten konnte. Bereits Anfang Januar 1991 warnte Schommer angesichts des Mangels an kompetentem Personal vor einem Zusammenbruch der öffentlichen Verwaltung. Schuld sei die ungleiche Bezahlung. Ein Beamter in Brüssel erhalte sechsmal soviel wie sein Kollege in Sachsen. Auch Landräte und Bürgermeister drohten damit, „den Bettel hinzuschmeißen und in die Wirtschaft zu gehen“. Oberbürgermeister verdienten weniger als ein Oberkellner.920 Vorübergehend und teilweise gelöst wurde das Problem durch die steigende Zahl vorübergehend abgeordneter Verwaltungshelfer, von denen manche für Wochen oder Monate, andere für ein halbes oder ein Jahr kamen, in der Regel aber auf der Grundlage von Delegierungen der westlichen Dienststellen und mit dortiger Bezahlung. Ohne die so realisierte personelle Hilfe wäre es, so Michael Muster, „ganz schlimm gewesen“ und man hätte, weil bestimmte Stellen einfach besetzt werden mussten, noch stärker auf „mehr oder minder belastete Kader“ zurückgreifen müssen.921 Angesichts dieser Situation war es kaum verwunderlich, dass die westlichen Aufbauhelfer von der sächsischen Bevölkerung zunächst begeistert begrüßt wurden. Ihre Hilfe wurde vor dem Hintergrund bisheriger Erfahrungen mit bundes917 918 919 920 921

Interview Helmut Münch. In: Kleimeier, Sachsen, S. 80. Wicker, Der Anteil der alten Länder, S. 64–67. Vgl. Grunow/Wohlfahrt, Verwaltungshilfe, S. 167. FAZ und Stuttgarter Zeitung vom 3.1.1991. Interview Michael Muster.

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deutschen Besuchern in der DDR bewertet. Westler, so die kollektive Erfahrung eines großen Teils der Bevölkerung, kamen, brachten Hilfe, und verschwanden wieder. Eine gewisse Großspurigkeit wurde dabei in der Regel in Kauf genommen. Nun wurde die westliche Hilfe vor dem Hintergrund bisheriger Erfahrungen im Ost-West-Miteinander beurteilt. Es herrschte Aufbruchstimmung. Die Menschen, so Wicker aus westlicher Perspektive, seien „von ihrer gelungenen Revolution richtiggehend berauscht“ gewesen und hätten „die aus dem Westen kommenden Leihbeamten als Vorboten des Wohlstands“ empfangen.922 Es habe, so Wolfgang Fröhlich, „eine gewisse euphorische Stimmung“ gegeben, und die Westdeutschen seien als Helfer willkommen gewesen.923 Auch Schommer erinnert sich, dass die westlichen Helfer im Herbst 1990 „sehr freundlich und positiv“ empfangen wurden. Die Bevölkerung sei sehr offen gewesen. Es galt der Grundsatz: „Wer aus dem Westen kommt, der muss das schon gut machen. Die haben die Erfahrung.“924 „Phantastische Leute“, so Rößler, „sind da gekommen und haben uns beraten.“925 Heidrun Lotze meinte Mitte September, der Einsatz westlicher Beamter sei eine große Hilfe, könne im Osten doch keiner auf Erfahrungen einer Verwaltungsorganisation unter den Bedingungen einer rechtsstaatlichen Demokratie und ökologisch orientierten Marktwirtschaft zurückgreifen.926 Die Erwartungshaltung im Osten, der freundliche Empfang und die von den meisten als historisch empfundene Situation der Wiedervereinigung führte bei vielen westlichen Helfern während ihres Einsatzes im Osten zu einer positiven Motivation. Beamte waren plötzlich raus aus dem bürokratischen Trott westlicher Verwaltungen und sahen sich vor Herausforderungen gestellt wie nie zuvor oder später wieder. Der „persönlich aufopferungsvolle Einsatz bis an die Grenze der gesundheitlichen Belastbarkeit“ war die Norm. Fast jeder Westberater war „der lebendige Gegenbeweis zur wohlfeilen Kritik der westlichen Medien an der angeblich unterentwickelten Treuepflicht der Beamten“.927 Die positive Haltung der Bevölkerung im Osten hing wohl mit diesem Engagement, soweit wahrgenommen, ebenso zusammen wie mit der Tatsache, dass die Helfer schließlich auf eigenes Bitten und Drängen der Ostdeutschen gekommen waren. Wicker weist zu Recht darauf hin, dass es „die ostdeutsche Bevölkerung allein“ gewesen sei, die gesagt habe, „wir wollen einen Staat wie in Westdeutschland“. Erst daraufhin seien die Westdeutschen mit Zustimmung der Ostdeutschen gekommen und hätten gesagt: „Okay, wenn ihr einen Staat wollt, wie wir ihn haben, dann müsst ihr es unserer Auffassung nach so und so machen.“928 922 923 924 925 926

Wicker, Der Anteil der alten Länder, S. 64–67. Interview Wolfgang Fröhlich. Interview Kajo Schommer. Interview Matthias Rößler. In: Kleimeier, Sachsen, S. 94. Koordinierungsausschuss zur Bildung des Landes Sachsen. Vortrag von Heidrun Lotze vor dem Sächsischen Forum am 13. 9. 1990 (HAIT, Iltgen 3). 927 Molodowsky, Verwaltungshilfe, S. 482. 928 Interview Hubert Wicker.

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Zwar habe es, so bestätigt Milbradt, eine Grundzustimmung der betroffenen Ostdeutschen gegeben, das habe allerdings nicht geheißen, dass jeder Einzelne zugestimmt hätte. Immerhin sei mit dem massiven Einsatz Westdeutscher eine „Fremdbestimmung“ verbunden gewesen, die auch andere Felder des Lebens betroffen habe. Überall, nicht nur in Politik und Verwaltung, tauchten die bisherigen „Mauersegler“ nun in Scharen auf, um die Ruder des Geschehens zu übernehmen. Zwangsläufig ergaben sich daraus wechselseitig unterschiedliche Erfahrungen. So waren die westlichen Helfer zwar generell willkommen, aber zum einen waren sich viele Menschen nicht über die Konsequenzen ihres Wunsches nach staatlicher Einheit im Klaren, zum anderen hieß dies auch nicht, dass jeder Einzelne, der in diesem Zusammenhang kam, erwünscht war. Außerdem boten die Aufgaben in der Verwaltung oder im Justizbereich nicht immer Anlass, generell als notwendig angesehene Westexperten euphorisch zu begrüßen. Bei manchen Vorgehensweisen, Milbradt nennt als ein Beispiel längere Planverfahren auf Grund des rechtsstaatlichen Herangehens, war den Betroffenen „auch nicht immer klar, dass das nicht irgendeine Entartung war, sondern eine notwendige Beigabe“.929 Oft meinten westliche Helfer auch, in Sachsen mit der Verwirklichung von Ideen beginnen zu können, mit denen sie im Westen gescheitert waren.930 Die Erprobung alternativer und neuer Reformkonzepte war aber angesichts der Rahmenbedingungen fast unmöglich. Selbst Kritiker westlicher Verwaltungspraktiken sahen sich gezwungen, mehr oder weniger bewährte westliche Konzepte zu übertragen, weil sie sich scheuten, unter den CrashBedingungen des Umbaus Reformen und Experimente zu wagen. Einige westliche Verwaltungswissenschaftler waren enttäuscht, weil sich ihre Hoffnungen nicht erfüllten, über die Einführung moderner, reformorientierter Konzepte in den neuen Ländern durch die Hintertür auch in den Altbundesländern Verwaltungsreformideen befördern zu können.931 Aber auch unter den Akteuren des Koordinierungsausschusses hätte sich manch einer mehr Reformwillen bei der Übertragung der bundesdeutschen Strukturen gewünscht. So bedauerte Matthias Reichenbach, dass die Westdeutschen bei der Durchsetzung von Veränderungen, die über die Übertragung des bundesdeutschen Systems hinausgingen, eher zögerlich waren.932 Bemerkenswert sind die äußeren Bedingungen, unter denen die westlichen Helfer ihre Arbeit anfänglich erledigten. Auf einige Aspekte sei exemplarisch verwiesen. Anders als die vom Westen aus bezahlten Leihbeamten sank das Einkommen der in den sächsischen Staatsdienst tretenden Beamten und Politiker rapide. Nicht nur von Ingrid Biedenkopf sind entsprechende Hinweise bekannt, auch Georg Milbradt erinnert sich an seine Anfangszeit: „Mit einem Mal fehlte all die praktische Absicherung“. Als Minister habe er anfänglich knapp 5 000 DM erhalten, war plötzlich sozialversicherungspflichtig, wie es in der DDR üblich 929 930 931 932

Interview Georg Milbradt. Vgl. Wicker, Der Anteil der alten Länder, S. 64–67. Vgl. Reichard, Auf dem Wege, S. 392. Interview Matthias Reichenbach am 15. 7. 2003.

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gewesen war. Seine Familie habe überlegen müssen, über wen die Kinder mitversichert werden, da er als Mitglied der Ost-AOK nicht berechtigt war, sich in einem westdeutschen Krankenhaus behandeln zu lassen.933 Mögen dies aus östlicher Sicht auch Klagen auf hohem Niveau sein, veranschaulichen sie doch das Gefälle, das mit der staatlichen Einheit keinesfalls aufgehoben war. Bei der Unterbringung mischten sich akute Wohnraumprobleme mit den Unbequemlichkeiten eines vorübergehenden Einsatzes. Generell gab es schwerwiegende Probleme bei der Suche nach Unterkünften. In Dresden waren rund 30 000 Wohnungssuchende gemeldet, davon 8 000 mit sozialer Dringlichkeit. Das Hotel- und Pensionswesen war unterentwickelt. In den Interhotels kosteten Einzelzimmer zwischen 150,- und 300,- DM pro Nacht, bei kaum erhältlichen privaten Appartements wurde oft mehr als das Zehnfache des ortsüblichen Satzes verlangt. Auf die „Abzocke“ westlicher Glücksritter bei Immobilien, Versicherungen oder anderen schnellen Geschäften reagierte manch Ostdeutscher seinerseits mit Praktiken, die eher an Manchester-Kapitalismus erinnerten als an schwäbische Unternehmenskultur. Ein Großteil der westlichen Beamten übernachtete in zum Teil unzumutbaren Internaten oder Lehrlingswohnheimen in den Stadtrandbezirken, für die selbst in Mehrbettzimmern pro Nacht und Platz ca. 30,- DM ohne Frühstück verlangt wurden. Ab Januar 1991 gelang es Bayern, ein Kontingent von dreißig Zimmern im Hotel Schloss Eckberg zum Vorzugspreis von 60,- DM zu erhalten.934 Für die baden-württembergischen Beamten und Richter, die ab September 1990 in Sachsen eintrafen, war es, so Wicker, auch deswegen ein äußerst schwieriges Unterfangen, Unterkunft zu finden, weil auch hunderte von Unternehmen aus der Bundesrepublik und dem Ausland Wohnungen für ihre Mitarbeiter suchten. Manch einer habe wochenlang auf einem Feldbett im Keller seines Dienstgebäudes übernachten müssen. Schließlich seien die Aufbauhelfer in Pensionen, Hotels und ehemaligen Wohnheimen untergekommen, die teilweise akzeptabel, teilweise jedoch unzulänglich ausgestattet waren. Für den Einsatz in Dresden habe man, so Wicker, schon „einen Schuss Idealismus“ gebraucht. Noch Ende 1991 sei alles trist und grau gewesen:935 „Die Umgebung war trostlos, das Land lag tagelang unter einer Dunstglocke. Der Verputz für Gebäude war schwarz verfärbt. Prächtige Stadthäuser aus der Zeit der Jahrhundertwende waren seit Jahren verwahrlost, dem Verfall preisgegeben; aus löcherigen Dächern wucherten Birken. Die Verbindung zur Heimat war gekappt. Telefonieren war nicht möglich. Briefe waren ein bis zwei Wochen lang unterwegs. Heimflüge waren wegen der langen Vorbuchungszeiten kaum zu bekommen. Heimfahrten mit einem Pkw dauerten auf miserablen Straßen manchmal 8, nach Wintereinbruch sogar bis zu 12 Stunden.“936 Reiner Schrenker erinnert sich, dass er von östlicher Seite regelrecht geschröpft wur933 Milbradt, Kraft der Visionen, S. 38. 934 Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden: Jahresbericht 1990 (PB Manfred Kolbe). 935 Interview Hubert Wicker. 936 Wicker, Der Anteil der alten Länder, S. 64–67.

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de. Nach seiner Ankunft aus Bayern habe man ihm ein Apartment in einem Arbeiterwohnheim besorgt, das er nach Dienstschluss des ersten Tages Abends um 23.00 Uhr bezog. Dort habe er nicht einmal Bettwäsche vorgefunden. Für das Appartement sollte er zunächst eintausend DM im Monat, schließlich, da drei Liegen im Raum waren, das dreifache zahlen. Schließlich sei er in einem Schloss untergebracht worden, wo er ebenfalls dreitausend DM im Monat für ein Zimmer ohne Dusche zahlen sollte. Ähnlich sei es seinen Kollegen gegangen. Er hätte sich „vor den Kopf gestoßen“ gefühlt und den Eindruck gehabt, dass es Kräfte gab, die versuchten, ihren Einsatz „indirekt zu boykottieren“.937 Eberhard Stilz erinnert sich, dass er zunächst „ein kleines Zimmerchen“ in einem Hotel auf der Prager Straße gemietet hatte, für dass aber „enorme Preise verlangt“ wurden. Vor allem als immer mehr Westbeamte anreisten und Übernachtungsmöglichkeiten suchten, habe sich die Lage kompliziert. Er habe den baden-württembergischen Justizminister bei einem Besuch in Dresden über die Lage informiert. Durch Vermittlung des damaligen Bezirksgerichtspräsidenten in Dresden seien ihnen daraufhin einige, allerdings ebenfalls teure Zimmer in einem Arbeiterwohnheim besorgt worden. Ihm sei dann eine Datscha des Dampfdruckkesselwerkes Dresden angeboten worden, die früher verdienten Arbeitern zur Verfügung gestanden hatte. Es habe sich um ein Holzhäuschen am Rande der Dresdner Heide gehandelt, das eigentlich nicht wintertauglich war, in dem er dann aber auf sehr abenteuerliche Weise bis zum Ende seines Einsatzes gewohnt habe.938 Nicht nur angesichts der widrigen Umstände waren Stellungen auf höherer Ebene gefragter, waren die Aufgaben doch attraktiver und karriereförderlicher. Hier meldeten sich eher Bewerber als für den einfachen oder mittleren Beamtendienst. In vielen Kommunalverwaltungen, auch größerer Städte oder Landkreise, gab es keinen einzigen ausgebildeten Verwaltungsbeamten bzw. Volljuristen, auf der Ebene der unteren Sonderbehörden selten, bei den Regierungspräsidien vereinzelt. Meist handelte es sich um westdeutsche Berufsanfänger. Dagegen lag der Anteil an westdeutschen Laufbahnbeamten in den Ministerien bei rund vierzig Prozent.939 Mochte man unter den sächsischen Akteuren zunächst erwartet haben, dass die westlichen Helfer nach Erledigung ihrer Aufgaben wieder zurückkehrten, so sah man sich darin oft getäuscht. Beamte, die in Sachsen in Führungsfunktionen eingerückt waren, ließen sich nicht einfach per Handschlag wieder verabschieden. Unabhängig von der Tatsache, dass ein längerfristiges Engagement sinnvoll und notwendig war, boten die neuen Betätigungen auch manch persönlichen Vorteil. Oft konnten drei oder vier Beförderungsoder Funktionsstufen übersprungen werden, so dass es wenig lukrativ war, in die frühere Verwaltung zurückzukehren und „wieder kleinere Brötchen zu backen“. Unter anderem deswegen, so Herzer, seien auch Spitzenbeamte, die 937 Interview Reiner Schrenker. 938 Interview Eberhard Stilz am 26.11.1999. 939 Vgl. Wicker, Der Anteil der alten Länder, S. 62.

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zunächst per Abordnung gekommen waren, geblieben. „Und je länger das dauerte, desto weniger konnte man und wollte man sie vielleicht auch zurückschicken.“940 Bei einer Besprechung im bayerischen Innenministerium schilderten einige für den Einsatz ausgewählte Beamte „übereinstimmend, dass die Hoffnung, in Sachsen oder Thüringen Leitungsfunktionen schneller erreichen zu können, ein wesentlicher Gesichtspunkt für die Bereitstellung sei, dorthin zu gehen“.941 Viele Helfer der ersten Stunde sind als hoch flexible und stark belastbare Personen eingeschätzt worden, die sich „dem Abenteuer“ Aufbau Ost bewusst stellten. Es habe aber, so Wicker, auch kurz nach der Einheit bereits den sogenannten „Dimido“ gegeben, den westdeutschen Beamten, der dienstags kam, mittwochs arbeitete und donnerstags wieder abflog, „Busch-Zulage“ und Trennungsgeld kassierte und seinen Job in den neuen Ländern nur als Karrieresprungbrett betrachtete. Manch einer habe sich binnen kürzester Zeit „zum absoluten Experten des Reisekostenrechts in Verbindung mit dem Trennungsgeldrecht“ entwickelt.942 Ein Problem, so Milbradt, sei es auch gewesen zu vermeiden, als „Besser-Wessi oder arroganter Schnösel“ aufzutreten, „der jetzt den anderen sagt, wo es langzugehen hat“. Man habe immer sorgfältig abwägen müssen, wie man den notwendigen Umgestaltungsprozess auch menschlich vernünftig organisieren kann. Auf der anderen Seite haben die Ostdeutschen anerkennen müssen, dass für bestimmte Funktionen einfach Kenntnisse notwendig waren, über die nur Personen aus dem Westen verfügen konnten. Trotzdem habe es genügend Schwierigkeiten gegeben, weil ein Teil der Westdeutschen „vielleicht fachlich geeignet, aber menschlich ungeeignet“ war.943 Kamen zunächst Spitzenexperten, von denen die meisten wieder gingen, folgten ab 1991 weniger qualifizierte Beamte, die unter den Ostdeutschen in dem Maße an Akzeptanz verloren, wie diese sich selbst in die Materie einarbeiteten und eigene Erfahrungen sammelten. Hartmut Engel, Abteilungsleiter im sächsischen Sozialministerium, meint, im ersten halben Jahr sei „wirklich die Elite“ geschickt worden, die zu neunzig Prozent nicht die Absicht hatte zu bleiben. Aber „was danach kam, war oft zweite und dritte Wahl, also Leute, die wussten, im Westen haben sie keine Chance“.944 Diese trafen auf eine Bevölkerung, die nach den Jahren der Diktatur ein ausgesprochenes Freiheitsbedürfnis hatte. „Selbstbestimmung“, so Dieter Angst, „und nicht mehr Fremdbestimmung waren verlangt. Es war deshalb ungeheuer schwierig, die Beamten aus dem Westen mit ihren besonderen Verwaltungskenntnissen nicht als eine Art Kolonialoffiziere erscheinen zu lassen.“945 Biedenkopf verweist auf ein weiteres Problem zwi940 Interview Bernd Herzer. 941 Protokoll der Besprechung am 5. 9.1990 im BaySMI (BaySMI Zusammenarbeit BayernSachsen, Bl. 21–27). 942 Wicker, Der Anteil der alten Länder, S. 64–67. 943 Interview Georg Milbradt. 944 Interview Hartmut Engel. 945 Angst, Aufbau und Struktur, S. 422.

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schen Ost- und Westdeutschen: „Die Menschen wollten die Veränderung, aber sie hatten nicht das Wissen dafür. Im Westen hat man das Wissen für die neue Ordnung, aber man wollte keine Veränderung. Dieses Zusammentreffen zweier höchst unterschiedlicher Denkstrukturen kennzeichnet bis heute den Prozess der Einheit.“946 Aus westlicher Sicht war die Zusammenarbeit mit den sächsischen Bediensteten, so Wicker, nicht einfach. Viele von ihnen hätten sich „mit dem menschenfeindlichen politischen System arrangiert“ und Nischen gefunden: „Sie wollten nicht auffallen, und zwar auch nicht durch Leistung. Verantwortungsgefühl und Selbständigkeit waren einer gelassenen Lebenseinstellung gewichen, die Schwierigkeiten erwartete und sie ungerührt hinnahm. Der unvermittelte Einbruch der vor Energie, Tatendrang und Engagement geradezu berstenden Aufbauhelfer, die selbständiges Mitdenken, Hinzulernen, Arbeitseifer und den Willen zur Bewältigung der Schwierigkeiten forderten, verunsicherte die einheimischen Mitarbeiter zutiefst. Aus den Vorboten des Wohlstandes wurden in ihren Augen Besatzer, die das Heft an sich rissen und dem wohlbekannten, gewohnten und bequemen Arbeitsstil ein Ende bereiteten. Die instinktive Reaktion vieler war Abwehr.“947 Angesichts der in Jahrzehnten gewachsenen mentalen Unterschiede war aktiven Helfern wie Herzer nach eigenem Bekunden schon im November 1990 „klar, dass dieser massive Einsatz von Westdeutschen in Führungsfunktionen nach kurzer Zeit zu einer ablehnenden Haltung der sächsischen Kollegen und auch der Bevölkerung führen“ musste. Das habe auch daran gelegen, dass ein großer Teil der Führungsfunktionen mit relativ jungen Leuten aus dem Westen besetzt wurde, welche die Stellen auf Jahre blockierten und verhinderten, dass sächsische Landeskinder nachrücken konnten. Hinzu sei gekommen, dass bei vielen aus dem Westen kommenden Beamten Zweifel an der Qualifikation geäußert wurden. Bald habe der Grundsatz gegolten, es sei die zweite Wahl die komme.948 Natürlich, so Wicker, hätten auch die sächsischen Mitarbeiter, „die ja auch nicht dümmer sind als wir, die nur nicht die Erfahrungen hatten, die man in einem Ministerium braucht, und deswegen eben keine Vorgesetztenfunktion hatten“, bald gemerkt, dass „nicht immer die Hellsten gekommen“ seien. Die wachsende Ablehnung habe auch daran gelegen, dass parallel viele westdeutsche Immobilienhändler, Autoverkäufer und Versicherungsvertreter unseriöse Geschäfte auf Grundlage fehlender Erfahrungen im Osten gemacht hätten. Das habe ebenso zum Frust beigetragen, wie schlechte Erfahrungen mit Westdeutschen in der Verwaltung. Gleichzeitig sei der vom Westen großspurig versprochene Aufschwung ausgeblieben.949 Als Problem erwies sich die große Zahl der Westdeutschen infolge eines „Elite-Imports historisch beispiellosen Ausmaßes“.950 Er führte unter der Bevölkerung zu dem Bonmot, man lebe wieder in der SBZ, jetzt aber übersetzt mit 946 947 948 949 950

Biedenkopf, Regierungs- und Verwaltungsprobleme, S. 22. Wicker, Der Anteil der alten Länder, S. 64–67. Interview Bernd Herzer. Interview Hubert Wicker. Wollmann/Derlin u. a., Die institutionelle Transformation, S. 18.

Probleme der Personalgewinnung

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„schwäbisch besetzte Zone“. Aus Wickers Sicht waren entsprechende Befürchtungen unter der sächsischen Bevölkerung durchaus nachvollziehbar, denn „umgekehrt hätte uns das auch nicht gefallen, wenn wir plötzlich lauter sächsische Vorgesetzte gehabt hätten“.951 Ein Ergebnis der polarisierten Situation in den Verwaltungen waren besonders ausgeprägte Seilschaften ost- und westdeutscher Mitarbeiter, letztere noch sortiert nach Herkunftsländern. Ein von der Bevölkerung so kaum wahrgenommenes Problem war dabei aber, dass trotz des hohen Anteils westlicher Fachkräfte – so waren nach bayerischem Zahlenmaterial im August 1991 vierhundert Mitarbeiter aus Bayern längerfristig in Sachsen tätig – der tatsächliche Bedarf bei weitem nicht gedeckt war. Im August 1991 bestand bei den staatlichen Behörden Sachsens ein Gesamtbedarf von 1178 Mitarbeitern. Erst 680 waren eingestellt.952 Nach einer Bilanz der Sächsischen Staatskanzlei vom April 1991 waren etwa fünfzig Prozent der Ministerien personell ausgestattet.953 Ungeachtet der konkreten Zahlen war die Wahrnehmung unter der Bevölkerung jedoch bald so, dass die Ministerien baden-württembergisch oder bayerisch besetzt waren; man stand vor Gericht und wurde von einem Baden-Württemberger verurteilt und dachte, „es müssten eigentlich eigene Leute sein“. Auch die Finanzexperten, die einem das Geld abnahmen, waren Bayern und Schwaben. „Und die es ausgeben auch!“ Auch die bisherigen Akteure des Koordinierungsausschusses sahen die westdeutsche Dominanz mit einer gewissen Skepsis, wäre es doch an sich wünschenswert gewesen, das neue Land Sachsen auch in der Hand von Sachsen zu wissen. Vor allem Vaatz, Rößler, Meyer und Geisler, so Herzer, seien es gewesen, die gesagt hätten, „es könne nicht sein, dass wir uns jetzt hier alle Leute aus dem Westen holen, die auf zehn, zwanzig Jahre hinaus alle Führungsfunktionen besetzen. Und das sächsische Element, das haben wir dann noch im Parlament. Aber die Regierung sind eigentlich Westbeamte und die Spitzenkräfte.“ Geisler habe in Kabinettssitzungen erklärt, „es kann nicht sein, dass wir uns hier nur mit Schwaben und Bayern umgeben“. Die Vertreter der neuen politischen Kräfte Sachsens hätten sich aber in einer Dilemmasituation befunden. Sie hätten die Wahl gehabt, entweder zu akzeptieren, dass Leute aus dem Westen kommen, oder aber auf die zurückgreifen müssen, die aus dem alten Apparat kamen. In dieser Situation hätten sie gesagt: „Lieber beiße ich in den sauren Apfel und nehme eine Überfremdung aus dem Westen vorübergehend in Kauf, als dass ich den Vertretern des Regimes den folgenlosen Übergang in die neue Welt ermögliche.“ Aus seiner Sicht hätten sie keine andere Wahl gehabt, als eine westliche

951 Interview Hubert Wicker. 952 Ergebnisniederschrift über die Koordinierungsbesprechung Bayern / Baden-Württemberg/Sachsen am 18. 9.1991 in Dresden (BaySMI, Zusammenarbeit Bayern-Sachsen, Bl. 75–80). 953 SMBW, Abt. 1. Vermerk für die Sitzung des Ministerrates am 22. 4.1991. Entwurf (SMBW, 0305.0. 1990–1998). Siehe dazu Tabelle 17 im Anhang: Aufstellungsstand der Sächsischen Staatsregierung. Stand 10. 8.1991.

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Führungsschicht zu akzeptieren, schließlich hatten sie mit ihrer Politik der personellen Erneuerung selbst die Weichen für den Import von Westlern gestellt.954 Erstaunlich war in dieser Situation, dass es Ministerpräsident Biedenkopf trotz westlicher Dominanz gelang, den Eindruck zu vermitteln, es handele sich um eine sächsische Verwaltung. Sein Satz „Wir Sachsen müssen zusammenhalten“ bezog auch die zugezogenen Neusachsen ein. Auf diese Weise gelang ihm eine Integrationsleistung, die sich bis heute positiv auf die politische Kultur im Freistaat auswirkt. Längerfristig wird es aber sinnvoll sein, Spitzenfunktionen in Sachsen mit Sachsen zu besetzen. Professionalität und Funktionalität als Kriterien verlieren in dem Maße an Bedeutung, in dem eigenes sächsisches Verwaltungspersonal herangebildet wird. Die Identifizierung mit der Landespolitik vollzieht sich nicht nur über rationale Kriterien, sondern auch über emotionale Faktoren wie Sprache und Herkunft. „Auch bei uns im Oberschwäbischen“, so Herzer, „würden vor allem in ländlich strukturierten Räumen Landräte, Oberbürgermeister und vielleicht auch Abgeordnete irgendwann Schwierigkeiten kriegen, die hochdeutsch sprechen.“ In Schwaben würde man sagen: „Von wem werden wir eigentlich regiert? Haben wir hier lauter Preußen beieinander?“ Nach seiner Erfahrung sei man in dieser Frage auch in Sachsen empfindlich. Längerfristig müsse der Anteil der Landeskinder in den Spitzen der Verwaltung größer werden, sonst könne dies auf Dauer zu Unzuträglichkeiten führen. Andererseits müssten aber die als Neubürger akzeptiert werden, die seit zehn oder mehr Jahren in Sachsen leben und arbeiten.955

7.3

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Der systemverändernde Umbruch im Prozess der friedlichen Revolution betraf auch das Rechtssystem unmittelbar. Vom diktatorischen Prinzip der Gewalteneinheit in kommunistischer Hand zur Gewaltenteilung im freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat war binnen kurzer Zeit ein langer Weg zurückzulegen. Die Veränderungen betrafen das Rechtssystem in Organisation, Funktionsweise und politischer Ausrichtung, aber auch agierende Juristen wie Richter und Staatsanwälte, die fast durchweg zur systemsichernden Funktionselite der Diktatur gehört hatten.956 Durch die Aufgabenverteilung der Judikative zwischen Bund und Ländern im föderativen Rechtsstaat betraf der Umbruch des Rechtssystems auch das entstehende Land Sachsen direkt, stand es doch vor der Herausforderung, eine eigene Landesjustiz aufzubauen. Der Aufbau hatte durch ein Justizministerium zu erfolgen, dass als Teil der Exekutive selbst erst geschaffen werden musste.957 Eine Legislative, die gerade erste parlamentarische Schritte 954 Interview Bernd Herzer. 955 Interview Bernd Herzer. 956 Vgl. Heitmann, Der Aufbau des Rechtswesens in Sachsen, S. 2507–2511; Koehn, Neue Bundesländer – neues Recht, S. 28; Weinke, Die DDR-Justiz in der Wende 1989/90. 957 Siehe dazu Kap. 7.2.4.

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einübte, hatte entsprechende Gesetze zu verabschieden. Vor diesem Hintergrund war die Bildung der Judikative im einheitlichen Gestaltungsprozess von Exekutive und Legislative, aber auch in gewollter Teilung der Gewalten eine Herausforderung für alle Beteiligten. Anders als in den früheren „Bruderstaaten“ erhielten die Akteure des Umbruchs in der DDR in diesem schwierigen Prozess umfassende westliche Unterstützung, anders als dort war dadurch der Korridor ihres Handelns aber auch durch bundesdeutsche Rahmendaten abgesteckt. Da man in der Bundesrepublik rechtzeitig erkannt hatte, dass Hilfe notwendig war, hatten die Justizminister und -senatoren der Länder am 31. Mai 1990 in München beschlossen, die DDR im Zusammenhang mit der Bildung von Ländern beim Aufbau von Landesjustizverwaltungen und bei der Neuordnung und Verbesserung der Justiz zu unterstützen. So plante man, etwa einhundert Richter aus den öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten, das waren sechzig Verwaltungs-, dreißig Sozial- und zehn Finanzrichter, für die entsprechende Gerichtsbarkeit unter Kostenteilung zwischen Bund und Ländern in die DDR zu entsenden. Die regionale Verteilung sollte sich an den Länderpartnerschaften orientieren. Die baden-württembergische Regierung beschloss, für diesen Zweck 16 Richter an Gerichte der DDR zu entsenden.958 Niemand ahnte zu diesem Zeitpunkt, welche Anstrengungen der Aufbau einer rechtsstaatlichen Justiz im Osten erfordern und welche Zeit er in Anspruch nehmen würde. „Die damaligen Vorstellungen“, so das baden-württembergische Justizministerium im Juni 1996, „erscheinen im Rückblick ebenso naiv wie abenteuerlich.“ Bis zu diesem Zeitpunkt waren nicht die ursprünglich geplanten 16 Richter, sondern 836 baden-württembergische Justizangehörige vor allem in Sachsen zum Einsatz gekommen.959 Ähnlich sahen die Zahlen in Bayern aus. Im Juni 1990 war zunächst die Entsendung von 132 bayerischen Richtern vereinbart worden, die ab September eine Tätigkeit in Sachsen aufnahmen.960 Auch diese Zahl stieg ab 1991 erheblich an. Eine wichtige Rolle bei der Ausarbeitung des sächsischen Justizsystems spielten die Gemischte Kommission und die Landesstrukturbeauftragten für Justiz, die im Sommer 1990 eine Zuordnung des Gerichtsaufbaues mit verschiedenen Senaten erarbeiteten.961 Hier mussten auf der Grundlage des bisherigen DDRJustizsystems Übergangs- als auch Zielstrukturen der künftigen Landesjustiz 958 Ministerium für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten Baden-Württemberg an Staatssekretär Lorenz Menz, SMBW, vom 8. 6.1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). Vgl. Wollmann, Entwicklung, S. 41 f. 959 Zit. in Wicker, Der Anteil der alten Länder, S. 68 f. 960 BayStK, Arbeitsstab Deutschlandpolitik, Interministerielle AG Deutschlandpolitik: Gespräch des Bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl mit der Bayerischen Landtagspresse am 9. 4.1991, Materialien: Aufbau der neuen Länder mit Bayerischer Hand (BayStK, Baer). 961 BVB Dresden, Abt. Länderbildung: Protokoll der Beratung mit den Strukturbeauftragten für Länderbildung am 9. 8.1990 (HAIT, KA, 61). Zur Arbeit des Landesstrukturbeauftragten und der Gemischten Kommission siehe die Kap. 5.3.5 und 5.3.7.

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entworfen werden, die sich ins bundesdeutsche Rechtssystem fügten. Nach der Verfassung der DDR war die Rechtsprechung bislang ausschließlich durch das Oberste Gericht der DDR, Bezirks-, Kreis- sowie im Westen unbekannte gesellschaftliche Gerichte ausgeübt worden. Für Militärstrafsachen hatte es ebenfalls unübliche Militärgerichte gegeben. Ein dem Bundesverfassungsgericht vergleichbares Gericht hatte dagegen ebenso gefehlt wie eine Verwaltungs-, Finanz-, Arbeits- oder Sozialgerichtsbarkeit.962 Parallel zu den Vorarbeiten der Schaffung eines neuen Systems von Justizeinrichtungen des Landes stand frühzeitig die Frage des Umgangs mit den bisherigen DDR-Juristen im Raum, die aber zunächst nicht auf der Ebene der künftigen Länder abgehandelt wurde. Um eine Abkehr von den bisher turnusmäßig stattfindenden „Richterwahlen“ und ein Auswahlverfahren wegen der Zweifel an der persönlichen Eignung der Richter und Staatsanwälte für einen weiteren Dienst in einer rechtsstaatlichen Rechtspflege zu ermöglichen, waren zunächst durch Beschluss der Volkskammer vom 8. Juni 1990 die auslaufenden Wahlperioden von Richtern um drei Monate nach Inkrafttreten eines Richtergesetzes verlängert worden. Das am 5. Juli verabschiedete Richtergesetz963 verpflichtete dazu, die Berufung der Richter innerhalb von sechs Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes vorzunehmen, und ermächtigte die im Amt befindlichen Richter zur Ausübung der Rechtssprechung bis zu diesem Zeitpunkt. Die Staatsanwälte der DDR waren ursprünglich unbefristet angestellt gewesen. Dies änderte sich durch den mit Wirkung vom 15. Juli in das Gesetz über die Staatsanwaltschaft eingefügten Paragraphen 38a, der ein Ende der Berufungsverhältnisse spätestens sechs Monate nach Inkrafttreten der Vorschrift vorsah, also am 15. Januar 1991.964 Da sich bereits zu diesem Zeitpunkt eine Lösung abzeichnete, bei der neben dem Einsatz westlicher Juristen auch ein Teil der DDR-Juristen umgeschult werden würde, wurden seitens der Partnerländer im Sommer 1990 Fortbildungsmaßnahmen für DDR-Juristen organisiert. Außerhalb der entsprechenden Arbeit der Gemischten Kommission965 organisierte auch das Ministerium für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten Baden-Württembergs in Absprache mit den übrigen Bundsländern im Rahmen der Justizministerkonferenz Fortbildungstagungen für etwa fünfzig Richter aus Dresden, Leipzig und Chemnitz, bei denen es um die Grundlagen der Gerichtsorganisation und den Aufbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit ging. Diese Veranstaltungen bildeten die Grundlage für eine umfassende Unterstützung des Landes Sachsen bei der Fortbildung von Zivilrichtern, Strafrichtern und Staatsanwälten sowie bei weiteren personellen Hilfsmaßnahmen im Bereich der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit.966 Ähnliche Maßnahmen wurden auch von 962 963 964 965 966

Vgl. Stollreither, Das vereinigte Deutschland, S. 51. GBl. DDR 1990 I, Bl. 657. Vgl. Bayer, Die Konstituierung der Bundesländer, S. 1018 f. Siehe Kap. 5.3.7. Abschlussbericht der GK S / BW: Hilfsmaßnahmen Baden-Württembergs für Sachsen 1990/91 (SMBW, 0136, GK S/BW, Allgemeines).

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bayerischer Seite ergriffen. Bayern nahm unter anderem seit dem 5. November 1990 59 junge Juristen aus Sachsen und Thüringen, die ihr Hochschulstudium abgeschlossen hatten, für die Dauer von zweieinhalb Jahren in einen besonderen Vorbereitungsdienst bei den Oberlandesgerichten Bamberg und Nürnberg auf. Beide Partnerländer übernahmen auch die Schulung des Strafvollzugspersonals.967 Wesentliche Rahmenbestimmungen für die Umwandlung des Rechtssystems und von Übergangsbestimmungen, die angesichts der rechtsstaatlichen und personellen Defizite in der DDR unvermeidbar waren, wurden am 31. August mit dem Einigungsvertrag festgelegt. Die Aufrechterhaltung der vorhandenen Gerichtsstruktur sowie der Richteramtsverhältnisse einerseits und die Einführung des bundesdeutschen Gerichtsverfassungs-, Prozess- und Richterdienstrechts am 3. Oktober 1990 andererseits machten zahlreiche Anpassungsregelungen erforderlich, die später aus rechtstechnischer Sicht als „Meisterstück“ des Einigungsvertrages bezeichnet worden sind.968 Die neuen Länder sahen sich aufgrund der Kompetenzordnung des Grundgesetzes mit der Aufgabe konfrontiert, die Gerichte der 1. und 2. Instanz aufzubauen. Die 3. Instanz der Revisionsgerichte waren Bundesgerichte. Dies galt auch für die dem bundesrepublikanischen Gerichtssystem eigentümlichen institutionellen Ausdifferenzierungen. Neben der „ordentlichen Gerichtsbarkeit“ wie Zivil- und Strafgerichte existieren Fachgerichtsbarkeiten wie Verwaltungs-, Sozial-, Arbeits- und Finanzgerichtsbarkeiten.969 Nach dem Einigungsvertrag wurde die „ordentliche streitige Gerichtsbarkeit“ in den neuen Bundesländern zunächst durch die Kreis- und Bezirksgerichte ausgeübt. Die überkommene Gliederung der Justiz auf diesen Ebenen blieb also zunächst unangetastet. Für die „ordentlichen Gerichte“, also Gerichte in Zivil- und Strafsachen, sowie für die freiwillige Gerichtsbarkeit galt in den neuen Ländern das Gerichtsverfassungsgesetz mit der Maßgabe, dass die organisatorisch vorhandenen Kreis- und Bezirksgerichte tätig wurden. Die Kreisgerichte ersetzten die Amtsgerichte, die Bezirksgerichte die Land- und Oberlandesgerichte. Die Bezeichnung „Senate“ bei den Bezirksgerichten entsprach somit der Bezeichnung „Kammern“ bei den Landgerichten, soweit die Bezirksgerichte an die Stelle der Landgerichte traten. Allein das Oberste Gericht wurde funktionslos, da ab dem Tag des Beitritts die obersten Bundesgerichte als Oberste Gerichte in 3. Instanz für die neuen Länder zuständig wurden. Für die „ordentliche Gerichtsbarkeit“ war dies der Bundesgerichtshof in Karlsruhe, der auf Grund des Einigungsvertrags die am 3. Oktober 1990 beim Obersten Gericht der DDR anhängig gewesenen Verfahren übernahm. Da das Obers-

967 BayStK, Arbeitsstab Deutschlandpolitik, Interministerielle AG Deutschlandpolitik: Gespräch des Bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl mit der Bayerischen Landtagspresse e. V. am 9. 4.1991. Materialien: Aufbau der neuen Länder mit Bayerischer Hand (BayStK, Baer). 968 Bayer, Die Konstituierung der Bundesländer, S. 1018 f. 969 Vgl. Wollmann, Entwicklung, S. 41–43.

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te Gericht der DDR nicht mehr bestand, wurden bei den Bezirksgerichten besondere Senate gebildet, die die Aufgaben der Oberlandesgerichte wahrnahmen.970 Die Länder hatten nun die Aufgabe, durch Gesetz Gerichte und Staatsanwaltschaften einzurichten, „sobald hierfür unter Berücksichtigung der Bedürfnisse einer geordneten Rechtspflege jeweils die personellen und sachlichen Voraussetzungen gegeben“ waren. Bis zur Errichtung selbständiger Gerichtsbarkeiten wurden die Kreis- und Bezirksgerichte auch in Angelegenheiten der Verwaltungs-, Finanz-, Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit für zuständig erklärt.971 Diese Regelungen zielten darauf, die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege nach dem 3. Oktober durch Übernahme der vorhandenen Einrichtungen zu sichern. Einer ersten Empfehlung der Clearingstelle folgend, überführten die neuen Bundesländer die Kreis- und Bezirksgerichte, die Staatsanwaltschaften und die Justizvollzugsanstalten in toto, obgleich klar war, dass in Zukunft nicht alle diese Einrichtungen benötigt würden.972 Nach dem Einigungsvertrag war außerdem beim Bezirksgericht am Sitz der Landeshauptstadt eine Generalstaatsanwaltschaft einzurichten, der die Aufsicht und Leitung über die Staatsanwaltschaften übertragen wurde.973 Zwar waren damit institutionelle Rahmenbestimmungen definiert, jedoch fehlte das Personal, den Justizapparat zu neuen rechtsstaatlichen Leben zu erwecken. Der Landesstrukturbeauftragte des Koordinierungsausschusses und baden-württembergische Rechtsexperte Eberhard Stilz erklärte am 23. Oktober, dass allein in Sachsen rund eintausend Richter- und Staatsanwaltsstellen besetzt werden müssten. Gegenwärtig lägen ihm jedoch nur zehn bis zwanzig Bewerbungen junger Volljuristen aus den alten Ländern vor. Auch wenn diese keine Spitzenexamina aufweisen könnten, sollten sie wegen des enormen Bedarfs rasch eingestellt werden. Angesichts der Tatsache, dass bei den sächsischen Kreis- und Bezirksgerichten Richter und Staatsanwälte fehlten, empfahl er dringend eine Aufstockung der entsprechenden Mittel im Haushalt für das Justizressort, zumal auf die Gerichte durch den Einigungsvertrag und die Einführung von Fachgerichtsbarkeiten „zusätzliche Aufgaben in sehr erheblichem Umfang“ zukommen würden. Ein zusätzliches Problem war, dass die Gerichte nicht einmal über eine minimale Grundausstattung an juristischer Literatur verfügten.974 Auch der Bezirksverein Leipzig des neugebildeten Interessenverbandes „Bund Deutscher Rechtspfleger“ stellte im Oktober 1990 fest, dass die Arbeitsfähigkeit der Gerichte nicht gewährleistet sei.975 970 971 972 973

Vgl. Stollreither, Das vereinigte Deutschland, S. 52. Einigungsvertrag vom 31. 8.1990. Text in: Texte zur Deutschlandpolitik III/ 8b. Vgl. Bayer, Die Konstituierung der Bundesländer, S. 1022. Errichtung einer Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht (Generalstaatsanwaltschaft) (RPL, AZ 0142). 974 Protokoll der Vorbereitungssitzung am 23.10.1990. Anlage TOP 11: Federführender Arbeitsstab Justiz. Entscheidungsvorschlag (HAIT, KA, 3.3) (RPL, AZ 0142). 975 Schreiben des Bezirksvereins Leipzig des Interessenverbandes Bund Deutscher Rechtspfleger vom 11.10.1990 (HAIT, KA, 24.1, 1).

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Wie beim Aufbau der Landesministerien ging es auch beim Aufbau der Justiz zunächst um die Besetzung der Führungspositionen, von denen aus die Strukturen geschaffen werden sollten. Im Dezember 1990 wurde der ehemalige Vizepräsident des Landgerichts Offenburg, Günter Hertweck, zum Generalstaatsanwalt des Freistaates Sachsen berufen.976 Oberstaatsanwälte wurden in Dresden Jörg Schwalm aus Nürnberg, in Chemnitz Peter Pawlowski aus Rosenheim und in Leipzig der pensionierte Leitende Oberstaatsanwalt Eberhard Uhlig aus Hechingen. Um ein deutliches Zeichen für den personellen Wandel zu setzen, entschloss sich Sachsen, auch die Schlüsselstellungen der Präsidenten der Bezirksgerichte mit erfahrenen bundesdeutschen Richtern zu besetzen. Ein badenwürttembergischer Richter übernahm das Präsidentenamt beim Bezirksgericht Dresden, das nach dem Einigungsvertrag auch die Aufgaben eines Oberlandesgerichtes für ganz Sachsen wahrzunehmen hatte.977 Bayern stellte die Präsidenten in Chemnitz und Leipzig. Der gesamte Apparat war vorhanden, die Präsidenten wurden, so Heitmann, den Bezirksgerichten „einfach oben drauf gestellt“.978 Freilich war damit das Problem des organisatorischen wie personellen Neuaufbaus noch nicht einmal ansatzweise gelöst. Am 15. und 16. November 1990 betonten die Justizminister und -senatoren der Länder in Augsburg die Notwendigkeit und Dringlichkeit, in den neuen Ländern eine leistungsfähige, rechtsstaatlichen Anforderungen genügende Justiz, einschließlich der Staatsanwaltschaften und des Strafvollzugs, aufzubauen. Sie forderten den Bund auf, sich an den Kosten zu beteiligen.979 Insgesamt stellte die Anpassung des Rechts und der Gerichtsbarkeit in den neuen Ländern das deutsche Rechtssystem vor schwerwiegende und justizpolitische Herausforderungen.980 Beim Aufbau der Justiz in den neuen Bundesländern waren folgende Aufgaben mit besonderer Dringlichkeit zu lösen: Die personelle Erneuerung der Justiz, die Wiedergutmachung für die Opfer des SED-Systems und die Bestrafung der Täter. Ebenso vordringlich war es, das Grundbuch- und Registerwesen, die für einen wirtschaftlichen Aufschwung von zentraler Bedeutung waren, funktionsfähig zu machen. Einen besonderen Schwerpunkt bildete auch der Strafvollzug. Zur personellen Erneuerung der Justiz gehörte die Besetzung leitender Positionen im Sächsischen Staatsministerium der Justiz, bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften sowie in den Justizvollzugsanstalten mit Fachkräften aus Baden-Württemberg

976 dpa vom 18.12.1990. 977 Bericht von Justizminister Thomas Schäuble an den Präsidenten des Landtages von Baden-Württemberg. Betr. Antrag der Fraktion der CDU vom 8. 7.1994: Personalhilfe Baden-Württembergs zum Aufbau der Justiz in den neuen Bundesländern. 30. 8.1994 (SMBW, II 0305.0 1991 ff.). 978 Interview Steffen Heitmann. 979 Bayerische Staatsministerin für Justiz, Mathilde Berghofer-Weichner, an den Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz, Gerhard Schröder, vom 14.12.1990 (SMBW, I 0305.0. 1990). 980 Vgl. Reichard, Auf dem Wege, S. 397; Vesting, Entwicklung, S. 455–459.

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und Bayern. In der Besetzung von Führungspositionen lag auch im Justizbereich ein Schwerpunkt baden-württembergischer Personalhilfe.981 Der ab Ende 1990 verstärkt einsetzende massive Personaltransfer westdeutscher Juristen nach Sachsen war aus mehreren Gründen unerlässlich. Antje Vollmer brachte das Problem auf den Punkt. Bei der Frage, wie man bei den Menschen in den neuen Bundesländern „so etwas wie ein Rechtsgefühl“ entwickeln könne, sei der Elitenwechsel das „Allerwichtigste“, was die Menschen erwarteten.982 Die Gerichtsbarkeit, so auch Ministerpräsident Biedenkopf in seiner Regierungserklärung, habe schweren Schaden genommen; sie sei unter der SED „zur Sklavin der Willkür reduziert“ worden. Solange die Menschen nicht an die Unabhängigkeit und Objektivität der Richter glaubten, habe der Rechtsstaat wenig Chancen, sich zu erneuern. Deshalb gehöre die Erneuerung der Gerichtsbarkeit zu den vornehmsten Aufgaben des Justizministers.983 Der Abschied von den alten Kadern bedeutete keinesfalls nur eine symbolische Geste des Neubeginns, vielmehr ging es dabei um die Sicherung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Nur durch den Austausch der Führungsschicht, so Uta Limbach, konnte „Vertrauen geschaffen werden, dass Recht geschieht“.984 Um den neuen freien Rechtsstaat im Sinne einer wehrhaften Demokratie zu festigen, musste eine Personalpolitik betrieben werden, „die verfassungsfeindlichen, diktaturfreundlichen Aktivitäten durch Unterwanderung oder Seilschaften, politischen Extremismus oder bürokratische Sabotage“ entgegenwirkte.985 Obwohl die bisherigen Richter und Staatsanwälte bei der Bevölkerung mehrheitlich auf Ablehnung stießen, war mit dem Einigungsvertrag entschieden worden, nicht alle DDR-Juristen pauschal zu entlassen. Trotz ihrer Systemnähe verloren nicht alle ihre Arbeit, galt es doch, so Heitmann, den Neuaufbau nicht allein der „fremden Schicht der Westjuristen“ zu überlassen.986 So wurde zwar dem Wunsch aus der Bevölkerung nach Ablösung möglichst vieler, vor allem stark belasteter, Richter und Staatsanwälte entsprochen, andererseits der Erhalt der Funktionsfähigkeit der Justiz zum Kriterium erhoben. Ohnehin konnten entlassene Richter und Staatsanwälte weiterhin als Anwälte oder Notare tätig sein. Um vor allem jene nicht mehr tragfähigen Juristen aus dem Staatsdienst entlassen zu können, die besonders eifrige Vollstrecker des politischen Willens ihrer herrschenden kommunistischen Partei gewesen waren, wurden unabhängige Richter- und Staatsanwaltswahlausschüsse eingerichtet. Ihnen oblag gemäß

981 Bericht von Justizminister Thomas Schäuble an den Präsidenten des Landtages von Baden-Württemberg. Betr. Antrag der Fraktion der CDU vom 8. 7.1994: Personalhilfe Baden-Württembergs zum Aufbau der Justiz in den neuen Bundesländern. 30. 8.1994 (SMBW, II 0305.0 1991 ff.). 982 Zit. in Limbach, Der Austausch der politischen Eliten, S. 51. 983 Sächsischer Landtag, 1. WP, 2. Sitzung am 8.11.1990, Bl. 52–66. Vgl. von Roenne, Politisch untragbar, S. 126. 984 Limbach, Der Austausch der politischen Eliten, S. 51 f. 985 Karl Dietrich Bracher. In: 40 Jahre SED-Unrecht, S. 9. 986 Zit. in von Roenne, Politisch untragbar, S. 127.

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Einigungsvertrag im Zusammenwirken mit dem Landesjustizminister als Chef der Ernennungsbehörde die Auswahl der künftigen Richter und Staatsanwälte.987 Bereits vor dem 3. Oktober war in den drei Bezirken mit deren Überprüfung begonnen worden. Günstige Voraussetzungen hierfür gab es durch die Arbeit der entsprechenden Strukturbereiche des Koordinierungsausschusses.988 Im Juli 1990 waren von bundesdeutschen Richtern geleitete Richterwahlausschüsse eingerichtet worden. Zu diesem Zeitpunkt amtierten in der DDR insgesamt 2 896 Richter und Staatsanwälte, von denen später rund 29 Prozent übernommen wurden.989 In Dresden, so Heitmann, fand dabei unter dem jungen Bezirksstaatsanwalt Scheer „ein wirklich konzentrierter Selbstreinigungsprozess“ statt. Anders sah es in Chemnitz aus, wo „eine geballte Mannschaft unverändert unter dem alten Bezirksstaatsanwalt sitzen geblieben“ sei.990 Kritik an den im Juli eingerichteten Richterwahlausschüssen übte im Oktober der Leiter der Zentralen Erfassungsstelle für Regierungsstraftaten in der DDR in Salzgitter, Staatsanwalt Hans-Jürgen Grasemann. Nach seinen Erkenntnissen saßen in den insgesamt 15 Richterwahlausschüssen der Bezirke selbst hochbelastete SED-Richter und entschieden nun über die Zukunft ihrer Genossen. Zwölf Prozent der Juristen in den Ausschüssen, so Grasemann, seien wegen Willkürmaßnahmen in Salzgitter erfasst gewesen. Durch Manipulation ihrer Akten und oberflächliche Überprüfung der Bewerber sei es ihnen gelungen, in die Ausschüsse zu gelangen.991 Ihre Zeit lief nun ab. Aber trotz der nun im Einigungsvertrag fixierten Bestimmungen hatte sich zum 3. Oktober keiner der in den bisherigen Bezirken neu zu bildenden Richterwahl- und Staatsanwaltsberufungsausschüsse konstituiert. Gründe hierfür lagen im Zerfall des DDR-Justizministeriums, in unzureichenden Stellungnahmen der Gerichtspräsidenten zu den Bewerbern, verspäteten Vorschlägen für die Mitglieder der Prüfungsausschüsse und in einer frühzeitig einsetzenden Diskussion über die Integrität der Richter und Staatsanwälte, die als Mitglieder der Prüfungsausschüsse vorgeschlagen worden waren. Dieser Situation trug der Einigungsvertrag insoweit Rechnung, als er an dem von der Volkskammer beschlossenen Auswahlverfahren festhielt und die Ermächtigung zur Ausübung der Rechtssprechung bis zur Entscheidung durch den Richterwahlausschuss verlängerte. Damit wurden im Interesse der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege die bislang amtierenden Richter und Staatsanwälte mit Ausnahme derer des Obersten Gerichts und der Obersten Staatsanwaltschaft der DDR auf die Länder überführt und ihre Auswahl auf die Zeit nach dem 3. Oktober verlegt.992 Entlassen wurden alle Präsidenten der Bezirksgerichte und Leiter der Bezirksstaatsanwaltschaften. Damit sah sich das Land Sachsen vor die Aufgabe gestellt, 987 988 989 990 991 992

Zu Einzelheiten vgl. Bayer, Die Konstituierung der Bundesländer, S. 1022. Vgl. von Roenne, Politisch untragbar, S. 121–124. Vgl. Derlien, Elitezirkulation, S. 13. Interview Steffen Heitmann. Vgl. Die Union vom 22.10.1990. Vgl. Bayer, Die Konstituierung der Bundesländer, S. 1018 f.

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selbst neue Wahlausschüsse ins Leben zu rufen. Am 10. Oktober übertrug der sächsische Landesbevollmächtigte, Rudolf Krause, dem früheren Präsidenten des Evangelisch-Lutherischen Landeskirchenamtes in Sachsen, Kurt Domsch, den Vorsitz in den Richterwahlausschüssen für die Bezirke Chemnitz, Dresden und Leipzig, sowie Staatsanwalt a. D. Hellmut Waller aus Stuttgart den entsprechenden Vorsitz in den Staatsanwaltsberufungsausschüssen.993 Für die Ausschüsse mussten nun bis zum 18. Oktober Abgeordnete der Kreise und kreisfreien Städte bestellt werden. Die konstituierenden Sitzungen wurden Ende Oktober einberufen.994 Domsch und Waller übernahmen in Vertretung des Justizministers auch die Leitung entsprechender Vorbereitungsstäbe im sich gerade erst herausbildenden Justizministerium. Zwar lud der designierte Staatssekretär Stilz für den 22. Oktober zur Konstituierung der Ausschüsse, es dauerte jedoch noch bis zum Februar 1991, bis die eigentlichen Überprüfungen unter Beteiligung der Ausschüsse begann.995 Das zunächst avisierte Ziel, die Überprüfung der Richter und Staatsanwälte bis Anfang des Jahres 1991 abzuschließen, erwies sich als Illusion.996 Zwischenzeitlich verabschiedete der Sächsische Landtag im Januar 1991 ein Richtergesetz, mit dem zunächst einmal rechtliche Voraussetzungen zur Erneuerung der Justiz in Sachsen geschaffen wurden.997 Trotz aller Bemühungen meinte Justizminister Heitmann noch im März 1991, der Rechtsstaat in Sachsen existiere nur auf dem Papier.998 Ende Juli 1991 wurde die Überprüfung der Richter und Staatsanwälte abgeschlossen, und in Sachsen stand fest, welche Richter und Staatsanwälte die Chance erhielten, ihr Können unter Beweis zu stellen.999 Von den 664 Richtern und Staatsanwälten, die vor dem 9. November 1989 in Sachsen amtiert hatten, stellten sich 529 der Überprüfung. 345 überprüfte Richter und Staatsanwälte, also mehr als die Hälfte des ursprünglichen Personalbestandes, wurden übernommen. Unter ihnen befand sich keiner, der in Zeit der Diktatur eine herausgehobene Position innegehabt hatte.1000 In Sachsen waren im Dezember 1989 insgesamt 448 Richter 993 994 995 996 997

Land Sachsen, Landesbevollmächtigter: Verfügung vom 10.10.1990 (HAIT, KA, 68). RPL, AZ 0142. Vgl. von Roenne, Politisch untragbar, S. 121–124 und 129. Vgl. Bayer, Die Konstituierung der Bundesländer, S. 1018 f. Richtergesetz des Freistaates Sachsen (SächsRiG) vom 29.1.1991 (SächsGVBl. 1991, S. 21). 998 Vgl. dpa vom 7. 3.1991. 999 Vgl. Heitmann, Der Aufbau des Rechtswesens in Sachsen, S. 2508. 1000 Bericht von Justizminister Thomas Schäuble an den Präsidenten des Landtages von Baden-Württemberg. Betr. Antrag der Fraktion der CDU vom 8. 7.1994: Personalhilfe Baden-Württembergs zum Aufbau der Justiz in den neuen Bundesländern. 30. 8. 1994 (SMBW, II 0305.0 1991 ff.). In einem Bericht des Informationsbüro des Freistaates Bayern in Dresden für die Zeit vom 22.–28. 7.1991 (PB Manfred Kolbe) heißt es, dass von 664 Richtern und Staatsanwälten 340 übrig blieben (Chemnitz: 106, Dresden: 124, Leipzig: 110). Nach der Ergebnisniederschrift über die Koordinierungsbesprechung Bayern/Baden-Württemberg/Sachsen am 18. 9.1991 in Dresden (BaySMI, Zusammenarbeit Bayern-Sachsen, Bl. 75–80) wurden von 601 sächsischen Richtern und Staatsanwälten nach erfolgter Überprüfung auf Mitarbeit mit dem MfS 342 weiter beschäftigt.

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tätig, davon bewarben sich 82 nicht um eine Übernahme. Von den 366 Richtern, die sich um ein Amt in der neuen sächsischen Justizverwaltung bewarben, wurden 218 Richter übernommen, 118 Richter abgelehnt; 30 nahmen ihre Bewerbung zurück. Von den 262 Staatsanwälten der drei sächsischen Bezirke bewarben sich 41 nicht, 28 zogen ihre Bewerbung zurück, 75 wurden abgelehnt und 118 übernommen.1001 Die übernommenen Richter und Staatsanwälte waren in der Regel sehr jung. Entscheidend war der Grad der Involvierung in das ideologisch motivierte politische Strafrecht, das ein Instrument zur Stabilisierung der diktatorischen Alleinherrschaft der Kommunisten gewesen war. Gerichtsdirektoren und andere führende Parteijuristen hatten kaum eine Chance, die Prüfung durch den Richterwahlausschuss zu bestehen. Ein Großteil von ihnen trat daher gar nicht erst an. Seitens der Ausschüsse wurde mit Härte und Konsequenz entschieden, galt es doch, der Bevölkerung den Eindruck eines Neuanfangs der Justiz zu vermitteln. Hier gab es durchaus die Erwartung, dass an Richter und Staatsanwälte der DDR strenge Maßstäbe angelegt würden.1002 Angesichts des massiven Mangels an fachkundigen Juristen blieb zwischenzeitlich keine Wahl, als in hoher Zahl westliche Experten anzuwerben. Am allgemeinen Juristenmangel änderten auch die im Verhältnis wenigen Juristen nichts, denen die Wahlausschüsse einen „Persilschein“ ausgestellt hatten. Das neue Rechtssystem benötigte ein Mehrfaches an Juristen, als dies in der DDR der Fall gewesen war. Hinzu kam, dass auch Verwaltungen oder die Wirtschaft auf der Suche nach Juristen waren. Im Laufe des Jahres 1991 wurden sämtliche Direktorenstellen der Kreisgerichte mit Richtern aus Baden-Württemberg und Bayern besetzt. Bei den Staatsanwaltschaften stellten die Partnerländer sämtliche Abteilungsleiter.1003 Bis zum 1. September 1991 wurden zusätzlich 164 Assessoren als Richter und Staatsanwälte neu eingestellt. Bis Mitte Oktober wurde aufgrund weiterer Einstellungszusagen mit 190 neuen Richtern und Staatsanwälten gerechnet. Weitere 100 bis 140 Richter und Staatsanwälte sollten nach Angaben aus dem Herbst 1991 bis Ende des Jahres hinzu kommen. Von Bayern und Baden-Württemberg wurde die sächsische Justiz zu diesem Zeitpunkt im Rahmen eines „Programms der 1 000 Richter“ des Bundesministeriums der Justiz unterstützt. Zugleich lief das bayerische Expertenprogramm weiter, in dessen Rahmen neue sächsische Richter und Staatsanwälte in Bayern Erfahrungen sammeln konnten, während sie von berufserfahrenen Kollegen aus Bayern in Sachsen vertreten wurden. Außerdem wurden die sächsischen Ar-

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Vgl. von Roenne, Politisch untragbar, S. 144. Interview Volker Ellenberger. Bericht von Justizminister Thomas Schäuble an den Präsidenten des Landtages von Baden-Württemberg. Betr. Antrag der Fraktion der CDU vom 8. 7.1994: Personalhilfe Baden-Württembergs zum Aufbau der Justiz in den neuen Bundesländern. 30. 8. 1994 (SMBW, II 0305.0 1991 ff.).

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beitsgerichte durch die Übernahme von Altverfahren durch bayerische Arbeitsrichter entlastet.1004 Ein Problem, das sich aus dem Einsatz westdeutscher Juristen ergab, war deren Akzeptanz in der sächsischen Bevölkerung. Hier mochte man die früheren Advokaten des SED-Regimes nicht gern im Amt sehen und noch weniger von diesen abgeurteilt werden. Aber auch gegen schwäbisch oder bayerisch sprechende Richter oder Staatsanwälte gab es immer wieder einmal Vorbehalte. Anfänglich war die Akzeptanz der westdeutschen Juristen sehr groß, und es gab „beinahe eine Art Euphorie“. Viele Personen, die vor Gericht mussten, bestanden darauf, einen Richter aus dem Westen zu bekommen. Das änderte sich im Laufe der Zeit. Etwa ab 1992 wurde es auch wieder gern gesehen, wenn Richter sächsisch sprachen.1005 Der Gesinnungswandel hing auch damit zusammen, dass vor allem junge westdeutsche Richter die strengen Maßstäbe ihrer östlichen Kollegen übernahmen und im Strafrecht „deutlich härter entschieden, als westdeutsche Richter zum selben Zeitpunkt und in der entsprechenden Altersklasse in Westdeutschland“. Deshalb war es wichtig, Persönlichkeiten zu gewinnen, die in ihrer Tätigkeit akzeptiert wurden, und dies war ein Grund dafür, verstärkt sächsisches Personal heranzubilden. Die sächsische Justiz begann die Referendarausbildung ab dem 1. Oktober 1991 mit 115 Referendaren. Zur Ausbildung des gehobenen und mittleren Dienstes, die ebenfalls an diesem Tag begann, wurden 150 bzw. 110 Bewerber eingestellt.1006 Außerdem versuchte man, die Richter und Staatsanwälte, die nach den Überprüfungsvorgängen noch im Amt waren, entsprechend zu qualifizieren. Um Vertrauen in die neue Justiz zu schaffen, wurden zudem einige Gewohnheiten aus Zeiten der DDR-Justiz beibehalten oder neu belebt. Dazu gehörte zum Beispiel die Auskunftstätigkeit der Richter und Staatsanwälte an einem Beratungstag. Es wurde versucht, an den sächsischen Schulen Rechtskunde zu unterrichten, die neue Justiz durch Vorträge, Seminare und eine größere Öffnung der Justiz hin bekannter zu machen und ihre Akzeptanz zu erhöhen. Das, so Hardraht, sei nicht leicht gewesen. Trotz aller Bemühungen wurde die Grundidee des Rechtsstaates und das Prinzip der Gewaltenteilung von der Bevölkerung nur langsam akzeptiert, was auch daran lag, dass die bundesdeutsche Justiz im Vergleich zur DDR-Justiz deutlich langsamer, umständlicher und zum Teil auch schwerer verständlich war.1007 Hinzu kam, dass das neue Recht in vielfacher Hinsicht dem Bewusstsein der Menschen in den neuen Bundesländern und ihren realen Lebensverhältnissen nicht ent-

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Ergebnisniederschrift über die Koordinierungsbesprechung Bayern/Baden-Württemberg/Sachsen am 18. 9.1991 in Dresden (BaySMI, Zusammenarbeit Bayern-Sachsen, Bl. 75–80). Interview Volker Ellenberger. Ergebnisniederschrift über die Koordinierungsbesprechung Bayern/Baden-Württemberg/Sachsen am 18. 9.1991 in Dresden (BaySMI, Zusammenarbeit Bayern-Sachsen, Bl. 75–80). Interview Klaus Hardraht.

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sprach.1008 Aber, so Heitmann, die Menschen in den neuen Bundesländern hatten keine Wahl, als sich auf das Recht der Bundesrepublik Deutschland einzustellen, die sie in übergroßer Mehrheit gewollt hatten und in der sie jetzt lebten. Jedoch war auch ihm klar, dass das neue Recht die Lebensverhältnisse und das Bewusstsein der Bevölkerung in den neuen Ländern nicht ausreichend berücksichtigte.1009 Bärbel Bohley brachte die Lage mit ihrem bekannt gewordenen, weil symptomatischen Satz auf den Nenner, dass die Menschen Gerechtigkeit gewollt, aber den Rechtsstaat erhalten hätten. Es bestand kein Zweifel, dass die sächsische Justiz Anfang der 90er Jahre noch ganz am Anfang stand und einen langen Weg der Konsolidierung vor sich hatte.

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Auch nach Abschluss der Arbeiten der Gohrischer Arbeitsgruppe der Gemischten Kommission Sachsen/Baden-Württemberg am Entwurf einer sächsischen Verfassung1010 gab es noch eine Fülle an Wortmeldungen. Von Juli bis Ende Oktober gingen dazu beim Koordinierungsausschuss etwa 270 Zuschriften ein;1011 vom 4. Oktober stammen einige Änderungsempfehlungen des baden-württembergischen Justizministeriums.1012 Am 11./12. Oktober traf sich die Arbeitsgruppe „Verfassung“ daraufhin nochmals in Gohrisch, um den Entwurf zu überarbeiten. Die Anregungen aus der öffentlichen Diskussion wurden beraten und fanden zum Teil Berücksichtigung. Im Wesentlichen blieb der Entwurf jedoch unverändert; lediglich das Ausländerwahl- und Abstimmrecht wurde gestrichen. Es wurde beschlossen, den Entwurf nun dem Landtag für die Beratungen über eine Landesverfassung zuzuleiten.1013 Hatten schon das Ausscheiden Bönningers und die Ausarbeitung eines eigenen Verfassungsentwurfs signalisiert, dass der Gohrischer Entwurf bei den Postkommunisten und bei Bündnis 90/Grüne nicht konsensfähig war, so sah er sich auch im Oktober zum Teil heftiger Kritik ausgesetzt. Martin Böttger vom Neuen Forum bezeichnete ihn als aus dem 19. Jahrhundert stammend und bezog sich dabei auf die nach seiner Meinung mangelnden Mitwirkungsmöglichkeiten des Volkes. Nur formal enthalte er eine Regelung über plebiszitäre Verfahren.1014 Auch die Bürgerbewegung IDEE kri-

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Vgl. Koehn, Neue Bundesländer – neues Recht, S. 28. Vgl. ebd., S. 27. Siehe dazu Kap. 5.3.7. Listen (HAIT, KA, 11.3). MJBEBW, MR Eckardt. Betr.: Verfassungsentwurf für das Land Sachsen; hier: Anmerkungen zum Gohrischer Entwurf vom 4.10.1990 (ebd., 11.1). SMBW vom 17.10.1990. Betr.: Verfassung des Landes Sachsen (SMBW, 0136 Gemischte Kommission für die Zusammenarbeit des Landes B-W mit Sachsen, Fachgruppe Verfassungs- und Verwaltungsreform). Vgl. Heitmann, Entstehung und Grundgedanken, S. 14; Sampels, Bürgerpartizipation, S. 117. Vgl. die tageszeitung vom 23.10.1990.

