Die Bauhaus-Debatte 1953: Dokumente einer verdrängten Kontroverse 9783035602388, 9783764363758

Die bissige Attacke, die Rudolf Schwarz 1953 gegen Gropius und das Bauhaus führte, hat, was polemische Schärfe wie vor a

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Polecaj historie

Die Bauhaus-Debatte 1953: Dokumente einer verdrängten Kontroverse
 9783035602388, 9783764363758

Table of contents :
Inhalt
Das Bauhaus zwischen Mythisierung und Kritik
Aus der Redaktion geplaudert
Vorlauf in Briefen
„Bilde Künstler, rede nicht". Eine (weitere) Betrachtung zum Thema „Bauen und Schreiben"
Wie soll die Sache nun weitergehen?
Erste Reaktionen auf Schwarz' Aufsatz. Vier Briefwechsel mit Walter Gropius
Anmerkung zur Zeit: Debatte um Rudolf Schwarz
... einer gibt dem anderen das Wort weiter... Sieben Stimmen zur Berichtigung des Geschichtsbildes von Rudolf Schwarz
Festigung der Positionen. Briefe
Über die Fachwelt hinaus. Weiterführung der Debatte in werk und zeit, der Neuen Zeitung, der Frankfurter Allgemeinen und der Herder-Korrespondenz
Briefe zur Fortsetzung des Streitgesprächs
Wo liegt eigentlich der Kern der Diskussion um Rudolf Schwarz? Versuch einer Klärung
Notwendige Ergänzung zu einer „notwendigen Berichtigung"
"Was dennoch besprochen werden muß
Anmerkung zur Zeit: Mies van der Rohe in Deutschland
Bauhaus-Olympia?
„... einem tüchtigen Mann". Weitere Briefe
Rudolf Pfister Verwirrung auf der ganzen Linie! Ein Vorschlag zur Güte
Zum Abschluß der Schwarz-Debatte. Texte und Beiträge von Antoine de Saint-Exupéry, Friedrich Lehmann, Hubert Hoffmann, Emil Steffann, Alfons Leitl
Rudolf Schwarz' letzter Brief zur Sache
Nachlese
Biographische Notizen

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Bau welt Fundamente 100

Herausgegeben von Ulrich Conrads und Peter Neitzke Beirat: Gerd Albers Hansmartin Bruckmann Lucius Burckhardt Gerhard Fehl Herbert Hübner Julius Posener Thomas Sieverts

Die Bauhaus-Debatte 1953 Dokumente einer verdrängten Kontroverse Herausgegeben von Ulrich Conrads, Magdalena Droste, Winfried Nerdinger und Hilde Strohl

Sl vi eweg

Der Umschlag zeigt auf der Titelseite den vergrößerten Ausschnitt aus einem Brief von Rudolf Schwarz an Alfons Leitl vom 20. Dezember 1952, die Rückseite den vergrößerten Ausschnitt aus einem zur Veröffentlichung bestimmten Brief von Walter Gropius an Richard Docker vom 14. März 1953. Die Umwandlungen in Rot besorgte UC.

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Die Bauhaus-Debatte 1953 : Dokumente einer verdrängten Kontroverse / hrsg. von Ulrich Conrads ... - Braunschweig ; Wiesbaden : Vieweg, 1994 (Bauwelt-Fundamente ; 100) ISBN 3-528-06100-6 N E : Conrads, Ulrich [Hrsg.]; G T

Alle Rechte vorbehalten © Friedr. Vieweg & Sohn Verlagsgesellschaft mbH, Braunschweig/Wiesbaden, 1994 Der Verlag Vieweg ist ein Unternehmen der Verlagsgruppe Bertelsmann International. Umschlagentwurf: Helmut Lortz Herstellung: L&J Publikations-Service GmbH, Weinheim Satz: Satz- und Reprotechnik GmbH, Hemsbach Druck und buchbinderische Verarbeitung: Lengericher Handelsdruckerei, Lengerich Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 3-528-06100-6

ISSN 0522-5094

Inhalt

Winfried Nerdinger Das Bauhaus zwischen Mythisierung und Kritik

7

Ulrich Conrads Aus der Redaktion geplaudert

20

Vorlauf in Briefen

24

Rudolf Schwarz „Bilde Künstler, rede nicht". Eine (weitere) Betrachtung zum Thema „Bauen und Schreiben"

34

Wie die Sache nun weitergehen? Briefesoll zwischen Schwarz und Leitl

48

Erste Reaktionen auf Schwarz' Aufsatz. Vier Briefwechsel mit Walter Gropius

52

Alfons Leitl Anmerkung zur Zeit: Debatte um Rudolf Schwarz

62

... einer gibt dem anderen das Wort weiter... Sieben Stimmen zur Berichtigung des Geschichtsbildes von Rudolf Schwarz

65

Festigung der Positionen. Briefe

106 5

Über die Fachwelt hinaus. Weiterführung der Debatte in werk und zeit, der Neuen Zeitung, der Frankfurter Allgemeinen und der Herder-Korrespondenz

120

Briefe zur Fortsetzung des Streitgesprächs

144

Rudolf Steinbach Wo liegt eigentlich der Kern der Diskussion um Rudolf Schwarz? Versuch einer Klärung

152

Alfons Leitl Notwendige Ergänzung zu einer „notwendigen Berichtigung" . .

161

Rudolf Schwarz Was dennoch besprochen werden muß

162

Nochmals Briefe der Kontrahenten

179

Alfons Leitl zur Zeit: Mies van der Rohe in Deutschland Anmerkung Martin Wagner Bauhaus-Olympia?

188 192

»... einem tüchtigen Mann". Weitere Briefe

197

Rudolf Pfister Verwirrung auf der ganzen Linie! Ein Vorschlag zur Güte

202

Zum Abschluß der Schwarz-Debatte. Texte und Beiträge von Antoine de Saint-Exupéry, Friedrich Lehmann, Hubert Hoffmann, Emil Steffann, Alfons Leitl

214

Rudolf Schwarz' letzter Brief zur Sache

257

Nachlese

259

Biographische Notizen

261

6

Winfried

Nerdinger

Das Bauhaus zwischen Mythisierung und Kritik

Bauhaus gehört wie Kubismus oder Pop Art zu den international geläufigen Begriffen aus der Kunstwelt des 20. Jahrhunderts. Im Ausland wird das Bauhaus häufig sogar stellvertretend für die gesamte Moderne der 20er Jahre in Deutschland genannt, und besonders für Laien ist Bauhausstil bis heute ein Synonym für moderne Architektur. Die vielfältigen Gründe für diesen einzigartigen Erfolg einer Kunstschule brauchen hier nicht diskutiert zu werden. Einen entscheidenden Anteil daran hatte aber ohne Zweifel die bereits durch den Gründer Walter Gropius betriebene intensive Propaganda und Vermarktung. Gropius organisierte regelrechte Presse- und Vortragskampagnen, und der von ihm initiierte Presserummel stieß schließlich sogar Freunde wie Hans Poelzig ab, der erklärte, am Bauhaus solle doch mehr gearbeitet und weniger Lärm gemacht werden. Wortreich vertrat Gropius „sein" Bauhaus und bekämpfte selbst oder über Mitstreiter jede Kritik und jede von seiner Sicht abweichende Erklärung. Auch in den USA „korrigierte" er persönlich international renommierte Fachleute, wie Vincent Scully, Peter Collins, Bruno Zevi oder Reyner Banham, als sie wagten, am Bauhausglanz zu kratzen. Selbst Moholy-Nagys Frau Sibyl, die das Bauhaus in der Nachkriegszeit zu entmythisieren versuchte, erklärte Gropius für „nicht autorisiert"1. Mit dem ganz natürlichen Wandel von Ansichten und Erfahrungen im Laufe eines langen Lebens veränderte er allerdings selbst immer wieder „seine" Bauhaus-Geschichte. Die Bauhäusler, ihre zahlreichen Schüler und die „Bauhaus-Freunde" setzten diese immanente Kanonisierung und die Vermischung von historischen Fakten mit späteren Interpretationen bis heute fort. Diese systematische Stilisierung und Mythisierung des Bauhauses steht einer - noch zu schreibenden - historisch objektiven Darstellung am meisten im Wege. Eine neue Bauhaus-Geschichte müßte endlich künstlerische Kontinuitäten und äußere Einflüsse, Brüche und Manipulatio7

nen, Fehler und Schwächen, wirtschaftliche und politische Verflechtungen und insbesondere die durchgängige fundierte Kritik an dieser Schule und ihren Produkten aufzeigen. Da die quantitativ weit überwiegende Masse der Kritik am Bauhaus bis zur Nachkriegszeit aus dem konservativ-reaktionären Lager kam, sind die ernsthaften zeitgenössischen Gegenstimmen fast durchweg überhört oder verdrängt worden. Dabei nimmt eine Konfrontation der Bauhaus-Mythisierung mit der Bauhaus-Kritik dem Bauhaus nichts von einem Ruhm, im Gegenteil, im Spiegel seiner Kritiker - darunter Paul Westheim, Adolf Behne, Hugo Häring, Karel Teige, Bert Brecht, Ernst Bloch und besonders Rudolf Schwarz - könnten Qualität und Talmi, Realität und Wunschbilder besser erkannt und schärfer unterschieden werden. Nur auf diesem Weg kann im übrigen auch die ebenso modische wie dumme Verunglimpfung des Bauhauses durch Tom Wolfe, Heinrich Klotz oder Klaus Herdeg beantwortet werden. 2 Stilisierung und Propaganda begleiteten das Bauhaus von Anfang an. Einerseits wurden Gründung, Aufbau und Programm des Bauhauses in zahllosen Zeitungen und Zeitschriften bekannt gemacht - Feiningers berühmter Holzschnitt mit der „Bauhaus-Kathedrale" weckte dabei zusätzlich große Neugierde und prägte sich als Zeichen innerer „gotischer" Größe kurz nach der militärischen Niederlage besonders ein. Andererseits schloß Gropius das Bauhaus als „kleine verschworene Gruppe" 3 von der Kunstwelt ab und achtete sorgfältig darauf, daß möglichst keine Ergebnisse der Bauhausarbeit nach außen drangen. Erst nach Uberwindung der Aufbauphase sollte die Schule mit einer geschlossenen Leistung an die Öffentlichkeit treten. Diese von Gropius betriebene Mischung aus Propaganda und gleichzeitigem Sichabschließen war nicht nur in sich widersprüchlich, sondern setzte sofort einen Mechanismus von Reaktion und Gegenreaktion in Gang. Kleinhandwerker und Rechtsgruppen protestierten gegen das Bauhaus; Gropius mobilisierte „seine" Presse zu Hilfsaktionen; die Gegner mobilisierten „ihre" Presse; die Politiker der beiden Seiten wurden eingeschaltet, die sich nun selbst wieder mit Stellungnahmen profilieren wollten. Damit begann eine Propagandaspirale, die das Bauhaus zwar in aller Munde brachte, aber durch die auch ständig Fakten durch Parteinahme ersetzt wurden. 4 Als Gropius 1928 das Bauhaus verließ, erklärte er selbst, daß er fast seine gesamte Zeit mit Kämpfen für das Bauhaus verbracht habe. Propaganda, Vermarktung und Parteinahme überdeckten oder verzerrten z.T. bis heute die inneren Probleme und Brüche am Bauhaus. Bereits in der Aufbauphase, die noch vom expressionistischen Konzept vieler Leh8

rer und insbesondere vom Sektierertum Johannes Ittens geprägt war, fiel die erste große Krise des Bauhauses. Theo van Doesburg, der als Lehrer von Gropius verschmäht worden war, organisierte einen „Gegenkurs" in Weimar und schaffte es innerhalb von Monaten, das gesamte Erscheinungsbild der Schule auf seine geometrisch-puristischen De-Stijl-Vnnzipien auszurichten. Zwar übertrieb van Doesburg - auch er ein Meister der Propaganda - , als er behauptete, das Bauhaus sei von de Stijl völlig umgestülpt und neu geprägt worden 5 , aber unübersehbar bestimmte ein geometrisch-künstlerischer Formalismus die gesamte Werkstättenarbeit am Bauhaus bis zu Gropius' Weggang 1928. Genau diese künstlerische Uberformung technischer Produkte kritisierten dann fast gleichzeitig von zwei konträren Standpunkten her - Hannes Meyer als dekorativen „Bauhausstil" und Rudolf Schwarz als „künstlerischen Technizismus". Massive Kritik an diesem Formalismus, der ohne Zweifel bedeutende Kunst- und Designwerke, aber auch völlig mißglückte Produkte hervorbrachte, wurde von kompetenter Seite schon 1923 geäußert und begleitete von da an die Bauhausarbeit. Als Gropius im Sommer 1923 eine große Leistungsschau organisierte, auf der vor der Kunst- und Pressewelt ein aufwendiges Spektakel von Ausstellungen, Theater und Veranstaltungen ablief, schrieb Paul Westheim, abgestoßen vom geometrischen Schematismus der Bauhaus-Arbeiten, in der renommierten Berliner Avantgardezeitschrift Das Kunstblatt: „Drei Tage in Weimar und man kann sein Leben lang kein Quadrat mehr sehen." 6 Und selbst Adolf Behne, der profilierteste Architekturkritiker der Weimarer Republik und einer der engsten Freunde und Berater von Gropius, nannte die Bauhaus-Schau eine „ästhetische und papierene Angelegenheit" 7 . Zur Bauhaus-Woche 1923 organisierte Gropius auch die Ausstellung „Internationale Architektur", die sein Freund-Feind-Denken und seinen eigenen architektonischen Formalismus exemplarisch offenbarte. Er lud nur Architekten ein, die seiner Vorstellung vom geometrisch-kubischen Bauen entsprachen, und grenzte die gesamte Gruppe der „Organiker", wie Häring, Scharoun, Finsterlin oder Rading, absichtlich aus 8 . Einerseits verengte er damit die moderne Architektur auf eine bestimmte Richtung und schnitt eine Hauptwurzel der neuen Bewegung, nämlich die Herkunft vom organisch-floralen Jugendstil, ab. Dies kritisierten in der Folge insbesondere Hugo Häring und Rudolf Schwarz, die sich durch die Fixierung auf den geometrischen Architekturkubismus von der Moderne ausgeschlossen fühlen mußten. Andererseits definerte Gropius die Moderne nur über einige wenige formale „Erkennungszeichen" 9 - so die 9

treffende Kritik von Josef Frank. Insbesondere das flache Dach wurde von ihm geradezu zum „Symbol" des Neuen Bauens stilisiert, und er selbst entfachte darüber einen ebenso unseligen wie unsinnigen Kampf, denn diese Konstruktion war in den 20er Jahren technisch noch völlig unausgereift, und die daraus resultierenden zahllosen Bauschäden boten den Kritikern - darunter keineswegs nur Reaktionäre - eine besonders gute Angriffsmöglichkeit. Der erstmals 1923 auf der großen Bauhaus-Ausstellung unter dem Motto „Kunst und Technik eine neue Einheit" vorgeführte geometrische Formalismus fand dann, nach der von rechten und völkischen Kräften erzwungenen Schließung des Bauhauses in Weimar 1924, seine volle Entfaltung in Dessau. Gropius gab für die Werkstättenarbeit - Architekturunterricht gab es am Bauhaus bekanntlich erst ab 1927 - die Devise aus, das „Wesen"10 eines Gegenstandes sei zu erforschen und dann in eine adäquate Form zu bringen. Diese Wesenserforschung, die gegen den Historismus des 19. Jahrhunderts gerichtet war und auf eine „zeitlose", international gültige Gestaltung aller Produkte zielte, war jedoch schon im Ansatz problematisch. Einerseits wurde übersehen, daß das „Wesen" nur einseitig im Hinblick auf die Funktion untersucht wurde, die aber erst im Wechselspiel mit dem nutzenden Menschen, seiner Kultur und Tradition definiert werden kann. Andererseits wurde überhaupt nicht versucht, für die analysierte Funktion eine entsprechende neue Form zu finden, sondern die Gestaltung orientierte sich weiterhin an außerfunktionalen künstlerischen Vorstellungen, nun solchen von geometrischer technischer Schönheit. Der Schweizer Architekt und Kritiker Peter Meyer - keineswegs ein Konservativer, doch eben kein Dogmatiker - kritisierte das Ausblenden von Mensch und Tradition schon 1927: „Besonders am Bauhaus leistet man sich an klotziger Barbarei das Menschenmöglichste und hat dabei noch das stolze Gefühl, das wäre etwas Positives, während es auf eine kühle, unsentimentale, aber um so reinere Menschlichkeit ankäme.... Man kann sich mit lauter alten Möbeln durchaus ,modern', das heißt gemäß den Wohnfunktionen einrichten, und man kann aus lauter modernen Kubusmöbeln klassisch-axiale Ameublements aufbauen, die um nichts besser sind als ein Plüschsalon." 11 Zwar aus anderem Blickwinkel, aber ebenfalls gegen die von Gropius propagierte traditionslose „internationale" Form gewandt, polemisierte Bruno Taut 1929 gegen den „öden Schematismus des internationalen Schundes" 12 , der sich wie ein „verdünnter Aufguß 10

über die ganze Welt ergießt". Taut proklamierte dagegen eine neue Architektur, die aus den verschiedenen Bautraditionen entsprechend vielfältig herauswachsen sollte. Die Asthetisierung der Technik an Gropius' Bauhaus erbrachte nun ohne Zweifel viele „schöne" Produkte. Daß diese aber auch noch als Ausdruck einer „neuen Zeit" für den „neuen Menschen" propagiert wurden, erregte den Unmut selbst linker Kritiker. So schrieb Bert Brecht 1927, die „vorsätzliche Harmonie und diese reformatorische Zweckdienlichkeit"13 der „modernen Bauhauswohnung" sei einfach nicht auszuhalten, und Ernst Bloch amüsierte sich in Erbschaft dieser Zeit über jene Modernität, die schon „in jedem Schiebefenster ein Stück Zukunftsstaat"14 sieht. Auch Gropius' Freund Alexander Dorner verwies auf den Widerspruch zwischen ahistorischer immanenter Wesenserforschung und emanzipatorisch-politischem Anspruch der Bauhausprodukte, denn diese Art der Wesensschau erbringe in einem demokratischen Staat dasselbe Ergebnis wie in einem totalitären.15 Aus der Paarung von Bauhaus-Propaganda mit Bauhaus-Formalismus entstand in Dessau in typischer Folge des Zusammenhangs von Vermarktung und Markenzeichen der bald allgemein geläufige „Bauhausstil". Ernst Källai karikierte 1929 diese Entwicklung treffend: „Heute weiß jeder Bescheid. Wohnungen mit viel Glas- und Metallglanz: Bauhausstil. Desgleichen mit Wohnhygiene ohne Wohnstimmung: Bauhausstil. Stahlrohrsesselgerippe: Bauhausstil. Lampe mit vernickeltem Gestell und Metallglasplatte als Schirm: Bauhausstil. Gewürfelte Tapeten: Bauhausstil. ... Eine Wiener Modezeitschrift empfiehlt, Damenwäsche nicht mehr mit Blümchen, sondern im zeitgemäßen Bauhausstil mit geometrischen Dessins zu gestalten . . . Gropius und seine Mitarbeiter sind selbst schuld daran, daß dem Bauhaus ein wahrer Rattenschwanz von mehr oder minder üblen Kunstgewerblereien anhängt, die alle als Bauhausstil präsentiert werden."16 Daß die Fetischierung der reinen Geometrie selbst wieder zum Ornament werden kann, darauf verwies Ernst Bloch nochmals ausdrücklich 1959 in Das Prinzip Hoffnung: „Seit über einer Generation steht darum dieses Stahlmöbel-, Betonkuben-, Flachdach-Wesen geschichtslos da, hochmodern langweilig, scheinbar kühn und echt trivial, voll Haß gegen die Floskel angeblich jedes Ornaments und doch mehr im Schema festgerannt als je eine Stilkopie im schlimmen neunzehnten Jahrhundert."17 Als Gropius Anfang 1928 das Bauhaus verließ, versuchte sein Nachfolger Hannes Meyer, der konkrete linkspolitisch-soziale Ziele verfolgte, die 11

Schule von diesem Formalismus zu befreien. In der eigenen Schulzeitschrift bauhaus konnte Naum Gabo, wie als Absage an die Gropius-Zeit, die geometrische Asthetisierung der Technik am Beispiel der bereits berühmten Bauhaus-Lampe aufzeigen: Die Kugelform war nicht das Ergebnis einer Lichtberechnung oder Wesenserforschung, sondern reine Gestaltung nach geometrischen Prinzipien18. Hannes Meyer versuchte zwar, durch Intensivierung der objektiv berechnenden Grundlagenarbeit den Bauhaus-Formalismus zu überwinden, nicht zuletzt weil die Bauhaus-Produkte nur von einer kleinen Schicht Reicher und Gebildeter und keineswegs vom Proletariat rezipiert wurden; aber die „diktatorische Methode"19, die erzieherische Verordnung, wie der Mensch zu wohnen und zu leben habe, führte auch er weiter. Die Kritik am Bauhaus von linker Seite setzte sich deshalb auch unter Meyer fort: „Der Bauhausstil hat auch seine soziale Anwendung: den kleinen Siedlern, Arbeitern, Beamten und Angestellten gegenüber. Die werden serienweise in Mindestwohnungen verpackt. Alles sehr zweckvoll und wirtschaftlich. Möbel und Hausgeräte in Reichweite und, laut Westheim: den Gasschlauch im Mund."20 Als allerdings Meyer 1930 entlassen und Mies van der Rohe als neuer Bauhaus-Direktor mit Brachial- und Polizeigewalt die Studenten disziplinierte und für gutbürgerliche Ruhe und Ordnung sorgte, brach erst wirklich die linke Kritik über das Bauhaus herein, das als „Rad in der Maschinerie der kapitalistischen Klasse"21 „auf dem Weg zum Faschismus"22 beschimpft wurde. Neben der Kritik aus dem rechten und linken Lager findet sich Ende der 20er Jahre noch eine dritte Position, die auf die Schwächen und Probleme des Bauhauses verwies. Ihr wortmächtiger Sprecher war Rudolf Schwarz, der schon 1927/28 betonte, daß die Geometrie auf Reduktion der Natur basiere, daß die exakte Form „in tiefer Analogie zu lebloser Natur"23 stehe und deshalb Kälte und Einöde erschaffe, in der die „Armut und die Lieblichkeit des Lebens" absterben. Dieser reduzierten Welt setzte er die „komplexe Wirklichkeit", das Schöpferische und Organische entgegen, das Wärme und „Lebensraum der Menschlichkeit" erschaffe. Mit dem Gegensatz von geometrischer und organischer Form argumentierte fast gleichzeitig Hugo Häring24, der damit aber einen völkerpsychologischen Ansatz ä la Spengler verband und die Geometrie als Ausdruck des mediterranen, das Organische hingegen als Wesen des nordischen Menschen interpretierte. Für den Katholiken Schwarz ging es auf umfassendere Weise um die Bedrohung aller Menschen durch eine fehlgeleitete Technik und einen 12

„werkwerdenden Materialismus"25. In mehreren philosophisch fundierten Beiträgen, die sich auf Dessauer, Guardini und Hildebrand26 stützen, verwies Schwarz schon Ende der 20er Jahre darauf, daß die technische Formgebung von Behrens bis Gropius nur die Gegenstände „dekoriere"27, damit die technische Welt „künstlerisch verkläre" und letztlich nur neues Kunstgewerbe fertige. Dieser „künstlerische Technizismus" der „senkrecht-waagrecht Rationalisten" übersehe, daß der technische Zweck immer im Bezug zum „handhabenden Menschen" steht und dementsprechend gestaltet werden muß. Im Gegensatz zum Technizismus und zum „dummen und zweckvergnüglichen Materialismus" forderte Schwarz das „gläubige Werk echter Technik"28, das in Verbindung mit dem lebendigen Ganzen steht. Ein Programm, das allerdings für einen „Ungläubigen" schwer nachvollziehbar ist. Es ging Schwarz jedoch nicht nur um eine weltanschauliche Debatte, sondern wie manch anderer treuer Poelzig-Schüler fühlte auch er sich von den „verschiedenen Kundgebungen, mit denen das Bauhaus die Erde beglückte"29, abgestoßen. Als wortgewaltiger Polemiker attackierte Schwarz deshalb schon 1929 die Frankfurter und Dessauer Richtung der Moderne, die „aus einer brauchbaren Kücheneinrichtung eine unbrauchbare Ideologie gemacht"30 hätte. „Es ist da eine widerliche Orthodoxie entstanden mit trostlosen Programmen, mit einer Hierarchie unwahrscheinlich talentloser Literaten und einem Konzern garantiert rechtgläubiger Zeitschriften, in denen man sich gegenseitig lobt und wichtig nimmt." Eine Auseinandersetzung um diese massiven Angriffe fand nicht mehr statt, einerseits weil Mies das Bauhaus nicht nach außen verteidigte und andererseits weil sich mit der beginnenden Wirtschaftskrise viele Probleme verschoben oder von selbst erledigten. Schon 1932 erklärte Schwarz: Der Bauhausstil „war eine Sackgasse, und die lebendige Baukunst ist über diesen Zustand längst hinausgekommen".31 Seit 1933 zählte dann das Bauhaus zu den offiziellen Feindbildern. Dennoch fanden viele Bauhäusler und Bauhaus-Ideen durchaus einen Platz im NS-System32, und mit gewissen Einschränkungen konnte es auch positiv erwähnt werden. So schrieb Alfons Leid noch 1937 im wichtigen Wasmuths Lexikon der Baukunst, genauso wie viele Kritiker vor und nach der Nazi-Zeit: „Das Bauhaus hat zum Teil gute Arbeiten hervorgebracht (Keramik, Metallgegenstände, Tapeten, Stoffe). Daneben aber wurde auch manche zwecklose Materialspielerei betrieben, und bisweilen hat eine zweifelhafte politische sowie ästhetische Programmatik die sachliche Werkarbeit verunklärt."33 13

Die immer wieder kritisierte Neigung zu übertriebener Propaganda und Vermarktung verließ Gropius auch in den USA nicht, wo er seit 1937 in Harvard an der Graduate Scbool of Design modifizierte Bauhaus-Ideen für Amerikas Architektur-Elite lehrte. Schon 1938 organisierte er zusammen mit Herbert Bayer und Marcel Breuer am Museum of Modern Art in New York eine große Bauhaus-Ausstellung, mit der er seinen Ideen in den USA die nötige Resonanz verschaffen wollte. Diese Bauhaus-Show34, die bezeichnenderweise nur die Gropius-Zeit 1919-1928 behandelte, war jedoch eine derartig plumple Eigenpropaganda der Veranstalter und verzeichnete den Stellenwert des Bauhauses in der Entwicklung der modernen Kunst so sehr, daß eine wahre Empörungswelle gegen „The Bauhaus Helotry" 35 aus dem ganzen Land über das Museum niederging. Alfred H. Barr jr., Direktor des Museums und Amerikas Kunstpapst für die Moderne, distanzierte sich daraufhin - ähnlich wie Frank Lloyd Wright u. a. mit sarkastischen Bemerkungen von Gropius.36 Nach dem Krieg reiste Gropius mehrfach als eine Art Sonderbotschafter durch das zerstörte Deutschland und schrieb einen Bericht mit Vorschlägen zum Wiederaufbau an Lucius D. Clay. Seine Vorträge auf diesen Reisen wurden in Deutschland äußerst gemischt aufgenommen, da er reichlich großspurig die in Ruinen Hungernden aufforderte, nicht kleinmütig Flickwerk zu leisten, sondern große neue Planungen vorzunehmen und die Chance zu radikalen Umstrukturierungen der Städte und des Bauwesens zu nutzen.37 Auch seine dezidierte Parteinahme für alte Bauhäusler und ehemalige Mitstreiter führte zu heftigen Kontroversen. Die Etablierung vieler Bauhäusler oder Bauhaus-Sympathisanten an wichtigen Positionen sowie die Vorliebe der amerikanischen Besatzungsmacht für Moderne sicherten dem Bauhaus als Begriff für Umdenken, Freiheit und Demokratie indessen bald einen wichtigein Platz im westlichen Nachkriegs-Deutschland. (Im Osten war das Bauhaus im Zuge einer „nationalen" Aufbauarchitektur in den 50er Jahren offiziell als „international", „amerikanisch" oder „kosmopolitisch" verpönt, Walter Ulbricht brandmarkte 1952 den „Bauhausstil" öffentlich als „volksfeindliche Erscheinung"38.) In den ersten Jahren der Nachkriegszeit versuchten aber auch zahlreiche andere Gruppierungen, ihre Vorstellungen vom materiellen und insbesondere geistigen Wiederaufbau zu etablieren. Die extremste Gegenposition zur Moderne formulierte Hans Sedlmayr in seinem Buch Verlust der Mitte. Ganz ähnlich wie nach dem ersten Weltkrieg Oswald Spenglers Untergang des Abendlandes zum Verkaufserfolg und Trostbuch einer 14

geschlagenen Nation avancierte, so lieferte nun Sedlmayrs spekulatives Machwerk für alle konservativen oder reaktionären Geister eine Entschuldigung für die Nazi-Zeit, denn diese schrumpfte zum Endpunkt einer Entwicklung, die als Weg von der Französischen Revolution in das „entfesselte Chaos" am Beispiel der modernen Kunst, dem „Symptom und Symbol der Zeit" 39 , beschrieben wurde. Darüber hinaus lieferte Sedlmayrs „Diagnose" des Verlusts der heilen christlichen Weltmitte durch Technik und Autonomie des Menschen eine implizite Aufforderung, das Heil wieder in der christlichen „Ordnung" zu suchen. Während Sedlmayr die gesamte moderne Bewegung und insbesondere den „Totalitarismus des Neuen Bauens" 40 mit dessen „Tendenz zum Anorganischen" verdammte, äußerten sich etwa gleichzeitig wieder Häring und Schwarz als Kritiker an einer einseitig geometrisch-technizistischen Sicht der Moderne. Während Häring41 aufs neue zwischen mediterraner Geometrie und nordischer Organik unterschied, was nach dem Blutund-Boden-Kult der Nazis einen unangenehmen Beigeschmack hatte, legte Schwarz 1949 die Publikation Von der Bebauung der Erde vor, ein großangelegtes Manifest mit Leitbildern für den Neuaufbau (allerdings auch bezogen auf seine Raumplanung im besetzten Lothringen), das in dem Bekenntnis kulminierte: „Uns ist Planung nicht Rationalisierung, und alles, was hier gesagt wurde, ist der einzigen Sorge entsprungen, sie könnte es einmal werden." 42 In dem Maße, wie sich in den folgenden Jahren der Neuaufbau aber doch fast ausschließlich an Rationalisierung, Wirtschaftlichkeit und „Geometrie" orientierte, verschärfte Schwarz seine Angriffe. Anläßlich der Eröffnung einer Poelzig-Ausstellung kritisierte er auch 1951 wieder am Neuen Bauen der 20er Jahre, daß „eine ganze Architektengeneration einem widerlichen Kult der Zwecke anheimfallen konnte, jenem Konstruktivismus und Materialismus".43 Beim zweiten Darmstädter Gespräch über Mensch und Raum44 erneuerte Schwarz im gleichen Jahr seine Attacken gegen die Ausrichtung der Architektur nach Rationalismus und Funktion. Von Bonatz daraufhin angegriffen, verteidigten ihn Ortega y Gasset und später Hugo Kükelhaus gegen die „Zweckrechner" 45 . Als dann Alfons Leid, Herausgeber der damals renommiertesten deutschen Architekturzeitschrift, Baukunst und Werkform, Schwarz 1952 zu einem Artikel aufforderte, der eigentlich nur die Vorstellung einiger Bauten Leitls begleiten sollte46, verfaßte Schwarz unter dem Goethe-Zitat „Bilde Künstler, rede nicht" 47 eine ausführliche Generalabrechnung mit der nach seiner Meinung fehlgeleiteten Architekturentwicklung. 15

Im Gegensatz zu Sedlmayr, an den manchmal seine Argumente erinnern, ging es Schwarz letztlich um eine Verteidigung der von ihm selbst vertretenen Moderne - in der Debatte dann als „schwarze Moderne" diffamiert - , die er in die „abendländische" Tradition eingebunden sah. Für ihn gab es eine „große geistige Uberlieferung", eine Brücke vom Barock zu Poelzig, von der Gotik zu Bartning, von Otto Wagner und van de Velde zu Mies und Schwarz. Dieses „abendländische Gespräch" sei aber durch den „ungeistige(n) Terrorismus diktatorischer Gruppen, namentlich der Bauhausliteraten und später natürlich der Meister vom tausendjährigen Reich", zum Verstummen gekommen. Diese schockierende Behauptung einer Kontinuität von der Bauhaus-Moderne zur NS-Architektur, die Schwarz noch in die Gegenwart fortsetzte - das Bundesbauamt liefere „vollgültigen Ersatz" für die Reichskanzlei - , wurde im folgenden Streit überhaupt nicht diskutiert, obwohl hier der eigentliche Sprengsatz von Schwarz' Argumentation lag und bis heute liegt. Seine Warnung vor Funktionalismus und geometrischem Technizismus und sein Appell für eine Alternative zum Raster-Einerlei der Wiederaufbau-Architektur wurden nicht gehört. Diskutiert wurde nur seine, die eigentliche Argumentation begleitende Attacke gegen das Bauhaus und der damit verbundene persönliche Angriff auf Gropius. Im Zuge seiner Polemik gegen das tödliche „Gift" des Materialismus, gegen die „unerträgliche Phraseologie" des Bauhauses, gegen die „vorlauten und aufgeregten Terroristen" ließ sich Schwarz zu dem Satz hinreißen, Gropius „konnte offenbar nicht denken". (Alfons Leid distanzierte sich schon im Text durch eine Anmerkung von dieser Sottise.) Damit war eine Lawine losgetreten, die nun über die Redaktion von Baukunst und Werkform hereinbrach. Uber wütende Briefaktionen wurde von der Bauhaus-Seite ein Gegenangriff aufgebaut. Im folgenden Heft versuchte Leid eine Art Schadensbegrenzung, indem er sieben (!) Gegenstimmen zu Schwarz hintereinander zum Abdruck brachte. Wer sich allerdings alles zum Ehrenretter des Bauhauses aufschwang, entbehrt nicht der Komik, und daß ausgerechnet Rainer Röhl, der zuerst zu van Doesburg und später zu den Nazis übergelaufen war, eine Bauhaus-Geschichte verfaßte, war eher grotesk. Nachdem sich die immer heftiger werdende Diskussion in den folgenden Wochen auf andere Zeitungen und Zeitschriften ausdehnte, glaubte Leitl wohl, daß sich nun auch wieder die Schwarz-Seite wehren dürfte, er ließ Schwarz' Freund Rudolf Steinbach und Schwarz selbst zu Wort kommen. Steinbach griff Schwarz' Kritik am Bauhaus-Gebäude in Dessau auf, verwies auf Kon16

struktionsfehler sowie auf die Diskrepanz zwischen Funktion und Form. Schwarz selbst, der erkannt hatte, daß die persönliche Polemik seiner Argumentation geschadet hatte, schlug gegenüber dem „Heiligtum" Gropius, das er als „Tempelschänder" besudelt hatte, mildere und ironische Töne an, um dafür aber sein eigentliches Anliegen, nämlich die Kritik am Traditionsverlust und am geometrischen Technikkult des Bauhauses, in aller Schärfe beizubehalten. Wenn Leid geglaubt hatte, daß er damit die Angelegenheit abschließen könnte, sah er sich getäuscht, denn in den folgenden Wochen und Monaten weitete sich die Debatte noch weiter aus. Auf die Dimensionen dieser Diskussion - Hunderte von Gesprächen, Beschimpfungen und dazu Abbestellungen der Zeitschrift - kann man nur von Sätzen Leitls rückschließen, mit denen er im Oktoberheft endgültig ein Schlußwort setzte. Der auf Leitl ausgeübte Druck wird nur indirekt an der Schärfe seines Schlußwortes, in dem er sich gegen die „fröhlichen SA-Männer der neuen Architektur" verwahrte, sichtbar. Direkt ablesbar wird die Stärke des Gegenangriffs der Bauhaus-Seite daran, daß Leitl, der damals wohl renommierteste Architekturjournalist Deutschlands, nur noch pro forma einige Monate lustlos weiter als Herausgeber amtierte und dann, nach einer internen Auseinandersetzung mit Eugen Kogon, dem Verleger von Baukunst und Werkform, aus der Zeitschrift verschwand. Auf die Schwarz-Debatte, eine der heftigsten Architekturdiskussionen der Nachkriegszeit in Deutschland, wurde zwar in den folgenden Jahren immer wieder in den Zeitschriften und bei Veranstaltungen verwiesen, der größere Zusammenhang aber, die Frage nach einer anderen Moderne neben dem geometrischen und wirtschaftlichen „Bauhausstil", wurde erst wieder diskutiert, als das sogenannte Wirtschaftswunder die Unwirtlichkeit der Städte schon unwiderruflich besorgt hatte.

Anmerkungen 1

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Die Korrespondenz von Gropius mit den erwähnten Kritikern bzw. den Zeitschriften, in denen die Kritiken erschienen, sowie die Briefe von Ise Gropius an Sibyl M o h o l y - N a g y befinden sich vollständig im Bauhaus-Archiv Berlin Tom Wolfe, Mit dem Bauhaus leben, Königstein/Ts. 1981; Heinrich Klotz, Revision der Moderne, München 1984; ders., Ästhetischer Eigensinn, in: arch+ 63/64, S. 92f.; Klaus Herdeg, The Decorated Diagram: Harvard Architecture and the Failure of the Bauhaus Legacy, Cambridge/Mass. 1983 Walter Gropius, D a s Ziel der Bauloge, Manuskript 1919, im Bauhaus-Archiv Berlin

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Vgl. die von Gropius organisierte Sammlung in drei Folgen: Pressestimmen für das staatliche Bauhaus Weimar, Weimar 1924 (Reprint München 1980); über einen Pressedienst ließ Gropius sämtliche Artikel zum Bauhaus zusammentragen und antwortete persönlich auf fast alle Angriffe, vgl. dazu die riesige Ausschnittsammlung sowie die zugehörige Korrespondenz im BauhausArchiv Berlin Vgl. Willem Huszar, Das staatliche Bauhaus in Weimar, in: de Stijl, Heft 9, 5. Jg. 1922, S. 135; Carsten-Peter Warncke, Das Ideal der Kunst - De Stijl 1917-1931, Köln 1990, S. 156ff. Paul Westheim, Bemerkungen zur Quadratur des Bauhauses, in: Das Kunstblatt 1923, S. 319f.; zum Bauhaus-Formalismus 1923 vg). Staatliches Bauhaus Weimar 1919-1923, Weimar-München 1923, S. 73 ff., 110 Adolf Behne, Das Bauhaus in Weimar, in: Die Weltbühne vom 20.9.1923, S. 291; ders., Bauhausresumee, in: Sozialistische Monatshefte Heft 9,1923; vgl. auch die Kritik von Mies van der Rohe: „ . . . der wüste konstruktivistische Formalismus in Weimar . . . und die dort herrschenden künstlerischen Nebel", Brief an Jakstein vom 13.9.1923, Mies-Nachlaß Library of Congress; zur Kritik von Le Corbusier am Bauhaus vgl. Winfried Nerdinger, Standard und Typ: Le Corbusier und Deutschland 1920-1927, in: Stanislaus von Moos (Hrsg.), L'Esprit Nouveau, Berlin 1987, S. 4 4 - 5 3 Vgl. den Einladungsbrief von Gropius an Mies zur Teilnahme an der Ausstellung Internationale Architektur vom 4.6.1923 im Bauhaus-Archiv Berlin Hans Frank, Architektur als Symbol, Wien 1931, S. 126-135 Walter Gropius, Grundsätze der Bauhausproduktion, in: Neue Arbeiten der Bauhauswerkstätten, Bauhausbücher Nr. 7, München 1925, S. 5 Peter Meyer, Moderne Architektur und Tradition, Zürich 1927, S. 42 und 64 Bruno Taut, Die neue Baukunst in Europa und Amerika, Berlin 1929, S. 54 Bert Brecht, Nordseekrabben oder Die moderne Bauhauswohnung, zitiert nach ders., Über die bildenden Künste, hrsg. von Jost Hermand, Frankfurt/Main 1983, S. 5 0 - 5 9 Emst Bloch, Erbschaft dieser Zeit, Frankfurt/Main 1962, S. 219 Notizen von Dorner zu einem Bauhaus-Buch im (ungeordneten) Nachlaß im Busch-Reisinger Museum Cambridge/Mass. Ernst Källai, Zehn Jahre Bauhaus, in: Die Weltbühne 1930, S. 135-139, zitiert nach: ders., Vision und Formgesetz, Aufsätze über Kunst und Künstler 1921-1933, Leipzig und Weimar 1986, S. 133 f., 136 Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, Frankfurt/Main 1959, S. 860 Naum Gabo, gestaltung?, in: bauhaus 1928, Heft 4, S. 2 - 6 ; Gabo spricht von „zur gestalt gewordenen fetischen", die mit einer „kultischen andacht" betrachtet werden. Vgl. die weitere Diskussion zwischen Gabo und Marianne Brandt, in: bauhaus 1929, Heft 1, S. 21; zur Auseinandersetzung Meyer-Gropius sowie zur Verdrängung von Meyer aus der Bauhaus-Rezeption vgl. Winfried Nerdinger, „Anstößiges Rot" Hannes M e y e r und der linke Baufunktionalismus - ein verdrängtes Kapitel Architekturgeschichte, in: hannes meyer 1889-1954 architekt urbanist lehrer, Berlin 1989, S. 1 2 - 2 9 Adolf Behne, Dammerstock, in: Die Form 1930, S. 1 6 3 - 1 6 6 Källai, Bauhaus (Anm. 16), S. 134 Der „neue Kurs" am Bauhaus, in: Rote Fahne vom 6.6.1930 Zeitungsausschnitt aus der A . I . Z . im Bauhaus-Archiv Berlin, Gropius-Nachlaß l l / 1 6 9 f . Rudolf Schwarz, Wegweisung der Technik und andere Schriften zum Neuen Bauen 1926-1961, herausgegeben von Maria Schwarz und Ulrich Conrads, Braunschweig 1979, S. 61, dort auch die folgenden Zitate; zum Topos der seelenlosen „kalten" Moderne vgl. Helmut Lethen, „Lob der Kälte" ein Motiv der historischen Avantgarden, in: Dietmar Kamper und Willem van Reijen (Hrsg.), Die unvollendete Vernunft: Moderne versus Postmoderne, Frankfurt/Main, S. 2 8 2 - 3 2 4 Hugo Häring, Zwei Städte: eine physiognomische Studie, zugleich ein Beitrag zur Problematik des Städtebaus, in: Die Form, Mai 1926, S. 172-175; ders., Bemerkungen zum ästhetischen Problem des Neuen Bauens, in: Bauwelt 1931, S. 614f.

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Schwarz, Wegweisung (Anm. 23), S. 62 Vgl. Paul Dessauer, Technik - Kultur - Kunst, in: Die Form 1929, S. 479ff.; Dieter von Hildebrand wird von Schwarz im Aufsatz „Baustelle Deutschland" zitiert, vgl. Schwarz, Wegweisung (Anm. 23), S. 141; der enge geistige und freundschaftliche Zusammenhang zwischen Romano Guardini und Schwarz braucht hier nicht weiter ausgeführt zu werden, vgl. insbesondere die Beiträge in der Zeitschrift „Die Schildgenossen" Schwarz, Wegweisung (Anm. 23), S. 63, dort auch die folgenden Zitate Rudolf Schwarz, Neues Bauen, in: Die Schildgenossen 1929, S. 207-217, Wiederabdruck in: Schwarz, Wegweisung (Anm. 23), S. 121-131, Zitate S. 129f. Schwarz, Neues Bauen (Anm. 28), S. 124 Schwarz, Neues Bauen (Anm. 28), S. 126 Rudolf Schwarz, Baustelle Deutschland (1932), in: Schwarz, Wegweisung (Anm. 23), S. 141 Vgl. Winfried Nerdinger (Hrsg.), Bauhaus-Moderne im Nationalsozialismus, München 1993 Alfons Leitl, Artikel Bauhaus, in: Wasmuths Lexikon der Baukunst, Band V, Berlin 1937, S. 72 Herbert Bayer, Walter Gropius, Ise Gropius, Bauhaus 1919-1928, N e w York 1938 Hervey M. Watts, Bauhaus Helotry, in: Art Digest 1.8.1939, S. 26ff.; Jacques Fernand Levy, in: Architectural Record Jan. 1939, S. 71ff.; eine Zusammenstellung der Bauhaus-Kritiken im Bauhaus-Archiv, Gropius-Nachlaß 51/163 Brief von Barr an Gropius vom 3.3.1939, vgl. Winfried Nerdinger, Walter Gropius, Berlin 1985, S. 23 f. Vgl. die Berichte über Gropius' Vorträge in Deutschland sowie seinen Streit mit Karl Bonatz in: Neue Bauwelt 1947 sowie die heftige Kritik im Baumeister 1947 Zitiert in: Baukunst und Werkform 1952, Heft 4, S. 48 Hans Sedlmayr, Verlust der Mitte - Die bildende Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts als Symptom und Symbol der Zeit (Salzburg 1948), Frankfurt/Main - Berlin 1955 Sedlmayr, Verlust (Anm. 39), S. 61 Akademie der Künste (Hrsg.), hugo häring, vom neuen bauen, über das geheimnis der gestalt, Berlin 1957 (Reihe: Anmerkungen zur Zeit); zu Härings Unterscheidung zwischen mediterran und nordisch vgl. Hugo Häring, Für die Wiedererweckung einer deutschen Baukultur, Manuskript 1934, abgedruckt bei Matthias Schirren, Was ist .deutsche' Baukunst, in: Peter Hahn (Hrsg.), bauhaus berlin, Weingarten 1985, S. 253-285 Rudolf Schwarz, Von der Bebauung der Erde, Heidelberg 1949, S. 235 Rudolf Schwarz, Hans Poelzig, in: Baukunst und Werkform 1951, Heft 3, S. 45 Rudolf Schwarz, Das Anliegen der Baukunst, in: Mensch und Technik, Darmstadt 1952, S. 60-71, „Das Wort,Moderne Architektur' ist ein Unsinn in sich selber." Hugo Kükelhaus, in: Baukunst und Werkform 1952, Heft 11, S. 19 Frdl. Hinweis auf diesen Zusammenhang von Ulrich Conrads Vgl. für die Zitate aus diesem Artikel und aus der folgenden Diskussion den Wiederabdruck aller Beiträge in diesem Band

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Ulrich Conrads

Aus der Redaktion geplaudert

Als Alfons Leitl, Initiator und Herausgeber der Zeitschrift Baukunst und Werkform, mich im Spätherbst des Jahres 1952 anwies, für das Dezemberheft keine weiteren inhaltlichen Anstrengungen zu machen, denn er wolle diese Ausgabe in der Hauptsache seinen eigenen Bauten widmen, muß ich sehr skeptisch dreingesehen haben. Jedenfalls sah sich Leitl veranlaßt, mir sehr deutlich zu erklären, daß es, nachdem er jahrzehntelang über anderer Leute Bauten geschrieben habe, höchste Zeit sei, nun auch einmal das eigene architektonische Werk vorzuführen und dabei - nach so vielen kritischen Einlassungen - auch endlich eigene Bauideen zur Diskussion zu stellen. Alle Welt solle sehen, daß ein Schreiber auch gut bauen könne, daß er sich aufs Entwerfen mitnichten schlechter verstehe als auf Architekturkritik. Sehr vorsichtig und nur in Andeutungen versuchte ich - zu jenem Zeitpunkt erst wenig mehr als ein Jahr mit moderner Architektur befaßt Leitl von seiner Absicht abzubringen: Er setze damit seine Autorität und Glaubwürdigkeit als Sachwalter und Kritiker aufs Spiel. Leitl nahm jedoch das Argument nicht nur nicht an, sondern verwies mich ärgerlich in meine Redakteursrolle. Kein Geringerer als Rudolf Schwarz werde seine Bauten kommentieren und diesen Aufsatz - Titel: Vom Bauen und Schreiben - rechtzeitig für das letzte Heft des Jahres abliefern. So oder so, ich sah eine prekäre Situation für den Herausgeber und Kritiker Leitl voraus. Aber es war ja zu verstehen: Je eindeutiger er hierzulande als kluger und außerordentlich kenntnisreicher Schreiber zum unbestrittenen Wortführer der Architekturpublizistik avancierte, um so mehr litt er darunter, als Architekt nicht ernst genommen zu werden. Durfte seine Anstrengung, sich während des Krieges im legendären Baubüro Hermann Rimpl autodidaktisch vom Architekturkritiker zum Architekten und Planer ausgebildet zu haben, mit offener Mißachtung oder Verkennung beantwortet werden? Das war es, was ihn aufstachelte, nun 20

wenigstens im eigenen Blatt die Ergebnisse seiner Bautätigkeit zu präsentieren, die doch - für mich jedenfalls - nicht entfernt an den Rang seiner Texte, seiner mutigen und klugen Stellungnahmen, seiner bissigen, von Ironie triefenden Glossen, seiner Architekturbeschreibungen und Architekturkritiken heranreichten. Nicht ohne Grund war ja Baukunst und Werkform zum Sprachrohr derer geworden, die - der sogenannten „inneren" Emigration zugehörig - die Moderne über das Tausendjährige Jahrzwölft hinweg in die Gegenwart und die kommende Zeit weiterzuführen suchten. Dank Leitls umsichtiger Gesprächsführung war die Zeitschrift von 1948 an schnell zum Sammelbecken und zugleich Publikationsorgan dieser Bestrebungen geworden. Es war insofern ein besonderer Ort, an dem nun wenig später die sogenannte „Schwarz-Debatte" nicht weniger als sieben Ausgaben des Jahrgangs 1953 in Beschlag nehmen sollte - nämlich eine Zeitschrift, die neben der alten Vor-NS-Bauwelt vor allem auch Wasmuths Monatshefte und beiläufig auch Moderne Bauformen im Traditionsgepäck hatte. Aus dem Inhaltsverzeichnis des Dezemberheftes 1952 erfuhren nun die Leser, daß ihnen in dieser Ausgabe Einige Nachdenklichkeiten über Bauen und Schreiben unterbreitet werden und daß der Aufsatz, sahen sie nur genau hin, 31 Seiten mit Arbeiten nur eines einzigen Architekten einleitet: Bauten zwischen Niederrhein und Mosel von Stadtbaurat a. D. Alfons Leitl, Trier-Rheydt. Doch der Autor dieses Textes heißt nicht Rudolf Schwarz, er heißt - Alfons Leitl. Wiewohl Professor Schwarz Wort gehalten hatte: Der von ihm erbetene Aufsatz lag am 5. Dezember 1952 auf Leitls Arbeitstisch in Trier wie in der Frankfurter Redaktion, Schaumainkai 53. Spät und doch pünktlich, denn die Monatshefte von Baukunst und Werkform erschienen meist nicht vor der Mitte des Folgemonats (worauf auch die zum Teil rätselhaften Datenüberschneidungen bei den in diesem Band aufgereihten Dokumenten zurückzuführen sind). Der dagegen anarbeitende Redakteur wurde beschieden, daß auch Die Fackel seinerzeit nur dann erschienen sei, wenn der Herausgeber es für richtig und ihm zuträglich gehalten habe. Dies nebenbei. Wichtig im Hinblick auf alles, was nun folgen sollte, war der Umstand, daß Alfons Leitl zwar bei Schwarz im Wort war, den Aufsatz ohne Änderung und Kürzung zu bringen, ihn aber nicht zu den eigenen Bauten, also in „sein" Heft stellen mochte. Der Schwarz-Text Bilde Künstler, rede nicht wurde ins Januarheft 1953 geschoben, und Alfons Leitl machte sich eilends und verärgert daran, 21

seine Arbeiten selbst zu kommentieren; so, wie schon erwähnt, mit Einige Nachdenklichkeiten ... überschrieben. Ich gab derweil den Text von Schwarz in die Setzerei, wie verlangt ohne jeden redaktionellen Eingriff (den er, wie spätere Reaktionen zeigen, dennoch erwartet hatte: Die Redaktion hätte gut daran getan, um diese oder jene Milderung zu bitten. Typisch Schwarzsche Häme!), und sorgte für den übrigen Heftinhalt: einen eigenen Aufsatz über den Umgang des Architekten mit Photographie, zu Aufnahmen von Wright Morris; einen (ausgeliehenen) Beitrag von Rudolf Krämer-Badoni zum Gespräch über Mensch und Technik, dazu bescheidene Einfamilienhäuser von Hans Broos und Peter Abelen sowie allerlei Berichterstattung. Kaum war dieses erste Heft des Jahrgangs 1953 Mitte Februar endlich bei den Lesern, brach eine Flut von Protesten und Beschimpfungen über den Herausgeber und die Redaktion herein. Leitl hatte das zwar befürchtet, doch den Grad der Aufregung und vor allem die Härte der Reaktionen auf Rudolf Schwarz' Text wohl weit unterschätzt. Er fühlte sich in seiner liberalen Haltung verkannt, sah sich plötzlich als Ziel wütender Angriffe, die doch eigentlich an eine andere Adresse zu richten waren. Sämtliche Freunde, so sein Eindruck, ließen ihn im Stich. In der Tat, nicht wenige der bisherigen, der Zeitschrift freundschaftlich zugetanen Mitarbeiter, wie etwa Otto Bartning, Werner Hebebrand, wünschten, künftig nicht mehr mit Rudolf Schwarz zusammen im Impressum genannt zu werden. Mit beschwichtigenden Telefonaten und Briefen gelang es Leitl, wenigstens nach außen hin den Schein zu wahren und die Mitarbeiterliste mit nur drei Ausnahmen - Hebebrand, Trautwein, Wagenfeld - bis Ende des Jahres zu halten. Für 1954 wurde die Liste dann ganz gestrichen. An mir persönlich ging der Sturm relativ schnell vorüber. Ich sah mich nicht betroffen und hatte überdies eilends für die nächsten Ausgaben zu sorgen. Mitten in den Vorbereitungen tauchte Alfons Leitl plötzlich mit einem Bündel von Manuskripten in Frankfurt auf, und die nächsten Hefte wurden zu einer Doppelnummer gemacht. Es galt für Leitl, nicht nur Zeit aufzuholen, sondern den Antworten auf Rudolf Schwarz' Attacke gegen Gropius und das Bauhaus mehr Gewicht und Wirkung zu geben. Heute, 40 Jahre später, sehe ich, daß mir Alfons Leitl damals viele Zuschriften nicht zur Kenntnis gebracht und mir auch seine Antworten vorenthalten hat. So wie er auch Gespräche in der Sache durchweg für sich behielt. Lediglich das, was in die Zeitschrift sollte, kam in meine Hände. Ursprünglich wollte Leitl die Debatte nach Abdruck des vermittelnden Beitrags von Rudolf Steinbach und Schwarz' zweiter Wortmeldung im 22

Aprilheft des Jahrgangs spätestens zur Jahresmitte 1953 abgeschlossen haben. Das gelang nicht. Erst im Herbst waren die Stellungnahmen beisammen - beileibe nicht alle, die wir erbeten hatten - , um die Debatte wenigstens in der Zeitschrift selbst zu beenden. Um diese Zeit war Alfons Leid bereits so resigniert - aus seinem Schlußwort in Heft 10/11 kann man es unschwer herauslesen - , daß ihm die Fortführung der Zeitschrift so recht keinen Spaß mehr machte. Er wurde säumiger und säumiger und überließ mir, als seinem Redakteur, mehr und mehr das Feld. Bis ein überflüssiger Streit um das Motiv des Umschlags für Heft 5/1954 zur sang- und klanglosen Aufkündigung seiner Herausgeberschaft führte, zumal Eugen Kogon als Verleger die ständigen Verzögerungen des Erscheinens der Hefte nicht länger in Kauf nehmen mochte. Die Zeit der Nachkriegsimprovisationen, der Umsetzung je spontaner Einfälle, der so angenehm lässig-gelassenen Behandlung auch wichtiger Fragen und Themen war vorbei. Ringsumher schickte man sich an, wieder in eine rationalisierte, in die Normal-Zeit einzutreten. Politik und Kultur, Fakultäten und Disziplinen, Denker und Macher liefen wie Marktgänger nach Marktschluß in alle möglichen Richtungen auseinander.

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Vorlauf in Briefen

Rudolf Schwarz an Alfons Leitl

Köln, 2. Dezember 1952

Lieber Herr Leitl, ich weiß nicht recht, ob es Sie beruhigt oder in Verzweiflung treibt, wenn Sie vernehmen, daß ich den Aufsatz wirklich schreibe. Er wird lang und fürchterlich und geht wahrscheinlich morgen zur Post. Mit herzlichen Grüßen. Ihr Rudolf Schwarz

Rudolf Schwarz an Alfons Leitl

Frankfurt, 3. Dezember 1952

Lieber Herr Leitl, da haben Sie Ihr Fett! Hi, hi. Schreiben Sie mir bitte nach Frankfurt, was Sie gegen das Geseire unternehmen wollen. Und seien Sie mir trotz allem dankbar, daß ich Ihnen aufs Wort gefolgt bin und meine kostbare Zeit veraast habe. Es mußte so schnell gehen, daß ich die Geschichte nicht einmal mehr durchlesen konnte. Wenn Sie wider Erwarten das Zeug drucken wollen, muß ich unter allen Umständen die Korrektur haben. Herzliche Grüße! Ihr Rudolf Schwarz 24

Alfons Leitl an Rudolf

Schwarz

Trier, 16. Dezember 1952

Lieber Herr Professor Schwarz, ich war tief gerührt, daß Sie meiner Bitte um einen Beitrag für „Baukunst und Werkform" hinsichtlich des Termins so prompt entsprochen haben. Hinsichtlich des Themas Ihres Aufsatzes freilich war ich weniger hingerissen, ja sogar enttäuscht. Nicht, daß mich Ihre Ausführungen nicht interessiert hätten und daß ich sie nicht auch abdrucken möchte. N u r hatte ich im ersten Teil unseres Zusammentreffens in Köln mit Ihnen besprochen, daß ich gern einen Aufsatz über das Thema „Bauen und Schreiben" aus Ihrer Feder hätte, der gewissermaßen nur indirekt Bezug auf die in diesem Heft gezeigten Bauten des Herausgebers haben würde. Statt dessen haben Sie mir den zweiten Teil unseres Gesprächs niedergeschrieben. Ich verstehe, daß dieser Teil Sie mehr interessiert, weil Sie darin in eigener Sache sprechen, als der erste Teil. U n d so sehe ich, daß meine Erwartungen falsch waren, es würde sich, nachdem ich selbst zwanzig Jahre über andere geschrieben habe, jemand finden, der etwas Sinngemäßes zu den Problemen, die mir wichtig sind, sagen könnte. Insofern danke ich Ihnen für die Lehre, die Sir mir mit Ihrem Beitrag erteilt haben. Eine Diskussion über das Bauhaus und seine Wirkung ist mir durchaus willkommen, und ich will deshalb im Januarheft Ihren Aufsatz abdrucken. Ich bitte Sie lediglich, damit einverstanden zu sein, daß ich den Einleitungsteil Ihres Aufsatzes, der dann gegenstandlos wird und mich im übrigen viel stärker „gramgebeugt" zeigt, als ich es bin, weglasse. Indem ich Ihnen und Frau Maria Schwarz alles Gute zum Weihnachtsfest wünsche, bin ich mit den besten Grüßen Ihr Alfons Leitl

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Rudolf Schwarz an Alfons Leitl

Frankfurt, 20. Dezember 1952

Lieber Herr Leitl, eben erhielt ich Ihren Brief vom 16. Dezember, und ich muß gestehen, daß ich ihn überhaupt nicht verstanden habe. Meine Frau hat ihn gelesen und auch nicht verstanden. Meine Sekretärin hat ihn gelesen und auch nicht verstanden. Herr Wimmenauer hat ihn gelesen und auch nicht verstanden. Herr Bautechniker Gutmann hat ihn gelesen und auch nicht verstanden. Unsere Putzfrau hat ihn gelesen und auch nicht verstanden. Wir haben ihn also alle gelesen und alle nicht verstanden. Anscheinend sind Sie mit meinem Aufsatz nicht zufrieden, und dabei bin ich selbst so außerordentlich damit zufrieden. Steinbach, der hier war, als der schöne Aufsatz gerade fertig war, hat sogar erklärt, er hielte ihn für das Beste, das ich je geschrieben habe. Er will ihn in 100 Exemplaren abschreiben lassen, die will er an seine Studenten verteilen, damit sie ihn auswendig lernen und bei Hochschulfesten im Chor aufsagen können. Was machen wir da nur? Sie hatten mich in Köln um einen Aufsatz über „Bauen und Schreiben" gebeten, ich habe also einen Aufsatz über Bauen und Schreiben verfaßt. Der ist so aufgebaut, wie er wohl aufgebaut sein muß: Zuerst wird geprüft, wie es dazu gekommen ist, daß die Architekten nicht mehr vernünftig schreiben können und gegen Geschriebenes mißtrauisch sind. Es werden hierfür zwei Gründe namhaft gemacht, nämlich das Mundtotmachen der Architekten durch eine ganz sachfremde und spätscholastisch gewordene Ästhetik und die minderwertige Bildung der Architekten, die heute keine Bildung, sondern nur noch eine Anlernung ist. Ästhetiker werden so etwas nicht gerne hören, aber gesagt werden muß es trotzdem, und ich habe es voriges Jahr in Darmstadt sehr deutlich gesagt und lebe immer noch. Sodann habe ich zu zeigen versucht, daß es früher zum guten Ton der Architekten gehörte, zu bauen und zu schreiben, als die Architekten noch die nötige Bildung besaßen, beides zu tun, und daß ein großes abendländisches Gespräch bestand. Ich habe dann die Frage gestellt, wodurch dieses Gespräch zum Verstummen gekommen ist, und habe als Ursache dafür genannt den ungeistigen Terrorismus diktatorischer Gruppen, namentlich der Bauhausliteraten und später natürlich der Meister vom tausendjährigen Reich. Schließlich habe ich 26

noch gesagt, ich fände, daß Sie es in Ihrer Zeitschrift fertiggebracht hätten, ein echtes Gespräch wieder aufleben zu lassen, was hoffentlich nicht zu voreilig war. Das gehört nun alles zusammen, und man kann nichts davon forttun. Eine „Diskussion" über das „Bauhaus" zu entfachen, scheint mir ebenso abwegig wie unfruchtbar zu sein. Man kann nur sinnvoll über Dinge diskutieren, die noch in der Entscheidung stehen, es sei denn, daß man historische Gelüste hat. In der Entscheidung steht die Frage, wie wir Fronten abbauen können, die niemals echte Fronten waren, um in den freien Raum des echten Gesprächs zu kommen. Es wäre also ein Aufsatz über Bauen und Schreiben, wie er meines Erachtens sein muß. Es tut mir sehr leid, wenn Sie enttäuscht sind, daß nicht das darin steht, was Sie erwartet haben. Aber dann hätten Sie wahrscheinlich etwas deutlicher sagen müssen, was Sie denn eigentlich erwarten, ich weiß es nämlich zur Stunde immer noch nicht. Mein Vorschlag geht nun dahin, daß Sie mir Änderungen des Aufsatzes empfehlen. Vielleicht können Sie mit Bleistift auf das Manuskript schreiben und mir dieses zuschicken. Wenn Sie noch Ergänzungen wünschen, müssen Sie mir die namhaft machen. Dann werde ich überlegen, ob ich auf Ihre Vorschläge und Wünsche eingehe. Sie äußern Ihre Enttäuschung darüber, daß Sie selbst zwanzig Jahre über andere geschrieben haben und jetzt niemand finden, der etwas Sinngemäßes zu den Problemen, die Ihnen selbst wichtig sind, sagt. Das ist wohl nicht nur Ihre Enttäuschung, sondern die jedes denkenden Menschen. Ich will aber sehr gerne etwas zu Ihren Problemen sagen, wenn Sie mir diese stichwortartig nennen. Meine Frau und ich erwidern aufs herzlichste Ihre Grüße. Wir wünschen Ihnen beide und Ihrer ganzen Familie ein recht gnadenreiches Weihnachtsfest. Rudolf Schwarz

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Rudolf Steinbach an Alfons Leitl

Heidelberg, 28. Dezember 1952

Lieber Alfonso, es ist ein trauriges Gefühl, Sie in Heidelberg zu wissen und Sie nicht einen Augenblick im Turm zu haben. Dieses Mal wäre es besonders wichtig gewesen, denn ich befasse mich seit Tagen mit Ihnen oder mit „Baukunst und Werkform". Ich war mir nicht ganz sicher wegen meines Urteils über den Aufsatz von Schwarz, und ich bat ihn, mir diesen und den Schriftwechsel mit (Ihnen) über die Feiertage zu geben. Ich las ihn wieder, mit Freunden, Bekannten. Wir prüften ihn, überdachten, erwogen. Ich las ihn mit Studenten von Karlsruhe, die mich besuchten. Ich sah das Wachwerden, das Aufmerken. Und am Ende waren wir alle einig, daß dieser Aufsatz, Ihr Brief darauf, Schwarzens Antwort auf Ihren Brief durchaus zusammengehörten, und wußten, daß alle drei zusammen in „Baukunst und Werkform" erscheinen müssen, eingeleitet von einer Vorrede Ihrerseits, in der Sie sagen, wie sehr Sie im ersten Augenblick gegen diesen Artikel waren. Daß Sie ja im Grunde gehofft hätten, Schwarz werde sich zu Ihren Bauten äußern, um Ihnen abzunehmen, daß Sie sich selbst darüber äußern müßten. Dann aber, nach einer Zeit des Ärgers, aber auch des Abstand Gewinnens, hätten Sie begriffen, wie wichtig es sei, diese ganze Diskussion zu veröffentlichen. Dem Leser in Ihnen selbst die Handhabe zeigend, wie man zuerst ablehnend sei gegen eine Schwarzsche Meinung, sich aber dann hinübertaste und wie dann gerade der Brief von Schwarz auf Ihre Ablehnung in seiner (mir großartig erscheinenden Zusammenfassung) Sie gedrängt habe, aus diesem Zwie- ein öffentliches Gespräch zu machen. Ich stehe immer noch inmitten der Begeisterung. Genau so hat es kommen müssen. Ihr ablehnender Brief und dann diese heiter großartige Antwort Schwarzens. Und ich begreife, wie souverän Sie sich über eine etwa getroffene Eitelkeit erheben, wenn Sie nun alles veröffentlichen. Vielleicht sträuben Sie sich noch. Ich könnte mir das denken. Und ich bin ein wenig verwirrt, daß ich diesen Brief so beratend an Sie schreibe. Aber ich meine, wenn Sie einmal mit Ihrer Frau darüber sprechen, deren innere Sicherheit - ach, diese großartige angestammte Sicherheit 28

der Frauen, von denen ich nur ahne, kaum verstehe - wenn Sie mit ihr das erwägen, werden Sie am Ende wohl auch zu der gleichen Meinung kommen. Ich habe Ihre Frau furchtbar lange nicht gesehen, und wenn sie mit im Auto gewesen ist, weine ich große und böse Tränen. Und ich hatte so viel Gutes und Leckeres im Hause. Eine Ente für sechs Personen groß und Spargel und Ananas und einen riesigen Sauerbraten (in dessen Bereitung ich mich König glaube) und Salm und Gänseleber. Und an alledem fuhren Sie schmählich vorbei. Vergangener Tage ganz vergessend. Nein, ich lenke nicht ab und über! Das Leben ist immer eine Mischung von Denken, Schreiben und Essen. Bei soviel „Hochgaischtigkait" werde ich endlich eine Gedichtreihe über Sauerbraten, Ente und Schlaf schreiben müssen und dgl. Und es wird sehr schön werden, auch wenn Sie es nicht in „Baukunst und Werkform" abdrucken wollen. Was aber so schade wäre, wie wenn Sie nicht brächten: Schwarzens Aufsatz, Ihren Brief und Schwarzens Antwort! Und natürlich die überliterarische Leitische Einleitung. Ich möchte dann gerne auf meine Sauerbratenode verzichten, denn ob ihr Rang so leicht anerkannt werden kann, das wage ich denn doch nicht zu entscheiden, und ich werde sie zuerst in einer Schublade liegenlassen um des großen bezogenen Gleichnisses willen, daß nämlich gute Dinge wie Sauerbraten, gute bescheidene Dinge und Gedichte sehr wohl eine Zeit im Essig der Zeit liegen müssen, um ganz gut zu werden. Aber wenn ich gestorben bin, nicht wahr, dann werden Sie sie bringen, und man wird staunen über die Lebendigkeit Ihrer Zeitschrift. Man würde sehr darob staunen, wenn Sie nicht schon Jahre zuvor dieses lebendige Zwiegespräch gebracht hätten, das Sie, den Leitl, so überlegen gezeigt hat, dieses Zwiegespräch, das eines der fruchtbarsten war. Wohl standen damals einige kleine Geister auf von der Seite, die man damals die Gegenseite nannte, und schrieen: hahaha! Aber das konnte uns schon garnischt anhaben, so sehr ging es uns darum, Fortschritte in uns zu machen, ganz innen in uns, auch wenn wir uns selbst einen Teil unseres angewöhnten Gesichts herunternahmen, unter dem die anderen uns kannten. Kannten und verkannten, denn unter eben diesem Gesicht konnten sie uns einordnen, wie man Totes in Museen einordnet, das Faßbare daran begrüßend, während es ja

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gerade das Unfaßbare ist, das den Schöpferischen auszeichnet. Und das unsere Aufgabe war, wenn wir wirklich lebten. Mit einer gewissen verblüffenden Kühnheit hatten Sie das damals getan, lachend über sich selbst, mit der wunderbaren Heiterkeit des Herzens. Sie hatten das getan. Und weil Sie alles brachten, auch die persönlichen Zwischenrufe, rückte es so unmittelbar an die Menschen heran. Und ging sie an mit dem wunderbaren Inhalt des Wortes: angehen! Was machte es Ihnen aus, daß Schwarz in einem nicht recht hatte, in seiner Ablehnung der Franzosen, die Schwäche, die wir alle an ihm belächeln. Denn er vergißt natürlich, daß der Pariser Wintergarten, der so um 1849 gebaut wurde, Paxtons Londoner Glaspalast inspirierte, und er vergißt auch den großen Garnier, dessen cité industrielle um die Jahrhundertwende das kommende Jahrhundert vorwegnimmt. Aber warum sollte Schwarz allein keine Ressentiments haben, warum ihn uns weiter ins Ubermenschliche entrücken als notwendig? Schließlich ist eine gewisse Einseitigkeit eine Form der Stoßkraft, wenn man sonst nur allseitig genug ist. Ja, Leitl hatte das damals getan, und obwohl ich schon viele Lorbeerblätter für meinen Sauerbraten verbraucht hatte, flocht ich ihm aus den Resten einen Kranz, den ich in meinem Herzen aufhängte, an seiner geweihtesten Stelle. Und es war unrecht, daß ich bei den Zwiebeln weinte, meinend, er könne eventuell in sich nicht den Entschluß aufbringen, den er längst in sich aufgebracht hatte. O dieser Lorbeerkranz aus den nahrhaften Blättern unserer Lebensnahrung (Ich hätte gerne ein Ausrufungszeichen dahinter gesetzt, wenn die Zeile meiner Schreibmaschine nicht zu Ende gewesen wäre. Aber so schien mir nun der Ausruf weniger anmaßend und mehr ins Erlaubte gerückt.). Und als ich damals alles dies überdachte, schien es mir, dies sei die Aufgabe (nein, Aufgabe enthielte Auf-gabe, Preisgabe), es sei der Auftrag meiner Mitarbeit an „Baukunst und Werkform", daß ich das denken und erwarten müsse. Denn ich nahm meine Mitarbeit sehr ernst, und ich hatte oft ein schlechtes Gewissen, daß ich soviel Arbeit immer wieder von Leitl als etwas Selbstverständliches erwartete und nur mit meinem Namen unter der Mitarbeiterliste glänzte. Und es war Weihnachtszeit, als ich dies überlegte und schrieb, und er hatte ein richtiges inneres Geschenk mehr als verdient. Ganz leicht wurde es mir nun, lieber Leitl, meine kulinarische 30

Sauerbratenode hinauszuschieben, vor der wirklich nahrhaften Äußerung aussagender Geister, die zu sprechen hatten. Aber ich lade Sie zu Neujahr ein, mit Ihrem Weibe, der guten natürlich, und Sie werden schmecken, wie der Essig des Lebens versüßt ist von Tränen der Zwiebeln, die sich in den Flammen der Umgestaltung verwandelt haben in die Vermittler von gekonnter überlegener Sanftmut. Herzlichst Ihr Rudolf Steinbach

Alfons Leitl an Rudolf Schwarz

Trier, 5. Januar 1953

Lieber Herr Doktor Schwarz, da auch Ihre Putzfrau nicht in der Lage war, Ihnen ein erklärendes Gutachten zu meinem Brief zu geben, will ich es selbst tun, zumal die Mitwelt in Gestalt unseres Freundes Steinbach in Gefahr schwebt, der Mißdeutung zum Opfer zu fallen, ein gekränkter Architekt habe Ihnen neulich geschrieben, der erwartet habe, Sie würden sich zu seinen Bauten äußern. Mit Ihrem Kommentar in der Hand habe ich Ihren Aufsatz nun noch einmal gelesen. Die Disposition ist in der Tat wesentlich zum Verständnis. Sie stimmt natürlich auch ganz genau zu dem Aufsatz; nur habe ich den Eindruck, daß Sie von den 6 oder 7 Punkten dieser Disposition dem einen, nämlich Ihrem Zorn über das Bauhaus, das Dreifache an Raum gewidmet haben wie den anderen 6 Punkten zusammen, und das meinte ich damit, daß Ihnen offenbar dieses Thema der Verdammung wichtiger war als das generelle, mir am Herzen liegende Thema „Bauen und Schreiben". Mir erscheint das um so mehr, als, wie ich zugebe, die Lektüre Ihres Aufsatzes belastet war durch die Erinnerung an unser Gespräch in Köln. Sie waren dabei so erbittert und gekränkt über Meuniers vorjährigen Nebensatz in seinem Darmstädter Bericht und von einer solchen Schärfe, daß ich mein Weltbild, in welchem die Philosophen als erhabene Geister von großer Gelassenheit und Ruhe eingeordnet sind, ziemlich verbeult in die Ecke 31

meines teuren Hotelzimmers im Kölner Hof stellen mußte. Nun gebe ich weiter zu, daß diese überdimensionale Vorstellung von den Philosophen aus meiner Quartanerzeit stammt und daß es Zeit war, sie zu korrigieren. Ich habe sie also korrigiert; besonders da ich im weiteren Verlauf den Philosophen mit rührend sokratischem Auskunftsverlangen zwischen Herrn Bautechniker Gutmann und der zum Glück auch eben anwesenden Putzfrau Meyer hin- und hereilen sah. Ich werde selbstverständlich Ihren Aufsatz Wort für Wort veröffentlichen, in dem in der Tat schöne Wahrheiten stehen, sehe ich doch nun auch, wie Sie darin Ihren mir so grausig nachklingenden Zorn in die olympische Heiterkeit kaustisch-köstlicher Frotzeleien gewandelt haben. Ich gebe den Aufsatz sogleich in Satz, so daß Sie nächste Woche Fahnen haben können. Für die Korrektur hätte ich lediglich die Bitte, Sie mögen in der Einleitung mich etwas weniger gramzerfressen zeigen. Bei meiner krankhaften Empfindlichkeit spüre ich auch das leiseste Schulterklopfen wie einen elektrischen Schlag. Und so werden Sie diesen Dienst der Freundschaft nicht verweigern Ihrem Sie bestens grüßenden Alfons Leitl

Rudolf Schwarz an Alfons Leitl

Frankfurt, 10. Januar 1953

Lieber Herr Leitl, auf Regen folgt Sonne, und mein ganzer Hausstand lächelt vor innerem Glück. Auch meine Putzfrau findet Ihren letzten Brief durchaus verständlich und hat ihn mit nach Haus genommen, um ihn ihrem Mann zu zeigen, weil er so schön ist. Aber Ihr Brief enthält leider einen Irrtum, und ich weiß gar nicht, wie ich es Ihnen sagen soll. Ich kann wirklich nicht dafür, und es ist auch keine böse Absicht dabei, aber dieses wackere Weib heißt nicht Meyer, sondern Bernhard. Sie glauben nicht, wie sehr mich das schmerzt, aber es kann schließlich vorkommen. Die Druckfahne ist inzwischen auch aufgetaucht. Leider haben Sie das schöne Manuskript einfach in die Druckerei gegeben, während ich Sie 32

gebeten hatte, erst einmal Abänderungsvorschläge zu machen. Wie soll ich armer, argloser Haufen wissen, bis zu welchem Grade Sie angefrotzelt werden dürfen? Bitte, bitte, bitte ändern Sie doch selbst diesen Teil des Werkes; ich bin gar nicht wehleidig, wie ich überzeugt bin, daß Sie es auch nicht sind. Aber schließlich haben Sie journalistische Erfahrungen und ich nicht. Als wir bei Steinbach den Ihnen zugedachten, wirklich wohlgeratenen Sauerbraten ausrotteten, vertrat dieser - ich meine natürlich Steinbach - heftigst die Meinung, mein Antwortbrief an Sie müsse mit abgedruckt werden, einmal weil der lustig zu lesen wäre, und in der heutigen Zeit sei alles Lustige ein Gottesgeschenk. Dann aber, weil darin sozusagen eine Gebrauchsanweisung für den Aufsatz enthalten sei. Ich schließe mich ihm durchaus an und bitte darum. Sie müßten dann zwischen den Aufsatz und den Brief von sich aus einen neuen Brief setzen, in dem Sie allerhand Bedenken hervorbringen, da Ihr originaler Brief wahrscheinlich zum Abdruck in dieser Form minder geeignet ist. Richten Sie sich bitte nicht zu sicher darauf ein, daß noch alles ins Januarheft kommt, denn was zu tun ist, liegt nicht nur bei mir, sondern auch bei Ihnen. Mit besonders herzlichen Grüßen Ihr Rudolf Schwarz

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Die provozierende Eröffnung der Debatte

Rudolf

Schwarz

„Bilde Künstler, rede nicht" Eine (weitere) Betrachtung zum Thema Bauen und Schreiben Den hier folgenden Aufsatz von Rudolf Schwarz wiederzugeben hatten wir zunächst Bedenken, obgleich er auf Einladung der Redaktion selbst geschrieben wurde. Professor Schwarz war uns, was mehrfach in dieser Zeitschrift zum Ausdruck kam, immer als ein bedeutender Vertreter eines Baumeister-Typs erschienen, dem es in gleicher Weise um Erkenntnis und geistige Fundierung wie um konkrete Darstellung des Baukünstlerischen geht. Deshalb hatten wir ihn um einen Beitrag zum Heft „Bauen und Schreiben", für das letzte Heft von „Baukunst und Werkform" gebeten. Dr. Schwarz ist dieser Bitte auch liebenswürdigerweise nachgekommen, aber sein Beitrag machte uns nicht ganz glücklich, und zwar nicht wegen der freundschaftlichen Ironien, die er dem Herausgeber zuwendet, sondern weil wir sachlich nicht in allem seiner Betrachtungsweise folgen können. Die vorbereitende Unterhaltung mit dem Autor war schon getrübt gewesen durch einen wilden Verdammungsangriff auf das Bauhaus und die Funktionalisten, über die man in der Tat sehr kritisch denken kann. Wir meinten aber, man könne die Rolle der Funktionalisten in den historischen Ablauf eingeordnet auch wesentlich mäßiger zeichnen, als Professor Schwarz es tut, und man könnte sie aufs ganze gesehen auch nicht so ausschließlich negativ betrachten, in der Uberzeugung nämlich, daß auch das scheinbar Negative im Gewebe der Geschichte seinen Sinn gewinnen kann. Deshalb warfen wir dem Autor eine falsche Proportionierung in der Verteilung der Gewichte des Aufsatzes vor. Unsere Vorhaltungen lösten ein Schreiben aus, das wir sozusagen als 34

Gebrauchsanweisung len:

für die Lektüre des Aufsatzes hierhersetzen

wol-

„... Sie hatten mich in Köln um einen Aufsatz über,Bauen und Schreiben' gebeten, ich habe also einen Aufsatz über,Bauen und Schreiben' verfaßt. Der ist so aufgebaut, wie er wohl aufgebaut sein muß: Zuerst wird geprüft, wie es dazu gekommen ist, daß die Architekten nicht mehr vernünftig schreiben können und gegen Geschriebenes mißtrauisch sind. Es werden hierfür zwei Gründe namhaft gemacht, nämlich das ,Mundtotmachen' der Architekten durch eine ganz sachfremde und spätscholastisch gewordene ,Ästhetik' und die minderwerte Bildung der Architekten, die heute keine Bildung, sondern nur noch eine Anlernung ist. Ästhetiker werden so etwas nicht gerne hören, aber gesagt werden muß es trotzdem, und ich habe es voriges Jahr in Darmstadt sehr deutlich gesagt und lebe immer noch. Sodann habe ich zu zeigen versucht, daß es früher zum guten Ton der Architekten gehörte, zu bauen und zu schreiben, als die Architekten noch die nötige Bildung besaßen, beides zu tun, und daß ein großes abendländisches Gespräch bestand. Ich habe dann die Frage gestellt, wodurch dieses Gespräch zum Verstummen gekommen ist, und habe als Ursache dafür genannt den ungeistigen Terrorismus diktatorischer Gruppen, namentlich der Bauhausliteraten und später natürlich der Meister vom tausendjährigen Reich. Schließlich habe ich noch gesagt, ich fände, daß Sie es in Ihrer Zeitschrift fertiggebracht hätten, ein echtes Gespräch wieder aufleben zu lassen, was hoffentlich nicht zu voreilig war. Das gehört nun alles zusammen, und man kann nichts davon forttun. Eine ,Diskussion' über das,Bauhaus' zu entfachen scheint mir ebenso abwegig wie unfruchtbar zu sein. Man kann nur sinnvoll über Dinge diskutieren, die noch in der Entscheidung stehen, es sei denn, daß man historische Gelüste hat. In der Entscheidung steht die Frage, wie wir Fronten abbauen können, die niemals echte Fronten waren, um in den freien Raum des echten Gesprächs zu kommen." Da auch uns dieser Raum sehr wichtig ist, haben wir unsere anfänglichen Bedenken überwunden und drucken den Beitrag ab. Wir können das um so eher tun, als wir in der Tat mit vielem, was Professor Schwarz sagt, übereinstimmen. Bei den Thesen, die wir anders sehen, haben wir angenehmerweise die Möglichkeit der Entgegnung, die wir auch im nächsten Heft wahrnehmen wollen, um das von Professor Schwarz geschätzte Gespräch wirklich zu führen. Li. 35

