Die UdSSR und die beiden deutschen Staaten 1949–1953: Dokumente aus deutschen und russischen Archiven [1 ed.] 9783428557042, 9783428157044

Die Edition dokumentiert die doppelte Deutschlandpolitik der Sowjetunion von der Gründung der beiden deutschen Staaten 1

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Die UdSSR und die beiden deutschen Staaten 1949–1953: Dokumente aus deutschen und russischen Archiven [1 ed.]
 9783428557042, 9783428157044

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Die UdSSR und die beiden deutschen Staaten 1949–1953 Dokumente aus deutschen und russischen Archiven

Duncker & Humblot

Die UdSSR und die beiden deutschen Staaten 1949–1953

Die UdSSR und die beiden deutschen Staaten 1949–1953 Dokumente aus deutschen und russischen Archiven

Herausgegeben von Jochen P. Laufer † und Martin Sabrow Bearbeitet von Jochen P. Laufer † und Ole Christian Kröning

Duncker & Humblot · Berlin

Die Edition wurde gefördert durch folgende Institutionen: Gemeinsame Kommission für die Erforschung der jüngeren Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam Institut für Allgemeine Geschichte der Russischen Akademie der Wissenschaften Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien Fritz Thyssen Stiftung Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Umschlagabbildungen: Vorne: Das Brandenburger Tor mit Blick nach Osten, 25. April 1952 (© BArch, Bild 183-14463-0002) Hinten: Geburtagsempfang für Präsident Wilhelm Pieck mit Vasilij Čujkov und Vladimir Semenov, 3. Januar 1950 (© BArch, Bild 182-09139-0020/Heilig) Alle Rechte vorbehalten

© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Übersetzung der Dokumente: Bernd Bentlin und Klaus-Jürgen Nissen Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: CPI Books GmbH, Leck Printed in Germany ISBN 978-3-428-15704-4 (Print) ISBN 978-3-428-55704-2 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort: Zur Geschichte einer Aktenedition Der hier vorgelegte Dokumentenband, der sich dem Verhältnis zwischen der Sowjetunion und den beiden deutschen Staaten im ersten Jahrfünft nach ihrer Gründung widmet, beleuchtet eine zeithistorische Weichenstellung der Ost-West-Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg und repräsentiert in seiner mehrjährigen und verwickelten Entstehung seinerseits eine eigene Etappe der deutsch-russischen Beziehungen auf dem Gebiet der Geschichtswissenschaft nach 1989.

I. Konzeptionell und chronologisch schließt der Band, der bis auf wenige Ausnahmen unveröffentlichte Dokumente enthält, an die vierbändige, von Jochen Paul Laufer und Georgij Pavlovič Kynin herausgegebene Edition „Die UdSSR und die deutsche Frage“ an. Er setzt deren bis 1949 reichende Dokumentation der deutschlandpolitischen Zielsetzungen, Entscheidungsfindungen und Initiativen der sowjetischen Führung für die Zeit von 1949 bis 1953 fort. Im Unterschied zu seinen Vorgängern aber ergänzt der vorliegende Editionsband die Fokussierung auf die Beziehung zwischen der Sowjetunion und Ostdeutschland um eine dritte, auf Westdeutschland gerichtete Perspektive und bildet so ein Beziehungsdreieck ab, das die nunmehr doppelte Deutschlandpolitik der UdSSR in den Kontext der parallelen Bemühungen beider deutscher Staaten zu stellen erlaubt. Das Ende der unmittelbaren Nachkriegszeit und die Gründung der DDR stellten tatsächlich, wie Josef Stalin in seinem Grußtelegramm hervorhob, einen „Wendepunkt in der Geschichte Europas“ dar. Er sanktionierte die Verfestigung der bipolaren Nachkriegsordnung, und er bedeutete für die Sowjetunion den zunächst nur vorgetäuschten, dann aber faktischen Verzicht auf die territoriale Ausweitung der eigenen Hemisphäre bei gleichzeitiger Festigung der eigenen imperialen Machtposition. Er eröffnete zugleich beiden deutschen Staaten erste Räume für das Ausloten der eigenen Bewegungsfreiheit in einer Zeit weiter wachsender Spannungen im Rahmen der Blockkonfrontation. Die hier vorgestellten Dokumente erweitern unser Wissen über einen Zeitabschnitt in den deutsch-deutsch-sowjetischen Beziehungen, der zumindest in Bezug auf die sowjetische Quellenlage bisher vergleichsweise schwach ausgeleuchtet ist. Überwiegend handelt es sich um Dokumente, die die poli-

VI Vorwort

tischen, wirtschaftlichen und kulturellen Verbindungen zwischen der UdSSR und der DDR betreffen, während die Sowjetunion und die Bundesrepublik während des Untersuchungszeitraums keine offiziellen Beziehungen zueinander unterhielten. An den abgedruckten Gesprächsprotokollen und Korrespondenzen lässt sich das Spannungsverhältnis von Sowjetisierung und Eigenständigkeit in der frühen DDR ablesen und im Einzelnen nachverfolgen, ­inwieweit Moskau mit der Umwandlung der Sowjetischen Militäradminis­ tration in die Sowjetische Kontrollkommission seinem ostdeutschen Satellitenstaat schrittweise mehr Eigenständigkeit zugestand oder versagte. Der Neuigkeitswert der hier versammelten Dokumente liegt nicht nur auf dem Gebiet der politischen Richtungsentscheidungen und Grundsatzbeschlüsse, sondern stärker noch auf der Ebene ihrer Umsetzung. Die hier wiedergegebenen Texte belegen nicht nur, wie viele gemeinhin der SEDFührung zugeschriebene Festlegungen tatsächlich in Moskau getroffen wurden, sondern vor allem, wie engmaschig die sowjetischen Behörden auch ihre Durchführung überwachten. Zum ersten Mal werden die Gesprächsnotizen der sowjetischen Vertreter in der Deutschen Demokratischen Republik – in erster Linie des Chefs der Sowjetischen Kontrollkommission, Marschall Vasilij Čujkov und seines politischen Beraters Vladimir Semenov sowie des Chefs der Diplomatischen Mission der UdSSR in der DDR, Georgij Puškin – mit dem von Walter Ulbricht und Wilhelm Pieck angeführten Funktionärs­ apparat des SED-Staates derartig vollständig vorgelegt. Eine zentrale Rolle nehmen in der Edition weiterhin die deutschlandpolitischen Initiativen und Kampagnen ein, die der Beeinflussung westdeutscher Kreise von Politik und Gesellschaft dienten. In Moskau hielt man noch weit über die Gründung der beiden deutschen Staaten hinaus an der Hoffnung fest, die Westbindung der Bundesrepublik unterlaufen zu können. Die abgedruckten Dokumente veranschaulichen eindrucksvoll, dass die deutsche Teilung in ihren Anfangsjahren den Zeitgenossen noch keineswegs so zementiert erschien, wie es aus der Rückschau anmutet. Erst als die Sowjetunion die Aussichtslosigkeit ihrer auf die Ausweitung ihres gesamtdeutschen Einflusses zielenden Westpolitik erkannte, setzte sie immer entschiedener auf die Sowjetisierung der DDR und versuchte zugleich die Verantwortung für die Teilungspolitik mit der „Stalin-Note“ dem westlichen Gegner zuzuspielen. Nicht weniger aussagekräftig ist die Edition in Bezug auf das bilaterale Verhältnis zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland. Auch wenn keine offiziellen diplomatischen Beziehungen bestanden, dachte man doch auf beiden Seiten darüber nach, wie jenseits der die wechselseitige Wahrnehmung dominierenden Schuldzuweisungen neue Gesprächsfäden geknüpft werden könnten. Vertreter von Industrie und Handel sondierten die Anbahnung von Geschäftskontakten, namhafte westdeutsche Gegner von Adenauers Westorientierung betrieben Ostpolitik auf eigene Faust. Zweifel-



VorwortVII

haft und vage blieben die Bemühungen, den rigorosen Konfrontationskurs des Kalten Krieges zu unterlaufen, aber sie belegen einmal mehr, dass selbst in den spannungsreichsten Jahren des Kalten Krieges weder die westliche noch die östliche Hemisphäre so monolithisch verfasst war, wie es nach außen hin scheinen mochte.

II. Die vorliegende Edition birgt allerdings noch eine zweite Geschichte, nämlich die einer besonderen transnationalen Kooperation zwischen Deutschland und Russland über die Grenzen der einstigen Blockkonfrontation hinweg. Es ist eine Geschichte hochfliegender Hoffnungen und harter Enttäuschungen, eine Geschichte großen Engagements und sich verengender Spiel­ räume. Ihre Achse bildete mit Georgij Pavlovič Kynin auf russischer und Jochen Paul Laufer auf deutscher Seite ein allen Schwierigkeiten trotzendes Forschertandem. Beide konnten den Abschluss ihres wissenschaft­lichen Lebenswerks nicht mehr erleben, aber es waren ihr bemerkenswerter Wagemut und ihre stupende Beharrlichkeit, die dem Unternehmen einer Aktenedition zur sowjetisch-deutschen Zeitgeschichte über dreißig Jahre hinweg den langen Atem gab, der es bis zum Abschluss trug. Von den Mühen des Archiv­ zugangs wie der Dokumentenfreigabe und den von Jahr zu Jahr stärker einschränkenden Rahmenbedingungen, die schon im Band 4 keine gemeinsame Kommentierung mehr erlaubten, sprechen die Geleitworte der bereits publizierten Bände. Diese Schwierigkeiten nahmen bei der Erarbeitung des vorliegenden Bandes nicht ab, sondern traten im Gegenteil immer hinderlicher zutage, so unermüdlich auf deutscher Seite Jochen Laufer als Nestor der Editionsreihe und kraftvoller Motor auch dieses Bandes sich ihnen auch entgegenstellte. Dass nach dem 2012 verstorbenen Georgij Kynin auch er 2016 durch den Tod aus der Arbeit an der Edition herausgerissen wurde, hat die Vollendung des Bandes auf einem geschichtspolitisch immer noch so sensiblen Gebiet wie der sowjetischen Nachkriegspolitik weiter erschwert. Es bleibt gleichwohl Jochen Laufers Verdienst, die entscheidenden Grundlagen für den vorliegenden Band gelegt zu haben. Dass die Editionsarbeit nach seinem Tod fortgesetzt und die Edition am Ende abgeschlossen werden konnte, war dennoch alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Ich danke der Deutsch-Russischen Geschichtskommission dafür, dass sie unter der Co-Leitung von Aleksandr Čubar’jan auf russischer und Horst Möller bzw. Andreas Wirsching auf deutscher Seite die Fortführung der Arbeit an der Edition tatkräftig und nachhaltig unterstützt hat. Mein besonderer Dank jedoch gilt Ole Christian Kröning, der die begonnene Arbeit unter denkbar schwierigen Bedingungen fortzuführen bereit war. Er hat sich in bewundernswerter Intensität in das Aufgabengebiet eingearbei-

VIII Vorwort

tet und die Publikation trotz des Umstandes, dass Aleksej Sindeev als federführender Bearbeiter von russischer Seite ausschied, zu einem erfolgreichen Ende geführt. So hätte die Entstehungsgeschichte dieser Edition bei allen teils überwundenen, teils ungelöst gebliebenen Problemen einen optimistischen Abschluss finden können, wenn nicht der Ausbruch des Ukraine-Krieges im Spätwinter 2022 alles verändert hätte. Russlands Angriff auf seinen westlichen Nachbarn hat gezeigt, wie dünn der Firnis der zeithistorischen Verständigung, wie ohnmächtig die fachliche Kooperation und wie nichtig auch die Vetokraft der Quellen sein kann, wenn sie an die Grenzen machtpolitischer Geltungsansprüche stoßen. Zerfallen ist die diese Edition über alle Höhen und Tiefen begleitende Gewissheit, durch Dialog und Kooperation an der Festigung des Fundaments gemeinsamer Anschauungen und Überzeugungen mitzuwirken, das über die einstigen Frontlinien der Ost-West-Auseinandersetzung hinwegreichen und die Zeitenwende von 1989/91 unumkehrbar machen würde. Die Zäsur von 2022 hat die zweiten trentes glorieuses des Aufbruchs in eine gemeinsame Welt nach 1989 selbst in Geschichte verwandelt, und das 2005 formulierte Zwischenfazit eines Rezensenten bewahrheitet sich heute mehr noch als damals: „Die ersten drei Bände bestätigen, dass man aus ihnen lernen kann, weil manche Ziele russischer Außenpolitik noch in der Gedankenwelt vergangener Epochen wurzeln.“1 Und dennoch: Auch in der Erschütterung über die Ohnmacht der Historie gegenüber einer Gegenwart, die den Normen der Zivilisation Hohn spricht, die fakes zu facts erklärt und die das historische Argument als politische Waffe missbraucht, muss die Hoffnung nicht untergehen, dass auf lange Sicht auch in der Geschichtsschreibung die Verständigung stärker ist als die Konfrontation und die wissenschaftliche Erschließung der Vergangenheit Historiker und Kulturen wieder einen kann, die sich in der Gegenwart so brutal getrennt sehen. In diesem Sinne sei dieser Band Jochen Laufer als spiritus rector dieser fünfbändigen Edition der deutsch-russischen Beziehungen gewidmet, die mehr sein wollte als nur eine Dokumentanthologie, nämlich eine geistige Brücke zwischen Deutschland und Russland. Berlin, im Winter 2022

Martin Sabrow

1  Wolfgang Hauptmann, Eine willkommene Fundgrube, in: Neue Zürcher Zeitung, 19. Februar 2005.

Inhaltsverzeichnis Zur Quellenauswahl und zur Edition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI Einführung zu den Dokumenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIX Dokumentenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . CLXV Dokumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Anhang  Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 659 Literatur- und Siglenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 666 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 692

Zur Quellenauswahl und zur Edition Die hier vorgelegte Edition bietet eine kommentierte Auswahl an zumeist deutschlandpolitischen Dokumenten aus russischen und deutschen Archiven seit der Gründung der beiden deutschen Staaten bis zum Tod Stalins. Der hier gewählte Ansatz, die Quellen dreier so unterschiedlicher Staaten wie der UdSSR, der DDR und der Bundesrepublik Deutschland zu ihrer gegenseitigen Politik in einer Edition zusammenzuführen, bietet die Möglichkeit, die Dokumente in ihren Entstehungsbedingungen in dem Kontext des Beziehungsgeflechts der drei Staaten zu reflektieren und in ihrem wechselseitigen Wirkungszusammenhang darzustellen. Er stellt aber gleichzeitig die editorische Arbeit vor Herausforderungen, die sich aus einer mehrfachen Asymmetrie ergeben: den völlig unterschiedlichen politischen Voraussetzungen und Möglichkeiten der drei Staaten, Außenpolitik zu gestalten, aber auch den unterschiedlichen Voraussetzungen bei der archivalischen Quellenerschließung in den für diese Edition maßgeblichen Archiven der beiden Außenministerien. Einen Schwerpunkt der Edition bilden Gesprächsprotokolle zwischen Vertretern der SKK und der SED-Führung. Diese Aufzeichnungen geben Aufschluss über Prozesse der Entscheidungsfindung zu grundsätzlichen Fragen des politischen und wirtschaftlichen Aufbaus der DDR und der Durchsetzung der SED-Herrschaft. Im Einzelnen handelt es sich um die verschiedenen deutschlandpolitischen Initiativen, die Reparationszahlungen, den Aufbau der verschiedenen Polizeien und des MfS und die im Zuge des „Aufbaus des Sozialismus“ im Frühjahr 1952 durchgeführten Maßnahmen etwa in der Landwirtschaft und der „Grenzsicherung“. Diese Gesprächsprotokolle zeichnen sich im Vergleich mit anderen, hochgradig formalisierten, in Regierungsund Parteiakten abgelegten Dokumenten und Beschlüssen durch ein höheres Maß an Informalität aus. Sie dokumentieren die teilweise überraschend offene Kritik an wahrgenommenen Missständen sowie die Diskussionen um Lösungsvorschläge, die die Herleitung von Beschlüssen nachvollziehbar machen, bezeugen aber auch Initiativen, die nicht umgesetzt wurden. Die Informalität dieser Quellen darf allerdings auch nicht überschätzt werden: Auch diese Unterredungen und ihre Aufzeichnungen unterlagen Sprachregelungen und waren für die Akten bestimmt – die Gespräche durften nicht ohne Einwilligung der sowjetischen Seite protokolliert werden –, und nicht alles wurde darin beim Namen genannt; so wird etwa im Zusammenhang mit der Arbeit der SAG Wismut niemals von Urangewinnung gesprochen. Die Pro-