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tisierte die für einen Volksantrag und Volksbegehren angesetzten Hürden als zu hoch und forderte ihre Halbierung. Außerdem müsse das Beteiligungsquorum beim Volksentscheid gestrichen werden, da es sonst beim „Recht auf dem Papier“ bleibe.1015 Ungeachtet solcher und anderer Kritiken wurde der Entwurf in der Mitte Oktober überarbeiteten Fassung1016 am 27. Oktober dem neu gewählten Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf und den Abgeordneten auf der konstituierenden Sitzung des Landtages überreicht.1017 Dem Landtag oblag nach dem in den Einigungsvertrag übernommenen Ländereinführungsgesetz zugleich die Aufgabe einer verfassungsgebenden Versammlung. Die Fraktionen hatten dem Plenum demnach Verfassungsentwürfe vorzulegen.1018 Im Ländereinführungsgesetz war bestimmt worden, statt Konventen ausschließlich den Landtagen die Aufgabe der Verfassungsgebung zu übertragen. Diese übernahmen damit eine Doppelrolle, nämlich einerseits als normale Landesparlamente mit den allgemeinen Aufgaben der Wahl und Kontrolle der Regierung und der Gesetzgebung und andererseits als verfassungsgebende Landesversammlungen. Bereits die Wahl der Landtage erfolgte somit verfassungsrechtlich auch unter dem Aspekt der sich daraus ergebenden Verfassungsgebung.1019 CDU-intern setzte sich die von Vaatz geleitete Arbeitsgruppe Recht des Landesvorstandes dafür ein, den Gohrischer Entwurf als Antrag der CDU-Fraktion in den neugewählten Landtag einzubringen.1020 Ausdrückliches Ziel dabei war es allerdings, einen überparteilichen und keinen eigenen CDUEntwurf vorzulegen.1021 Allen Parteien stand es frei, den Gohrischer Entwurf ebenfalls als eigenen Antrag einzubringen. Schon während der Ausarbeitung war es das gemeinsame Ziel gewesen, die verschiedenen Vorstellungen zu integrieren. Nun zeigte sich, dass dieses Ziel nur zum Teil erreicht war. Zwischen dem 8. und 12. November gingen beim Sächsischen Landtag drei unterschiedliche Verfassungsentwürfe ein, einer von den Fraktionen der CDU und der FDP,1022 einer von der Fraktion Linke Liste / PDS1023 und ein dritter von der Fraktion Bündnis 90/Grüne. 1024 Die Gesetzentwürfe wurden am 15. November in erster Lesung beraten.1025 Hier verwiesen CDU und FDP auf die inhaltliche und handwerkliche Qualität sowie auf die Beteiligung zahlreicher politischer Kräfte bei der Erarbeitung ihres Entwurfes und die grundsätzliche Zustimmung 1015 1016 1017 1018 1019 1020 1021 1022 1023 1024 1025

Vgl. Sampels, Bürgerpartizipation, S. 117 f. Verfassung des Freistaates Sachsen (Gohrischer Entwurf, Überarbeitete Fassung), Dresden 1990. Vgl. Heitmann, Entstehung und Grundgedanken, S. 14. Vgl. Hinds, Die neue Verfassung, S. 149. Vgl. Steinberg, Verfassungsgebung, S. 505. AG „Recht“ der CDU (HAIT, KA, 65). Interview Arnold Vaatz am 16. 4. 2003. Sächsischer Landtag, 1. WP, Drucksache 1/25. Text u. a. bei Stober, Quellen, S. 140–174. Sächsischer Landtag, 1. WP, Drucksache 1/26. Sächsischer Landtag, 1. WP, Drucksache 1/29. Sächsischer Landtag, 1. WP, 3. Sitzung am 15.11.1990, Bl. 105–110.

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über Parteigrenzen hinweg. Beide Fraktionen ließen erkennen, dass der Entwurf wegen der integrierten Kompromisse auch ihren politischen Vorstellungen nicht uneingeschränkt entspräche, weswegen sie sich das Recht vorbehielten, in den Beratungen Zusatz- oder Änderungsanträge zu stellen. Volker Schimpff erklärte, man wolle mit der Einbringung des Gohrischer Entwurfs in überarbeiteter Fassung „weder den Weg zur Verfassung noch die Verfassung selbst präjudizieren“. Allerdings handele es sich bei diesem um den am breitesten diskutierten Entwurf, der in Beratungen von Vertretern verschiedener Parteien entstanden sei. Seine Entstehung sei im Geiste der friedlichen Revolution im Dialog und Konsens suchend erfolgt. Deswegen stelle er eine gute Grundlage für die Verfassungsberatungen dar. Für die FDP begründete Wolfgang Richter, warum seine Partei gemeinsam mit der CDU einen Antrag einbringe. Die SPD-Fraktion legte keinen eigenen Verfassungsentwurf vor, stattdessen den Entwurf eines „Gesetzes zur Ausarbeitung und Annahme der Sächsischen Verfassung“, dem zu entnehmen war, dass sie den Gohrischer Entwurf als Arbeitsgrundlage ansah. Nach Schimpffs Meinung war klar, dass der Gohrischer Entwurf die „gemeinsame Grundlage von CDU, SPD und FDP“ sein sollte.1026 Für die SPD nannte Lersow den Gohrischen Entwurf denn auch eine geeignete Diskussionsgrundlage, in der zwischenzeitliche Entwicklungen und andere Entwürfe noch eingearbeitet werden könnten. Auch Kunzmann, der intensiver als Lersow an der Ausarbeitung beteiligt gewesen war, konnte und wollte sich als rechtspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion nachträglich kaum von dem von ihm mitgeschaffenen Entwurf distanzieren. Die positive Haltung der SPD zum Gohrischer Entwurf hatte sich nach den gemeinsamen Arbeiten bereits im Vorfeld der parlamentarischen Debatten abgezeichnet. Die SPD hatte im September einer schriftliche Stellungnahme zum Verfassungsentwurf an den Koordinierungsausschuss übergeben und bei grundsätzlicher Zustimmung lediglich vereinzelte Änderungen vorgeschlagen.1027 Auch Lersow bestätigt, dass es „immer eine breite Zustimmung der SPD“ zum Gohrischer Entwurf gegeben habe, schließlich habe die Partei ja auch „entscheidenden Einfluss“ darauf genommen. Dagegen sei der Leipziger Hochschullehrerentwurf in der SPD „fast einstimmig abgelehnt worden“.1028 Dass die SPD den Entwurf dennoch nicht als ihren eigenen einbrachte, lag nach Heitmanns Auffassung daran, dass sie sich als Oppositionspartei nicht vereinnahmen lassen und nicht unterordnen wollte,1029 womit die ebenfalls oppositionelle FDP freilich keine Probleme hatte. Die Entwürfe der Fraktionen Linke Liste/PDS und Bündnis 90/Grüne waren weitgehend identisch1030 und basierten auf dem Leipziger Hochschullehrerentwurf. In ihrer Begründung erläuterte die Fraktion Linke Liste/PDS, dass es 1026 1027 1028 1029 1030

Interview Volker Schimpff. Sächsischer Landtag, 1. WP, 3. Sitzung am 15.11.1990. Interview Michael Lersow. Interview Steffen Heitmann. Interview Volker Schimpff.

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sich nicht um einen Gegenentwurf zum Gohrischen Verfassungstext handele. Es gehe vielmehr darum, eine breite Diskussionsgrundlage zur Konkretisierung und Reife, insbesondere der plebiszitären Elemente, zu schaffen. Außerdem schlug sie vor, mit einer Gemeindekammer neue Wege zu beschreiten und begründet dies mit der Notwendigkeit einer stärkeren Berücksichtigung einer „dritten staatlichen Ebene neben Bund und Ländern“. Die Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Grüne betonten, dass dem Volk der unmittelbare Einfluss auf die Gesetzgebung durch ein plebiszitäres Verfahren bei der Annahme der Verfassung ermöglicht werden sollte. Beide Entwürfe unterschieden sich vom Gohrischer Entwurf auch durch ein Konzept der Verbindung sozialer Staatsziele mit Grundrechten fundamental.1031 Die drei Entwürfe wurden nach ihrer ersten Lesung am 15. November an den am 20. November erstmals tagenden Verfassungs- und Rechtsausschuss des Landtages überwiesen. Grundlage der Ausschussarbeit war dabei der von CDU und FDP eingebrachte und von der SPD mitgetragene Gohrischer Entwurf.1032 Die nun folgende Erarbeitung der Sächsischen Verfassung1033 ordnete sich in den Verfassungsgebungsprozess ein, wie er in allen Staaten des bisherigen Ostblocks vor sich ging. Aus Sicht der Verfassungsrechtler schenkte der Umbruch im Osten Europas der Welt eine einzigartige „Weltstunde des Verfassungsstaates“.1034 Ungeachtet der Frage, ob man sich in Dresden dieser historischen Dimension des Vorganges bewusst war, einigten sich Verfassungs- und Rechtsausschuss Anfang Dezember 1990 auf einen Fahrplan zur Behandlung der Entwürfe. Bis Mai 1991 waren fünf mehrtägige Klausurtagungen vorgesehen, an denen außer den Mitgliedern des Ausschusses auch zwei westdeutsche Professoren als Berater sowie Justizminister Heitmann samt Experten seines Hauses teilnahmen. Die Beteiligung verschiedener Mitglieder und Berater der bisherigen Fachgruppe Verfassung der Gemischten Kommission führte zu einer vergleichsweise zügigen Verabschiedung der Verfassung und zu einem organisch entwickelten Text aus einem Guss.1035 Daneben stand es jeder Fraktion frei, einen eigenen juristischen Berater ohne Stimmrecht hinzuzuziehen. Die Arbeit basierte auf dem Konsensprinzip. Ziel war es, einen Entwurf zu erarbeiten, den möglichst alle politischen Kräfte Sachsens mittragen konnten. Im Ausschuss einigte man sich auch mehrheitlich über die Modalitäten zur Annahme der Verfassung. Im Vorschaltgesetz war bereits festgelegt worden, dass dazu im Landtag eine Zweidrittelmehrheit notwendig war. Man entschied sich gegen die in einigen anderen neuen Ländern durchgeführten Plebiszite, da befürchtet wurde, 1031 1032 1033

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Vgl. Drehwald/Jestaedt, Sachsen, S. 75. Vgl. Hinds, Die neue Verfassung, S. 149. Zum Prozess der Ausarbeitung der neuen Landesverfassungen generell vgl. Vogelgesang, Die Verfassungsentwicklung in den neuen Bundesländern, S. 1045–1053; Feddersen, Die Verfassungsgebung, S. 989–998. Zum genauen Hergang der Beratungen in Sachsen nach erörterten Sachbereichen vgl. ausführlich Sampels, Bürgerpartizipation, S. 122–131. Häberle, Die Verfassungsbewegung, S. 70. Vgl. Schubert, Der Koordinierungsausschuss, S. 111.

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dass bei einer erfahrungsgemäß zu erwartenden geringen Beteiligung eine Verfassung angenommen werden könnte, die auf weniger als der Hälfte der Stimmen basieren würde, was deren gesellschaftlicher Akzeptanz hätte schaden können.1036 Wegen des beschlossenen Vorgehens verweigerte der zum Vorsitzenden des Verfassungs- und Rechtsausschusses ernannte Volker Schimpff Anfang Dezember 1990 auch die Annahme einer Unterschriftensammlung von 3 500 Bürgern, die für eine öffentliche Verfassungsdiskussion eintraten.1037 Unter dem Titel „Was uns bewegt“ forderten Dresdner Gruppen von Demokratie Jetzt, den Grünen, der Grünen Liga, des Neuen Forums, des Unabhängigen Frauenverbands und der Vereinigten Linken eine intensive Beteiligung der Bevölkerung an der Verfassungsgebung, die Integration und Absicherung sozial Schwacher in der Gesellschaft, die Förderung des Kindes, die Gleichstellung von Mann und Frau, Solidarität mit den Armen der Welt, Festhalten am Recht auf politisches Asyl, Entmilitarisierung, die Übertragung des Zivildienstgesetzes der DDR auf ganz Deutschland, die Abschaffung der Bundeswehr, eine ressortübergreifende Stadtentwicklung, den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und die Verringerung der Müllerzeugung.1038 Am 17. Dezember nahm auch die katholische Kirche Stellung zum Gohrischer Entwurf. Anerkennung fand die Forderung zur Bewahrung der Schöpfung und die Betonung der Rechte der Kirchen, kritisiert wurde ein fehlender „Bezug zum Transzendenten“ in der Präambel und die fehlende Bezugnahme auf die Verantwortung vor Gott im Artikel über das Schul- und Hochschulwesen.1039 Den Verantwortlichen im Ausschuss war klar, dass der zu erarbeitende Entwurf, wie bereits der Gohrischer Entwurf, konform mit dem Grundgesetz gehen musste. Deswegen betonte Heitmann zu Beginn der Beratungen, der zu erarbeitende Entwurf könne nicht als experimenteller Beitrag zur Verfassungsdiskussion angesehen werden wie jener der Leipziger Hochschullehrer und verstehe sich auch nicht wie dieser als Ergänzung des Grundgesetzes.1040 Damit entsprach er insofern der Realität, als die Ausarbeitung der Sächsischen Verfassung „bereits unter dem Dach der neuen Republik und damit unter dem Homogenitätsgebot des Grundgesetzes“ erfolgte. Bei „allem Willen, dessen Rahmen auszunutzen und spezifische Identität zu beweisen“,1041 musste die Landesverfassung „passfähig und maßstabsgerecht zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sein“.1042 Das hinderte den Verfassungsausschuss freilich nicht 1036 1037 1038 1039 1040 1041 1042

Vgl. Hinds, Die neue Verfassung, S. 149 f. Vgl. dpa vom 7.12.1990. „Was uns bewegt“ (HAIT, ÖAK, III, 91). Stellungnahme zum Entwurf für eine Verfassung des Freistaates Sachsen aus Sicht der katholischen Kirche vom 17.12.1990 (HAIT, Heitmann, Staatskirchenrecht zur Landesverfassung). Sächsischer Landtag, Verfassungs- und Rechtsausschuss. Protokoll der 1. Klausurtagung zur Sächsischen Verfassung am 21./22.12.1990 in Gohrisch. In: Schimpff/Rühmann, S. 18–20. Oberreuter, Regierende Mehrheit, S. 130. Drehwald/Jestaedt, Sachsen als Verfassungsstaat, S. 75.

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daran, sich immer wieder auch mit Vorschlägen aus dem Leipziger Entwurf zu beschäftigen,1043 zumal sich, nach dem Eindruck von Schimpff, im Verlauf der Verhandlungen zeigte, dass Kunzmann, der die SPD im Ausschuss vertrat, inzwischen eher den Leipziger Hochschullehrerentwurf als Grundlage seiner Arbeit ansah. Im Laufe der Verhandlungen habe sich gezeigt, dass „die Handlungsführung der SPD sich von dem, was sie in ihrem Gesetzentwurf eingebracht hatten, doch erheblich unterschied“.1044 Aber trotz sich in solchen Bewertungen ausdrückenden nützlichen und unvermeidbaren Kontroversen gelangte der Verfassungs- und Rechtsausschuss über weite Strecken ohne Gegenstimmen zu seinen Empfehlungen. Soweit einzelne Fraktionen die Formulierung einer bestimmten Vorschrift nicht mittragen konnten, stand es ihnen frei, hierzu dem Ausschussentwurf einen eigenen Textvorschlag als „Dissens“ beizufügen, der zum Schluss in Form einer Synopse in der vom Verfassungs- und Rechtsausschuss herausgegebenen Broschüre veröffentlicht wurde.1045 Von dieser Möglichkeit machten alle Fraktionen Gebrauch. Nachdem der Leipziger Rechtswissenschaftler Günter Tautz bereits im Februar 1991 konstatieren konnte, die Verfassungsentwicklung in Sachsen sei weit fortgeschritten,1046 lag im Ergebnis der Beratungen am 7. Juni 1991 ein „Konsens-Dissens-Katalog“1047 vor, der nun veröffentlicht wurde. Er ging vom Gohrischer Entwurf aus, war jedoch an zahlreichen Stellen modifiziert worden.1048 Die Informationsbroschüre bildete die Grundlage für die öffentliche Anhörung von Experten sowie interessierter Bürger. Im Juli 1991 fanden öffentliche Aussprachen in Dresden, Chemnitz und Leipzig statt. Die Bevölkerung wurde ausdrücklich aufgefordert, Stellungnahmen abzugeben. Insgesamt machten rund 530 Personen von der Möglichkeit der Wortmeldung Gebrauch. Neben einzelnen Stellungnahmen wurde mit Unterschriftslisten auf Änderungswünsche aufmerksam gemacht, wodurch sich eine Gesamtzahl von zirka 1400 Zuschriften ergab. Diese wurden bis Mitte September 1991 durch den Juristischen Dienst des Landtages ausgewertet.1049 Unter den Zuschriften fand sich unter anderem eine weitere Stellungnahme der Bürgerinitiative IDEE, die die plebiszitären Regelungen mit Ausnahme des vorgeschlagenen Quorums beim Volksentscheid für vernünftig und ausgewogen hielt.1050 Bündnis 90/Grüne legte Alternativvorschläge vor und organisierte eine Bürgerbefragung.1051 Die Alternativvorschläge zielten auf eine „Teilnehmer1043 1044 1045 1046 1047 1048 1049 1050 1051

Vgl. von Mangoldt, Bürgerpartizipation, S. 198. Interview Volker Schimpff. Sächsischer Landtag, Verfassungs- und Rechtsausschuss: Verfassung des Freistaates Sachsen, Entwurf, Dresden 1991. Vgl. Tautz, Die Entstehung einer Verfassung im Freistaat Sachsen, S. 25. Sampels, Bürgerpartizipation, S.122. Heitmann, Entstehung und Grundgedanken, S. 15. Vgl. Heitmann, Entstehung und Grundgedanken, S. 15 f. Zur Verfassungsdiskussion 1991–1992 vgl. Franke, Zur Verfassung des Freistaates Sachsen, S. 57–64. Vgl. Stuttgarter Zeitung vom 4. 9.1991. Zum Landtagsentwurf der Verfassung des Freistaates Sachsen. Kommentar der Minderheitsvoten Bündnis 90/Grüne (UB. Grohedo, 4.1.3.); Sächsische Verfassung für

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demokratie“, eine transparente Verwaltung, ein vielfältiges, für Initiativen offenes Schulwesen, eine rechtliche und tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter, Altersstufen, Behinderten und Alleinlebenden sowie „Offenheit statt Geheimdienst“. Vorgeschlagen wurde ebenfalls eine „Gemeindekammer“, mit deren Hilfe die Kommunen bei der Gesetzgebung in Sachsen mitwirken sollten.1052 Die Initiative „Wir sind das Volk – keine Verfassung ohne uns“ legte zahlreiche Unterschriftenlisten vor, auf denen ein Volksentscheid zur Annahme der Verfassung befürwortet wurde. Im gesamten Vorfeld der Verfassungsgebung kam es immer wieder zu Debatten um ein plebiszitäres Verfahren zur Verabschiedung. Der Verfassungsausschuss hatte bei seinen Beratungen beschlossen, den im Vorschaltgesetz offen gehaltenen Weg zur Annahme der Verfassung so zu regeln, dass der Landtag als verfassungsgebende Landesversammlung die Annahme der Verfassung mit Zwei-Drittel-Mehrheit ohne nachfolgende Volksabstimmung beschließt. Mit dieser Empfehlung wurde der Erkenntnis Rechnung getragen, „dass nur bei einem Verfassungsbeschluss mit besonders qualifizierter Mehrheit jenes Aufeinanderzugehen der gewählten politischen Kräfte im Lande zu sichern war, das allein eine zukunftsfähige, ihrer Integrationsaufgabe gewachsene Verfassung erreichbar macht“. Das andere denkbare Verfahren zur Verfassungsgewinnung, nämlich ein einfacher Landtagsbeschluss mit anschließendem Volksentscheid, ließ einen vergleichbaren Einigungsdruck nicht erwarten, hätte es doch genügt, wenn der Verfassungsinhalt nur der Mehrheitsüberzeugung entsprach. Dass es nicht zu einem Volksentscheid kam, ist demzufolge zurecht als Stärke gewertet worden. Nur durch das gewählte Verfahren wurde es schließlich möglich, dass sich mehr als vier Fünftel der politischen Kräfte des Freistaates in der Verfassung wiederfinden konnten. Begründet war der eingeschlagene Weg aber auch deshalb, weil bei der Verfassungsentstehung die Bürger wie nie zuvor in den Willensbildungsprozess zu den Einzelbestimmungen der neuen Verfassung einbezogen gewesen waren. Durch die Gruppe der 20 als Ausgangspunkt der Verfassung, die Rückkoppelung zu den Runden Tischen der drei sächsischen Bezirke, die mehrfache Publikation von Entwurfsverfassungen mit der Möglichkeit der Stellungnahme und durch zahlreiche Wortmeldungen aus der Bevölkerung erhielt der Entwurf, so von Mangoldt, eine breite direktdemokratische Legitimierung. Eine zusätzliche Legitimationswirkung aus einer nachgeschalteten Volksabstimmung war demnach kaum zu erwarten, zumal mehr als ein pauschales „Ja“ oder „Nein“ kaum hätte geäußert werden können. Auch gab es die berechtigte Befürchtung, dass sich nicht mehr als die Hälfte der abstimmungsberechtigten Bevölkerung beteiligt hätte, wie dies später in Brandenburg der Fall war.1053 Auch ohne Volksabstim-

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mündige Menschen. Aufruf zur Einmischung. Bündnis 90/Grüne (ebd.); Befragung der Bürgerinnen und Bürger zum Landtagsentwurf der Verfassung des Freistaates Sachsen. Bündnis 90/Grüne (ebd.). Zum Landtagsentwurf der Verfassung des Freistaates Sachsen. Die Gemeindekammer. Bündnis 90/Grüne (ebd.). Vgl. von Mangoldt, Die Verfassung, S. 28 f.

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mung stand der institutionelle Prozess der Verfassungsgebung durch den Landtag als verfassungsgebender Landesversammlung in der Tradition der Ausgangsarbeiten der Gruppe der 20. Noch nie zuvor hatte es eine Sächsische Verfassung gegeben, die so intensiv mit dem Volk beraten worden war. Sowohl Ministerpräsident Biedenkopf, als auch Landtagspräsident Iltgen, Justizminister Heitmann und die Fraktionsvorsitzenden Goliasch und Kröber hoben die Kontinuität von ersten „revolutionären“ Verfassungsentwürfen über den Gohrischer Entwurf der Zeit des Koordinierungsausschusses bis hin zur Beschlussfassung hervor.1054 In einer zweiten Beratungsetappe von Januar bis April 1992 wurden die eingegangenen Stellungnahmen und durchgeführten Anhörungen bei vier Klausurtagungen diskutiert.1055 Bei der 9. Klausurtagung des Verfassungsausschusses am 5. April wurde schließlich ein Entwurf für die Beschlussfassung im Plenum verabschiedet, der am 13. Mai vorgelegt wurde.1056 Am 25. und 26. Mai 1992 beriet der Sächsische Landtag als verfassungsgebende Landesversammlung die vorliegenden Empfehlungen.1057 Die Ausarbeitungen wie auch die Verabschiedung der Verfassung machten deutlich, dass es auch bei diesem Prozess weiterhin um eine Auseinandersetzung mit der untergegangenen Diktatur ging. Die PDS verwahrte sich gegen den Passus „ausgehend von den leidvollen Erfahrungen nationalsozialistischer und kommunistischer Gewaltherrschaft“ und versuchte, den „positiven Gehalt“ des Kommunismus zu betonen.1058 Die SEDNachfolgepartei setzte sich gegen die Landesverfassung zur Wehr, nun aber nur noch mit den ihr nach der Revolution verbliebenen parlamentarisch-demokratischen Mitteln. Mit einem als „Volksantrag“ deklarierten Antrag „Initiative für ein demokratisch verfasstes Sachsen“ versuchte sie, die Annahme der Verfassung zu verhindern, was jedoch an den anderen Fraktionen scheiterte. So war es ein besonderes Merkmal der Sächsischen Verfassung, dass sie unter dem Konsens einer bemerkenswert weitgespannten Mehrheit gegen die Stimmen der PDS zustande kam und wie keine andere der neuen Landesverfassungen „deutliche Worte der Abgrenzung gegenüber jeder Art totalitärer Systeme und ebenso deutliche Worte der Mitverantwortung sowie daraus folgender zukünftiger Verantwortung“ fand.1059 In der Aussprache am 25. und 26. Mai 1992 lobte CDU-Fraktionsvorsitzender Goliasch den Verfassungsentwurf als den modernsten und zeitgemäßesten

1054 1055 1056 1057 1058 1059

Sächsischer Landtag, Verfassung des Freistaates Sachsen. Vgl. von Mangoldt, Die Verfassungen der neuen Bundesländer, S. 28. Auf die „plebiszitäre Verfassungsgenese“ in Sachsen verweist Würtenberger, Die Verfassungsgebung, S, 118. Vgl. Heitmann, Entstehung und Grundgedanken, S. 16. Sächsischer Landtag, 1. WP, Drucksache 1/1800. Vgl. Sampels, Bürgerpartizipation, S. 131. Zur Entstehungsgeschichte der Verfassung vgl. Drehwald/Jestaedt, Sachsen, S. 73–76. Heitmann, Revolution und Wende, S. 453. Uwe Thaysen, Wege des politischen Umbruchs. Der Berliner und der Dresdner Pfad der Demokratiefindung. Vortrag auf einer Veranstaltung des Hannah-Arendt-Institutes am 14./16.11.1994 in Dresden.

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aller deutschen Länder. Er sei das Produkt der Aufbruchstimmung des Herbstes 1989. Dem widersprach die Abgeordnete von Bündnis 90/ Grüne, Cornelia Matzke. Die Vertreterin des Unabhängigen Frauenverbandes kritisierte die nach ihrer Meinung zu hohen Quoren bei der Volksgesetzgebung. Dennoch kam aus der Fraktion nicht nur Kritik. Es sei gelungen, so der Mitbegründer der Demokratie-Initiative 90, Ralf Donner, in einer ansonsten „konservativen Verfassung alternative Ideen“ durchzusetzen. Nach seinem Verständnis wäre der ursprüngliche Gohrischer Entwurf aus der Feder von Vaatz mit seinen direktdemokratischen Elementen freilich die bessere Lösung gewesen. Auch der frühere Funktionär der SED-Bezirksleitung Karl-Marx-Stadt und jetzige Fraktionsvorsitzende der Linke Liste/PDS, Klaus Bartl, sprach sich wie sein Fraktionskollege Peter Porsch für den Gohrischen Entwurf in seiner ursprünglichen Form aus. Nach Meinung Heitmanns waren jedoch über achtzig Prozent des Gohrischer Entwurfs in die endgültige Fassung eingeflossen.1060 Die Linken Liste / PDS hielt die Quoren für eine Hürde, die die formal aufgenommen Volksbegehren und Volksentscheide praktisch „illusorisch“ mache. Auch die Art, wie die Verfassung in Kraft gesetzt werden solle, wurde kritisiert. Bartl nannte es eine Verhöhnung des Volkes, wenn in der Präambel stehe, das Volk habe sich diese Verfassung gegeben. Dem hielt der CDU-Abgeordnete Fritz Hähle entgegen, die Qualität einer Verfassung werde nicht vom Ritual ihrer Annahme bestimmt. Die Sächsische Verfassung werde auf dem gleichen Weg in Kraft gesetzt, wie dies beim Grundgesetz der Fall gewesen sei. Demgegenüber habe die SED die DDR-Verfassung 1968 durch einen manipulierten Volksentscheid annehmen lassen. Schließlich wurden alle von der Fraktion Linke Liste/PDS eingebrachten 28 Änderungsanträge nahezu einhellig abgelehnt, mit denen diese vorherige Anträge aus den Reihen der Opposition aufgegriffen hatte. Die Mehrheit hatte kein Interesse, den fraktionsübergreifenden Kompromiss zu gefährden. Die Fraktionen von CDU, FDP, SPD und Bündnis 90/Grüne stimmten in namentlicher Schlussabstimmung fast geschlossen für den Entwurf. Damit wurde die Sächsische Verfassung am 26. Mai 1992 ohne Änderungen angenommen. Von den 151 anwesenden Abgeordneten votierten 132 mit Ja, 15 lehnten die Verfassung ab, vier Abgeordneten enthielten sich der Stimme. Die Zustimmung verweigerten vor allem die Angehörigen der Fraktion Linke Liste / PDS. Stimmenthaltung übte unter anderem Volker Schimpff, der die noch verbliebenen plebiszitären Elemente kritisierte und die Verfassung als „Mogelpackung“ bezeichnete. Freilich trugen gerade die basisdemokratischen Elemente der friedlichen Revolution Rechnung und wurden zurecht als verfassungsrechtliche Konsequenz der Parole „Wir sind das Volk“ bezeichnet.1061 Nach Meinung Biedenkopfs zählte die Debatte über die Verfassung zu den politischen Höhepunkten in der gesamten Arbeit des Landtages. Entstanden sei eine von allen Parteien „mit Ausnahme der Kommunisten“ getragene Verfassung. Mit ihren zahlreichen Änderungsanträ1060 1061

Steffen Heitmann beim HAIT-Workshop am 15. 6. 2002. Vgl. Hinds, Die neue Verfassung, S. 151.

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Bild 16: Landtagspräsident Erich Iltgen und Ministerpräsident Kurt Biedenkopf während der feierlichen Unterzeichnung der Verfassung am 27. Mai 1992.

gen hätten diese versucht, „den Zusammenhalt von SPD, Bündnis 90/Grüne, FDP und CDU zu sprengen“. Diese hätten sich aber nicht darauf eingelassen. Die von den anderen Oppositionsparteien gelieferten Begründungen zeugten nach seiner Meinung „von höchster demokratischer Reife“. Insbesondere der Redner von Bündnis 90/Grüne habe „in einer sehr bewegenden Rede zum Ausdruck gebracht, dass unterlegene Anträge ebenfalls ein Teil des gefundenen Kompromisses seien und dass sie nicht bereit seien, sich von den Kommunisten ihr geistiges Eigentum stehlen oder missbrauchen zu lassen“.1062 Am 27. Mai wurde die Sächsische Verfassung von Landtagspräsident Erich Iltgen und Ministerpräsident Kurt Biedenkopf unterzeichnet1063 und trat am 6. Juni 1992 als erste der neuen Bundesländer in Kraft.1064 Es handelte sich um 1062 1063 1064

Biedenkopf, Regierungs- und Verwaltungsprobleme, S. 25 f. Sächsischer Landtag (Hg.): Landtagskurier Jg. 2, Nr. 6/92. Vgl. Schimpff/Rühmann, S. 9. Verfassung des Freistaates Sachsen vom 27. 5.1992 (Sächs. GVBl. 20 vom 5. 6.1992, S. 243). Text der Verfassung in: Meissner/Trute, Staats- und Verwaltungsrecht Freistaat Sachsen, S. 1–20, in: Stern, Deutsche Wiedervereinigung 3, Zur Entstehung von Landesverfassungen, S. 267–293, in: Staats- und verfassungsrechtliche Vorschriften, S. 65–104, in: Schimpff/Rühmann, S. 697–727.

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die vierte Verfassung in der sächsischen Geschichte. Immer waren hier grundlegende Veränderungen die Ursache für neue Verfassungen gewesen. Am 5. Oktober 1830 hatte König Anton die Erarbeitung einer Verfassung angekündigt, nachdem es in Folge der Pariser Julirevolution im September 1830 in Sachsen zu Unruhen gekommen war. Mit der ersten Verfassung vom 4. September 1831 wurde die konstitutionelle Monarchie eingeführt. Diese Verfassung blieb bis zum Ende des 1. Weltkrieges in Kraft. Nach dem Ende der Monarchie am 13. November 1918 trat nach einem „vorläufigen Grundgesetz für den Freistaat Sachsen“ am 1. November 1920 die zweite sächsische Verfassung in Kraft, die später von den Nationalsozialisten außer Kraft gesetzt wurde. Nach der Zerschlagung des NS-Regimes verabschiedete der Sächsische Landtag am 28. Februar 1947 eine dritte Landesverfassung, diesmal unter dem Diktat der sowjetischen Besatzungsmacht. Sie verlor ihre Bedeutung mit der wenig später vollzogenen Auflösung der Länder durch die SED. Ihr folgte nun im Ergebnis der friedlichen Revolution und der deutschen Einheit die vierte sächsischen Verfassung.1065 Vor diesem Hintergrund ist der 27. Mai 1992 zurecht als ein Höhepunkt in der Geschichte des sächsischen Parlamentarismus bezeichnet worden.1066 Mit der Verabschiedung der Sächsischen Landesverfassung fand ein tiefgreifender revolutionärer Umbruch Ausdruck und Abschluss, dessen markantester Ausdruck die Systemveränderung im Zusammenhang mit der Herstellung der deutschen Einheit war.1067 Die materielle Verfassung Sachsens bestand freilich nicht allein aus dem formellen Verfassungsrecht der Landesverfassung, sondern auch aus anderen gewichtigen Gesetzen, die die Rechtsstellung staatlicher Organe maßgeblich beeinflussen. Dazu zählten das Abgeordnetengesetz, das Ministergesetz und die beamtenrechtlichen Gesetze, in denen die wichtigsten Grundsätze herkömmlichen Beamtenrechts landesrechtlich festgeschrieben wurden.1068 Auf die Inhalte der Landesverfassung, die u. a. Volksbegehren und Volksbefragungen vorsieht und ein Recht auf Wohnung und auf Arbeit als Staatsziele aufgenommen hat, wird, da diese Inhalte bereits mehrfach ausführlich beschrie-

1065 1066 1067

1068

Vgl. Schiemann, Vom „Gohrischer Entwurf“ zur Verfassung, S. 31 f. Vgl. Kaemmel, Sächsische Geschichte, S. 172. Nach Würtenberger, Die Verfassungsgebung, S. 116, war die Verfassungsgebung in den neuen Bundesländern kein Akt einer autonomen Entscheidung der verfassungsgebenden Gewalt, da es nicht um eine Verfassungsgebung gegangen sei, „bei der neue politische Grundentscheidungen getroffen und grundsätzliche Alternativen politischer Ordnung geregelt“ wurden. „Die Möglichkeit zu revolutionärer Verfassungsgebung“ sei „mit dem Beitritt der neuen Bundesländer zum Geltungsbereich des Grundgesetzes verbraucht“ gewesen. Dem ist entgegenzuhalten, dass gerade die deutsche Einheit das System nachhaltig revolutionierte, die Verfassungsgebung in Sachsen mitten im revolutionären Geschehen seine Wurzeln hat und die Länderverfassung markanter Ausdruck aller hier erfolgter revolutionärer Veränderungen ist. Vgl. Staats- und verfassungsrechtliche Vorschriften, S. XII.

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ben worden sind, hier nicht näher eingegangen.1069 Mit der Formulierung „Bewahrung der Schöpfung“ wurde eine ursprünglich christliche Wendung in die Verfassung aufgenommen und auf den konziliaren Prozess im Vorfeld der friedlichen Revolution Bezug genommen.1070 Nach Heitmann ist die Verfassung des Freistaates Sachsen von sechs Rahmenfaktoren gekennzeichnet, die für den „Erfolg“ einer Landesverfassung im Bundesstaat des Grundgesetzes von ausschlaggebender Bedeutung seien: 1. Verstehe sich die Verfassung nicht als Beitrag zur Belebung der verfassungstheoretischen und verfassungsrechtlichen Diskussion in Deutschland. Sie wolle nicht Keimzelle oder Treibsatz einer Ergänzung des Grundgesetzes um dort bislang unbekannte Elemente, namentlich der direkten Demokratie und der Zurückdrängung des Parlamentarismus, sein. 2. Erkenne sie die Bedingungen an, unter denen eine Landesverfassung im Bundesstaat des Grundgesetzes stehe. Das mache sich in zweierlei Hinsicht bemerkbar: Zum einen respektiere sie, dass nach der Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen die Länder, auch wenn ihnen das Recht der Landesverfassungsgebung unzweifelhaft zustehe, diejenigen Bereiche in ihren Verfassungen nicht zu regeln haben, für die der Bund eine abschließende Normierung kompetenzgerecht vorgenommen habe. Zum anderen wirke sich die gebotene Einfügung einer Landesverfassung in die bundesstaatliche Ordnung auch dort aus, wo dem Land nicht schon die Gesetzgebungsbefugnis schlechthin fehle. 3. Sei es ein charakteristisches Merkmal der Verfassung, dass sie jegliche Ideologisierung vermeide. Sie bekenne sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes. 4. Damit verbunden sei die Absicht der Verfassung, nur ein Grundgesetz für das Leben im Freistaat Sachsen zu bilden. Sie suche eine Befrachtung des Verfassungstextes mit solchen Regelungen zu vermeiden, die entweder aus Gründen der Offenhaltung des politischen Prozesses nicht in der Verfassung mit ihrer erschwerten Abänderbarkeit festgeschrieben werden sollten oder die zu sehr ins Detail gehen, ohne dass hierfür ein gerade nur in der Verfassung zu befriedigender Regelungsbedarf anzuerkennen wäre. Schließlich sei als Teil der Programmatik der Verfassung noch die möglichst klare Unterscheidung von einklagbaren Grundrechten und nicht einklagbaren Staatszielbestimmungen unter gleichzeitiger Beschränkung der Grundrechte auf das, was der Freistaat zumutbar leisten kann, zu nennen.1071 Die Sächsische Verfassung trat wegen des kürzeren Weges über das Landesparlament als verfassungsgebende Versammlung als erste der neuen Bundeslän1069

1070 1071

Zu den Einzelheiten der sächsischen Verfassung vgl. u. a. Degenhart, Grundzüge der neuen sächsischen Verfassung, S. 33–39; ders., Verfassungsrecht, S. 43–121; Heitmann, Die neue sächsische Verfassung, S. 2–8; Tautz, Die Entstehung einer Verfassung in Sachsen. Zur Architektur und den Einzelabschnitten der Sächsischen Verfassung vgl. von Mangoldt, Die Verfassungen der neuen Bundesländer, S. 36–42; ders. Grundzüge, S. 228–243. Zu Aufbau und Inhalt der Verfassung vgl. Hinds, Die neue Verfassung, S. 150 f.; Zu den Umweltbestimmungen in der sächsischen Verfassung vgl. Brönneke, Umweltverfassungsrecht. Vgl. Brönneke, Umweltverfassungsrecht, S.175. Heitmann, Entstehung und Grundgedanken, S. 16–22.

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der in Kraft. Die Verfassung des Landes Brandenburg wurde am 14. April 1992 vom Landtag verabschiedet und am 14. Juni 1992 durch Volksabstimmung angenommen. In Sachsen-Anhalt verabschiedete der Landtag am 16. Juli 1992 eine Verfassung ohne Volksabstimmung. In Mecklenburg verabschiedete der Landtag eine vorläufige Verfassung, die am 23. Mai 1993 in Kraft trat und später einer Volksabstimmung unterzogen wurde. In Thüringen wurde im Herbst 1993 eine vorläufige Verfassung in Kraft gesetzt, die im Herbst 1994 durch Volksabstimmung bestätigt wurde.1072 Alle neuen Landesverfassungen spiegeln bis heute ihre spezifischen Entstehungsbedingungen und Erfahrungen im Übergang von der kommunistischen Diktatur zur freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung wider. Die meisten von ihnen weisen breite Grundrechts- und Staatszielkataloge auf. Alle Entwürfe zeichnen sich durch „ein ernsthaftes Ringen um plebiszitäre Demokratieelemente“ aus und stellen Volksbegehren und Volksentscheid der parlamentarischen Repräsentation zur Seite.1073 So wurden in den Verfassungen von Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt plebiszitäre Verfahren im Dreiklang von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid eingeführt, die deutlich niedrigere Hürden haben als die entsprechenden Regelungen in den alten Bundesländern.1074 Iltgen meinte im Nachhinein, es habe sich gezeigt, dass Landesverfassungen, anders als es vielleicht noch in den Jahren vor der Wiedervereinigung in den alten Ländern schien, keineswegs blutarme Gebilde seien, die neben dem Grundgesetz lediglich ein Schattendasein führten. Vielmehr habe gerade die Verfassungsgebung in den neuen Ländern zu einer Renaissance des Landesverfassungsrechts geführt; nicht zuletzt dadurch, dass es sich durchweg um Vollverfassungen mit umfassenden Grundrechtsanteilen sowie mehr oder weniger weitgefassten Katalogen von objektiven Staatszielen handele.1075 Die sächsische Verfassung ist wie alle geschriebenen Verfassungen Ausdruck ihrer Zeit und, so von Mangoldt, „von historischem Sein und Bewusstsein geprägt“. Sie spiegele die historischen Verhältnisse zum Zeitpunkt des Verfassungsgebungsaktes. Die Betonung sozialer Bedürfnisse im Verfassungstext nach dem Ruin der DDR zeige dies ebenso wie das Bestreben zur Bewahrung sozialer und kultureller Errungenschaften sowie das Bemühen, einer als belastend empfundenen Vergangenheit Planskizzen für eine bessere Zukunft gegenüberzustellen. Es sei darum gegangen, der „demokratisch-zentralistischen“ Diktatur das Modell einer freiheitlichen, gewaltenteilenden, demokratischen Grundordnung gegenüberzustellen, und der „rücksichtslosen, staatskapitalis1072

1073 1074 1075

Vgl. Thüringer Landtag, Die Entstehung der Verfassung des Freistaates Thüringen 1991–1993; Dietlein, Die Verfassungsgebung, S. 401. Zu den Grundzügen der Verfassungen der neuen Bundesländer vgl. Würtenberger, Die Verfassungsgebung, S. 120–130. Zum Vergleich der Verfassungsentwürfe bzw. Verfassungen der neuen Bundesländer vgl. Dahnke, Verfassungsentwürfe der neuen Länder, S. 119–139; Rogner, Der Verfassungsentwurf, S. 160–177; Häberle, Die Verfassungsbewegung, S. 77–89. Zur Entwicklung in Thüringen vgl. Marek/Schilling, Neubildung, S. 68. Häberle, Die Verfassungsbewegung, S. 80. Vgl. Wollmann, Um- und Neubau, S. 21. Erich Iltgen, Zum Geleit. In: Schimpff/Rühmann, S. 7.

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tisch motivierten Umweltzerstörung“ das Konzept eines Schutzes der menschlichen Umwelt gegenüberzustellen, das kommenden Generationen das Leben im Freistaat lebenswerter machen kann.1076 Mit der Verabschiedung der Verfassung war der Prozess der Neubildung Sachsens als Freistaat der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen. Sachsen war damit endgültig ins jahrhundertealte Konzert der deutschen Länder zurückgekehrt.

1076

Von Mangoldt, Grundzüge, S. 221.

8.

Resümee

Sachsens Neubildung als Freistaat der Bundesrepublik Deutschland in der friedlichen Revolution 1989/90 beendete eine, historisch gesehen, kurze Phase sächsischer Nichtstaatlichkeit. In der bis ins Frühmittelalter zurückreichenden Landesgeschichte blieb den totalitären Diktaturen des 20. Jahrhunderts vorbehalten, was Preußen ein Jahrhundert zuvor nicht gelungen war, nämlich Sachsen als Staat völlig von der Landkarte verschwinden zu lassen. Zunächst wurde Sachsen von den Nationalsozialisten zu einem Gau des „Dritten Reiches“ degradiert, danach beendete die kommunistische Diktatur 1952 sein staatliches Eigenleben nach kurzem, pseudodemokratischem Intermezzo völlig. An die Stelle der Länder trat ein diktatorisch-zentralistischer Staat sowjetischen Musters. Fast vier Jahrzehnte gab es Sachsen nur als Landschaft und in der freilich intensiven historischen Erinnerung. Erst Ende der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts boten Veränderungen der globalen Machtverhältnisse und die damit einhergehende sowjetische Reformpolitik den Menschen hinter dem Eisernen Vorhang die Möglichkeit, ihre kommunistischen Willkürherrschaften abzuschütteln. Vom Herbst 1989 bis ins Jahr 1990 bereiteten auch in der DDR große Teile der Bevölkerung dem diktatorischen Regime ein Ende. Schwerpunkte der friedlichen Revolution lagen in Sachsen, wo Forderungen nach politischen Veränderungen wie überall in der DDR bereits nach wenigen Wochen im Drängen nach Wiedervereinigung gipfelten. Nur für kurze Zeit blieb das Ziel des Umbruchs offen; bald erhielt der Prozess eine Zielgerichtetheit, die alle Abläufe bestimmte. Die Revolution orientierte sich immer stärker an der wahrgenommenen Realität der Bundesrepublik Deutschland und an der Rückkehr zur Länderstruktur. In Ansätzen entwickelte Visionen einer alternativen Ordnung in einem zweiten deutschen Staat wurden schnell durch Konzepte ersetzt, wie das bundesdeutsche System effektiv und schnell auf die DDR übertragen werden könnte. Damit war der inhaltliche Gestaltungsspielraum auf Drängen der den Umbruch tragenden Bevölkerungsmehrheit recht klar definiert. Die politischen Auseinandersetzungen drehten sich fortan vor allem darum, in wessen Händen die Transformation in Richtung bundesdeutscher Ordnung liegen sollte. Bei der Bildung der neuen Länder ging es allerdings nicht allein um eine Adaption an das bundesdeutsche System, sondern zugleich um die Wiederaufnahme früherer Landestraditionen. Beides verband sich miteinander. In diesem Sinne war die Revolution in ihrem Charakter sowohl wiederanschließend als auch nachholend. Wie bei der Bildung der Bundesrepublik Deutschland an ältere freiheitlich-demokratische und föderale Traditionen angeknüpft worden war, so wurde dieser Prozess nun auch für das Territorium der DDR nachvollzogen. In der föderalen bundesdeutschen Ordnung sind die Länder konstitutive Elemente des Bundesstaates. Die Transformation in Richtung Bundesrepublik Deutschland vollzog sich in Sachsen im Wechselspiel der Übernahme der bun-

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desdeutschen Ordnung und der Gestaltung eines darin integrierten sächsischen Eigenlebens. Das Verhältnis beider Faktoren bestimmte die Auseinandersetzungen bei der Landesbildung in konzeptioneller wie in personeller Hinsicht. Dabei war dieser Prozess weniger von inhaltlichen Debatten über die Verfasstheit des neuen Sachsens bestimmt – hier lagen die Positionen der Akteure meist nicht so weit auseinander, wie aus Gründen der Eigenprofilierung gelegentlich behauptet –, vor allem ging es darum, in wessen Händen die Landesbildung liegen sollte. In dieser Frage kam es bei phasenbezogen wechselnden Konfliktkonstellationen zu Auseinandersetzungen unterschiedlicher Akteursgruppen. Sie prägten den Prozess maßgeblich, und ihre Auswirkungen reichten noch weit in die mit der Wiedervereinigung einsetzende Phase der Konsolidierung. Dabei lassen sich alle ausgetragenen Konflikte im Verhältnis der Faktoren aktiver Macht- und Gestaltungswille sowie Kompetenz und Legitimität interpretieren, Merkmale, die in der DDR durchweg von der SED beansprucht worden waren. Die Kommunisten hatten für sich, begründet mit ihrer „einzig wissenschaftlichen Weltanschauung“, eine ausschließliche sowie umfassende Kompetenz postuliert, sich zugleich als avantgardistische Aktivkraft schlechthin dargestellt und aus beidem den Anspruch auf eine angeblich historisch begründete Legitimität ihrer diktatorischen Herrschaft abgeleitet. Vor diesem Hintergrund ging es bei den Konflikten während des Prozesses der Demokratisierung auch um die Rückgewinnung und den Nachweis der Handlungsfähigkeit von Kräften, die in der DDR politisch unterdrückt worden waren. Der zunächst DDR-intern begonnene Streit nahm angesichts des Ganges der Ereignisse jedoch bald eine gesamtdeutsche Dimension an. Hinsichtlich der angestrebten staatlichen Einheit verfügten bundesdeutsche Experten über einen kaum einholbaren Kompetenzvorsprung und wurden so zu unentbehrlichen Partnern der DDR-Akteure. Bezüglich ihrer Legitimation zum politischen Handeln in der DDR waren sie hingegen auf letztere angewiesen. Generell beeinflussten sich die Faktoren Kompetenz, Legitimität sowie aktiver Macht- und Gestaltungswillen bei changierenden Konstellationen wechselseitig. Hauptakteure auf nationaler Ebene waren beide deutsche Regierungen sowie diejenigen der sächsischen Partnerländer Baden-Württemberg und Bayern, jeweils basierend auf den sie tragenden Parteien. Das wiederentstehende Sachsen verfügte im Einigungsprozess über keine eigene Stimme. Umgekehrt aber bestimmten alle genannten Regierungen über nachgeordnete Strukturen und delegierte Vertreter die regionalen sächsischen Auseinandersetzungen maßgeblich mit. Nur auf der Ebene der Region kamen eigenständige, selbsternannte Vertreter des entstehenden Sachsens hinzu, die sich nach Bezirken sowie ihren bisherigen Funktionen und Haltungen im SED-Staat sortierten. Hauptkonfliktlinien bei der Landesbildung verliefen im Westen zwischen Bund und Ländern, in der DDR zwischen „alten“ und „neuen“ Kräften, zwischen den Vertretern der Bezirke Dresden, Karl-Marx-Stadt/Chemnitz und Leipzig sowie zwischen denen der DDR-Regierung und der sächsischen Region. Ein Nebenkonflikt um Einfluss im entstehenden Sachsen wurde zwischen den Partnerländern Baden-

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Württemberg und Bayern ausgetragen. Die Konfliktkonstellationen wie die sie tragenden Akteure wechselten in Abhängigkeit von den Hauptphasen der Landesbildung, deren erste von den frühesten Forderungen der revoltierenden Bevölkerung bis zur Volkskammerwahl im März 1990 reichte. Ihr folgten die Zeit der demokratischen DDR bis zum Beitritt am 3. Oktober 1990 und schließlich die Phase der Landesbildung unter dem Dach der Bundesrepublik Deutschland. In der ersten Phase war die revoltierende Bevölkerung Sachsens Hauptakteur der Landesbildung. Ihr ab November nachdrücklich vorgetragener Wunsch nach Wiedererrichtung Sachsens fand Ausdruck auf Plakaten und Flugschriften sowie in Forderungen von Sprechern neuer Gruppierungen. Aber auch Blockparteien unternahmen erste entsprechende Profilierungsversuche. Rufe nach einer Rückkehr zur Länderstruktur hörte man vor allem in Territorien, die wie Sachsen früher bereits längere Zeit über eine eigene Staatlichkeit verfügt hatten. Sie waren zunächst unabhängig von denen nach deutscher Einheit zu hören, dienten also nicht primär dem Ziel, sich für die kommende bundesdeutsche Ordnung zu präparieren. Vielmehr hatten in Sachsen wie überall in der DDR Landes- und sonstige regionale Identitäten eigenständig fortgelebt. Während der SED-Diktatur war es auch nicht verboten gewesen, sich als Sachse, Thüringer oder Mecklenburger zu bekennen. Nicht gestattet war lediglich eine Identifizierung mit den auf dem Gebiet der DDR liegenden Teilen Vorpommerns oder Niederschlesiens bzw. mit den früheren ostdeutschen Ländern und Provinzen generell. Dabei ging es nicht um ethnische oder landsmannschaftliche Zugehörigkeiten, diese interessierten in der SED kaum, sondern um politische Fragen. Auch die Abschaffung der Länder war vor allem aus Gründen politischer Zweckmäßigkeit erfolgt. Der kommunistischen Führung war es um die für die Ausübung ihrer Diktatur dienliche Zentralisierung des Staates gegangen. Selbst in der sächsischen SED war die Auflösung der Länder seinerzeit auf ein geteiltes Echo gestoßen. Im Herbst 1989 suchten nun erhalten gebliebene regionale Identitäten neue Ausdrucksformen. Nicht nur im protestbereiten Teil der Bevölkerung war man sich daher bald über Parteigrenzen hinweg einig, dass es besser sei, zu den früheren Ländern zurückzukehren. Noch bevor über Form und Anzahl künftiger Länder entschieden worden war, bildeten Parteien und Organisationen Landesverbände, die sich an der Landesstruktur orientierten, wie sie bis 1952 bestanden hatte. Alternative Vorschläge von Wissenschaftlern, die Chance der Wiedervereinigung zur Schaffung größerer Länder zu nutzen, hatten angesichts des verbreiteten Wunsches nach Rückkehr zur früheren Länderstruktur im Osten keine Chance auf Realisierung. Die Fixierung auf die Länder der Nachkriegszeit hing damit zusammen, dass diese sich in der Zeit des allgemeinen Umbruchs und der damit einhergehenden Verunsicherung breiter Teile der Bevölkerung, unabhängig von sonstigen politischen Zielvorstellungen, als aus der Geschichte bekannte Identifizierungsgrößen anboten. In postulierten Landeszugehörigkeiten ließen sich im Übergangsprozess mit unbestimmtem Ausgang zudem Gesinnungen auf nationalstaatlicher Ebene „parken“. Sie stan-

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den weder der Identifizierung mit einer mehr oder weniger veränderten DDR im Wege noch der mit einem vereinten Deutschland. Freilich zeigten die bald beginnenden Auseinandersetzungen über die konkrete Gestaltung der Länder und deren nationalstaatlichen Rahmen den unmittelbaren Zusammenhang mit den jeweils angestrebten Hauptzielen der revolutionären Wende. Bei Anhängern einer eigenständigen, aber freiheitlich-demokratischen DDR wie bei denen einer Vereinigung mit der Bundesrepublik Deutschland drückte die Forderung nach Ländern zugleich die nach einer entsprechenden rechtsstaatlichen und föderativen Grundordnung aus. Hier ging es somit nicht nur um regionale Identitäten, sondern um politische Forderungen. In Ländern wurden, obwohl sie in früheren Zeiten durchaus keine entsprechenden Affinitäten gehabt hatten, Garanten einer freiheitlich-demokratischen Ordnung gesehen. Ursache ihrer neuen Deutung waren die Erfahrungen mit den überwundenen zentralistischen Diktaturen. Demokratie und Föderalismus schienen aber auch wegen des erfolgreichen bundesstaatlichen Modells im Westen Deutschlands zwei Seiten einer Medaille zu sein. In eigenständigen Bundesländern – wie auch in der kommunalen Selbstverwaltung – sah man Instrumente zur Verhinderung diktatorisch-zentralistischer Bestrebungen und zur Sicherung einer selbstbestimmten Form politischen Lebens. Im Übrigen war die Forderung nach Länderbildung nur in diesem Rahmen Teil revolutionärer Zielstellungen, wobei das Verlangen nach Bildung von Ländern der Bundesrepublik Deutschland auf dem Gebiet der DDR wegen der damit intendierten Beendigung der DDR-Staatlichkeit noch weiter griff als der bald marginalisierte Wunsch nach Föderalisierung einer freiheitlich-demokratischen DDR. Neue Länder einer zwar teildemokratisierten, aber weiterhin sozialistischen DDR hätten hingegen – wie das Gesamtmodell – lediglich eine Modifizierung der bislang bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung bedeutet. So nahe die Forderungen nach Länderbildung in den diversen politischen Lagern mithin zu liegen schienen, so unterschiedlich waren die zugrundeliegenden Zielvorstellungen. Freilich stellten sich auch überzeugte Anhänger einer reformierten DDR bald auf die staatliche Einheit samt Bundesländern ein. Ihre zunächst verfolgten Ziele beeinflussten nun ihr Verhältnis zur neuen, nicht mehr zu verhindernden gesamtdeutschen Realität. Zweiter wesentlicher Akteur der Länderbildung in der Phase bis zur Volkskammerwahl war der Staatsapparat. Bedingt durch die Entmachtung der SED sah er sich starken Veränderungen ausgesetzt. War die Länderbildung für die SED-Führung unter Egon Krenz noch kein Thema gewesen, so nahm die Regierung des Reformkommunisten Hans Modrow ab Ende des Jahres 1989 eine Verwaltungsreform in Angriff, die eine Rückkehr zur Länderstruktur nicht mehr ausschloss, ihr aber auch keine entscheidenden Impulse gab. Allerdings wurde mit Vorarbeiten begonnen, auf die sich die Regierung Lothar de Maizières später stützte. Bemerkenswert ist, dass es, bedingt durch die Zurückhaltung der Regierung Modrow in Sachen Länderbildung, zu einem kaum mehr kaschierten Interessengegensatz zwischen dem Ministerrat und Vertretern des zentralstaatlich gelenkten Staatsapparates auf Bezirksebene – vor allem in Dres-

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den – kam. Versuchte die Regierung, die Kontrolle über die immer mehr entgleitende revolutionäre Entwicklung zu behalten, so sprangen führende Vertreter der Räte der Bezirke bereits Anfang des Jahres 1990 auf den Zug in Richtung Länder auf. Besonders seit dem sich abzeichnenden Ende der DDR sahen sie hier Chancen, die Bezirksapparate in unverzichtbare Elemente der kommenden Landesverwaltung zu verwandeln und so den Landesbildungsprozess zu dominieren. Ideologische Paradigmen wurden von Zweckmäßigkeitserwägungen abgelöst, sofern diese nicht auch schon die Befolgung ideologischer Vorgaben bedingt hatte. Der Zerfall des diktatorischen Apparates zeigte sich – neben diesem Beispiel einer die Endphase diktatorischer Systeme charakterisierenden Elitedifferenzierung – auch darin, dass Amts- und Funktionsträger aller Parteien des bisherigen Blocks, ungeachtet bisheriger Hierarchien, gemeinsam um ihre berufliche Zukunft kämpften. Während Reste der Staatssicherheit als Modrows neuer Verfassungsschutz noch über die Verteidigung der angestrebten demokratisch-sozialistischen Ordnung sinnierten und etliche Bürgerrechtler weiterhin von einer freiheitlich-demokratischen oder sozialistischen DDR träumten, berieten sie längst, nach bisherigen Maßstäben höchst subversiv, mit westdeutschen Landespolitikern darüber, wie man die Verwaltungsstrukturen gemeinsam den bundesdeutschen Verhältnissen angleichen könnte. Während die Bundesländer Baden-Württemberg und Bayern in der ersten Phase der Landesbildung als direkte Akteure in Sachsen auftraten, konzentrierte sich die Bundesregierung auf nationale wie internationale Aspekte des Einigungsprozesses. Da sie die Bundesländer aus den Verhandlungen zur deutschen Einheit herauszuhalten suchte, kam es zu Spannungen im Bund-Länder-Verhältnis. Die Bundesländer kompensierten die verwehrte Einflussnahme durch Engagement beim Aufbau der neuen Länder und koordinierten ihre finanziellen Interessen gegenüber dem Bund. Ihr vordergründiges, mit dem „Fonds Deutsche Einheit“ auch durchgesetztes Interesse bestand darin, finanziell möglichst wenig belastet zu werden. Demgegenüber zeigten sie sich in ihren DDR-Partnerregionen durchaus solidarisch, wobei Hilfeleistungen und Eigeninteressen nicht im Widerspruch standen. Ihre Solidarität entsprach der politischen Zielvorstellung, eine vom Bund auf dem Weg der Wiedervereinigung angestrebte Stärkung seines Einflusses zu verhindern und künftige Partner im Streit um die Stärkung der Länderkompetenzen zu gewinnen. Sie half zudem, Wirtschaftskontakte zu knüpfen und Absatzmärkte zu erschließen. Die in Bayern wie in Baden-Württemberg gehegte Hoffnung auf eine Stärkung des Föderalismus sollte sich jedoch, wie die spätere Praxis bewies, als trügerisch erweisen. Vor allem in Baden-Württemberg hatte man hinsichtlich von Kontakten in die DDR kaum Berührungsängste. Hier hielt man die Vertreter des Staatsapparates der untergehenden Diktatur durchaus für geeignete Akteure der Bildung freiheitlich-demokratischer Bundesländer. Man setzte auf vorgefundene Machtstrukturen. Partner war, wer das Sagen hatte. Das von Ministerpräsident Lothar Späth geprägte Vorgehen orientierte sich an der Praxis zwischenstaatlicher Beziehungen mit dem Ziel von Vereinbarungen zum gegenseitigen Vorteil. Die da-

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raus resultierenden Partnerschaften mit Vertretern der Räte der Bezirke riefen jedoch, zunächst in Dresden, Vertreter neuer politischer Kräfte auf den Plan. Repräsentanten des Neuen Forums, der Gruppe der 20, des Demokratischen Aufbruchs, der SDP/SPD, der DSU und neuer Kräfte in der CDU waren nicht gewillt, tatenlos zuzusehen, wie Staatsfunktionäre mit westlicher Hilfe die Räte der Bezirke als Keimzellen des neuen Sachsens nutzen wollten. Nach ihrer Überzeugung galt es, den Geist der friedlichen Revolution auch in den Prozess der Landesbildung zu tragen. Einige erkannten im Verwaltungsumbau bereits eine Fortsetzung des revolutionären Prozesses. Nicht Verantwortungsträger des alten Regimes sollten das neue Sachsen gestalten, sondern Personen, die sich der Diktatur zumindest verweigert und in der friedlichen Revolution profiliert hatten. Der Streit wurde mit harten Bandagen geführt, stand doch für alle Seiten fest, dass die Kooperation mit den westlichen Partnern Voraussetzung für das eigene politische Überleben war. Die neuen Bundesländer konnten nicht ohne westliches Know-how ins komplexe bundesstaatliche System eingefügt werden. Entsprechend intensiv war das Werben auch der neuen Kräfte. Im Partnerland Bayern brauchte kaum Überzeugungsarbeit hinsichtlich der Bedeutung neuer Gruppierungen im revolutionären Prozess geleistet zu werden. Anders als in Stuttgart setzte man sowohl in der Staatsregierung als auch in der CSU-Führung von vornherein auf eine Unterstützung neuer Kräfte der eigenen politischen Richtung. Die bayerische Haltung war bestimmt von prinzipiellen Ressentiments gegenüber der Ost-CDU und schlug sich auch nach der Volkskammerwahl in der fortgesetzten Unterstützung der DSU als Modell einer neuen Union nieder, wie es Anfang des Jahres zunächst auch von Dresdner Bürgerrechtlern in Erwägung gezogen worden war. Die Fixierung auf eine so gewünschte Ausdehnung im vereinten Deutschland beeinträchtigte jedoch, besonders durch die Konkurrenz im Wahlkampf, die Möglichkeiten der Kooperation mit der sächsischen CDU-Führung und damit den bayerischen Einfluss in Dresden. Die unterschiedliche Haltung der beiden sächsischen Partnerländer hing somit mit dem divergierenden Verhältnis gegenüber der Ost-CDU zusammen. Hinsichtlich der Vorbehalte gegenüber den zu neuen demokratischen Ehren gelangten Funktionären der früheren Block-CDU stimmte man in Bayern mit den Akteuren des Koordinierungsausschusses überein. Diese konnten sich deswegen der politischen Unterstützung aus München sicher sein – ein Umstand, der für ihre politische Durchsetzung von Bedeutung war und auch die baden-württembergische Haltung in diesem Sinne beeinflusste. Im Verhältnis zum Partnerland Baden-Württemberg setzten sich Vertreter neuer Kräfte nur schrittweise und nach Auseinandersetzungen in der zunächst von den Räten dominierten „Gemischten Kommission Sachsen/Baden-Württemberg“ durch. Hier verdrängten Politiker wie Matthias Rößler oder Steffen Heitmann die Staatsfunktionäre Schritt für Schritt aus der Verantwortung und eroberten sich das Zutrauen der baden-württembergischen Seite. Unterstützt wurden sie dabei von Politikern wie dem Vorsitzenden der CDU-Landtagsfraktion, Erwin Teufel, der, auf der Parteischiene agierend, dem historischen Cha-

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rakter der revolutionären Situation eher Rechnung trug und sich – wie CDUGeneralsekretär Volker Rühe auf Bundesebene – bewusst für eine Stärkung der neuen politischen Kräfte einsetzte. Die Voraussetzungen für ihre Akzeptanz schufen sich die mit der Landesbildung befassten Vertreter der neuen Kräfte Sachsens allerdings selbst. Sie agierten recht geschlossen, eigneten sich schnell zur Landesbildung notwendige Grundkenntnisse an und bemühten sich stets, das Gesetz des Handelns in der Hand zu behalten. Ihre aus aktivem Macht- und Gestaltungswillen resultierende Haltung war in der Zeit des Umbruchs ein Wert an sich, vermittelte sie doch den Eindruck, ihr Handeln resultiere aus einer klaren Orientierung und folge einem plausiblen Konzept. Nicht nur unter Verweis auf die eigene „historische Rolle“ im revolutionären Prozess, sondern vor allem dank nachgewiesener eigener Kompetenz in einem den Umständen entsprechenden Maße gelang es, westliche Experten ins Boot zu holen. Im Koordinierungsausschuss waren diese mit den neuen Kräften bald so vernetzt, dass sie als gemeinsamer Handlungskörper wirkten, eine Symbiose, die zunächst der Vaatz -Gruppe zugute kam, schließlich aber auch den Verwaltungshelfern aus dem Westen, die sagen konnten, sie hätten auf neue Kräfte gesetzt. Durch Sachkenntnisse und einen aktiven Gestaltungswillen wurden die demokratischen Defizite kaschiert, die in der Zeit vor der ersten freien Wahl zwangsläufig alle politischen Akteure in der DDR hatten. Die Vertreter der unter dem Druck der Massenbewegung implodierenden Diktatur waren ohnehin nie durch freie Wahlen bestätigt worden. Aber auch bei den neuen politischen Parteien und Gruppierungen herrschte bis zu den ersten Wahlen Unklarheit bezüglich ihrer Verankerung im Volk. Sie beriefen sich darauf, Sprecher der revoltierenden Bevölkerung zu sein, was sich jedoch oft genug als Trugschluss erwies. Demgegenüber erhielt die bisherige Blockpartei CDU, welche die Stimmung der Bevölkerung offensichtlich besser aufgegriffen hatte, mit Abstand die meisten Stimmen. Sie galt durch ihre Mitgliedschaft in der Allianz für Deutschland als Partner von Bundeskanzler Helmut Kohl und hatte, anders als viele neue politische Gruppierungen, einen radikalen Systemwandel durch Wiedervereinigung zum Programm erhoben. Die Ost-CDU war damit unter dem Einfluss der West-CDU, gemessen an ihren programmatischen Forderungen, revolutionärer als manch revoltierender Reformer. Freilich trog der äußere Eindruck in dieser Hinsicht auch deshalb, weil die systemstürzende Linie der Partei von vielen Funktionären mit wenig Emphase vertreten wurde. Das wiederum blieb nicht ohne Auswirkungen auf den Prozess der innerparteilichen Differenzierung, bei dem die Anhänger eines klaren Westkurses längerfristig die besseren Karten hatten. Von der Bevölkerung wurde aber auch in Rechnung gestellt, dass keinesfalls nur diejenigen gegen das SED-Regime auf die Straße gegangen waren, die sich bis 1989 einer aktiven Mitarbeit in Staat und Gesellschaft enthalten und gegen das Regime opponiert hatten. Der gesellschaftliche Aufbruch machte sich zwar an den Namen neuer Gruppierungen wie dem des Neuen Forums fest, zog sich aber tatsächlich durch das gesamte politische Spektrum der Gesellschaft. Neues Forum hieß in diesem Sinne nur, sich wieder zum gesell-

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schaftlichen Diskurs zu treffen. In allen Parteien gab es den Willen zum Neuanfang, freilich mit gegensätzlichen Vorstellungen von Art und Grad der Veränderungen. Auch an der Basis der plötzlich entscheidend gewordenen Ost-CDU waren seit längerem Wünsche nach einer Änderung der politischen Verhältnisse geäußert worden. Nun wurde die latent pro-westliche Haltung einer Mehrheit der Mitglieder in Sachsen von den neu eingetretenen Kräften forciert, die das Debakel der neuen, meist linken Gruppierungen hatten kommen sehen und sich von vornherein an der westlichen Union orientierten. Nach anfänglichen Überlegungen zur Bildung einer neuen Union waren sie der Ost-CDU nur beigetreten, weil ihnen von der West-CDU bedeutet worden war, dass die bisherige Blockpartei der ostdeutsche Nukleus der künftig gesamtdeutschen CDU sein würde. In Dresden machten sich zum Ärger linker Bürgerrechtler bekannte Repräsentanten des Neuen Forums und der Gruppe der 20 auf den Weg durch die Institution Ost-CDU. Ihr Engagement im sächsischen Landesverband bestimmte fortan den Prozess der Neubildung Sachsens maßgeblich mit. Sie waren es auch, die, wie sonst nur Vertreter neuer Gruppierungen oder Parteien, und sogar in der Höhle des Löwen selbst, die Frage thematisierten, welche Rolle die dort tätigen CDU-Funktionäre zu Zeiten der Diktatur und im revolutionären Herbst 1989 gespielt hatten. Noch bevor ein Sieg der CDU bei den Märzwahlen abzusehen war, kam es hier zu internen Rivalitäten, deren gelegentliche Polemik erkennbar mehr der Durchsetzung der neuen Kräfte als der Wahrheitsfindung diente. Insgesamt aber setzten sie einen für die Erneuerung der Partei wichtigen Prozess in Gang. Bis zum Sieg der CDU am 18. März wirkte sich der Streit allerdings kaum auf die Landesbildung aus. Noch dominierte die unspezifische Auseinandersetzung mit allen Vertretern des bisherigen Staatsapparates, insbesondere natürlich mit denen aus den Reihen der SED/PDS. Die Volkskammerwahl am 18. März leitete eine neue Phase des revolutionären Umbruchs ein. Sie dauerte bis zum Beitritt der DDR am 3. Oktober 1990 und war von einer legalistischen, staatlichen Umsetzung der revolutionären Forderungen der Bevölkerung geprägt. Das hing damit zusammen, dass die Wahl einen anderen Charakter als in funktionierenden Demokratien hatte. Es galt nicht, dem Staat zugrunde liegenden Prinzipien zu entsprechen. Vielmehr erteilten die Wähler der Regierung den Auftrag, den vorhandenen Staat möglichst schnell aufzulösen und das Territorium der Bundesrepublik Deutschland einzugliedern. War der Mehrheitswille für einen schnellen Weg zur deutschen Einheit bislang nur eine begründete Vermutung gewesen, so ließ die Wahl daran keine Zweifel mehr. Mit ihrer konstitutiven Mehrheitsentscheidung für die Wiedervereinigung nach Artikel 23 des Grundgesetzes war die Volkskammerwahl vom März 1990 in ihren staats- und systemstürzenden Auswirkungen selbst markanter Bestandteil des revolutionären Umbruchs. Weg und Ziel der Transformation waren nun klar vorgegeben. Es begann ein Systemwechsel, dessen Spezifik in der Übertragung eines bereits funktionierenden Institutionen- und