Rudolf Schwarz, 1959

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Foto: Arthur Pfau

Neulich habe ich nach einer langen Zeit wieder einmal Alfons Leid getroffen. So einfach ist es ja heute nicht, ein paar Stunden mit einem Freund zu plaudern, weil wir ja alle so wenig Zeit haben, und wir mußten uns auch spät abends in einem Kölner Hotel verabreden. Nachdem ich mich an einem guten Abendessen erlabt hatte und also freundlicher Stimmung war, tauchte er auf und brachte ein großes Paket mit, in dem seine neuesten Geistesfrüchte waren, und wir haben uns dann an diesen klaren und schönen Bauten gefreut. Es war also ein rundherum erfreulicher Abend. Aber zum Schluß enthüllte er doch einen tiefen Gram, der an seiner Seele nagt. Manche Leute kennen ihn nur als Herausgeber einer Zeitschrift und allenfalls als Beamten mit einer erstaunlich kurzen Karriere. (Der Gram ist nicht so tief, daß er nicht in guter Haltung zu ertragen wäre. LI.) Sie freuen sich über seine spitze Feder oder ärgern sich darüber, beides nicht, ohne zu bemerken, daß seine spitzigen Sachen einem im Grunde heiteren Gemüt entfließen, aber sie können sich offenbar nicht vorstellen, daß jemand so gut schreiben und doch ein Baumeister sein könne, der ebenso klar und sauber zu bauen verstände wie zu schreiben, und sie zücken den Satz, den ich oben über mein Schreibsei geschrieben habe. In meiner Bestürzung habe ich dann erst einmal, bevor mir etwas Besseres einfiel, diesen Satz berichtigt und den Meister darauf aufmerksam gemacht, daß er schließlich von Goethe stammt, der doch nicht nur Verse gemacht, sondern auch allerlei Prosa geschrieben hat und es also wohl etwas anders gemeint haben muß als die abgründig bösen Leute, die diesen Ausdruck so schmählich mißbrauchen, um gute Menschen damit zu beschädigen. Diese niederen Geschöpfe meinen offenbar, ein Künstler solle doch lieber nicht nachdenken, denn dafür seien schließlich andere Menschen da. Schon bei meiner militärischen Tätigkeit, deren Verlauf ich ängstlich zu verschweigen pflege, hatte man unsere Versuche, sich sogar unter militärischen Dingen etwas Vernünftiges vorzustellen, durch den Hinweis auf unsere guten Pferde durchkreuzt, die vermöge ihrer viel größeren Köpfe offenbar besser zum Denken geeignet seien. Man möchte offenbar im Baufach eine ähnliche Arbeitsteilung befürworten, zumal es ja tatsächlich eine Menge Menschen gibt, die wunderschön und außerordentlich tief schreiben können. Die werden an den Universitäten eigens hierfür herausgebildet und tun dann ihr ganzes Leben lang gar nichts anderes mehr. Ich tröpfelte also Balsam aufs zerrissene Herz des Meisters: Die Bösen mißdeuten das Goethewort und dichten es um in „Wurstle Künstler, denke nicht". Ich versuchte ihn dann weiter durch den Hinweis zu trösten, daß wahrscheinlich gerade diese „Kunstwissenschaftler" es schuld 37

seien, wenn so viele muntere Knaben in unserer Branche vom Geschriebenen nicht mehr viel halten. Leider darf man ihnen darum nicht einmal gram sein, denn mit den Kunstwissenschaftlern ist es wirklich etwas schwierig. Sie stehen auf einem ästhetischen Standpunkt und besehen von da aus die Welt. Sie verraten das schon dadurch, daß sie in ihre Bücher so viele Fotografien drucken lassen, denn die fotografische Maschine ist ja das, was sie brauchen: Sie stiert mit einem Auge von einem Punkt aus ins architektonische Weltall, während doch der wirkliche Baumeister eine Menschengemeinde in eine gemeinsame, ganz geklärte Form hebt, also offenbar etwas ganz anderes im Sinn hat. Sie sprechen auch nicht in unseren Worten, die doch so schön und ewiggültig sind und Wand, Boden, Decke, Tür, Fenster usw. lauten und die wir um keinen Preis gegen optisch plastische Empfindungen tauschen. Und schließlich ist es den Ästheten ziemlich gleichgültig, welchen Inhalt oder meinetwegen Zweck unsere Werke haben; das geht sie beinahe gar nichts an, und so denkt manch einer von uns, also ginge ihn umgekehrt dieses ganze Gerede nichts an; schließlich gäbe es ja auch keine Medizinwissenschaft oder so etwas, und da haben sie gar nicht unrecht. Die Heilkunst würde es sich verbitten, wenn man ihr eine überzählige Geisteswissenschaft ins Bett legte, weil sie sich selbst dafür hält. Dieses alles überraschte den Meister, aber diese Überraschung war eigentlich beschämend, denn ich hatte das alles schon voriges Jahr auf dem Darmstädter Gespräch gesagt. So blieb mir nichts übrig, als ihn zu beschimpfen, daß sein Organ ein geistiges Ereignis von dem Rang meines Vortrags so schäbig behandelt und mißachtet hätte. Es ist schließlich keine Entschuldigung, wenn man sich irgendwo in Europa vergnügt, während die Elite unseres Faches sich auf Darmstädter Gesprächen totschwitzt. Wir begannen dann, darüber zu grübeln, wieso sich die Architekten von den Kunstgelehrten haben überfahren lassen, ohne den leisesten Seufzer auszustoßen, während die Heilkünstler Herren im eigenen Haus geblieben sind. Es wurde uns klar, daß das an ihrer mangelnden Bildung liegt, denn sie lernen darstellende Geometrie, während die Mediziner sich eine geistige Bildung einverleiben. Wir entschlossen uns deshalb, die Ausbildung der Architekten umzugestalten. Sie müssen in Zukunft eine geistige Vorlehre durchmachen, welche aus Philosophie, Theologie, Soziologie, Volkswirtschaft, Mathematik, Naturwissenschaft und einem Lehrgang der deutschen Sprache besteht, dann kann ihnen sobald keiner etwas vormachen, und wir gedachten in diesem feierlichen Augenblick unseres Freundes Mies, der ganz offen gestanden hat, von dem Ordnungsbild des 38

heiligen Augustinus und Thomas weit mehr gelernt zu haben als von dem ganzen Funktionalismus. Als sich unser Gespräch derart vertiefte, meinte ich, die Ursache für das merkwürdige Verstummen des Gesprächs unter den Baumeistern läge doch wohl noch tiefer und sei in dem großen Bruch der abendländischen Überlieferung zu suchen, den wir erlebt haben. Der Meister erklärte, ich müßte das alles aufschreiben, und ich versprach es ihm arglistig. Er war nämlich immer noch der Uberzeugung, der Überlieferungsbruch sei die Schuld der Nazis, und ich verwahrte in meinem Busen die viel schlimmere Überzeugung, daß er geschah, als der Materialismus ins abendländische Denken einbrach. Er war also aufrichtig bestürzt, daß ich den ganzen Nazischwulst für ganz belanglos gehalten habe; die Reichskanzlei ist ja schon wieder abmontiert, und nächstes Jahr errichtet das Bundesbauamt in Bonn einen vollgültigen Ersatz dafür. Eigentlich war das ja schon alles von den geheimen Oberbauräten Wilhelms des Seefahrers und ihren ungeheimen Bauwerken vorweggenommen gewesen, und es stieg zusammen mit dem Parademarsch noch einmal aus seinem kühlen Grab. Wer sich von Nürnberger Kulturreden bezirzen läßt, dem ist so wenig zu helfen wie einem, den ein Parademarsch elektrisiert; es wird immer sowas geben, es gehört zu den Dummheiten der Natur, daß sie es immer wieder hervorbringt, und man darf der Natur nicht in den Arm fallen, denn sie hat ihre eigene Weisheit. Ich meinte aber, was vorher alles geschehen war, wäre viel schlimmer gewesen, weil das abgefeimter und verführerischer war. Der Meister war recht bestürzt, als ich ihm enthüllte, daß ich seit je von dem Bauhaus und was sich so drumherum tat rein gar nichts gehalten und das schon als zarter Knabe in Aufsätzen dargetan habe. Den Aufsatz hatte ich aber inzwischen zugesagt, und er hatte mir versprochen, ihn so zu drucken, wie er wäre; das muß er also jetzt tun. Es wäre wirklich ein schreiendes Unrecht, wenn sich immer nur andere über „Baukunst und Werkform" ärgerten und der Herausgeber seinen Spaß daran hätte! Laß den Leitl sich auch mal ärgern. Ich meine, so bis zum Ersten Weltkrieg wäre alles ganz ordentlich verlaufen. In den letzten Jahren hat man ja eine dicke Mauer durchgebrochen und nachgesehen, was dahinter war. Diese Mauer hatten die Funktionalisten aufgebaut, indem sie besonders den jüngeren Menschen aufgeredet hatten, mit ihrem Auftreten datiere das Jahr 1 und vorher sei alles wüst und leer gewesen, und als sie geöffnet wurde, bekam man den Blick frei auf ein in tausend Hoffnungen sprießendes junges Europa der Jahrzehnte vor dem Krieg. Einige von uns wußten das schon, und jetzt ist also der 39

Jugendstil entdeckt, ohne daß wir darob ganz glücklich wären. Die Kunstgeschichtler verzeichnen fröhlich einen neuentdeckten Stil. Man nehme dazu einige Maler, reichlich Gebrauchsgrafiker, gebe ein paar Leute dazu, die Töpfe oder sowas gemacht haben, und garniere das mit etwas Architektur, so wie man auf einer Aufschnittplatte zwei Stengelchen Petersilie legt. Das geht wahrscheinlich, und Ahlers-Hestermann hat das längst in seinem Jugendstilbuch getan. Wir sehen aber in dieser Zeit nur einige ganz große Baumeister, eigentlich nur drei, was den deutschen Kulturkreis angeht: Olbrich, van de Velde und vorab Otto Wagner, deren jeder seine eigene, schöne und ergreifende menschliche Sprache hatte; und die drei sind bis heute auch so ziemlich die einzigen großen Baumeister unseres saeculum obscurum geblieben. Man kann dann noch andere deutsche Baumeister dazutun, etwa Billing, Endell, Schmitz, Loos; und dann sind ja auch noch die Amerikaner und Engländer da. Frankreich hat so gut wie nichts beigetagen, Metrostationen, liebe verehrte Schriftleitung, hat man damals wahrscheinlich schon genauso als Edelkitsch empfunden, wie wir das heute tun; und wenn es schon Bahnhöfe sein sollen, dann wenigstens die der Wiener Ringbahn oder Olbrichs Entwurf für den Badischen Bahnhof in Basel. Wir bemerken mit Erleichterung, daß das alles damals durchaus keine finsteren Doktrinäre und Fanatiker waren, sondern freundliche Menschen, die ganz einfach die Schönheit und Wahrheit liebten und es ganz selbstverständlich fanden, daß sie auch über ihre große Liebe viel sprachen und schrieben, gebildete Menschen und keine Sektierer. Viele von ihnen haben schöne Bücher geschrieben, sie setzten von Zeit zu Zeit ihre Kunst in Worten fort und bauten dann wieder etwas, und sie verstanden miteinander zu sprechen, über ihre Meinungen, ihre Hoffnungen, auch über die eigenen Werke. Sie lebten in einer Luft reiner und guter Menschlichkeit, die uns ja inzwischen ausgegangen ist, und führten mit der ganzen gebildeten Menschheit ein großes Gespräch, in dem jeder aufmerksam gehört wurde, der etwas Gutes zu sagen hatte, einer reichte dem anderen das Wort weiter, und im Grunde arbeiteten sie alle zusammen an einer gemeinsamen, allmählich wachsenden Lehre, bedächtig, sorgsam, wie man an einer so großen Sache arbeiten muß, die für lange Zeit gültig bleiben soll. Auf der Kölner Werkbundausstellung waren sie noch einmal zusammen, van de Velde baute sein wohlklingendes Spielhaus, Taut vertrat seine Uberzeugung „ohne einen Glaspalast ist das Leben eine Last" durch einen großen gläsernen Tannenzapfen, es war auch ein kleines Kontorhaus von Gropius da, das ziemlich ordentlich war; alle waren in ihren wohlwollenden Absichten in bezug auf die Menschheit 40

einig, und es war alles in Ordnung. Das kaiserliche Deutschland lehnte die ganze Bewegung ab, und das war sogar überaus in Ordnung. Wenn alles gutgeht, wird man sich wohl entschließen müssen, das Jahr 1 zurückzuverlegen. Es liegt auch schon irgendwo, nämlich so um die Ziffer neunzehnhundert christlicher Zeitrechnung. Dahinter ist aber wirklich alles wüst und leer, hier beginnt das Sumpfland der Historisten. Eigentlich wäre es höchste Zeit, sich einmal gründlich um dieses neunzehnte Jahrhundert zu kümmern, weil wir ja doch einmal mit der großen Berichtigung unseres Geschichtsbildes anfangen müssen. Ganz am Ende des Jahrhundert ist ja wirklich alles voll von Historisten, die ganz unfruchtbar waren. Aber wahrscheinlich gibt es heute viel mehr unfähige Architekten wie damals, man braucht sich ja nur die neuen Häuser in Frankfurt zu besehen; wir regen uns nur nicht so sehr darüber auf. Es gibt sicher in jeder anderen Stadt geradeso schlechte Häuser, aber ich muß nicht so oft daran vorbeigehen. Im Grunde ist es doch ganz einerlei, in welcher Stilart einer unfähig ist. Aber die Architekten waren es auch damals nicht alle. Ich persönlich bin geneigt, die technische Hochschule in Zürich, die man zuerst für einen klassizistischen Bau hält und die es nachher doch nicht ist, für den schönsten Bau dieser Stadt zu halten, obschon es da auch sehr viele gute neue Häuser gibt, die kein griechisches Hemdchen anhaben. In Manchester steht ein riesiges neugotisches Rathaus, das märchenhaft schöne Hallen und Treppenhäuser hat. Der arme Dombaumeister hat den Kölner Dom fertig machen müssen. Beneiden wird ihn keiner von uns darum. Aber sein Südhaus ist keine gotische Kopie geworden, sondern eine sehr eigene Verlängerung gotischer Baugedanken in die Neuzeit hinein, die neulich der ausgezeichnete Maler Teuwen in einer geistreichen Weise durch seine Glasfenster ausgelegt hat. Für die Unbegabten ist ein „Stil" ein Rezept, wie man Kunst macht, ohne es zu können; für den Begabten ein Wortschatz. So furchtbar wichtig ist die ganze Geschichte eigentlich nicht. Ich halte es für das Zeichen eines unedlen und beschränkten Geistes, ein Genie zu verachten, weil es sich einer überlieferten Sprache bedient hat. Der Geist geht seinen unbeirrbaren Weg weiter und wechselt seine Bekleidungen. Vielleicht besteht überhaupt die ungeheure geschichtliche Leistung der Deutschen nicht so sehr in der Erfindung neuer als in der Durchglühung, Einschmelzung und Vereinbarung vorgefundener Formen. Gotik und Antike waren ja eigentlich niemals für die Deutschen historische Angelegenheiten, sondern liebenswürdige Möglichkeiten. Je älter wir werden, desto enger schieben sich uns die früheren Zeiten zusammen, 41

und wir sehen, wie kurz alles war. Zwischen dem Bau der strengen gotischen Galenschen Kapellen im Dom zu Münster und der Wiederaufnahme der gotischen Bauweise durch die Romantiker liegt etwas mehr als ein Jahrhundert, etwa so viel, wie zwischen uns und Schinkel liegt. Für die Romantiker und den jungen Goethe war das Straßburger Münster nicht vergangen, sondern ein lebendiges Zeichen deutschen und christlichen Geistes. Es ging ihnen um die Erneuung alles dessen, was je deutsch war. Die Architekten standen in dieser breiten Bewegung und trugen ihre eigenen Werke ihr bei und waren dabei so sehr oder so wenig Historisten wie Novalis, Brentano und Goethe. Es wäre auch falsch zu glauben, nachher sei die junge Liebe erstarrt. Man darf doch nicht übersehen, wie sehr Morris und die englischen Kunstgewerbler in der gotischen Überlieferung standen, die die Lehre vom werkgerechten Schaffen erfanden. Selbst die Schule von Schäfer fühlte sich durchaus neuzeitlich, als sie entdeckte, daß jede Form ihrem Zweck entsprechen müsse, was damals noch ein ganz kleiner Unsinn war, dem man nicht ansehen konnte, welch ein großer Unsinn einmal daraus werden würde, und im übrigen war diese Schule schon so dürr und unschöpferisch wie später die Funktionalisten, die aus dieser Lehre, die sie selbst nicht erfunden hatten, das Glaubensbekenntnis ihrer kleinen Sekte machten und so gerade einer Gefahr, die im gotischen Denken immer liegt, nämlich seiner gespannten Rationalität und Askese zum Opfer fielen. Mit der Antike war es nicht anders. Die Klassizisten waren so wenig oder so sehr Griechen wie Hölderlin oder der andere Goethe. Die Antike ergriff sie als die andere Möglichkeit eines wahrhaft menschlichen Lebens, und sie waren als Künstler in die strahlende Schönheit der geometrischen Form so verliebt wie die anderen ins dynamische Spiel. Sie ahnten, daß es eine höchste Möglichkeit des Menschseins gibt, wenn aus der Menschengemeinde die große geometrische Urform ausbricht, und daß alles Menschliche am arglosesten und lieblichsten blüht, wenn man es dem Gesetz der großen und ganz einfachen Form unterstellt, und weckten damit doch die andere Gefahr, daß nämlich die große Form diktatorisch mißbraucht werden kann. Zart sind ihre Bindungen ans Menschliche und sehr verletzbar. Vielleicht sind diese beiden Weltformen bis heute das deutsche Schicksal geblieben, und ist es uns bestimmt, zwischen beide Möglichkeiten des Daseins gestellt zu sein und uns immer wieder um ihre Vereinbarung in einem Dritten mühen zu müssen. Euphorion war nicht fähig zu leben. Aber im deutschen Barock war schon die Vermählung herrlich 42

gelungen (zwischen dem Barock und Poelzig liegt übrigens auch nur ein Jahrhundert). Ist es denn so schwer, in Bartnings Sternkirche die lebendige Gotik und in dem großen Werk von Mies die lebendige Antike zu entdecken? Worauf es uns aber ankommt, ist, daß es eine große lebendige Überlieferung unserer Kunst gibt, die bis in den heutigen Tag reicht und von großen Baumeistern getragen wird, denen es immer darum ging, nicht einige Häuser zu bauen, sondern der Menschheit ihren großen Raum zu bereiten, und daß diese alle miteinander über die Zeiten hinweg im Gespräch stehen und daß sie alle gemeinsam an der Lehre vom großen menschlichen Leben arbeiten, die niemals vollendet sein wird, und daß sie stets darum besorgt waren, dem Leben seine Fülle der Möglichkeiten und der Formen zu wahren und ihm den großen Raum der Uberlieferung zu erhalten, in dem alles enthalten ist. Das neunzehnte Jahrhundert hat sicher furchtbar vieles sehr falsch gemacht, aber es hatte noch den gemeinsamen Raum, in dem man sich verstand und auch für Neues viel Platz war. Wie selbstverständlich und arglos nahm man doch die Werke der Technik hinein, diese Glaspaläste und kühnen Brücken! Man empfand die Technik wohl noch als ein edles und geistiges Werk und fühlte, wieviel darin Vollendung der gotischen Form war. All dies Gemeinsame begann eigentlich erst in der Zeit des Ersten Weltkrieges zu zerfallen, der ein unechter und unnötiger Krieg war. Die Jugendstilzeit hat sich merkwürdig schlecht in die Nachkriegszeit hineinverzahnt. Von ihren großen Meistern waren nur wenige übriggeblieben. Poelzig hatte durch die Wirrnis seinen Vorrat an Zeichenkohle gerettet, Schumacher war noch da, der so fürchterlich viele Bücher schrieb und ein so guter Mensch war, Mies, Bartning, Böhm und Schweitzer kamen als wirklich abendländische Menschen hinzu. Aber sie wurden bald mehr oder weniger in den Schatten gedrängt von vorlauten und aufgeregten Terroristen. Und hier muß nun endlich etwas gesagt werden, das besser schon längst gesagt worden wäre, wenn es auch manchen nicht gut klingt. Es gehört zu der großen Berichtigung, um die es mir geht und ohne die wir unser abendländisches Schicksal verfehlen: über die Rolle zu sprechen, die damals die Leute des Bauhauses zu spielen begannen. Gropius hatte es in Weimar gegründet, und er konnte die überreiche Erbschaft van de Veldes als Betriebskapital übernehmen. Es soll auch gar nichts gegen Gropius als Künstler gesagt werden, der er ohne Zweifel ist, aber er konnte offenbar nicht denken - ich meine damit das, was nun einmal im abendländischen 43

Raum Denken heißt - , und das muß man nun einmal können, wenn man mehr sein will als ein unverbindlicher Künstler, ein großer Baumeister nämlich; er hatte es niemals gelernt"'. Es soll auch nichts gegen die Künstler vom Bauhaus gesagt werden, es gab da gute Maler, und alle zusammen waren vergnügte Kubisten und als solche eine besonders putzige Bereicherung der Erscheinungsfülle des Zeitalters; das wäre alles in Ordnung gewesen, es gab ja damals auch Leute, die sich nur von geriebenen Haselnüssen ernährten, und wir erfreuten uns ihrer. Aber sie durchkreuzten die besonders liebenswürdige Absicht, die die Natur bei ihrer Herstellung gehabt hatte, dadurch, daß sie ihr fröhliches Tun als den Ausfluß einer sehr unerfreulichen und sehr finsteren materialistischen Weltanschauung zurechtfälschten. Es ist ein ergreifender Anblick, wenn ein Baumeister endlich, endliche seinen Glaswürfel bekommt, mag auch der Vorwand dazu ein Fabrikbau sein, und es ist beruhigend und beinahe metaphysisch notwendig, wenn es ihm von oben hereinregnet und das Ganze als Treibhaus funktioniert. Dabei ist kein Arg und Falsch, er soll nur nicht behaupten, daß sich dieser Glaswürfel funktionalistisch ausrechnen lasse. Es ist auch rührend, wenn jemand aus Lättchen und Klötzchen ein Kunstwerk urhebt, mag ihm auch den Vorwand dazu die menschliche Gewohnheit, sich auf Stühle zu setzen, bieten. (Ich habe das Ding damals „die Menschenfalle" genannt, und wir hatten viel Freude daran.) Aber der primitive Menschenschlag, der zum Beruf hat, Stühle herzustellen oder zu verkaufen, freute sich nicht, und mit anderen Fabrikanten und Händlern war es nicht besser. Die Lage in Weimar wurde bald schwierig, es kamen auch politische Gegensätze hinzu. Ich war damals gerade Mitarbeiter von Poelzig und erinnere mich, wie man ihn als Helfer holte. Poelzig hätte sicher gern geholfen, wenn es gegangen wäre. Aber es ging nicht. Ich entsinne mich, wie er zurückkam und erschöpft auf einen Stuhl sank - einen ganz ungeistigen billigen Küchenstuhl übrigens - nein, da war nichts zu machen. Das großartige Erbe war verjubelt. Die Töpfe, die man ihm gezeigt hatte, waren gut, aber ich wendete schüchtern ein, die Töpferei sei schon immer dagewesen. Als die erhoffte Befruchtung der Industrie ausblieb, tat man das Bauhaus von Weimar weg. Die Weimarer waren aber im übrigen durchaus nicht bösartig, was man daran erkennen konnte, daß sie sich Bartning holten. Das Schlimme am Bauhaus war überhaupt nicht sein Versagen im Technischen, sondern seine unerträgli* Unbeschadet eines späteren Gespräches möchten wir vorweg diesen Satz als eine Meinung des Autors kennzeichnen, die wir nicht teilen. LI.

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che Phraseologie. Sehr früh war ihnen dort die Theorie vom Zweck in den falschen Hals gekommen, und dann bekannten sie sich vor der erschrokkenen Mitwelt feierlich zum historischen Materialismus. Ein Künstler kann beinahe alles tun, ohne daß darum seine Kunst kaputtgehen muß, er kann Quartals- oder Gewohnheitssäufer sein, sich sechs Frauen gleichzeitig halten und was es sonst noch alles Schreckliches gibt und doch ein Künstler bleiben. Wenn er sich aber zum Materialismus bekehrt, dann verschluckt er ein Gift, das mit absoluter Notwendigkeit zum Tode führt. Es ist das Schlimmste, was er überhaupt tun kann, da es geradezu gegen die Wurzel seiner Existenz gerichtet ist. In sehr erheblichem Gegensatz zu eigenen Leistungen stand die peinliche Arroganz in der Beurteilung der fremden. Wer irgendwo in der Welt kundtat, es ginge in der Baukunst um etwas anderes als den Nachweis, daß zwei mal zwei vier ist, und daß aus einem Wasserhahn Wasser läuft, wenn man ihn linksherum dreht, wurde beschimpft und lächerlich gemacht, er war ein Fossil, ein Monumentalist (wofür man die Abkürzung M erfand, um mit solch einem Mann nicht zu viel Zeit zu verlieren), und schließlich war auf der ganzen Erdoberfläche nichts mehr da, das gelten durfte, als das Bauhaus und seine Gesinnungsgenossen. Was blieb uns anderes übrig, als unsere Gespräche ohne diese unerfreulichen Zeitgenossen fortzuführen, die gar kein Gespräch wollten, sondern die Diktatur und inzwischen alles erledigt hatten, was je dem Abendland als lieb und wert und heilig erschienen war. Als dann auf der Berliner Bauausstellung das Wohnhaus der Zukunft gezeigt wurde, das ein Termitenhaufen war, in dem von der Familie nichts mehr übrigblieb, da die Frau von der Sklaverei des Haushaltes erlöst war, Kinderbettchen und Familientisch ins Kollektiv geschafft und nur noch Schlafkammern und ein winziger „Individualraum" da waren, vorbehalten dem wehmütigen Kult der Persönlichkeit, so wie der bürgerliche Salon noch lange dem Fürstensaal nachgetrauert hat, da merkten auch die Gemütlichsten, daß es Zeit war, das Tischtuch durchzuschneiden und sich so deutlich wie möglich zu distanzieren. Da waren keine harmlosen Baumeister mehr, die sich darauf freuten, einmal etwas so Schmales, Langes und Hohes bauen zu dürfen, sondern Feinde der Menschheit, die sich einfach keine Rechenschaft mehr über ihr Treiben gaben. Das Bauhaus steuerte immer tiefer in den Sumpf, und als Mies daranging, den Sumpf zu dränieren (wozu er sich ganz schlicht der Hilfe der Polizei bediente), die Meinung zu verbreiten, an einer Schule müsse gearbeitet werden, und wirklich ausgezeichnet zu arbeiten begann und langsam all das Gute aufblühen wollte, was in dem Gedanken eines Bauhauses liegt, da war es zu spät. In 45

unseren Augen war das Bauhaus gereinigt, und wir blickten mit Hoffnung darauf. Darf man aber dem unbekannten SA-Mann und seinem großen Feldwebel übelnehmen, daß sie nicht glauben wollten, was gestern alles so laut trompetet wurde, sei jetzt nicht mehr wahr? Mußte nicht der Verdacht der Tarnung aufkommen? „Das Bauhaus ist am Ungeist gestorben." O h ja, aber am eigenen, für den es schon sehr bald ein Symptom gibt, das niemals täuscht: den Verfall der Sprache. Was diese Literaten schrieben, war kein Deutsch, sondern der Jargon der Komintern. Man mag mir vorwerfen, daß ich alten Schmutz aufrühre, ohne daß das nötig sei. Doch, es ist bitter notwendig, daß endlich zugegeben wird, was zuzugeben ist, berichtigt, was zu berichtigen ist, damit endlich Fronten aufgelöst werden, die keine Fronten sind. Einen großen Erfolg hat das Bauhaus sicher errungen, einen publizistischen. So widerlich seine Ideologien waren, den Literaten mundeten sie wie Honigmilch, und im Handumdrehen war es definiertes D o g m a des gesamten Federvolks, daß lebendige Baukunst eben die des Bauhauses sei und daß nur der ein wirklich neuzeitlicher Baumeister sei, der mit der abendländischen Überlieferung gebrochen habe. Wir anderen aber waren für Jahrzehnte bekleckert, man legte uns in die gleiche Wanne und schüttete uns mit dem gleichen Bad in den Rinnstein, und wir mußten auf mühseligen Umgehungsmärschen im Industriebau, im Städtebau, im Kirchenbau und der Literatur dartun, daß wir ganz anderer Art waren. Unsere Gegner hatten die ganze Phraseologie auswendig gelernt und haben sie bis heute nicht vergessen. Man darf nicht einmal von seinem Feind erwarten, daß er über den Durchschnitt begabt ist. Wer meint, das wäre doch alles vorbei, lese die Erwidrung, die gerade eben, während ich dieses schreibe, Herr Tamms aus Düsseldorf der Neuen Zeitung geschickt hat: Die Meister des tausendjährigen Reiches sind zu den Hütern der Tradition geworden, die die Antike pflegen, und dann gibt es noch schwatzhafte Scharlatane. Unsinn geht eben viel schneller in die K ö p f e hinein als wieder hinaus. Wir wollen ihnen ihre Buckelquadern und Architrave nicht zu leicht machen: Die Tradition haben wir. Oder aber, er besuche die Konventikel der Avantgardisten, die heute noch an ihr Jahr 1 glauben, er vertiefe sich in die tödliche Ideenlosigkeit und Langeweile ihrer Zeitschriften, die allmählich zu Modejournalen geworden sind (man trägt jetzt Wellblech und menschliche Innereien). Lieber Herr Leitl, ich glaube gern, daß Ihnen mein Schreibsei keine Freude macht, aber ich glaube, es muß sein. Wir müssen wieder in den Raum der wirklich großen Überlieferung kommen und alles abtun, was 46

gegen deren Geist ist, und wir müssen wieder ins wirkliche Gespräch kommen. Das ist der Grund, warum ich alles geschrieben habe und warum ich gerade Ihre Arbeit zum Vorwand und Anlaß genommen habe. Ich glaube nämlich, es sei der wirkliche Sinn Ihrer schriftlichen Bemühung, das abgerissene Gespräch wieder in Gang zu setzen, und das sei auch die eigentliche Aufgabe und Leistung Ihrer Zeitschrift und es rechtfertige Sie vor allem, was man je gegen Ihre Arbeit einwenden könnte. Ich bitte Sie feierlich, weiterhin zu bilden und zu reden, wenn es Ihnen vielleicht auch zeitweilig widersteht wie kalte Erbsensuppe. Ich habe noch eine ganz kleine Bitte. Manchmal hängt in Ihrer Zeitschrift unten aus dem Türspalt ein kleines Schwänzchen heraus, das eigentlich ganz niedlich aussieht, aber den Verdacht nahelegt, als hätten Sie ein ganz kleines funktionalistisches Teufelchen an Bord. Bitte kippen Sie das schnell über die Reeling, bevor aus dem kleinen Teufelchen ein großes Biest geworden ist, dessen feiste Schwänze sich durch alle Gemächer Ihres schmucken Schiffleins ringeln.

Aus Baukunst und Werkform, Eine Monatsschrift, herausgegeben von Alfons Leitl im Verlag der Frankfurter Hefte, Frankfurt am Main, VI. Jahrgang 1953, Heft 1, Januar, Seite 9ff.

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Wie soll die Sache nun weitergehen?

Rudolf Schwarz an Alfons Leitl

Frankfurt, 3. März 1953

Lieber Herr Leitl, ich war etwas betroffen, als ich meinen Aufsatz plötzlich mit Haut und Haaren abgedruckt fand, denn ich hatte erwartet, Sie würden sich vorher, wie das so üblich ist, noch einmal mit mir in Verbindung setzen und mir vor allem Korrektur zuschicken. Ich wollte einige Dinge in der Form noch etwas mildern, namentlich in bezug auf Gropius, den ich als Künstler und Mensch schätze, der aber das Pech gehabt hat, unter die Räuber zu geraten. Vermutlich wird der Aufsatz wie ein Stoß ins Wespennest wirken, und das wird sehr gut sein, denn in unserer Branche ist allgemach nichts mehr zu vernehmen als ein lautes und gemeinsames Schnarchen. Wir werden also jetzt eine Zeitlang diesen Krach feiern müssen, und ich bitte Sie, hierbei die loyale Regie zu führen. In Ihrer Vorbemerkung kündigen Sie eine redaktionelle Erwiderung an, das widerspricht an sich jeglicher journalistischen Gepflogenheit. Es ist nicht Sache des Herausgebers oder Redakteurs einer Zeitschrift, auf die Aufsätze der eigenen Autoren Erwiderungen zu verfassen, ich kann mich auch nicht entsinnen, daß so etwas jemals vorgekommen wäre. Der Schriftleiter ist kraft seines Amtes Diskussionsleiter. Wie soll die Sache nun weitergehen? Wollen Sie ein autoritäres, den Streit beendendes Urteil sprechen, Rom hat gesprochen, und die Sache ist beendet? Oder sollen wir uns als Männer über die angeschnittenen Fragen unterhalten und einigen? An sich wäre es reizvoll, eine solche Unterhaltung durchzuführen und ja auch meine ausgesprochene Absicht. (...) Ihr Rudolf Schwarz 48

Alfons Leitl an Rudolf

Schwarz

Trier, 19. März 1953

Lieber Herr Dr. Schwarz, Sie haben recht. Ihr Aufsatz hat wirklich wie ein Stoß ins Wespennest gewirkt, und wir können uns nicht über ein mangelndes Echo beklagen. Dabei können Sie allerdings sicher sein, daß ich ein loyaler Diskussionsleiter sein werde, etwas, was mir schon von vornherein von anderer Seite verübelt wird. Und wenn ich in meiner Vorbemerkung zu Ihrem Aufsatz in Aussicht stelle, gegebenenfalls die Dinge im einzelnen darzulegen, in denen sich meine Beurteilung von der Ihren unterscheidet, so durften Sie darin nicht ein Verbrechen gegen die Grundgesetze des Journalismus sehen, sondern den Ausdruck einer freundschaftlichen Gesinnung. Denn obwohl mir einige kleine Schwächen Ihres Herzens seit Jahren bekannt sind, zum Beispiel Ihr Zorn gegen Gropius, den ich ja in Köln nicht das erste Mal erlebt habe, oder Ihr Nationalismus, der mich schon immer gestört hat, und Ihr für Uneingeweihte lieblos wirkender Sarkasmus, so hat dieses alles niemals meine Grundeinstellung geändert, die ich vom Anfang unserer Bekanntschaft bis zum heutigen Tage zu Ihnen hatte und habe. Auch gelegentlicher heftiger Arger über die hier eben zitierten Beobachtungen hat niemals allzulange angehalten. Und so hoffe ich, daß wir auch über das Kuckucksei, das Sie mir ein wenig arglistig-pädagogisch ins Nest gelegt haben, gemeinsam unbeschädigt und geläutert hinwegkommen werden. Daß Sie nachträglich das Ei doch noch hätten ein wenig rosa anstreichen wollen, konnte ich natürlich keineswegs ahnen. Hatten Sie mir doch den wörtlichen Abdruck zur Bedingung gemacht, und hatte mir doch auch unser Freund Steinbach den Abdruck Wort für Wort beschwörend nahegelegt, da es das Beste sei, was Sie jemals geschrieben hätten, und schließlich haben Sie auch diese Meinung Steinbachs als Bekräftigung gegen meine Bedenken zitiert. Ich habe also alles überwunden, einschließlich meiner angefrotzelten Empfindlichkeit, und ich hoffe, daß Sie meine diesbezügliche moralisch heldenhafte Haltung zu würdigen wissen. Wie geht die Sache nun weiter? Wir drucken jetzt mit einem ausgleichenden Vorwort des Herausgebers (der sich streng an seine Rolle als Diskussionsleiter hält) einige Diskussionsbeiträge zu Ihrem Aufsatz ab. Danach will ich Rudolf Steinbach bitten, aus allem ein 49

Fazit zu ziehen. Vielleicht auch sonst noch jemanden, etwa Bartning oder Hans Schwippert, wobei der Diskussionsleiter zum Abschluß, wie es üblich ist, ein beendendes Wort sprechen kann. Im übrigen können Sie selbst ja auch noch einmal das Wort ergreifen, wenn es Ihnen ein Anliegen ist, das Gespräch positiv weiter zu führen, was ich aufrichtig hoffe und wünsche. Herzliche Grüße Ihr Alfons Leitl

Rudolf Schwarz an Alfons Leitl

ohne Ort, ohne Datum (Ende März)

Lieber Herr Leitl, haben Sie vielen Dank für Ihren Brief. Es ist Ihnen offenbar entgangen, daß ich gebeten hatte, mir unter allen Umständen vor der Drucklegung Korrektur zuzuschicken. Das ist nun nicht geschehen und wegen der von Ihnen erwünschten Nächstenliebe bedauerlich. Aber sachlich hätte ich ohnehin nichts geändert. Dies also zum Thema des lieblosen Sarkasmus. Ihre beiden anderen Ursachen vorübergehenden Grolls müssen je in zwei Teile gespalten werden. Spalten wir also erst den Nationalismus, worunter Sie offenbar meine geringe Freude an den Franzosen verstehen. Nach vollzogener Spaltung erhalten Sie zwei Bestandteile. Das eine ist mein Urteil über die Franzosen als politische Nation, die nun einmal nicht europäisch denken und überhaupt an nichts anderes denken kann als an sich selbst. Ich schlage vor, daß wir diese Angelegenheit vorläufig den Franzosen selbst überlassen, was sie vermutlich in den nächsten Monaten und Jahren durchaus in meinem Sinne tun werden. Der andere Bestandteil scheint meine Behauptung zu sein, daß die Franzosen zu der Bewegung des neuen Bauens in den beiden ersten Jahrzehnten des neuen Jahrhunderts so gut wie nichts beigetragen haben. Diese Behauptung ist ein Zitat aus dem Buch von van de Velde über den neuen Stil in Frankreich, wurde aber durch die Züricher Jugendstilausstellung unfreiwillig bewiesen. Es bliebe also nur noch übrig, Herrn Gropius in zwei Teile zu teilen, soweit ich das nicht 50

bereits getan habe. Nach erfolgter Zweiteilung erhalten Sie einen guten Architekten und einen sehr schlechten Theoretiker. Bei dem weiteren Gespräch wird es sehr darauf ankommen, beim Thema zu bleiben und nicht in historische Auseinandersetzungen zu geraten. Dieses Gesprächsthema habe ich ganz klar formuliert: Wir müssen unechte Fronten abbauen und in die große Uberlieferung der Baukunst einlenken. Hierzu ist es nötig, einigen vertrauten Irrtümern den Abschied zu geben. Den Funktionalisten habe ich vorgeworfen, daß sie aus der Menschheitsangelegenheit der Baukunst eine kleine und muffige Sekte gemacht haben. Es freut mich, daß Sie ein loyaler Gesprächsleiter sein werden, und so bitte ich Sie, dafür zu sorgen, daß diese Linie des Gesprächs aufrechterhalten wird. Ihr Gedanke, Herrn Steinbach um ein Schlußwort zu bitten, scheint mir ganz ausgezeichnet, denn Steinbach hat die nötige Klugheit und Kenntnis. Schwippert ist schon wieder voller Bedenken und Sorgen. Was ich gesagt hätte, wäre alles richtig, aber es wäre vielleicht nicht opportun gewesen. Wenn wir warten sollen, bis geistige Auseinandersetzungen opportun im Sinne Schwipperts sind, müssen wir vermutlich den Himmel um eine Terminverlängerung für das Jüngste Gericht bitten. Im übrigen hat Schwippert in Hannover sehr hübsch herausgestellt, daß der entscheidende Satz des Aufsatzes lautet: „Die Uberlieferung sind wir." Soviel ich weiß, steht mir nach journalistischem Brauch das Recht der Duplik zu, und ich möchte es in Anspruch nehmen, wenn das weitere Gespräch Dinge zutage fördert, die weiter zu verfolgen verlockend scheint. (...) Mit herzlichen Grüßen Ihr Rudolf Schwarz

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Erste Reaktionen auf Schwarz' Aufsatz: Vier Briefwechsel mit Walter Gropius

Hermann

Mäckler an Walter Gropius

Frankfurt, 28. Februar 1953

Verehrter Herr Professor Gropius, im letzten Heft der Zeitschrift „Baukunst und Werkform" hat Professor Rudolf Schwarz einen Aufsatz gebracht, der in seinem rüden Ton durchaus dem an die Seite gestellt werden kann, was nach Ihrer Emigration in Deutschland produziert wurde. Es geht wieder und noch einmal gegen das Bauhaus, was uns hier und heute gerade noch gefehlt hat. Auch über Ihre Person zieht Schwarz her. Im nächsten Heft werden einige Entgegnungen zu finden sein, darunter eine von mir. Ich schreibe Ihnen nun dies nicht, damit Sie sich aufregen, sondern um Ihnen zu sagen, daß mit mir Tausende in Deutschland in herzlicher Verehrung Ihrer gedenken und das Bauhaus als Schrittmacher des Neuen Bauens betrachten. Sobald beide Hefte vorliegen, werde ich sie Ihnen zusenden. Ich bleibe mit herzlichen Grüßen Ihr Hermann Mäckler

Walter Gropius an Hermann

Mäckler

Cambridge, 8. März 1953

Lieber Herr Mäckler, herzlichen Dank für Ihren Brief vom 28. Februar. Ich rege mich gar nicht auf, denn solange um eine Idee gekämpft wird, ist sie nicht 52

tot, und in einem langen Leben wird man emotionell immun gegen Angriffe auf eigene Ideen. Bitte, schicken Sie mir doch den Artikel von Schwarz, denn ,Baukunst u. Werkform' ist mir hier nicht zugänglich. Natürlich hoffe ich auch Ihren Beitrag zu erhalten. Ich bin hocherfreut, daß Sie in die Bresche springen. Mit herzlichen Grüßen Ihr Walter Gropius

Walter Gropius an Paul Klopfer

(Cambridge), 14. März 1953

Lieber Klopfer, (...) Ich würde einen Artikel von Ihnen besonders begrüßen, da Sie ja den ganzen Entwicklungsgang des Neuen Bauens aktiv miterlebt haben und Zeuge der kritischen Bauhauszeit waren. Leider habe ich keine Beziehungen zu heutigen deutschen Zeitschriften (...) Jedenfalls bin ich entzückt, daß Sie Ihren alten Kampfesmut nicht aufgegeben haben und fortfahren, Ihre witzige Klinge gegen die Botokuden zu schwingen. Dies scheint jetzt besonders notwendig zu sein. Bitte lesen Sie in der letzten ,Baukunst u. Werkform' Rudolf Schwarz' demagogischen Artikel gegen das Bauhaus und mich. Sachliche Kritik ist immer erwünscht, aber dieses polemische Geschreibsel eines ,rebel-rouser's' wie wir hier sagen - entbehrt jeder Würde. Vielleicht gibt Ihnen aber gerade dieser Artikel ein positives Stichwort gegen die Botokuden. Anliegend ein paar Fotos der alten Schildkröte. Übrigens ist Le Corbusier erst 63, sieben Jahre jünger als ich. Im Mai werde ich wieder nach Paris fliegen, um mit ihm und seinem Comitee hoffentlich dem neuen UNESCO-Projekt zur endgültigen Annahme zu verhelfen. Seien Sie und Ihre Frau sehr herzlichst gegrüßt, auch im Namen meiner Frau, Ihr Walter Gropius 53

Paul Klopfer

an Walter

Gropius

Lorch/Württ., 20. März 1953

Lieber Herr Gropius! Ich habe soeben an die „Modernen Bauformen" (deren Herausgeber ich ja in den Jahren 1909-10 war) geschrieben, ob sie einen Artikel aufnehmen wollen. (...) Den Aufsatz von Herrn Schwarz - er hat das Pulver nicht erfunden habe ich gelesen und daraufhin dem Herausgeber einen Brief geschrieben, von dem ich freilich nicht weiß, ob er ihn in Baukunst und Werkform bringt oder ihn dem Übeltäter wenigstens zeigt. Es sind große Unverschämtheiten in diesem Pamphlet enthalten - und auch kleine - „nach Schwarz konnte Gropius leider nicht denken" so schrieb ich an den Herausgeber - „was nun einmal im abendländischen Raum denken heißt", fügt er einschränkend hinzu. Ja, hat Gr. etwa morgenländisch gedacht? . . . Die Lage in Weimar, wie dann auch in Dessau, war nicht erst „später", sondern von vornherein schon politisch verfälscht - (ä propos, wissen Sie, daß Frau „Ober"-förster Nietzsche auf eine Eingabe an die Regierung - ich glaube 1922 - , die von allen vernünftigen Leuten unterschrieben war, mir ebenso dumm als boshaft meine Bitte um Mitunterschrift ablehnte?). Schwarz spricht an anderer Stelle noch von „unerträglicher Phraseologie" - zum Schluß schreibt er „wir müssen wieder in den Raum der wirklich großen Uberlieferung kommen" - ist dies denn nicht ausgesprochen Phraseologie? Ich habe auf meinen Brief, der sehr eingehend war, keine Antwort bekommen, darum ist es jetzt doppelt nötig, sine ira et studio Ihre Zeit und Ihr Wirken zu schildern, und sei es auch nur in den wichtigsten Abschnitten und auf dem Hintergrund der aufgeregten Zeit jener zwanzig Jahre vor der Naziherrschaft, bis Sie . . . im nördlichen Fenster der Gotthardkneipe steht mit Feuerstein ins Glas geritzt: „Lambe, ingrate, mihi nudas, Germania, nates", zu deutsch: Götz von Berlichingen. Mit herzlichen Grüßen, auch von meiner Frau, Ihr Klopfer 54

Walter Gropius an Paul Klopfer

Cambridge, 3. April 1953

Dear Klopfer: Thank you very much for your warm letter of March twentieth. May I answer in English since I have no German secretary and have to leave right now for Atlanta, Georgia, for a series of lectures and an opening of one of my exhibitions. I send you enclosed a publication of the Harvard Graduate Center from the French paper I'architecture d'aujourd'hui. If you want to bring any photos from this, let me know and I will try to get them for you for the potential publication. Of my earlier work, I consider the Fagus Factory, Alfeld, Leine 1910-1911; Werkbund Exhibition, Cologne - 1914; and Bauhaus Dessau - 1925 my main work. I like very much your hint that you want to write your piece by pointing out the principles of my approach because that, of course, is much more important than this or that aesthetic outcome. I got several letters regarding the article by Schwarz. I wrote a letter to Dr. Doecker in Stuttgart in a form which may be published because I did not want to answer directly. Also Dr. Heinrich Koenig has written to me with the intention of answering Schwarz's article, and Architect Maeckler, Frankfurt, also plans to reply. So I hope he will be pushed back into his limits. With warmest greetings for both of you, Yours, Walter Gropius

Richard Docker an Walter Gropius

Stuttgart, 5. März 1953

Lieber Gropius! In der beiliegenden Zeitschrift finden Sie eine Auslassung des Herrn Rudolf Schwarz, bisher Stadtbaudirektor von Köln, jetzt an der Akademie Düsseldorf, Religion dick katholisch, kluger Kopf, nicht unbegabt, aber jesuitisch - eine Auslassung über das Bauhaus und 55

über Sie, wobei ich besonders auf die Zeile 10 bis 20 auf Seite 15, Abschnitt links, neben allen übrigen Auslassungen natürlich, für Sie persönlich hinweisen möchte. Es gibt also jetzt eine schwarze Moderne und ein neues Bauen und, Gott sei Dank, es gibt Schwarz. Die Zeitschrift wird von einem ebensolchen namens Alfons Leitl herausgegeben, ebenfalls gescheit, Journalist, nicht gelernter Architekt, einige Zeit lang Stadtbaurat von Trier, jetzt Privatarchitekt, speziell katholischer Kirchenbau. Auch in der „Neuen Zeitung" (amerikanische deutsche Zeitung) wird bereits der Artikel auszugsweise abgedruckt. Sie müssen etwas unternehmen, und zwar persönlich gegen Schwarz und den Schriftleiter Leitl. Die ganze Situation in Deutschland, auch im Werkbund (der Präsident Schwippert ist Katholik), ist eine katholische Aktion, eigentlich gegen das Moderne, das nicht verstanden wird, man tut aber so und bringt auch manches wirklich zustande, aber wie man tatsächlich denkt, zeigt der Artikel Schwarz. Bitte regen Sie sich nicht auf, es lohnt nicht, aber Sie und Ihre Bauhausabsolventen müssen etwas besonders Durchschlagendes gegen diese Clique der Ultramontanen unternehmen, und zwar rasch und endgültig. Vor etwa 3 Wochen war Martin Wagner hier, der aber, glaube ich, nicht sehr begeistert ist. Er wollte uns nachweisen, daß wir 50% billiger bauen müßten. Er konnte es aber nicht nachweisen, wie man das machen soll. Er ist wieder nach USA gefahren und hat mir über seine Ankunft eine Ansichtskarte geschickt, in der er mitteilt, daß er glaube, mit deutschen Studenten korrespondieren zu müssen, was natürlich durchaus möglich ist. Er will seine Ideen des wirtschaftlichen Städtebaus propagieren, er sieht nicht, daß es letzten Endes eben neben allem auch ein Gestaltungsproblem ist. Ich hoffe, daß es Ihnen gutgeht. Mit herzlichen Grüßen, auch Ihrer verehrten Frau Ihr Docker

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Walter Gropius ari Richard

Docker

14. März 1953

Lieber Docker, da ich dem schwärzlichen Schwarz nicht direkt antworten will, habe ich den einliegenden Brief an Sie so verfaßt, daß Sie ihn am besten an ,Baukunst u. Werkform' sowohl wie an die ,Neue Zeitung' zur Veröffentlichung geben können. Ich bitte Sie nur, in diesem Falle ausdrücklich darauf zu bestehen, daß der Brief im ganzen und nicht nur in Auszügen gebracht wird. Ich bin wirklich baß erstaunt, daß sich Schwarz so billig macht. Ich fürchte, daß auch seine Architektur einen Pferdefuß hat. Herzlichst Ihr Walter Gropius

Walter Gropius an Richard Docker

14. März 1953

Lieber Docker, vielen Dank für Ihren freundschaftlichen Brief vom 5. März mit dem mich überraschenden Aufsatz in der „Baukunst u. Werkform" und in der „Die Neue Zeitung". Schon durch Mäckler in Frankfurt hatte ich von dem Angriff des Herrn Prof. Rudolf Schwarz gegen das Bauhaus und meine Person gehört. Ich hatte erwartet, daß es sich dabei um eine prinzipielle Auseinandersetzung über Fragen handelte, die von Herrn Schwarz und mir sicher von sehr verschiedenen Gesichtspunkten angesehen und behandelt werden würden. Statt dessen fand ich eine polemische Abhandlung über eine inzwischen längst Geschichte gewordene Bewegung vor, die sich in ihrem rüden und überheblichen Ton und in ihrem Mangel an Sachkenntnis in nichts von den Angriffen der Bauhausgegner der Hitlerzeit unterscheidet. ,Abendländische Gespräche' dieses Niveaus haben kein Gewicht. Der Schreiber disqualifiziert sich darin selbst durch seinen Ton und durch die Leichtfertigkeit, mit der er in der Öffentlichkeit Ideen und Geschehnisse angreift, die er offensichtlich nur vom Hörensagen kennt, während sie seit vielen Jahren in allen Kulturländern 57

Walter Gropius, 1955

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Foto: Otto Wimmer

Gegenstand eingehender Studien von kompetenten Erziehern, Historikern und Architekten sind. Die Behauptung des Herrn Schwarz, daß wir uns ,feierlich zum historischen Materialismus bekannten', ist frei erfunden. Vermutlich verwechselt er mich mit meinem Nachfolger Hannes Meyer, der nach kurzer Amtszeit auf meinen Vorschlag entlassen und durch Mies van der Rohe ersetzt wurde, den ich der Stadtverwaltung von Dessau empfohlen hatte. Solange ich das Bauhaus selbst leitete, versuchte ich, das Institut aus allen politischen Verstrickungen herauszuhalten, an denen die Zeit so reich war. Die auf freiwilliger Zusammenarbeit aufgebaute Organisation der Schule konnte ebensowenig mit der marxistischen Gedankenwelt identifiziert werden als mit der nazistischen. Ich bedaure, daß es in Deutschland noch immer oder schon wieder möglich ist, den andersdenkenden Kollegen durch Unterstellung falscher Motive und in einer Sprache anzugreifen, die nur im Falle äußerster Provozierung verzeihlich wäre. In unserer durch rapiden Verkehr schrumpfenden Welt sind wir Erdbewohner vor die gemeinsame Aufgabe gestellt, in sachlichem Austausch einen geistigen Generalnenner für unsere irdische Symbiose zu finden. Unfruchtbare, chauvinistische Polemiken sind nur ein Zeitverlust und halten die menschliche Entwicklung auf. Ich liebe konstruktive Kritik, weil sie anregt, aber auf diesen Angriff möchte ich mit Goethe antworten: ,Laß dich nur zu keiner Zeit Zum Widerspruch verleiten, Weise fallen in Unwissenheit, Wenn sie mit Unwissenden streiten.' Mit herzlichem Gruß und Dank, Ihr Walter Gropius NB. Benutzen Sie diesen Brief nach Ihrem Gutdünken und halten Sie mich bitte auf dem laufenden.

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Heinrich König an Ise Gropius

Mannheim, 17. März 1953

Meine liebe gnädige Frau! In dieser Nacht habe ich zwar noch nicht den Originalaufsatz von Rudolf Schwarz, der ja wirklich ein Könner ist, aber - verzeihen Sie, ungefähr die größte Schandschnauze, die ich in Werkbundkreisen kenne - gelesen, nur einen Auszug daraus in der Neuen Zeitung. Meine Wut über die mehr als schlampige Redeweise bei einem Mann, der sich in seinen ernsthaften Büchern „Vom Bau der Kirche" und „Vom Bau der Erde" wunderbar auszudrücken versteht, war derart, daß ich die ganze Nacht nicht geschlafen habe, denn der Schaden, den dieser Mann der gemeinsamen Sache antut, ist überhaupt nicht abzusehen. Gestern Abend war Schwippert 2 Stunden bei mir (er ist hier als Mitglied eines Gutachterausschusses in einem Ideen-Wettbewerb für das Mannheimer Nationaltheater). Es tut mir schrecklich leid, daß ich den Angriff von Schwarz in diesem Moment noch nicht kannte. Man kommt einfach nicht dazu, alles rechtzeitig zu lesen. Schwarz und Schwippert waren früher in Aachen zusammen. Nun trifft heute früh Ihr lieber Brief vom 11. d.M. bei mir ein. Haben Sie herzlichen Dank. (-> Um noch einmal auf den unqualifizierbaren Angriff von Rudolf Schwarz zurückzukommen, so müssen wir verschiedene Leute ausfindig machen, die die spitze Feder besitzen, um wirkungsvoll antworten zu können. Ich schreibe zunächst einmal an Hobby Hoffmann und sende verschiedenen Leuten Durchschläge, z.B. Alfred Arndt, Max Bill, die sich überlegen sollen, was hier zu tun ist. Der Schaden, der hier angerichtet ist, kann den Bauhausgedanken nicht treffen, aber im ganzen ist der angerichtete Schaden unübersehbar. . Verzeihen Sie das Durcheinander dieses Briefes. Ich bin wirklich reichlich upset durch die so schlimme und mehr als überflüssige Geschichte mit Rudolf Schwarz. Mit herzlichen Grüßen Ihr Harry König

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Walter Gropius an Heinrich König

Cambridge, 1. April 1953

Mein lieber König! (...) Don't bother too much about Rudolf Schwarz. I am sure there will be quite some reactions coming and have written myself a letter in German to Dr. Doecker in Stuttgart, asking him to send that letter in. I don't want to answer Schwarz directly. Also Professor Klopfer in Lorch/Wuerttemberg will answer directly, and I have also sent him some data. (...) Ihr Walter Gropius

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Alfons Leitl Anmerkung zur Zeit: Debatte um Rudolf Schwarz

Der Beitrag von Professor Rudolf Schwarz „Bilde Künstler, rede nicht" im letzten Heft von „Baukunst und Werkform" hat einen Sturm der Entrüstung entfacht. Wir halten uns verpflichtet, nachdem wir diesem Beitrag Raum gegeben haben, auch dem Echo Gehör zu verschaffen, das der Ruf in den Wald hervorgebracht hat. Um Mißverständnissen zu begegnen: genausowenig wie unsere Achtung und Verehrung für Walter Gropius davon berührt wird, daß einer unserer Autoren, in diesem Falle Rudolf Schwarz, andere Ansichten vertritt als die unseren, genausowenig ändert sich unsere bekannte Wertschätzung für Schwarz in seinen Leistungen als Baukünstler und Dichter, auch wenn wir wenig erfreut und schon gar nicht eines Sinnes mit ihm sind bezüglich mancher Urteile, die er ab und an über Vorgänge und Persönlichkeiten der jüngsten Baugeschichte, über Politik, nationale Belange und dergleichen in privaten Debatten oder, was gefährlicher ist, weil mißverständlich, in öffentlicher Rede ausspricht. Es mag sein, daß sich durch solche Äußerungen der Aspekt ändern kann, unter dem man einen Mann betrachtet, ob als Vorbild, als Anreger oder aber als eigenwilligen Einzelgänger. Damit können aber Positiva, die bis gestern als solche anerkannt waren, sich nicht heute in ihr Gegenteil verwandelt haben. Hatte es einen Sinn und eine Berechtigung, der „Geschichtsberichtigung" von Rudolf Schwarz Raum zu geben ? Und hat es nun einen Sinn, diese Geschichtsberichtigung wieder mit so viel Stimmen zu berichtigen? Ist es nicht ein wundervolles Schauspiel, das die modernen Architekten damit der Welt bieten? Und kommen sie damit nicht gefährlich in die Nähe der evangelischen Weisheit: „Jedes Reich, das uneins ist in sich selbst, zerfällt ..." Wir sehen diese Gefahr nicht. Für uns geht es nicht um modernes oder nicht modernes Bauen, sondern nur noch um Bauen und Baukunst ohne einschränkende Zusätze. Und das ist ein Bauen aus allem und mit allem, was in der Zeit lebendig ist, dessen Kräfte aus mancherlei Strömungen und 62

Spannen gewachsen sind und zu dem Gropius gehört wie Mies van der Rohe, Schwarz oder Tessenow wie Scharoun. Dieses weite Feld ist weder eine Einöde noch ein Friedhof, sollen nicht jene negativ Urteilenden recht behalten, die den modernen Architekten fade Gleichmacherei und geistige Dürre vorwerfen wollen. Gewiß, wir hatten gemeint, die alte Dolchstoßlegende vom Bauhaus, wie sie Louis Schoherth in seinem Diskussionsbeitrag bezeichnet, sei endlich abgetan. Allein wenn ein Mann wie Schwarz, der neuerdings wieder eine wichtige Lehrkanzel innehat, sie mehrfach in der Öffentlichkeit ausspricht, so sehen wir darin einen Anlaß, wie stark immer uns die Erneuerung solcher Thesen widerstrebt, solches zu vermerken und zum Austrag zu bringen. Schließlich nehmen wir es nicht nur als ein freundliches und ehrendes Kompliment, es sei wichtig, ein Diskussionsforum zu besitzen, sondern als eine Verpflichtung, der wir selbst auf die Gefahr von Mißverständnissen über unsere eigene Haltung hin folgen. Wir haben zunächst Franz Meunier gebeten, das Wort zu ergreifen. Denn er hat offensichtlich seiner kritischen Bemerkung über die Geschichtsberichtigung von Rudolf Schwarz auf dem Darmstädter Gespräch 1951 („Baukunst und Werkform", Heft 5/51) ein so tiefes Ressentiment in das Herz des Redners gesenkt, daß es einmal ausgesprochen werden mußte, und das geschah jetzt anläßlich des jüngst von uns bei Schwarz erbetenen Beitrags. Louis Schoberth, Aachen, betrachtet den Aufsatz von Schwarz im Zusammenhang mit anderen Äußerungen des Autors in einer kürzlich gehaltenen Gastvorlesung in Aachen. Es meldete sich sodann zu Wort Hermann Mäckler, Frankfurt, als ein Sprecher jener in den zwanziger Jahren herangewachsenen Architekten, die zwar nicht aus dem Kreis des Bauhauses hervorgegangen, so doch mit Aufmerksamkeit und Achtung, wenn auch nicht ohne Kritik das Wirken seiner Meister und der anderen Pioniere jener Zeit verfolgt hat. Hubert Hoffmann, Berlin, spricht für die ehemaligen Schüler des Bauhauses, Professor Paul Klopfer, Lorch in Württemberg, früher Direktor der Bauschule Holzminden und stets ein aufmerksamer Betrachter des baulichen Zeitgeschehens, spricht aus der nahen Kenntnis van de Veldes und Gropius'; Godo Remszhardt, Frankfurt a. M. als kämpferischer Zeitkritiker. Und schließlich gibt der Kieler Maler Peter Röhl Erinnerungen aus den Weimarer Jahren des Bauhauses. Diesen Beitrag hatten wir schon vor längerer Zeit außerhalb der hier aufbrechenden Debatte gelegentlich eines Gespräches mit Peter Röhl erbeten. Er ist uns jetzt eine willkommene 63

Ergänzung. Zeigt er doch die ersten Jahre des Bauhauses in einer Darstellung, die frei ist von der so oft zitierten gefährlichen Sonde eines materiellen Intellektualismus. Sicher ist dieses Licht, das von einem begeisterten Herzen auf die Menschen und das Hoffen von damals fällt, nicht die einzig mögliche Beleuchtung. Aber erklärt es nicht auch, warum diese Jugend von damals wie jede von einer Idee entzündete Generation ihren eigenen Aufbruch als das Jahr 1 betrachtete und betrachten durfte? Es ist freilich das Recht der später Urteilenden, also auch das Recht von Schwarz, diesen Aufbruch schon als einen zweiten oder wie Remszhardt als eine logische Folge eines ersten zu betrachten und das Jahr 1 entsprechend zurückzuverlegen. Das dürfte inzwischen nicht nur von den Kunsthistorikern, soweit sie schon beim Jahre 1900 angelangt sind, sondern von uns allen, also auch von der Jugend von 1920, besorgt worden sein. Allein wir möchten nicht der Fülle der Stimmen etwas vorwegnehmen oder hinzusetzen. Es verdient lediglich noch angemerkt zu werden, daß die meisten der Gegenäußerungen zu dem Aufsatz von Rudolf Schwarz in der Form des Briefes abgefaßt sind, was als Zeichen für die Erregung und die spontane Anteilnahme am Gegenstand zu nehmen ist. Wir sahen keinen Anlaß, an dieser Form etwas zu ändern, und haben lediglich unseren Mitarbeiter Godo Remszhardt gebeten, einige politische Absätze seines Briefes streichen zu dürfen. Li.

Aus Baukunst und Werkform, VI. Jahrgang 1953, Heft 2/3, Februar/März, Seite 59ff.

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... Einer gibt dem anderen das Wort weiter

...

Sieben Stimmen zur Berichtigung des Geschichtsbildes von Rudolf Schwarz

I. Franz Meunier: Nachgeholter Kommentar zu einem Kommentar

Lieber Herr Leitl, Rudolf Schwarz sagt so schön und schlicht: „So einfach ist es heute ja nicht, ein paar Stunden mit einem Freund zu plaudern . . . " Aber er hat es doch offensichtlich in einem Kölner Hotel mit Ihnen getan und dann doch noch so einen langen Artikel geschrieben; mir aber, der dieses Vergnügen nicht gehabt hat und so bald wohl nicht haben wird, einen Aufsatz von solchem Umfang und Gewicht - selbst wenn er angenommen würde - von der Seele zu reißen, bin ich natürlich aus den selbstverständlichsten Gründen gar nicht imstande; so muß ich mir wohl einiges in einem Brief an Sie von der Seele schreiben, eben von diesem Schwarz-Aufsatz „Bilde Künstler, rede nicht!" angeregt. Ein Künstler bin ich nicht, kann also reden; bin auch gewiß, daß Sie mir gern eine Weile zuhören. Im übrigen können Sie damit anfangen, was Sie für gut halten. Ich kann nicht drum herum, weil ich ja, wenn auch mittelbar, vom Verfasser des Aufsatzes ein bißchen mit hineinverwickelt und angekratzt werde. Denn, wenn er Sie „beschimpft", daß „Baukunst und Werkform" „ein geistiges Ereignis von dem Range meines Vortrages (im Rahmen der Darmstädter Gespräche anno 1951) so schäbig behandelt und mißachtet" hat, so besteht Ihre Schuld nur darin, daß Sie mir als dem Berichterstatter vertraut haben. Also dürfte ich, wären die Architekten immer nach Rudolf Schwarz! - nicht so ungebildet, jetzt wohl sagen: Mea res agitur . . . Aber ich weiß, daß Sie Latein gelernt haben. Die Darmstädter Gespräche! „Mensch und Raum" war das Thema des Jahres 1951, und Martin Heidegger (für die Architekten, die es nicht wissen sollten: er ist nicht vom Baufach, sondern Philosoph, aus der 65

deutschen Branche des Existentialismus, um noch genauer zu sein!) hat sich auf seine Weise sogar mit diesem Thema beschäftigt. Sonst niemand von allen Teilnehmern am Gespräch, auch Rudolf Schwarz nicht; einige streiften den Rand des eigentlichen Problems, schlugen aber gleich einen weiten, „praktischen" Bogen. Es waren atmosphärisch heiße Tage, und wenn schon die „Elite unseres Faches" sich in Darmstadt totschwitzte, so haben einige unter den Zuhörern zumindest hin und wieder Blut und Wasser verschwitzt; über das nämlich, was die Elite teilweise von sich gab. Das kann einem bei Rudolf Schwarz nicht passieren, alles, was recht ist! Sie erinnern sich gewiß noch mancher Tagungen, auf denen so entsetzlich viel geredet wurde. Wenn Rudolf Schwarz dabei war, konnte eigentlich nicht alles so ganz trostlos und schlimm sein. Dann kam doch immer wenn er nicht selbst sprach, was auch dann eine Wohltat war, wenn ein bißchen Skandal mit einfloß - ein Moment, nach einer langen Verlautbarung oder irgendwann in der Diskussion, daß Rudolf Schwarz im schönsten Rheinisch der Welt ein paar Worte in die Debatte warf, und dann hätte - wären geistige Taten, wie es sein sollte, immer von sichtbaren Folgen begleitet - der Herr Vorredner eigentlich immer in Unterhosen, wenn nicht noch unbekleideter dastehen müssen, so saß der Satz. Deshalb zitterte ich auf solchen Kongressen immer ein wenig, Rudolf Schwarz möchte aus dem manifesten Zustand innerer Versunkenheit oder dem fast ostentativ zur Schau getragenen Unbeteiligt- oder Gelangweiltsein in richtigen Schlaf verfallen und den Einsatz verpassen. Aber seine großen hellseherischen Fähigkeiten bewährten sich eigentlich immer. In Darmstadt nun war Rudolf Schwarz als Hauptredner gar nicht vorgesehen; er trat für einen Philosophen ein, der plötzlich absagen mußte. U n d so konnte man den Ersatzmann billigerweise nicht allzu fest auf ein Thema verpflichten, was bei ihm auch sonst wohl nicht gelungen wäre. D e r Aufsatz „Bilde Künstler, rede nicht!" beweist es ja aufs schönste. In Darmstadt hatte er nun eine große Stunde der Abrechnung; und schließlich hat alles in der Welt, wenn man so will, mit allem zu tun. Es waren ungefähr die Themen, die auch in dem Artikel auftauchen; nur das 19. Jahrhundert kam en bloc erheblich schlechter weg. Die schäbige Behandlung und Mißachtung eines geistigen Ereignisses vom Rang seines Vortrages bestanden nun darin, daß ihm der Bericht aus Darmstadt attestierte, er wäre mit der Geschichte einigermaßen souverän verfahren und habe dem Polemischen mehr als sein volles Recht gegeben. D a ist auch heute noch nichts zu begradigen und abzuschwächen; der Berichterstat-

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ter, der nachher sich allerlei Erbitterung und Empörung auch aus dem Munde nicht ganz ungebildeter Kollegen des Redners anhören mußte, bildete sich ein, maßvoll gewesen zu sein mit seiner Feststellung; außerdem hatte er nichts gegen eine Prise Gewürz, in die etwas unentschiedene Darmstädter Sauce gestreut. Rudolf Schwarz wiegt als pfeffernder advocatus diaboli Dutzende von Kongreßrednern mit akademischer und anderer Bildung auf. Freilich kann eine Schwarzsche Normal-Dosis bei moralisch und intellektuell schwächer Konstituierten schon wie Gift wirken; die glauben dann, das sei schon Giftmischerei. Rudolf Schwarz will aber sicherlich nur lahme Kreisläufe etwas beschleunigen; er kann Denkfaulheit nicht leiden, und da seine Bücher nicht genug gelesen werden, weil die Leute, leider, meinen, sich ein längeres theologisches Studium nicht leisten zu können, wie soll er sie aus dem Trott denn sonst herausreißen? Gegen die nicht sehr liebreiche Methode ist also höchstens unter dem Aspekt der Ewigkeit etwas einzuwenden; aber sie ist es, die so manchen, wahrscheinlich noch Humorloseren als selbst Rudolf Schwarz, erbittert. Lassen wir ihm seine Art; Ärgernis muß wohl sein. Wie steht es aber um die Sache? Ich meine nicht die Verdammung des „Bauhauses", das Verdikt gegen die Architektur-Fotografie, die Verhimmelung des Jugendstils, um nur einige Hauptthemen zu nennen. Vom Bauhaus leben noch Leute, Manns genug, ihre Sache selbst zu führen. Die Fotografie macht nicht glücklich, zugegeben, aber sie ist nun einmal da, und auch der Gegner bedient sich ihrer, wie des Rechenschiebers, ohne den die alten Kathedralen auch gebaut worden sind. Uber den Jugendstil ist die Zeit, im Bunde mit den Möbelfabrikanten, schon bald, allzubald zur Tagesordnung übergegangen. Das bedauert Rudolf Schwarz nicht allein; aber die Zeit ist nun mal ein Gericht ohne Appellations- und Revisionsmöglichkeit; wenn die Geschichte irgendwo kategorisch ist, so hier. Wahrhaft verblüffend an dem, was Rudolf Schwarz in seinem Aufsatz aneinanderreiht, ist vielmehr neben der polemischen Zusammenhanglosigkeit des Ganzen, seiner intellektuellen Vagheit, in die Selbstkritik nie hineingeleuchtet zu haben scheint, der völlige Mangel an geistesgeschichtlicher Disziplin und Substanz. Er scheint nicht einmal gemerkt zu haben, daß er in seinem Aufsatz gerade das tut, was er am härtesten verurteilt, nämlich: daß er von Anfang bis Ende in ästhetischen Kategorien denkt. Das ist so unverkennbar und auffällig wie erschütternd. Der Begriff „Tradition" kehrt immer wieder. Einmal wird behauptet: „Die Tradition haben wir". Wenig später heißt es: „Wir müssen wieder in den Raum der wirklichen großen Uberlieferung kommen und alles abtun, 67

was gegen deren Geist i s t . . . " Mit keinem Wort wird auch nur angedeutet, was diese Tradition denn nun sei. Doch nicht die des schlichten Bau-Einmaleins? Oder die der späten Gotik? Oder gar des Jugendstils? Die Kunstwissenschaftler haben zweifellos viel leeres Stroh gedroschen, aber die Gescheiteren unter ihnen haben doch im Verein mit Kulturmorphologen, sofern sie nicht selbst derlei Ambitionen hatten, auch schon gesehen, daß es keine gewollten Stile gibt. „Stile sind intolerant", sagt Pinder irgendwo einmal, und das heißt, daß sie nichts, was nicht ihres Geistes ist, neben sich dulden, nicht dulden können. Daß wir mit dem Wort heute so labbrig umgehen, gehört nicht nur in das Kapitel „Verfall der Sprache", auch von Rudolf Schwarz beklagt, sondern Verfall des Denkens schlechthin. Wer wollte denn leugnen, daß die Männer des Jugendstiles alles das waren, was Rudolf Schwarz zu ihrem Lobe sagt. Räumen wir auch ein, daß für ihren Entschluß, einen neuen Stil zu schaffen, eine echte innere Notwendigkeit bestand. Aber wo war die Hartnäckigkeit, die stählerne Härte, das Nicht-anders-können, das ein Signum aller Epochen mit kulturschöpferischer Kraft ist? Daß einige früh starben, erklärt doch nicht die völlige Kapitulation nach wenigen Jahren des Keimens schon. Als die Schüsse von Serajewo fielen, brauchte der Jugendstil doch nicht mehr getötet zu werden, er hatte sich selbst aufgegeben, und die freie Marktwirtschaft von damals versorgte die Bürger mit seinen Relikten - dis jecta membra poetarum. Es konnte nicht anders sein. Schon die Jugendstil-Leute standen nicht mehr auf den Schultern anderer, sie hatten keine Tradition mehr, an die sie sich anlehnen konnten. Sie griffen nicht zum Stil-Katalog der Kunstprofessoren, wie es die versumpften Akademiker taten. Nein, sie lebten nicht umsonst in einem naturwissenschaftlichen Jahrhundert; sie entlehnten bei der Naturgeschichte ihre Motive, ob bewußt oder unbewußt, was tut's, von der Mineralogie bis zur Botanik. Der Unterschied scheint mir nicht so besonders prinzipiell. Entscheidend für sein Versagen - und das gilt nicht für den Jugendstil allein, an dem hier exemplifiziert - ist aber, daß er ohne Wurzeln war. Auch ohne Widerstand. Er hatte ja nicht einmal mehr den Boden unter den Füßen, den das abgibt, was man eine „Gesellschaft" nennt, von einer Gemeinschaft aus Geist und Wahrheit ganz zu schweigen. Das Bürgertum, das einmal doch Bemerkenswertes im Bauen und in der Bildkunst zustande gebracht hatte, das in Frankreich immerhin noch den Impressionisten als ausreichender Nährboden hatte dienen können, war um die Jahrhundertwende in völliger Auflösung. Der Künstler hatte sich von 68

diesen verwesenden Elementen frei zu machen versucht - aber wohin soll denn der formende Mensch, wenn kein mütterlicher Wachsgrund mehr da ist, der ihn trägt, befruchtet, schützt? Soll er in der Luft schweben wie Ariel, sich zu den Sternen erheben? Auch abgeschnittene Blumen leben ja noch eine Weile im Wasserglas . . . Das könnte man mit ungeheuer gewichtigen Argumenten aus der Geistesgeschichte unseres Planeten unterbauen; wir überblicken ja schon einige Jahrtausende, und sie geben immer die gleichen Antworten; die materialistische Geschichtsauffassung und den Materialismus selbst dürfen wir dabei auf sich beruhen lassen, Rudolf Schwarz mag die eine wie den anderen nicht. Ihn macht er übrigens für den „großen Bruch der abendländischen Uberlieferung" - den gibt es also doch! - verantwortlich; auch das ist nicht so sicher. Der Materialismus ist eigentlich nur ein Leichenfledderer sich lange vorher anbahnender Entwicklungen - aber hier sollte Historisches nur bemüht werden, soweit es gar nicht zu umgehen war. Man kann es nur nicht so gänzlich außer acht lassen oder so gewaltsam behandeln, wie Rudolf Schwarz es tut. Er weiß das nämlich selbst ganz genau und verrät es gelegentlich wider Willen; hier muß zuviel für seine polemische Aphoristik passend gemacht werden. Eigentlich hört da der Spaß auf, weil es junge Leute geben könnte, die ihm vielleicht glauben, was er über das Bauhaus und den Jugendstil sagt, und daraufhin vielleicht anfangen, sich genialisch zu gebärden, meinend, mit einer kleinen Privat-Welt aus Wille und Vorstellung komme man an die echte Tradition und die richtige Kunst heran und werde den Materialismus wirklich los. Der sitzt, leider, ein bißchen tiefer in vielen von ihnen und von uns allen, als daß wir ihn mit Programmen und Polemiken abtun könnten, und noch im Kampf gegen ihn werden wir von ihm ärger infiziert, wenn wir nicht sehr gut aufpassen. Das Schicksal der modernen Architektur dürfte sich also kaum auf dem Wunschtraumboden einer „Tradition" noch im Vakuum der Stille entscheiden, sondern auf einer Ebene, die man vielleicht am besten die „anthropologische" nennt. Das ist ein weites Schlachtfeld der Geister, und wo der Geist am Werk ist, läßt er sich manchmal viel Zeit. Wer von den ungebildeten Architekten nicht weiß, was damit gemeint ist, kann sich beim Kollegen Schwarz die beste aller Auskünfte holen. Diese abstrakten Gefilde gern auf sich beruhen lassend, wird er vielleicht noch, zur mehr praktischen Herzstärkung, so kostbare Sätze wie diese vernehmen: „Ein tiefer Quell neuer und ursprünglicher Gestalt ist aufgebrochen. Wo heute überhaupt echte Form entsteht, da ist sie fast immer technischen' Ursprungs. Die Natur fügt

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sich in die neue Wirkform, und das täte sie nie, wenn sie nicht durch die neue Anrede zu innerst betroffen wäre . . . " D e m vielleicht gleichfalls „zuinnerst Betroffenen" würde der Meister dann, ein ganz klein wenig unwillig, bedeuten, daß er solches bereits vor längerer Zeit und dann wieder vor einigen Jahren in Buchform der Öffentlichkeit vorgelegt habe, daß er natürlich einen gewissen Sinn für Mystizismen als selbstverständlich bei einem deutschen Jüngling und Architekten voraussetzen müsse, und daß er im übrigen auch immer so gebaut habe, fest im Besitz der Tradition mit Formen technischen Ursprungs. Der Jugendstil habe ja auch mit beidem gearbeitet; leider sei die Zeit damals für ihn nicht reif gewesen. N u n heiße es, wieder an diese Tradition anzuknüpfen. Wenn es dem so Beschiedenen dann geht wie dem Schüler im „Faust", ist ihm nicht zu helfen. Lieber Herr Leitl, wenn man einmal anfängt, sich mit dem Aufsatz zu beschäftigen, findet man kein Ende und entdeckt schließlich gar noch, daß man sich mit Dingen herumgeplagt hat, die gar nicht so gemeint sein können! U n d dann ist es beinahe ein Trost zu glauben, man habe es hier viel mehr mit einem Affekt-Ausbruch als mit einem überlegten Beitrag zu einem Gespräch zu tun. Es sei denn - aber das ist nur eine Vermutung, die durch etwas zu zahlreiche Giftspritzer wieder unwahrscheinlich wird - , Rudolf Schwarz habe sich wieder einmal darin gefallen, den advocatus diaboli oder den Narren ä la Shakespeare (ein höchst gescheiter und weiser Menschentyp! Für die, so es nicht wissen!) gespielt. Wäre dem so, dann wären Sie gewiß ebenso froh und erleichtert wie Ihr Franz Meunier

II. Hermann Mäckler: Praeceptor Germaniae et Europae? Den Aufsatz von Professor Dr. Rudolf Schwarz im letzten Heft von „Baukunst und Werkform" habe ich, trotzdem er mir schließlich alles andere als ein Vergnügen war, oft und jedesmal aufmerksam gelesen. Mit Schwarzscher Diktion vertraut, ging ich an die erste Lektüre als an einen geistigen Schmaus. Die von Leitl so genannte „Gebrauchsanweisung", ein Aperitif nicht ohne einige bittere Tropfen, machte Appetit auf das folgende Menü, das es wohl „in sich haben" würde, wie man es von einem Meisterkoch erwarten durfte. Eh bien, dachte ich, er schält die Kartoffel nicht selber, aber er versteht sein Handwerk. U n d begann. Wie es manchmal geht, entdeckte ich Erinnerungen an vordem schon Geschmecktes, 70

entdeckte ich auch ganz Neues, Ungewohntes, zuweilen wurde ich bedenklich, ob wirklich die Dosierung der scharfen Gewürze ganz richtig sei, dann beruhigte ich mich, kaute weiter und sagte mir: Dieser Mann muß wissen, was man darf und was man nicht darf! Sie haben nicht gewußt, schon gar nicht gefühlt, was man nicht darf, Herr Professor Schwarz. Man kann in vielem mit Ihnen übereinstimmen, mag man freilich auch wünschen, daß Sie etwas reinlicher differenziert hätten. Oder sollte so ganz abwegig sein zu vermuten, daß es gute Architekten von vorzüglicher Bildung geben könne, denen die Gabe des Schreibens versagt blieb? Sollte wirklich bei den Medizinern das goldene Zeitalter ausgebrochen sein? Mir sagt ein ärztlicher Freund immer wieder: Auf ein Schock Mediziner kommt ein Arzt. Man könnte ungeachtet Ihrer ex cathedra vorgetragenen Lehre wahrscheinlich auch nachweisen, daß in jenen herrlichen Zeiten vor dem Ersten Weltkreig die „Luft reiner und guter Menschlichkeit" bisweilen ein wenig stickig war. Wie schon so oft, haben Sie in alledem manche Grenzen überschritten, eine hätten Sie respektieren müssen. Sie liegt vor dem Namen Walter Gropius. Sie haben im Oberlehrerton gönnerhaft diesem Mann konzediert, daß er ein Künstler ist - ein „unverbindlicher" allerdings der das Denken niemals gelernt hatte, wohingegen ihm 1914 einmal ein kleines Kontorhaus gelungen ist, „das ziemlich ordentlich war". Walter Gropius ist ein liebenswerter Mensch, das besagt unendlich viel mehr, Herr Professor Schwarz. Als „praeceptor Germaniae", was sage ich, „Europae" von eigenen Gnaden setzen Sie Thesen. Das haben vor Ihnen schon andere getan und handelten dann danach. „Man kann nur sinnvoll über Dinge diskutieren, die noch in der Entscheidung stehen, es sei denn, daß man historische Gelüste hat!" So schreiben Sie doch, und alle Vernünftigen werden Ihnen zustimmen. Wie aber steht es mit Ihren historischen Gelüsten? Lassen wir den ersten Teil Ihres Aufsatzes, bleiben wir beim letzten! Warum eigentlich beschäftigen Sie sich so nachdrücklich mit dem Bauhaus in seiner historischen Form? Wurde es nicht vor beinahe 20 Jahren liquidiert? Sollten nicht daran wirklich nur die Historiker interessiert sein? Ist nicht seit dem Abgesang des Bauhauses einiges vorgegangen in der Welt des Bauens? Wo wird denn noch rite nach den Formgesetzen jenes Bauhauses gearbeitet? Wo sind denn diese Stühle zu finden, die Sie jugendlich geistreich einst „Menschenfallen" tauften, wo die Pamphlete der Nachfolgeschulen - gäbe es solche? Man ist - verzeihen Sie - versucht, an die mannigfachen im „Abendland" überlieferten weisen 71

Sprüche zu denken, die sich mit der Konkordanz von Schimpfen und Unrechthaben befassen. Gibt es nicht allerorten „Dinge, die in der Entscheidung stehen" und damit Stoff zu legitimen Diskussionen. Wichtige und richtige Dinge, die notabene ursächlich mit dem einstigen Bestehen des Bauhauses zusammenhängen. Sage ich Bauhaus, so meine ich, wie es sich versteht, die Lehrer des Bauhauses „unerfreuliche Zeitgenossen von unerträglicher Phraseologie" und „peinlicher Arroganz". Das steht ja doch wohl in Ihrem Aufsatz, und da ich - in meiner Sorge immer wieder lesend, es nie anders las - mögen Sie sich die Wirkung dieser „bedeutenden" Worte nach außen vorstellen. Ich habe mir die Mühe gemacht, diese Leute einmal namentlich nach ihrer damaligen Tätigkeit und nach ihrem Verbleib zusammenzustellen. Es waren: Walter

Gropius

Josef Alb ers Herbert

Bayer

Marcel

Breuer

Lyonel Feininger Johannes Itten Walter

Kandinsky

Paul Klee Gerhard

Mareks

Laszlo

Moholy-Nagy

George

Muche

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Architekt, Gründer und Direktor des Bauhauses, zuletzt Chairman of the Department of Architecture, Harvard University, USA. Graphiker und Photograph, zuletzt Chairman of the Department of Design, Yale University, USA. Photograph, Maler und Typograph, zuletzt Aspen, Colorado, USA. Architekt, zuletzt Professor of the Department of Architecture, Harvard University, USA. Maler, zuletzt New York. Maler, Bildhauer, Schriftsteller, jetzt Direktor des Kunstgewerbemuseums Zürich. Maler, Graphiker, Schriftsteller, gestorben 1944 zu Neuilly-sur-Seine. Maler und Schriftsteller, gestorben 1940 in Locarno. Bildhauer, Keramiker, jetzt Professor an den Kölner Werkschulen. Photograph - Bühnenbildner, Schriftsteller, Direktor des Institute of Design, Chicago, gestorben 1940 in Chicago. Maler und Schriftsteller, jetzt Direktor der Textilschule in Krefeld.