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Ole Christian Kröning und Martin Sabrow

tokolle wurden im Regelfall anhand von handschriftlichen Notizen nachträglich durch die Dolmetscher angefertigt. Die Instanz des Protokollanten entschied mit, was aus Sicht der SKK als Verlauf und Ergebnis eines Gesprächs gelten durfte und überliefert werden sollte. Desungeachtet handelt es sich um bedeutende Quellen im Hinblick auf Grundfragen der politischen Geschichte der frühen DDR, die ein schärferes Licht auch auf die Praxis der Interaktion und das Verhältnis zwischen der SED und der Besatzungsmacht werfen. Eine wesentliche Referenz für diese Aufzeichnungen sind die 1994 von Rolf Badstübner und Wilfried Loth veröffentlichten Notizen Wilhelm Piecks zu eben diesen Gesprächstreffen. Piecks Notizen zu den Gesprächen mit der SKK-Führung bieten im Regelfall lediglich Hinweise auf Gesprächsinhalte, lassen aber deren konkreten Ablauf zumeist im Unklaren. Initiativen können im Regelfall nicht zugeordnet und Entscheidungsfindungen nicht nachvollzogen werden. Einige der in dieser Edition veröffentlichten sowjetischen Protokolle stellen Gegenüberlieferungen zu Aufzeichnungen Piecks dar, sie ermöglichen damit eine genauere Interpretation dieser bekannten, aber uneindeutigen und unvollständigen Quellen (Dok. 4, 18, 19, 21, 77, 79 und 83). Dem Interesse an einer möglichst vollständigen Gegenüberlieferung zu ­Piecks Notizen aus russischen Archiven konnte im Rahmen der editorischen Kooperation gleichwohl nur eingeschränkt entsprochen werden; ob möglicherweise weitere einschlägige Gesprächsaufzeichnungen in russischen Archiven vorliegen, ließ sich nicht zweifelsfrei klären. Der vorliegende Band ergänzt – neben der Edition von Piecks Aufzeichnungen – eine Reihe vorangegangener Editionen mit thematisch verwandten Bezügen. Grundlegend für die Deutschlandpolitik dieser Zeit sind die Dokumente zur Deutschlandpolitik (DzD), für die westdeutsche Außenpolitik die Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland (AAPD) sowie für Beschlüsse der Bundesregierung die Edition der Kabinettsprotokolle. Auf diese flankierenden Quelleneditionen wird zur Kontextualisierung und Einordnung der hier vorgestellten Dokumente regelmäßig in der Kommentierung verwiesen. Neben älteren, aus der DDR und z. T. parallel aus der UdSSR stammenden, weitgehend politisch motivierten Quelleneditionen zur Außenpolitik (DDS, BDU und DAPDDR), die ebenfalls als Referenzen in der Kommentierung genutzt wurden, ist die 2012 von Jan Foitzik veröffentlichte Edition zur sowjetischen Interessenpolitik in Deutschland 1944–1954 ein wesentlicher Anknüpfungspunkt für die hier vorgestellte Edition. Sie präsentiert eine größere Zahl bisher unveröffentlichter Dokumente im Wesentlichen aus dem Russischen Staatsarchiv für soziale und politische Geschichte (RGASPI), darunter Politbürobeschlüsse, Beschlussentwürfe, Weisungen und weitere Schriftstücke zur Politik der UdSSR in Bezug auf die deutsche Frage (vor allem im Vorfeld und im Kontext der „Stalin-Note“) und auf die DDR. Die hier vorliegende Edition schließt hier an, indem sie Foitziks Dokumen-



Zur Quellenauswahl und zur Edition

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tensammlung ergänzt und gleichzeitig die deutsch-sowjetischen Wirkungszusammenhänge durch die Gegenüberstellung mit westdeutschen Quellen und unter Einbezug der Politik der Westmächte schärfer konturiert. Die Außenpolitik der Bundesregierung in Bezug auf die UdSSR bestand in erster Linie in dem Versuch, auf die Besatzungsmächte einzuwirken. Auch die Politik der UdSSR gegenüber der Bundesrepublik war im doppelten Sinne indirekt: Sie schob einerseits die Regierung der DDR vor, um vor allem deutschlandpolitische Initiativen als nicht von ihr diktiert, sondern als von Deutschen selbst gewünscht erscheinen zu lassen, und sie richtete sich andererseits an die Westmächte bzw. die Alliierten Hohen Kommissare, um auf Vorgänge in der Bundesrepublik einzuwirken. Zur Rekonstruktion dieser Zusammenhänge wird daher in der Kommentierung regelmäßig auf die vom US Department of State herausgegebene Edition „Foreign Relations of the United States“ (FRUS) verwiesen. Wichtige Bezugspunkte für die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte der „Stalin-Note“ bieten die von Jürgen Zarusky 2002 herausgegebene Aufsatzsammlung („Die Stalin-Note vom 10. März 1952. Neue Quellen und Analysen“) – und hier insbesondere der Quellenteil des Beitrages von Wilfried Loth („Die Entstehung der ‚Stalin-Note‘. Dokumente aus Moskauer Archiven“) – sowie die von Peter Ruggenthaler 2007 herausgegebenen Dokumente zur Entstehungs- und Nachgeschichte dieser Initiative („Stalins großer Bluff. Die Geschichte der Stalin-Note in Dokumenten der sowjetischen Führung“). Anschlüsse ergeben sich des Weiteren zu den von Rudolf Boch und Rainer Karlsch 2011 herausgegebenen Studien und Dokumente zur SAG Wismut („Uranbergbau im Kalten Krieg. Die Wismut im sowjetischen Atomkomplex“) sowie zu dem von Elke Scherstjanoi 1998 herausgegebenen SKKStatut von 1949/1950. Anknüpfend an diese Edition, dokumentiert der hier vorliegende Editionsband die Reorganisationen und Umstrukturierungen in der SKK und Beschlüsse zu ihrer Verfasstheit und ihren Aufgaben im Verlauf des Jahres 1952, die teilweise in Reaktion auf geänderte Bedingungen wie die Abschaffung der Länder, aber auch die Maßnahmen zur „Grenzsicherung“ in der DDR gefasst wurden (Dok. 107, 108, 114 und 119). Den Grundstock für die Auswahl der Edition bilden die Bestände der beiden außenpolitischen Archive in Russland und Deutschland, des Archivs für Außenpolitik der Russischen Föderation (Archiv vnešnej politiki Rossijskoj Federacii), im Folgenden AVP RF, und des Politischen Archivs des Auswärtigen Amts, im Folgenden PA AA. Dem AVP RF verdankt die Edition einen wesentlichen Kernbestand an teilweise eigens deklassifizierten Dokumenten nicht nur zur Deutschlandpolitik der UdSSR, sondern auch zu grundlegenden Entscheidungsfindungen in der Aufbauphase der DDR. Dabei kommt den russischen Quellenbeständen vielfach eine Ersatzfunktion für fehlende Überlieferungen zu dieser Zeit in deutschen Archiven zu.

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So fehlen in der deutschen Überlieferung weitgehend die Telegrammwechsel zwischen dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten (MfAA) und den Auslandsvertretungen der DDR. Die dort erteilten Weisungen lassen sich durch die sowjetische Überlieferung teilweise rekonstruieren. Bei zwei vorliegenden Dokumenten handelt es sich um Schreiben Grotewohls an sowjetische Stellen, die in deutschen Archiven nicht überliefert sind und hier in Rückübersetzungen zugänglich gemacht werden (Dok. 62 und 137). Auch sind die ohnehin spärlichen und informellen Kontakte westdeutscher Politiker zur SKK sowie auch zu Regierungskreisen der DDR in deutschen Quellen kaum belegt. Offiziell gab es keine Außenpolitik der Bundesrepublik in Bezug auf die Sowjetunion, und die Bundesregierung vermied es, den Anschein zu erwecken, sie wolle an den Besatzungsmächten vorbei mit Vertretern der DDR-Führung oder gar mit sowjetischen Stellen in Kontakt treten. Diese Ersatzfunktion sowjetischer Quellen für fehlende Überlieferungen in deutschen Archiven und der dominierende Einfluss der UdSSR auf Entwicklungen in der DDR spiegeln sich auch im Verhältnis der ausgewählten Dokumente nach ihrer Provenienz: In die Auswahl der Edition sind 96 Dokumente aus russischen Archiven (dem AVP RF und dem RGASPI) und 15 Dokumente aus den Beständen des ehemaligen MfAA der DDR bzw. der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (SAPMO) aufgenommen worden; 27 Dokumente stammen aus westdeutschen Beständen – im Wesentlichen des PA AA, in Einzelfällen des Bundesarchivs Koblenz (BA Koblenz) und des Archivs für Christlich-Demokratische Politik (ACDP). Die für die Edition ausgewählten Dokumente aus dem AVP RF stammen zu einem großen Teil  aus den Fonds 07 (Außenminister Andrej Vyšinskij) und 0457a (Verwaltung und Apparat des Politischen Beraters der SKK ­Vladimir Semenov). Aus beiden Beständen wurde eine größere Zahl an Gesprächsaufzeichnungen aufgenommen. Bei dem Fond 07 handelt es sich um bis Ende 1951 reichende Aufzeichnungen von Gesprächen auf höchster Ebene, die auf sowjetischer Seite durch Vyšinskij selbst bzw. den sowjetischen Botschafter in Ost-Berlin, Georgij Puškin, vertreten war und auf S ­ eiten der DDR durch den Missionschef der DDR in Moskau, Rudolf Appelt, Außenminister Georg Dertinger oder seinen Staatssekretär Anton Ackermann. Aus diesem Bestand wurde außerdem eine Reihe damals streng geheim gehaltener Schreiben aufgenommen, die entweder von Vyšinskij selbst oder seinem Stellvertreter, Andrej Gromyko, an Stalin gerichtet waren und die DDR betreffende Informationen und Beschlussvorlagen übermittelten (Dok. 26, 34, 37, 54, 76, 78, 109). Hinzu kommen Aufzeichnungen des Leiters der für die deutschsprachigen Länder zuständigen Dritten Europäischen Abteilung des Außenministeriums der UdSSR (MID), Michail Gribanov,



Zur Quellenauswahl und zur Edition

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zum Ablauf der Oktoberwahlen 1950 in der DDR (Dok. 46) und zu Aktivitäten westlicher Geheimdienste und „Ostbüros“ in der DDR (Dok. 117). Aus dem Fond 0457a stammen vor allem Gesprächsaufzeichnungen von Mitarbeitern der SKK oder Semenov selbst, u. a. mit auswärtigen Besuchern oder mit führenden Politikern der DDR – etwa mit Pieck, Grotewohl und Ulbricht, aber auch mit dem Minister für Staatssicherheit Wilhelm Zaisser (Dok. 111) und Außenminister Dertinger (Dok. 123). Für chiffrierte Telegramme existiert im AVP RF ein eigener Bestand (059). Aus ihm wurden für die Edition drei Dokumente freigegeben und ausgewählt, in denen es um Entscheidungen über die DDR geht, die von Stalin bzw. dem Politbüro getroffen wurden oder zu treffen waren. Sie umfassen so unterschiedliche Aspekte wie die Bewilligung von Versorgungslieferungen für die DDR im Vorfeld der Oktoberwahlen 1950 (Dok. 43), einen Beschlussentwurf zu einer flexibleren Westpolitik nach den Oktoberwahlen, die sich nicht mehr nur auf die SED und KPD, sondern auf Politiker der Blockparteien (einschließlich Dertingers) stützen solle (Dok. 55), aber auch einen Beschluss über die Aufhebung rechtlicher Beschränkungen für ehemalige Offiziere der Wehrmacht und Mitglieder der NSDAP (Dok. 120). Aus dem Russischen Staatlichen Archiv für soziale und politische Geschichte (RGASPI) wurden vor allem Dokumente aus dem Bestand 17 des ZK der VKP (b) bzw. KPdSU aufgenommen. Den Schwerpunkt bilden Protokolle der im Durchschnitt ein bis zweimal wöchentlich abgehaltenen Gespräche zwischen der SKK- und der SED-Führung aus dem Findbuch (russ. „opis’“) 137 (Außenpolitische Kommission des Politbüros). In diesen Gesprächen – im Regelfall unter Beteiligung des Vorsitzenden der SKK Vasilij Čujkov, seines Politischen Beraters Vladimir Semenov sowie Piecks, Grotewohls und Ulbrichts – wurden grundlegende Fragen und Entscheidungen zur Politik der DDR besprochen. Bei den hier vorliegenden Quellen aus der Frühphase der DDR (Dok. 14, 16–19, 21, 25, 27 und 31) geht es vor allem um die Sicherung des Sieges der SED bei den Oktoberwahlen 1950 über die Aufstellung einer Einheitsliste, aber auch um Themen wie die Versorgungslage. Der Bestand 17, Findbuch 162 (f. 17, op. 162) enthält Dokumente aus der Sonderablage für Beschlüsse des Politbüros. Eingang in die Edition fanden daraus ein Beschluss über Gerichtsprozesse gegen „amerikanische und englische Agenten“ vor Sowjetischen Militärtribunalen vom 23. Oktober 1950 (Dok. 49) und ein Beschluss über das weitere Vorgehen in der Deutschlandfrage im Vorfeld der „Stalin-Note“ vom 31. Oktober 1951 (Dok. 86). Aus dem Bestand Molotov (f. 82, hier op. 2) des RGASPI können erstmals Protokolle der Verhandlungen von Ende 1949 zwischen Vertretern der SKK und der SED über die Tätigkeit der Sowjetischen Aktienbetriebe (SAG)

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in der DDR im Allgemeinen und der SAG Wismut im Besonderen veröffentlich werden (Dok. 4–7 und 9). Die Erarbeitung der Edition fiel zusammen mit der Deklassifizierung der letzten Verschlusssachen aus dem gewählten Zeitraum zur bundesdeutschen Außenpolitik. Die Freigabe war nach Ablauf einer Sondersperrfrist von 70 Jahren zu Beginn des Jahres 2013 abgeschlossen. Die hier veröffentlichten Quellen stammen im Wesentlichen aus den Beständen B 2-VS (Büro Staatssekretär Hallstein) und B 130 dieser ehemaligen Verschlusssachen. Sie dokumentieren die unterschiedlichen Auffassungen und Haltungen sowohl innerhalb des Regierungslagers als auch in Teilen der Opposition zu den deutschlandpolitischen Initiativen, die von der DDR bzw. der sie anleitenden SKK ausgingen. Lediglich vier der bundesdeutschen Dokumente aus dem PA AA entstammen nicht den Verschlusssachen, sondern der Abteilung III (Länderabteilung). Sie beziehen sich direkt auf die Politik der UdSSR und deren Analyse und Beobachtung (Dok. 61, 73 und 91) bzw. auf das MfAA der DDR (Dok. 106). Die Aufbereitung und Darstellung der Dokumente folgen dem Verfahren der vierbändigen Edition „Die UdSSR und die deutsche Frage“. Die Dokumente sind chronologisch gereiht. Wo bei Gesprächsaufzeichnungen das Datum der Besprechung nicht mit dem der Aufzeichnung übereinstimmt, wurde die chronologische Zuordnung nach Datum und Uhrzeit des Gesprächs vorgenommen. Deutschsprachige Dokumente sind in ihrer originalen Rechtschreibung und Zeichensetzung wiedergegeben. Offensichtliche Rechtschreib- und Zeichensetzungsfehler wurden stillschweigend korrigiert. Übersetzungen aus dem Russischen folgen den aktuellen Rechtschreibregeln. Die Verwendung und Schreibung von Begriffen und Namen wurde bei sowjetischen Dokumenten im Zweifelsfall an die zeitgenössische Verwendung in der DDR angelehnt. Russische Namen sowie Literaturangaben sind aus Gründen der Einheitlichkeit durchgängig in der wissenschaftlichen Transliteration wiedergegeben, die für jeden kyrillischen Buchstaben jeweils einen lateinischen Buchstaben, ein Zeichen oder eine Buchstabenkombination setzt. In den Überschriften der Dokumente werden die beteiligten Personen mit ihren Titeln oder Funktionen bzw. Autor und Adressat des betreffenden Dokuments genannt. Konnte der Autor nicht ermittelt werden, wurde die Institution genannt, in der das Dokument entstand. Im Falle mehrerer Ämter, etwa bei der häufigen Doppelung von Regierungs- und Parteiämtern, wurde im Regelfall aus formalen Gründen das Regierungsamt bzw. das jeweils höchste Amt benannt, ungeachtet der Frage, ob dies die tatsächlichen Machtverhältnisse möglicherweise unzutreffend wiedergibt. Bei bereits veröffentlichten Dokumenten ist der Ort der Veröffentlichung unter der Signatur angegeben.