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Rechtssystems einschließlich des Transfers von Eliten zur Besetzung von Führungspositionen in den neuen politischen, administrativen und wirtschaftlichen Strukturen bestand. Modifiziert wurde der Prozess in den sich herausbildenden Bundesländern dadurch, dass parallel zur Übernahme bundesdeutscher Strukturen an eigene, den Diktaturen vorausgegangene Traditionen angeknüpft wurde. Auch neue Ideen spielten eine Rolle. Bei den entscheidenden Akteuren der Neubildung Sachsens führte die Wahl zu Verschiebungen bzw. zu einer Neubewertung ihrer Rolle und Bedeutung. Die Faktoren Legitimität, Kompetenz sowie aktiver Macht- und Gestaltungswille blieben wirksam, verteilten sich jedoch im interaktiven Geflecht der Handelnden neu. So prägte der Erfolg der CDU im Bündnis mit Demokratischem Aufbruch und DSU die Landesbildung fortan maßgeblich. Dafür verschwand die SED/PDS fast vollständig von der Bildfläche. Das Allianz-Konzept des Bundeskanzlers, die mitgliederstarke Ost-CDU mit neuen Parteien zu koppeln, war aufgegangen. Etwas anders war die Situation in Sachsen, wo wichtige Vertreter des Neuen Forums und der Gruppe der 20 bereits Anfang des Jahres 1990 in den sächsischen Landesvorstand kooptiert worden waren. Die sächsische CDU stand somit auch ohne den Schmuckrahmen der Allianz nicht unter alleiniger Dominanz bisheriger Funktionsträger der Blockpartei, sondern stellte ein Konglomerat – wenn auch ungleicher Teilmengen – alter und neuer Politiker dar. Entscheidend war hier zudem, dass sich für die Zeit bis zur ersten Landtagswahl ein parteiübergreifendes, personengebundenes Zweckbündnis neuer Kräfte bildete, das den Rahmen der Allianz für Deutschland sprengte und eher an die Zusammensetzung der Berliner Regierungskoalition erinnerte. Es resultierte aus bisherigen gemeinsamen Interessen am Runden Tisch des Bezirkes Dresden, reichte von der SPD über DSU und Demokratischen Aufbruch bis zur Vaatz-Gruppierung im CDU-Landesvorstand, die vom Willen beseelt waren, die Landesbildung keinesfalls bisherigen Verantwortungsträgern der DDR zu überlassen. Diese alternative Allianz unter Einschluss von Akteuren aus SPD und selbst von Bündnis 90 prägte die politische Kultur Sachsens bis in die Zeit nach der Freistaatsbildung mit. Ihre Grundlage war die gemeinsame und generelle Ablehnung aller höheren Funktionäre des Partei- und Staatsapparates des SEDStaates. Die politische Hauptkonfliktlinie im Prozess der Landesbildung verlief im Folgenden nicht zwischen alter CDU und neuen politischen Kräften, sondern innerhalb der CDU selbst. Führende Altfunktionäre versuchten, der für sie nicht ungefährlichen Allianz neuer Kräfte in und außerhalb der CDU mit einem Kurs der Versöhnung innerhalb der Partei zu begegnen und so die eigenen Reihen zu schließen. Dazu aber war man in der Vaatz-Gruppe nur bedingt bereit. Sah man in den einfachen Mitgliedern durchaus Partner, galt dies für Nomenklaturkader des SED-Staates nicht. So wurde zum Beispiel der sächsische CDULandesvorsitzende und frühere CDU-Bezirkschef von Karl-Marx-Stadt, Klaus Reichenbach, nach dem Sieg über die SED, obwohl inzwischen durch innerparteiliche Wahlen demokratisch legitimiert, als früherer DDR-Funktionär der

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zweiten Reihe bekämpft. In seinem Fall wurden besonders strenge Maßstäbe angelegt, strebte er doch nach dem höchsten Amt im künftigen Staate Sachsen. Die spezifische Konstellation in den teils erbitterten Auseinandersetzungen um die personelle Besetzung der künftigen Spitzenämter Sachsens war das Resultat des besonderen Charakters des Transformationsprozesses in der DDR. Wegen der Zielgerichtetheit des Prozesses fehlte den meisten neuen Kräften die Möglichkeit und der Wille, sich mittels politischer Utopien zu profilieren und von Vertretern des bisherigen Regimes abzuheben, die inzwischen auf dieselben Karten setzten. In inhaltlichen Fragen lagen Vertreter neuer Gruppierungen aus dem liberal-konservativen Lager und CDU-Funktionäre auch angesichts adaptierter westlicher Programme nicht weit auseinander. Mit ihrem Kurs einer möglichst raschen Wiedervereinigung vertraten die CDU-Funktionäre inhaltlich sogar einen radikaleren Kurs als viele Wortführer der Bürgerbewegungen auf DDR-Ebene. Die von der CDU angestrebte Verwirklichung der real existierenden Utopie „Bundesrepublik Deutschland“ in der DDR bedeutete einen wesentlich gravierenderen Einschnitt als das Ergebnis aller sonst vorgetragenen Utopieansätze zusammen. Durch die Spezifik der Revolution des versuchten Anschließens an die bundesdeutsche Entwicklung hatten neue Eliten nicht die Bedeutung wie in Revolutionen mit wirklich utopischen Zielen. Zwar war die Übertragung des bundesdeutschen Systems auf das Territorium der DDR wegen seines systemändernden Charakters ebenfalls ein revolutionärer Akt, andererseits bedurfte es dazu nicht des kühnen Muts und zukunftsweisender Visionen avantgardistischer Revolutionäre. Änderungswillige Technokraten der Macht, angeleitet von westlichen Experten des Zielmodells, schienen sogar zweckmäßiger, zumal die Wiedervereinigung angesichts äußerer Zwänge der Entwicklung nicht für eigentlich überfällige Reformen am bundesdeutschen System genutzt wurde. Für die Bundesregierung war die Ost-CDU, flankiert von neuen politischen Kräften, ein geeignetes Instrument, die bundesdeutsche Ordnung auf den Osten zu übertragen. Für die Partei, wie sie 1945 unter ihrem Gründer, dem ehemaligen Reichsminister und Mann des Widerstandes gegen das NS-Regime, Andreas Hermes, angetreten war, bedeutete diese Aufgabe zugleich einen Akt historischer Gerechtigkeit, war sie doch durch die SED-Diktatur über Jahrzehnte an einer möglichen, aus freien Wahlen resultierenden Regierungsverantwortung gehindert und durch politische Repression und Unterwanderung zur kleinbürgerlichen, ideologisch bornierten Blockpartei degradiert worden. Für die Regierung de Maizière war unter diesen Umständen klar, dass in den bisherigen Räten der Bezirke geeignete Experten saßen, um gemeinsam mit bundesdeutschen Verwaltungshelfern die Landesbildung in die Hand zu nehmen. Wie Funktionäre aus den Blockparteien führende Ämter in der Regierung übernahmen, so erfolgte dies auch auf Bezirksebene. Berührungsängste mit den dortigen Vertretern des Staatsapparates gab es nicht, hatten viele der seit April Verantwortung tragenden Politiker doch selbst in diesen Apparaten gewirkt und sich dabei durchaus nicht als Instrumente der Diktatur gefühlt. Hinzu kam, dass

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die Regierung keine personellen Alternativen sah und angesichts der knappen Personaldecke froh über jeden leistungsfähigen CDU-Funktionär war. Die weitere Arbeit der bisherigen Staatsfunktionäre aus den verschiedenen Blockparteien einschließlich der SED in den Bezirksverwaltungen zeigte eine aus ihrer bisherigen gemeinsamen Tätigkeit resultierende Vertrautheit. Zwar wechselte man angesichts der neuen Verhältnisse die politische Führung, Abteilungs- und Referatsleiter blieben jedoch ungeachtet ihrer bisherigen Parteizugehörigkeit meist im Amt und wurden wie selbstverständlich als Personalreserve für die Landesverwaltung behandelt. Die Staatsfunktionäre aus den Blockparteien sahen sich bei einer pragmatisch-opportunistischen Grundhaltung als Technokraten der jeweiligen Macht, kaum jedoch als Exponenten der ausgedienten SEDIdeologie. Sie brauchten ihre bisherige Einstellung, unter den jeweils gegebenen Verhältnissen verantwortlich mitzuwirken, kaum zu modifizieren. Diese Haltung war es wohl auch, die sie westlichen Leihbeamten vertrauter erscheinen ließ als „Revoluzzer“ aus dubiosen Bürgerbewegungen. Bedenken wurden bei ihnen auch dadurch zerstreut, dass die SED auf Bezirksebene entmachtet war, die neuen Bezirksverwaltungen der demokratisch gewählten Regierung unterstanden und von Gremien regionaler Volkskammerabgeordneter kontrolliert wurden. Bis zu ihrer Auflösung Ende Mai 1990 hatten auch die teildemokratisierten Bezirkstage und die Runden Tischen der Bezirke noch ein Mitspracherecht. Gegen dieses Konzept gab es in der gesamten DDR kaum Widerstand. Legalistisch korrekt wandte die Regierung de Maizière das Prinzip repräsentativer parlamentarischer Demokratie an. Dass man es dabei an dem für die zweite Phase des revolutionären Prozesses gebotenen Fingerspitzengefühl fehlen ließ, ist zum einen fehlender Praxis, zum anderen auch einer Unsicherheit hinsichtlich des nach Jahrzehnten politischer Unterdrückung kaum vermuteten Sieges geschuldet, den man sich nun nicht mehr streitig machen lassen wollte. Im Eifer des Gefechts ging die Regierung freilich auch in Fragen der Länderzugehörigkeit, für die nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland aus gutem Grund plebiszitäre Verfahren vorgesehen waren, gegen Formen direkter Demokratie vor. So setzte sich die Regierung de Maizière hinsichtlich der Zuordnung strittiger Kreise zu den entstehenden Ländern über Volkes Willen hinweg und ließ stattdessen über die Parteischiene beeinflussbare Kreistage entscheiden. Das Vorgehen führte zu Protesten in der Bevölkerung – so besetzten aufgebrachte Bürger der Grenzregionen die Autobahn Dresden-Berlin – und beförderte in den betroffenen Regionen nicht gerade die Herausbildung eines demokratischen Bewusstseins. Vor allem aber nutzte die Regierung die Möglichkeit, aus der friedlichen Revolution hervorgegangene Gremien wie Runde Tische oder Bürgerkomitees aus dem Rennen zu werfen. Das machte aus ihrer Sicht deswegen Sinn, weil diese mancherorts als politisch-gesellschaftliche Ersatzinstrumente marginalisierter Kräfte genutzt wurden, die den Wahlsieg der CDU bedauerten und fälschlich als Ende des revolutionären Prozesses deuteten. Kern des sich darin ausdrückenden Konflikts war – neben politischen Meinungsverschiedenheiten – der Umstand, dass zwar die CDU die Wahl korrekt

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gewonnen hatte, jedermann aber wusste, dass der Sieg nicht direkt der bisherigen Ost-CDU, sondern einer erst im Entstehen begriffenen CDU als Teil der von Kohl geschmiedeten Allianz mit den Partnern DSU und Demokratischer Aufbruch galt. In Sachsen waren mit der CDU zugleich zwei recht unterschiedliche Strömungen innerhalb der Partei gewählt worden, ohne dass sich genau bestimmen ließ, wem der Sieg vor allem gebührte. Diese Situation gab Anlass zu kontroversen Deutungen über die jeweilige Rolle. Auch in den politischen Auseinandersetzungen der Länderbildung positionierten sich beide Gruppierungen unterschiedlich. So saßen sich am Runden Tisch des Bezirkes Dresden nicht wie sonst CDU und andere Altparteien einerseits sowie neue politische Gruppierungen und Parteien andererseits paritätisch gegenüber. Vielmehr übernahmen hier nach dem Auszug der Altfunktionäre der CDU im April 1990 die neuen politischen Kräfte um Vaatz die Plätze der CDU und schufen sich so ein politisch bedeutsames Handlungsinstrument. Der Runde Tisch des Bezirkes Dresden beschloss unter dem Einfluss der Gruppe Vaatz und anderer neuer Kräfte wie Peter Adler für die SPD und Matthias Rößler für den DA trotz gegenteiliger Beschlüsse von Regierung und CDU-Hauptvorstand seine Weiterarbeit und wandelte sich im Streit „neu gegen alt“ zum Machtinstrument neuer politischer Kräfte. Dies war wiederum nur durch den gemeinsamen Willen von Vertretern programmatisch recht unterschiedlicher Parteien und von CDU-Landesvorstandsmitglied Vaatz möglich, die Landesbildung nicht früheren Exponenten des Regimes, einschließlich der jetzt gewählten CDU-Funktionäre, zu überlassen. Dabei waren die von der SPD und anderen neuen Parteien ohnehin vorgetragenen Bedenken gegen CDU-Altkader auch in der CDU nicht die Ausnahme. Die Frage beschäftigte den CDU-Bundesvorstand schon seit Beginn der getrennten Entwicklung in Ost und West vor mehr als vierzig Jahren. Seit dem Herbst 1989 standen sich nun vor allem Generalsekretär Volker Rühe als Befürworter einer bevorzugten Unterstützung neuer Gruppierungen eigener Couleur und Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble gegenüber, der den Apparat der Ost-CDU und damit Kontakte zur Führung der Partei für unverzichtbar hielt. So war es auch die Rückendeckung aus Bonn, die den Neuen im CDU-Landesverband noch vor dessen Fusion mit dem Demokratischen Aufbruch ein besonderes Gewicht verlieh. Die neuen Kräfte in Dresden wurden dadurch in die Lage versetzt, ihr Modell einer alternativen Landesbildung gegen die Räte der Bezirke bzw. Bezirksverwaltungsbehörden durchzusetzen und dem von ihnen ins Leben gerufenen „Koordinierungsausschuss zur Bildung des Landes Sachsen“ den notwendigen Respekt zu verschaffen. Sah sich die Regierung de Maizière auch in anderen Bezirken mit Modifizierungen bei der Landesbildung konfrontiert, so stellte der Dresdner Weg, aus dem ein sächsisches Modell wurde, wegen seines erkennbar politischen Charakters für sie eine besondere Herausforderung dar. In ihm kam die ambivalente Haltung der Führung der Bundes-CDU gegenüber dem Vorstand der Ost-CDU zum Ausdruck, die bereits Anlass für die Bildung der Allianz für Deutschland

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gewesen war. Aus dem Willen, die teils unterschiedlichen Wege der Bezirke bei der Landesbildung mit ihrer zentralen Länderbildungspolitik kompatibel zu machen, beschloss die Regierung, den Koordinierungsausschuss komplett als regierungsoffiziellen Landesbildungsapparat Sachsens zu integrieren und ihn so in abgeleiteter Form mit der eigenen parlamentarisch-demokratischen Legitimierung auszustatten. Grundlage für diese Entscheidung war die im Koordinierungsausschuss bereits geleistete, kaum ersetzbare inhaltliche Arbeit zur Landesbildung, die wiederum zum nicht unerheblichen Teil den inzwischen integrierten westlichen Experten zu verdanken war. Dem vom bisherigen Koordinator des Runden Tisches des Bezirkes Dresden, Erich Iltgen, geleiteten „Sächsischen Forum“, das als Runder Tisch der drei Bezirke zunächst für eine vorparlamentarische, aus dem revolutionären Geschehen abgeleitete Legitimierung des Koordinierungsausschusses sorgen sollte, blieb dadurch nur noch die Funktion der Popularisierung der Politik des Koordinierungsausschusses. Dennoch gelang dem „Sächsischen Forum“ dank dem politischen Geschick seines Leiters der symbolische Brückenschlag von den Runden Tischen zum Sächsischen Landtag. Außerdem ging man so der leidigen Frage der demokratischen Legitimierung eines Runden Tisches Sachsens aus dem Wege. Hatte die Regierung gehofft, den Koordinierungsausschuss mit der Inkorporierung ins Regierungssystem beeinflussen und lenken zu können, sah sie sich allerdings getäuscht. Unter der Regie von Vaatz zog dieser die Landesbildung immer weiter an sich und führte, nur formal als Arbeitsbereich der Dresdner Bezirksverwaltungsbehörde, ein politisches Eigenleben als Hort der Kräfte, deren Ziel es war, Sachsen nicht durch frühere Funktionsträger des SED-Staates bilden zu lassen. Hier wiederum bestimmten nicht allein Vaatz und seine Mitstreiter das Geschehen, sondern auch SPD, DSU, Demokratischer Aufbruch und andere neue Kräfte, mit denen de Maizière ja auch in Berlin noch koalierte. Durch die formale Inkorporierung des Koordinierungsausschusses als Stellvertreterbereich des Dresdner Regierungsbevollmächtigten für die Landesbildung aber tat sich ein weiteres Konfliktfeld auf. Zwischen den Bezirken Chemnitz, Dresden und Leipzig kam es zu Irritationen, weil der Koordinierungsausschuss nicht länger als Gremium eines zunächst konzipierten Runden Tisches Sachsens gedacht war, sondern formal dem Dresdner Regierungsbevollmächtigten zugeordnet wurde. Chemnitz und Leipzig drängten auf Parität, wobei geflissentlich übersehen wurde, dass Aktivitäten wie in Dresden als Grundlage einer gleichrangigen Landesbildungsarbeit fehlten. Außerdem lag die Landesbildung hier, wie sonst in allen Bezirken der DDR, in den Händen bisheriger Staatsfunktionäre aus den Räten der Bezirke, die von Vertretern neuer Gruppierungen wie dem Demokratischen Aufbruch kaum kontrollierbar waren. Sie setzten auf das offizielle Landesbildungskonzept der Regierung, bei dem die maßgeblichen Aktivitäten, gesteuert durch Regionalausschüsse, in ihren eigenen Händen liegen sollten. Der Streit, der zugleich alte sächsische Konfliktmuster widerspiegelte, beeinflusste die folgende Landesbildung und fügte den vielschichtigen Auseinandersetzungen eine regionale Komponente hinzu.

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Andererseits trug er zum unerlässlichen Interessenausgleich zwischen den seit Jahrzehnten unabhängig voneinander existierenden Bezirken bei, den die auf den Konflikt „neu gegen alt“ fixierten Akteure des Koordinierungsausschusses zunächst kaum im Blick hatten. Die sächsische Sonderentwicklung, die im Wesentlichen vom Koordinierungsausschuss und den ihn tragenden Kräften durchgesetzt wurde, vollzog sich daher auch in ständiger Auseinandersetzung mit Chemnitz und Leipzig. Der Preis, der für die singuläre Rolle des Koordinierungsausschusses bei der Neubildung Sachsens und die Durchsetzung seiner auf Erneuerung setzenden Personalpolitik schließlich zu zahlen war, bestand in der Akzeptanz der Einrichtung von Regierungspräsidien in den bisherigen Bezirksstädten auf Grundlage der Apparate und des Personals der Räte der Bezirke – eine Lösung, die eigentlich weder Vaatz noch später Biedenkopf wünschten. Zur Annäherung der Bezirke kam es hingegen durch das gemeinsame Bemühen, der als zentralistisch bewerteten Länderbildungspolitik der Regierung de Maizière mit einer gemeinsamen sächsischen Phalanx zu begegnen. Im Bestreben, die Bildung des Landes maßgeblich mitzugestalten, trat dabei vorübergehend sogar der – in der Sache ohnehin nicht immer begründete – Streit zwischen neuen und alten Kräften zurück. Im unmittelbaren Vorfeld des Beitritts und der Neugründung Sachsens kulminierte die Auseinandersetzung um die personelle Besetzung der Führungsämter in Ministerien und nachgeordneter Verwaltung. Noch einmal wurden alle bisherigen Akteure initiativ. Die Frage des Personals kann, da hinsichtlich der inneren Ausgestaltung des Landes prinzipielle Einigkeit herrschte, als Hauptkonflikt bei der Landesbildung angesehen werden. Zunächst kam es zur Auseinandersetzung um den CDU-Spitzenkandidaten für das Amt des sächsischen Ministerpräsidenten. Nachdem die Vaatz-Gruppe den CDU-Landesvorsitzenden, Klaus Reichenbach, als Spitzenkandidaten verhindert hatte, einigten sich alle Seiten schließlich auf den früheren CDU-Generalsekretär Kurt Biedenkopf. Strittig blieben bis zuletzt die Modalitäten der Personalgewinnung. Die westdeutschen Partnerländer konkurrierten um einflussreiche Führungsposten für ihre Verwaltungshelfer, die neuen Kräfte aus dem Umfeld des Koordinierungsausschusses bemühten sich, möglichst viele unbelastete Personen für die Landesverwaltung zu gewinnen, die Funktionäre der Bezirksverwaltungen drängten ebenfalls in Leitungsfunktionen, und Bundes- und DDR-Regierung versuchten, wenn auch vergeblich, den Einigungsvertrag zu nutzen, um die Länder zur Übernahme von Personal aus der bisherigen DDR-Verwaltung zu zwingen. Die Verhinderung dieses Personalcoups beider Regierungen geht auf das Konto der Volkskammerabgeordneten, die zunächst das zugrundeliegende Länderbildungsgesetz selbst mit verabschiedet hatten. Nun, angesichts des bevorstehenden Endes der Volkskammer, sahen sie sich zunehmend als Interessenvertreter der Länder, in denen sie ihre Mandate erhalten hatten. Sie bewirkten eine entsprechende Modifizierung des in den Einigungsvertrag übernommenen Länderbildungsgesetzes und sicherten den Ländern damit in dieser Frage weitgehende Handlungsfreiheit. Die auf dieser Grundlage vom Koordinierungsaus-

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schuss durchgesetzte Ausschreibung für Verwaltungsfunktionen räumte keiner Seite Vorrechte ein, schuf verbindliche Richtlinien für jeden Bewerber und hatte so einen von allen akzeptierten Kompromisscharakter. Da die neuen Kräfte jedoch für ihren eigenen Einfluss auf die Besetzungen sorgten, gelang es, wohl mit Ausnahme der Regierungspräsidien, eine Dominanz früherer Mitarbeiter des Staatsapparates zu verhindern. Dies konnte gelingen, weil der von der DDR-Regierung eingesetzte Landessprecher für Sachsen den Koordinierungsausschuss und dessen Arbeitsstäbe in seinen eigenen Landesbildungsapparat verwandelte. Der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland stellte den Höhepunkt der friedlichen Revolution dar. Die bei Demonstrationen und durch die Märzwahl ausgedrückte Hauptforderung der Bevölkerung wurde Realität. Über Nacht verschwand mit der politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, sozialen und rechtlichen Ordnung der inzwischen demokratisierten TransitionsDDR deren Staatlichkeit. An ihre Stelle traten die neuen Länder. Mit dem Beitritt begann die dritte Phase der Entwicklung. Sie war von der Übertragung der bundesdeutschen Ordnung auf das bisherige Territorium der DDR und Ost-Berlins sowie durch den Aufbau der neuen Länder geprägt und ging peu à peu in einen Konsolidierungsprozess über, der bis heute andauert. Die Länderbildung erfolgte im unmittelbaren Zusammenhang mit den hier skizzierten Phasen der revolutionären Entwicklung und war zu jedem Zeitpunkt eine ihrer wichtigsten Komponenten. Die Zäsuren des Prozesses zur deutschen Einheit waren dabei auch die wesentlichen Wegmarken auf dem Weg zum Freistaat Sachsen. Zunächst aber geriet durch die krisenhafte Entwicklung der DDR im Sommer 1990 das gesamte Beitrittsszenario durcheinander. Bedingt durch das daraus resultierende Vorziehen des Beitrittstermins auf den 3. Oktober 1990, geriet die zeitliche Koordinierung von Wiedervereinigung und Länderbildung aus den Fugen. Die Folge war, dass die Länder ins Leben traten, bevor sie über Anfänge legislativer, exekutiver und judikativer Strukturen verfügten. Für zirka drei Wochen unterstanden sie direkt der Bundesregierung, formal gelenkt von Landesbevollmächtigten, die dem Bundesinnenministerium zugeordnet waren. Tatsächliche Statthalter des Bundes aber waren in Sachsen die Vertreter des Bundes in der Bund-Länder-Clearingstelle, allen voran der Clearingkoordinator für Sachsen, Günter Ermisch. Er hatte für die Passfähigkeit des neuen Landes im bundesdeutschen System zu sorgen. Für kurze Zeit war die Bundesrepublik Deutschland ein teilföderativer Staat, bestehend aus souveränen Bundesländern und im Auftrag von Bund und Bundesländern zentral geleiteten neuen Ländern. Für die politischen Auseinandersetzungen in Sachsen war in dieser Phase fehlender Souveränität entscheidend, dass sich der Koordinierungsausschuss erneut durchsetzen konnte. Dank inzwischen sogar DDR-weit konkurrenzloser Kompetenz wandelte er sich für die Interimszeit zum Landesbildungsinstrument des Landesbevollmächtigten und wurde endgültig von der Bezirksverwal-

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tungsbehörde abgekoppelt. Seine demokratische Legitimierung leitete sich nun von der Bundesregierung ab. Der Koordinierungsausschuss hatte seit seiner Bildung mehrere Metamorphosen durchlebt. Konzipiert als Exekutivorgan eines geplanten Runden Tisches für Sachsen, wandelte er sich zunächst zum Stellvertreterbereich des Dresdner Regierungsbevollmächtigten für Länderbildung, später zum Organ des Landesbevollmächtigten für die Landesbildung und schließlich bis zur Vereidigung des Kabinetts zur ersten provisorischen Exekutive des Ministerpräsidenten. Auf seinem Apparat und den Ausarbeitungen seiner Strukturbereiche basieren sowohl die exekutiven als auch die legislativen und judikativen Strukturen des heutigen Freistaates. Seine Vorarbeiten beeinflussten auf dem Umweg über die Bund-Länder-Clearingstelle in Bonn auch die Bildungsprozesse der anderen neuen Länder. Sein zeitlich kurzer Weg ist aus mehreren Gründen am besten als Erfolgsgeschichte zu beschreiben; sein Durchmarsch zur Macht hängt mit den bereits erwähnten Faktoren Legitimation, Kompetenz und aktiver Macht- und Gestaltungswillen zusammen. Letzterer basierte auf der Überzeugung einer eigenen politischen Mission der Akteure im Umbruchprozess. Die neuen Kräfte im Koordinierungsausschuss hatten Erfolg, weil es ihnen stets gelang, die Legitimationsgrundlage des Ausschusses durch Anpassung an die politischen Rahmenbedingungen zu gewährleisten, die anstehenden Aufgaben mit schnell wachsender eigener sowie eingeworbener Kompetenz zu meistern, und weil sie aktiv, gestaltungswillig und machtorientiert handelten. Sie folgten dabei der aus den Motiven der friedlichen Revolution resultierenden Zielstellung, das freiheitlich-demokratische Bundesland Sachsen nicht auf den institutionellen und personellen Fundamenten der SED-Diktatur errichten, sondern durch neue politische Kräfte, unterstützt von bundesdeutschen Experten, aus der Taufe heben zu lassen. Die Tatsache, dass bei diesem Prozess breite Kreise der neuen politischen Bewegungen Sachsens ebenso wie die erneuerungswilligen Mitglieder früherer Blockparteien integriert wurden, schuf dem Freistaat Sachsen ein breites Fundament, das die politische Kultur Sachsens bis heute prägt. Mit der Konstituierung des Landtages und der Wahl Biedenkopfs zum Ministerpräsidenten begann die eigentliche Etablierung des Freistaates. Die Arbeitsstäbe des Koordinierungsausschusses waren nun unmittelbar an der Bildung der Ministerien und der nachgeordneten Landesverwaltung beteiligt. Der VaatzGruppe war es gelungen, eine weitgehende Übernahme politischer Spitzenämter durch frühere Funktionäre der Block-CDU – wie in Sachsen-Anhalt, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern – zu verhindern. Die führenden Funktionen der Staatsregierung wurden von westdeutschen Experten und Vertretern neuer politischer Kräfte dominiert. Lediglich in der CDU-Landtagsfraktion überwogen Mitglieder und Funktionäre der früheren Blockpartei CDU, die ohne die Arbeit des Koordinierungsausschusses selbstverständlich eine andere Regierung unter Klaus Reichenbach gebildet hätte. So aber kam es lediglich zu gelegentlichen Scharmützeln zwischen Landtagsfraktion und Staatsregierung, die Biedenkopf aber ausgleichen konnte. Krisenhafte Entwicklungen, wie sie in den

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anderen Bundesländern, in denen führende Funktionäre der früheren Blockpartei regierten, bald folgten, blieben dadurch aus. Der dort parlamentarisch ausgetragene Konflikt hatte in Sachsen bereits vor der Neugründung des Landes stattgefunden und belastete nun die Arbeit von Regierung und Opposition wenig. Politischen Nutzen zog daraus vor allem die CDU, die sich kaum ernsthaften Vorwürfen wegen der Blockvergangenheit der Partei ausgesetzt sah. Dass sie ihre Mehrheit im Lande dadurch langfristig stabilisieren konnte, war wohl das wichtigste Ergebnis der politischen Bemühungen der Akteure des Koordinierungsausschusses. Die 1990 beginnende Erfolgsgeschichte der sächsischen CDU war aber auch der Person Kurt Biedenkopfs als dem Kompromiss- und schließlich auch Wunschkandidaten der verschiedenen Seiten zu verdanken, dem der Ausgleich gegensätzlicher Interessen gelang. Dabei sympathisierte auch er eher mit den neuen Kräften und stellte seine Regierungsarbeit ausdrücklich in die Tradition des Koordinierungsausschusses. Das hieß jedoch nicht, dass er eine andauernde Fortsetzung der Auseinandersetzungen politisch für zweckmäßig und geboten hielt, zumal wenn diese zwischen Staatskanzlei und CDU-Landesvorstand stattfanden. Mit seiner Person verbindet sich der Beginn der politischen Konsolidierung Sachsens. In dem ihm entgegengebrachten Respekt aller Seiten drückte sich zugleich der Wunsch der Bevölkerung aus, nach den Querelen der „Wende“ zur bundesdeutschen Normalität überzugehen. Der Prozess der Bildung des Freistaates Sachsen begann mit Forderungen nach einer Wiederherstellung der Länder im Herbst 1989 und endete mit der Bildung des ersten Kabinetts unter Kurt Biedenkopf ein Jahr später. Er war Teil der friedlichen Revolution, an deren Anfang der Wille großer Teile der Bevölkerung nach einem Ende der SED-Diktatur stand und die in der staatlichen Einheit Deutschlands gipfelte. Angesichts des Transitionsprozesses in Richtung Bundesrepublik Deutschland, bei dem die Ziele recht klar vorgegeben waren, ging es bei der Landesbildung weniger um inhaltliche Fragen als um den Kampf unterschiedlicher Akteursgruppen um Einfluss auf die kommende Landesverwaltung. Die Hauptkonfliktlinie lief dabei zwischen „alten“ und „neuen“ Kräften in und außerhalb der CDU der DDR bzw. des Landesverbandes Sachsen. Zum Zünglein an der Waage wurden die für den Verwaltungsaufbau notwendigen Experten aus den Partnerländern Baden-Württemberg und Bayern. Mit ihrer Hilfe und unter dem Einfluss des CDU-Bundesvorstandes gelang es dem von Vertretern neuer Kräfte unterschiedlicher Parteien gebildeten Koordinierungsausschuss zum bestimmenden Element der Landesbildung zu werden. So konnte er sein politisches Hauptziel durchsetzen, die Landesbildung durch neue Kräfte aus der Region maßgeblich mitzugestalten und eine Federführung früherer Spitzenfunktionäre des Partei- und Staatsapparates zu verhindern. Statt des ehemaligen Bezirksvorsitzenden der CDU von Karl-Marx-Stadt wurde Kurt Biedenkopf als gemeinsamer Kandidat der widerstreitenden Kräfte erster sächsischer Ministerpräsident. Ihm gelang es schließlich, eine Phase politischer Konsolidierung einzuleiten.

9.

Anhang

9.1

Tabellen

Tabelle 1: Ergebnis der Volkskammerwahl am 18. 3.1990 in Sachsen (in Prozent) Tabelle 2: Ergebnisse der wichtigsten Parteien bei den Wahlen in Sachsen 1930, 1932, 1946 und am 18. 3.1990 Tabelle 3: Ergebnis der Wahlen zu den Kreistagen und Stadtverordnetenversammlungen der Stadtkreise in Sachsen am 6. 5.1990 (in Prozent) Tabelle 4: Kommunen mit Mehrheiten für Sachsen beim Bürgerentscheid über die Landeszugehörigkeit des Kreises Senftenberg im Juli 1990 (in Prozent) Tabelle 5: Ergebnisse der Bürgerbefragungen in den Kreisen in Bezug auf Sachsen (in Prozent) Tabelle 6: Territoriale, gemeinde- und bevölkerungsmäßige Zusammensetzung von DDR Kreisen in Bezug auf Sachsen 1989 Tabelle 7: Leiter der Fachgruppen und Arbeitsgruppen der Gemischten Kommission Sachsen / Baden-Württemberg mit Datum ihrer Nennung Tabelle 8: Landesstrukturbeauftragte bzw. Strukturbeauftragte der Regierungsbevollmächtigten der drei sächsischen Bezirke mit Datum ihrer Nennung Tabelle 9: Vergleich des Landes Sachsen 1952 und 1990 Tabelle 10: Verzeichnis der Parteien, politischen Vereinigungen und Listenvereinigungen, die sich an der Landtagswahl am 14.10.1990 im Freistaat Sachsen beteiligten Tabelle 11: Ergebnisse der Landtagswahlen am 14.10.1990 im Freistaat Sachsen Tabelle 12: Mitglieder des Sächsischen Landtages (1. Wahlperiode 1990–1994) Tabelle 13: Sitzverteilung im Sächsischen Landtag Tabelle 14: Sitzverteilung in den Landesparlamenten aller neuen Bundesländer Tabelle 15: Ausschüsse des Sächsischen Landtages, (1. Wahlperiode, Stand Mai 1991) Tabelle 16: Sächsische Staatsregierung (1. Kabinett Biedenkopf) Tabelle 17: Aufstellungsstand der Sächsischen Staatsregierung am 10. 8.1991 Tabelle 18: Längerfristige Entsendungen Bayerns aus den Geschäftsbereichen der obersten Landesbehörden März / April 1991 nach Sachsen und Thüringen

1040

Anhang

Tabelle 1: Ergebnis der Volkskammerwahl am 18. 3.1990 in Sachsen (in Prozent)1 Sachsen insgesamt Wahlbeteiligung Ungültige Stimmen Gültige Stimmen

davon Bezirk Dresden

Karl-Marx- Stadt

Leipzig

93,58

93,25

94,60

92,53

0,56

0,51

0,54

0,69

99,44

99,49

99,46

99,31

darunter gültige Stimmen für die Liste: CDU

43,41

44,70

44,95

38,97

SPD

15,05

10,10

15,64

21,83

PDS

13,60

15,24

11,29

14,67

DSU

13,09

13,32

14,79

10,05

Liberale

5,69

5,57

5,98

5,44

Bündnis 90

2,97

3,54

2,07

3,49

DBD

1,88

2,86

1,07

1,64

Grüne-UFV

1,75

1,79

1,61

1,90

DA

0,93

1,03

0,98

0,69

Tabelle 2: Ergebnisse der wichtigsten Parteien bei den Wahlen in Sachsen 1930, 1932, 1946 und am 18. März 1990. Landtagswahlen in Sachsen (22. Juni 1930) SPD 33,5 % NSDAP 14,2 % KPD 13,7 % DNVP 4,7 % Reichstagswahlen in Sachsen (31. Juli 1932) NSDAP 40,8 % SPD 28,8 % KPD 17,5 % DNVP 4,6 % 1

Statistisches Jahrbuch 1990 Sachsen, S. 62 (absolute Zahlen S. 61).

1041

Tabellen Landtagswahlen in Sachsen (20. Oktober 1946) SED 49,1 % LDP 24,7 % CDU 23,3 % Volkskammerwahlen auf dem Gebiet Sachsens (18. März 1990) CDU 43,4 % SPD 14,9 % PDS 13,5 % DSU 13,3 % Liberale 5,7 %

Tabelle 3: Ergebnis der Wahlen zu den Kreistagen und Stadtverordnetenversammlungen der Stadtkreise in Sachsen am 6. 5.1990 (in Prozent)2 Sachsen insgesamt Wahlbeteiligung

Dresden

Chemnitz

Leipzig

75,97

74,31

78,61

74,48

6,20

6,37

6,42

5,58

93,80

93,63

93,58

94,42

Ungültige Stimmen Gültige Stimmen

davon: Bezirk

Gültige Stimmen für die Liste B.F.D.3

6,92

7,20

6,79

6,73

CDU4

41,21

41,53

44,89

34,90

DBD5

2,91

3,82

2,47

2,22

DSU

7,21

8,47

7,68

4,56

NF (Bündnis 90)6

4,82

4,96

4,76

4,71

PDS7

11,66

12,96

10,27

11,90

SPD8

14,73

9,85

12,66

25,40

2 3 4 5 6 7 8

Ebd., S. 65 (absolute Zahlen S. 64). Im Kreis Chemnitz-Land als Listenvereinigung mit der DFP. In Dresden als Listenvereinigung mit dem DA und der DFP. Im Kreis Brand-Erbisdorf als Listenvereinigung mit der DSU. Im Kreis Freital als Listenvereinigung mit dem Bauernverband e. V. In Dresden und Leipzig sowie den Kreisen Freiberg und Eilenburg als Bündnis 90 mit Demokratie Jetzt und der Initiative für Frieden und Menschenrechte. Im Kreis Aue als Listenvereinigung mit der Grünen Partei. In Dresden als Listenvereinigung mit den Nelken und der KPD. Im Kreis Sebnitz als Listenvereinigung mit der Grünen Partei. Im Landkreis Dresden als Listenvereinigung mit dem Neuen Forum und der Grünen Partei.

1042

Anhang

Tabelle 4: Kommunen mit Mehrheiten für Sachsen beim Bürgerentscheid über die Landeszugehörigkeit des Kreises Senftenberg im Juli 1990 (in Prozent)9

Kroppen Großkmehlen Tettau Ortrand Lindenau Jannowitz Ruhland Grünewald Hermsdorf Guteborn Hohenbocka Hosena Schwarzbach Grünewalde Lauchhammer Peickwitz Schwarzheide

Brandenburg 1,1 1,9 1,9 3,2 3,4 4,4 8,2 8,5 10,0 10,2 12,8 20,0 21,6 22,3 23,4 28,4 43,2

Sachsen 98,9 98,1 98,1 96,8 96,6 95,6 91,8 91,5 90,0 89,8 87,2 80,0 78,4 77,7 76,6 71,6 56,8

9 Bürgerentscheid über Länderzugehörigkeit Juli 1990 Kreis Senftenberg (MAO, unsortiertes Material).

1043

Tabellen Tabelle 5: Ergebnisse der Bürgerbefragungen in den Kreisen in Bezug auf Sachsen (in Prozent)10 Kreis

Beteiligung

Kreistagsentscheid für

Bürgerbefragung für11 Sachsen

Thüringen

Altenburg

55,33

53,81

46,19

Thüringen

Schmölln

60,72

18,08

81,92

Thüringen

Sachsen Brandenburg Hoyerswerda

57,10

87,80

12,20

Sachsen

Senftenberg

61,70

54,10

45,90

Brandenburg

Weißwasser

69,40

82,20

17,80

Sachsen

Sachsen

Sachsen-A.

Delitzsch

78,29

89,26

10,74

Sachsen

Eilenburg

74,79

89,64

10,35

Sachsen

Torgau

56,46

93,74

6,26

Sachsen

Sachsen Bad Liebenwerda

58,15

53,10

Sachsen-A. Brandenburg 21,40

25,50 Brandenburg

10 Zusammenfassung der Ergebnisse der Bürgerbefragungen (BArch B, DO 5, 138). 11 Genannt sind die Optionen, die jeweils zur Wahl standen.

1044

Anhang

Tabelle 6: Territoriale, gemeinde- und bevölkerungsmäßige Zusammensetzung von DDR Kreisen in Bezug auf Sachsen 198912 Kreis Bezirk Cottbus Hoyerswerda

aus dem Land (1952)

Gemeinden 31.12.1989

Einwohner 31.12.1989

Brandenburg Sachsen Brandenburg Sachsen Sachsen-Anhalt Brandenburg Sachsen

1 41 14 10 4 1 23

8 101 69 15 29

Thüringen Sachsen Thüringen Sachsen Thüringen Sachsen Thüringen Sachsen

62 1 47 4 31 4 29 3

55 1 29 2 34 4 49 5

Sachsen Sachsen-Anhalt

41 1

96 040 391

Sachsen Thüringen Sachsen-Anhalt Borna Sachsen Thüringen Geithain Sachsen Thüringen Leipzig Sachsen Sachsen-Anhalt Oschatz Sachsen Sachsen-Anhalt Schmölln Sachsen Thüringen Bezirk Karl-Marx-Stadt Plauen Sachsen Thüringen Werdau Sachsen Thüringen

1 31 3 33 1 31 1 42 7 29 1 1 22

1 98 2 85

Senftenberg

Weißwasser Bezirk Gera Gera Schleiz Zeulenroda Greiz Bezirk Dresden Riesa Bezirk Leipzig Altenburg

39 1 19 2

043 804 180 139 450 238 60 231

34 111 20 50

31

661 757 085 844 049 545 804 167

114 531 104 068 927 700 713 567 167 523 522 187 420

22 741 220 65 302 4 582

12 Schreiben des Statistischen Amtes der DDR an den Staatssekretär im Ministerrat, Manfred Preiß, vom 3.4.1990, Anlage 2 (BArch B, DO 5, 137).

1045

Tabellen

Tabelle 7: Leiter der Fach- und Arbeitsgruppen der Gemischten Kommission Sachsen / Baden-Württemberg13 Baden-Württemberg Leiter GK

Sachsen

16. 5. 90 Hans-Peter Mengele 21. 3. 90 Andreas Mauksch

Wirtschaft, Technologie, 21. 3. 90 Hans-Jürgen Lux Handwerk und Management

21. 3. 90 Andreas Mauksch 27. 7. 90 Wolfram Hoschke

10. 3. 90 Jürgen Kleditzsch 18. 7. 90 Grosche 14. 2. 90 Jörg Wildoer 14. 2. 90 Gerhard Haag 18. 7. 90 Hort Metz 16. 5. 90 Manfred Hacker 16. 5. 90 Dieter Riempp 18. 7. 90 Gerd Medger 30.1. 90 Helga Nossek 30.1. 90 Klaus Esslinger 18. 7. 90 Frau Buschbeck 9. 2. 90 Herbert Göpfert 9. 2. 90 Ernst Füßlin 18. 7. 90 Karl Heinz Bauer 30.1. 90 Klaus Schumann 30.1. 90 Hans-Dieter Schmidt 18. 7. 90 Wolfgang Weber 22. 3. 90 22. 3. 90 Matthias Rößler Karl-Heinz Kammerlohr 21. 5. 90 21. 5. 90 Matthias Rößler Karl-Heinz Kammerlohr 18. 7. 90 16. 5. 90 Wolf-Ulrich Müller Klaus-Erich Husemann 27. 2. 9 0 Wolfgang Rank 27. 2. 90 Ulrich Hieber 23. 7. 90 Jürgen Namysloh 21. 2. 90 Günter Mielke 21. 2. 90 Hans-Joachim Jäger 23. 7. 90 Christfried Gebauer

Soziales, Gesundheit, Arbeit 10. 3. 90 Wolfgang Zeller Umwelt Finanzen Fremdenverkehr Kommunale Partnerschaft Kultur Wissenschaft und Bildung14 Hochschulen und Wissenschaft Schule, Jugend Sport (Bildung) Bauwesen, Städtebau und Denkmalpflege Ländlicher Raum und Landwirtschaft Straßenbau und Verkehr

6/90 Dirk-Ulrich Hoedt

Verfassung, Verwaltungsreform

16. 5. 90 Hans-Peter Mengele 4. 4. 90 Steffen Heitmann

AG Verwaltungsstruktur

16. 5. 90 Hartmut Kübler

AG Verfassung

4. 4. 90 Rainer Wellhöfer 24. 7. 90 Johannes Gläser

16. 5. 90 4. 4. 90 Steffen Heitmann Konrad Freiherr von Rotberg 16. 5. 90 Walter Schmid 4. 4. 90 Holger Löser

AG Aus- und Fortbildung AG Kommunale Selbstverwaltung AG Polizeiwesen und Innere 16. 5. 90 Hanspeter Sturm Sicherheit AG Medien 16. 5. 90 Edmund Merkel

4. 4. 90 Lutz Boden 4. 4. 90 Rudi Rödszus

13 Jeweils erste und letzte Nennung. Zu den Mitgliedern der Fachgruppen der Gemischten Kommission vgl. HAIT, Heitmann, Gem. Komm. BW / Sachsen. 14 Am 21. 5. 90 Teilung in die FG „Hochschulen und Wissenschaft“ sowie „Schule, Jugend, Sport“.

1046

Anhang

Tabelle 8: Landesstrukturbeauftragte bzw. Strukturbeauftragte der Regierungsbevollmächtigten der drei sächsischen Bezirke mit Datum ihrer Nennung15

Landtag Staatskanzlei Wirtschaft

– Energie – Handel – Tourimus Finanzen

Dresden Landesstrukturbeauftragte 27. 7. Erich Iltgen 19. 9. Erich Iltgen 13. 7. Michael Kinze 19. 9. Michael Kinze 13.7. Herbert B. Schmidt 4.9. Herbert B. Schmidt 4.9. Walter Hornig 4.9. Helga Nossek 4.9. Dieter Bellmann 13.7. Manfred Kolbe 4. 9. Frau Hietzge 19. 9. Manfred Kolbe

Chemnitz Leipzig Strukturbeauftragte Strukturbeauftragte

26. 7. Roland Seyd

15. 8. Johannes Gläser

26.7. 15.8. Paul-Willy Heilmann Wolfgang Pfeufer

26. 7. Peter Schönach

Justiz

9. 7. Edeltraut Thaut 9. 7. Steffen Heitmann 13. 7. Edeltraut Thaut 26. 7. Herr Zenker 23. 8. Edeltraut Thaut u. Eberhard Stilz 19. 9. Edeltraut Thaut

Gerichtsaufbau

19. 9. Steffen Heitmann

15. 8. Frau Hoffmann, Bruno Staguhn

15. 8 Keilitz, Kupetz

15 Angegeben werden erste und letzte Nennungen sowie Modifizierungen. Datumsangaben ohne Fußnoten entstammen den Modellen einer Landesregierung des Koordinierungsausschusses: Modell einer Landesregierung Sachsen vom 9. 7.1990 (HAIT, KA, 44); Modell einer Landesregierung Sachsen vom 13. 7.1990 ( ebd.); Modell einer Landesregierung Sachsen vom 26. 7.1990 (ebd.); Organigramm Landesregierung Sachsen vom 1. 8.1990 (ebd.); Organigramm Landesregierung Sachsen. 15. 8.1990 (ebd. 45). Angaben vom 23. 8. aus Anlage (unredigierte Bandaufzeichnung) zur Niederschrift der 2. öffentlichen Beratung des Sächsischen Forums am 23. 8.1990 (ebd. 2). Angaben vom 4. 9. 90 aus: MRKA: Information über die Bestellung der Landessprecher und über die durch die Landessprecher benannten Beauftragten für die Bildung der künftige Ministerien bzw. Ressorts auf Länderebene. Berlin, 4. 9.1990, gez. Preiß. Anlage 2 ( ebd. 10.1). Bei den Nennungen vom 4. 9. 90 handelt es sich um Vorschläge von Klaus Schumann, von denen nur die die Funktion tatsächlich auch ausübten, die bis dahin ohnehin schon im Amt waren. Die von ihm nur vorgeschlagenen Funktionen und Personen sind kursiv gesetzt.

Tabellen

Inneres

Dresden Landesstrukturbeauftragte 9. 7. Peter Berauer 13. 7. Hartmut Kübler 15. 8. Hans Bozenhard 4. 9. Siegfried Protze 19. 9. Thomas Hirschle 19. 9. Hans Bozenhard

Landwirtschaft

13. 7. Jürgen Gülde

Ernährung, Landwirtschaft und Forsten

4. 9. Jürgen Gülde

Umwelt (und 1. 7. Kurt Kny Landesentwicklung) 19. 9. Kurt Kny Umwelt und Naturschutz

4. 9. Manfred Wölke

Kultus

13. 7. Matthias Rößler 23. 8. Matthias Rößler Klaus Erich Husemann (Schulen) Alexander Schintlmeister (Kultur) Manfred Werner, Andreas Jenkner (Wissenschaft und Hochschulwesen) 19. 9. Matthias Rößler

Kultur

4. 9. Ingo Zimmermann

1047

Chemnitz Leipzig Strukturbeauftragte Strukturbeauftragte

9. 7. Schneider 26. 7. Horst Krüger 15. 8. Horst Krüger (Dr. Kunze) 23. 8. Horst Krüger

15. 8. Henning Diestel 23. 8. Henning Diestel, Thomas Hirschle, Mikla

26. 7. Gerald Thalheim

15. 8. Christfried Gebauer

26. 7. Werner Reimann

1. 8. Dieter Halbig

26. 7. Wolfgang Weber

15. 8. Michael Weber

1048

Anhang Dresden Landesstrukturbeauftragte

Chemnitz Leipzig Strukturbeauftragte Strukturbeauftragte

Soziales

13. 7. Bernd Kunzmann 15. 8. Irmtraud Schirotzek 23. 8. Irmtraud Schirotzek, Reiner Schrenker 19. 9. Irmtraud Schirotzek, Reiner Schrenker

26. 7 Herr Bigl

Gesundheitswesen, Arbeit und Soziales

4. 9. Heidemarie Neubert

1. 8. Volker Rust

Bildung, Jugend und 4. 9. Herr Martin Sport Familie und Frauen

4. 9. Frau Kühnert

Medien

27. 7. Helmut Schmitt16

Landesvermögen / Gebäude

1. 7. Hermann Henke 19. 9. Hermann Henke

Bau und Raumplanung

9. 7. Wolfgang Rank

Bauwesen, 4. 9. Wolfgang Rank Städtebau und Wohnungswirtschaft Verkehr, Post und Fernmeldewesen

4. 9. Peter Franke

Information und Dokumentation

19. 9. Herr Israel

16 Protokoll über die 1. Koordinierungsberatung der stellvertretenden Regierungsbevollmächtigten für die Länderbildung der Bezirksverwaltungsbehörden Chemnitz, Dresden und Leipzig am 27. 7.1990 (Dok. 107).

1049

Tabellen Tabelle 9: Vergleich des Landes Sachsen 1952 und 199017 1952

1990

17 010

18 337

5 686 216

4 841 613

334

264

Stadtkreise

6

6

Landkreise

28

48

1 516

1 617

Fläche (Hektar) Einwohner Bevölkerungsdichte (je qkm)

Kreisangehörige Städte und Gemeinden18

Tabelle 10: Verzeichnis der Parteien, politischen Vereinigungen und Listenvereinigungen, die sich an der Landtagswahl am 14.10.1990 im Freistaat Sachsen beteiligten19 Nr.

Liste

Bezeichnung

1

DA

Bürgerbewegung Demokratischer Aufbruch „sozial + ökologisch“

2

CDU

Christlich-Demokratische Union Deutschlands

3

Chr.L

CHRISTLICHE LIGA – Die Partei für das Leben

4

DBU

Deutsche Biertrinker Union

5

DSU

Deutsche Soziale Union

6

FDP

Freie Demokratische Partei – Die Liberalen

7

LL -PDS

Listenvereinigung „Linke Liste – PDS“ Die Nelken, FDJ, KPD, MJV, PDS

8

NPD

Nationaldemokratische Partei Deutschlands

9

FORUM

Listenvereinigung „NEUES FORUM/BÜNDNIS / GRÜNE, DEMOKRATIE JETZT, Die Grünen, NEUES FORUM, UFV“

10

RAP

Reine Arbeiter Partei

11

SHB

Sächsische Humanistische Bewegung

12

SPD

Sozialdemokratische Partei Deutschlands

17

Vgl. Gemeinschaftsstelle der Länder für Landes- und Kommunalfragen: Territorialvergleich 1952 und 1990 der Land- und Stadtkreise der Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. November 1990 (BArch B, DO 5, 216). Angaben 1952: Statistischer Stand vom 31. 8.1950. 18 Statistische Angaben der kreisangehörigen Städte und Gemeinden per 31.12.1989 in den Grenzen der Landkreise bis 1952. 19 Quelle: Freistaat Sachsen 1991/92. Das Jahrbuch, S. 28.

1050

Anhang

Tabelle 11: Ergebnisse der Landtagswahlen am 14.10.1990 im Freistaat Sachsen20 VK-Wahl 18. 3. 90 in %

Nr.

Liste

Erststimmen

in %

Zweitstimmen

in %

1

DA21

8 775

0,3

14 894

0,6

2

CDU

1 321 619

50,8

1 417 332

53,8

3

Chr. L





12 851

0,5

4

DBU

5 724

0,2

12 530

0,5

5

DSU

150 399

5,8

94 347

3,6

13,1

6

FDP

173 556

6,7

138 376

5,3

5,7

7

LL -PDS

286 432

11,0

269 420

10,2

13,6

8

NPD





17 727

0,7

9

FORUM

183 182

7,0

147 543

5,6

10

RAP

398

0

3 232

0,1

11

SHB





2 448

0,1

12

SPD

458 385

17,6

502 722

19,1

14 918

0,6





übrige

44,3

4,8

15,1

20 Quelle: ebd., S. 29. 21 Der DA fusionierte mit der CDU. Zur Landtagswahl trat die „Bürgerbewegung Demokratischer Aufbruch ‚sozial + ökologisch‘“ an, die den Beitritt nicht vollzogen hatte.

1051

Tabellen

Tabelle 12: Mitglieder des Sächsischen Landtages (1. Wahlperiode 1990–1994)22 CDU-Fraktion

Name

MdL von bis23

Funktion in der Fraktion (1. WP)

Wahlkreis / Landesliste

OstBis zur CDU bis Fusion Herbst DBD24 24 1989 M M

Albrecht, Uwe Bandmann, Volker Baum, Winfried Beyer, Wolf-Dieter Biedenkopf, Prof. Dr. Kurt

10/90 Vorstand 10/90 Vorstand 11/91–10/94 10/90

WK WK LL WK

10/90

LL

Binus, Karl-Heinz

10/90–10/94

1. Stellv. Vors.

WK

M

Böhm, Adolf Börner, Eckhard Böttrich, Dr., Heinz Bolick, Gunter Brückner, Günter Buttolo, Dr. Albrecht Clemens, Martin Colditz, Thomas Czok, Karl Dierich, Dr. Peter Dirschka, Joachim Einsle, Siegrun Enders, Wolfgang Franke, Dietmar Gallert, Horst Goliasch, Herbert Gregori, Dietrich Groß, Friedbert Gruhle, Gertraude

10/90–2/91 10/90–10/94 Vorstand 10/90–10/99 10/1990 10/90–10/94 10/90–10/94 10/90–10/94 10/90 10/90–10/94 10/90 10/9021/91 11/91 10/90–10/99 10/90–10/99 10/90–10/94 10/90–10/99 Vors. 10/90–10/91 10/90–10/99 Vorstand 11/91–10/99

WK WK WK WK WK WK WK WK LL WK WK LL WK LL WK WK WK WK LL

B M B

CDU ab 10/1989, Partei / Org. 1989/9025

M DA W

X X K M M K K DDR K M DA K K K B M

22 Der sächsische Landtag, 1. Wahlperiode 1–3. Auflage; Der sächsische Landtag, 2. Wahlperiode; Der sächsische Landtag, 3. Wahlperiode. Kursiv: Beginn der Abgeordnetentätigkeit ab 1991. 23 Bei fehlender Angabe zum Ende der Abgeordnetentätigkeit dauert diese an (2004). 24 M = Mitglied; K = Funktion im Partei- und Staatapparat auf Kreisebene; B = Funktion im Partei- und Staatapparat auf Bezirksebene; DDR = Funktion im Partei- und Staatsapparat auf DDR-Ebene. 25 W = vorher West-CDU, X = keine Angaben zur Mitgliedschaft in Parteien / Organisationen 1989/90.

1052

Anhang

Name

Funktion in der MdL von bis Fraktion (1. WP)

Wahlkreis / Landesliste

Grüning, Dr. Uwe Günther, Klaus de Haas, Frederike Hähle, Dr. Fritz Hähnel, Eckmar Hahn, Andreas Hauck, Christian Heinrich, Peter Heinz, Andreas

10/90 2/91–10/94 10/90 10/90 10/90–11/91 10/90 10/90–10/99 10/90–10/94 10/90

WK LL WK WK WK WK WK WK LL

Stellv. Henke, Rita 10/90 Vors. Hubrig, Andrea 10/90–10/99 Vorstand Husemann, Dr. Klaus 10/90–10/94 Iltgen, Erich 10/90 Jahr, Dr. Peter 10/90 Vorstand Kannegießer, 10/90 Hans-Jörg Keller, Karin 10/90–10/99 Klaußner, Dr. Bernd 10/90–10/94 Klinnert, Werner 10/90–10/99 Kockert, Gerhard 10/90–10/94 Krause, Dr. Rudolf 10/90–11/91 Krone, Dr. Günter 10/90–10/94 Kühnel, Johannes 10/90–10/94 Kühnrich, 10/90–10/99 Klaus-Dieter Kulscher, Ursula 10/90–10/99 Laue, Dr. Dietmar 10/90–10/94 Lehmann, Heinz 10/90 Vorstand Lehner, Hans Heinz 10/90 Vorstand Leroff, Klaus 10/90 Lippmann, Dr. 10/90 Eberhard Madai, Wolfgang 10/90–10/94 Mannsfeld, Dr. Karl 10/90 Vorstand Matko, Karl 10/90–10/94 Mende, Lothar 10/90–10/94 Metz, Dr. Horst 10/90

OstBis zur CDU bis Fusion Herbst DBD 1989

NF B X X K M M M M

WK

K

WK WK WK LL

K

WK

M

WK WK WK WK WK WK WK

B DDR K B DDR

WK

M

WK WK WK WK WK

M M M M

X X M

X M

W

LL WK WK WK WK LL

CDU ab 10/1989, Partei / Org. 1989/90

X K B M K K

1053

Tabellen

Name

Müller, Helmut Münch, Dr. Helmut Noack, Ludwig Nollau, Prof. Dr. Volker Nowak, Dr. Wolfgang Pausch, Siegfried Pfordte, Helmut Pietzsch, Thomas Rasch, Horst Rauchalles, Arndt Reber, Stephan Reinfried, Dr. Dieter Richter, Dr. Christoph Richter, Gerd Rohwer, Lars Rößler, Dr. Matthias Sachse, Karl Sandig, Heiner Schicke, Herbert Schiemann, Marko Schimpff, Volker Schmidt, Werner Schowtka, Peter Schramm, Dr. Andreas Schubert, Dr. Ingo Spantig, Clemens Sprotte, Paul Stempell, Kurt Süß, Dr. Wolfgang Teubner, Gottfried Thomaschk, Ludwig Tröger, Gottfried Ulbricht, Hartmut Vaatz, Arnold Vogler, Martin Weber, Peter

Funktion in der MdL von bis Fraktion (1. WP)

Wahlkreis / Landesliste

10/90–10/94 10/90 10/90–10/94 Vorstand

LL WK WK

10/90–11/91

WK

10/90–U02 10/90–11/91 10/90–11/91 10/90 10/90 10/90–3/91 10/90–10/99 10/90–10/99 10/90–10/94 10/90–10/94 1/91 10/90 10/90–11/91 10/90 10/90–8/91 10/90 10/90 3/91–10/94 11/91 10/90–10/94 10/90–10/94 10/90–10/94 10/90–10/94 10/90 10/90–10/94 10/90 10/90 10/90– 10/90–10/99 10/90–10/99 3/92–10/94 11/91–10/94

WK WK LL WK WK WK WK WK WK LL LL WK WK WK LL WK WK LL LL WK WK WK WK WK WK LL WK LL WK WK LL LL

Vorstand

Vorstand

Vorstand Vorstand

Vorstand

OstBis zur CDU bis Fusion Herbst DBD 1989

CDU ab 10/1989, Partei / Org. 1989/90

DDR DA M X M K K M DA K B M M

NF M NF DA K

M DDR M X K X K M K K M M K K M M NF M M

1054

Name

Weber, Dr. Wolfgang Weigel, Dr. Eckhard Weise, Dr. Karl Weiß, Christine Wildführ, Dr. Dietmar Winkler, Hermann Winzer, Gertrud Witzschel, Eberhard Wünsche, Eva-Maria Zimmermann, Dr. Ingo

Anhang Funktion in der MdL von bis Fraktion (1. WP)

Wahlkreis / Landesliste

OstBis zur CDU bis Fusion Herbst DBD 1989

10/90–10/94 10/90–3/92 10/90–10/94 11/91–10/94 10/90–10/94 10/90 Vorstand 10/90–10/94 10/90–10/99 10/90–10/99

WK WK WK LL WK WK LL LL WK

M K M

10/90–10/94

WK

B

CDU ab 10/1989, Partei / Org. 1989/90

X K M B B M

SPD-Fraktion26 Name

MdL von bis27

SPD-Mitglied seit

Adler, Peter Dreikopf, Klaus Dyrlich, Bendikt Feig, Rainer Förster, Dr. Alfred Gerlach, Johannes Harbauer, Dr. Peter Hatzsch, Gunther Jurk, Thomas Kehl, Johann Kunckel, Dr. Karl-Heinz Kunzmann, Dr. Bernd Lersow, Dr. Michael Lochbaum, Gunter Lochmann, Corinna Mädler, Thomas Marcus, Prof. Dr. Wolfgang Plobner, Manfred Preißler, Dr. Christian

10/1990 10/1990-10/1994 10/1990-10/1994 10/1990-10/1994 10/1990-10/1994 10/1990-10/1999 10/1990-10/1994 10/1990 10/1990 10/1990-10/1999 10/1990 10/1990-10/1994 10/1990-10/1994 10/1990 10/1990-10/1994 10/1990-10/1999 10/1990-10/1994 10/1990-10/1999 10/1990-10/1994

1990 11/1989 6/1990 12/1989 3/1990 1989 1990 (?) 12/1989 12/1989 1989 1989 3/1990 11/1989 11/1989 12/1989 1990 (?) 1972 1990 1/1990

Funktion in der Fraktion (1. WP) Parl. Geschäftsführer

Beisitzer

Vorsitzender Stellv. Vors.

Beisitzer

26 Alle über Landesliste. 27 Bei fehlender Angabe zum Ende der Abgeordnetentätigkeit dauert diese an (2004).

1055

Tabellen Name

MdL von bis

SPD-Mitglied seit

Richter, Hans Jürgen Richter, Joachim Rudorf, Dr. Dieter Schindler, Dr. Joachim Schwarz, Dr. Gisela Starke, Dr. Lothar Steinbach, Walter Christian Stetter, Inge Tempel, Dieter Tiedt, Dr. Friedemann Voigt, Maika Volkmer, Dr. Marlies Wirth, Dr. Gabriele Wittig, Barbara

10/1990-10/1999 2/1991-10/1999 10/1990-10/1994 10/1990-10/1994 10/1990 10/1990-10/1994 10/1989-2/1991 10/1990-10/1994 10/1990-10/1994 10/1990-10/1999 10/1990-10/1994 10/1990 10/1990-10/1994 10/1990-10/1994

1/1990 12/1989 11/1989 2/1990 1/1990 1989 1989 1990 (?) 1990 (?) 1970 1990 (?) 1/1990 2/1990 1990 (?)

Funktion in der Fraktion (1. WP)

Stellv. Vors.

Beisitzer

Linke Liste / PDS28 Name

MdL von bis

Bartl, Klaus Dürrschmidt, Jürgen

10/90 10/90

Elsner, Michael

10/90–10/94

Friedrich, Dr. Michael Gangloff, Maria Hegewald, Dr. Helmar Kampling, Harry Kosel, Sieghard Kubicek, Annelies Langer, Dr. Eberhard Porsch, Prof. Dr. Peter Schneider, Angela Schreier, Bernd Simon, Bettina Tippach, Steffen

10/90–10/99 10/90 10/90–10/94 10/90–U5/91 10/90 10/90–10/94 10/90–10/99 10/90 10/90 10/90–10/94 5/91 10/90

Funktion in der Fraktion Partei (1. WP)

Mitglied / Funktion SED bis 198929

Vorsitzender

B K

PDS PDS

Stellv. Parl. PDS Geschäftsführer PDS PDS PDS PDS PDS PDS PDS PDS Stellv. Vors. PDS Die Nelken PDS PDS

M M M B M M M K M M ? K M

28 Alle über Landesliste. 29 M = Mitglied; K = Funktion im Partei- und Staatapparat auf Kreisebene; B = Funktion im Partei- und Staatapparat auf Bezirksebene.

1056

Anhang Funktion in der Fraktion (1. Partei WP)

Mitglied/ Funktion SED bis 1989

Name

MdL von bis

Uhlmann, Ekkehard

10/90–10/94 1993 fraktionslos

KPD

?

Wehnert, Detlef

10/90–10/94 Parl. 1995 PDS Geschäftsführer fraktionslos

K

Zschoche, Brigitte

10/90

M

PDS

Fraktion Bündnis 90 / Grüne30 Name

MdL von bis31

Funktion in der Fraktion (1. WP)

Partei/Gruppierung 1989/90

Ackermann, Leonore Arnold, Michael Böttger, Dr. Martin

10/90–10/94 10/90–10/94 10/90–10/94

Stellv. Vorsitzender

Neues Forum Neues Forum

Donner, Dr. Ralf

10/90–10/94

Parl. Geschäftsführer

DemokratieInitiative 90

Gaber, Klaus Gerstenberg, Dr. KarlHeinz Matzke, Cornelia Müller, Kornelia Rush, Antje Weber, Michael

10/90–10/94

Gruppe der 20

10/90–10/94

Schatzmeister

Demokratie Jetzt

10/90–10/94 10/90–10/94 10/90–10/94 10/90–10/94

Stellv. Vorsitzende

UFV Grüne Partei Grüne Partei Neues Forum

Vorsitzender

30 Alle über Landesliste. Kein Abgeordneter war bis 1989 Mitglied einer Partei. 31 Bündnis 90 / Grüne war nur in der 1. Wahlperiode vertreten.

1057

Tabellen FDP-Fraktion32 Name

MdL von bis33

Funktion in der Fraktion (1. WP)

von Fritsch, Angelika 10/90–10/94 Stellv. Vorsitzende Freiherr Fröhlich, Dr. Siegbert 10/90–10/94 Parl. Georgi, Ute 10/90–10/94 Geschäftsführerin Hielscher, Dr. Günter 10/90–10/94

LDPD bis FDP 1989/90 Herbst 198934 K M (1946) K (1985) M (1970) 1950–1961 (1950 MdL)

Kröber, Dr. Günter

10/90–10/94 Vorsitzender

Ott, Patrick

10/90–10/94

Rade, Ludwig Martin

10/90–10/94

Richter, Wolfgang

10/90–10/94 Stellv. Vorsitzender

Viehweger, Axel

10/90–10/94, 1991 fraktionslos

1989 1989 (West-FDP)

M 1990 K

Tabelle 13: Sitzverteilung im Sächsischen Landtag35 Partei / Listenvereinigung

Mandate insgesamt

darunter aus Zweitstimmen

CDU

92

12

SPD

32

32

LL -PDS

17

17

FORUM

10

10

9

9

160

80

FDP Insgesamt

32 Alle über Landesliste. 33 FDP war nur in der 1. Wahlperiode vertreten. 34 M = Mitglied; K = Funktion im Partei- und Staatapparat auf Kreisebene; B = Funktion im Partei- und Staatapparat auf Bezirksebene. 35 Quelle: Freistaat Sachsen 1991/92. Das Jahrbuch, S. 29.

1058

Anhang

Tabelle 14: Sitzverteilung in den Landesparlamenten aller neuen Bundesländer B.90 bzw. B. 90 / Grüne

Insg.