Oskar Schlemmer Lothar Schreyer

Maler und Bühenbildner, gestorben 1943 in Baden-Baden. Maler und Bühnenbildner, zuletzt Hamburg.

Da gab es denn noch Assistenten und Schüler wie Max Bill, Joost Schmidt, Wilhelm Wagenfeld u.a. Ob sie alle damals das Gift geschluckt haben, „das mit absoluter Sicherheit zum Tode führt"? Wie steht es da zum Beispiel mit Johannes Itten, mit Gerhard Mareks oder mit Paul Klee, dessen schönste Bilder ich im Heim von Mies van der Rohe in Chicago sah? Soll der heute sprechen, dem das „abendländische Schicksal" am Herzen liegt, soll sprechen, wer wie Sie, Herr Professor Schwarz, etwas zum Thema zu sagen hat. Wenn aber ehemals - wie Sie glauben - „ein großes Gespräch" war, „in dem jeder gehört wurde, der etwas Gutes zu sagen hatte", so dünkt mich, Sie hätten nicht nur klug, sondern sogar gut gehandelt, wenn Sie etwas Gutes gesagt hätten - so wenig des Guten Sie vielleicht auch entdecken mochten. Ob sich wohl keine Spur hätte aufzeigen lassen? Bei gutem Willen? Ich finde in Ihrer Eskapade über das Bauhaus nur die Lieblosigkeit des Simplifizierens! Im Politischen „Demagogie" genannt. Cui bono? Sie selbst nennen Herrn Tamms. Nehmen wir ihn als Repräsentanten! Sie sagen von Weimar: „Das großartige Erbe war verjubelt". Warum sagen Sie nicht auch - oder wissen Sie es nicht? daß Henry van de Velde auf Gropius als seinen Nachfolger hingewiesen hatte? Und wenn das ein Irrtum des großen Belgiers gewesen sein sollte, warum sind Sie nicht so fair, die bedrückenden Zeitumstände mitzunennen, die einen Mann wie Gropius von Weimar vertrieben? Sie geben ein intimes Detail, erzählen dramatisch von Ihrem Lehrer und Meister Poelzig aus jenen Tagen, warum verschweigen Sie - oder wissen Sie es nicht? - , daß in Weimar damals dieselben Leute am Werk waren, die 1933 endgültig jeder Freiheit den Garaus machten, und daß neben Poelzig in jenen Dezembertagen noch einige andere für das Bauhaus protestierten: Peter Behrens Lovis Corinth Albert Einstein J.J.P. Oud Gerhard Hauptmann Ludwig Justi 73

Mies van der Rohe Hermann Sudermann Christian Rohlfs Richard Riemerschmid Bernhard Pankok Hans Thoma Hugo von Hoffmannsthal Oskar Kokoschka Max Reinhardt Arnold Schönberg Franz Werfel Josef Hoomann und andere. Nichts liegt Ihnen, Herr Professor Schwarz, - wie Sie es zu wiederholten Malen sagen - mehr am Herzen als das Gespräch. Viele, einer passablen und vor allem verbindlichen Sprache Kundigen warten darauf. Es setzt zweierlei voraus: guten Willen auf beiden Seiten und eine gemeinsame Sprache. Ihre Partner dürften nach Ihrem baumeisterlichen Bekenntnis verlangen. Ist es die Fronleichnamskirche in Aachen oder die anglikanische Garnisonskirche in Köln-Marienburg? N u r wenige werden noch wissen, daß Sie selbst es schon einmal abgelegt haben damals zu Zeiten des Bauhauses. Wir wollen daher nicht versäumen, es zu zitieren. Aus „Die Schildgenossen", Jahrgang 1931, S. 284. Rudolf Schwarz: „Beschreibung der Fronleichnamskirche in Aachen": „Es muß überhaupt einmal gesagt werden, daß das künstlerische Thema dieser Kirchen tatsächlich der ,Kasten' ist. Wenn man damit nicht fertig wird, nützen Bogenhallen, Portale und Backsteinornamente auch nichts mehr."

III. H u b e r t H o f f m a n n : Stimme des Bauhauses. Gropius und Schwarz Lieber

Alfons

Leitl!

Es war nett von Ihnen, daß Sie Ihre Bedenken überwunden haben, um den Beitrag von Rudolf Schwarz doch zu drucken. Wir haben Toleranz immer für eine der wesentlichen Voraussetzungen abendländischen Denkens gehalten. Ich finde, daß dieser Aufsatz von Schwarz so schön gemacht ist, 74

daß man zu Tränen gerührt wird über die vielen romantischen Sehnsüchte seines Verfassers und daß man fast an seine ernsthafte Absicht glauben könnte, zu einem abendländischen Gespräch zu kommen. Wenn die Gedanken, die er da äußert, auch nicht ganz neu sind, so bringt er sie doch in neue Zusammenhänge - der Charme, mit dem er da mehrere Seiten lang offene Türen einrennt, und der nette Plauderton, mit dem er das macht, lassen einen beinahe vergessen, daß nun gegen den Schluß ein ganz dicker Knoten herauskommt. Es ist richtig, aber andere haben auch schon gemerkt, daß die kunsthistorischen Dolmetscher die Sprache verwirrt und die Bindungen zwischen bildendem Künstler und dem Volk zerstört haben, und wir waren seit langem der Ansicht, daß die Architekten in ihrer Ausbildung der Geisteswissenschaften bedürfen, ä propos - am Dessauer Bauhaus hat das schon mal bestanden - kein Vorkurs - vielmehr Zwischenkurse in Mathematik, Soziologie, Psychologie, Volkswirtschaft u.a. Sicher hat es vor 1900 bessere Architekten als heute gegeben - vor allem weniger - , weshalb es sich nicht zuletzt in dieser Zunft fröhlicher leben ließ. Es bedarf viel geringeren geistigen Aufwandes, die architektonische Qualität eklektischer Bauten zu unterscheiden als die neuzeitlicher. - Daß der Reichstag oder die T U Berlin Monstrositäten sind und das Joachimtalsche Gymnasium ein ganz gut proportionierter Bau und daß selbst der in romanischen Formen gehaltene Bahnhof in Hannover schöner und sicherer in seiner Lagerung ist als die Bahnhofs-Thermen von Bonatz in Stuttgart, das wissen wir ebensogut wie Rudolf Schwarz. Wir könnten über diesen Punkt und über die hochinteressante Frage, wer bedeutender und ergreifender, wer zuerst... wer zuletzt... ob Behrens oder Billing, Tessenow oder Tengbohm, Semper oder Saarinen, ein stundenlanges Geschwätz führen und kämen damit in bedenkliche Nähe zu den Kunsthistorikern. Wir teilen sogar die Sehnsucht von Herrn Schwarz, wieder harmlose, fröhliche Baumeister zu werden, „die in einer Luft reiner und guter Menschlichkeit leben". Mit der Sehnsucht allein ist es nun nicht getan die Luft muß auch vorhanden sein. Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen haben sich immerhin um einiges geändert - nicht nur die geistigen. Die Städte sind zu menschenfressenden Ungeheuern geworden, die sich der Gestaltung entziehen - der Kontakt mit den regenerierenden Kräften der Natur ist verloren: mit Erde, Pflanze, Tier. - Daran ist das böse Bauhaus nun ganz und gar nicht schuld. Herr Schwarz gerät an dieser Stelle in die Gefahr der Idealisierung, die gleichen Fehler der Re75

stauratoren des Jugendstils reißen ihn, den „kommenden Wiederentdekker der Eklektik", dazu hin, einen Blumenteppich über diese verlorene Zeit auszubreiten - so paradiesisch waren diese Zeiten nun auch wieder nicht, wie das aus der Entfernung aussieht. - Immerhin, die Menschen waren harmloser. Heute gibt es kaum noch harmlose Menschen. Ich würde mich etwas schämen, von mir zu sagen, „daß ich harmlos bin" - Sie würden sich gekränkt fühlen, wenn ich Sie so bezeichnen würde, und Herr Schwarz ist schon ganz und gar nicht harmlos. Wir wollen aber nun einmal erforschen, woher der „Knoten" kommt jene seelische Darmverschlingung, die sich da bei ihm gebildet hat, wenn das Wort „Bauhaus" fällt. Sie hat sicher ihre Ursache in einem Mangel ein Mangel, der uns schon in jener architekturhistorischen Plauderei aufgefallen ist. Er schildert die baugeschichtlichen Erscheinungen und Entwicklungen nämlich einseitig, - ein bißchen Philosophie, dazu einiges aus den schönen Weisheiten der Kirchenväter - das ganze in einem virtuos gestalteten Deutsch, und dann wird von hoher Warte herab geurteilt verurteilt - , und mit der „Bereinigung des Geschichtsbildes" ist er dann genau auf der Ebene der Kunsthistoriker gelandet. Darum sieht er auch vieles so falsch wie jene blassen Ästheten. Er brilliert da mit geschliffenen Satzbildungen quer durch die Historie - ohne Boden - ohne wirkliche Bindungen, ohne innere Verantwortung und blufft die erstaunten Kollegen, die solch geistiges Rüstzeug nicht besitzen. Die Bezeichnung M-Kunst = Monumentalkunst (ein Ausdruck, der vor einem viertel Jahrhundert in einem Streitgespräch im Bauhaus aufkam) hat ihn offenbar so auf die Palme gebracht, weil diese „Kunst zu imponieren" genau auf seine Art der Polemik zutrifft - es ist eine Fassadenkunst, die keinen anderen Sinn hat, als dem ästhetischen Vergnügen seines Erzeugers zu dienen - es ist eitle Spiegelfechterei. Er gibt den Mangel, den wir aufgedeckt haben bei der Erörterung der Erziehung des Architekten, selber zu. Bei Poelzig hat er keine Volkswirtschaft gelernt und keine Soziologie und keine Psychologie, und auch die Kenntnisse der Konstruktion mußte man sich wohl aus anderen Quellen holen - aber ich hatte Gelegenheit, einige Semester solche Studien zu betreiben - und zwar am Bauhaus. Ich kann zwar nicht so hübsch und amüsant schreiben wie der Kollege Schwarz, aber ich vermag die Entwicklungsgeschichte etwas vielseitiger zu sehen, so wie sie letzten Endes auch schon Dehio, Lübke oder Viollet-le-Duc in dicken Wälzern niedergelegt haben. Der Einfluß der Maschine, der Einfluß der Erfindungen, der Einfluß der 76

Wissenschaften und die davon ausgelösten wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen - die ganze Lawine, die über uns hereingebrochen ist und die unser Leben einer Veränderung unterwirft, von der die geistigen Grundlagen nicht unbeeinflußt bleiben. Sie hat auch scheinbar ewige Wahrheiten zum Schwanken gebracht und hat jene Verwirrung des geistigen Lebens hervorgerufen. Das sind die Ursachen, die dazu geführt haben, auch das abendländische Gespräch verstummen zu lassen. Das Bauhaus war ein erster Versuch, ein echtes Gespräch unter Einschluß der Erkenntnis der neuen Situation wieder aufleben zu lassen - in bewußter Anlehnung an die großartigen Leistungen der Bauhütten des Mittelalters. Und es sind am Bauhaus und durch das Bauhaus trotz der Störungen durch Blinde, im Historismus befangene Eiferer, solche Gespräche geführt worden. Wenn Schwarz die großen Meister des Bauhauses, die Maler, Plastiker und Kunsterzieher, Feininger, Klee, Kandinsky, Mareks, Itten und Schlemmer auch nur als „besonders putzige Bereicherungen der Erscheinungsfülle des Zeitalters" ansieht, dann gab es da noch ein Kuratorium mit Hauptmann, Einstein, Kokoschka, Werfel, Mahler, Driesch u.a. Sie kamen nicht nur zu gelegentlichen Hilfsaktionen, sondern um ein echtes abendländisches Gespräch zu führen bzw. wieder einzuführen. Herr Schwarz sieht das in seiner selbstgefälligen Isolierung gar nicht. Er betrachtet das ganze Bauhaus nur vom ästhetischen Blickwinkel aus, und das muß Verzerrungen ergeben. Zu seinem Bauhauskomplex hat seine falsche und einseitige Auslegung des Wortes Funktion beigetragen. Funktion war für Gropius stets nicht nur materieller Bedarf, sondern ganz genauso seelischer. Man kann das nachlesen in „Idee und Aufbau des staatlichen Bauhauses Weimar 1923" und in den übrigen wenigen, aber um so wesentlicheren Aufsätzen dieses in wirklicher Verantwortung stehenden Baumeisters. Lieber Alfons Leid, mein Brief wird ein wenig lang, aber jetzt, wo es um das Wesentliche geht, um das, was uns lieb und wert geworden ist in einem werdenden Abendland - um das wir viele Jahre gearbeitet und gekämpft haben und für das die meisten von uns ganz andere Wege gehen mußten als Herr Schwarz in der Nazizeit - jetzt erlauben Sie mir, noch einiges zu sagen: Nach den Andeutungen westdeutscher Freunde mußte ich einen massiven Angriff auf Gropius erwarten - ich hatte ihn mir trotzdem sachlich vorgestellt, so wie ich Rudolf Schwarz aus seinen Büchern kannte und 77

schätzte. Ich gestehe freimütig, daß sie durchaus lesenswerte, eigenartige und tiefgründige philosophische Spaziergänge sind. Ich bin daher so bestürzt, ihn plötzlich neben Herrn v. Sänger zu sehen, jenem obskuren Skribenten und Professor von Hitlers Gnaden, der sich seinen Lehrstuhl weniger durch Sachkenntnis als durch fanatische Protestschriften und unrichtige Behauptungen über das Bauhaus verdiente oder neben dem ebenso reaktionären wie spießigen Ministerialrat N o n n , der sich als heiliger Georg vorkam, als er den Schwur tat, den Bauhausdrachen zu erlegen. Ich bin keineswegs etwa über die Tatsache bestürzt, daß wir angegriffen werden, auch nicht, daß wir unsachlich attackiert werden. Wir haben das nicht das erste Mal erlebt, und es wird nicht das letzte Mal sein. Es ist geradezu ein Beweis dafür, wie lebendig der Bauhausgedanke ist, wenn sich ein Rudolf Schwarz durch das gar nicht mehr existierende Bauhaus heute noch so angeregt fühlt. Lieber Herr Leid, Sie sind mit mir sicher einer Meinung, daß die baulichen Leistungen von Rudolf Schwarz ohne „jenes kleine Kontorhaus auf der Werkbundausstellung 1914" gar nicht denkbar sind und auch die späten Arbeiten von Poelzig ohne die Faguswerke, ohne Köln und ohne den „gläsernen Bauhauswürfel" bestimmt anders ausgesehen hätten. Einer lernt vom anderen - dagegen ist gar nichts zu sagen, wenn wir nur das Richtige abgucken. Bei dem schlichten Ausspruch: „das Schlimme am Bauhaus war nicht sein Versagen im Technischen . . . " taucht ein in meinem Unterbewußtsein längst schlummernder Brief auf und kommt mir ins Gedächtnis. Als Mitarbeiter des Bauhauses war mir dieses Schreiben zur Beantwortung übergeben. Nach einer Besichtigung in Dessau fragte Herr Schwarz darin nach ziemlich selbstverständlichen Einzelheiten der technischen Ausführung der Bauhausbauten. Offenbar waren die technischen Kenntnisse des „großen Berichters unserer Kunstgeschichte" damals recht schwach, wenn er sich Rat einholen mußte von Baumeistern, die „im Technischen versagen". Sie wissen nur zu gut, lieber Herausgeber, daß wir uns alle auf fremden Baustellen gründlich umsehen, wenn es wirklich etwas zu sehen gibt, und das war in Dessau offenbar der Fall, sonst hätte Rudolf Schwarz bestimmt Fahrgeld und Porto gespart. Aber man soll doch nicht andere Glashäuser mit Steinen bewerfen, wenn man selbst in einem Glaskasten sitzt, auch nicht nach 25 Jahren. Wir könnten nach dem gleichen Rezept, mit dem er den Weggang des Bauhauses von Weimar schildert, behaupten: „Der Schwarz hat als G e 78

neralplaner in Köln völlig versagt. - Schon sein Vortrag beim SchäferVerband 1947 zeigte, daß er zwar ein suggestiver Redner - aber in städtebaulichen Fragen ein Ignorant ist." Wir würden damit unter Fachleuten und Laien viel Freude erregen und großen Applaus haben - denn die Mehrheit ist immer dabei, wenn es darum geht, eine „Größe" vom Piedestal zu holen, wenn eine Legende zerstört werden soll. Wir wenden diese Methode nicht an. Wir bleiben bei der Wahrheit - es spricht in diesem Fall für Rudolf Schwarz, für geistige Haltung und Verantwortung, daß er die Schildbürgereien seiner Stadtväter nur bis zu einer bestimmten Grenze mitmachte. Ihr Freund hat nun aber für seine „Geschichtsberichtigung" wirklich die ältesten Requisiten aus der Mottenkiste geholt. Es sind haargenau die gleichen Redewendungen, mit denen man den harmlosen Provinzlern in Weimar und Dessau einen wirkungsvollen Schock und Schauder über das Bauhaus einjagte. Ich halte ihn für einen zu intelligenten Menschen, als daß er die Behauptungen reaktionärer Zeitungen und der NS-Presse, die er da wiederholt, selbst glaubt: „die finstere materialistische Weltanschauung" der Bauhäusler, das „öffentliche Bekenntnis zum historischen Materialismus", den „Jargon der Komintern" und ähnliche Greuelmärchen. Sollte eine so peinliche Lücke in seiner vielberühmten Belesenheit sein, wenn es um ein zentrales Problem der Weiterentwicklung abendländischer Kultur geht? Sollte ihm als Pädagogen und ehemaligen Direktor einer Kunstgewerbeschule so völlig entgangen sein, was in Weimar und Dessau für die Kunsterziehung, über Ruskin und Morris, über van de Velde und Behrens hinaus Grundlegendes erarbeitet wurde? - Oder sollte er mit „sicherem Instinkt" aus der Fülle des Positiven gerade nur MoholyNagys literarische Frühwerke oder den „Kohlestoff-Gesang" Hannes Meyers, der ganz und gar nicht die offizielle Ansicht des Bauhauses war, herausgegriffen haben? Ich glaube ihm das nicht. Ihr temperamentvoller Mitarbeiter ist, um mit Guardini zu sprechen, vielmehr „in jenen Raum geraten, der für die Erkenntnisse der Wahrheit der allerungünstigste ist, nämlich den der politischen Affekte, noch dazu solcher, die durch geschehenes Unrecht vergiftet sind, jene Haltung mit Gefühlen der Abwehr und der Abneigung, mit dem Willen, zu rechtfertigen oder anzuklagen, jene Haltung also, die nicht erkennt, sondern kämpft". Sein harmloses Geplauder schlägt plötzlich um, rutscht unter den Strich ins Journalistische, und was ihm da an schiefen, verzerrten, unrichtigen Meinungen passiert, an gehässigen Behauptungen unterläuft, 79

an impertinenten Aussprüchen, das ist weit entfernt von der Haltung eines überlegenen Geistes, der die Rolle eines Schiedsrichters der kulturellen Entwicklung unseres Zeitalters übernehmen möchte. Nicht erst am Bauhaus wurden treffende Abkürzungen wie „M-Kunst" erfunden, auch die Engländer des Mittelalters haben das schon getan: „S.N." = snobistisch hieß: sine nobilitate, und sine nobilitate sind Rudolf Schwarz' Angriffe auf Gropius. Lieber Alfons Leitl, Sie haben einen Satz mit einem Sternchen versehen und bekundet, daß Sie die Behauptung, „Gropius könne nicht im abendländischen Sinne denken", nicht teilen. Einen Mann, der mit dem Bauhausgedanken für das Abendland einen entscheidenden Schritt getan hat, braucht man gegen einen derartigen Angriff nicht zu verteidigen. Wir möchten zu dieser Behauptung nur eine kurze Richtigstellung geben. Wo hat Gropius gesagt, daß er mit der abendländischen Uberlieferung gebrochen habe? Gropius sagt ganz im Gegenteil um 1927: „Der Begriff Tradition - von lat. tradere, weitergeben, überliefern - ist durchaus kein Gegensatz zum Begriff des Radikalismus, d. h. von der Wurzel ausgehenden. Es ist sehr wohl möglich, daß ein Mensch gleichzeitig radikal und traditionell handelt. Der richtige Sinn für die Tradition wird nicht das mutwillige, eigenbrötlerische Wollen, sondern das Gemeinsame . . . " Um dieses Gemeinsame geht es Gropius in echter Fortsetzung gotischer Tradition - um einen neuen Glauben, um eine neue sittliche Ordnung. In wirklicher Fortführung „der geschichtlichen Leistung der Deutschen, durchglüht, verschmelzt" er das Gestaltsuchen ganz Europas, nicht nur, „um das Vorgefundene zu vereinbaren", sondern aus der Vielfalt der Räume des Nordens und Südens, des Ostens und Westens ein Sinnbild, eine neue Einheit zu finden. Wenn Schwarz von uns sagt, daß wir „Feinde der Menschheit" seien, so ist das schon nahezu belustigend. Lieber Alfons Leitl, Sie haben da außer mir noch eine ganze Reihe repräsentabler „Teufelchen" unter ihren Mitarbeitern, und ich sehe Sie und Ihre ganze Redaktion schon auf unserer Pfanne schmoren, - wenn Sie nicht rechtzeitig der Einflüsterung Ihres großen schwarzen Magiers folgen und die Schwänze aus Ihrer so appetitlich neugestalteten Zeitschrift herausreißen. Rudolf Schwarz möchte uns bei seiner „Berichtigung des Geschichtsbildes" aus der abendländischen Kulturgemeinschaft ausschließen. Er hinkt damit hinter Herrn Goebbels, Herrn Schulze aus Naumburg und den Gauleitern von Thüringen und Sachsen-Anhalt her. Ich glaube, er kommt post festum, denn das historische Bauhaus ist aus der abendländischen Kulturgeschichte nicht mehr 80

fortzudiskutieren, auch wenn man das mit noch so großem Raffinement versucht. Es gehört meiner Uberzeugung nach zu den Fundamenten eines Neubaus dieses im Zustand argen Verfalls befindlichen Hauses. Schwarz möchte es im Gegensatz zu seiner Gewohnheit als Architekt „restaurieren". Wir sehen die Notwendigkeit, es neu zu bauen. Ihr Mitarbeiter will angeblich „Fronten abbauen, die niemals echte Fronten waren". Was mich beim Lesen seines Aufsatzes so bestürzt gemacht hat, ist die Befürchtung, daß er Fronten aufrichten könnte - daß es den alten Riß, der quer durch Deutschland und durch das Abendland geht, erneut spürbar machen kann. Ein fruchtbares Gespräch, das ich Ihnen schon seit langem vorschlagen wollte, wäre, wie wir Wege fänden, diesen Riß überhaupt ganz zu beseitigen. Ich kann ein künftiges Abendland nur unter einer Beseitigung dieses verhängnisvollen Dualismus sehen. Mit jedem, der guten Willens ist, kann man ein Gespräch führen, auch ein Streitgespräch, sobald die Voraussetzungen für eine faire Handhabung gegeben sind. Einem Gegner, der vorher „arglistig" Seife auf den Fechtboden schmiert, geht man aus dem Wege. Das war offensichtlich der Grund, weshalb Gropius und Mies van der Rohe der Einladung zum Darmstädter Gespräch nicht gefolgt sind. Eitle Spiegelfechter können nur Monologe führen — sie haben zwar den vorübergehenden Ruhm des Kabarettisten, aber auf die Dauer merken auch andere, wo Eigensucht oder echtes Anliegen ist. Ich fürchte, es wird etwas einsam um Ihren Freund werden, und ich habe die Bedenken, daß er sich bei seinem Vorgehen gegen das Bauhaus mit Spießbürgern, NSGrößen, Herrn Liebknecht und anderen sowjetischen Kunstkommissaren in keiner guten Gesellschaft befindet und daß ihm vielleicht die „widerlichen Bauhausideologen" eines Tages ganz passabel erscheinen werden. Die Wellen sind immer ein bißchen höher gegangen als üblich, wenn von Gropius die Rede war. Die voraufgehenden Zeilen, die ich Sie bitte, ebenso ungekürzt zu veröffentlichen wie das Geplauder von Schwarz diese notwendige Richtigstellung wird Gropius nicht stören. Die Unwahrheiten in der Meinung über das Bauhaus bestärken mich indessen in dem Wunsch, es entzerrt zu schildern, in seinem Aufbau, seinen Zielen, seinen Ergebnissen. Wir können den im Mai 70jährigen Gropius nicht besser ehren als durch eine sachliche Darstellung dieser lebendigsten seiner Schöpfungen. Möge Ihnen, lieber Alfons Leid, der Hl. Abaelard, der in ähnlichen Situationen 81

gesteckt hat wie Sie, im Augenblick einen Rat geben, wie Sie aus der Zwickmühle herauskommen, in die Sie Ihr „Freund" so geschickt hineinlaviert hat. Er seinerseits holte sich in solcher Lage geistigen Trost und Hilfe von seiner Heloise. IV. Godo Remszhardt: Die logische Folge des Jugendstils Darf ich Ihnen, lieber Herr Leitl, zunächst sagen, daß Sie nach meinem Dafürhalten den Dingen, die uns gemeinsam anliegen, zumal dem Bauen als Bildung und dem Bild des Bauens im Bewußtsein, einen vielleicht entscheidenden Dienst getan haben durch die Veröffentlichung der beiden Texte von Rudolf Schwarz, deren einer freilich kein Aufsatz, deren andrer kein Brief im Sinn des Wortes ist - wirklich eben nur Schreiben. Im Gegensatz zu Ihnen bin ich allerdings geradezu glücklich, daß der Verfasser endlich einmal so zwanglos sich gab. Mein Vorfahr Ulrich Megerle (alias Abraham a Santa Clara) hätte derber gesagt, was ich hier mit „Vorne Weihrauch, hinten Schwefel" nur andeuten darf. Aber auch die letzten nun derer, die seine Rede in Darmstadt 1951 - er selbst scheint stolz auf sie zu sein - nicht in ihrer Zwielichtigkeit begriffen, werden angesichts der jetzigen Texte nicht länger im unklaren bleiben über Charakter und Position des lange Verehrten. Vielleicht finden Sie meine Formulierung unziemlich, ja erschreckend, weil ich von der Höflichkeit abging, die wir beide gemeinhin doch vorziehen. Aber geht es eigentlich an, heute, zwanzig Jahre nach 1933, noch mit unverhohlenem Bedauern zu erklären, daß die Nazis eben nicht wissen konnten, daß das entsumpfte Bauhaus etwas „aufblühend Gutes" und ganz andres als vorher war? Und daß das, worauf „wir mit Hoffnung" blickten, nicht nur „Tarnung" war, weil sie - die Nazis - es sonst bestimmt nicht gesperrt hätten. Doch ich bin kein Architekt, ich bin nur Kunstkritiker und mithin Ästhet und Federvolk, und die Baumeister mögen sich ihrer Haut selber wehren. Ich will's derweil für die meinige tun . . . Nehmen wir ein Beispiel: das Fotografieren. Was RS darüber und dagegen vorbringt, gesprochen oder geschrieben, reicht aus, um ihm die Fähigkeit zu irgendeiner und selbst auch der abendländischen Art des Denkens abzusprechen, und ebenso, um ihm andere Eigenschaften nachzuweisen. Laut offiziellem Protokoll des Zweiten Darmstädter Gesprächs hat Rudolf Schwarz die Kamera definiert als „eine Maschine, die an einem 82

bestimmten Punkt aufgestellt wird und nur durch ein einziges Auge einen großen Raum anstiert" und als „Instrument, das dem einsamen, isolierten Ästheten so richtig zur Hand liegt" - eine Definition, die er in seinem „Aufsatz" (der übrigens und letztlich nichts weiter als eine beleidigend vulgäre Rekapitulation der Rede ist) wiederholt. Er ereifert sich dabei gegen die Fotobücher über Bauwerke, mit etwa solchen Argumenten: es seien „früher, vor Jahrzehnten, in unseren Lehrbüchern" keine Fotos, sondern Maßstabzeichnungen gewesen - als ob die fraglichen Werke Lehrbücher sein möchten und als ob nicht auch heute noch die eigentlichen Lehrbücher nach Zunftbrauch lehrten; es werde da „aus allen möglichen Standpunkten herauf- und hinabgeguckt" - o Bosheit der Fotomänner, die ihm zum Tort nun doch nicht an „an einem bestimmten Punkt aufgestellt" bleiben!, die vielmehr im Detail dem, was die Baumeister gebaut haben, nachgehen; und nun noch ganz groß: es sei ein Foto vergleichbar einer Schallplatte - „jeder Musiker würde sich empören, wenn man ihm statt einer anständig geschriebenen Partitur usw." - als ob nicht jeder Musiker und jeder vernünftige Mensch wisse, was Foto und Platte sind und sein können. Es ist wahrhaftig mühsam, all diese demagogigschen Tiefsinnigkeiten, deren beliebig viele sich bei RS finden lassen, zu entwirren. Machen wir's uns leichter. Er gab ja auch eine halb moralische, halb spirituelle Formel, die das Fotografieren von Bauwerken „inadaequat und im Grund unwürdig" und „furchtbar banal" nennt. Nun gut, man möchte das eben kauzig nennen, wiewohl Käuze eigentlich nicht schnoddrig sein dürfen. Aber man vermag dann nicht mehr eine, gelinde gesagt, Verwunderung zu unterdrücken darüber, daß derselbe RS in einem Baubildheft von B . E . Werner, einem Fotoheft also, mit einem Text vertreten ist; er muß ihn schon um Gotteslohn sozusagen gestiftet haben. - Meine eigene Meinung übrigens übers Fotografieren ist schlichter. Ich denke, es sei die Kamera ein Medium des menschlichen Geistes, der sich ihrer bedient, und es sei ein Foto gut oder nicht gut in dem Maß, in dem der Kameramann seine Technik beherrscht und sein Motiv begreift. Es verhält sich damit genau wie in der Architektur und in allem sonst, und es ändert sich nichts daran, wenn RS die Fotomänner als „egozentrische Zentralperspektivisten" abtut. Lieber Herr Leid, Sie mögen mir hier vielleicht vorwerfen, ich sei gehässig oder kleinlich; oder ich verkenne die großen, weiten und hohen Horizonte von RS oder 83

seine scherzhafte und doch so innerliche Natur oder seine Verdienste und Leistungen. Ich bin und tue das indes keineswegs, ich versuche eigentlich eben zu fragen, worin seine Geltung begründet ist. Wo ich ihn zu erfassen und zu begreifen versuche, da gibt es nach. Ich habe das Beispiel der Fotografie genommen, um an einer ziemlich durchsichtigen Frage zu zeigen, wie oberflächlich und willkürlich er zu antworten pflegt. Ich könnte nur aus den paar vorliegenden Seiten seines „Schreibseis" und seiner Rede genug Beispiele dafür finden, daß er auch mit den „heiligen" und mit überhaupt allen Angelegenheiten nicht anders umgeht. Es wäre freilich sehr umständlich und langwierig - Sie wissen, daß man leichter ein paar Bäume umlegt als Schlinggewächs ausreißt. Aber ich bin notfalls auch dazu bereit. Für heute möchte ich lieber mich mit ein paar Pointen der in B & W . 1953 1 mitgeteilten Texte begnügen, vielleicht mit einigen Darmstädter Illustrationen dazu. RS redet da von „echten Fronten" und „freiem Raum echten Gesprächs" und geht dann gegen die Funktionalisten an, in einer Weise, die Goebbels aus dem Grab erwecken könnte. Aber lassen wir das und bleiben unter uns hier und heute. So muß ich voran sagen, daß ich im funktionalistischen Bauhaus weder einen Fetisch von Tabu-Rang noch einen Kinderschreck sehe, vielmehr die extreme Experimental-Form dessen, was mit Notwendigkeit aus dem Jugendstil werden mußte. Mit Notwendigkeit, weil unsre Gesellschaftsorganisation und unsre Produktionstechnik einen Weg vom Individualistischen zum Sozialen und Sozialistischen finden mußte und weil das Individuell-Künstlerische einer radikalen Askese der Selbstprüfung bedurfte, um Kollektiv-Musisches hervorzubringen. Die Arbeit des Werkbunds ging und geht in solcher Richtung - im großen und ganzen wenigstens - und gewiß nicht ohne seitwärtige Ausschwingungen. Und das Bauhaus, nimmt man es als Gesamtes, als Strahlungskörper, hat ebenso weiträumig wie tiefgründig die Anstöße gegeben, ohne die unsre Idee von Form nicht recht denkbar wäre und ohne die gerade das Beste, was RS je baute, auch nicht denkbar wäre. Es als „Feind der Menschheit" zu verdammen wegen mancher nicht geglückter oder nicht beendeter Experimente, das ist wahrhaftig dümmer als etwa der Römischen Kirche all den Kitsch vorzuwerfen, der in ihrem Namen oder in ihren Werkstätten fabriziert wird: Anständigerweise pflegt man nach den guten Leistungen zu urteilen und die mangelhaften wenn nicht apokryph, so doch unterm Strich abzuhandeln. Aber in Wirklichkeit geht es RS weder um den Anstand noch um das Gespräch, sondern um die bereits zitierte Front! Um die sogenannte Abendländische Front nämlich, die sich 84

krampfhaft zu erhalten, ja noch einmal durchzusetzen trachtet. Um die Restauration nämlich und letztlich damit auch um das Problem der Großen Form und ihres Mißbrauchs - das er so glatt, nach der Parole vom Dieb-halten, selber nennt. Er will nichts anderes als große Formen der Vergangenheit, ein bißchen abgestaubt und entrümpelt, uns noch einmal aufzwingen und schreibt zu diesem Behuf den so hinterhältigen wie kümmerlichen Satz „Ich halte es für das Zeichen eines unedlen und beschränkten Geistes, ein Genie zu verachten, weil es sich einer überlieferten Sprache bedient hat". Ich freilich für mein Teil halte den nicht für ein Genie, der nicht essentiell Neues zu geben hat, sondern für ein Talent, sofern er das Alte verständig und brauchbar gab, und den Satz, den ich da zu zitieren hatte, halte ich für ein Zeichen unedler und beschränkter Roßtäuscherei. Mählich, so scheint mir, kann ich deutlich machen, was mir das Wichtigste an der ganzen Sache ist: das, worauf RS im Grund seines Herzens hinauswill und was er mit taktisch oft nicht übel gewählten Gedanken und Sätzen verhüllt, um es zu präsentieren, sobald er sein Publikum sozusagen chloroformiert hat. Es operiert sich so leicht mit dem Schlagwort „Liberalismus" - zumal er sowieso überholt ist - und mit dem „Materialismus" - weil da die meisten sich halt Fressen und Saufen und Huren vorstellen und vollends mit einem „Sozialismus um Gottes willen" - ganz und gar, wenn man „vielleicht" dazu sagt und mithin eigentlich nichts gesagt hat. Es läßt sich aber gar nicht so leicht die Wirklichkeit selbst bewältigen, der konkrete und aktive Inhalt dieser Ideen, und nicht einmal die des 19. Jahrhunderts, das RS mit paar Baudaten und Zensuren erklärt zu haben glaubt. Die Art übrigens, in der er das tut, erinnert mich fatal an . . . aber lassen Sie mich das andersrum sagen: Im Geleitwort zum „Bau der Kirche" von RS sagte Guardini, man könnte über dieses Buch „ein zweites von weit größerem Umfang" verfassen, und stellenweise vermeint der Leser tatsächlich, es sei der nunmehr Münchener Ordinarius Sedlmayr mit seiner „Kathedrale" derjenige, der das geschafft habe. Wie dem auch sein mag, so bleibt fest, daß RS die gleiche Sophistik verwendet wie jener andre Herr. Die Bauhausleute hätten meines Erachtens sogar gut getan, ihre Abneigung gegen Hindenburg bis zur Aktion zu intensivieren. Dann hätte die deutsche Wirklichkeit vielleicht doch einen Schritt nach vorn getan anstatt zwei nach rückwärts. Nicht als ob die Dessauer allein es hätten tun können - nein, gewiß nicht! Wir alle zusammen mußten es tun . . . Aber lassen wir einstweilen auch das beiseit, lieber Herr Leitl - wir haben 85

ja zuweilen in solchem Sinn über dies Zeitalter der „verlorenen Mitte" gesprochen, als es um Goethehaus und Altstadt und derlei Restaurationen ging. Und ich glaube, wir waren uns dabei einig, daß die Misere der Gegenwart weder mit Langschiffen noch mit „Häusern, die in Türmen aufbrennen" zu beheben ist und daß es ein und dasselbe ist, ob man von „Wand, Boden, Decke . . . " oder von „optisch-plastischen Empfindungen" spricht, da die praktischen Bedürfnisse und Ordnungen des Leibs mit den Gebärden und Empfindungen des Gemüts eines sind. Und etwa Augustin oder der Aquinate formulierten in ihrem „Ordnungsbild" gewiß nichts anderes als die Meinung der Menschen einer Zeit vor uns über das, was ihnen gut und gemäß sei. Wir müssen heute, so mühsam es sein mag, unsre eigene und künftige Ordnung selber bilden und so sorgsam dabei sein, als sei, was wir schaffen, die Tradition von morgen - zumindest sollte es deren Fundament sein können. Um das Begreifen des Fundamental-Charakters geht es wohl in der ganzen Debatte, von der wir auch möchten, daß sie ein Gespräch sei. Wir sind aber nun einmal weder Romantiker noch Gotiker noch Barocke - deren Welt in unsrer Bibliothek, d.h. in unsrer Reflexion Raum hat, aber nicht auf unsren Plätzen und in unsren Hallen. Wir sind auch nicht einmal mehr Funktionalisten von 1920 oder 1933 - wir datieren 1953. Aber Funktion heißt für uns - so sind nun eben die Worte der deutschen Sprache Daseinsform, die unsren Willen verwirklicht mit den Mitteln der Technik und der Organisation, ohne die zu arbeiten restaurative Utopie wäre. Da-sein von Haus und Gerät, von Geschäft und Muse in einer unbeschatteten Form, in der wir über uns selbst nachdenken und für uns selbst handeln können. Und dazu brauchen wir eine Bildung, die nicht nur durch Disziplinen, sondern durch Methoden bezeichnet ist - wobei sich, beiläufig, RS noch einmal verraten m ü ß t e . . . weil nun wirlich die Fronten sich zu bilden angefangen haben. Er steht auf der anderen Seite, ob es um die Architektur von Bauten oder die der ganzen Gesellschaft, ob um den Inhalt des Wissens oder die Art des Denkens geht. Mag sein, daß die Dinge, die wir wollen, erst morgen verwirklicht werden - weil weder Baumeister noch Schriftsteller die Welt konkret verändern können; das muß die Gesellschaft selbst tun - , aber sicher ist, daß wir nicht noch einmal die Dinge der Vergangenheit machen und haben wollen.

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V. Paul Klopfer: Das Bauhaus aus der Nähe gesehen Sehr geehrter Herr

Leitl!

Ich habe in meiner ländlichen Stille und Beschaulichkeit lange nach einer Zeitschrift gesucht, die mir von der Welt da draußen über mein Berufsund Lieblingsfach, die Baukunst, etwas erzählen kann, und ich bin froh gewesen, als ich mit Beginn dieses Jahres Ihre „Baukunst und Werkform" kennenlernte, auf die ich nun abonniert bin. Ich bin auch heute noch froh, nachdem ich das Heft 1 des neuen Jahrgangs geschickt bekam, und wenn ich auch erschrak, als ich bei einem ersten Hineinsehen die Kapuzinerpredigt des Herrn Professor Dr. Schwarz fand, so habe ich doch feststellen dürfen, daß Sie es vorzüglich verstehen, auch einen im Grunde recht wenig erfreulichen Vorstoß gegen die heutige Baukunst in ein erträgliches Licht zu rücken. Wenn ich Sie bitte, die folgenden Einwände zur Kenntnis zu nehmen, die ich nicht etwa aus einer erregten Stimmung niederschreibe, sondern nur, insoweit mir (Schwarz' Ausführungen) sachlich oder logisch verfehlt vorkommen, so stelle ich es Ihrem Ermessen anheim, ob Sie sie Herrn Professor Dr. Schwarz zugänglich machen wollen oder nicht. Herr Schwarz hat, wenn ich ihn recht verstehe, vorwiegend etwas gegen das „Ästhetische". (Den Vergleich der Baukunst mit der Heilkunst halte ich für einen Scherz.) Was die „geistige Vorlehre" betrifft, für die er eintritt, so hat Semper ja schon in seinen Prolegomina zum „Stil" das Nötige gesagt (S. IX, „humanistische Vorschulen"). Sempers Bauten, im Einfluß des Eklektizismus, gehören ihrer Zeit an und sind heute Denkmäler, ästhetisch einwandfrei - wenn ich gerade auch das Polytechnikum in Zürich als den „schönsten Bau der Stadt" ablehnen muß: der Mittelrisalith mit dem Zwischenfeld zwischen der Erdgeschoß- und Obergeschoßkomposition läßt die ganze Front gestelzt erscheinen. Die von Herrn Schwarz als „ganz großer Baumeister der Zeitwende" bezeichnete Olbrich, van de Velde und Otto Wagner sind aber doch alle drei jenseits „der wirlich großen Uberlieferung", nur vergaß Schwarz dabei, daß sie mit dem Jugendstil verwachsen, also mehr ästhetisch als technisch gerichtet waren, denn diese Künstler waren vorwiegend zunächst Maler oder Kunstgewerbler. Otto Wagner schrieb mir einmal (Juli 1916) u. a.: „Das Durchdringen meiner künstlerischen Gedanken ist leider noch immer recht schwach . . . besser wird es erst werden, wenn die Kämpfer für eine Kunst unserer Zeit sich mehren." Da haben wir es! „Die 87

Kunst unserer Zeit!" Nun, Wagner hat ja nicht nur gebaut, sondern neben anderem auch ein sehr gutes Buch zu einer Zeit geschrieben, als alles noch in historischen Uberlieferungen stak, es erschien 1895, also ein Jahr früher als die Münchener „Jugend", in welcher der Jugenstil seine ersten Blüten trieb: Das war „Gegenwart", freudig bejaht. Van de Velde erzog seine Schüler vorwiegend ästhetisch; wenn es sich um das Bauen handelte, so schickte er sie in meine Bauschule, damit sie ihre ästhetischen Träume ins Wirkliche übersetzen lernten, viele blieben aber im Kunstgewerblichen hängen. Warum war es ein „ganz kleiner Unsinn", daß Schäfer-Karlsruhe sich so um die Konstruktion kümmerte und Form und Zweck also logisch verband? Das hatten doch immer schon die guten Baumeister auf dem überlieferungstreuen Lande gemacht! Marcel Breuer erzählt in diesem Zusammenhang von Le Corbusier, daß dieser die Bauernhäuser in Ungarn für manche seiner Arbeiten zum Vorbild genommen habe - ich bitte, wenn Sie, verehrter Herr Leitl, Lust dazu verspüren, in der Nummer 11 der Neuen Bauwelt von 1951 meinen Scherz nachzulesen, in welchem ich „aus der Weltgeschichte des Treppenwitzes" diesen Umstand würdigte. Gewiß ist solches Bauernhausbauen nichts Architektonisches im Schulsinn, aber im Sinne Schäfers doch von Wert, wenn es sogar so ein anrüchiger Mann wie Le Corbusier schätzt! Aus der Verbindung von Form und Zweck soll der Funktionalismus entstanden sein? Das werkgerechte Schaffen wurde von Ruskin und Morris besonders gepflegt, in Ruskins Steinen von Venedig kann man nachlesen, wie gotisches und hellenisches Handwerk sich grundsätzlich widersprechen als Massenarbeit und individuell gebundenes Zunftwerk. Was soll da die große lebendige Überlieferung? Was heißt: „ich überliefere etwas lebendig"? Ist, in der Baukunst, z.B. das Polytechnikum in Zürich noch so lebendig, daß man es nach 1950 „überliefern" kann? Zu Gropius: Er hat niemals die „Erbschaft van de Veldes" als „Betriebskapital" übernommen. Ich hatte, als er 1919 nach Weimar kam und mich in meiner Bauschule besuchte, seine Absichten besser kennengelernt - sie waren gar nicht so weit entfernt von denen der mittelalterlichen Bauhütte oder jenes „Teams", das er drüben in den USA an der Harvard-Universität einrichtete. Nach Schwarz konnte Gropius leider aber nicht „denken"! „was nun einmal im abendländischen Raum denken heißt", fügt er einschränkend hinzu. Ja, hat Gropius etwa morgenländisch gedacht? Da muß ich Ihnen, sehr geehrter Herr Leitl, besonders dankbar sein, daß Sie diese absurde Unterstellung nicht gelten lassen. Die Lage in Weimar, wie dann 88

auch in Dessau, war sicher nicht erst „später", sondern von vornherein schon politisch verfälscht, ich habe das miterlebt. Von einem „Verjubeln des großartigen Erbes" war keine Rede. Hier irrt Herr Schwarz gründlich, wie auch in der andern Annahme, daß damals die Weimarer nicht bösartig gewesen wären. In Dessau war es nicht anders, wer damals schon Ohren hatte zu hören, mußte auf trübe Gedanken kommen (ich erinnere an meinen Aufsatz vom 8.12.1926 in Stein, Holz, Eisen). Schließlich wird Herr Schwarz (es tut mir leid, es aussprechen zu müssen) massiv. Er spricht von „unerträglicher Phraseologie" - „überhaupt war dies das Schlimme am Bauhaus". Schon, wenn jemand „überhaupt" sagt, wird es bedenklich. Was heißt „Phraseologie"? Wurden Reden gehalten? Ich meine, das Dessauer Bauhaus mit den Meisterhäusern, die Siedlung Törten, in Weimar das Modellhaus zur Ausstellung - das waren doch Bauwerke! Oder handelt es sich um „Bauhausbücher" ? Sie sind heute noch lesbar und ein ausgezeichneter Spiegel für eine freistrebende Zeit. Herr Schwarz schrieb zum Schluß: „Wir müssen wieder in den Raum der wirklich großen Uberlieferung kommen" - ist dies nicht ausgesprochene Phraseologie? Und dann: das „funktionalistische Teufelchen"! Wozu diese Angst? Funktion gab es in der Baukunst immer schon, sie bestand neben der Repräsentation, vermischte sich vielfach auch mit ihr, je nach der Zeitströmung. Vergleichen wir in Paul Bonatz' schönem Lebensbuch die beiden Skizzen, als es sich um den Wettbewerb Schumacher-Bonatz bei der Frage der Kölner Gürtelbebauung handelte: Schumacher repräsentierte in geteilten Räumen, Bonatz ließ ungehindert den Gürtel frei von allen Unterbrechungen: da haben wir das „funktionieren"! Genug, ich flüchte zu Goethe: „Die geschichtlichen Symbole - thörig, wer sie wichtig hält, immer forschet er ins Hohle, und versäumt die reiche Welt!" VI. Peter Röhl: Menschen und Atmosphäre in Weimar Das Bauhaus ist ein fester Begriff geworden für alle, die an der Entwicklung der Baukunst und Werkform schöpferisch Anteil nehmen. Seine Kraftstrahlung geht weit über Länder und Kontinente. Seine geistige Atmosphäre, herb und gespannt, wird weiter wirken. Nie werden seine Strahlen erlöschen; denn der Geist und die Begeisterung, der Zauber und der Ernst ihrer Schöpfer sorgten dafür. Immer wird es eine Jugend geben, die begeistert den Weg neu abschreitet, den das Bauhaus zeigte. Man muß 89

sich immer wieder mit dem Bauhaus auseinandersetzen, um die Entwicklung zu begreifen. Diese Entwicklung brauchte eine lange Spanne Zeit, bis das Bauhaus die Form annahm, die es in Weimar zu solch einer wunderbaren Blüte gebracht hat. Erstaunlich ist das Phänomen seines steilen Aufstiegs und daß das Bauhaus Weimar für eine kurze Zeit (es bestand ja nur 6 Jahre) die avantgardistische Kunstmetropole wurde. Das Bauhaus hat seinen Ursprung aus einer Vielfalt von Ideen, die schließlich eine klare Richtung ergeben. Generationen mußten arbeiten und vorbereiten, um das Kunstsinnen unseres Jahrhunderts zu erwecken. Morris, sogar Goethe u. a. stehen an der Wiege des Bauhauses im weitgespannten Sinne. Den Auftakt zum Bauhaus gab Henry van de Velde, der Maler, Baumeister, Innenarchitekt und Ästhet. Er war Revolutionär, die Kunst war für ihn eine ethische Aufgabe. Es war seine Arbeit, das Häßliche im Kunsthandwerk und der Industrie zu beseitigen, und diese Arbeit hat er konsequent durchgeführt. Schon im Jahre 1901 wurde van de Velde vom Großherzog nach Weimar berufen, um für die Hebung des ästhetischen Niveaus der Produktion der Handwerker und des künstlerischen Gewerbes zu sorgen. Er gründete 1902 das kunstgewerbliche Seminar und leitete den Aufbau der Kunstgewerbeschule, deren Direktor er wurde. Seine Erkenntnisse hat er der Jugend gepredigt. „Die Laienpredigten" sollte jeder lesen, es sind Worte prophetischer Aussage, die sich erfüllt haben. „Wie ich mir freie Bahn schuf!" Das waren seine erlösenden Worte! Die ganze Welt hörte zu. Und sie haben heute wieder ihre volle Gültigkeit. Mit welcher Begeisterung schreibt Henry van de Velde über William Morris, über diesen englischen Dichter, Architekten, Kunsthandwerker und Sozialreformer! Er verband seine Ideen mit denen dieses großen Menschen. So sind auch wir, die ersten Bauhäusler, verpflichtet, den Künstler und Denker van de Velde, unseren großen Lehrer, zu ehren. Ich tue es mit Begeisterung, Ehrlichkeit und Freude. Genial ist sein Ausspruch: „Die Linie ist eine Energie! Die Linie ist eine Kraft, deren Tätigkeit mit den Elementarkräften parallel verläuft. Die Linie entlehnt ihre Kraft von der Energie dessen, der sie gezogen hat." Diese intuitiven Erkenntnisse von der Kraft der Linie wurden grundlegend für die Kunsterziehung. In seinen Bauten in Weimar (Kunstgewerbeschule, Hochschule für bildende Kunst, Palais v. Dürckheim usw.) sind schon die konstruktiven Elemente betont. Sein Geist ist überall in Europa spürbar, er ist Vorläufer, Anreger und Wegweiser, ein vollkommener Europäer. Graf Harry Kessler, Sammler und Direktor der großherzoglichen Museen in Weimar, war der Kamerad und Freund Henry van de Veldes. Beide 90

führten gemeinsam den Kampf gegen den Kitsch und die Häßlichkeit. Sie zogen viele Künstler in ihren Kreis; Dichter, Maler, Musiker kamen nach Weimar. Der spätere Kunstwart Erwin Redslob wuchs in diesem Kreis heran und machte am Bauhaus eine gute Schule durch. Durch die Sammlungen Graf Kesslers kamen Werke von van Gogh, Monet, ToulouseLautrec, Seurat, Rodin, Maillol, Hodler und Münch nach Weimar. Die jungen Kunstschüler studierten diese Künstler, und so wurde auch die Kunstschule gefördert, die wiederum das Bauhaus befruchtete. Kenner wissen um den großen Bestand der schöpferischen Kräfte, die damals dort tätig waren, und um ihre Tradition und die Freiheit des Schaffens. Die Hochschule für bildende Kunst konnte sich bis 1914 zur freiesten Schule Deutschlands entwickeln. Die Schüler gründeten eine „freie Vereinigung". Sie pflegten die Kameradschaft und feierten Feste, an denen die ganze Stadt Weimar teilnahm. So haben alle diese Kräfte: Henry van de Velde und sein Kreis, die Hochschule für bildende Kunst mit ihren Professoren und den jungen begeisterungsfähigen Schülern sowie die empfängliche, von dem Kunstgeist Goethes beseelte Stadt Weimar dazu beigetragen, das Kommende vorzubereiten. Die Schüler der Hochschule bildeten die Urzelle des späteren Bauhauses. Ich nenne hier Werner Gilles, Stegemann, Johannes Driesch, Johann Schmidt, Bildhauer Hermann usw. Der kühne Kunsthistoriker Edwin Redslob begeisterte uns durch seine Vorträge über die Expressionisten der „Brücke". Er machte uns bekannt mit den Werken von Ludwig Kirchner, der sein Freund war, und mit den Werken von Schmidt-Rottluff, Erich Heckel, Emil Nolde, Otto Müller und Christian Rohlfs. Edwin Redslob war es, der die junge Kunst förderte, und er war wohl der einzige, der uns damals Geld für unsere Arbeit gab, der Mut und Weitsicht hatte. Professor Edwin Redslob war bis zu seiner Berufung nach Berlin Dozent an der Hochschule und Museumsdirektor in Erfurt. Im Jahre 1913 tauchte in Weimar ein ganz besonderer Mensch auf. Es war der Maler Lyonel Feininger. Mit großer Verehrung beobachtete ich diesen fleißigen Menschen, und bald spürte ich das Besondere Feiningers. Fast scheint es so, als ob das Schicksal ihn schon damals nach Weimar zog, um ihn unbewußt vorzubereiten auf seine spätere Tätigkeit am Bauhaus. Und im Jahre 1914 wanderte wieder ein besonderer Künstler durch die Schillerstraße. Es war der Maler Molzahn, der eine große Bedeutung für das Werden des späteren Bauhauses hatte. Durch die Kraft seiner Persönlichkeit, durch seine Liebe und Verehrung der neuen und bedeutenden Maler Klee, Kandinsky usw. wurden auch wir glühende Verehrer dieser Meister. 91

Im Sommer 1914 machte ich in der Hochschule eine größere Ausstellung von Bildern des jungen revolutionären Malers Molzahn. Diese Bilder hatte Molzahn aus der Schweiz mitgebracht. Dort lebten auch seine Freunde Huber und Meyer-Amden. Diese Ausstellung durfte nur einige Stunden geöffnet bleiben, weil die Empörung der Professoren so groß war, daß ich sie wieder schließen mußte. Aber sie hatte unter den Studierenden eine Welle der Begeisterung ausgelöst. Molzahn machte uns bekannt mit den Futuristen: Umberto Boccioni, Gino Severini, Carlo Carra. Diese Künstler wirkten umwälzend auf uns alle. Alle diese Ereignisse bestätigten die Lebendigkeit der verschiedenen Kräfte, die schon vor dem Ersten Weltkrieg in Weimar wirkten. Der Krieg von 1914-1918 störte die Weiterentwicklung. Wir mußten Weimar verlassen, auch van de Velde verließ Deutschland und ging in die Schweiz. Die Hochschule wurde von den Professoren Engelmann und Klemm in den Kriegsjahren am Leben erhalten. 1919 kamen wir wieder nach Weimar zurück. Molzahns Atelier wurde unser Treffpunkt. Es entstanden seine großen Bilder, Manifestationen Molzahns, die man nicht wieder vergißt. Molzahn war für uns der deutsche Boccioni! Hier bereitete sich etwas Neues vor. Wir schlössen uns zu einer kleinen neuen Gruppe zusammen. Der Bildhauer Hermann, Johannes Molzahn und ich. Professor Köhler, der Nachfolger Graf Kesslers, Museumsdirektor des Schloßmuseums in Weimar, veranstaltete eine Ausstellung unserer neuen Holzschnitte und Plastiken. Es gab Tränen unter den Beschauern und auch Empörung. Aber der kühne Museumsdirektor ließ sich nicht abschrecken, sondern er schuf im Schloßmuseum zu Weimar einen Raum mit unseren neuen Arbeiten. (Sein Assistent war der Graf Schenk zu Schweinsberg, der in späteren Jahren die prächtigen bekannten Ausstellungen moderner Kunst in Wiesbaden veranstaltete und den Maler Jawlensky besonders förderte.) Also schon vor dem Bauhaus formte sich das Neue in Weimar, ja, Molzahns glühender Begeisterung ist es überhaupt zu verdanken, daß später einige der bedeutendsten Künstler an das Bauhaus berufen wurden. Unsere Gruppe war es, die von Weimar aus den „Sturm" förderte, den unser Freund Herwarth Waiden mit intensiver Arbeit und sprühendem Geist leitete. Dadurch verbreiterten wir die Basis, und es wurde möglich, daß Edwin Redslob seine Sammlungen der „Brükke" und die Sammlung „Hess" durch Erwerbungen wie: Das Lachen von Boccioni, die große Kuh von Franz Marc, Bilder von Chagall, Feininger, Kandinsky und Klee erweiterte. Für 1919 eine bedeutende Leistung. So nahm also auch der Erfurter Kreis großen Anteil an der Entwicklung der 92

neuen Kunst. Edwin Redslob wird das bestätigen können, denn er erlebte mit uns die aufgeregte, vorwärtsstrebende Zeit. In diese Zeit hinein kam Walter Gropius. Van de Velde hatte ihn zu seinem Nachfolger vorgeschlagen, und in dem von Henry van de Velde geschaffenen Gebäuden begann er im Herbst 1919, unterstützt von der damals fortschrittlichen Regierung, sein großes organisatorisches Werk: die Zusammenfassung aller Künste, der freien und der angewandten unter der Idee des Bauhauses. Die Idee des Bauhauses brachte er aus Berlin mit. Gemeint war damit eine Zusammenfassung von Kunst und Handwerk. Ihm schwebte ein Dom vor, ein neuer Dom, an dem die besten Kräfte in Kunst und Handwerk mitarbeiten sollten. Ich erinnere mich an seine Gespräche über Scheerbarth, an seine Gespräche über Glas und Kristall. Aber die jungen revolutionären Kräfte um ihn herum rissen ihn, halb willig, halb widerstrebend, in einen Wirbel von Plänen und Unternehmungen ungeahnter Kühnheit. Und was daraus entstand war der Dom einer neuen Kunstauffassung. So günstig war der Ort und die Stunde, so verheißungsvoll und aufsehenerregend diese Verwirklichung der neuen Idee, daß innerhalb von zwei Jahren nach der Gründung des Bauhauses Weimar sich zum zweitenmal aus einer kleinen, geistig regen Residenzstadt zu einem entscheidenden Mittelpunkte europäischen Geisteslebens entwickelte. Bedeutende Künstler kamen aus allen Gegenden Deutschlands und der Welt nach Weimar, um sich dort niederzulassen. Walter Gropius war damals schon ein bedeutender Architekt und Kunstphilosoph. Er war Schüler von Peter Behrens und hatte in der Kölner Werkbund-Ausstellung 1914 und dem jetzt unter Denkmalschutz stehenden Fagus-Werk seinen eigenen neuen Stil begründet. Er selbst hatte den Architekten Adolf Meyer und den Bildhauer Gerhard Marks aus Berlin mitgebracht. Auf Grund seiner Beziehungen nach Wien kam der Meister Itten. Von Stuttgart berief er Oskar Schlemmer (Schüler von Holzet). Werkmeister wurden Oskar Schlemmer, Joseph Hartwich, Zachmann und Dell sowie Fräulein Börner als Leiterin der Weberei. In häufigen und langen Diskussionen zwischen Walter Gropius und unserer Gruppe (Johannes Molzahn, Karl Hermann und Peter Röhl) entfachten wir in ihm die Begeisterung für die neue Malerei der Zeit, wie sie von Herwarth Waiden im „Sturm" gefördert wurde. Unserer Gruppe und der glühenden Fürsprache Molzahns ist es zu verdanken, daß Walter Gropius die Maler Klee, Kandinsky, Feininger und Muche als Lehrer an das Bauhaus berief. Durch die gemeinsame Arbeit und die ständige gegenseitige Anregung all dieser bedeutenden Künstlerpersönlichkeiten entwickelte sich die neue 93

Form, die für uns den eigentlichen Geist des Bauhauses bedeutet. Aber der entscheidende Mann war doch Walter Gropius, der mit seiner umfassenden Persönlichkeit das Ganze zur Einheit formte. Es gibt nur ein Bauhaus, das Weimarer Bauhaus von Walter Gropius. Das Bauhaus wuchs vom Tag der Gründung an beständig, und die Idee reifte und wuchs mit dem reifenden Gropius. Er lebte die Idee des Bauhauses. Kühn verkaufte er eines Tages seinen sehr kostbaren, aber bürgerlichen Hausstand, den alten Familienbesitz, um sich sein Haus im Sinne der Bauhausideen neu einzurichten. Er durchstrich eine Zeit. Das Wasser könnte sein Wappenbild sein: rein und klar, bewegt und stürmisch, Wandlung und Verwandlung waren ihm eigen. Eines der letzten Werke von Gropius in Deutschland war die Gestaltung der Gebäude für das Bauhaus Dessau. Am Aufbau des Bauhauses Weimar war als einer der bedeutenden Meister Johannes Itten beteiligt. Seine „Pädagogischen Fragmente einer Formenlehre" bildeten die Grundlage der Bauhauserziehung. Itten hatte diese Unterrichtsmethode schon 1916 in Wien begonnen und entwickelte sie am Bauhaus weiter. Im Tempelherrenhaus lag sein Atelier. Wie ein Mönch sah er aus, das Haar kurz geschoren mit einer Pony-Frisur, bekleidet mit einem weißen Gewand. Leuchtende Farbkompositionen, Farbkreise und Glaskonstruktionen, Plastiken, farbig und einfarbig, füllten seinen Raum. Er war ein Gemisch von Hieronymus Bosch und Fra Angelico. Wir fühlten uns wohl in seiner Werkstatt, und seine eindringlichen, verantwortungsbewußten Vorträge schwingen bis auf den heutigen Tag lebendig in seinen Schülern nach. Er machte es sich schwer, fast zu schwer. Wenn ich das Bild: Die Versuchung des Heiligen Antonius von Grünewald andächtig beschaue, dann wird Johannes Itten in mir lebendig. Er war wie der Maler Muche ein Eiferer für die Lehre von Masdaznan. In seinen Lichtbildvorträgen brachte er uns die ostasiatische Kunst nahe. (Der heilige Rakan mit der Schlange, die Göttin Kwanon vom Maler Muchi aus dem Jahre 1000, China.) In der Bauhausausstellung 1923 zeigte sich überall der Einfluß und die Bedeutung seiner Lehrweise. Leider verhinderte der erste Familienstreit infolge allzu programmatischer Tendenzen die weitere Vervollkommnung seines breitangelegten Unterrichts. Der Meister Lyonel Feininger, ein besonders feinsinniger Mensch und Künstler, wirkte sehr anregend. Seine kubistischen Bilder sind zurückhaltend in der Farbkraft und voller Empfindung. Durch die Gesetzmäßigkeit seiner Farbklänge bleibt er immer in seiner ihm eigenen Einheit. Sein Kubismus mag von den Franzosen angeregt sein; aber Feininger hat die feinen Ubergänge eines Schauenden in der Wirklichkeit verbunden 94

mit der planmäßigen Gestaltung seiner Form. Wie ein Architekt baut er seine Bilder musikalisch und raumbildend in die Tiefe. Er verläßt das Abbild und ordnet die Bildfläche wie eine Partitur. Seine Form könnte man „musischen Kubismus" nennen, und er konnte wohl nur in Weimar und seiner Umgebung so „feiningerisch" werden. Er hat die Orgelklänge eines Johann Sebastian Bach in seine Kathedralen hineingemalt. Sein gütiges Lächeln, sein immer zur Arbeit eilendes Schreiten und seine treue Freundschaft zu Gropius, die Güte zu seiner Familie und seinen Schülern werden uns immer in Erinnerung bleiben. Für Kinder bastelte er die „Feininger Stadt" und „Feininger Schiffe". Oft haben wir Großen mit dieser Kinderstadt gespielt. Auch seine Briefe sind Kostbarkeiten. Jeder Brief war geschmückt mit seinen Holzschnitten, die auf rosa, blauem, gelbem oder grünem Seidenpapier gedruckt waren. Sie erinnern mich stets an die schöne aktive und schöpferische Bauhauszeit in Weimar. Der Genius der abstrakten Maler am Bauhaus ist Kandinsky. Er ist ein Sohn der östlichen Welt, und seine Farbklänge sind sehr seltene. Sein Rosa, sein Grüngelb, sein Schwarz und seine Zinnoberfarben sind so zärtlich und neu, ja geheimnisvoll, daß das Auge immer aufjubelt. (Jawlensky hat einen verwandten Farbengeist. Sie sind beide außergewöhnlich begabte russische Maler, fast so merkwürdig wie die großen Chinesen und Japaner.) Kandinskys früher Genius begeistert mich immer wieder, und ich glaube, er hat auch der heutigen Jugend sehr viel zu sagen. Er wirkte und wirkt über seinen Tod hinaus. Man riecht, schmeckt und ißt seine Farbe! gemäß seinen eigenen Worten! Und so soll es sein. Die Totalität der Sinne wird geweckt durch die Bilder dieses besonderen Malers. Sie gehören zur modernen Architektur. Wie schön wäre es, wenn auch alle modernen Architekten zu dieser Erkenntnis kommen würden. Kandinskys Wirkung als Lehrer am Bauhaus ist nachhaltig, und seine Vorträge waren geistvoll und reich an Ideen. An diesen Ideen wird unsere Zeit noch lange zu tragen haben. „Der Weg des Schöpferischen wirkt das Männliche, Der Weg des Empfangenden wirkt das Weibliche. Das Schöpferische erkennt die großen Anfänge, Das Empfangende vollendet die fertigen Dinge." Das ist „China" und der Meister Kandinsky. Von Stuttgart kamen zwei Brüder. Oskar Schlemmer und sein Bruder Kaskar. Beide froh und heiter gestimmt, immer bereit, ein „Figurales Kabinett" oder „Driadisches Ballett" erstehen zu lassen zur Freude, zum Staunen und zur Bewunderung der Zuschauer. Oskar Schlemmer war ein 95

Süddeutscher mit griechischer Gottesfreude, begnadet wie sein Landsmann Hölderlin. Eine tänzerische Gestalt mit athletischem Brustkasten. Sein Atmen war wunderbar. Seine Bilder sind rein und ohne Sinnlichkeit, Zeugungen eines jungen Apoll! Großen Eindruck machten mir seine Wandbilder und die reichen Kompositionen, die Oskar Schlemmer zur Bauhaus-Ausstellung 1923 in Weimar im Treppenhaus des Werkstattgebäudes malte und die leider später durch „Unverstand" vernichtet wurden. Kaskar Schlemmer war die Ergänzung seines Bruders, dessen Gedanken er mit Fleiß verwirklichen und vollenden konnte, und so verdanken wir den Brüdern Schlemmer die schönsten Bereicherungen der Bauhaus-Feste, unvergeßliche Stunden der Harmonie und des Glücklichseins. Wir alle mochten die beiden Brüder von Herzen gern. Der Priester des Bauhauses ist Paul Klee. In der Stille der chinesischen Nebelbilder könnte er seinen Pavillon haben in den Zeiten des dunklen Gemütes. In den Zeiten seines hellen Gemütes ist er ein Sohn der Sonne. Er ist eindringlich, sehr eindringlich in der Zartheit der Träume, im Unaussprechlichen seiner Zeichnungen und Bilder. Voll Wesen und Liebe ist sein Herz, ein Garten mit vielen Früchten und dem Baum der Erkenntnis in der Mitte. Seine Augen, dunkle Punkte, schauten überall mit derselben Beständigkeit, forschend, liebend und gütig. Rätselhaft ist und bleibt sein körperlicher Verfall und Tod. Eine Aufnahme aus der Zeit der Wandlung vor seinem Tod hat mich tief erschüttert. Durch seine ernste Kunst spinnt sich der Faden eines geheimnisvollen Schicksals. Für das Bauhaus war Paul Klee ein Brunnen, der unerschöpflich den ganzen Reichtum seines Geistes ausströmte und von seinen Erkenntnissen und seinem Wissen um die Mittel und ihre Anwendung freimütig schenkte. Nie hat er die Freiheit seiner Schüler durch ein Wort verletzt. Aber sein Schweigen bedeutete Förderung. Weimar war wohl eine der glücklichsten und reifsten Schaffensperioden im Leben dieses Meisters. Ein hervorragender Architekt am Bauhaus war der Meister Adolf Meyer. Er war wie Gropius, Le Corbusier, Mies van der Rohe, Architekt Hahn Schüler von Peter Behrens und Lauweriks. Adolf Meyer war ein stiller Mensch, und eine feierliche Ruhe strahlte von ihm aus. Er war ein Kind der Eifel. Oft denke ich an seinen schönen Wohnraum in der Buchfarter Straße in Weimar mit den Wandbildern von Oskar Schlemmer und Werner Gilles. Wo sind heute die Architekten, die den Mut haben, Wandbilder im modernen Raum zur eigenen Freude malen zu lassen? - Dort saßen wir oft bei ihm. Sein Lehrer und Freund Lauweriks besuchte ihn häufig aus Holland, und die Architektur-Gespräche dieser beiden vergißt man nicht. 96

Meyer baute mit Walter Gropius zusammen das Theater in Jena. 1925 wurde er vom Stadtbaurat May in die Bauberatung nach Frankfurt/M. berufen und gleichzeitig als Lehrer für die Architekturklasse für Hochbau an der Städelschule. Das Gaswerk und das Elektrizitätswerk in Frankfurt/M. sind seine letzten Werke. Er war mein Freund und starb leider zu früh. Gerbard Marks war der Bildhauer am Bauhaus und Leiter der Töpferei in Dornburg. Oft denke ich an diesen sinnenden Meister und seinen Freund, den frühverstorbenen Johannes Driesch, der mit ihm und mit dem Hamburger Lindig zusammen in Dornburg war. Marks ist wie Oskar Schlemmer ein arkadischer Mensch. Wir kennen alle seine schönen Holzschnitte und seine Tiefgründigkeit. In dieser Aussage ist er stark und geistvoll. Seine Plastiken sind noch eine Steigerung in Form, Innerlichkeit und Menschlichkeit. Durch das Schicksal der Jahre wurde sein Werk durchdrungen von herbem, tiefen Leid. Gerhard Marks führte in seiner schicksalhaften Aussage das Werk Barlachs weiter. Georg Muche wirkte im stillen, fast geräuschlos. Seine kosmischen Bilder hatten den Raum der Unendlichkeit. Er war der Johannes am Bauhaus. Wie der große Landschaftsmaler Ma Wu verschwand in seiner Felsenlandschaft, so zog auch Georg Muche früh schon sich zurück in seine Unterrichtsarbeit. Er leitet jetzt die Textilschule in Krefeld. Zu all diesen Meistern kamen die vielen Gäste des Bauhauses aus aller Welt. Bedeutende Menschen: George, Else Lasker-Schüler, Däubler, Viking Eggeling, Hans Richter, van Eesteren, Mies van der Rohe, Busoni, Scherchen und Palucca usw. Und dann die Künstler, die in Weimar wohnten, wie Johannes Schlaf, Däubler, oder sich dort niederließen, weil ihnen die Atmosphäre des Bauhauses schöpferischer Lebenshauch war. Sie alle trugen dazu bei, den Geist des Bauhauses lebendig zu halten, und ohne ihr leidenschaftliches Eingreifen in den allgemeinen Entwicklungsprozeß wäre das Bauhaus nicht so geworden, wie wir es heute in Erinnerung haben. Die Dadaisten Tristan Tzara und Kurt Schwitters, Hans Arp und die Brüder Taut, der Kunst- und Architekturkritiker Adolf Behne, Kalay und viele andere besuchten Weimar. Von ganz besonderer Bedeutung für das Bauhaus war der Holländer Theo van Doesburg. Seine Ankunft löste eine Welle von heftigen Diskussionen aus. Adolf Meyer machte uns mit ihm und seiner sehr musikalischen Frau Nelly bekannt. Doesberg hielt uns Vorträge, die waren großzügig, frei und hatten Weisheit. Wir erkannten sehr schnell den großen Wert seiner Kunsterziehung. Er wurde unser Lehrmeister. Überall war das rote Qua97

drat seiner Stylgruppe zu sehen, das Symbol der „Neuen Bildung". Er lehrte uns die Farbspannung, Qualität und Quantität der Farben Rot, Gelb und Blau, Schwarz, Weiß und Grau und die Gestaltung der Fläche. Seine Kunstrichtung führte zur quadratischen Form und letzten Endes zur Architektur. Wir Maler lernten dabei, unsere Farben in die Architektur hineinzukomponieren. Theo van Doesburg veröffentlichte unsere neuen Arbeiten in seiner Zeitschrift „Styl", die er in Weimar herausgab. Der Russe Lissitzky brachte den Konstruktivismus seines Lehrers Malewitsch nach Weimar. Das Zeichen seiner Gruppe war das schwarze Quadrat. Da gab es keine Lyrik mehr, jedes Gefühl wurde hart wie Stahl. Strenge Linien, mit Lineal und Zirkel gezogen, in Schwarz-Weiß-Grau waren der Ausdruck seiner Bilder. Seine Lehre wurde von dem Meister Moholy-Nagy begeistert aufgenommen und am Bauhaus interpretiert. Das Bauhaus hat diese Gruppe um Malewitsch und um Theo van Doesburg in das Bauhaus einbezogen und dadurch anerkannt, indem es beiden je einen Band der Bauhausbücher widmete. So blieb das Bauhaus ständig in Bewegung und immer lebendig. Jeder Tag beinahe brachte etwas Neues, eine Ausstellung, ein künstlerisches Fest, eine Demonstration, eine Sensation, eine künstlerische Revolution, einen Umzug. Und alles wurde diskutiert, durchgekämpft und durchgesetzt, ausgefochten mit einer Leidenschaft und Offenheit, wie uns das heute unvorstellbar erscheint. Es ging um die Sache: Wahrheit und Klarheit. Jeder verstand es, und jeder wurde mitgerissen. Diese ungeheure atemlose Bewegung der Geister konnte nicht anhalten. Walter Gropius versuchte, sein Bauhaus in Dessau wieder aufzubauen, nachdem es 1925 in Weimar aufgelöst werden mußte. Aber die Idee, in Weimar gewachsen und in gemeinsamer Arbeit zur Reife gediehen, lebt weiter. Die Früchte ernten wir noch heute. Uberall dort in der Welt, wo moderne Architekten arbeiten und bauen, sind die Ideen des Bauhauses lebendig. Und nicht nur in der Baukunst finden wir die Formen des Bauhauses wieder, sondern in der Technik und in der Industrie, in den Werkformen (Glas, Porzellan, Möbel, Textilien, Töpferei). Jedesmal wenn ich hier in Kiel an einer unserer neuen Schulen vorübergehe (wir haben schon vier), wird mir klar, wieviel diese schönen, hellen, zweckmäßigen Gebäude unserer gemeinsamen Arbeit am Bauhaus verdanken. Der Neu-Aufbau unserer zerstörten Stadt wird im Sinne der Bauhausideen gelenkt. Ein Gedanke von Walter Gropius, eine Kathedrale in Gemeinschaft mit schöpferischen neuen Künstlern zu schaffen, hat sich in Assy verwirk98

licht. Der Prior der Dominikaner baute mit dem Architekten Maurice Novarina die Kirche „Notre Dame de toute grâce" in Frankreich, an der Rouault, Lurçat, Matisse, Léger, Braques mit bedeutenden Arbeiten beteiligt sind. Dort an anderer Stelle, in anderem und doch verwandtem Geist, ist Wirklichkeit geworden, was Gropius vorschwebte, als er nach Weimar kam. Ein bedeutender Architekt schuf diesen schönen Bau gemeinsam mit den besten freien Künstlern seines Landes zu Ehren Gottes und der Menschen.