Zur Quellenauswahl und zur Edition

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Für die Edition wurde eine quellenkritische Kommentierung der Dokumente erarbeitet, die zugleich die Entstehungs- und Verwendungsgeschichte der Dokumente enthält. Darüber hinaus werden etwaige Gegenüberlieferungen zu Dokumenten der Edition belegt und ggf. zitiert. Die Kommentierung liefert, soweit möglich, Hinweise auf weiterführende und thematisch relevante (veröffentlichte und unveröffentlichte) Quellen. Für die Kommentierung konnten Quellen aus dem AVP RF, dem RGASPI, dem Staatsarchiv der Russischen Föderation (GA RF), dem PA AA, dem Bundesarchiv BerlinLichterfelde (BAB), dem Bundesarchiv Koblenz (BA Koblenz), dem Archiv für Christlich-Demokratische Politik (ACDP), dem Archiv des Liberalismus (ADL), dem BStU-Archiv, dem BND-Archiv, dem Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK) und dem Evangelischen Zentralarchiv (EZA) ausgewertet werden. Auf Sekundärliteratur wird immer dann verwiesen, wenn sie Belegangaben enthält, die anderweitig nicht vorliegen. Standardeditionen werden mit Siglen, andere mehrfach zitierte Veröffentlichungen mit Kurztiteln angegeben. In den Dokumenten erwähnte Ereignisse werden im Regelfall anhand von Zeitungsmeldungen belegt. Querverweise weisen auf thematische Zusammenhänge zwischen Dokumenten und Kommentaren innerhalb der Edition hin. Die Bestandssichtung und Dokumentenauswahl besorgten in Bezug auf das PA AA sowie das Bundesarchiv im Wesentlichen Jochen P. Laufer und im Nachgang Ole Christian Kröning, während die Quellen aus dem AVP RF von den dortigen Archivaren zur Verfügung gestellt und teilweise eigens für die Edition deklassifiziert wurden. Die Auswahl der für die Edition zur Verfügung gestellten Dokumente erfolgte durch eine am Institut für Allgemeine Geschichte der Russischen Akademie der Wissenschaften (IVI RAN) für die  Edition gebildete Arbeitsgruppe, der Aleksej Filitov, Viktor Iščenko und Aleksej Sindeev angehörten. Diese Erschließungsarbeit wäre ohne die Unterstützung und Mitwirkung der Archiveinrichtungen in Russland wie in Deutschland nicht möglich gewesen. Unser besonderer Dank gilt daher Nadežda Barinova (AVP RF), Andrej Sorokin (RGASPI), Sergej Mironenko und Larisa Rogovaja (GA RF) und Elke von Boeselager (PA AA) sowie ihren jeweiligen Mitarbeitern. Wir danken außerdem den Archivaren Susanne Ackermann (ADL), Gotthard Klein (Diözesanarchiv Berlin) und Oliver Salten (ACDP) für ihre Unterstützung und wertvolle Hinweise. Besonderer Dank gilt den Archivaren Holger Berwinkel im PA AA und Holger Weins im Bundesarchiv Koblenz. Wir danken Bernd Bentlin und Klaus-Jürgen Nissen für die sachkundige Über­ setzung der russischen Dokumente und Sylvia Klötzer für das sorgfältige Lektorat des Manuskripts und die engagierte Begleitung seiner Fertigstellung. Rat und Hinweise verdanken wir Enrico Heitzer, Hans-Hermann Hertle, Rainer Karlsch, Viktor Knoll, Christoph Kösters, Mechthild Lindemann,

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Ole Christian Kröning und Martin Sabrow

Gerhard Sälter, Michael  F. Scholz, Sergej  Sluč, William Stivers und Carola Tischler. Besonderer Dank gilt dem Verlag Duncker & Humblot und namentlich Heike Frank, die die Edition vom ersten Band an betreut hat, für die gute Zusammenarbeit über viele Jahre hinweg. An der Vorbereitung und Ausarbeitung der Edition beteiligt waren darüber hinaus Kathrin König, Verena Concha Vega, Martin Wagner, Clara Lipkowski, Cordula Greinert, Ute Groß und Natal’ja Volodina. Ihnen allen sei sehr herzlich gedankt. Das am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam angesiedelte und in Kooperation mit der Gemeinsamen Kommission für die Erforschung der jüngeren Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen durchgeführte Editionsvorhaben wurde dankenswerterweise zusätzlich durch die Fritz Thyssen Stiftung und die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) gefördert. Potsdam, im Winter 2022

Ole Christian Kröning und Martin Sabrow

Einführung zu den Dokumenten I. Der Aufbau der DDR unter sowjetischer Einwirkung bis 1952 1. Die Sowjetische Kontrollkommission Wenige Wochen nach Gründung der DDR, am 5. November 1949, beschloss der Ministerrat der UdSSR die zuvor bereits angekündigte Umwandlung der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) in die Sowjetische Kontrollkommission (SKK) als zivile Behörde.1 Anders als die SED-Führung sich erhofft haben mochte,2 wurden auch der SKK letztlich sehr weitgehende Kontrollfunktionen der Regierungs- und Verwaltungstätigkeit der DDR in allen Bereichen von Politik, Wirtschaft und Sicherheit zugedacht. Nicht alle Aufgaben der SKK wurden sofort in entsprechenden Beschlüssen konkretisiert, sie blieben teilweise informell geregelt und wurden erst in der Praxis ihrer Handhabung durch die Besatzungsmacht sichtbar. Offiziell sollte die SKK die Einhaltung der Potsdamer Beschlüsse und anderer Beschlüsse der vier Mächte sichern, außerdem lagen ihre Aufgaben „in der notwendigen Überwachung“ vor allem der Außen- und Außenhandelsbeziehungen der DDR. Darüber hinaus sollte sie, so hieß es zumindest in der offiziellen Erklärung des Vorsitzenden der SKK Vasilij Čujkov vom 11. November 1949, die Regierung der DDR „ihre Tätigkeit … in Freiheit ausüben lassen“.3 Zu den Aufgaben der SKK gehörte es von Anfang an, die Einhaltung der Reparationsverpflichtungen seitens der DDR zu überwachen. Das nach verschiedenen Bearbeitungen erst 1950 beschlossene SKK-Statut beschrieb die Kompetenzen der SKK in Bezug auf die DDR-Regierung ansonsten eher vage,4 behielt der Führung der SKK aber weitgehende Aufsichts- und Eingriffsrechte vor. So konnte die SKK „mit Erlaubnis der sowjetischen Regierung in notwendigen Fällen Verordnungen oder Anweisungen erlassen, deren Erfüllung für die Regierungsorgane der Deutschen Demokratischen Republik

1  Vgl.

Foitzik, Interessenpolitik, S. 496–503, und UdF 4, S. 514–526. Wettig, Einheit in Freiheit, S. 175–176. 3  Vgl. DDS 1, S. 240–241. 4  Vgl. SKK-Statut, S. 46–47 bzw. 119–136. 2  Vgl.

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Ole Christian Kröning

bindend sind“; auch konnte sie von allen Regierungsbehörden jederzeit umfassende Informationen einfordern.5 Die SKK hat in geringerem Maße als die SMAD die Aufmerksamkeit der Forschung auf sich gezogen.6 Auch aufgrund der spärlichen Quellenlage blieben die Vorgänge ihrer Einflussnahme auf den Aufbau des SED-Staates teilweise im Ungefähren, und die relative Uneindeutigkeit des SKK-Statuts lässt Rückschlüsse auf die Praxis nur bedingt zu. Die hier vorgestellte Quellenauswahl macht die Interaktion zwischen SKK und SED auf der Spitzen­ ebene genauer nachvollziehbar, auf der Grundsatzentscheidungen über den Aufbau von Institutionen der DDR, später aber auch deutschlandpolitische Initiativen der UdSSR und der DDR verhandelt bzw. an die SED übermittelt wurden. Angesichts des Umstandes, dass – laut den Erinnerungen des leitenden Dolmetschers der SKK Aleksandr Bogomolov7 – Treffen zwischen der SKK- und der SED-Führung bis zu dreimal wöchentlich stattfanden,8 können die hier präsentierten Dokumente nur einen der prekären Überlieferungssitua­ tion und der Zugänglichkeit in den Archiven geschuldeten Ausschnitt aus dieser Interaktion bieten. In den vorliegenden Dokumenten zeigt sich, dass die SKK in der Praxis bereits seit 1950 die Politik der SED in bemerkenswerter Kleinteiligkeit nicht nur kontrollierte, sondern auch anleitete. Sie tat dies vor allem, indem sie während der Gesprächstreffen Richtlinien vorgab (die oftmals auch schriftlich zumeist formlos als sogenannte „Memoranden“ oder „Merkblätter“ überreicht wurden9), der SED dann die konkrete Ausführung überließ, deren Ergebnisse sie wiederum prüfte, etwa indem sie sich Beschlussentwürfe vorlegen ließ. Gleichwohl handelte es sich nicht um eine bloße Befehlskette. Denn bei den Unterredungen wurden die anliegenden Fragen durchaus diskutiert und die Beteiligten nach ihren Einschätzungen befragt, wobei wiederholt Problemlagen und Kritikpunkte zur Sprache kamen. In welchem Maße die SKK die Regierungsarbeit der SED nicht nur überwachen, sondern auch steuern sollte, scheint vor allem in der Anfangszeit nicht eindeutig festgelegt gewesen zu sein. Es spielte sich anscheinend erst mit der Zeit ein; möglicherweise wurden auch anfangs zurückhaltende interne Weisungen im Laufe des Jahres 1950 verschärft. So kam es bei der 5  Vgl.

SKK-Statut, S. 133; vgl. insgesamt dazu auch Badstübner/Loth, S. 316–317. Ausnahme ist die in der Einleitung erwähnte Dokumentation zum SKKStatut von Elke Scherstjanoi. Zu Struktur und Personal der SKK vgl. SKK-Statut, S. 15–30. 7  Vgl. Bogomolow, Ohne Protokoll, S. 29. 8  Elke Scherstjanoi schätzte die Zahl der Treffen von November 1949 bis Februar 1953 auf ca. 90–100, vgl. SKK-Statut, S. 71. Drei Treffen in einer Woche dürfte es damit nur in Ausnahmefällen gegeben haben. 9  Vgl. ausführlicher zu den „Memoranden“ SKK-Statut, S. 68–70. 6  Eine



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Ausarbeitung des ersten Fünfjahrplans, der, wie Wilhelm P ­ ieck am 28. Februar 1950 an Stalin schrieb (vgl. Dok. 14, Fn. 8), immerhin im Zentrum der Agitation im Vorfeld der Oktoberwahlen 1950 stehen sollte, offensichtlich zu Missverständnissen über die Aufgabenverteilung, als die SKK der SED die erbetene Mitarbeit verweigerte. Sie bot lediglich eine Hilfestellung an, um die die SED jedoch zunächst formell bei Stalin nachsuchen musste (Dok. 14). Die in der Forschung herausgearbeitete Tendenz hin zu verstärkter Kontrolle und Einmischung Moskaus in den Jahren 1951 und 1952 wird durch die hier vorgestellten Dokumente jedoch bestätigt. Gleiches gilt für die von Monika Kaiser vertretene Auffassung, die SKK habe mit Hilfe mündlicher Weisungen und formloser schriftlicher „Memoranden“ faktisch auch Regierungsfunktionen in der DDR ausgeübt,10 indem sie von der SED die rückhaltlose Umsetzung ihrer „Empfehlungen“ erwartete. Allerdings betraf dies nur solche Fragen, die die SKK als relevant betrachtete. Gerade in der Anfangszeit sah sie sich möglicherweise auch aufgrund ihres reduzierten Apparates dazu genötigt, die SED zu mehr eigenständigem Handeln überhaupt erst aufzufordern (Dok. 14). Andererseits mischte sich die SKK-Führung mit Hilfe ihrer „Memoranden“ mitunter auch in scheinbare Nebensächlichkeiten ein wie in die Berichterstattung der weitgehend linientreuen Berliner Zeitung (vgl. Dok. 17, Fn. 21). Es lag in jedem Fall aber im Ermessen der SKK bzw. der ihr übergeordneten Stellen in Moskau, ob und wo die SKK unmittelbar in das Partei- und Regierungshandeln eingriff. Die während der Unterredungen der SED-Führung übergebenen „Memoranden“ oder „Merkblätter“ (im diplomatischen Sprachgebrauch „Aide-mémoire“, im Russischen „pamjatnaja zapiska“) wurden bei der Archivierung im Regelfall den Originalen der sowjetischen Protokolle als Anhänge beigefügt. Liegen der Veröffentlichung in dieser Edition Kopien der Protokolle zugrunde, fehlen die „Merkblätter“ durchgehend. In Einzelfällen konnten im Nachlass von Ministerpräsident Otto Grotewohl zusammenhanglos abgelegte „Merkblätter“ der SKK den entsprechenden Gesprächsprotokollen mit großer Wahrscheinlichkeit zugeordnet werden (so in Dok. 79 und 83). Zwar kam es auch vor, dass „Empfehlungen“ der SKK versandeten oder gar bei ausführenden Stellen in der DDR auf Widerstand stießen, so im Fall einer taktisch motivierten Initiative der SKK zur Schaffung eines Bankgeheimnisgesetzes in der DDR (vgl. Dok. 77 und dort Fn. 24). Generell jedoch sorgte die SKK dafür, dass überall dort, wo sie sowjetische Interessen berührt sah – oder wo sie selbst entsprechende Direktiven aus Moskau erhielt – ihre „Empfehlungen“ in Beschlüsse umgesetzt wurden. 10  Vgl. Monika Kaiser, Wechsel von sowjetischer Besatzungspolitik zu sowjetischer Kontrolle? Sowjetische Einflußnahme und ostdeutsche Handlungsspielräume im Übergangsjahr von der SBZ zur DDR, in: Sowjetisierung und Eigenständigkeit, S. 187–231, hier S. 192.