CDU

SPD

PDS

FDP

Mecklenburg-Vorpommern

66

29

21

12

4

Brandenburg

88

27

36

13

6

6

106

48

27

12

14

5

89

44

21

9

9

6

160

92

32

17

9

10

Sachsen-Anhalt Thüringen Sachsen

Tabelle 15:Ausschüsse des Sächsischen Landtages (1. Wahlperiode, Stand Mai 1991) Ausschuss

Vorsitz

Stellv. Vorsitz

Verfassung und Recht

Schimpff (CDU)

Donner (B 90/Grüne)

Geschäftsordnung

Kannegießer (CDU)

Richter (FDP)

Untersuchung Amts- und Machtmissbrauch infolge SEDHerrschaft (Sonderausschuss)

Richter (SPD)

Hauck (CDU)

Inneres Bundes- und Europaangelegenheiten Wirtschaft und Arbeit

Ulbricht (CDU)

Starke (SPD)

Sprotte (CDU)

Brückner (CDU)

Hielscher (FDP)

Witzschel (CDU)

Umwelt

Hegewald (LL / PDS)

Lippmann (CDU)

Haushalt und Finanzen

Tiedt (SPD)

Clemens (CDU)

Bau und Verkehr

Nowak (CDU)

Gregori (CDU)

Landwirtschaft, Ernährung und Forsten

Pfordte (CDU)

Wehnert (LL / PDS)

Schule, Jugend und Sport

Weber (CDU)

Marcus (SPD)

Wissenschaft und Hochschulen

Förster (SPD)

Hähle (CDU)

Soziales, Gesundheit, Familie und Wildführ (CDU) Frauen

Tempel (SPD)

Kultur und Medien

Ackermann (B 90 / Grüne)

Zimmermann (CDU)

Petition

Binus (CDU)

Groß (CDU)

Untersuchungsausschuss Arbeitsfähigkeit des Sächsischen Landtages

Rasch (CDU)

Jurk (SPD)

1059

Tabellen Tabelle 16: Sächsische Staatsregierung (1. Kabinett Biedenkopf) Ministerpräsident Sächsische Staatskanzlei Staatsminister, Chef der Staatskanzlei Amtschef (ab 12/90), ab 1/92 Chef d. StK. Regierungssprecher Staatssekretär, Bevollmächtigter des Freistaates Sachsen für Bundes- und Europaangelegenheiten Parlamentarische Staatssekretärin für die Gleichstellung von Frau und Mann

Prof. Dr. Kurt Biedenkopf (CDU) Arnold Vaatz (CDU) Günter Meyer (CDU) Michael Kinze (CDU) Günter Ermisch (CDU) Friederike de Haas (CDU)

Sächsisches Staatsministerium des Innern Staatsminister / stellv. Ministerpräsident Staatssekretär Parl. Staatssekretär

Dr. Rudolf Krause (CDU) Dr. Thomas Hirschle (CDU) Dr. Klaus Buttolo (CDU)

Sächsisches Staatsministerium der Justiz Staatsminister Staatssekretär Generalstaatsanwalt Oberstaatsanwalt Dresden Oberstaatsanwalt Chemnitz Oberstaatsanwalt Leipzig

Steffen Heitmann (CDU 12/1991) Eberhard Stilz (CDU) Günther Hertweck (CDU) Jörg Schwalm Peter Pawlowski Eberhard Uhlig

Sächsisches Staatsministerium der Finanzen Staatsminister Staatssekretär

Prof. Dr. Georg Milbradt (CDU) Dr. Hans Reckers (CDU)

Sächsisches Staatsministerium für Kultus Staatsministerin Staatssekretär Parl. Staatssekretär

Stefanie Rehm (CDU) Wolfgang Nowak (SPD) Dr. Klaus Husemann (CDU)

Sächsisches Staatsministerium für Wissenschaft Staatsminister Prof. Dr. Hans-Joachim Meyer (CDU) Staatssekretär Eckhard Noack (CDU) Parl. Staatssekretär Prof. Dr. Volker Nollau (CDU) Sächsisches Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit Staatsminister Dr. Kajo Schommer (CDU) Staatssekretär Rüdiger Thiele (FDP) Staatssekretär Wolfgang Zeller Parl. Staatssekretär Dr. Helmut Münch (CDU)

1060

Anhang

Sächsisches Staatsministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Forsten Staatsminister Dr. Rolf Jähnichen (CDU) Staatssekretär Jürgen Gülde (CDU) Sächsisches Staatsministerium für Umwelt und Landesentwicklung Staatsminister Dr. Karl Weise (CDU) Staatssekretär Dieter Angst Parl. Staatssekretär Dr. Horst Metz (CDU) Sächsisches Staatsministerium für Soziales, Gesundheit und Familie Staatsminister Dr. Hans Geisler (CDU) Beamteter Staatssekretär Albin Nees Tabelle 17: Aufstellungsstand der Sächsischen Staatsregierung am 10. 8.199136 Dienstposten

Bereich der Führungskräfte AL

Besetzungsstand

Bereich der Führungskräfte RL

Soll

Ist

in %

dav. LB

Soll

Ist

dav. LB

Soll

Ist

dav. LB

StK*

134

125

95

30

8

6

1

18

13

10

SMI

289

215

74

41

5

5

3

35

22

17

SMWA

220

160

73

40**

7

7

5

38

29

19

SMF

191

198

104

51

5

5

5

28

25

20

SMJ

133

104

78

34

5

5

5

17

15

15

SML

170

133

78

24

7

7

4

33

18

8

SMU

175

146

83

29

6

6

3

32

24

11

SMS

157

98

62

22

6

5

2

27

18

9

SMWK

117

81

69

9

5

5

2

29

22

3

SMK

105

90

86

10

6

6

4

23

3

2

1691

1350

80

290

60

57

34

280

189

114

Gesamt

36 SStK, Abt. 1. Aufstellungsstand der Sächsischen Staatsregierung. Stand: 10. 8.1991 (BaySMI, Zusammenarbeit Bayern-Sachsen, Bl. 49). LB = Leihbeamte; *StK einschließlich Landesdatenschutzbeauftragten, LPA-Geschäftsstelle, Landeszentrale für politische Bildung; ** einschließlich Berater.

1061

Tabellen

Tabelle 18: Längerfristige Entsendungen Bayerns aus den Geschäftsbereichen der obersten Landesbehörden März / April 1991 nach Sachsen und Thüringen37 Fachbereich

Thüringen

Sachsen

3

6

Inneres

69

29

(davon Oberste Baubehörde)

(5)

(1)

4

39

34

33

Wirtschaft und Verkehr

2

5

Arbeit, Familie und Soziales

5

51

Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst

4

6

Landwirtschaft



12

Landesentwicklung und Umwelt

5



95

191

Staatskanzlei

Justiz Finanzen (einschließlich Vermessung Finanzbauverwaltung)

gesamt

37 Bayerische Staatskanzlei, Arbeitsstab Deutschlandpolitik, Interministerielle AG Deutschlandpolitik: Gespräch des Bayerischen Ministerpräsidenten Max Streibl mit der Bayerischen Landtagspresse e. V. am 9. 4.1991. Materialien: Aufbau der neuen Länder mit Bayerischer Hand (BayStK, Baer).

1062

9.2

Anhang

Unveröffentlichte Quellen38

Archiv der Bezirksregierung Halle (ABR Halle) Bezirkstag/Rat des Bezirkes Halle 20979/13

Archiv der Bürgerbewegung Leipzig (ABL) 4.2., 4.3.20, 4.7.21, 4.28.188, 4.28.233, Hefter IV, XIX.

Archiv der sozialen Demokratie Bonn (AdSD) SPD-LV Sachsen SPD-Unterbezirk Vogtland SPD-Unterbezirk Leipzig 1, 5–7, 13, 19, 31, 37, 52, 53, 59 Landesvorstand 1990–92 3/SNAB000019, 3/SNAB000020, 3/SNAB000030 SPD-Bundesländer, andere Parteien, Parteien anderer Länder, Box 17a PV/I 1990–1994 PV 1–8 BGF-Schatzm. 1990–93 MdB, MdL/LTF, BTF, LAA, Präsidium 1990–94

Archiv des Deutschen Liberalismus Gummersbach (ADL) L1-32, L1-39, L1-40, L1-47.

Archiv des Thüringer Landtages Erfurt (AThLT) 0/B0416/8 0/B0416/9 0/B0416/10 0/B0416/11 0/B0416/12 0/B0416/13 0/B0416/14

Beratungen u. Schriftverkehr mit den Vorsitzenden der Ständigen Kommissionen des Bezirkstages Erfurt und des RdB vom 4.11.1989–11. 5.1990 Beratung und Schriftverkehr mit den Abgeordneten der Volkskammer 15. 5. –21. 8.1990 Altes DDR-Recht und neue gesetzliche Grundlagen vom 27. 3. –22. 7.1990 Politisch-beratender Ausschuss zur Bildung des Landes Thüringen Vorbereitung der Konstituierung des Thüringer Landtages Politisch-beratender Ausschuss zur Bildung des Landes Thüringen. Arbeitsgruppe Landtag Zusammenarbeit mit anderen Landtagen der Bundesrepublik

38 Bei den zitierten Beständen wird nicht darauf hingewiesen, ob es sich um Originale, Originalkopien oder Kopien handelt. Fehlende Angaben in der Blattzählung in den Fußnoten weisen auf fehlende Paginierung hin. Die benutzten Bestände sind fast durchweg unpaginiert.

Unveröffentlichte Quellen

1063

0/B0416/17

Politisch-beratender Ausschuss zur Bildung des Landes Thüringen. Pressemitteilungen des PBA, Zusammensetzung der Arbeitsgruppen 0/B0416/18 Politisch-beratender Ausschuss zur Bildung des Landes Thüringen. Unterausschuss Verwaltungsstruktur 0/B0416/19 Politisch-beratender Ausschuss zur Bildung des Landes Thüringen. Arbeitsgruppe Justiz, Arbeitsgruppe Inneres 0/B0416/20 Politisch-beratender Ausschuss zur Bildung des Landes Thüringen. Arbeitsgruppe Umwelt, Raumordnung, Landesplanung. Arbeitsgruppe Ernährung, Landwirtschaft u. Forsten 0/B0416/21 Politisch-beratender Ausschuss zur Bildung des Landes Thüringen. Arbeitsgruppe Wirtschaft, Arbeitsgruppe Finanzen 0/B0416/22 Politisch-beratender Ausschuss zur Bildung des Landes Thüringen. Arbeitsgruppe Gesundheit, Arbeit, Soziales 0/B0416/23–27 Angebote der Städte Erfurt, Gera, Jena und Weimar für den Sitz des Thüringer Landtages 0/B0416/28 Schriftverkehr des Politisch-beratenden Ausschusses zur Durchführung der Verwaltungsreform und Gründung des Landes Thüringen 0/B0416/29 Protokolle über die 1.–10. Beratung des PBA zur Bildung des Landes Thüringen vom 16. 5.1990 (Konstituierende Tagung) bis 21. 9.1990 (10. Beratung des PBA) 0/B0416/31 Tätigkeit der Arbeitsgruppe Landtag des Politisch-beratenden Ausschusses zur Bildung des Landes Thüringen 0/B0416/32 Tätigkeit der Arbeitsgruppe Justiz des Politisch-beratenden Ausschusses zur Bildung des Landes Thüringen

Archiv für Christlich-Demokratische Politik Sankt Augustin (ACDP) Landesverband Sachsen III-053 Vorläufige Signatur AA, CC VI 061 007/3 VII-010 3510, 3536 VII-011 3513, 3848, 3594, 3911 VII-012 035, 3505, 3509, 3512, 3521, 3528, 3564, 3789, 3915, 3938, 6132, 6135, 6139

Bayerische Staatskanzlei (BayStK) Ministerialrat Dr. Rudolf Baer

Bayerisches Staatsministerium der Finanzen (BayFM) 105, Fz Ref, FzA, FMK, 15.11.1989–22. 3.1990 105, Fz Ref, FzA, FMK, 24. /25. 4.1990–6. 9.1990 105, Fz Ref, FzA, FMK, 26. 9.1990–7. 2.1991

1064

Anhang

Bayerisches Staatsministerium des Innern (BaySMI) Zusammenarbeit Bayern-Sachsen

Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam (Brandenburg. LHA) Bezirkstag/Rat des Bezirkes Potsdam A/3271, A/3274, A/3296, A/4100, A/4995 II/277–278 Rep. 601 Bezirkstag/Rat des Bezirkes Frankfurt (Oder) 49125 Rep. 801 Bezirkstag und Rat des Bezirkes Cottbus 7577, 23641, 23642, 23644, 24343, 24350, 24357, 24357/1, 24359, 24374, 24421, 24472, 24474, 24475, 24490–24493, 24494–24497, 24514, 24524, 24663, 26399, 26400, 26401, 26403, 26411, 26416, 26420–26422.

Bundesarchiv Koblenz (BArch) B106 Bundesministerium des Innern 104044, 125859, 125894, 300954, 301082, 301083, 301131–301135, 317064, 317064, 328233, 328234, 328237 B 136 Bundeskanzleramt 20578, 221-35014 Ge 31 Bd. 1 20635, 221-35014 Na 6 Bd. 1 29245, 122-14020 Mi 1 B 137 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen 10345, 10346, 10350, 10724, 10726, 10727, 10740, 10857, 10877, 10878, 10891, 11176, 11182, 11183, 11506, 11507

Bundesarchiv Koblenz, Außenstelle Berlin (BArch B) DA 1 Volkskammer 4.–10. Wahlperiode, Verfassungs- und Rechtsausschuss 17486–17488 DA 2 Länderkammer 9, 10, 15, 21, 80, 85 DA 3 Zentraler Runder Tisch 9, 16, 95, 96 DC 20 Ministerrat I/3 2872, I/3 2885, I/3 2901, I/3 2903–2904, I/3 2915, I/3 2941, I/3 3024, 6065, 6095, 6099, 6137, 8968, 11384, 11620–11627, 11632, 11948–11952, 11955–11965 DO 1 MdI, MfIA 52399–52400, 52402–52403, 52445, 55363–55364, 55368

Unveröffentlichte Quellen

1065

DO 5 Ministerium für Regionale und Kommunale Angelegenheiten 1, 4, 6–15, 17, 46, 47, 55, 57, Staatssekretär J. Klingbeil 58, 83, 89, 90, 92–94, 96, 98, 99, 110, 122–124, 129, 134, 135, 137 Abteilung Verwaltungsreform 138–153, 156, 162–164 Abteilung Verwaltungsreform, Unterabteilung Staatsaufbau und -organisation 179, 180, 182, 184, 186, 188, 189 Abteilung Verwaltungsreform, Unterabteilung Verwaltungsorganisation und Verwaltung 190–199 Abteilung Territoriale Beziehungen 206, 207 Rechtsabteilung 211, 213 Zentralabteilung DO 5 Gemeinschaftsstelle der Länder für Landes- und Kommunalfragen 214, 215 216–218, 222–224 Referat Raumordnung und Gebietsreform 226 Referat Kommunale Selbstverwaltung DR 4 Ministerium für Bildung und Wissenschaft 168, 939, 940 Sekretariat des Ministers 120 Abteilung Grundsatz-, Rechts- und Öffentlichkeitsarbeit 166, 440 Abteilung Zentrale Angelegenheiten

Die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) AIM 834/89 C, Teil I, Bl. 177–181. ZA HA VIII- AKG 1672. ZKG 128, 129.

Die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Ast. Dresden (BStU, ASt. Dresden) BV Dresden KD Dresden-Stadt 91047 AKG 7001, 7002

Die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, ASt. Gera (BStU, ASt. Gera) BV Gera AKG 003702 u. 003703 PI 390/89 PI 0. Nr. vom 2.12.1989

1066

Anhang

CDU-Landesgeschäftsstelle Sachsen Protokolle und Festlegungen vom 28. 3.1990 bis 10. 9.1990 1. Landesparteitag 3. 3.1990 Dresden. 2. Landesparteitag 1. 9.1990.

Evangelisch-Lutherisches Landeskirchenamt Sachsens, Landeskirchenarchiv (LKA Dresden) 1018, Bd. 8 Verhältnis zu den Bezirken Dresden, Leipzig, Karl-Marx-Stadt Juni 1988–Juli 1991 1041-1, Bd. 5 Einzelne Landeskirchen/Schlesien (Görlitz) 1986–1992

Hannah-Arendt-Institut Dresden, Dokumentensammlung (HAIT) Bildung des Freistaates Sachsen Gruppe der 20 Koordinierungsausschuss zur Bildung des Landes Sachsen (KA) Ökumenischer Arbeitskreis der Dresdner Kirchenbezirke (ÖAK) Plakate und Flugschriften der friedlichen Revolution Regionen Heitmann, Steffen Iltgen, Erich Kupke, Martin Pröhl, Wolfhard Wagner, Herbert

Haus der Geschichte (HdG)/Projektgruppe Leipzig Objekte Dietmar Franke und Horst Rasch

Historisches Archiv des Vogtlandkreises, Dienststelle Plauen, Verwaltungsarchiv (HAV-DS Plauen) Verwaltungsarchiv Plauen (VwA Pl) 266 Büro Landrat. Landkreise, Gemeinden 299 Büro Landrat. Gebietswechsel, Entwurf Staatsvertrag, Beratung Schleiz, 11/1991 21402 Kommunalaufsicht: Informationsberichte aus den Gemeinden 6739 Min.präs. Thüringen (Vogel), Min.präs. Sachsen (Biedenkopf) 1991–1994 6763 Dienstbesprechungen mit VR und OB 6806 Thüringische Gemeinden 1990–1994 6824 Runder Tisch

Unveröffentlichte Quellen

1067

Konrad-Adenauer-Stiftung Sankt Augustin (KAS) Wissenschaftliche Dienste, Pressedokumentation

Landratsamt Altenburger Land, Kreisarchiv (KAL) Büro des Kreistages, 3 und 4. 77A Rat des Kreises Altenburg, Abt. Kultur. Genehmigte Anträge auf Druckgenehmigung Kreistag des Landkreises Altenburg. Legislaturperiode 1990–1994. Schriftverkehr, Bürgerbefragung Länderzugehörigkeit (Nr. 3) 1772 RdK Altenburg. 11.–14. Sitzung 1989 1805 RdK Altenburg. Sitzungen 1990 Kreistag des Landkreises Altenburg. Legislaturperiode 1990–1994. 1. bis 5. Sitzung (Nr. 4) Staatliche Entwicklung. 18. 7.1990 Kreistag. 22. 7.1990 Volkskammer. Thüringen 14.10.1990. Thüringen pro/contra Sachsen Handakte, Ordner 28 Rat des Kreises Schmölln, Kreistag, Sign. 9 u. 18.

Landesarchiv Merseburg (LA Merseburg) Rep. Bezirkstag/Rat des Bezirkes/Bezirksverwaltungsbehörde (BVB) Halle 297–298 Wiss. MA des Regierungsbevollmächtigten 300 Sekretariat. Bearbeitung von Eingaben, allgemeiner Schriftverkehr, Wochenberichte Regierungssprecher, Protokoll Regionalkonferenz Sachsen-Anhalt 305 Wiss. MA des Regierungsbevollmächtigten Material „Runder Tisch“ des Bezirkes Halle 306 Sekretariat. Allgemeiner Schriftverkehr Dr. Keitel, Reg.Bevollmächtigter 319 Sekretariat. Schriftverkehr Dr. Keitel – kommunale Angelegenheiten 320 Sekretariat. Schriftverkehr des Regierungsbevollmächtigten 20110/2 Beschlussprotokolle des Rates des Bezirkes 20643/1–2, 21129/1–8 Ressort Kommunale Organe. Materialien Vorbereitung Land Sachsen-Anhalt 21052 Ressort Kommunale Organe. Allg. Pressestimmen für den Regierungsbezirk Halle

Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt Magdeburg (LHASA) Bezirkstag/Rat des Bezirkes Magdeburg 30015

1068

Anhang

Mecklenburgisches Landeshauptarchiv Schwerin (MLHA) Bezirkstag/Rat des Bezirkes Schwerin Z 22/91 (2) B/49 Z 26/91 36659 Z 123/91 37950

Museumsarchiv Ortrand (MAO) Bestand Länderbildung Schriftverkehr Länderzugehörigkeit bis 1990, I. Schriftverkehr Länderzugehörigkeit ab 1991, II. Wir wollen zu Sachsen (Unterschriftenaktion Ortrand) Rechtsstreit Damme, Andreas u. a./Ortrand Notizbuch Reinhard Kißro Ungeordnetes Material

Privatbestände Bartsch, Beate Beyer, Wolf-Dieter Gaber, Klaus Geisler, Hans Henke, Hermann Kleinschmidt, Günter Kolbe, Manfred Nätner, Andreas Naumann, Silke Orobko, Wieland Rasch, Horst Reichenbach, Klaus Reichenbach, Matthias Rößler, Matthias Schimpff, Volker Schmidt, Herbert B. Vogel, Friedhardt

Rat der Stadt Pausa (BSP) I. Wiedereingliederung Sachsen bis September 1991 II. Wiedereingliederung Sachsen ab Oktober 1991

Regierungspräsidium Leipzig, Schriftgutverwaltung (RPL) 0141.0 0142 0144

Koordinierungsausschuss, Länderbildung, BVB 1990 (Kleinschmidt), Kommission AG Baden-Württemberg, Amtshilfe Baden-Württemberg Vorkabinett Landessprecherangelegenheiten 1990, Kleinschmidt Arbeitsstäbe Dresden 1990 (Kleinschmidt)

Unveröffentlichte Quellen 0144.0 0202.1 3-0203.3 0213.3-1 3-02113.3-1

1069

Aufbau Verwaltungsstruktur Ministerien Land Sachsen 1990 (Kleinschmidt) Organisationsaufbau BVB 1990 (Kleinschmidt) Zuarbeit BVB-Freistaat Bayern Juli – Sept. 1990 Allg. Schriftverkehr 1990 (Kleinschmidt) Allg. Schriftverkehr BVB Juni–Dez. 1990

Robert-Havemann-Archiv Berlin (RHA) 3.2.02.01., Dok. 77 und 85.

Sächsische Landes- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) 1 D 145 Mappe Allianzparteien Flugblattsammlung Mappe DSU Mappe Bündnis 90

Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden (SächsHStA) Bezirkstag/Rat des Bezirkes/Bezirksverwaltungsbehörde Dresden 46086, 46091, 46106, 46123 Büro Bezirkstag 46141–46150 Büro des Vorsitzenden 46994, 46998, 46999 1. Stellv. des Vorsitzenden des RdB Dresden 46998, 49442/2 Kaderfragen 47112–47122 Büro des RdB 47558–47564 Abteilung Allgemeine Verwaltung 47693 Abteilung Inneres 49821, 49835 Abteilung Kultur 48798, 49832 Abteilung Jugendfragen/Sport 47999, 50003 Abteilung Finanzen 49110–49111, 49336, 49337 Büro des Regierungsbevollmächtigten LT 186 SED-Bezirksparteiorganisation Dresden 13305

Sächsisches Staatsarchiv Chemnitz (SächsStAC) Bezirkstag/Rat des Bezirkes/Bezirksverwaltungsbehörde Karl-Marx-Stadt/Chemnitz 124557–124560 Runder Tisch des Bezirkes KMS 11501, 11502, 11506, 11507, Büro/Sekretär des Rates des Bezirkes 11510, 11515, 11522, 11528–11547, 11608 126350–126353, 126358, Büro des Vorsitzenden 126369–126370, 126377, 126400, 126403, 126406, 137737, 140074, 152188–152189

1070

Anhang

126371, 152363, 152365 152197–152201, 152207, 152214– 152215, 152349–152350 137815–137816, 137820–137822, 137632, 137717, 137720, 137824, 140074, 140104 137808, 152237–152244, 152247, 152257, 152280, 152315–152316 152329

Vorsitzender des RdB Regierungsbevollmächtigter BVB Chemnitz Büro des Regierungsbevollmächtigten 2. Stellvertreter des Regierungsbevollmächtigten für Länderbildung

BDVP KMS Chef BDVP I/351

Sächsisches Staatsarchiv Leipzig (SächsStAL)39 Bezirkstag/Rat des Bezirkes/Bezirksverwaltungsbehörde Leipzig 19046-19051, 20905 Sitzungen des Bezirkstages 21296–21302, 21309–21319, Beschlussprotokolle der Sitzungen des Rates des Bezirkes 22263, 22265 22714, 25795–25796 Unklare Zuordnung 31253–31263, 38212 Runder Tisch des Bezirkes Leipzig

Staatsministerium Baden-Württemberg (SMBW) 0305.0. 1990–1998 0305.0. Bund I 1990 0305.0 Bund II 1991ff. Ordner Reden, Grußworte, Interviews

Verwaltungshilfe für die neuen Bundesländer (Sachsen), Kabinettsunterlagen Personalbedarf und Personelle Hilfe für den Aufbau der Verwaltungen in den neuen Bundesländern Ostdeutschlands (Freistaat Sachsen /Dresden) Personalbedarf und Personelle Hilfe für den Aufbau der Verwaltungen in den neuen Bundesländern Ostdeutschlands (Freistaat Sachsen /Dresden) 2. Ba-Wü – Sachsen

0136 Gesamtdeutsche Beziehungen Partnerschaft mit Dresden/Sachsen Jour Fix des SM – Raum Sachsen Sitzung des Ministerrates am 9. 4.1990 TOP 1A: Hilfen für die DDR Kabinettssache. Zusammenarbeit Baden-Württemberg mit der DDR, insbesondere mit dem „Raum Dresden“ 39 Nur die Signaturen 31253–31263 sind paginiert. Wesentliche Teile des Bestandes Rat des Bezirkes fehlen. Die Unterlagen der Bezirksverwaltungsbehörde bzw. des Regierungsbevollmächtigten des Bezirkes Leipzig und Landessprechers befinden sich nicht im SächsStAL. Sie konnten zum Teil im Regierungspräsidium Leipzig eingesehen werden.

Unveröffentlichte Quellen

1071

Stiftung Dresden/Stiftung Sachsen Gemischte Kommission für die Zusammenarbeit des Landes Baden-Württemberg mit Sachsen (GK S/BW) Allgemeines Fachgruppe Verfassung und Verwaltungsreform Fachgruppe Wissenschaft und Bildung Fachgruppe Wirtschaft, Technologie, Handwerk und Management Fachgruppe Soziales und Gesundheit Fachgruppe Kommunale Partnerschaften Fachgruppe Kultur Fachgruppe Wissenschaft und Bildung Fachgruppe Aus- und Fortbildung Fachgruppe Schule, Jugend und Sport Fachgruppe Bauwesen, Städtebau und Denkmalpflege Fachgruppe Verkehr Fachgruppe Umweltschutz Fachgruppe Finanzen und Kreditwesen

Stadtarchiv Dresden StVV, Protokolle, 154.

Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar (ThHStA) Bezirkstag/Rat des Bezirkes Erfurt 038298, 038318, 040013, 041287– 041291, 041541, 041550, 041552, 042044–042062, 045834–045846 047207 040446, 040899, 040901, 043072, 044686–044694 041630, 045218, 046245–046247, 046375 038021, 047407

Sekretär/Büro des RdB/BT Büro des Vorsitzenden Instrukteursabteilung Ressort Inneres Bezirksplankommission

Thüringisches Staatsarchiv Meiningen (ThStAM) Bezirkstag/Rat des Bezirkes Suhl 2626, 2647

Thüringisches Staatsarchiv Rudolstadt (ThStAR) Bestand Bezirkstag/Rat des Bezirkes Gera RdB 1 Festlegungsprotokolle der Sitzungen des Rates des Bezirkes Gera 12.1.1988–29. 5.1990 RdB 2 Festlegungs- und Beschlussprotokolle des Rates des Bezirkes Gera 8.1.1990–31. 5.1990

1072 BT 1 31543 32695

Anhang Beschlüsse Bezirkstag Gera 16. 3.1988–30. 5.1990 Informationsmeldungen an Ministerrat 1989–1990 Länderbildung 1990, Hauptsatzungen der Kreistage 1990, Struktur BVB/Inneres 1990

Umweltbibliothek Großhennersdorf (UB. Grohedo) 2.3 2.3.2.2 3. 3.11.1 3.12 4. 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 6.3 6.3.4

Oppositionsbewegung Region Sachsen Basisgruppen in der Lausitz Andreas Schönfelder Sorben Wende Bürgerbewegung DDR-Wenderegierungen Wiedervereinigung Runder Tisch Kommunalpolitik DDR Einzeldokumentationen über die Wende

Pfarrer Reinhard Müller, Weißwasser Pfarrer Hennerjürgen Havenstein, Daubitz

Vorpommersches Landesarchiv Greifswald (VPLA) Rep. 200/1.1. Nr. 102 Rep. 200/2.3.1. Nr. 730, 740.

9.3

Unveröffentlichte Interviews und Auskünfte40

Adler, Peter (Interview 14.1. 2003) Angst, Dieter (Interview 3.11.1999) Baer, Dr. Rudolf (Interview 17.10. 2000) Berghofer, Wolfgang (Telefonische Auskunft 13. 2. 2003) (Email 13. 6. 2003) Beyer, Wolf-Dieter (Schriftliche Auskunft 31.1. 2003) (Interview 28. 2. 2003) Biedenkopf, Prof. Dr. Kurt (Interview 27. 3. 2003) (Schriftliche Auskunft 7. 6. 2003) Böttger, Dr. Matthias (Interview 29. 9.1999) Brückl, Wolfgang (Interview 18. 5. 2000) Buttolo, Dr. Albrecht (Interview 18.10.1999, 12. 2. 2003) 40 Wurde mehr als ein Interview geführt, wird in den Fußnoten des Textes das Datum angegeben. Ein Teil der Interviews wurde durch oder mit Dr. Bernd Schäfer durchgeführt, der von 1998–2001 Mitarbeiter des Hannah-Arendt-Instituts war. Die Interviews mit Dr. Matthias Rößler am 27. 5.1996 und mit Arnold Vaatz am 9. 6.1999 wurden von Dr. Karin Urich geführt. Der Workshop des Hannah-Arendt-Instituts fand am 15. 6. 2002 statt. Die Diskussionsbeiträge wurden verschriftet und ausgewertet.

Unveröffentlichte Interviews und Auskünfte

1073

Diestel, Henning (Interview 30.1. 2003) Ellenberger, Volker (Interview 2.11.1999) Emmerlich, Gunter (Telefonische Auskunft 15. 8. 2003) Engel, Hartmut (Interview 5.11.1999) Ermisch, Dr. Günter (Interview 25.11.1999) Feist, Dr. Michael (Interview 30. 3. 2000) Friedrich, Gerd (Interview 2.11.1999) Fröhlich, Wolfgang (Interview 26.11.1999) Geiger, Jörg (Interview 21. 6. 2000) Geisler, Dr. Hans (Workshop 15. 6. 2002) (Interview 13. 3. 2003) Geißler, Dr. Heiner (Schriftliche Auskunft 24. 7. 2003, Email 2. 9. 2003) Gönnenwein, Prof. Dr. Wolfgang (Interview 8. 3. 2003) Grüning, Dr. Uwe (Interview 28. 2. 2003) Güttler, Prof. Ludwig (Interview 3. 9. 2003) Hardraht, Dr. Klaus (Interview 2. 3. 2000) Hauswirth, Dieter (Interview 19.10. 2000) Heitmann, Steffen (Workshop 15. 6. 2002, Interview 30. 9. 2003) Henke, Hermann (Workshop 15. 6. 2002) Herz, Margita (Interview 28.11.1999) Herzer, Bernd (Interview 5.11.1999) (Workshop 15. 6. 2002) Hirschle, Dr. Thomas (Interview 3.11.1999) (Workshop 15. 6. 2002) Husemann, Prof. Dr. Klaus (Interview 20.10.1999) Iltgen, Erich (Interview 3. 2. 2003) Kinze, Prof. Dr. Michael (Interview 6. 9.1999) Kißro, Reinhard (Interview 29. 8. 2000) Kleinschmidt, Günter (Interview 8. 5. 2003, schriftliche Auskunft 22. 7. 2003) Kny, Dr. Kurt (Interview 8. 6. 2000) Königbauer, Walter (Interview 16.1. 2000) Kohl, Dr. Helmut (Interview 12. 3. 2003) Kolbe, Manfred (Interviews 13. 3. 2000, 16. 5. 2003) Lerchner, Martin (Interview 11. 6. 2003) Lersow, Dr. Michael (Interview 28. 4. 2003) Lønning, Inge (Workshop am 15. 6. 2002) Lotze, Heidrun (Workshop am 15. 6. 2002) Lubk, Rainer (Interview 18.1. 2000) Maier, Prof. Dr. Hans Joachim (Schriftliche Auskunft 10.1. 2002) Maizière, Dr. Thomas de (Interview 27.1. 2003) Merker, Michael (Interview 2.10. 2000) Meyer, Dr. Günter (Interviews 9. 9.1999) Meyer, Prof. Dr. Hans Joachim (Interviews 31. 3. 2000, 3. 3. 2003) Milbradt, Prof. Dr. Georg (Interview 21. 2. 2003) Münch, Dr. Helmut (Interviews 29. 2. 2000, 23. 4. 2003, Tel. Auskunft 2. 9. 2003) Muster, Dr. Michael (Interview 23. 9.1999) Nees, Dr. Albin (Interview 18. 4. 2000) Neumann, Günter (Interview 27. 2. 2003) Nollau, Prof. Dr. Volker (Interview 15. 9.1999) Nowak, Wolfgang (Interview 4.10.1998) Orobko, Wieland (Interview 11. 2. 2003) Pawlitzki, Günter (Interview 31. 3. 2001) Reckers, Dr. Hans (Interview 24.11. 2000)

1074

Anhang

Reichenbach, Klaus (Interview 2. 5. 2003) Reichenbach, Matthias (Interviews 30. 3. 2000, 15. 7. 2003) Reinfried, Dr. Dieter (Interview undatiert) Retzlaff, Reinhard (Interview 22. 3. 2000) Rink, Dr. Berthold (Interview 19. 5. 2003) Rößler, Dr. Matthias (Interviews 27. 5.1996, 27.1.1997 u. 24. 4. 2003) (Workshop 15. 6. 2002) Rust, Gustav (Interview 3. 3. 2004) Sachsen, Albert Prinz von Sachsen Herzog zu Sachsen (Interview 18.10. 2000) Sagurna, Michael (Interview 19. 2. 2003, schriftliche Auskunft 30.1. 2004) Schäuble, Dr. Wolfgang (Schriftliche Auskunft 21. 2. 2003) Schimpff, Volker (Interview 19. 6. 2003) Schmidt, Eckehard (Interview 16.10. 2000) Schmidt, Dr. Frank (Interview 7. 6. 2000) Schmidt, Dr. Herbert B. (Interview 26. 2. 2002) (Workshop 15. 6. 2002) Schommer, Dr. Kajo (Interview 25. 8. 2003) Schrenker, Reiner (Interview 17. 2. 2003) Schwabe, Friedhold (Interview 17. 8. 2000) Stilz, Eberhard (Interview 26.11.1999) Süßmuth, Prof. Dr. Rita (Telefonische Auskunft 12. 6. 2003) Teufel, Erwin (Schriftliche Auskunft 10.1. 2002) Vaatz, Arnold (Interviews 9. 6.1999, 21. 6. 2000, 1. 4.1997, 16. 4. 2003) (Workshop 15. 6. 2002) Wagner, Dr. Herbert (Interview 4. 2. 2003) Weidner, Jochen (Interview 31. 5. 2000) Wicker, Hubert (Interview 4.11.1999) (Workshop 15. 6. 2002) Wieczorek, Dr. Bertram (Interviews 4. 3. u. 19. 5. 2003) Woydera, Walter (Interview 14. 9. 2000) Wurster, Eberhard (Interview 3.11.1999) Zeller, Dr. Wolfgang (Interview 10. 2. 2000)

9.4

Literatur

Aller Anfang. Eine sächsische Momentaufnahme zwei Jahre nach der ersten freien Wahl. Hg.: Sächsische Staatskanzlei, Dresden 1992. Angst, Dieter: Aufbau und Struktur der Umweltverwaltung in den neuen Bundesländern am Beispiel des Freistaates Sachsen. In: Seibel/Benz/Mäding, Verwaltungsreform, S. 421–427. Auf dem Wege zur kommunalen Selbstverwaltung. Gedanken, Ideen, Konzepte, Berlin 1990. Bahlcke, Joachim (Hg.): Geschichte der Oberlausitz. Herrschaft, Gesellschaft und Kultur vom Mittelalter bis zum Ende des 20. Jahrhunderts, Leipzig 2001. Bäumlin, Richard: Die rechtsstaatliche Demokratie, Zürich 1956. Barkleit, Gerhard (Hg.): Die Erneuerung der sächsischen Hochschulen. Eine Dokumentation, Dresden 1993. Bartel, Horst: Erbe und Tradition in Geschichtsbild und Geschichtsforschung der DDR. In: ZfG, 29 (1981), S. 387–394.

Literatur

1075

Bartsch, Michael: Das System Biedenkopf. Der Hof-Staat Sachsen und seine braven Untertanen. Oder: Wie in Sachsen die Demokratie auf den Hund kam. Ein Report, Berlin 2002. Bauer, Thomas: Aufbau der Verwaltung in den fünf neuen Ländern. Erfahrungen eines bayerischen Beamten im Thüringer Innenministerium. In: Staatswissenschaften und Staatspraxis, 2 (1991), S. 378–401. Bayer, Detlef.: Die Konstituierung der Bundesländer Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. In: DVBL, 106 (1991), S. 1014– 1024. Bayern und Sachsen in der Geschichte. Wege und Begegnungen in archivalischen Dokumenten (Ausstellungskataloge der Staatlichen Archive Bayerns 32), München 1994. Beck, Joachim / Benz, Angelika u. a. (Hg.): Arbeitender Staat. Studien zur Regierung und Verwaltung. Klaus König zum sechzigsten Geburtstag (Verwaltungsorganisation, Staatsaufgaben und Öffentlicher Dienst 33), Baden-Baden 1995. Behring, Rainer/Schmeitzner, Mike (Hg.): Diktaturdurchsetzung in Sachsen. Studien zur Genese der kommunistischen Herrschaft 1945–1952 (Schriften des HannahArendt-Instituts für Totalitarismusforschung), Köln/Weimar 2003. Benz, Arthur: Reformbedarf und Reformchancen des kooperativen Föderalismus nach der Vereinigung Deutschlands. In: Seibel / Benz / Mäding, Verwaltungsreform, S. 454–473. –: Perspektiven des Föderalismus in Deutschland. In: DÖV, 44 (1991), S. 586–598. –: Chancen und Grenzen einer Länderneugliederung in Deutschland. In: Hirscher, Die Zukunft des kooperativen Föderalismus in Deutschland, S. 143–165. Benzler, Susanne/Bullmann,Udo/Eißel, Dieter (Hg.): Deutschland-Ost vor Ort. Anfänge der lokalen Politik in den neuen Bundesländern, Opladen 1995. Berg, Frank/Möller, Bärbel/Reißig, Rolf: The transformation of political and administrative institutions at the local level in East Germany. Empirical findings and theoretical approaches. In: BISS public, 4 (1994) H. 16, S. 5–12. Bergedorfer Gesprächskreis zu Fragen der freien industriellen Gesellschaft. Protokoll Nr. 90 vom 29. 4.1990 in Dresden: Wie geht es weiter mit den Deutschen in Europa? Hg. v. d. Körber Stiftung, Hamburg 1990. Berghofer, Wolfgang: Meine Dresdner Jahre, Berlin 2001. Bernet, Wolfgang: Zur landes- und kommunalrechtlichen Entwicklung in der DDR (Speyerer Forschungsberichte 91), Speyer 1990. –: Aspekte der Wiedereinführung der Länder. In: LKV, 1 (1991), S. 2–6. –: Gemeinden und Gemeinderecht im Regimewandel. Von der DDR zu den neuen Bundesländern. In: APuZG, (1993) B 36, S. 27–38. – /Lecheler, Helmut: Die DDR-Verwaltung im Umbau (Schriften des Wissenschaftlichen Instituts Öffentlicher Dienst Königswinter 11), Regensburg 1990. Bertram, Hans/Kreher, Wolfgang/Müller-Hartmann, Irene (Hg.): Systemwechsel zwischen Projekt und Prozeß. Analysen zu den Umbrüchen in Ostdeutschland (KSPW: Transformationsprozesse 13), Opladen 1998. Bethge, Herbert: Das Staatsgebiet des wiedervereinigten Deutschlands. In: Isensee / Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 199, S. 603–621. Bewegte sächsische Region. Vom Leipziger Kreis zum Regierungsbezirk Leipzig 1547–2000. Hg. vom Sächsischen Staatsarchiv Leipzig (Veröffentlichungen der Sächsischen Archivverwaltung, Reihe C 1), Halle/Saale 2001. Beyme, Klaus von: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland nach der Vereinigung, 7. vollständig überarbeitete Neuausgabe München 1993. –: Systemwechsel in Osteuropa, Frankfurt a. M. 1994.

1076

Anhang

Biedenkopf, Kurt H.: Ein guter Anfang ist gemacht. Regierungserklärung von Ministerpräsident Prof. Dr. Kurt Biedenkopf. Hg.: Freistaat Sachsen, Staatskanzlei, Referat Öffentlichkeitsarbeit, Dresden 1992. –: Regierungs- und Verwaltungsprobleme in einem neuen Bundesland. Vortrag anläßlich der Eröffnung des Sommersemesters 1994 (Speyerer Vorträge 26), Speyer 1994. –: Einheit und Erneuerung. Deutschland nach dem Umbruch in Europa, Stuttgart 1994. –: Die Revolution muß ganz Deutschland erfassen! März 1992. In: ders., Einheit und Erneuerung, S. 171–193. –: Ein deutsches Tagebuch 1989–1990, Berlin 2000. Bispinck, Henrik/Hoffmann, Dierk/Schwartz, Michael/Skyba, Peter/Uhl, Matthias/ Wentker, Hermann: DDR-Forschung in der Krise? Defizite und Zukunftschancen – Eine Entgegnung auf Jürgen Kocka. In: DA, 36 (2003), S. 1021–1026. Blanke, Bernhard (Hg. unter Mitarbeit von Susanne Benzler): Staat und Stadt. Systematische, vergleichende und problemorientierte Analysen „dezentraler“ Politik (PVS, Sonderheft 22/1991), Opladen 1991. Blaschke, Karlheinz: Sächsische Verwaltungsgeschichte (Potsdamer Fachschule für Archivwesen, Lehrbrief 3), Potsdam 1953. –: Siegel und Wappen in Sachsen, Leipzig 1960. –: Geschichte Sachsens im Mittelalter, Berlin 1990. –: Politische Geschichte Sachsens und Thüringens (Hefte zur Bayerischen Geschichte und Kultur 13), München 1991. –: Die Verwaltung in Sachsen und Thüringen. In: Jeserich/Pohl/von Unruh, Deutsche Verwaltungsgeschichte, S. 778–797. –: Das Werden der neuen Bundesländer. In: Fischer/Haendcke-Hoppe-Arndt, Auf dem Weg, S. 127–142. –: Landstände, Landtag, Volksvertretung. 700 Jahre politische Mitbestimmung im Lande Sachsen. In: Der Sächsische Landtag, S. 7–17. –: Alte Länder – Neue Länder. Zur territorialen Neugliederung der DDR. In: APuZG, (1990) B 27, S. 39–54. –: Die sächsische Landesgeschichte zwischen Tradition und neuem Anfang. In: Neues Archiv für sächsische Geschichte, 64 (1993) S. 7–28. –: Die Sächsische Akademie der Wissenschaften unter der Herausforderung durch das SED-Regime. In: Neues Archiv für sächsische Geschichte, 67 (1996) S. 281–309. Bochmann, Peter-Andreas: Strukturen in der F.D.P. Sachsen. In: Schmid/Löbler/Tiemann, Organisationsstrukturen, S. 39–44. Boehl, Henner Jörg: Landesverfassungsgebung im Bundesstaat. Zur Neukonstituierung der Länder im beigetretenen Teil Deutschlands. In: Der Staat, 30 (1991), S. 572– 593. Bönninger, Karl: Verfassungsdiskussion im Lande Sachsen. In: LKV, 1 (1991), S. 9–12. Bohrer, Karl Heinz: Deutsche Revolution und protestantische Mentalität. In: Merkur 522–523, H. 9–10/1992, S. 958–964. Bollinger, Stefan/ van der Heyden, Ulrich (Hg.): Deutsche Einheit und Elitenwechsel in Ostdeutschland (Gesellschaft, Geschichte, Gegenwart 24), Berlin 2002. Bracher, Karl Dietrich: In: 40 Jahre SED-Unrecht. Eine Herausforderung für den Rechtsstaat. Erstes Forum des Bundesministers für Justiz am 9. 7.1991. In: Zeitschrift für Gesetzgebung, (1992), S. 8–15. – u. a. (Hg.): Staat und Parteien. Festschrift für Rudolf Morsey zum 65. Geburtstag, Berlin 1992.

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Bramke, Werner/Heß, Ulrich (Hg.): Wirtschaft und Gesellschaft in Sachsen im 20. Jahrhundert (Leipziger Studien zur Erforschung von regionenbezogenen Identifikationsprozessen 2), Leipzig 1998. Brandenburgische Landeszentrale für politische Bildung (Hg.): Die real-existierende postsozialistische Gesellschaft, Potsdam 1994. Brönneke, Tobias: Umweltverfassungsrecht. Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen im Grundgesetz sowie in den Landesverfassungen Brandenburgs, Niedersachsens und Sachsens (Studien und Materialien zur Verfassungsgerichtsbarkeit 76), Baden-Baden 1999. Brogiato, Heinz-Peter/Cloß, Hans-Martin (Hg.): Geographie und ihre Didaktik. Festschrift für Walter Sperling, Teil 1: Beiträge zur Deutschen Landeskunde und zur Regionalen Geographie (Materialien zur Didaktik der Geographie 15), Trier 1992. Brunssen, Frank: Die Revolution in der DDR. Ambivalenzen einer Selbstbefreiung. In: APuZG, (1999) B 45, S. 3–14. Buchhofer, Ekkehard: Der Kampf um die Grenzen der neuen deutschen Länder 1990/91. In: Brogiato/Cloß, Geographie und ihre Didaktik, S. 211–231. Buchholz, Matthias: Anmerkungen zur Problematik der „DDR-Archive“. In: Eppelmann/Faulenbach/Mählert, Bilanz und Perspektiven der DDR-Forschung, S. 383– 390. Bullmann, Udo/Schwanengel, Wito: Zur Transformation territorialer Politikstrukturen. Landes- und Kommunalverwaltungen in den neuen Bundesländern. In: Benzler/Bullmann/Eißel, Deutschland-Ost vor Ort, S. 193–224. Die Bundesländer. 50 Jahre Bundesrepublik (Der Bürger im Staat, 49 [1999], H. 1/2, Hg.: Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg), Stuttgart 1999. Caesar, Peter/Heitmann, Steffen/Lehmann-Grube, Hinrich u. a.: Die Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit in den neuen Ländern. Hg.: Deutsche Sektion der Internationalen Juristen-Kommission. Jahrestagung vom 27.–29. 9.1991 in Leipzig (Rechtsstaat in der Bewährung 27), Heidelberg 1992. Campbell, Colin: Administration an Politics. The State Apparatus and Political Responsiveness. In: Comparative Politics, 19 (1987), S. 481–499. Catenhusen, Hanns-Christian: Die Stasi-Überprüfung im öffentlichen Dienst der neuen Bundesländer. Die arbeits- und beamtenrechtlichen Grundlagen und ihre Umsetzung in der Verwaltungspraxis (Berliner Juristische Universitätsschriften, Öffentliches Recht 13), Berlin 1999. Creuzberger, Stefan: Die sowjetische Besatzungsmacht und das politische System der SBZ (Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung 3), Weimar u. a. 1996. Czok, Karl: Forschungen zur Regionalgeschichte. In: ZfG, Sonderband 1980, Historische Forschungen in der DDR 1970–1980. Analysen und Berichte. Zum XV. Internationalen Historikerkongreß in Bukarest 1980, Berlin (Ost) 1980. –: Über Traditionen sächsischer Landesgeschichte (Sitzungsberichte der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Philologisch-historische Klasse 123, Heft 4), Berlin (Ost) 1983. – (Hg.): Geschichte Sachsens. Im Auftrag der Historischen Kommission der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig und mit Unterstützung der KarlMarx-Universität Leipzig, Weimar 1989. Czybulka, Detlef: Zur Frage der Wiedererrichtung von Ländern in der DDR. Zugleich ein Beitrag über die Legitimationsdimension des Föderalismusgedankens in Deutschland und Europa. In: Recht und Politik, (1990) H. 1, S. 22–29.

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Anhang

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1092

Anhang

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1100

Anhang

–: Verträge und Rechtsakte zur Deutschen Einheit. Band 2: Einigungsvertrag und Wahlvertrag mit Vertragsgesetzen, Begründungen, Erläuterungen und Materialien, München 1990. Stober, Rolf (Hg.): Quellen zur Entstehungsgeschichte der Sächsischen Verfassung. Dokumentation, Dresden 1993. –: Handbuch des Sächsischen Staats- und Verwaltungsrechts, Stuttgart u. a. 1996. Stölzel, Jürgen: Verwaltungsorganisation auf Bezirks- und Kommunalebene – Grundprobleme der bezirklichen und kommunalen Neuorganisation. In: Pitschas, Rechtsvereinheitlichung, S. 134–148. Stolle, Uta: der Aufstand der Bürger. Wie 1989 die Nachkriegszeit in Deutschland zu Ende ging. Mit einem Vorwort von Joachim Gauck (Extremismus und Demokratie 1), Baden-Baden 2001. –: Von der Bewegung der Bürger und den „Bürgerbewegungen“. Handreichungen für eine Historisierung der Revolutionsgeschichte von 1989/90. In: Timmermann, Die DDR in Deutschland, S. 553–567. Stollreither, Konrad: Das vereinigte Deutschland. Grundlagen und Veränderungen, Berlin 1991. Stolpe, Manfred: Teilen und Ausgleichen nicht nur auf Deutschland beschränken. Länder-Neugliederung für Brandenburg nicht akut. In: Die Entscheidung. Magazin der Jungen Union Deutschlands, (1991) H. 3, S. 9. Striefler, Christian/Templin, Wolfgang (Hg.): Von der Wiederkehr des Sozialismus. Die andere Seite der Wiedervereinigung, Berlin/Frankfurt a. M. 1996. Sturm, Roland: Die Zukunft des deutschen Föderalismus. In: Liebert/Merkel, Die Politik zur deutschen Einheit, S. 161–182. –: Föderalismus in Deutschland (Beiträge zur Politik und Zeitgeschichte), Opladen 2001. Süß, Walter: Staatssicherheit am Ende. Warum es den Mächtigen nicht gelang, 1989 eine Revolution zu verhindern (Analysen und Dokumente), Berlin 1999. Süssmuth, Hans (Hg.): Wie geht es weiter mit Deutschland? Politisches Gespräch am 24./25. Januar 1990. Reformgruppen, Parteien und Kirchen aus der Deutschen Demokratischen Republik im Gespräch mit Politikern und Wissenschaftlern aus der Bundesrepublik Deutschland (Dialog in Deutschland 1), Baden-Baden 1990. Tautz, Günter: Die Entstehung einer Verfassung im Freistaat Sachsen. In: Stern, Deutsche Wiedervereinigung, Band 1, S. 25–35. Teltschik, Horst: 329 Tage. Innenansichten der Einigung, Berlin 1991. Tetzner, Reiner: Leipziger Ring. Aufzeichnungen eines Montagsdemonstranten Oktober 1989 bis 1. Mai 1990, Frankfurt a. M. 1990. Teufel, Erwin: Neugliederung muss Thema bleiben. Baden-Württemberg als Beispiel politischen Veränderungswillens. In: Die Entscheidung. Magazin der Jungen Union Deutschlands, (1991) H. 3, S. 14 f. Texte zur Deutschlandpolitik Reihe II/Band 1. Hg. v. Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, Bonn 1975. Texte zur Deutschlandpolitik. Reihe III/Band 7 – 1989. Hg. v. Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, Bonn 1990. Texte zur Deutschlandpolitik. Reihe III/Bände 8a/8b- 1990. Hg. v. Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, Bonn 1991. Thaysen, Uwe: Der Runde Tisch. Oder: Wo blieb das Volk? Der Weg der DDR in die Demokratie, Opladen 1990. –: Der Runde Tisch. Oder: Wer war das Volk? Teil 1. In: ZParl, 21 (1990), S. 71–100. Teil 2. In: ZParl, 21 (1990) S. 257–308.

Literatur

1101

–: Zur Verfassungspolitik in der DDR 1989/90. In: Hartmann/Thaysen, Pluralismus und Parlamentarismus, S. 299–323. – (Hg.): Der Zentrale Runde Tisch der DDR. Wortprotokoll und Dokumente. Band IV: Identitätsfindung? Wiesbaden 2000. – (Hg.): Der Zentrale Runde Tisch der DDR. Wortprotokoll und Dokumente. Band V: Dokumente, Wiesbaden 2000. – / Kloth, Hans Michael (Hg.): Wandel durch Repräsentation – Repräsentation im Wandel. Entstehung und Ausformung der parlamentarischen Demokratie in Ungarn, Polen, der Tschechoslowakei und der ehemaligen DDR, Baden Baden 1992. Thompson, Mark R.: Die „Wende“ in der DDR als demokratische Revolution. In: APuZG, (1999) B 45, S. 15–23. Thüringer Landtag. Handbuch 1. Wahlperiode 1990–1994, Weimar 1991. Der Thüringer Landtag. Politisches Zentrum eines neuen Bundeslandes. Hg.: Thüringer Landtag, Erfurt 1994. –: Die Entstehung der Verfassung des Freistaates Thüringen 1991–1993. Dokumentation, Erfurt 2003. Thüsing, Andreas: Landesverwaltung und Landesregierung in Sachsen 1945–1952. Dargestellt am Beispiel ausgewählter Ressorts (Europäische Hochschulschriften, Reihe III, Geschichte und ihre Hilfswissenschaften 865), Frankfurt a. M. u. a. 2000. Tietmeyer, Hans: Erinnerungen an die Vertragsverhandlungen. In: Waigel/Schell, Tage, S. 57–117. Timmermann, Heiner (Hg.): Die DDR in Deutschland. Ein Rückblick auf 50 Jahre (Dokumente und Schriften der Europäischen Akademie Otzenhausen 93), Berlin 2001. Tölgyessy, Péter: Die „ausgehandelte“ Revolution zwischen Apathie und Zivilgesellschaft. In: Thaysen/Kloth, Wandel, S. 33–45. Tullner, Mathias: Geschichte des Landes Sachsen-Anhalt, 3. überarbeitete und erweiterte Auflage, Opladen 2001. – /Lübeck, Wilfried (Hg.): Erhard Hübener. Mitteldeutschland und Sachsen-Anhalt. Schriften, Reden, Dokumente des Landeshauptmanns und Ministerpräsidenten, Halle/Saale 2001. Ullmann, Wolfgang: Verfassung und Parlament. Ein Beitrag zur Verfassungsdiskussion. Hg. v. Bernhard Maleck, Berlin 1992. Urich, Karin: Die Bürgerbewegung in Dresden (Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung 18), Köln/Weimar/Wien 2001. Vaatz, Arnold: Die friedliche Revolution war ein guter Anfang. In: Lieberknecht/Vaatz / Heitmann, Unterwegs zur Einheit, S. 19–28. –: Revolution ohne Rache. In: CDU in Dresden. Mitteilungen des Kreisverbandes, 6–7/1995, S. 16 f. –: Bürgerrechtler – einst und heute. In: Die politische Meinung, (1998) H. 346, S. 22– 26. –: Die Rolle von Eliten im Transformationsprozeß der neuen Bundesländer. In: Adam/ Leggewie, Junge Eliten, S. 51–60. Verfassung des Landes Sachsen. Gohrischer Entwurf, Dresden 1990. Verfassung des Landes Sachsen. Gohrischer Entwurf – Überarbeitete Fassung –, Dresden 1990. Verfassung des Freistaates Sachsen. Entwurf, o. O. 1991. Verfassung des Freistaates Sachsen vom 27. Mai 1992. Hg.: Sächsischer Landtag, Pressestelle unter Beteiligung der Sächsischen Staatskanzlei, Pressestelle sowie der Landeszentrale für politische Bildung, Dresden o. J. Verfassung des Freistaates Sachsen, Baden-Baden 1993.

1102

Anhang

Verfassungen in der DDR. Textsammlung. Neuer Verfassungsentwurf der DDR vom 4. April 1990, alte Verfassungen der Länder Thüringen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg, Mark Brandenburg, Sachsen. Mit einer Einführung von Erich Fischer, BadenBaden 1990. Die Verfassungen und Landtags-Geschäftsordnungen der DDR-Länder bis 1952, Bielefeld 1990. Verfassungsentwurf des Runden Tisches. Hg.: Arbeitsgruppe „Neue Verfassung“ des zentralen Runden Tisches Berlin, Berlin 1991. Der Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik. Erklärungen und Dokumente. Hg. vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Bonn 1990. Der Vertrag zur deutschen Einheit. Texte und Erläuterungen. Mit einer Chronik der deutschen Geschichte von 1949 bis 1990. Zusammengestellt von Eckehard Fuhr, Frankfurt a. M. 1990. Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag –. Hg.: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Reihe Berichte und Dokumentationen, Bonn 1990. Verträge zur deutschen Einheit. Textausgabe, Stand: Oktober 1990, Bonn 1990. Die Verträge zur Einheit Deutschlands. Textausgabe mit Sachverzeichnis und einer Einführung von Ingo Münch, 2. Auflage München 1992. Verzeichnis Gemeinden und Gemeindeteile im Freistaat Sachsen. Hg.: Statistisches Landesamt des Freistaates Sachsen, Kamenz 2000. Vesting, Thomas: Entwicklung des Verfassungs- und Verwaltungsrechts im Gebiet der ehemaligen DDR. In: DÖV, 44 (1991), S. 455–459. Vitzthum, Wolfgang Graf: Auf der Suche nach einer neuen sozio-ökonomischen Identität? Staatszielbestimmung und soziale Grundrechte in Verfassungsentwürfen der neuen Bundesländer. In: Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg, (1991), S. 404– 414. Vogel, Bernhard: Mehr Länder, weniger Föderalismus? Zur aktuellen Situation. In: Staatswissenschaften und Staatspraxis, 1 (1990), S. 129–131. Vogelgesang, Klaus: Die Verfassungsentwicklung in den neuen Bundesländern. In: DÖV, 44 (1991), S. 1045–1053. Die Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik. 10. Wahlperiode. Die Abgeordneten der Volkskammer nach den Wahlen vom 18. März 1990, Berlin 1990. Voss, Nikolaus: Aufbruch und Stagnation im Neubeginn der Leipziger Sozialdemokratie. In: Rudloff/Schmeitzner, Die Wiedergründung, S. 178–181. Wagner, Herbert: Die Novemberrevolution in Dresden. Ein Erlebnisbericht. In: Löw, Ursachen und Verlauf der deutschen Revolution 1989, S. 9–15. –: Zwanzig gegen die SED. Der Dresdner Weg in die Freiheit, Stuttgart/Leipzig 2000. Wahlen zu den Landtagen der Länder: Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Sachsen am 14. Oktober 1990. Gesamtübersicht. Hg. vom Gemeinsamen Statistischen Amt in Berlin, Berlin 1990. Wahlen zur Volkskammer am 18. März 1990. Endgültiges Ergebnis. DDR-Gesamtübersicht. Hg.: Wahlkommission der DDR, Berlin 1990. Waigel, Theo: Tage, die Deutschland und die Welt veränderten. In: Waigel/Schell, Tage, S. 26–56. – /Schell, Manfred: Tage, die Deutschland und die Welt veränderten. Vom Mauerfall zum Kaukasus. Die deutsche Währungsunion, München 1994.

Literatur

1103

Wallmann, Walter: Neugliederung darf kein Tabu sein. Aber: Entscheidend ist der Wille der Bürgerinnen und Bürger. In: Die Entscheidung. Magazin der Jungen Union Deutschlands, (1991) H. 3, S. 10–12. Wartenberg, Günther: Probleme der Transformation ostdeutscher Hochschulen nach 1990. In: Mertens, Politischer Systemumbruch, S. 277–286. Weber, Hermann: Historische DDR-Forschung vor und nach der deutschen Einheit. In: DA, 35 (2002), S. 937–943. Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft, 5. rev. Auflage Tübingen 1976. Wegner, Manfred (Hg.): Die neuen Bundesländer in der EG, Baden-Baden 1993. Wehling, Hans-Georg (Hg.): Die deutschen Länder. Geschichte, Politik, Wirtschaft, Opladen 2000. Wehner, Burkhard: Das Fiasko im Osten, Marburg 1991. Weilandt, Markus: Der Aufbau eines demokratischen Schulwesens in Sachsen-Anhalt (Studien und Dokumentationen zur deutschen Bildungsgeschichte 68), Weimar / Wien 1997. Weinke, Annette: Die DDR-Justiz in der Wende 1989/90. In: Heydemann/Mai/Müller, Revolution und Transformation, S. 571–593. Welzel, Andreas-Peter: Verwaltung und Management: Der Regierungsbezirk Leipzig 1990–2000. In: Bewegte sächsische Region, S. 147–159. Wendt, Alexander: Kurt Biedenkopf. Ein politisches Portrait, Berlin 1994. Wicker, Hubert: Der Anteil der alten Länder beim Aufbau von Verwaltung und Justiz in den neuen Ländern. In: Eckart, Die Rolle des Bundesrates, S. 62–72. Wiemers, Gerals: Die Sächsische Akademie der Wissenschaften zu Leipzig 1846–1996. Zur Organisationsform ihrer Mitglieder. In: Neues Archiv für sächsische Geschichte, 67 (1996) S. 179–199. Wiesenthal, Helmut: Die Transformation der DDR. Verfahren und Resultate, Gütersloh 1999. – (Hg.): Einheit als Interessenpolitik. Studien zur sektoralen Transformation Ostdeutschlands, Frankfurt a. M./New York 1995. Wietstruk, Siegfried u. a.: Entwicklung des Arbeiter-und-Bauern-Staates der DDR 1949 bis 1961. Hg.: Institut für Theorie des Staates und des Rechts der Akademie der Wissenschaften der DDR, Berlin (Ost) 1987. Wilke, Manfred: Die bundesdeutschen Parteien und die demokratische Revolution in der DDR – oder: Die Bewährung des demokratischen Kernstaates. In: Löw, Ursachen und Verlauf der deutschen Revolution 1989, S. 105–122. Winter, Jörg: Staatskirchenrecht der Bundesrepublik Deutschland (Schriftenreihe der Diakonie Stuttgart – Recht 4), Stuttgart 1990. Wirtschaftliche Zusammenarbeit Sachsen – Baden-Württemberg. Hg.: Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie Baden-Württemberg, Stuttgart 1990. Wollmann, Hellmut: Um- und Neubau der politischen und administrativen Landesstrukturen in Ostdeutschland. In: APuZG, (1998) B 5, S. 18–28. –: Entwicklung des Verfassungs- und Rechtsstaates in Ostdeutschland als Institutionenund Personaltransfer. In: Wollmann/Derlien u. a., Transformation, S. 25–48. –: Der Systemwechsel in Ostdeutschland, Ungarn, Polen und Rußland. In: APuZG, (1997) B 5, S. 3–15. –: Institutioneller Umbruch in Ostdeutschland, Polen und Ungarn im Vergleich. In: Berliner Journal für Soziologie, 7 (1997) H. 4, S. 525–537. –: Institutionenbildung in Ostdeutschland: Neubau, Umbau und „schöpferische Zerstörung“. In: Kaase/Eisen u. a., Politisches System, S. 47–153.

1104

Anhang

– /Becker, Ulrike u. a. (Hg.): Transplantation oder Eigenwuchs? Die Transformation der Institutionen in Ostdeutschland. Eine Forschungsdokumentation, Bonn 1995. – /Berg, Frank: Die ostdeutschen Kommunen: Organisation, Personal, Orientierungsund Einstellungsmuster im Wandel. In: Naßmacher/Niedermayer/Wollmann, Politische Strukturen im Umbruch, S. 239–273. – / Derlien, Hans-Ulrich u. a. (Hg.): Transformation der politisch-administrativen Strukturen in Ostdeutschland (Beiträge zu den Berichten der Kommission für die Erforschung des sozialen und politischen Wandels in den neuen Ländern e. V. [KPSW], Band 3. 1), Opladen 1997. –: Die institutionelle Transformation Ostdeutschlands zwischen Systemtransfer und Eigendynamik. In: Wollmann/Derlien, Transformation, S. 9–23. Würtenberger, Thomas: Die Verfassungsgebung in den neuen Bundesländern. In: Merten/Schreckenberger, Kodifikation, S. 115–130. –: Die Verfassung der DDR zwischen Revolution und Beitritt. In: Isensee / Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 187, S. 101–130. Wurzel, Gabriele: Zur Neugliederung der Länder im deutschen Einigungsprozeß. In: Eichholz-Brief. Zeitschrift zur politischen Bildung und Information, (1990) H. 4, S. 87–94. Zapf, Wolfgang: Zwei Geschwindigkeiten in Ost- und Westdeutschland. In: Holtmann/ Sahner, Aufhebung der Bipolarität, S. 69–81. Zehn Jahre Sächsischer Landtag. Bilanz und Ausblick. Festschrift. Hg. v. Präsidenten des Sächsischen Landtages, Dresden 2001. Zimmerling, Zeno und Sabine: Neue Chronik DDR. 3. Folge: 24. November – 22. Dezember 1989, Berlin (Ost) 1990. Zu Problemen der territorialen Gestalt der Länder Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen in Verwirklichung des Ländereinführungsgesetzes vom 22. Juli 1990 und Empfehlung für die Behandlung von Anliegen auf territoriale Veränderungen, die Ländergrenzen berühren. Broschüre. Hg.: Gemeinschaftsstelle der Länder für Landes- und Kommunalfragen, Berlin 1990. Zwahr, Hartmut: Ende einer Selbstzerstörung. Leipzig und die Revolution in der DDR, Göttingen 1993. –: Die Revolution in der DDR 1989/90 – eine Zwischenbilanz. In: Fischer / Heydemann, Die politische „Wende“ 1989/90 in Sachsen, S. 205–252. –: Die demokratische Revolution in Sachsen: „Wir sind das Volk!“. In: Meuschel/Richter/Zwahr, Friedliche Revolution in Sachsen, S. 23–43. –: Die Revolution in der DDR im Demonstrationsvergleich. Leipzig und Berlin im Oktober und November 1989. In: Hettling/Nolte, Nation und Gesellschaft in Deutschland, S. 335–350. –: Die Revolution in der DDR. In: Hettling, Revolution in Deutschland, S. 122–143. –: Vertragsgemeinschaft, Konföderation oder Vereinigung? Die Übergänge zur nationaldemokratischen Revolution in der DDR im Herbst 1989. In: John / Matzerath, Landesgeschichte, S. 709–729. Die zweite gesamtdeutsche Demokratie. Ereignisse und Entwicklungslinien, Bilanzierungen und Perspektiven, Fragen und Fundamente, Band 1. Hg. von der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, München 2001.

Abkürzungen

9.5

1105

Abkürzungen41

AB ABI ABL ACDP ADL ADN AdSD AdW AfD AfNS AG AJL AK AKC AKG AL APO APuZG AR AS ASD ASt. AThLT

Archiv der Bürgerbewegung Arbeiter-und-Bauern-Inspektion Archiv der Bürgerbewegung Leipzig Archiv für Christlich-Demokratische Politik Sankt Augustin Archiv des Deutschen Liberalismus Gummersbach Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst Archiv der sozialen Demokratie Bonn Akademie der Wissenschaften (der DDR) Allianz für Deutschland Amt für Nationale Sicherheit Arbeitsgruppe Alternative Jugendliste Arbeitsgruppe Aktion Katholische Christen Auswertungs- und Kontrollgruppe des MfS Abteilungsleiterin/Abteilungsleiter Abteilungsparteiorganisation der SED Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zum „Parlament“ Amtsrat Arbeitsstab Archiv der sozialen Demokratie Bonn – Bad Godesberg Außenstelle Archiv des Thüringer Landtages

BAfNS BArch B BayStK BaySMAS

Bezirksamt für Nationale Sicherheit Bundesarchiv Berlin Bayerische Staatskanzlei Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen Bayerisches Staatsministerium für Bundes- u. Europaangelegenheiten Bayerisches Staatsministerium des Innern Bayerisches Staatsministerium der Justiz Bayerisches Staatsministerium der Finanzen Bayerisches Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Bayerisches Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus Bayerisches Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst Bayerisches Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr Bezirksbaudirektor Bezirksdirektion der Deutschen Volkspolizei Bezirksvorstand

BaySMBE BaySMI BaySMJ BaySMF BaySMELF BaySMLU BaySMUK BaySMWK BaySMWV BBD BDVP/BdVP BeVo 41

Aufgenommen wurden auch divergierende Schreibweisen und ungebräuchliche Abkürzungen in den Dokumenten. Mehrfachbedeutungen sind möglich. Die benutzten Abkürzungen für Ministerien entsprechen nicht zwangsläufig den offiziellen.

1106

Anhang

BFD BEL BePo BFD BL BMA BMB BMBau BMF BMI BMJFFG BML BMU BMWi BPA BPO Brandenburg. LHA BSP BT BV BVB BVfS BW, B-W BY

Bund Freier Demokraten Bezirkseinsatzleitung Bereitschaftspolizei Bund Freier Demokraten Bezirksleitung Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen Bundesbauministerium Bundesministerium der Finanzen Bundesministerium des Innern Bundesministerium für Jugend, Frauen und Familie Bundesministerium für Landwirtschaft Bundesministerium für Umwelt Bundesministerium für Wirtschaft Bundespresseamt Betriebsparteiorganisation der SED Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam Bestand Stadt Pausa Bezirkstag Bezirksverband/Bezirksverwaltung Bezirksverwaltungsbehörde Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Baden-Württemberg Bayern

CDU ČSFR CSPD

Christlich-Demokratische Union Tschechoslowakische Föderative Republik Christlich-Soziale Partei Deutschlands

DA DBD DDP DDR DFD DFP DJ DM DNN DÖV dpa DSU dt./Dt. DU DVBL DVP

Demokratischer Aufbruch – sozial + ökologisch Demokratische Bauernpartei Deutschlands Deutsche Demokratische Partei Deutsche Demokratische Republik Demokratischer Frauenbund Deutschlands Deutsche Forum-Partei Demokratie Jetzt Deutsche Mark Dresdner Neueste Nachrichten Die Öffentliche Verwaltung Deutsche Presseagentur Deutsche Soziale Union deutsch Demokratische Union (Dresdner Wahlbündnis) Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Volkspolizei

EKD EW

Evangelische Kirche in Deutschland Einwohner

FA

Fachabteilung

Abkürzungen

1107

FAZ FDGB FDJ FDP FDU FG FMBW FR

Frankfurter Allgemeine Zeitung Freier Deutscher Gewerkschaftsbund Freie Deutsche Jugend Freie Demokratische Partei Freie Deutsche Union Fachgruppe42 Finanzministerium Baden-Württemberg Frankfurter Rundschau

GBl GD GK GK S/BW GVS GWZ

Gesetzblatt der DDR Generaldirektor Gemischte Kommission Gemischte Kommission Sachsen/Baden-Württemberg43 Geheime Verschlusssache Gesellschaft für internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit Baden-Württemberg Gruppe der 20 (Dresden)

G20 HA HAIT HAV-DS Plauen HdG HPM HV

Hauptabteilung Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der TU Dresden Historisches Archiv des Vogtlandkreises, Dienststelle Plauen Haus der Geschichte Historisch-politische Mitteilungen Hauptverwaltung

IFM IM IM IMBW IMK

Initiative für Frieden und Menschenrechte Inoffizielle Mitarbeiterin/Inoffizieller Mitarbeiter Innenministerium Innenministerium Baden-Württemberg Innenministerkonferenz

JMBW JÖR

Justizministerium Baden-Württemberg Jahrbuch für öffentliches Recht

KA KAL KAS KMS KMU KoKo KPD KSZE KT

Koordinierungsausschuss zur Bildung des Landes Sachsen Kreisarchiv des Kreises Altenburger Land Konrad-Adenauer-Stiftung Sankt Augustin Karl-Marx-Stadt Karl-Marx-Universität (Leipzig) Kommerzielle Koordinierung Kommunistische Partei Deutschlands Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Kreistag

42 Meist handelt es sich um die FG der GK S / BW. Diese wurden vereinzelt auch „Fachkommissionen“ genannt. Bei Abkürzungen in den Fußnoten wurden diese ebenfalls auf „FG“ abgekürzt. 43 Keine einheitliche Schreibweise: In BW meist „Gemischte Kommission Baden - Württemberg / Sachsen“. Bei Abkürzungen in Fußnoten wurden Varianten nivelliert.