VII. Louis Schoberth: Schluß mit der Dolchstoßlegende Professor Schwarz' Aufsatz ist reizend zu lesen und aufreizend zugleich. Der Autor hat zweifellos diese Wirkung gewollt, aber die polemische Seite ist leider so stark ausgefallen, daß das Ganze ohne Kommentar einfach irreführend ist. Diese Feststellung gilt übrigens in noch viel stärkerem Maße für den Vortrag, den Professor Schwarz kürzlich vor der T H Aachen gehalten hat. Dort nahmen Abwertung und Ironie den weitaus größeren Teil in Anspruch, wogegen die positiven Aussagen so kurz und fast zusammenhanglos vorgebracht wurden, daß daraus ein greulich verzerrtes Bild entstand. - Erstaunliche Behauptungen bekam man zu hören. So zum Beispiel, daß die echten neuen Bauformen mit den neuen, von der Technik hervorgebrachten Materialien im Grunde absolut nichts zu tun hätten (immerhin gehörte am Schluß des Vortrages die Betonschale wieder zu den echten, zukunftsträchtigen Bauelementen). Und besonders der Beton - nein, ein anständiger Baumeister kann sich mit ihm nicht mehr einlassen. Beweis: Perrets Kirche in Raincy und Mosers Antoniuskirche in Basel, damals Betonereignisse im modernen Kirchenbau, seien heute baufällig (Augenzeugen, die jüngst drüben waren, meinten, diesbezüglich befragt, es müsse sich um eine Halluzination handeln). Ferner habe irgendwo ein Stadtparlament (!) den Bau einer Betonbrücke abgelehnt mit der tiefsinnigen Begründung, man wisse ja noch gar nicht, wie dieses Material sich auf die Dauer benähme. Ergo würde er, Professor Schwarz, in Zukunft seine wichtigeren Bauten mit den „ewigkeitsfähigen" Materialien, also Werksteinen ausführen. Erschütternde Erkenntnisse aus dem Jahre 1953 - aber wie sollen wir nun verbleiben? Sind diese Äußerungen ernst gemeint? Oder sind sie nicht vielmehr als leicht verunglückte Eintagsscherze aufzufassen? Ich plädiere 99

für das letztere, denn ich möchte einen Mann wie Professor Schwarz nicht auf diesen Unsinn festnageln, auch wenn er von ihm selber stammt. Ich bin um so mehr dafür, als er die Grundthesen seines letzten Aufsatzes bereits im Jahre 1929 unter dem Titel „Neues Bauen?" veröffentlicht hat, dort aber klarer als hier, tiefer, zusammenhängender und unverständlich positiv. Diese Arbeit ist bis heute einer der stärksten Wegweiser durch das Gewirr der vielfältigen Erscheinungen und Bestrebungen gewesen, und es ist jammerschade, daß Professor Schwarz heute dieselben Gedanken so vorbringt, daß sie Verwirrung stiften statt zu klären. Es wäre besser gewesen, jene Arbeit nach 24 Jahren neu abzudrucken, denn seine Gedanken haben nichts an Wahrheit verloren und wären sicher geeignet, ein fruchtbares Gespräch einzuleiten. Der letzte Aufsatz dagegen wird, fürchte ich, nur eine kurze, giftige Polemik entfesseln. Erst wenn man seine Ironien genügend beschmunzelt und das gallig Erbrochene fortgeräumt hat, kommt man auf den Kern der Sache, der ein Gespräch wirklich lohnt. Zu einigen Thesen sei im Folgenden kritisch Stellung genommen. Da ist zunächst die von Professor Schwarz öfters vorgebrachte Meinung, ein „Stil" sei (für den Begabten) nur so etwas wie ein Wortschatz und eigentlich nicht so wichtig zu nehmen. Das Genie könne sich ohne Schaden einer überlieferten Sprache bedienen. Und in diesem Zusammenhang auch, der Historismus des 19. Jahrhunderts sei im Grunde gar nicht so dumm und keineswegs verwerflich, wenn auch zugegeben wird, daß diese Zeit viel Mist fabriziert hat. Nun, kein vernünftiger Mensch bezweifelt, daß es im vergangenen Jahrhundert unter den Baumeistern auch des Historismus' große Begabungen gegeben hat und daß man es ihren Werken ansieht. Sie konnten sicher nicht aus ihrer Haut heraus, denn das Zurückgreifen auf frühere Formenwelten war ja nicht eine private Berufskrankheit der Architekten. Vorwurf und Ablehnung richten sich nicht gegen den Einzelnen und sein Werk, sondern gegen die Zeit, die trotz allen Begabungen die gemeinsame geistige Substanz bereits soweit verloren hatte, daß das Eigene sich nur noch als Sehnsucht nach den eigenständig ausgeformten Welten, die vergangen waren, und mittels ihrer Formensprache manifestieren konnte. Gemeinsamkeit bestand nur, insoweit das geistige Sehnen sich auf dieselbe Kulturepoche richtete. - „Stil" als Wortschatz und die relative Belanglosigkeit der Wahl der Formensprache diese Behauptung kann in ihrer allgemeinen Formulierung und der damit geforderten grundsätzlichen Anerkennung nicht akzeptiert werden. Es hat in unserer Zeit Schriftsteller gegeben, die mittelhochdeutsche Erzäh100

lungen und Epen schrieben. Interessant und doch belanglos. Goethe hat seine Sprache geschrieben und damit die deutsche Sprache weiterentwikkelt. Welcher schöpferische Geist, indem er Neues gibt (nicht Novitäten, natürlich), formt dabei nicht gleichzeitig sein Material, Sprache oder Bauform? „Der Geist geht seinen unbeirrbaren Weg weiter und wechselt seine Bekleidungen." Aber im Weiterschreiten wird er selber anders, wächst, entwickelt, ändert sich, stirbt oder verkommt. Bekleidungen? Ich meine, Gesicht wäre richtiger. Ein kleiner, aber entscheidender Unterschied. Professor Schwarz selber benutzt beim Bauen das Vokabular der Gegenwart. (Bis jetzt wenigstens. Es gibt Leute, die sind mißtrauisch geworden seit seinen letzten Äußerungen und seiner anglikanischen Kirche in Köln. Aber wir wollen keine Vor-Urteile pflegen.) Dann wurde als Grund für das Verstummen des Gesprächs unter den Baumeistern der Bruch der abendländischen Überlieferung angegeben, und der sei erfolgt, als der Materialismus ins abendländische Denken einbrach. Gleich nach dem Ersten Weltkrieg. Der Zerfall des Gemeinsamen habe eigentlich erst während des Krieges begonnen. - Dieses Gemeinsame war doch im Grunde nur literarisch und bildungsmäßig, jedoch nicht mehr eine Gemeinsamkeit des geistigen Ordnungsbildes, des religiösen Glaubens und der daraus fließenden Impulse. Deshalb ließen sich noch so lange sehr gesittet und geistreich Gedanken austauschen, ohne daß der einzig tragende und fruchtbare Grund vorhanden gewesen wäre. Erst wenn man das nicht sehen oder zugeben will, erscheint die Tatsache, daß die Erschütterungen jenes Krieges auch noch diesen letzten, altgepflegten Lack mitzerstören, als unglücklicher Zufall, als Regiefehler des Schicksals. Einigt man sich dagegen auf die andere Version, dann gehört dazu das Eingeständnis, daß der Zerfall des gemeinsamen Raumes, genauer gesagt der tieferen Gemeinsamkeit schon sehr lange vor sich gegangen war, daß andere Brüche offen und heimlich längst erfolgt waren und deshalb dieses letzte Zerbröckeln weder plötzlich geschah, noch allein durch die von Professor Schwarz genannten Sündenböcke verursacht wurde. Das Gespräch ist abgerissen - nicht durch Zufall. Es muß neu begonnen werden, aber auf tragfähiger Grundlage. Ist es so verwunderlich, daß es sich schwertut? Professor Schwarz verwendet häufig die Ausdrücke Antike und Gotik und verwirrt Leser und Hörer gelegentlich dadurch, daß er diese Bezeichnungen mal im speziellen, mal im ganz allgemeinen Sinne verwendet; erst recht, wenn beide Lesarten in einem Atemzug vorgebracht werden. Dabei ist es nach meiner Meinung keineswegs ausgemacht, daß der Sinn der geschichtlichen Antike umfassend und 101

richtig gedeutet ist, wenn man sie als konkreten Einzelfall, als spezielle, zeitlich bedingte und begrenzte Ausformung der allgemeinen „Grundmöglichkeit menschlichen Lebens" „Antike" ansieht, wie Schwarz sie auffaßt. Dasselbe gilt für „Gotik". Wenn diese Bezeichnungen auf bestimmte Werke unserer Zeit angewandt werden, so ist damit so viel Gemeinsames mit den geschichtlichen Erscheinungen gleichen Namens belegt, wie die Kennzeichnungen „Schönheit der geometrischen Form" und „dynamisches Spiel" zulassen; viel mehr aber nicht. Gemeinsames in einer bestimmten formalen Hinsicht, in einem bestimmten Teil des Lebensgefühls, aber keineswegs pauschal. Und deshalb wäre es vielleicht besser, andere Bezeichnungen zu wählen. Worauf es Professor Schwarz ankommt, ist, „daß es eine große lebendige Uberlieferung unserer Kunst gibt, die bis in den heutigen Tag reicht..."; daß es immer darum ging, „der Menschheit ihren großen Raum zu bereiten" und „dem Leben . . . den großen Raum der Uberlieferung zu erhalten, in dem alles enthalten ist". Um zu wissen, was Schwarz unter der eigentlichen Baukunst versteht, muß man schon den Aufsatz von 1929 heranziehen. Dort unterscheidet er drei Möglichkeiten und Stufen: Die erste „geht aus von dem, was da ist, von einer Sache und einem Bedarf... sie f r a g t . . . nach der Einzelheit und entwirft von der Einzelheit her. Sie t e i l t . . . nach Funktionen . . . und organisiert das in einer guten Form. Sie untersucht alle diese Tätigkeiten in ihren einzelnen Vorgängen und erfindet gute und handliche Geräte und Anordnungen. Sie geht darüber hinaus und beobachtet den Menschen als ein Wesen, das Sonne und Erde und Luft, Bewegung und Ruhe braucht. So formen sich Siedlungen und die Städte in einer neuen und sehr klugen Weise . . . Diese Schule begabter Architekten hat an den schlichten Aufgaben der Siedlungen, der Schulen und Werkstätten, des Verkehrs, des Sports eine Arbeit getan, die Bewunderung verdient, und sie hat sie getan, indem sie die Dinge mit offenen Augen ansah. Es ist schade, daß sie darum viel angegriffen wurde . . . Die ,Sachlichen' sagen gerne, es komme ihnen nicht auf den Bau, sondern auf die Menschen an. Das kann zu großer Schönheit führen..." - Der zweiten Möglichkeit kommt es dagegen weniger darauf an, dem Menschen ein Gehäuse zu schaffen, als auf Bau und Werk selbst, das dann groß und entrückt über dem Leben steht, die große Baukunst der Türme, Tempel und Gräber. Statt der Elemente des Wohnens und des Verkehrens hat diese Art die Elemente des Bauens als Ausgangspunkt: die „Fähigkeit zu wirken, zu türmen und zu wölben, zu reihen und zu bewegen", die „großen Grundbegriffe der Baukunst: Portal und Wand, Boden und Decken, Fen102

ster und Treppen, die Räume und ihre Melodien"; kurz . . . der „Bau als Monument". - Diese Möglichkeit des Bauens scheint Schwarz vor Augen zu haben, wenn er von der Baukunst schlechthin spricht und ihrer großen Überlieferung. - Die dritte Art steht zwischen den beiden genannten. „Sie entsteht, wenn die architektonischen Glieder zwar groß und bedeutsam geformt werden, aber doch so, daß sie für die ,Dinge' noch da sind und von diesen ihren Sinn und Maßstab bekommen. Entzogenheit und Dienst halten sich die Waage." „... man kann das Gefühl nicht überwinden, daß es gerade auf sie nicht eigentlich ankommt." Heute noch mißtrauen wir gründlich den Werken dieser Art, denn sie können ihre innere Daseinsberechtigung nicht nachweisen. Könige, Fürsten, Senate, große Herren haben wir nicht mehr. Versicherungen, Kintöppe, selbst das Theater haben keinen echten Anspruch auf die große Geste. Aber war dieser Anspruch nicht bereits viel früher schon verwirkt, erloschen, Stück für Stück bis zum Ersten Weltkrieg? Große Form ohne echten Grund in der Wirklichkeit und ohne Legitimation durch den lebendigen Gemein-Geist der Generation ist leere Geste. Was heißt da Uberlieferung der großen Form? Wehe den Meistern der großen Form, die in eine Zeit hineingeboren werden, die nicht die Möglichkeit hat, das Fest oder den Dom zu bauen. Ihre Begabung läuft Amok, und ihre Werke wirken wie eine gigantische Akrobatik im luftleeren Raum. Poelzigs Genie alle Ehre, aber manche seiner Festspielhaus-Entwürfe muten uns an wie leere Totenschädel, nicht wie Blüten. Unsere Zeit hat alle Hände voll damit zu tun, die Grundlagen zu ordnen, das geistige Feld zu roden, den Acker zu bestellen. Die Feste der Blüte und Ernte sind noch weit entfernt. Karge Arbeit, aber ihre Freude besteht in der Gewißheit, auf mütterlichem Boden zu stehen, der auch die Hoffnung gibt. Und wenn die Saat aufgeht, warum an der Ernte zweifeln? Wenn uns gegeben sein sollte, den rechten geistigen Grund zu legen und darauf aufzubauen, warum sollte dann nicht eines Tages die große Form neu erblühen? Die Versuchung kann mächtig sein, den geformten Zeiten nachzutrauern. Es hat aber keinen Sinn, eine Dolchstoßlegende zu fabrizieren. Die Gegenwart hat ihre Aufgaben, die zu bewältigen wir gehalten sind. Wir dürfen die tatsächliche Entwicklung nicht mit einer idealisierten Tradition vertauschen. Hier hilft auch keine „abendländische" Brille. Wir müssen unsere Situation ins Auge fassen, die geistigen Wirklichkeiten ergreifen, die effektiven Möglichkeiten sehen und nützen. (Auf anderen Gebieten ist es genauso. Europa 1953 können wir nicht bauen aus der Sehnsucht nach dem Heiligen Reich; Europa wird niemals mehr das „Abendland" werden, und doch kann es, wenn es ein103

mal geworden ist, einzelne verwandte Züge aufweisen.) Kunst, die nur aus dem eigenen Form willen lebt, bleibt private Expression. Sie läßt kalt, weil leer und unverbindlich. „Schönheit ist der Glanz des Wahren" - nun gut, also ist Wahrheit, geistige Wirklichkeit, von lebendiger Gemeinschaft gelebt, ihr Fundament. „Bildung" des Künstlers reicht nicht aus und ist kein Ersatz dafür. Jetzt noch das verderbte Bauhaus und die bösen Funktionalisten. Gewiß, Professor Schwarz hat von Anfang an die Gefahren, die Irrwege und Auswüchse der „Modernen" nach 1920 erkannt und gebrandmarkt. Sogar rückschauend, wenn man es nicht selbst miterlebt hat, kann man feststellen, daß in jenen Jahren erstaunlich viel Unsinn geschrieben worden ist. Aber warum heute nur noch das Negative hervorholen? 1929 hat Professor Schwarz das Positive der „sachlichen" und „funktionalen" Bemühungen sehr deutlich, beinahe liebevoll beschrieben. - Jene Leute glaubten damals bei Null anfangen zu müssen und zu können, und hatten zudem ihren „wissenschaftlichen" Tick. Das aber, soweit ich sehe, war damals eine Zeitkrankheit. Viel Schlamm und Unrat schwemmte dabei an die Oberfläche. Blindheit, Überheblichkeit und schlechte Propaganda waren mit im Spiel. Aber wann waren sie es nicht? - Im Grunde suchten die ernstzunehmenden Leute doch tragfähigen Boden, nachdem das unverbindliche Formenspiel endgültig als Gespenstertanz offenbar geworden war. War es denn ganz falsch und unverzeihlich, daß, da geistige Bindungen das Gemeinleben längst nicht mehr formten, geistige Form im Räume der Öffentlichkeit nicht mehr vorhanden war, die Gestalter woanders Bindungen suchten und sie als Begründung und Rechtfertigung ihrer Formen nahmen: Konstruktion, Material, Herstellungsweise, örtliche Gegebenheiten, Funktionen der Zweckbestimmung? Daß dabei prompt jeder Punkt zum Angelpunkt gemacht wurde, Dogma und Sekte sich bildeten, war unsinnig, hat sich aber doch von selbst wieder aufgelöst. Die Werke waren sicher oft gerechter als die untergeschobenen Ideologien. Wenn man Schwarz glauben darf, muß es recht schlimm zugegangen sein. Trotzdem wären seine gelegentlichen Seitenhiebe auf das damalige Versagen im Technischen und auf seinerzeitige expressionistische Bauformen besser unterblieben, denn der Leser könnte mit Leichtigkeit zurückgeben: Der Autor sitzt hier im Glaskasten. Das Wesentliche blieb dennoch fruchtbar: man hatte sich der „Wahrheit der Dinge" verschrieben. Das ist es schließlich, was wir meinen, wenn wir heute von Funktionalismus sprechen. Uber das Bemühen um die Dinge kam man zu einer nüchternen, aber brauchbaren Erkenntnis der mensch104

liehen Zusammenhänge. Und der Weg führte weiter zur schrittweisen Erkenntnis des Wesens der Dinge und Zusammenhänge. Daran arbeiten wir noch heute und meinen, es sei richtig und notwendig. Dabei ordnen sich die Maßstäbe, und selbst was darüber hinausgeht und doch dazugehört, wird als solches offenbar. Es zeichnen sich die ersten Konturen einer Ordnung ab, die in der dinglichen und menschlichen Wirklichkeit gründet und den Platz frei läßt für das Hohe, ohne ihn ängstlich und kleingläubig mit niederem Tand zu füllen. - Irrwege müssen immer wieder gekennzeichnet werden; das darf jedoch nicht dazu führen, die gangbaren Wege zu verheimlichen. Echte große Form wird nicht aus dem Genie kommen, sondern wird so lange auf sich warten lassen, bis geistige Form mächtig wird. „Wir müssen wieder in den Raum der wirklich großen Uberlieferung kommen . . . " - nicht von der Form her, sondern über den erneuerten Geist.

Aus Baukunst

und Werkform,

VI. Jahrgang 1953, Heft 2/3, Februar/März, Seite 60ff.

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Festigung der Positionen. Briefe

Hermann

Mäckler an Walter Gropius

Frankfurt, 31. März 1953

Lieber Herr Professor Gropius! Ich danke Ihnen sehr für Ihren freundlichen Brief vom 8.3.53, der mir während einer kurzen Krankheit große Freude machte. Leider hat sich die Herausgabe des nächsten Heftes von „Baukunst und Werkform" etwas verzögert. Ich habe es aber als einen der ersten Drucke vorzeitig bekommen und sende es heute per Luftpost an Sie. Wenn ich auch selbst über den Aufsatz von Schwarz aufs äußerste empört war, so kann ich doch verschiedenen Aktionen nicht zustimmen, die daraufhin in Deutschland gestartet wurden. Die CIAM-Leute in Hamburg wollen in „Baukunst und Werkform" nichts mehr veröffentlichen. Herr Prof. Docker hat mir einen erbitterten Brief geschrieben und mitgeteilt, daß er sich auch an Sie gewandt habe. Er drohte, daß er in der Studentenschaft „Baukunst und Werkform" boykottieren wolle. Alle diese Maßnahmen scheinen mir so etwas wie das deutsche Erbübel einer starren und doktrinären Haltung widerzuspiegeln, die nicht zur Diskussion bereit oder gar fähig ist. Ohne um einen Deut Konzessionen gegenüber der Schwarzschen Auffassung machen zu müssen, muß es doch möglich sein, Rede und Widerrede in einer hervorragend geleiteten Zeitschrift bringen zu können. Ich für mein Teil bin im Gegensatz zu den genannten Herren der Auffassung, daß keine Rede von einer Aktion gegen Sie und das Bauhaus sein kann, wenn auch vielleicht angesichts unserer alten Nazis unter den Architekten die Veröffentlichung des Schwarzschen Aufsatzes nicht gerade opportun genannt werden kann. Ich weiß aber, daß der Herausgeber, Alfons Leitl, den Aufsatz monatelang zurückgehalten hat, um ihn dann doch zu bringen, in der Hoffnung 106

auf scharfe und lebendige Erwiderungen. Wie Sie aus dem zweiten Heft ersehen mögen, ist denn auch das Echo außerordentlich lebhaft, kerngesund und äußerst erfreulich. Was uns zu tun bleibt, ist, dafür zu sorgen, daß auf den Hochschulen die Dinge ins rechte Licht gerückt werden. Das wäre meiner Ansicht nach die Aufgabe der Herren Docker, Schweizer, Bartning, Lauterbach, Riphahn u. a. Ebenso wie diese Herren auch schon vorher einmal den gelegentlichen Ausfällen von Schwarz hätten entgegentreten müssen. Ich hoffe sehr, daß diese Affäre also sehr viel Gutes zur Folge haben wird. Zum mindesten hat sie aus dem Schlaf geweckt. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, lieber Herr Professor Gropius, wenn Sie sich meiner oben geschilderten Auffassung anschließen könnten und das selbstverständliche Mißbehagen gegenüber den Schwarzschen Äußerungen nicht auf die Zeitschrift übertrügen, die wie alle in Deutschland ohne großen Inseratenteil äußerst schwer zu kämpfen hat, aber doch das einzige Forum für wirkliche geistige Auseinandersetzungen im Bauen ist. Ich will damit nichts gegen eine oder zwei andere Zeitschriften sagen, die aber doch mehr der praktischen Unterrichtung des Architekten dienen. In der Hoffnung, daß es Ihnen vor allem gesundheitlich wohl ergeht, bleibe ich mit herzlichen Grüssen Ihr Mäckler

Walter Gropius an Hermann

Mackler

(Cambridge), 15. April 1953

Dear Mr. Mackler: Thank you very much for your letter of March thirty-first and for the „Baukunst und Werkform" Number 2. It has hugely amused me to see Mr. Schwarz, so to speak, chemically cleaned before my eyes. I am entirely in agreement with you regarding the attitude one should take in a case like this one. One should not be angry at all, or at least not show it, and turn the event into something positive. I believe that it is one of the most important bases of democracy to create platforms 107

on which problems can be thrashed out. Many Germans are too easily inclined to feel morally out-raged if they meet somebody who thinks in different directions. I agree that Schwarz's article was certainly not of a high ethical standard, but I am afraid he has dug himself a hole in which he has fallen. It was very good of you to send me the article so quickly. Do you know whether the „Neue Zeit" has brought anything in answer to Schwarz's article which they printed? That may even be more important then a professional magazine. Please be so kind and let me have any further publications, if and when they should appear. I believe that it is quite sound that such problems are discussed in the open. With my very best wishes, Sincerely yours, Walter Gropius

Paul Klopfer an Walter Gropius

ohne Ort, 7. April 1953

Lieber Herr Gropius, soeben erhielt ich Ihren Brief vom 3. und die Anlagen und danke Ihnen sehr dafür. (...) ich muß mich doch sehr wundern, daß „Baukunst und Werkform" Ihnen anscheinend noch nicht das Heft 2/3 geschickt hat, in welchem außer meinem Brief an den Herausgeber Leitl noch 6 andere Ihnen sicher bekannte Freunde und auch Schüler (Peter Röhl) sich sehr eindeutig ausgesprochen haben. (...) N u n noch einmal zum Geburtstagsaufsatz: Ich habe abmachungsgemäß einen gestern an „Bauen und Wohnen" (München) geschickt, einen andern, und ganz anders gehalten, soll ich an die Berliner Bauwelt liefern, dies bis zum 27.4., ich muß erst wissen, was für Platz ich bekomme, hoffe aber, reichlich. (...) alles Gute und herzliche Grüße, auch an Ihre liebe Frau auch von meiner (lieben) Frau. Ihr Klopfer 108

Walter Gropius an Paul

Klopfer

Cambridge, 21. Juni 1953

Mein lieber Klopfer, endlich kann ich ein weekend meinen gehäuften Geburtstagsbriefschulden widmen. Ich habe mich ganz herzlich über das Füllhorn Ihrer Freundschaft gefreut, das sich über mich ergoß: Ihr Brief, die Bilder, die Zeitungsartikel: Allerherzlichsten Dank. (...) In diesen Tagen sind zahlreiche Bauhaus-Erinnerungen an mir vorbeigegangen. Nach so langen Jahren kommt man in ein merkwürdiges Stadium der Objektivierung, das sich nie einfindet, solange man noch in einem Geschehensablauf drinsteht. So fühlte ich mich in der Lage, die vielen Artikel gegen die Schwarz-Attacke, die in der Tat beinahe zu einer ,Festschrift' für mich geworden sind (wie Vellinghausen es in der Frankfurter Allg. ausdrückt) mit Abstand zu betrachten. Ich genieße es natürlich, daß ich mich anscheinend nicht mehr selbst zu verteidigen brauche u. daß die Bauhausidee noch nach wie vor im Brennpunkt des Interesses steht. Ganz besonders bin ich stolz über Ihre Freundschaft, lieber Klopfer, denn Ihre weise und warme Menschlichkeit ist durchaus kein ,Lichtlein', das Sie unter den Scheffel stellen dürfen. Nächste Woche fliegen wir nach Paris und sind später auf dem CIAM meeting in Aix en Provence. Leider reicht diesmal die Zeit nicht aus, nach Deutschland zu kommen. Allerherzlichstes für Sie beide von uns beiden, Ihr Gropius

Rudolf Hillebrecht

an Walter Gropius

Hannover, 15. April 1953

Lieber Herr Gropius!

Herr Schwarz aus Köln, ein rheinischer munterer Schwätzer, der schon manchem auf die Nerven gefallen ist, hat kürzlich allerhand überflüssige Bemerkungen gemacht. Ich hoffe, Sie haben sie nicht 109

gelesen, und wenn das der Fall ist, so geben Sie sich bitte keine Mühe, sie noch nachträglich zu lesen. Mit herzlichen Grüßen bin ich Ihr Hillebrecht

Rudolf Schwarz an Martin Wagner

Frankfurt, 11. April 1953

Lieber Martin Wagner, während ich verreist war, hat Ihre Tochter hier angerufen, und das hat mich deswegen gefreut, weil es mir seinerzeit so leid getan hat, daß ich nicht mit Ihnen zusammengetroffen bin. Es ist schon so unendlich lange her, daß wir uns zuletzt gesehen haben, und unser Briefwechsel ist dann ja auch eingeschlafen. Ihre Tochter sprach auch, wie man mir sagt, von dem Funktionalistenstreit, der hier inzwischen ausgebrochen ist. Aus den weiten Räumen Amerikas kann man vermutlich nicht ahnen, was wirklich dahintersteckt. Hier macht sich eine neue Orthodoxie breit, die aus jüngeren Leuten besteht, denen schon die lebendige Verbindung mit den Zeiten vor Adolf dem Unvergeßlichen fehlt. Sie lernen mit Eifer auswendig, was Gropius oder Gantner oder Giedion seinerzeit dem Papier anvertraut haben, und sind von einer ziemlich entschlossenen Rechtgläubigkeit. Die Deutschen können nun einmal aus ihrer Vergangenheit nicht lernen. Nachdem nun in Leitls zweitem Heft ein Entrüstungssturm über die Bühne gerast ist, kommen wir wieder daran, und ich schicke Ihnen hier meinen Aufsatz, weil ich denke, er könnte Sie interessieren. Sie standen ja damals auch Poelzig nahe, und wir haben gemeinsam die Hände gerungen. Ich könnte mir denken, daß es hübsch wäre, wenn Sie zu der Sache das Wort ergriffen. Sie sind einer der wenigen Menschen, die diese Dinge miterlebt haben, und verfügen über einen glänzenden Stil. Außerdem haben Sie auch heute in Deutschland einen viel größeren Namen, als Sie vielleicht selbst wissen. Ich meine natürlich nicht, Sie müßten mit mir einer Meinung sein, was bei uns beiden ja ohnehin nie der Fall sein wird, weil es 110

überhaupt keinen Menschen auf dieser Erde gibt, mit dem jeder von uns jemals der gleichen Meinung wäre. Ich meine nur, es wäre von großer Wichtigkeit, wenn Sie sich in das Gespräch mischten, das im Gegensatz zu vielen anderen Gesprächen ausnahmsweise einmal eine entscheidende Bedeutung hat. Mit sehr herzlichen Grüßen Ihr Rudolf Schwarz

Martin Wagner an Rudolf Schwarz

Cambridge, 15. April 1953

Mein lieber Schwarz, kein Mensch sagte mir, daß Sie nach Frankfurt gezogen seien! Ich dachte, Sie seien immer noch in Köln; und als ich von meiner Arbeit in der Ruhr durch Köln fuhr, erlaubte mir mein Bus nur eine halbe Stunde Umsicht, und die gehörte - wie immer - dem Dom. Und so sah ich auf meiner Fahrt über den Ring nur die halbwilde Ausbrunst von Dekorateuren, die unserem Motor zusätzliches Gas gab. Von dem Sturm in Leids Wagenfeld-Glas schrieb mir meine Tochter, Sabine Schürer-Wagner. Ich sandte ihr daraufhin mein Manifest an „Die Jugend vom Bau" mit der Bitte, es an Leitl weiterzuleiten. Ich fürchte aber, daß Leitl zu schwach ist, eine solche Fanfare durch seinen Blätterwald tönen zu lassen. Außerdem ist er mir sehr böse, daß ich ihn vor Jahr und Tag (über Erwin Kleyer-Kronberg, einen Gropius-Freund!) mit einem Aufsatz über den Frankfurter-Würstchen-Städtebau des Herrn Böhme inkommodierte. Und noch weit weniger dürfte er wohl für den zweiten Aufsatz zu gewinnen sein, den ich hiermit gleichfalls beifüge und der sich mit der Grundform alles Bauens, dem Ich und seinem Wir befaßt. Da Sie mich in den Kreis der Frankfurter „Meistersinger" einschließen wollen, mögen Sie dem „Merker" meine Kompositionen einmal vortragen. Etwas anderes kann ich Ihnen ja auch zur Zeit nicht bieten, da ich, abgesehen von einem Zeitungsausschnitt, den meine Tochter mir sandte, von dem ganzen Sängerstreit nichts weiß. Und so sind auch 111

meine beiden Aufsätze völlig unabhängig von Ihrer Diskussion entstanden. (Und wenn Sie im Abschnitt 7 meines Manifestes auch Ihren Namen erwähnt finden, dann bitte legen Sie das Ihrer Jugend zu Last, wenn Sie unter den fünf Baumeistern Deutschlands an letzter Stelle genannt sind!) Daß wir uns in Frankfurt nicht haben treffen können, ist wirklich schade! Ich hätte Ihnen so manches über die Bauhäusler zu erzählen gehabt, die ich in der Harvard und in Concord ja aus nächster Nähe erleben durfte. O, beten Sie für Gropius, daß er mir ja keine Veranlassung gibt, ihm einmal persönlich entgegentreten zu müssen! Ich verstehe Ihren Kampf gegen die Bauhäusler - ich nenne sie „CIAM-Isten", weil international gefährlich! - sehr wohl, und ich billige ihn drüben wie hier. Ich bedaure die Jugend, die solchen Schauspielern in die Hände fällt. Habe ich es doch an der Harvard stets abgelehnt, mehr als 7 Studenten in meiner Klasse zu haben; als ich aber zu den Studenten und Baumeistern in Stuttgart sprach, hörte ich, daß man dort 200 Studenten in einer Klasse habe. Wundern Sie sich dann, wenn mir ein Student der Stuttgarter TH unter dem 20. Januar das Folgende schrieb?: „Erlauben Sie mir, Ihnen als Student auf Ihren Stuttgarter Vortrag hin zu antworten. Ich halte dies für nötig, da Sie vergangenen Montag bei uns den Eindruck gewinnen mußten, ein engstirniges, selbstgefälliges Publikum sich gegenüber zu haben, das die mitreißende Kraft Ihrer Vision und die grundsätzlichen Erfordernisse unserer Zeit gar nicht erfassen könnte. Wir haben in kleinerem Kreise noch bis in den frühen Morgen über Ihre Gedanken diskutiert. . . . Die ältere Generation - und ich sage dies ohne Überheblichkeit - ist in Deutschland allenthalben verbraucht und reaktionsanfällig. Für unsere Professoren haben wir uns geschämt." Ja, und diesen Jungen, die sich zu 40 bereits im April in Göttingen trafen und fast alle Hochschulen umfaßten, habe ich mein Manifest geschrieben. Wo immer ich auch sprach, ob in Berlin, in Frankfurt oder Hannover, auch ich schämte mich meiner Generation! Ich war erschüttert über ihren Mangel an innerer Spannung und an Auftrieb! Um aber nicht ungerecht zu urteilen und Abstand von meinen Eindrücken zu erhalten, reiste ich wieder nach Cambridge zurück. Den Abstand nutzte ich, aber leider hat sich mein Urteil über die Situation in Deutschland nicht geändert. Und dennoch beabsichtige ich, wieder nach Deutschland zurückzukehren, um dort für den Rest 112

meines Lebens irgendwie positiv tätig zu sein. Amerika hat mir viel gegeben, wenn auch meistens nur „Negatives", das, wenn man es nicht zu kopieren braucht oder zu kopieren trachtet, das „Positive" doch immer in sich schließt. Leider hängt meine Ubersiedlung nach Deutschland ganz davon ab, ob und wann der Staat Berlin mir die Entschädigung zahlen wird, die er mir nach seinen eigenen Gesetzen schuldet. Es ist ein bitteres, ja gar unmoralisches Gefühl, von jemand entschädigt zu werden, der selbst entschädigt werden sollte, wie Berlin! Aber wenn man in sein 68. Lebensjahr hineingeraten ist, dann wird es einem schwer, daran zu glauben, daß man sich um 1930 seinen Lebenslauf selbst verschüttet hat, daß man sein einziges „Vermögen", sein Heim in Eichkamp, mutwillig verkaufte und zerstörte usw. usw. Aber dennoch liegt es mir in allen Gliedern, daß ich Deutschland nicht zum letzten Mal gesehen habe. Also versuchen Sie, Leitl zu überreden, mich in den Kreis seiner Meistersinger einzuschließen, aber sagen Sie ihm, daß diese Bitte meinerseits völlig freies „Singen" voraussetzt, wobei ihm alle „Merkungen" vorbehalten bleiben mögen. Mit herzlichsten Grüßen bin ich Ihr Martin Wagner P. S. Bitte senden Sie doch die Beiträge an meine Tochter, wenn Leitl sie nicht gebrauchen kann. Ihre „Berichtigung" ist - wie immer - ein gutes „Stück eines Meistersingers"!

Martin Wagner an Rudolf Schwarz

Cambridge, 27. April 1953

Lieber Kollege Schwarz, als mir meine Tochter die Neue Zeitung vom 11./12. April 1953 sandte, in der ich die Erwiderung von Gropius und der CIAM-Gruppe fand, da kochte ich doch über, und so schrieb ich den beigefügten Aufsatz über das „Bauhaus-Olympia", den ich Ihnen zur freien Verfügung hiermit zugehen lasse. Können Sie ihn in Frankfurt nicht unterbringen, dann senden Sie ihn doch an meinen alten Berliner Haudegen, Walter Kiaulehn. Er arbeitet oft auch für die Neue Zeitung. 113

Ich fürchte, man muß Gropius etwas fester anfassen und ihn von seinen Halb-Freunden trennen, die ihn nie richtig kennengelernt haben, wie die H i - H e - H a s der CIAM-Isten! Ich habe ihn ja hier auch zur Genüge kennengelernt, und da er meine Klinge kennt, fürchte ich, daß er sich gegen mich nicht weit vorwagen werde. Haben Sie gelesen, was er über Hannes Meyer schrieb? Hannes Meyer wurde also „nach kurzer Amtszeit auf meinen Vorschlag entlassen". Hannes Meyer wurde aber auch auf seinen Vorschlag eingesetzt, wie Gropius 1938 schrieb: „Gropius recommended as his successor the Swiss architect Hannes Meyer, who was at that time in charge of the architecture department at the Bauhaus". Ich erwähnen diesen Fall Meyer nur, weil er für Gropius typisch ist: Gropius sonnt sich im Können seiner „Mitarbeiter", erlaubt es seinen Mitarbeitern aber nicht, seinen unverdienten Lorbeer zu teilen! So verließ ihn Adolf Meyer, dem er das Ausstellungsgebäude in Köln und auch seine Fagus-Fabrik verdankt; so verließ ihn Marcel Breuer, dem er die meisten seiner amerikanischen Bauten verdankt und der ihm auch in Harvard zu „eigenhändig" wurde. So verließ ihn hier sein Dean Joseph Hudnut, dem er sein ganzes Einleben in Amerika verdankt und dem er keinen Anteil an dem „ R u h m " unserer Schule gewähren wollte. U n d so habe auch ich ihn in der Fakultät fallenlassen müssen, als er auch bei mir begann, den Ruhm meiner Schüler für sich zu publizieren! In den ersten Jahren, wo ich ihn noch nicht „tief" genug kannte, erlaubte ich es ihm zwar, seinen Namen unter meine Artikel zu schreiben. Als ich dann aber sah, daß er daraus nur Kapital schlagen wollte, stoppte ich diese „Kollegialität"! Typisch für sein Bühnenleben zu Hause, wie in der Harvard, ist es doch, daß er nirgends einen Platz hatte, auf dem er selbst etwas schreiben oder zeichnen konnte. So habe ich bis heute noch nicht eine einzige Handskizze von ihm gesehen; und der einzige Arbeitsplatz in seinem Haus in Lincoln ist ein Platz neben der Heizung im Keller, den sich seine „Tochter" da ausgebaut hat. Im übrigen ist das Haus nur auf die „parties" seiner Frau eingestellt, die ja nicht weniger Schauspielerin ist (ihre Schwester arbeitet für den Film in Berlin) als er Schauspieler! U n d so blieb mir eines Tages denn doch die Spucke weg, als er mich ganz naiv fragte, ob er einem (oder „Seinem", das weiß ich nicht mehr) amerikanischen Bauunternehmer sein Bild geben dürfte, um mit diesem Bild Reklame zu machen! Ich sagte ihm nur: „Aber Gropius!" 114

Antwort von ihm: „Ja, das hat mir Hudnut auch schon gesagt." Aber nun Schluß mit solchen Erinnerungen. Ich zähle sie nur auf, um Ihnen zu zeigen, daß man Gropius nicht zu fürchten hat, wenn er allein dasteht - und das weiß er! Er hat sich darum einen Schild in der Gestalt von Schreiberlingen und Weihrauchschwingern geschaffen, und dieser Schild ist nicht sehr leicht zu durchschlagen, wenn man in der Öffentlichkeit nicht „persönlich" werden will oder kann oder darf. Den Kampf, den Sie anfingen, darf man aber im Interesse unseres Berufes und seiner ethischen Verpflichtungen nicht aufgeben! Es ist darum so notwendig, die „unschuldigen Mitläufer" aufzuklären, und da ich diese Ha-He-Hi-Bauräte auf meiner kürzlichen Reise kennengelernt habe, glaube ich wohl, daß ihnen nicht ganz wohl dabei sein werde, wenn sie sich auch gegen einen Bartning und Häring und mich zu verteidigen hätten. Aber wird man Bartning und Häring auf unsere Seite bringen können? Ich weiß es nicht! Ich habe Häring leider nicht gesehen und Bartning nur flüchtig gesprochen! Schreiben Sie mir, wie sich das Schlachtfeld weiter entwickelt, und seien Sie inzwischen bewünscht und begrüßt von Ihrem Martin Wagner

Walter Gropius an Richard Docker

Cambridge, 16. April 1953

Dear Docker: After I wrote to you on March fourteenth, I received the new number of „Baukunst und Werkform" which Mäckler, Frankfurt, sent to me by air. I have carefully read all the different replies to Schwarz's outrageous article, and I am very pleased about the reaction. I think the articles are in great part on a very high level, only too long because who has the time today to read thirty pages about such an argument? I wanted to ask you not to condemn too heavily Mr. Leitl. Don't forget, he is a journalist and wants to create a platform where interesting problems are trashed out. I don't mind at all that he 115

printed the article of Schwarz because I think Schwarz has dug himself a grave, and serious people will now turn their backs to him. This is apparent from some of the articles answering him, so don't withdraw your support from Leitl's paper. It is rather better to bring influence to bear on him than to turn one's back. Maybe he is weak and shilly-shallying, but a journalist very rarely has strong convictions. I am most interested to know whether any answer has been forthcoming in „Die Neue Zeitung" because that may be even more important than a professional magazine. I wonder whether you have sent to them my letter to you of March fourteenth. I would be very grateful indeed if you would let me know and would send me, please, by air eventual contributions to „Die Neue Zeitung" in answer to Schwarz's article. The answers in the „Baukunst und Werkform" have amused me very much because all of them together take Schwarz pretty much apart. It is a good sign that such vigorous answers have been forthcoming. Hoping to hear from you soon, with very best wishes, Sincerely yours, Walter Gropius

Richard Docker an Walter Gropius

Stuttgart, 18. April 1953

Lieber Gropius! Ich hatte geglaubt, Ihnen schneller Bericht über die Angelegenheit Schwarz-Bauhaus geben zu können. Es ist eine lendenlahme Angelegenheit, und vor Herrn Schwarz werden von allen langatmige Reverenzen letzten Endes aufgeführt. Auch die Neue Zeitung München versuchte zunächst, den ersten Absatz Ihres Briefes nicht abdrucken zu wollen, was ich aber ablehnte. Der Brief ist in vollem Wortlaut erschienen, wofür ich Ihnen einen Beleg beifüge. Ich bin sehr unzufrieden, denn journalistisch ist die Sache so gemacht, daß nun nicht Sie oder das Bauhaus, sondern in den Schlagzeilen Herr Schwarz erscheint. Die Zeitschrift Baukunst und Werkform hat den Brief noch nicht abgedruckt und will mir erst 116

Mitte nächster Woche endgültigen Bescheid hierüber geben, d. h. es wird der Brief zuerst Herrn Schwarz und Herrn Leitl übermittelt, falls die einverstanden sind, dann kann es wohl geschehen. Überlegen Sie bitte und überprüfen Sie selbst, auch in Ihren dortigen Verhältnissen, ob die Angelegenheit nicht eine katholische Aktion ist gegen den Fortschritt und das Neue, ohne daß hierüber selbstverständlich Anweisungen bestehen, sondern es ergab sich nun eben. Sie erleben ja in USA zur Zeit Herrn Adenauer, der aus derselbe Clique stammt und dessen Bemühungen um die Aufrüstung und um Generale meiner Meinung nach eine fragliche Angelegenheit sind. Ich weiß nicht, wie man dort darüber denkt; hier ist aber die Situation eindeutig von der Christlich Demokratischen Union - sprich Zentrum - dirigiert. Im übrigen verleiht unser Theodor Orden en masse, und der Werkbund weiß nicht recht, was er tun soll. Leider im ganzen eine betrübliche Atmosphäre - immerhin, man darf wieder denken und u.U. auch planen, was man möchte. Hoffentlich geht bei Ihnen alles gut. Im Mai machen wir von der Architektur-Abteilung aus Ihre Ausstellung, in den Ausstellungshallen am Weissenhof. Ich werde vermutlich einige einführende Worte dazu sagen (Anfang Mai) (...) Mit herzlichen Grössen Ihr Docker Eben kommt noch ein Brief von dem Herausgeber der Zeitschrift, Alfons Leitl, den ich Ihnen mit der Bitte um Rückgabe beilege. Ich würde Ihnen empfehlen, Herrn Leitl entweder gar keine Antwort zu geben oder eine Ergänzung zu seinem Brief abzulehnen.

Alfons Leitl an Richard Docker

Rheydt, 18. April 1953

Sehr geehrter Herr Professor Docker, ich war drei Wochen unterwegs und habe den Brief von Gropius zuerst in der Neuen Zeitung, die ich einen Tag nach Erscheinen in 117

München zu Gesicht bekam - ich kam aus Italien zurück gelesen. Ich bedauerte dabei, diesen Brief nicht unmittelbar erhalten zu haben, um ihn mit den übrigen Entgegnungen zu veröffentlichen. Nach meiner Rückkehr fand ich dann Ihr Schreiben mit der Fotokopie vor, und eben wird mir von der Redaktion Ihre zweite Anfrage zugesandt. Nachdem ich der Richtigstellung und den Gegenangriffen ein ganzes Heft gewidmet habe, liegt mir daran, die Debatte auf die sachlichen Fragen zu lenken, die ja schließlich auch in dem Aufsatz von Schwarz enthalten sind. Das geschieht in einigen Beiträgen des Aprilheftes. Ich habe deshalb Herrn Professor Gropius gebeten, er möge, nachdem durch Ihre Bemühung sein Brief schon an anderer Stelle bekanntgeworden ist, nach dem Erscheinen dieser Aufsätze entscheiden, ob er seinem Brief noch eine Ergänzung anfügen möchte. Wir werden selbstverständlich, falls Herr Professor Gropius eine solche Ergänzung nicht zu geben wünschte, seinen Brief dann auch ohne Zusatz veröffentlichen. Das ist im übrigen für mich die größte Selbstverständlichkeit, auch wenn meine Einstellung zu der Person und der Leistung von Gropius ganz anders wäre, als sie tatsächlich ist. Hochachtungsvoll Leid

Walter Gropius an Richard Docker

Cambridge, 29. April 1953

Dear Doecker: Thanks for your letter of April 18th. Don't take the matter too much to heart. I am very satisfied with the over-all reaction. I couldn't have expected more favorable answers from all sides to Mr. Schwarz's attack. I think he has put himself greatly in the wrong. I don't think it is at all necessary now to print my letter in Leitl's paper, „Baukunst und Werkform". It is quite good that now a more peaceful argumentation about the problems involved takes place. I myself will keep a detached attitude. Leitl has written me a lengthy letter, and I will answer him. After all, there are birds of very different feather all around, and Leitl is certainly not our man. But I must say that he has 118

tried to be as far objective as he can in this case by giving so much space to men who think differently from Schwarz. He mentioned in his letter to me that a new number is coming out and that he wishes me to see that new number first before any further publication from my side, including that letter, should be forthcoming. I will be very glad to comply with that and help to bring the whole fight on an objective level. I was pleased also with the „Neue Zeitung". I think it is more important that my letter appear there in the American-paid paper than in a professional magazine. Anyhow Mr. Schwarz withdraws with quite a few wounds on his fuzzy head. Thanking you for all your help, with best wishes, Yours, Walter Gropius

Hermann

Baur an Rudolf Schwarz

Basel, 29. April 1953

Mein lieber Rud. Schwarz,

Es kam Ihre Philippika in „Baukunst und Werkform", mächtig anregend und Widerspruch erregend in einem - und wiederum gabs mir einen Stupf, den längst fälligen Brief nun umgehend zu schreiben. Den Brief, ja den habe ich in Gedanken längst schon geschrieben, aber es ist wiederum dabei geblieben, und inzwischen ist ja nun das Sonderheft „Schwarz" erschienen, mit dem Gegenhieb der sieben tapferen Aufrechten gegen Ihren eigenen Lanzenstoß. N u n ist es zuviel geworden der Gedanken, und ich möchte nur eines tun, Ihnen meine Bewunderung ausdrücken über die Lebendigkeit Ihrer Ausführungen, die weite Sicht, die bis an die Grenzen gehende Kühnheit - wenn sie auch manchmal erbarmungslos erscheint. (...) Ihr Hermann Baur 119

Über die Fachwelt hinaus

Werk und Zeit Monatszeitung des Deutschen Werkbundes, Düsseldorf. Nr. 14. April 1953 A N T W O R T A N R U D O L F SCHWARZ In Heft 1/53 von „Baukunst und Werkform" (Verlag der Frankfurter Hefte) hat der Architekt Professor Rudolf Schwarz unter dem Titel „Bilde Künstler, rede nicht" eine Betrachtung zum Thema „Bauen und Schreiben" veröffentlicht, die beträchtliches Aufsehen erregt hat. U.a. brachte „Die Neue Zeitung" am 4. März 1953 einen Auszug aus dem Aufsatz unter der Überschrift „Angriff auf das Bauhaus". Außerdem hat sich der Herausgeber von „Baukunst und Werkform", Alfons Leitl, offensichtlich selbst überrascht von dem Tenor des von ihm erbetenen Beitrags, eine Antwort vorbehalten, um das von Professor Schwarz geforderte „Gespräch" fortzuführen. Zur Diskussion, an der sich vermutlich noch viele Köpfe beteiligen werden, bringen wir diese Stellungnahme von Professor Georg Muche, Krefeld. Ich wußte nicht, daß Sie Gedanken äußern können, die sich im Sinn und in der Aussage mit dem decken, was die Nazis vom Bauhaus dachten, sagten und schrieben. Ich schätzte Sie als einen Menschen, der ohne Arg ist. N u n aber schreiben Sie: „Es gehört zu der großen Berichtigung, um die es mir geht und ohne die wir unser abendländisches Schicksal verfehlen." In aller Bescheidenheit, Herr Schwarz, wer von uns weiß etwas über das Schicksal auszusagen! Sie schreiben über Gropius: „Er konnte offenbar nicht denken - ich meine damit das, was nun einmal im abendländischen Raum Denken heißt". Soll Ihr Aufsatz Ihr Beitrag zu dem großen abend120

ländischen Gespräch unter den Architekten sein? Gropius spricht eine andere Sprache. Er ist großherzig, aufrichtig, klar. Seine Gedanken sind europäischen Ursprungs. Sie schreiben: „Wir anderen aber waren für Jahrzehnte bekleckert, man legte uns in die gleiche Wanne und schüttete uns mit dem gleichen Bad in den Rinnstein..." Hören Sie Ihre Sprache? Ist es der Weltruhm des Bauhauses, an dem Sie keinen Anteil haben, der Sie böse macht? Freuen Sie sich doch, daß einstmals in Deutschland etwas entstanden ist, das im Abendland und in der Neuen Welt zur Legende geworden ist. Sie haben das Bauhaus schlecht gekannt. Sie sprechen von Kandinsky, Itten, Feininger, Mareks, Schreyer, Klee, Schlemmer und Moholy in der Form von „Leuten". Dieses arme Wort, das keinen Singular hat, paßt nicht zu Menschen dieser Art. Sie schreiben: „... Es soll auch nichts gegen die Künstler vom Bauhaus gesagt werden, es gab gute Maler, und alle zusammen waren vergnügte Kubisten und als solche eine putzige Bereicherung der Erscheinungsfülle des Zeitalters." Nein, - nicht einer von ihnen gehört zu den Kubisten. Sie erwähnen den Schmutz, in dem Sie rühren. Sie beschmutzen nicht das Bauhaus! Hätten Sie Kandinsky gekannt, dann wüßten Sie, daß er ein Mann des Geistes war. Jedes seiner Worte war von Verantwortung erfüllt, von Wohlwollen und Güte. Oskar Schlemmer war der lauterste Mensch, der mir je im Leben begegnet ist. Itten legte den Grund zum pädagogischen Aufbau des Bauhauses, und seine Unterrichtsweise trägt auch heute noch an vielen Akademien und Werkkunstschulen zur Erneuerung des Naturstudiums bei. Lothar Schreyer kennen Sie - so nehme ich an - aus seinen Schriften als einen tiefreligiösen Christen. Ist Ihnen nicht bekannt, daß Klee ein Mann von großer Bescheidenheit war? Gerhard Mareks werden Sie unterdessen kennengelernt und festgestellt haben, daß er kein Kubist ist, der mit seinen Plastiken zur „putzigen Bereicherung der Erscheinungsfülle des Zeitalters" beiträgt, sondern ein Mensch und Bildhauer, der Phrasen verachtet. Sie rechnen auch Feininger, diesen achtzigjährigen, gütigen und weisen Menschen, dem das Schicksal der Vertreibung durch die Nazis nicht erspart blieb, zu den „Leuten". Warum werfen Sie einen so schwarzen Schatten auf Deutschland, an das Feininger auch heute noch in Liebe und Sehnsucht denkt? Gropius wird in diesem Jahre siebzig Jahre alt. Viele werden dann mit ihren guten Gedanken bei ihm sein und sich über seine Werke freuen. Sie werden sich erinnern an den großzügigen, tatkräftigen Menschen, der die Jugend verstehen und begeistern konnte. Wollen nicht auch Sie, Herr Schwarz, den Menschen die Freiheit lassen, 121

„ihre Haselnüsse zu essen" und dabei zu denken, was sie wollen? Lassen Sie der Jugend das Recht zum Irrtum und verzeihen Sie ihr die Fehler und die Folgen ihres Ubermuts - auch wenn es am Bauhaus geschah. Sie wissen genau, daß nur Hannes Meyer für eine kurze Zeit den historischen Materialismus propagieren konnte. Als ein kompromißloser Mann verließ Gropius seine eigene Gründung, die er liebte. Mies van der Rohe kam und machte den von Hannes Meyer angerichteten Schaden wieder gut und Sie, Herr Schwarz, werfen heute noch Steine auf die Toten und die Lebendigen.

Georg

Muche

Die Neue Zeitung, 11./12.4.1953 DER ZURÜCKGEWIESENE ANGRIFF AUF DAS BAUHAUS Antworten auf einen Artikel von Rudolf Schwarz

Wir haben in Nummer 53 vom 4. März einen scharfen „Angriff auf das Bauhaus" teilweise zitiert, den der bekannte Architekt Rudolf Schwarz in der Zeitschrift „Baukunst und Werkform" veröffentlicht hatte. Unsere Erwartung, daß dieser Aufsatz auch außerhalb des Fachkreises Aufsehen erregen würde, haben die zahlreichen Entgegnungen bestätigt, die uns jetzt vorliegen. Da die meisten von ihnen die gleichen sachlichen Argumente enthalten und viele sich in persönlichen Urteilen ergehen, die in einer Tageszeitung ein anderes Gewicht erhalten als im Rahmen einer Zeitschrift, mußten wir uns zu größeren Kürzungen entschließen. Die Beiträge von Hoffmann und Remszhardt entnehmen wir auszugsweise dem jetzt erschienenen neuen Heft von „Baukunst und Werkform", das ganz auf die Antwort an Rudolf Schwarz abgestimmt ist. Polemik nach rückwärts Ich hatte erwartet, daß es sich... um eine prinzipielle Auseinandersetzung über Fragen handelte, die von Herrn Schwarz und mir sicher von sehr verschiedenen Gesichtspunkten angesehen und behandelt werden würden. Statt dessen fand ich eine polemische Abhandlung über eine inzwi122

sehen längst Geschichte gewordene Bewegung vor, die sich in ihrem müden und überheblichen Ton und in ihrem Mangel an Sachkenntnis in nichts von den Angriffen der Bauhausgegner der Hitlerzeit unterscheidet. „Abendländische Gespräche" dieses Niveaus haben kein Gewicht. Der Schreiber disqualifiziert sich darin selbst durch seinen Ton und durch die Leichtfertigkeit, mit der er in der Öffentlichkeit Ideen und Geschehnisse angreift, die er offensichtlich nur vom Hörensagen kennt, während sie seit vielen Jahren in allen Kulturländern Gegenstand eingehender Studien von kompetenten Erziehern, Historikern und Architekten sind. Die Behauptung des Herrn Schwarz, daß wir uns „feierlich zum historischen Materialismus bekannten", ist frei erfunden. Vermutlich verwechselt er mich mit meinem Nachfolger Hannes Meyer, der nach kurzer Amtszeit auf meinen Vorschlag entlassen und durch Mies van der Rohe ersetzt wurde, den ich der Stadtverwaltung von Dessau empfohlen hatte. Solange ich das Bauhaus selbst leitete, versuchte ich das Institut aus allen politischen Verstrickungen herauszuhalten, an denen die Zeit so reich war. Die auf freiwilliger Zusammenarbeit aufgebaute Organisation der Schule konnte ebensowenig mit der marxistischen Gedankenwelt identifiziert werden wie mit der nazistischen. Ich bedauere, daß es in Deutschland noch immer oder schon wieder möglich ist, den andersdenkenden Kollegen durch Unterstellung falscher Motive und in einer Sprache anzugreifen, die nur im Falle äußerster Provozierung verzeihlich wäre. In unserer durch rapiden Verkehr schrumpfenden Welt sind wir Erdbewohner vor die gemeinsame Aufgabe gestellt, in sachlichem Austausch einen geistigen Generalnenner für unsere irdische Symbiose zu finden. Unfruchtbare, chauvinistische Polemiken sind nur ein Zeitverlust und halten die menschliche Entwicklung auf. Ich liebe konstruktive Kritik, weil sie anregt, aber auf diesen Angriff möchte ich mit Goethe antworten: „Laß dich nur zu keiner Zeit Zum Widerspruch verleiten, Weise fallen in Unwissenheit, Wenn sie mit Unwissenden streiten." Walter Gropius, Cambridge (USA)

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Siehe auch die Verurteilung von anderer Seite ... Daß für Herrn Schwarz die Künstler am Bauhaus nur „eine besonders putzige Bereicherung der Erscheinungsfülle des Zeitalters" waren, hat nicht verhindert, daß die Bedeutung von Kandinsky, Klee, Feininger, Schlemmer, Itten, Muche, Mareks, Moholy-Nagy inzwischen längst in aller Welt erkannt worden ist. Wenn Herr Schwarz am Werk dieser Künstler denselben Genuß haben sollte wie andere Leute beim Verzehr von geriebenen Haselnüssen, so ist das eine rein persönliche Empfindung, die für die Allgemeinheit ohne Bedeutung ist. Es ist unschwer zu erraten, worauf Schwarz anspielt, wenn er schreibt: „Es ist ein ergreifender Anblick, wenn ein Baumeister endlich, endlich seinen Glaswürfel bekommt, mag auch der Vorwand dazu ein Fabrikbau sein, und es ist beruhigend und beinahe metaphysisch notwendig, wenn es ihm von oben hereinregnet und das Ganze als Treibhaus funktioniert." Der „Glaswürfel" der Fagus-Schuhleisten-Fabrik in Alfeld, 1911 von Gropius gebaut, ist als epochemachende Leistung ein Dokument der Architekturgeschichte. Der kühne Bauherr hat nach dem Zweiten Weltkrieg einige Mitglieder der heutigen CIAM-Gruppe durch seine Fabrik geführt, glücklich, dieses Bauwerk zu haben; es regnet weder „von oben herein" noch „funktioniert es wie ein Treibhaus". Ein fortschrittlicher Kunsthistoriker und Landeskonservator hat die Fabrik unter Denkmalschutz gestellt. „Einen großen Erfolg", schreibt Schwarz, „hat das Bauhaus sicher errungen, einen publizistischen." Waren die Bauhaustapeten, die noch heute in jedem Tapetengeschäft zu haben sind, der soziale Wohnungsbau der Siedlung Dessau-Törten, die Lampen und Möbel des Bauhauses, seine Arbeit auf dem Gebiet der Malerei, Photographie, Typographie, Gebrauchsgraphik und so weiter, die Grundlagen, die das Bauhaus für die heutige Kunsterziehung in allen Ländern schuf, Erfolge, deren sich nur „das gesamte Federvolk" erfreute? Vermöchte eine bloße Phraseologie von Literaten eine so tiefgreifende, seit Jahrzehnten anhaltende und sich ständig steigernde Auswirkung zu haben ...? Nicht unerwähnt wollen wir lassen, daß die Verurteilung des Bauhauses in einschneidenderer Weise auch von anderer Seite erfolgt ist, freilich nicht gerade aus Sorge um unser abendländisches Schicksal - nämlich vor einem Jahre von seiten der ostzonalen Berliner Bauakademie. Siehe den Aufsatz von Dr. Kurt Liebknecht, dem Präsidenten der ostzonalen Bauakademie (Neues Deutschland 1951, Nr. 36, Seite 3) ...! 124

CIAM-Gruppe Hamburg (Internationale Kongresse für Neues Bauen, Deutsche Gruppe): Hassenpflug, Hebebrand, Hermkes, Hillebrecht, Seitz, Trautwein, Willing.

Nicht einer gehört zu den Kubisten Sie schreiben: „... Es soll auch nichts gegen die Künstler vom Bauhaus gesagt werden, es gab gute Maler, und alle zusammen waren vergnügte Kubisten und als solche eine putzige Bereicherung der Erscheinungsfülle des Zeitalters". Nein - nicht einer von ihnen gehört zu den Kubisten. Sie erwähnen den Schmutz, in dem Sie rühren. Sie beschmutzen nicht das Bauhaus! Hätten Sie Kandinsky gekannt, dann wüßten Sie, daß er ein Mann des Geistes war. Jedes seiner Worte war von Verantwortung erfüllt, von Wohlwollen und Güte. Oskar Schlemmer war der lauterste Mensch, der mir je im Leben begegnet ist. Johannes Itten legte den Grund zum pädagogischen Aufbau des Bauhauses, und seine Unterrichtsweise trägt auch heute noch an vielen Akademien und Werkkunstschulen zur Erneuerung des Naturstudiums bei. Lothar Schreyer kennen Sie - so nehme ich an - aus seinen Schriften als einen tiefreligiösen Christen. Ist Ihnen nicht bekannt, daß Klee ein Mann von großer Bescheidenheit war? Gerhard Mareks werden Sie unterdessen kennengelernt und festgestellt haben, daß er kein Kubist ist, der mit seinen Plastiken zur „putzigen Bereicherung der Erscheinungsfülle des Zeitalters" beiträgt, sondern ein Mensch und Bildhauer, der Phrasen verachtet. Sie rechnen auch Feininger, diesen achtzigjährigen, gütigen und weisen Menschen, dem das Schicksal der Vertreibung durch die Nazis nicht erspart blieb, zu den „Leuten" . . . Lassen Sie der Jugend das Recht zum Irrtum und verzeihen Sie ihr die Fehler und die Folgen ihres Ubermuts - auch wenn es am Bauhaus geschah. Sie wissen genau, daß nur Hannes Meyer für eine kurze Zeit den historischen Materialismus propagieren konnte. Als ein kompromißloser Mann verließ Gropius seine eigene Gründung, die er liebte. Mies van der Rohe kam und machte den von Hannes Meyer angerichteten Schaden wieder gut . . . Georg Muche, Krefeld

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Impulse für den sozialen Wohnungsbau Der Schwerpunkt der Polemik liegt, scheint mir, in dem Gedanken, es sei der kläglich genug gescheiterte Versuch des Jugendstils zum Ornament das heißt, einer Beseelung der technischen Form im Sinne des alten Handwerks (sprich des Kunstgewerbes) - möglich. Schwarz sträubt sich, darin den „Traditionalisten" verwandt, anzuerkennen, daß sich mit den technischen Gestaltungsmitteln notwendig auch die ästhetischen Ausdrucksmittel gewandelt haben, und zwar auf der ganzen Linie, in der Architektur, in der Gestaltung des Gebrauchsgeräts wie in jeder Art bildnerischsinnlichen Ausdrucks. Dafür „vorlaute und aufgeregte Terroristen" verantwortlich zu machen, ist ebenso naiv, wie es der Wahrheit zuwider ist, dem Bauhaus in der Hauptsache nur einen publizistischen Erfolg zuzugestehen . . . Die Geschichte des sozialen Wohnungsbaus wäre nicht zu schreiben, ohne die fruchtbaren Impulse, die vom Bauhaus ausgingen, ausgiebig zu würdigen. Was den Vorwurf des Materialismus betrifft, so möchte ich den Kirchenbaumeister Rudolf Schwarz an ein Wort des Erbauers der Abteikirche von Saint Denis, des Abtes Suger, erinnern: „Mens ad verum per materialia surgit." Eben in diesem Sinne sind Gropius und seine Gesinnungsgenossen auch Materialisten: daß sie nämlich glauben, man könne die Materie nicht ernst genug nehmen, wenn man sie vergeistigen zu können hofft.

Hans Eckstein,

München

Gropius' schöpferische Tat Rudolf Schwarz räumt Walter Gropius, einem Architekten von Weltruf, gönnerhaft ein, daß er immerhin ein Künstler sei. Aber er spricht ihm das „Denken"-Können ab. Nun: die Gründung des Bauhauses war eine schöpferische Tat, die ohne ein sehr überlegtes Denken gar nicht möglich gewesen wäre. Das Bauhaus hat unter der Leitung von Gropius in einer Arbeitsgemeinschaft, der mit die bedeutendsten Künstler unserer Zeit angehörten, eine hohe Sendung erfüllt: den Bruch mit dem unschöpferischen Eklektizismus (nicht auch mit der werteschaffenden Tradition!) zu vollziehen - auf allen Gebieten künstlerischen Gestaltens vom Elementaren auszugehen, dem Wesenhaften und seinen Gesetzen nachzuspüren 126

das im 19. Jahrhundert verlorengegangene Gemeinschaftswirken von Baukunst, Malerei, Plastik und Werkkunst wiederherzustellen - dem Handwerk seine Ursprünglichkeit zurückzugeben, zugleich aber auch einer zeitbedingten fruchtbaren Zusammenarbeit von Kunst und Industrie den Weg zu bahnen. Daß bei einem so kühnen Vorstoß, wie ihn das Bauhaus auf allen Gebieten wagte, manches zunächst Versuch und Experiment blieb, ist kein Minus. Man muß erst säen, wenn man später ernten will. Das Bauhaus ist nicht hinwegzudenken aus der internationalen Kultur des 20. Jahrhunderts. Es wirkt weiter im Schaffen und Lehren der von der ersten Meister-Generation erzogenen zweiten Generation, der wiederum schöpferische Persönlichkeiten von Rang angehören, und wird weiterwirken in ihren Schülern. Hans Hildebrandt, Stuttgart

Um unser eigenes Ordnungsbild ... wir haben ja zuweilen in solchem Sinn über dies Zeitalter der „verlorenen Mitte" gesprochen, als es um Goethehaus und Altstadt und derlei Restaurationen ging. Und ich glaube, wir waren uns dabei einig, daß die Misere der Gegenwart weder mit Langschiffen noch mit „Häusern, die in Türmen aufbrennen", zu beheben ist, und daß es ein und dasselbe ist, ob man von „Wand, Boden, Decke ..." oder von „optisch-plastischen Empfindungen" spricht, da die praktischen Bedürfnisse und Ordnungen des Leibes mit den Gebärden und Empfindungen des Gemüts eines sind. Und etwa Augustin oder der Aquinate formulierten in ihrem „Ordnungsbild" gewiß nichts anderes als die Meinung der Menschen einer Zeit vor uns über das, was ihnen gut und gemäß sei. Wir müssen heute, so mühsam es sein mag, unsere eigene und künftige Ordnung selber bilden und so sorgsam dabei sein, als sei, was wir schaffen, die Tradition von morgen zumindest sollte es deren Fundament sein können. Um das Begreifen des Fundamental-Charakters geht es wohl in der ganzen Debatte, von der auch wir möchten, daß sie ein Gespräch sei. Wir sind aber nun einmal weder Romantiker noch Gotiker noch Barocke - deren Welt in unserer Bibliothek, das heißt in unserer Reflexion Raum hat, aber nicht auf unseren Plätzen und in unseren Hallen. Wir sind auch nicht einmal mehr Funktionalisten von 1920 oder 1933 - wir datieren 1953. Aber Funktion 127

heißt für uns - so sind nun eben die Worte der deutschen Sprache Daseinsform, die unseren Willen verwirklicht mit den Mitteln der Technik und der Organisation, ohne die zu arbeiten restaurative Utopie wäre. Da-sein von Haus und Gerät, von Geschäft und Muse in einer unbeschatteten Form, in der wir über uns selbst nachdenken und für uns selbst handeln können. Und dazu brauchen wir eine Bildung, die nicht nur durch Disziplinen, sondern durch Methoden bezeichnet ist . . . Godo Remszhardt, Frankfurt

Falsche Auslegung des Wortes „Funktion" Sicher hat es vor 1900 bessere Architekten als heute gegeben - vor allem weniger - , weshalb es sich nicht zuletzt in dieser Zunft fröhlicher leben ließ. Es bedarf viel geringeren geistigen Aufwandes, die architektonische Qualität eklektischer Bauten zu unterscheiden als die neuzeitlicher. - Daß der Reichstag oder die T U Berlin Monstrositäten sind und das Joachimstaische Gymnasium ein ganz gut proportionierter Bau und daß selbst der in romanischen Formen gehaltene Bahnhof in Hannover schöner und sicherer in seiner Lagerung ist als die Bahnhofs-Thermen von Bonatz in Stuttgart, das wissen wir ebensogut wie Rudolf Schwarz. Wir teilen sogar seine Sehnsucht, wieder harmlose, fröhliche Baumeister zu werden, „die in einer Luft reiner und guter Menschlichkeit leben". Mit der Sehnsucht allein ist es nun nicht getan - die Luft muß auch vorhanden sein. Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen haben sich immerhin um einiges geändert - nicht nur die geistigen. Die Städte sind zu menschenfressenden Ungeheuern geworden, die sich der Gestaltung entziehen - der Kontakt mit den regenerierenden Kräften der Natur ist verloren: mit Erde, Pflanze, Tier. Daran ist das böse Bauhaus nun ganz und gar nicht schuld. Herr Schwarz gerät an dieser Stelle in die Gefahr der Idealisierung, die gleichen Fehler der Restauratoren des Jugendstils reißen ihn, den „kommenden Wiederentdecker der Eklektik", dazu hin, einen Blumenteppich über diese verlorene Zeit auszubreiten - so paradiesisch waren diese Zeiten nun auch wieder nicht, wie das aus der Entfernung aussieht . . . Das Bauhaus war ein erster Versuch, ein echtes Gespräch unter Einschluß der Erkenntnis der neuen Situation wieder aufleben zu lassen - in bewußter Anlehnung an die großartigen Leistungen der Bauhütten des 128

Mittelalters. Und es sind am Bauhaus und durch das Bauhaus trotz der Störungen durch blinde, im Historismus befangene Eiferer solche Gespräche geführt worden . . . Schwarz betrachtet das ganze Bauhaus nur vom ästhetischen Blickwinkel aus, und das muß Verzerrungen ergeben. Zu seinem Bauhauskomplex hat seine falsche und einseitige Auslegung des Wortes Funktion beigetragen. Funktion war für Gropius stets nicht nur materieller Bedarf, sondern ganz genauso seelischer...

Hubert Hoffmann,

Berlin

Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 116. 22. Mai 1953 INDIREKTE FESTSCHRIFT FÜR GROPIUS Auf Verursachung von Professor Rudolf Schwarz

„Das Unfaßbare durch das Faßbare ausdrücken (Walter Gropius)

..."

Am Montag dieser Woche hat der Architekt Walter Gropius seinen siebzigsten Geburtstag feiern können; nicht in Deutschland - Gropius war infolge der lebensgefährlichen Anti-Bauhaus-Kampagne gezwungen, im Jahre 1934 auszuwandern; aber auch nicht mehr in der glanzvoll repräsentativen Situation, die er (in unsern Termini ausgedrückt) als Ordinarius für Architektur an der Harvard-Universität zu Cambridge (Mass.) einnehmen konnte - einer Situation, von der aus er den gesamten bauenden Nachwuchs der Welt höchst folgenreich beeindruckte. Sondern als quasi anonymes Mitglied eines von ihm begründeten Teams von Architekten, das, unter dem Namen TAC (The Architects Collaborative) operierend, sich des allergrößten Ansehens erfreut und diesem Meister der BauMeister die Möglichkeit gibt, sich hinter die Namenlosigkeit einer Kooperative zurückzuziehen, ohne damit im Unfaßbaren zu versinken. Das ist mehr als nur eine Geste. Mit den Werken dieses TAC bleibt Gropius in voller Verantwortlichkeit zu identifizieren. Und dennoch ist es - was die persona angeht - ein freiwilliges Zurücktreten aus den Jagdgründen der Fotoreporter in die Reserve eines „Tuenden", der es nicht nötig findet, sich als Star zu drapieren. 129

Bauhaus - „widerliche

Ideologie"

Aus Anlaß dieses Geburtstages werden Herrn Gropius aus allen Weltteilen Glückwünsche, Beteuerungen der Dankbarkeit, Zeugnisse der Verehrung und Freundschaft zugegangen sein - aufrichtiger und, was sich nicht vermeiden läßt, auch mehr oder minder konventioneller Art. W i r Deutschen, die wir diesen Mann - nebst vielen anderen - haben ziehen lassen und uns die zwölfjährige Zwischenzeit von der baulichen Despotenkurzweil, mit ihrem Aufwand an Piefke-Pilastern und „auf Hochglanz" poliertem Untersberger Marmor, teils angstvoll, teils ahnungslos divertieren ließen - wir Deutschen haben es nun im Falle Gropius zu einem so merkwürdigen wie wesentlichen Glückwunsch indirekter Art gebracht. Denn, wer den Streit verfolgte, der kürzlich auf Grund eines so hemdärmeligen wie temperamentvollen Artikels von Professor Rudolf Schwarz in der westdeutschen Öffentlichkeit ausgebrochen war, konnte den Ausgang dann eigentlich nur als zehn zu eins für Gropius notieren. Schwarz hatte „dem Bauhaus" (ganz allgemein - nicht etwa speziellen Funktionären wie Hannes Meyer) in einer Diktion, die in etwa dem Umgangston der Saalschlachten von 1932 entspricht, „unerträgliche Phraseologie", „Jargon der Komintern", „widerliche Ideologie" und ähnliches angekreidet; die am Bauhaus wirkenden Architekten zu „Feinden der Menschheit" ernannt und, in einer Art Nachwort, anschließend gemeint, „wir müßten wieder in ein wirkliches Gespräch kommen". Verblüffende Schlußfolgerung. Das Ergebnis war ein allgemeiner Protest gegen Herrn Schwarz und gleichzeitig, soweit man im Lande umherhörte, eine so leidenschaftliche Stellungnahme für das damalige Bauhaus, daß man nun die N r . 2/3 der Zeitschrift „baukunst und werkform", in der eine kleine Auswahl dieser Proteste Aufnahme fand, geradezu als eine Art nachträglicher Festschrift für das Bauhaus und mithin auch für Gropius (der es von 1919 bis 1928 geleitet hat) ansehen darf. Gerade weil es sich nicht um eine offizielle Gedenkschrift handelt - etwa von den Städten Weimar oder Dessau arrangiert, deren gegenwärtige, zentral gelenkte Kunstpolitik sich eher - via volkstümlichen Traditionalismus - mit Herrn Schwarz als mit Herrn Gropius verständigen könnte! Gerade weil es sich also um das Resultat eines spontanen Reagierens besorgter und geistreicher Köpfe handelt, darf man auch Herrn Professor Schwarz bescheinigen, daß nolens volens seinem Artikel immerhin eine Verdienstlichkeit zuzurechnen ist: er hat etwas ins Rollen gebracht, was dann, in wahrhaft dialektischem U m schlag, auf eine Art indirekter Dankadresse an seinen Gegner hinauslief; 130

dem er, Schwarz, gerade noch eben die Unfähigkeit, „abendländisch zu denken", bescheinigt hatte. Da aber tritt ein Nerv, um nicht zu sagen ein kranker Nerv oder gar ein Nervenschaden an die Oberfläche, der uns veranlaßt, so ausführlich auf diesen Streitfall einzugehen. Wer sich der frühen Bauten von Rudolf Schwarz erinnert oder gar (wie der Schreiber dieser Zeilen) damals, als Leser der „Schildgenossen", extra nach Aachen gepilgert ist, um die Fronleichnamskirche zu betrachten (Schwarz hat sie 1930 gebaut und ihr dazu einen so klugen wie offenherzigen Begleittext mit auf den Weg gegeben: „Das künstlerische Thema dieser Kirche ist tatsächlich der Kasten. Wenn man damit nicht fertig wird, nützen Bogenhallen, Portale und Backsteinornamente auch nichts mehr") - wer also seine private und kritische Vorstellung von dem Baumeister Rudolf Schwarz an diesen frühen Zeugnissen ausgebildet hatte, fand neuerdings manchen Anlaß, stutzig zu werden. Seine dornenvolle Tätigkeit als Stadtbaumeister (Frankfurt und Köln) mag dabei außer acht bleiben. In die persönliche Verantwortung pflegen sich da so viele bürokratische Instanzen störend hineinzumischen, daß es nahezu unmöglich sein wird, das Eigenverantwortliche genau auszugrenzen. Immerhin darf über das „Bild" der Kölner Innenstadt (lobend) erwähnt werden, daß eine Art Verzögerungstaktik da zumindest verhindernd Erfolge vorzuweisen hat. Der törichte Prunk allzu aufwendiger Versicherungspaläste blieb auf den „Ring" abgedrängt (wo nun im Wetteifer von Luxus und Langeweile sich eine Art unschädlicher Pilzwucherung herausgebildet hat); andererseits wurden, im „Durchbruch" Neumarkt-Hahnentor, die aufs graziös Leichte zielenden Unternehmungen des Architekten Riphahn nicht inhibiert. Was vielmehr stutzig macht, sind die neueren Bauten von Rudolf Schwarzens eigener Entwerferhand - die neugotische Garage der englischen Garnisonkirche (Köln-Marienburg) und die „Wiederherstellung" der Kirche zu Johannisberg im Rheingau - wo nun plötzlich eine „romanische" Trumm- und Trutzburg aus den Rebhügeln herausguckt, daß man zunächst meint, man habe es mit der wilhelminischen Neuromanik (von Baurat Schwechten selig oder anderen spätstaufischen Bombastikern) zu tun. Gewiß, beide Kirchen enthüllen dem näheren Blick einige Qualitäten einer gewissermaßen kunstgewerblichen Propertät. Sie sind nicht eigentlich roh noch süßlich. Und dennoch, ihr „Habitus", ihr Eklektizismus, der Mangel an Formphantasie (der aber nicht nüchtern-aufrichtig zugegeben und zu einer Art Strukturprinzip veredelt, sondern im Gegenteil 131

„cachiert" wird) - all das ist verwunderlich, erstaunlich, ja bestürzend. Zumal für den, der an diese Bauten mit „Erwartungen" herantritt . . . Man sagt Europa und meint Euskirchen Wer unsicher verfährt, sucht sich - gleichzeitig oder nachträglich - gern die passenden Argumente dazu. Es ist das ein Akt der Verteidigung zunächst auch „vor sich selbst". Den Betrachtern dieser Bauten konnte dann gar nicht wunder nehmen, daß Rudolf Schwarz es nicht bei seinen Schriften von „vor der Zeit" (gemeint ist: vor 33) beließ. Und auch die Bücher, die nach diesem Kriege von seiner Hand erschienen, konnten da nicht Genüge tun. Die neuen Bauten mußten ihren Geleitbrief mit auf den Weg bekommen - Geleitbrief, Entschuldigungszettel, Kommentar - oder wie immer man das mit den Methoden der Tiefenpsychologie benennen will. Es wurde ein Pamphlet, ein Affektausbruch, eine Hexenjagd, eine Generalversammlung lange verdrängter Ressentiments (nachzulesen in „baukunst und werkform" Heft 1/1953). Von einer Mischung aus halben Wahrheiten, Pathos, Jovialität, kauziger „Gemütlichkeit" - daß dem Leser völlig schwummrig werden kann. Einer seiner Kollegen, durchaus respektvoll, schreibt kurzerhand: „Man sollte ihn nicht auf diesen Unsinn festnageln, auch wenn er von ihm selbst stammt" (Louis Schoberth). Man sollte es in der Tat nicht tun, wenn es sich nur um einen „privaten Architekten" handelte. Aber Schwarz doziert ja seit kurzem auch als amtlich bestallter Lehrer der Jugend, die nun aus seinen Räsonnements nicht bloß über „vergnügte Kubisten als besonders putzige Bereicherung der Erscheinungsfülle des Zeitalters" aufgeklärt und erleuchtet wird; sondern auch über „das putzige Verhältnis Goethes zur Antike" (Zitat aus der Antrittsvorlesung an der Kunstakademie Düsseldorf). Putzig hin, putzig her. Was uns veranlaßt, dem Zeitphänomen dieses begabten Architekten und spontan-wirren Pamphletisten alle Aufmerksamkeit zuzuwenden, ist nicht die Qualität der Bedenklichkeit seiner Bauten, sondern die mitunter suggestive Geschäftigkeit, mit der er seinen aufs „Europäische" umgemünzten Überlieferungsjargon zu handhaben versteht - mal wallebärtig, Stil „Völkerschlachtdenkmal", mal pogromatisch-antiintellektuell, Stil 1934. Da wird eine „abendländische Front" von Verteidigern aufgezäumt, die ihren regionalen Ausgangspunkt (Köln-Aachen-Frankfurt) in aller Ausschließlichkeit mit „dem Abendland" gleichsetzen will. Das ist nichts anderes als provinzieller Chauvinismus. Man sagt Europa. Und meint Euskirchen. 132

Verachtet mir die Meister nicht N u r ein Beispiel: von den Architekten dieses Jahrhunderts läßt Rudolf Schwarz nur O t t o Wagner, Olbrich, van de Velde gelten; in zweiter Linie rangieren dann Genies wie Adolf Loos. „Und dann sind ja auch noch die Engländer und Amerikaner da. Frankreich hat so gut wie nichts beigetragen." Die Bauhausleute sind „Feinde der Menschheit". Die Holländer, Schweizer, Italiener, Tschechen scheinen für diesen Abendländer vollends nicht-existent zu sein. Der Aufsatz gipfelt aber in dem Appell: „Wir müssen wieder in den Raum der wirklich großen Uberlieferung kommen." Was soll das? Es will sich ernst nehmen. Immerhin wird an einer Stelle die Katze aus dem Sack gelassen. D a heißt es: „Ich halte es für das Zeichen eines unendlichen und beschränkten Geistes, ein Genie zu verachten, weil es sich einer überlieferten Sprache bedient hat." Voilä. Es geht also gar nicht um „das böse Bauhaus"; das ist ja auch längst eine Sache der Jubiläen, der Erinnerungsbücher („Wir damals" - wozu in Heft 2/3 auf rührende Weise der hymnische Aufsatz von Peter Röhl gehört), der Gedächtnisausstellungen und der Weltanerkennung geworden - frischaufgewärmte Dolchstoßlegenden vermögen da höchstens uns kleinabendländische Provinzabderiten aufzuregen; es geht ausschließlich um eine Rechtfertigung der Marienburger Spätestgotik und der Rheingauer Trummromanik („Hurrah, der Liebe G o t t " ) - um eine Rechtfertigung des Baumeisters vor sich selbst und der eigenen geistigen Herkunft. Dieses so gar nicht augustinische „Soliloquium" (denn Augustinus war bekanntlich ein so eleganter wie tiefer Denker - welche drei Qualitäten ihn von Herrn Schwarz unterscheiden), das sollen wir nun, wir als Ö f fentlichkeit, „austragen". Wir möchten Herrn Schwarz diesen Zwiespalt nicht abnehmen. Mag er sich selbst zu einem Stil durchwringen, dessen Tragfähigkeit ihn des Schreibens von Pamphleten enthebt. Immerhin bleibt da ein Leitsatz zu bedenken: „Eine Zeit hat eine architektonische Sprache, nicht mehrere." D e r Satz stammt von 1930. Geschrieben hat ihn Rudolf Schwarz.

Albert Schulze

Vellinghausen

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Herder-Korrespondenz, 8. Jg., Heft 2 (November 1953), S. 99ff. WELTANSCHAUUNGEN IN DER ARCHITEKTUR In welchem Stil Häuser und Fabriken gebaut werden, erscheint vielen unserer Leser vielleicht vom christlichen Standpunkt aus gleichgültig. Die sozialen Gesichtspunkte des Bauens - z.B. die Frage Wohnblock oder Eigenheim - haben natürlich auf den ersten Blick schon etwas mit Christlichkeit zu tun - aber die formalen? Allenfalls leuchtet es beim Kirchenbau ein, daß man sich auch über die angewandten Formen und Materialien nicht nur vom ästhetischen, sondern auch vom religiösen Standpunkt aus Gedanken machen kann. Das ist auch tatsächlich geschehen, und wir haben unsere Leser in der Herder-Korrespondenz wiederholt über diese Fragen, wie sie in den letzten Jahren in Frankreich leidenschaftlich diskutiert worden sind, ausführlich informiert (vgl. Herder-Korrespondenz 3. Jhg., S. 462 ff., und 5. Jhg., S. 362 ff.). Aber gibt es auch weltanschauliche Aspekte beim Stil der Profanbauten? Vor einigen Monaten hat sich ein lauter öffentlicher Streit über Bauprinzipien als Weltanschauungen zwischen berühmten deutschen Architekten erhoben, und es lohnt sich auch für die Leser der Herder-Korrespondenz, über diesen Streit unterrichtet zu werden. Die eine Partei bildete der bekannte Architekt, Kirchenbauer und Schriftsteller Rudolf Schwarz, die andere die einstmals berühmte Gruppe des Weimarer „Bauhauses", die allerdings jetzt in alle Welt zerstreut ist, soweit ihre Mitglieder noch leben. Die „Bauhaus-Gedanken", die zuerst in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg von sich reden machten, wirken doch noch so stark nach, daß Rudolf Schwarz es für notwendig hielt, noch einmal gründlich mit ihnen abzurechnen und sie ad absurdum zu führen. Die Debatte wurde vorwiegend in der vom Verlag der „Frankfurter Hefte" herausgegebenen Zeitschrift „Baukunst und Werkform" geführt (Heft 1, 2/3 und 4, 1953); doch hat auch „Die Neue Zeitung" daran teilgenommen (Nr. 53 vom 4. März 1953 und Nr. 85 vom \ \J\2. April 1953). Beide Parteien entfalteten einen erheblichen Aufwand von Spott, Selbstrechtfertigung, Bloßstellung des Gegners, „überlegener Ruhe" und Aufspulung längst vergangener oder auch näherer Ereignisse, die für das Fachmilieu aufregend oder erheiternd sein werden, uns aber hier nicht weiter interessieren können. Durch dieses Beiwerk ist es nicht ganz einfach, den eigentlichen und wichtigen - Kern der Auseinandersetzung herauszuschälen. Im tiefsten Grunde steckt hinter allem die Frage: Was ist der Mensch? Und was 134

soll der Mensch, weil er das ist, was er ist? Daß diese Frage den Christen etwas angeht, ist klar. Vor- Uberlegungen Ehe wir aber den Streit zwischen Rudolf Schwarz und dem Bauhaus wiedergeben, sollten wir uns noch einiges klarmachen. Gewiß, es geht uns als Christen etwas an, aus welchem Geiste Kunstwerke geschaffen worden sind, was immer sie seien: Kirchen und Profanbauten, Bilder, Dichtungen oder Musik. Es ist wichtig, daß wir uns Maßstäbe aneignen, an denen wir diese Erscheinungen messen können, und zwar gerecht und sachgemäß messen. Wirken sie doch intensiv auf alle für diese Dinge empfänglichen Menschen ein. Und sie alle stehen in Beziehung zu einem Menschenbild, das wir entweder bejahen oder ablehnen müssen. Aber wir müssen uns auch darüber im klaren sein, daß der schöpferische Mensch selber oft die Fülle und Tiefe seiner Werke in seinen Reflexionen nicht voll erfaßt. In der Geistesgeschichte gibt es berühmte Fälle, in denen der Künstler sich gerade über die künstlerische Eigenart seines Schaffens und die eigenen künstlerischen Mittel keinerlei Rechenschaft zu geben vermochte. Ein solcher Fall ist z.B. Dante, dessen Ästhetik im Grunde noch die banale antike Poetik des „aut prodesse volunt aut delectare poetae" war und der doch künstlerisch so unvergleichlich viel mehr einzusetzen hatte als die Absicht, „zu nützen oder zu erheitern". Ein anders gelagerter und vielleicht mehr als einmal Werken moderner Architekten analoger Fall ist in der Gegenwart etwa der des Lyrikers Gottfried Benn, dessen in seinen Reflexionen uns schal erscheinender Nihilismus sich in seinen besten Versen zu einer großen Schönheit voll intensivster Trauer verwandeln kann. Was in Prosa fast blasphemisch verneinend ist, kann im Vers des echten Dichters als die Trauer eines menschlichen Herzens erscheinen, das sich über alles Irdische hinaussehnt. Umgekehrt ist es eine bekannte Tatsache, daß die Theoretiker mit dem klarsten Blick und den wahrsten Erkenntnissen keineswegs immer imstande sind, lebendige Werke zu schaffen. Nicht nur das, sondern auch die Künstler mit der richtigsten Theorie (und der wahrsten Weltanschauung) müssen darum noch nicht diejenigen sein, die die echtesten Werke schaffen. Gerade das war ein Hauptthema in der Debatte über sakrale Kunst in Frankreich (vgl. Herder-Korrespondenz 5. Jhg., S. 363). Wenn wir also 135

aus der Debatte zwischen Schwarz und den Bauhaus-Leuten Einsichten und Maßstäbe gewinnen, mit denen wir den Geist, der in einem Bauwerk steckt, beurteilen können, so müssen wir uns dabei bewußt bleiben, daß diese Begriffe und Maßstäbe wirklich an das Bauwerk gelegt werden müssen und nicht oder nur sehr vorsichtig an die Theorien und Ideologien seines Erbauers. In verschiedenen der Aufsätze in „Baukunst und Werkform", über die wir hier berichten, werden die Urteile über die theoretischen Grundlagen eines Stils in der Verwirklichung in einem Bauwerk tatsächlich so anhand von allerlei ganz konkreten baulichen und technischen Einzelheiten belegt - für den Laien, der mehr als Allgemeinheiten erfahren möchte, immer noch viel zu wenig! Für uns kann es sich nicht darum handeln, aus diesem Streit Urteile über Werke zu übernehmen, sondern über Ideen. Der Streit der Ideen aber, der hier von den Architekten vorgebracht wird, verflicht sich in die große allgemeine Auseinandersetzung unserer Zeit mit den Strömungen des Materialismus und Kollektivismus.