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Ole Christian Kröning

Insgesamt bestätigen die Quellen das von der Forschung anhand der Parameter „Sowjetisierung und Eigenständigkeit“11 entwickelte Bild, nach dem die Spitzenfunktionäre der SED und insbesondere ihr Generalsekretär Walter Ulbricht versuchten, das ihnen vertraute sowjetische Modell auf die DDR zu übertragen und institutionell abzusichern. Die SKK widersprach dem zwar kaum grundsätzlich, war jedoch in höherem Maße bereit, taktisch flexibel zu agieren. Wie auch das ihr übergeordnete sowjetische Außenministerium (MID) dachte die SKK nach Maßgabe ihrer eigenen Interessen in größeren außenpolitischen Zusammenhängen und war stets bereit, zu erwartende ­Reaktionen etwa in Westdeutschland, vor allem aber in den USA, bei ihren Entscheidungen mit einzubeziehen. Zugespitzt formuliert, ergab sich das Paradoxon, dass die SED die ihr gewährte Eigenständigkeit in der Regel zu einer forcierten Sowjetisierung nutzte. Hinzu kommt, dass die SED von vornherein und vorrangig darauf bedacht war, die DDR in ihrer Eigenstaatlichkeit zu konsolidieren, während die sowjetische Außenpolitik bis zu einem auch anhand der hier vorgestellten Quellen nicht ganz eindeutig bestimmbaren Zeitpunkt verschiedene deutschlandpolitische Optionen in der Hand behalten wollte. Trotz gelegentlich divergierender Interessenlagen förderte und unterstützte die UdSSR die Durchsetzung der SED-Diktatur jedoch grundsätzlich auch dann, wenn die zuständigen sowjetischen Stellen zu der beschriebenen größeren Flexibilität neigten, bestimmte Maßnahmen für verfrüht hielten und verzögerten oder gegenüber der SED darauf drangen, bereits beschlossene Maßnahmen vor der Bevölkerung der DDR wie auch vor der westlichen Öffentlichkeit zeitweilig zu bemänteln. Die SED-Funktionäre brachten Vorschläge und Initiativen in die Gespräche ein, und ihre Vorschläge wurden immer wieder auch gebilligt; die Annahme oder Ablehnung dieser Vorschläge fiel jedoch ins Ermessen der SKK oder der ihr übergeordneten Stellen in Moskau. Auch wenn vor allem Ulbricht für manche seiner Initiativen, mitunter auch gegen anfängliche Zweifel, die Zustimmung der sowjetischen Entscheidungsträger erreichen konnte, ändert dies nicht grundsätzlich den Gesamteindruck, dass die sowjetischen Gesprächspartner gegenüber den SED-Funktionären bei der Entscheidungsfindung stets dominierten. Nicht unzutreffend charakterisierte der bereits erwähnte Aleksandr Bogomolov in seinen Erinnerungen die Rolle Ulbrichts in den Unterredungen dahingehend, dass dieser unter allen SED-Funktionären am ehesten eigene Positionen formuliert und versucht habe, sie durchzusetzen; wenn aber (entsprechend den Vorgaben der SKK) eine andere Regelung vereinbart worden sei, habe er diese dann zuverlässig umgesetzt.12 Die Quel11  Vgl.

12  Vgl.

Michael Lemke, Einleitung, in: ebenda, S. 11–30. Bogomolow, Ohne Protokoll, S. 30.



Einführung zu den Dokumenten

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len dokumentieren in der Tat mehrere Versuche Ulbrichts, seine Vorstellungen durchzusetzen. Einen Vorstoß, die Kontrolle über den Außenhandel an deutsche Stellen zu übertragen, betrachteten die SKK und das MID als Infragestellung der Kontrollfunktion der SKK und unterbanden ihn (Dok. 89). Die von Ulbricht wiederholt vorgebrachte Forderung nach einer weitgehenden Schließung der Berliner Sektorengrenze übernahm jedoch Semenov für die SKK Ende des Jahres 1952 nach langem Zögern (Dok. 133; vgl. dazu auch Abschnitt III). Eine Zustimmung Stalins ist nicht belegt, jedoch existiert ein weiterer Entwurf für einen teilweise zustimmenden Beschluss des ZK der KPdSU.13 Nach Stalins Tod wurde diese Initiative bekanntlich für längere Zeit auf Eis gelegt14 und tauchte erst im Kontext der zweiten Berlin-Krise 1958 wieder auf. Noch häufiger als ein gelegentliches Ringen um Handlungsspielräume überliefern die Protokolle jedoch auch die gleichsam rituellen Einverständniserklärungen der SED-Funktionäre, die damit das erwartete grundsätzliche Einvernehmen mit den sowjetischen Gesprächspartnern in Bezug auf die wesentlichen politischen Zielsetzungen im Regelfall auch bekundeten – auch wenn eine Zustimmungserklärung nicht notwendigerweise in jedem Fall auch die Umsetzung nach sich zog. Trat die SKK jedoch in ihren Forderungen oder ihrer Kritik entschieden auf, sah sich die SED zuweilen sogar genötigt, einen bereits getroffenen Ministerratsbeschluss eilends revidieren zu lassen (die in Dok. 18 von Čujkov geäußerte massive Kritik geht im Übrigen aus P ­ iecks entsprechenden Gesprächsnotizen nicht hervor15). Letztendlich war jedoch auch die SKK darauf angewiesen, dass die SED-Funktionäre als ihre Sachwalter in der DDR agierten, „Empfehlungen“ möglichst effektiv ausführten und kompetente Lageeinschätzungen lieferten. Die SKK ihrerseits war gehalten, wichtige Fragen zur Entscheidung nach Moskau – im Regelfall an das ihr übergeordnete Außenministerium der UdSSR (MID) – einzureichen und entsprechende Vorschläge zu unterbreiten, die dort durchaus nicht immer übernommen wurden. Das MID legte solche Fragen, meist versehen mit einem Kommentar oder eigenen Vorschlägen, dem Politbüro (und dessen Außenpolitischer Kommission) bzw. Stalin selbst zur Entscheidung vor; diese Kommunikation lief in vielen Fällen über den stellvertretenden Außenminister Andrej Gromyko, seltener auch über Außenminister Andrej Vyšinskij, der in der sowjetischen Deutschlandpolitik keine entscheidende Rolle spielte. Vyšinskij ließ sich von Zeit zu Zeit von DDRAußenminister Georg Dertinger (dem selbst vor allem repräsentative Aufga13  Vgl. Christian F. Ostermann (Hrsg.), Uprising in East Germany 1953. The Cold War, the German Question, and the First Major Upheaval Behind the Iron Curtain, Budapest 2001, S. 43. 14  Vgl. ebenda, S. 50–51. 15  Vgl. Badstübner/Loth, S. 337–339.

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ben zukamen) oder von dem Leiter der DDR-Mission in Moskau Rudolf Appelt informieren und trat mit Weisungen vor allem als deren Übermittler in Erscheinung (Dok. 80). Das MID wiederum war in der DDR zusätzlich durch die sowjetische Mission unter Leitung von Georgij Puškin (später ersetzt durch den bisherigen Stellvertreter Semenovs Ivan Il’ičev16) vertreten, woraus sich eine Doppelstruktur der mit Deutschlandpolitik befassten sowjetischen Vertretungen in der DDR ergab. Die sowjetische Mission beschäftigte sich u. a. mit Fragen der Außenbeziehungen der DDR, sie war im Regelfall auch für Weisungen an das bzw. Absprachen mit dem MfAA zuständig. Bei als wichtig erachteten außenpolitischen Entscheidungen wurden Čujkov und Puškin mitunter von Gromyko gleichzeitig adressiert (vgl. Dok. 47 zur Einberufung der Prager Außenministerkonferenz), oder sie wandten sich (dies war eher eine Ausnahme) zugleich und direkt an Stalin (vgl. Dok. 55 zur verstärkten Einbindung von „bürgerlichen“ Politikern in die Westarbeit der DDR nach den Oktoberwahlen 1950). Eine Bezugsgröße für die Regelung der Kompetenzen von SKK und DDRRegierung (und für alle öffentlichen Erklärungen darüber) war immer auch das im Frühjahr 1949 durch die Außenminister der drei Westmächte beschlossene, seit dem 21. September für die Bundesrepublik geltende Besatzungsstatut17. Aus Sicht der SED ging es darum, in der Systemkonkurrenz mit der Bundesrepublik einen Gewinn an Souveränität gegenüber der Besatzungsmacht behaupten zu können (vgl. etwa die optimistische Erklärung des Parteivorsitzenden P ­ ieck am 4. Oktober 1949 vor dem Parteivorstand der SED, das „deutsche Volk“ werde „vollkommen selbständig zu entscheiden haben, ohne daß, wie es im Westen der Fall ist, die westlichen Besatzungsmächte auf Grund des Besatzungsstatus [sic] in alle Dinge und Beschlüsse hineinreden können. Das gibt der neuen Regierung und der Volkskammer eine erhöhte Bedeutung“18). Vor allem die deutschlandpolitischen Vorstöße der UdSSR sollten nach außen als Initiativen der SED, bei Regierungsbeschlüssen oder bei Einbeziehung der Blockparteien über die „Nationale Front“19 auch der sogenannten 16  Ivan Il’ičev war zugleich Resident des für Spionage zuständigen Informationskomitees des MID in Deutschland, vgl. Wentker, Außenpolitik, S. 28, und Nikita Petrov, Die sowjetischen Geheimdienstmitarbeiter in Deutschland. Der leitende Personalbestand der Staatssicherheitsorgane der UdSSR in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands und der DDR von 1945–1954. Biografisches Nachschlagewerk, hrsg. von Memorial International, Berlin 2010, S. 326. 17  Vgl. DzD II, 2, S. 338–344. 18  Vgl. Siegfried Suckut, Die Entscheidung zur Gründung der DDR. Die Protokolle der Beratungen des SED-Parteivorstandes am 4. und 9. Oktober 1949, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jg. 39 (1991) 1, S. 125–175, hier S. 158. 19  Zur „Nationalen Front“ vgl. Jochen P. Laufer, Die UdSSR, die ostdeutsche Staatsgründung und die Berlin-Krise 1948–1949. Einführung zu den Dokumenten, in:



Einführung zu den Dokumenten

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„bürgerlichen Kräfte“ erscheinen. Intern wurden sie im Regelfall von der SKK bzw. aus Moskau zumindest bewilligt, meistens aber über Richtlinien und „Empfehlungen“ auch vorgegeben und von der SED bzw. dann von Regierungsstellen in der beschriebenen Weise ausgeführt. Angestoßen von Äußerungen Stalins in zwei Spitzengesprächen im April 1952 in Moskau, entwickelte die SED-Führung in Abstimmung mit der SKK in der Folgezeit eine Reihe von Maßnahmen zur Umgestaltung der DDR, die in der Ankündigung Ulbrichts gipfelten, nunmehr sei „der Aufbau des Sozialismus zur grundlegenden Aufgabe geworden“ (vgl. Dok. 112, Fn. 11). All diese Entwicklungen (einschließlich der Losung vom „Aufbau des Sozialismus“) bedurften, wie in der Forschung seit langem belegt, der Billigung aus Moskau. Dabei gelang es jedoch der SED-Führung, insbesondere Ulbricht, teilweise über die anfänglichen Vorgaben hinaus eigene Initiativen voranzutreiben und sich in einzelnen Bereichen eine gewisse Gestaltungsmacht zu erarbeiten (vgl. dazu Abschnitt III). 2. Vorbereitung der Oktoberwahlen: Wirtschaftspolitik, Blockparteien und die Einheitsliste Am 19. Januar 1950 erklärte Čujkov auf einer der wöchentlich abgehaltenen internen Beratungen der SKK20 die „Vorbereitung und Durchführung“ der auf den 15. Oktober 1950 verschobenen Wahlen zur Volkskammer der DDR zur „wesentliche[n] Aufgabe“ des Jahres; die „gesamte Arbeit“ der SKK müsse sich auf die Stärkung der SED konzentrieren (Dok. 13). Aus Sicht ebenso der SKK wie der SED zielten die Vorbereitung und Durchführung der Oktoberwahlen auf die Konsolidierung der DDR und auf die Sicherung und formale Legitimierung der SED-Herrschaft. Zugleich sollte das angestrebte möglichst einheitliche Abstimmungsergebnis die Ziele der sowjetischen Deutschlandpolitik legitimieren, deren Kernforderungen sogar auf dem Wahlzettel verzeichnet waren; in diesem Sinne war die Abstimmung in der DDR auch als „Gegenwahl“ zur Bundestagswahl vom 14. August 1949 gedacht, mit der in der deutsch-deutschen Konkurrenz eine breite Zustimmung der Bevölkerung in der DDR für deren Politik demonstriert werden sollte.21 Hierfür setzten die SKK und die SED ein Bündel von Maßnahmen in Gang, die von der Ausarbeitung und propagandistischen Begleitung des ersten Fünfjahrplans der DDR (den Ulbricht auf dem III. Parteitag der SED am 22. Juli 1950 vorstellte, vgl. Dok. 12, Fn. 11) bis hin zu kleineren, aber öfUdF 4, S. XV–LXVI, hier S. XIX–XXIII. Vgl. auch Lemke, Einheit oder Sozialismus, S. 51–54. 20  Vgl. SKK-Statut, S. 66–67. 21  Vgl. Lemke, Einheit oder Sozialismus, S. 119–120.

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fentlichkeitswirksamen wirtschaftlichen Erleichterungen wie Preissenkungen (vgl. die internen Diskussionen darüber in Dok. 17 und 27), Lebensmittellieferungen (Dok. 27, 31 und 43) und die angedachte, aber nur teilweise verwirklichte Abschaffung des Bezugskartensystems für Lebensmittel (Dok. 12, 17, 25 und 27) reichten. Während die dringend benötigten und noch kurz vor der Wahl von Stalin selbst bewilligten Lebensmittellieferungen (Dok. 43) vor allem als eine taktische Notmaßnahme erscheinen, die kurzfristig die Fähigkeit der SED demonstrieren sollte, die Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, erhofften sich die kommunistischen Funktionäre vom ersten Fünfjahrplan der DDR (vgl. Dok. 12, Fn. 11, zur Planungsgeschichte Dok. 31, Fn. 5) einen erheblichen, langfristigen und auch für die Bevölkerung spürbaren und im Systemwettbewerb entscheidenden Aufschwung (so die Erwartung Außenminister Vyšinskijs in Dok. 8). Nichtsdestoweniger hielten sie zunächst eine „Popularisierung“ des Fünfjahrplans durch ein breit angelegtes Programm unter Einbeziehung von Wissenschaftlern und Künstlern für angeraten (Dok. 31; vgl. dort auch Fn. 23). Über wirtschaftliche Fragen hinaus machte sich Grotewohl – so berichtete der Leiter der DDR-Mission in Moskau Rudolf Appelt Außenminister Andrej Vyšinskij  – angesichts der bevorstehenden Wahlen Sorgen über den Zustand der Polizei (Dok. 12), und Appelt selbst bemühte sich seit Anfang 1950 um die Rückkehr der nach dem Krieg in die UdSSR überführten und dort in der Produktion tätigen „deutschen Spezialisten“ mit ihren Familien nach Deutschland (Dok. 15), eine Frage, von deren Lösung im Vorfeld der Wahlen sich das MfAA einen Zuwachs an Legitimation für die DDR-Regierung versprach, die jedoch erst wesentlich später gelöst werden konnte (vgl. dort Fn. 5 und 7). Explizit mit dem Hinweis auf die zu befürchtende „Feindpropaganda“ im Vorfeld der Wahlen wandten sich Čujkov und Semenov mit Unterstützung des MID gegen Ulbrichts Vorhaben, bei seinen Verhandlungen über ein Wirtschaftsabkommen mit der VR Polen auch die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze anzubahnen. Stalin entschied jedoch im Sinne Ulbrichts (Dok. 33). Einen Hauptgegenstand der Bemühungen in diesem Zusammenhang bildete – nach den schlechten Erfahrungen der SED mit getrennten Parteienlisten bei den Landtagswahlen 1946, aber auch angesichts des Ergebnisses der Bundestagswahl am 14. August 194922 – die seit längerem von der SEDFührung geforderte23 und am 28. September 1949 im Politbüro des ZK der VKP (b) beschlossene24 Durchsetzung einer Einheitsliste der Parteien und

22  Vgl.

Lemke, Einheit oder Sozialismus, S. 114–117. dazu Jochen P. Laufer, Die UdSSR, die ostdeutsche Staatsgründung und die Berlin-Krise 1948–1949. Einführung zu den Dokumenten, in: UdF 4, S. XV– LXVI, hier S. XXXIII–XXXV. 24  Vgl. UdF 4, S. 468. 23  Vgl.