1108

Anhang

KV KWV

Kreisverband Kommunale Wohnungsverwaltung

LA LaVo LBG LDP LDPD LEG LHA LKA LKV

Landesarchiv Landesvorstand Länderbildungsgesetz Liberal-Demokratische Partei Liberal-Demokratische Partei Deutschlands Landesentwicklungsgesellschaft Landeshauptarchiv Landeskirchenamt Landes- und Kommunalverwaltung. Verwaltungsrechts-Zeitschrift für die Länder Berlin, Brandenburg, MecklenburgVorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen Leitender Ministerialrat Leipzig Landesstrukturbeauftragter Landschaftsschutzgebiet Landtag leitend Landesverband Leipziger Volkszeitung

LMR Lpz. LSB LSG LT Ltd. LV LVZ MAGFSBW Md MdBT MdI MdJ MdL MdVK MdZK MedAk MfNV MfS Min.-dir. Min.-rat MJBEBW MKSBW MLFBW MR MRKA MWKBW MWMTBW

Ministerium für Arbeit, Gesundheit, Familie und Sozialordnung Baden-Württemberg Mitglied des/der Mitglied des Bezirkstages Ministerium des Innern Ministerium der Justiz Mitglied des Landtages Mitglied der Volkskammer Mitglied des Zentralkomitees Medizinische Akademie Ministerium für Nationale Verteidigung Ministerium für Staatssicherheit Ministerialdirigent/-direktor Ministerialrat Ministerium für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten Baden-Württemberg Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg Ministerium für ländlichen Raum, Ernährung, Landwirtschaft u. Forsten Baden-Württemberg Ministerrat Ministerium für regionale und kommunale Angelegenheiten der Regierung de Maizière Ministerium für Wissenschaft und Kunst Baden-Württemberg Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie Baden-Württemberg

Abkürzungen

1109

NAGEMA NASI ND NDPD NF NJW NPD NRW NVA NVR

Nahrungs- und Genussmittelmaschinen (VEB Kombinat) Nationale Sicherheit Neues Deutschland National-Demokratische Partei Deutschlands Neues Forum Neue Juristische Wochenschrift Nationaldemokratische Partei Deuschlands Nordrhein-Westfalen Nationale Volksarmee Nationaler Verteidigungsrat der DDR

OAR OB ÖAK OFD OKR OLG OLKR ÖVW

Oberamtsrat Oberbürgermeister Ökumenischer Arbeitskreis (der Dresdner Kirchgemeinden) Oberfinanzdirektion Oberkirchenrat Oberlandesgericht Oberlandeskirchenrat Öffentliche Versorgungswirtschaft

PA PB PDS POS PVS PWD

Privatarchiv Privatbestand Partei des Demokratischen Sozialismus Polytechnische Oberschule Politische Vierteljahresschrift Partei der Wiedervereinigung Deutschlands

RA RB RD RdB RdG RdK RdSt RHA RL RL RP RPL RT/R.T. RTB RTL

Regionalausschuss Regierungsbevollmächtigter Regierungsdirektor Rat des Bezirkes Rat der Gemeinde Rat des Kreises Rat der Stadt Robert-Havemann-Archiv Berlin Referatsleiterin/Referatsleiter Ressortleiterin/Ressortleiter (Zusammenhang BVB) Regierungspräsidium Regierungspräsidium Leipzig Runder Tisch Runder Tisch des Bezirks Runder Tisch des Bezirkes Leipzig

SächsHStA SächsStAC SächsStAL SächsVBl. SB SDP SED

Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden Sächsisches Staatsarchiv Chemnitz Sächsisches Staatsarchiv Leipzig Sächsische Verwaltungsblätter Strukturbeauftragter Sozialdemokratische Partei in der DDR Sozialistische Einheitspartei Deutschlands

1110 SM SMBW SMI SMJus SMK SMLE

Anhang

SMWA SMWK SPD SStK StGB StK StK StOI StVV

Staatsministerium Staatsministerium Baden-Württemberg Sächsisches Staatsministerium des Innern Sächsisches Staatsministerium der Justiz Sächsisches Staatsministerium für Kultus Sächsisches Staatsministerium für Landwirtschaft und Ernährung Sächsisches Staatsministerium für Soziales, Gesundheit, Familie Sächsisches Staatsministerium für Umwelt und Landesentwicklung, später nach Fusion „und Landwirtschaft“ Sächsisches Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit Sächsisches Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst Sozialdemokratische Partei Deutschlands Sächsische Staatskanzlei Strafgesetzbuch Staatskanzlei Ständige Kommission (Kreis- und Bezirkstage) Staatsoberinspektor Stadtverordnetenversammlung

T. TH ThHStA ThStAM ThStAR TO TOP TU

Termin Technische Hochschule Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar Thüringisches Staatsarchiv Meiningen Thüringisches Staatsarchiv Rudolstadt Tagesordnung Tagesordnungspunkt Technische Universität

UFV UMBW USPD

Unabhängiger Frauenverband Umweltministerium Baden-Württemberg Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands

V. VBK VdgB VEB VK VL Vors. VP VPA VPLA VR VS VVS

Verantwortlich Verband der bildenden Künstler Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe Volkseigener Betrieb Volkskammer Vereinigte Linke Vorsitzende/Vorsitzender Volkspolizei Vorparlamentarischer Ausschuss Vorpommersches Landesarchiv Greifswald Volksrepublik Verschlusssache Vertrauliche Verschlusssache

ZAIG ZfG

Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (des MfS) Zeitschrift für Geschichtswissenschaft

SMSGF SMUL

1111

Verzeichnis der Karten / Bildnachweis ZParl ZRT

9.6

Zeitschrift für Parlamentsfragen Zentraler Runder Tisch (der DDR)

Verzeichnis der Karten im Text

1. Gebietsverluste Sachsens 1815 2. Land Sachsen bis 1952 und Bezirke ab 1952 3. Grenzen des Bistums Dresden-Meißen und der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsen in der DDR (vereinfacht) 4. Ländergliederungsvorschläge der Regierungskommission Verwaltungsreform und nach Karlheinz Blaschke (Frühjahr 1990) 5. Bürgerbefragung und Kreistagsbeschlüsse zur Landeszugehörigkeit strittiger Kreise im Sommer 1990 6. Die „Allianz für Sachsen“ 1990/91 7. Grenzen der Bezirke und des Freistaates Sachsen 1990 8. Grenzen Sachsens bis 1952 und nach 1990

9.7

Kap. 2.1, Kap. 2.2,

S. 35 S. 53

Kap. 2.3,

S. 59

Kap. 4.2,

S. 279

Kap. 5.2, Kap. 5.2, Kap. 6.1, Kap. 7.2,

S. 402 S. 452 S. 740 S. 945

Bildnachweis

Ulrich Böhme: S. 80, 83, 849; Paul Glaser: S. 73; Marian Günther: S. 71; Rolf Günther: S. 368; HAIT KA, 67: S. 739; Matthias Hiekel: S. 853, 863; Privatbestand Michael Lersow: S. 827; Privatbestand Klaus Reichenbach: S. 653; H. Reinecke: S. 825; Klaus Thiere: S. 860, 881, 884, 1016.

1112

9.8

Anhang

Verzeichnis der Dokumente

Januar 1990

Dokumententeil (CD) Seite

1

17.1.1990

Beschlussvorlage des Rates des Bezirkes Dresden: Wege zur Herausbildung des Landes Sachsen (BArch B, DO 5, 182)

19

2

18.1.1990

Protokoll der 5. Sitzung des Runden Tisches des Bezirkes Dresden (HAIT, Matthias Rößler)

26

3

25.1.1990

Protokoll der 6. Sitzung des Runden Tisches des Bezirkes Dresden (HAIT, Matthias Rößler)

29

4

30.1.1990

Rat des Bezirkes Leipzig zum föderalistischen Staatsaufbau und der Gestaltung des Landes Sachsen (SächsStAL, BT/RdB, 25759)33

33

5

31.1.1990

Vereinbarung über die Bildung einer gemischten Kommission Land Baden-Württemberg, Bezirk Dresden, Bezirk Karl-Marx-Stadt, Bezirk Leipzig (SächsStAL, BT/RdB, 31257, Bl. 45–48)

35

Februar 1990 6

1. 2.1990

Bericht des Rates des Bezirkes Dresden an den Bezirkstag (Auszug) (SächsHStA, BT/RdB, 46071, Bl. 93–100)

39

7

1. 2.1990

Bezirkstag Dresden, Runder Tisch des Bezirkes Dresden. Für ein freies, demokratisches Sachsen (HAIT, Erich Iltgen, 4)

40

8

8. 2.1990

Erklärung der Vertreter der basisdemokratischen Vereinigungen und neuen Parteien im Bezirkstag Dresden (HAIT, Erich Iltgen, 4)

42

9

10. 2.1990

Presseerklärung des Neuen Forums (ABL, H. 17)

42

10

15. 2.1990

Protokoll der 9. Beratung des Runden Tisches des Bezirkes Dresden (HAIT, Matthias Rößler)

43

11

17. 2.1990

Protokoll der Gründungsversammlung des Landesverbandes Sachsen des Neuen Forums (ABL, H. 17)

46

Verzeichnis der Dokumente

1113

12

20. 2.1990

Varianten zur Ländergliederung entsprechend dem Vorschlag der Arbeitsgruppe administrativ-territoriale Gliederung der Regierungskommission „Verwaltungsreform“ (SächsStAL, BT/RdB, 31257)

48

13

20. 2.1990

Stellungnahme des Rates des Bezirkes Leipzig zur politisch-administrativen Territorialgliederung (BArch B, DO 5, 137)

50

14

22. 2.1990

Sorbischer Runder Tisch gegen Zuordnung von Teilen des gemischt-nationalen Gebietes der Lausitz zum Land Brandenburg (Archiv der Domowina)

52

15

26. 2.1990

Überlegungen der AG Recht der Dresdner Stadtverordnetenversammlung zur Wiedererstehung der Länder in der DDR (HAIT, KA, 3.5)

54

März 1990 16

1. 3.1990

Protokoll der 11. Beratung des Runden Tisches des Bezirkes Dresden (HAIT, Matthias Rößler)

57

17

7. 3.1990

Einladung zur konstituierenden Sitzung des Ausschusses des Rates des Bezirkes Karl-Marx-Stadt zur Bildung des Landes Sachsen (SächsStAC, BT/RdB, 152188)

61

18

9. 3.1990

Bericht des Staatsministeriums Baden-Württemberg über die 2. Sitzung der Gemischten Kommission Sachsen – Baden-Württemberg am 9. 3.1990 in Dresden/Gohrisch (HAIT, KA, V.2)

62

19

12. 3.1990

Information und Festlegungen des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Dresden zur Umsetzung der Beratung zwischen den drei Vorsitzenden der Räte der Bezirke Sachsens am 9. März 1990 (SächsHStA, BT/ RdB, 47120, Bl. 077–078)

63

20

12. 3.1990

Fernschreiben des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Dresden an den Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Leipzig zum Thema Bildung des Landes Sachsen (SächsStAL, BT/RdB, 25795)

66

1114

Anhang

21

13. 3.1990

Information des Rates des Bezirkes Dresden über die Arbeit der Gemischten Kommission Sachsen/BadenWürttemberg (SächsHStA, BT/RdB, 47120, Bl. 079–081)

67

22

13. 3.1990

Fernschreiben von Lothar Fichtner an Michael Kunze (SächsStAC, BT/RdB, 152189)

70

23

Mitte März 1990

Schreiben von Lothar Fichtner an Michael Kunze (SächsStAC, BT/RdB, 152188)

71

24

17. 3.1990

Standpunkt der Sorbischen Territorialkommission zur Länderbildung (Nowy Casnik vom 17. 3.1990)

71

25

19. 3.1990

Standpunkt des Präsidiums des Bezirksvorstandes der PDS gegen die Auflösung des Bezirkstages und des Rates des Bezirkes (SächsHStA, BT/RdB, 46074, Bl. 286–288)

72

26

20. 3.1990

Diskussionsbeitrag das Instituts für Denkmalpflege Dresden zu einem künftigen Land Sachsen aus kulturgeographischer und kulturhistorischer Sicht (BArch B, DO 5, 145)

74

27

21. 3.1990

Protokoll über die Beratung „Verwaltungsreform“ des Rates des Bezirkes Leipzig (SächsStAL, BT/RdB, 25795)

76

28

22. 3.1990

Protokoll der 14. Beratung des Runden Tisches des Bezirkes Dresden (HAIT, Mattthias Rößler)

78

29

22. 3.1990

Stellungnahme der sorbischen Territorialkommission zur Dokumentation des Rates des Bezirkes Dresden vom 13. März 1990 (Nowa doba, deutschsprachige Beilage vom 7. 4.1990)

82

30

27. 3.1990

Pressemitteilung des Staatsministeriums von BadenWürttemberg über das baden-württembergische Hilfsprogramm für Sachsen (HAIT, KA, V.2)

83

31

27. 3.1990

Antrag der Fachgruppe 11 „Verfassungs- und Verwaltungsreform“ der Gemischten Kommission auf Bestätigung durch den Runden Tisch des Bezirkes Dresden (HAIT, Erich Iltgen, 4)

89

32

27. 3.1990

Entwurf eines gemeinsamen Schreibens der Vorsitzenden der Räte der drei Bezirke an den Ministerpräsidenten der DDR (SächsStAC, BT/RdB, 152189)

90

Verzeichnis der Dokumente

1115

33

29. 3.1990

Protokoll der 15. Beratung des Runden Tisches des Bezirkes Dresden (HAIT, Erich Iltgen, 5/9)

91

34

29. 3.1990

Niederschrift über eine Beratung der Arbeitsgruppe „Bildung Land Sachsen“ des Bezirkstages Dresden (SächsStAL, BT/RdB, 25795)

97

35

30. 3.1990

Gemeinsame Erklärung über die Zusammenarbeit zwischen Sachsen und Bayern. Entwurf (HAIT, KA, IV)

99

April 1990 36

2. 4.1990

Einladung an Erich Iltgen zur ersten Beratung des Kuratoriums „Land Sachsen“ (HAIT, Erich Iltgen, 4)

101

37

3. 4.1990

Protokoll der Tagung des Präsidiums des Bezirkstages Dresden (Auszug) (HAIT, Erich Iltgen, 5/34)

101

38

5. 4.1990

Protokoll der 16. Tagung des Runden Tisches des Bezirkes Dresden (HAIT, Matthias Rößler)

102

39

6. 4.1990

„Rottenburger Erklärung“ zur Länderbildung in der DDR (HAIT, Erich Iltgen, 5/33)

105

40

6. 4.1990

Information des Rates des Bezirkes Leipzig über den Stand der Länderbildung (SächsStAL, BT/RdB, 21309, Bl. 1–4)

108

41

6. 4.1990

Entschließung von CDU und DA zur Neustrukturierung der Gemischten Kommission Sachsen/Baden-Württemberg (HAIT, KA, V,1)

109

42

7. 4.1990

Stellungnahme des Kreissekretariats der Domowina Hoyerswerda zur Territorialreform (Nowa doba, deutschsprachige Beilage, vom 7. 4.1990)

110

43

9. 4.1990

Schreiben von Rainer Eppelmann an Wolf-Dieter Beyer (Privatbestand Wolf-Dieter Beyer)

111

44

10. 4.1990

Niederschrift einer Beratung der Runden Tische der drei sächsischen Bezirkshauptstädte bezüglich Land Sachsen (HAIT, Erich Iltgen, 5/32)

111

45

17. 4.1990

Diskussionspapier zum Leipziger Parteispitzentreffen zum Thema „Runder Tisch Land Sachsen“ (ABL, H XIX)

113

1116

Anhang

46

17. 4.1990

Presseerklärung des Demokratischen Aufbruchs KarlMarx-Stadt (Freie Presse, Ausgabe Karl-Marx-Stadt, vom 17. 4.1990)

118

47

17. 4.1990

Kritik der neuen politischen Kräfte an der Bildung eines „Kuratoriums Land Sachsen“ auf der Meißener Albrechtsburg (Die Union vom 17. 4.1990)

119

48

17. 4.1990

Statutentwurf des Runden Tisches Sachsen (Privatbestand Günter Kleinschmidt)

120

49

18. 4.1990

1. Arbeitsentwurf Verfassung des Landes Sachsen (HAIT, KA, 3.5)

124

50

18. 4.1990

Einladung zur Konstituierung des Kuratoriums „Land Sachsen“ in Meißen (HAIT, Erich Iltgen, 4)

139

51

18. 4.1990

Interview mit dem Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Dresden Michael Kunze (HAIT, KA, 6)

140

52

18. 4.1990

Erklärung von Parteien, Vereinigungen und Organisationen des Runden Tisches des Bezirkes KarlMarx-Stadt (SächsStAC, BT/RdB, 124557)

144

53

April 1990

Erklärung des Demokratischen Aufbruchs Westsachsen zur vorgesehen Tagung auf der Meißener Albrechtsburg (Privatbestand Wieland Orobko)

145

54

19. 4.1990

Protokoll der 17. Tagung des Runden Tisches des Bezirkes Dresden (SächsHStA, BT/RdB, 46123, Bl. 172–174)

147

55

19. 4.1990

Aufruf der DSU an die Runden Tische und die Vorsitzenden der Räte der Bezirke in Dresden, Leipzig und Chemnitz zur demokratischen Vorbereitung der Landtagswahlen in Sachsen (HAIT, Erich Iltgen, 5)

150

56

19. 4.1990

Dringlichkeitsantrag der CDU und der neuen politischen Kräfte am Runden Tisch des Bezirkes Leipzig (SächStAL, BT/RdB, 31261, Bl. 21)

152

57

21. 4.1990

Protokoll der außerordentlichen Beratung des Runden Tisches des Bezirkes Karl-Marx-Stadt (SächsStAC, BT/RdB, 124557)

153

58

23. 4.1990

Positionspapier der Stabsstelle Verwaltungsstruktur, Information und Kommunikation des Innenministeriums Baden-Württemberg zur Verwaltungsstruktur Sachsens (SMBW, 0136)

155

Verzeichnis der Dokumente

1117

59

26. 4.1990

Protokoll der Beratung der Arbeitsgruppe „Land Sachsen“ des Runden Tisches des Bezirkes Dresden (HAIT, Erich Iltgen, 5/26)

158

60

26. 4.1990

Protokoll der 19. Tagung des Bezirkstages Dresden (Auszug) (SächsHStA, BT/RdB, 46074, Bl. 109–114)

160

61

26. 4.1990

Beschluss des Bezirkstages Dresden über weitere Maßnahmen bei der Herausbildung des Landes Sachsen (HAIT, Erich Iltgen, 3)

161

62

26. 4.1990

Rede Erich Iltgens vor dem Bezirkstag Dresden (HAIT, Erich Iltgen, 5)

162

63

April 1990

Konzeption der Grünen Partei zum Aufbau des Landes Sachsen (HAIT, Erich Iltgen, 5/29)

164

Mai 1990 64

2. 5.1990

Beschluss des Ministerrates der DDR zum Vorschlag zur Sicherung der Regierungsfähigkeit in den Bezirken bis zur Bildung funktionsfähiger Länder (HAIT, Erich Iltgen, 03.4/1)

167

65

3. 5.1990

Protokoll der 18. Tagung des Runden Tisches des Bezirkes Dresden (HAIT, Matthias Rößler)

168

66

3. 5.1990

Handschriftliche Notizen Erich Iltgens von der 18. Tagung des Runden Tisches des Bezirkes Dresden (HAIT, Erich Iltgen, 4)

170

67

3. 5.1990

Vorschlag von Arnold Vaatz zur Bildung eines Vorparlamentarischen Ausschusses für das Land Sachsen (HAIT, KA, 6)

171

68

Mai 1990

Vorschlag von Arnold Vaatz zum Verfahren der Länderbildung im Falle des Landes Sachsen (HAIT, KA, VII.3)

174

69

8. 5.1990

Vorschläge des Runden Tisches des Bezirkes Dresden zur Vorbereitung der Bildung des Landes Sachsen (HAIT, Erich Iltgen, 5/25)

177

70

8. 5.1990

Schreiben von Michael Kunze an Manfred Preiß (HAIT, KA, 6)

181

71

8. 5.1990

Rat des Bezirkes Karl-Marx-Stadt über die Zusammenarbeit mit Baden-Württemberg (SächsStAC, BT/RdB, 124559)

182

1118

Anhang

72

17. 5.1990

Protokoll der 19. Tagung des Runden Tisches des Bezirkes Dresden (HAIT, Matthias Rößler)

189

73

22. 5.1990

Zwischenbilanz und Vorschläge des Innenministeriums Baden-Württemberg für das weitere Vorgehen der Arbeitsgruppe Verwaltungsstruktur Sachsen der Gemischten Kommission (HAIT, KA, 10.1)

194

74

30. 5.1990

Protokoll der Beratung mit Mitgliedern des Präsidiums des Landesvorstandes Sachsen der CDU, Bezirksgeschäftsführern und vorgeschlagenen Regierungsbeauftragten (ACDP, VII-011–3848)

195

75

31. 5.1990

Protokoll der 20. Sitzung des Runden Tisches des Bezirkes Dresden (HAIT, Matthias Rößler)

197

Juni 1990 76

2. 6.1990

Demokratische Tradition bewahren. Runder Tisch des Bezirkes beriet über weitere Arbeit (Die Union vom 2. 6.1990)

201

77

14. 6.1990

Protokoll der 21. Sitzung des Runden Tisches des Bezirkes Dresden (HAIT, Matthias Rößler)

202

78

ca. Mitte Juni Geschäftsordnung des Koordinierungsausschusses zur 1990 Bildung des Landes Sachsen (RPL, 0141.0)

205

79

18. 6.1990

Schreiben des Vorsitzenden der Domowina, Bernhard Ziesch, an den Regierungsbevollmächtigten zur Bildung des Landes Sachsen, Siegfried Ballschuh (HAIT, KA, 4.1)

208

80

20. 6.1990

Sächsische Verfassung. Leipziger Entwurf der CDU (Privatbestand Volker Schimpff)

209

81

21. 6.1990

Bitte von Arnold Vaatz an das Bischöfliche Ordinariat um Freistellung Erich Iltgens für das Amt des Leiters des Regionalausschusses Dresden (HAIT, Erich Iltgen, 4)

232

82

28. 6.1990

Protokoll der 22. Sitzung des Runden Tisches des Bezirkes Dresden (HAIT, Mattias Rößler)

232

83

28. 6.1990

Bericht von Arnold Vaatz an den Runden Tisch des Bezirkes Dresden über Methoden und Arbeitsstand zur Bildung des Landes Sachsen (HAIT, KA, 6)

235

Verzeichnis der Dokumente 84

29. 6.1990

1119

Protokoll der Beratung des Regionalausschusses Chemnitz zur Herausbildung des Landes Sachsen (Privatbestand Wolf-Dieter Beyer)

236

Juli 1990 85

6. 7.1990

Protokoll der Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses (HAIT, KA, 3.3)

241

86

9. 7.1990

Aufruf der Bürgermeister von Elsterberg, Mühltroff und Pausa zum Bürgerentscheid für die Zugehörigkeit zum Freistaat Sachsen (BSP, I)

243

87

10. 7.1990

Vorschlag des Koordinierungsausschusses zur Tätigkeit und Arbeitsweise des Sächsischen Forums (HAIT, Erich Iltgen, 3)

244

88

10. 7.1990

Aktennotiz von einem Gespräch zwischen Helmut Münch und Gustav Rust (HAIT, Erich Iltgen, 5/40)

246

89

11. 7.1990

Rechte, Pflichten und Aufgaben sowie Geschäftsverteilung der Stellvertreter des Regierungsbevollmächtigten (HAIT, KA, 3.1)

247

90

12. 7.1990

Interview mit Erich Iltgen (Die Union vom 12. 7.1990)

248

91

12. 7.1990

Protokoll über die Arbeitsberatung der Stellvertreter für die Bildung des Landes Sachsen (HAIT, KA, 33)

252

92

13. 7.1990

Konzeption zur Herstellung der Arbeitsfähigkeit des Bereiches des Stellvertreters des Regierungsbeauftragten des Bezirkes Dresden (Privatbestand Manfred Kolbe)

253

93

Juli 1990

Vorschlag zu den Aufgaben des für die Bildung von Landesstrukturen zuständigen Stellvertreters des Regierungsbevollmächtigten für den Bezirk Dresden (HAIT, KA, 1)

255

94

16. 7.1990

Protokoll der Sitzung der Gemischten Kommission Baden-Württemberg/Sachsen (HAIT, KA, 3.1)

257

95

19. 7.1990

Schreiben des Leiters des Sächsischen Forums, Erich Iltgen, an die sächsischen Volkskammerabgeordneten (HAIT, Erich Iltgen, 3)

260

96

19. 7.1990

Protokoll der Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses (HAIT, KA, 3.3)

261

1120

Anhang

97

20. 7.1990

Arbeitsstand des Koordinierungsausschusses beim Aufbau der Landesregierung Sachsen (SächsStAC, BVB, 152214)

264

98

22. 7.1990

Verfassungsgesetz zur Bildung von Ländern in der Deutschen Demokratischen Republik (Ländereinführungsgesetz) (Regierungspressedienst 29 des DDR-Ministerrates vom 30. 7.1990)

267

99

25. 7.1990

Pressemitteilung des Sächsischen Forums an alle Medien der drei sächsischen Bezirke (HAIT, Erich Iltgen, 3)

274

100

24. / 25. 7.1990

Bericht über die Beratungen der Arbeitsgruppe Verwaltungsstruktur der Gemischten Kommission Sachsen/Baden-Württemberg in Dresden (HAIT, KA, 10.1)

275

101

26. 7.1990

Geladener Personenkreis zur 1. öffentlichen Tagung des Sächsischen Forums (HAIT, Erich Iltgen, 3)

276

102

26. 7.1990

Niederschrift zur 1. öffentlichen Beratung des Sächsischen Forums (HAIT, Erich Iltgen, 3)

277

103

26. 7.1990

Begrüßung durch Erich Iltgen auf der 1. Öffentlichen Beratung des Sächsischen Forums (HAIT, Erich Iltgen, 3)

279

104

26. 7.1990

Bandaufzeichnung zur Niederschrift der 1. öffentlichen Beratung des Sächsischen Forums (HAIT, Erich Iltgen, 3)

282

105

27. 7.1990

Information des Bezirksbeauftragten Leipzig des Ministeriums für Regionale und Kommunale Angelegenheiten zum Stand der Herausbildung des Landes Sachsen (BArch B, DO 5, 137)

299

106

27. 7.1990

Wahlkampfprogramm der sächsischen SPD (AdSD, SPD-LV Sachsen, 13)

301

107

27. 7.1990

Protokoll über die 1. Koordinierungsberatung der stellvertretenden Regierungsbevollmächtigten für die Länderbildung der Bezirksverwaltungsbehörden Chemnitz, Dresden und Leipzig (RPL, 0141.0)

303

108

27. 7.1990

Ausführungen von Walter Christian Steinbach zur Frage der Regierungsbezirke (RPL, 2020.1)

306

Verzeichnis der Dokumente

1121

109

27. 7.1990

Protokoll der Aussprache zwischen dem Landesvorstand des DA Sachsen und dem Präsidium der CDU des Landesvorstandes Sachsen (Privatbestand Wolf-Dieter Beyer)

307

110

30. 7.1990

Protokoll der Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses (HAIT, KA, 33)

308

111

ohne Datum Stellungnahme von Superintendent Christoph Ziemer zum Sächsischen Forum (HAIT, KA, 2)

311

August 1990 112

2. 8.1990

Protokoll der 2. Beratung des Regionalausschusses Länderbildung der Bezirksverwaltungsbehörde Chemnitz (SächsStAC, 152197)

313

113

5. 8.1990

Präambel des Gohrischer Entwurfs einer Verfassung des Landes Sachsen (RPL, 0141.0)

315

114

August 1990 Nachbemerkung des Koordinierungsausschusses bei der Vorstellung des Gohrischer Entwurfs einer Verfassung des Landes Sachsen (RPL, 0141.0)

315

115

8. 8.1990

Beschluss des Ministerrates der DDR 24/17/90 zur Information über die Beratung mit den Regierungsbevollmächtigten in den Bezirken am 30. 7.1990 (HAIT, KA, 3.4)

319

116

8. 8.1990

Protokoll der Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses (HAIT, KA, 3.3)

322

117

10. 8.1990

Pressemitteilung des Innenministeriums von BadenWürttemberg über die Einrichtung von Beratungsbüros in Sachsen (HAIT, KA, V.2)

324

118

13. 8.1990

Landesstrukturbeauftragter Manfred Kolbe zum Neubeginn sächsischer Finanzpolitik (HAIT, KA, 36)

325

119

15. 8.1990

Bericht von Heidrun Lotze über den Stand der Erarbeitung ministerieller Strukturen (HAIT, KA, 10.3)

327

120

16. 8.1990

Protokoll der Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses (HAIT, KA, 3.3)

330

121

16. 8.1990

Bericht der Koordinierungsstelle des Landes BadenWürttemberg über den Aufbau der Landesverwaltung in Sachsen (HAIT, KA, V.2)

332

1122

Anhang

122

20. 8.1990

Festlegungsprotokoll der Beratung des Regierungsbevollmächtigten für den Bezirk Dresden mit den Volkskammerabgeordneten (HAIT, KA, 4.1)

333

123

23. 8.1990

Niederschrift zur 2. öffentlichen Beratung des Sächsischen Forums (HAIT, Erich Iltgen, 3)

335

124

23. 8.1999

Unredigierte Bandaufzeichnung zur Niederschrift der 2. öffentlichen Beratung des Sächsischen Forums (HAIT, Erich Iltgen, 3)

337

125

23. 8.1990

Protokoll der Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses (HAIT, KA, 3.3)

356

126

27. 8.1990

Vorlage für den Regierungsbevollmächtigten für eine Beratung mit den Abgeordneten der Volkskammer des Bezirkes Leipzig zur Länderbildung (RPL, 0141.0)

359

127

30. 8.1990

Protokoll der Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses (HAIT, KA, 3.3)

363

September 1990 128

1. 9.1990

Änderungsvorschläge der Domowina zum Gohrischer Entwurf der sächsischen Landesverfassung (Spree Kurier vom 1. 9.1990)

365

129

3. 9.1990

Festlegungsprotokoll der Beratung der Regierungsbevollmächtigten für die Bezirke Chemnitz, Dresden und Leipzig mit den Volkskammerabgeordneten der Bezirke (HAIT, KA, 4.1)

366

130

3. 9.1990

Geschäftsordnung des Koordinierungsausschusses zur Bildung des Landes Sachsen (HAIT, Erich Iltgen, 3.1/1)

368

131

6. 9.1990

Notiz für die Beratung des Koordinierungsausschusses am 6. 9.1990 (HAIT, KA, 3.3)

371

132

6. 9.1990

Protokoll über die Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses (HAIT, KA, 67)

372

133

6. 9.1990

Protokoll zur 3. Beratung des Regionalausschusses Chemnitz (AdSD, 3/SNAB000019)

375

134

11. 9.1990

Information von Arnold Vaatz über die Bildung zentraler Arbeitsstäbe zur Vorbereitung der Landesstrukturen (HAIT, KA, 3.1)

376

Verzeichnis der Dokumente

1123

135

13. 9.1990

Vortrag von Heidrun Lotze vor dem Sächsischen Forum (HAIT, Erich Iltgen, 3)

378

136

13. 9.1990

Mitschnitt von der 4. öffentlichen Beratung des Sächsischen Forums (HAIT, Erich Iltgen, 2/3)

383

137

13. 9.1990

Niederschrift zur 4. öffentlichen Beratung des Sächsischen Forums (HAIT, Erich Iltgen, 3)

407

138

13. 9.1990

Rolle und Stellung der schlesischen Region im zukünftigen Land Sachsen. Antrag auf Ergänzung zur Tagesordnung der 4. Tagung des Sächsischen Forums (HAIT, Erich Iltgen, 2/2)

409

139

13. 9.1990

Protokoll der Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses (HAIT, KA, 3.3)

410

140

20. 9.1990

Protokoll der Arbeitsberatung des Koordinierungsausschusses (HAIT, KA, 3.3)

412

141

24. 9.1990

Notizen von Ministerialrat Futter über die Sitzung der Clearingstelle am 24. 9.1990 (HAIT, KA, 3.3)

415

142

25. 9.1990

Protokoll der Clearing-Beratung (HAIT, KA, 3.3)

416

143

27. 9.1990

Pressemitteilung des sächsischen Landessprechers Rudolf Krause (HAIT, KA, 3.1)

417

144

28. 9.1990

Protokoll der Clearing-Außenstellenberatung in Dresden (HAIT, KA, 3.3)

418

145

28. 9.1990

Ernennung von Arnold Vaatz zum Leiter der Arbeitsstäbe zur Bildung der Ministerien (HAIT, KA, 3.1)

420

146

28. 9.1990

Aufgaben der Berater des Bundes im Land Sachsen ab dem 3. Oktober 1990 (HAIT, KA, 9.2)

421

Oktober 1990 147

1.10.1990

Verfügung des Landesbevollmächtigten für Sachsen Rudolf Krause (HAIT, KA, 3.2/2)

423

148

2.10.1990

Protokoll der Clearing-Außenstellenberatung in Dresden (HAIT, KA, 3.3)

424

149

2.10.1990

Pressemitteilung von Landessprecher Krause über die Fortsetzung der Arbeit in der Verwaltung (HAIT, KA, 56)

426

1124

Anhang

150

2.10.1990

Gemeinsame Erklärung der Regierungsbevollmächtigten von Cottbus und Dresden sowie der „Allianz für Sachsen“ (Brandenburg. LHA, Rep. 801, 23642)

426

151

3.10.1990

Reden auf der Meißener Albrechtsburg zum Tag der deutschen Einheit und zur Bildung des Landes Sachsen (HAIT, KA, 67)

427

152

3.10.1990

Verfügung des sächsischen Landessprechers Rudolf Krause (HAIT, KA, 66)

435

153

5.10.1990

Pressemitteilung des sächsischen Landessprechers Rudolf Krause (HAIT, KA, 21)

437

154

8.10.1990

Bericht des Innenministeriums von BadenWürttemberg über Maßnahmen zur Unterstützung des Landes Sachsen (HAIT, KA, V.2)

438

155

11.10.1990

Niederschrift zur 7. Beratung des Sächsischen Forums (HAIT, Erich Iltgen, 2/1)

449

156

Mitte Oktober 1990

Bericht des Landesbevollmächtigten zum Stand der Vorbereitungen für den Aufbau der Strukturen der sächsischen Landesverwaltung (HAIT, KA, 3.2)

452

157

17.10.1990

Protokoll der Sitzung der Leiterrunde des Koordinierungsausschusses (Auszug) (HAIT, KA, 3.3)

453

158

19.10.1990

Vorschlag von Hirschle zur Bildung eines Landesaufbaustabes (HAIT, KA, 6)

456

159

26.10.1990 Schreiben von Dieter Hauswirth an Horst Krüger über die Notwendigkeit von Mittelinstanzen (SächsStAC, BVB, 152239)

457

160

27.10.1990

Verfügung zur vorläufigen Aufrechterhaltung der Verwaltung im Freistaat Sachsen (HAIT, KA, 6)

459

161

27.10.1990

Gesetz zur Herstellung der Arbeitsfähigkeit des sächsischen Landtages und der Sächsischen Landesregierung (Vorschaltgesetz) (HAIT, KA, 22)

459

Personenregister

9.9

1125

Personenregister mit Kurzbiogrammen44

Seitenangaben mit Stern beziehen sich auf eine Fußnote.

Achminow, Alexander (DSU-Generalsekretär, später Vorstand CDU-Fraktion Stadtrat Leipzig) 670 Ackermann, Leonore (MdL Sachsen Bündnis 90/Grüne, Vors. Ausschuss Kultur und Medien) 1056, 1058 Adenauer, Dr. Konrad (Ehem. Bundeskanzler u. CDU-Vorsitzender) 624* Adler, Peter (1989 Mitgründer SDP, RTB Dresden, ab 5/90 Md LaVo SPD, ab 7/1990 Vors. BV Ost-Sachsen, Stellv. RB für Verwaltung, MdL Sachsen, Parl. Geschäftsführer SPDFraktion) 95, 256, 260, 364, 366, 370, 376*, 495, 509, 620 f., 669 f., 707, 735, 795, 797, 800, 829, 846 f., 1032, 1054; Dok. 91, 102, 147, 150, 189, 197, 199, 202 f., 205, 234, 236, 241, 252, 261, 308, 322, 330, 356, 363, 372, 377, 410, 412, 427 Aegerter, Dr. Christian (CDU, Leipzig, GK S/BW) 249* Aehlig, Dr. (SED, RdB Dresden, Md Rates für Preise, Mitarbeit Strukturbereich Finanzen KA) Dok. 410 Ahnert, Dr. Rudolf (GK S/BW, Leiter AG Raumordnung, Bauwesen u. Städtebau beim LaVo CDU Sachsen, Bürgermeister u. Stadtrat für Bauwesen RdS Leipzig) 249*, 346*, 850 Ahrendt, Lothar (SED/PDS, Minister für Innere Angelegenheiten Regierung Modrow) 110 Albert, Dr. (SED/PDS, RTB Dresden) 269*; Dok. 91, 94, 96, 102, 105, 147, 158, 168 f., 189 f., 203, 232 Albert, Prinz von Sachsen Herzog zu Sachsen (Historiker, Enkel des letz-

ten sächsischen Königs) 64 f., 112, 180, 622, 665, 829, 857; Dok. 451 Albrecht (Dresden) 336 Albrecht I. (der Beherzte, Mitregent 1464–1485, Herzog von Sachsen 1485) 32 f., 741 Albrecht, Ernst (CDU, bis Mai 1990 Ministerpräsident von Niedersachsen) 284, 302 Albrecht, Uwe (Leipzig, MdL Sachsen CDU) 845, 1051 Anders, Dr. Reinhard (CDU Potsdam, MdVK 10. WP) 481 Andrä (RTB Dresden, DBD) Dok. 78, 168, 189, 197 Andrä, Joachim (RdB KMS, Stellv. Vors. Verkehrs- u. Nachrichtenwesen, GK S/BW FG Verkehrswesen) Dok. 189 Angst, Dr. Dieter (Min.-dir., AL Grundsatzangel. UMBW, 12/ 90 Staatssekretär SMUL) 621, 940–942, 993, 1060 Anton (König von Sachsen Mitte 19. Jhdt.) 1017 Apel, Dr. Hans (SPD, 1974–78 Bundesfinanzminister, 1978–82 Bundesverteidigungsminister) 668 Ardenne, Prof. Dr. Manfred von (Leiter Forschungsinstitut Manfred von Ardenne Dresden) 254, 389, 613; Dok. 276, 280 Arnhold, Cornelia (Vors. KT Altenburg, CDU) 445 Arnold, Michael (NF Leipzig, Landessprecher NF, MdL Sachsen B 90/ Grüne) 848, 1056; Dok. 47

44 Die Angaben in den Biogrammen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie dienen lediglich der Kurzinformation. Angaben zur Parteiangehörigkeit wurden nur aufgenommen, sofern gesicherte Daten vorlagen, sind also unvollständig. Bei divergierender Schreibweise der Namen in den ausgewerteten Unterlagen wurden, sofern keine Klärung erfolgte, die Varianten angegeben. Alle Angaben beziehen sich in der Regel auf die Jahre 1989/1990, Ausnahmen sind vermerkt. Mit Chemnitz, Dresden und Leipzig sind, wenn nicht anders vermerkt, die Bezirk gemeint. Genaue Orte sind angegeben, wenn sich Funktionen darauf beziehen. Die Angabe AS (Arbeitsstab) bezieht sich auf den Koordinierungsausschuss.

1126 Artmann, Frank (RdB Leipzig, Projektgruppe Verwaltung RdB) 810; Dok. 76 f. Auerbach (DBD, Chemnitz, GK S/ BW FG Ländlicher Raum u. Landwirtschaft, 1991 AL RP Chemnitz) Dok. 189 Auerswald, Heinz (SED/PDS, Vors. RdK Hoyerswerda) 408 August, Kurfürst von Sachsen 428 Bach, Johann Sebastian Dok. 429 Bach, Prof. Dr. Siegfried (ab 1991 AL 6 SMS) 907 Bachmayer (KA) Dok. 412 Baer, Dr. Rudolf (Min.-rat, BayStK) 596 f. Bahr, Herr (NF, GK S/BW FG Bauwesen u. Städtebau, RA Chemnitz) Dok. 46 f., 189, 238 Bahsler, Eduard (CDU-LV Sachsen, ab 9/1990 Geschäftsführendes Präsidialmitglied Sächsischer Städte- u. Gemeindetag, GK S/BW FG Bau) 99; Dok. 257, 259 Balke, Herr (AJL, RA Chemnitz) Dok. 236 Ball, Dr. Herr (Bundesamt für Wehrtechnik Koblenz, 1990 AL SStK) 889 Ballschuh, Siegfried (CDU, RdB Dresden, Md Rates für Wohnungspolitik u. -wirtschaft, RB Dresden, Md Präsidium LaVo CDU Sachsen) 223, 322, 345, 347, 349 f., 352, 355–357, 360, 363–367, 369 f., 372, 373*, 374, 376 f., 383–385, 412, 470, 486, 488, 495, 502, 504 f., 511 f., 516 f., 525 f., 532, 542, 545, 590–592, 597–599, 607, 620 f., 704, 708, 733, 735, 790 f., 793–801, 803, 835, 840, 874, 892, 948, 958, 978; Dok. 195, 199, 202–204, 207 f., 233–235, 241 f., 248, 251, 253 f., 262 f., 276 f., 279, 288, 309, 323, 332 f., 358, 364, 366, 370, 373, 411, 417 f., 427, 435 f., 455 Bandmann, Volker (Stellv. Vors. KV Görlitz, MdL Sachsen CDU) 845, 1051

Anhang Barkleit, Dr. Gerhard (Zentralinstitut für Kernforschung Rossendorf) 530* Bartel, Prof. Dr. Horst (SED, bis 1984 Direktor des Zentralinstituts für Geschichte der AdW der DDR) 61 Bartl, Klaus (SED-Bezirksleitung KMS, stellv. BV-Vors. PDS, RA Chemnitz, Fraktionsvors. LL/PDS Sächs. Landtag) 847, 881, 981, 1015, 1055; Dok. 238 Bartsch, Beate (DA/CDU, Dresden, Hauptamtliche DA-Angestellte, AG Kultur beim CDU-LaVo) Dok. 107 Bartsch, Dr. Herr (DFP, RA Chemnitz) 608; Dok. 238 Bauer, Gerhard (SPD, RTB Dresden) 128; Dok. 26, 43, 57 Bauer, Karlheinz (Sprecher DA Westsachsen II [Leipzig], BVB Leipzig, RL Raumordnung u. Regionalentwicklung, GK S/BW Leiter FG Kommunale Partnerschaft, RT Stadt Leipzig, Hauptausschuss DA, AS StK, Landrat Borna) 138, 563, 660, 807, 1045 Baum, Winfried (CDU, MdL 1991–1994) 1051 Baumgart, Walter (Md BT Dresden, StK Örtliche Versorgungswirtschaft, Vors. Bezirkshandwerkskammer, RTB Dresden) Dok. 29, 102, 190 Baust, Gundolf (Vors. RdB Frankfurt/ Oder) 404 Bayer, Detlef 744, 781* Becher, Erika (Mitgründerin DA, erste Vorsitzende DA Leipzig) 138 Becker, Roland (CDU, RdB Leipzig, Projektgruppe Verwaltung, GK S/ BW AG Kommunale Selbstverwaltung der FG Verfassung u. Verwaltungsreform, MdVK 10. WP, Vors. VK-Ausschuss Verfassung u. Verwaltungsreform) 286, 340, 433, 436 f., 577, 585, 731; Dok. 76 f., 209 Behnisch, Frau (Mitarbeiterin Iltgen AS Landtag) Dok. 409 Bellmann, Dieter (RdB Dresden, Md Rates für Örtliche Versorgungswirtschaft, BVB Dresden Ressort Wirtschaft Bereichsleiter Tourismus, GK

Personenregister S/BW FG Fremdenverkehr) 219, 517, 702*, 1046 Belz, Dr. Herr (Min.-rat, RL Kommunalwirtschaft u. Kommunalfinanzen, GK S/BW AG Kommunale Selbstverwaltung der FG Verfassung u. Verwaltungsreform) 577 Bender, Birgitt (MdL BW, Die Grünen) 186 Benedikt, Ernst (1/90 stellv. Vors. BV Leipzig SDP/SPD, GK S/BW, AdW, Institut für Geographie u. Geoökologie) 95, 319, 425, 667 Berauer, Peter (DSU, Dresden, SB Inneres KA) 376*, 487, 497, 509, 514, 656 f., 1047 Berenbruch, Herr (Stellv. Landesschulrat Leipzig, AS Kultus KA, Abteilung Bildung, AL Allgemeinbildende Schulen SMK) 814* Berghofer, Wolfgang (SED/PDS bis 1/90, OB Dresden) 75, 103, 116, 184, 186, 188 f., 196 f., 213, 612–614, 617, 632*; Dok. 27, 31, 45, 58, 276 Bernet, Prof. Dr. Wolfgang (Jena, GK S/BW AG Verfassung der FG Verfassung u. Verwaltungsreform) 297, 581, 744 Bernhard (ab 1170 Graf von Anhalt, ab 1180 Herzog von Sachsen) 741 Beyer, Herr (Amt für Wirtschaft KMS) Dok. 187 Beyer, Dr. Marina (Staatssekretärin Regierung de Maizière, Regierungsbeauftragte für Gleichstellung Frauen u. Männer) 513 Beyer, Wolf-Dieter (Mitgründer DA KMS, Sprecher BV Chemnitz DA, ab 4/90 Generalsekretär DA, DA-Vorstand, GK S/BW FG Wirtschaft, Technologie, Handwerk u. Management, RTB KMS, RA Chemnitz, Sächsisches Forum, AS Wirtschaft, CDU 90, MdL Sachsen) 138, 145, 155, 240–246, 249, 252, 256, 318, 636, 654–659, 660, 663, 810, 844 f., 1051; Dok. 107, 110 f., 119, 238 Bieber, Gerald (RdB KMS, Stellv. Vors. des Rates für Energie, GK S / BW FG Wirtschaft, Technologie,

1127

Handwerk u. Management) Dok. 187 Biedenkopf, Ingrid (Gattin des sächsischen Ministerpräsidenten) 641, 823 f., 884, 923, 990 Biedenkopf, Prof. Dr. Kurt (CDU, MdB, Sächsischer Ministerpräsident, MdL Sachsen) 65, 185, 308 f., 388, 473 f., 492, 510, 512, 543–546, 594, 612 f., 615 f., 619 f., 622, 631 f., 637–653, 661, 667, 669 f., 684, 696, 718, 725–727, 730, 733 f., 742, 744, 750, 764, 768, 777, 786, 791–793, 811 f., 817, 820, 823–826, 828–830, 832 f., 841, 844, 849–853, 856, 858–860, 864–867, 870 f., 874–877, 879–891, 893 f., 896–900, 902–908, 914–917, 919, 922–933, 937–942, 947 f., 952, 954–956, 958–960, 963, 971, 975, 977, 981 f., 986, 993, 1002, 1008, 1014–1016, 1034, 1036 f., 1051, 1059; Dok. 424, 456, 459 Biele, Hartmut (Landrat Niesky) 480 Biering, Prof. Dr. Helmut (DFP, Zwickau, RA Chemnitz, SF) Dok. 238 Bierling, Hans-Dirk (DDR-Ministerium für Bauwesen, Staatliche Bauaufsicht Bezirk Dresden, 1989 Mitglied CDU-Bezirksvorstand Dresden, MdVK 10. WP, MdB) 650 Bigl, Dr. Herr (BVB Chemnitz, SB Soziales Chemnitz, GK S/BW stellv. Leiter FG Gesundheit u. Soziales, AS Soziales) 489, 557, 818, 1048 Binus, Karl-Heinz (CDU, ab 2/90 RdB KMS, Md Rates für Wohnungswesen, MdVK 10. WP, MdL Sachsen, Vors. Petitionsausschuss) 844, 942, 1051, 1058 Bisky, Prof. Dr. Lothar (SED/PDS, MdL Brandenburg) 435 Bismarck, Otto Graf von (1871–1890 Reichskanzler) 36 Blaschke, Prof. Dr. Karlheinz (ab 4/90 stellv. Vors. Landesverein Sächsischer Heimatschutz, Berater GK S/ BW AG Verwaltungsreform der FG Verfassung u. Verwaltungsreform) 24, 62, 64, 93, 98, 275 f., 279, 288,

1128 295, 305 f., 434 f., 438, 462, 466, 468, 575, 686, 738 f., 843; Dok. 50, 83, 427 Blau, Karl (Vors. NDPD-BV KMS) 101 Blessing, Dr. Karlheinz (SPD-Bundesgeschäftsführer) 856 Blüm, Dr. Norbert (1982–1998 Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung) 645 f., 887, 903 Bock, Paul (RdB/BVB KMS/Chemnitz, Stellv. Vors. für Ländlichen Raum u. Landwirtschaft, GK S/BW FG Ländlicher Raum – Landwirtschaft) Dok. 189 Boden, Dr. Lutz (KMU Leipzig, Sektion Rechtswissenschaft, GK S/BW Leiter AG Kommunale Selbstverwaltung der FG Verfassung u. Verwaltungsreform) 578, 1045 Bodenstein, Astrid (Frauenplattform Dresden) Dok. 348 Bohley, Bärbel (Sprecherin NF Berlin) 926, 1007; Dok. 47 Bohley, Prof. Dr. Peter (Zürich) 775 Böhm, Adolf (CDU, Leipzig, MdL Sachsen) 1051 Böhm, Johann (CSU, Staatssekretär, Leiter BayStK) 917 Böhm, M. (Sprecherrat LV Sachsen des NF für Bezirk Dresden) Dok. 47 Böhme, Ibrahim (Vors. SDP / SPD) 613 Böhmler, Dr. Rudolf (SMBW AL Internationale Angelegenheiten, Europapolitik, Regionale Zusammenarbeit und Protokoll, 2000 Staatssekr. SMBW) 187, 194, 254 Bolick, Gunter (CDU, Chemnitz, MdL Sachsen) 1051 Bönninger, Jürgen (Mitgründer DA Dresden 1989, Basisdem. Fraktion StVV Dresden) 137, 188, 246; Dok. 192 Bönninger, Prof. Dr. Karl (SED, Uni. Leipzig, Lehrstuhl Verwaltungsrecht Sektion Rechtswissenschaft, Berater GK S/BW AG Verfassung u. Mitglied AG Kommunale Selbstverwaltung der FG Verfassung u. Verwal-

Anhang tungsreform) 438, 577, 581, 583, 604, 609 f., 1007; Dok. 290, 317 Bormann (Bezirkshandwerkskammer) Dok. 26, 29 f., 32 Börner, Eckhard (Vors. KV CDU Zschopau, MdL Sachsen) 845, 1051 Böthen, Herr (DFP) Dok. 148 Bötsch, Dr. Wolfgang (Vors. CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag) 314, 915 Böttcher, Manfred-Gerhard (DA/ CDU-Kandidat für Landtagswahl Sachsen) 660 Böttger, Dr. Martin (1985 IFM, 1989 NF Zwickau, GK S/BW AG Verfassung der FG Verfassung u. Verwaltungsreform, Sächsisches Forum, MdL Sachsen, Vors. Fraktion Bündnis 90/Grüne, SStK, RL SMUL) 581, 587, 847, 850, 916, 1007, 1056; Dok. 189, 238, 317 Böttger, Uwe Eckart (Redakteur „Die Union“ Dresden) 624 Böttrich, Dr. Heinz (Mitbegründer CDU nach 1945, Md BT u. KT KMS, MdL Sachsen, Alterspräsident Sächsischer Landtag) 848 f., 1051 Bozenhard, Prof. Dr. Hans (SPD, Dresden, SB Inneres, AS Inneres) 376*, 487, 509, 516, 708, 1047; Dok. 322, 330, 363, 372, 410, 412 f. Brandt, Willy (Bundeskanzler a. D., MdB, SPD-Ehrenvorsitzender, Präsident der Soz. Internationale) 118, 302, 366, 773 Bräuer, Herr (Leipzig, AS Inneres) 808 Braun, Volker (Schriftsteller, Dresden) 75 Braune (SED, Stellv. Leiter Zivilverteidigung u. Stabschef Dresden) Dok. 58, 102 f. Breitmeier (Breitmaier) (KA) Dok. 372, 410 Brenn, Gerhard (Mitbegründer SDP Dresden, 1990 USPD) Dok. 168, 170 Brettschneider, Rolf (Vorstand DA Westsachen I Chemnitz) 138

Personenregister Breuel, Birgit (CDU, bis 5/1990 Finanzministerin Niedersachsen, Vorstand Treuhandanstalt Berlin) 619, 907, 926 Brežan, Dr. Simon (1991 RL SStK für Sorbenfragen) 473 Brezan, Jurij (Schriftsteller, Domowina) 456 Brick, Dr. Martin (CDU, Landessprecher u. -bevollmächtigter Mecklenburg-Vorpommern, 1990 Minister Ernährung, Landw., Forsten u. Fischerei Meck.-Vorp.) 703* Bromann, Frau (DSU, Chemnitz, GK S/BW FG Fremdenverkehr) Dok. 488 Brösdorf, Bernd (Vors. SPD-LV Thüringen) 669 Brückl, Dr. Wolfgang (OAR Referat deutsch-deutsche Beziehungen BayStK, Mitarbeiter Bay. Informationsbüro Dresden, Leiter Büro StM Vaatz StK) 512, 597 f., 889 Brückner, Günter (CDU 1990, Vors. CDU Chemnitz, MdL Sachsen) 1051, 1058 Brunhild, M. (Sprecherrat LV Sachsen des NF für Bezirk Leipzig) Dok. 47 Buch, A. (Sprecherrat LV Sachsen des NF für Bezirk Dresden) Dok. 47 Buchmüller (Min.-dir., AL Verwaltung u. Recht MWMTBW) 222 Bühler, Herr (Min.-rat, Ba-wü. Berater Umweltfragen beim Landessprecher Sachsen, AS Umwelt für Leipzig) 509, 705 f., 725, 819; Dok. 359, 362 Burk, Herr (Leipzig, AS Inneres) 808 Buschbacher, Andreas (Landrat Bad Liebenwerda) 422 Buschbeck, Frau (Chemnitz, GK S/ BW Leiterin FG Fremdenverkehr) 562, 1045 Bütikofer, Reinhard (MdL BW, Die Grünen) 186 Buttolo, Dr. Albrecht (1989 Md KT u. 1990 Vors. KV CDU Annaberg, RB Chemnitz, MdL Sachsen, Parlamentarischer Staatssekretär SMI) 355–357, 361 f., 372, 377, 391, 511, 542, 702, 704, 718, 733, 746, 748,

1129

794, 800, 803, 846, 894, 907, 947, 951, 958 f., 1051, 1059; Dok. 207, 236 f., 239, 242, 276, 279, 313 f., 366, 370, 417, 427, 435 f. Carl, Dr. Karl-Heinz (Staatssekretär BMV, ab 1992 Staatssekretär SMF) 839, 909 Carstens, Dr. Karl (CDU, 1979–84 Bundespräsident) 627 Claus, Dr. (Im KA zuständig für Verwaltungsschulen) 509 Clemen, Robert (DA, Leipzig, GK S/ BW, Leiter AG Kultur/Bildung im DDR-Vorstand des DA) 249* Clemens, Martin (CDU, Dresden, MdVK 10. WP, MdL Sachsen) 1051, 1058 Clement, Wolfgang (SPD, Chef StK NRW, 1998–2000 Ministerpräsident NRW) 174, 308, 310, 671 f., 686 Coburg (AL Z BMJ) 691 Colditz, Thomas (CDU, Chemnitz, MdL Sachsen) 1051 Corvey, Widukind von (Chronist/Historiker Sachsen 925–973) 31 Cronenberg, Julius (FDP, BundestagsVizepräsident) 776 Cyž, Bjarnat (siehe Ziesch, Bernhard, 3/1990 Vors. Domowina, RTB Dresden, Bund Lausitzer Sorben) 465, 469 Czechowski, Heinz (Schriftsteller Leipzig) 932 Czok, Karl (DBD/CDU, Leipzig, MdL Sachsen) 1051 Czok, Prof. Dr. Karl (SED, Landeshistoriker) 50, 60–63 Dähn, Frau (AS Landtag) 820 Danner, Herr (FDGB, RA Chemnitz) Dok. 236 Deckert, Herr (Leipzig, AS Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, AG Personalangelegenheiten) 819 Dedek, Magnus (CDU, bis 1952 Vizepräsident des sächsischen Landtages) 48 Dieckmann, Jochen (SPD, Hauptgeschäftsführer des Städtetages, 1999 Justizmin. NRW) 955

1130 Dierich, Dr. Peter (CDU, Dresden, MdVK 10. WP, MdL Sachsen) 1051 Diestel, Henning (NF, ab 7/90 BVB Leipzig, RL Inneres, SB Leipzig Inneres, AS Inneres, 1990 AL Katastrophen, Zivilschutz, Feuerwehren, Vermessungswesen, Rettungsdienst SMI) 487, 808 f., 894, 1047; Dok. 454 Diestel, Dr. Peter-Michael (Minister f. Innere Angelegenheiten u. Stellv. Ministerpräsident Regierung de Maizière, Generalsekretär DSU, CDU-Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten Brandenburg) 96, 141, 143–146, 227, 292, 443, 516, 620, 651, 657, 665, 761 f., 860*; Dok. 284 Dietze (SED/PDS, RTB Dresden) Dok. 26, 29, 33, 43, 57 Dirschka, Joachim (CDU, Leipzig, MdL Sachsen) 1051 Dittmann, Uta (CDU, Dresden, Redakteurin „Die Union“) 152 f., 157, 376, 382 f., 625, 630, 637, 931 f.; Dok. 248–251 Dittrich, Dr. Gottfried (SED, Historiker) 61 Dix, Detlef (Sächs. Städte- u. Gemeindetag, GK S/BW FG Kommunale Partnerschaften) 99, 205; Dok. 65 Döhler, Dr. Helmut (SPD, Chemnitz, GK S/BW FG Wirtschaft, Technologie, Handwerk u. Management) Dok. 187 Dohnanyi, Klaus von (SPD, bis 1988 Erster Bürgermeister von Hamburg, 1990 Aufsichtsratsvorsitzender Schwermaschinenbau TAKRAF AG Leipzig) 668, 689 Domke, Klaus (CDU, Leipzig, Pfarrer, MdVK 10. WP) 429 Domsch, Dr. Kurt (Präsident i. R. des Evangelisch-Lutherischen Landeskirchenamtes in Sachsen, Leiter des Richterwahlausschusses Land Sachsen) 1004 Donner, Dr. Ralf (Dresden, Mitbegründer Demokratie-Initiative 90, Forum für direkte Demokratie, MdL

Anhang Sachsen B 90/Grüne) 167, 848, 1015, 1056, 1058 Döring, Dr. Walter (MdL BW, Vors. FDP/DVP-Landtagsfraktion) 186 Dornau, Inge (RdB Dresden, AL Internationale Arbeit, BVB Dresden Abt. Internationale Zusammenarbeit beim RB Ballschuh) 373* Dörner Dok. 344, 347–349 Dott, Manfred (DSU, Magdeburg, MdVK 10. WP) 340 Doufflet, Dr. Heinrich (CDU, Chemnitz, MdVK 10. WP, AG Kultur beim CDU-LaVo, RL 5, 2 SMWK) 531, 935 Draber, Joachim (SED, Vors. RdB Leipzig 1990) 105, 116, 124, 132, 193, 216, 306, 339, 352; Dok. 36, 66, 70, 90 Drechsel, Herr (Chemnitz, AS Umwelt und Landwirtschaft) 818 f. Dregger, Alfred (bis 1991 Vors. CDU / CSU-Bundestagsfraktion) 140 Dreikopf, Klaus (SPD, Leipzig, MdL Sachsen, Vors. Sonderausschuss d. Sächsischen Landtages zur Untersuchung von Amts- u. Machtmissbrauch infolge SED-Herrschaft) 846, 1054 Dreßler, Herbert (1989 Vors. BV CDU Dresden, Md CDU-Parteivorstand, RTB Dresden, Md Präsidium LaVo CDU Sachsen) 156, 188, 617; Dok. 29, 102 Dreßler, Herr (RdB KMS, Abt. örtliche Organe, Grundsatz- u. Personalfragen, GK S/BW FG Verkehrswesen) Dok. 189 Dreßler, Norbert (SED/PDS, bis 2/90 RdB KMS, Erster Stellv. Vors. SED/ PDS, GK S/BW AG Verfassung/ Verwaltungsreform der FG Verfassung, Verwaltungsreform) 162, 280, 581; Dok. 63 Duchac, Josef (CDU, RB Erfurt, Landesbevollmächtigter u. Ministerpräsident Thüringen) 703*, 776, 860*, 875 Dudek, Dr. Rainer (Regierungskommission Verwaltungsreform, MRKA,

Personenregister AL Verwaltungsreform) 107, 130, 394, 420, 434, 441, 688, 782 Dunsch, Dr. Lothar (Institut für Technologie der Polymere Dresden) 530* Dürrschmidt, Jürgen (SED/PDS, Chemnitz, MdL Sachsen LL/PDS) 1055 Dypman, Miklawš J. (Sprecher der Exil-Sorben) 459 Dyrlich, Benedikt (SPD, Dresden, MdL Sachsen, Leiter AG Kultur u. Medien SPD-Landtagsfraktion) 846, 1054 Ebeling, Hans-Wilhelm (Pfarrer, Leipzig, Vors. CSPD, Vors. DSU, Austritt 7/90, Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit Regierung de Maizière) 95 f., 141 f., 144 f., 212, 657, 663, 665, 710 Ebermann, Dr. (Clearing-Berater des Bundes, BMF) 812; Dok. 419 Ebermann, Volker (Stellv. Vors. CDUKV Dresden, Md CDU-LaVo, Landrat Bautzen) 480; Dok. 107 Ebert, Friedrich (SPD, 1919–1924 Reichspräsident) 38 Eckardt, Dr. Wolf-Dieter (Min.-rat, JMBW, GK S/BW AG Verfassung der FG Verfassung, Verwaltungsreform) 167, 581, 584, 587; Dok. 317 Eckert, Dr. Rainer (Direktor Zeitgesch. Forum Leipzig) 84 Eckert (Geschäftsführer CDU-Landtagsfraktion BW) 188 Eggert, Heinz (Pfarrer, CDU, Landrat Zittau, ab 1991 Sächsischer Staatsminister des Innern) 23, 480 Ehrich, Uwe (CDU-Landesvorsitzender Thüringen) 282, 303, 757 f. Eichberg, Gerhard (OB Görlitz) 475 Eichler, Elise (Vors. BV DFD KMS/ Chemnitz, RTB KMS) Dok. 145 Eichler, Karlheinz (LV Sächsischer Heimatschutz) 98 Einsiedel, Baron von Dok. 408 Einsle, Siegrun (DBD/CDU, Leipzig, ab 11/91 MdL Sachsen) 1051

1131

Elle, Dr. Ludwig (SED/PDS, Parteisekretär Institut für sorbische Volksforschung AdW Bautzen) 458 Ellenberger, Volker (Verwaltungsrichter, Aufbaustab Justiz, 1990 RL Personal SMJus) 814, 922 Elsner, Michael (SED/PDS, Vors. BV Leipzig FDJ, MdL Sachsen LL/PDS) 258, 847, 1055 Emmerlich, Gunter (Sänger und Entertainer Dresden) 145 Enderlein, Dr. Georg (RdB Leipzig, Bezirksarzt, GK S/BW FG) 217 Enders, Wolfgang (CDU, Chemnitz, MdL Sachsen) 1051 Engel, Frank (Grüne Partei, RTB Dresden) 269*; Dok. 26, 29, 57, 91, 102, 105, 147, 150, 158, 168, 190, 197, 203, 232, 235, Engel, Hartmut (AL SMSGF) 993 Engels, Friedrich 56 Engholm, Björn (SPD, 1988–93 Ministerpräsident Schleswig-Holstein) 284, 670, 773 Engler, Prof. Dr. Helmut (CDU, Minister für Wissenschaft u. Kunst BW) 206 Eppelmann, Rainer (Bürgerrechtler, Pfarrer, Vors. DA DDR, CDU 1990, Minister für Abrüstung und Verteidigung Regierung de Maizière, Vors. CDA) 76, 90, 211 f., 255, 655; Dok. 111, 285 Epphardt (Eppenhardt), Wolfgang (RdB KMS, Md Rates u. AL Kultur, GK S/BW FG Kultur, AS Kultus KA, Abteilung Kunst und Kultur) 814*; Dok. 188 Erdmann, Hans-Joachim (SED, RdB Leipzig, Bezirksschulrat, BVB RL Bildung, Jugend u. Sport, GK S/BW, AS Kultus) 206, 217, 814 Erhardt, Prof. Dr. Manfred (CDU, Min.-dir., MWKBW) 488 Ermisch, Dr. Günter (Staatssekretär BMI, Leiter Clearing-Stelle Sachsen, Staatssekretär für Bundes- u. Europaangelegenheiten SStK) 473 f., 781, 783–785, 789–794, 797–799, 802–805, 807, 838–840, 867, 888,

1132 891 f., 895, 1035, 1059; Dok. 419, 424 f., 453 f. Ernst (Kurfürst von Sachsen 1464– 1485) 32 f. Ernst, Prof. Dr. Werner (in den 70er Jahren Staatssekretär BMI, „ErnstKommission“) 283, 302 Erward, Franz (Präsident Kuratorium Schlesische Lausitz, Vorsteher StVV Görlitz) 482 Eschrich, Jürgen (Vorsitzender DA Westsachsen I [Chemnitz], RTB KMS) 138 Eschrig, Prof. Dr. Helmut (Zentralinstitut für Festkörperphysik u. Werkstoffforschung Dresden) 530* Esslinger, Dr. Klaus (Ltd. Min.-rat, MWMTBW, GK S/BW Leiter FG Fremdenverkehr) 204, 1045; Dok. 37 Ewald, Herr (BaySMAS, Berater KA Aufbau Sozialministerium Sachsen) 489, 534; Dok. 327 Fache, Sabine (SED/PDS, Leipzig, MdVK 10. WP) 435 Fack, Fritz Ulrich (Redakteur FAZ) 687 Farthmann, Prof. Dr. Friedhelm (1985–95 Vors. SPD-Landtagsfraktion NRW, 1990 SPD-Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten Thüringen) 669, 860* Feiereis, Herr (Chemnitz, AS Kultus KA, Abteilung Bildung) 814* Feig, Rainer (Schatzmeister SPD-BV Dresden, MdL Sachsen) 1054 Feist, Dr. Michael (Reg.-dir., RL MLFBW, Koordinierungsbüro BW Leipzig, 1990 Leiter Zentralstelle SMI) 593, 705, 894, 949 Fellisch, Alfred (SED, 1948/49 sächs. Wirtschaftsminister) 48*, 62 Fellisch, Manfred Artur (Sohn Min.präs. Alfred F., Inhaber christl. Buchhandlung Dresden, verschiedene kirchl. Ämter) 62 Ferdinand I. (1503–64, König v. Böhmen u. Ungarn [röm. deutscher Kaiser]) Dok. 298

Anhang Ferdinand II. (1578–1637, König v. Böhmen und Ungarn [röm. deutscher Kaiser]) Dok. 298 Fetzer (Min.-rat, IMBW, GK S/BW AG Verwaltungsstruktur der FG Verfassung, Verwaltungsreform) 577; Dok. 275 Fichte, Hans-Jürgen (CDU, Landrat Senftenberg) 418, 440 f. Fichtner, Lothar (SED/PDS, Vors. RdB KMS) 105, 161, 165, 177 f., 181 f., 193, 262, 269, 273, 339, 362 f.; Dok. 36, 61, 66, 70 f., 90, 153 f., 238 f., 314 Fickert (Gruppe der 20, RTB Dresden AG Natur u. Umwelt) Dok. 80 Fiebig, Herr (Leipzig, AS Kultus KA, Abteilung Bildung, AL 5 SMK) 814* Fiedler, Manfred (1990 Leiter Ministerbüro SMI) 894 Finck, Ulf (CDU, MdB) 856 Findeis, Dr. Bernd (Jena, stellv. Vors. DA der DDR) 145 Findeisen, Stefan-Thomas (DBD, RdB /BVB Leipzig RL Erholung, RTB Leipzig, GK S/BW Leiter FG Tourismus) 555 Firesch (Fieresch), Eva (ab 12/89 Präsidentin BT Leipzig) Dok. 97 Fischel, Gerhard (SPD, RTB und BVB Dresden) 269*, 329, 336, 376*; Dok. 91, 97, 102, 105, 147, 150, 158, 168 f., 189 f., 192, 197 Fischer (Dresden, Unabhängiger Untersuchungsausschuss) Dok. 79 Fischer, Herr (VL, RA Chemnitz) Dok. 236 Fischer, Herr (LDPD, Leipzig, GK S/ BW AG Verwaltungsreform der FG Verfassung u. Verwaltungsreform) 575 Fischer, Dr. Herr (DSU, Chemnitz, GK S/BW FG Bauwesen u. Städtebau) Dok. 189 Fischer, Oscar (SED, DDR-Außenminister) 476 Fischer, Uwe (Kulturstadtrat Leipzig) 817 Flach, Günter (SED, RdB KMS, Stellvertreter des Vors. für Inneres) Dok. 314