Gegen den Funktionalismus Die Auseinandersetzung begann, wie gesagt, mit einem Angriff Rudolf Schwarz' gegen den „ungeistigen Terrorismus diktatorischer Gruppen, namentlich der Bauhausliteraten und später natürlich der Meister vom Tausendjährigen Reich", die das „abendländische Gespräch" der Baumeister zum Verstummen gebracht hätten durch ihre „minderwertige Bildung . . . die heute keine Bildung, sondern nur noch Anlernung ist" („Baukunst und Werkform" 1, S. 9/10). Sachlicher ausgedrückt heißt das: dieses „merkwürdige Verstummen des Gespräches unter den Baumeistern" ist „in dem großen Bruch der abendländischen Uberlieferung zu suchen, den wir erlebt haben". Dieser Bruch geschah, schon lange vor dem Nationalsozialismus, „als der Materialismus in das abendländische Denken einbrach". Schwarz sieht die abendländische Überlieferung noch im großen und ganzen intakt bis zum Ersten Weltkrieg; und selbst Jugendstil und Technik - die Glaspaläste und die kühnen Brücken - fügten sich damals noch ganz harmlos in die übrigen Gegebenheiten der Zeit. Erst nach dem Ersten Weltkrieg wurde das alles in den Schatten gedrängt durch die Rolle, die damals die Leute vom Bauhaus zu spielen begannen. Und was diese betrifft: „Es gehört zu den großen Berichtigungen ..., ohne die wir unser abendländisches Schicksal verfehlen", diese Rolle endlich klarzu136

stellen. Die Baubewegung nach dem Ersten Weltkrieg nämlich wurde, nach Schwarz, von ihren Urhebern zu dem „Ausfluß einer sehr unerfreulichen und sehr finsteren materialistischen Weltanschauung zurechtgefälscht". Der Materialismus der Bauhausleute lag in ihrem Glauben an die Rolle des Funktionellen in der Architektur der neuen Zeit. Nicht was diese Künstler tatsächlich machten, war so schlimm, wohl aber ihre „unerträgliche Phraseologie", ihre falsche Anwendung der „Theorie vom Zweck". „Ein Künstler kann beinahe alles tun, ohne daß deswegen seine Kunst kaputtgehen muß . . . wenn er sich aber zum Materialismus bekennt, dann verschluckt er ein Gift, das mit absoluter Sicherheit zum Tode führt." Dann nahmen sich die Publizisten der Sache an, und „im Handumdrehen war es definiertes D o g m a . . . , daß lebendige Baukunst eben die des Bauhauses sei und daß nur der ein wirklich neuzeitlicher Baumeister sei, der mit der abendländischen Uberlieferung gebrochen habe". Das Schlimme war aber dann, daß für die öffentliche Meinung wirklich alle modernen Baumeister mit denen des Bauhauses identifiziert wurden. Als das Dritte Reich kam, wurden sie daher auch alle miteinander auf den Index gesetzt. Nicht das ist natürlich das Schlimme, aber, so sagt Schwarz, das alles ist keineswegs vorbei, sondern es wirkt noch heute. Es hat dazu geführt, daß noch heute manche Leute das Dritte Reich für den „Hüter der Tradition" halten, der „die Antike pflegt", und alle anderen sind für diese „schwatzhafte Scharlatane". Demgegenüber fordert Schwarz: „Wir müssen wieder in den Raum der wirklich großen Uberlieferung kommen und alles abtun, was gegen deren Geist ist, und wir müssen wieder ins wirkliche Gespräch kommen." Denn Schwarz verurteilt natürlich keineswegs, was man so gemeinhin das moderne Bauen nennt. Seine eigenen Werke beweisen das. Worüber man sich Gedanken machen muß, sind nicht etwa Stilelemente als solche, sondern vielmehr deren Anwendung. „Im Grunde", so sagt Schwarz, „ist es doch ganz einerlei, in welcher Stilart einer unfähig ist." Oder, in seinem zweiten Aufsatz in Heft 4 von „Baukunst und Werkform": „Die Pointe ist, daß ich gar nicht gegen Glaswürfel bin, sondern sehr dafür . . . Durch sein reines Vorhandensein den Gestaltungsreichtum der Schöpfung vermehren - was gibt es denn anderes und Froheres zu tun für den Künstler?" (S. 192/93). U n d nun wird der eigentliche Gegensatz formuliert: G u t ist die Schöpfung in der „unermeßlichen Buntheit ihrer Geschöpfe", und das „Neue, ins Dasein Drängende, Bunte und Gestaltungsstarke" ist auch gut in der Kunst. Aber „mein ganzer Haß gehört dem künstlich Vermehrten, 137

dem pfiffig Berechneten, dem listig nach Zwecken Konstruierten. Eine Menschheit, die nicht mehr den bunten Flor des Ursprünglichen hervorbringt, verfällt in die Masse, das maßlose Getriebensein von anonymen Gewalten." Den Bauhausleuten wirft Schwarz vor: „Ihr stießt auf die Technik und kapituliertet vor dieser vorlauten Technik, die ihr nicht durchschautet. Eine einzige Blume . . . hätte euch die Antwort gegeben . . . " Die Blume in ihrer zarten Konstruktion, ihrem reinen Grundriß nämlich lehrt dieses: Grundsatz aller „Technik" muß sein, daß „wenn schon diese Blume sein soll, sie aus einem mindesten Maß von Masse errichtet sein muß". „Daß aber Blumen sein sollen ..., das sagt er (nämlich dieser Grundsatz) nicht und leugnet er nicht, es kommt aus einer ganz anderen Weisheit sich verschwendender Güte und Schöpfungslust." Die moderne Technik dagegen, die eine Sklavin des schöpferischen Geistes hätte sein sollen, überlistete ihre Herren und machte sie zu „Technizisten", Technikgläubigen, zu Sklaven. Das war der große Irrtum der „Funktionalisten", sie ließen sich von der Funktion des Baus, seinem Zweck bestimmen, beherrschen, anstatt den Zweck in das freie Spiel ihrer schöpferischen Einfälle mit einzubeziehen. Schwarz zitiert Scheler, der schon lange vorher gesagt hatte, daß nur die niedrigsten Dinge sich dem Zweckdenken öffnen und daß, „wer das Leben auf Zwecke zurechtmacht, es auf das Niedrigste mindert, und daß es darüber hinaus unendlich edlere Denkformen gibt" (S. 193). Die Bauhausleute unternahmen „einen vollkommen bewußten Versuch, aus stereometrischen Körpern und geometrischen Formen Häuser als durchaus abstrakte Ordnungen zu montieren . . . Bei so extrem künstlerisch gemeinten Formen wurde natürlich den Dingen allenthalben Gewalt angetan." Davon ist, so sagt Schwarz, nicht mehr viel übriggeblieben. Aber eine abgetane Sache ist es trotzdem nicht. Denn man hat sich noch gar nicht genug über die „ungeheure Tatsache" aufgeregt, „daß hier ein Kreis von Männern, die echte Künstler waren, sich vorgenommen hatte, aus rein abstrakten, also vorgefaßten Formen einen Stil zu schaffen". „Bisher haben alle wirklichen Baumeister ihre Arbeit als Bau-Kunst aufgefaßt . . . aber gerade das scheint den Ideologen das Verkehrte zu sein . . . " Die Baukunst hat in Wahrheit „ihren Auftrag zu erfüllen und ist, versteht sie sich recht, ein Dienst am eigenen Volk. Sie soll,dienen', aber so wie die Freien dienen, und dieser Dienst hat nichts zu tun mit der Sklaverei unter vermeintlichen Zwecken, hat auch nichts zu tun mit vermeintlichen Funktionen, sondern ist hohe Beantwortung." Schwarz lehnt für die neue 138

Bauweise darum auch entschieden den Ausdruck „neue Sachlichkeit" ab; denn, wo sie gelungen ist, ist ihr Ruhm nicht Sachlichkeit, sondern Schönheit. Ebenso reicht „die sorgfältige Beachtung aller Funktionen eines Baus nicht aus, daß dieser gelingt". Er gelingt nur, wenn „der Geist seinen frohen Spielen" überlassen bleibt, in die die Bedeutung des Funktionellen selbstverständlich mit einbegriffen ist. Worum es Schwarz also geht, ist - wie Rudolf Steinbach, einer der Teilnehmer am Gespräch, es formuliert - das Anliegen der „autonomen Architektur", der „Trennung von Technik und Architektur" (S. 177), oder, wie Schwarz selber es ausdrückt, darum, daß „Architektur eine freie Kunst ist" (S. 194). Ihre Aufgabe ist, „die Menschlichkeit zu gestalten" (S. 177). Darin liegt zugleich die Wendung gegen das eigentliche Dogma des Materialismus, daß nämlich das Menschliche ein Produkt des gesellschaftlichen Zustandes sei - was in der ganzen Diskussion freilich nicht ausdrücklich genannt wird, aber immer wieder anklingt. Es ist klar, daß es nach diesem Dogma keine „freie Kunst" geben kann, sondern daß sie immer „gesellschaftliche Funktion" ist. Dieser Begriff der „Funktion" ist zwar nicht nur vom Dritten Reich, sondern auch kürzlich von Leuten diskriminiert worden, die eigentlich wußten, was mit ihm gemeint war; aber beide leugnen die schöpferische Freiheit, die einer der großen Inhalte der abendländischen Tradition ist, und so ist ihr Gleichklang nicht zufällig oder ein Wortspiel.

Argumente der anderen Seite Es ist sehr verständlich, daß die von Rudolf Schwarz angegriffenen Bauhaus-Leute sich zunächst einmal in persönlichen Belangen zur Wehr gesetzt haben. Walter Gropius, der Leiter des Bauhauses in seiner großen Zeit, weist vor allem den Vorwurf ab, das Bauhaus habe sich je zum „historischen Materialismus" bekannt, wie Schwarz ihm vorgeworfen hatte. Ein „Gespräch" zwischen den Baumeistern dürfe nicht in Verdächtigungen der Andersgesinnten bestehen. Ein Gremium, das aus den Mitgliedern der CIAM-Gruppe Hamburg (Internationale Kongresse für neues Bauen, Deutsche Gruppe) besteht, betont insbesondere, daß das Bauen und der Geist des Bauhauses nicht nur vom Dritten Reich, sondern auch kürzlich „von seiten der ostzonalen Berliner Bauakademie verurteilt worden sei" („Die Neue Zeitung" Nr. 85 vom \\J\2. April 1953). Es ist sicher richtig, daß zum mindesten praktisch-politisch diese Rich139

tung nichts mit den Totalitarismen der Gegenwart zu tun hatte und hat. Es ist zudem auch bekannt (und bedenkenswert genug), daß überhaupt sowohl die Nationalsozialisten wie die Marxisten von dem Gedankengut und den Stilelementen des „19. Jahrhunderts" zehren, daß sie in den Künsten einem in der freien Welt schon zurückliegenden Naturalismus huldigen. Und doch kann man nicht leugnen, daß radikale Gedanken, avantgardistische Maximen ihnen den Weg bereitet oder erleichtert haben. Vieles geschieht in der Welt völlig gegen die tiefere Absicht derer, die es in Bewegung gesetzt haben - worüber sich wohl gerade der Christ am wenigsten wundert, der weiß, daß die Mächte des Bösen überall am Werk sind, vielleicht ganz besonders da, wo junge Kräfte und Bewegungen in der Begeisterung eines Aufbruchs nicht wachsam genug sind. Was originale Künstler an neuen Problemen und Möglichkeiten entdecken, kann sich vor allem auch bei den Mitläufern und Nachahmern zur Gefahr entwickeln: zur Phraseologie werden, wie Rudolf Schwarz sagt, und zwar im Falle des modernen Bauens zu einer „materialistischen" Phraseologie. Da werden dann Glas und Beton, Wohnblock und Formen der Massenexistenz zum Dogma erhoben, und von alledem wird der Mensch, der dazwischen lebt, geprägt, und er wird, soweit das eben gelingen kann, zu einem Glied des Kollektivs geprägt. Die Baumöglichkeiten von Glas und Beton können ohne Rücksicht auf den Menschen, für den gebaut wird, ausgenutzt werden, einfach weil sie vorhanden sind und technische Möglichkeiten geben. Sicher hat Schwarz recht, wenn er, wo dies geschieht, von einem Versagen oder einer Unzulänglichkeit des Denkens spricht. Wenn es auch nicht bewußt oder der Intention nach marxistisch ist, so läuft es dem marxistischen Denken doch in gefährlicher Weise parallel.

Der Bruch in der abendländischen

Tradition

Schwarz ruft dagegen zu einem richtigen Denken auf, das sich wieder „in den Raum der wirklich großen Uberlieferung" begibt. Die Gesprächspartner setzen sich am heftigsten mit dieser Forderung auseinander. Der große Bruch in der abendländischen Tradition ist eine Tatsache; auch Schwarz gibt ihn selbstverständlich zu. Dabei kommt es nicht so sehr darauf an, in welches Jahr man ihn datiert; wahrscheinlich vollzog er sich langsam; aber eines Tages war er dann nur noch als Tatsache zu konstatieren. Das ist so auf allen Gebieten geistiger Betätigung, im Denken wie im Schaffen. Die Bauhaus-Leute haben gewiß zu denen gehört, die den

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Bruch offenkundig machten, wenngleich Hans Hildebrandt (in „Die Neue Zeitung" vom \\.l\2. April 1953) ihn nur als „den Bruch mit dem unschöpferischen Eklektizismus" des 19. Jahrhunderts, „nicht auch mit der werteschaffenden Tradition" wahrhaben will. Die Entgegnungen auf Schwarz' Angriff versuchten fast alle, soweit sie sich in die sachliche Erörterung einlassen, den Bruch in der abendländischen Uberlieferung genauer zu charakterisieren. „Schwarz sträubt sich", so sagt Hans Eckstein (in „Die Neue Zeitung" Nr. 85 vom \ \J\2. April 1953), „anzuerkennen, daß sich mit den technischen Gestaltungsmitteln notwendig auch die ästhetischen Ausdrucksmittel gewandelt haben, und zwar auf der ganzen Linie ...". Und Hubert Hoffmann, einer der ehemaligen Schüler des Bauhauses, schreibt („Baukunst und Werkform" S. 72): „Der Einfluß der Maschine, der Einfluß der Erfindungen, der Einfluß der Wissenschaften und der davon ausgelösten sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen - die ganze Lawine, die über uns hereingebrochen ist und die unser Leben einer Veränderung unterwirft, von der die geistigen Grundlagen nicht unbeeinflußt bleiben. Sie hat auch scheinbar ewige Wahrheiten zum Schwanken gebracht und hat jene Verwirrung des geistigen Bildes hervorgerufen. Das sind die Ursachen, die dazu geführt haben, auch das abendländische Gespräch verstummen zu lassen." Louis Schoberth sagt („Baukunst und Werkform", S. 91), daß im Abendland schon lange vor dem Bauhaus die Gemeinsamheit, von der aus ein Gespräch hätte geführt werden können, doch im Grunde „nur noch literarisch und bildungsmäßig, jedoch nicht mehr Gemeinsamkeit des geistigen Ordnungsbildes, des religiösen Glaubens und der daraus fließenden Impulse" war. „Deshalb ließen sich noch lange sehr gesittet und geistreich Gedanken austauschen, ohne daß der einzig tragende und fruchtbare Grund vorhanden gewesen wäre ... Das Gespräch ist abgerissen - nicht durch Zufall." Zu diesen konstatierenden Stimmen fügt sich freilich die Trauer, wenn auch eine scheinbar resignierte Trauer: „Wohin soll denn der formende Mensch, wenn kein mütterlicher Wachsgrund mehr da ist, der ihn trägt, befruchtet, schützt?" (Franz Meunier in „Baukunst und Werkform", S. 62) „Die Städte sind menschenfressende Ungeheuer geworden, die sich der Gestaltung entziehen - der Kontakt mit den regenerierenden Kräften der Natur ist verloren: mit Erde, Pflanze, Tier" (Hubert Hoffmann, „Baukunst und Werkform", S. 69). Nur eine einzige Stimme in der Diskussion scheint wirklich geneigt, den Prozeß rückhaltlos zu bejahen, weil er in der Richtung der Geschichtsentwicklung liegt vertritt also anscheinend die marxistische These, daß menschliches Dasein 141

und Schaffen das Produkt der gesellschaftlichen Entwicklung sei. Der Funktionalismus, so heißt es dort, folgte auf den Jugendstil „mit Notwendigkeit ..., weil unsere Gesellschaftsorganisation und unsere Produktionstechnik einen Weg vom Individualistischen zum Sozialen und Sozialistischen finden mußte und weil das Individuell-Künstlerische einer radikalen Askese der Selbstprüfung bedurfte, um Kollektiv-Musisches hervorzubringen". „Funktion heißt für uns . . . Daseinsform, die unsern Willen verwirklicht mit den Mitteln der Technik und Organisation, ohne die zu arbeiten restaurative Utopie wäre" . . . denn Technik und Organisation müssen erkannt werden als letzte Blüte einer langen Entwicklung, die nicht zu werten, sondern nur zu konstatieren sind (Godo Remszhardt, ebd. S. 78 f.).

Das Ergebnis Wenn also (vielleicht mit Ausnahme von Remszhardt) keiner der Teilnehmer am Gespräch, die als „Widersacher" von Schwarz auftreten, marxistische Thesen vertritt, und wenn auch zuletzt wohl alle seiner Forderung, die Architektur als freie Kunst wiederherzustellen, zustimmen, wenn andrerseits auch Schwarz sicher nicht den selbstverständlichen Satz von der Abhängigkeit der Kunst von dem jeweiligen geschichtlichen Zustande der Gesellschaft und noch weniger den Satz leugnet, daß sie alle neuen Möglichkeiten der Technik zu ihrer freien Gestaltung nützen darf und soll, - so zeigte das Gespräch doch nicht unerhebliche Unterschiede in der Beurteilung des Maßes der Gebundenheit an den gesellschaftlichen Zustand und die Entwicklung der Technik wie auch in der Beurteilung des tatsächlichen Zustandes des Volkes. („Unser Volk ist sehr arm, aber eines ist es sicher nicht, es ist keine Masse, fühlt sich nicht als Masse und haßt alles, was es zur Masse machen will . . . Warten wir nicht auf eine neue Gesellschaft, die später einmal kommt, sondern erzwingen wir unseren wirklichen Auftrag, das Volk, seine Kinder . . . " so heißt in Schwarzens Schlußwort.) Wenn es vielleicht auch mehr Unterschiede der Gestimmtheit als der Prinzipien sind, so sind sie doch erheblich und folgenreich. Die Größe, Wucht und scheinbare Unausweichlichkeit der gesellschaftlichen und technischen Umwälzungen unserer Zeit hat lange gerade auf geistige Menschen eine Faszination ausgeübt, die sie geneigt machte, sich diesem Prozeß völlig hinzugeben und wirklich an die Möglichkeit einer gänzlichen Umwandlung des Menschlichen und des menschlichen Gemeinwe142

sens zu glauben - auch wenn sie die Zerstörung der überlieferten Werte darin betrauerten und beklagten. Das hat sie alle in die Versuchung eines Denkens gebracht, das dem marxistischen Denken sehr nahe kam (war doch auf allen Gebieten die Anziehungskraft von „Links"-ideologien für die Intellektuellen sehr stark). So umfassend, tief- und weitreichend das „Neue" der Zeit aber ist, so sehr glauben wir doch heute zu sehen, daß wesentliche Elemente des christlich-abendländisch geformten Menschentums (wo sie nicht mit roher Gewalt unterdrückt und vergewaltigt werden) auch in dem Neuen beständig und wirksam sind und in seinen Gestaltungen Raum haben wollen. Wir werden von der Faszination des „Prozesses" der Entwicklung freier und finden den Mut zu seiner freien schöpferischen Gestaltung wieder. Zu diesem Mut in seinem Bereiche aufgerufen zu haben, dazu, sich von einer überholten Denk- (oder Gefühls-)haltung zu befreien, die allzu häufig nur noch „Phraseologie", „Angelerntheit" ist, „Fronten abzubauen, die niemals echte Fronten waren, um in den freien Raum des echten Gespräches zu kommen" („Baukunst und Werkform" S. 10), ist das Verdienst der Kontroverse, die Schwarz auf sich genommen hat. Vielleicht war seine Aggressivität notwendig, um eine Festgefahrenheit in bestimmten Bahnen, die unbewußt in das Verhängnis des Kollektivs führen müssen, aufzubrechen. Mehr als die Freiheit des Auftrages der Baukunst zum Dienste am Leben des Volkes wieder zum Bewußtsein zu bringen, kann sie vorläufig nicht zu bewirken hoffen. Es entspricht dem Wesen dieser sehr realen Kunst, daß die Freiheit von der ideologischen Faszination sich dann auch als Freiheit von allen von dieser Ideologie beeinflußten Schemata der Formen und Baustoffe auswirken muß, so daß also schließlich die Forderung Schwarzens in seinem Schlußwort: „Es ist statthaft, sich bei der Errichtung von Bauten der Backsteine, der Bruchsteine, des Holzes und ähnlicher Baustoffe und der ihnen entsprechenden Baukonstruktionen und Bauformen ebenso wie des Stahls und des Betons zu bedienen", gar nicht so banal, sondern ein wesentliches Element der Auseinandersetzung ist.

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Briefe zur Fortsetzung des Streitgesprächs

Ulrich Conrads an Rudolf Schwarz

Heidelberg, 23. März 1953

Sehr geehrter Herr Professor Schwarz, das Februar-März-Heft mit den Diskussionsbeiträgen zu Ihrem Aufsatz wird Donnerstag/Freitag dieser Woche erscheinen. Ich erlaube mir, Ihnen heute die ersten 40 Seiten dieses Heftes schon als Rohbogen vorweg zu schicken, frisch aus der Druckerei, damit Sie, wie es ja auch wohl in der Ordnung ist, etwas eher als alle anderen Bescheid wissen, wie die Sache weiterläuft. Auch sind Ihnen durch die vorzeitige Zusendung dieser Seiten einige Tage mehr vergönnt, eine Antwort zu verfassen, wenn Ihnen der Sinn danach steht. Der letzte Termin für Beiträge für das Aprilheft ist der Dienstag nach Ostern, der 7. April, also in gut 14 Tagen. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir im Laufe der Woche generell sagen könnten, ob Sie beabsichtigen, im Aprilheft wiederum das Wort zu ergreifen, wie es Herr Steinbach und Herr Schuhmacher tun wollen. Ich könnte dann besser für den übrigen Teil des Heftes disponieren. Zum Schluß darf ich noch anmerken, daß ich die Korrekturfahnen zu Ihrem Aufsatz in Heft 1 seinerzeit wie die heutige Sendung direkt von der Druckerei aus an Sie auf den Weg brachte, begleitet von einem kurzen Schreiben. Die nächsten Korrekturen werde ich eingeschrieben schicken. Mit freundlicher Empfehlung Ihr Ulrich Conrads 144

Rudolf Schwarz an Alfons Leitl

Frankfurt, 30. März 1953

Lieber Herr Leitl, Conrads bat mich um Mitteilung, ob ich in das nächste Heft eine Antwort setzen wolle, da ich aber aus dem Brief seine Anschrift nicht erfuhr, schreibe ich Ihnen. An und für sich enthält das zweite Heft, das ich vor einigen Tagen erhielt, kaum etwas, das eine Antwort wert wäre. Höchstens die allgemeine freudige Entdeckung, daß die Architekten gar nicht so mangelhaft gebildet sind und mehrere Türme hoch den Kunstwissenschaftlern und dem kämpferischen Zeitkritiker, den Sie da ausgebuddelt haben, überlegen sind. Ich glaube, daß sich trotzdem einige Gedanken aufschreiben lassen, die das Gespräch weiterbringen. Ich melde also einen Schrieb an. O b ich den kurzen Termin einhalten kann, weiß ich noch nicht, ich will aber sorgen, daß Sie in der Osterwoche einen Entwurf in den Händen haben. Ihnen und den Ihren wünsche ich ein recht gnadenreiches Osterfest. Ihr Rudolf Schwarz

Rudolf Schwarz an Alfons Leitl

Frankfurt, 8. April 1953

Lieber Herr Leitl, ich habe zwei freie Tage benutzt, um für Ihr nächstes Heft wieder einen Aufsatz zu verfassen, und wie die Dinge liegen, ist das nun keine Erwiderung geworden, weil so gut wie nichts zu erwidern war, sondern eine Fortsetzung unseres Gesprächs, und ich hoffe, daß wir einige Schritte weiterkommen, wenngleich die Sache wahrscheinlich noch einen langen Schwanz hat, denn es ist viel mehr zu berichtigen, als in einigen Worten berichtigt werden kann. Ich erfülle mein Versprechen, schicke Ihnen den Entwurf zu und warte dann auf Ihre Antwort. Der Entwurf müßte noch durchgearbeitet werden. Es liegt dann an Ihnen als Leiter des Gesprächs, ob dieses weiterkommt oder sich so lange im Kreise herumdreht, bis es vor Ermüdung zusammenbricht. Der normale Verlauf eines Gesprächs ist, daß einer 145

etwas sagt und der andere dann darauf antwortet und dann der eine wieder etwas sagt. Steinbach sagt mir, Sie wollen jetzt einen Beitrag von Gropius verlangen. Es wäre gut, wenn Sie überlegten, ob Sie diesen Beitrag nicht besser ein Heft zurückstellen, denn sinngemäß müßte doch Gropius erst darauf antworten, was ich jetzt sage, sonst biegt sich die Unterhaltung zu ihrem Ausgang zurück. Diese Frage scheint mir wichtig zu sein. Herzliche Grüße Ihr Rudolf Schwarz

Rudolf Schwarz an Ulrich Conrads

Frankfurt, 10. April 1953

Sehr geehrter Herr Conrads, hier bekommen Sie also meine Erwiderung, die aber durchaus keine Erwiderung ist, weil im letzten Heft nichts zum Vorschein gekommen ist, zu dem sich etwas sagen ließe, sondern eine Fortführung meines eigenen Beitrags aus dem ersten Heft. Das Ding mußte in drei Tagen geschrieben werden und ist infolgedessen sehr länglich geraten. Ich muß natürlich Korrektur haben. In meinem verschollenen Briefe an Leitl hatte ich geschrieben, es liege an ihm, ob aus der ganzen Sache ein Gespräch wird. Die Grundregel des Gesprächs ist, daß einer etwas sagt und der andere etwas antwortet und dann wieder der eine etwas sagt. Ich war etwas besorgt, Leitl werde vorzeitig einen Beitrag von Gropius bringen, was zur notwendigen Folge gehabt hätte, daß das Gespräch sich von seinem eigenen Schwanz ernährte, sich fortwährend im Kreise drehte und schließlich an Entkräftung einginge. Wenn möglich, müßte also Gropius etwas warten und übrigens Martin Wagner auch, der seine ohnehin spitze Feder soeben noch weiter anzuspitzen scheint. Daß Sie noch einen Beitrag von Steinbach bekommen, sagte ich Ihnen schon. Mit freundlichen Grüßen Ihr Rudolf Schwarz 146

Alfons Leitl an Otto

Bartning

Trier, 16. April 1953

Sehr geehrter Herr Professor Bartning, ich danke Ihnen herzlich für Ihren Brief vom 11. April. Ihre Anregung, die Mitarbeiterliste in „Baukunst und Werkform" zu streichen, trifft auf eine Absicht, die ich selbst seit längerer Zeit erwogen habe und demnächst verwirklichen will. Der Sinn unserer Mitarbeiterliste lag nicht darin, die dort Genannten mit der Verantwortung für das zu belasten, was der Herausgeber nur allein tragen kann und zu tragen bereit sein muß (gegebenenfalls auch Feindschaft und Mißvergnügen). Wir wollten vielmehr, als wir auf Ihre Anregung vor sieben Jahren unsere Arbeit begannen, sagen, welcher Art von Menschen und Architekten wir ein Forum schaffen wollten; wir wollten durch diese zum Teil von früher her bekannten Namen zu erkennen geben, wessen Arbeit wir schätzen und für wichtig halten, und es waren eben die Namen derer, die wir auch als unsere Freunde betrachteten. Damit war nicht gesagt, daß wir nicht auch andere schätzten und auch als Freunde zu gewinnen wünschten. Mancher hat sich gekränkt zurückgezogen, weil er nicht genannt war, und so ist uns diese Liste, die durch einige Namen lediglich ein Arbeitsprogramm andeuten sollte, bisweilen schon ein Hindernis geworden. Allein das wäre nicht wichtig. Sie wissen es, daß wir alle in den ersten schweren Tagen des Neubeginnes nicht von Ideologien, sondern von ganz anderen Antrieben geleitet waren. Inzwischen läßt sich nicht übersehen, daß allzu viel Ideologisches, allzu viel persönliches Ressentiment in die Arbeit fließt und manches mögliche Gespräch verhindert oder das zustande gekommene stört. „Baukunst und Werkform" hat versucht und wird es weiter versuchen, notwendige Gespräche mit jedermann, mit dem es lohnt, zu führen. Solches Bemühen muß mit allerlei Mißdeutungen rechnen, aber auch auf die Mithilfe derjenigen, denen das gleiche am Herzen liegt. So hoffe ich nach wie vor auf Ihre Anteilnahme und Ihre Mitwirkung. Der Dank der vielen, die noch oder wieder bereit sind hinzuhören, was einer sagt, und es zu bedenken, wiegt uns das Mißvergnügen derjenigen auf, die als einzig möglichen Ausgang eines Gespräches oder Streites den Mord des Gegners erstreben. So also komme ich auf den derzeitigen Streit. Ich bin selbst tief 147

erschrocken gewesen über die Ausfälle von Schwarz, die er in seinem Aufsatz niedergelegt hat. N o c h tiefer aber war ich erschrocken über das vorhergegangene, von mir und auch von Schwarz erwähnte Gespräch zwischen ihm und mir. Meine Stellungnahme in dieser Unterhaltung dürfte klar sein aus den Vorbemerkungen beider Hefte. Außerdem erscheint „Baukunst und Werkform" ja nicht erst seit 1953, und der Herausgeber feiert im Herbst dieses Jahres sein 25jähriges Jubiläum in der Kunst, sich durch Schreiben Feinde zu machen. Ist es möglich für Eingeweihte, für Freunde, dies alles nicht als Teil seines Gesamtbemühens zu sehen? Zu diesem gehört die Auseinandersetzung mit den Historisten ebenso wie mit den ehemaligen Nazi-Architekten und auch die sicherlich sehr prekäre Unterhaltung mit Schwarz, die deshalb so schwierig ist, weil er gelegentlich das vermissen läßt, was eine Unterhaltung eigentlich erfordert und was einem großen Mann besonders anstände - nennen wir es ruhig christliche Nächsten-Liebe. Jedoch kann ich nicht voll beurteilen, wieweit dies ein wirklich bedenklicher Mangel ist oder die bewußte Verschleierung eines empfindlichen und verletzlichen Gemütes. Ich habe Schwarz, als ich seinen Aufsatz bekam, einen empörten Brief geschrieben, von dem er behauptete, ihn überhaupt nicht zu verstehen. Es ist mir nicht möglich, einen Mann wie Schwarz zu erziehen, aber es schien mir schließlich wichtig, genau wie es ja auch Ihnen nach Ihrem Brief wichtig erscheint, die ernsthaften Hintergründe seiner Betrachtungen ernst zu nehmen. Daß dabei unangenehme Vordergründe mit zutage treten, ist eine Begleiterscheinung, die ich nicht wegredigieren kann, auch wenn sie mir vielleicht am unsympathischsten unter allen Zuhörern Rudolf Schwarzens ist. Sachlich ist der Aufsatz dasselbe der Autor spricht es nachdrücklich aus - , was er unter Ihrem Vorsitz in Darmstadt gesagt hat und was von meiner Zeitschrift schon damals mit Bedenken vermerkt wurde. Danach bis in die jüngste Zeit hat er das gleiche von mehreren Podien her ausgesprochen, und so ist sein jetziger Aufsatz nur ein Anlaß, wenn auch unter wenig erfreulichen Begleittönen, öffentlich zu diskutieren, wo er recht hat und wo nicht. Ich teile dabei nicht die Besorgnis, Schwarz hätte, indem er sein sachliches Anliegen mit unschönen persönlichen Angriffen verband, jede Möglichkeit verschüttet. Schon das Heft mit den Antworten zeigt neben der scharfen Abwehr eine Menge sachlicher Klarstellungen zum historischen Ablauf. U n d schließlich habe ich nicht ohne Grund die polemischen Attacken in die Klammer der Aufsätze von Meunier und 148

Schoberth gelegt. Ich bitte Sie daher, nachdem die Verärgerung über Schwarz, die von Herrn Dr. Docker in ganz unnötiger Weise in Briefen an Gropius und andere verschärft wurde, etwas abgeklungen ist, in dieser Sicht die Vorbemerkung zu Heft 2/3 sowie die beiden eben genannten Aufsätze und den von so schöner Begeisterung erfüllten Beitrag von Peter Röhl zu lesen, und ich glaube, sie werden finden, daß hier die Anfänge einer positiven Auseinandersetzung liegen. Diese muß kommen, und sie ist tatsächlich schon im Gange. Das, was Sie wünschen, Rudolf Schwarz möge über seine Ressentiments hinwegkommen, scheint sich anzubahnen. Die Aufsätze unseres Heftes 2/3 haben ihm einen derartigen Schock versetzt, daß er in einem weiteren großen Beitrag nun klar und verständlich herausstellt, was zu diskutieren ist. Und ich glaube, er habe nun auch erfahren, daß die Rücksicht auf die Gefühle anderer doch nicht zu gering bewertet werden darf. Und nun kommt meine Bitte an Sie, verehrter Herr Professor Bartning: Nehmen Sie das Gespräch, das jetzt wirklich beginnt, und zwar nicht nur in einem Beitrag von Schwarz, sondern auch in einer sehr klugen Zusammenfassung von Steinbach, auf und schreiben Sie das, was Sie zu dem Gegenstand bewegt, nicht erst eines Tages, sondern jetzt, wo es für unsere Sache wichtig ist zu zeigen, daß sie über persönliche Verärgerungen und selbst auch über Entgleisungen hinaus ein großes Anliegen ist. Mit den besten Grüßen Ihr Alfons Leitl

Alfons Leitl an Walter Gropius

Rheydt, 18. April 1953

Sehr geehrter Herr Professor Gropius, Herr Doktor Docker schickte mir einen Brief, den Sie an ihn gerichtet haben, mit der Anfrage zu, ob ich bereit sei, ihn abzudrucken; dieser Brief ist jetzt erst in meine Hände gekommen, da ich soeben erst von einer Auslandsreise zurückgekommen bin. Vor der Abfahrt hatte ich das letzte Heft von Baukunst und 149

Werkform redaktionell fertiggestellt, das die Antworten auf den Beitrag von Schwarz bringt. Herr Hermann Mäckler hat Ihnen wohl inzwischen auch dieses Heft übermittelt. Wäre Ihr Brief rechtzeitig in meine Hand gekommen, so hätte er selbstverständlich allen anderen Antworten vorangestanden. Leider aber mußte ich ihn, als ich auf der Rückreise durch München kam, nun zuerst in der Neuen Zeitung lesen, an die Herr Docker offenbar ebenfalls geschrieben hatte, ehe ich das Original auf meinem Tisch vorfand. Neben mancher anderen Zuschrift erhielt ich dieser Tage auch einen Brief von Herrn Professor Otto Bartning, der bedauerte, daß durch den wenig gut wirkenden persönlichen Angriff von Schwarz es unmöglich geworden sei, das Werk zweier von ihm so geschätzten Baumeister in gleicher Weise zu würdigen: das von Gropius und das von Schwarz. Ich erlaube mir, Ihnen die Antwort zur Kenntnis zu geben, die ich darauf an Bartning sandte. Vielleicht werden Sie daraus besser als durch die gutgemeinten Interventionen von Herrn Dr. Docker die Absichten und die Haltung des Herausgebers verstehen. Herr Dr. Schwarz scheint im übrigen höchst erschrocken über seine Wirkung zu sein und hat mich gebeten, Sie selbst um eine Stellungnahme erst dann anzugehen, wenn Ihnen ein weiterer Aufsatz von ihm vorliegt, der soeben in Druck geht und der nun in der Tat die Grundlage zu einer Aussprache geben kann. Ich möchte Sie deshalb um Ihr Einverständnis dazu bitten, nunmehr Ihren Brief, der als erste Reaktion mir im Kreise der übrigen Antworten willkommen gewesen wäre, erst dann zu veröffentlichen, wenn Sie im kommenden Heft von Baukunst und Werkform den weiteren Verlauf der Auseinandersetzungen gesehen haben werden und entscheiden können, ob Ihnen nicht eine weitere Stellungnahme gegebenenfalls zusätzlich zu Ihrer ersten Äußerung - möglich erscheint. Denn so sehr das Bauhaus - nach Ihren eigenen Worten - historisch ist, so lebendig sind doch seine wesentlichen Meister, lebendiger scheint mir, als manche seiner Schüler, die sich allzusehr um die Bewahrung einer zur Doktrin verkleinerten Lehre streiten, während die wirklichen Träger der Lehre immer weitergeschritten sind. Ich erinnere mich, von Ihnen selbst schon vor 20 Jahren gehört zu haben, daß Sie versucht gewesen seien, ein Buch gegen den „Bauhausstil" zu schreiben. Ich könnte mir denken, daß ein Wort von Ihnen viel zur 150

Erhellung der Situation beitragen kann. Denn ich sehe gerade aus den Reaktionen auf unsere letzten Hefte, wie stark einerseits das Bedürfnis zur ehrlichen Debatte ist, wie stark aber andererseits die Angst ist, die „moderne Architektur" sei gefährdet, wenn es sich herausstelle, daß ihre Vertreter nicht alle völlig auf irgendeine orthodoxe Lehre gleichgeschaltet sind. Ich glaube, die Zurechtweisung, die Schwarz wegen seiner persönlichen Attacken allenthalben erhalten hat, wird Ihnen eine ausreichende Genugtuung und ein Zeichen für die Wertschätzung Ihrer Person und Ihrer Arbeit sein können. Und so darf ich an Sie die gleiche Bitte wie an Herrn Dr. Bartning richten, Sie mögen sich nun doch an einem Gespräch beteiligen, das das Bauen dieser Zeit weiter und freier zeigen könnte, als es die Doktrinäre aller Schattierungen wahrhaben möchten. Mit den besten Grüßen und Wünschen bin ich Ihr sehr ergebener Alfons Leitl

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Rudolf

Steinbach

Wo liegt eigentlich der Kern der Diskussion um Rudolf Schwarz?

Versuch einer Klärung Hätte Rudolf Schwarz einen anderen Artikel geschrieben, weniger aggressiv und, wie einige Gegenredner meinen, weniger „zweigesichtig" ich bin sicher, nichts hätte sich geregt. Alle Architekten, die jetzt so oder so betroffen sind, hätten seine Ansicht zur Kenntnis genommen, bejahend mit dem Kopf genickt oder ihn verneinend geschüttelt und hätten sich ihrer so geliebten Arbeit mit ebenso geliebter Rastlosigkeit hingegeben. So aber standen sie auf und redeten, und - ob nun gern oder nicht - ein Gespräch begann. Natürlich, auch Alfons Leitl, der in einer Vorrede oder Gebrauchsanweisung seine in manchen Punkten abweichende Auffassung zur Kenntnis brachte, forderte die Entgegnung heraus. Einmal entsprach sein Verhalten dem Sinn der Sache, dann aber handelte er auch als Herausgeber, der an seine Leser denken muß, die und deren Meinung er vertritt, von denen seine Zeitschrift abhängt und von denen einige glauben könnten, daß Schwarzens „Erläuterungen den Gläubigen, die nicht sehr fest standen, heillos die Köpfe verdrehen mußten". Um so dankenswerter von Leitl, daß er Schwarzens Brief über den Aufsatz in Heft 1 abdruckte. Von diesem Brief meine ich, er sei eine gute Disposition und recht eigentliche Klarlegung dessen, was gemeint war. Da steht nun freilich gleich der Satz von der „minderwertigen Bildung des Architekten", der eine ganze Schar von Beantwortern so nervös gemacht hat, dem ich aber, was den Nachwuchs angeht, voll zustimmen muß. Denn was ist das ganze Bemühen um ein Studium generale anderes als die Rechtfertigung dieses Hinweises? Dann stehen in dem Brief die schönen Sätze vom echten Gespräch, Sätze, an deren Aufrichtigkeit wir alle nicht zweifeln, ja, die wir innerlich alle bejahen und deren Verwirklichung uns am Herzen liegt. 152

Nun ist es nicht so, daß der Artikel meine restlose Zustimmung fände, denn wenn Schwarz in dem Briefe schreibt, er wolle keine Diskussion über das Bauhaus entfachen, dann hätte er zu diesem Thema schweigen müssen. Er hat es aufgegriffen, und damit mußte die an sich notwendige Diskussion beginnen. Denn eine negative Stellungnahme zu einem Phänomen, das von vielen anderen bejaht wird, muß eine Entgegnung hervorrufen. Mit welcher Leidenschaft er dies getan hat, und mit welcher Leidenschaft wiederum die Gesprächspartner antworten, zeigt, daß es sich um ein sehr heißes Eisen handelt. Und daß beide Teile durch einen Affekt im positiven Sinne, nämlich durch innere Anteilnahme, sich zu Formulierungen hinreißen lassen, die je nach Temperament von der Schnodderigkeit bis zum Zynismus reichen, kennzeichnet meiner Ansicht nach die Ernsthaftigkeit des Anliegens. Möchten wir uns doch durch diese Formulierungen nicht verstimmen lassen, uns dem Gegenstande weiterhin mit Ernst zuzuwenden. Für den Psychologen zeigt dieser Affekt, daß ein Stück vom Herzen des Angreifers immer noch Ja sagt, genau wie auf der Seite der Verteidiger ein Stück des Herzens Nein sagt. Ferner meine ich, daß auch die Zurückverlegung des Jahres 1 auf das Jahr 1900 bedenklich ist. Ich möchte die Wichtigkeit dieser Jahreszahl bezweifeln. Für mich liegt das Jahr 1 um 1770 in Zusammenwirkung mit der Französischen Revolution. Man verdeutliche sich einmal, daß die großen Bibliotheken, Markt-Hallen und Weltausstellungen ohne diese Revolution gar nicht gedacht werden können. Hier muß Schwarz noch einmal überprüfen. Nicht richtig scheint mir, daß „die Franzosen so gut wie keinen Beitrag geleistet hätten". Es gab damals (unter anderen) Anatole de Baudot und Tonio Garnier, die sehr zu Unrecht in Vergessenheit geraten sind, da sie selbst den Veranstaltern der letzten Ausstellungen und auch Schwarz ganz unbekannt zu sein scheinen. Es wäre überhaupt gut, die großen in Vergessenheit geratenen Anreger durch eine Veröffentlichung zu würdigen. Der Beitrag Frankreichs ändert sich dann, wenn man das Jahr 1 um ein Jahrhundert zurückverlegt. Da finden wir eine Menge prächtiger Leistungen. Sicher ist das oben Gesagte und manches andere nicht oder nur bedingt richtig in einem Aufsatz von so umfassendem Anspruch. Es sei aber erlaubt, in diesem Zusammenhang auf ein Zitat aus Blühers letztem philosophischen Werk hinzuweisen: „Die Unbedeutenden freilich müssen 153

alles richtig machen, das gehört sich so." Wenn wir diesem Satz zustimmen, dann müßte selbst das Unrichtige beim Bedeutenden noch seine Früchte tragen können, und seien es auch nur die Früchte des Widerspruchs (die immer ein bißchen heillos sind), besser die „Früchte des Gespräches". Nun meine ich - und ich bitte die Götter, daß ich nicht alle glühenden Kohlen auf meinem Haupte sammle „des Gespräches reife Frucht" sei eigentlich nur der schöne Aufsatz von Peter Röhl: Menschen und Atmosphäre in Weimar. Das ist ein großes Geschenk und ein höchst notwendiges. Eine Bereicherung in Wissen und Menschlichkeit, eine wahre Antwort, gewürdigt durch sich selbst. Wir alle haben - und ich spreche sicher im Namen vieler junger Menschen - dafür zu danken; wie wir auch zu danken haben für weite Strecken des Aufsatzes von Franz Meunier, in seiner ordnenden Aussage. Dieses Ordnen ist es, was selbst seinen Zurechtweisungen die Haltung gibt, eine Haltung, der wir zu folgen vermögen, weil sie der Herzensweite nicht entbehrt. Man lese nur einmal die letzten Zeilen seines Aufsatzes. Wie dem aber auch sei, es ist eine Art von Gespräch geboren, wenn es sich auch auf große Strecken hin liest wie eine Bundestagsdebatte. Ich hatte in diesen Tagen den Besuch eines amerikanischen Studenten, eines Germanisten. Es wird Leitl freuen zu hören, daß seine beiden Hefte weit über die Architekten hinaus Aufsehen erregt haben. Dieser Student meinte, es sei doch unverständlich, daß, wenn die Deutschen in eine Diskussion gerieten, man den Eindruck nicht loswerde, die Redner verzankten sich so, daß sie später nicht mehr an einem Tisch miteinander sitzen könnten. Sicher werde Schwarz nun nicht mehr mit Gropius und Mäckler nicht mehr mit Schwarz zusammensitzen wollen. Was Schwarz anginge - so sehr ein solcher Hinweis auch für ihn, Schwarz, wichtig ist - , konnte ich den Studenten beruhigen. Unter Freunden geht man ja sowieso nicht zu Schwarz ohne „beide Hosentaschen voller Kieselsteine", aber - wenn man geschickt wirft, nimmt er das nicht übel. Und ich nehme auch an, daß ich bei Mäckler den Studenten eines Gleichen versichern könnte. Aber hier kann ich es mir nicht versagen, vieles in Mäcklers Antwort als nur aus dem Widerspruch und der Heftigkeit geboren anzusehen, weit von Meuniers kritischer Gelassenheit. Denn Schwarz hat sich niemals zum Schulmeister Europas aufgeworfen, das widerspricht seiner inneren Bescheidenheit. Selbst noch als „advocatus diaboli" macht er sich Sorgen. Nun, einer muß sich ja wohl Sorgen machen, die jenseits seiner Aufträge 154

liegen. Und was Bilden und Schreiben (Reden) angeht, so ist es ja von je das Anliegen von Baukunst und Werkform gewesen, durch Aussagen die Meinung zu klären. Nur kann es nicht Anliegen sein, in Polemik zu antworten, und wenn jetzt ein Gespräch entsteht, dann gilt es, den großen Rahmen zu sehen. Polemik ist ein gefährlicher Bumerang. Hermann Mäckler setzt auf beiden Seiten guten Willen voraus und „eine gemeinsame Sprache". Was heißt das? Was die Sprache an sich angeht, so ist sie bei Schwarz klar. Es muß also wohl anders verstanden werden. Sollte hier gemeint sein, man müsse durchaus gleicher Ansicht sein? Man bestätigt sich dann gegenseitig bis zu Bewußtlosigkeit, nur um nach außen einig zu scheinen. Dies wäre doch Eingeständnis innerer Schwäche. Nie kann so fruchtbares Gespräch entstehen. Und was soll der Ruf: „Ihre Partner dürften nach ihrem baumeisterlichen Bekenntnis verlangen". Da zwei große und eindeutige Bekenntnisse von Schwarz in Heft 2/3 veröffentlicht sind, das Projekt der Rundkirche und die Fronleichnamskirche, so ist Mäcklers Verlangen eigentlich schon befriedigt. Andererseits wäre aber auch interessant, die Entwürfe zur Michaelskirche in Frankfurt, die sowohl von Schwarz wie von Mäckler bearbeitet wurde, in beiden Entwürfen veröffentlicht zu sehen als gegenseitige Bekenntnisse. Was nun Mäcklers Aversion gegen die Anglikanische Kirche angeht, deren erster Einwand uns allen bekannt ist, die aber unter dem Druck der Verhältnisse anders ausgeführt wurde: Ich habe sie, solange ich sie nur im Foto kannte, genau so abgelehnt wie Hermann Mäckler. Da ich sie aber mit eigenen Augen gesehen habe, muß ich sagen, sie ist grundanständig, eine konsequente Aussage in zwei Materialien, Backstein und Holz. Sind diese beiden Materialien etwa veraltet, „unmodern" ? Man gehe mir weg mit der Formulierung, die modernen Baumittel hätten die gegenwärtige Architektur geschaffen. Sie sind nichts weiter als Möglichkeiten unter anderen. Man begreife endlich Kants Wort: „Der Verstand schöpft seine Gesetze nicht aus der Natur, sondern schreibt sie dieser vor!" Wir haben diese und diese Materialien gewählt, weil sie unseren Absichten entgegenkamen. Schwarz hat bei der Anglikanischen Kirche Holz und Backstein gewählt und hat ihrem Gesetz bis in die baumeisterliche Gestaltungsform des Bogens gehorcht. Oder ist etwa auch der runde Bogen eine Architektursünde? Wir wollen doch nicht den Eindruck erwecken, als schüfen wir Architektur aus einem Rezept. Wenn ich den Tenor von Schwarzens Aufsatz richtig verstanden habe, dann kommt es ihm darauf an, vor diesen Rezepten zu warnen, die man 155

sich selbst macht, um sie dann bis zur Sklaverei zu befolgen, zu warnen vor einseitigen Ansichten, die - weil einseitig - unkünstlerisch sind, vor Manifesten, die zu Aggressionen zwingen. Ich verkenne die Größe des Manifestes nicht. Durch das Manifest des Bauhauses wurde einem größeren Kreise und recht eigentlich der Welt deutlich gemacht, worum es den Architekten ging. Aber Manifeste sind zeitgebunden und müssen überholt werden, wenn sie nicht zur Einengung werden sollen. Mit diesem Satz ist klargestellt, daß ich Schwarzens Ansicht über das Bauhaus nicht ganz teile. Aber sein Artikel geht über 12 Druckspalten, und knapp 3 befassen sich mit dem Bauhaus. Um was bemüht sich denn Schwarz im ganzen gesehen? Sollte es nicht sein Gedanke sein, daß die Gespräche unter den Baumeistern verstummt sind, weil Manifeste die freien Worte, das freie Gestaltwerden und Gestaltannehmen niedergedrückt haben? Es lohnt sich doch wohl, diesen Gedanken bis in die bitteren Konsequenzen hinein zu verfolgen. Bei aller Wertschätzung von Namen wie Walter Gropius und Marcel Breuer: wollen wir verkennen, welchen Beitrag ihnen das freie, weite und tolerante Amerika gebracht hat? Haben wir denn nicht die erweiterte Luft um ihre Werke gespürt? Sie hatten es in einem Lande mit solcher Möglichkeit und der ihr zugeordneten Aufgeschlossenheit nicht nötig, noch doktrinär zu sein. Ich bilde mir ein, auch wir, im ganzen, in unserem Lande, könnten aufgeschlossener sein. Es bedürfte gar nicht dieser ewigen Fronten überall, dieser harten Dogmen, die uns in ein Lager hier und ein Lager da trennen. Wollen wir uns immer auf die Enge unseres Landes berufen, als hinge Enge und Engstirnigkeit zusammen? Jedes Land hat die Größe seiner Herzen! Ich wehre mich gegen Polemik. Ich verdamme keineswegs die Antwort von Mäckler, deren Anfang klärend ist und noch unter der Polemik ein inneres Anliegen durchscheinen läßt. Vielleicht mußte er das alles sagen, damit wir um so mehr zum Nachdenken genötigt seien. Aber sollte er nicht auch nachdenken, ob es wirklich nur eine „Eskapade" von Schwarz war, und findet er dann wirklich in dessen Bauhausbetrachtung nur die „Lieblosigkeit des Simplifizierens"? Sollte nicht doch ein ernsteres Anliegen darunterstecken? Wenn ich Schwarzens Grundtenor also richtig verstanden habe, dann erscheint der Aufsatz von Hubert Hoffmann im wesentlichen als ein Beitrag, wenn auch die Zielrichtung des Angriffs von Hoffmann auf ei156

nem Mißverständnis beruht. Aber es ist gut, daß sein Gegenangriff so umfassend und ergänzend einsetzt. Ich möchte ihm nur in einem Beweisstück widersprechen. Es handelt sich um den „funktionalistischen Glaswürfel", siehe Heft 2/3, Seite 75. Schwarz meinte den Werkstättenbau Dessau und nicht das Faguswerk. Auch ich bin der Meinung, Gropius wollte seinen Glaswürfel haben und baute ihn. Müssen wir uns nicht als Architekten fragen: Ist es hier dem Erfinder um einen ganz klaren Innenraum gegangen und hat er eine ganz klare Form herum getan und mit diesem eindeutigen Handeln die Welt begeistert? Aber das Ding hatte keinen klaren Innenraum, sondern war eben eine Werkstatt und durch viele Zwischenwände in große oder kleine Nutzräume getrennt. Seine innere Form war tatsächlich eine reine Zweckform und die Glaswand davor eine Kulisse. Selbst Schwarz würde sagen, daß er nicht viel gegen Kulissen habe. Aber man sprach damals von den zur Schau gebrachten Funktionen. Nun liegt zwischen dem Innenbau und der Außenhaut eine peinliche und auch peinlich überbrückte Naht aus Glasplättchen und Stahlprofilen, so daß man sich fragen muß: Hätte es nicht nähergelegen, die Geschoßdecken bis in die Außenhaut durchzuführen ? Aber damit würden wir die Situation verkennen, denn dann wäre es eben kein Glaswürfel mehr gewesen, sondern eine Fabrik (oder sagen wir, irgendein vielleicht idealer Zweckbau) mit weiten großen Fenstern. Und natürlich wäre die große Festlichkeit des Glaswürfels zerstört gewesen! Diese Form ist nämlich eine festliche Form, und ich würde meinen, man solle die Fabrik nicht in ein Festhaus umdeuten. Wenn Gropius den Funktionen hätte gerecht werden wollen, hätte er es sich einfach machen können. Er hätte seine Fabrik gebaut und daneben sein Glashaus gesetzt als Festhaus für seinen Kreis, wobei er dann etwas sehr Wichtiges getan hätte, nämlich er hätte ein Stück Welt wirklich nach seinen Zuständigkeiten geordnet. So aber besteht zwischen dem inneren Werkstättenbau und dem äußeren Festhaus jene peinliche Naht aus Glas und Profilen, im Geiste und in der Wirklichkeit. Es ist fast eine Anekdote, daß Schwarz an das Bauhaus schrieb und dabei um die technischen Details nachfragte und ... diese nicht erhielt. Daß auch das bestgezeichnete Detail hier einen Architekten nicht überzeugen kann, begreift sich. Denn hier sind zwei verschiedene Dinge mit Glasplättchen und Profilen recht gewaltsam zusammengebracht. Ich unterschätze die Wirkung nicht, die von diesem Glashaus ausgegan157

gen ist und noch ausgeht, und meine Freude an einem Glaswürfel wird auch durch die hier zutreffenden Überlegungen nicht gemindert. Ich würde sagen: weg mit der Notbehelfsstelle (d.h. mit den Glasplättchen zwischen Innenbau und Außenhaut), und alles ist in Ordnung. Kann ich den Notbehelf nicht wegnehmen (und ich kann ihn nicht wegnehmen, sonst ist die Funktion eines Werkstättenhauses gestört), dann ist es nicht in Ordnung! Dann liegen Künstler und Konstruktivist im Streite. Dann besteht keine echte Beziehung zwischen Funktion und gewählter Form. Indem er baute, waren für den weiträumig schaffenden Gropius diese echten funktionellen Fragen offenbar nicht von ausschlaggebender Wichtigkeit; und da das echt Funktionelle am Anschlußpunkt von Innenbau und Außenhaut formalistisch, das heißt durch eine nicht zwangsläufige Konstruktionsform, gelöst wurde, wurde es zum Funktionalismus. (Funktionalismus bedeutet zur Doktrin erhobene Funktion.) Wären also die funktionellen Fragen für Gropius von ausschlaggebender Bedeutung gewesen, dann hätte er den Glaswürfel nicht gebaut. Dennoch wird die Funktionsgebundenheit als These für das Bauhaus weiter aufgestellt. Meiner Ansicht nach hat Gropius sie hier durchbrochen. Bestätigt er dadurch nicht Schwarzens Anliegen: Hüten wir uns, das freie künstlerische Schaffen durch Dogmen und Manifeste einzuengen, festzulegen und zu falschen Konsequenzen zu treiben. Wie ernsthaft ein Anliegen bei Schwarz ist, sei an einem anderen Beispiel dargetan. Wir hören nicht zum ersten Mal seine Warnung vor der Fotografie. Wir hören sie als Architekten hier wieder mit penetranter Eindringlichkeit. In dem langen Umgang mit Schwarz wissen wir alle, daß er seine Gedanken nur insoweit freilegt, daß wir selbst zum Mitdenken gezwungen werden. Was er meint, wird erschreckend klar, wenn man sich verdeutlicht, daß nahezu alle Werke mit den großen Baurissen vergriffen sind und nicht mehr gedruckt wurden, ob es sich nun um Hasacks mittelalterliche Baukunst, Gurlitts Bauten Konstantinopels, Goldeweys Babylon, Sarres Islamische Kunst oder anderes handelt. Was waren das für Fundgruben, wie präzise in der Aussage! Während im Gegensatz dazu Werke mit fotografischen Abbildungen tausendfach verlegt werden. Aber müssen wir das mitmachen? Es war eben doch eine großartige und höchst sinnvolle Sache, daß bei Karlinger in Aachen ein Student keine Chance hatte, seine Prüfungen zu 158

bestehen, wenn ihm die Grundrisse der großen Bauten nicht geläufig waren. So wurde vom werdenden Architekten eine Aussage in seiner ureigensten Sprache verlangt. An einem Beispiel seien Schwarzens Bedenken gegen das Foto aufgezeigt. Mein Mitarbeiter zeichnete für eine kunstgeschichtliche Betrachtung der Renaissance nach Ubereinkunft mit dem Herausgeber die einzufügende Bebilderung in Grundriß, Aufriß und Schnitt. Nach wochenlanger Arbeit wurden die Blätter abgelehnt, weil sie zu architektonisch waren und nicht die Atmosphäre brächten wie das Foto. Was soll der Tadel: „zu architektonisch", betreffend ein Werk über Architektur? Wir aber brauchen das wirkliche Fachbuch. Man schreibe für Architekten oder über Architektur in der Schrift der Architektur, in Grundriß und Aufriß. Das Foto kann nur einer zusätzlichen Erläuterung dienen. Was die Fotos von Morris so neuartig macht, ist ihre Aufrißhaftigkeit. Während nämlich Grundriß und Aufriß nicht veralten, kann man fast kein Foto mehr nach zehn Jahren mit Genuß ansehen, siehe das Handbuch der Kunstwissenschaften. Könnte der Architekt Schwarz seine Aussage über die Fotografie in der Architektur nicht so verstanden haben? Man lese noch einmal den Satz von Malraux in Heft 2/3: „Seitdem die Kunstgeschiche in den letzten hundert Jahren den Händen der Fachleute immer mehr entgleitet, ist sie eine Geschichte des Fotografierbaren geworden." Schließlich kommt es doch wohl darauf an, anregende Gedanken zu durchdenken. Es ist nicht meine Aufgabe, allen Entgegnungen nachzugehen. Ich wünschte darzutun, was mir Schwarzens Aufsatz vermittelt hat, und ich klärte mich selbst gerade an den Antworten des Heftes 2/3. Ich hoffe, es über meinen Kreis hinaus getan zu haben. Es sei mir aber noch erlaubt, zu dem Aufsatz (VII.) von Louis Schoberth, den ich - im ganzen gesehen - würdige, einige Berichtigungen hinzuzufügen. Es geht um den Vortrag von Rudolf Schwarz in Aachen. Perrets Kirche in Raincy wurde nicht als „baufällig" bezeichnet. Schwarz wies auf die schweren Schäden in den Betonteilen hin. Die „Augenzeugen" von Herrn Schoberth müssen schlechte Augen gehabt haben. Leider sagt Schwarz die Wahrheit, so sehr ich auch wünschte, daß dieses gültige Werk aus den Anfängen der großen Betonversuche unversehrt erhalten bliebe. Soweit diese Bedenken von Schwarz uns vorsichtig machen sollen, sind sie berechtigt. Als Gesamtüberlegung sind sie von bedingter Rich159

tigkeit. Auch der gotische Baumeister war sich bewußt, daß sein Material, in dem er sich aussprechen wollte, nur eine beschränkte Lebensdauer hatte. Man denke etwa an das Steinfiligran des Straßburger Münsters. Obwohl die Verwitterung eigentlich schon mit dem Tage der Fertigstellung begann, hinderte das die Meister nicht, ihre Baugedanken in diesem hinfälligen Material durchzuführen. Da ich den Vortrag in der Aachener T.H. selbst angehört habe und um darzutun, wie verschieden man hören kann, versuche ich, den Gedankengang aufzuzeichnen. Rudolf Schwarz möge mich berichtigen, wenn ich ihn falsch verstanden habe. Er unternahm den Versuch, eine autonome Architektur wiederherzustellen. Anliegen sei die Trennung von Technik und Baukunst. Die Technik erzeuge kühne Dinge, sei aber für uns nicht allein zuständig, weil ein anderes Arbeitsgebiet. „Wie eine Wanderdüne sei die Technik über uns hinweggegangen, darunter träte wieder der Boden reiner Menschlichkeit hervor." Diese Menschlichkeit zu gestalten, sei die Aufgabe der Baumeister. Die Technik habe der Architektur manches Neue gebracht, aber es handle sich keineswegs im Prinzip um einen Neubeginn. Die Aufgaben der Architektur seien uralt, und eigentlich seien keine neuen hinzugekommen. Die großen Formgedanken wie Treppe, Würfel, Kuppel, Gewölbe wandelten sich jeweils ab. Das war klar, hart (vielleicht anfechtbar), aber keineswegs „irreführend" vorgetragen als ein Versuch, die Baukunst wieder auf eigene Füße zu stellen. Ich glaube, das richtigstellen zu müssen, obwohl es zu unserem Grundanliegen nur mittelbar gehört und durch den Aufsatz von Schoberth hinzutritt. Trotz der Meinung des amerikanischen Studenten würde ich es begrüßen, wenn die ernsthaft erwogene Ansicht eines bedeutenden Mannes nicht als „zusammenhanglos" und als „greulich verzerrtes Bild" bezeichnet würde, da sonst aus Interpretation Hinterpretation wird. Schoberths Aufsatz begrüße ich besonders als einen qualifizierten Beitrag eines Mannes der jüngeren Generation, von der ich weiß, daß sie der Auseinandersetzung mit erregter Spannung folgt. Mögen wir uns unseres Auditoriums würdig erweisen.

Aus Baukunst und Werkform, IV. Jahrgang 1953, Heft 4, April, Seite 172f.

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Alfons Leitl

Die notwendige Ergänzung einer „notwendigen Berichtigung"

Vorab noch eine Entgegnung von Gropius: „Die Neue Zeitung", der wir zu Dank verpflichtet sind für das Interesse, das sie den hier behandelten Problemen zuwendet, veröffentlichte am 12. April einen Uberblick über das Echo des (...) Aufsatzes von Rudolf Schwarz. (...) und als wichtigstes einen Brief von Walter Gropius selbst. Dieses an den Stuttgarter Architekten Prof. Dr. Docker gerichtete Schreiben ist damit in der Öffentlichkeit bekanntgeworden, ehe wir selbst Gelegenheit hatten, es unseren Lesern bekanntzugeben. Wir hätten es selbstverständlich den anderen Entgegnungen unseres letzten Heftes beigefügt oder sogar vorangestellt, wenn es uns rechtzeitig vorgelegen hätte. Nachdem wir in Heft 213 nahezu dreißig Seiten den Zurechtweisungen und Richtigstellungen gewidmet haben, möchten wir, wie schon aus anderen Beiträgen dieses Heftes hervorgeht, aus dem nun hoffentlich ausreichend bereinigten Vorfeld zum Kern der Sache kommen, um die es uns geht. Wir glauben deshalb der Zustimmung von Professor Gropius sicher sein zu dürfen, wenn wir aus seinem Brief die Ausführungen zitieren, die den Grund eines oder einer ganzen Kette von Mißverständnissen bloßlegen: „... Die Behauptung des Herrn Schwarz, daß wir uns feierlich zum historischen Materialismus bekannten', ist frei erfunden. Vermutlich verwechselt er mich mit meinem Nachfolger Hannes Meyer, der nach kurzer Amtszeit auf meinen Vorschlag entlassen und durch Mies van der Rohe ersetzt wurde, den ich der Stadtverwaltung von Dessau empfohlen hatte. Solange ich das Bauhaus selbst leitete, versuchte ich das Institut aus allen politischen Verstrickungen herauszuhalten, an denen die Zeit so reich war. Die auf freiwilliger Zusammenarbeit aufgebaute Organisation der Schule konnte ebensowenig mit der marxistischen Gedankenwelt identifiziert werden als mit der nazistischen ..." Aus Baukunst

und Werkform,

VI. Jahrgang 1953, Heft 4, April, Seite 191.

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Rudolf

Schwarz

"Was dennoch besprochen werden muß

Unser Gespräch, oder der Versuch dazu, ist bisher nicht sehr fruchtbar gewesen. Das braucht nicht zu entmutigen, denn immerhin ist endlich ausgesprochen worden, was bisher unausgesprochen zwischen uns stand, nicht seit heute und gestern, sondern schon lange, und wir können versuchen, ob wir uns darüber einigen werden und wie wir es in Zukunft damit halten wollen. Aber wir müssen uns prüfen, was wir etwa falsch gemacht haben, denn dieses Gespräch muß geraten. Mir scheinen etwaige Mißgeschicke der Diskussion reichlich aufgehoben zu sein dadurch, daß man den prachtvollen Bericht von Peter Röhl herbeigeschafft hat, wobei ich nur hoffe, daß er von recht vielen jungen Menschen gelesen wird, die in den erbärmlichen Jahren um so vieles betrogen worden sind und vielleicht nicht im gleichem Maße erleben durften, wie schön geistiges Leben in seiner Blüte sein kann. Uns wurde dieses Erlebnis reichlich geschenkt, denn wie es damals in Weimar war, so war es auch anderswo, die Welt stand in bunten Hoffnungen und zeitigte schon erste kostbare Erfüllungen, und von beider Erinnerung haben wir uns durch die traurigen Zeiten ernährt.

Ein Mißverständnis Eines der Mißgeschicke, die uns widerfuhren, war ein Mißverständnis. Ich hatte natürlich Widerspruch erwartet und ihn herausgefordert - denn ich wollte, daß nun endlich gesprochen werde, nachdem zu lange geschwiegen worden w a r - , und zwar einen scharfen, aber gegen das, was ich behauptet hatte: die Darstellung des Laufs, den die Dinge bis zu dem Tage unseres Unglückes bei uns meiner Meinung nach genommen hatten, die Forderungen, die ich für die Zukunft erhob. Einen Angriff auf Gropius aber hatte ich nicht im Sinn gehabt. Es hätte ja anders sein können, denn 162

Männer, die vorne im Leben einer Nation stehen oder standen, unterliegen der Kritik an ihrem Tun, und vor ihr bewahrt sie auch nicht das Gute und Richtige, das sie taten, und die persönliche Güte, die sie auszeichnen mag, und es ist nun einmal so, daß diese Kritik abträglich sein kann. Wir leben einer einer Demokratie auf parlamentarischer Grundlage, das heißt, auf der Grundlage des Gesprächs. Ich selbst bin sehr oft angegriffen worden, manchmal verletzend und ungerecht, aber ich habe darauf nie deutsch reagiert, das heißt gekränkt, sondern habe mich im Grunde gefreut, daß man mich als einen lebendigen Menschen nahm, an dem man sich reiben konnte, und nicht als ein sakrosanktes Idol, an dem sich zu vergreifen eine Tempelschändung wäre, und mir im übrigen gedacht, wahrscheinlich sei doch ein Körnchen Wahrheit in jedem Widerspruch. Warum sollte ich nicht, wenn mir das berechtigt scheint, Gropius angreifen? Aber ich hatte es dieses Mal nicht im Sinne gehabt. Aber dieser „Angriff" auf Gropius, der stärker wirkte, als er im Grunde gemeint war, ist ja nicht der Hauptgegenstand meines Aufsatzes, wozu dieser „Angriff" zu meiner Verblüffung gestempelt wird. Walter Gropius hat selbst zu meinen Ausführungen über das Bauhaus Stellung genommen und darin klargestellt, daß der Mann, den er schließlich wieder entlassen mußte, dem Bauhaus tatsächlich eine Zeitlang die Richtung geben konnte, die den Gegnern des Neuen Bauens die Waffen geliefert hat. In meinem Aufsatz war nicht gesagt, daß ich Gropius selbst mit dieser von ihm abgelehnten Richtung identifiziere. Auch Muche hat in der gleichen Sache das Wort ergriffen, obschon doch eigentlich aus meinem Text klar genug hervorgeht, daß die Maler mit der ganzen Sache nicht viel zu tun haben. Nein, ich habe nie vermutet, daß Muche sich zum historischen Materialismus bekannt habe. Als nun der durchaus erwartete Widerspruchs aus unerwartetem Grunde ausbrach, kam ich mir beinahe wie ein häßliches Bündel Schlechtigkeit vor, ich hatte ein Heiligtum besudelt, und jetzt verfolgen die Erynnien den Tempelschänder. Aber was war denn geschehen?

Der Glaswürfel Also, da stand, das Werkstattgebäude in Dessau habe zum Vorwand für einen Glaswürfel gedient, und allgemein wurde den Bauhausleuten bescheinigt, daß sie als vergnügte Kubisten den Erscheinungsreichtum der Welt bereichert hätten, und das hatte Gropius denn wohl auch getan. War 163

das der Angriff? Ich grübelte darüber nach, und schließlich kam mir die Lösung oder was ich dafür hielt. „Du hast es mit sehr ernsten Männern zu tun", sagte ich mir, „mit ethisch entschlossenen Menschen, und was du sagst, darf man nicht sagen. Der Glaswürfel ist zwar da, aber sie entschuldigen ihn als expressionistisches Relikt, und vor lauter Ernst verderben sie dir deine Pointe." Die Pointe aber ist, daß ich gar nicht gegen Glaswürfel bin, sondern sehr dafür, und daß ich es kein bißchen für beleidigend halte, wenn mich jemand einen Kubisten nennt, denn ein Kubist ist ein Mensch, der Freude am Kubus hat, an der strahlenden gläsernen Klarheit der mathematischen Urgestalt, die fern aller nützlichen Verwendung in ihrer eigenen Schönheit beruht und durch ihr mächtiges Dasein die Dinge des Weltalls erschafft und bewegt wie die Kugel, in der Heraklit das Urbild des Göttlichen sah. Jemanden, der einen Glaswürfel baut, schließe ich an mein Herz, denn er weiß von einer Welt, die hoch über dem Brauchbaren thront, und will von ihr Zeugnis abgeben, wenn auch vielleicht stammelnd. Macht es denn so viel aus, wenn die erbärmliche Zeit seinem Glauben den Auftrag verweigert? Sind die technischen Mängel so schlimm, oder sind sie nicht vielmehr die leise Warnung, nicht die Gebote der Erde ganz zu vergessen? Ich denke gering über technische Mängel, die andere begingen, und auch über die eigenen. Mit Steinen werfen? Bitte nur ja nicht, ich sitze doch selbst im gläsernen Würfel, viele andere auch, und es ist schön darin. Dem Himmel sei Dank, daß Leitl irgendwo die kreisrunde Pfarrkirche ausgegraben hat, die haben wir vor fünfundzwanzig Jahren zum Schrecken alter Männer in meiner Hochbauklasse gebastelt, und in dem Erläuterungsbericht steht manches davon, was uns damals beseelte. Noch innigeren Dank an die himmlischen Mächte, daß ich sie nicht auch noch gebaut habe. Durch sein reines Vorhandensein den Gestaltungsreichtum der Schöpfung vermehren - was gibt es denn anderes und Froheres zu tun für den Künstler? Besagt diese Schöpfung denn selbst etwas anderes durch die unermeßliche Buntheit ihrer Geschöpfe, ihre unermüdliche Erfindungsgabe, die immer neue Bildungen ins Dasein bringt, als daß es gut ist, wenn vielerlei da ist und daß es in seinem unendlichen Jubel den Urheber preist? Es war nie mein Bestreben, denn das kann man nicht wollen, aber ich glaube, es ist mir in etwa geraten, original zu sein, das heißt, eine Urausgabe, und meine ganze Liebe gehört dem Ursprünglichen, aus eigener Kraft als ein Neues ins Dasein Drängenden, dem Bunten und Gestaltungsstarken, dem, was den Ursprüngen treu blieb; wieviel besser ginge es der Menschheit, schämten sich nicht so viele Menschen der schüchternen 164

Meldung des Urspringenden in der eigenen Seele, vergrüben sie es nicht unter der Scham, daß sie dann anders wären als die anderen, verkauften sie nicht ihre unschuldig-junge Liebe um Nützliches. Hoffmann und Leid haben beide für mich die große Sorge, ich könnte ein Einzelgänger werden. Einzeln wird jedes wirkliche Leben gelebt, auf dem Urgrund unendlicher Einsamkeit. Mein ganzer Haß aber gehört dem künstlich Vermehrten, dem pfiffig Berechneten, dem listig nach Zwecken Konstruierten. Eine Menschheit, die nicht mehr den bunten Flor des Ursprünglichen hervorbringt, verfällt in die Masse, das maßlose Getriebensein von anonymen Gewalten. Nicht, daß Ihr Künstler wart, wenn auch nicht immer große, Ihr Männer in Dessau, in Frankfurt, in Berlin, verarge ich Euch, sondern daß Ihr nicht tapfer genug wart, Euch dazu zu bekennen, oder daß Ihr Euch verkennen ließet, und daß Ihr nicht den Mut hattet, Künstler zu bleiben und Euer höheres Recht dem niedrigeren gegenüber zu behaupten. Der Stoß einer vermeintlichen Wirklichkeit traf Euch, die Ihr Euch einen Dom träumtet, und Ihr fielt um, statt Euch zu wehren, denn was Ihr da wolltet, war unendlich wirklicher. Ihr hattet das weisere Wissen. Nicht vielleicht im Verstand, aber „das Herz hat mehr Gründe, als der Verstand je ergründet", sagt Pascal, und die Gründe des Herzens reichen tiefer hinab, bis in den Grund aller Dinge. Ihr stießt auf die Technik und kapituliertet vor dieser vorlauten Technik, die Ihr nicht durchschautet. Eine einzige Blume, eine aus der unendlichen Zahl, hätte Euch die Antwort gegeben, hättet Ihr sie nur aufmerksam betrachtet. Ihr hättet gefunden, wie schön der Grundriß gebaut ist, der vollkommen klar wie ein Kristall oder eine gute Architektur ist, wie ihr Aufriß sich zart zum bunten Gewölbe entfaltet, und hättet auch schon diese Technik gefunden, denn da ist alles auf schmälstem Querschnitt geformt, ganz zart bemessen und überaus tragfähig und widerstandsfähig, und Ihr hättet alles von dem Grundsatz durchseelt gefunden, der bis heute auch der einzige Grundsatz unserer Technik geblieben ist, daß nämlich, wenn diese Blume sein soll, sie aus einem mindesten Maß von Masse errichtet sein muß - ein wahrhaft edler Grundsatz! Daß aber Blumen sein sollen, daß in ihnen die Erde sich glühend, ein einziger Liebreiz geworden, verschwendet, das sagt er nicht und leugnet er nicht, es kommt aus einer ganz anderen Weisheit sich verschwendender Güte und Schöpfungslust. Die Technik wartete auf Euch, ihre Herren, und Ihr 165

wurdet derweil Technizisten, das ist: ihre Sklaven. Man verblüffte Euch damit, daß sich technische Einrichtungen in etwa auch mathematisch abbilden lassen, in etwa, und Ihr verfielt in das Rechnen, das nicht über das kleine Einmaleins hinausreicht. U n d Ihr vergaßt, daß Ihr es wart, die den Rechnern die Aufgaben zu setzen hatten. Man brachte Euch die funktionalistische Irrlehre, und Ihr nahmt sie hin - alles was man Euch vorredete, nahmt Ihr hin - und Ihr ahntet nicht, wie verspätet es war, wie enthüllt und widerlegt von den besten europäischen Denkern. Lang ist es schon her, daß Guardini über Zweck, Sinn und Spiel schrieb; lang, daß Scheler gesagt hat, daß nur die niedrigsten Dinge sich dem Zweckdenken öffnen und das Niedrigste in den Dingen; daß, wer dieses Leben auf Zwecke zurechtmacht, es auf das Niedrigste mindert, und daß es darüber hinaus unsäglich edlere Denkformen gibt. Zu diesen zwei Denkern wären viele andere hinzuzufügen, die in abendländischen Uberlieferungen gedacht haben. Ihr konntet es nicht denkend durchschauen, aber Ihr hättet mit dem Instinkt der Künstler spüren müssen, daß diese rationalistischen Lehren, all dieser gehirnliche Kram Gift waren für Euch und Eure Kunst, die daran verwelken mußte, je länger das Gift wirkte.

G a b es einen „Bauhausstil"? Ganz im Anfang träumtet Ihr von einem Dombau, so sagt Ihr, und Ihr wolltet seine Werkhütte sein. Ihr träumtet davon, viele andere taten es damals auch. Aber der D o m war noch nie ein ästhetischer Traum, sondern gottesdienstliches Werk, bestimmt zu strengem Dienst vor strengem Gott. Den geträumten D o m hat Bruno Taut schon lange gezeichnet, und darin war er Euch turmhoch überlegen, aber wenn Ihr den D o m Euch vornehmen wolltet, mußtet Ihr wissen, daß das etwas war, was quer zu unserer Zeit stand, und daß Ihr Euch also querstellen mußtet - aber Ihr hattet das ja nur ästhetisch gemeint, so ließt Ihr Euren D o m wieder fahren und träumtet den Bauhausstil. Sicher, der Begriff Stil stammt von den Kunsthistorikern, die damit allerlei treiben. Hat es den Jugendstil wirklich gegeben, oder waren es auch damals große Baumeister, die jeder ihre eigene Sprache sprachen? Aber meinetwegen, lassen wir den Jugendstil gelten, das Wort klingt ganz gut, weil man meint, es sei die Art einer europäischen Jugend gewesen, und doch kein Mensch weiß, daß das Wort von einer Zeitschrift des Hirth-Verlages abgeleitet ist - dem allerdings Jugend ein sehr weitläufiges Programm war. Aber ich glaube, den Bau166

hausstil können in weiteren zwanzig Jahren die Gelehrten wirklich entdecken, und das war nicht die Bauweise aller damals lebenden Meister, sondern eben diejenige der Meister des Bauhauses, es hat ihn wirklich gegeben, man kann ihn definieren, das heißt begrenzen, und heute gibt es ihn nicht mehr. Es war ein vollkommen bewußter Versuch, aus stereometrischen Körpern und geometrischen Formen Häuser als durchaus abstrakte Ordnungen zu montieren, der sehr stark durch die damalige abstrakte Grafik bestimmt war. Gerade diese grafische Herkunft fiel sogleich an diesen Bauten auf. (Bitte nicht gleich gekränkt sein, es ist nichts Schlimmes dabei. Auch Mies hat sich bei frühen Grundrissen vom Maler Hans Arp begeistern lassen. Wenn man schon so abstrakt baut, liegt es nahe, sich bei den Malern nach Formen zu erkundigen). Bei so extrem künstlerisch gemeinten Formen wurde natürlich den Dingen allenthalben Gewalt angetan, und es war bei solchem Ansatz beinahe unmöglich, gute Geräte zu formen, so wie van de Velde das gekonnt hätte; und was entstand, war denn auch eine extrem künstlerische oder vielmehr künstliche Welt. Eine Anekdote mag das erläutern: Albert Renger-Patzsch, der heute einer der stillsten und innerlichsten Landschaftsfotografen ist, erzählte mir einmal, daß er in Dessau gewesen sei und sich alles besehen hätte. Als er aber aus der Tür trat, lief dort, wo es niemand verhindern konnte, ein Hund herum, der empörte ihn heftig und jach, wie kam dieses Tier dazu, so auszusehen? Warum hatte er keine polierte Stahlkugel als Kopf und keine Spiralfeder als Schwanz? Vom Bauhausstil ist nicht viel übriggeblieben, er lebt nur noch in den Zeitungen. Es ist ihm gegangen, wie es eben „Stilen" so geht, und wenn man den Verlauf der Dinge nachlesen will, dann nimmt man am besten aus „Baukunst und Werkform" den Aufsatz von Meunier, Seite 62 von Zeile 22 links an, und ersetzt Jugendstil durch Bauhausstil, Sarajewo durch Gleiwitz und Mineralogie und Botanik durch Maschinenteile. U n d auch, als es ihn noch gab, war er im breiten Fluß lebendiger Baukunst eine sehr kleine Enklave. Also doch eine abgetane Sache, geeignet für Leute mit historischen Gelüsten? O h nein, sondern eine Sache, die uns heute noch angeht. Wie kommt es, so frage ich, daß noch niemand so recht auf die ungeheuere Tatsache hingewiesen hat, daß hier ein Kreis von Männern, die echte Künstler waren, sich vorgenommen hatte, aus rein abstrakten, also vorgefaßten Formen einen Stil zu schaffen? Wie kommt es, daß man, was sie innerlich wollten, so schrecklich verkannte? Durch unser ganzes Gespräch zieht sich ein roter Faden: Bisher haben alle wirklichen Baumeister 167

ihre Arbeit als Bau-Kunst aufgefaßt und haben auf diesem Wege schöne Bauten errichtet, aber gerade das scheint den Ideologen das Verkehrte zu sein, denn wie kann sein, was nicht sein darf? Was mich angeht, so werfen mir die Kritiker des vorigen Heftes vor, ich betrachtete die Dinge ästhetisch, das will sagen als Künstler. Wie soll ich sie denn betrachten, doch nicht als Bäcker oder Straßenbahner? Sicherlich darf die Baukunst nicht im freien Raum schweben wie die gegenstandslose Malerei, gerade das war ja die große Gefährdung des „Bauhausstils", sie hat ihren Auftrag zu erfüllen und ist, versteht sie sich recht, ein Dienst am eigenen Volk. Sie soll „dienen", aber so, wie die Freien dienen, und dieser Dienst hat nichts zu tun mit der Sklaverei unter vermeintlichen Zwecken, hat auch nichts zu tun mit vermeintlichen Funktionen, sondern ist hohe Beantwortung. Alles zusammen, glaube ich genug gesagt zu haben, um jetzt einen Antrag stellen zu dürfen, es soll gelten: Satz 1: „Die Architektur

ist eine freie

Kunst".