Einführung zu den Dokumenten

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Massenorganisationen der „Nationalen Front“ für die auf den 15. Oktober 1950 verschobenen Wahlen zur Volkskammer. In der Ost-CDU hatte der Hauptvorstand die Zustimmung zur Gründung der DDR und zur Regierungsbeteiligung mit dem Versprechen auf baldige geheime und freie Wahlen durchsetzen können, war dabei aber auf Vorbehalte einzelner zögerlicher Funktionäre wie des Vorsitzenden des sächsischen Landesverbandes Hugo Hickmann (vgl. Dok. 2, Fn. 5) und den Widerstand eines großen Teils der Parteibasis gestoßen.25 Eine parteiübergreifende Einigung darüber kam erst am 5. Oktober auf einer gemeinsamen Sitzung des Präsidiums des Deutschen Volksrates und des Zentralen Blocks zustande;26 am 7. Oktober fasste der Volksrat den entsprechenden Beschluss.27 Auf einer Beratung des Hauptvorstands mit Vorsitzenden und Sekretären der CDUKreisvorstände am 9. Oktober warfen daraufhin zahlreiche Kreisfunktionäre dem eigenen Vorstand Verrat vor, wie Semenov umgehend nach Moskau berichtete.28 Nach Darstellung Semenovs hätten in letzter Zeit erstarkte „reaktionäre Kräfte“ innerhalb der „bürgerlichen Parteien“ deren Führungen dazu gedrängt, ihre Regierungsbeteiligung von der unmittelbaren Abhaltung allgemeiner Wahlen abhängig zu machen. Die SED habe den Wahltermin zwar hinausschieben können, sich jedoch – als Zugeständnis an die „bürgerlichen Parteien“ – bereits jetzt auf den Wahltermin am 15. Oktober 1950 festlegen müssen.29 Den Konflikt innerhalb der Ost-CDU zwischen dem Hauptvorstand, der bereit war, sich dem Herrschaftsanspruch der SED weitgehend unterzuordnen, um überhaupt als Partei fortbestehen und auf politische Entwicklungen einwirken zu können, und einem großen Teil der Basis, der die Abkehr ihrer Partei vom Ziel einer parlamentarischen Demokratie nicht mittragen wollte, konnten Otto Nuschke und Georg Dertinger mit Unterstützung einer Gruppe prokommunistischer Politiker und über verschiedene Verfahrenstricks auf dem IV. Parteitag der Ost-CDU am 12. November 1949 in Leipzig für sich

25  Vgl.

Richter, Ost-CDU, S. 195, zum weiteren Zusammenhang S. 192–195. Siegfried Suckut, Die Entscheidung zur Gründung der DDR. Die Protokolle der Beratungen des SED-Parteivorstandes am 4. und 9. Oktober 1949, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jg. 39 (1991) 1, S. 125–175, hier S. 131–133, und ders., Blockpolitik in der SBZ/DDR 1945–1949. Sitzungsprotokolle des Zentralen Einheitsfront-Ausschusses. Quellenedition, Köln 1986, S. 512–521. 27  Vgl. dazu die offizielle Erklärung der CDU anlässlich der Gründung der DDR, ebenda, S. 530–531. 28  Vgl. UdF 4, S. 500–502 sowie S. 676, Anm. 393, und Siegfried Suckut, Blockpolitik in der SBZ/DDR 1945–1949. Sitzungsprotokolle des Zentralen EinheitsfrontAusschusses. Quellenedition, Köln 1986, S. 521–530. 29  Vgl. UdF 4, S. 499. 26  Vgl.

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Ole Christian Kröning

entscheiden,30 wie Dertinger dem sowjetischen Missionschef in Ost-Berlin Georgij Puškin beschönigend berichtete (Dok. 2). Vor dem Hintergrund ihrer eigenen Versprechungen standen die Spitzenpolitiker der Blockparteien erneut vor einem Dilemma, als sie sich im Frühjahr 1950 mit der Forderung der SED konfrontiert sahen, in eine gemeinsame Wahlplattform einzuwilligen. Flankierend verfolgten die SKK und die SED eine Politik der Einbindung und gezielten Förderung sogenannter „progressiver“ Kräfte innerhalb der Blockparteien, die damit jedoch auch unter erheblichem Anpassungsdruck standen, bei gleichzeitiger Bekämpfung als „reak­ tionär“ eingestufter Politiker. Dieses am 22. November 1949 im Politbüro des ZK der SED beschlossene Vorgehen (zu dem nur im AVP RF überlieferten Beschluss vgl. Dok. 2, Fn. 8) ging mit einer Verhaftungswelle einher und führte u. a. auch zum Rücktritt Hickmanns und anderer Führungspolitiker von ihren Ämtern (vgl. Dok. 19, Fn. 5). Die SED-Führung erreichte am 15. März 1950 die mündliche Zusage des CDU-Vorsitzenden Nuschke zur Bildung einer Einheitsliste, noch im März stimmten auch Karl Hamann und Hermann Kastner (beide LDP) informell zu (vgl. Dok. 17, Fn. 2 und 3). Gesprächsprotokolle aus dieser Zeit beleuchten sowohl das Vorgehen der SED bei der Durchsetzung der Einheitsliste als auch die Versuche der „bürgerlichen“ Politiker, im Gegenzug für ihre Zustimmung – so wurde es in der SKK und der SED gedeutet – zur Rechtfertigung und zur Gesichtswahrung vor ihren eigenen Parteimitgliedern Zugeständnisse zu erzielen. Während Nuschke vorgeschlagen habe, die Veröffentlichung einer Erklärung zur Einheitsliste zu verschieben und an den erwarteten Beitritt der Bundesrepublik zum Europarat zu koppeln (Dok. 17), bemühte sich Kastner laut Protokoll wiederholt um Zusicherungen für eine „gleichberechtigte Position“ der LDP auf der Wahlliste bzw. bei den Absprachen über die Sitz- und Ressortverteilung (Dok. 19 und 31). Schon am 28. März beschloss der Parteienblock ein gemeinsames Wahlprogramm und die Aufstellung einer Einheitsliste (vgl. Dok. 17, Fn. 7), die jedoch, dem Wunsch Nuschkes folgend, erst später bekanntgegeben werden sollte. In der veröffentlichten Erklärung der Parteivorsitzenden war in diesem Sinne von einem „gemeinsame[n] Wahlziel“, jedoch nicht von einer gemeinsamen Liste, sondern noch mehrdeutig von „wahrhaft freie[n], demo­ kratische[n] Wahlen in einem freien Lande“ die Rede.31 Eine Resolution über die Einheitsliste wurde nach vorausgegangenem Beschluss des Parteienblocks vom 16. Mai 1950 (besprochen in Dok. 31) am Folgetag veröffentlicht, im

30  Vgl. 31  Vgl.

Richter, Ost-CDU, S. 208–212. DzD II, 3, S. 130–132.



Einführung zu den Dokumenten

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Verlauf des Sommers gab man auch die Sitzverteilung und das Wahlprogramm bekannt.32 SKK und SED blieben bei ihrer mehrgleisigen Politik gegenüber der CDU und LDP. Versuchen der Führungen der Blockparteien, im Gegenzug zu ihrer Zustimmung zur Einheitsliste die Verfolgung ihrer Parteimitglieder abzumildern oder zu beenden, stellten sie sich kompromisslos entgegen und drangen gleichzeitig darauf, die von oben gesteuerten Verfolgungskampagnen als Austragung innerparteilicher Richtungsstreitigkeiten aussehen zu lassen. So wies Čujkov die SED-Führung an, ihre „Aufgabe bestehe darin, die reaktionären Elemente der bürgerlichen Parteien durch diese Parteien selbst zu schlagen, wobei die SED im Schatten bleiben müsse“ (Dok. 19). Für die Führungspolitiker der Blockparteien, deren Zustimmung die SED brauchte und auch erhielt, erwies sich diese Politik als eine fatale Gratwanderung, sofern sie ihre Rolle nicht in der von SED und SKK vorgesehenen Weise spielten: So berichtete laut Protokoll Grotewohl am 17. März 1950 der SKK, er habe dem als korrupt geltenden Kastner wegen dessen Reisewünschen mit dem erzwungenen Rücktritt von seinen Ämtern gedroht (woraufhin Čujkov eine „feste Hand“ gegenüber einigen „bürgerlichen Minister[n]“ forderte, vgl. Dok. 17). Nachdem Kastner sowohl am 28. März33 als auch bei Vorverhandlungen zum Beschluss vom 16. Mai der SED „eine Reihe von Schwierigkeiten“ gemacht hatte (Dok. 19 und 31), wurde er im Juli des Jahres durch einen informellen „Führungsausschuss“ seiner Partei u. a. wegen seiner „unklaren“ politischen Haltung in Bezug auf die Einheitsliste aus der LDP ausgeschlossen und seiner Ämter enthoben (vgl. Dok. 31, Fn. 6). Angesichts von Dertingers Versuchen, den Parteiausschluss des Vorsitzenden der Brandenburger CDU Peter Bloch zu verhindern, beließ man es hingegen bei Ermahnungen (Dok. 19). Im Fall Kastners wich man damit offensichtlich von der inzwischen von Čujkov vorgegebenen Linie ab, „dass man in den Beziehungen zu den bürgerlichen Führungspersonen bestrebt sein sollte, scharfe Kanten zu vermeiden und bis zu den Wahlen die Beziehungen zu ihnen nicht zu verschärfen. Alle Mittel und Kräfte müssten jetzt dafür eingesetzt werden, dass alle großen Aufgaben für das Jahr 1950 bewältigt werden, denn die Lösung dieser Aufgaben sei in vieler Hinsicht eine Vorentscheidung für die weitere wirtschaftspolitische Entwicklung der Republik und ihre Erfolge in der Zukunft“ (Dok. 31).

32  Vgl.

ebenda, S. 192–193, 253–254, 301–302. Siegfried Suckut, Innenpolitische Aspekte der DDR-Gründung. Konzeptionelle Differenzen, Legitimations- und Akzeptanzprobleme, in: „Provisorium für längstens ein Jahr“. Protokoll des Kolloquiums Die Gründung der DDR, hrsg. von Elke Scherstjanoi, Berlin 1993, S. 84–101, hier S. 94. 33  Vgl.

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3. Widerspruch der Kirche und Kirchenpolitik der SED Nicht zuletzt mit der Durchsetzung der Einheitsliste begründeten auch Vertreter der evangelischen Kirche in der DDR ihren Protest gegen Maßnahmen der DDR-Regierung, der im Frühjahr 1950 zu einem ersten Aufeinanderprallen der Kirchen und der Regierung führte. Der Beschluss des Parteienblocks vom 28. März 1950 zur Aufstellung einer Einheitsliste war nicht der einzige Anlass, doch vermutlich einer der Auslöser für eine Initiative des provinzsächsischen Bischofs Ludolf Müller, die zu einem schweren Konflikt führte. Am 29. März erklärte Bischof Müller dem Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt Werner Bruschke, er werde am Ostersonntag, dem 9. April 1950, wegen der verstärkten Werbung für die „Nationale Front“ (deren Ziele mit denen der SED identisch seien), der geplanten Einheitsliste für die Oktoberwahlen und allgemein der materialistischen Beeinflussung der Bevölkerung in seiner Landeskirche eine Kanzelabkündigung verlesen lassen, in der die Gläubigen vor dieser Entwicklung gewarnt und ihre Gewissensfreiheit und Verantwortlichkeit vor Gott angemahnt werden sollten.34 Ähnliche Vorwürfe hatte der Vorsitzende des Rats der EKD und Bischof von Berlin-Brandenburg Otto Dibelius bereits am 23. März 1950 in einem Gespräch mit Grotewohl erhoben und dabei ebenfalls die Werbung für die Nationale Front, aber auch Verhaftungen und vor allem die massive Beeinflussung des Schulunterrichts und den damit verbundenen Gewissensdruck für Lehrer und Schüler in der DDR angesprochen. Der protokollierte mündliche Bericht über dieses Gespräch, den Grotewohl noch am selben Tag Čujkov erstattete (Dok. 18), stellt eine Gegenüberlieferung zur bereits bekannten Aufzeichnung des Bevollmächtigten des Rates der EKD bei der Regierung der DDR Propst Heinrich Grüber dar,35 wobei sich Grotewohl in seinem Bericht für Čujkov ein schärferes und konfrontativeres Auftreten gegenüber den Kirchenvertretern zuschrieb als Propst Grüber dies überlieferte. Wenige Tage nach dem Gespräch mit Bruschke spezifizierte Bischof Müller sein Vorhaben der Kanzelabkündigung gegenüber dem Ministerpräsidenten von Thüringen Werner Eggerath (dem er zuvor auch den Text der Kanzelabkündigung36 hatte zukommen lassen). Über dieses Gespräch berichtete ­Pieck der SKK-Führung am Abend des 6. April (Dok. 21), nachdem die Führung der SED und einzelne Minister am selben Tag in einer zeitlich sehr verdichteten Ereignisfolge versucht hatten, die Verlesung der Kanzelabkündi34  Vgl.

Besier, SED-Staat und Kirche, S. 69. Pontifex nicht Partisan, S. 71–73. 36  Vgl. Kirche im Kampf der Zeit. Die Botschaften, Worte und Erklärungen der evangelischen Kirche in Deutschland und ihrer östlichen Gliedkirchen. Herausgegeben im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland – Kirchenkanzlei von Pfarrer Günter Heidtmann, Berlin 1954, S. 120–121. 35  Vgl.



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gung zu verhindern: Nach einem vormittags im Politbüro beschlossenen Maßnahmeplan sprach ­Pieck zunächst mit Nuschke und Kastner, die sich laut ­Piecks Bericht scharf von der Kirchenleitung distanzierten (Čujkov schlug dazu am Abend vor, „zur Beilegung des Konflikts mit der Kirche Nuschke und Kastner hinzuzuziehen, dadurch könne geprüft werden, wie konsequent sie die Politik, zu der sie sich bekannt haben, betreiben“, vgl. Dok. 21). Daraufhin erklärte P ­ ieck in einem Gespräch mit dem General­ superintendenten von Berlin Heinrich Krummacher, eine Verlesung der ­Kanzelabkündigung werde als „Kampfansage der Kirche gegen den Staat“ betrachtet. Der Staat wolle keinen „Kulturkampf“, werde aber eine Verlesung als Verstoß gegen Artikel 41 der Verfassung der DDR (vgl. Dok. 21, Fn. 9) ansehen. P ­ ieck bestellte zugleich die fünf evangelischen Landesbischöfe für den selben Tag zu 18:00 Uhr ins Innenministerium der DDR ein.37 Bei diesem Gespräch erklärte Bischof Müller seinen Verzicht auf die Verlesung der Kanzelabkündigung, wenn im Gegenzug die Regierung zu einer Aussprache mit den Kirchenvertretern über die darin beklagten Missstände bereit sei.38 Während SKK- und SED-Führung die Forderungen der Kirchenvertreter intern als „Provokation“ und als „Kriegserklärung“ wahrnahmen und sich auch darin einig waren, dass sie auf Weisungen der „anglo-amerikanischen Spionage“ zurückgingen (Dok. 21 und 25), so verfolgten beide gleichermaßen dennoch nach außen hin eine vorsichtigere Taktik: Unter Verzicht auf offene Repression sollte auf unterer Ebene die Werbung und Unterstützung „progressiver“ Pfarrer fortgesetzt werden, um eine Mehrzahl der Gläubigen zu beeinflussen und „reaktionäre“ Geistliche zu isolieren. Über dieses Vorgehen bestand im Kern bereits am 6. April Einigkeit (Dok. 21). Nachdem Dibelius am 15. April die Verlesung der Kanzelabkündigung erneut und nun für den 23. April angekündigt hatte, da die versprochene Aussprache mit Regierungsvertretern nicht stattgefunden habe (Grotewohl begründete die Absage mit der späten Zusendung von Materialien durch Dibelius, worauf Dibelius am 20. April antwortete, dass es nicht um die Prüfung von Materialien, sondern um Grundsatzfragen ginge39), wurde diese Taktik in einer Unterredung am 21. April im Grundsatz bekräftigt und auf die neue Situation zugeschnitten (Dok. 25). Ein Maßnahmeplan der SKK, den Christian Stappenbeck 1993 in Auszügen veröffentlichte,40 findet im Protokoll dieser Unterredung keine explizite Erwähnung, entspricht aber in Teilen den am 21. April abgespro37  Vgl.

den Vermerk Krummachers, EZA 4/448, Bl. 216–217 Rs. Besier, SED-Staat und Kirche, S. 71. 39  Vgl. Kirchliches Jahrbuch 1950, S. 114–117, hier S. 114–115. 40  Vgl. Christian Stappenbeck, Öffentlichkeitsanspruch und „Wächteramt“ der evangelischen Kirche beim staatlichen Beginn der DDR, in: „Provisorium für längstens ein Jahr“. Protokoll des Kolloquiums Die Gründung der DDR, hrsg. von Elke Scherstjanoi, Berlin 1993, S. 353–363, hier S. 358–359. 38  Vgl.