Personenregister Flaht, Dr. (AL IV SMWA) 901 Fleischhauer, Dr. (RD, Clearingvertreter des BMU in Sachsen) 819; Dok. 419 Forberger (Bezirkshandwerkskammer) Dok. 43 Förster, Prof. Dr. Alfred (Herbst 1989 Mitgründer SDP/SPD KMS, MdVK 10. WP, SPD-LaVo, MdL Sachsen, Vizepräsident SPD-Fraktion, Vors. Ausschuss Wiss. u. Hochschulen) 846, 1054, 1058 Förster, Prof. Dr. Frank (Sprecher Sorbische Territorialkommission) 460 f., 467; Dok. 83 Forsthoff, Antje (Min.-rat, MAGFSBW, Ba-wü. Beraterin AS SMSGF) Dok. 284 Frank, Prof. Dr. Manfred Ferdinand (Vertreter Aktion Katholische Christen RTB Dresden, Katholische Liga, GK S/BW Wissenschaft und Hochschulen, 1984–91 TU Dresden, ab 1. 6.1990 Direktor Rechenzentrum TU) 344, 568; Dok. 26, 29, 43, 57, 78, 80, 102, 104 f., 190, 192, 197, 202 f., 232, 234 Frank, Martin (Min.-dir., SMBW) Dok. 416 Frank, Prof. Dr. Norbert (Lehrstuhl Verwaltungsrecht Sektion Rechtwissenschaft Humboldt-Universität Berlin) 110 Franke, Dr. Dietmar (NF, DA, Md BeVo DA Dresden, Basisdemokratische Fraktion StVV Dresden, MdL Sachsen CDU) 150, 241, 246, 660, 663, 1051; Dok. 107, 187 Franke, Elke (CDU) 376* Franke, Herr (SPD, GK S/BW FG Umweltschutz) Dok. 188 Franke, Dr. Peter (RdB Dresden, 2. Stellv. des Rates für Verkehrs- u. Nachrichtenwesen, BVB Dresden, RL Verkehr, Post, Fernmeldewesen) 372*, 571, 703*, 735, 1048 Franke, Dr. Stefan (Clearingberater aus BW, Vertreter von Heitmann, ab 1993 Staatssekretär SMJus) 920; Dok. 424

1133

Franz, Frau (Protokoll RTB Dresden) Dok. 192 Franz, Renate (Gruppe der 20 Dresden) 239 Franz, Richard (1990 Amt. Geschäftsleiter des Sächs. Städte- u. Gemeindetages) 99 Franz Joseph I. (1848–1916 Kaiser von Österreich) 36 Freier, Rüdiger (DA, Dresden, GK S/ BW) 249*; Dok. 107 Frenzel, Dr. Herr (Chemnitz, AS Inneres) 808 Friedel, Brunhild (UFV, RTB Dresden) Dok. 57, 59, 91 Friedrich I. (der Streitbare, 1423–1428 Kurfürst von Sachsen [1370–1428]) 32 Friedrich V. (Kurfürst von der Pfalz, König von Böhmen [1596–1632]) Dok. 298 Friedrich August I. (der Starke, Kurfürst von Sachsen 1694–1733, König von Polen 1697–1706 [als August II.]) 34, 61, 875 Friedrich August II. (Kurfürst von Sachsen und König von Polen [1696–1763]) 34 Friedrich August III. (der Gerechte, 1763 Kurfürst von Sachsen, ab 1806 König von Sachsen) 34 Friedrich August III. (letzter sächsischer König 1904–1918) 38, 112, 857 Friedrich Christian Prinz von Sachsen Herzog zu Sachsen 34, 64 Friedrich der Weise (1486–1525 Kurfürst von Sachsen [1463–1525]) 33 Friedrich, Gerd (AL MKSBW, 1990 AL I SMK) 929 Friedrich, Herr (SPD Leubnitz, GK S/ BW FG Wissenschaft u. Bildung) Dok. 188 Friedrich, Dr. Michael (SED/PDS, Leipzig, MdVK 10. WP, MdL Sachsen LL/PDS) 1055 Friedrich, Wolfgang (Referatsleiter SStK) 889 f. Friedrichs, Dr. Rudolf (SPD/SED, Sächsischer Ministerpräsident 1946/47) 41, 47

1134 Fritsch, Angelika Freiherr von (FDP, Leipzig, MdL Sachsen) 848, 1057 Fritsche, P. Dok. 47 Fröhlich, Dr. Siegbert (FDP, Leipzig, MdL Sachsen) 1057 Fröhlich, Dr. Wolfgang (Min.-rat, RL IMBW, Leiter Koordinierungsbüro BW in Chemnitz, RL SStK) 519, 592, 785, 812, 882, 885, 989; Dok. 456 Fromme, Friedrich Karl (Redakteur FAZ) 697, 868 Fuchs, Anke (SPD-Bundesgeschäftsführerin, SPD-Kandidatin für das Amt des sächsischen Ministerpräsidenten, MdB) 544, 631, 647, 668–670, 734, 825–829, 833, 860*, 947 Fuchs, Erich (Hessischer Landesvorsitzender Republikaner) 483 Fuchs, Harry (ab 1991–92 AL 3 SMS) 907 Führer, Dr. Roswitha (DA/CDU, Leipzig, Md DA-Hauptausschuss) Dok. 107 Füsslin, Dr. Ernst (Min.-dir., IMBW, GK S/BW Leiter FG Kommunale Selbstverwaltung) 195, 205, 217, 577, 580, 1045; Dok. 37 Futter, Dr. (Min.-rat, JMBW, Berater Justiz BVB Leipzig u. Landessprecher Sachsen, Büroleiter Leipzig des Landesbevollmächtigten) 361, 593, 705, 725, 803; Dok. 415, 425 Gaar, Bernhard (Dekan Kirche Chemnitz, RA Chemnitz) Dok. 237 Gaber, Klaus (DJ, Gruppe der 20, Md Basisdem. Fraktion StVV Dresden, GK S/BW Umwelt, Spitzenkandidat NF/Bündnis/Grüne Landtagswahlen, MdL Sachsen Bündnis 90/Grüne) 830, 848, 1056 Gall (Clearingberater Finanzen BVB Chemnitz, AS Finanzen) 812; Dok. 424 Gallert, Horst (CDU, Dresden, MdL Sachsen) 1051 Gängler, Werner (CDU, Sprecher Dresdner Montagsdemo 27.11.1989) 72

Anhang Gangloff, Maria (SED/PDS, Böhlen, MdL Sachsen LL/PDS) 1055 Garschau, Frau (RdB KMS, AL Verkehrs- u. Nachrichtenwesen, GK S/ BW FG Verkehrswesen) Dok. 189 Gärtner, Dr. Reinhard (Min.-dir, Clearingvertreter des BMJFFG in Sachsen) 792, 818; Dok. 416, 419 Gauck, Joachim (BStU) Dok. 453 Gauweiler, Dr. Peter (CSU, Staatssekretär im Bayerischen Innenministerium) 142 f., 177, 622 Gebauer, Christfried (CDU, Produktionsleiter VEB Tierproduktion Trossin, RL Ernährung, Landwirtschaft u. Forsten BVB Leipzig, GK S/BW Leiter FG Landwirtschaft, SB Leipzig Landw., 1991 AL RP Leipzig) 491, 570, 819, 1045, 1047 Gebhard (AL 5 SMLE) 939 Geier, Volker (CDU, Chemnitz, GK S/ BW) 249* Geiger, Dr. Jörg (Reg.-dir., IMBW, bawü. Berater AS Wirtschaft) 725, 810, 812, 899 Geisler, Dr. Hans (89 DA, RTB Dresden, Vorstand DA Ostsachsen, DAVorstand DDR, GK S/BW FG Soziales, 8/90 CDU, Staatssekr. Min. Fam. u. Frauen Regierung de Maizière, MdVK 10. WP, 10/90 Md CDUBundesvorstand, Sächsischer Staatsminister für Soziales, Gesundheit u. Familie) 137, 150, 190, 192 f., 205, 211, 225 f., 229 f., 246, 346*, 359, 655, 660, 763, 873–875, 883 f., 898, 903–906, 909, 935, 995, 1060; Dok. 43, 57, 78 f. Geißler, Dr. Heiner (Bundesminister, CDU-Generalsekretär bis 9/1989, MdB) 185, 631, 637–642, 645, 652, 683 Geistlinger, Reinhard (Landrat Dresden-Land, ab 9/1990 Präsident des Sächsischen Städte- u. Gemeindetages) 99 Gentsch, Günter (Leiter AK Bundesu. Europaangelegenheiten LV Sachsen SPD) Dok. 303 Georg der Bärtige (1500–1539 Herzog von Sachsen [1471–1539]) 33

Personenregister Georgi, Herr (Notar, Mitarbeit Verfassungsentwurf Leipziger CDU) 585; Dok. 209 Georgi, Ute (FDP, Dresden, MdL Sachsen) 848, 1057 Gerber, Herr (Vgl. 17. Tagung RTB Dresden) Dok. 148 Gerhardt, Dr. Wolfgang (1987–1991 hessischer Minister für Wissenschaft und Kunst, 1982–1995 Landesvorsitzender FDP Hessen) 303 Gerlach, Johannes (ab 1/1990 stellv. Vors. BV KMS/Chemnitz SDP/ SPD, MdVK 10. WP, MdL Sachsen, Leiter AG Ökologie, Landwirtschaft u. Raumordnung SPD-Landtagsfraktion) 846, 1054 Gerstenberg, Dr. Karl-Heinz (DJ, Dresden, MdL Sachsen Bündnis 90/ Grüne) 848, 1056 Gerster, Johannes (CSU, Innenpolitischer Sprecher CDU/CSU-Bundestagsfraktion) 212 f., 302 Geske, Dr. Otto-Erich (Berater von Finanzminister Walter Romberg der Regierung de Maizière) 696 Geyer, Fritz (SED, Staatssekretär bei Grotewohl) 47 Gies, Dr. Gerd (CDU, Magdeburg, Ministerpräsident Sachsen-Anhalt) 860*, 875, 898 Giesen, Dr. Thomas (Koblenz, AL 1 SMLE, 1991 SStK, später sächsischer Datenschutzbeauftragter) 939 Gildemeister, Frau (FDGB, RTB Dresden) Dok. 57, 78, 91, 147 Glaser, Dr. Gerhard (Chefkonservator, Dresden, ab 1993 Präsident Sächs. Landesamt für Denkmalpflege) Dok. 74, 242 Gläser, Johannes (CDU, BVB Leipzig, RL Haushaltsorganisation u. innere Verwaltung, GK S/BW Leiter AG Verwaltung der FG Verfassung, Verwaltungsreform, SB Leipzig StK, 1991 AL RP Leipzig) 487, 575, 1045, 1046 Gleisberg, Dieter (LDPD/BFD, Leipzig, MdVK 10. WP) 435

1135

Globke, Dr. Hans (CDU, Staatssekretär bei Bundeskanzler Konrad Adenauer) 624 Glück, Dr. Gebhard (CSU, Bay. Arbeits- u. Sozialminister) 181, 598, 721 Gobrecht, Horst (SPD, Hamburger Senator für Bundesangelegenheiten) 301 f. Goepel, Dr. Lutz (DBD, Leipzig, MdVK 10. WP) 341 Gohlke, Dr. Reiner (Präsident der Treuhand) 835 Goldmann, Frau (Leipzig, AS Umwelt) 819 Goliasch, Herbert (Stellv. Vors. CDUKV Leipzig, GK S/BW, Mitarbeit Verfassungsentwurf Leipz. CDU, Md LaVo CDU, MdL Sachsen, Vors. CDU-Landtagsfraktion, verstorben April 2004) 228, 249*, 585, 642, 844–846, 850, 852 f., 859, 1014, 1051; Dok. 209 Gollan, Jürgen (RdB/BVB Leipzig, GK S/BW FG Ländlicher Raum – Landwirtschaft) Dok. 77 Golsch/Gollsch, Dr. Herr (RdB Leipzig, AS Umwelt) 819 Golter, Prof. Dr. Friedrich (Hauptgeschäftsführer Landesbauernverband BW) 207 Gölter, Dr. Georg (Vors. LV CDU Rheinland-Pfalz) 639 Gomolka, Prof. Dr. Alfred (CDU, Md VK 10. WP, Ministerpräsident Mecklenburg-Vorpommern) 776, 860*, 875, 925 Gönnenwein, Prof. Dr. Wolfgang (Staatsrat für Kunst Landesregierung BW, Generalintendant Staatstheater Stuttgart) 184; Dok. 438 Göpfert, Herbert (SED, RdB Dresden, Md Rates für Erholungswesen, GK S /BW Leiter FG Kommunale Partnerschaften) 205, 1045 Goppel, Dr. Thomas (CSU, bay. Europaminister) 775 f. Gorbatschow, Michail (sowj. Staatschef) 117–119 Götting, Gerald (bis 1989 Vors. CDU der DDR) 617

1136 Götze, Peter (DBD, RdB Dresden, Md Rates für Umweltschutz u. Wasserwirtschaft, GK S/BW, BVB Dresden Abt. Ausländerangelegenheiten beim RB Ballschuh) 203, 373*; Dok. 29, 78, 81, 148 Graff, Andreas (SED/PDS-BL Dresden, AL Staat u. Recht, Stellv. Vors. U. Fraktionsgeschäftsführer PDSFraktion BT, RTB Dresden) Dok. 72, 197 Grasemann, Dr. Hans-Jürgen (Leiter Zentrale Erfassungsstelle für Straftaten der DDR in Salzgitter) 1003 Gregori, Dietrich (Vors. KV Meißen CDU, MdL Sachsen, AG Kultur beim CDU-LaVo) 1051, 1058 Griebel, Matthias (Dresden, Vors. Landesverein Sächsischer Heimatschutz) 98 Grobecker, Claus (SPD, Finanzsenator der Freien und Hansestadt Bremen) 774 Gronz (Ehem. OFD-Präsident Münster) 521 Grosche, Dr. (SPD, MedAk Dresden, GK S/BW FG Verfassung u. Verwaltungsreform, dann Leiter FG Soziales, Gesundheit u. Arbeit) 557, 1045 Groß, Friedbert (CDU, Musikpädagoge, Md BT Leipzig, Vors. CDU-KV Leipzig, MdL Sachsen, 1993 Sächsischer Staatsminister für Kultus) 845, 927, 1051, 1058 Groß, Herr (AR, Clearing-Stelle beim Bundesminister des Innern) 587, 786 Groß, Dr. Reiner (Oberarchivrat Dresden, Direktor SächHStA, Berater GK S/BW AG Verfassung der FG Verfassung u. Verwaltungsreform) 232, 261, 389, 581; Dok. 26 f., 97, 237, 276, 317, 406 Gróß, Jurij (SED/PDS, Bautzen, Nationalrat Nationale Front, 1973–1989 1. Sekretär Domowina, RTB Dresden, MdVK 10. WP) 457, 465, 469 Grotewohl, Otto (SED, ab 1949 Ministerpräsident der DDR) 47, 583

Anhang Grube, Rolf (SED, Dresden, Generaldirektor Kombinat NAGEMA) Dok. 26, 28 Gruhle, Gertraude (CDU, Leipzig, ab 11/1991 MdL Sachsen) 1051 Gruhn, Irmgard (Leipzig, Teilnehmerin SF) Dok. 297 Grundmann, Frau (AG Personal des AS Soziales) 818 Grundmann, Prof. Dr. Siegfried (Leiter Forschungsgruppe „Territorium, Sozialstruktur u. Lebensweise“ Institut für Soziologie AdW der DDR) 276 Gruner, Herr (Leipzig, AS Wirtschaft) 810 Grüning, Egon (SED/PDS, Generalleutnant d. VP, stellv. Min. für Innere Angelegenheiten Regierung Modrow, Regierungskommission Verwaltungsreform) 107 Grüning, Dr. Uwe (Neues Forum, CDU 12/89, Chemnitz, Md LaVo CDU Sachsen, MdVK 10. WP, MdL Sachsen, hochschulpol. Sprecher CDU-Fraktion) 143, 147, 155 f., 158, 160, 328, 617, 626 f., 643, 844, 850, 869, 907, 932, 942, 1052 Grünter, Dr. Herr (NF, Chemnitz, GK S/BW FG Umweltschutz) Dok. 188 Grünwald, Siegfried (SED/PDS, Vors. RdB Magdeburg) 292 Gülde, Jürgen (CDU, BVB Dresden RL Ernährung u. Landw., GK S/BW FG Ländlicher Raum – Landwirtschaft, LSB Landw., 1990–5/1991 Staatssekretär SMUL, 1991 Direktor Landesanstalt für Landwirtschaft Dresden) 249*, 372*, 490, 535, 570, 702, 818 f., 876, 938 f., 1047, 1060; Dok. 259, 358, 367, 372, 410, 412, 416, 419, 450 Gumprecht, Christian (CDU, Landrat Altenburg) 430 f., 445, 447 Günther, Klaus (Md KT Zschopau, 1990 stellv. Vors. BV DBD, GK S/ BW FG Umweltschutz, ab 2/1991 MdL Sachsen CDU) 1052; Dok. 188 Guse, Petra (Leipzig, Md LaVo DA Sachsen) 656

Personenregister Güttler, Prof. Ludwig (CDU, Musiker, Dresden) 389, 533*, 622, 625 f., 931 f.; Dok. 276, 280, 394 f., 409 Gysi, Dr. Gregor (SED/PDS, Rechtsanwalt, Vors. SED-PDS u. PDS, MdVK 10. WP) 103, 109, 265* Haag, Dr. Gerhard (Min.-rat, UMBW, GK S/BW Leiter FG Umwelt) 203, 1045; Dok. 36 Haas, Friederike de (CDU 2/90, RTB Dresden, CDU-Stadtbezirksvorstand Dresden-Nord, 1990–1994 Staatssekretärin für Gleichstellung beim Ministerpräsidenten, MdL Sachsen, 1994 Staatsministerin für Gleichstellung) 240, 318*, 877, 882, 884, 889, 1052, 1059; Dok. 107, 147 Haase, Matthias (NF, Chemnitz, GK S /BW FG Fremdenverkehr) Dok. 47, 188 Hachelberger (DBD, RTB Dresden) Dok. 29, 43, 57, 60, 91 Hacker, Hans-Joachim (SPD Schwerin, Md VK 10. WP) 340 Hacker, Manfred (SED/parteilos, RdB Dresden, Md Rates für Finanzen u. Preise, GK S/BW Leiter FG Finanzen) 204, 1045; Dok. 20, 65 Hagelganz, Herr (Leipzig, AS Umwelt) 819 Hager, Prof. Dr. Kurt (Bis 1989 Mitglied des Politbüros des ZK der SED, SED-Chefideologe) 60 Hähle, Dr. Fritz (CDU 1/1990, Chemnitz, MdL Sachsen, ab 1991 1. Stellv. Vors., seit 1995 Vors. LV CDU Sachsen) 1015, 1052, 1058 Hahn (Min.-rat, Clearingvertreter des BMF in Sachsen) 812; Dok. 419 Hahn, Andreas (CDU, Dresden, MdL Sachsen) 1052 Hahn, Herr (Clearingberater Bonn) Dok. 416 Hahn, Brunhilde (SED, Sekretär RdB KMS, GK S/BW FG Kommunale Partnerschaften) 362*; Dok. 182, 188 Hahn, Prof. Dr. Hansjoachim (ab 11/89 1. Sekretär SED-BL Dresden) 100

1137

Hähnel, Eckmar (CDU, Dresden, MdL Sachsen) 1052 Hajna, Dr. Karl-Heinz (Erfurt, Zentralinstitut für Geschichte der AdW der DDR) 130, 297 Halbig, Dieter (CDU, RdB/BVB Leipzig, RL Umweltschutz u. Wasserwirtschaft, GK S/BW FG Umwelt, SB Leipzig Umwelt) 217, 490, 1047 Hammerstein, Dr. Carl-Detlev Freiherr von (CDU, Min.-rat, Clearing-Berater, BMI, MdB) 838; Dok. 418, 425 Handke, Gerd (Md BT Dresden, Vors. StK Erholung u. Tourismus) 126 Hannes, Jörg (Bündnis 90, Leipzig, GK S/BW, Stellv. Leiter FG Umwelt, 1990 Stadtrat für Umwelt RdS Leipzig) 559 Hansen, Dr. Wilhelm Matthias (Rechtsanwalt Konstanz) 927 Hansmeyer, Prof. Dr. Karl-Heinrich (Ordinarius für wirtschaftl. Staatswissenschaften Uni. Köln) 306 Hantke, Prof. Dr. Klaus (RdB KMS, Bezirksbaudirektor, GK S/BW) 207 Harbauer, Dr. Peter (SPD, Chemnitz, MdL Sachsen) 1054 Hardraht, Dr. Klaus ( AL 1 Justizministerium Hamburg, Berater beim AS Justiz, 1990 AL 1 im SMJus, 1992 Staatssekretär SMJus, 1993–1995 Hamburgischer Justizsenator, 1995–2002 Sächsischer Staatsminister des Innern) 777, 920–922, 942 Härtel, A. Frau (Sprecherrat LV Sachsen des NF für Bezirk Chemnitz) Dok. 47 Hartmann, Prof. Dr. (Prorektor TU KMS, GK S/BW FG Wissenschaft u. Bildung) Dok. 188 Hartmann, Günter (Vors. NDPD) 101 Hartstock, Dr. Erhard (Archivar Staatsarchiv Dresden, Domowina, GK S/BW AG Verwaltungsreform der FG Verfassung, Verwaltungsreform) 575, 581; Dok. 90 Haschke, Gottfried (CDU, Dresden, LPG-Vorsitzender, MdVK 10. WP, parl. Staatssekretär für Forstwirtschaft Regierung de Maizière,

1138 1990–93 parl. Staatssekretär BML) 874, 938 Hasler, Prof. Dr. Manfred (SED, RdB Dresden, Md Rates für Kultur, Bezirksschulrat, GK S/BW stellv. Leiter FG Wissenschaft u. Bildung) 206, 220, 528; Dok. 46 Hatzsch, Gunther (Schulpol. Sprecher SPD Leipzig, 1990 Md BeVo Westsachsen SPD, MdL Sachsen) 862, 1054 Hauck, Christian (CDU, Chemnitz, MdL Sachsen) 1052, 1058 Hauser, Otto (CDU, IMBW, Md LaVo u. Präsidium LV CDU BW, MdB 12. WP) 802 Hausmann, Peter (Staatssekretär, CSU-Sprecher) 666 Hauswirth, Dieter (Oberregierungsrat IMBW, Koordinierungsbüro BW BVB Chemnitz) 592, 885, 953; Dok. 457 f. Hegewald, Prof. Dr. Helmar (SED/ PDS, BT Dresden, MdL Sachsen LL /PDS, Vors. Umweltausschuss) 847, 1055, 1058 Heilmann, Dr. Paul-Willy (CDU, Stellv. RB Chemnitz, SB Wirtschaft Chemnitz, AS Wirtschaft, Diensstellenleiter Sächsische Vertretung beim Bund, 1991 AL RP Chemnitz) 362 f., 377, 380, 390, 488, 800, 810, 888, 1046; Dok. 182, 189, 238, 242, 276, 279, 453 Heinemann, Hermann (SPD, Sozialminister NRW) 668 Heinrich I. (919–936 ostfränkischdeutscher König. Gründer Burg Meißen [875–936]) 31 Heinrich I. von Anhalt 741 Heinrich I. von Eilenburg (Stammvater der Wettiner, ab 1089 Markraf von Meißen [1070–1103]) 32 Heinrich, Dieter (RdB Leipzig, Projektgruppe Verwaltung) Dok. 76 Heinrich, Peter (CDU, Chemnitz, GK S/BW FG Finanzen u. Kreditwesen, MdL Sachsen) 1052; Dok. 188 Heinrich der Erlauchte (Landgraf von Meißen und der Ostmark [1221–1288]) 32

Anhang Heinrich der Löwe (Herzog von Sachsen und Bayern [1129/31–95]) 32 Heinz, Andreas (DBD 1989, CDU 1990, Chemnitz, MdL Sachsen) 1052 Heinze, Bernd (DA, Leipzig, GK S/ BW) 249* Heinze, Herr (Leiter Bezirksgeschäftsstelle KMS Sparkassenverband der DDR, GK S/BW FG Finanzen u. Kreditwesen) 561; Dok. 188 Heitmann, Steffen (Berater Gruppe der 20, GK S/BW, Leiter AG Verfassung der FG Verfassung, Verwaltungsreform, LSB Justiz, Sächs. Staatsminister der Justiz, CDU 12/91, ab 1994 MdL) 20, 85, 154, 167, 169, 188, 193, 197, 200, 234, 260, 342, 345, 348, 376, 378, 389 f., 481, 489, 527 f., 553, 573, 574, 580, 582 f., 587 f., 603, 605–609, 613, 631 f., 636 f., 641 f., 708, 734, 741, 774, 789, 814, 839, 859, 873, 875, 882–884, 917, 919–922, 978, 1001–1004, 1007, 1010, 1014f., 1026, 1045, 1046, 1059; Dok. 89, 192, 235, 237, 241, 243, 252 f., 261–263, 277–281, 283, 289–291, 293–297, 300, 308, 310, 317, 322, 330 f., 335–337, 342–344, 348, 351–356, 363, 372–375, 390, 393, 410, 412, 424 Helbig, Axel (Pressesprecher KA, Pressereferent SStK) 375, 512; Dok. 322, 330, 357, 363 f., 410, 412, 419 Helbig, Cl. Frau (Sprecherrat LV Sachsen des NF für Bezirk Dresden) Dok. 47 Helbig, Manfred (Stellv. Landrat Lengenfeld, Vors. LV CSU Sachsen) 96, 666 Helfter, Dr. (BW, AL I SMWA) 901 Helgenberger, Andreas (CDU, Dresden, Redakteur „Die Union“) 152 Hellmund, Dr. Herr (Leipzig, AS Information/Dokumentation) 821 Heltzig, Dr. Frank (1. Sprecher Dresdner Stadtvorstand SDP, MdVK 10. WP, SPD-Direktkandidat Bundestagswahl 1990) 211, 743, 858

Personenregister Hempel, Dr. Johannes (Landesbischof Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens) 848, 875, 924, 934; Dok. 277 Hempelt, Siegfried (Vors. RdB Schwerin) 131, 134 Hendrich, Dr. Herr (Domowina, RTB Dresden) Dok. 190, 197, 203, 295 Henke, Hans-Jochen (CDU, OB Ludwigsburg, GK S/BW AG Kommunale Selbstverwaltung der FG Verfassung, Verwaltungsreform) 577 Henke, Hermann (DSU, RTB Dresden, LSB Landesvermögen u. Gebäude) 237, 256, 269*, 329, 336, 344 f., 348, 364, 368, 375, 376, 486, 491, 536, 597, 656, 708, 796 f., 821, 831, 834–842, 1048; Dok. 91, 102 f., 119, 147, 150, 152, 158, 168 f., 190, 192, 197 f., 202–205, 232, 234 f., 241 f., 252, 260 f., 278, 284, 287, 296, 308, 310 f., 322 f., 330 f., 356, 358, 363 f., 372–374, 410, 412–414, 419, 425, 449, 451, 454 Henke, Rita (CDU, Leipzig, MdL Sachsen, Stellv. Vors. CDU-Fraktion) 844 f., 942, 1052 Hennig, Herr (Chemnitz, AS Umwelt und Landwirtschaft) 818 f. Hensel (Vors. RdK Pirna) Dok. 20 Hentschel, Dr. Udo (RdB Leipzig, Projektgruppe Verwaltung) Dok. 77 Hentzschel, Lutz (Geschäftsführer Demokratie Jetzt, Md StVV Dresden) Dok. 347 Herles, Dr. Helmut (Redakteur FAZ) 79 Hermes, Dr. Andreas (1920–1923 Reichsminister, 1945 Vors. CDU SBZ / Berlin) 1030 Hertweck, Günter (CDU, Vizepräsident Landgericht Offenburg, ab 12/1990 Generalstaatsanwalt Sachsen) 1001, 1059 Herz, Margita (Büroleiterin von Arnold Vaatz im KA) 375, 630, 807, 824, 866; Dok. 241, 252, 261, 308, 322, 330, 357, 363, 372, 410, 412, 416, 419

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Herzer, Bernd (Reg.-dir., SB Inneres KA, Berater BW Inneres, 1990 AL Allgemeine Verwaltung SMI) 197, 365, 487, 577, 591 f., 725, 795, 804, 808 f., 866, 894, 954, 956, 987, 992, 994–996; Dok. 275, 330, 332, 357, 363, 366, 372, 410–413, 419, 450 Herzog, Prof. Dr. Roman (CDU, Bundespräsident) 398 Heubaum, Dr. Lutz (CDU, Dresden, GK S/BW, Leiter AG Kultur u. Sport beim LaVo CDU Sachsen) 249*, 346*, 931 Heym, Stefan (Schriftsteller, 11/1989 Mitinitiator Aufruf „Für unser Land“) 75, 82 Hickmann, Prof. Dr. Hugo (CDU, bis 1950 Vors. LV CDU Sachsen) 63 Hieber, Prof. Dr. Ulrich (Min.-dir., AL Bau IMBW, GK S/BW Leiter FG Bauwesen, Städtebau u. Denkmalpflege) 207, 1045; Dok. 37, 257 Hielscher, Dr. Günter (LDPD/FDP, Dresden, MdL Sachsen, Vors. Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit) 1057, 1058 Hietzge, Frau (BVB Dresden, RL Finanzen) 373*, 702*, 1046 Hilbig, Jörg (NF Hohenstein-Ernstthal, GK S/BW FG Kommunale Partnerschaften) Dok. 188 Hildebrand, Peter (Dresden, Md VK 10. WP Grüne Partei) 436 Hildebrand, Dr. Regine (SPD, Ministerin für Arbeit und Soziales Regierung de Maizière, Brandenburgische Sozialministerin) 930 Hillenhagen, Dr. (bis 3/90 Regierungsbeauftragter für die Auflösung des MfS im Bezirk Dresden) Dok. 58, 102 f. Hiller, Dr. Herr (Chemnitz, Leiter Staatliche Umweltinspektion, GK S / BW FG Umweltschutz) Dok. 188 Hillig, Dr. Frau (Erarbeitung eines Datenschutzgesetzes) 527; Dok. 402, 404, 406, 408 f. Hilpmann, Frau (UFV, RTB Dresden) Dok. 190

1140 Hirche, Walter (Bundesvorstand u. Präsidium FDP, MdL Niedersachsen, Vors. LV FDP) 174, 743 Hirsch, Dr. (Arbeitsgruppe beim Präsidium der Volkskammer zum Konzept Landesrechnungshöfe) 551 Hirschle, Dr. Thomas (Min.-rat, IMBW, Koordinator BW in Sachsen, LSB Inneres, bis 1991 Staatssekretär SMI) 65, 197, 250, 361*, 487, 494, 516, 577, 591 f., 599, 708, 725, 780, 784–786, 804, 806, 808, 839, 863, 876, 886 f., 892 f., 900, 904, 908, 926, 928, 930, 936, 948 f., 957, 961, 970, 975, 1047, 1059; Dok. 275, 414, 416, 456 Hitler, Adolf (Vors. NSDAP, Reichskanzler [1889–1945]) 38 f. Hoedt, Dirk-Ulrich (RdK Aue, CDUKandidat für Regierungsbeauftragten Chemnitz, GK S/BW Leiter FG Straßenbau/Verkehr, 1991 AL 4 RP Chemnitz) 345, 355, 571, 1045; Dok. 195 Hoelzer, Reiner (DSU Dresden) 96 Hoffmann (Grüne Partei, RTB Dresden) Dok. 43 Hoffmann, Frau (Strukturbeauftragte Leipzig Finanzen) 488, 1046 Hoffmann, Dr. Gert (CDU, 1990–95 Regierungspräsident Dessau) 953 Hofmann, Dieter (Dresden, Md Bundesvorstand DFP) 136 Hohenleitner, Rolf (Direktor Landeskreditbank Baden-Württemberg, GK S/BW FG Finanzen) 204, 561; Dok. 37 Hohenlohe, zu (1991 AL 3 SMUL) 942 Hohlmeier, Monika (CSU, ab 1990 MdL Bayern, ab 1998 Staatsministerin für Unterricht und Kultus) 622 Höhn (LtRD, Bay. Berater Aufbau Finanzämter Chemnitz) 521 Höhne (GK S/BW FG Verkehr) Dok. 259 Holata, Frank (BVB Dresden, bis Mitte 7/90 RL Wirtschaft, mittelständige Industrie u. Gewerbe, dann Wirtschaftsamt für mittelständische

Anhang Industrie der BVB Dresden) 488, 516 Holland, Karlfried (DBD, RdB KMS, Md Rates für Erholungswesen, GK S /BW FG Fremdenverkehr) Dok. 188 Hollmann, Günter (SED, RdB Dresden, Md Rates für Arbeit u. Löhne, Leiter Dresdner Arbeitsamt) Dok. 21, 149, 192 f., 197, 201 Hölz, Max (Führer kommunistische Aufstände 20er Jahre in Sachsen) 38 Homeier, Lothar (Projektgruppe Verwaltung RdB Leipzig, AG regionale u. territoriale Struktur, GK S/BW FG Verfassung, Verwaltungsreform, Leiter AG Kommunalverfassung/ kommunale Selbstverwaltung) 217, 578; Dok. 76 f. Honecker, Erich (Staatsratsvors. DDR, Generalsekr. SED) 69, 170, 444 Honecker, Margot (SED, DDR-Volksbildungsministerin) 815 Hoppe, Hanna (Sekretärin im KA, Dresden) Dok. 332, 363, 410 Höppner, Dr. Reinhard (Md VK 10. WP, MDL Sachsen-A., 1990 SPDKandidat für das Amt des Ministerpräsidenten Sachsen-A., ab 1994 Ministerpräs. Sachsen-A.) 777, 860* Hornig, Dr. Walter (SED, RdB Dresden, Stellv. d. Vors. für Energie, BVB Dresden, Ressort Wirtschaft Bereichsleiter Energie) 702*, 1046 Hornung (BW, GK S/BW AG Verwaltungsstruktur der FG Verfassung, Verwaltungsreform) Dok. 275 Hoschke, Dr. Wolfram (Geschäftsführer IHK KMS/Chemnitz, GK S/BW FG Wirtschaft, Technologie, Handwerk u. Management, 3/90 Vors. BV NDPD KMS, BT KMS) 555, 1045; Dok. 187 Höß, Dr. Josef (CSU, 1970–90 OB Kempten, Clearing-Berater des BMBau in Sachsen, Dezernent für Finanzen und Liegenschaften Dresden) 808; Dok. 424 Hotz, Wolfgang (SED/PDS, Dresden, Vors. Präsidium BeVo Dresden PDS,

Personenregister RTB Dresden) Dok. 91 f., 94, 96, 168 Hoyer, Karl-Heinrich (Stellv. Vors. LV CSU Sachsen) 96 Huber, Erwin (CSU-Generalsekretär, Staatsminister u. Leiter Bay. Staatskanzlei) 141, 146, 302, 665 f., 915 Hubrig, Andrea (CDU Dippoldiswalde, LaVo CDU, MdL Sachsen) 845, 1052 Huhn, Bernhardt (Bischof, Apostolischer Administrator von Görlitz) 389; Dok. 277, 350 Husemann, Prof. Dr. Klaus Erich (CDU 11/89, GK S/BW FG Schule, Jugend, Sport, BVB Dresden RL Bildung, Jugend, Sport, 5/1990 Landesschulrat, Strukturgruppe Kultus KA, Leiter AG Wissenschaft u. Bildung LaVo CDU Sachsen, MdL Sachsen, Parl. Staatssekretär SMK bis 3/1993) 346*, 373*, 509, 528 f., 531, 566, 568, 650, 814–817, 862, 869, 877, 879, 926, 929, 1045, 1047, 1052, 1059; Dok. 188, 259, 412 Ibisch, Armin (CDU, Landrat Großenhain) 417 Iltgen, Erich (Moderator RTB Dresden, CDU 6/90, Leiter Sächsisches Forum, LSB Landtag KA, Leiter AS Landtag, Präsident Sächsischer Landtag) 20, 49, 122, 129 f., 158, 161, 165, 232, 237, 248, 251–253, 269*, 270 f., 327, 334 f., 345, 348, 352, 370, 381–389, 391, 462, 474, 488 f., 491, 528, 536, 597, 607, 620 f., 624, 627, 708, 739, 750, 762, 820 f., 831, 836–842, 850 f., 855, 859, 867, 870, 872, 1014, 1016, 1019, 1033, 1046, 1052; Dok. 26, 29, 43, 57, 78 f., 91, 101 f., 147, 150, 158, 161 f., 168, 170, 172, 180, 189, 192, 202, 232, 234–236, 241, 245, 248–252, 260 f., 263, 277–279, 283, 287–289, 297, 301, 308, 310, 322, 330, 335–337, 342 f., 345 f., 348, 350, 352, 356, 363, 372, 374, 383, 386, 392 f., 396,

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399, 407–413, 416, 419, 424, 433, 451, 453, 461 Innhofer, Herr (Bay. Beamter AS Inneres) 516; Dok. 284 Irmschler, Gert (Grüne Partei) 376* Isensee, Prof. Dr. Josef (Staatsrechtler, Bonn) 300, 697 Israel, Dr. Herr (LSB Information/Dokumentation KA) 708, 821, 1048; Dok. 373 f., 414 Jachmann (DSU) 656 f. Jäger (SED, RdB Dresden, Stellv. Vors. Bezirksplankommission) Dok. 59 Jäger (BVB Cottbus) Dok. 426 Jäger, Hans-Joachim (Ltd. Min.-rat, MELFBW, GK S/BW Leiter FG Ländlicher Raum u. Landwirtschaft) 207, 1045; Dok. 37 Jäger, Renate (SPD, Dresden, MdVK 10. WP, ab 7/1990 stellv. Vors. BV Ost-Sachsen SPD, SPD-Direktkandidatin Bundestagswahl 1990) 828 Jagow, Joachim von (Vors. LDPD-BV Dresden) Dok. 43 Jähne, Harald (Amt. Vors. Komitee für Volkskontrolle Bezirk Dresden) 550 Jähnichen, Dr. Rolf (CDU, 1971–90 stellv. LPG-Vors., Vors. OG CDU Zedtlitz, 1989/90 CDU-Parteivorstand, 1990 Vors. KV u. Landrat Borna, GK S/BW, Sächsischer Staatsminister für Landw., Ernährung u. Forst) 240, 249*, 318*, 873–875, 884, 938 f., 1060; Dok. 107 Jähnig, Eva (Grüne Liga) Dok. 343 Jahr, Dr. Peter (DBD Rochlitz, Md Parteivorstand DBD, CDU 1990, MdL Sachsen, agrarpol. Sprecher CDU-Landtagsfraktion) 845, 1052 Janitschke, Dagobert (DA Mölkau, DA-Vorstand Westsachsen II [Leipzig], Md LaVo DA Sachsen, GK S / BW) 656; Dok. 107 Janovsky, Georg (Vors. CDU-Fraktion StVV Görlitz, MdVK 10. WP, Vorsitzender Gründungsausschuss LV Sachsen/Schlesische Lausitz Bund der Vertriebenen) 475, 478, 481

1142 Jattke, Herr (Bauernverband, GK S/ BW FG Ländlicher Raum u. Landwirtschaft) Dok. 189 Jenennchen, Volker (AHL, Bürgermeister Elsterberg) Dok. 244 Jenkner, Dr. Andreas (DA/CDU, Leitender Mitarbeiter Hoch- u. Fachschule, GF S/BW FG Hochschulen u. Wissenschaft, Strukturgruppe u. AS Kultus KA, Hoch- u. Fachschulbereich, 1990 SMWK) 814*, 817, 935, 1047; Dok. 284, 357, 363, 372 Jentzsch, Michael (RTB Dresden, AG 4) Dok. 45 Jeschke, Dr. (1991 AL 2 SMUL) 942 Johann (König von Sachsen) 36, 843 Johann Friedrich von Sachsen-Wittenberg (1532–1547 Kurfürst von Sachsen) 33 Johann Georg I. (Kurfürst von Sachsen [1585–1656]) Dok. 298 Jörg, Herr (Chemnitz, AS Landwirtschaft) 818 Jork, Dr. Rainer (CDU, Dresden, MdVK 10. WP) 651 Jung, Herr (Radebeul) Dok. 343 Jung, Franz Josef (1987–91 Generalsekretär CDU Hessen) 303 Junge, Friedrich-Wilhelm (Schauspieler u. Intendant, Dresden) 533*, 931 f.; Dok. 393, 395, 408 Junge, Dr. Marion (RdB KMS, OMR, Bezirksarzt, GK S/BW FG Soziales, Gesundheit u. Arbeit) Dok. 187 Junghans, Ulrich (1990 amtierender Vors. Der DBD) 663 Jurk, Thomas (12/1989 SDP, 3/1990 stellv. Vors. SPD-Unterbezirk Lausitz, MdL Sachsen, 1994 Stellv. Fraktionsvors.) 1054, 1058 Juza, Werner (Maler des Wandbildes in der Dresdner Dreikönigskirche) 848 Kahlert, Herr (NF, Chemnitz, GK S/ BW FG Wissenschaft u. Bildung) Dok. 188 Kälterer, Herr (NF, Chemnitz, GK S/ BW FG Kultur) Dok. 188 Kamenz, Dietmar (Vors. RdK Weißwasser) 413

Anhang Kamilli, Karl-August (SPD, Leipzig, MdVK 10. WP, SPD-Direktkandidat Bundestagswahl 1990, 1994 SPDAustritt, Leiter Stabstelle Bürgerfragen SStK, 2001 Schill-Partei) 94, 211 Kammerlohr, Karl-Heinz (Min.-rat, MWKBW, GK S/BW Leiter FG Hochschulen u. Wissenschaft) 206, 490, 566, 1045; Dok. 37 Kammerschen, Bernd-Dietmar (1988–90 Referent beim Vors. AG Deutschlandpolitik der CDU/CSUBundestagsfraktion, Eduard Lintner, Mitarbeiter Vaatz im KA, 1990–91 RL SStK, 1992 Leiter Zentralstelle SMUL, 1998 AL SMUL, 2000 Stiftungsdirektor Sächs. Landesstiftung Natur u. Umwelt) 375 f., 621, 624, 627, 630, 637, 807, 824, 839, 886, 889, 892, 931, 972; Dok. 419 Kampling, Harry (SED/PDS, Leipzig, MdL Sachsen LL/PDS) 1055 Kandalofsky, Dr. Steffen (RdB Dresden, Abteilung Raumordnung u. Regionalentwicklung, BVB Dresden Abt. Bezirks- und Kommunalangelegenheiten) 373* Kannegießer, Hans-Jörg (CDU, BVB Chemnitz, RA Chemnitz, SF, AS Landtag, MdL Sachsen, Vors. Geschäftsordnungsausschuss) 496, 541*, 820, 1052, 1058; Dok. 303 Karich, Dieter (PDS, RTB Dresden) Dok. 197, 203 Karl der Große (768 König von Franken, 800 römischer Kaiser [772–814]) 31 Karl V. (1530–56 König d. Hl. Röm. Reiches. 1516–56 König v. Spanien [1500–58]) 33 Kasper, Hans (SPD, saarländischer Finanzminister) 774 Kasper, Prof. Dr. Martin (sorbisch: Mercin) (SED, Direktor des Instituts für sorbische Volksforschung Bautzen) 456, 464 Kästler (RdB Dresden, Rechenzentrum) Dok. 21 Katzorke, Hubert (CDU, BVB Chemnitz, RA Chemnitz, SF, AS Landtag)

Personenregister 820; Dok. 238, 313 f., 336, 350, 375, 383 Kaufmann, Horst (Vorstand DFP) 145 Kaus, Gernot (Leiter AG Tourismus, Erholung u. Jugend beim LaVo CDU Sachsen) 346* Kehl, Johann (SPD, Chemnitz, Stellv. Vors. u. Md Präsidium LV Sachsen SPD, MdL Sachsen) 668, 826, 1054 Keilitz (SB Leipzig Justiz) 489, 1046 Keitel, Dr. Klaus (CDU ab 5/90, RdB u. RTB Halle, RB Halle, stellv. Landesbeauftragter Sachsen-A., MdL Sachsen-A. 1.-3. WP) 754 Keller, Karin (CDU, Md BT Leipzig, MdL Sachsen) 1052 Keller, Dr. Reinhard (DSU, 2. Bürgermeister u. Baudezernent Stadtverwaltung Dresden) Dok. 242 Kempe, Tilo (Radebeul, DA/CDUKandidat für Landtagswahl Sachsen) 660 Keßner, Karl (Ehrenobermeister des Stempelmacherhandwerks) Dok. 342 Kielatt, Herr (NF, RA Chemnitz) Dok. 236 Kießling, Herbert (Min.-dir., BaySMWK) 781 Kilian, Dr. Walter (Min.-dir., Amtschef MAGFSBW) 589 Killat, Erwin (NF, Zwickau, GK S/BW stellv. Leiter FG Kommunale Partnerschaften) 563; Dok. 188 Killinger, Manfred von (SA-Führer Sachsen, 1933–35 Reichskommissar Sachsen, 1935 Ministerpräsident Sachsen [1886–1944]) 38 f. Kindermann, Herr (Ba-wü., Richter OLG, 1990 AL Öffentliches Recht SMJus) 921 Kinze, Frau (Kinderärztin, beteiligt an der Diskussion der Verfassung) Dok. 342 Kinze, Prof. Dr. Michael (CDU, LSB StK, Regierungssprecher, 12/1991 Präsident des Sächsischen Landesamtes für Umwelt u. Geologie) 486 f., 512 f., 741, 795, 807, 831, 839, 889, 892, 942, 980, 1046,

1143

1059; Dok. 241, 252, 261, 284, 308, 311, 322 f., 330, 356 f., 363 f., 366, 376, 388, 390, 408, 410, 412, 425, 449, 451 Kircheis, Frau (CDU, RTB Dresden) Dok. 147 Kirchner, Martin (1989/90 Generalsekretär der Ost-CDU, Md VK 10. WP) 145, 296, 656 Kißling, Dr. Reinhold (Präsident des Württembergischen Genossenschaftsverbandes – Raiffeisen/Schulze-Delitzsch) 207 Kißro, Reinhard (Bürgermeister Ortrand, Allianz für Sachsen) 416, 420, 439; Dok. 427 Klaußner, Dr. Bernd (CDU, Md BT KMS, bis 1989 Hauptvorstand CDU, MdL Sachsen) 850, 1052 Kleber, Dr. (AL 4 SMLE) 939 Kleditzsch, Prof. Dr. Jürgen (CDU, RdB Dresden, Bezirksarzt, Vors. GK S/BW, MdVK 10. WP, Minister für Gesundheitswesen Regierung de Maizière) 202, 621, 624, 903, 1045; Dok. 60 Kleiber, Günter (SED/PDS, 1. Stellvertreter von Ministerpräsident Modrow) 101 Klein, Dr. Karl-Heinz (SED/PDS, RdB Leipzig, Bezirksbaudirektor, RL Bau- und Wohnungswesen BVB Leipzig, GK S/BW FG Umwelt, 1991 AL RP Leipzig) 207 Kleine, Herr (Leipzig, AS Justiz) 814 Kleinert, Michael (RTB Leipzig) 257, 267; Dok. 114, 118, 120 Kleinschmidt, Günter (BVB Leipzig, 1. Stellv. Vors. DA Westsachsen II [Leipzig], Runder Tisch, Md Hauptausschuss DA, GK S/BW, Stellv. RB Leipzig, 1990 AL 4 SMU, 1992 Direktor Staatliches Umweltfachamt Leipzig) 139, 241 f., 244 f., 249*, 363, 373 f., 377, 380, 496, 499 f., 506, 509, 541*, 548, 577, 661, 678, 704 f., 799, 819, 831, 942, 951; Dok. 107, 110, 242, 275 f., 279, 299, 303, 305 f., 359 Klemm, Dr. Peter (Staatssekretär BMF) 692

1144 Klemmer, Prof. Paul (Präsident Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung Essen) 282 Kley, Gerry (LDP Halle, Md VK 10. WP) 340 Klingbeil, Jürgen (Staatssekretär MRKA, 10/1990 Leiter Gemeinschaftsstelle der Länder) 701, 717, 719 f. Klingner, Dr. Klaus (1990 SPD-Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten Mecklenburg-Vorpommern, 1996–2000 Justizminister SchleswigHolstein) 860* Klinnert, Werner (CDU, 1990 Md KT Hoyerswerda, MdL Sachsen) 1052 Klose, Hans-Ulrich (Hamburg, SPDSchatzmeister, ab 1991 Vors. SPDBundestagsfraktion) 668 Klotz, Dr. Erhard (SPD, OB Neckarsulm, GK S/BW AG Kommunale Selbstverwaltung der FG Verfassung u. Verwaltungsreform, ab 1996 Hauptgeschäftsführer Städtetag BW) 577 Klotz, Hans W. (Min.-dir., AL Recht BayStK) 237, 598 Knebel, Frau (SPD, RTB Dresden) Dok. 203, 232 Kney, Dr. Johannes (LDPD Cottbus, MdVK 10. WP) 481 Kny, Dr. Kurt (Gruppe der 20, AG Natur u. Umwelt RTB Dresden, LSB Umwelt) 376*, 487, 490, 509, 819, 941 f., 1047; Dok. 80, 235, 241, 252, 261, 284, 308, 322 f., 330 f., 356, 363, 367, 372, 397, 399, 408, 410, 412, 416, 419 Koberling, Erwin (SED, RdB KMS, Leiter Internationale Beziehungen, GK S/BW FG Kommunale Partnerschaften) 252; Dok. 188 Koch, Dr. Eckhard (Koordinierungsausschuss des DA) Dok. 107 Koch, Günter (CDU, Leipzig, GK S/ BW, AS Justiz) 814 Koch, Norbert (MdVK 10. WP, Vorsitzender LV Sachsen DSU) 112, 141, 211, 665, 829, 858 Koch, Renate (CDU, Landrätin von Meißen) 927

Anhang Kockert, Gerhard (CDU, Dresden, MdL Sachsen) 1052 Kofler (ab 1991 AL 1 SMLE) 939 Kögler, Dr. Brigitta Charlotte (DA, Jena, MdVK 10. WP, Stellv. Vors. VKAusschuss Verfassung u. Verwaltungsreform, DA-Vorstand) 211, 286, 299 Kohl, Dr. Helmut (1982–1998 Bundeskanzler, CDU-Vors.) 74, 76, 107, 118–120, 138–141, 144 f., 147 f., 153, 170 f., 174 f., 185, 188, 212–214, 281, 358 f., 420, 441, 473, 612, 616, 618, 620, 622 f., 626, 628, 632 f., 638–643, 645–647, 650, 652 f., 659 f., 681, 683 f., 762, 825, 829, 832, 879, 887, 917, 924, 986, 1027; Dok. 435 Kohler, Joachim (RL IMBW, 2–9/1991 Staatssekr. SMI) 894 Kolbe, Manfred (CSU/CDU, 1989/90 Richter Finanzgericht München, Oberregierungsrat, Leiter Bay. Informationsbüro Dresden, LSB Finanzen, MdB, Notar Grimma, 2000–2002 Sächs. Staatsminister der Justiz) 20, 235, 239, 356, 487, 494, 497, 505–508, 512, 520–525, 532, 596–598, 600 f., 614, 617, 619, 621, 625, 647, 664, 699, 705 f., 725, 734, 780, 785 f., 803, 812 f., 868 f., 909, 954, 967, 971, 981, 1046; Dok. 241, 252 f., 260 f., 263, 284, 308, 311, 322 f., 325, 328, 330 f., 356, 363 f., 366, 372, 396 f., 408, 410, 412, 416, 419, 424 f. Kolberg, Herr (RdB KMS, Bereichsleiter, GK S/BW FG Fremdenverkehr) Dok. 188 Konrad der Große (ab 1124 Markgraf von Meißen [1098–1157]) 32 Konzack, Harald (Niederlausitz, Stellv. Geschäftsführer Domowina, Vors. Rat für sorbische Angelegenheiten beim Landtag Brandenburg) 473 Köpf, Peter 644 Köppe, Ingrid (Vertreterin NF ZRT Berlin) 110 Köppler, Heinrich (CDU-Spitzenkandidat NRW bis 1980, Vors. CDU-Land-

Personenregister tagsfraktion NRW [1925–1980]) 645 Korbella, Horst (CDU, Direktor Handels- u. Gewerbekammer Bezirk Dresden, Md BT Dresden, 1990 Stellv. Vors. Ost-CDU) 214, 357, 630, 663 Kornetzki, Herr (ab 4/90 Regierungsbeauftragter für die Auflösung des ehemaligen MfS) Dok. 148, 198 Koroll (RdB Leipzig, Mitglied Projektgruppe Verwaltung , AG Kultur, Bildung, Jugend u. Sport, Wissenschaft u. Kunst) Dok. 77 Kosel, Sieghard (SED/PDS, Dresden, MdL Sachsen LL/PDS) 1055 Kosk, Jan (Sektorenleiter Sorbische Kultur des Ministeriums für Kultur DDR-Regierung) 464 Köthe, Herr (Chemnitz, AS Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, AG Personalangelegenheiten) 819 Krah, Herr (Aktion Katholische Christen, RTB Dresden) Dok. 91, 147 Krause, Dr. Günther (CDU, Rostock, Parl. Staatssekretär im Amt von Ministerpräsident de Maizière, Verhandlungsführer DDR Einigungsvertrag) 299, 396, 628, 679–683, 687 f., 692 Krause, Dr. Rudolf (CDU, Md ZRT, RB Leipzig, Landesbevollmächtigter für Sachsen, MdL Sachsen, Sächsischer Staatsminister d. Innern, stellv. Ministerpräsident bis 1991) 259, 345, 355 f., 361, 363, 373, 377, 485, 499 f., 510 f., 524, 531, 542, 544–546, 586 f., 593, 626, 640–644, 678, 684, 699, 702–709, 711, 716, 732, 733, 739, 781–783, 788, 798–800, 802–805, 814, 821, 824, 838–841, 853, 865, 873–875, 884, 892–894, 896, 948, 952, 958, 976 f., 979, 1004, 1052, 1059; Dok. 195, 207, 242, 276, 279, 306, 364, 366, 370, 373, 411, 413, 415, 417 f., 420, 423, 425–428, 431, 435–437, 439, 442, 453 f. Krause, Siegfried (Vors. BV Leipzig NDPD) 101

1145

Krell, Dr. Herr (Teilnehmer SF) Dok. 296 Krenz, Egon (1989 Staatsratsvors. DDR und Generalsekretär SED) 1024 Kretschmar, Klaus (SED, RdB KMS, bis 2/90 1. Stellv. d. Vors., dann Md Rates für Jugend u. Sport, RTB KMS, 1991 RL 1.1 RP Chemnitz) 541*, 807; Dok. 153 Kretschmer, Karl-Heinz (Vors. BV CDU Cottbus, 1989/90 Md CDUHauptvorstandes, RB Cottbus) 410–412, 423, 440 f., 472; Dok. 427 Kretzschmar, Hellmut 62 Kretzschmar, Dr. (SED, RdB Dresden, Stellv. d. Vors. f. bezirksgeleitete Industrie, GK S/BW) Dok. 26, 28, 65 Kreuzer, Götz (SED/PDS, Vors. RdB Rostock) 134 Krieger, Dr. (CDU, RTB Dresden) Dok. 102 Kröber, Dr. Günter (Leipzig, Mitbegründer FDP DDR, MdL Sachsen, FDP-Fraktionsvorsitzender) 848, 859, 1014, 1057 Kroll-Schlüter, Hermann (CDU bis 1990, MdB, 1991–1999 Staatssekretär SMLE, 2002 Bundesvors. Kath. Landvolk-Bewegung) 883, 939 Kronach, Herr (Chemnitz, AS Wirtschaft) 810 Krone, Dr. Günter (CDU, Leipzig, MdL Sachsen) 1052 Krönert, Prof. Dr. Rudolf (Institut für Geographie u. Geoökologie AdW DDR) 103 Kroppenstedt, Franz (CDU, Staatssekretär BMI, Clearing-Stelle) 781, 838 f.; Dok. 418, 425 Krüger, Horst (SPD, RA Chemnitz, 2. Stellv. RB Chemnitz, SB Chemnitz Inneres, AS Inneres, vorläufiger Leiter RP, 1991 AL RP Chemnitz) 362, 380, 487, 496, 519, 541, 543*, 577, 799, 808 f., 953, 955, 959, 1047; Dok. 236, 239, 275, 303, 313, 375 f., 457 Kube, Frau (DSU, Chemnitz, GK S/ BW FG Wissenschaft u. Bildung) Dok. 188

1146 Kubicek, Annelies (SED/PDS, Chemnitz, MdL Sachsen LL/PDS) 1055 Kübler, Prof. Dr. Hartmut (IMBW, GK S/BW Leiter AG Verwaltungsstruktur der FG Verfassung, Verwaltungsreform) 487, 574, 576, 1045, 1047; Dok. 155, 195, 275 Kuczera, Lothar (Katholischer Priester Dresden, Berater Gruppe der 20) 149; Dok. 350 Kuhn, Klaus (DA, Dresden, Koordinierungsausschuss des DA) Dok. 107 Kuhn, Prof. Dr. Wolfgang (RD, Deutschland- und Europareferent der bay. CSU-Landtagsfraktion) 972 Kühn (DA, Leipzig, GK S/BW) 249* Kühne, Dr. Hans-Joachim (Oberkonsistorialrat Görlitz) 484 Kühnel, Johannes (CDU, Chemnitz, MdL Sachsen) 1052 Kühnert, Frau (BVB Dresden, RL Gleichstellung u. Frauenförderung) 702*, 1048 Kühnrich, Klaus-Dieter (CDU, Chemnitz, MdL Sachsen) 1052 Kulscher, Ursula (CDU, Chemnitz, MdL Sachsen) 1052 Kunckel, Dr. Karl-Heinz (Herbst 1989 SDP/SPD 1989, 5/90 stellv. Landesvors. SPD, MdVK 10. WP, MdL Sachsen, Vors. SPD-Fraktion, 11/1993 SPD-Landesvors.) 95, 366, 667 f., 678, 826, 829, 843, 846, 847, 851–853, 856, 859, 881 f., 916, 981, 1054 Kunellis, Frau (KA) Dok. 410 Kunz, Dr. Herr (SB Chemnitz, AS Landtag) 496, 820; Dok. 303, 457 Kunze, Gerhart (Senatskanzlei Berlin, AL 2 SStK) 889 Kunze, Dr. Michael (NDPD, RdB Dresden, Stellv. Vors. für Verkehrsu. Nachrichtenwesen, ab 2/90 Vors. RdB Dresden, BVB Dresden Bereich Koordinierung beim RB) 128, 165, 199 f., 218, 224–226, 231 f., 248, 251, 254, 258 f., 292, 329, 334 f., 338 f., 341, 343 f., 349 f., 357, 365, 369, 372, 373*, 381, 475–478, 512, 532, 621, 742, 797, 1047; Dok. 30 f., 43–46, 57 f., 64–66, 70 f., 79 f.,

Anhang 90 f., 93, 96, 101 f., 104 f., 139–143, 168, 181, 190 f., 193, 323 Kunzmann, Dr. Bernd (NF/SPD, RTB Dresden, GK S/BW AG Verfassung der FG Verfassung u. Verwaltungsreform, MdL Sachsen, rechts- u. verfassungspol. Sprecher SPD-Fraktion) 188, 277, 489, 581 f., 587, 608, 846, 1009, 1012, 1048, 1054; Dok. 43, 54, 57, 89, 232, 294, 317 Kupetz (SB Leipzig Justiz) 489, 1046 Kurth, Edmunde (Leiterin Geschäftsstelle RTB KMS, Geschäftsstellenleiterin u. Sekretärin RA Chemnitz) Dok. 153 Kusmin, Iwan N. (Oberst, 1989 Stellv. Filialleiter KGB Berlin) 209* Lafontaine, Oskar (SPD-Vorsitzender, Kanzlerkandidat) 170, 210, 646, 668–670, 829 Lambsdorff, Dr. Otto Graf (1988–1993 FDP-Vorsitzender, MdB, Bundesminister) 136, 683 Lämmel, Andreas (Mitbegründer NF Dresden 10/1989, Geschäftsführer NF Dresden, CDU 2/90, Geschäftsführer CDU-KV Dresden, 1994 MdL Sachsen) 151, 845 Lampe, Herr (Sächsische Humanistische Bewegung, Teilnehmer SF) Dok. 293 f., 346 Lang, André (SED, Stellv. OB Dresden, Leitung GK S/BW) 193; Dok. 36 Lang, Dr. August R. (CSU, Bay. Staatsminister für Wirtschaft u. Verkehr) 180, 572 Lange, Bernd-Lutz (Zwickau/Leipzig, Kabarettist) 82 Lange, Rolf (Ba-wü. Berater AS Kultus KA) 814* Langer, Dr. Eberhard (SED/PDS, OB KMS, MdL Sachsen LL/PDS) 830, 1055 Lapp, Peter Joachim (Journalist Deutschlandfunk) 297, 307, 744 Lassalle, Ferdinand (Leipzig, Gründer d. Allg. Dt. Arbeitervereins [1825–1864]) 37

Personenregister Lässig, Frau (Dresden, AS Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, AG Personalangelegenheiten) 819 Laue, Dr. Dietmar (12/90 Vors. KV CDU Geithain, GK S/BW, MdL Sachsen) 1052 Lehmann (Bezirksbeauftragter für Leipzig des MRKA) Dok. 299 Lehmann, Heinz (CDU, Md BT Dresden, MdL Sachsen) 845, 1052; Dok. 160 Lehmann, L. (Sprecherrat LV Sachsen des NF für Bezirk Chemnitz) Dok. 47 Lehmann-Grube, Dr. Hinrich (SPD, 1990–98 OB Leipzig) Dok. 276, 279 Lehnert, Hans Heinz (CDU, Dresden, MdL Sachsen) 845, 1052 Leibnitz, Gottfried Wilhelm Dok. 429 Leich, Werner (Evangelisch-lutherischer Landesbischof von Thüringen) 757 Leicht, Heribert (SED, RdB KMS, Bezirksschulrat, GK S/BW FG Wissenschaft u. Bildung) 206; Dok. 188 Leiter, Herr (FDGB, RA Chemnitz) Dok. 236 Lembke (Bürgermeister Eschdorf) Dok. 21 Lenz (Min.-rat, Clearing-Berater des Bundes, BMI) 547, 807; Dok. 416, 419 Lenz, Peter (Mitarbeiter FDGB örtl. Staatsorgane u. Kommunalwirtschaft, RTB Dresden) Dok. 21, 190, 197 Lerchner, Martin (Superintendent evangelische Kirche Dresden-Nord, Moderator RTB Dresden) 231, 269*, 367, 833, 868; Dok. 26, 29, 43, 57, 78, 91, 94, 96, 102, 147, 158, 168, 197, 232 Lerchner, Matthias (OB Görlitz) 480, 483, 485 Leroff, Klaus (CDU, Dresden, MdL Sachsen) 844, 1052 Lersow, Dr. Michael (SPD, RA Chemnitz, ab 2/1990 Vors. BV SPD Chemnitz, ab 5/90 Vors. LV Sachsen SPD, GK S/BW FG Verfassung u.