Darum muß gestritten werden. Wenn sich kein Widerspruch meldet, gilt der Satz als angenommen. „Aber das ist doch ganz selbstverständlich!" „Dann ist es ja gut". Wie ist es nur möglich, daß die Bauten dieser Jahre bis auf den heutigen Tag mit dem Wort von der „Neuen Sachlichkeit" verunstaltet werden, wo sie doch so viel Schönheit enthielten? Ihr hättet Euch wehren müssen und, da Ihr auch dies nicht denkend durchschauen konntet, aus dem Instinkt Eures Künstlertums ahnen müssen, daß sich dieses Wort gegen die Wurzel Eurer Existenz richtete, denn was man da vorschlug, bedeutete die Entwurzelung der lebendigen Schöpfung. Uns Baumeistern sind mehr als anderen Menschen die lebendigen Dinge anvertraut, daß wir sie behüten und großziehen, diese Dinge, deren jedes im Urgrund seines Geheimnisses wurzelt, aus dem es sich nährt. Diese bedürfen eines Raumes für ihr Geheimnis, und nimmt man ihnen den, versachlicht man sie, dann welken sie ab. Sie bedürfen der Formung durch uns, aber diese Formung ist helfende Sorge und betrifft nur einen kleinen Teil des lebendigen Dinges. Versachlichung bedeutet Rationalisierung der Schöpfung, und die war auch gemeint, nur, daß die Schöpfung das nie überstände. Es gibt einen schmalen Bereich, der rationalisierbar ist, das sei zugegeben, und es ist gut, wenn er die Rationalisierung erfährt, da er darauf angelegt ist, aber er umfaßt nur ganz niedrige Lagen, und selbst er besteht nur, wenn er mitgetragen wird von den anderen Bereichen des Urwüchsigen. 168

Nicht besser steht es um den „Funktionalismus"! Das Wort Funktion ist recht vieldeutig, am klarsten ist seine Bedeutung in der Mathematik geblieben, wo es wohl auch seinen unbestreitbarsten Ort und vermutlich seinen Ursprung im gotischen Weltbild hat. Vielleicht kann man sich auf die vorläufige Bestimmung einigen, daß eine Funktion eine Bewegung ist, und zwar eine gesetzlich bestimmbare und darum beliebig wiederholbare, der man mithin einen Apparat bauen kann, in dem sie „funktioniert". Es braucht hier nicht untersucht zu werden, welche große Bedeutung dieser Begriff in den Wissenschaften, wie etwa der Medizin, gehabt hat, und ob diese sich anschicken, ihn auf eine echte Zuständigkeit zu begrenzen, denn wir sind Architekten. Es braucht auch nicht untersucht zu werden, inwiefern unser eigenes Denken von allgemein üblichen Denkformen mitgestaltet oder auch mißgestaltet wird. Jedenfalls liegt es nahe, daß wir heute auf das, was in unseren Bauten die Art einer echten Funktion hat, aufmerksamer sind als frühere Zeiten. Echte Funktionen enthält der konstruktive Teil unserer Arbeit, und es ist selbstverständlich, daß wir unsere Bauteile technisch sauber durchführen und ihren Funktionen in etwa anpassen - in etwa. Es ist auch klar, daß wir den sich in einem Gebäude wiederholenden Abläufen die kürzesten Wege schaffen, denn wir wissen, daß die Perfektion der Technik die Menschen für bessere Dinge entlasten würde als die endlose Wiederholung sinnloser Leerläufe. Schließlich ist noch zu verstehen, daß manch einer übermütig wird und meint, man solle alles den Ingenieuren überlassen und die Architekten damit beschäftigen, die Erfindungen der Ingenieure in eine nette Form zu bringen, was sicherlich anständig und geboten ist und auch den Export fördert. Das ist aber auch wirklich alles, und es reicht nicht hin und nicht her, denn wir sind eben keine Ingenieure, sondern Architekten und haben ganz anderes zu vertreten, nämlich das unverstümmelte Leben in seiner lebendigen Ganzheit. Dieses aber ist keine Funktion, läßt sich nicht in Funktionen auflösen und nicht daraus zusammensetzen, und wenn man das dennoch versucht, tut man ihm Schlimmes an. Das Leben nämlich ist jeweils ein einzelnes, das in Freiheit geführt und frei verantwortet wird und vorab die Art des Daseins hat, das auf dem Urgrund seines Geheimnisses ruht und dessen Bewegungen Äußerung sind; und darum ist unsere erste Aufgabe die, ihm einen Raum für seine Freiheit zu schaffen, in dem es zu sich kommen kann, in dem es die zarte Schönheit seiner ursprünglichen Regungen entfalten kann und der ihm stille Geborgenheit gibt. Die Technik kann dabei helfen, wenn sie das wirkliche Leben erleichtert. Will sie aber den Einzelnen oder die Menschheit in das Räderwerk einer Welt169

maschine einsetzen, dann wird sie zum Feind, denn was dabei herauskommt, ist das Kollektiv. Für uns, die wir hier zusammen sind, versteht sich von selbst, daß wir die berechtigten Forderungen der Funktionen in unseren Bauten erfüllen. Es ist Sache unseres technischen Anstandes, man braucht nicht darüber zu sprechen, denn es gehört in die bescheidenen Gebiete der Baukunde und der Baukonstruktionslehre. Wenn wir das alles aber sorgsam beachtet und geordnet haben, dann fängt unsere wirkliche Arbeit erst an. Man kann alles und jedes ganz richtig gemacht haben und doch alles verderben, denn wir sind keine Ingenieure. So wie das Leben, kann man auch einen Bau nicht aus seinen Funktionen zusammenaddieren, denn man bekäme dann nichts als ein Präparat. Ein uraltes Beispiel: Es gab einmal einen berühmten Wettbewerb um das neue Haus der IG-Farben in Frankfurt. D a kamen Entwürfe von ganz strenggläubigen Funktionalisten, die das ganze Gedärm des verwickelten Konzerns ins Sichtbare brachten. U n d dann war auch ein Entwurf von Poelzig da, dem die verwickelte Beschaffenheit des Konzerns und seine sämtlichen Funktionen ziemlich Wurst waren und der eine große Form in die Präparatensammlung warf. Ein ganz neues Beispiel: Wir haben uns gerade um das Mannheimer Theater bemüht, und einige haben sich sehr mit seinen Funktionen gequält, Mies aber, dieses Scheusal, hat eine große Holzkiste geschickt, und darin war als Modell eine beinahe ebenso große Glaskiste. Ich gehe noch einen Schritt weiter. Es gibt die „Wahrheit der Dinge", ihre innere Form, und diese hervorzuheben ist echte Kunst, denn sie hat mit „Funktionen"oder gar „Zwecken" nicht viel zu tun. Aber für uns Bauleute ist selbst sie nur eine halbe Wahrheit. Es muß noch etwas hinzukommen. Dieses Etwas habe ich meist den „Poetischen Beitrag" genannt, früher nannte man es einen Einfall. Dieser Beitrag ist ein Kind aus sehr lichten Höhen, das weit her kommt, vielleicht aus den Einöden des Weltalls, wo nur noch Geometrie ist, oder aus dem ungeheueren Vorrat endgültiger architektonischer Formen oder aus dem Geistigsten selbst, das jeden Bau beseelt. Dieses letztere ist mir das Liebste, und ich will erklären, wie ich es meine. Man kann etwa mit einem Wohnhaus sagen, daß hier die Menschen den Frieden fanden und in Ubereinstimmung mit der Welt kamen, in deren Zusammenhang sie sich einsiedeln, wie es uns die Japaner gelehrt haben; oder man baut eineKirche und beachtet all die vielen Forderungen eines entwickelten Kultes. Aber damit hat man noch gar nichts getan, das bauliche Anliegen selbst ist die Menschheit, die vor die Ewigkeit hingestellt ist. D a zeigt sich, ob man Baumeister ist. 170

Ich bringe jetzt den Antrag, es soll gelten: Satz 2: „Die sorgfältige Beachtung aller Funktionen nicht aus, daß dieser gelingt".

eines Baues reicht

Es gibt, und das sei nicht verschwiegen, auch eine Kunstrichtung, die sich Funktionalismus nennt. Da wird das Spiel von Funktionen zum Anlaß genommen, ein Gedicht darüber zu machen. Man erkennt den „poetischen Beitrag" an kleinen Zeichen wie Pfeilern oder Brüstungen, die mit schwarzem Glas weggetäuscht sind, oder Wänden und Dächern, die nach der Art eines Kistenrahmens herumgeführt sind. Hier im Funktionalismus, der eine Kunstrichtung ist, wird im Grunde der uralte Gedanke des Gleichgewichtes als künstlerisches Prinzip angewendet, und das paßt uns ganz gut, aber dieser Funktionalismus ist sozusagen illegitim und verbirgt sich hinter der schlechten Theorie. Und es wäre doch so gut und so wichtig, endlich diese Art von Funktionalismus klar als das zu erkennen, was sie doch ist: eine Kunst, die souverän mit ihrem Stoff schaltet und waltet, sich an dem freien Spiel von Baugliedern und Körpern ergötzt, sie benützt wie der Musiker seine Tonfolgen, sie auf- und abklingen läßt und doch in einem letzten Gleichgewicht befriedigt und uns dabei oft so anspricht, als hörten wir hier den eigensten Klang unserer Zeit. Man sollte doch das schulmeisterliche Nachrechnen lassen, den Geist seinen frohen Spielen überlassen, die oft geradezu der technischen Voraussetzungen spotten und sich über alle „Funktionen" hinwegsetzen. Wie ärmlich sind doch die Einwände, die man oft gegen Wright vorbringt. Aber, da nun einmal die schlechte Lehre da ist, sollte man ein neues Wort dafür finden. Ich habe noch keins, „Dynamismus" klingt scheußlich. Es war so viel von dem Würfel die Rede, daß die Gefahr entstehen könnte, seinen wirklichen Gegenspieler in unseren Tagen zu übersehen. Wenn man mit unzähligen Vorbehalten die kubistische Richtung als Erbin der Antike bezeichnet, könnte man hier vielleicht das Erbe der Gotik entdecken. Ich bringe einen weiteren Antrag ein, der mir genügend durchgesprochen zu sein scheint, aber noch nicht zum Beschluß gekommen ist: Satz 3: „Das Jahr 0 architektonischer Zeitrechnung zurückdatiert."

wird auf das Jahr 1900 christlicher

Es liegt noch ein Zusatzantrag vor: 171

„Es ist zu untersuchen, ob das Jahr 0 nicht auf 1750 ist."

zurückzuverlegen

Dieser Antrag müßte sehr durchdacht werden, denn seine Folge wäre, daß unser eintöniges Blickfeld sich bereicherte mit vielen bisher übersehenen Baumeisterpersönlichkeiten und ihren Werken, die gleichberechtigt neben die Bauten der Funktionalisten träten, denen sie vorausgingen oder denen sie gleichzeitig waren. Eine Fülle von Formen, von Bauweisen strömte in das Denken der Heutigen, und sie wären alle berechtigte und lebendige Anregungen, und es täte sich ein ganz schmaler Spalt auf in echte geistige Freiheit. Täuschen wir uns doch nicht, die Freiheit, die dem Künstler Lebensluft ist, geht uns allmählich verloren. In Deutschland zumal bildet sich langsam eine Orthodoxie mit allen Kennzeichen des Epigonentums, formulierten Glaubenssätzen, Glaubenszweifeln und Skrupeln. Man hat Verzeichnisse von Formen, die zulässig sind, und anderen, die verpönt sind, von Baustoffen, die erlaubt sind, und anderen, die zu verwenden sündhaft ist. Ich wage es und bringe ohne vorherige Begründung den Antrag ein, es soll gelten: Satz 4: „Es ist statthaft, sich bei der Errichtung von Bauten der Backsteine, der Bruchsteine, des Holzes und ähnlicher Baustoffe und der ihnen entsprechenden Baukonstruktionen und Bauformen ebenso wie des Stahls und des Betons zu bedienen." Meine Aussichten, diesen Satz durchzubringen, dürften höchstens halb zu halb stehen. Die Verwendung von Bruchsteinen an Kaminen gilt zwar ganz allgemein in Verbindung mit Tigerfellen als statthaft, wenn man sich der altertümlichen Regeln des Steinverbandes enthält, aber ich weiß auch, wie sehr Mies van der Rohe in den frühen zwanziger Jahren unter den modernen Architekten zu leiden hatte, weil er Backstein verwendete als den einzigen wetterfesten Baustoff, den man nicht bekleben muß. Ich meine, wir müßten uns über die Lehren klar werden, die wir bei unserem Schaffen anwenden wollen, denn die augenblickliche Lage ist unsauber. Die alten Lehrmeinungen sind noch da und wirken fort; weil sie niemand fortgeschafft hat, sind sie liegengeblieben, wo sie vor zwanzig Jahren lagen, und man beruft sich auf sie. Es wäre ein sauberer, klarer Entschluß, daß sie abgeschafft werden sollen und nicht mehr benützt werden dürfen. Wenn es aber nicht dazu kommt, dann muß man vereinbaren, was in Zukunft darunter zu verstehen sei. Wir schaffen sie ab oder 172

verwenden sie, aber nicht beides durcheinander. Jeder verwendet diese Worte, und jeder stellt sich etwas anderes darunter vor. Es genügt zu behaupten, man sei ein moderner Architekt, ohne hinzuzufügen, was das denn ist, und ich selbst gestehe, es überhaupt nicht zu wissen. Man ist Kämpfer für ein Ding an sich, die „moderne Baukunst". In meiner Ratlosigkeit höre ich goldene Worte des Herausgebers: „Für uns geht es nicht um modernes oder nicht modernes Bauen, sondern nur noch um Bauen und Baukunst ohne einschränkende Zusätze". Ich stelle schnell einen Antrag: Satz 5: „Bezeichnungen wie modernes Bauen, moderner ähnliche sind inhaltslos und als irreführend abzulehnen mehr verwandt werden".

Baukünstler und und dürfen nicht

Wenn sich kein Widerspruch meldet, der an den Herausgeber zu richten wäre, gilt der Satz als angenommen. Jetzt erfahren wir endlich, warum Meunier meinen ehrlichen Versuch, es in Darmstadt zu einer Klärung kommen zu lassen, mit zwei Sätzen abtat, die mir nicht sehr glücklich gewählt zu sein schienen. Ich hatte, was meiner Meinung nach gesagt werden mußte, deutlich gesagt. Nachher gab es großen Beifall; ein Teilnehmer schrieb mir, das sei kein Beifall gewesen, sondern eine Huldigung. Die aber hatte ich wirklich nicht erwartet. Wo blieb da der Widerspruch? Nachher gab es da auch Munkeln in den Winkeln, und ich dachte, also komme morgen die große Holzerei. Aber es kam nichts. Jeder deklamierte sein Sprüchlein, einige Männer erzählten Schwänke aus ihrer Jugendzeit, ein einziger, Rudolf Steinbach, erwiderte etwas sehr Kluges: Das 19. Jahrhundert sei zu kurz gekommen, und damit hatte er erschütternd recht. Aber ich dachte, ein so kluger Mann wie Meunier müßte gemerkt haben, worum es ging und es aufgreifen, meinetwegen in polemischer Form. Also jetzt die Begründung, so wie ich sie verstehe: „Schwarz redet großartig von der abendländischen Uberlieferung, die noch da sei oder auch nicht mehr da sei und zu der man zurückkehren müßte, und merkt gar nicht, daß das alles rein ästhetisch geredet ist. Schließlich hängen auch architektonische Dinge nicht im freien Raum, ein gemeinsamer Boden ist aber nicht mehr da. Wir haben keine Gemeinschaft aus Geist und Wahrheit, keine abendländische Gesellschaft mehr. Der Materialismus, gegen den Schwarz so wettert, fleddert an älteren Leichen, und man kann noch so sehr zetern, wir sind eben darin. Was soll 173

all das Geschwafel über Tradition? Welche ist eigentlich gemeint? Warten wir doch lieber, bis wieder ein gemeinsamer Boden da ist, der Geist nimmt sich Zeit, ihn zu schaffen, aber in einer neuen Lehre von Menschen ist er schon an der Arbeit, und gerade hierüber können wir bei Schwarz beste Auskunft bekommen." Meunier hätte auch auf eine sich bildende neue Kosmologie hinweisen können. Das wäre also der Grund für das Schweigen Meuniers und nicht etwa einige böse Sätze, die ich gegen Architekturcoiffeure und Technizisten gesagt hatte, und ich bringe ihn ausführlich, weil darin Wertvolles liegt. Was ich will, ist allerdings sehr viel einfacher und hält sich wirklich rein im künstlerischen Raum. Ich möchte, die Baumeister sollten zu der Uberlieferung des Werkgespräches zurückkehren, die Ideologien und Phraseologien sollten berichtigt und die Sekten aufgelöst, die Mäuerchen, die da aufgebaut wurden, niedergelegt werden. Abendländische Uberlieferung ist hier architektonische Uberlieferung. Will man Sekten auflösen, so muß man ihre Dogmen zur Diskussion stellen, ihre Geschichte vergegenwärtigen, ihren Glauben, im Besitz einer Heilsbotschaft zu sein, mit deren Verkündung eine neue Zeitrechnung anfängt, erschüttern. Die Antwort der Sekte ist dann das inquisitorische Verfahren. In all das kommt so viel Bitterkeit, weil, so scheint mir, die architektonischen Meinungen die Art verkappter Religionen angenommen haben; darum wirkt der Angriff so im Herzen verletzend. Wir hatten einmal in Frankfurt einen der sonderbarsten Streite, die je ausgetragen worden sind, um die Frage, ob man auf Siedlungshäuser flache oder geneigte Dächer setzen solle, was allenfalls eine Fachfrage ist, aber alle Kennzeichen eines Religionskrieges angenommen hatte. Warum haben die Frankfurter nicht das bißchen Mut aufgebracht zu sagen, das Flachdach gefalle ihnen besser und darum möchten sie es eben machen? Die Verfasser der Erwiderungen im vorigen Heft wetteifern zu versichern, es gäbe keine Sekten und Dogmen mehr und verfallen im nächsten Satz doch wieder auf ihre Glaubenswahrheiten, und jetzt haben sie es gemerkt: „der gehört nicht zu unseren Sekten", was sie vor dreißig Jahren auch schon hätten merken können. U n d dann argwöhnen sie, der will uns also seine eigene Religion einschmuggeln. Nein, gerade das will ich nicht, die Architektur ist eine freie Kunst und keine Religion, viel weniger als diese, aber auch eine saubere Sache, und wer Religionsgespräche will, soll dahin gehen, wo sie legitim geführt werden. Ich möchte auch, daß die Baumeister stolz werden auf das, was sie sind, sich zu ihrem schönen Beruf, seiner Sprache, seinen 174

Fragestellungen bekennen und sich die nötige Bildung verschaffen, sich von den Bevormundern zu emanzipieren. Gerade hierüber wird man endlich einmal sprechen müssen, denn die Berufsausbildung der Architekten ist nicht sehr gut. Was Meunier einwendet, ist wichtig, denn er sagt, eine solche saubere Fachlichkeit gäbe es nicht und ein solches Gespräch von Wort zu Wort und Bau zu Bau sei allenfalls eine konventionelle Unterhaltung, sei es schon vor fünfzig Jahren gewesen. Aber ich glaube, er sucht hier zuviel zu beweisen und beweist mithin gar nichts. Als Menschen sind wir unserer Natur nach sprechende Menschen. Jedes Wort, das wir sagen, jeder Stein, den wir versetzen, ist Mitteilung. Auf dieses Gespräch verzichten, bis das Abendland wieder aufgegangen ist, heißt darauf verzichten, ein Mensch zu sein. Selbst wenn wir schweigen würden, würden die Steine weiterreden und das abendländische Gespräch, das zwischen der Akropolis und Chartres und meinetwegen dem Barcelonapavillon hin- und hergeht, fortsetzen, und unter abendländischer Uberlieferung verstehe ich eben dieses, und ich meine, sie sei doppelt gebrochen worden, einmal durch die befohlene Unkunst der Hitler-Despotie und das andere Mal durch die Unkunst der Manifeste, die schließlich im Kollektiv enden. Das andere allerdings ist auch wahr: Man kann nicht über die einfachsten Dinge sprechen, ohne die höchsten mitzunehmen, nicht das Einfachste bauen, ohne zugleich Gott miteinzubauen. Das hat Meunier sehr tief gesehen. Unser Sprechen und Bauen muß jeweils ein glaubendes sein und auf dem tiefsten Grund ruhen, auf dem unser Leben geführt wird. Und das soll nicht um einer sauberen Fachlichkeit willen verschwiegen und ausgemerzt werden, denn dieses allein gewährleistet eben die Sauberkeit. Wer an Ewiges glaubt, macht keine Religion aus flachen Dächern. Wenn Meunier aber meint, so sprechen könnten wir heute nicht mehr, dann gerät er meines Erachtens ganz ins Literarische. Ich bringe wohl kaum zwei Modeworten mehr Mißtrauen entgegen als dem von dem Untergang des Abendlandes in seinen verschiedenen Spielarten und dem von dem Volk, das zur Masse geworden sei. Es ist einfach literarische Mode geworden und beinahe schon wieder Schriftstellerreligiönchen zu bedauern, was wir alles nicht mehr hätten und könnten und wovon wir mithin dispensiert seien. Vielleicht ginge es auch umgekehrt: zu behaupten, wir seien das gläubigste Zeitalter, das es je gab, und es gebe kaum einen großen Politiker, Künstler, Gelehrten, dessen Gedanken nicht ganz zuinnerst Gedanken des Glaubens seien, und vielleicht nennen sie ihre letzten Gründe verschieden und meinen doch alle die gleichen. So soll jeder, 175

wenn er baut, aus seinem Innigsten bauen, und wenn er spricht, von seinem Glauben her sprechen, und ich denke, man wird sich verstehen. Das ist ein Wagnis, und ich hatte es mitgemeint in meinem Vorschlag, und vielleicht zeigt sich, daß wir eine gemeinsame Sprache haben, trotz allen literarischen Besorgnissen. Meunier sagt, wir hätten keine tragfähige Gesellschaft mehr, und das geht uns wirklich an, denn wir arbeiten nicht ohne Voraussetzung, sondern „dienen", und unsere große Voraussetzung ist das eigene Volk; persönlich fühle ich mich viel mehr dem guten Arzt in meiner Arbeit als Architekt und vorab als Städtebauer verwandt als dem Kunstphilosophen, das war durchaus kein Witz. Diesem Volk geht es erbärmlich, das ist wahr. Wer Arbeit hat in einem gelernten Beruf, quält sich am Existenzminimum entlang. Darunter gibt es eine Schicht, die still, fleißig und ehrlich ist und tief unter dem Existenzminimum vegetiert: Briefträger, Schutzmänner, Straßenbahnschaffner. Wer Flüchtling oder Bauernknecht ist, steht etwas über der Lebenshaltung des bäuerlichen Nutzviehes. Ich las einen stolzen Bericht, über die Rationalisierungserfolge der Landwirtschaft: 800000 Knechte und Mägde sind seit dem Krieg vom Acker fortgelaufen. Darum könnten sich vielleicht die kämpferischen Zeitkritiker kümmern, während wir über Architektur sprechen. Geld haben die Händler und Manager, die bauen sich Luxusvillen, und die Banken, die bauen Paläste. Unser Volk ist sehr arm, aber eines ist es sicher nicht, es ist keine Masse, fühlt sich nicht als Masse und haßt alles, was es zur Masse machen will. Diese Masse besteht vorläufig nur in den Büchern der Schriftsteller und in den Wünschen einiger Architekten. Aber haben wir darum für unsere Kunst keine gesellschaftliche Grundlage? Kardinäle und Könige geben keine großen Aufträge mehr, und den Reichen von heute will nicht jeder dienen. Aber einen Auftraggeber haben wir dennoch: das eigene Volk. Das ist unser Thema, und wir finden in ihm die schlichtesten und die höchsten Fragen der Menschheit. Gewöhnen wir uns an den Gedanken, daß wir Bauwalter des Volkes sind und daß das etwas sehr Hohes ist. Widersetzen wir uns allem, was dieses Volk ins Kollektiv bringen will - das Kollektiv hat so hübsche kunstgewerbliche Motive - und helfen wir ihm, daß es endlich die wenigen einfachen Dinge bekommt, die es zu seiner Menschlichkeit braucht, einen kleinen Besitz, auf den es ein bißchen stolz sein kann und der ihm ein bißchen Sicherheit gibt vor seiner sozialen Bedrohung, die es beständig vors Nichts stellt, daß es aus seiner Versicherungspsychose herauskommt. Widersetzen wir uns der Bauerei von Elendsgehäusen, die unsere Heimat verschandeln, w o 176

man nur hinsieht, 750 Millionen Mark enthält der Bundeshaushalt für Hausbau, 13 Milliarden für Waffen. Gehören wir doch zu den wenigen, die es wirklich gut mit dem Volke meinen, und warten wir nicht auf eine neue Gesellschaft, die später einmal kommt und uns dann Aufträge gibt, sondern erzwingen wir uns unseren wirklichen Auftrag, das Volk, seine Kinder - die geborenen und die vielen, die heute nicht geboren werden - , und vergessen wir die kunstgewerblichen Mätzchen, kehren wir zur Wirklichkeit zurück! Es muß gehen, die andere Bedrohung, die kollektivistische, die viel abgefeimtere, niederzuzwingen, denn dafür sind wir Künstler. Spielen wir nicht mit den verführerischen Reizen des Kollektivs. Die Ordnung der Menschheit beruht auf der Ordnung der Familien, wer sich daran vergreift, ist ihr Feind, und man bricht mit ihm das Gespräch ab. Ich kann es nicht ändern, es bleibt so. Die Despotie ist ihren schmutzigen Tod gestorben, der von vornherein abzusehen war, denn sie war dumm. Die kollektivistische Gefährdung ist geblieben, und sie ist abgefeimt und mitten unter uns. Es hat keinen Zweck, erzählen zu wollen, es habe keine Lehren gegeben, die das blühende Leben auf Zwecke vermindern wollten, um es danach berechnen zu können, die sein still-blühendes Dasein zu Funktionen verunstalten wollten, um es in Maschinen funktionieren zu lassen. Ich habe vor der technizistischen Lehre gewarnt, als sie noch kaum jemand kannte, denn ich wußte, sie führte Stufe um Stufe hinab in den kollektivistischen Sumpf, und am Ende mußte der Termitenhaufen stehen - und er stand dort, das letzte der Manifeste. Es geht, das sage ich nochmals, nicht um das Bauhaus. Es geht auch nicht um Menschen, die sich irren, es geht um die Entlarvung von Lehren, die schlecht sind, um den Hinweis auf Gefahren, die noch nicht bestanden sind. Ich will auch nicht viel davon sprechen, wie es damals war, als wir noch durch Deutschland in lang ausgezogener, viel zu dünn besetzter Front standen und für unser Volk kämpften, wie wir es uns dachten, ohne Muffigkeit in einer klaren und hellen Ordnung, und wogegen wir standen: Das war das Dumpfe und Klobige, das ja auch in unserem Volke darin ist, - und merkten, daß sich im Rücken der kämpfenden Front die Mächte des Kollektivs als ein zweiter, weitaus bedrohlicherer Feind formierten, daß die Künstler, die sich so lange am Abstrakten vergnügt hatten, Schritt um Schritt zurückgingen, eine Stellung nach der anderen räumten und zum Teil diesen anderen Mächten verfielen. Es gibt ja auch freundlichere Erinnerungen an andere, die ihren geraden Baumeisterweg unbeirrbar durch die Moden verfolgten und wußten, daß ein Künstler kein Ingenieur ist und auch keine sonder177

bare Figur mit dicken Bleistiften und langen Haaren, sondern für etwas einsteht, um dessentwillen man bisweilen beschimpft werden kann, was weiter nicht schlimm ist, und bisweilen auch sterben muß, was dann auch weiter nicht schlimm ist.

Aus Baukunst

178

und Werkform,

VI. Jahrgang 1953, H e f t 4, April, Seite 191 ff.

Nochmals Briefe der Kontrahenten

Rudolf Schwarz an Alfons Leitl

Frankfurt, 4. (14.) Mai 1953

Lieber Herr Leitl, hier ist wieder allerhand Papier eingetroffen, und ich gebe Ihnen eine Kostprobe davon. Ich stimme Martin Wagner zu, daß die Sache im Interesse unseres Berufes und seiner wirklichen Anliegen zu Ende ausgestanden werden muß, und ich hoffe, daß unsere, d.h. Ihre und meine Vorstellungen von diesem richtigen Ende sich ungefähr entsprechen. Deswegen stimme ich auch nicht Martin Wagner zu, daß wir den Kriegsschauplatz verlegen sollen, denn ich denke, daß Ihre Zeitschrift ein ausgezeichnetes Gelände abgibt, vorausgesetzt, daß Sie in Zukunft die zweite, dritte und vierte Garnitur nicht zu Wortführern im Streit machen, sondern die Leute reden lassen, die den nötigen Uberblick über die Fragen haben. Soviel ich sehe, stößt die Diskussion allmählich in zwei Richtungen vor, nämlich einmal in Richtung der wiederherzustellenden Geistesfreiheit und künstlerischen Freiheit und zum anderen in Richtung auf ein wirkliches Ernstnehmen sozialer, technischer und städtebaulicher Schicksalsfragen. Beide Dinge dürften unsere deutsche Zukunft bestimmen, und der Weg der richtigen Entwicklung dürfte über die Leichen sämtlicher Sekten und anwendenden Gebrauchsgraphiker und Coiffeure gehen. Mit herzlichen Grüßen Ihr Rudolf Schwarz

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Rudolf Schwarz an Alfons Leitl

Frankfurt, 15. Mai 1953

Lieber Herr Leitl, haben Sie Dank für Ihren Brief. Ich habe nichts dagegen, daß Sie die Ergänzung etwas geändert haben. Meines Erachtens wäre es nötig, daß wir uns nach der Pfingstwoche wieder irgendwo treffen, um zu überlegen, wie das Gespräch weiterzubringen ist, daß es sich allmählich zu ersten Ergebnissen verdichtet. Persönlich stelle ich mir die Sache so vor, daß man einige Männer, die wirklich etwas zu sagen haben, um ihre Meinung zu den fünf Thesen bittet. Infrage kämen meines Erachtens Baur, Häring, Bartning, Wagner und Gropius, falls dieser keine rückwärtsgerichtete Apologetik bringt. Bartning schrieb mir vorige Woche in Antwort auf meine Glückwünsche, er habe das Gefühl, daß wir beide von verschiedenen Seiten aus das gleiche wollten und werde sich wahrscheinlich auch schriftlich äußern, habe aber Angst vor der Druckerschwärze. Mit Wagner ist die Sache deswegen schwierig, weil er im Grunde ein anderes Anliegen hat, das aber meines Erachtens sehr echt ist und ins Gespräch gebracht werden muß. Aus seinen Schriftsätzen klingt dieses Anliegen nicht ganz deutlich heraus, am klarsten wohl aus seinem Manifest an junge Architekten. Da ich jahrelang mit Wagner gearbeitet habe, weiß ich ziemlich genau, was er will, aber ich kann nicht beurteilen, ob das andere auch so genau wissen. Er vertritt die These, die Funktionalisten und ihre Umgebung hätten mit echten technischen und wirtschaftlichen Problemen nur kunstgewerbliche Spielereien veranstaltet und täten das im Grunde auch noch. Damit dürfte er im großen ganzen recht haben. Sein Vorwurf richtet sich gegen die ganze Front, ob sie nun kleine Häuser oder ganze Städte plant. Er meint, wenn man die Dinge einmal ohne formale Vorurteile sehe, käme etwas ganz anderes heraus. Sagen Sie mir doch bitte, was ich inzwischen Wagner antworten soll, der sich seinerzeit spontan an mich gewendet hat. Der junge Architekt Rosiny, der bei mir arbeitet und zwischendurch bei Eiermann lernt, erzählte mir, Eiermann habe sich über meinen ersten Aufsatz gewaltig gewundert, er sehe durchaus nicht ein, warum man eigentlich auf Selbstverständlichkeiten so viel Papier verwende, und was ich sagte, wäre doch alles selbstverständlich. Ich fürchte, daß 180

er sich hier einer frommen Täuschung hingibt, aber es wäre vielleicht gut, wenn er auch etwas von sich gäbe. Mit herzlichen Grüßen Ihr Rudolf Schwarz

Alfons Leitl an Rudolf Schwarz

Trier, 18. Mai 1953

Lieber Herr Dr. Schwarz, Ihr Brief vom 4. Mai ist erst am 15. hier eingetroffen. Vielleicht ist das Datum auch nur ein Druckfehler, und Sie wollten schreiben 14. Besten Dank dafür. Mit Bartning stehe ich seit einigen Wochen im Briefwechsel wegen eines Beitrags zu unserer Diskussion. Er hatte zunächst heftige Bedenken, sich an der Debatte zu beteiligen, weil er verärgert war über Ihren Angriff auf Gropius, und schrieb mir deswegen sehr besorgt. Ich habe ihn jedoch gebeten, seinen Arger der Sache wegen zu überwinden und sich zu Worte zu melden, und ich hoffe sehr, daß er es nach dem Aufsatz von Steinbach und Ihrem zweiten Aufsatz tun wird. Von Häring weiß ich, daß er im Gegensatz zu seinem Freund Docker die Handlungen und die Haltung des Herausgebers von „Baukunst und Werkform " in den letzten Monaten für richtig hielt. Ich hatte deshalb auch schon daran gedacht, ihn zu einer Äußerung einzuladen und werde das gleich noch tun. Ebenso will ich an Hermann Baur schreiben. Ich bin sehr froh, daß nach dem vielen Häßlichen in den letzten Wochen und Monaten, das sich über mich wegen Ihres Beitrags ergossen hat, sich nun allmählich auch die positiven Stimmen melden, und ich will in dieser Freude Ihnen nicht die Kostproben meiner Korrespondenz zur Kenntnis geben. Im übrigen halte ich es doch für richtig, in dieses Abenteuer gestürzt zu sein, da es mir bei allem Ärger doch eine Menge von Erkenntnissen gebracht hat. Ich will diese Sache nun auch mit Ihnen zusammen zu Ende durchstehen und habe nur eine herzliche Bitte: Lieber, lieber Dr. Schwarz, sehen Sie ein wenig von den Zensuren ab, mit denen Sie die Leute in Garnituren einteilen, sonst bleiben in der ersten Garnitur beim Bauen nur noch Sie und Herr Riphahn übrig, 181

wie Sie kürzlich auf Befragen erklärt haben, und beim Schreiben allenfalls Sie allein, und das ist natürlich für eine Unterhaltung zu wenig, und ich weiß auch nicht, ob alle anderen uns diese Einteilung glauben würden. Da wir in der Kunst, uns Feinde zu machen, Gefährten sind, habe ich mir aber fest vorgenommen, Ihnen von nun an eisern zu sagen, wann mir Ihre Leistungen in dieser Beziehung stark vorkommen. Ich hoffe, daß Sie dies als einen Ausdruck freundschaftlicher Gesinnung bewerten. Mit herzlichsten Grüßen Ihr Alfons Leitl PS. Ich denke, daß ich für das Juli-Heft die Beiträge zu unserer Diskussion zusammenhabe, wobei ich annehme, daß sich auch nicht einige Nicht-Aufgeforderte melden werden.

Rudolf Schwarz an Alfons Leitl

Frankfurt, 23. Mai 1953

Lieber Herr Leitl, haben Sie vielen Dank für Ihre schnelle Antwort auf meinen Brief, dessen Datum natürlich falsch war. Es freut mich sehr, daß Sie langsam beginnen, an der ganzen Angelegenheit so etwas wie Freude zu empfinden oder wenigstens deren Unumgänglichkeit zu fühlen. Es tut mir natürlich sehr leid, daß Sie dabei einige Kratzer abbekommen haben, aber andererseits wird man Ihnen wahrscheinlich später Dank wissen. Was eigentlich hinter der ganzen Sache steht, wird mir immer klarer. Die Lage der deutschen Architektur ist etwas unhaltbar geworden dadurch, daß man im Jahre 1001 einfach anfing zu restaurieren und Parolen wieder aufnahm, die längst ranzig geworden waren und über die man in Ländern, denen eine kontinuierliche Entwicklung geschenkt worden ist, wie etwa in der Schweiz, längst hinweggekommen ist, weil das Gewicht der Wirklichkeit sich schwerer erwiesen hat als das der Ideologien. So ist Deutschland architektonisch ein rückständiges Land 182

geworden. Weil die alten Ideologien kraftlos geworden sind, geht die wirkliche Entwicklung einfach an ihnen vorbei, und zwar in einer sehr unglücklichen Weise. Wo neue Stadtviertel entstehen, werden sie inzwischen mit wenigen Ausnahmen wieder treu im Stil der deutschen Arbeitsfront gebaut, weil einfach kein überzeugendes Gegenbild da ist. Die Situation von 1953 ist ganz und gar nicht mehr diejenige von 1933, ohne daß die sogenannten modernen Baukünstler geprüft hätten, inwiefern sich inzwischen einiges geändert hat. Was uns fehlt, ist eine große Inventur, und dazu gehört nun einmal, Gott sei es geklagt, daß wir ranzig gewordene Theorien und Lehren abschaffen. Was nun die Klassifikation der Architekten angeht, so ist es tatsächlich für solche Versuche noch etwa hundert Jahre zu früh. Zu Ihrer Beruhigung sei es aber ehrlich gestanden, daß ich in meinem Brief an mich selbst und die mir zustehende Güteklasse wirklich nicht gedacht habe. Ich meinte nur, man sollte die Leute in schwierigen Architekturfragen zu Rate ziehen, die durch ein Lebenswerk bewiesen haben, daß sie etwas zu der Sache sagen dürfen. Sie werden entschuldigen, daß ich auf die Meinung von Baur, Häring und Wagner mehr Wert lege als auf Schoberth und Remszhardt. In Ihrem Brief fehlt noch eine Antwort auf meine Anfrage wegen Wagner. Ich muß ihm doch irgendetwas schreiben, und im übrigen ist sein Anliegen wichtig, und zwar nicht erst jetzt wichtig, sondern seit dreißig Jahren. Er wird in der Regel übergangen und totgeschwiegen, weil seine Meinungen nirgendwo klassifiziert sind. Ich müßte auch wissen, was Sie mit Herrn Bühler zu tun gedenken, dessen Brief meines Erachtens sehr klug war. Auch ihm muß ich antworten. Schließlich erneuere ich meinen Vorschlag, daß wir uns in der Woche nach Pfingsten irgendwo treffen. Mir liegt an diesem Gespräch sehr viel, weil ich meine, wir müßten einen Uberblick bekommen, wie wir die große Bestandsaufnahme über die echten und unzeitgemäßen Probleme beginnen. Wir könnten uns im Rheinland oder auch hier in der Gegend treffen von Pfingstdienstag bis Montag nach Dreifaltigkeit - erschrecken Sie bitte nicht zu sehr - ich bin in französischen Kathedralen zu finden. Ihnen und den Ihren wünsche ich ein recht gnadenreiches Pfingstfest. Ihr Rudolf Schwarz 183

Rudolf Schwarz an Alfons

Leitl

Frankfurt, 4. Juli 1953

Lieber Herr Leitl, vor einigen Tagen erhielt ich das große Manifest von Lloyd Wright gegen die Funktionalisten. Leider ist der Text derart extrem amerikanisch, daß ich ihn auf Strecken hin nicht richtig lesen kann. Ich habe herauszubekommen versucht, welches Anliegen eigentlich dahintersteckt und gefunden, daß es weitgehend das gleiche ist, das auch ich ins Feld geführt habe. Außerdem scheint mir dahinterzustecken, daß Wright sich von der allzu tüchtigen Reklame dieser Leute abgestoßen fühlt, die sie auch bei uns seinerzeit zu einer Art von Brechmittel gemacht hat. Es tut mir aber bitter leid, daß er Mies mit den anderen in den gleichen Topf wirft, was dieser wirklich nicht verdient hat. Gerade die letzten beiden Tage, die ich mit ihm zusammen war, haben mir wieder bestätigt, daß er überhaupt kein moderner Architekt, sondern Klassizist mit anderen Mitteln ist. Außerdem ist er ein echter Künstler, der in souveräner Freiheit aus der unendlichen Fülle des Möglichen sich seine Stoffe und seine Formen heraussucht, weil sie ihm eben so passen. Beispielsweise erklärte er mir, den Eisenbeton abzulehnen, weil er lieber mit Backsteinen und Eisen baut. Bei seinem Besuch hat er keinerlei Interesse für die moderne Architektur Europas gezeigt, sich dafür aber wieder einmal genau die Börse von Berlage angesehen, und zwar gleich dreimal hintereinander. Meine Meinung ist nun, daß wir den Aufsatz Wright nicht unter den Tisch fallen lassen dürfen, weil seine Argumente und sein Verfasser zu wichtig sind. Das heißt nicht, daß man sich gleich dahinterstellen muß. Das Richtigste wäre wahrscheinlich, ihn abzudrucken und zur Diskussion zu stellen und außerdem Mies endlich zu bewegen, sich zu distanzieren und den eigenen Standpunkt zu präzisieren. Für die Öffentlichkeit gibt es nichts, wenn er sich in seiner Düsseldorfer Ansprache beklagte: „Diese Leute sehen nicht, daß zwischen uns, die sie in einen Topf tun, Welten liegen." Mit herzlichen Grüßen Ihr Rudolf Schwarz

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Alfons Leitl an Walter Gropius

Frankfurt, 9. Mai 1953

Sehr geehrter Herr Professor Gropius, für Ihren Brief vom 29.4. danke ich Ihnen sehr herzlich. Er hat mich durch das Verständnis, das Sie unserer Arbeit und der Situation, aus der heraus wir trotz schwerer Bedenken der Debatte Raum gegeben haben, sehr erfreut. Ich sende Ihnen nun separat das erste Exemplar des neuen Heftes von BAUKUNST U N D WERKFORM zu. Sie finden in ihm einen Aufsatz von Prof. Rudolf Steinbach sowie eine Erwiderung von Prof. Schwarz auf die Zurechtweisungen. Zwar bleibt Schwarz, wie Sie sehen, bei einigen seiner gegen das Bauhaus gerichteten Thesen, aber er trägt sie nun etwas weniger summarisch und, wie mir scheinen will, in einer Form vor, die eine sachliche Antwort möglich macht. Nachdem ich an Sie geschrieben hatte, erhielt ich die Fahnenabzüge des Schwarzschen Aufsatzes von der Druckerei. Es schien mir dann doch richtig, den Teil Ihrer Erwiderung dem Aufsatz von Schwarz voranzusetzen, der die sehr summarische Betrachtung des Bauhauses berichtigt. Ich habe dabei Ihre Zustimmung vorausgesetzt und hoffe, daß Sie mir diese noch nachträglich erteilen. Ich würde im anderen Falle auch noch die nicht zitierten Absätze Ihres ersten Briefes nachtragen, obwohl ich glaube, Ihrem Brief entnehmen zu dürfen, daß auch Ihnen eine auf die Sache bezogene Entgegnung das Wichtigste ist. Deshalb möchte ich Sie sehr bitten, mir doch möglichst umgehend all das Material zuzusenden, was Ihnen als klärender Beitrag richtig und wichtig erscheint. Mit den besten Grüßen bin ich Ihr sehr ergebener Alfons Leitl

Walter Gropius an Alfons Leitl

(Cambridge), 11. Mai 1953

Dear Mr. Leitl: In my letter of April twenty-ninth, I promised you to dig into my files and to send you some early statements of mine which hit into the 185

theme recently debated in your paper. I have found a manuscript of a statement which I have made on February third, 1922, when some friction about the aims of the Bauhaus had arisen. I send you this as an example of the objectivity and earnestness with which problems of this sort have been handled by me in the Bauhaus. I send you the whole statement in which I have marked with red what I think might be the most suitable. Further, I give you enclosed copy of one page, number 62, of my book „The New Architecture and the Bauhaus", which was organised in England, Faber and Faber, 1935. This quotation is a good example as evidence that I have all along tought the idea of a style; instead I followed a method of approach. There are many more quotations which would fit in, but I thought that this would be sufficient. Yours very sincerely, Walter Gropius

Walter Gropius an Alfons Leitl

Cambridge, 29. Mai 1953

Dear Mr. Leitl: Thank you very much for your letter of May ninth which has crossed with mine of May eleventh. I have also received now the new issue of your paper and have read the articles of Professor Steinbach und Professor Schwarz. Both articles are, to my mind, extremely confusing and verbose. I don't intend to go into the debate. I miss the open-mindedness to different opinions which is the only basis for a good gespraech. If you want to publish the material I sent to you, which gives an insight into my thinking and working during the Bauhaus time, please feel free to do so. This may be enough from my side. I am, with very best regards, Sincerely yours, Walter Gropius

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Walter Cropius an Alfons Leitl

Cambridge, 27. Oktober 1953

Dear Mr. Leitl: On May eleventh, I sent you with my letter several enclosures of texts as a tentative contribution for the arguments going on in your paper regarding the Bauhaus. I wonder whether any of this material has appeared in your paper, or not. Will you please let me know and, in case you did not use the material, send me back my texts. With best regards, sincerely yours, Walter Gropius

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Alfons Leitl

Anmerkung zur Zeit: Mies van der Rohe in Deutschland

Mies vaii der Rohe ist zu einem Besuch nach Deutschland gekommen. Sechzehn Jahre nach seinem Aufbruch von Berlin trafen wir ihn im Festraum der Düsseldorfer Akademie. Professor Schwippert hatte in Eile die Vorstände aller Werkbundgruppen zusammengerufen, dazu die Professoren der Akademie, um den großen Baumeister in seiner Heimat zu begrüßen. Mies saß einfach, mächtig, gelassen da, ohne Pose, wie immer, ein Bild überlegener Ruhe, vergleichbar mit dem Bilde Balthasar Neumanns, der auf ein Kanonenrohr gestützt in großartiger Gelassenheit von der Decke der Würzburger Schloßtreppe herabblickt. Wir erinnern uns der ersten Begegnung mit Mies auf einem Werkbundkongreß. Er stand als Redner auf dem Programm. Seine Rede bestand nur aus wenigen Sätzen, die er wie im Gespräch zur Versammlung sagte. Nach einigen Minuten schon war er fertig. Aber alles Wesentliche war gesagt. Auch an diesem Düsseldorfer Abend sprach Mies, um sich zu bedanken für die soeben ausgesprochene Ernennung zum Ehrenmitglied der Düsseldorfer Akademie und des Werkbundes. Es waren wiederum nicht viele Sätze, zwischen denen mitunter große Pausen lagen, Pausen, die weder dem Sprechenden noch dem Zuhörer Beklemmung bereiteten. Der geübte Sprecher füllt die Intervalle zwischen zwei Gedanken mit Redensarten. Mies sagt nur die eigentlichen Sätze. Seine Rede ist ein vollkommenes Abbild seiner Bauten. Er prüft ersichtlich, ob der nächste Satz lohnt, ausgesprochen zu werden. Der „Redner" schwimmt und verbreitet Unbehagen. Mies steht und verbreitet Vertrauen und Sammlung. - Nachher entwickeln sich allerlei Gespräche. Rudolf Schwarz wird soeben zum hundertzwanzigsten Mal angegriffen und versucht, ein wenig gereizt, sich zum hunderteinundzwanzigsten Male verständlich zu machen. Mies hat schon eine ganze Weile zugehört, sehr ruhig und fern der Sprungbereitschaft aller übrigen. (Einer hat bereits erregt den Tisch verlassen.) Schließlich fragt er: „Schwarz, was wollen Sie eigentlich?" 188

Schwarz: „Wir sollen wieder begreifen, daß Baukunst nicht Funktion ist, daß sie im Geheimnis wurzelt, nicht in der Rechnung. Das ist doch auch immer Ihre Meinung gewesen?" Darauf Mies: „Sicher, das habe ich immer vertreten. Nur: meinen Sie nicht, daß auch die Kathedralen Logik, Konstruktion, ,Rechnung' sind Schwarz: „Jawohl, aber in einem höheren, metaphysischen Sinne." Ein anderer: „Herr Mies, Sie haben vielleicht die Thesen gelesen, die Herr Schwarz neulich zur Diskussion gestellt hat. Es wäre doch sehr schön, wenn Sie dazu Stellung nähmen. Sie brauchen gar nicht viel zu sagen, nur ja, nein. Zum Beispiel These I von Schwarz ,Die Architektur ist eine freie Kunst' jawohl oder teils teils ... Zu These II ,Es genügt nicht, daß die Funktion richtig erfaßt wird, damit ein Bau gelingt?'" Mies van der Rohe: „Setzen Sie hinzu: Die Funktion ist eine Kunst! und Die Konstruktion ist eine Kunst! Vom Einfall kann Baukunst nicht leben. Einfälle sind keine Ideen. Würden Sie für einen Einfall sterben? Das kann man nur für Ideen." Nach einer ganzen Weile: „Schwarz, Sie haben eine wunderbare Fähigkeit, die Dinge klarzumachen. Ich habe all Ihre Bücher und Schriften gelesen. Fragen Sie meine Studenten, denen habe ich immer wieder davon gesprochen. Es ist einzigartig. Aber etwas: ich meine, man sollte immer nur für etwas kämpfen, nie gegen etwas." Dr. Rühl seitlich einfallend: „Ich finde auch, daß es gefährlich ist und verwirrend, Gegensätze so überspitzt herauszustellen, wie Herr Schwarz es tut; mit Recht äußern ernsthafte Leute ihre Sorge vor dieser Methode." Leitl: „Ich finde ja auch nicht alles schön, was Dr. Schwarz sagt, aber diese ewige Sorge um die Verwirrung der Jugend! Ich halte das für reichlich übertrieben. Erstens sind wir keine Sekte, deren Lehren durch Äußerung von Zweifeln in Gefahr geraten. Sondern wir haben etwas sehr Lebendiges zu vertreten. Dabei müssen wir vor uns selbst und vor anderen glaubwürdig bleiben. Das sind wir nicht, wenn wir die fragwürdige Linientreue eines eingetrockneten Avantgardismus von 1925 vertreten, statt zuzugeben, daß wir in der Zwischenzeit manches in weiteren Zusammenhängen zu sehen gelernt haben. Das ist noch kein Verrat an der ehrlich geleisteten Arbeit von 1925. Und was die Jugend angeht - ich weiß nicht recht. Professor Mies van der Rohe hat vorhin erzählt, es sei schwer, in 189

Amerika den Studenten deutlich zu machen, was eine Kathedrale ist. So könnte es uns passieren, daß unsere Probleme auch nicht mehr allen Jüngeren verständlich zu machen sind. Möglicherweise interessieren sich Studenten von heute in keiner Weise mehr für unsere Kopfschmerzen. Sie sind an unseren Auseinandersetzungen nicht mehr beteiligt und finden uns entsetzlich problemschwer. Neulich schrieben mir unabhängig voneinander zwei Berliner Studenten. Sie priesen die Unbefangenheit der Italiener und erklärten sich gegen jede Hemmung frischfröhlichen Bauens durch zuviel Nachdenken und die ewige Selbstkontrolle, ob man dieses oder jenes darf. Vielleicht haben diese Unbefangenen recht und dürfen es leicht haben. Aber doch wohl nur, weil Sie, Herr Mies, und Ihre Generation und Sie, Herr Schwarz, es sich schwergemacht haben, neue Grundlagen und neue Wege zu finden. So verteilen sich offensichtlich die Aufgaben. Wir müssen unsere Probleme zu Ende bringen nach dem Auftrag einer Generation, der das Tun nicht ohne die Vorarbeit und Kontrolle des klärenden Gedankens zugefallen ist. Deshalb verstehe ich Dr. Schwarz, der soeben etwas zu Ende bringen will. Und so werden wir auch unsere Diskussionen weiter führen." Mies van der Rohe aber bewundern wir, weil er wohl als der größte Baukünstler seiner Generation nach fünf Jahrzehnten Arbeit in strengster Selbstkritik noch heute dieses Gesetz vertritt. Logik und Intuition, Glaube und Ratio geben seinen Werken ihre Klarheit und Gültigkeit. Und der persönliche Stempel, den der Baumeister ihnen aufprägt, ist zugleich das Siegel einer objektiven Gesetzmäßigkeit. „Ich glaube zutiefst an eine strukturelle Architektur, alles andere führt in die Irre!" Mies van der Rohe hat vor einigen Monaten auf Einladung der Stadt Mannheim ein Wettbewerbsprojekt für ein neues Theater ausgearbeitet. Die Stadt Mannheim könnte Deutschland keinen größeren Dienst tun, als dieses Projekt zu bauen. Selbst wenn der große gläserne Kubus, der (wie das Haus Farnsworth) wirkt, als wäre es aus dem Reiche durchsichtiger Klarheit auf die Erde niedergelassen, nicht allen verständlich wäre. Selbst wenn, wie wir ahnen, die tiefgründigsten Bedenken über die Betreuung dieses wundervollen Glasgehäuses bei den Realpolitikern der Bauunterhaltung erwogen werden sollten - welches große Werk der Baukunst bedarf nicht einer Kraftanstrengung, ehe es wird, und einer Kraftanstrengung, daß es bleibt und lebt. Und was noch zu sagen wäre: Es ist vielleicht eine ungeheure Zumutung zu erwarten, ein Architekt möge auf ein großes Projekt verzichten. Aber die Teilnehmer des Mannheimer Wettbewerbes könnten allesamt nichts 190

Besseres tun, als ihre etwa vorhandenen Chancen zusammenzulegen und der Stadt Mannheim gemeinsam zur Verfügung zu stellen, um ihr die Entscheidung für ein bedeutendes Werk zu erleichtern. Dies wäre ein wirklicher Beweis von Linientreue, die Huldigung für einen Meister! LI.

Aus Baukunst

und Werkform,

VI. Jahrgang 1953, Heft 6, Juni, Seite 275ff.

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Martin Wagner

Bauhaus-Olympia?

l. „Weise fallen in Unwissenheit - wenn sie mit Unwissenden streiten!" Mit diesen Worten flüchtete Walter Gropius unter die Flügel des Kroniden von Weimar, als er ein Gespräch mit dem Weisen von Frankfurt, Rudolf Schwarz, beendet zu haben glaubte! Wenn der Verfasser sich nun in das Gespräch zweier Meistersinger einmischt, dann sicher nicht, um dem Walter von der „Flachdach-Spiegelglas-Weis'" Beckmesser-Dienste zu leisten, sondern ausschliesslich deshalb, um der deutschen Baukunst einen Ausweg aus ihrem derzeitigen Dilemma zu weisen. Uns interessiert es doch heute gar nicht mehr, welche Fehler und welche Treffer das Bauhaus in den 20er Jahren in Weimar oder in Dessau registrierte. Uns interessiert nur, ob die Bauhaus-Jünger von heute das neue Bauen nach einem gut 25jährigen Frostschaden wieder in das warme Klima einer deutschen Renaissance zurückzuführen vermögen. Obgleich Gropius es bestreiten wird, daß die Bühnentechnik von jeher seiner Muse liebstes Kind war, so sollte er sich doch nicht so weit in sie verlieben, daß er dem Bauhaus in der Entwicklung der deutschen, oder gar der internationalen, Baukunst eine andere als sehr bescheidene Nebenrolle zuweist! Die süd-, west-, nord-, und ost-deutschen Baumeister (von der Berliner Sonderklasse ganz zu schweigen!) hätten doch hell aufgelacht, wenn Gropius ihnen gesagt hätte, dass sie den Ruhm ihrer Erdentage ausschließlich „seinem" Bauhaus zu verdanken hätten! Und überfliegt man sein Bauhaus-Bilderbuch vom Jahre 1938, dann findet man darin zwar kraftvolles Wollen und Wünschen, aber doch nicht eine einzige Idee, die nicht in vielen Variationen auch von hundert anderen Deutschen gedacht, gewollt und gewünscht worden war. Wirklich, nur „Unwissende könnten es dem Bühnenmeister von Cambridge einreden, daß er der Atlas war, der die alte Bauwelt und ihre alte Baukunst eigenhändig aus den Angeln hob! 192

2.

Wollte Gropius seinen Meistersänger Rudolf Schwarz absichtlich nicht verstehen? Fragte sich doch Schwarz nur: „Was trieb die deutsche Baukunst in die Sackgassen ihrer Verflachung, Verkrampfung, Vermodung und Verkennung der grossen Probleme ihrer Zeit?" Und indem er solche Fragen aufwarf, bekundete er nicht nur höchstes Verantwortungsgefühl, ja reinstes A/ezsiergefühl für die Probleme seines Berufes, sondern wollte solche Probleme auch im Kreise der Meister des Bauens beraten wissen, bevor die Beckmesser der öffentlichen Meinung die Schande der Baukunst in ihrer „Schreibpapier-Schwarz-Tinten-Weis'" bloß-steilen. Jawohl, es ist da etwas faul im Staate unserer Baukunst! Obgleich man es in allen Bauhaus-Büchern lesen konnte, daß das neue Bauen auch neue Horizonte abzustecken habe, und auch leicht in seinem Buch von 1938 - „ist eine kollektive Kunst, deren Gedeihen von der ganzen Gemeinschaft abhängig" sei! Kolbenheyer drückte - lange vor Gropius! - diesen Gedanken in seiner „Philosophie der Bauhütte" so aus: „Die Bewegung unserer Gegenwart ist übervölkisch. Es muß eine «¿ervölkische Ordnung gesucht und gefunden werden!" Aber in seinem Dessauer Bauhaus fand die Baukunst keinen einzigen Soziologen, keinen Ökonomen und keinen Technologen! Auch zwingt sich jedem Kenner des Bauhauses nur ein Lächeln auf, wenn er Gropius' Kredo liest: „Das letzte und wichtigste Stadium der Bauhauserziehung ist der Kursus in Architektur mit praktischer Erfahrung in der Bauforschung." Diesem Satze mußte Gropius (des guten Gewissens wegen!) in einer Fußnote aber sofort hinzufügen, daß die Forschungsabteilung für experimentelle Arbeit aus Mangel an Raum und Mitteln nur teilweise sprich: praktisch überhaupt nicht! - verwirklicht werden konnte. So war es 1919, so war es 1938, und so ist es auch heute noch: das Programm des Bauhauses war durchaus das Programm unserer Zeit! Im Zuge seiner Verwirklichung geriet es aber in die Hände von „Händ-lern", die mit ihm auf der Bühne des Lebens „Ballyhoo" spielen und „Money" machen wollten! Und da der Geist eines Hollywood nirgendswo ernster genommen wird als in Amerika und nirgendswo unbeschwerter und verantwortungsloser handeln kann als in selbst-ernannten „Internationalen", so drangen Teile neudeutscher Baugesinnung auch in das Programm der „CIAM-Isten", deren Kartenhäuser noch umfälliger und deren Papiergirlanden noch lorbeer-armer waren als diejenigen des Bauhauses von Dessau und Cambridge. Vergebens wird man in dieser „Bewegung" von 193

Propagandisten den Geist der schöpferischen Taten suchen, der das deutsche Bauen der 20er Jahre beherrschte und der so eng verbunden war mit den sozialen, ökonomischen und technologischen Problemen seiner Zeit. Oder war es keine Leistung der deutschen Baumeister, wenn sie einem „bürgerlichen" Reichstag 25 Millionen DM für Wohnungsbauforschungen abrangen? Oder wenn sie das schier „Unmögliche" möglich machten und in Berlin, Hamburg, Breslau, Frankfurt usw. Großsiedlungen von Stadtschaftsgrößen schufen? Oder wenn sie Bauhütten- und BauherrenOrganisationen auf die Beine stellten, die doch die elementare Voraussetzung für jedes neue Bauen sind? Oder wenn sie mit der Tat eines I.G.Farben-Hauses die Lösung eines ganz neuen städtischen Raumproblems verwirklichten? Sind derartige Leistungen der 20er Jahre bei den Bauhäuslern von heute auch nur in ihrem statu nascendi sichtbar? 3. Der Verfasser hat volles Verständnis für die drei historischen Schicksalsschläge der Deutschen, nämlich: für die Hitler-Diktatur, für die Weltkriegs-Diktatur und für die Hunger-Diktatur, die sich wie giftige Fünfjahresschwaden über das deutsche Schaffen legten. Aber sind unsere nationalen und internationalen Bauprobleme noch nicht gigantisch genug geworden, um jene Lähmungen im Schaffen mit der Leidenschaft und dem Auftrieb eines Schöpfers abzuschütteln? Sehen wir uns doch nur einmal ganz flüchtig das nationale und internationale Wohnungsproblem an, und fragen wir uns dann, was die Bauhäusler zu seiner Lösung vorzuschlagen haben! Und da wir hier das Wohnungsproblem nur in seiner wirklich gigantischen Grösse ins Auge fassen wollen, so fragen wir hiermit die Bauhäusler:* Wie wollt Ihr bei einem heutigen Einkommen von höchstens 6000 DM je Familie die 16000 DM für die neue Wohnung und die 24000 DM für ihre additionalen Stadtbauten, wie: Arbeitsplatz, Kaufplatz, Schulplatz, Kirchplatz usw. verzinsen und bewirtschaften? Steigt Ihr dem Problem aber noch näher auf den Leib, dann findet Ihr, daß die heutigen Familieneinkommen ja nicht nur Gegenwarts-, sondern auch Vergangenheitsund Zukunfts-Verpflichtungen zu finanzieren haben! Zwingen die Kriegsschäden und die zurückgestellten Erneuerungen und Reparaturen auf der negativen Seite der Gegenwart und die technologischen Verbesserungen, der Bevölkerungszuwachs sowie die zivilisatorischen Bereiche194

rungen auf der positiven Seite der Gegenwart dem West-Deutschen heute nicht mehr als die doppelte Friedensbauleistung auf, d.h. also: eine Bauleistung von gut 80000 DM je Familie? Und diese 80000 DM, die normalerweise mit 10000 DM zu verzinsen und zu bewirtschaften wären, die soll Eure Familie mit ihrem Einkommen von 6 000 DM bezahlen? Lachen Euch da die Lerchen nicht in den blauen Himmel hinein? Schon gut, verteidigt Euch mit dem Hinweis, daß die obige Rechnung ja den Faktor „Zeit" ganz außer Ansatz ließ! „Zeit" - so sagt Ihr! - bezahle doch jede Verbesserung im Städtebau mit den relativ verbilligten Kosten der Masse ausgelebter Raumkleider! Aber wird Euch das Volk überhaupt noch anhören, und wird es Euch den Baumeistertitel noch zuerkennen wollen, wenn Ihr ihm sagt, daß alle Neubauten von heute mit einem verlängerten Bauleben ihrer Slums bezahlt werden müssen oder daß der 8-Stunden-Tag von heute immer noch von den verlebten Investitionen des 14-Stunden-Tages vor 100 Jahren zu finanzieren sei, und daß wir die Errungenschaft der heutigen 40 qm städtebaulicher Kopf-Nutz-Flächen auf die 20 qm von 1850 zurück zu revidieren hätten? Und was anderes habt Ihr Bauhäusler zu diesen sozialen, ökonomischen und politischen Problemen allerersten Ranges beizusteuern? Was anderes als die bloßen Lippendienste eines Chores von Zuschauern, die sich für die Großtaten ihrer Zeit nicht hinreichend genug „bezahlt" fühlen? 4. Und was hätten uns nun die „CIAM-Isten" auf ihrem, dem internationalen, Boden des Bauens in bezug auf das Wohnungsproblem zu bieten? Man muss schon die Frivolität in Person sein, wenn man das internationale Bauproblem nur als ein Problem der Oberflächen-Ästhetik ansehen will! Gewiss, auf internationalem Boden spielen sich nun schon seit mehr als 30 Jahren historische Geschehen ab, die alles andere als ästhetisch sind! Immer noch kämpfen die Massen Asiens gegen die Maschinen Europas! Was in England zwischen 1810 und 1820 unter der Führung der „Luddites" an Maschinenstürmen im kleinsten Kleinen zu sehen war, das ist heute Weltorkan geworden! Teilen wir den Erdball in Produktionszonen auf und gliedern wir seine Bevölkerung in „Reiche", „Genügsame", „Russen" und „Arme", dann erhalten wir nach der Statistik der Vereinigten Nationen von 1950 (Serie E, No 1) für das Jahr 1949 das folgende Bild: 195

Bevölkerungszahl

Kopf-Einkommen

Vermögensgrad

230 115 200 1200

$ 1200 $ 600 $ 310 $ 40

30 15 8 1

Millionen Millionen Millionen Millionen

„Reiche" „Genügsame"« „Russen" „Arme"

Man werfe auf dieses Zahlenbild noch einen zweiten Blick und stelle sich dann vor, daß in dem „reichen" Amerika heute noch einige 50 Millionen Menschen zum Ableben in Slums verurteilt sind, daß die 115 Millionen „Genügsamen" ihr Wohnungsproblem nicht zu meistern wissen und daß die CIAM-Isten nun vor der gigantischen Aufgabe stehen, ihren Spiegelglas-Funktions-Kubismus dem Einkommen von 40 Dollar der 1200 Millionen (1200 Millionen!) „Armen" des fernen Ostens anzupassen! Solchen Problemen gegenüber fallen selbst „Weise" in Unwissenheit, und kein Goethe wird sie mit einem Bonmot davor bewahren können, die Sackgasse, in die sie sich mit der Epidermis-Ästhetik hineingesteuert haben, mit einer Wendung des Geistes von 180 Grad zu verlassen und reuig zurückzukehren zu dem Konzept ihres Startes: dem Banhaus-Programml

Cambridge, am 27. April 1953

* Den Vorschlag des „Bauhaus-Gropius", in Cambridge Wohnbauten für 17000 Dollar auf den Markt zu werfen, während die Brüder Levitt, die Bau-Händler Amerikas, ihren Normaltyp für 9000 Dollar in Massen erzeugen, wollen wir hier erst gar nicht erörtern!

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„... einem tüchtigen Mann". Weitere Briefe

Walter Gropius an (?). Klein

Cambridge, 21. Juni 1953

Sehr geehrter Herr Klein, Ihr Brief hat mich herzlich gefreut, vielleicht ganz besonders deshalb, weil er spontan ist und sozusagen als die verantwortliche Stimme Ihrer Generation. Ich habe gerade einen Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erhalten, betitelt „Indirekte Festschrift für Gropius". Der Verfasser findet, daß die zahlreichen Stimmen gegen den Angriff von Rudolf Schwarz sich ungewollt zur Ovation für mich angesammelt haben. Diese Ausdeutung hat mir natürlich Spaß gemacht. Ich bin aber vor allem froh zu sehen, daß die Idee des Bauhauses noch frisch ist, sonst könnte sie nicht die Gemüter wieder erhitzt haben. Ich danke Ihnen und bin mit herzlichen Wünschen Ihr Walter Gropius

Gottfried

Böhm an Walter Gropius

(Köln), 3. Juli 1953

Hochverehrter Herr Professor Gropius! In den letzten Monaten werden Sie sicher von vielen bedeutenden Männern aus Deutschland Briefe erhalten haben, die einen Angriff auf Ihr Werk, vor allem auf das Ihres Bauhauses, entschieden zurückweisen wollen und die Ihnen bekunden, sich auf Ihre Seite stellen zu wollen. 197

Als einer Ihrer Verehrer aus der jüngeren Zeit erlaube ich mir, Ihnen einige Zeilen zu schreiben. Sie werden sich vorstellen können, wie lebhaft der Angriff auf Ihr Bauhaus und auf Ihr sonstiges Werk auch von uns jungen Architekten diskutiert wurde, d.h. von Diskutieren kann man eigentlich nicht reden. Alles Sprechen darüber war nämlich immer eine eindeutige Verehrung für Ihr Werk, und wir sind uns dessen sehr bewußt, daß wir alle, selbst der Schreiber jenes Artikels, Nachkömmlinge sind Ihres Werkes und der wenigen aus Ihrer Generation, die damals den Mut besessen haben, die Architektur in neue Gleise zu bringen. Wir tuen uns ja heute sehr viel leichter! Es existiert nicht mehr so sehr der Kampf um etwas Neues, Ungewohntes, sondern nurmehr der jedes Mal neue Kampf der Veredlung dessen, in dem wir leben. Darin gibt es genügend Arbeit für originale Menschen. Aber es gibt immer Leute, die meinen, originell sein zu müssen und Aktualitäten suchen und glauben wollen, Ihr Fundament verleugnen zu können. Noch gerne denke ich an die Stunden zurück, die ich vor etwa 2 Jahren mit Ihnen in Boston verleben durfte. Es war mir s.Zt. noch vergönnt, eine kleine Reise durch dieses große Nordamerika zu machen. In diesem Jahr bekam ich einen Auftrag in Südbrasilien und konnte dadurch auch dieses Land mit seinen vielen Reizen (auch in architektonischer Hinsicht) sehen. Mit herzlichsten Grüßen bin ich in Verehrung Ihr sehr ergebener G. Böhm, Dipl. Ing.

Walter Gropius an Gottfried Böhm

(Cambridge), 22. August 1953

Lieber Herr Böhm, von einer mehrmonatigen Europareise zurückkehrend, fand ich Ihren herzlichen Brief vor, der mich sehr gefreut hat. Der von Schwarz begonnene Kampf gegen das Bauhaus ist wie ein Bumerang auf ihn zurückgeflogen. Ich war überrascht und froh, daß ohne mein eigenes Zutun so viele Freunde gleichen Geistes einsprangen. Übrigens geht 198

eine gleiche Reaktionswelle durch dieses Land, aber in viel schwächerem Rhythmus als vor dreißig Jahren in Deutschland. Mit meinen besten Wünschen für Sie bin ich Ihr ergebener Walter Gropius

Paul Klopfer an Theodor Heuss Entwurf

ohne Ort, 16. Juli 1953

Hochverehrter Herr Bundespräsident! Walter Gropius schickte mir kürzlich einen Ausschnitt aus dem Christian Science Monitor, Boston, vom 11. Juni, der von den Harvard-Graduated berichtete, mit einem Bild, auf dem auch der nun siebzigjährige Bauhaus-Schöpfer als einer der „Honorary Degree Recipients" zu sehen war. Das wäre für ihn also der zweite Dr. h.c., da ihn schon im Jahre 1924 die Techn. Hochschule Hannover zum Dr. Ing. E.h. ernannt hat. Besonders erfreulich war in dem Ausschnitt der Passus zu lesen: „W. Gr... was called teacher and prophet, his precept and example have transformed architectural doctrine to accord with 20th Century life". Es wird Ihnen auch sicher bekannt sein, daß Gropius nach dem Kriege wiederholt in Deutschland (Berlin, Hannover, München - dort zu einem Vortrag in der Theodor-Fischer-Gesellschaft) über Fragen des Wiederaufbaues und des Städtebaues gesprochen hat. Als er mich vor zwei Jahren in Lorch besuchte, war ich über seine Jugendfrische erstaunt wie auch über seine Absicht, mit seinem Freund Marcel Breuer sich „globalen" Bauaufgaben (damals war es der Unesco-Bau in Paris) zu widmen. Als Herr Professor Dr. Rudolf Schwarz im Januarheft von „Baukunst und Werkform" (Frankfurt, Herausgeber ist Alfons Leitl) ihn und sein Bauhaus herabzusetzen suchte, wurde dieser „offene Brief" infolge der zahlreichen Gegenäußerungen zu einem rechten Geburtstagsgruß an Gropius. Daß Herr Schwarz, der geistsprühende Gegner des Bauhauses und seines Schöpfers, ausgerechnet derselbe war, der im Februar 1951 in Ihrer Gegenwart bei der Eröffnung der 199

Poelzig-Ausstellung so schöne Worte für diesen Künstler fand, mag seinen Grund in der von Schwarz damals auch mit Wärme vertretenen Auffassung haben, daß es das Große von Poelzig sei, daß „er sich nicht der Nützlichkeit verschrieben habe", daher ist seine Einstellung zu Gropius wohl zu begreifen. Ich meine demgegenüber, daß nicht allein die Bauten von Gropius, in denen er vermocht hat, die Nützlichkeit mit künstlerischem Sinn zu adeln, ich denke da vor allem an die Werkbund-Bauten 1914, an Faguswerk, Dessauer Bauhaus, an die Meisterhäuser und die Siedlung Törten bei Dessau, sondern (daß) vor allem seine pädagogische und schulorganisatorische Fähigkeit, ihn für Deutschland, ja, für die gesamte zivilisierte Welt bedeutend erscheinen lassen, und daß seine Schüler, die z.T. in beachtlichen Stellungen im Bau- und Kunstgewerbe und an entsprechenden Schulen tätig oder führend sind, ihm und dem von ihm gewählten Weg recht geben. Was Gropius selbst zu Beginn seiner Weimarer Tätigkeit hat durchstehen müssen, ist allerhand gewesen, ich habe seinerzeit im Kunstwart einiges darüber ausgeführt (KW, 1922). Und nun komme ich, hochverehrter Herr Bundespräsident, mit der Frage zu Ihnen, ob solch einem tüchtigen Mann (wenn er jetzt auch USA-Bürger ist, so hat er, wie erwähnt, nach dem Kriege doch sein Interesse für Deutschland bewiesen) nicht auch von Ihnen als dem berufenen Vertreter seines Vaterlandes eine Ehrung zu seinem siebzigsten Geburtstag zuteil werden sollte? Gropius weiß von meinem Schreiben nichts, das ich hier in einer weltfernen Sommerfrische verfasse, ich weiß selbst nicht, welche Wege nötig sind, um eine solche Ehrung faktisch werden zu lassen, es sollte nur eine Frage sein, die zu stellen ich mir in der Überzeugung erlaube, daß Sie sie mir nicht übelnehmen werden. Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr sehr ergebener Klopfer

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Theodor Heuss an Paul Kloper

Bonn, 20. Juni 1953

Sehr geehrter Herr Professor! Freundlichen Dank für Ihren Brief, der mir in den Urlaub nachgesandt wurde. Ich bin hier ganz ohne „Apparat", und Sie sind mit mir nachsichtig, daß Sie nicht mit einer eingehenden Stellungnahme zu der Frage Schwarz-Gropius rechnen können. Zwar kenne ich beide in ihrem Werk, aber die Diskussion, die zwischen ihnen oder um sie geführt wird, ist mir fremd geblieben. Mit Gropius stehe ich selber in einer gelegentlichen brieflichen Auseinandersetzung, habe ihn auch bei einem seiner Deutschland-Besuche ausführlich gesprochen und ihm zu seinem 70. Geburtstag einen eingehenden Glückwunsch gesandt. Auch Mies van der Rohe hat mich neulich aufgesucht, und wir haben alte und neue Dinge besprochen. Bloß, wie Sie sich denken können, sind diese Fragen rein aus Zeitgründen etwas an den Rand meiner Arbeit gerückt. Mit freundlichen Grüßen Ihr Theodor Heuss

201

Rudolf

Pfister

Verwirrung auf der ganzen Linie! Ein Vorschlag zur Güte

„Eure Rede sei Ja für Ja und Nein für Nein. Was darüber ist, ist vom Übel" sagt der Herr. Ist heute nicht fast alles „darüber"? Wir wollten zum Jahresschluß eine kleine Uberschau bringen, die unseren Titel illustrieren sollte, ein Mosaik der Verworrenheit sozusagen, ein Durcheinander gegensätzlicher und einander aufhebender Geistes- und Ungeistesprodukte, Verrückheiten und Verschrobenheiten, zur Illustration der herrschenden babylonischen Sprach- (nicht nur, sondern auch Geistes-) Verwirrung. Wir wollten z.B. ein neues Landhaus eines Schweizer Parfumindustriellen im reinsten Kommerzienrats-Nudelmeier-Stil mit einer RenaissanceHausbar (auch dies gibt es in der fortschrittlichen, aber demokratischen Schweiz!) einem ganz modernen Schulhausbau gegenüberstellen, in dessen Zeichensaal die Tafelwand aus einer unverputzten Backsteinmauer besteht und die Gangwand dunkelgrau gestrichen ist (wahrscheinlich, damit man die lästige Überfülle des Lichtes ertragen kann? - Oder vielleicht mit Rücksicht auf die kindliche Psyche?), und einer „Studierzelle" einer ganz modernen Hochschule in Schweden, in der das Fenster so hoch sitzt, daß man nicht hinaussehen kann (Konzentration! - Freilichterziehung!), die nur 1,5 m Raum hat zwischen (selbstverständlich!) unverputzten Backsteinwänden, so daß man nur nahe dem hoch sitzenden Zellenfenster lesen und schreiben kann. Wir wollten das erste Titelblatt einer neuen „Kunstzeitschrift" zeigen, auf dem sich eine „für das Programm der Zeitschrift typische Gegenüberstellung" der Statue einer ägyptischen Göttin mit einem sehr modernen, in einer Kunstschule „gestalteten" Telefonhörer (ohne Ohrmuschel, weil diese an den traditionellen Hörern so zweckmäßig war) befindet: Telefonhörer als Religion! Wir wollten „Deutschlands modernste Kirche" 202

zeigen, die nur aus Löchern besteht, durch eine Art von Kabel-Betonsteinen gebildet, mit Verkaufsläden im Erdgeschoß - nein, Verzeihung! es sind gar keine Verkaufsläden, sondern ein Gemeindesaal. Unser Irrtum ist verzeihlich, wenn man unter der Abbildung dieser Kirche liest: „Sie hat in ihrer Art keinerlei Vorbilder und ist als Kirche von außen nicht zu deuten" (sie!!). Wir fürchten, auch von innen nicht. Wir wollten erzählen, daß Ernst May (ausgerechnet) in seiner afrikanischen Einsamkeit die Verdienste Schultze-Naumburgs (ausgerechnet) entdeckt hat, und daß Walter Gropius in einem mit vielen wehmütigen Gedanken belasteten Vortrag im „American Institute of Architects" (es war allerdings schon 1952) die Parole „zurück zur Kunst" ausgegeben hat. Wir wollten das Plakat zu einer Ausstellung des verdienstvollen Landesgewerbeamtes Stuttgart zeigen, auf dem ein Abspannungs-Isolator aus Porzellan und der Bohrer einer Bohrmaschine abgebildet sind, während die Ausstellung so vorzügliche Dinge zeigte wie die Arbeiten von Hermann Gretsch und Margret Hildebrand. - Immer noch „Zweckschönheit"? Wir wollten berichten, daß „die Tapete wieder rehabilitiert" sei, indem sie (ausgerechnet im Zeichen der abstrakten Kunst, die gerade und nur auf der Tapete und auf der Wand einen Sinn hat!) wieder „Bilder" bringt, und daß ein findiger Journalist zu Ehren von Mies van der Rohe entdeckt hat, daß dieser „den großen ästhetischen Reiz unverputzter Ziegelsteine" gezeigt hat, während wir selbst finden, daß er in seiner Darstellung eines „Berghauses in Tirol" mit drei fast horizontalen Kohlestrichen doch ein wenig zu wenig gezeigt hat (die Genialität in Ehren!) - . Wir wollten unsere Kollegen Eckstein und andere Avantgardisten darauf aufmerksam machen, daß der berühmteste amerikanische Formgestalter (die Gebildeteren sagen industrial designer, wie sie auch für die Arbeitsgemeinschaft team sagen) seine Riesenerfolge nur dadurch erreichte, daß er darauf verzichtete, „... dem Publikum die ,reine Form' aufzuzwingen. Er hat dem Geschmack der Masse Brücken gebaut - und hat für die neue Form Schritt für Schritt mehr erreicht als alle Fanatiker und Pädagogen vor und nach ihm." Schritt für Schritt wohlgemerkt: - Dieser Unmensch vertritt auch eine „Verhütungstheorie, die ihm alle Fanatiker der Funktion übelnehmen." „Er verhüllt die Technik mit einer Form, deren Funktion Schönheit ist. Indem er gleichsam vom Mechanismus abstrahiert, kommt er zu den 203