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chenen und im Wesentlichen auch durchgeführten Planungen. Man sah Zusammenhänge zwischen den Blockparteien, dem Auftreten der Kirche und Störversuchen der Amerikaner im Hinblick auf die Oktoberwahlen und suchte die verschiedenen Akteure gegeneinander auszuspielen. Während Grotewohl in Umkehrung der Verhältnisse die Kirche zum „Verzicht … auf Druck gegen Geistliche, die die Nationale Front befürworten“, aufrufen wollte, gaben Čujkov und Semenov eine entschärfende Taktik vor, nach der nicht offene Kritik, sondern die langfristige und – nach tschechoslowakischem Vorbild – auch finanzielle Unterstützung willfähriger Geistlicher im Vordergrund stehen sollte, um, wie Čujkov ausführte, „wenn schon keine Kirchenspaltung, so doch Zwist vorzubereiten“ (Dok. 25). Wie sich die sowjetischen Stellen das Ergebnis dieses Vorgehens vorstellten, deutete ein Bericht des Leiters der Dritten Europäischen Abteilung des MID Michail Gribanov über den Verlauf der Volkskammerwahlen vom 15. Oktober 1950 an. Gribanov vermerkte hier besonders, dass in „einigen Kirchen“ Gottesdienste „den Wahlen gewidmet“ worden seien, nach deren Beendigung sich die Gläubigen „organisiert zu den Wahllokalen“ begeben hätten (Dok. 46). 4. Diskussion um Wahlen in Berlin Kurz vor der Unterredung am 21. April 1950, in der die SKK- und die SED-Spitzen über den Konflikt mit der Kirchenführung berieten, war beim sowjetischen Stadtkommandanten in Berlin ein Antrag des West-Berliner Oberbürgermeisters Ernst Reuter an alle alliierten Stadtkommandanten eingegangen, auf Grundlage der Wahlordnung von 1946 freie Wahlen in ganz Berlin durchzuführen. Kurz darauf folgte auch die Zustimmungserklärung der westlichen Stadtkommandanten. Noch bevor Vyšinskij auf sein Schreiben an Stalin zu dieser Frage notierte, man solle in dieser Angelegenheit „[d]ie Deutschen fragen“ (Dok. 26), tat Čujkov dies am 21. April (Dok. 25). Auch hier waren sich SKK- und SED-Führung sowohl in ihrer Wahrnehmung dieser Initiative als auch in ihrer Taktik weitgehend einig: Man deutete diese „Attacke Reuters und der westlichen Stadtkommandanten“ (Čujkov) als ein von den Amerikanern inszeniertes Manöver mit dem Ziel, „unsere Position in der Frage der deutschen Einheit zu diskreditieren“ und auf die Vorbereitung der Oktoberwahlen unter Anwendung einer Einheitsliste Einfluss zu nehmen (Grotewohl). Čujkov sah zudem einen Zusammenhang zwischen den Initiativen Reuters und Dibelius’, deren von den Amerikanern vorgegebenes Ziel es sei, die „bürgerlichen Parteien“ zu unterstützen und die Wahlen auf Grundlage der Einheitsliste zu delegitimieren (Dok. 25).



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Die UdSSR sah sich aufgrund ihres früheren Vorschlages zu Gesamtberliner Wahlen41 verpflichtet, dem Antrag formell zuzustimmen, tat dies jedoch – auch dies im Einklang mit den Einschätzungen Grotewohls und ­Ulbrichts (Dok. 25) – unter für die Westseite erwartbar unerfüllbaren Bedingungen wie dem Abzug der Garnisonen aller Besatzungsmächte und der Abschaffung der Sektoren Berlins (vgl. Dok. 26, Fn. 13)42 – ein Muster, das auch in späteren Notenwechseln um den Friedensvertrag und die Einheit Deutschlands Anwendung fand. Die sowohl von Grotewohl und Ulbricht (Dok. 25) als auch von Čujkov und Semenov (Dok. 26) vorgeschlagenen Forderungen nach Abschaffung des (für Berlin gesondert geltenden) Besatzungsstatuts und Einführung einer einheitlichen Währung in Berlin ließ man in dem vom MID ausgearbeiteten und von Stalin bewilligten offiziellen Antwortschreiben hingegen weg.43 Das sowjetische Schreiben war lediglich an die drei westlichen Kommandanten und nicht an die West-Berliner Stadtverordnetenversammlung gerichtet. 5. Verhandlungen über die SAG-Betriebe und die SAG Wismut Die Sowjetischen Aktiengesellschaften (SAG) waren durch den SMADBefehl Nr. 167 im Sommer des Jahres 1946 im Zuge der Beschlagnahmung mittlerer und großer Betriebe in der SBZ (vgl. Dok. 90, Fn. 22) auf der Grundlage eines Beschlusses des Rats der Volkskommissare der UdSSR vom 25. Januar 194644 gegründet worden. Die dafür ausgewählten ca. 200 der leistungsfähigsten ostdeutschen Industriebetriebe wurden zwischen 1946 und 1947 in sowjetisches Eigentum überführt und in zunächst zwölf, später bis zu 35 SAG zusammengefasst. Sie ermöglichten der UdSSR die Kontrolle über die für den Wirtschaftsaufbau, aber auch für ihre eigenen Sicherheits­ interessen relevanten Schlüsselindustrien in der SBZ und deren Anbindung an die sowjetische Volkswirtschaft.45 Vor allem aber stellten sie eine „flexible Variante der Reparationspolitik“46 der UdSSR dar, die die bis dahin praktizierte Demontage von Industriebetrieben und ihren Abtransport in die UdSSR nach und nach ablöste und einen Teil der sowjetischen Reparationsforderungen durch die Produktionsentnahme im laufenden Betrieb unter der Kontrolle einer sowjetischen Verwaltung sicherte. Die gewählte deutsche Rechtsform der Aktiengesellschaft sollte ihre Bildung formaljuristisch absichern; aus 41  Vgl.

UdF 4, S. 383–386. diesem Sinne kommentierte Stalin selbst gegenüber der SED-Führung am 4. Mai 1950 den Antwortentwurf der SKK, vgl. Treffen mit Stalin 1950, S. 604. 43  Vgl. FRUS 1950 IV, S. 852–854. 44  Vgl. UdF 2, S. 273 und 705–706, Anm. 268. 45  Vgl. Karlsch, Reparationsleistungen, S. 132–135. 46  Vgl. ebenda, S. 110–113. 42  In

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westlicher Sicht galten sie allerdings als Verstoß gegen das Potsdamer Abkommen.47 Die SAG unterstanden der Hauptverwaltung für sowjetisches Eigentum im Ausland (GUSIMZ) beim Ministerrat der UdSSR bzw. der ihr untergeordneten Verwaltung für sowjetisches Eigentum in Deutschland (USIG) mit Sitz in Berlin-Weißensee. Die einzelnen SAG erhielten sowjetische Verwaltungen, die bisherigen deutschen Betriebsleitungen wurden vielfach weiterbeschäftigt. Die Produktionsplanung übernahmen jeweils Volkskommissariate bzw. Ministerien der UdSSR.48 Eine Sonderstellung unter den Sowjetischen Aktiengesellschaften nahm die SAG Wismut ein. Bereits 1946 hatte unter der Leitung des NKVD die Erkundung und Förderung von Uranerz in den beschlagnahmten Gruben und Betrieben des sächsischen Bergbaureviers begonnen.49 Nach ihrer Gründung am 10. Mai 1947 entwickelte sich die SAG Wismut – zu deren Generaldirektor der bisherige Leiter der „Sächsischen Bergbauverwaltung“, der Generalmajor des NKVD bzw. MVD Michail Mal’cev ernannt wurde50 – zum bedeutendsten Lieferanten von Uranerz im sowjetischen Machtbereich und stellte eine wesentliche Voraussetzung für das sowjetische Atombombenprojekt dar. Anlässlich der Gründung der DDR hielt die GUSIMZ eine Neuregelung der Tätigkeit der SAG, ihres Verhältnisses zu den deutschen Behörden und ihrer Stellung innerhalb der Volkswirtschaft der DDR für notwendig.51 Anfang Dezember 1949 begannen daher auf sowjetisches Verlangen (vgl. Dok. 4) Regierungsverhandlungen, die den Status der SAG in der DDR regeln sollten. Während die infolge dieser Verhandlungen beschlossenen, ehemals geheim gehaltenen Protokolle seit einigen Jahren bekannt sind, werfen die hier vorgestellten Quellen ein Licht auf die Verhandlungen selbst. In einem Vorgespräch am 26. November gab der Leiter der GUSIMZ, der ehemalige Volkskommissar für Staatssicherheit der UdSSR Vsevolod Merkulov (der zugleich sowjetischer Verhandlungsleiter war) den deutschen Gesprächspartnern die bereits vorbereiteten getrennten Protokollentwürfe für die Tätigkeit der SAG und der SAG Wismut bekannt (Dok. 4). Im Anschluss daran interessierten sich die SED-Führer vor allem für die im Entwurf des SAG-Protokolls52 unter Punkt 12 enthaltene Auflösung des seit 1947 als ge47  Vgl. Rainer Karlsch/Johannes Bähr, Die Sowjetischen Aktiengesellschaften (SAG) in der SBZ/DDR. Bildung, Struktur und Probleme ihrer inneren Entwicklung, in: Mikropolitik im Unternehmen. Arbeitsbeziehungen und Machtstrukturen in industriellen Großbetrieben des 20. Jahrhunderts, Essen 1994, S. 214–255, hier S. 217. 48  Vgl. Karlsch, Reparationsleistungen, S. 114–115. 49  Vgl. Karlsch/Zeman, Urangeheimnisse, S. 141–144. 50  Vgl. ebenda, S. 145–147. 51  Vgl. UdF 4, S. 461–463. 52  Zum Protokollentwurf vgl. UdF 4, S. 665–667, Anm. 363; zu dem am 5. Mai 1950 in Kraft gesetzten Protokoll vgl. Foitzik, Interessenpolitik, S. 523–525.



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mischte (deutsch-sowjetische) Aktiengesellschaft geführten Filmunternehmens DEFA, an der die DDR 45 % und die UdSSR 55 % der Anteile hielten. Grotewohls Befürchtung, im Falle einer Liquidierung der Gesellschaft könnten die „bürgerlichen Parteien“ als Regierungsbeteiligte das Recht auf eine Beteiligung an der Filmproduktion beanspruchen, führte zu einer Änderung der Formulierung: Die UdSSR verzichtete nun unter Rückerstattung ihrer Aktien lediglich auf ihre Beteiligung an der DEFA (vgl. dort Fn. 17 und 19). Von dieser Änderung abgesehen waren beide am 5. Mai 1950 unterzeichneten Protokolle weitgehend identisch mit den sowjetischen Protokollentwürfen. Unter Punkt 13 des SAG-Protokolls war die Rückgabe (tatsächlich: der Rückkauf) von 23 SAG-Betrieben an bzw. durch die DDR vorgesehen (vgl. Dok. 5, Fn. 9), darunter von vier Betrieben der Filmindustrie. In ähnlicher Weise wie im Fall der DEFA selbst befürchteten die SED-Vertreter einen möglichen Einspruch der „bürgerlichen Parteien“ gegen die geplante Verpachtung dieser Betriebe an die DEFA; aus Gründen der Geheimhaltung der Verhandlungen wurde diese Frage in den Gesprächen jedoch vertagt und ihre Lösung der SED überlassen (Dok. 4). Das Bemühen der SED, die „bürgerlichen“ Regierungsmitglieder aus dem Entscheidungsprozess herauszuhalten, zog sich auch durch die am 9. Dezember 1950 beginnenden Verhandlungen. Am zweiten Verhandlungstag, dem 12. Dezember, kam es zu einem bizarr anmutenden Dialog zwischen Merkulov und Ulbricht, der Merkulovs mehrfache Nachfragen, ob der Text des zu verhandelnden SAG-Protokolls mit der Regierung der DDR abgestimmt sei, einerseits bejahte, andererseits aber wissen wollte, wann er denn der Regierung von den Verhandlungen berichten solle. Merkulov argumentierte laut Protokoll betont formal und bestand auf einer baldigen Berichterstattung, da nur die Regierung die Vollmacht zur Unterschrift unter die Protokolle erteilen könne. Daraufhin antizipierte Ulbricht mögliche „Schwierigkeiten“, da die „Repräsentanten bürgerlicher Parteien“ in der Regierung anderer Ansicht sein könnten und er zudem laut Verfassung Außenminister Dertinger gesondert über die Verhandlungen informieren müsse. Er sagte jedoch erneut zu, die Protokolle beim Ministerrat durchzusetzen und die Vollmacht einzuholen (vgl. Dok. 6 und dort Fn. 6). Diese Situation wiederholte sich bei der Verhandlung über das Wismut-Protokoll am selben Abend: Ulbricht erklärte eine Unterrichtung des Ministerrates zunächst für unnötig, Merkulov verwies ebenso wie Industrieminister Fritz Selbmann auf die Verfassungsbestimmungen, woraufhin Ulbricht ankündigte, er werde auf der nächsten Sitzung den Ministerrat informieren (Dok. 7). Am 16. Dezember konnte Ulbricht der SKK berichten, die Protokollentwürfe seien am Vortag durch die offensichtlich nur mündlich informierte Regierung einstimmig und ohne Komplikationen angenommen worden; die Rückgabe der 23 SAG-Betriebe habe dabei den Ausschlag gegeben (Dok. 9).