1147

Verwaltungsreform, MdL Sachsen, stellv. Fraktionsvors.) 95, 260, 348, 581, 582, 608, 610, 667 f., 826 f., 829, 833, 846, 882, 980, 1009, 1054; Dok. 238, 317 Lesch, Markus (Korrespondent „Die Welt“ Dresden) 650 Lessing, Gotthold Ephraim 460; Dok. 429 Leuthold, Hannelore (Oberlandeskirchenrätin, GK S/BW FG Polizeirecht und -organisation, stellv. Verfassungsrichterin Sachsen) 188, 580 Lewandowski, Dr. Gerd (SED, RdB Leipzig, 1. Stellv. d. Vors. d. Bezirksplankommission , Projektgruppe Verwaltung RdB Leipzig, AG Wirtschaftsfragen u. Raumordnung) Dok. 76 f. Leykamm, Rolf (CDU, Leipzig, GK S/ BW) 249* Lieberam, Prof. Dr. Ekkehard (Institut für Internationale Studien KMU Leipzig, Mitarbeit Leipziger Entwurf Verfassung) 609 f. Liebig, Dieter (Landrat Görlitz-Land) 480 Limbach, Prof. Dr. Uta (Richterin am Bundesgerichtshof) 1002 Lintner, Eduard (Deutschlandpolitischer Sprecher CDU/CSU-Bundestagsfraktion) 375 f., 665, 824 Lipp, Dr. Thomas (Mitbegründer der Leipziger SDP 1989) 211 Lippmann, Dr. Eberhard (Leipzig, 1965–1990 Mitglied DBD, 1990 CDU, MdL Sachsen, Gründungsund Vorstandsmitglied Land-Union Sachsen der CDU) 1052, 1058 Lischke, Herr (Leipzig, AS Inneres) 808 List, Manfred (CDU, Oberbürgermeister Bietigheim-Bissingen, MdL BW) 189 Liudolf, Graf von Sachsen (ca. 805 bis 866) 31 Lochbaum, Gunter (SPD, Chemnitz, MdL Sachsen) 1054 Lochmann, Corinna (SPD, Dresden, MdL Sachsen) 1054

1148 Loest, Erich (Schriftsteller) 50, 738, 777, 932 Loge, Dr. Ingmar (CDU, Poliklinik Plauen, GK S/BW FG Soziales u. Gesundheit) Dok. 187 Loibl, Konrad (Stellv. Vors. CDU-Fraktion BT KMS, CDU-Bezirksgeschäftsführer, Md Präsidium LaVo CDU Sachsen, GK S/BW FG Kultur) 249*, 351, 642; Dok. 188, 195 Lønning, Inge (Präsident des norwegischen Parlaments) 29 Lorenz, Siegfried (SED-Politbüro, 1. Sekretär SED-BL KMS) 632 Löser, Holger (SED, RdB Dresden, Direktor Betriebsakademie u. AL Ausbildung , 2/90 Vors. AG Verwaltungsref. RdB, GK S/BW Leiter AG Aus- und Fortbildung der FG Verfassung, Verwaltungsreform, BVB Dresden Abt. Grundsatzfragen/Verwaltung Recht beim RB Ballschuh) 193, 223, 373*, 573, 579, 1045; Dok. 21, 90 Lotz, Klaus Werner (Präsident Bay. Verwaltungsgerichtshof) 598 Lotze, Dr. Heidrun (SED, RdB Dresden, Beauftragte für Verwaltungsreform u. Sekretärin RTB Dresden, AL Verwaltung SMSGF) 105, 123, 197, 218–220, 222, 232, 336, 377, 483–485, 492 f., 496 f., 505, 508 f., 514 f., 517, 525 f., 531, 534 f., 538, 541, 544, 546 f., 607, 733, 790, 797, 818, 905–907, 947, 965, 989; Dok. 91, 150, 158, 168 f., 190, 197, 202, 235, 241 f., 252 f., 261–263, 283, 299, 303, 305, 308–310, 322 f., 327, 330 f., 335 f., 356 f., 363 f., 372 f., 378, 410–412, 414, 416, 419 Lotzmann, Edith 466 Lötzsch, Frieder (Freikirchen Chemnitz, RA Chemnitz) Dok. 237 Lubk, Hans-Ulrich (CDU-Kreisvorsitzender Bad Liebenwerda) 425 Luck, Dr. Helmut (Vors. RdB Gera) 132, 430 Luding (BW, 1990 AL SMWK) 930 Lukat, Frau (BVB Leipzig, Bereichsleiterin Ökonomie d. Ressorts Kultur, Kunst u. Wissenschaft, AS Kultus

Anhang KA, Abteilung Kunst und Kultur) 814 Luther, Dr. Martin (Kirchenreformator) 33 Lux, Hans-Jürgen (Min.-rat, MWMTBW, GK S/BW Leiter FG Wirtschaft) 201, 1045; Dok. 36 Madai, Wolfgang (CDU, Dresden, MdL Sachsen) 1052 Mädler, Thomas (SPD, Leipzig, MdL Sachsen) 1054 Maetzke, Ernst-Otto (Redakteur FAZ) 475 Magerstädt, Hans-Jürgen (Gruppe der 20, GK S/BW FG Polizeirecht u. -organisation) 188, 580 Magerstedt (Clearingberater bei Iltgen) Dok. 424 Magirius, Christoph (Superintendent Chemnitz, Moderator RTB KMS) 273 Magirius, Friedrich (Superintendent Leipzig, Moderator RTB Leipzig u. RT Stadt Leipzig, Stadtpräsident RdS Leipzig) 533*, 932; Dok. 276, 280 Magirius, Dr. Heinrich ( LV Sächsischer Heimatschutz) 98 Mahn (vor 1952 Mitarbeiter Sächsische Landesregierung) Dok. 21 Mahnke, Dr. Hans-Heinrich (RL Recht BMB) 394*, 677*, 689, 745 Maibaum, Dr. Dr. Gerd (Ministerium für Bildung Regierung de Maizière, Arbeitstab Kultus, ab 5/1990 AL 5 SMWK) 814*, 934 Maier, Fritz Ulrich (Kommissarischer AL Landespolizeipräsidium SMI, 1. Sächs. Landespolizeipräsident) 894 Maier, Prof. Dr. Hans (Bay. Kultusminister, Präsident Zentralkomitee der deutschen Katholiken, GuardiniLehrstuhl Universität München) 926 Maizière, Lothar de (DDR-Ministerpräsident, Vors. Ost-CDU) 50, 101, 139 f., 145 f., 210, 212 f., 227, 244, 246, 254, 265, 274, 286, 292 f., 295, 299, 301, 304, 316, 318,

Personenregister 327–330, 340 f., 347, 355 f., 358–360, 367, 371, 392, 398, 400, 409, 429 f., 437 f., 440 f., 448, 467 f., 477, 479, 499 f., 530, 566, 583, 614 f., 618 f., 621, 623, 628, 633 f., 640 f., 647, 650 f., 659, 676 f., 679, 681–683, 690, 693, 699, 702, 709, 717, 719, 729 f., 743, 746–748, 750, 753 f., 762 f., 766, 772, 777 f., 781, 786, 854, 873 f., 892, 904 f., 909 f., 923 f., 929 f., 936, 981, 1024, 1030–1032; Dok. 150, 167, 319, 324, 431 Maizière, Dr. Thomas de (CDU, Staatssekretär im Amt von Ministerpräsident de Maizière, 1990 Staatssekretär Kultusmin., 1994 Chef StK Meckl.-Vorpommern, 1999 Chef SStK, 2001 Sächsischer Staatsminister der Finanzen, 2002 Sächsischer Staatsminister der Justiz) 214, 343, 358 f., 678 f., 713, 746, 748, 763 Malchus, Viktor Freiherr von (Direktor Institut für Landes- u. Stadtentwicklungsforschung NRW) 284 Maleuda, Dr. Günther (Vors. DBD DDR, Volkskammerpräsident 9. WP) 134 f. Malink, Jan (Pfarrer, Sprecher Sorbische Volksversammlung) 456, 458, 461, 465 Mampel, Prof. Dr. Siegfried 297, 307, 743 f. Mangoldt, Prof. Dr. Hans von (Juristische Fakultät der Universität Tübingen, GK S/BW AG Verfassung der FG Verfassung, Verwaltungsreform) 190, 263, 297, 581 f., 584, 587, 612, 1019; Dok. 317 Mannsfeld, Prof. Dr. Karl (CDU, Dresden, Md LaVo CDU Sachsen, Leiter Landesfachausschuss Umwelt, GK S /BW, Leiter AG Umweltschutz beim LaVo CDU Sachsen, MdL Sachsen, ab 1993 ord. Prof. TU Dresden Lehrstuhl Landschaftslehre /Geoökologie, 2002 Sächsischer Staatsminister für Kultus) 346*, 845, 1052 Marcus, Prof. Dr. Wolfgang (SPD, Dresden, MdL Sachsen) 1054, 1058

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Maria Emanuel Prinz von Sachsen Herzog zu Sachsen 64 Martens, Ina (SStK, Büroleiterin von Biedenkopf) 883, 890 Martin, Frau (NF, Chemnitz, GK S/ BW FG Soziales u. Gesundheit) Dok. 187 Martin, Herr (BVB Dresden, RL Bildung, Jugend, Sport, Bezirksschulrat, GK S/BW FG Schule, Jugend, Sport) 702*, 814*, 1048 Martini zum Berge, Dörte (CDU, Dresden, MdVK 10. WP) 481 Marx, Karl 56 Marx, Peter (Spitzenkandidat NPD Landtagswahl Sachsen) 830 Marzin, Beate (Schreibarbeiterin Gohrischer Entwurf) Dok. 318 Masberg, Elke (Leitstelle zur Gleichstellung der Geschlechter Stadtverw. Dresden) Dok. 318 Masur, Prof. Dr. Kurt (Gewandhauskapellmeister Leipzig, Md. StVV Leipzig) 254, 389, 533*, 826, 932; Dok. 276, 280 Mathes, Herr (DSU, Chemnitz, GK S/ BW FG Finanzen u. Kreditwesen) Dok. 188 Matko, Karl (CDU, Chemnitz, Landrat Schwarzenberg, MdL Sachsen) 1052 Mattheuer, Wolfgang (Maler Leipzig) 932 Matzke, Cornelia (UFV, Fraueninitiative Leipzig, MdL Sachsen B 90/Grüne) 847, 855, 1015, 1056 Mauk (Leipzig, GK S/BW Stellv. Leiter FG Kultur) 564 Mauksch, Dr. Andreas (SED, RdB Dresden, Stellv. Vors. für Raumplanung u. Regionalentwicklung, Vors. Bezirksplankommission, Leiter GK S /BW) 122 f., 128, 193, 196, 201, 248, 250, 459, 554, 1045; Dok. 20, 26 f., 36, 67, 70, 109, 182, 189 May, Hubert (Min.-rat, BaySMF, Leiter AS Finanzen, amt. Amtschef SMF, dann AL Steuern SMZ, ab 11/90 Leiter Bay. Informationsbüro Dresden) 812, 908, 910, 971

1150 Mayer-Vorfelder, Gerhard (CDU, 1980–1991 Minister für Kultus u. Sport Baden-Württemberg, ab 1991 Finanzminister) 565, 927 Meckel (Chemnitz, AS Umwelt, 1991 AL RP Chemnitz) 819 Meckel, Markus (SDP-Mitbegründer, Minister für Auswärtige Angelegenheiten Regierung de Maizière AprilAugust 1990, Vertreter der SPD am ZRT, stellv. SPD-Vors.) 88, 613 Medger (Metger), Gerd (Landesschatzmeister sächs. CDU, Ratsmitglied f. Finanzen Stadtbezirk Dresden, Geschäftsf. CDU Sachsen, Md Präsidium LaVo CDU Sachsen, Leiter AG Finanzen LaVo CDU Sachsen, GK S/BW Leiter FG Finanzen) 157, 249*, 346*, 561, 577, 615, 656, 661, 1045; Dok. 259 Meier, Wolfgang (SED, RdB Dresden, Md Rates für Jugendfragen, Körperkultur u. Sport) Dok. 44 Meinel, Hans-Heiner (H.-Rainer) (1989/90 DA Dresden, Basisdemokratische Fraktion StVV Dresden, GK S/BW) 249* Meisner (dpa) Dok. 417 Meißen, Maria Emanuel Markgraf zu Dok. 408 Meißen, Markgräfin zu Dok. 408 Meißner, Herr (Leipzig, AS Landwirtschaft) 819 Meister, Andreas (Evang.-Luth. Kirche Chemnitz, RA Chemnitz) Dok. 237 Melzer, Prof. Dr. Helmut (Mitglied Regierungskommission Verwaltungsreform, Institut für Rechtswissenschaft AdW DDR) 283 Mende, Lothar (CDU, Dresden, GK S /BW AG Kommunale Selbstverwaltung der FG Verfassung u. Verwaltungsreform, Md LaVo CDU Sachsen, MdL Sachsen) 577, 1052 Mengele, Hans-Peter (CDU, Min.-dir., AL Internationale Beziehungen SMBW, Leiter GK S/BW, Leiter FG Verfassung, Verwaltungsreform) 169 f., 185, 187, 189 f., 192 f., 197 f., 200, 243, 247, 250, 617, 631,

Anhang 774, 917, 1045; Dok. 36 f., 63, 70, 182, 189, 194, 276 Menz, Dr. Lorenz (CDU, Staatssekretär u. Amtschef SMBW) 310, 589, 594, 693, 705, 723, 725 f., 725, 728, 786, 968; Dok. 62 Merkel, Dr. Angela (Sprecherin DA, stellv. Regierungssprecherin de Maizière,1990 CDU, ab 1998 Bundesvorsitzende CDU) 211 Merkel, Dr. Edmund (Min.-rat, SMBW, GK S/BW Leiter AG Medien der FG Verfassung u. Verwaltungsreform) 1045 Merkel, Dr. Hans (Min.-dir., Bundestagsverwaltung, Clearing-Berater des Bundes Bildung im AS Landtag, prov. Landtagsdirektor Sachsen) 820, 867; Dok. 424 Merker, Michael (Referent Personalreferat MKSBW, Mitarb. Koordinierungsbüro BW in Leipzig, ab 11/90 Mitarb. SStK) 593, 817, 889 f. Metz, Dr. Horst (CDU, 1990 stellv. Vors. LV Sachsen CDU, 1989/90 Leiter Untersuchungskomm. Amtsmißbrauch u. Korruption Dresden, BVB Dresden RL Umweltschutz, GK S/BW Leiter FG Umwelt, KA SB Umwelt, MdL Sachsen, Parl. Staatssekr. SMUL, 2002 Sächs. Staatsminister Finanzen) 153, 156, 249*, 345, 372*, 490, 559, 615, 621, 661, 819, 877, 940–942, 1045, 1052, 1060; Dok. 192, 195, 235, 284, 323, 331 Meyer, Dr. Günter (Geschäftsführer CDU-Verband Westfalen-Lippe, bis 1990 Leiter Büro Konrad-AdenauerStiftung Wien, Amtschef/Staatssekretär SStK) 712, 883, 887 f., 890, 1059 Meyer, Prof. Dr. Hans Joachim (Lehrstuhl Sprachwissenschaft HumboldtUniversität Berlin, 1974–76 Kath. Pastoralsynode Dresden, Minister für Bildung und Wissenschaft Regierung de Maizière, Sächs. Staatsminister für Wissenschaft u. Kunst, CDU 1952–61 u. ab 7/1990) 149, 286, 317, 396, 474, 502, 619, 676, 817,

Personenregister 866, 869, 873–876, 883, 884, 919, 922–925, 928, 930–937, 995, 1059 Meyer, Heinz-Werner (SPD, 1987–1990 MdB, 1990–1994 Vorsitz. DGB) 903 Michailow, D. (Sprecherrat LV Sachsen des NF für Bezirk Leipzig) Dok. 47 Mickenautsch (Ba-wü., AL 7 SMLE) 939 Miegel, Prof. Dr. Meinhard (ab 1973 pers. Mitarbeiter Biedenkopfs in CDU-Bundesgeschäftsstelle, gründete 1977 mit Biedenkopf das „Institut für Wirtschaft und Gesellschaft“ in Bonn, 1992 außerord. Prof. in Leipzig) 641 Mielke, Günter (RdB Dresden, Vors. BV Dresden DBD, RTB Dresden, GK S/BW FG Ländlicher Raum u. Landwirtschaft) 207, 1045; Dok. 29 f., 32, 147 f. Mikla (Ba-wü. Berater Strukturgruppe Inneres KA) 1047 Milbradt, Prof. Dr. Georg (CDU, 1983–90 Finanzdezernent Stadt Münster, ab 1985 außerplanmäßiger Prof. Wirtschaft Uni. Münster, 1990–2001 Sächsischer Staatsminister der Finanzen, 2002 Sächsischer Ministerpräsident) 696, 790, 792, 813, 873, 875, 882–884, 907–911, 913, 915 f., 987, 990, 993, 1059 Militzer, Prof. Dr. Karl-Ernst (NDPD, Md BT Dresden) 106 Milz, Manfred (CSU, Min.-dir., Amtschef BaySMI) 496 Minor, Dr. Rüdiger (Bischof der Evangelisch-methodistischen Kirche in der DDR) Dok. 277 Mischnick, Wolfgang (FDP-Politiker, 1990 Direktkandidat Dresden FDP) 137 Mitzscherling, Dr. Peter (SPD, Md BT Dresden) Dok. 99 Modrow, Dr. Hans (1. Sekretär SEDBezirksleitung Dresden, Ministerpräsident der DDR, MdVK 10. WP, MdB PDS) 63, 70, 75, 83, 100–102, 104, 106–108, 113–120, 125, 139, 144, 170–172, 184–186,

1151

188 f., 193, 197, 213, 265*, 273, 280, 285 f., 394, 476, 1024; Dok. 73 Mogge, Wolfgang (SED, RdB Leipzig, 1990 Bezirksbaudirektor) 217 Möllemann, Jürgen (Vors. LV FDP NRW, Bundesbildungsminister) 773 Möller, Klaus-Peter (CDU, Präsident Hessischer Landtag) 281 Momper, Walter (SPD, Regierender Bürgermeister von West-Berlin) 670, 686 Moreth, Dr. Peter (LDPD, Stellv. Vors. Ministerrat der DDR bei Modrow) 106, 110, 113, 124, 132, 135, 462 Morgner, Michael (Chemnitz, Md VBK, GK S/BW FG Kultur) Dok. 188 Moritz (1541 Herzog, 1547–1553 Kurfürst von Sachsen) 33, 60 Moschke, H. (RdB Dresden, Büro des Vors., Leiter UG Sächs. Geschichte AG Verwaltungsreform BT Dresden) Dok. 21 Müller (Protokoll RTB Dresden) Dok. 102 Müller (Bautzen) Dok. 21 Müller, Dr. Alfred (Min.-rat, MLFBW, ab 4/1991 RL Personal SMLE) 939 Müller, Andreas (DA/SPD, Mitgründer DA Leipzig, für SPD am RT Stadt Leipzig, 1990 Md StVV Leipzig, Stadtrat für Allgemeine Verwaltung RdS Leipzig) 138, 256 f., 267; Dok. 114, 118, 120 Müller, Frau (UFV, Teilnehmerin SF) Dok. 189, 294 Müller, Chr. (NF Leipzig-West) Dok. 46 f. Müller, Helmuth (DBD/CDU, Meuselwitz, MdL Sachsen) 938 f., 1053 Müller, Johannes (Einwohner Werdaus) 70 Müller, Dr. Jürgen (CDU, Leiter AG Arbeit, Soziales, Gesundheit u. Familie beim LaVo CDU Sachsen) 346* Müller, Kornelia (Grüne Partei, Vogtländisches Bauernmuseum, GK S/ BW FG Ländlicher Raum u. Landwirtschaft, MdL Sachsen B 90/Grüne) 1056

1152 Müller, Norbert (DFP, RTB Dresden) 656, 661; Dok. 119, 168, 170, 189, 197, 203, 232, 234, 238, 259 Müller, Wolf-Ulrich (Min.-dir., MKSBW, GK S/BW Leiter FG Schule, Jugend, Sport) 566, 1045 Müller-Römer, Dr. Frank (Technischer Direktor Bayerischer Rundfunk, Beauftragter des KA für Strukturbereich Medien) 491, 537; Dok. 284, 304 Münch, Aimuth (DA, Dresden) Dok. 107 Münch, Dr. Helmut (DA 12/89, Basisdem. Fraktion Dresdner StVV, RTB Dresden, CDU 8/90, 90 Md LaVo CDU, GK S/BW FG Wirtschaft, Landesstrukturbeauftragter, Stellv. Leiter KA, MdL Sachsen, 12/1990–94 Parl. Staatssekretär im SMWA) 137, 145, 150, 199, 240, 243 f., 246, 249*, 256, 260, 283, , 318*, 329, 333, 336, 345, 375, 386, 504, 508, 635 f., 643, 655–657, 659 f., 663, 666, 796 f., 826, 844 f., 868, 877, 879, 899–901, 987, 1053, 1059; Dok. 107, 110, 119, 168 f., 188, 190, 192, 232, 235, 241 f., 244, 246, 252 f., 261 f., 307–309, 322–324, 330, 356, 363, 372, 374, 410, 412, 419 Münch, Kriemhild (DA, Dresden) Dok. 107 Münchheimer, Werner (Autor) 284 Musall, Peter (Reg.-dir., RP Tübingen, GK S/BW AG Verwaltungsstruktur der FG Verfassung, Verwaltungsreform) 574, 579 Muster, Dr. Michael (Ba-wü. Berater Aufbaustab SStK, SMF, 1998 AL SMWA) 807, 885, 985, 988 Muth (Leiter Statistisches Bezirksamt Leipzig, Mitarbeit Bildung Statistisches Landesamt Sachsen) 549 Mutschmann, Martin (NSDAP, Gauleiter von Sachsen) 39 Nagel (SPD) Dok. 29 Namysloh, Prof. Dr. Jürgen (SPD, BVB Leipzig, RL Bau- u. Wohnungswesen, GK S/BW Leiter FG Bauwesen,

Anhang Städtebau, AL Baurecht, Städtebau, Wohnungswesen, Denkmalpflege SMI) 569, 894, 1045 Napoleon I. 34, 36; Dok. 299 Natter, Herr (BW, AS Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, AG Personalangelegenheiten) 819 Naumann, Herr (1. Stellv. d. Bezirksbaudirektors KMS, GK S/BW FG Bauwesen u. Städtebau) Dok. 189 Naumann, Roland (Vors. DA KV Chemnitz-Land, Md LaVo Sachsen DA) 656; Dok. 107 Nebel, Herr (RTB Dresden) Dok. 102, 168 Neefe, Dr. Wolfgang (RdB/BVB Leipzig, Abteilung Preise, GK S/BW FG Wirtschaft, Leiter UA Preisbildung u. -überwachung) 555 Nees, Dr. Albin (RL BaySMAS, 1990–2001 Staatssekretär SMSGF) 905 f., 1060 Negwer (Propst Katholische Kirche Chemnitz, RA Chemnitz) Dok. 237 Nestler, Joachim (DFP/DSU, Chemnitz, GK S/BW FG Wirtschaft, Technologie, Handwerk u. Management, RA Chemnitz) 608; Dok. 187, 375 Netz, Dr. (Direktor Hygienemuseum Dresden) 904 Neubert, Frank (Gruppe der 20/CDU, Basisdemokratische Fraktion StVV Dresden, CDU 2/90) 151, 153 f.; Dok. 107 Neubert, Dr. Heidemarie (BVB Dresden, RL Gesundheit u. Sozialwesen, Stellv. Bezirksärztin) 373*, 702*, 1048; Dok. 30 f. Neufischer (AL V SMWA) 901 Neumann (PDS, Chemnitz, GK S/BW, AS Inneres) 808 Neumann, Günter (Mitbegründer SDP Bezirk Dresden, 1/90 Vors. BV Sachsen-Ost der SDP/SPD, GK S/ BW, ab 1990 BVB Dresden, AS Wirtschaft KA, komm. AL, dann RL Wirtschaftsförderung SMWA) 95, 127, 230, 669, 899, 901; Dok. 97 Neun, Richard (CDU, Seminarleiter Rottenburger Tagung 4/1990) 240

Personenregister Neusel, Hans-Heinrich (1979–84 Chef Bundespräsidialamt, 1990 Staatssekretär BMI) 692, 838 Neusl, Dr. Dok. 425 Nicolai, Wolfgang (Stellv. Landrat Senftenberg) 442 Niehof, Hans-Jürgen (Staatssekretär, ab 20. 8.1990 Minister Ministerium Post- u. Fernmeldewesen Regierung de Maizière) 520 Nissel, Dr. Reinhard (Staatssekretär Justizministerium Regierung de Maizière) 299 Nitsch, Johannes (CDU 1989, AL VEB Energiebau Dresden, ab 1989 Md CDU-Parteivorstand, MdVK 10. WP) Dok. 330 Noack, Eckhard (CDU, Min.-rat, Niedersächs. Ministerium für Wissenschaft und Kunst, 1990 Staatssekretär u. Amtschef SMWK) 933, 1059 Noack, Ludwig (CDU, Dresden, MdL Sachsen) 845, 1053 Noke, Frau (Leipzig, AS Inneres) 808 Noll, Dr. Dieter (CDU, OB Chemnitz) Dok. 237 f., 276, 279 Nollau, Prof. Dr. Volker (CDU, Dresden, 1990–9/91 Parl. Staatssekretär SMWK, MdL Sachsen) 816, 877 f., 923, 926, 930, 933 f., 1053, 1059 Nordsiek, Uta (DA Chemnitz, Vors. OV Rochlitz DA, Md LaVo DA Sachsen) 656 Nosseck (Nossek), Helga (SED, RdB Dresden, Stellv. Vors. für Handel u. Versorgung, BVB Dresden Ressort Wirtschaft Bereichsleiterin Handel, GK S/BW Leiterin FG Fremdenverkehr) 204, 702*, 1045, 1046 Nothelfer, Dr. Hans-Joachim (Rechtsanwalt Dresden) 785; Dok. 456 Nowack, Joachim Hubert (Leipzig, Vors. CSU Sachsen, Mitglied Vorstand DSU, 7/90 Austritt aus DSU, 1990 CDU, MdVK 10. WP, MdB) 665 Nowak, Wolfgang (SPD, RL Kultusministerium NRW, 1/1991–1994 Staatssekretär SMK, 1999 Leiter Grundsatzabteilung Bundeskanzleramt) 883, 900, 925, 927, 929 f.

1153

Nowak, Dr. Wolfgang (CDU, Leipzig, MdL Sachsen, Vors. Bau- und Verkehrsausschuss) 1053, 1058, 1059 Nücklich (Vors. RdK Bischofswerda) Dok. 20 Nuding, Johannes (Regierungsschuldirektor, ba-wü. Berater für Wissenschaft, Kultur u. Sport beim Landessprecher Sachsen, AS Kultus KA) 725, 814*, 817 Obernolte, Dr. (Min.-dir., Clearingvertreter des BMWi für Sachsen, Stellv. von Thomas Hirschle) 808; Dok. 416 Oehlke, Jürgen (Vors. eines Ortsverbandes d. CDU in Dresden) 629 Oettel, Willfried (Landrat Annaberg CDU) 542 Opitz, Rolf (SED, 1989 Vors. RdB Leipzig) 106 Orobko, Wieland (Md Vorstand u. Pressesprecher DA Westsachsen I [Chemnitz], RA Chemnitz, SF, Md LaVo DA Sachsen, 1990 CDU) 138, 256, 508, 656, 660 Ortmann, Frank (BVB Dresden, GK S /BW Sekretär FG Ländlicher Raum – Landwirtschaft, Vertreter Strukturbeauftragten Dresden Landwirtschaft KA) 819; Dok. 357, 372, 412 Ott, Patrick (CSU/FDP, Chemnitz, MdL Sachsen) 1057 Otto, Wolfgang (Vors. RdB Neubrandenburg) 134 Otto der Reiche (1125–1190, Markgraf von Meißen) 32 Otto I. (der Große) (912–973, Herzog der Sachsen, deutscher König 936, römisch-deutscher Kaiser 962–973) 31 Pahnke, Rudi (DA) 137 Pasch, Dr. Gerhart (Stellv. Vors. Landesverein Sächsischer Heimatschutz) 98 Pausch, Siegfried (CDU, Chemnitz, MdL Sachsen) 1053

1154 Pawlowski, Peter (Oberstaatsanwalt Chemnitz, zuvor Rosenheim) 1001, 1059 Pechstein, Herr (Jurist, Landesaufbaustab) 785; Dok. 456 Peemüller, Frau (UFV, RTB Dresden) Dok. 43, 102, 147, 168, 197, 203, 233 Peller, Wolfgang (Stellv. Justizminister Regierung Modrow, Regierungskommission Verwaltungsreform) 107 Peritz, Frau (Mitarbeiterin AS Landtag) Dok. 336, 449 Pfeifer, Dr. (BW, AL I SMWA) 901 Pfeufer, Dr. Wolfgang (CDU, Direktor f. Ökonomie VEB Chemieanlagenbaukombinat, BVB Leipzig, RL Wirtschaftsförderung, SB Leipzig Wirtschaft, AS Wirtschaft, 1991 AL RP Leipzig) 488, 555, 810, 1046 Pflugbeil, Dr. Sebastian (Bürgerrechtler, Gründungsmitglied NF, ZRT, 2/1990 Minister ohne Geschäftsbereich Regierung Modrow) 75 Pfordte, Helmut (CDU, Leipzig, MdL Sachsen, Vors. Ausschuss für Landw., Ernährung und Forsten) 1053, 1058 Pieck, Wilhelm (SED, Präsident der DDR) 460, 583 Pietsch, Rainer (NF, Leipzig, MdVK 10. WP, Fraktion Bündnis 90/Grüne) 436; Dok. 46 Pietschner, Heike (Dichtete u. komponierte eine Sachsenhymne) 121 Pietzsch, Thomas (CDU, Chemnitz, MdL Sachsen) 1053 Pilz, Dr. Joachim (Vors. CDU-Fraktion StVV Chemnitz, Beigeordneter OB Chemnitz, ab 1991 OB) 628 Piotrowski, Olaf (Grüne Partei, RA Chemnitz) Dok. 375 f. Platzeck, Matthias (Grüne, SPD, Umweltminister Regierung de Maizière, MdVK 10. WP, ab 2002 Ministerpräsident von Brandenburg) 930 Plobner, Manfred (SPD, Dresden, MdL Sachsen) 1054 Poberschin (PDS, 17. Tagung RTB Dresden) Dok. 148 Poeschel, Dr. (AL 2 SMWK) 934

Anhang Pohl, Dr. Gerhard (CDU, Minister für Finanzen Regierung de Maizière) 518 Pohl, Prof. Dr. Heidrun (Regierungskommission Verwaltungsreform, AG administrativ-territoriale Gliederung) 110, 276, 278 Pohl, Johannes (Mitinitiator Friedenskreis Dresden-Johannstadt, Mitgründer DA Dresden, Basisdemokratische Fraktion Dresdner StVV, GK S/ BW, ab 5/90 Leiter Dezernat Umwelt Stadt Dresden) 137, 237, 318*; Dok. 26, 107 Pohnert, Herr (Handwerkskammer Dresden, RTB Dresden) Dok. 147 Polak, Prof. Dr. Karl (SED, Staatsrechtler) 45, 56 Pönisch, Frau (Leipzig, AS Soziales) 818 Popp (RdB Leipzig, Projektgruppe Verwaltung, AG Finanzen) Dok. 77 Poppe, Eberhard (SED-Staatsrechtler) 264 Porsch, Prof. Dr. Peter (SED/PDS, MdL Sachsen LL/PDS) 1015, 1055 Posselt, Karin (RdB Leipzig, Projektgruppe Verwaltung) Dok. 76 Prag, Frau (Leipzig, AS Finanzen) 812 Pratsch, Eckard (Oberbürgermeister von Halle/Saale) 192 Precht, Hermann (SPD, Stuttgart) 185 Preiß, Frau (DSU, RTB Dresden) Dok. 91, 102, 147, 168, 197 Preiß, Manfred (LDPD, Minister für regionale u. kommunale Angelegenheiten Regierung de Maizière) 50, 130 f., 232, 254, 285 f., 292 f., 295, 301, 307, 315, 318, 320, 326, 339 f., 360, 370, 372, 392 f., 395–397, 399 f., 411 f., 417, 423, 425, 430, 433 f., 439, 441, 478, 482, 498–502, 542, 590, 608, 678–683, 687, 690, 700, 702–704, 708–710, 716 f., 719, 731, 754, 766, 772; Dok. 156, 181 Preißler, Dr. Christian (1/1990 SPD, Md LaVo SPD Sachsen, MdL Sachsen, Leiter AG Inneres u. Finanzen

Personenregister SPD-Landtagsfraktion, 1994 SPDAustritt) 846, 1054 Preuß, Prof. Dr. Hugo (Verfasser Weimarer Reichsverfassung, 1919 Reichsinnenminister, Gründungsmitglied DDP) 283 Preuße (Blinden- u. Sehschwachenverband) Dok. 352 Preuße, Ingrid (DA/CDU-Kandidatin für Landtagswahl Sachsen) 660 Priesnitz, Walter (CDU, Staatssekretär BMB) 627–631, 633–636, 683, 897 f. Pröhl, Wolfhard (VL, RTB Dresden) 269*; Dok. 26, 28 f., 33, 57, 78 f., 91, 96, 102 f., 147, 150, 158, 168, 190, 193, 197 f., 201 f., 232 f., 404, 406, 408 f. Protze, Siegfried (BVB Dresden, 7/90 amt. RL Inneres) 373*, 702*, 1047 Putzke (DSU, GK S/BW FG Polizeirecht u. -organisation) 580 Quaschny, Dieter (SED/PDS, Chemnitz, Md BT KMS) 161 Queck, Dr. Lutz (DSU, GK S/BW FG Ländlicher Raum – Landwirtschaft) 376* Quecke, Dr. Herr (Min.-rat, RL Kommunales Verfassungsrecht, Recht der kommunalen Bediensteten IMBW, GK S/BW AG Kommunale Selbstverwaltung der FG Verfassung u. Verwaltungsreform) 577 Querler, Dr. (Dresden, KA Strukturbereich Kultur, verantwortlich Hoch- u. Fachschulbereich) Dok. 284 Rade, Ludwig Martin (Stellv. Vors. LV LDP/FDP Sachsen, MdL Sachsen, 1994 Vors. FDP-Fraktion) 94, 1057 Raden, Hans-Joachim (OAR, BaySMAS, 9–10/90 Mitarbeiter Bay. Informationsbüro Dresden, AL Sozialversicherung SMSGF) 597, 907 Rahnfeld (Bund der stalinistisch Verfolgten, RA Chemnitz) Dok. 375 f. Rank, Dr. Wolfgang (LDPD, RdB/ BVB Dresden, AL Bauwesen, Bezirksbaudir., GK S/BW Leiter FG

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Bau u. Städtebau) 207, 372*, 703*, 1045, 1048; Dok. 242 Rantzsch, Dr. Uwe (Leipzig, 2/90 Stellv. Vors. LV LDP Sachsen) 94 Rasch, Dr. Herr (Sächsischer Künstlerbund e. V., Teilnehmer SF) Dok. 287 Rasch, Horst (Gründungsmitglied DA, Geschäftsführer DA Ostsachsen [Dresden], Landesvorsitzender DA, Pressesprecher bei OB Dresden, CDU 8/90, MdL Sachsen, Vors. Untersuchungsausschuss Arbeitsfähigkeit des Landtages, 2002 Sächsischer Staatsminister des Innern) 240, 246, 318*, 655, 656–658, 660, 663, 844, 1053, 1058; Dok. 107 Raschke (LDPD, Dresden, RTB Dresden) Dok. 29 Raschke, Dr. (Chef IHK Chemnitz) 362 Rau, Helmut (Geschäftsführer Regierungsbezirk Südbaden CDU-LV BW) 137, 148 f., 151, 153, 199, 249, 614 Rau, Johannes (SPD, Ministerpräsident Nordrhein-Westfalen, ab 1999 Bundespräsident) 65, 174, 301, 315, 404, 645, 670, 767, 776 Rau, Rolf (CDU, Leipzig, 4/89–3/90 Vors. BV CDU Leipzig, Md BT Leipzig, 3/90 stellv. Vors., 5/90 amt. Vors. LV CDU Sachsen, MdVK 10. WP, MdB) 156, 615, 635, 642 Rauchalles, Arndt (CDU, Bürgermeister Falkenstein, GK S/BW FG Verfassung u. Verwaltungsreform AG Kommunalverfassung/Kommunale Selbstverwaltung, MdL 249*, 578, 1053 Rauh, Detlef (Vors. Unabhängige Initiativgruppe Niederschlesien, Görlitz) 484; Dok. 288, 409 Rauscher, Dr. Klaus (Min.-dir., Amtschef BayStK) 237, 596, 671, 726, 728 Reber, Stephan (CDU, Chemnitz, MdL Sachsen) 1053 Reckers, Dr. Hans (CDU, ab Herbst 1989 Gruppenleiter Bundeskanzleramt für Personal und Organisation,

1156 stellv. Leiter Außenstelle Berlin Bundeskanzleramt, Berater bei Ministerpräsident de Maizière, 11/1990–5/1992 Staatssekretär SMF) 712, 792, 883, 900, 908–912, 1059 Rehlinger, Ludwig (CDU, bis 1988 Staatssekretär BMB) 627 Rehm, Stefanie (CDU, Chemnitz, MdVK 10. WP, Sächsische Staatsministerin für Kultus) 355, 873–876, 882, 884, 927–929, 1059 Reichard, Christa (DA / CDU Dresden, 1992–1996 Md CDU-Bundesvorstand, seit 1994 MdB) 241; Dok. 107 Reichel, Frau (DFD, RA Chemnitz) Dok. 236 Reichelt, Dr. Bernd (Grüne Partei, Leipzig, MdVK 10. WP) Dok. 354, 356 Reichenbach, Klaus (Ab 1988 Vors. CDU BV KMS, ab 1987 Md Hauptvorstand CDU, MdVK 10. WP, 1990/91 Vors. LV CDU Sachsen, Staatsminister Regierung de Maizière, 1990–1994 MdB) 151–157, 159 f., 227, 241*, 245, 255, 294, 328, 345–349, 355, 359, 395, 437, 499, 566, 590, 592, 601, 612–638, 640–645, 647, 649–653, 657–659, 661, 669, 683, 688, 700, 761, 763, 766, 826, 845, 874, 892, 904, 909, 919, 923, 927, 941 f., 1029, 1034, 1036; Dok. 319 Reichenbach, Matthias (DSU, BVB Dresden, Stellv. Regierungsbevollmächtiger für Personal, ab 1/1991 SMWA, später CDU) 148, 357, 364–367, 370, 374, 491, 504 f., 521, 666, 689, 730–732, 799, 804, 808, 965, 977; Dok. 234, 236, 241–243, 252, 261 f., 308, 322–324, 330, 356, 363, 372, 374, 410–413, 424, 435, 454 Reimann, Kay (CDU Dresden, MdVK 10. WP) 481 Reimann, Werner (RdB KMS, Md Rates für Umweltschutz, GK S/BW FG Umwelt, SB Chemnitz Umwelt) 490, 1047; Dok. 188, 314

Anhang Reinelt, Joachim (Katholischer Bischof des Bistums Dresden-Meißen) 848; Dok. 277, 280 Reinfried, Dr. Dieter (Sprecher NF Dresden, Vors. KV CDU Dresden, RTB Dresden, MdL Sachsen, Mitarbeiter SStK, Parlamentarischer Staatssekretär SMUL) 70 f., 154, 231, 240 f., 267, 318*, 329, 352, 627, 629, 832, 844, 942, 1053; Dok. 91–94, 96, 107, 147, 149, 168, 197, 202, 232 f. Reißig, Dr. Dieter (SED, Stellv. Vors. RdB KMS, Vors. Bezirksplankommission, Leiter GK S/BW) 193; Dok. 36 Reitmann, Dr. Hartmut (SED, bis 1989 Stellv. Vors. RdB Leipzig für Inneres, 1990 zuständig für Verwaltungsreform u. Länderbildung) 162, 217, 287, 339; Dok. 63, 66, 76, 108 Rentsch (Rentzsch), Dr. Manfred (NDPD, Präsident BT Dresden) 132, 253; Dok. 44, 97, 101, 112, 139 Retzlaff, Reinhard (MWKBW, Mitarbeiter Arbeitstab Kultus KA, AL 1 SMWK) 814, 925, 934 f. Richard, Franz (Geschäftsführer Sächsischer Städte- u. Gemeindetag) 205 Richter, Andreas (CDU, Redakteur „Die Union“ Dresden) 152, 383 f. Richter, Dr. Christoph (CDU, Hainichen, MdL Sachsen) 1053 Richter, Gerd (CDU, Dresden, MdL Sachsen) 1053 Richter, Frank (katholischer Priester, Initiator der Gruppe der 20 in Dresden) 120 Richter, Dr. Gerhard (Leiter Oberste Baubehörde beim Ministerrat der DDR) 548 Richter, Hans-Jürgen (1/1990 SPD, Vors. Bürgerkomitee zur Auflösung MfS/AfNS Bezirk Chemnitz, RA Chemnitz, MdL Sachsen, Vors. Sonderausschuss Untersuchung von Amts- u. Machtmissbrauch infolge SED-Herrschaft) 847, 1055, 1058; Dok. 375 f. Richter, Dr. Joachim (Vors. KV DSU Görlitz) 484

Personenregister Richter, Joachim (SPD, Chemnitz, MdVK 10. WP, ab 2/91 MdL Sachsen, Vors. Untersuchungsausschuss Amts- und Machtmissbrauch infolge SED-Herrschaft) 701, 1055 Richter, Johannes (Leipziger Superintendent, Moderator RTB Leipzig) 72 Richter, Karl - Walter (SED, RdB Dresden, 1. Stellv. des Vors.) 321 Richter, Wolfgang (FDP, Chemnitz, MdL Sachsen) 848, 1009, 1057, 1058 Riedel (AL 6 SMLE) 939 Riedel, Christian (Md BeVo CDU Leipzig, Staatssekretär Regierung de Maizière) Dok. 107, 110 Riege, Prof. Dr. Gerhard (SED/PDS, Lehrstuhl Staatsrecht Universität Jena) 110 Riempp, Dieter (Min.-dir., FMBW, GK S/BW Leiter FG Finanzen) 204, 1045 Ringsdorf, Harald (SPD, Schwerin, Md VK) 679 Rink, Dr. Berthold (CDU, Chemnitz, GK S/BW, Stellv. Vors. U. Md Präsidium LV CDU Sachsen, 1991 Vors. LV CDU Sachsen) 156, 612, 615, 635, 651, 661 Roch, Dr. (AL VI SMUL) 942 Rödszus, Prof. Dr. Rudi (SED, Oberst VP Dresden, Stellv. Leiter Offiziershochschule MdI Dresden, GK BW/S Leiter AG Polizeiwesen u. Innere Sicherheit der FG Verfassung u. Verwaltungsreform) 527, 579, 1045 Rogg, Dr. Walter (Pressesprecher MWMTBW, 2/90 Leiter Büro Baden-Württemberg in Dresden) 195, 590 Rogge, Prof. Dr. Joachim (Bischof der evangelischen Kirche der Schlesischen Oberlausitz, Gründungskurator der Hochschule Zwickau, gest. 8. 6. 2000) 480; Dok. 277, 350 Rogge, Walter (CDU) 376* Rohde, Dr. (1990 AL Straßenbau SMWA) 901

1157

Rohner, Gerhard (1946–50 Md CDU LaVo Sachsen, 1945–1950 sächs. Finanzminister) 46 Rohr, Werner (1. Stellv. Vors. RdK Freital) Dok. 20 Rohwedder, Dr. Detlef Karsten (Chef der Treuhandanstalt) 839 Rohwer, Lars (NF/CDU, Dresden, ab 1/1991 MdL Sachsen) 845, 1053 Romberg, Walter (SPD, Minister für Finanzen Regierung de Maizière) 520 f., 696 Rooks, Percy (1990 AL Verfassung, Recht, Kommunalangelegenheiten, Archiv-/Sparkassenwesen SMI) 894 Röpke, Prof. Dr. Wilhelm (Nationalökonom) 737 Rößler, Dr. Matthias (DA 1989, wiss.pol. Sprecher DDR-Vorstand DA, LaVo DA Sachsen, RTB Dresden, GK S/BW Leiter FG Wiss. u. Hochsch., LSB Kultus, CDU 8/90, MdL, hochschulpol. Sprecher CDUFraktion, 1994 Sächs. Staatsminister f. Kultus, 2002 für Wissenschaft u. Kunst) 123, 137, 145, 150, 158, 192, 197–199, 206 f., 230, 242 f., 246, 249, 269*, 272, 318*, 327, 335, 345, 348, 357, 391, 486, 490, 494, 496, 502, 508, 510 f., 528–533, 553, 566, 568, 617 f., 636, 640, 651, 655 f., 658–660, 663, 717, 750, 763, 796, 801, 814–817, 831, 833, 844 f., 866–869, 922, 924, 926 f., 930, 934 f., 937, 989, 995, 1026, 1032, 1045, 1047, 1053; Dok. 29, 91 f., 107, 147, 150, 158, 190, 192, 197, 201 f., 232, 234, 241, 243, 252, 261, 284, 308, 322, 330, 356, 358, 363, 367, 372, 374, 386 f., 408, 410, 412, 416, 419, 425 Roßnagel, Prof. Dr. Alexander (Fachhochschule Darmstadt, GK S/BW AG Verfassung der FG Verfassung u. Verwaltungsreform) 581 Rost (BW, 1990 AL SMWK) 930 Röstel, Gunda (NF/Bündnis 90/Grüne, Chemnitz) 111 Rotberg, Konrad Freiherr von (Leit. Min.-rat, IMBW, GK S/BW Leiter AG Verfassung der FG Verfassung u.

1158 Verwaltungsreform) 573, 580, 584, 587, 1045; Dok. 317 Röthig, Dr. Harald (Mitgründer NF Dresden, Basisdemokratische Fraktion BT Dresden, CDU 2/90, GK S/ BW FG Verfassung, Verwaltungsreform, stellv. Leiter AG Verwaltung) 136, 151, 318*, 575, 581; Dok. 89, 107 Rothstein (Präsident des Verbandes der Jüdischen Gemeinden) 389 Rottig, Sonja (NF, RTB Dresden) Dok. 29, 32, 43, 45, 57, 59, 78, 82, 97, 102, 147 f., 150, 197 f., 201, 203, 233, 404, 406 Rüddenklau, Wolfgang (VL, Umweltbibliothek Berlin) 87 f. Rudolph, Johannes (CDU, Leipzig, Leiter AG Ernährung, Landwirtschaft u. Forsten beim LaVo CDU Sachsen) 346* Rudorf, Dr. Dieter (11/1989 SDP/ SPD, Chemnitz, MdVK 10. WP, 6–8/1990 Parl. Staatssekretär Finanzministerium Regierung de Maizière, Md SPD-Landesausschuss, MdL Sachsen) 826, 847, 1055 Rühe, Volker (1989–92 CDU-Generalsekretär) 139 f., 148, 199, 212, 616, 622 f., 625, 629–633, 655, 666, 879, 898, 1027, 1032 Rühl, Dr. Gerhard (SPD, Lektor TH Leipzig, BVB Leipzig, RL Kultur, Kunst u. Wissenschaft, GK S/BW FG Hochschulen u. Wissenschaft, AS Kultus) 814, 817, 937 Rühlemann, Günter (DFP, Dresden, GK S/BW) 249* Rühmann, Dr. Jürgen (Verwaltungsrichter, Führungsakademie BW, Berater von Heitmann, AL Landtagsverwaltung) 489, 527; Dok. 372, 410, 412, 424 Ruscher, Michael (PDS, Leipzig) Dok. 348 f. Rush, Antje (Grüne Partei, Leipzig, MdL Sachsen B 90/Grüne) 1056 Rust, Gustav (Mitarbeiter BT Dresden, Mitarbeiter AS Iltgen u. Landtagsverwaltung) 386; Dok. 99, 244–246

Anhang Rust, Dr. Volker (CDU, BVB Leipzig, RL Gesundheits- u. Sozialwesen, SB Leipzig Soziales, AS Soziales) 489, 818, 1048 Rutz, Prof. Dr. Werner (Lehrstuhl Geographie Universität Bochum) 305 f. Sabel, Armin (BVB Dresden, Büroleiter RB Ballschuh) 373*; Dok. 333, 366 Sachse, Karl (CDU, Leipzig, MdL Sachsen) 663, 844, 1053 Sagurna, Michael (CDU, ab 1991 Pressesprecher des Freistaates Sachsen, Staatssekretär) 866, 872, 883, 887, 891, 896, 903 Sajonz, Gabriele (Leipzig, GK S/BW, Pressesprecherin DA DDR) 249* Sander (Sandner), Herr (Grüne Liga, RA Chemnitz) Dok. 238, 376 Sandig, Heiner (CDU, Dresden, MdL Sachsen) 1053 Sattler, Herr (DSU, Chemnitz, GK S/ BW FG Kommunale Partnerschaften) Dok. 188 Schäfer, Barbara (CDU, Ministerin für Arbeit, Familie, Gesundheit und Sozialordnung 1984–92, jetzt SchäferWiegand) 187, 192 Schäfer, Georg (Dezernent Stadtverwaltung Chemnitz für Länderbildung, RA Chemnitz [1990–1994], CDU-Mitglied seit 1994, SF) 390 Schäuble, Dr. Thomas (OB Gaggenau, Vors. BV CDU Nordbaden, MdL, 1991 Verkehrsminister Baden-Württemberg) 920 Schäuble, Dr. Wolfgang (CDU, Bundesminister des Innern) 140, 148, 293, 300, 314 f., 392 f., 395, 473, 618, 621, 628, 671 f., 680 f., 684, 689, 692 f., 714 f., 725, 750, 782 f., 788, 1032 Schaufler, Hermann (CDU, badenwürttembergischer Wirtschaftsminister) 195 f., 201, 308 Scheer (1989 Bezirksstaatsanwalt Dresden, heute Oberstaatsanwalt) 1003

Personenregister Scheibner, Inge (BVB Dresden amt. RL Kultur) 373* Schemmel, Volker (SPD, Leipzig, MdVK 10. WP) 341, 435 Scherf, Prof. Dr. Konrad (Lehrstuhl Geographie Humboldt-Universität Berlin, Regierungskommission Verwaltungsreform, AG administrativterritoriale Gliederung) 110, 276, 278, 288, 305 f., 462, 466; Dok. 83 Scherpenberg, Dr. Hans von (BVB Dresden, Ressort Wirtschaft, Strukturgruppe Wirtschaft KA) 735; Dok. 419 Scherzer, Hans-K. (Min.-dir., BayStK, AL Allgemeine Grundsatzfragen u. grenzüberschreitende Kooperation) 237, 239 Scheurer, Herr (NF, Chemnitz, GK S/ BW FG Kultur) Dok. 188 Schick, Ralph (bis 7/90 DSU-Generalsekretär) 665 Schicke, Dietmar (88–3/90 Vors. BV LDPD KMS, ab 3/90 Vors. LV BFD Sachsen, MdVK 10. WP) 94 Schicke, Herbert (seit 1968 Md Parteivorstand DBD, CDU 1990, MdL Sachsen) 938, 1053 Schieck, Walther (bis 1933 Regierungschef eines Beamtenkabinettes in Sachsen) 38 Schiele, Siegfried (Direktor Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, GK S/BW AG Aus- u. Fortbildung der FG Verfassung u. Verwaltungsreform) 579 Schiemann, Marko (CDU, Dresden, MdL Sachsen) 845, 1053 Schieting, Dr. Peter (Abteilungsdirektor a. D., Ostfildern, GK S/BW AG Kommunale Selbstverwaltung sowie Verwaltungsreform der FG Verfassung, Verwaltungsreform) 574, 577, 784; Dok. 194 f. Schill, E. (RdB Dresden, AL Personal) Dok. 21 Schiller, Prof. Dr. Siegfried (Dresden) Dok. 276, 280 Schilling, Dr. (Ministerium für Kultus der DDR, AS Kultus KA) 814*

1159

Schimpff, Volker (CDU 11/89, Verfassungsentwurf Leipziger CDU, Teilnehmer Gohrischer Beratungen, Vors. KV JU Leipzig, MdL Sachsen, Vors. Verfassungs- u. Rechtsausschuss, 1991–97 stellv. Vors. LV CDU Sachsen) 155, 581, 585–587, 603–605, 1009, 1011 f., 1015, 1053, 1058; Dok. 209, 317 Schindler, Prof. Dr. Joachim (SPD, Chemnitz, MdL Sachsen) 1055 Schintlmeister, Dr. Alexander (1989 NF Dresden, Md Bundesvorstand DFP, bis 8/1990 SB Kultus KA) 136, 528, 530, 532 f., 661, 1047; Dok. 241, 261, 284, 296, 308, 311, 322, 330, 357, 363, 374, 411 Schirmer, Herbert (CDU, NF Kreis Beeskow 3/90 CDU-Landesvorsitzender Brandenburg, Md VK 10. WP, Minister für Kultur Regierung de Maizière) 502 Schirotzek, Irmtraud (LSB Dresden Soziales) 489, 534, 708, 1048; Dok. 363, 367, 372, 374, 410, 412, 416, 425 Schlee, Dietmar (CDU, 1984–92 Innenminister Baden-Württemberg, MdL BW, 1994 MdB) 187, 393, 591, 626, 643, 872 Schleiff, Hennig (OB Rostock) 107 Schlesinger, Prof. Dr. Walter (50er Jahre Lehrstuhl für Landesgeschichte Leipzig, danach Marburg) 64 Schletter (SPD, GK S/BW FG Polizeirecht u. -organisation) 580 Schlicht, Ulrich (AL 3 SMWA) 901 Schmid, Jochen (Verlagsleiter Kohlhammer Verlag, GK S/BW AG Ausu. Fortbildung der FG Verfassung u. Verwaltungsreform) 579 Schmid, Dr. Walter (Min.-rat, IMBW, GK S/BW Leiter AG Aus- u. Fortbildung der FG Verfassung u. Verwaltungsreform) 579, 1045 Schmidt, Dr. (Clearing-Berater Bonn im AS Kultus KA) 814* Schmidt, Dr. Christa (CDU, Leipzig, MdVK 10. WP, Ministerin für Familie und Frauen Regierung de Maizière) 903

1160 Schmidt, Christian (Vors. BV NDPD Dresden) 101 Schmidt, Eckehard (RD BaySMF, 10–11/90 Leiter Bay. Informationsbüro Dresden) 971 Schmidt, Dr. Frank (CDU, Dresden, MdVK 10. WP, AL SMWK, Staatssekretär SMWK) 530*, 904, 934 f. Schmidt, Hans-Dietrich (Dieter) (Min.rat, MWKBW, Büro Staatsrat für Kunst, Kunstkoordinator, GK S/BW Leiter FG Kultur) 205, 1045; Dok. 37 Schmidt, Dr. Herbert B. (BVB Dresden RL Wirtschaft, Leiter AG Wirtschaft beim LaVo CDU Sachsen, 1990 Vors. Wirtschaftsvereinigung d. CDU Sachsen, LSB Wirtschaft) 346*, 372*, 488, 508, 517–520, 548, 621, 702, 786, 788, 810–812, 840, 897, 899 f., 902, 1046; Dok. 261, 278, 284, 288, 308, 310, 322, 328, 330, 332, 334, 357, 363, 366, 372, 410, 412, 419, 450 Schmidt, Prof. Dr. Reinhard (ab 1990 amtierender Rektor Ingenieurhochschule Mittweida, GK /S/BW FG Hochschulen und Wissenschaft) 568 Schmidt, Dr. Walter (SED, Historiker) 61 f. Schmidt, Werner (CDU, Leipzig, Vors. Mittelstandsvereinigung CDU Sachsen, ab 3/1990 MdL Sachsen) 1053 Schmidt, Werner (Direktor Staatliche Kunstsammlungen Dresden) 533* Schmieder, Dr. Jürgen (LDPD, Chemnitz, 12/89 Mitbegründer DFP, 1990 DFP-Vors., MdVK 10. WP, 8/90 FDP, MdB) 136, 145 Schmitt, Dr. Helmut (Mitbegründer NF Dresden, Basisdemokratische Fraktion StVV Dresden, 2/90 CDU, SB Medien Dresden, Leiter AK Medien, Vors. Initiative Sächsisches Landesrundfunkgesetz) 151, 154, 491, 537, 1048; Dok. 192, 261, 284, 304, 308, 310, 322 f., 330 f., 357, 363 f., 372, 410–413, 419 Schmitt Glaeser, Prof. Dr. Walter (Bay. Senator) 598

Anhang Schmitz, Wolfgang (CDU, Landrat Hoyerswerda) 412, 480 Schmuck, Rudolf (Bay. Berater, Leiter Strafvollzug SMJus) 921 Schmutzler, Dr. (LDPD, RTB Dresden) Dok. 78 Schnabel, Dr. Fritz (Min.-rat, SMI) 957 Schnee, Albrecht (CDU, Pressesprecher Biedenkopfs 1990) 858 Schneider (SB Inneres des KA für Chemnitz) 1047 Schneider, Angela (SED/PDS, Chemnitz, MdL Sachsen) 847, 1055 Schneider, Erich (Präsident Landtag BW) 194, 194, 240 Schneider, Frau (UFV, RTB KMS) Dok. 145 Schneider, H. (Sprecherrat LV Sachsen des NF für Bezirk Chemnitz) Dok. 47 Schneider, Herr (DA, Chemnitz, GK S /BW FG Wissenschaft u. Bildung) Dok. 188 Schneider, Wolfgang (Vors. BV DBD KMS, GK S/BW FG Ländlicher Raum u. Landwirtschaft) Dok. 189 Schnuppe, Werner (SED, RdB Dresden, AL Instrukteurabt., AG Landesbildung RdB, Leiter UG Komm. Selbstverw. u. Eigentum AG Verwaltungsreform BT Dresden, BVB Dresden Abt. Inf./Dok./Rechtsaufsicht beim RB Ballschuh, GK S/BW FG Komm. Selbstverwaltung/kommunales Eigentum) 321, 373*, 599 f.; Dok. 20 Schnur, Wolfgang (Mitgründer DA, ZRT, bis 3/1990 Vors. DA DDR) 135, 138, 144 f., 212, 282 Scholing, Michael (SPD, Pressesprecher von Anke Fuchs) 833 Scholz (Stadtverwaltung Chemnitz, SF) Dok. 286 Scholz, Gerald (Sprecher NF Sachsen, Republiksprecherrat) Dok. 46–48 Scholz, Klaus-Dieter (Gruppe der 20, Dresden, GK S/BW) 249* Schommer, Dr. Kajo (CDU, 1974–90 Ministerium für Wirtschaft u. Verkehr Schleswig-Holstein, 1990–2002

Personenregister Sächsischer Staatsminister für Wirtschaft u. Arbeit) 628, 651, 811 f., 873, 875, 882–884, 890, 897–900, 902 f., 915, 988 f., 1059 Schön, Dr. Walter (Min.-rat, BayStK) 143, 729 Schönach, Peter (RdB KMS, Md Rates für Finanzen, BVB Chemnitz RL Finanzen, GK S/BW FG Finanzen u. Kreditwesen, SB Finanzen Chemnitz) 488, 1046; Dok. 188 Schöne, Frau (Geschäftsführerin Handwerkskammer KMS/Chemnitz, GK S/BW FG Wirtschaft, Technologie, Handwerk u. Management) Dok. 187 Schorlemmer, Friedrich (Pfarrer, Wittenberg, Mitgründer des DA, SPD) 75, 137 f. Schowtka, Peter (CDU, Dresden, ab 11/1991 MdL Sachsen) 1053 Schramm, Dr. Andreas (CDU, Chemnitz, MdVK 10. WP, MdL Sachsen) 1053 Schramm, Christian (Bürgermeister Bautzen) 482 Schramm, Johannes (2. Vors. BV CDU Dresden, Landrat, Md Präsidium LaVo CDU Sachsen, Landessekretär CDU Sachsen) 155, 157, 343, 345, 364, 597, 615, 661; Dok. 190 f., 195 f. Schreiber, Prof. Dr. Ludwig (CDU, bis 5/1990 Staatssekretär Ministerium Wissenschaft und Kunst Niedersachsen, später Präsident Uni. Göttingen) 933 Schreier, Bernd (Leipzig, Md Hauptvorstandes Die Nelken, MdL Sachsen LL/PDS) 847, 1055 Schrenker, Reiner (Reg.-dir., stellv. RL Bay. Arbeitsministerium, LSB Dresden, Leiter Arbeitsstab Soziales) 489, 492, 508, 534 f., 708, 725 f., 787 f., 818, 905 f., 991, 1048; Dok. 357, 363, 372, 410, 412, 419, 450 Schröder, Dieter (SPD, Chef der Berliner Senatskanzlei) 672 Schröder, Gerhard (SPD-Bundesvorstand, ab 1990 Ministerpräsident Niedersachsen, ab 1998 Bundes-

1161

kanzler) 282, 311, 315, 646, 670, 769, 907 Schröter, Sonja (Stellv. Vors. DA, 1/90 Wechsel zu DJ) 138 Schubärth, Dr. Harald (Dresden, AS Bildung KA, Abteilung Kunst und Kultur. RL 5, 1 SMWK) 814*, 931 f. Schubert, Cordula (CDU, Chemnitz, MdVK 10. WP, Ministerin für Jugend u. Sport Regierung de Maizière, RL SMSGF) 633 Schubert, Dr. Hermann (SED, RdB Cottbus, Stellv. Vors. Bezirksplankommission) 466 Schubert, Dr. Ingo (CDU, Leipzig, AS Umwelt, MdL Sachsen) 819, 1053 Schulte-Hillen, Gerd (Verleger, Vorstand Gruner und Jahr Hamburg) 897 Schulz (Bay. Informationsbüro Dresden) 549 Schulz, Gerhard (CDU, Leipzig, Md VK 10. WP) 678 Schulz, Helga (SED-Historikerin) 62 Schulz, Klaus (DA-Vorstand, Vors. LV DA Thüringen, MdVK 10. WP) 211 Schulz, Werner (NF, Chemnitz, MdVK 10. WP, Landessprecher Bündnis 90/Grüne) 90, 632; Dok. 46 Schulze (DBD, RTB Dresden) Dok. 102, 203 Schulze (Beauftragter des Generaldirektors für Grundsatzfragen im Kombinat EBM, Wirtschaftsvertreter RTB Dresden, AG Land Sachsen) Dok. 26, 29, 43, 78 f., 102, 147, 150, 158, 189, 269* Schulze, Bernhard (FA Weiden, 8–9/90 Mitarbeiter Bay. Informationsbüro Dresden, danach Erfurt) 597 Schulze, Erich (CDU, Landrat Weißwasser) 480 Schulze, Herr (Regierungsbeauftragter für Auflösung MfS Bezirk Dresden) 97, 103 Schumann, Prof. Dr. Ekkehard (Vizepräsident Bayerischer Senat) 598 Schumann, Dr. Klaus (SED, RdB Dresden, Md Rates für Kultur, Leiter AG Landesbildung des Rates, GK S/

1162 BW Leiter FG Kultur bis 6/1990) 105, 128, 162, 200, 205, 262, 269, 321, 339, 347, 369 f., 516, 530, 564, 621, 791, 797, 1045; Dok. 63 f., 158, 235 Schurmann, Max (BVB Cottbus, Sorbenbeauftragter) Dok. 54 Schütze, Herr (DSU, Chemnitz, GK S /BW FG Umwelt) Dok. 188 Schwabe, Friedhold (Bürgermeister Stadt Pausa im Vogtland, parteilos) Dok. 244 Schwalm, Jörg (Oberstaatsanwalt Dresden, zuvor Nürnberg) 1001, 1059 Schwarz (Pressesprecher RdB Dresden) Dok. 28 Schwarz, Dr. Gisela (SPD 1/90, Md BeVo SPD Chemnitz, Vors. Unterbezirk SPD Erzgebirge, MdL Sachsen, ab 1991 stellv. Vors. SPD-Fraktion, Leiterin AG Frauen u. Familie SPDLandtagsfraktion) 846, 1055 Schwarz, Jürgen (Dresden, MdVK 10. WP, Sprecher DSU-Fraktion, ab 6/90 1. Stellv. DSU-Bundesvors., DSU-Spitzenkandidat Landtagswahl Sachsen) 211, 665, 829 Schwarze, Dr. Dieter (Staatssekretär Regierung de Maizière) 665 Schwier, Hans (SPD, Kultusminister NRW) 928 Seibert, Frau (Leipzig, AS Information /Dokumentation) 821 Seibt, Dr. Frau (Ärztliche Direktorin, Chemnitz, GK S/BW GK S/BW FG Soziales, Gesundheit u. Arbeit) Dok. 187 Seidel, Dr. Frau (UFV, RA Chemnitz) Dok. 236 Seifert, Dr. Peter (1. Beigeordneter des OB Chemnitz, RA Chemnitz, Vorsitzender der SPD-Fraktion StVV Chemnitz, ab 1993 OB Chemnitz) Dok. 237 f. Seiters, Rudolf (CDU, 1989–91 Bundesminister für besondere Aufgaben u. Chef Bundeskanzleramt, 1991–93 Bundesminister des Innern) 174 f., 502, 618, 653, 671, 692, 719, 904

Anhang Sello, Tom (Bürgerrechtler, Umweltbibliothek Berlin) 87 Sembdner, Andreas (Organisator der sorbischen Gemeinde Dresden, SF) Dok. 295, 355 Seyd, Roland (CDU, BVB Chemnitz, AL zentrale Aufgaben u. Personalwesen, GK S/BW FG Verfassung u. Verwaltungsreform, SB Chemnitz StK, AS StK, 1991 AL RP) 487, 513, 807, 1046; Dok. 189 Seydewitz, Max (SED, 1947–52 sächsischer Ministerpräsident) 48 Sieber, Prof. Dr. Wolfgang (SED, bis 2/90 Vors. RdB Dresden) 106, 124–127, 129, 190, 193; Dok. 27, 31, 33, 35 f. Siegemund, Dr. Walter (Gruppe der 20, Basisdem. Fraktion StVV Dresden, GK S/BW FG Kommunale Partnerschaften, Mitgründer sächs. Städte- u. Gemeindetag) 188 Siegesmund, Peter (Vors. RdB Cottbus) 404, 415 f., 462 Simon, Bettina (SED/PDS, Dresden, ab 5/1991 MdL Sachsen LL/PDS) 1055 Simonis, Heide (1988–91 Bundesvorstand SPD, ab 1988 schleswig-holsteinische Finanzministerin, ab 1993 Ministerpräsidentin Schleswig-Holstein) 675 Simpfendörfer (1991 AL 5 SMUL) 942 Sixt, Herr (Gemeindetag BW, GK S/ BW Leiter AG Kommunale Selbstverwaltung der FG Verfassung u. Verwaltungsreform) 577 Sollmann, Hasso (CDU, RdK Flöha, Md Rates für Umweltschutz u. Wasserwirtschaft, GK S/BW FG Umweltschutz, Landrat Flöha) 249* Spantig, Clemens (CDU, Chemnitz, MdL Sachsen) 1053 Späth, Dr. Lothar (1978–91 Ministerpräsident Baden-Württemberg u. CDU-Landesvorsitzender) 137, 148, 171 f., 180 f., 184–190, 192–194, 196–201, 203, 239, 241, 243, 247, 249, 251, 254, 281, 301, 312, 346, 349, 565, 589 f., 593 f., 596, 599,

Personenregister 601, 612–614, 616 f., 619–622, 626, 630–632, 637 f., 640–645, 647 f., 676 f., 773 f., 778, 867, 872, 886, 892 f., 896, 903, 930, 1025; Dok. 35 f., 65, 84 f., 104, 187, 424 Specht (DA, Chemnitz, GK S/BW FG Wirtschaft, Technologie, Handwerk u. Management) Dok. 187 Spier, Dr. (AL 2 SMLE) 939 Spitzner, Hans (CSU, Staatssekretär für Umweltfragen, BaySMLU) 302 Spöri, Dieter (Vors. SPD-Landtagsfraktion BW) 186, 774 Sprotte, Paul (CDU, Leipzig, MdL Sachsen, Vors. Ausschuss für Bundes- und Europangelegenheiten) 1053, 1058 Sroka, Werner (Kreisvorsitzender Domowina Hoyerswerda, Vertreter des Sorbischen Runden Tisches) 467, 477; Dok. 54, 111 Staab, Dr. (Min.-dir., Clearingvertreter BMB in Sachsen, AS Kultus KA) 814* Staguhn, Bruno (SB Leipzig Finanzen, AS Finanzen) 488, 812, 1046 Stahlmüller, Werner (Leiter Bezirksgeschäftsstelle CDU Leipzig) 642 Stahms, Dr. Norbert (CDU, Dresden, GK S/BW stellv. Leiter FG Straßenbau/Verkehr, Leiter AG Verkehr beim LaVo CDU Sachsen) 346, 571; Dok. 192 Stange, Volker (Landrat Löbau) 480 Starke, Christian (Dresden, Koordinierungsausschuss des DA) Dok. 107 Starke, Dr. Lothar (SPD, Chemnitz, MdL Sachsen) 1055, 1058 Staschik, Klaus (Regierungsdirektor, Oberfinanzdirektion Nürnberg, bay. Berater Bildung Oberfinanzdirektion Sachsen) 521, 550 Staupe, Dr. (1991 AL 1 SMUL) 942 Stegmann, Dr. (Min.-rat, FMBW) 785 Steiger, Herr (Verband demokratischer Wissenschaftler, SF) Dok. 288 Stein (Leiter Regierungskommission) Dok. 28–31, 33, 43, 45, 57, 59 Stein, Andreas (Die Nelken, RTB Chemnitz) Dok. 145

1163

Stein, Herr (RL Personal MWMTBW, AL SMWA) 902 Stein, Dr. Herr (DSU, Chemnitz, GK S/BW FG Soziales u. Gesundheit) Dok. 187 Steinbach, Walter Christian (Pfarrer, Umweltgruppen der DDR, ab 1/90 Vors. BV Leipzig SDP/SPD, 1. Stellv. Regierungsbevollmächtigter Leipzig, MdL Sachsen, bis 1991 stellv. Fraktionsvors., ab 1991 Regierungspräsident Leipzig, später CDU) 94, 363, 497, 500, 540, 679, 704, 803, 829, 846, 941, 958, 1055; Dok. 306, 423, 426, 435 Steinberg, Prof. Dr. Karl-Hermann (CDU, Minister für Umwelt, Naturschutz, Energie und Reaktorsicherheit Regierung de Maizière, Landesbevollmächtigter Sachsen-Anhalt) 703*, 755 Stempell, Kurt (CDU, 1970–90 Md StVV Plauen, MdVK 10. WP, MdL Sachsen, Präsidium des Landtages) 845, 1053 Stetter, Inge (SPD, Leipzig, MdVK 10. WP, MdL Sachsen) 1055 Stiebert, Dr. Klaus (Redaktionelle Mitarbeit Gohrischer Entwurf) Dok. 318 Stief, Dr. Eberhard (Staatssekretär Regierung de Maizière, Leiter Gemeinsame Einrichtung der Länder ab 10/90) 296, 717 Stilz, Eberhard (CDU, Min.-rat, RL JMBW, SB Justiz KA, 1990–1992 Staatssekretär SMJus, ab 1992 Präsident Oberlandesgericht BW) 489, 525–527, 591, 621, 814, 839, 919–922, 992, 1000, 1004, 1046, 1059; Dok. 328, 330, 332, 356, 372, 410, 412, 419, 424 Stöckchen, Roland (RdB Leipzig, Stellv. d. Vors. für Handel und Versorgung, BVB Leipzig, RL Handel) 217 Stoiber, Dr. Edmund (Stellv. Vors. CSU, 1986 Staatsminister BayStK, 1988–1993 Bayerischer Innenminister, ab 1993 Bay. Ministerpräsident, 2002 Kanzlerkandidat CDU/CSU)

1164 142, 516, 530, 577, 600, 726 f., 830; Dok. 276, 284 Stolpe, Dr. Manfred (Konsistorialpräsident, 7/1990 SPD, 1990–2002 Ministerpräsident Brandenburg, später Bundesverkehrsminister) 473, 776, 860*, 943 Stoltenberg, Dr. Gerhard (CDU, Bundesminister der Verteidigung, 1989–92 MdB) 839; Dok. 285, 451 Strangfeld, Peter (LDPD) 376* Straßenburg, Gerhard (SED, Generalmajor der VP, Leiter BDVP Leipzig, 1990 Chefinspekteur der VP) 516 Strauß, Franz Josef (1961–88 CSUVorsitzender, 1978–88 Bayerischer Ministerpräsident) 184, 667 Strauß, Max (Sohn von Franz Joseph Strauss) 622 Streese, H.-J. (Sprecherrat LV Sachsen des NF für Bezirk Leipzig) Dok. 47 Streibl, Max (CSU, Bayerischer Ministerpräsident) 141, 174, 176, 179–181, 281, 591*, 596, 667, 676, 686, 767, 830, 971, 974 f. Stresser (Strösser) (Rechtsanwalt, Bayreuth, Beauftragter der Grünen Partei in Chemnitz, SF) Dok. 238 Stuhlmüller (Leipzig, Md Präsidium LaVo CDU Sachsen) Dok. 195 Sturm, Dr. Hanspeter (Präsident Landespolizeidirektion Stuttgart, GK S/ BW Leiter AG Polizeiwesen u. Innere Sicherheit der FG Verfassung u. Verwaltungsreform) 579, 1045 Süß, Dr. Wolfgang (Vors. RdB Halle) 845, 1053 Süßmuth, Prof. Dr. Rita (CDU, Bundesfamilienministerin, Bundestagspräsidentin) 185, 622, 638 Tautz, Prof. Dr. Günther (Leipziger Rechtswissenschaftler) 1012 Tegtmeier, Werner (SPD, Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium) 896, 903 Tellkamp, Dr. Frank (NDPD-Sprecher Montagsdemo Dresden) 71 Tempel (Kulturbund Sachsen) Dok. 356

Anhang Tempel, Dieter (SPD, Dresden, MdL Sachsen) 1055, 1058 Tenner (SED, Staatl. Zentralverwaltung für Statistik, Leiter Statistisches Bezirksamt Dresden) 549 Terp, Volker (Stellv. Vors. BV CDU Leipzig, Md Präsidium LaVo CDU Sachsen, CDU-Landesgeschäftsführer) 157, 615, 661 Terz, Herr (RdB Leipzig, Projektgruppe Verwaltung, AG Innere Angelegenheiten u. Volkspolizei, AS Gerichtsaufbau) 814; Dok. 77 Teubner, Gottfried (CDU, Chemnitz, MdL Sachsen) 1053 Teufel, Erwin (1978–91 CDU-Fraktionsvorsitzender Landtag BW, 1991 Ministerpräsident Baden-Württemberg) 145, 148 f., 151, 153 f., 195, 198 f., 201, 239 f., 243, 248 f., 599, 614, 626, 773, 775, 872, 966, 1026 Teufel, Dr. Gerhard (Min.-rat, SMBW, Generalsekretär Führungsakademie BW, GK S/BW AG Aus- u. Fortbildung sowie Verwaltungsstruktur der FG Verfassung, Verwaltungsreform) 579; Dok. 195 Thalheim, Dr. Gerald (SPD, Chemnitz, GK S/BW FG Ländlicher Raum – Landwirtschaft, RL BVB, SB Chemnitz Ländlicher Raum u. Landwirtschaft, MdB 1990) 491, 819, 1047; Dok. 189 Thaut, Edeltraud (Juristin beim Bischof von Dresden-Meißen, RTB, Landesstrukturbeauftragte Justiz, Richterin und Vizepräsidentin am Landgericht Dresden) 239, 488 f., 505, 525 f., 814, 922, 1046; Dok. 241, 252 f., 261 f., 284, 308, 322, 330, 356, 363, 367, 372, 374, 390, 392, 408, 410, 412, 416 Theuerkorn, Rolf (Vors. Komitee für Volkskontrolle Bezirk Leipzig) 550 Thiele, Dr. Rüdiger (FDP, Bundeskanzleramt, Staatssekretär Wirtschaft SMWA) 883, 900, 1059 Thiemig, Frank ( Mitgründer DA Leipzig) 138 Thierse, Wolfgang (SDP-Mitgründer, 10/1989 NF, 6–9/1990 Vors. SPD