Grundformen von Natur und Kunst zurück. Schönheit wird legitim, weil sie die Funktion erhält, zwischen Mensch und Technik zu vermitteln, Angst und Verwirrung auszuschalten(Man denke: Schönheit!?) Wer will bei uns Verwirrung ausschalten? Wir wollten einige Illustrationen zu den schönen Worten Bartnings über das irrsinnige Bautempo unserer Zeit bringen und noch einiges andere derart, daß gezeigt würde, - nicht daß an sich Unzulängliches und Verkehrtes entsteht und gemacht wird, was selbstverständlich ist, sondern daß das Unzulängliche und Verkehrte tief eingedrungen ist in die Bezirke des Vernünftigen und Anständigen, kurz gesagt: Daß gescheite und achtbare, ja tüchtige Menschen so furchtbar viel Unsinn reden, schreiben und - leider - auch tun. Aus all dem ist nun nichts geworden, weil wir uns - nach monatelangem innerem Widerstreben - am Ende dieses Jahres der Kontroversen doch verpflichtet fühlen, zu etwas Wichtigerem Stellung zu nehmen: Zur Kontroverse Schwarz-Bauhaus. Es wäre nichts leichter, als hämisch grinsend darauf zu deuten, daß sich nun die Avantgardisten untereinander ernstlich in die Haare geraten sind, und es wäre nichts leichter, als eine Gegenüberstellung von einzelnen Behauptungen und „Feststellungen" aus den sehr umfangreichen Streittexten zu machen, von denen jeweils eine die andere aufhebt. - difficile est, satiram non scribere! Wir wollen aber versuchen, sine ira et studio - soweit dies bei einem Gegenstand, dem man echte Anteilnahme schenkt, überhaupt möglich ist - aufzuzeigen, was vorgefallen ist (denn „geschehen" ist ja nichts), um in den vorliegenden heillosen Wirrwarr von Gedanken und Worten eine Spur von Ordnung zu bringen - wenn dies überhaupt möglich ist; denn wir reden und schreiben nicht nur aneinander vorbei, sondern wir denken auch aneinander vorbei. - Wir? - Ja wir alle, nicht nur die Angehörigen des einen „Lagers" an denen des anderen, sondern jeder an jedem - wie Figura zeigt - auch der Freund am Freund! Da hat also die durch ihr hohes literarisch-geistiges Niveau bekannte Zeitschrift „Baukunst und Werkform" (Heft 1/1953) unter dem Motto „Bilde Künstler, rede nicht!" (wir wollen das im Gedächtnis behalten) eine Betrachtung zum Thema „Bauen und Schreiben" von Professor Rudolf Schwarz (man braucht ihn den Kollegen nicht vorzustellen) gebracht, die einen Sturm der Entrüstung einerseits und der Genugtuung andererseits ausgelöst und zu einem regelrechten Bruderkrieg geführt hat, der sich über vier Hefte hingezogen und trotz aller Versuche zur „Klärung" in 204

der Resignation des Schweigens geendet hat - und es konnte nicht anders sein. Man muß trotzdem dem Schriftleiter von „Baukunst und Werkform" Alfons Leitl dankbar dafür sein, daß er einen so großen Raum seiner Hefte dieser Kontroverse zur Verfügung gestellt hat, auch wenn sie nur „eine Kette von Mißverständnissen" gewesen sein sollte. Schwarz hat also mit seinem bekannten Temperament, mit der Eleganz eines Florettfechters (freilich gelegentlich auch mit der eines Tänzers) einen wütenden Angriff gegen das Bauhaus, die Bauhaus-Ideologie und deren Repräsentanten Walter Gropius geführt, in dem eine Menge guter, schöner und richtiger Gedanken in meisterhafter Beherrschung der Sprache Form gewinnen, nicht ohne einen grimmigen Humor, was uns durchaus wichtig erscheint. - Wir denken an die Stellungnahme zur Fotographie, zu den Kunstwissenschaftlern, zum Materialismus, den Darmstädter Gesprächen und vor allem natürlich zum Funktionalismus, seinem Hauptthema. - Aber: alles cum grano salis, und auf das Maß des Körnchens kommt alles an, und das Körnchen wird manchmal zu einem recht stattlichen Brocken Salz. Man liest einen theoretischen Satz voll freudiger Zustimmung, einige Absätze nachher kommt dann aber eine konkretere Exemplifizierung, und du sagst enttäuscht: Ach, so war es gemeint! - Wir haben wohl wieder einmal aneinander vorbeigedacht! - Solche Reaktion ist typisch für die ganze Kontroverse: Verwirrung auf der ganzen Linie! Schwarz deckt mit schonungsloser Offenheit die Verkehrtheiten und Irrwege nicht nur des Bauhauses, sondern auch der heutigen „modernen" (zu diesem Wort später) Architektur auf. Er meint: „Die Tradition haben wir (wer ist denn „wir" ?). Oder aber, er (man weiß nicht, wer) besuche die Konventikel der Avantgardisten, die heute noch an ihr Jahr 1 glauben, er vertiefe sich in die tödliche Ideenlosigkeit und Langeweile ihrer Zeitschriften (welcher?), die allmählich zu Modejournalen geworden sind (man trägt jetzt Wellblech und menschliche Innereien)". - Nur allzu richtig! Dann aber meint er, Gropius konnte nicht denken, während er es doch eher viel zu sehr konnte, aber es handelt sich ja nicht um Denken schlechthin, sondern um „Denken im abendländischen Raum"! Wenn man als weniger begabter Kollege fragt, was das denn eigentlich sei, wird Schwarz eine glänzende Definition finden, kein Zweifel. Neben einem so erstaunlichen Satz: „Ich halte es für das Zeichen eines unedlen und beschränkten Geistes, ein Genie zu verachten, weil es sich einer Uberlieferten Sprache bedient hat" steht dann, daß Olbrich, van de Velde und Otto Wagner „so 205

ziemlich die einzigen großen Baumeister unseres saeculum obscurum " geblieben seien und daß „Schumacher fürchterlich viele Bücher schrieb (aber gute Bücher, Herr Schwarz!) und ein so guter Mensch war" (auch nicht zu verachten, Herr Schwarz!) und daß Mies, Bartning, Böhm und Schweizer (eine wahrhaft unhomogene Gesellschaft!) „als wirklich abendländische Menschen" hinzukamen, die aber bald von „vorlauten und aufgeregten Terroristen mehr oder weniger in den Schatten gedrängt" wurden. Wir meinen eigentlich „weniger". Lustige Vorstellung, daß sich ein so handfester Mann wie Schweizer in den Schatten drängen läßt! Aber die - immer mit dem besagten Körnlein! - wohl richtigen Feststellungen über die „unerträgliche Phraseologie" und die „widerlichen Ideologien" der Bauhaus-Literaten und des übrigen „Federvolkes" sollte wirklich jeder selber lesen. Leid hat sich in einem Vorwort von der „Berichtigung unseres Geschichtsbildes" durch seinen Freund Schwarz deutlich distanziert - um so anerkennenswerter, daß er sie trotzdem unkastriert gebracht hat. Freilich setzte er daneben witzigerweise (Schwarz hatte unmißverständlich seine Verachtung für den Terror der Fotografie zum Ausdruck gebracht!) seitengroße Lichtbilder irgendwelcher mehr oder weniger häßlichen Belanglosigkeiten - ganz ohne die Dämonie der Häßlichkeit aber - , eben nur belang- und witzlos: uninteressante Lichtbildnerei als Selbstzweck wozu? Dann kommt in den nächsten Heften (2/3-1953) der „Sturm der Entrüstung". Sieben „Korreferenten" meldeten sich zum Wort oder sind dazu aufgefordert worden. Franz Meunier als erster. Mit viel Humor (gottseidank!) sagt auch er viel Richtiges. Wenn Schwarz meinte, „daß beim Darmstädter Gespräch" 1951 sich die Elite unseres Faches totgeschwitzt habe, meint Meunier, der nicht ganz zu Unrecht die „Elite unseres Faches" in Gänsefüßchen setzt, daß „einige unter den Zuhörern hin und wieder Blut und Wasser geschwitzt hätten; über das nämlich, was die Elite teilweise von sich gab". Es muß also eine große Schwitzerei gewesen sein. Er erinnert sich dann mancher Tagungen, „auf denen so entsetzlich viel geredet wurde" (Bilde Künstler, rede nicht!), und entwirft ein glänzendes Bild von dem glänzenden und gefährlichen Debatter Rudolf Schwarz. Obwohl es aber gefährlich ist, Schwarz zum Gegner zu haben, wirft ihm Neunier „völligen Mangel an geistesgeschichtlicher Disziplin und Substanz" vor, was fast ein wenig hart erscheint. - Nun, nach ausgezeichneten Betrachtungen über den Jugendstil, 206

den Materialismus, Tradition und manches andere entdeckt er schließlich, „daß man (in diesem Falle er selbst) sich mit Dingen herumgeplagt hat, die gar nicht so gemeint sein können". Und damit sind wir wieder bei der Sache: wie die Dinge gemeint sind und wie der andere glaubt, daß sie gemeint sind. Ob aber die Annahme, Schwarz habe wieder einmal „den Narren a la Shakespeare gespielt", ein Trost und eine Erleichterung sein kann und darf, ist eine andere Frage. Folgt Hermann Mäckler. Er fühlt sich als einer jener „unerfreulichen Zeitgenossen von unerträglicher Phraseologie ... und peinlicher Arroganz" angesprochen und begreiflicherweise stark betroffen. Er gibt Schwarz sehr harte Worte zurück und stellt sich schützend vor Gropius, der - und das besage unendlich viel mehr als die Schwarzsche Kritik - „ein liebenswerter Mensch" sei. Hier als Positivum, während der „so gute Mensch ", von Schwarz auf Schumacher angewendet, wohl nicht unbedingt positiv gemeint war. - Einen ungerechteren Vorwurf erhebt Mäckler auf jeden Fall, wenn er nämlich Schwarz „historische Gelüste" vorwirft und frägt: „Sollten nicht daran (am Bauhaus nämlich) wirklich nur die Historiker interessiert sein?" Nein, das offenbar nicht. Lesen wir doch nur wenige Seiten weiter, „wie lebendig der Bauhaus-Gedanke ist", und wahrhaftig, auf den Nachweis der Lebendigkeit des Bauhaus-Gedankens ist mit großer Lautstärke viel Journalistenschweiß verschwendet worden. Ist nicht auch vor ganz kurzer Zeit in Ulm der Grundstein zu einer „Hochschule für Gestaltung" gelegt worden, die die Fortführung der „Bauhaustradition" aufs Panier geschrieben hat und von einem ehemaligen Bauhäusler geleitet werden soll? - Vielleicht ist das Bauhaus nur scheintot, und der Funktionalismus erlebt eine fröhliche Urständ, wie es der Jugendstil ja auch gerade tut. Das dicke Ende aber kommt noch, wenn Mäckler von Schwarz sein „baumeisterliches Bekenntnis" verlangt. In Natura, wohlgemerkt, nicht als Dogma. Ob es denn die Fronleichnamskirche in Aachen (1930) oder die anglikanische Garnisonskirche in Köln (1952) sei. Schwarz hat diese Frage nicht beantwortet, aber er könnte ja sehr einfach sagen, daß jeder lebendige Mensch bekanntlich eine Entwicklung durchmacht. Solche Entwicklungen sind oft sonderbar und schwer verständlich; zum Beispiel wenn man bedenkt, daß Gropius' beste und später nie mehr erreichte Leistung die Fagus-Fabrik von 1912 ist, ein zu jener Zeit in der Tat „epochemachendes", unerhört kühnes Werk, das wirklich unter Denkmalschutz gestellt gehört. Leitl hat die Kontroversen illustriert, mit alten Werken des Bauhauses, mit 207

Bauten von Gropius und solchen von Schwarz, dabei allerhand „Ausgrabungen" mit alten Texten von Schwarz selbst, die zum Teil recht aufschlußreich sind, - aber das wollen wir dahingestellt sein lassen. Eine solche Ausgrabung ist auch der Entwurf zu einer „kreisrunden Pfarrkirche" von 1928, dessen Wiederveröffentlichung kaum als Freundschaftsdienst aufzufassen ist. Schwarz selbst sagt dazu in seinem Schlußwort, auf das wir noch zu sprechen kommen: „Dem Himmel sei Dank, daß Leitl irgendwo die kreisrunde Pfarrkirche ausgegraben hat, die haben wir vor fünfundzwanzig Jahren zum Schrecken alter Männer in meiner Hochbauklasse gebastelt, und in dem Erläuterungsbericht steht manches davon, was uns damals beseelte. Noch innigeren Dank an die himmlischen Mächte, daß ich sie nicht auch noch gebaut habe." Nun, auch wir sind froh, daß sie nicht gebaut wurde, und wir glauben Schwarz gerne, daß er heute dem Himmel dafür dankt, aber er sollte uns nicht glauben machen wollen, daß er diesen Himmelsdank auch darauf ausdehnt, daß dieser sogenannte Entwurf heute wieder ans Licht gezogen wurde; denn was man als Bürgerschreck „zusammenbastelt", gehört wohl kaum in den Lehrbetrieb einer Hochbauklasse, zumal wenn die Erläuterung, die sich in sehr hohen und tiefen Worten ergeht, beweist, daß die Sache verflucht ernst gemeint war: „denn der Bau soll neben der Zeit stehen und soll in der Reinheit seiner mathematischen Formen Gott ehren, der,Geometrie treibt', das ist: den Gott, von dem ein Mystiker sagt, er wohne in der stillen Wüste, u. s. w. Ihn soll diese Kirche in der Sprache des Gesetzes ehren; denn es ist an der Zeit, Gott auch im Gesetz zu erkennen und zu zeigen, daß es möglich ist, streng und doch nicht rational zu sein, abstrakt und doch nicht ohne Liebe, und daß es jenseits von allem , Technizismus' eine neue Form geben könnte, die hart und rein wäre, aber durchglüht von echtem Geist u. s. w." Wie ist das nun mit dem Bürgerschreck zur Ehre Gottes? In Wirklichkeit handelt es sich um einen sinnlosen kunstgewerblichen Gegenstand, über den man besser schwiege. Folgt Hubert Hoff mann. Er spricht das Wort aus, auf das wir später zurückkommen müssen: „Geschwätz". Freilich in Verbindung mit einem Konjunktiv und in Verbindung mit den Kunsthistorikern. Sogenannte „Kunstwissenschaftler" meint er wohl; denn die echten Kunsthistoriker sind exakte und ehrbare Wissenschaftler. Hoffmann findet die schärfsten Worte gegen Schwarz: Eitle Spiegelfechterei - sein harmloses Geplauder (sie!) rutscht ins Journalistische ab - gehässige Behauptungen - impertinente Aussprüche - sine 208

nobilitate, zu deutsch: unanständig - und schließlich wird er noch auf eine Stufe mit den Kulturträgern der Nazi gstellt. Das reicht eigentlich! - Aber Schwarz' Sehnsucht, „wieder ein harmloser, fröhlicher Baumeister zu werden", die teilt Hoffmann doch, und das spricht für ihn, - arme, unerfüllbare Sehnsucht! Folgt Godo Remszhardt, der sich selbst zu den „Ästheten" und zum „Federvolk" rechnet. Deshalb versucht er, in der Hauptsache die Fotografie vor Schwarz zu retten, dem er „die Fähigkeit zu irgendeiner, und selbst auch der abendländischen (wie gut doch, daß es dieses interessante Wort gibt!) Art des Denkens" abspricht. Der vorhergehende Korreferent hat aber freimütig gestanden, daß Schwarz' Bücher „durchaus lesenswerte, eigenartige und tiefgründige philosophische Spaziergänge" sind. Ohne jede Fähigkeit zum Denken entstanden? - Miraculum der „demagogischen Tiefsinnigkeiten, deren beliebig viele sich bei R.S. finden lassen"} Aber auch „hinterhältige wie kümmerliche" Sätze lassen sich dort finden und „Zeichen unedler und beschränkter Roßtäuscherei", alles bei Rudolf Schwarz, der auch „sein Publikum chloroformiert". Remszhardt sagt oft „wir" und „uns", niemand aber weiß, wer das nun eigentlich ist aber es ist wohl auch nicht nötig zu wissen. Jedenfalls steht Schwarz „auf der anderen Seite", jetzt, da „nun wirklich die Fronten sich zu bilden angefangen haben" (jetzt erst?), jene Fronten, von denen der vorige Korreferent mit Bestürzung fürchtet, daß Schwarz sie aufrichten könne. Folgt Paul Klopfer. Kurz und sachlich. - Aber die „Phraseologie" des Bauhauses hat selbstverständlich bestanden und besteht heute noch, wie die Phraseologie des „neuen Bauens" besteht, auch wenn die Erfinder nicht immer die Architekten und Künstler selbst sind, sondern die Kunstjournalisten, denen die Bauhausideologie so reichlichen Stoff bietet. Folgt der Maler Peter Röhl. Zu seinen Herzensergießungen und Superlativen ist kaum etwas zu sagen, ohne Gefahr zu laufen, für lieblos gehalten zu werden. - Sehr geehrter Kollege Leitl! Hätten Sie nicht dieser rührenden Rückschau voll sehr jugendlicher Begeisterung aus Gründen der Barmherzigkeit mit der Redaktionsschere und Ihrer gewandten Feder zu Leibe rücken sollen? Denn schließlich ist Herr Röhl ja heute keine 20 mehr. Nichts gibt Schwarz' Behauptung von der Bauhaus-Phraseologie so recht wie dieser Aufsatz, in dem sich so unmöglich harmlose Plattheiten breitmachen. Wir wollen sie hier nicht wiederholen, um nicht das Gelächter der Kollegen herauszufordern. Mußte es wirklich sein, das Bild des heute 209

in einer angesehenen bürgerlichen Stellung wirkenden Itten als Mönch im weißen Gewände im „Tempelherrenhaus" (!) heraufzubeschwören, wo er, „ein Gemisch von Hyronimus Bosch und Frau Angelika (Druckfehler?)" vor seinen Schülern Kunst und Masdaznan zelebrierte, umgeben von leuchtenden Farbkompositionen, Farbkreisen und Glaskonstruktionen? - Wer denkt dabei nicht an das vegetarische Tanzen bei Johannes Müller und an die Jugendstil-Mädchen im Eigenkleid, mit Kränzen im Haar und Sandalen an den Füßen? - das „aufjubelnde Auge" und das „immer zur Arbeit eilende Schreiten" des Meisters Feininger, der athletische Brustkasten Schlemmers, dessen „Atmen wunderbar war", während Georg Muche „im Stillen, fast geräuschlos" wirkte als der „Johannes am Bauhaus", dessen „Priester" aber Paul Klee war usw., - es ist zuviel! Am Schluß kommt noch die Kirche von Assy: „Doch an anderer Stelle, in anderem und doch verwandtem Geist, ist Wirklichkeit geworden, was Gropius vorschwebte." Ausgerechnet diese Mißgeburt einer ganz ungekonnten Blut- und Bodenromantik ist die Erfüllung der FunktionalistenTräume! Folgt Louis Schoberth als letzter. Mit einer über den Dingen stehenden, ganz ausgezeichneten Betrachtung von wirklich nobler Haltung. Seine Befürchtung, daß Schwarz' Aufsatz eine „giftige Polemik entfesseln würde", hat sich inzwischen bewahrheitet. - „Daß prompt jeder Punkt zum Angelpunkt gemacht wurde, Dogma und Sekte sich bildeten, war unsinnig, hat sich aber doch von selbst wieder aufgelöst." Dazu muß man sagen: leider nein. Pferdefuß: Einige Hefte später hat Schoberth über „Das Recht auf unsere Konzeption, dargelegt am Beispiel Glas" geschrieben, und dort läßt er das oben gerühmte über dem Stoff stehen leider sehr vermissen. Unbegreifliche Verwirrung. Des Falles „Schwarz-Bauhaus" hat sich natürlich auch die Tagespresse „angenommen" und einen Brief von Gropius zur Sache veröffentlicht, aber es ist nichts von Belang dabei herausgekommen. In „Baukunst und Werkform" (4/1953) erhielt Schwarz das Schlußwort. „Unser Gespräch oder der Versuch dazu ist bisher nicht sehr fruchtbar gewesen." - Nein, in der Tat nicht. Aber die „Mißgeschicke der Diskussion" scheinen ihm dadurch aufgehoben, „daß man den prachtvollen Bericht von Peter Röhl herbeigeschafft hat". Das kam unerwartet; denn ist denn der Bericht von Röhl (siehe 210

oben) nicht das beste Wasser auf Schwarzens Mühle? - Verwirrung der Gefühle? - Schwarz will den Bericht von Röhl von möglichst vielen jungen Menschen gelesen wissen, damit sie nacherleben können, „wie schön geistiges Leben in seiner Blüte sein kann". Weiß er denn nicht, daß die jungen Menschen von 1953 andere sind als die Jugendstiljugend von damals? Schwarz versucht kaum, sich gegen die harten Anwürfe der Entrüsteten zur Wehr zu setzen, nur einen Angriff auf Gropius habe er „nicht im Sinn" gehabt. Der böse Hannes Meyer mit seinem Kohlestoffgesang wird zum Sündenbock ernannt. - Auch den Glaswürfelanwurf hat er zu entkräften versucht: „Die Pointe aber ist, daß ich gar nicht gegen Glaswürfel bin, sondern sehr dafür, und daß ich es kein bißchen für beleidigend halte, wenn mich jemand einen Kubisten nennt, denn ein Kubist ist ein Mensch, der Freude am Kubus hat" (wie schön und einfach!),... u s w . . . . „Jemanden, der einen Glaswürfel baut, schließe ich an mein Herz..." Ein recht großes Herz muß Schwarz schon haben. N u n aber wird's bedenklich: „Ich denke gering über technische Mängel, die andere begingen, und auch über die eigenen." Wie steht's da mit der Treuhänderschaft gegenüber dem Bauherrn, zu der jeder anständige Architekt verpflichtet ist? - Schoberth hat schon darauf hingewiesen, daß Schwarz in dieser Hinsicht selbst im Glashaus sitzt und nicht mit Steinen werfen sollte. Aber er hat ja recht wacker damit umhergeworfen. Zum Steuer der Wahrheit und nebenbei: Perrets Betonkirche in Raincy ist zwar nicht baufällig, wie Schwarz behauptet, aber sie weist doch erhebliche Bauschäden auf, die einer fehlerhaften Konstruktion entsprungen sind. Aber geniale Menschen denken eben gering über technische Mängel - im Interesse des Fortschrittes. - Zwei Seiten weiter liest man mit Staunen: „Für uns, die wir hier zusammen sind (wer und wo denn?), versteht sich von selbst, daß wir die berechtigten Forderungen der Funktionen in unseren Bauten erfüllen. Es ist Sache unseres technischen Anstandes (hört, hört!), man braucht nicht darüber zu sprechen (warum dann doch?), denn es gehört in die bescheidenen Gebiete der Baukunde und der Baukonstruktionslehre. " - Es ist aber besser, ein bescheidenes Gebiet wirklich zu beherrschen, als auf einem unbescheidenen zu dilettieren. Das Karussell dreht sich nach der „Technik" von der anderen Seite: „Ihr stießt auf die Technik und kapituliertet vor dieser vorlauten Technik, die Ihr nicht durchschautet. Eine einzige Blume, eine aus der unendlichen Zahl, hätte Euch die Antwort gegeben, hättet Ihr sie nur aufmerksam betrachtet." Wie schön und wahr! Aber wie sollen denn die Funktionalisten eine Blume betrachten, die sie selbst doch viel herrlichere Gebilde 211

zu machen imstande sind. Wir müßten noch viele Seiten vollschreiben, wenn wir auf die sprudelnde Fülle von Gedanken, Widersprüchen, hingeworfenen Fetzen, reizenden Einfällen und Frivolitäten in Schwarz' Schlußwort eingehen wollten. Er rührt alles an und bleibt nirgends bei der Stange. „Schließlich ist noch zu verstehen, daß manch einer übermütig wird, und meint, man solle alles den Ingenieuren überlassen ..." - Die Architekten sind auf dem besten Wege, dies zu tun und sich selbst zu entmannen. (...) Schließlich stellt Schwarz fünf Anträge: 1. „Die Architektur ist eine freie Kunst". Antwort: Nein, die Architektur ist im Gegensatz eine sehr gebundene Kunst. 2. „Die sorgfältige Beachtung aller Funktionen eines Baues reicht nicht aus, daß dieser gelingt". Wenn „gelingen" so viel heißen soll, als „daß Architektur daraus wird", dann ist die Forderung für jeden anständigen Architekten von jeher selbstverständlich gewesen und bedarf nicht der Erwähnung. 3. ist so belanglos, daß man nicht darüber reden soll. 4. „Es ist statthaft, sich bei der Errichtung von Bauten der Backsteine, der Bruchsteine, des Holzes und ähnlicher Baustoffe und der ihnen entsprechenden Baukonstruktionen und Bauformen ebenso wie des Stahls und des Betons zu bedienen". Versteht sich von selbst, wobei leider der Begriff „entsprechende Bauformen" in der Lage ist, die ganze Kontroverse von vorne zu entfesseln! 5. „Bezeichnungen wie modernes Bauen, moderner Baukünstler und ähnliche sind inhaltslos und als irreführend abzulehnen und dürfen nicht mehr verwandt werden." Hübsche Idee, aber unfruchtbar; denn auch unter den allenfallsigen Ersatzworten wird jeder etwas anderes verstehen. Zum letztenmal zitieren wir Schwarz: „Als Menschen sind wir unserer Natur nach sprechende Menschen. Jedes Wort, das wir sagen, jeder Stein, den wir versetzen, ist Mitteilung. Auf

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dieses Gespräch verzichten, bis das Abendland wieder aufgegangen ist, heißt darauf verzichten, ein Mensch zu sein. Selbst wenn wir schweigen würden, würden die Steine weiterreden." Laßt sie doch reden! - Und laßt uns schweigen - auf die Gefahr hin, daß Schwarz' Menschentum dadurch Schaden nimmt. Die Manifeste, die Gespräche, die Schlagworte, die Ideologien, das ganze hochtrabende literarische Getue sind doch klappernde Mühlen, die nichts mahlen, sind der Feind der ehrlichen Arbeit! Ein Vorschlag zur Güte: Wie wärs, wenn wir alle einmal - wenigstens eine Zeitlang - unseren Schnabel halten und nur still arbeiten würden, ohne Geschrei, ohne Propaganda, ohne „Gespräche" vor allem, ohne persönliche Angriffe, ohne Gehässigkeit usw. Die Berufsjournalisten der Tageszeitungen müßten wir aus dem Vertrag ausnehmen; denn man kann sie nicht verhungern lassen, aber man brauchte das nicht zu lesen, was sie über Dinge schreiben, von denen sie nichts verstehen. Aber Sie, sehr verehrter Kollege Leitl, und meine Wenigkeit müßten wohl den Ast absägen, auf dem wir sitzen? Vielleicht nicht ganz. Wir könnten z.B. in sachlicher Form einfach von den Dingen berichten, die wir für wichtig halten oder doch für mitteilenswert - Sie andere als ich natürlich, und das ist gut so - . Leider (!) könnten wir dabei der geschmähten Lichtbildnerei nicht ganz entraten, aber wir könnten sie auf den Dienst am Kunden beschränken, wobei (wohlgemerkt!) der Kunde nicht der Architekt der dargestellten Bauwerke, sondern der Leser sein müßte. Sie, sehr geehrter Herr Leitl, sollten Ihre schöne Zeitschrift (mit ihrer wahrhaft vorbildlichen Typographie) nicht mit solchen Hanswurstiaden wie den Werken des Herrn Bruce Goff belasten (Ihre Leser sind ja keine Pennäler), und was ich in Zukunft nicht mehr tun sollte (denn wir haben ja alle irgendwelche Unarten), will ich mir gerne einmal von Ihnen raten lassen; denn ich halte Sie für einen grundgescheiten und gebildeten Menschen, wenn auch verzeihen Sie bitte - ein wenig manisch. Aber bedenken Sie bitte, daß ich meine Erkenntnisse und Vorstellungen von dem, was recht ist, zwar aus der Erfahrung eines langen Berufslebens, im wesentlichen aber nur aus der Tiefe meines sehr einfachen Gemütes schöpfe. Muten Sie mir also bitte nicht mehr zu, als ich verstehen kann, von unseren harmlosen Lesern gar nicht zu reden. Und damit: ein gutes neues Jahr ohne gescheites KunstGeschwätz!

Aus Baumeister, München, Dezember 1953, S. 821 ff.

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Zum Abschluß der Schwarz-Debatte

I. Ansprache über die Baukunst Beitrag eines Fürsten / Von Antoine de

Saint-Exupéry*

Ich habe also die Baumeister kommen lassen und ihnen gesagt: - Von euch hängt die künftige Stadt ab, nicht in ihrem geistigen Gehalt, aber in dem Gesicht, das sie zeigen und das ihren Ausdruck bestimmen wird. Und ich denke genau wie ihr, daß die Menschen gut wohnen sollen. Damit sie über die Annehmlichkeiten der Stadt verfügen und nicht ihre Kräfte durch eitle Verwicklungen und unnötige Ausgaben vergeuden. Ich habe aber stets gelernt, das Wichtige vom Notwendigen zu unterscheiden. Denn gewiß muß der Mensch essen, da er aufhört, Mensch zu sein, wenn er nicht mehr ernährt wird, und dann stellen sich keine Probleme mehr. Doch die Liebe und der Sinn für das Leben und das Erfühlen Gottes sind wichtiger. Und eine Menschensorte, die an Verfettung leidet, hat für mich keinen Wert. Ich stelle mir nicht die Frage, ob der Mensch glücklich und wohlhabend und bequem untergebracht sein wird. Ich frage mich vor allem, welcher Mensch wohlhabend, gut untergebracht und glücklich sein wird. Meinen reichgewordenen Krämern, die das Gefühl ihrer Sicherheit aufbläht, ziehe ich den Nomaden vor, der ewig auf der Flucht ist und dem Winde nachjagt, denn der Mensch wird Tag für Tag schöner dadurch, daß er einem so großzügigen Herrn dient. Wenn man mich vor die Wahl stellte und ich erfahren sollte, daß Gott dem ersteren seine Größe versagt und sie nur dem letzteren gewährt, würde ich mein Volk in die Wüste hinausschicken. Denn ich liebe es, wenn der Mensch sein Licht spendet. Und es kommt mir nicht auf die dicke Kerze an. Allein nach ihrer Flamme bemesse ich ihren Wert. Ich habe jedoch nicht beobachtet, daß der Fürst dem Fuhrknecht oder der General dem Feldwebel oder der Herr den Taglöhnern unterlegen wäre, obwohl sie ungehemmter im Gebrauch ihrer Güter 214

sind. Und jene, die ihre Schutzwehr aus Erz bauen, fand ich denen nicht unterlegen, die ihre Mauern aus Dreck aufrichten. Ich verwerfe keineswegs die Stufen der Eroberung, die es dem Menschen erlauben, höher aufzusteigen. Aber ich habe nie das Mittel mit dem Ziel, nie die Treppe mit dem Tempel verwechselt. Es ist notwendig, daß eine Treppe den Zugang zum Tempel ermöglicht, denn sonst bliebe er leer. Doch der Tempel allein ist wichtig. Es ist notwendig, daß der Mensch fortbesteht und ringsum die Mittel findet, durch die er wachsen kann. Es ist das freilich nur die Treppe, die zum Menschen führt. Die Seele, die ich ihm bauen werde, wird die Basilika sein, denn sie allein ist wichtig. So mißbillige ich euch nicht, wenn ihr die Dinge des Gebrauchs fördert. Ihr dürft sie aber nicht als Ziel ansehen. Denn gewiß sind die Küchen des Palastes notwendig, aber im Grunde kommt es allein auf den Palast an, dem die Küchen zu dienen haben. Und ich rufe euch zusammen, um euch zu fragen: „Zeigt mir den wichtigen Teil eurer Arbeit!" Und ihr verharrt vor mir in Schweigen. Und ihr sagt mir: „Wir sorgen für die Bedürfnisse der Menschen. Wir geben ihn einen Obdach." Ja. So wie man für die Bedürfnisse des Viehs sorgt, das man im Stall auf seiner Streu unterbringt. Und gewiß braucht der Mensch Mauern, um sich darin zu vergraben und Same zu werden. Er bedarf jedoch auch der großen Milchstraße und der Weite des Meeres, selbst wenn ihm die Gestirne und der Ozean im Augenblick nicht von Nutzen sind. Denn was heißt: von Nutzen sein? Und ich kenne manche, die in langem und beschwerlichem Anmarsch einen Berg ersteigen; die sich Knie und Hände aufschürfen und sich auf ihrem Aufstieg verausgaben, damit sie noch vor Anbruch der Morgendämmerung den Gipfel erreichen und an der Tiefe der blauen Ebene ihren Durst stillen können, so wie man das Wasser eines Sees befährt, um daraus zu trinken. Und sobald sie oben angelangt sind, setzen sie sich nieder und blicken um sich und holen tief Atem. Und das Herz pocht ihnen fröhlich, und sie finden darin ein unfehlbares Mittel gegen allen Verdruß. Und ich kenne andere, die das Meer suchen, wenn sie langsam mit ihren Karawanen dahinziehen, und denen das Meer ein Bedürfnis ist. Und sobald sie das Vorgebirge erreicht haben und jene Weite überblicken, die von einer dichten Stille erfüllt ist und die Schätze ihrer Algen und Korallen dem Auge verbirgt, atmen sie den kräftigen Salzgeruch und erstaunen über ein Schauspiel, das ihnen im Augenblick zu nichts dient, denn das 215

Meer läßt sich nicht greifen. Auf diese Weise aber wird die Knechtschaft von ihrem Herzen fortgewaschen, in der sie die kleinen Dinge gefangen hielten. Vielleicht erlebten sie, angewidert wie hinter Gefängnisgittern, den Kochkessel, das Küchengerät, die Klagen ihrer Frauen: jene Schlakken des Alltags, die den Sinn der Dinge entschleiern können, wenn man durch sie hindurchschaut, die zuweilen aber auch zu einem Grabe werden, wenn sie sich verhärten und abschließen. Dann nehmen sie die Schätze der Welt mit sich und bringen die Seligkeit heim, die sie hier gefunden haben. Und ihr Haus ist verwandelt, weil es irgendwo in der Welt das Meer und die Ebene in der Morgendämmerung gibt. Denn alles öffnet sich einem anderen, das weiter ist als es selber. Alles wird Weg, Straße und Fenster, die zu jenem anderen hinführen. So sagt mir nur ja nicht, eure üblichen Mauern genügten dem Menschen; nehmen wir an, er hätte niemals die Sterne gesehen und es stünde in eurer Macht, ihm mit gewaltigen Jochbögen eine Milchstraße zu bauen, würdet ihr - falls man bei der Errichtung einer solchen Kuppel ein Vermögen opferte - mir dann erklären, jenes Vermögen sei durch solch eine Verwendung vergeudet? Und darum sage ich euch: Wenn ihr den Tempel baut, der nutzlos ist, weil er nicht für das Kochen, die Erholung, die Versammlungen der Würdenträger oder die Aufspeicherung von Wasservorräten bestimmt ist, sondern allein der Erhebung des Menschenherzen, dem Frieden der Sinne und der Zeit dienen soll, die alles reifen läßt, denn er gleicht in jeder Hinsicht einer Vorratskammer des Herzens, in der man sich aufhält, um einige Stunden in Frieden und Billigkeit, in die Besänftigung der Leidenschaften und die ausgleichende Gerechtigkeit einzutauchen - , wenn ihr also einen solchen Tempel baut, in dem der Schmerz, den die Geschwüre erregen, zu Opfergabe und Hymnus wird, in dem sich die Todesfurcht in einen Hafen verwandelt, den man auf den endlich geglätteten Wogen erahnt - glaubt ihr dann etwa, ihr hättet euch vergeblich abgemüht? Wenn es möglich sein sollte, die Seefahrer, die sich die Hände abschinden, um an Sturmtagen die Segel zu bedienen, die Tag und Nacht mit ihrem Schiffe auf schwerer See stampfen und nur noch ein vom Meersalz ausgelaugtes Stück rohen Fleisches sind, von Zeit zu Zeit in den stillen und klaren Wassern eines Hafens aufzunehmen - dort, wo es keine Bewegung, keine Zeit, keine Härte des Kampfes mehr gibt, sondern nur noch das stille Wasser, das sich kaum bei der Ankunft kräuselt, während das große Schiff seinem Ankerplatz zustrebt, - glaubst du denn etwa, du hättest deine Arbeit umsonst getan? Denn wie süß erscheint ihnen das Wasser der 216

Zisterne nach all dem Schaumgelock, das über die sich bäumenden Wogen läuft, nach all diesen Mähnen des Meeres? Und das ist es, was du den Menschen zu bieten vermagst und was nur von deinem Geiste abhängt. Denn allein durch die Anordnung deiner Steine erschaffst du die Freude am Wasser des Hafens und an der Stille und läßt wunderbare Hoffnungen aufkeimen. So ruft sie der Tempel, und sie erproben seine Stille. Und in ihr entdecken sie sich selbst. Sonst würden sie nur durch die Kramläden angelockt werden. Die Händler sprächen nur den Käufer in ihnen an. Und sie wüchsen nicht auf zu ihrer wirklichen Größe. Sie würden nicht die Weite erkennen, die in ihnen ist. Freilich wirst du mir sagen: „Jene fetten Krämer sind durchaus glücklich und tragen nach nichts anderem Verlangen." Es ist jedoch leicht, einen zu befriedigen, dessen Herz ohne Weite ist. Und gewiß stellt eine törichte Sprache eure Arbeiter als nutzlos hin. Es liegt aber auf der Hand, daß das Verhalten der Menschen ihre Überlegungen Lügen straft. Ihr seht sie, die Besucher aus allen Ländern der Erde, wie sie sich aufmachen, um jene Wunder aus Stein, jene Speicher für Seele und Herz zu suchen, die nicht mehr von euch gebaut werden. Wo habt ihr je gesehen, daß der Mensch das Bedürfnis verspürt hätte, in der Welt umherzureisen, um Lagerhäuser zu besuchen? Gewiß braucht der Mensch die Waren des Kaufmanns, er bedarf ihrer aber, um sein Leben zu erhalten, und täuscht sich über sich selber, wenn er meint, daß er sie mehr als alles andere begehre. Denn ihre Reisen haben andere Ziele. Du hast die Menschen gesehen, wenn sie von Ort zu Ort wandern. Hast du dabei auf ihre Ziele achtgegeben? Gewiß lockt sie zuweilen eine glückliche Bucht oder ein schneebedeckter Berg oder ein Vulkan, den sein Kot aufbläht; vor allem aber zieht es sie zu jenen versunkenen Schiffen, die als einzige irgendwohin führten. Sie machen in ihnen die Runde, besichtigen sie und ohne es recht zu wissen, träumen sie, daß sie auf ihnen reisten. Denn ihre eigene Fahrt geht nirgendwohin. Und jene Tempel empfangen nicht mehr die Menschenmassen; sie vermögen sie nicht mehr mitzureißen und sie wie durch Verpuppung in edlere Geschöpfe zu verwandeln. Alle jene Auswanderer haben kein Schiff mehr. Sie können nicht mehr sich wandeln und aus zunächst armen und schwachen Seelen während der Uberfahrt an Bord des steinernen Schiffes zu reichen und großzügigen Seelen werden. Deshalb umwandern alle diese Besucher den versunkenen Tempel und besichtigen und suchen; sie schreiten über die großen leuchtenden Flie217

sen, die durch die Abnutzung der vielen Schritte ihren Glanz erhielten; sie hören allein ihre eigenen Stimmen in der mächtigen Stille widerhallen; sie verlieren sich im Walde der granitnen Pfeiler und vermeinen, sich nur wie Geschichtsforscher zu unterrichten, während ihnen doch ihr klopfendes H e r z sagen müßte, daß sie in Wahrheit von Pfeiler zu Pfeiler, von Halle zu Halle, von Schiff zu Schiff nur einen suchen: den Kapitän. Ihnen allen zittert das H e r z vor Kälte - ohne daß sie davon wissen sie rufen nach einer Hilfe, die nicht kommt, sie erwarten eine Wandlung, die sich ihnen versagt, da sie ganz in sich selbst zurückgedrängt sind: Denn es gibt nur noch tote und halbversandete Tempel; es gibt nur noch gestrandete Schiffe, deren Vorrat an Stille und Schatten schlecht behütet ist; sie sind überall leck, mit jenen großen Jochbögen blauen Himmels, der durch die verfallenen Gewölbe hindurchscheint - oder mit dem Sande, der durch die Risse der Mauern rieselt. Und so werden diese Menschen getrieben von einem Hunger, der nicht gestillt werden wird . . . Ihr werdet also bauen, sage ich euch, weil der tiefe Wald und die Milchstraße und die blaue Ebene, die sich unter den Gipfeln der Berge breitet, den Menschen wohltun. Was bedeutet aber die Weite der Milchstraße und der blauen Ebene neben jener Weite, die die Nacht inmitten der Steine erfüllt, wenn sie der Baumeister mit Stille zu füllen verstand? U n d ihr selber, ihr, die Baumeister, werdet dadurch wachsen, wenn ihr die Lust an den gewöhnlichen Dingen verliert. Ihr werdet erst zu euch selbst kommen, wenn ihr das wahre Werk verwirklicht; es wird euch fruchtbar machen, denn es wird euch nicht mehr dienen, sondern euch selber zwingen, ihm zu dienen . . . U n d es wird euch über euch hinauswachsen lassen, denn wie sollten große Baumeister durch Werke ohne Größe entstehen? Ihr werdet erst groß werden, wenn die Steine, von denen ihr vorgebt, daß ihr sie mit Macht erfülltet, nicht Gegenstand eines Wettbewerbs sind oder aus Gründen der Bequemlichkeit zum Obdach dienen oder für einen feststellbaren Gebrauch bestimmt sind, sondern wenn sie Schemel und Treppen und Schiffe werden, die zu Gott führen. Diese „Ansprache eines Fürsten" aus Antoine de Saint-Exuperys Buch „Die Stadt in der Wüste" (Karl Rauch Verlag, Bad Salzig und Düsseldorf 1951) wurde von Dr. Troeger, Minister der Finanzen in Hessen, auf der Jahrestagung des B D A in Wiesbaden am 10.10.1953 vorgetragen. Die Tatsache, daß sich ein deutscher Finanzminister einen solch hohen Standpunkt zu eigen macht, ist ebenso bemerkenswert wie der Inhalt der Rede selbst. Sie enthält unserer Meinung nach eine wesentliche Klarstellung dessen, was Rudolf Schwarz im positiven Teil seiner Beiträge offenbar deutlich zu machen wünschte.

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II. Friedrich Lehmann Beitrag eines Wiener Laien Meine Zusage, mich an der von Prof. Schwarz aufgeworfenen Diskussion zu beteiligen, möchte ich gerne erfüllen, doch finde ich nach mehrfachen Versuchen nicht den mir richtig scheinenden Ton. Sie wissen, er legt mit der Stimmung die Wirkung fest. Der Versuchung, die bisherige teils leidenschaftliche, teils witzige, teils den Prätext der Bildung bewahrende Kontroverse mitzumachen, will ich nicht nachgeben. Zutiefst bin ich von der Zweipoligkeit jedes Geschehens überzeugt. In Ihren bisherigen Darlegungen sehe ich aber nur die eine Partei: die Eingeweihten, die Esoteriker, die Architekten. Nach so viel Geist ist es nützlicher, danach Ausschau zu halten, was der gebildete Laie zu diesem typisch deutschen Streitgespräch sagt. Die Fachleute vernachlässigen allzuoft die Verbindung zum aufnehmenden Teile des Volkes. Es klingt zynisch, wenn ich sage, man tue nicht gut daran, auf die Rede der Kollegen zu hören. Heute ist es akut, nach der anderen Seite liebreich zu sein. Die Architekten sind wie die Schauspieler, und allesamt machen sie publicity, auch wenn sie selbst unter das „Federvolk" gehen.

Da Sie mit Ihrer Einladung zweifellos die Stimme „vom Rand", die „Wiener Stimme" hören wollen, da Sie vermutlich einen spritzigen Stil erwarten, der gegen Prof. Schwarz' bald muntere, bald pathetische und mit Bildungstupfern versehene Beschwörung standhält, so muß ich Sie enttäuschen. Erstens will ich, so gut es geht, als Laie schreiben, zweitens möchte ich in einer so ernsten Sache, wie es die zerrissene ästhetische Orientierung ist, nicht den fünften oder sechsten „witzigen Bold" machen, drittens bin ich gar kein geborener, sondern höchstens ein gelernter Wiener, nur Alt- und keineswegs Kernösterreicher (die Nuancen sind subtil wie beim Kaffeehauskaffee), viertens widerstrebt mir das fast Unvermeidliche, der persönliche Angriff. Wenn Sie die Vorbehalte anerkennen, so erfinde ich mir den „Dritten Mann", den gebildeten Wiener Laien, wie ich ihn zu kennen glaube, wie ich ihn schätze und fürchte und wie er so gänzlich anders denkt als die Fachbonzen. Dieser Laie sieht wahrscheinlich die Details nicht. Für ihn ist Funktionalismus und Schwarzscher Purismus ungefähr dasselbe. Er horcht auf 219

und ist sozusagen auf das ernsteste amüsiert, wenn es gegen das Bauhaus geht. Aber er glaubt, daß man den Sack schlägt und den Esel meint: die architektonische Odigkeit. Der Standpunkt gegenüber der Bildung Prof. Schwarz hält deren Banner sehr hoch. Sein Rundstrahl, der von Chartres bis Barcelona fegt, glänzt auf, aber besagt nicht viel. Namentlich nicht viel für den Wiener, den man, was das Feuilleton anbelangt, ja nicht unterschätzen soll. Möglicherweise ist das deutsche Feuilleton, dieses Amüsiertsein über der geahnten Tiefe, in Wien erfunden worden. Was dessen Stil anbelangt, so hat der Wiener durch den jüdischen Anteil Polgar, Friedeil, Kraus - einen noch heute wirkenden Maßstab. Kritische Brillanz sieht er z.B. darin, daß man das, was Prof. Schwarz treuherzig formuliert, nur nebenbei sagt. Man schätzt am Aufsatz die nahtlose Arbeit. Er muß stechen, so daß man nachher nicht nähen, sondern lachen muß. Die „schwebende Stimmung" des Stils, die Mischung von Ernst und Witz, von Wehklage um die Kultur und Donnerwetter über deren Vernichter bringt bei den literarisch abgebrühten Wienern im Vortragssaal einen Bomben-, gedruckt aber nur einen Achtungserfolg. Sie lieben die Kaustik über alles, das geschriebene Pathos ist ihnen suspekt. Wichtiger ist folgendes: Die Wiener wollen vor ihren Künstlern nicht erstaunen, sie wollen sie lieben. D. h. gerade den Bildungsgrund, den Prof. Schwarz für den neuen Stil fordert, halten sie für nebensächlich. Bildung verlangen sie von den Wissenschaftlern. Der Kliniker oder Physiker gilt erst dann für voll, wenn er im Quartett spielt. Wenn sie wüßten, daß der sudetische Völkerschlachtbildhauer schwach in der Rechtschreibung war, so wäre er und das Denkmal ihnen sympathischer. Sie finden, die literarische Bildung besage nichts bei einem Manne, der als Bildner eine Persönlichkeit wie Mestrovic in den Bann zog. So sehen sie es auch bei den Architekten, und Anton Bruckner zieht einen Teil seiner Verehrung aus dem persönlich Skurrilen. Sie meinen auch, durch moralische Qualität z. B. Bescheidenheit - könne Bildung ersetzt werden. Aus der Summe der Beobachtungen ergibt sich also: Den Bildungsprätext lehnt der Wiener ab, den Stil des Angriffes findet er nicht allzu elegant, und da er das gescheite Reden seit den good old system times selbst betreibt, so macht er sich nicht viel daraus. Die Uberzeugung ist allgemein, daß es auf die einfachen, mitteilbaren Inhalte ankommt und daß die Aufrufe und Anrufe 220

des Charakters, der Bildung oder der Werkgesinnung verstaubt sind. Die Reinheit und der bescheidene Ernst eines neuen Tessenow oder die meisterhaft gespielte redliche Tumbheit eines Adolf Loos, das Plus an Moral oder Tapferkeit, wird vom neuen Präzeptor gefordert. Übrigens: Glauben Sie, verehrte Schriftleitung, Loos oder Tessenow hätten die „mühseligen Umgehungsmärsche in den Industriebau" mitgemacht? Die Frage und deren Beantwortung gibt sehr tiefen Aufschluß. In ihm ist die Entscheidung enthalten, daß man Architektur auf Gesinnung nur gründen kann, wenn man ein Heiliger ist, während die, die des Lebenmüssens halber Umgehungsmärsche (wie würde man dies bajuwarisch nennen?) machten, einen einzigen Weg haben: Den der intellektuellen klaren Aussage über das, was den neuen Stil ausmacht: Was proportionieren und profilieren heißt, wie man den unreinen Reim, die Schiefe, die Kurve zu neuem Ausdruck heranzieht oder koloristische Systeme übereinanderlegt u. s. f. „Gesinnung" heißt dem Wiener „Schmecks".

Die gesamte Anstrengung in Frage gestellt Kann man das Bauhaus verneinen und trotzdem die Moderne bejahen? Prof. Schwarz stellt die Anstrengung der letzten 50 Jahre in Frage. Der Wiener wird die Möglichkeit des Sowohl-als-auch aus einem sehr einfachen Grund verneinen: Unbeschadet konstruktiver Kardinalfehler - etwa des Dessauer Glaswürfels - sieht er im Bauhaus die Symbolkraft des kalten Verstandes. Er liebt sie ebensowenig wie Prof. Schwarz. Aber er weiß aus tausend schweren Erfahrungen, daß Unsentiment zur Zeit gehört und daß man mit „Kälte" nicht nur nützliche, sondern sogar schöne Dinge - neue Maschinen z.B. - zustande bringt. Zwar glaubt er, die neuen Kleider oder Autos oder gläsernen Bungalows seien schön nicht durch Zweckerfüllung, sondern durch die formende, proportionierende, profilierende Hand. Aber er übersieht nicht den größer gewordenen Anteil des Verstandes. Die Beschleuniger dieser Schraubendrehung, die Bauhausleute, haben nach seiner Ansicht ohne Zweifel Verdienst an der Verstandesinthronisation. Da außerdem die Bewegung zur Maschinenform mächtig ist, mächtiger als die seinerzeitige Sezession oder der Loosstil (bei denen er sich blamierte), so bagatellisiert sie der Wiener nicht, sondern trachtet, sie amüsant zu finden. Dies ist zwar nicht der Fall. Er sieht in ihr eine Art Selbstkastrierung, eine halbe Nahrung, die des wichtigsten Gewürzes, des Gefühls oder Geschmacks, ermangelt. 221

Nun ist er - vielleicht - imstande, Prof. Schwarz' Darlegungen als einen Versuch zu begreifen, die Sachlichkeit mit verdünnter Tradition auszusöhnen. Also ins Maschinenzeitalter einzuschwenken, aber der Maschine eine - frühchristliche, friesische, gotisch-giebelige - Note zu belassen. Der Wiener kennt solches Ziel aus der Musik. Auch hier bemühen sich talentierte Leute um die „Suite im alten Stil", um moderne, mit hineingehackten, harmoniefremden Tönen bewirkte Klangdifferenzierung, um grimmigen, vorklassischen, durch die härteste der griechischen Tonarten erzeugten Archaismus. Im Dilemma zwischen neuer und originaler Passacaglia wählt aber der Wiener bei Nichterhalt der alten den Jazz, der ihm nicht nur harmonischen Abscheu, sondern positiven neuen Reiz, interessante Rhythmik, neue Klangfarbe bringt. Ins Architektonische übersetzt findet er solches bei den verrückten Italienern. Die Neubelebung der Tradition will er hundertprozentig und nicht in Abschnitzeln, und eine Begründung dieser Art lehnt er ab: Wenn schon Sachlichkeit und Gesinnung, dann auch Bauhausgesinnung! Das Wörtchen „anständig" Dieses Lobeswort, welches Prof. Schwarz einem Gropiusschen Kontorhaus zugesteht, ist ein in Wien von etwa 1930 bis 1938 und dann wieder ab 1945 gebrauchtes Schlüsselwort. Heute hört man es selten. Es war ein Universalschlüssel, der alle Türen schloß. Wahrscheinlich kam er aus Adolf Loos' Denkschule. Loos verwendete anständige Klubstühle, die bei Weglassung des Stoffmusters auch von Kolo Moser hätten sein können. Aber Loos nahm auch anständige neue Chippendale-Stühle. Am berühmten Michaelerplatzhaus ist die untere Hälfte deshalb anständig, weil das Schneidergeschäft toskanische Säulen aus massivem Cipolino bekam, während die obere Hälfte das Epitheton durch die werkgerechten Fensterlöcher verdient. Seit Loos gehört das Wort zu den Floskeln der Eingeweihten, die sozusagen bei der Kunst wissen, ob ein gefallenes Mädchen gerade durch Gefallensein Hochachtung verdient. Das Wort bedeutet nämlich nichts. Immer war es ergötzlich, die abgeklärten Gesichter der Wiener Kunstrichter zu sehen, die im selben Atem das Stockholmer Stadthaus für anständig erklärten und über ihres Landsmannes Dagobert Peches geistreiche Ornamentik taktvoll schwiegen. Kam man auf den Einsteinturm in den zwanziger Jahren zu sprechen, so gab es solche, die ihn als anständig, ja sogar als Werkform lobten, und andere, die die ge222

buckelte Betonschildkröte geradezu schamlos fanden. Wie sprühte nicht Loos moralisierende Vernichtung aus, wenn er auf Josef Hoffmann und die Wiener Werkstätte zu sprechen kam. Alles dies sind Parallelen zu Prof. Schwarz' Hervortreten. Und so sei an ihm der hypothetische Fall herangetragen: Wenn die amerikanischen Möbel und Häuser wieder zu Adam und den Pilgervätern zurückkehren sollten - die Bildzeitungen lassen dies als möglich erscheinen - und Elisabeth Kadow, die Lebendiges macht, scheint es laut Heft 4 ebenfalls zu wittern - , wenn gemäß amerikanischen Führungsanspruches schließlich auch bei uns nach diesem Wust von Jugendstil bis zum „Gereinigtsein" ein verbindlicher Klassizismus käme was hätten wir nun bezüglich der Anständigkeit zu halten? Müßten wir Symmetrie und Gesimse, wenn sie Herr Tamms brächte, verdammen, oder wären sie in zarter frühchristlicher Form zu loben? Wer bestimmt den Punkt, wo der Anstand in das Verworfensein übergeht, wo der gutgeheißene Traditionalismus goldbraun schimmert? Für die spätere Kunsthistorie wird es eine Verlegenheit bedeuten, wenn sie die 90% unanständigen von den 5% anständigen Traditionalisten und den restlichen Einzelgängern unterscheiden soll. Der unklare Sieg über das Dekorative Als Deutscher müßte man die Anrufung Erwin von Steinbachs, der den Bau nicht nur baute, sondern außerdem auszierte, so gründlich als möglich überdenken. In diesem „Auszieren", das der Wiener nicht nur bei den barocken Baumeistern, sondern auch bei den von Prof. Schwarz gerühmten Olbrich und Otto Wagner als eine wesentliche Eigenschaft des Bauwerkes, als dessen Sinnlichkeit geübt sah, liegt für ihn ein äußerst wichtiger Grund, das Bauhaus und Prof. Schwarz' Stil ungefähr gleich zu schätzen. Ein kleiner Lapsus Prof. Schwarz' - Verwechslung des fast heiligen „Rings" mit der unheiligen Stadtbahn - bestärkt den Wiener in seiner Einbildung, er wisse um den Anteil des Dekorativen besser Bescheid als Prof. Schwarz. Ihm ist es unverständlich, wie man die beiden Sezessionisten als Kreuzungen für die gereinigte Architektur anführen kann. Dies sieht nun fast so aus, als solle einem Ornamentstil das Wort geredet werden, als stelle die schwer um das tägliche Brot kämpfende Wiener Architektenschaft eine in Bereitschaft stehende Kompanie von Ornamentisten dar. Der Wiener, falls er nicht zu der schwach verankerten Avantgarde sich zählt, sieht aber die Sache einfacher an. Er achtet das 223

Prinzipielle in keinem Falle sonderlich hoch und namentlich nicht in den Künsten, die er allesamt zum Theater zählt. Er glaubt also, daß man dieses oder die Architektur unter Weglassung des schmückenden Beiwerkes, mit Proportionen allein betreiben kann, daß aber dies nur eine Möglichkeit unter sehr vielen anderen darstellt. Wenn - so meint er - die strenge Einfalt an die Verwendung des besten Materiales und an die vorzüglichste Verarbeitung gebunden ist, so fände er es in der Zeit gebotener Sparsamkeit gescheiter, wieder Gliederung, Farbe, ausdrucksvolles Profil zu Hilfe zu nehmen. Asketische Weltanschauung ist ihm kein Ersatz für das Visuelle. Den Verlust der Sinnlichkeit beklagt er sowohl beim Bauhaus als auch bei Prof. Schwarz. Seit Reinhardt ist er für das Volltheater und hält die charakterstärkste, chemisch gereinigte Stilbühne als für die Kasse unpraktisch und als ungeeignet, Volk und Künstler zusammenzuführen. Logisches Recht ist ihm nicht optisches Recht. Die höchst notwendige Majorität Der Architekturzirkus, dessen eine Nummer: Bauhaus genannt, nun abtreten soll, war dem Wiener seit der Sezession verdächtig. Otto Wagner, Olbrich, Josef Hoffmann, Ohmann hatten nicht in Wien, sondern in den reichsdeutschen Zeitschriften die größte Resonanz. In Wien stießen sie mit der Katholizität, mit der Schmuckfreudigkeit zusammen. Tessenow empfand sich bei kurzer Wiener Wirksamkeit als Fremdkörper, und des Sudetendeutschen Loos' Michaeierhaus ist noch heute nicht verziehen. In der heutigen Wiener Enge und Gedrücktheit verlangt die Sehnsucht noch viel stärker die Emotion, die Antilogik: Sie findet sie im neuen römischbarocken Kubismus - Bahnhof Termini, Condominiumhäuser in Parioli u.s. f. - Protestantische Strenge schätzt solches Wesen nicht, das eine sittliche oder zumindest logische Richtschnur leugnet. Wie ist es aber in Deutschland ? Sind die Töne zu überhören, die für die Künste jede Art von formaler Theologie ablehnen? Die Menschen sind überall gleich. Sie wollen vom Kunstwerk, daß es vollkommen sei wie ein vollkommener Mensch. Dieser muß Proportionen haben, Bewegungsharmonie und Farbenanmut. Und nun nehme man einmal unsere hohlwangigen Calviner, die alles, was früher Anmut war, gedanklich skelettieren. Wen beglücken sie? - fragt der Wiener. Kurzum: Wenn zur Zeit des schwülstigen Bürgertums es Pflicht war, experimentierende Eliten zu bilden, so ist nach fünfzig Jahren Experiment 224

die Kluft zwischen dem gemeinen Geschmack und den auf Wolken schwebenden Formtheologen so groß geworden, daß zumindest der Selbsterhaltungstrieb den Architekten zu einer neuerlichen Aufsuchung des Volkes und seiner Denkart führen sollte. Der Wiener wird finden, daß Sie, sehr geehrter Herr Herausgeber, mit dem Aufzeigen der Geschmacksmajorität - im letzten Heft - ein viel brennenderes Problem berührten als mit den Diskussionen um die Form, die immer auch hochmütig sind. Ohne Majorität kann man in Demokratien nicht einmal Architektur machen.

Zum Schluß persönliche Meinung Wenn, wie vorher geschehen, der präsumptive Wiener den Streit Gropius-Schwarz in der leichtfertigen und ironischen Art betrachtet: „Deutsche kauft deutsche Van-Goghs-Schwarzsches Bauhaus" u. s. ä. - so hat er gemäß seiner Selbsterkenntnis wahrscheinlich bereits „lieber den Freund als den Witz verloren". Er wollte dies nicht. Deshalb gehört es sich wohl zum Schluß, ernst zu sein: Unzählige kämpften und zerbrachen am Problem der Stilfindung, welches Prof. Schwarz auf seine Weise beleuchtet. Wenn die untergegangenen Stilsucher nach schweren Jahren und schweren Irrungen schließlich zum Erfolg gekommen wären, so wären sie gewiß anfällig dafür, die persönliche „Rechtsfindung" als allgemein verbindlich anzusehen. Sie würden dann - so wie wir alle, die nicht nur zeichneten, sondern auch dachten ihre Fehler verschwiegen oder entschuldigt und der Eitelkeit Zoll gezahlt haben. Wir wollen nicht vergessen, wie viele gleich uns denkend und fehlend auf der Walstatt blieben. Bauherr, Politik und Lebensnot zwangen sie zum Kompromiß. Trotzdem kämpften sie, trugen namenlos das Ihrige bei. Die moralische Wertung sollte feststellen, wie viel jeder dem andern und seinem Büro verdankt und die Rechthaberei auf Grund der völligen Unsicherheit über das Urteil der Zukunft vermeiden. Vielleicht gibt folgende Erinnerung den Namenlosen Gerechtigkeit und drückt auch Achtung vor dem mutigen Prof. Schwarz aus: In Prag lebte bis 1945 ein Architekt Kamil Roskot. Er gewann alle Wettbewerbe, war unbeugsamer Kubist, ein glänzender Zeichner. Er kam gegen das slawische Schmuckverlangen nicht auf. Als sein Onkel, der unglückliche Staatspräsident Hacha, schmählich abgesetzt wurde, war er so weise, das Kommende vorauszu225

sehen und wählte den Freitod. Warum an ihn erinnert sei? Roskot arbeitete fast genau nach den „gereinigten" Prinzipien, wie sie Prof. Schwarz am deutlichsten in der „zusammengebastelten" Rundkirche zeigt. Nur konsequenter, aber die Nuance tut nichts zur Sache. Roskot baute außerordentlich wenig und war dennoch durch Können und Charakter hoch angesehen. Dem ruhmlos Gestorbenen die Achtung auszusprechen heißt, das gleiche Streben mit hohem Lob zu bedenken. Dies bedeutet noch lange nicht, den Teilausschnitt, den Schwarz und Roskot bearbeiteten, als Erfüllung der Baukunst anzusehen.

III. Hubert Hoffmann Das historische Bauhaus Eine Darstellung seiner Idee und Geschichte

1919-1933

„Alle diese Dinge richteten die Einbildungskraft gegen die ältere Zeit hin und da die Kirche täglich auch jenem Sinn gemäß, an Farbe und sonstiger Auszierung gleichsam der Vergangenheit entgegenwuchs, so mußte man sich beinahe selbst fragen: Ob man denn wirklich in der neueren Zeit lebe, ob es nicht ein Traum sei, daß man nunmehr in ganz anderen Sitten, Gewohnheiten, Lebensweisen und Überzeugungen verweile." So stellt Goethe die um 1800 heraufkommende Architektur-Bestrebung als fragwürdig hin, in der die Phantasie der Formgebung vom historischen Vorbild geleitet und ebensosehr „gelähmt" wird und weder mit dem eigentlichen Leben noch mit den Ideen der Zeit übereinstimmt. Das Bauhaus hat nicht zuletzt seine Bedeutung dadurch erhalten, daß es diese Methode historischer und historisierender Gestaltung und Betrachtung überwunden hat. Seine Bemühungen waren nicht, etwa um jeden Preis etwas Neues zu schaffen, intellektuelle Überspitzungen oder Modisches oder gar ein „Bruch mit der Tradition", sondern ganz einfach die Wiederaufnahme einer seit der Renaissance verlorengegangenen Folge, die Form aus den Bedingungen der Zeit - aus ihren Anschauungen und ihrer Technik - zu entwickeln. Die Beziehung zwischen dem wirklichen Leben auf der einen Seite und dem formalen Ausdruck auf der anderen, das Verhältnis zwischen anonymer Gestalt auf allen Gebieten und der offiziellen „Kunstbetätigung" hatten sich seit langem so erheblich ver226

schoben, daß ein Entsprechen, eine Übereinstimmung nicht mehr vorhanden waren. Die Revolutionäre der Bewegung von 1900, wie van de Velde, hatten die Zusammenhänge schon erkannt, aber erst der nächsten Generation, als deren Exponent das Bauhaus angesehen werden kann, war es vorbehalten, die Phasenverschiebung zwischen dem realen Leben und der Gestaltung im Grundsatz zu überwinden, d. h. eine den heutigen Lebensweisen, Gewohnheiten und Uberzeugungen entsprechende Gestalt zu finden. Die Abstempelung als „Jugendstil", „Bauhausstil", „neue Sachlichkeit", „Funktionalismus" u.a. hat ebensoviel Verwirrung angerichtet wie die journalistischen Deutungen über das Bauhaus in den letzten 20 Jahren. Der Bauhaus-Gedanke ist vom Unkraut des Halb- und Viertelwissens überwuchert. Es ist nicht einfach, zu einer Klärung beizutragen - eine Bewegung zu schildern, der wir selber eng verhaftet sind, ohne in ein Pathos zu verfallen, das Außenstehenden unverständlich ist. Es ist um so schwerer, als der Bauhaus-Gedanke noch gegenwärtig ist und in den Raum des Künftigen hineinragt. Aus diesem „in der Gegenwart stehen", aus dem „Nicht-erfüllten" nehmen wir die Notwendigkeit eines Gesprächs über Erziehung zum Gestalten. Denn neben dem Bauhaus als Bewegung und dem Bauhaus als Produktionswerkstatt ist eben dies der eigentliche Kern des Bauhauses. Die Schwierigkeit der Schilderung liegt auch darin, daß es kein Dogma, keine Festlegung bestimmter Regeln gab, vielmehr eine Toleranz und Weiträumigkeit des Denkens, die den Dazukommenden immer wieder überraschte und zunächst einmal verwirrte. Sie war bestimmt von dem Wunsch, alle Gedanken und Erscheinungen aufzunehmen und beim Gestaltsuchen zu verarbeiten, die die Welt heute entscheidend bewegen. Den Rahmen gaben zwar die wenigen schriftlichen Bekenntnisse von Walter Gropius und die Schriften von Klee und Kandinsky. Innerhalb dieser programmatischen Ideen gab es aber sehr viel Spielraum, nicht zuletzt um der Gefahr zu begegnen, von einem „Akademismus" in einen neuen zu verfallen. Irrtümer und Streitgespräche Außenstehender sind aber auch immer wieder entstanden aus einer Verkennung der eigentlichen „Bauhaus"-Idee. - Vielfach wird angenommen, daß die Aufgabe des Bauhauses mit der Uberwindung der historisierenden Gestaltung erfüllt sei. Wir müssen klar unterscheiden zwischen dem Bauhaus, das von 1919 bis 1933 existiert und gewirkt hat und das schon in der Tat historisch - ja, nahezu eine Legende - geworden ist, und zwischen der Bauhausidee, die Uber den gewaltsamen Einschnitt von 1933 hinaus fortgewirkt hat und weiter fortwirken wird. 227

Die Bauhaus-Idee Das Bauhaus von 1919 bis 1933 erhielt seine Kraft durch bedeutende Persönlichkeiten, von einer gemeinsamen Idee zusammengeführt, unter der Leitung eines Mannes, der die verworrenen Verhältnisse unserer Zeit übersah und mit einem genialen Instinkt die Notwendigkeiten von Morgen aufspürte: Walter Gropius. Diese Zeit läßt sich ebensowenig wiederholen wie die Atmosphäre, die jene Persönlichkeiten in Weimar und Dessau geschaffen haben. Aber die Idee, das Gedankengebäude, ist geblieben. Es ist von einer Weite, die schwer abzumessen ist, und dieses Gedankengebäude steht heute zu einem großen Teil noch leer - wenigstens bei uns, im Landes seines Ursprungs. - Um diese Idee darzustellen, bedarf es der Heranziehung des historischen Bauhauses als Beispiel. Die Produkte der Bauhaus-Werkstätten in den 20er Jahren sind genauso als Stadien der Entwicklung anzusehen wie die Form des Bauhauses von 1919 bis 1933. Worum geht es dem Bauhaus als Idee? Es geht um die Gestaltung und um die Erziehung. Es geht und es ging auch anderen um die Gestaltung und um die Erziehung. Auch andere bemühten sich um die neue Gestalt und um eine veränderte Erziehung; - etwa der Werkbund, dessen Ziele dem Bauhaus sehr nahe stehen. Worin liegt der Gegensatz oder die Abweichung? Der Unterschied besteht gar nicht in einzelnen Forderungen und Anliegen, die damals in der Luft lagen und die heute wieder nach einer Erfüllung verlangen - vielmehr in der Breite, Tiefe und in der Radikalität, mit der man sich am Bauhaus um die Lösung der Frage nach der Form der Gegenwart bemühte. Der Unterschied liegt aber vielleicht noch mehr in der Zusammenarbeit eines Kreises von Menschen, die im Suchen nach einem gleichen oder ähnlichen Ziel ihre Individualität fördern und steigern - in der Wirkung einer echten Gemeinschaft auf Lehrende und Lernende. Paul Klee sagt vom Weimarer Bauhaus 1921: „Ich begrüße es, daß an unserem Bauhaus so verschieden gerichtete Kräfte zusammenwirken. Ich bejahe auch den Kampf dieser Kräfte gegeneinander, wenn die Auswirkung in der Leistung sich äußert." Gropius hat im Unterschied zu vielen anderen, die sich damals versuchten und die sich heute um die Kunsterziehung bemühen, nicht an Einzelheiten „reformiert", sondern mit allseitiger Gründlichkeit eine radikal neue Schulform geschaffen. Ihre Bedeutung geht über die Grenzen der Kunsterziehung hinaus. Die Forderung nach dem „Studium Generale", die auf jeder Studenten- und Hochschultagung heute gestellt wird, liegt in der 228

Bauhausidee. Sie hat damals ihre Erfüllung im Bauhaus gefunden. Niemand vermag die Frage, worum es dem Bauhaus geht, besser zu beantworten als Gropius selbst. Wir entnehmen einige Thesen seiner 1923 erschienenen Schrift „Idee und Aufbau des Staatlichen Bauhauses Weimar": „Das heutigeo Bauen ist aus einer allumfassenden Gestaltungskunst zu einem Studium herabgesunken, in seiner grenzenlosen Verwirrung ist es ein Spiegel der alten zerrissenen Welt, der notwendige Zusammenhalt aller am Werk Vereinten ging darin verloren. Die Kunst des Bauens und ihrer vielen Gestaltungszweige ist eine Lebensangelegenheit des ganzen Volkes. Die verbreitete Ansicht, Kunst sei Luxus, ist die verderbliche Form des gestrigen Geistes, der die Erscheinungen isolierte. In starken Zeiten wurde das gesamte gestaltende Werkleben des Volkes vom künstlerischen Menschen befruchtet, weil er mitten darin stand, weil er die gleiche Grundlage des werkmäßigen Könnens und Wissens in werktätiger Praxis, wie jeder andere Werkmann des Volkes, von unten herauf erworben hatte, weil nicht der verhängnisvolle und anmaßende Irrtum von Staats wegen gezüchtet wurde, Künstler sei ein erlernbarer Beruf. Kunst ist nicht erlernbar! Ob eine gestaltende Arbeit nur als Fertigkeit oder schöpferisch getan wird, hängt von der Begabung der Persönlichkeit ab. Diese kann nicht gelehrt und nicht gelernt werden, wohl aber Können der Hand und gründliches Wissen als Voraussetzung für alle gestaltende Arbeit. Für die Leistung des einfachen Arbeiters ebenso wie für die des genialen Künstlers. Die Erziehung der Akademien dagegen hatte zur Wirkung, daß sich ein breites Kunstproletariat entwickelte, das schutzlos dem sozialen Elend preisgegeben war, weil es, in einem Genietraum eingelullt, zum Künstlerdünkel erzogen wurde, zu dem ,Beruf' des Architekten, Malers, Bildhauers oder Graphikers. Der pädagogische Grundfehler der Akademie war die Einstellung auf das außerordentliche Genie anstatt auf den Durchschnitt. Grundforderung für die künftige Bildung aller bildnerisch Begabten ist: Gründliche praktische Werkarbeit in produktiven Werkstätten, eng verbunden mit einer exakten Lehre der Gestaltungselemente und ihrer Aufbaugesetze. Der beherrschende Gedanke des Bauhauses ist die Idee der neuen Einheit, die Sammlung der vielen ,Künste', ,Richtungen' und Erscheinungen zu einem unteilbaren Ganzen, das im Menschen selbst verankert ist und erst durch das lebendige Leben Sinn und Bedeutung gewinnt. Von dem richtigen Gleichgewicht der Arbeit aller schöpferischen Organe 229

hängt die Leistung des Menschen ab. Es genügt nicht, das eine oder das andere zu schulen, sondern alles zugleich bedarf der gründlichen Bildung. Daraus ergibt sich Art und Umfang der Bauhauslehre. Sie umfaßt die handwerklichen und wissenschaftlichen Gebiete des bildnerischen Schaffens. Die Werklehre bildet die wichtigste Voraussetzung für eine gemeinsame Arbeit am Bau. Sie bekämpft bewußt den kunstgewerblichen Dilettantismus. Das Bauhaus bejaht die Maschine als modernes Mittel der Gestaltung und sucht die Auseinandersetzung mit ihr. Das Handwerk der Zukunft wird in einer Werkeinheit mit der Industrie das Versuchsfeld für die industrielle Produktion bedeuten; seine spekulative Versuchsarbeit wird die Normen schaffen für die praktische Durchführung. Die Theorie ist nicht Rezept für das Kunstwerk, sondern sie ist das wichtigste objektive Mittel zu gemeinschaftlicher Gestaltungsarbeit, sie bereitet die gemeinsame Grundlage, auf der eine Vielheit an Individualitäten eine höhere Werkeinheit zusammen zu erschaffen vermag; sie ist nicht das Werk von einzelnen, sondern von Generationen. Laute und Grammatik sind erlernbar, aber das Wichtigste, das organische Leben des erschaffenden Werkes, entstammt der ursprünglichen Schöpferkraft des Individuums, die sich die Mittel zur Komposition sucht und schafft nach eigenem inneren Gesetz. Wir wollen den klaren organischen Bauleib schaffen, aus innerem Gesetz heraus, ohne Lügen und Verspieltheiten, der seinen Sinn und Zweck aus sich selbst heraus durch die Spannung seiner Baumassen zueinander in ihrer Funktion verdeutlicht und alles Entbehrliche abstößt, das die absolute Gestalt des Baues verschleiert. Da ein allgemeingültiger methodischer Weg zur Auswahl der Begabung von vornherein nicht möglich ist, muß der einzelne im Laufe seiner Entwicklung das ihm gemäße Arbeitsfeld im Rahmen der Gemeinschaft selber finden. Die Mehrzahl wird zum Träger der Produktion, die wenigen außerordentlich Begabten lassen sich keine Grenzen setzen. Die Verantwortung des Bauhauses besteht darin, Menschen herauszubilden, die die Welt, in der sie leben, erkennen und die aus der Verbindung ihrer Erkenntnisse und aus ihrem erworbenen Können typische, diese Welt versinnbildlichende Formen ersinnen und gestalten."

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Gestaltung aus dem Menschlichen Spricht aus den Thesen nicht - außer dem klaren Bewußtsein des Notwendigen unserer Zeit - eine starke sittliche Verantwortung für den Menschen? Spricht aus ihnen nicht eine wirkliche Humanität? Der Glaube an das Ziel, der Weg, der durch ein Chaos von Widersprüchen und Unbekanntem begonnen und unbeirrt fortgesetzt wird, verdient eher die Bezeichnung: „echteste Romantik". Man wird mir diese Auslegung vielleicht nur für die Frühzeit zugestehen, denn nichts wurde am Bauhaus so sehr gefürchtet als die Äußerung einer Gefühlsregung als „Romantik", sofern sie nicht mehrfach umgegossen im Werk in vollendete Form übersetzt war. Dieser Kontrast zwischen äußerlicher Kälte und Sachlichkeit und innerlichem Gefühlsüberschwang gab eine seltsame Spannung, die der Situation unserer gesamten heutigen Jugend ähnlich ist. Wir scheuten damals innere Regungen zu zeigen, weil der Mißbrauch von Empfindungen und Symbolen sich schon ankündigte. Die heutige Jugend ist noch zurückhaltender, weil sie den Betrug erfahren hat, der mit allen großen Worten, Ideen und Gefühlen getrieben wurde. So bestanden seltsame ungeschriebene Gesetze am Bauhaus, die auch in der Lehre nur eben tangiert wurden - über die man selten oder nie sprach vielleicht nur mit dem besten Freund. Und doch waren sie etwas sehr Wesentliches, nicht Fortzudenkendes. Man glaubte so sehr an das Entsprechen von Form und Inhalt, daß es eine feste Uberzeugung gab: Nur ein Mensch, der gegen sich und andere ganz aufrichtig ist, sei in der Lage, eine wirkliche Gestaltung zu vollbringen. Die sittliche Sauberkeit galt als die Voraussetzung der Befähigung zur Gestaltung überhaupt. „Schönheit ist der Glanz des Wahren." Jener Ausspruch, den Mies van der Rohe wiederholte, ist ebenso Leitmotiv aller Bauhausarbeit gewesen wie der Gedanke der „Kathedrale des Sozialismus". Auf die Jugend hat es eine so starke Wirkung gehabt, weil die stärksten Gestalter unter den Meistern diese Aufrichtigkeit gegen sich selbst und gegen andere vorgelebt haben. Sie wurde nachgelebt oder mindestens versucht nachzuleben - und mancher Schüler ist durch dieses Vorbild stärker geprägt worden als durch die geistvollen Vorlesungen. - Damit soll nicht gesagt sein, daß alle Bauhäusler Tugendbolde waren - sie waren es ganz und gar nicht - , aber die Kompromißlosigkeit, mit der die Bauhaus-Angehörigen, ohne Ausnahme, der Nazi-Unterdrückung entgegengetreten sind, ist abweichend von dem Verhalten jeder anderen Hochschule in Deutschland. 231

Die Meister Die Gedanken, die in „Idee und A u f b a u . . . " niedergelegt sind, wurden im Bauhaus von 1919 bis 1933 verwirklicht. Sie haben wertvolle Anregungen gegeben für die verschiedenen Gebiete der Gestaltung, angefangen vom einfachen Gebrauchsgerät bis zum Bau von Siedlungen und Städten und für die Erziehung der Architekten und Städtebauer, der Maler, Bildhauer, Bühnenbildner, der Fotografen, Werbegestalter, Textil- und Gerätgestalter verschiedener Anwendungszweige. Eine internationale Lehrerschaft: Ein Amerikaner, ein Russe, zwei Ungarn, ein Norweger, ein Holländer, zwei Österreicher, drei Schweizer, fünf Deutsche gaben die Voraussetzung, daß ein echtes abendländisches Gespräch wieder aufgenommen werden konnte. In dieser Gemeinschaft, in der Fähigkeit, sie zusammenzustellen, sie darüber hinaus zusammenzuhalten und sogar ein stimmendes Orchester aus ihnen zu bilden, liegt die große Leistung Walter Gropius'. Er besaß die seltene Gabe, diese völlig heterogenen Temperamente, diese starken und eigenwilligen Persönlichkeiten in ihrem Zusammenwirken zu steigern und zur Produktivität anzuregen. Bei allen Meistern ist, deutlich erkennbar, die Zeit am Bauhaus auch die stärkste Schaffensperiode gewesen. Aufgebaut war der Meisterrat in der Tat wie ein Klangkörper. Jede Persönlichkeit, jedes Temperament hatte seine Bedeutung, seinen Sinn und seine Aufgabe im Ganzen. Zwischen Moholy-Nagy als Typ des zum Intellektuellen neigenden Gestalters auf der einen Seite und dem Mystiker Paul Klee auf der anderen Seite waren alle Abstufungen zwischen Geistig-Rationalem und Geistig-Gefühlsmäßigem deutlich ausgeprägt vorhanden. Entwicklung von 1919-1933 Das Bauhaus ist keineswegs bei seiner Gründung fertig dagewesen. Es hat sich organisch entwickelt und von 1919 bis 1933 ständig gewandelt. Die Wandlungsfähigkeit innerhalb einer Idee lag in der Absicht der Gründer. Man ließ auch genügend Spielraum, um nicht zu erstarren, um den Puls der Zeit zu fühlen und um immer mit dem Leben verbunden zu sein. Die Entwicklung in Weimar oder Dessau zeigt also nur eine, oder besser gesagt einige mögliche Formen einer Verwirklichung der Bauhausidee. Sie schließt weitere, andersgeartete Möglichkeiten ein. 232

Wir wollen vier Perioden des Bauhauses unterscheiden.

Das Bauhaus in Weimar - das „Urbauhaus" Peter Röhl hat es treffend geschildert, und der Enthusiasmus jener Zeit klingt aus der Form seiner Darstellung, so daß ich mich kurzfassen kann: Es war der Aufbruch einer neuen Zeit, es gärte, brodelte und wirbelte durcheinander. Uber allem stand das Symbol der gotischen Kathedrale, wie sie Feininger in Hunderten von Variationen gezeichnet und gemalt hat - das Sinnbild einer geistigen Kraft, die von der Gemeinschaft geschaffen ist und über ihr steht. Romantisch mittelalterliche Vorstellungen beherrschten noch die ersten Werkstätten und Erzeugnisse. WandervogelGruppen, politische und religiöse Sektierer prallten aufeinander und suchten sich gegenseitig zu bekehren und gemeinsam mit den Meistern ihrem Weltbild in den Werken Ausdruck zu geben.

Das Bauhaus in Dessau unter Gropius Der Umschwung begann in Weimar, und den Anstoß hat in starkem Maße der Holländer van Doesburg gegeben, der ein Bauhausbuch über den Neo-Plastizismus schrieb. Eine stärker rationale Färbung trat ein. Mit der Industriegestaltung und den Dessauer Bauten die Fragen der Normung, Typisierung und wissenschaftlichen Forschung, - Einbeziehung von Psychologie, Biologie und andere Wissensgebieten.

Das Bauhaus in Dessau unter Hannes Meyer Vielleicht kann man die Wendung, die nun eintrat, als „Rationalistische Romantik" bezeichnen. Gesellschaftslehre und Wirtschaftswissenschaften wurden Mittelpunkt der Theorie. Im Zuge der allgemeinen Politisierung des öffentlichen Lebens wurde der immer geringer werdende Einfluß religiöser Sekten von politischen Gruppen abgelöst. Durch eine kleine radikale, linksgerichtete Gruppe wurde Hannes Meyer auf Wege abgedrängt, die mit den eigentlichen Zielen des Bauhauses nicht im Einklang waren. Eine kurze Periode, die mit der Entlassung Hannes Meyers endete. 233

Das Bauhaus in Dessau und Berlin unter Mies van der Robe Die Auswirkung der Gemeinschaft wird in dieser letzten Periode eingeschränkt, die Persönlichkeit tritt stärker in den Vordergrund, ebenso das schulische Element. Die von Außenstehenden als „Konstruktivismus und Funktionalismus" bezeichneten Bestrebungen werden in einer neuen klassischen Form größter Ruhe und Einfachheit vereinigt. Unter dem Druck der Verhältnisse kurz vor 1933 verliert das Bauhaus selbst an Substanz, der Bauhausgedanke aber beginnt sich damals auszubreiten: Die Akademien Breslau, Düsseldorf und andere Schulen fangen an, Teile der Bauhauslehre einzubauen. Der Weg von der willkürlichen Vielfalt zum Einfachen und zum Gesetz führte zunächst über die notwendige Wiedergewinnung der „reinen Form". Aufbau einer Gestalt und weitgehende Rückführung auf „Urelemente": Quadrat, Kreis, Dreieck, Rot, Blau, Gelb, Kubus, Kugel, Zylinder usw. usw. Es war eine Aktion der Bereinigung. Le Corbusier tat sie zur gleichen Zeit in Frankreich und nannte die Bewegung „Purismus". Später ist die Forderung, auf geometrische Grundformen zurückzugehen, verlassen worden, als die Bereinigung beendet war. Man verbesserte sie durch die Forderung der knappsten ökonomischen Gestalt einer gegebenen Funktion, wobei Funktion ganz und gar nicht nur die materielle Seite umfassen soll, sondern ebenso die geistig-seelischen Beziehungen.