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Verhandelt wurde am 9. Dezember über die Tätigkeit der SAG (Dok. 5) und am 12. Dezember über die der SAG Wismut (Dok. 7). Noch einmal wurden dabei die im Protokoll festgelegten Vereinbarungen zur Tätigkeit der SAG durchgesprochen. Einwände und Nachfragen äußerten vor allem die neben Ulbricht an der Verhandlung beteiligten Minister Heinrich Rau und Fritz Selbmann, die sich jedoch nach Erläuterungen Merkulovs oder Kobulovs mit den getroffenen Regelungen zufrieden gaben oder geben mussten oder aber der Delegierung von Einzelfragen an eine zu bildende gemischte paritätische Kommission (vgl. Dok. 4, Fn. 16) zustimmten (Dok. 5). Offensichtlich umstritten blieb lediglich die Frage des selbständigen Vertriebs eigener Produkte durch die SAG, auch wenn die sowjetischen Vertreter eine Lösung dieser Frage versprachen. Sowohl die im SAG-Protokoll unter Punkt 8 getroffene Regelung (vgl. Dok. 5 und dort Fn. 21) als auch die später von der erwähnten Kommission gefundene, recht ähnliche Formulierung (vgl. dort Fn. 24) verpflichteten die DDR zwar zum Absatz der Produkte der SAG, ließen jedoch den SAG – sei es im Fall von „außerplanmäßig hergestellte[r] Produktion“ oder nicht realisierten Verkäufen – ausreichenden Spielraum für eigene Aktivitäten. Diese als „Kompensationsgeschäfte“ bezeichneten Verkäufe, vor allem Geschäfte der SAG mit westdeutschen Firmen, erwiesen sich für den Außenhandel der DDR als ein Problem, da die SAG, wie noch am letzten Verhandlungstag Selbmann den sowjetischen Verhandlungspartnern in ungewöhnlich deutlicher Kritik vorhielt (Dok. 9), ihre Produkte zu einem niedrigeren Wert als dem von den DDR-Behörden festgesetzten verkauften bzw. gegen Waren eintauschten. Dieses Problem blieb – entgegen den Ankündigungen Merkulovs und Kobulovs – bis zur Auflösung der SAG 1953 bestehen.53 Zum Protokoll über die Tätigkeit der SAG Wismut54 äußerten die deutschen Verhandlungspartner keine grundsätzlichen Einwände (Dok. 7). Selbmann – der offensichtlich die Rolle auf sich nahm, konkrete Interessen der DDR-Regierung gegenüber der SKK bei den Verhandlungen anzusprechen – beschwerte sich allerdings über unabgestimmte Stromentnahmen durch Betriebe der SAG Wismut, woraufhin Merkulov auf die „besondere Wichtigkeit“ der Tätigkeit der SAG Wismut und auf den auch in Punkt 1 des Protokolls (vgl. Dok. 7, Fn. 7) festgeschriebenen Vorrang der Wismut-Betriebe in Versorgungsfragen verwies. Laut Punkt 8 des Wismut-Protokolls war eine „vom Ministerpräsidenten speziell ernannte Vertrauensperson“ für die ausschließliche Weitergabe von Informationen über die Tätigkeit der SAG Wismut an den Ministerpräsidenten vorgesehen (­Pieck hatte bereits in seiner Aufzeichnung zum Gespräch am 53  Vgl. Peter E. Fäßler, Durch den „Eisernen Vorhang“. Die deutsch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen 1949–1969, Köln 2006, S. 86. 54  Vgl. Wismut Dokumente, S. 86–88.



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26. November den Ausdruck „Vertrauensperson“ notiert55). Im Zuge einer Meinungsverschiedenheit über die in einem Vertrag des Landes Sachsen mit der SAG Wismut (den Ulbricht nicht anerkennen wollte) geregelte Besteuerung erklärte Ulbricht sich selbst zu diesem Bevollmächtigten, mit dem in Zukunft alle Fragen, die die Tätigkeit der SAG Wismut betreffen, abgesprochen werden sollten (Dok. 7). Vereinbart wurden daraufhin regelmäßige Gespräche unter Beteiligung von Kobulov, Mal’cev und Ulbricht. Für die Folgezeit sind mehrere Gespräche sowie Korrespondenz zwischen Kobulov und Ulbricht belegt. In die Edition aufgenommen wurden die Aufzeichnungen zweier späterer Unterredungen zwischen Kobulov und Ulbricht (Dok. 74 und 103). Diese Gespräche behandelten nicht ausschließlich Fragen der SAG Wismut, sondern waren offener gehalten und umfassten Fragen der SAG im Allgemeinen einschließlich der SAG Wismut (Dok. 103), aber auch sonstige anliegende Fragen (Dok. 74). 6. Die SAG Wismut in der DDR und die Diskussion um Bodenschätze Die Behandlung von Problemlagen und Schwierigkeiten bei der Arbeit der Wismut-Betriebe zog sich auch in der Folgezeit durch die Gespräche zwischen SKK und SED auf Spitzenebene. Noch während der Verhandlungen, am 12. Dezember 1949, bat Selbmann im Nachgang zur offiziellen Verhandlung um ein Gespräch über den Umgang mit einem Grubenbrand in Johanngeorgenstadt am 24. November (Dok. 7). Hier waren in erster Linie die missglückte Koordination und die Außendarstellung des Ereignisses von Interesse: Selbmann kritisierte, dass die deutschen Rettungsmannschaften und die örtliche Polizei nicht an den Unglücksort gelassen worden seien und die Polizei infolgedessen übertriebene Angaben über die Folgen des Brandes weitergeleitet habe, die in der westdeutschen Presse zu unzutreffenden Berichten über zahlreiche Todesfälle geführt hätten.56 Ulbricht gab daraufhin das in dieser Zeit bei den Verantwortlichen gängige Deutungsmuster vor, Unfälle wie dieser seien auf Sabotage „aus den Westzonen Deutschlands eingeschleuste[r] faschistische[r] Agenten“ zurückzuführen. Er zog daraus die ebenfalls gängige Schlussfolgerung, die politische Arbeit in den Betrieben der SAG Wismut müsse gestärkt werden, und schlug vor, „die örtlichen Organisationen der SED und der Gewerkschaften in den Betrieben der Wismut unmittelbar dem Zentralvorstand der SED und dem Bundesvorstand der Gewerkschaften zu unterstellen“. Tatsächlich wurden die 1947 gebildeten Betriebsgruppen der „Kreisparteiorganisation Wismut“ der SED kurz darauf aus den bisher zuständigen SED-Landesverbänden Sachsen und Thüringen 55  Vgl. 56  Vgl.

Badstübner/Loth, S. 318. dazu Karlsch/Zeman, Urangeheimnisse, S. 239.

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herausgelöst und direkt dem Parteivorstand der SED unterstellt.57 Im Juni 1950 wurde die Zuständigkeit für den Uranbergbau – gegen den Widerstand des FDGB-Bundesvorsitzenden Herbert Warnke – von der Industriegewerkschaft Bergbau auf die neu gegründete Industriegewerkschaft Wismut übertragen, die direkt dem Bundesvorstand des FDGB unterstand.58 Die SEDFührung reagierte auf auftretende Schwierigkeiten in gewohnter Weise mit einer Zentralisierung der Strukturen und einer Verschärfung der politischen Kontrolle. Die Arbeitskräftesituation bei der SAG Wismut war in den Anfangsjahren schwer überschaubar und von hoher Fluktuation geprägt.59 Entsprechend neuen Funden von Uranlagerstätten wuchsen der Bergbaubetrieb und damit die Belegschaft in den Jahren 1947 bis 1950 in etwa um das Zehnfache.60 Waren in der Anfangsphase des Uranbergbaus zahlreiche Arbeitskräfte auf Grundlage des alliierten Kontrollratsbeschlusses Nr. 3 zwangsverpflichtet worden, so ging man seit 1947 dazu über, durch die Erhöhung der Löhne und Lebensmittelrationen sowie andere Vergünstigungen eine leistungsfähige und motivierte Stammbelegschaft heranziehen zu wollen.61 Nichtsdestoweniger führten die Flucht von unzufriedenen oder (in der Anfangsphase) zwangsverpflichteten Arbeitern, Erkrankungen, regulär auslaufende Arbeitsverträge, aber auch Entlassungen von als unzuverlässig angesehenen Bergleuten zu regelmäßigem Drängen der SKK auf neue Arbeitskräfte; diese Forderungen wurden seit Gründung der DDR direkt durch die SKK an die SED übermittelt.62 Die Quellen legen nahe, dass die SED bzw. das mit dieser Frage beauftragte Arbeitsministerium vor allem während des Jahres 1950 damit überfordert waren, den Bedarf der SAG Wismut an Arbeitskräften zu decken (Dok. 21 und 31). So monierte Čujkov am 6. April 1950, statt der für das erste Quartal vorgesehenen 45 000 seien nur 16 000 Arbeiter geschickt worden (Dok. 21); im beigefügten „Merkblatt“ wurden die Sollziffern für das zweite und dritte Quartal entsprechend angehoben (vgl. dort Fn. 17). Das SED-Politbüro beschloss daraufhin am 11. April die Bildung einer Kommis57  Vgl. Burghard Ciesla, Partei in der Partei. Die SED-Gebietsorganisation Wismut (1947–1949), in: Wismut Studien, S. 228–270, hier S. 237–240; zum entsprechenden Politbürobeschluss vom 31. Januar 1950 vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/69, TOP 11 und Anlage 3. 58  Vgl. Ralf Engeln, Die industriellen Beziehungen im Uranbergbau der SAG Wismut, in: Rainer Karlsch/Harm Schröter (Hrsg.), „Strahlende Vergangenheit“. Studien zur Geschichte des Uranbergbaus der Wismut, St. Katharinen 1996, S. 171–208, hier S. 193–194 und Anm. 60. 59  Vgl. Ralf Engeln, Uransklaven oder Sonnensucher? Die Sowjetische AG Wismut in der SBZ/DDR 1946–1953, Essen 2001, S. 124–129. 60  Vgl. ebenda, S. 179, und Karlsch/Zeman, Urangeheimnisse, S. 194–196. 61  Vgl. Wismut Dokumente, S. 107–111 und 113–121. 62  Vgl. Karlsch/Zeman, Urangeheimnisse, S. 191.



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sion, die prüfen sollte, „wie die nötigen Arbeitskräfte aufgebracht und wie zugleich die Anforderungen herabgesetzt werden können“ (vgl. dort Fn. 19). Als Čujkov am 17. Mai darauf zurückkam, verwies Grotewohl auf den erwarteten Abschluss der Arbeit einer Gruppe von Mitarbeitern zu dieser Frage – vermutlich der erwähnten Kommission –, nach der sich die Situation verbessern werde (Dok. 31). Die Verwaltung der SAG Wismut revidierte aufgrund sich ändernder Prognosen über die Fördermengen wiederholt ihre Arbeitskräfteplanung. Noch im September 1951, als der erste Boom der Uranerzförderung abgeflaut und die Zahl der Arbeitskräfte bei der SAG Wismut gesunken waren,63 bat Čujkov Grotewohl wegen auslaufender Arbeitsverträge um eine Erhöhung der Zahl der monatlich zu vermittelnden Arbeitskräfte (vgl. Dok. 81 und dort Fn. 5). Zusätzlich zu den Wohnungsbauprogrammen, die aufgrund des hohen Zuzugs von Arbeitskräften ins Bergbaurevier seit 1947 notwendig wurden,64 planten die sowjetischen Verantwortlichen seit 1951 die Räumung und den Abriss einzelner Bergbausiedlungen (dies betraf insbesondere Oberschlema und einen Teil der Altstadt von Johanngeorgenstadt), sei es, weil dort wegen nahegelegener Förderanlagen Bergschäden befürchtet wurden oder weil eine Ausweitung der Förderung in der unmittelbaren Nähe der Ortschaften geplant war.65 Am 10. September 1951 skizzierte Grotewohl hierzu einen Zeitplan (Dok. 81), in dem er die Zahl der von der Umsiedlung betroffenen Menschen auf ca. 10 000 bezifferte; sie lag damit niedriger als in den Planungen vom April des Jahres, jedoch höher als die Zahl der später tatsächlich umgesiedelten Personen.66 Wenige Wochen zuvor war es in der thüringischen Bergbaustadt Saalfeld zu den bis dahin größten Unruhen unter Arbeitern der SAG Wismut gekommen, die am 16. August das örtliche Polizeigebäude und Gefängnis gestürmt und darin inhaftierte Bergleute befreit hatten.67 Am selben Tag, an dem Grotewohl mit der SKK seine Pläne zu den Umsiedlungen besprach, wurde Stalin ein Bericht zu den Ereignissen in Saalfeld vorgelegt. Der beigefügte (und kurz darauf bestätigte) Beschlussentwurf für das Politbüro sah vor, entgegen den Vorschlägen von Čujkov und Grotewohl auf die Vorfälle nicht ausschließlich repressiv zu reagieren, sondern nach weiteren Untersuchungen auch das Verhältnis der Verwaltungen zu den Arbeitern zu verbessern.68 Wohl auch vor dem Hintergrund der Saalfelder Ereignisse hielt Grotewohl es für erforderlich, dem möglichen „Aufkommen von Unmut“ in 63  Vgl.

ebenda, S. 194–196. Wismut Dokumente, S. 120 und 122–123. 65  Vgl. ebenda, S. 161. 66  Vgl. ebenda. 67  Vgl. dazu Andrew Port, Conflict and Stability in the German Democratic Republic, Cambridge 2007, S. 46–69. 68  Vgl. Foitzik/Petrow, Geheimdienste, S. 352–355. 64  Vgl.

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der Bevölkerung zu begegnen. Er schlug vor, eine „Aufklärungskampagne“ durchzuführen und als Leiter der Umsiedlungsaktion seinen eigenen Schwiegersohn, den „zuverlässige[n] und erfahrene[n]“ Walter Kirsten einzusetzen. Dieser wurde am folgenden Tag vom Politbüro des ZK der SED zum „Sonderbeauftragte[n] der Regierung für die Durchführung der Umsiedlung bei der Wismut“ bestimmt (vgl. Dok. 81, Fn. 11) und erhielt als direkt dem Ministerpräsidenten unterstellter „Sonderkommissar für Siedlungsfragen im sächsischen Erzbergbaugebiet“ weitgehende Vollmachten für die Organisation und Durchführung der umstrittenen, sich in Johanngeorgenstadt bis 1956 hinziehenden Umsiedlung, deren Kosten die Regierung der DDR übernahm (Dok. 81). Die Betroffenen wurden nur kurzfristig durch Vertreter der SED informiert und das Vorhaben soweit wie möglich geheim gehalten.69 Zu einer Auseinandersetzung zwischen der SAG Wismut und der Generaldirektion der Reichsbahn kam es im Frühjahr 1951 um die Übernahme der Kosten für den zweigleisigen Ausbau der Eisenbahnstrecke von Aue nach Johanngeorgenstadt. Der Abschluss dieses für den Güter- und Personenverkehr im Fördergebiet der SAG Wismut bedeutenden Bauprojekts (Ulbricht hatte noch Ende 1949 von auf Waggondächern zu den Fördergruben fahrenden Arbeitern berichtet, vgl. Dok. 7) und damit die geplante Übernahme der Bahnstrecke durch die Reichsbahn war auf den 15. Mai 1951 angesetzt worden, verzögerte sich jedoch noch mehrfach. Die von Kobulov am 11. April in einer Unterredung mit Ulbricht geforderte Rückerstattung von Kosten in Höhe von 120 Millionen Mark durch die Regierung der DDR (Dok. 74) wurde in der Folge von der Reichsbahn abgelehnt. Ulbricht erklärte den Staatssekretär im Verkehrsministerium Ernst Wollweber zum Bevollmächtigten für die Verhandlungen mit der USIG; eine Kompromisslösung konnte offensichtlich jedoch erst 1952 gefunden werden (vgl. dort Fn. 20). Während der bereits erwähnten Unterredung Kobulovs mit Ulbricht über Fragen der SAG einschließlich der SAG Wismut am 24. März 1952 (Dok. 103) monierte Kobulov, dass zahlreiche Regierungsstellen der DDR Anträge „auf Durchführung von geologischen Untersuchungen in Arbeitsrevieren der Wismut AG oder auf Erteilung von Informationen über einzelne Lagerstätten und Aushändigung anderer Materialien“ eingereicht hätten. ­Kobulov deutete die Bereitschaft der SKK an, ihr Wissen über Funde von Bodenschätzen außerhalb der von der SAG Wismut geförderten Uranerzvorkommen (dieses Wort wurde allerdings in den Protokollen grundsätzlich 69  Zum Vorgehen des Sonderkommissars und zur Vorbereitung der Umsiedlung in Oberschlema und Johanngeorgenstadt vgl. Oliver Titzmann, Uranbergbau contra Radiumbad. Die Auswirkungen des Uranbergbaus der SAG Wismut auf die Gemeinde Radiumbad Oberschlema (1946–1955), Schlema 2003, S. 235–239, und Frank Teller, Umbruch  – Aufbruch  – Abbruch. Johanngeorgenstadt 1945–1961, Johanngeorgenstadt 2009, S. 552–558.