Personenregister DDR, MdVK 10. WP, MdB, ab 1998 Bundestagspräsident) 696, 698, 826 Thoben, Christa (Wirtschaftsexpertin der westfälischen CDU, Hauptgeschäftsführerin Industrie- und Handelskammer Münster, MdL NRW) 896, 898, 907, 926 Thomas, Frau (RA Chemnitz) Dok. 238 Thomaschk, Ludwig (CDU, Weißwasser, 1989 NF, MdL Sachsen CDU) 1053 Thunig, Heinz (SED, 1979–90 Bürgermeister Sebnitz) Dok. 20 Tiedt, Dr. Friedemann (SPD 1970, 1990 Vors. Unterbezirk Chemnitz SPD, MdL Sachsen, Leiter AG Wirtschaft u. Finanzen SPD-Fraktion, Vors. Haushalts- u. Finanzzuschuss) 846, 1055, 1058 Tiefensee, Wolfgang (SPD, OB von Leipzig) 777 Tippach, Steffen (Leipzig, MdL Sachsen LL/PDS) 1055 Tittel, Dr. Wolfgang (RdB Leipzig, Md Rates für Kultur, Projektgruppe Verwaltung RdB, GK S/BW AG Kultur, Bildung, Jugend u. Sport sowie Wissenschaft u. Kunst) Dok. 77 Tittmann (Allianz für Sachsen) Dok. 451 Traulsen, Dr. (Ba-wü Mitglied GK S/ BW AG Verwaltungsstruktur) Dok. 275 Trautmann (RdB/BVB Dresden, Baubehörde) Dok. 330 Tröger, Gottfried (1/1990 Vors. KV DBD Hohenstein-Ernstthal, 1990 CDU, MdL Sachsen) 1053 Türkowski/Türkowsky, Herr (SED/ PDS, RTB Dresden) Dok. 232, 234 Tzschoppe, Dr. Herbert (Vors. RdB Potsdam) 404 Uechtritz und Steinkrich, Heinrich von (RD, Clearingvertreter des BML, AS Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, AG Personalangelegenheiten) 819; Dok. 419

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Uhl (Ltd. RD Bayern, verantwortlich für Aufbau Verfassungsschutz in Sachsen) 895 Uhlemann, H. (Md KT Altenburg) 444 Uhlig, Eberhard (Oberstaatsanwalt Leipzig, zuvor Hechingen) 1001, 1059 Uhlmann, Ekkehard (KPD, Chemnitz, 9/90 Parteivorsitzender KPD, RTB KMS, MdL Sachsen LL/PDS) 847, 1056; Dok. 145 Ulbrich, Thomas (Sekretär Volkskammer-Ausschuss für Verfassung u. Verwaltungsreform) 286 Ulbricht, Hartmut (CDU Dresden, MdVK 10. WP, MdL Sachsen, Vors. Innenausschuss) 481, 845, 1053, 1058 Ulbricht, Walter (Vorsitzender des Staatsrates der DDR und 1. Sekretär des ZK der SED) 41 Ullmann, Dr. Wolfgang (DJ, Dresden, MdVK 10. WP, Stellv. d. Präsidentin der VK, Minister ohne Geschäftsbereich Regierung Modrow) Dok. 48, 334 Ungvari, Elisabeth (CDU, Altenburg) Dok. 107 Ungvari, Johannes (CDU, Bürgermeister Altenburg) 444; Dok. 107 Unkel (1990 AL Strafrecht im SMJus, BW) 921 Urban, Dr. (Ministerium für Forschung und Technologie der DDR, AS Kultus KA) 814* Vaatz, Arnold (Bürgerrechtler, Sprecher NF, CDU 2/90, GK S/BW AG Verfassung der FG 11, Leiter KA, Stellv. RB Landesbildung Dresden, Md Präsidium LaVo CDU Sachsen u. Leiter AG Rechtsfragen u. Inneres, Staatsminister u. Chef SStK, 1992 Sächs. Staatsminister für Umwelt, seit 1998 MdB) 13, 16, 20, 70 f., 88, 103, 120, 135–137, 143, 146–160, 164, 167, 169 f., 185, 188 f., 192, 196–198, 200, 213 f., 224–226, 228–234, 237, 240–244, 246–251, 254–256, 258–262, 269,

1166 318*, 326 f., 329, 331–334, 336, 338 f., 343–350, 352 f., 357, 359, 364–370, 374–386, 389 f., 437, 481 f., 485–488, 490–496, 500, 504, 506–508, 511 f., 516 f., 525, 528, 530, 532 f., 538–540, 542, 544, 554, 558, 575, 577, 581–588, 597 f., 600, 602 f., 605 f., 612–615, 618–630, 632, 634–637, 641–644, 650, 657 f., 661, 674, 678–680, 689 f., 693, 700, 705, 707 f., 721 f., 727, 729, 732–734, 743, 745, 747 f., 761, 764, 785–787, 789–791, 793–807, 811, 817, 824, 826, 832, 835–839, 844 f., 851, 857 f., 864–870, 872–875, 882–893, 896 f., 899–901, 904, 907 f., 921, 926, 930 f., 938, 941 f., 951 f., 955, 977 f., 985, 995, 1008, 1015, 1029, 1032, 1034, 1053, 1059; Dok. 78 f., 107, 110, 119, 147, 150, 168 f., 171, 174, 177–179, 181, 189–192, 195 f., 202, 204, 232–237, 241–243, 247, 250, 252–254, 257 f., 260–264, 275–280, 282 f., 286 f., 289, 297, 299, 303 f., 308–311, 317, 322 f., 330–332, 336, 356, 363 f., 366 f., 372–374, 376–378, 386, 399, 409–414, 416–420, 424 f., 435–437, 452–456, 459 Vaitl, Dr. Helmut (Min.-dir., BaySMAS) 726 Venz, Dr. Burkhardt (RdB Leipzig, Projektgruppe Verwaltung) Dok. 76 Venzke, Gunther (Vors. Komitees für Volkskontrolle Bezirk KMS) 550 Viehweger, Dr. Axel (1986–90 Vors. KV LDPD Dresden, Minister für Bauwesen, Städtebau u. Wohnungswirtschaft Regierung de Maizière, MdL Sachsen parteilos) 503, 682, 706, 830, 1057 Vogel, Dr. (KA) Dok. 356, 372, 416 Vogel, Dr. Bernhard (CDU, 1976–88 Ministerpräsident Rheinland-Pfalz, 1989–93 Vors. Konrad-AdenauerStiftung, 1992–2003 Ministerpräsident Thüringen) 309, 777 Vogel, Günther (CDU) 376* Vogel, Dr. Hans-Dieter (Min.-dir., IMBW) Dok. 276

Anhang Vogel, Dr. Hans-Jochen (1987–1991 SPD-Bundesvorsitzender, MdB) 613, 773, 827; Dok. 342 f. Vogel, Wilhelm (1991–93 AL 4 SMS, Beamter aus BW) 907 Vogel, Dr. Wolfgang (Rechtsanwalt, Unterhändler DDR-Regierung beim Freikauf von Häftlingen und Ausreisewilligen gegenüber d. Bundesregierung) 627 Vogler, Martin (CDU, ab 3/1992 MdL) 1053 Voigt, Maika (SPD, Leipzig, MdL Sachsen) 1055 Voit, Herr (privater Reiseunternehmer in Werdau, GK S/BW FG Fremdenverkehr) Dok. 188 Volkert, Dr. Heinz Peter (CDU, Präsident Landtag Rheinland-Pfalz) 281, 737 Volkmer, Dr. Marlies (1/1990 SPD, Md LaVo SPD Sachsen, MdL Sachsen, Leiter AG Gesundheit, Arbeit u. Soziales SPD-Fraktion, Md Fraktionsvorstand) 846, 1055 Vollmer, Dr. Antje (MdB Die Grünen) 1002 Vorndran, Dr. Wilhelm (CSU, Staatssekretär, Leiter BayStK, Vors. Staatssekretärsausschuss für DDR-Fragen) 176 f., 180, 237, 598 Vorwerk, W. (Sprecherrat LV Sachsen des NF für Bezirk Dresden) Dok. 47 Voscherau, Dr. Henning (SPD, Erster Bürgermeister u. Präsident Senat Freie u. Hansestadt Hamburg) 284, 670, 676 Voss, Nikolaus (Geschäftsführer BV SPD Leipzig, SPD-Landeswahlkampfleiter) 94, 667 f. Wächter, Dr. Frau (Md BT Dresden) Dok. 81 Wagner (AL 3 SMLE) 939 Wagner, Dr. Carl-Ludwig (CDU, 1988–91 Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz) 773 Wagner, Hans-Werner (Niedersachsen, 1991 AL SStK, 1994 Staatssekretär SMK) 890, 892, 927

Personenregister Wagner, Harald (Pfarrer, Dozent Kirchliche Hochschule Leipzig, Mitgründer DA Leipzig, 1/90 Wechsel zu DJ) 138 Wagner, Heinz (CDU, Chemnitz, MdVK 10. WP) 355 Wagner, Dr. Herbert (Sprecher Gruppe der 20, Vors. Basisdemokratische Fraktion Dresdner StVV, CDU 2/90, RTB Dresden, Leitung GK S/BW, ab 5/90 OB Dresden) 143, 147 f., 151–154, 159, 169, 186, 189, 193, 240 f., 253, 318*, 613, 628 f., 637; Dok. 36, 91, 95, 107, 163, 276, 279 Wagner, Dr. Ludwig Dieter (Vors. DUFraktion StVV Dresden) 629 Wagner, Manfred (CDU, Direktor für Technik im Apparate- u. Kompressorenbau Crimmitschau, GK S/BW FG Wirtschaft, Technologie, Handwerk u. Management) 249*; Dok. 187 Wagner, Rolf (Md BT Dresden, Leiter AG Bildung Land Sachsen) Dok. 97 Waigel, Dr. Theo (1989–98 Bundesminister der Finanzen, 1988–99 CSUVorsitzender) 118, 120, 141–143, 175, 212, 312, 664–667, 675 f., 684, 830 Waldau, Stefan (Neues Forum Görlitz) 485 Waldenfels, Dr. Georg von (CSU, Bay. Staatsminister für Bundes- u. Europaangelegenheiten, später für Finanzen) 180, 774 Waller, Hellmut (Generalstaatsanwalt Tübingen bis 1988, 1990 Leiter Staatsanwaltberufungsausschüsse Sachsen) 1004 Wallmann, Dr. Walter (CDU, Hessischer Ministerpräsident) 302 f., 502, 772 f., 776, 926 Walter (LDPD, RTB Dresden) Dok. 26, 57 Walther, Prof. Dr. Hansjoachim (Suhl, DSU-Vorsitzender, MdVK 10. WP, CDU) 436, 664–666, 830, 935 Warnke, Dr. Jürgen (CSU, Jurist und Politiker, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit 1989–1991) 141

1167

Wartenberg, Prof. Dr. Günther (ab 1990 Prorektor für Lehre und Studium KMU Leipzig, Mitglied eines Rektoratskollegiums ad interim bis Frühjahr 1991, GK /S/BW FG Hochschulen und Wissenschaft) 567 Warwzinek, Bernd (Dresden, Mitbegründer Sachsen-Partei 1/90) 111 Wassermann, Rudolf (Jurist u. Publizist) 301 Wassilew, Hadschi (DSU, RA Chemnitz, GK S/BW FG Ländlicher Raum u. Landwirtschaft) Dok. 189, 238 Weber, Max 14, 964 Weber, Michael (Referent f. Energiewirtschaft Stadt Leipzig, NF, RTB Leipzig, Stellv. RB Leipzig, SB Leipzig Kultur, MdL Sachsen, Bündnis 90/Grüne) 363, 490, 541*, 847, 850, 1047, 1056 Weber, Peter (CDU, Hainichen, ab 11/1991 MdL Sachsen) 1053 Weber, Dr. Wolfgang (CDU, BVB Chemnitz, RL Bildung, Kultur, Jugend, Sport, SB Chemnitz Kultur, GK S/BW Leiter FG Kultur, AS Kultus, MdL Sachsen, Vors. Ausschuss Schule, Jugend und Sport) 490, 564, 814, 1045, 1047, 1054, 1058 Weber-Falkensammer, Prof. Dr. Hartmut (1991–1992 AL 5 SMS) 907 Wedemeier, Klaus (SPD, Bürgermeister von Bremen) 302, 670 Wedler, Hans-Dieter (Min.-dir., AL BMI, Leiter Clearing-Geschäftsstelle) 690, 693, 785 Wegner, Dr. Ernst (Ausschuss für Gebietsbildung StVV Görlitz) Dok. 350 Wehnert, Detlef (SED/PDS, bis 1988 AL Landwirtschaft RdK Dresden, Dresden, MdL Sachsen LL/PDS) 847, 1056, 1058 Weidelener, Dr. Helmut (bis 1990 Regierungsvizepräsident Bayreuth, ab 1/91 Regierungspräsident Dresden) 958 Weidner, Jochen (ab 2/91 Kommissarischer AL 1 SMF) 910

1168 Weigel, Dr. Eckard (CDU, 1990 Dezernent für Stadtentwicklung u. Wohnungsbau Stadt Chemnitz, GK S /BW, MdL Sachsen) 249*, 1054 Weik, Walter (Reg.-dir., SMBW, Persönlicher Referent von Lothar Späth) 254 Weimann, Erhard (Mitarbeiter, später Fraktionsgeschäftsführer der CDULandtagsfraktion) 885 Weimert, Frank (DA, Dresden) Dok. 107 Weise, Dr. Karl (CDU, Dresden, Sächsischer Staatsminister für Umwelt u. Landesentwicklung, MdL Sachsen) 820, 873–875, 884, 938, 940–942, 1054, 1060 Weiser, Gerhard (Ba-wü. Minister für Ländlichen Raum, Ernährung, Landwirtschaft u. Forsten) 208, 589 Weiß, Christine (CDU, Leipzig, ab 11/1991 MdL Sachsen) 1054 Weiß, Konrad (Bürgerrechtler, DJ 1989/90, ZRT, 1990–94 MdB) 75, 82, 91, 210 Weiß, Ulrich (1. Bürgermeister Stadt Mühltroff im Vogtland) Dok. 244 Weißbach, Herr (Chemnitz, AS Landwirtschaft) 818 Weißgerber, Gunther (SPD, Leipzig, MdVK 10. WP, MdB) 211 Weller, Dr. (Min.-dir. BW, GK S/BW) Dok. 276 Wellhöfer, Dr. Rainer/Karl-Heinz (RdB Leipzig, AL Instrukteurabteilung, Projektgruppe Verwaltung des RdB, GK S/BW FG Kommunale Partnerschaften u. Leiter AG Verwaltungsreform der FG Verfassung, Verwaltungsreform) 574, 1045; Dok. 76 f., 155 Wendt, Alexander (Autor Biographie über Kurt Biedenkopf) 867* Wensky (Ausschuss für Gebietsbildung der StVV Görlitz) Dok. 350 Wenzel (AG1 RTB Dresden) Dok. 30 f. Werner, Dr. Frieder (SED/PDS, Stellv. Vors. RdB Leipzig, ab 12/89 Vors. Bezirksplankommission, MdVK 10.

Anhang WP, Leitung GK S/BW) 193, 280, 678; Dok. 36, 182 Werner, Dr. Manfred (DA/CDU, Dresden, GK S/BW FG Bildung u. Wissenschaft, Strukturgruppe Kultus KA, zuständig für Wiss. und Hochschulwesen, AS Kultus, 1990 RL SMWK) 249*, 814*, 935, 1047; Dok. 252, 258, 261, 308, 322, 330, 372 Wicker, Hubert (CDU, Leit. Min.-rat, IMBW, Verbindungsbüro BadenWürttemberg, KA, ab 11/1991 Staatssekretär SMI, 1997 Regierungspräsident Tübingen) 197, 239*, 591, 622, 808, 894, 987–989,991, 993–995; Dok. 330 Wiecke, Prof. Dr. (Jena, Entwurf der Verfassung für Thüringen) Dok. 355 Wieczorek, Dr. Bertram (CDU, Chemnitz, MdVK 10. WP, Staatssekretär Abrüstung u. Nationale Verteidigung Regierung de Maizière, MdB) 620, 642, 650 f. Wiedmer (RdB Dresden, Bezirksplankommission) Dok. 21, 30 f. Wiegner, Herr (DSU, Chemnitz, GK S /BW FG Verfassung u. Verwaltungsreform) Dok. 189 Wienrich, Alfred (seit 1976 Mitglied des baden-württembergischen Rechnungshofes, ab 1981 Rechnungshof der EG in Luxemburg, ab 12/1991 Präsident Landesrechnungshof Sachsen) 553 Wiese, Dr. Eva (Leiterin des Büros des Ministers für Wissenschaft und Kunst, 1994 RL außeruniversitäre Forschungen) 935 Wiesheu, Otto (CSU, Geschäftsführer Hanns-Seidel-Stiftung) 141 Wildenhain, Herr (Teilnehmer SF) Dok. 285 f. Wildführ, Dr. Dietmar (CDU, Leipzig, MdL Sachsen, Vors. Ausschuss für Soziales, Gesundheit, Familie und Frauen) 1054, 1058 Wildoer, Dr. Jörg (NF/DFP, Pressesprecher Bundesvorstand DFP, RTB Dresden, GK S/BW FG Wissenschaft u. Bildung sowie Umwelt)

Personenregister 136, 192, 203, 237, 661, 1045; Dok. 26, 79, 91, 93 f. Wilke, Heinz (Bewohner Hannovers, schlug Grenzstaat Brandenburg vor) 295 Wilms, Dr. Dorothee (CDU, 1982–90 Bundesministerin für Innerdeutsche Beziehungen) 473 Wingen, Prof. Dr. Max (Präsident des Statistischen Landesamtes BW) 549 Winkler, Hermann (CDU, Leipzig, MdL Sachsen) 845, 1054 Winkler, Herr (NF KMS, GK S/BW FG Finanzen) Dok. 188 Winzer, Gertrud (1987–89 Md Präs. DBD, CDU 1990, MdL Sachsen) 1054 Wippermann, Dr. (KA) Dok. 410, 412 Wirth, Dr. Gabriele (SPD, Dresden, MdL Sachsen) 1055 Wirthgen, Dr. Hartmut (NDPD, Md BT Dresden, Vors. StK ÖVW, RTB Dresden) Dok. 26, 29 Witteck, Günther (SED, Vors. RdB Dresden) 106 Wittig (Vors. RdK Löbau) Dok. 21 Wittig, Barbara (SPD, Dresden, MdL Sachsen) 1055 Witzschel, Eberhard (CDU, Md BT KMS, Landesgeschäftsführer MIT Sachsen, MdL Sachsen) 240, 1054, 1058; Dok. 107, 110 Witzschel, Martina (CDU, Chemnitz) Dok. 107 Wohlfarth, Margard (CDU, Leipzig (Altenburg), Md CDU-Parteivorstand) Dok. 107 Wohlgemuth, Volkmar (1. Sprecher u. Vors. BV KMS SDP/SPD bis 4/1990, RTB KMS, GK S/BW AG Verwaltungsreform der FG Verfassung, Verwaltungsreform) 95; Dok. 189 Wojan (SED/PDS, RTB Dresden) Dok. 102, 147, 189 Wokurka, Friedrich (SED, Dresden, Generaldirektor VEB Kombinat Robotron) 186 Wolf, Christa (Schriftstellerin) 75, 82

1169

Wolf, Joachim (RB Potsdam, Landesbeauftragter Brandenburg, Brandenburgischer Bauminister) 703* Wolfram, Dr. Frau (AJL, RA Chemnitz) Dok. 236 Wolgemuth, Volker/Volkmer (bis 3/90 Vors. BV SPD KMS, GK S/BW FG Verfassung u. Verwaltungsreform) 575 Wölke, Dr. Manfred (RdB/BVB Dresden RL Umwelt- u. Naturschutz, Leiter Staatl. Umweltinsp. Bez. Dresden, GK S/BW Leiter FG Umwelt, KA SB Umwelt, AL RP Dresden) 372*, 490, 703*, 940, 1047; Dok. 258, 284, 323, 331 Worms, Bernhard (CDU, 1983 CDUSpitzenkandidat NRW, 1990 MdL, bis 1995 als Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium) 887 Wörner, Manfred (1982–1988 Bundesminister der Verteidigung, 1988– 1994 Nato-Generalsekretär) 781 Woydera, Walter (Bay. Berater, 1990–2/91 und ab Herbst 1991 Abteilungsleiter 1 SMF) 910 Wruck, Karl (DA, Leipzig, Md LaVo DA Sachsen) 656 Wulffen, Matthias von (Richter am Bundessozialgericht, Clearing-Berater des Bundes in Sachsen, BMA/S, später Präsident Bundessozialgericht) 792, 818, 841 Wülfing (SED, Oberst der VP, Chef BDVP Dresden) Dok. 46, 147, 149 Wünsche, Eva-Maria (CDU, Leipzig, MdL Sachsen) 1054 Wünsche, Prof. Dr. Kurt (LDPD, Minister der Justiz Regierung de Maizière) 299 Wurster, Eberhard (ORR IMBW, Berater Büro Klaus Reichenbach, RL SStK) 590, 617 Wüst, Prof. Dr. (Min.-rat, BaySMELF, Bayer. Berater Landessprecher Sachsen für Landwirtschaft) 491, 535; Dok. 328, 358 Wuttke, Otto (CDU, RTB Dresden, Vors. Wahlkommission Wahlkreis Dresden) 831; Dok. 26, 43, 57, 59, 335 f., 383, 386, 407 f., 449 f.

1170 Wutzke, Oswald (DA, Staatssekretär im Ministerium für wirtsch. Zusammenarbeit Regierung de Maizière, DA-Vorstand) 145 Zach, Manfred (Regierungssprecher Baden-Württemberg) 246; Dok. 83 f., 89 Zacher, Peter (bis Ende 1989 CDU, Gruppe der 20, für DJ Md Basisdem. Fraktion StVV Dresden, ab 1990 Bündnis 90/Die Grünen, GK S /BW) 249* Zaczek, Michael (NF, RTB Dresden) 231; Dok. 26, 28 f., 91, 93 f., 96, 158, 168 Zander, Birgit (Vors. BV DSU Dresden) 665 Zaumseil, Dr. Lutz (Geograph an der Humboldt-Universität Berlin) 288; Dok. 83 Zehe, Karin (Protokollantin RTB Leipzig) Dok. 153 Zeigner, Erich Moritz (SPD, 1921 Finanzminister von Sachsen, Sächsischer Ministerpräsident bis 1924) 38 Zeller, Dr. Wolfgang (Min.-rat, RL MAGFSBW, GK S/BW Leiter FG Soziales, Gesundheit u. Arbeit, Staatssekretär für Arbeit u. Verkehr im SMWA) 184–187, 202, 590, 726, 803, 818, 900, 1045, 1059; Dok. 36 Zenker, Herr (GK S/BW FG Polizeirecht und -organisation, SB Chemnitz Justiz, AS Justiz u. StK) 489, 579, 807, 814, 1046 Zerbes, Frau (CDU, RTB Dresden) Dok. 147

Anhang Ziegs, Herr (Leipzig, AS Landesvermögen/Ansiedlung) 821 Ziemer, Christoph (Superintendent Kreuzkirche Dresden, ab 1989 Präsidiumsmitglied des ökumen. konziliaren Prozesses f. Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung in der DDR, Berater Gruppe der 20) 384, 542, 872; Dok. 276, 280, 311 Ziesch, Bernhard (siehe Cyz, Bjarnat) 461, 470; Dok. 26, 29, 43–45, 91, 147, 168, 208, 232, 234, 343 f., 365 Ziller, Christiane (Pressesprecherin DA, 1/90 Wechsel zu DJ) 138 Zimmer, Carl Ludwig (bis 6/1991 AL 3 SMS, Leihbeamter) 907 Zimmermann, Dr. Ingo (CDU, BVB Dresden, RL Kultur, AG Kultur beim CDU-LaVo, MdL Sachsen) 532, 703*, 814, 930–932, 1047, 1054, 1058; Dok. 374, 410, 412 Zimmermann, Prof. Dr. Lutz (TU Dresden, Institut für Recht in Wissenschaft u. Technik, Berater GK S/ BW AG Verfassung der FG Verfassung u. Verwaltungsreform) 581, 587, 610; Dok. 290, 317 Zimmermann, Prof. Dr. Udo (Leipzig, GK S/BW) 249*, 389, 533* Zimpel (BVB Dresden, Mitarbeit Länderbildung) 541* Zipser, Dr. Lothar (Zentralinstitut für Kybernetik u. Informationsprozesse) 530* Zschoche, Brigitte (SED/PDS, Dresden, MdL Sachsen LL/PDS) 1056 Zuber, Dieter (Oberlandeskirchenrat, Sächsisches Landeskirchenamt Dresden) Dok. 295 Zumpe, Frau (CDU, RTB Dresden) Dok. 147, 150, 168, 190, 193, 202, 303, 412

Sachregister

1171

9.10 Sachregister45 Aktion Katholische Christen 344; Dok. 80 Allianz der Mitte 145 Allianz für Deutschland 144–146 Wirtschaftsvereinigung der AfD in Sachsen 488 Allianz für Sachsen (Grenzgemeinden) 420, 447; Dok. 426 f., 449, 451 Allianz für Sachsen (Parteienbündnis) 655, 657, 659, 666 f. Altenburg 32, 51, 274, 306, 401 f., 425, 428–433, 435 f., 443–447, 450 f., 1043 f.; Dok. 75, 108, 285 Anspruchs- und Ermessensgemeinden 447–452 Arbeitslosenverband der DDR 831 Arbeitsstäbe siehe Koordinierungsausschuss Aufbauministerium 680–684, 718–720 Ausschreibung Landesverwaltung/Personalauswahl 504 f., 509, 526 f., 728–732, 976–996, 1034; Dok. 331, 333, 368, 399–401, 409, 454 Bad Liebenwerda 269, 274, 288–292, 399, 401 f., 404 f., 420–425, 435 f., 441, 443, 447, 452 f., 763, 1043; Dok. 53, 76, 285 Baden-Württemberg Beratungsbüros Dok. 324 f. Koordinierungsstelle/-büro des Landes Baden-Württemberg 591–594, 970 f.; Dok. 332 f., 439, 487 Verbindungsbüros für wirtschaftlichtechnische Zusammenarbeit 195 f., 200 f., 590 f.; Dok. 67, 84, 183 Gemischte Kommission Sachsen/Baden-Württemberg (siehe dort) Landesregierung Innenministerium Dok. 155–158, 194 f., 324 f., 438–449

Staatsministerium Dok. 62 f., 83–89 Ballungsgebiet Halle-Leipzig-Dessau 276–278, 287, 306; Dok. 34 f., 49 f. Basisdemokratie 390, 831; Dok. 281, 292 f. Bautzen 460; Dok. 298, 323 Bayern Arbeitsgemeinschaft Sachsen-Bayern 248 Arbeitsgruppe Landwirtschaft Bayern-Sachsen 595 Bayerische Verbindungs-/Kontakt-/ Informationsbüros in Sachsen 235, 238 f., 596–602; Dok. 100 Bayerische Staatsregierung 237, 252, 310 f. Ministerrat 236, 727 f., 971 Staatskanzlei 236 Arbeitsstab Deutschlandpolitik 176 f., 239, 598 Staatsministerien des Innern 235, 515 für Unterricht und Kultus 236 für Wirtschaft und Verkehr 179, 236 Staatssekretärsausschuss für DDRFragen 237 Kuratorium Bayern-Sachsen 238 Zusammenarbeit/Arbeitsgemeinschaft Bayern-Sachsen Dok. 99 f., 104 f. Berlin-Brandenburg 306, 917 Bezirksstruktur 54 f. Bezirkstage generell 112 f., 134 f., 317 f.; Dok. 90, 118 Dresden 49, 104, 106, 112 f., 117, 126–132, 162, 231, 266, 270 f., 333, 352; Dok. 40–42, 44, 72 f., 92–95, 101, 149 f., 160–164 AG Bildung Land Sachsen 228 f., 232; Dok. 97–99, 150

45 Aufgenommen wurden vor allem Institutionen und Organisationen. Wiederkehrende Begriffe wurden nur teilweise (z. B. CDU, Gemischte Kommission Sachsen/BadenWürttemberg, Koordinierungsausschuss) oder gar nicht erfasst (Bezirke Dresden, Chemnitz und Leipzig). Die Angaben nach Dok. beziehen sich auf die CD-ROM.

1172 AG Finanzverfassung Dok. 97 AG Gemeinde- und Landkreisordnung Dok. 97 AG Verfassung des Landes Sachsen Dok. 97 AG Verwaltungsstruktur Dok. 97 Karl-Marx-Stadt/Chemnitz 113, 161, 168, 252, 269, 325 f., 333, 351 f.; Dok. 61 Leipzig 106, 131, 252, 255, 267, 287, 352; Dok. 152 Bezirksverwaltungsbehörden (BVB) 370–374 BVB Dresden, Koordinierungsgruppe für Landesangelegenheiten 369 BVB Chemnitz 372 Blätter für Sächsische Heimatkunde 64 Borna 425, 446, 450, 1044; Dok. 108 Brandenburg (Provinz/Land) 24, 39, 168, 274 f., 278, 284 f., 288, 291, 305, 399, 401–424, 434, 439–443, 466 f., 469, 602, 751 f., 759, 763, 774, 776, 917, 943 f., 1013, 1019, 1042 f., 1058; Dok. 49, 51 f., 71, 267, 273, 299 Brandenburg-Pommern 283 Bremen 315, 772 Bündnis 90 832 Bündnis 90/Grüne 612, 1012 Bürgerkomitee zur Einrichtung eines Sonderdepots für das Schriftgut des ehemaligen MfS Dok. 404–407, 409 Bund der Vertriebenen, Landesverband Sachsen/Schlesische Lausitz 478 Bund Freier Demokraten (BFD) 136, 682 Bund stalinistisch Verfolgter 97 Bund Umwelt und Naturschutz Sachsen 97 Bundesrat 300, 311, 395 f., 672, 677, 682, 685–687, 694, 768 f., 774, 778 Bundesregierung 311 Bundeskanzleramt 310 Kabinettsausschuss „Deutsche Einheit“ 300 f., 314 f. Bundesministerien der Finanzen 914

Anhang der Verteidigung Dok. 415 des Innern 280, 392 f., 398, 473; Dok. 415 für Bildung und Wissenschaft 816 für innerdeutsche Beziehungen 472 für Verkehr 809 Bundeslandsmannschaft der Sachsen 64 Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände 955 CDU/CSU in der DDR 96 Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU) Bundesparteitag Bremen 1989 185 Bundesvorstand 139 f. Hauptvorstand DDR 140, 296 Sonderparteitag Dezember 1989 93, 102 Landesverband Baden-Württemberg Bezirksverband Südbaden 137, 239 Landesvorstand 614 Landesverband Sachsen 93 Konstituierender Landesparteitag 154–159, 615 2. Landesparteitag 648–652 Kreisverband Dresden 629 f. Landesvorstand 159 f., 228, 241, 248, 328 f., 334, 337, 345, 349 f., 369, 642–645; Dok. 195 f., 307 f. AG Landesbildung 346 f., 586 f., 931, 1008 Wirtschaftsvereinigung der CDU Sachsen 488; Dok. 288 Christlich-Soziale Partei Deutschlands (CSPD) 92, 95 f., 141 Christlich Soziale Union (CSU) 95 f., 141–144, 834 Kreuther Beschluss 141 Christlich Soziale Union (CSU) in der DDR 95 f., 141–144 Landesverband Sachsen 666, 829 Christliche Liga 823 Christliches Umweltseminar Rötha 938–941 Clearingstelle des Bundes und der Länder 690–693, 707, 710, 725,

Sachregister 779–792, 867, 1035; Dok. 416–419, 421, 424–426, 439 f. Cottbus 55 f., 274 f., 277 f., 284 f., 287–289, 291, 305, 402–424, 455 f., 460, 462–465; Dok. 49, 53, 74–76 DDR-Regierung siehe Ministerrat der DDR Delitzsch 274, 288–290, 292, 401 f., 425 f., 433, 1043; Dok. 75, 108 Demokratie-Initiative 90 166, 848, 1015 Demokratie Jetzt (DJ) 91, 137, 823, 848, 1011 Demokratische Bauernpartei Deutschlands (DBD) 662 f.; Dok. 60 Demokratische Union (Dresden) 241, 654 Demokratischer Aufbruch (DA) 90 f., 96, 113, 121, 137–139, 241 f., 245 f., 252, 256, 282, 299, 336, 394, 654–661, 824; Dok. 118 f., 145 f., 307 f. Denkmalschutz Dok. 329, 333, 445 Deutsche Biertrinker Union (DBU) 823 Deutsche Forumpartei (DFP) 90, 97, 136, 269, 273, 661; Dok. 60, 153 Deutsche Soziale Union (DSU) 92, 95 f., 112, 141–144, 266, 299, 301, 336, 351, 364 f., 436 f., 444 f., 475, 484, 596, 656–658, 663– 667, 726 f., 823, 829 f., 832, 834, 971, 1026; Dok. 150–152, 198 Deutsche Volkspolizei (siehe Polizei) Deutscher Städtetag 955 Die Grünen siehe auch Grüne Partei 823 Die Nelken 91, 351, 823, 847 Die Union (Zeitung) 152, 359, 368, 376, 382 f., 442, 624 f., 627, 630, 634, 637, 644 Dresdner Stadtverordnetenversammlung AG Recht 166 f., 169, 277, 286 f.; Dok. 54–56 Eilenburg 274, 288–290, 292, 401 f., 425, 427 f., 433, 443 f., 1043; Dok. 75, 108 f.

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Einigungsvertrag 693–698 Elsterberg (Vogtland) 274, 451; Dok. 75, 243 f. Europäische Föderalistische Partei 831 Europäische Gemeinschaft 737, 888 Euroregion Böhmen-Sachsen-Schlesien 889 Finanzpolitik/-situation/-wesen Sachsen 522–525, 915–918; Dok. 136–138, 225–227, 272, 325–327, 447–449 Föderalisierung/Föderalismus 42, 45 „Fonds Deutsche Einheit“ 312 f., 675 f., 684 f., 694 f., 914–918; Dok. 448 Forschungsstelle für historische Landeskunde Mitteldeutschlands 64 Forst 462 Fortgeltendes DDR-Recht 861–864 Frankfurt/Oder 284 Frauenplattform Dresden 513 Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte, siehe auch Staatsregierung 513 Freie Deutsche Jugend (FDJ) 99, 823; Dok. 149 Freie Demokratische Partei (FDP) 92, 97, 292, 823, 830, 832 Freie Deutsche Union (FDU) 95, 141, 143 Freie Messestadt Leipzig 133, 295; Dok. 35 Freie Stadt Görlitz 478 Freistaat Sachsen (Bezeichnung) 92, 293 f., 342, 376, 856–859, 876 Freundschaftsgesellschaft AltenburgSachsen 447 Geithain 1044 Gemeinsame Einrichtungen der Länder 713–716 Gemeinschaftsstelle der Länder für Landes- und Kommunalfragen 716–718 Gemischte Kommission Sachsen/Baden-Württemberg 193 f., 200–208, 239–250, 553–588, 967–970, 1026, 1045; Dok. 35–37, 62 f., 67–70, 83 f., 104, 109 f., 182–189, 257–260, 439

1174 Fachgruppen Bauwesen und Städtebau/Bauwesen, Städtebau und Denkmalpflege 207, 569, 1044; Dok. 37, 89, 185 f., 189, 257 f. Bildung/Schule, Jugend, Sport 568 f., 1044, Finanzen und Kreditwesen 204, 561 f., 1044; Dok. 37, 186, 188, 259 f. Fremdenverkehr 204 f., 562 f., 1044; Dok. 37, 68, 88 f., 184, 188 Kommunale Partnerschaften 205, 554, 563 f., 1044; Dok. 37, 68, 88, 186–188 Kultur 205 f., 564 f., 1044; Dok. 37, 88, 184 f., 188 Ländlicher Raum und Landwirtschaft 207 f., 569–571, 1044; Dok. 37, 68, 86, 186, 189, 259 Soziales und Gesundheit 202 f., 557–559, 1044; Dok. 36, 67 f., 85, 183, 187 Umwelt/Umweltschutz 203 f., 559 f., 1044; Dok. 36, 67, 85 f., 183 f., 188, 258 Verfassung und Verwaltungsreform 342, 572–574, 1044; Dok. 37, 69, 89 f., 187, 189, 290, 317 AG Aus- und Fortbildung 578 f., 1044, AG Kommunale Selbstverwaltung 577 f., 1044, AG Polizeirecht und -organisation 527, 1044, AG Polizeiwesen und Innere Sicherheit 579 f., 1044, AG Verfassung 580–588, 1044, AG Verwaltungsstruktur 554, 574–577, 1044; Dok. 194 f., 275 f. Verkehr und Straßenbau 571 f., 1044; Dok. 189, 259 Wirtschaft, Technologie, Handwerk und Management 201 f., 555–557, 1044; Dok. 36, 187, 260

Anhang Wissenschaft und Bildung 206 f., 490, 529, 565 f., 1044; Dok. 37, 69, 86 f., 185, 188, 258 f. Wissenschaft und Hochschulen 566–568, 1044, Gera 111, 430, 450 f., 1044 Gesetze/Gesetzgebung DDR Gesetz über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR (Kommunalverfassung) vom 17. 5.1990 341–343, 360, 448 f. Gesetz über die Wahlen zu den Landtagen 392 Gesetz über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe vom 23. 7.1952 47 f., 298; Dok. 54 f., 175 Gesetz zum Schutz und für Förderung des sorbischen Volkes 469 Gesetz zur Änderung und Ergänzung der Verfassung der DDR vom 17. 6.1990 300 Gesetz zur Wahrung der Rechte der sorbischen Bevölkerung vom 23. 3.1948 472 Verfassungsgesetz zur Bildung von Ländern in der DDR (Ländereinführungsgesetz) vom 22. 7.1990 304, 392–401, 434–452, 694, 1034 f.; Dok. 172, 267–274 § 22 LEG 501, 504, 687–690, 700–702, 705 f., 709 f., 728–731 Gesetze/Gesetzesvorbereitung Sachsen Dok. 217 f., 268–270 Abgeordnetengesetz 528, 864, 1017; Dok. 371 Bodendenkmalschutzgesetz 528; Dok. 371 Chemikaliengesetz 862 Datenschutzgesetz 864; Dok. 402–404, 409 Denkmalschutzgesetz 527 f.; Dok. 371 Eigenbetriebsgesetz 863 Finanzgesetzgebung 864 Gemeindehaushaltsverordnung 578, 863 Gemeindeordnung 578, 863 f.

Sachregister Gerichtsorganisationsgesetz 864 Gesetz über kommunale Eigenbetriebe 578, 863 Gesetz über kommunale Zusammenarbeit 578, 863 Gesetz über kommunalen Finanzausgleich 578, 863 Gesetz über das Landesverfassungsgericht 528; Dok. 371 Gesetz über den Landesrechnungshof 527 f., 550 f., 553; Dok. 371 Gesetz über die Finanzverwaltung 527 Gesetz über die Gerichtsorganisation 528; Dok. 374 Gesetz über die Organisation der Verwaltung im Freistaat Sachsen 1993 962 Gesetz über die Rechte der Sorben im Freistaat Sachsen vom 31. 3.1999 474 Gesetz über Musikschulen 527 Gesetz zum Schutz archäologischer Denkmale 527 Gesetz zum Schutz des Bodens 862 Gesetz zum Umgang mit Kernmaterial 862 Gesetz zur Ausarbeitung und Annahme der Sächsischen Verfassung 1009 Gesetz zur Herstellung der Arbeitsfähigkeit des sächsischen Landtages und der Sächsischen Landesregierung (Vorschaltgesetz) vom 27.10.1990 583, 851–860; Dok. 453, 459–461 Haushaltsordnung 915 Hochschulgesetz 528; Dok. 371 Immissionsschutzgesetz 862 Kindergartengesetz 864 Kommunalabgabengesetz 578, 863 Landesabfallgesetz 862 Landesarchivgesetz 527 f.; Dok. 371 Landesdatenschutzgesetz 527 f.; Dok. 371 Landesgesetz über die Einrichtung von Ingenieurkammern 527 Landeshaushaltsordnung 864 Landesjagdgesetz 527 Landesplanungsgesetz 527

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Landespolizeigesetz 527 f.; Dok. 371, 442 Landesrettungsdienstgesetz 527 f.; Dok. 371 Landesrichtergesetz 527, 998; Dok. 374 Landesrundfunkgesetz 537; Dok. 371 Landesschulgesetz 527 f., 565; Dok. 371 Landesverwaltungsgesetz 378, 527 Landeswassergesetz 527, 862 Landkreisordnung 578, 863 f. Meldegesetz 864 Ministergesetz 1017 Polizeigesetz 864, 966 f. Rundfunkgesetz 528 Verwaltungsvollstreckungsgesetz 864 Vorschalthaushaltsgesetz 1991 915 f. Vorschaltgesetz für Kommunalfinanzen 915 Zweckverbandsrecht 863 Görlitz 36, 41, 269, 403 f., 455–485; Dok. 75 f., 80, 110, 298, 323, 350 f. Greiz 274, 451, 1044 Grenzen Sachsens 740 Grenzkreise 274 Großenhain 417 f., 424 Großsachsen 284 Grüne Partei siehe auch Die Grünen 91 f., 97, 113, 832, 1011; Dok. 81, 164 f. Grundbuchämter 967 Gruppe der 20 99, 142 f., 146, 167, 169, 188, 233 f., 277, 297, 848, 871, 1013 f.; Dok. 82, 112 Halle/Saale 278, 282, 287 f., 291 f., 295–297, 304 f., 743, 752–756; Dok. 50 Hamburg 673, 676 Heidelberger Freundeskreis für Sachsen 307 Heimat 61, 65 f., 81, 294 Heinrich-Böll-Stiftung 612 Herzberg 274, 288, 292, 399, 404 f.; Dok. 53, 76 Hessen 170, 173, 281, 284, 302 f., 774, 917

1176 Hessen-Thüringen 302 f. Heyersdorf 450 f. Hoyerswerda 51, 120, 269, 275, 401–412, 455, 462 f., 467, 475 f., 480, 1043 f.; Dok. 52, 75, 110, 234, 298 Initiative Demokratie entwickeln (IDEE) 606, 609 f., 1007 f., 1012 Initiative Frieden und Menschenrechte (IFM) 92 Institut für Denkmalpflege Dresden 58, 289, 406; Dok. 74–76 Institut für Verwaltungsorganisation 502 Jessen 274, 288, 292, 399, 404 f.; Dok. 53, 76 Junge Nationaldemokraten 483 Justiz/Rechtssprechung 996–1007; Dok. 132–134, 221 f., 423 Überprüfung Richter und Staatsanwälte 1002–1007; Dok. 417 Kamenz 460 Karl-Marx-Stadt – Rückbenennung Chemnitz 272 Kirchen und Religionsgemeinschaften Dok. 230 Amt für Kirchenfragen bei der sächsischen Landesregierung 218 Evangelische Kirche Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsen 59, 279, 295, 584 f., 848 f., 875 f. Evangelische Kirche der Kirchenprovinz Sachsen 59 Evangelische Kirche der Schlesischen Oberlausitz 480 Evangelische Kirche des Görlitzer Kirchengebietes 58, 479 f.; Dok. 76, 279 Evangelische Kirche von Schlesien 58, 479 Kirchenprovinz Schlesien der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union 58 Sorbische Evangelisch-lutherische Superintendentur 471; Dok. 365 Jüdische Gemeinden Dok. 96, 279

Anhang Katholische Kirche, Katholizismus 875, 1011 Apostolische Administratur Görlitz 58; Dok. 279 Bischöfliche Administratur Magdeburg 59 Bistum Dresden-Meißen 59, 381, 848 f.; Dok. 232, 236, 279 Karl-Marx-Stadt Dok. 154 Kirchliche Feiertage Dok. 455 Methodistische Kirche Dok. 279 Religion Dok. 135 f. König-Friedrich-August-Institut für Sächsische Geschichte und Kulturforschung 65 Komitees für Volkskontrolle 550–552 Kommunale Selbstverwaltung Dok. 21 Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) 823, 847 Konrad-Adenauer-Stiftung 240, 309, 887; Dok. 106 Koordinierungsausschuss 374–393, 485, 492–498, 506 f., 708 f., 865–871, 879, 1036; Dok. 159, 164 f., 169, 171, 173 f., 177–181, 190–192, 197, 204–207, 234, 241–243, 261–266, 278, 282, 308–311, 322–324, 330–332, 356–358, 363 f., 368–375, 410–414, 435–437, 452–456, 459 Arbeitsgruppe Behördenstruktur 492 Arbeitsstäbe 706 f., 865 f.; Dok. 376 f., 411, 417, 420 Landesstrukturbeauftragte 485–492, 1046–1048 Finanzen 487 f., 1046 Inneres 487, 1047 Justiz 488 f. Kultus 490, 1046 Landesvermögen und Gebäude 491, 536, 1048; Dok. 451 Landtag 386, 491, 536, 848, 1046 Landwirtschaft 490 f., 1046 Medien 491, 537, 1048; Dok. 372 Soziales 489 f., 905, 1048 Umwelt 490, 1047 Verfassung und Recht 489, 1046; Dok. 289–297

Sachregister Wirtschaft 488, 899, 1046 Strukturbeauftragte allg. 376, 378, 486, 506–508, 1046–1048; Dok. 332 f. Kreishauptmannschaften 539, 952, 955; Dok. 242 Kulturbund 58, 289 f., 426 Kulturrat (Initiative Schintlmeister) siehe auch Sächsische Staatsregierung 533 Kuratorium „Land Sachsen“ siehe Meißener Tagung 18. 4.1990 Länderbildungskonzepte Zwei-Länder-Lösung 283 Drei-Länder-Lösung 275 f., 279, 305, 462, 466 f., 686; Dok. 51, 83, 286 Vier-Länder-Lösung 279, 287, 291–293, 305–307, 407, 409, 414, 462, 466 f.; Dok. 49 f., 83 Fünf-Länder-Lösung 279–284, 286 f., 291–295, 301, 304, 306, 309, 314 f., 395, 407, 409, 414, 425, 433, 462, 467, 479, 686, 738, 768, 775; Dok. 48 f., 174 f. Länderfinanzausgleich 674–676, 684, 695–697, 769 f., 774, 917 f. Länderkammer der DDR 45, 54, 56, 102, 285, 395 Landesausschuss, siehe auch Regionalausschüsse 382, 385, 388, 391; Dok. 71 Landesämter und Sonderbehörden, Landesverwaltung 546–553, 961–965; Dok. 134, 222–225 Direktion für Landesentwicklung 550 Finanzämter 521, 912; Dok. 397, 423 Finanzdirektionen 912 Finanzgericht 550 Gewerbeaufsichtsamt 221, 511 Hochbauamt/-verwaltung 509, 548, 912 f.; Dok. 333 Hochschulbauamt 541 Landesamt für Arbeitsschutz, Arbeitsmedizin und technische Sicherheit 550

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Landesamt für Besoldung, Vergütung und Versorgung 511, 522, 549 Landesamt für Braunkohlenbergbau /-planung 509, 511, 547 Landesamt für Denkmalpflege Sachsen 58; Dok. 74 Landesamt für Familie und Soziales 550 Landesamt für Finanzen 912, 972 Landesamt für Geologie und Bodenforschung 221, 511, 541, 547, 550 Landesamt für Katastrophenschutz Dok. 415 Landesamt für Landwirtschaft 550 Landesamt für Mess- und Eichwesen 541, 547 Landesamt für Reprivatisierung und Rückerstattung 511, 547 Landesamt für Staatsschuldenverwaltung 541 Landesamt für Statistik 509, 541, 547 f., 895 Landesamt für Umweltfragen 511, 550 Landesamt für Verfassungsschutz 513, 515 f., 895 Landesamt für Verkehr/Straßenbauverwaltung 547 Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen 547 Landesarbeitsgericht 511, 550 Landesarchivverwaltung 548; Dok. 329 Landesaufnahme- und Abschiebestelle für Asylbewerber 511, 548 Landesbergamt/-oberbergamt/Bergbehörde 221, 509, 511, 547 f. Landesentwicklungsgesellschaft 547; Dok. 203 f. Landesfinanzrechenzentrum 549 Landesfinanzverwaltung 911–915 Landesgewerbeamt 221, 541; Dok. 65 Landeshauptarchiv 58 Landeskreditanstalt 547 Landeskriminalamt 895 Landesrechungshöfe 363, 541, 550–553 Landessozialgericht 550

1178 Landestreuhand 508, 522, 541, 549, 902 f. Landesverkehrswacht Sachsen 98 Landesvermessungsamt 548; Dok. 329 Landesverfassungsgericht 511, 550 Landesversicherungsanstalt 550 Landeszentrale für politische Bildungsarbeit 512 f. Liegenschaftsdienst und Vermessungswesen 508 f., 913 Luftamt 547 Oberfinanzdirektionen 508, 511, 521 f., 549, 912, 972 Oberschulämter 511, 531, 550 Oberverwaltungsgerichte 511, 550 Polizeipräsidium 548 Sächsische Aufbaubank 547 Sächsische Gesellschaft für Materialforschung und -prüfung 547 Sächsische Schlösser- und Gärtenverwaltung 549 Umweltbehörde/-amt 509; Dok. 32 f., 58, 81 f., 92, 104, 148 Wirtschaftsamt Dok. 65 Wirtschaftsfördergesellschaft 547 Landesbevollmächtigter 1035; Dok. 423 Landesentwicklung Dok. 333 Landesforum 611 Landesgesetzgebung 397, 861–864; Dok. 131 f. Landeshauptstadt 278, 287, 305, 377, 948 f.; Dok. 111 f., 154, 238 Landeskuratorium Unteilbares Deutschland Sachsen 98 Landesmuseum für Vorgeschichte 58 Landespressekonferenz 537 Landesrecht 397 Landessprecher 498–505, 699–709; Dok. 319–322, 417, 435–437 Landesverband Sachsen der Berufssoldaten der DDR 99 Landesverein Sächsischer Heimatschutz 58, 98, 447 Landesverfassung Sachsen 1831 1017 1920 582, 1017; Dok. 290 1947 41 f., 262 f., 298, 321, 582 f., 744, 854, 1017; Dok. 54, 278 f., 316

Anhang 1992 1007–1020 Verfassungsentwürfe Gohrischer Entwurf 390, 472, 582, 602–608, 1008–1012; Dok. 315–318, 337, 359, 365 Entwurf der Gruppe der 20 582, 603 f., 609; Dok. 290 Entwurf der Räte der Bezirke 582; Dok. 97, 124–139, 316 Entwurf der Leipziger Hochschullehrer 608–612, 1009 f.; Dok. 355 Entwurf der Leipziger CDU 585–588, 604; Dok. 209–231 Landkreistag der DDR 98 Landsmannschaft Sachsen des Bundes der Mitteldeutschen 64 Landtage 1990 Bayern 237, 311, 313 f. Sachsen 41–46, 48 f., 1057 Ausschüsse 859 f., 1010, 1058 Fraktionen Bündnis 90/Grüne 847–849, 855, 873, 1056 CDU 843–846, 1051–1054 FDP 1057 Linke Liste/PDS 847, 1009, 1055 f. SPD 846 f., 851 f., 1009, 1054 f. Geschäftsordnung Dok. 371 Konstituierung 842–848 Unterbringung 834–842 Vorbereitung Dok. 126–130, 212–216 Vorschaltgesetz siehe Gesetze Landtagswahlen 1990 allgemein 296, 301 1990 Sachsen 823–834, 1049 f. Vorbereitung Dok. 150–152, 383–386, 408, 449 f. Lauchhammer 417–419 Lausitz, siehe auch Sorben 32 f., 36, 278, 295, 306, 403–405, 412, 453–474; Dok. 49, 52–54, 71, 75 f., 82 f., 110 f., 285, 299, 351, 355 f. Kommunalverband Oberlausitzer Landschaft 485 Land/Provinz Lausitz 404, 459 f., 463, 466, 468 f.; Dok. 52, 343 f.

Sachregister Oberlausitzer-Niederschlesischer Landkreistag/Landratskonvent 480, 482 Leihbeamte 988–996, 1060 f. Leipzig-Land 425, 450, 1044; Dok. 108 f. Leipziger Volkszeitung 430 Liberal-Demokratische Partei Deutschlands (LDPD/LDP) 94, 102, 166 Linke Liste/PDS 823, 832, 1015 Löbau 460, 480 Magdeburg 277, 288, 292, 297, 304 f., 752–756 Marxistische Jugendvereinigung „Junge Linke“ 823 Mecklenburg 295, 305 f., 309; Dok. 51 Mecklenburg-Brandenburg 301 Mecklenburg-Vorpommern 24, 39, 275, 434, 602, 752, 759, 774, 875, 917, 944, 1019, 1058; Dok. 49, 267, 273 Medien Dok. 331 Meißener Albrechtsburg Dok. 427–430 Meißener Tagung 18. 4.1990/Kuratorium „Land Sachsen“ 231 f., 234, 243, 253, 342; Dok. 80, 90, 92, 96, 101, 108, 111–114, 118–120, 139–146, 154, 283 Ministerrat der DDR 285, 286, 303 f., 316 Regierungskommission Verwaltungsreform 103, 106 f., 110, 133 f., 274 f., 277–280, 283, 286, 291–293, 304, 446 f., 460, 468; Dok. 48–50 Ministerien der DDR Bauwesen, Städtebau und Wohnungswirtschaft 503 Bildung und Wissenschaft 502 f. Regionale und Kommunale Angelegenheiten 285 f., 299–301, 361, 470, 714 für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit 107 f., 111, 120 Auflösung Bezirksamt Dresden Dok. 28, 30–32, 43, 45, 57,

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96 f., 102–104, 148, 198, 201, 204, 233, 453 f. Mitteldeutschland 305, 307, 777 Mitteldeutsche Forschungen (Reihe) 64 Mitteldeutsche Nationaldemokraten 483 Mitteldeutsche Neueste Nachrichten 57 Mühltroff 451; Dok. 75, 243 f. National-Demokratische Partei Deutschlands (NDPD) 71, 93 f., 101, 128 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 823, 830 f. Neuer Sachsenspiegel 64 Neues Forum 70 f., 88–90, 92, 96 f., 136, 146 f., 257, 823, 847 f., 1011; Dok. 42 f., 46–48 Neues Forum/Bündnis/Grüne 823, 830, 832 Niedersachsen 31, 170, 173, 278, 282, 284, 309, 311, 685, 741, 769, 917; Dok. 49, 424 Niesky 404, 455, 475 f., 480; Dok. 75, 110, 298 Nordrhein-Westfalen 170, 173, 672 f., 685 f.; Dok. 424 Obersachsen 278, 283; Dok. 49 f. Ökologisch Demokratische Partei (ÖDP) 831 Ortrand 417, 420, 439–441 Oschatz 450, 1044 Parlamentarischer Ausschuss zur Vorbereitung des Landes Sachsen 234 Partei der Wiedervereinigung Deutschlands (PWD) 95 Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) 94, 126, 830, 832; Dok. 72 f. Pausa (Vogtland) 274, 451; Dok. 75, 243 f. Plauen 1044; Dok. 323 Polizei/Volkspolizei 25, 182, 509, 516, 527, 579 f., 715, 966 f., 973, 985; Dok. 78 f., 371, 415, 423, 441 f., 455 Pommern-Brandenburg 284

1180 Potsdam 284 Räte der Bezirke Gemeinsamer Ausschuss zur Herausbildung des Landes Sachsen Dok. 63–66, 70, 77 Umwandlung in Bezirksverwaltungsbehörden 370–374 Cottbus 404–425; Dok. 52, 54, 59 Dresden 49, 104 f., 112, 116, 121–124, 126 f., 133, 160 f., 168, 215 f., 252; Dok. 19–25, 39 f., 63–70, 72 f. AG Aufbau, Organisation, Arbeitsweise und rationelle Gestaltung Dok. 21, 23 AG Geschichte Sachsens Dok. 21, 24 AG Kommunale Selbstverwaltung Dok. 20–22 AG Parlamentarische Arbeit Dok. 21 AG Territoriale Planung und Wirtschaftsförderung Dok. 20–23 Karl-Marx-Stadt/Chemnitz 161, 216, 325 f., 339, 372 Dok. 61, 182–189 Leipzig 106, 124, 133, 216 f., 247, 371; Dok. 33–35, 50 f., 66 AG Verwaltungsreform Dok. 50, 76 f., 108 f. Regierung der DDR siehe Ministerrat Regierungsbevollmächtigte 355–362; Dok. 167 f., 191 Stellvertretende Regierungsbevollmächtigte allg. 362–366 Stellvertreter für Landesbildung allg./der 3 Bezirke 378, 496–498; Dok. 252 f., 303–305, 319–322 Cottbus 412; Dok. 426 f. Dresden 367–370; Dok. 247 f., 253–257, 333 f. Leipzig Dok. 359–362 Regierungskommune Schevenstraße 883 f., 889 Regierungspräsidien/-bezirke allgemein 215, 325 f., 511, 537–546, 943–961; Dok. 23 f., 34, 51, 111 f., 265 f., 286 f., 304,

Anhang 306 f., 330, 333, 360–362, 373, 380–382, 457 f. Bautzen 216, 275, 285, 470, 480, 482 f., 485, 541 f. Dresden 216, 470; Dok. 334 Karl-Marx-Stadt/Chemnitz 216, 325, 352, 542, 953 f.; Dok. 154 Lausitz/Oberlausitz/Schlesische Lausitz/Niederschlesien/Schlesien/Westschlesien 475, 477, 478 f., 480 f., 483 f.; Dok. 298, 351 Leipzig 216 f., 325 f. Regionalausschüsse siehe auch Landesausschuss 170 f., 234 f., 108, 198, 232, 234, 248–251, 381–383, 388 Dresden 385, 387 Karl-Marx-Stadt/Chemnitz 164 f., 273, 351, 377, 385, 391; Dok. 61, 71, 155, 236–239, 313 f., 375 f. Rheinland-Pfalz 173, 281 Reine Arbeiter Partei 823 Republikaner 823, 830 f. Riesa 424, 450, 1044 Rothenburg 455 Rottenburger Erklärung/Tagung 255 f, 336 f., 340, 382, 498, 583, 746–748; Dok. 105–107 Runde Tische 387, 390, 855 f., 870; Dok. 248–250, 281 f. Runde Tische der Bezirke 227, 317 f., 343; Dok. 111–113, 118 Dresden 112, 122 f., 128–130, 161, 163 f., 224–232, 251, 259, 266, 272, 329–333, 343 f., 352, 367 f., 374, 376, 382–388, 1032; Dok. 26–33, 40–46, 57–61, 72 f., 78–82, 89–97, 102–105, 147–150, 168–171, 177–181, 189–195, 197–205, 232–236 AG „Land Sachsen“ 266, 269; Dok. 158 f., 168 Karl-Marx-Stadt/Chemnitz 91 f., 261 f., 268 f., 272 f., 333, 351; Dok. 144 f., 153–155 Leipzig 257, 261, 266–268, 333, 352; Dok. 152 f. Runder Tisch Land Sachsen 267 f.; Dok. 113–118, 120–124, 165

Sachregister Sorbischer Runder Tisch siehe unter Sorben Zentraler Runder Tisch der DDR 115 AG „Neue Verfassung“ 298 Saarland 315, 774, 921 Sachsen-Altmark 295 Sachsen-Anhalt bzw. Provinz Sachsen 24, 31, 36, 39, 274–279, 284–292, 295–297, 301, 305–307, 309, 315, 401–428, 434, 450, 602, 742 f., 752–756, 760, 774, 917, 944, 1019, 1043, 1058; Dok. 49, 75 f., 267, 274 Sachsen-Lausitz 460 Sachsen-Thüringen 275, 284, 301, 305–307; Dok. 51, 286 Sachsenbibliothek, Sachsenmuseum im Nymphenburger Schloss München 64 f. Sachsenbund 98, 420, 425, 438, 440 f., 447 Sachsenpartei 98, 111 Sachsenspiegel (Wochenzeitung) 99 Sachsentage 64 Sächsische Hefte Dok. 234 Sächsische Heimat (Zeitschrift) 64 Sächsische Heimatblätter 57 Sächsische Humanistische Bewegung 823 Sächsische Identität 65 f., 81, 186 Sächsische Staatsregierung Kulturrat/Kulturstiftung 876, 931–933; Dok. 393–395, 408 f., 411 Leitstelle für Gleichstellungs- und Frauenfragen 510 Staatskanzlei 510, 512 f.; Dok. 366, 380, 388–390 Staatsministerien (Entwürfe/Vorarbeiten) Dok. 130 f., 218–221 Arbeit, Gesundheit, Familie und Sozialordnung 223, 324 Arbeit, Gesundheit und Soziales 223; Dok. 379 Arbeit und Soziales 533–535; Dok. 327 f. Bauwesen, Städtebau und Wohnungswirtschaft 706, 882 Bildung, Jugend und Sport 220, 323 f.

1181 Bildung und Wissenschaft 511 Bundes- und Europaangelegenheiten 512 Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 222, 324 f.; Dok. 367 Finanzen 221, 324 f., 378, 496, 510, 520–525; Dok. 326–328, 366, 379, 396 f. Inneres 219 f., 321 f., 324, 378, 496, 510, 514–516; Dok. 329, 366 f., 379, 450 Justiz 221, 324, 378, 496, 525–528; Dok. 328, 367, 379, 390–393 Kultur 530 Kultur, Bildung und Sport 220 Kultur, Kunst und Wissenschaft 220, 325 Kultus 378, 496, 510, 814–818; Dok. 328, 367, 379, 386–388 Kultus und Sport 511 Kunst und Kultur 531, 882; Dok. 379 Ländlicher Raum, Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 222 Landwirtschaft 378, 496, 535; Dok. 328, 379 Post und Fernmeldewesen 706 Soziales 379, 496, 510; Dok. 367, 450 f. Tourismus 517 Umwelt 223, 325, 378, 496, 510; Dok. 329, 379, 397–399 Umwelt und Landesentwicklung 510, 536; Dok. 367 Verkehr/Verkehrswesen 222, 324 f., 378, 706 Wirtschaft 322 f., 378, 496, 510 Wirtschaft, Mittelstand und Technologie 221, 325 Wirtschaft und Raumordnung 221 Wirtschaft und Verkehr 221 f., 510, 516–520, 898; Dok. 328 f., 366, 450 Wirtschaft, Verkehr und Straßenbau 808; Dok. 379 Wissenschaft und Bildung 528–533 Wissenschaft und Forschung 531

1182 Staatsministerien/-kanzlei des Freistaates Sachsen der Finanzen 907–918, 972, 1059 des Innern 892–896, 972, 1059 der Justiz 44, 919–922, 1059 für Kultus 922–930, 1059 für Landwirtschaft und Ernährung 938–940, 1060 für Soziales, Gesundheit, Familie 903–907, 972, 1060 für Umwelt und Landesentwicklung 940–943, 1060 für Wirtschaft und Arbeit 882, 896–903, 972, 1059 für Wissenschaft und Kunst 930–937, 1059 Staatskanzlei 885–892, 972, 1059 Staatssekretäre Beamtete Staatssekretäre 876 f. Parlamentarische Staatssekretäre 877–879 Sächsische Zeitung 57 Sächsischer Bauernverband 97, 99 Sächsischer Landkreistag 952 Sächsischer Städte- und Gemeindetag 98 f.; Dok. 65, 68 Sächsisches Forum 381–392, 481 f., 607 f., 760, 831, 870, 947, 1033; Dok. 244–246, 251, 260 f., 274 f., 276–299, 311 f., 335–356, 378–409, 449–451 Sächsisches Frauenforum 882 Schkeuditz Dok. 75 Schleiz 1044 Schlesien, siehe auch Lausitz Demokratischer Schlesierbund 478 f. Kommunalverband Schlesische Lausitz 484 Kuratorium „Schlesische Lausitz“ 477 f., 480, 482, 484; Dok. 299, 350 Land Schlesien oder Niederschlesien (Initiativen 1990) 408, 474–485; Dok. 80, 92, 110, 148, 169, 190, 289, 350 f. Niederschlesien 269, 295, 453–456, 474–485; Dok. 75, 278, 287, 297 f., 351

Anhang Provinz Schlesien 33, 41, 403, 455 Regierungsbezirk siehe dort Region Schlesien in Sachsen Dok. 409 Schlesisch-Regionale Freiheitsfront 476, 478 Unabhängige Initiativgruppe Niederschlesien 474, 477, 479, 484; Dok. 278, 288 f., 297–299, 409 Schleswig-Holstein 284, 309, 675, 774, 917 Schmölln 274, 306, 401 f., 425, 428–433, 446, 450 f., 1043 f.; Dok. 75, 109 Schule/Bildung 529 f., 815 f.; Dok. 135, 227–229, 423 Schwarze Pumpe (Gaskombinat) 407–412 Schwerin 284 Schweiz 775 Senftenberg 401 f., 404, 414–421, 435 f., 439–443, 447, 451–453, 462, 763, 1043 f.; Dok. 285 Sorben, siehe auch Lausitz 278, 403–405, 453–474; Dok. 49, 52–54, 82 f., 110, 208 f., 234, 295, 344, 347, 355 f. Cyrill-Methodius-Werk 457, 471; Dok. 365 Domowina, Bund Lausitzer Sorben 455–474, 477; Dok. 44 f., 52 f., 59, 110 f., 208 f., 295, 343, 365 Gruppe der Sorben der Stadt Dresden 462 Institut für sorbische Volksforschung 458, 461 f., 463 Nowa Doba 457, 460 Sorbische Evangelisch-lutherische Superintendentur siehe Kirchen Sorbische Linke 458, 471; Dok. 365 Sorbische Territorialkommission 406, 460 f., 464–467, 469; Dok. 71 f., 82 f., 110 Sorbische Volksversammlung 456–458, 460, 463–465, 468, 470 f.; Dok. 365 Sorbischer Künstlerverband 471; Dok. 365 Sorbischer Kulturrat 464

Sachregister Sorbischer Runder Tisch 404 f., 457, 461, 463 f.; Dok. 52–54 Stiftung für das sorbische Volk 472 f. Sozialdemokratische Partei in der DDR (SDP), Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) 88, 92, 94 f., 111, 113, 136, 140, 209 f., 266, 268, 282, 332, 348, 613, 621, 631, 667–670, 823, 826–829, 832 f.; Dok. 301–303 Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED/SED-PDS), Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) 47, 108, 110–112, 117 Spremberg 407 f., 411, 462 Städtebau Dok. 444 f. Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder 393 Stiftung Land Sachsen 64 Strafvollzug Dok. 415, 423 Straßenbau Dok. 446 f. Studiengruppe für Sächsische Geschichte und Kultur e. V. München 64 Thüringen 25, 39, 121, 133, 168, 173, 274–276, 278, 282–284, 288, 295, 302 f., 309, 315, 402, 428–434, 443–447, 450 f., 602 f., 742, 756–759, 774, 776, 875, 917, 944, 946, 1019, 1043, 1058; Dok. 49, 75, 108 f., 267, 274 Torgau 274, 288–290, 292, 401 f., 425–427, 433, 1043; Dok. 75, 108 Treuhandanstalt 697 Unabhängiger Frauenverband (UFV) 91, 164, 513, 823, 847, 855, 1011, 1013; Dok. 59 f., 192 f. Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) 823; Dok. 408 USA 773 Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB) 97 Vereinigte Linke (VL) 91, 1011 Verfassung der DDR 1949 298–299

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1968/1974 298, 300; Dok. 175 Verfassungsentwurf des Zentralen Runden Tisches 1990 298 f. Vermessungswesen Dok. 445 f. Vermögensnachfolge Dok. 272 Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vom 18. 5.1990 312 f. Vogtland 33, 51, 73, 302 Volkspolizei (siehe Polizei) Volkskammer der DDR 115, 277, 298, 340 f., 343, 685 Ausschuss „Deutsche Einheit“ 678 Ausschuss „Verfassung und Verwaltungsreform“ 286, 299 f., 399, 442 f., 701 f. Gremium aus Volkskammerabgeordneten der Bezirke 319 f., 699–701, 1034 Volksunion Sachsen 112, 141 Volkssolidarität 621; Dok. 58 f. Vorparlamentarischer Ausschuss für das Land Sachsen 228, 329 f., 337 f., 353; Dok. 98, 112, 158, 161–164, 174, 177–181, 191, 198, 244 f. Vorpommern 295 Wahlen Volkskammerwahl (Sachsen) 18. 3.1990 1040 f. Kommunalwahlen (Sachsen) 6. 5.1990 336 f., 1041; Dok. 60 f., 105, 153 f. Landtagswahl Sachsen 22. 6.1930 1040 20.10.1946 1041 14.10.1990 823–834 Weißwasser 269, 275, 401–414, 455, 460, 463, 475 f., 480, 1043 f.; Dok. 52, 75, 110, 234, 298 Werdau 1044 Wettiner 32 f., 61, 63–65, 275, 428, 741 f. Wirtschaft/Wirtschaftsordnung Sachsen Dok. 134 f., 225–227 Wohnungswesen Dok. 442–444 Zeulenroda 274, 1044 Ziegelheim 450 f.; Dok. 75 Zittau 460, 480 Zwickau Dok. 323