Der Vorkurs Auch der pädagogische Aufbau ist nicht zu allen Zeiten der gleiche gewesen. Er war in diesem beweglichen und bewegten Institut Änderungen unterworfen, aber auch diese Änderungen waren stets nur Varianten einer durchgehenden pädagogischen Idee. Eine neue Methode, den beginnenden Studenten an die Gesetze der Gestaltung heranzuführen, war die Vorlehre. „Untrennbar neben- und miteinander wird die wirkliche und formale Arbeit entwickelt. Die notwendige Aufgabe ist die Entfesselung der Individualität, ihre Befreiung von der toten Konvention zugunsten persönlicher Erlebnisse und Erkenntnisse, die das Bewußtsein vermitteln, welche Grenzen ihrer Schaffenskraft von der Natur gesetzt sind." Der Spieltrieb des Gestalters wurde gefördert, manchmal erst geweckt. Man ließ den Studenten die Möglichkeiten und Wertigkeiten verschiedenster Materialien entdecken. Ihm wurde in diesem Arbeitskurs nahezu nichts 234

beigebracht. Er mußte alles aus sich heraus entwickeln, „erfinden". Der Lehrende gab eine fast negativ erscheinende Hilfestellung: Er kritisierte, der Student mußte sich verteidigen, mußte begründen. Er wurde durch diese Methode selbständig, bewußt, erwuchs zur Persönlichkeit. Flächenhafte, räumliche und konstruktive Kompositionsübungen waren eine Art von „Fingerübungen" des Gefühls, durch welche die Empfindsamkeit des Gestalters gesteigert wurde. Die Vorlehre war für die Lehrenden gleichzeitig ein psychologischer Test: 1. für die Frage, ob der Betreffende überhaupt als Gestalter geeignet war (der Vorkurs galt als Probezeit), 2. ob er für das Studium am Bauhaus, d.h. für die Gemeinschaft, geeignet war, 3. für welche Richtung der Gestaltung er eine Eignung besaß. Anstelle der malerisch-zeichnerischen Ausbildung trat die Färb- und Formlehre des Vorkurses - natürlich wurde auch gezeichnet, aber das Schwergewicht lag jetzt nicht mehr auf einer intuitiven, optischen Darstellung, sondern auf einer Erforschung der Kompositionselemente und ihrer Wirkung untereinander sowie in einer Kenntnis des Gesetzmäßigen in Rhythmus, Helldunkel, Farbe, Materie, Ton, Verhältnissen und Raum. Nicht das Festhalten des oberflächlichen Eindrucks eines Gegenstandes oder Vorganges wurde dem Schüler nahegebracht, sondern das Vordringen zum Wesen, das Erfassen von Gerüst und Struktur, die Erkenntnisse des „hiner der äußeren Erscheinung Liegenden". Neben den eignen Forschungen der Form-, Färb- und Raumtheoretiker des Bauhauses wurden dem Lernenden in dieser Gestaltungslehre die neuesten wissenschaftlichen Ergebnisse der Psychologie vermittelt. Ittens: „Der Kontrapunkt in der Malerei" Klees: „Pädagogisches Skizzenbuch" Kandinskys: „Von Punkt-Linie zu Fläche" Schlemmers: „Bühne am Bauhaus" sind Ergebnisse der Lehr- und Forschungstätigkeit der Meister. Sie stellen den ersten Beitrag dar zu einer neuen Kompositionslehre der bildenden Kunst und sind ähnliche Mittel wie Kompositionstheorien und Regeln, die in der Musik eine Selbstverständlichkeit sind. Mit ihnen wird eine Systematik neu gewonnen, die im Mittelalter bei den Bauhütten und den Malerwerkstätten streng gehüteter Besitz war.

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Die Werklehre Das Verhältnis von Meister und Gesellen des Mittelalters in def Werkstättengemeinschaft der Bauhütten ist auch Vorbild und Anregung für die Bauhauswerkstätten geworden. Die Werklehre war der eigentliche Kern des Bauhauses, die Ausbildung am Werk ist der wichtigste Bestandteil der Bauhauslehre gegenüber der werkfremden Erziehung der Akademie. Nach dem Vorkurs wurde der Studierende zunächst Lehrling und konnte nach zwei Jahren die Gesellenprüfung vor der Handwerkskammer ablegen. Die Methode, eine Arbeit aus dem Spiel entstehen zu lassen, wurde hier fortgesetzt, soweit es die praktischen Aufgaben zuließen - ebenso die Begründungen, mit denen sich der Studierende gegen die Kritik des Meisters zur Wehr und durchsetzen mußte. Lehrwerkstätten konnten naturgemäß nur Modelle herstellen oder allenfalls die Reihe einer beabsichtigten Serienproduktion. So wanderte der mit einem Auftrag befaßte Geselle - oft mehrere - mit dem Modell zu den Industrien und blieb dort, um zu kontrollieren, ob und in welcher Weise sich das Modell in der Serie bewährte. Er kam dann zurück und berichtete allen übrigen Werkstattangehörigen über seine Erfahrungen und die notwendigen Änderungen am Modell. Vorlesungen über spezielle und allgemeine Wissensgebiete mit Diskussion, insbesondere Gastkurse, liefen parallel. Gemeinschaft und Studiengang Es ist kaum notwendig zu sagen, daß sich jene Abstimmung gegensätzlicher Kräfte im Lehrkörper und Meisterrat im Bauhaus als Ganzem wiederholte. In dieser Gemeinschaft und in der Art, wie sie aufgebaut und gegliedert war, liegt ein wesentliches pädagogisches Moment der Bauhauslehre. Ich glaube, daß in dieser Form des „Für- und Gegeneinander" auf kleinem Raum auch die Stärke einer geistigen Konzentration lag, die sich allen mitteilte - eine im Gegensatz zu der additiven Wirkung anderer Schulen potenzierende Wirkung. Die Klosterschulen und die Mönchsorden des Mittelalters haben zweifellos um jene Wirkung gewußt, gegen die etwa der oft gerühmte Einfluß der Großstadtatmosphäre geistig gesehen nur gering ist. Zur Gemeinschaft gehört sowohl die Gliederung als auch die Begrenzung. Eine Schule von 180 Studierenden, mit den Meistern zusammen 200, ist noch übersehbar. In jeden Vorkurs wurden nur bis zu 236

30 Studenten aufgenommen. In den einzelnen Seminaren und Arbeitsgruppen der Ateliers war die Zahl auf 10 bis 15 beschränkt - im Mittel 12. Der Meister war in der Lage, jeden einzelnen persönlich genau zu kennen, seine spezielle Begabung, Temperament, wirtschaftliche Lage usw. - so wie jeder Studierende den anderen kannte. In jedem Jahr gab es eine Ausstellung der Arbeiten aller Studierenden. Den Ergebnissen entsprechend erfolgte die weitere Aufnahme des Studenten. Als Abschluß mußte eine größere selbstgewählte Aufgabe gelöst werden. Der zweifelhafte Wert von Examina mit sinnwidrigem Einpauken, Stößen von Fleißarbeit, Fehlurteilen bei „Examens-Spezialisten" oder „Examens-Gehemmten" fiel fort. Ein viel sorgfältigeres Urteil der Leistung und Eigenart konnte sich der Meisterrat durch Beobachtung und Kenntnis des einzelnen Studierenden in kleinen Arbeitsgruppen bilden. Nach dreijähriger Werkstattzeit erfolgte im allgemeinen die Aufnahme in die Entwurfsateliers, von den Meisterateliers der Akademien unterschieden dadurch, daß hier fast nur an der Modellentwicklung oder praktischen Aufgaben gearbeitet wurde - in enger Verbindung mit den eigenen Werkstätten oder mit Industrie-Betrieben. Produktions-Werkstätten „Die Bauhauswerkstätten sind im wesentlichen Laboratorien, in denen vervielfältigungsreife, für die heutige Zeit typische Geräte sorgfältig im Modell entwickelt und dauernd verbessert werden. Die in den Bauhauswerkstätten endgültig durchgearbeiteten Modelle werden in fremden Betrieben vervielfältigt, mit denen die Werkstätten in Arbeitsverbindung stehen" (Gropius). Die Bauhauswerkstätten erreichten also ein doppeltes Ziel, das dem verschiedenartigen Aufbau des Werk- und Wirtschaftslebens angepaßt war: 1. Sie stellen der Industrie in Technik erfahrene und schöpferisch begabte Mitarbeiter zur Verfügung. - Mit dieser Zielsetzung wurde damals der Industriegestalter geboren. 2. Wird mit den Werkstätten gleichzeitig ein zentrales Institut geschaffen, von dem sich die Industrie beraten lassen kann und das für die Möbel, Hausgeräte und Stoffe erzeugenden Wirtschaftsbetriebe eine auf vielfältigen technischen und formalen Erfahrungen basierende Entwicklungsarbeit leistet. Forschungsarbeiten, die der Einzelbetrieb im allgemeinen nicht in der Lage ist, im eigenen Haus durchzuführen. Es gelang, die Verbindung mit namhaften Firmen herzu237

stellen. Die Einnahmen aus den Lizenzen wurden zum Teil für Lehrmittel, zum Teil für den Unterhalt der Studierenden verwendet. Unter den Produkten der Bauhauswerkstätten sind die bekanntesten die Stahlrohrund Anbaumöbel verschiedener Firmen, die Kandemlampen, Glasgeschirre für Jena und Weißwasser, Berliner Manufaktur und Fürstenberg Porzellan, Bauhaustapeten und Webereien für zahlreiche Textilbetriebe, Druckgestaltung und Werbegestaltung für Dorland und andere, Autos für die Adlerwerke sowie Serienhäuser und Siedlungen für die Stadt Dessau. Entwicklung nach 1933 Ein Institut, das die „heiligsten Güter der Nation" - und das sind in Wirklichkeit Sinnbilder - so radikal zu ändern gedachte, mußte bei der damaligen ansteigenden Reaktion auf Schwierigkeiten stoßen, insbesondere durch den heranwachsenden Nationalsozialismus. Das Bauhaus wurde bekanntlich dreimal geschlossen, endgültig 1933, als der NS-Staat die Ausrottung und Verfolgung der Träger des Gedankens verlangte. Die Bauhausidee breitete sich trotzdem auf der ganzen Welt aus, und es gibt heute keine Kunstschule, die nicht Teile davon übernommen hätte. In den USA, in die der überwiegende Teil der Bauhausangehörigen auswanderte, entstanden allein vier Schulen. Die drei nach 1945 unternommenen Versuche in der Ostzone, darunter die Bemühungen des Verfassers in Dessau, die auf der Bauhausidee aufbauten, wurden unterdrückt: Dort tritt die Restauration offen als politische Gewalt auf, im Westen als insgeheim ausgeübter Druck. An der Mehrzahl unserer Kunst- und Hochschulen ist der „Geist der Akademie" noch vorherrschend - immer noch ist das Resultat die Ausbildung von Tausenden von „Künstlern", die nichts als die Technik des Malens, Bildhauerns und mehr oder weniger kunstgewerbliches Dilettieren gelernt haben - „die in einen Genietraum eingelullt - später dem sozialen Elend schutzlos preisgegeben sind". Der Sinn der Vorlehre ist an den meisten Schulen mißverstanden. Sie wird als ein zusätzliches Element betrachtet, als ein neuer Lehr„stoff", den man dem Schüler „beibringt", anstatt in ihr eine Erziehung zu sehen, die den ganzen Menschen formt. In Westdeutschland bestehen verschiedene Versuche und Ansätze. Hassenpflug bemüht sich in Hamburg, die Arbeit am Werk zum Mittelpunkt 238

der Landeskunstschule zu machen. Ein gutes Lehrer-Team hat ähnliches in Kassel an der Werkakademie begonnen. Die Hochschule für Gestaltung der Geschwister-Scholl-Stiftung in Ulm geht unmittelbar von den Zielen und der Gliederung des Bauhauses aus. Sie alle und auch andere Schulen in ihren Ansätzen leiden unter einer mangelnden Unterstützung der Öffentlichkeit. Aber sie geben die Hoffnung, daß auch bei uns der BauhausGedanke wieder Raum gewinnt. Es ist kein Zufall, daß das Bauhaus 1919 geboren wurde. Gewiß ist es nicht das „Jahr 1" - aber man kann nicht leugnen, daß es genau der Zeitpunkt ist, zu dem die materielle Macht Europas ihren höchsten Stand erreicht hatte - der deutlich sichtbare Punkt, an dem diese Macht zu sinken beginnt. Eine vergangene Zeit nannte solche Ubereinstimmungen Aberglauben, wir sehen darin einen lebendigen Zusammenhang, einen Hinweis, von nun an eine neue Periode des geistigen Europa beginnen zu lassen, eine Notwendigkeit, das abendländische Gespräch wieder aufzunehmen. Wir haben im Kern des europäischen Kontinents noch eine Substanz, die geistige Energien zu erzeugen vermag, trotz allem, was in den letzten 20 Jahren geschehen ist, und trotz allem, was in den letzten 100 Jahren von „Betriebsamen" unternommen wurde, um Geist und Empfindung zu drosseln und zu töten. Als ein Gegensatz zu jener materiellen Geschäftigkeit und ihren Katastrophen nachziehenden Folgen werden die wirklichen Kräfte und Aufgaben allmählich bewußt. Sie stehen im Widerspruch zu den restaurativen Bestrebungen mit ihrem geistlosen und müden Empirismus, mit ihren Rückfällen in hohle Repräsentation oder barocken Schwulst, der sich gelegentlich in das heutige Bauen unter der Tarnung „organisch" einschleicht. Gegen jene gedankenlose Bequemlichkeit ist eine Askese sowohl im Materiellen als auch im Geistigen die Voraussetzung einer Neugestaltung des Abendlandes. „Die Lösung hängt von der veränderten inneren Einstellung des einzelnen zu seinem Werk nicht von der Verbesserung der äußeren Lebensumstände ab" (Gropius). England und die skandinavischen Länder haben die Notwendigkeit einer Askese bereits besser verstanden als wir. Das Bauhaus hat jene „gespannte Rationalität des gotischen" und des abendländischen Denkens, die stets eine Form der Askese einschließt, in logischer Konsequenz fortgeführt, den „Geist der Gotik" in einer neuen Gestalt, wie sie Karl Scheffler um 1908 vorausgesehen hat. Der Bauhausgedanke ist ein Teil jenes kommenden geistigen Abendlandes.

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IV. Emil Steffann Logik des Verstandes gegen Logik des Herzens? Schwarz: „Wir wollen wieder begreifen, daß Baukunst nicht Funktion ist, daß sie im Geheimniswurzelt, nicht in der Rechnung." Mies van der Rohe: „Meinen Sie nicht, daß auch die Kathedralen Logik, Konstruktion, Rechnung sind?" Schwarz: „Jawohl, aber in einem höheren, metaphysischen Sinn." Eigene Frage: Welches Wissen ist tiefer, das des Verstandes oder das des Herzens? Denn offensichtlich lebt Baukunst aus beiden, und es ist keine Baukunst, wenn eines fehlt. Baukunst ist weder Funktion noch ein dekorativer Kurzschluß des Verstandes mit dem Herzen, sondern der Versuch, Herz und Verstand einander durchdringen zu lassen und in eine gebaute Einheit zu binden. Ihr Maßstab ist, wie weit diese Einheit gelingt. Johannes vom Kreuz läßt das Wissen des Herzens sprechen, das im Geheimnis wurzelt, dem tiefsten Grund jeder Kunst, auch der Baukunst, indem er sagt: „denn so gewaltig ist dies Wissen, das heimlich im Nichtwissen liegt, wie sehr er sich des Streits beflissen, hat noch kein Weiser es besiegt, weil sein Verstand sich drein nicht fügt, zu wissen ohne Wissen und Gedanken hoch über alles Wissens Schranken."

V. Schlußwort des Herausgebers Brief an den unbekannten Leser, an Professor Schwarz, Walter Gropius und an mich selber / von Alfons Leitl Wenn der Herausgeber dem fast erdrückenden Eindruck der letzten Monate glauben sollte, müßte er meinen, das Hervorragendste, was er in einem Vierteljahrhundert beruflicher Arbeit geleistet habe, sei der Aufsatz gewesen, den Herr Professor Schwarz vor einem halben Jahr geschrieben hat. 240

„Ah, Sie sind der Mann, der diese interessante Debatte mit Schwarz „Jawohl, ich bin der Mann. Aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn wir über etwas anderes sprechen könnten, da ich bereits etwa zweihundert Gespräche über dieses Thema im laufenden Jahr geführt, fünfzig Beschimpfungen entgegengenommen, hohes Lob ernsthafter Betrachter, den Ausdruck tiefster Verachtung von Martin Wagner (Sie werden staunen, warum: Weil ich nicht weiter auf das Bauhaus losschlagen lassen wollte, einmal ist schließlich alles genug), sechsundzwanzig Abbestellungen zwei von Prominenten, vierundzwanzig von Studenten, beide Gruppen dürften sich über die gute Gesellschaft freuen - , zwei völlig ausverkaufte Auflagen erlebt, eine gewisse Menschenscheu (siehe die obigen zweihundert Gespräche) und eine Menge tiefer Erkenntnisse gewonnen habe." Lieber Professor Schwarz, Sie können zufrieden sein. Sie haben zweifellos in Ihrem Aufsatz, was ich von Anfang an instinktiv ahnte, einen Höhepunkt Ihrer bekannten Meisterschaft, die Menschen vor den Kopf zu stoßen, erklommen. Wer Sie kennt, neigt sich angesichts dessen vor der Konsequenz, mit der Sie Ihren Uberzeugungen folgten. Sagten Sie mir doch vor vielen Jahren einmal, man muß den Leuten mit dem Vorschlaghammer vor den Kopf hauen, dann sagen sie vielleicht beim dritten Male: Ich glaube, da hat einer geklopft. Insofern konnte ich in allen Debatten besten Gewissens den gegen Sie erhobenen Vorwurf der Inkonsequenz zurückweisen. Sie sind Ihren Überzeugungen treu geblieben. Und diesmal hat es frappierend funktioniert. Schon beim ersten Mal. Blicke ich nun, teils erstaunt, teils resigniert, auf alle Fälle aber nicht ohne innere Bewegung zurück auf das vielfältige Hin und Her, so drängt sich eine Reihe von Fragen auf, die ich mir selbst beantworten muß. Zunächst habe ich viel nachgedacht über die Möglichkeit geistiger Auseinandersetzungen überhaupt, insonderheit im „deutschen Raum". Sodann über die Persönlichkeit in Debatte und Leben, darunter a) Walter Gropius und die Konsequenz. b) Rudolf Schwarz und die Inkosequenz. Drittens über Linientreue und Jugendfürsorge unter Einschluß des Avantgardismus. Viertens über die Nutzlosigkeit des Fleißes (in eigener Sache). Fünftens: Was ist überhaupt zu diskutieren. Sechstens von Zuschauern und Dompteuren. Vorweg will ich noch etwas bemerken. Die beste Figur bei der ganzen Sache - ich erlaube mir ergebenst, heute einmal Noten zu erteilen, nach241

dem ich selbst so viele Noten entgegenzunehmen die Ehre und das Vergnügen hatte - die beste Figur gaben interessanterweise ab: y'/alter Gropius, der zunächst durch den Schlachtruf des Eiferers (besser Abschlachteruf gegen mich) über den Ozean hinweg alarmiert war, sodann aber, nachdem der Herausgeber ihm seinen Standpunkt in der Debatte dargelegt hatte, jenes Verständnis für den Austrag von Meinungen zeigte, dessen Abhandensein unseren Auseinandersetzungen den Charakter von Revolutionstribunalen verleiht. An zweiter Stelle möchte ich Georg Muche nennen, den Bauhausmeister, der auf viele, nicht zuletzt auf den von ihm gemaßregelten Schwarz den größten Eindruck deshalb gemacht hat, weil seine in der Sache strenge Entgegnung zugleich erfüllt war von menschlicher Wärme und Noblesse, so daß jede notwendige Weiterführung eines Gesprächs möglich und gesichert war. An dritter Stelle: ich bedaure, auf die Gefahr, daß einige Leser hier abbrechen, das Ungeheure aussprechen zu müssen, steht schließlich Herr Professor Schwarz. Wieso? Nun, er hat sich, wenn auch arg in jeder Art von Freistil-Angriff, zumindest ebenso hart im Nehmen gezeigt. Das sollte man gebührend werten. Nachdem er dreimal kurz unter dem über zweiunddreißig Druck-Seiten dauernden Schlaghagel seiner Gegner zurückgetaumelt war - man lese die Einleitung seines zweiten Aufsatzes nach raffte er sich auf und schrieb ebendiesen zweiten Aufsatz, der, mit Verstand und Bereitschaft gelesen, doch manchen etwas bringen mochte. Aber das war ja nun auch wieder überflüssig! Denn wir haben alles, was wir brauchen. Wir haben die moderne Architektur. Wir haben einen Standpunkt. Wir haben einen Gegner. Wir haben schöne klare Fronten. Beide sind insofern ganz furchtbar klar, weil ihre Falangisten ganz genau wissen, daß es einzig gilt, den Gegner an der richtigen, der verwundbarsten Stelle zu treffen, mitten ins Herz. Denn nur der tote, der toteste, der ganz und gar total getötete Gegner ist ein guter Gegner. Nun muß ich gestehen, daß ich wahrscheinlich in meiner Knabenzeit zu viele kitschige Geschichten gelesen haben muß von Helden und Leuten, die sich über den vom eigenen Schlag getroffenen Gegner niederbeugten und plötzlich fanden, die Verwundung mit dem Schwert sei eigentlich Unfug gewesen und alles gar nicht nötig . . . und sie wurden Freunde . . . (aha, da haben wir ihn, den Weichmann). Einen Augenblick noch Gehör bitte für meine Jugend, denn die Psychologen haben uns gelehrt, was 242

Jugendeindrücke bedeuten. Und die Umschulung auf totale Gegnerschaft ist vielleicht doch ein zweifelhaftes Unternehmen. So sind diese seltsamen Relikte einer kindlichen Märchen- und Heldenwelt vielleicht zu entschuldigen, dieser törichte Kinderglaube: Wenn ich mit dem Mann einmal richtig spräche! Hinzu kommt, daß ich seit einiger Zeit unter einer lächerlichen Vorstellung leide. Wenn es jemandem gelänge, so denke ich mir, die Fronten der Gegner einmal von hinten anzusehen, würde sich dem Auge wahrscheinlich ein seltsames Bild darbieten. Die dräuenden Panzer ästhetischer Weltanschauungen, die schimmernde Wehr der Doktrinen, gehen gar nicht richtig rundherum und bis unten. Es ist nur ein Halbpanzer, mit Bindfaden vorgebunden. Dahinter stehen sie alle in Anzügen von heute, meistens ganz banaler Art, meistens von der Stange. Was geschähe nun, wenn es gelänge, von hinten die Bindfadenschlaufen aufzuziehen? Wir brauchen diesen Gedanken nicht weiter zu verfolgen. Es geschähe gar nichts! Denn jede Front hat eine Gruppe geprüfter, vereidigter und beglaubigter Doktrinäre. Diese haben sich frühzeitig in ihre Blechpanzer einlöten lassen. Sie sorgen, solchermaßen gegen jede Anfechtung geschützt, für Aufrechterhaltung einer sauberen Gegnerschaft und eines ordnungsgemäßen totalen Krieges. Als ich nun Professor Schwarz in mühsamen Umgehungsmärschen aus der Gosse steigen sah, dachte ich mir, der will sicher an die Bindfadenschlaufen heran. Leider wurde er dann doch zu sehr frontal.

Übrigens, lieber Hubert Hoffmann, ich hätte Sie natürlich vorhin auch mitnennen können. Sie schrieben uns jetzt einen so genauen und gewissenhaften Aufsatz über das historische Bauhaus, und wir drucken ihn ebenso gewissenhaft ab, für alle, die sich einmal sachlich unterrichten wollen. Das ist eine schöne Tat, aber für die Redaktion dieser Zeitschrift eigentlich nicht nötig. So um 1936 schrieb nämlich der Herausgeber ein kleines Buch über die neue Architektur, in dem er, was damals nicht ganz so populär war wie heute, da jeder Aufsatz über Architektur, Porzellan oder Eßbestecke mit dem Hinweis auf das Bauhaus beginnt, in dem er also das Bauhausprogramm abdruckte und verteidigte. Das brauchen natürlich diejenigen, die sich heute über die Zulassung einer freimütigen Debatte ärgern, nicht zu wissen. Aber nicht deshalb will ich Sie hier zitieren, sondern weil Sie, aus dem Bauhaus hervorgegangen und mit ihm 243

noch heute verbunden, unverdächtig sein dürften, wenn Sie in Ihrer Entgegnung mir den Vorwurf machen, wir hätten lieber darüber nachdenken sollen, wie sich Fronten abbauen ließen, die möglicherweise gar keine sind. Wir treffen uns darin in der gleichen Uberzeugung, und ich könnte nur bedauern, wenn wir beide in dieser Meinung alleine auf dem Schlachtfeld übrigblieben. Die einzige Lehre aus der Geschichte, so schrieb Franz Meunier einmal in dieser Zeitschrift, ist die, daß die Menschen keine Lehren aus ihr ziehen. Aber wäre es nicht doch ganz schön, wenn sie wenigstens aus dem Abschnitt, den sie selbst durchlebten und selbst übersehen, so etwas wie Erfahrung gewännen. Wir haben noch viele der Männer, die vor einigen Jahrzehnten miteinander und gegeneinander stritten, gekannt, wir haben sie in ihren Reden, Schriften und Werken erlebt. Wir wurden öfters in den letzten Jahren an sie erinnert durch ihre Jubiläen, durch Gedenktage und Ausstellungen. Selbst bei den größten Gegnern ist, betrachtet man ihre Taten, das Gemeinsame in Streben und Leistung viel stärker als das Feindlich-Trennende, das sie selbst überbewertet haben und in ihren Tageskämpfen mit aller Kraft verfochten haben. So weist Professor Lehmann mit Recht ein wenig ironisch auf die verzweifelte Ähnlichkeit des Purismus von Rudolf Schwarz in den zwanziger Jahren mit den gleichzeitigen Bemühungen in Weimar und Dessau hin. Ich will nicht sagen, daß kein Unterschied bestehe. Jedoch der Doktorand der Kunstgeschichte, der in dreißig Jahren sich mit dieser Unterscheidung beschäftigen wird, wird mit bloßem Auge die Feinheiten nicht herauskriegen. Er wird schon die Debatte in „Baukunst und Werkform" über diesen Punkt zu Hilfe nehmen müssen. Das will sagen, daß, wer im selben Tale sitzt, vermutlich aus gleichen oder verwandten Quellen trinken wird. So erscheint uns das Wirken scheinbar gegensätzlicher Männer im Rückblick einer einzigen Generation oft als die Schattierung ein und desselben Grundbemühens. Wir müßten also der Zwangsläufigkeit des Zeitausdruckes, die wir immer als das stärkste Argument gegen müde Resignation und gegen den aussichtslosen Versuch, Verlorenes wieder heraufzuholen, verkündet haben, selbst widersprechen, wenn wir nicht sehen wollten, daß auch das Bauen und Gestalten dieser Jahre, daß selbst die heftigsten Meinungskämpfe schließlich doch in eine ganz bestimmte Richtung ausmünden. Der Aufbau der meisten Städte beweist es. Wo vor wenigen Jahren und teilweise heute noch sich Freunde von Altstadt und Neustadt über die Prinzipien des Aufbaus in den Haaren liegen, dort baut der Praktiker „modern". Selbst der Romantiker kommt nicht mehr aus ohne den Trick, sich ge244

wissermaßen hinter dem schwarzen Zaubertuch der modernen Baumittel zu bedienen. Angesichts der Flutwelle modernen Bauens wird es allmählich wichtiger, sich über das O b als über die Qualität des Modernen zu unterhalten.

Die Überzeugung, daß die Fronten sich allmählich auflösen, selbst wenn es die Feldherren auf beiden Seiten nicht merken sollten und nicht wahrhaben wollten, weil ja Feldherren ohne Krieg bekanntermaßen weniger attraktiv sind als solche mit Krieg, stützt sich nicht nur auf die abstrakte Berechnung innerer Gesetzmäßigkeiten, sondern und gerade auf die Beobachtung der konkreten Alltäglichkeit. Kein vernünftiger Denkmalpfleger zum Beispiel wird heute seine Arbeit außerhalb des Zusammenhanges der modernen Architektur ansehen können. Versucht er es dennoch, ist er eben nicht vernünftig und auf die Dauer zum Scheitern verurteilt. Es ist kein Zufall, daß die Denkmalpfleger bei ihrer letzten Tagung das Thema ihrer Arbeit wieder im Zusammenhang mit dem neuen Bauen zu diskutieren wünschten und daß der Referent es zur Bedingung machte, als Korreferenten einen Vertreter des praktischen modernen Bauens bestellt zu sehen. Sollten wir solche Anzeichen als unwichtig ansehen und übergehen? Ein begabter Architekt, bekannt durch eine Reihe großer Bauten von, sagen wir vorsichtig, ein wenig heroischem Charakter, baut neuerdings, wie ich mir habe erzählen lassen, ganz leckere gläserne Verwaltungsbauten. Es gibt Leute, die das ärgert, weil da vielleicht nicht die richtige Gesinnung dahintersteckt. Ich kann nur sagen: Herzlich Willkommen, und das mit der Gesinnung kann ich nicht genau feststellen, denn wer kennt schließlich die Seele der Menschen? Aber wenn ich demnächst hingehe und mir die Häuser genau ansehen werde, werde ich vermutlich etwas über die Qualität der Bauten sagen können. Daß ein Architekt, der gestern noch anders baute, so wie es uns nicht gefiel, heute aber so baut, daß es uns gefallen könnte, sehe ich in keiner Weise als verbrecherisch an, sondern als einen Beweis für meine Behauptung von der Zwangsläufigkeit einer neuen Konzeption. Peinlich wäre es nur, wenn der gleiche Architekt übermorgen wieder so baute wie vorgestern. Dann könnte man sich einer gewissen menschlichen Überraschung nicht enthalten. Dem Wiener des Herrn Professor Lehmann wäre das vermutlich auch gleichgültig, denn er wüßte natürlich von 245

alldem nichts, und wenn er es wußte, so würde er den Architekten halt als einen schwachen Menschen ansehen. Als wir uns neulich über den Wandel der Zeitläufe unterhielten, erzählte mir mein Freund Johannes Krahn, er komme soeben von der Einweihung einer seiner neuen Schulen. Ich habe sie noch nicht gesehen, aber aus der früheren Arbeit von Krahn vermute ich mit den Lesern gemeinsam, daß sie sehr schön sein werden, zumindest sehr klar und konsequent. Kein Wunder, daß es überall Krieg mit den Bau-Aufsichtsämtern gab, als die Pläne eingereicht wurden. Kein Wunder aber auch - und dies ist meine Behauptung und mein Beweis zugleich-, daß es versöhnende Umarmung und Komplimente gab, als die Schulen fertig waren. „Ich komme zwar aus einem anderen Lager, aber ich muß sagen, das ist doch schön." Was wollen wir eigentlich mehr verlangen als eine solche ehrliche Äußerung eines Kollegen, der auf einem anderen architektonischen Stern beheimatet ist, bei einem Ausflug in einen anderen Himmelsraum aber feststellt, daß es sich vielleicht auch dort ganz gut leben ließe. Man kann sagen, das seien alles Einzelfälle, und der Effekt der berühmten „Gespräche" sei sattsam bekannt. Man unterhielte sich stundenlang in Wort und Begriffen in völliger Einigkeit. Sobald aber die Gesprächspartner praktizierten, was hinter ihren Begriffen an konkreter Vorstellung steht, öffneten sich Klüfte, über die es keine Brücke gäbe. Aber eben deshalb verweise ich auf die zwangsläufigen Erfolge echter Werke und Verwirklichungen. Wir dürfen dem lebendigen Beweise schon einige Kraft zutrauen. Kein Mensch wird uns für so töricht halten dürfen, daß wir damit ein Schwinden der natürlichen Spannung zwischen dem bewahrenden und dem neuformenden Geist manifestieren wollten. Das Begriffspaar Konservativ-Vorwärtsdrängend wird immer bestehen, ja begründet in der menschlichen Natur immer zu Recht bestehen. Etwas anderes glaube ich aus meinen schönen Geschichten ablesen zu dürfen: das Schwinden des zweifelhaften Glaubens an eine rekonstruierbare Welt von gestern. Angesichts dieser zwangsläufigen Entwicklung aber halte ich es für töricht und gefährlich und spreche dieses trotz aller Verdächtigungen einer unklaren und nicht folgerichtigen Haltung aus, die Moderne als das Privileg einiger weniger Eingeschworener zu betrachten und jeden, der seine Erkenntnisse auf andere Weise als den amtlich zugelassenen gewonnen hat, als nicht gesprächsfähig anzusehen. Ich bin, trotz aller Enttäuschungen, bis auf weiteres der Meinung, daß das, was wir in der Einzel-Unterhaltung erfahren und erleben können, auch im großen Zusammenhang öffentlich diskutiert werden sollte. Dieser Abbau 246

der Fronten, den sicherlich Hubert Hoffmann meint, schwebt auch Rudolf Schwarz vor, wenn er sagt, wir sollten alte Begriffshindernisse beiseite tun, nachdem wir festgestellt haben, daß ihre Bedeutung zu Ende ist. Nun höre ich die immer wiederholte bohrende Frage, warum aber richtet dann Herr Schwarz zugleich mit dem Abbau alter Fronten künstlich neue auf, warum gibt er sich daran, eine Haarspalterei darüber zu veranstalten, ob ein schöner Glaswürfel so oder so begründet wird und ob wir ihn nur gelten lassen dürfen, wenn einer ihn aus Poesie und nicht aus Verstand errichtet hat? Lassen wir diese Frage einen Augenblick beiseite und sprechen wir, nachdem wir die Notwendigkeit, manches in öffentlicher Untersuchung zu klären, anerkannt haben, über die Möglichkeit einer Diskussion.

Immer wieder fiel mir auf das hartnäckige Übelnehmen, die mangelnde Bereitschaft, das Wesen einer Diskussion zu respektieren. Ein Streitgespräch wird bei uns unentwegt mit einem Duell auf Pistolen verwechselt. Neulich hatten wir den ersten deutschen Werkbundtag in Frankfurt. Es wurde, glaube ich, eine ganze Menge geredet und auch ein bißchen gemeutert. Am meisten stand wohl Wilhelm Wagenfeld auf, und als er wieder einmal aufstand, beschwor er die großen Zeiten der großen Werkbundstreitgespräche, wo sich öffentlich die Kämpfer gegenübertraten und Kinder und Kindeskinder noch drüber sprechen werden. Das waren noch Zeiten! O Gloriole der Pilgerväter! Wo ist heute und hier Diskussion und Kampf der Meinungen? Hinterher hatten wir eine interne Sitzung, und als wir gerade so schön über Zeitschriften sprachen, neigte sich Wagenfeld hinter meinem Nachbarn her geheimnisvoll zu mir und flüsterte: „Ich habe .Baukunst und Werkform' abbestellt wegen des Schwarz-Aufsatzes". Angesichts dieser reizenden Selbstgestellung des einen der zwei Prominenten konnte ich in der Eile nur sagen: „Warum sind Sie eigentlich so stur?" Hier aber darf ich noch ergänzend einfügen: Verehrter Professor Wagenfeld, Sie haben mich zwar ein wenig enttäuscht damals, als Ihr sittlich hochstehender Brief eintraf, aber jetzt haben Sie mich durch Ihre wundervolle Inkonsequenz ganz und gar versöhnt. Sie glauben, eine Aktion für Ihren Meister Gropius starten zu müssen, der Ihrer Verteidigung nicht bedarf. Sie dürften dem Manne und der Wirkung seines Werkes mehr Kraft zutrauen. Aber 247

jetzt dürften Sie sich nicht beschweren, daß die Diskussionszeiten der Pilgerväter dahin sind. Vor ein paar Monaten, als Sie sich über den Aufsatz ärgerten, hätten Sie sich hinsetzen müssen, einen Gegen-Aufsatz schreiben und dem Schwarz ordentlich Bescheid geben müssen. Und ich hätte alles abgedruckt. Erstens, weil es ein Beitrag zum Thema gewesen wäre, und zweitens, weil er von Ihnen gewesen wäre. Denn so sehr mich der spontane Akt Ihrer Nibelungentreue nun nachträglich menschlich ergreift, noch größer ist mein Respekt vor Ihrem Werk. Und sollten Sie plötzlich einmal Vergnügen daran finden, ein Blümchen mehr, als es die anscheinend eisernen Gesetze der Materialgerechtigkeit und des Industrial Design oder deren Gralshüter zulassen wollen, auf ein Töpfchen zu malen, so werde ich ungeachtet dessen immer ihre große Leistung, die Sie bis zum heutigen Tage vollbrachten, respektieren und verehren. Ich würde sogar respektieren, was ich im ersten Augenblick nicht verstände, weil ich mir sagte, der Wagenfeld wird sich dabei ja irgend etwas gedacht haben und die Zeit wird es erweisen, ob es etwas Richtiges war. Ich meine nämlich, eine mit Anstand und Bemühung geleistete Lebensarbeit begründet auch eine gewisse Achtung. Diese aber sollte uns vor Kurzschlüssen des Urteils und törichtem Gerede schützen. Und darum hätte ich mir auch gewünscht, Sie hätten, ehe Sie mir damals Ihren Nibelungenbrief schrieben, ein paar Jahrgänge von „Baukunst und Werkform" leicht blätternd durch die Finger gleiten lassen. Nun also, es haben ja viele andere geschrieben. Und das war schön und gut, und wir haben uns dann auch alle gefreut, weil es der Schwarz einmal gründlich gekriegt hat. Denn nichts ist so erfrischend wie das kalte Wasser, das auf einen anderen gegossen wird. Aber auf die Diskussion - ich meine, daß sich von meinen zweihundert oben zitierten Gesprächspartnern einer hinsetzt und zum Thema, das heißt zu dem von Schwarz vorgetragenen Anliegen (zum Donnerwetter, es ist nicht das Bauhaus - das ist nur ein Komplex von Schwarz - nein, es ist die moderne Architektur, die wundervolle, große, weite, herrliche Aufgabe einer blühenden Architektur), zu diesem Thema also etwas geschrieben hätte - darauf warte ich noch heute. Seit Monaten harre ich der zugesagten Beiträge und schreibe also den Abschluß selber. „Natürlich wir würden schon, aber weil der Schwarz nun wirklich sooo gemein war, da ist es nun wohl doch schwer möglich . . . " Ich kann nur sagen, daß die Antworten, wenn man bei der Terminologie bleiben will, stellenweise nicht weniger „gemein" waren, und daß nur eine ungewöhnlich robuste Natur so etwas überstehen konnte. 248

Aber hier kommt nun das Typische der Diskussion im deutschen Räume ans Licht. Sie zielt nicht auf Klärung, pariert Ausfälle und verzeiht dem Gegner auch einmal ein fowl. Sie zielt auf den Tod des Gegners. Nicht nur das. Auch die Leiche muß noch verbrannt werden. Ich muß hier den zweiten Prominenten einflechten. Er schrieb mir folgenden Brief: „Sehr geehrter Herr Leitl, soeben habe ich das H e f t mit den Antworten an Professor Schwarz erhalten. Ich muß sagen, es befriedigt mich nicht. Wie nicht anders zu erwarten, haben Sie selbst nur eine kurze Einleitung geschrieben, um sodann, gewissermaßen nach kurzer Conférence, den andern die Bühne zu überlassen. Die kommen natürlich trotz bester Bemühung gegen die Stimmungskanone Schwarz nicht auf. Ich bitte Sie deshalb mein Abonnement zu streichen." Wie nun - sollte ich die Asche der Diskussionsgegner einsenden? Wie erschreckned ist doch die Festigkeit der Standpunkte! Fedor Stepun, den ich mir erlaubt habe, in letzter Zeit gelegentlich zu zitieren, spricht von den „Standpunkt-Prothesen" der heutigen Menschen anstelle der Augen, und wir können es auf alle Sinne ausdehnen, die kein freies persönliches Urteil mehr zulassen. Das ist Starrheit, die im tiefsten Grunde unhuman ist. Oder wollen Sie sich auf die H ö h e Ihres Standpunktes berufen in der reinen Luft der Ideen? Haben Sie die Spitze einer Doktrin erreicht, die so hoch ist, daß jeder Millimeter seitlichen Ausweichens den Absturz in die Tiefe bedeutet? Dann betreiben Sie Höhenakrobatik, und alles, was damit zusammenhängt, gehört in den Bereich der Artistik. Wir aber stehen auf dieser Erde. Hier sind unsere Standpunkte zu finden und zu verteidigen. Hier ist die Wahrheit zu suchen und, nach Möglichkeit, unter den Menschen, und das will sagen, in menschlicher Weise zu verwirklichen. Wahrheitssuche und Wahrheitsverteidigung mit tödlichem Ausgang ist im Grunde dem Menschen zuwider. Denn die Schönheit, die wir verwirklichen können, die Wahrheit, die wir leben und erreichen können, die uns erwärmt und stärkt, wird immer nur ein Stück, ein Abglanz der ganzen Wahrheit sein. Aber es muß ihr Glanz sein und nicht ein menschenmordender Blitzstrahl aus einer Region, in der man nicht mehr atmen kann. Können wir uns der Wahrheit nähern, wenn unser einziges Anliegen ist, dem anderen sein Unrecht nachzuweisen? Statt zu erfahren, ob nicht auch er ein Stück, ein kleines Stück der Wahrheit besäße, von der wir ein größeres zu besitzen glauben? Was nun die Architektur dieser Zeit betrifft, so scheint es mir ein Zeichen von Unreife und geistiger Unausgewogenheit zu sein, wenn einer glaubt, 249

die neue Architektur bedarf der Fanfaren und Manifeste nur deshalb, weil er sie selbst vorgestern erst entdeckt hat. Wer sie aber in ihrer ganzen Weite und Lebendigkeit zu begreifen sucht, der weiß, daß das Bauen nicht erst neu erfunden und propagiert werden muß. Alle Wurzeln, alle Keime sind längst da, es muß zum Blühen gebracht werden! Und zwar nicht mehr in Mistbeetkulturen, wo sie von einzelnen Vereidigten unter strenger Aufsicht gehalten werden, sondern in der ganzen freien Weite des Landes. Ich glaube mit Schwarz daran, daß Wirtschaftlichkeit und Vernunft alleine eine höchst banale und lahme Begründung für eine geistig-künstlerische Bewegung wären, mit der wir ein Jahrhundert erobern wollen oder schon erobert haben. Zugleich aber will ich mich gegen die hier todsicher ansetzende Fehldeutung verwahren, daß mir das Wirtschaftliche, sofern es im Zusammenhang mit dem Sozialen steht, nicht ein selbstverständliches Gebot wäre. Denn wenn ich auch Professor Lehmann recht gebe, daß ein Werk nicht ästhetisch gut oder schlecht wird durch die falsche oder richtige Gesinnung des Gestaltenden, so meine ich doch, daß bei einer Klärung der geistig-künstlerischen Tendenzen die Ausgangspunkte nicht ganz gleichgültig sind. Die Bestätigung dieser Meinung ist für mich das überraschendste Ergebnis der Diskussion. Ich bitte das, was ich jetzt sage, sehr cum grano salis zu nehmen, aber doch als eine durch Symptome anscheinend bestätigte Tatsache. Soweit Professor Lehmann Bauen und Baukunst als ästhetische Erscheinungen nimmt und nur als solche, hat sein Wiener vollkommen recht. Dem Wiener mag die Rolle des Architekten, der sich als Weltverbesserer geriert, reichlich komisch vorkommen. Leider ist uns ein wenig diese Rolle zugefallen. Wenn ich sie auch nicht so weit gespannt sehe wie Herr Professor Martin Wagner, der uns erklärt, die Welt müsse so lang in Unordnung sein, als in einem Teil der Welt, sagen wir in China, pro Kopf nur 50 Dollars für das Wohnen aufgewendet werden können, während in anderen Teilen der Welt, sagen wir in Amerika, 500, tausend, zweitausend oder was weiß ich wieviel Dollars dafür zur Verfügung stehen, wenn ich mich also darauf beschränken will, das Stückchen Erde rund um mich herum ehrlich und ordentlich zu betreuen, statt das Wohnungswesen in China zu verbessern, so weiß ich auch, daß diese Betreuung nicht ausschließlich ästhetischer Natur sein kann. Die bisweilen lächerlich wirkende Rolle des Architekten als Weltverbesserer hat er sich gar nicht selbst ausgesucht und hängt auch gar nicht von Hause aus mit seinem Beruf zusammen. Sie fällt ihm vielmehr automatisch zu als einem Menschen dieser Zeit wie jedem anderen Zeitgenossen auch. Nur, da bei ihm eine ganze Menge Dinge in die kon250

krete Wirklichkeit des Gestalteten, der greifbaren und sichtbaren Form, treten und nun ihren Platz unter anderen Formen und Gestalten einnehmen wollen und müssen, fällt es gelegentlich peinlich auf, daß es die Architekten dauernd mit der Weltordnung zu tun haben. Ganz automatisch aber kommt der Architekt auf die Frage, nach welcher Leitidee wir die Vielfalt der Formen ordnen, gewissermaßen eine Hierarchie der Formen aufbauen wollen. So bedauerlich es vom ästhetischen Standpunkt des Wieners auch sein mag - irgendwo hat es halt doch mit Weltanschauung zu tun. Und da scheint mir schon bei einem Türgriff die erste Diskrepanz offenbar zu werden: Es ist nämlich ein wesentlicher Unterschied, ob ich ihn eben als Türgriff, der in der Hierarchie der Formenordnung seinen ehrlichen Platz hat, unter Nummer 3176 ansehe oder als das Symbol eines zur Religion erhobenen Formenkults. Schöne Türgriffe sind wichtig, und häßliche können einen Raum vielleicht stören. Sobald sie aber zu Kultgegenständen erhoben werden, sind sie ärgerlich. Sie werden nicht besser und nicht schlechter, ob einer viele Monate auf das letzte Ausfeilen verwendet hat oder intuitiv aus einem richtigen Gefühl das Brauchbar-Gute erfaßte. Was ich nun in den Gesprächen und mancherlei Reaktionen peinlich bestätigt gefunden habe, ist dieser Unterschied der Auffassungen, der obenhin nicht abzulesen ist. Er tritt aber zutage, sobald man irgendwo an den Formenkanon klopft: Wer die Welt in ihrer Fülle der Erscheinungen und in ihrem Reichtum zu erfassen sucht, den wird weder ein ästhetisches noch ein technisches Detail umwerfen. Wer aber die Welt nur in einer von Vernunft gebauten, regulierten und rationalisierten Formendoktrin zu erkennen vermag, der wird gereizt auf jedes Fragezeichen reagieren.

Sehen wir uns doch die Fragezeichen an! Nehmen wir doch ernst, was man uns vorwirft. Wenn es Vorwürfe von gestern sind, längst überholt durch die Beweiskraft unserer eigenen Arbeit - um so besser. Fragen wir uns, ob sie noch stimmen oder was dahintersteht. Was hat es auf sich mit dem Mangel an Schönheit, dem Mangel im Künstlerischen, dem Mangel an Menschlichkeit, dem Fehlen der großen Dinge, der Unterschiedslosigkeit im Ausdruck? Erkennen und unterscheiden wir, ob und wo Anwürfe, Forderungen, Wünsche selbst noch in der Entstellung und Verbogenheit in der Sache etwa zu Recht bestehen. Und wenn wir können, 251

beweisen wir, daß alles Lebenswerte und Lebendige in der neuen Baukunst seine Stätte hat. Macht es etwas aus, daß wir mit solchem Bekenntnis eingestehen, wir alle seien - hoffentlich - innerlich und äußerlich weitergekommen; wir verständen manches und wollten es verstehen, was da gefordert, bemängelt, gewünscht wird, wenn nicht in der gleichen Art und Weise, so doch dem Impulse nach, heute besser als in dem radikalen Bereinigungseifer des Anfangs. Nicht als wollten wir die Baukunst jetzt so recht gemütlich machen. Herbei den Plüschsessel, wenn auch nur im Geschlängel des Stahlrohrs! Nein, bitte keine Mißverständnisse. Nur der tierische Ernst, mit dem wir glauben jeden Knopf aus Material und Funktion beweisen zu müssen - ich sage nicht, daß wir es nicht bis zu neunzig Prozent auch können sollen - , er ist von gestern. Dem Zehn-Prozent-Rest aber gebt seinen legitimen Platz! Und darum sind vielleicht auch, was Ulrich Conrads neulich hier mit allem schuldigen Respekt angemerkt hat, die ewigen Kartierungen des CIAM ein wenig von gestern. Lasset uns jedoch alle inbrünstig hoffen, daß nicht „die seelischen Bedürfnisse und ihre Rolle innerhalb der baulichen Funktionen" streng statistisch untersucht werden und daß wir neue Formeln finden über Bebauungsdichte, Quadratmeter-Raumbedarf und Gefühlsmaß pro Kopf der Bevölkerung. Genug der Blähformen! Jetzt diese etwa noch wissenschaftlich begründet?! Bin ich ein Verräter, wenn ich solches ausspreche? Selbstverständlichkeiten? Warum fährt man hier und dort gereizt zusammen? Auch ich weiß, die moderne Architektur ist endlich lehrfähig geworden. Man hat ihre Grundsätze schon auf Flaschen gefüllt und kann sie in Cognac-Gläsern austeilen. Also stört uns unsere Lehre nicht!

Da komme ich nun zu meinen vierundzwanzig Studenten. Sie sind mir von Herzen sympathisch. Denn sie beweisen mir auf alle Fälle den Fortschritt der Zeit. Als Goebbels mit seinen SA-Männern vor gut zwanzig Jahren - ihr wart damals sicher noch ganz klein - eine ganze Menge guter Literatur auf dem Opernplatz in Berlin verbrannte, da waren die meisten der Feuerwerker wahrscheinlich deshalb so frisch und munter dabei, weil sie das Ganze nicht erst gelesen hatten und nun in Zukunft auch nicht mehr zu lesen brauchten. Heute sind wir weiter. Ihr habt doch schon, ehe ihr zu den 252

Streichhölzern griffet, wenigstens gelesen. Seid mir also umschlungen, ihr fröhlichen SA-Männer der neuen Architektur, die ihr schließlich doch durch einen heroischen Entschluß die Anfechtungen des Zweifels zurückgestoßen und somit wieder innerlich gefestigt an die sauber etikettierten Flaschen der zugelassenen Gedanken herantreten könnt. Aber vielleicht tue ich hier Unrecht. Vielleicht ist es ganz anders. Gab mir jener Student einer süddeutschen Hochschule den Schlüssel? Er sagte mir: Dieser Streit da um Vergangenes, um das Bauhaus und alle diese Auseinandersetzungen sind ja ganz interessant. Wir Jüngeren, wir Studenten, es tut uns leid, wir können sie nur noch mit dem halben Interesse eines unbeteiligten Zuschauers mit ansehen. Im Grunde geht uns das alles gar nichts an. Was interessieren uns zum Beispiel hier in Stuttgart die Streitereien zwischen Docker und Schmitthenner? Man soll uns damit in Ruhe lassen. Was interessiert uns eine verknöcherte Architektur-Theorie von 1930? Wir wollen etwas Vernünftiges lernen, und wir wollen das, was wir einmal machen werden, so gut wie möglich machen. Man vermittle uns das beste Werkzeug, weiter nichts! Ich gestehe, daß dieses Gespräch mich von allen am stärksten nachdenklich gemacht hat. Da versuchen wir nun mühsam, irgend etwas über Zusammenhänge, Gesetzmäßigkeiten, Pflichten, Wahrheit und Schönheit herauszukriegen, und die jungen Leute sagen uns: „Reformiert uns lieber den Hochschul-Lehrplan". Es hat keinen Zweck, über dieses Nachlassen des geistigen und kämpferischen Interesses zu klagen. Nehmen wir an, die Jugend habe, wenn auch nicht ganz, so immerhin recht, zumindesten hat sie ihr Recht. Ich habe deshalb dem Studenten etwas sehr Einfaches geantwortet, und ich möchte es meinen vierundzwanzig Kritikern, die, wie ich zu meinem Vergnügen vernommen habe, zum Teil auch schon wieder zurückgekommen sind, also dieses lesen werden, das Gleiche sagen: Ihr könnt das Interesse und die Aufmerksamkeit der mittleren und älteren Generation, das ist die Generation Eurer Lehrer, Eurer Lehrmeister und Chefs, für Eure Notwendigkeiten fordern. Ihr könnt aber nicht verlangen, daß die Architektur ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Jugend betrachtet werde. Der Beitrag der Jugend, das Vorwärtsstürmen, die Fülle der Einfälle, der immer wieder wundervolle Impuls, die Dinge neu und frisch zu sehen und zu gestalten, ist nur ein Teil des Ganzen. Ein anderes ist die Reife, ist die Meisterschaft, ist erfahrenes Können. Und ein anderes ist die Weisheit, der Überblick und das Denken. Solange wir das alte Gesetz nicht aufheben, daß in einem Zeitabschnitt immer drei Generationen nebeneinander le253

ben, wird alles Tun und Wirken, jede Erscheinung, also auch die Arbeit einer Zeitschrift dieses Nebeneinander und Gegeneinander widerspiegeln müssen. Und es ist nun einmal das Gesetz der mittleren und älteren Generation, daß sie neben ihr Tun oder vor dieses immer auch das Denken stellen mußte, und das ist zugleich ihre Tragik: die Tragik der fehlenden Unbefangenheit. Man soll ihr dies nicht zum Vorwurf machen, sondern sich der eigenen Unbefangenheit freuen, vielleicht sogar ein wenig Dankbarkeit empfinden. Aber das kommt später ganz von selbst - in dem Augenblick, da Ihr selbst das erste Mal der Verknöcherung geziehen werdet. Wir aber dürfen getrost unsere lächerliche Kindermädchensorge um die Verwirrung der Jugend beiseite lassen. Oder fürchten wir, daß sie, allzu kritisch gemacht und durch Ketzereien verwirrt, uns unseren Avantgardismus nicht mehr glauben will? Ich gestehe öffentlich, daß ich diesen ewig konservierten, ständig nachgesalzenen Avantgardismus ebenso peinlich wie lächerlich finde, vergleichbar nur mit der Auffrischung einer alten Megäre. Wer mit achtzehn jugendbewegt ist, ist in Ordnung. Trägt er die Wandersandalen und die dazugehörige Weltanschauung noch mit fünfzig, dann ist er ein Fant. Die legitime Laufbahn eines bedeutenden Gestalters geht vom Avantgardismus über die Reife des Meisters zum großen alten Mann! Alle, die wir in den letzten Jahren gefeiert haben, van de Velde, Mies, Riemerschmid, schließlich auch Gropius, sind Zeugen dieses Gesetzes. Ihre Größe besteht zum Teil darin, daß sie aus innerer Konsequenz weiterschritten in eine Fülle hinein, die manche ihrer Schüler, weil sie den Augenblick ihrer Jugendeindrücke und ihres Jugendglaubens, den „Augenblick von damals" festzuhalten suchen, nicht erreicht haben und nie erreichen werden. Und deshalb verstand ich auch die Antwort von Walter Gropius sehr wohl, der auf meine Frage nach einer speziellen Entgegnung auf sein Werk verwies, das ausgebreitet vor aller Augen liegt.

Auch Schwarz, wohl mehr als ein Jahrzehnt jünger als Gropius und, wie man sieht, mitten im Strudel der Tageskämpfe, kann auf ein Werk verweisen. Und deshalb noch ein Wort für ihn und über ihn. Früher hielt man ihn für einen eisernen Intellektualisten, für den eisigsten unter den Vertretern des neuen Bauens. Auch seine Bauten sahen beinahe danach aus. Heute verkündet er scheinbar das Gegenteil. Er baut mitten in einer Reihe von Werken schönster Konsequenz etwas, das aussieht, als müsse er der 254

übersprungenen Blut-und-Boden-Periode doch noch ein kleines Opfer bringen. Er verkündete einmal im Kirchenbau Lehren, die wegen ihrer Klarheit und Strenge jeden Teilnehmenden fesselten; heute spricht er das vielleicht gefährlich wirkende Wort vom Kirchenbau als religiöser Poesie. Fürwahr, so scheint es, ein Denker zweifelhafter Konsequenz! Ich korrigiere einen Irrtum, meinen eigenen: Gerade nach den Äußerungen der letzten Zeit, den gebauten, gesprochenen und geschriebenen, sehe ich Schwarz überhaupt nicht mehr von der logisch-intellektuellen Seite an. Ich halte ihn für einen dichterisch denkenden Architekten. Die Logik des Dichters ist aber offenbar anderer Art als die intellektuell beweisbare Folgerichtigkeit, und so müssen wohl Schwarzens Denkbeiträge eher poetisch-schauender als scharf sezierender Art sein. Ich meine jetzt nicht seine persönlichen Angriffe, die ich völlig unpoetisch finde. Das will sagen, dieser Mann ist jeweils von seinem Gegenstand begeistert, und deshalb haben seine Aufsätze und Reden eben die Wirkung, die sie ausgeübt haben: denn immer ist er von seinem Gegenstand weniger intellektuell als dichterisch ergriffen und spricht in entsprechenden Worten (man lese seine Baubeschreibungen). Aber er ist offenbar auch als Gestaltender immer fasziniert von dem, was er gerade tut. Vielleicht vergißt er dabei gelegentlich, wovon er gestern ergriffen war. Ich vermute, daß er erst seine Häuser und Gegenstände zeichnet und dann die Begründung dazu erfindet. Also genau umgekehrt, als ich früher dachte, wo ich die Werke für die Konsequenz des Denkens hielt. In einem Fortschreiten des Schaffens, in der sich wandelnden und erneuernden Begeisterung von Werk zu Werk, von poetischem Beitrag zu poetischem Beitrag braucht man, sieht man die Sache also nicht auf strenge Konsequenz hin an, noch keine Zickzack-Linie sehen, wie behauptet wurde. Eine Inkonsequenz könnte nur darin liegen, daß er in der Begeisterung des Heute vergißt, was er gestern verkündete. Ich will nicht behaupten, daß das gestrige Werk, ja die Erkenntnisse alles Vorhergehenden bei einem solchen Schaffen sich nicht auch in dem Werk von heute fänden. Peinlich wäre nur, wenn man diese notwendige Folge der erklärenden Stellungnahme von Schwarz neuerdings nicht mehr ausreichend anmerkte. Das werfe ich selbst Schwarz vor: daß er bei seiner Hingerissenheit für den jeweiligen Gegenstand, die sich äußert in Poesie und Sarkasmus, die Zusammenhänge allzustark vernachlässigt; daß er im augenblicklichen Effekt die negative Wirkung und Deutung offenbar nicht bedenkt oder nicht bedenken will. Allein: wer nicht auf Mord aus ist, nicht auf Strafe bis ins zehnte Glied, der müßte, wenn nicht im ersten, so doch im zweiten Aufsatz von Schwarz ein 255

großes und echtes Anliegen erkannt haben, das zu diskutieren gewesen wäre, ein Anliegen von innerer Konsequenz (nämlich von der Entwicklung der Baukunst aus gesehen): der innere Reichtum des menschlichen Gestaltens! - Daß Schwarz, aus welchem Grunde immer, in die Arena steigt, während andere nur auf den Zirkusrängen sitzen und auf die Dompteure mit leicht angefaulten Früchten werfen, statt selber herunterzukommen, das sollten auch seine ärgsten Gegner anerkennen.

Bleibt zum Schluß ein nachdenkliches Wort über die Nutzlosigkeit des Fleißes. Als mein Lehrer Friedrich Paulsen, mit dem ich durch zehn Jahre viel Kampf und Krach gehabt hatte, dessen ungeheurem Wissen und Kenntnissen ich aber, wie ich später gemerkt habe, sehr viel verdanke, fünfundzwanzig Jahre Chefredakteur der alten Bauwelt gewesen war, schrieb er sich selbst einen Jubiläumsaufsatz. Er stellte darin fest, was er alles vorgetragen, geschrieben, angeregt und gewollt hatte und daß es meistens nicht gehört oder nur halb aufgenommen und fast immer nichts geworden war. Ich habe das damals teils mitleidig, teils ironisch studiert diese Resignation über die Nutzlosigkeit des Fleißes. Heute sehe ich die Tätigkeit eines Schreibenden mit ähnlichen Gefühlen an. Wie nutzlos ist doch anscheinend die große zusammenhängende Kette einer Arbeit, wenn es dem Betrachter möglich ist und sein darf, über einem Glied, dessen Form ihm im Augenblick auffällig ist, den Gesamtzusammenhang zu übersehen und alles Vorherige zu vergessen. Ich will sagen, die vorerwähnten fünfzig Beschimpfungen haben mich doch ein wenig stutzig gemacht. Hat es einen Sinn, sich Mühe zu geben, eine saubere Manege-Arbeit zu leisten? Nun, kommt selber herunter von Euren Rängen. Ich überlege, ob man aus Anlaß eines fünfundzwanzigjährigen Jubiläums nicht besser einen Sperrsitz kauft . . .

Aus Baukunst und Werkform, VI. Jahrgang 1953, Heft 10/11, Oktober, November, Seite 558ff.

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Rudolf Schwarz' letzter Brief in der Sache

Rudolf Schwarz an Alfons Leitl

Frankfurt, 7. Januar 1954

Lieber Herr Leitl, Ihnen und den Ihren wünsche ich ein gutes neues Jahr, das reich an Arbeit, Erfolgen und Gottes Segen sein möge. Ein bißchen Arger und ein paar Mißerfolge gehören bei uns allen ja wohl auch dazu, damit der Mensch nicht übermütig wird und merkt, daß er auf dieser Erde nie ganz zu Hause ist. Ich will Ihnen auch noch herzlich danken für Ihren Aufsatz, der uns rundherum Spaß gemacht hat und über den ich allein und mit anderen viel gelacht habe. Ich glaube, daß der Stachel jetzt im Fleisch drin sitzt und weiter juckt und daß unsere lieben konstruktivistischen Freunde den Wurm im eigenen Holze nagen hören. Das übrige müßten eigentlich Taten sein. Mir ist im Laufe der ganzen Diskussion eigentlich selbst erst klargeworden, in welche Wüste meine Stimme des Rufenden 30 Jahre lang erklungen ist. Das fängt schon mit der Fronleichnamskirche an, von der ich immer gemeint habe, sie wäre als Aussage religiöser Poesie einfach nicht mißzuverstehen. Man hat sie anscheinend doch mißverstanden, und Herr Mäckler scheint allen Ernstes gemeint zu haben, es wäre mir dabei um die Demonstration eines großen Kastens gegangen. Das paßt immerhin in eine Zeit, die sich unsägliche Mühe um die künstlerische Darstellung von Nieren und anderen Verdauungsorganen macht, wobei ich wiederum in großer Bescheidenheit anmerke, daß die Zeit des Jugendstils nicht das Leitbild des Darmkanals, sondern der Lilie hatte. Es wäre der Mühe wert, einmal nachzusehen, welchen Einfluß gewisse schmutzige und dekadente Male auf die Baukunst gehabt haben, und leider, leider weisen gewisse Zeichen wieder einmal nach Frankreich hinüber. Sie 257

sehen, daß ich noch immer nicht für die Franzosen begeistert bin, die augenblicklich alles tun, um meine Meinung von ihnen zu bestätigen. Jetzt habe ich also wieder genug geschimpft, und ich müßte etwas Nettes sagen. Zu diesem Netten gehört vorab meine Freude darüber, daß Sie so viele Kirchen bauen dürfen und sich dabei ehrlich Ihren eignen Weg suchen. Ich finde es so schade, daß die Architekten, die sich um den Kirchenbau bemühen, fast nichts mehr voneinander wissen und sich immer mehr vereinzeln. Man müßte einmal zusammenkommen, ganz einfach nett beieinandersein und sich vorbehaltlos zeigen, was man augenblicklich tut, und sagen, was man sich dabei denkt. Ich habe neulich Weyres den gleichen Vorschlag gemacht, er wollte aber nicht richtig heran, weil er einfach nicht noch mehr Arbeit sich aufbürden kann und will. Noch einmal meine guten Wünsche zum neuen Jahr. Sie glauben nicht, wie sehr es mich freuen würde, wenn Ihre selbstlose Arbeit endlich einmal zu irgendwelcher Art von amtlicher Ehrung oder Anerkennung führen würde, aber so etwas kommt oder es kommt nicht, man kann nicht viel dazu tun, und es ist ja eigentlich auch gar nicht nötig, weil es mit dem Sinn Ihres Schaffens nicht viel zu tun hat. Ihr Rudolf Schwarz

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Nachlese

Das auf Seite 240 wiedergegebene Schlußwort des Herausgebers in Heft 10/11 1953 von Baukunst und Werkform hatte Alfons Leid mit dem ihm eigenen, auf Wirkung abzielenden Sarkasmus als Brief an den unbekannten Leser, an Professor Schwarz, Walter Gropius und an mich selber apostrophiert. Sei es, daß er der Schwarz-Debatte einen „öffentlicheren" Schluß zu geben wünschte, als eine auflagenmagere Architektur-Zeitschrift zu setzen vermochte, sei es, daß Leitl sich selbst noch das Schlußwort eines Schlußworts schuldig zu sein glaubte - er schrieb für die Frankfurter Hefte eine ausführliche, von langen Zitaten durchsetzte Zusammenfassung. Die von Eugen Kogon und Walter Dirks herausgegebene Zeitschrift für Politik und Kultur veröffentlichte diesen Text im März-Heft 1954, Seite 198ff.; und zwar als Beitrag eines Autors namens Peter Gundwin, als welcher sich Alfons Leitl des öfteren, wie in seinem Brief ...an sich selber, an Alfons Leitl wendet, das Pseudonym zum Schluß für Eingeweihte aufdeckend, indem er von meinem Lehrer Friedrich Paulsen spricht. Paulsen war 25 Jahre lang, bis Kriegsende, Chefredakteur der Bauwelt gewesen, bei der Alfons Leitl sich sein fachjournalistisches Rüstzeug erwarb und es bis in die ersten Kriegsjahre hinein, mutig dem Modernen Bauen die Treue wahrend, praktizierte. Diesem zweiten Schlußbericht zur Schwarz-Debatte räumte der Redakteur der Frankfurter Hefte, Johannes Hirzel, ganze 28 Seiten ein, nicht ohne sich bei den Lesern für diese Zumutung zu entschuldigen. Nun, die Verständigung ging über denselben Flur: Baukunst und Werkform erschien im „Verlag der Frankfurter Hefte". Leitls Beitrag unter dem Pseudonym Peter Gundwin war überschrieben: Architekten in der Arena. Oder: Von den Aussichten unserer Zeit und der Baukunst. Es wurde davon ein Sonderdruck hergestellt und als Beilage dem Heft 1/2 1954 von Baukunst und Werkform beigefügt. Da die vorliegende Dokumentation notwendigerweise sowieso nicht ohne Wieder259

holungen auskommt, ist diese Zusammenfassung hier weggelassen. - In diesem Zusammenhang mag es interessieren, daß Martin Wagner im ersten Heft 1954 der Baurundschau so etwas wie seine Schlußbemerkung unterbrachte, datierend vom 31. Dezember 1953: Zum Letzten Wort von Leitl; womit natürlich das in Heft 10/11 1953 von Baukunst und Werkform publizierte gemeint ist. Herausgeber und Verlag danken an dieser Stelle Frau Dipl.-Ing. Maria Schwarz, Köln, für die großzügig erteilte Erlaubnis, den von Hilde Strohl betreuten schriftlichen Nachlaß ihres Mannes einzusehen und außer den gedruckten Texten auch dessen Briefe in diesen Band aufzunehmen, soweit sie im Zusammenhang mit der Debatte stehen. Gleicher Dank gilt dem von Dr. Peter Hahn geleiteten Bauhaus-Archiv, Museum für Gestaltung, Berlin, das die mit Walter Gropius geführten Korrespondenzen Frau Dr. Magdalena Droste, Mitarbeiterin des Archivs und zugleich Mitherausgeberin dieses Bandes, zur Verfügung stellte und uns den Abdruck erlaubte. Sowohl die damals, 1953, in den verschiedenen Publikationen erschienenen Texte als auch sämtliche Briefe sind, abgesehen von einigen unwichtigen, nicht zur Sache gehörigen privaten Mitteilungen, ungekürzt wiedergegeben. Orthographie und Zeichensetzung sind durchweg, doch mit gebotener Vorsicht, heutigen Gepflogenheiten angepaßt worden. Falsche Schreibweise von Eigennamen wurde korrigiert. Die chronologische Aufeinanderfolge der Briefe und gedruckten Texte ist an einigen Stellen durchbrochen. Abgesehen davon, daß Briefwechsel öfters „im Uberschlagen" verlaufen und Echos auf gedruckte Texte von deren zeitlichem Erscheinen und der Zugänglichkeit abhängen, ging es uns darum, ein Gespräch, eine Debatte zu vermitteln und auf dieses Ziel hin die innere Ordnung der Dokumentation auszurichten. Ich hoffe, daß das gelungen ist. Hier und da wird der Leser bestimmte Briefe, insbesondere auch Antwortbriefe, vermissen. Sie waren nicht aufzufinden und sind vielleicht verlorengegangen. Im übrigen haben wir uns nicht um Vollständigkeit bemüht. Es ging vielmehr um die Inhalte der Debatte in ihrem ganzen Verlauf, und der ist unserer Meinung nach ausreichend belegt. Wichtige Passagen tauchen naturgemäß sogar in Wiederholungen auf; und die haben wir bewußt stehenlassen. UC.

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Biographische Notizen

In alphabetischer Folge sind hier alle Personen aufgeführt, die sich direkt oder indirekt, maßgeblich oder moderierend an der Bauhaus-Debatte beteiligt haben. Außer den Lebensdaten (soweit ohne Archiv-Recherchen zu ermitteln) ist lediglich kurz angegeben, aus welcher Position oder Arbeit heraus die Beiträge zum Gespräch 1953 kommen. Die Seitenzahlen in kursiv verweisen auf Briefe, die gewöhnlich gesetzten auf Beiträge, die für die Drucklegung abgefaßt wurden und auch im Druck erschienen. An der Ermittlung der Daten war cand. arch. Carsten Horstmeyer, Institut für Architektur- und Stadtbaugeschichte an der T U Braunschweig, maßgeblich beteiligt. Hermann Baur (* 1894 in Basel, f 1980 in Basel) arbeitet als Freier Architekt in Basel, für das er - eines seiner wichtigsten Projekte neben den wegweisenden funktional-einfachen Kirchbauten - die Gesamtplanung für das Gellert-Areal übernommen hat. 119 Gottfried Böhm (* 1920 in Offenbach) ist im Büro seines Vaters Dominikus in Köln tätig, das er nach dessen Tod 1955 selbständig weiterführen wird. 197 Ulrich Conrads (* 1923 in Bielefeld) ist seit Mitte 1952 Redakteur der Zeitschrift „Baukunst und Werkform" im Verlag der Frankfurter Hefte. 144 Richard Docker (* 1984 in Weilheim/Teck, + 1968 in Stuttgart) hat eine Professur an der T H Stuttgart und leitet deren Architekturabteilung. 55, 116 261

Hans Eckstein (* 1898 in Allendorf/Hessen, f 1985 in München) ist als Bauhistoriker und Architekturkritiker in München eng mit der Zeitschrift „bauen + wohnen" verbunden. 126 Walter Gropius (* 1883 in Berlin, f 1969 in Boston) ist bis zum Vorjahr (1952) Leiter der Architekturabteilung an der Harvard University gewesen und arbeitet jetzt als Architekt im Rahmen des von ihm 1946 gegründeten „The Architects Collaborative" in Cambridge. 52, 53, 55, 57, 61, 107, 109, 115, 118, 122, 185, 186, 197, 198 Theodor Heuss (* 1884 in Brackenheim/Württ., f 1963 in Stuttgart) war in den zwanziger Jahren neben seiner politischen Arbeit auch eng mit Fragen der Bau- und Produktgestaltung befaßt gewesen. Er amtiert nun, seit 1949, als erster Präsident der Bundesrepublik Deutschland. 201 Hans Hildebrandt (* 1878 in Staufen, f 1957 in Stuttgart) hatte parallel zu seinen wichtigen kunsthistorischen Arbeiten 1926 erstmalig Le Corbusiers „Vers une Architecture" ins Deutsche übersetzt und zeichnete 1929 auch für dessen „Städtebau" als Herausgeber verantwortlich. 126 Rudolf Hillebrecht (* 1910 in Hannover) ist seit 1948 Stadtbaurat von Hannover und Honorarprofessor an der dortigen TH. Er hatte vor zwei Jahren (1951) 45 Architekten, darunter auch Gropius und Leitl, zu einem Gespräch eingeladen. Rudolf Schwarz folgte der Einladung nicht. 109 Hubert Hoffmann (* 1904 in Berlin), Bauhausschüler in Dessau, ist Leiter des Planungs- und Entwurfsamtes Berlin und nach wie vor eng mit den CIAM verbunden. 74, 128, 226 Paul Klopfer (* 1876 in Zwickau, f 1967 in Laucheim) hatte im Weimar der zwanziger Jahre die Baugewerbeschule unterhalten, war 1945 erster Stadtbaurat von Stuttgart und knüpfte von 1949 an engen Briefkontakt mit Gropius und bemühte sich um Publikationen dessen neuer Arbeiten. 54, 87, 108, 199 262

Heinrich König (* 1889 in Leipzig, f 1966 in Mannheim) widmet sich als einer der Wiedergründer des Deutschen Werkbunds nach dem Krieg und als dessen ehrenamtlicher Geschäftsführer Fragen des Wohnens und des Industrial Design. 60 Friedrich Lehmann ('• 1889 in Schluckenau/Böhmen, f 1957 in Wien), 1945 von Prag, wo er seit 1932 an der TH gelehrt hatte, nach Wien geflohen, ist Inhaber einer Lehrkanzel für Gebäudelehre und Entwerfen an der TH Wien. 219 Alfons Leitl (* 1909, f 1975 in Trier) ist neben seiner Tätigkeit als Freier Architekt Architekturkritiker sowie Initiator und Herausgeber der Zeitschrift „Baukunst und Werkform". 25, 31, 34, 49, 62, 117, 147, 149, 161, 181, 185, 188, 240 Hermann Mäckler (* 1910 in Vallendar/Rhine, f 1985 in Frankfurt) ist Freier Architekt in Frankfurt am Main, arbeitet in dauernder enger Partnerschaft mit Alois Giefer und beteiligt sich energisch an öffentlichen Diskussionen über Architektur und Städtebau. 52, 70, 106 Franz Meunier hatte bis zum Frühjahr 1951 die von Alfons Leitl herausgegebene Zeitschrift „Baukunst und Werkform" redigiert. 65 Georg Muche (* 1895 in Querfurt, f 1987 in Lindau/Bad Schachen), einer der ersten Bauhaus-Meister, begründete die Meisterklasse für Textilkunst an der Textilingenieurschule in Krefeld, widmet sich aber nach dem Krieg wieder vorzugsweise der Malerei und experimentellen Grafik. 120, 125 Rudolf Pfister ist der konservativ gesinnte Schriftleiter der in München erscheinenden Architektur-Zeitschrift „Baumeister". 202 Godo Remszhardt (* 1904 in Stuttgart, 1 1970 in Frankfurt) war nach dem Krieg eine Zeitlang Feuilleton-Chef der Frankfurter Rundschau und arbeitet nun als unbestechlicher Kritiker und Journalist insbesondere für überregionale Tageszeitungen. 82, 127 263

Karl-Peter Röhl (* 1890 in Kiel, f 1975 in Kiel), ehemals Bauhäusler in Weimar und Mitglied der Stijl-Gruppe, hat sich nach mehrjähriger Tätigkeit an der Frankfurter Städelschule wieder als Maler nach Kiel zurückgezogen. 89 Antoine de Saint-Exupéry (* 1900 in Lyon, f 1944 bei Korsika) ist von Leitl mit dem „ministeriellen" Zitat aus der „Stadt in der Wüste" s. Seite 219 - in die Debatte einbezogen. Erinnert sei hier an das Leitmotiv Saint-Exupérys von der „solitude fraternelle" des Menschen. 214 Louis Schoberth (* 1915 in Luçon, 1 1987 in Aachen) ist seit 1951 Mitarbeiter in der Bauabteilung des Bischöflichen Generalvikariats Aachen und mit Wiederaufbau oder Instandsetzung kriegszerstörter Bauten befaßt. 99 Albert Schulze Vellinghausen (* 1905 in Bochum, f 1967 in Bochum) ist u. a. geachteter und vielzitierter Kunstkritiker der FAZ. 129 Rudolf Schwarz (* 1897 in Straßburg, f 1961 in Köln) arbeitet zur Zeit der Niederschrift seines provozierenden Aufsatzes „Bilde Künstler, rede nicht!" wiederum als Freier Architekt in Frankfurt am Main und Köln. 24, 26, 32, 37, 48, 50, 110, 145, 146, 162, 179, 180, 182, 184, 257 Emil Steffann (* 1899 in Bethel, f 1968 in Bad Godesberg) betreibt seit 1950 ein eigenes Büro in Mehlem, wo vornehmlich an Entwürfen für Kirch- und Sozialbauten gearbeitet wird. 240 Rudolf Steinbach (* 1903 in Barmen, f 1966 in Aachen) ist Professor für Baukonstruktion an der RWTH Aachen, arbeitet jedoch noch oft an seiner alten Wirkungsstätte im Torturm der Alten Brücke zu Heidelberg und ist nach wie vor unverdrossener Helfer bei Steinsetzarbeiten für Schwarz-Kirchen. 28, 152 Martin Wagner (* 1885 in Königsberg, f 1957 in Cambridge/USA) ist seit 1950 emeritierter (und mittlerweile, was eine Rückkehr nach Deutschland betrifft, resignierter) Professor für Städtebau in Harvard/Cambridge. 111, 113, 192 264

Bauwelt Fundamente (lieferbare Titel)

1 Ulrich Conrads (Hrsg.), Programme und Manifeste zur Architektur des 20. Jahrhunderts 2 Le Corbusier, 1922 - Ausblick auf eine Architektur 3 Werner Hegemann, 1930 - Das steinerne Berlin 4 Jane Jacobs, Tod und Leben großer amerikanischer Städte 12 Le Corbusier, 1929 - Feststellungen 14 El Lissitzky, 1929 - Rußland: Architektur für eine Weltrevolution 15 Christian Norberg-Schulz, Logik der Baukunst 16 Kevin Lynch, Das Bild der Stadt 20 Erich Schild, Zwischen Glaspalast und Palais des Illusions 24 Felix Schwarz und Frank Gloor (Hrsg.), „Die Form" - Stimme des Deutschen Werkbundes 1925-1934 35 David V. Canter (Hrsg.), Architekturpsychologie 36 John K. Friend und W. Neil Jessop (Hrsg.), Entscheidungsstrategie in Stadtplanung und Verwaltung 39 Alexander Tzonis, Das verbaute Leben 40 Bernd Hamm, Betrifft: Nachbarschaft 44 Martina Schneider (Hrsg.), Information über Gestalt 47 Werner Durth, Die Inszenierung der Alltagswelt 50 Robert Venturi, Komplexität und Widerspruch in der Architektur 51 Rudolf Schwarz, Wegweisung der Technik und andere Schriften zum Neuen Bauen 1926-1961 53 Robert Venturi, Denise Scott Brown und Steven Izenour, Lernen von Las Vegas 54/55 Julius Posener, Aufsätze und Vorträge 1931 -1980 56 Thilo Hilpert (Hrsg.), Le Corbusiers „Charta von Athen". Texte und Dokumente. Kritische Neuausgabe 57 Max Onsell, Ausdruck und Wirklichkeit

58 Heinz Quitzsch, Gottfried Semper - Praktische Ästhetik und politischer Kampf 59 Gert Kahler, Architektur als Symbolverfall 60 Bernard Stoloff, Die Affaire Ledoux 61 Heinrich Tessenow, Geschriebenes 62 Giorgio Piccinato, Die Entstehung des Städtebaus 64 F. Fischer, L. Fromm, R. Gruber, G. Kähler und K.-D. Weiß, Abschied von der Postmoderne 65 William Hubbard, Architektur und Konvention 66 Philippe Panerai, Jean Castex und Jean-Charles Depaule, Vom Block zur Zeile 67 Gilles Barbey, WohnHaft 68 Christoph Hackelsberger, Plädoyer für eine Befreiung des Wohnens aus den Zwängen sinnloser Perfektion 69 Giulio Carlo Argan, Gropius und das Bauhaus 70 Henry-Russell Hitchcock und Philip Johnson, Der Internationale Stil - 1932 71 Lars Lerup, Das Unfertige bauen 72 Alexander Tzonis und Liane Lefaivre, Das Klassische in der Architektur 73 Elisabeth Blum, Le Corbusiers Wege 74 Walter Schönwandt, Denkfallen beim Planen 75 Robert Seitz und Heinz Zucker (Hrsg.), Um uns die Stadt 76 Walter Ehlers, Gernot Feldhusen und Carl Steckeweh (Hrsg.), CAD: Architektur automatisch? 78 Dieter Hoffmann-Axthelm, Wie kommt die Geschichte ins Entwerfen? 79 Christoph Hackelsberger, Beton: Stein der Weisen? 80 Georg Dehio und Alois Riegl, Konservieren, nicht restaurieren, Herausgegeben von Marion Wohlleben und Georg Mörsch 81 Stefan Polönyi, . . . mit zaghafter Konsequenz 82 Klaus Jan Philipp (Hrsg.), Revolutionsarchitektur 83 Christoph Feldtkeller, Der architektonische Raum: eine Fiktion 84 Wilhelm Kücker, Die verlorene Unschuld der Architektur 85 Ueli Pfammatter, Moderne und Macht

86 Christian Kühn, Das Schöne, das Wahre und das Richtige 87 Georges Teyssot, Die Krankheit des Domizils 88 Leopold Ziegler, Florentinische Introduktion 89 Reyner Banham, Theorie und Gestaltung im Ersten Maschinenzeitalter 90 Gert Kahler (Hrsg.), Dekonstruktion? Dekonstruktivismus? 91 Christoph Hackelsberger, Hundert Jahre deutsche Wohnmisere - und kein Ende? 92 Adolf Max Vogt, Russische und französische Revolutionsarchitektur 1917 • 1789 93 Klaus Novy und Felix Zwoch (Hrsg.), Nachdenken über Städtebau 94 Mensch und Raum. Das Darmstädter Gespräch 1951 95 Andreas Schätzke, Zwischen Bauhaus und Stalinallee 96 Goerd Peschken, Baugeschichte politisch 97 Gert Kähler (Hrsg.), Schräge Architektur und aufrechter Gang 98 Hans Christian Harten, Transformation und Utopie des Raums in der Französischen Revolution 99 Kristiana Hartmann (Hrsg.), Trotzdem modern (in Vorbereitung) 100 Magdalena Droste, Winfried Nerdinger, Hilde Strohl und Ulrich Conrads, Die Bauhaus-Debatte 1953

Rudolf Schwarz W e g w e i s u n g der Technik u n d a n d e r e Schriften zum Neuen Bauen 1926-1961

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A r c h i t e k t u r - T h e o r i e , L e h r e , Kritik Band 51 der Bauwelt Fundamente. 1979. 198 Seiten

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