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vermieden) an die DDR weiterzugeben. Diese (eingeschränkte) Informa­ tionsweitergabe könne aber nur über Ulbricht selbst erfolgen – eine Bezugnahme auf Ulbrichts Sonderstellung als Bevollmächtigter für die Angelegenheiten der SAG Wismut. Man einigte sich auf die Bildung einer gemischten Kommission zur Regelung dieser Fragen, deren Zustandekommen in den Quellen allerdings nicht belegt ist. Zuvor hatte auch Čujkov bereits eine Anfrage Ulbrichts abschlägig beschieden, die sich auf geologische Unterlagen aus den Erschließungsarbeiten der SAG Wismut für die Regionen bezog, in denen Uranerz gefunden worden war (Dok. 79). Er regte für die Weitergabe von Daten über andere Bodenschätze (in von der SAG Wismut nicht genutzten Gebieten) die Bildung einer weiteren Kommission an (Dok. 98). In seinen knapp gehaltenen Erinnerungen an die Spitzengespräche zwischen SKK und SED sprach SKK-Dolmetscher Bogomolov sogar von wiederholten Versuchen der SED-Führung, Uranerzlieferungen von der Sowjetunion zu erhalten; diese seien ebenso regelmäßig abgewiesen worden.70 Die SKK ließ auch die Weitergabe von Informationen über die Uranerzförderung nicht zu, aber sie unterstützte den Ausbau und die Nutzung sonstiger geologischer Untersuchungen in der DDR, da für den Aufbau der Schwerindustrie die Förderung von Kohle und Eisenerzen erwünscht war. So ging die Bildung einer Geologischen Kommission beim Ministerrat der DDR (die auch in der Diskussion um die Informationsweitergabe von Daten der SAG Wismut eine Rolle spielte) laut Protokoll auf eine Anregung Čujkovs zurück (vgl. Dok. 31 und dort Fn. 16). Vorausgegangen war eine Bemerkung Ulbrichts im Gespräch der SED-Führung mit Stalin am 4. Mai 1950, wonach die Geologen unzulängliche Erkenntnisse zu Steinkohle- und Eisenerzvorkommen in der DDR lieferten. Stalin sagte auf Ulbrichts Bitte hin auch Unterstützung bei der Suche nach Erdölvorkommen zu,71 was jedoch zu keinen kurzfristigen Erfolgen führte. 7. Reparationsforderungen und -leistungen Möglicherweise unerwartet für die SED-Führung kündigte Stalin in demselben Gespräch am 4. Mai 1950 eine Halbierung der verbleibenden Reparationsforderungen der UdSSR an.72 Seit der Gründung der DDR stand die sowjetische Reparationspolitik vor dem Dilemma, einerseits ihre mit den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs begründeten Reparationsansprüche 70  Vgl.

Bogomolow, Ohne Protokoll, S. 45–46. Treffen mit Stalin 1950, S. 584–585. 72  Vgl. ebenda, S. 580–581 bzw. 591–592. Laut ­Piecks knappen Gesprächsnotizen könnte Semenov allerdings bereits am 7. April die Tagesordnung und möglicherweise auch Inhalte des Gesprächs mit Stalin vom 4. Mai vorab besprochen haben, vgl. Badstübner/Loth, S. 342. 71  Vgl.

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durchsetzen zu wollen (was nach dem Verlust des Zugriffs auf westdeutsche Ressourcen umso mehr die industriellen Kapazitäten der DDR belasten musste), andererseits aber den wirtschaftlichen Aufbau der DDR in der Systemkonkurrenz mit der Bundesrepublik nicht gefährden zu dürfen. Die Entscheidung für eine Halbierung der verbleibenden Reparationsforderungen fiel im Zusammenhang mit der Ausarbeitung des ersten Fünfjahrplans der DDR, als perspektivisch eine zu hohe Belastung für die Wirtschaftsplanung der DDR erkennbar wurde (vgl. Dok. 29, Fn. 3). Kurzfristig sollte damit außerdem die Position der SED im Vorfeld der Oktoberwahlen gestärkt werden. Seit längerem hatten Moskauer Stellen versucht, die bisherigen Reparationsleistungen der SBZ bzw. DDR zu beziffern.73 Die schließlich am 17. Mai 1950 veröffentlichte Summe betrug mit 3 638 Mio. Dollar etwas mehr als ein Drittel der von der UdSSR seit der Jalta-Konferenz erhobenen Gesamtforderung von 10 Mrd. Dollar;74 vom Restbetrag wurde der DDR nun die Hälfte erlassen.75 Dem ging die von Stalin am 4. Mai angewiesene76 Zusendung eines Bittschreibens der Regierung der DDR voraus, dessen Entwurf nach dem üblichen Verfahren zunächst in Moskau geprüft (Dok. 29), dann vom SED-Politbüro und vom Ministerrat der DDR beschlossen und auf mehreren Wegen offiziell an die Vertreter der UdSSR übergeben wurde (vgl. Dok. 29, Fn. 9 und Dok. 30). Der Vorsitzende der Außenpolitischen Kommission des ZK der VKP (b) Vagan Grigor’jan richtete in diesem Zusammenhang – offensichtlich mit Unterstützung Semenovs – einen Änderungsvorschlag an Vjačeslav Molotov. Dieser sah eine „umfassendere politische Prägung“ (und damit auch deutschlandpolitische Zielrichtung) des einzureichenden Bittschreibens unter Betonung von Errungenschaften der DDR („Demokratisierung und Entmilitarisierung“) vor. Zugleich sollten als Anliegen des Bittschreibens die weitere wirtschaftliche Entwicklung der DDR und die „Anhebung des Lebensstandards der Werktätigen“ hervorgehoben werden (Dok. 29). Dieser Vorschlag wurde nicht berücksichtigt (vgl. dort Fn. 9). Ob Molotov, dem im Politbüro die Kontrolle über die Arbeit der Außenpolitischen Kommission oblag,77 diese Frage selbst entschied oder weiterreichte, geht aus der Quelle nicht hervor. Gleichwohl wird hier die in der Forschung betonte Sonderrolle Molotovs fassbar, der auch nach seiner Absetzung als Außenminister im März 1949 als eine Art außenpolitischer Berater Stalins fungierte und über dessen Schreibtisch deutschlandpolitische Initiativen übli73  Vgl.

Laufer, Politik und Bilanz, S. 72–76. UdF 2, S. 661, Anm. 90. 75  Vgl. DDS 1, S. 243. 76  Vgl. Treffen mit Stalin 1950, S. 599–600. 77  Vgl. Politbjuro CK VKP (b) i sovet ministrov SSSR 1945–1953, hrsg. von O.V. Chlevnjuk, Moskau 2002, S. 75. 74  Vgl.



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cherweise liefen.78 Stalins vom 15. Mai datiertes „Antwortschreiben“ wurde am 16. Mai übergeben und einen Tag später – gleichzeitig mit der Bekanntgabe der Einheitslisten für die Oktoberwahlen – veröffentlicht (vgl. Dok. 30, Fn. 4). Sowjetische Stellen selbst maßen der Entscheidung über die Senkung der Reparationsforderungen erhebliche und über die Wirtschaftsplanung hinausgehende Bedeutung bei. Während der Leiter der GUSIMZ Merkulov in internen Lageberichten, die er im Frühjahr und Sommer 1950 Molotov zuschickte, vor zunehmenden „feindlichen Stimmungen“ bis hin zu „Sabotageversuchen“ unter Arbeitern der SAG-Betriebe warnte, gab er sich am 20. Juli 1950 gewiss, dass die „Entscheidung der sowjetischen Regierung über die Senkung der Reparationszahlungen um 50 Prozent und die Übergabe von 23 sowjetischen Betrieben in den Besitz der DDR“ beim Großteil der Arbeiterschaft positiv aufgenommen worden sei.79 Fragen der Reparationspolitik standen in der Folgezeit immer wieder auf der Tagesordnung der Unterredungen. Oftmals kurz und bruchstückhaft wurden verschiedentlich Probleme angesprochen, die bei der Produktion von Reparationsgütern etwa infolge von Rohstoffmangel aufkamen (Dok. 31, 36, 62, 79, aber auch 137) oder mit dem lange ungelösten Problem einer geregelten Umrechnung der Preise für die Güter im Zusammenhang standen (Dok. 74 und 81). Die jährlich vom Ministerrat der UdSSR beschlossenen Reparationslieferpläne waren sowohl im Vorfeld als auch nachträglich Gegenstand anhaltender Erörterungen. Gelegentlich wünschte die SKK zusätz­ liche Lieferungen (vor allem beim Schiffbau, vgl. Dok. 79 und 83), und regelmäßig – insbesondere Ende des Jahres 1952 (Dok. 137) – kam die DDR in Schwierigkeiten, den jährlichen Lieferverpflichtungen gerecht zu werden. Das Hauptinteresse der sowjetischen Reparationsforderungen lag von Anfang an bei Erzeugnissen der Schwerindustrie, deren Anteil an der Repara­ tionsproduktion in den folgenden Jahren noch weiter anstieg.80 Im Frühjahr 1950 begann sich die westliche Embargopolitik in Bezug auf Eisen- und Stahllieferungen auch auf die Produktion von Reparationsgütern auszuwirken. Nachdem im Interzonenhandelsabkommen („Frankfurter Abkommen“, vgl. dazu Dok. 17, Fn. 18) vom 8. Oktober 1949 u. a. Eisen- und Stahllieferungen aus der Bundesrepublik in die DDR vereinbart worden waren, stellte das Bundesministerium für Wirtschaft am 8. Februar 1950 die Genehmigun78  Vgl. Treffen mit Stalin 1952, S. 182; Ruggenthaler, Stalins Bluff, S. 9 und 20– 21; Loth, Die Entstehung der „Stalin-Note“, S. 22, 29 und 39; A.M. Filitov, Sovetskij sojuz i germanskij vopros v period pozdnego stalinizma (k voprosu o genezise „stalinskoj noty“ 10 marta 1952 goda), in: I.V. Gajduk/N.I. Egorova/A.O. Čubar’jan (Hrsg.), Stalin i cholodnaja vojna, Moskau 1997, S. 315–349, hier S. 342–344. 79  Vgl. RGASPI, f. 82, op. 2, d. 481, Bl. 66–67, 78–81, 87–89. 80  Vgl. Karlsch, Reparationsleistungen, S. 182.

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gen für weitere Lieferungen u. a. wegen der hohen Verschuldung der DDR, aber auch wegen des überproportional hohen Anteils an Stahlprodukten bei deren Bestellungen bis auf Weiteres ein.81 Dieser Beschluss entsprach auch den Vorstellungen der Alliierten Hohen Kommissare, die eine indirekte Unterstützung der sowjetischen Wirtschaft, insbesondere der Rüstungsindustrie, durch die umfangreichen Stahllieferungen an die DDR befürchteten (vgl. Dok. 15, Fn. 12 und Dok. 36, Fn. 4) und die auch von Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard eine Beschränkung der Stahllieferungen gefordert hatten.82 Mehrfach wies nun Čujkov die SED-Führung auf den Einbruch des Imports aus Westdeutschland hin, der die Erfüllung der Reparationsverpflichtungen und des Außenhandelsplans der DDR gefährde (vgl. das Memorandum der SKK in Dok. 17, Fn. 16 sowie Čujkovs Ausführungen in Dok. 31). Am 10. Juli 1950 sprach der Minister der DDR für Innerdeutschen Handel, Außenhandel und Materialversorgung Georg Handke gegenüber dem stellvertretenden Vorsitzenden der SKK für Wirtschaftsfragen Georgij Bykov zwar ebenfalls von Einbrüchen bei den Metalllieferungen aus Westdeutschland, sah jedoch gleichzeitig die Situation leicht verbessert und gab sich optimistisch bezüglich weiterer Metalllieferungen (Dok. 36). Möglicherweise meinte er die inoffiziellen Lieferungen, mit denen westdeutsche Firmen, die infolge der Embargobestimmungen ihre Waren nicht absetzen konnten, das Embargo zu unterlaufen versuchten, wie bereits am 2. März 1950 der Leiter der DDR-Mission in Moskau Appelt Außenminister Vyšinskij berichtet hatte (Dok. 15). Wegen der ausgebliebenen Lieferungen von Walzgut aus Westdeutschland und Westeuropa bat Grotewohl am 8. Januar 1951 die Regierung der UdSSR, „innerhalb kürzester Frist“ die fehlenden Mengen an Schwarzmetallen an die vor allem für Reparationslieferungen arbeitenden Großbetriebe des Waggonund Schiffbaus zu liefern (Dok. 62). Dieses Schreiben ist in deutschen Archiven nicht überliefert und wurde aus dem Russischen zurückübersetzt. In das Abkommen über den Waren- und Zahlungsverkehr zwischen der DDR und der UdSSR vom 16. März 1951 wurden daraufhin erhebliche Lieferungen von Walzgut und anderen Metallerzeugnissen aufgenommen (vgl. dort Fn. 7). Ein weiteres, lange Zeit ungeklärtes Problem bestand aus Sicht der DDRRegierung in fehlenden Regelungen über die für die Reparationsgüter zu berechnenden Preise sowie über die Umrechnung zwischen Rubel und DM der DDR (vgl. zur Frage des Kursverhältnisses auch Dok. 52 und dort Fn. 2). Obwohl der Ministerrat der UdSSR am 2. November 1950 angeordnet hatte, 81  Vgl. Friedrich von Heyl, Der innerdeutsche Handel mit Eisen und Stahl 1945– 1972. Deutsch-deutsche Beziehungen im Kalten Krieg, Köln/Weimar/Wien 1997, S. 54–55. 82  Vgl. Peter E. Fäßler, Durch den „Eisernen Vorhang“. Die deutsch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen 1949–1969, Köln 2006, S. 113.



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bis zum 1. März 1951 mit der Regierung der DDR die Preise für die in die UdSSR gelieferten Reparationsgüter abzustimmen (vgl. Dok. 74, Fn. 13), wurden die mehrfachen Klärungsversuche der SED-Führung bzw. von Regierungsvertretern der DDR mitunter als ein Herunterhandeln der Reparationsverpflichtungen oder gar als deren Infragestellung aufgefasst und abgelehnt. Dies erklärt möglicherweise die Darstellung eines sich geradezu körperlich windenden Ulbricht („[e]r rutschte im Sessel hin und her und zeigte deutliche Symptome von Nervosität“) in der Aufzeichnung eines Gesprächs vom 11. April 1951 zwischen Kobulov und Ulbricht in dessen eigener Wohnung, während Ulbricht versuchte, diese Fragen anzusprechen, woraufhin sich sein Gesprächspartner für nicht zuständig erklärte (Dok. 74, Abschnitt 3). Die schwierige wirtschaftliche Lage, in die die DDR Ende des Jahres 1952 u. a. infolge des forcierten „Aufbaus des Sozialismus“ geriet (vgl. dazu Abschnitt III), wirkte sich auch auf die Reparationsproduktion und -lieferungen hemmend aus. Hinzu kam, dass nun der Anteil der in Auftrag gegebenen Neukonstruktionen deutlich anstieg, während der Reparationsplan für das Jahr 1952, wie auch Grotewohl kommentierte (Dok. 81), sich im Umfang wenig von dem des vorangegangenen Jahres unterschied.83 Dies und das weiterhin nicht gelöste Problem des Material- und Rohstoffmangels veranlassten Grotewohl dazu, in einem Schreiben an Čujkov Anfang Februar 1953 die Nichterfüllung des Reparationslieferplans für 1952 zuzugeben. Er rechtfertigte dies mit dem beschriebenen Rohstoffmangel sowie dem neuartigen Charakter einiger Großaufträge („für deren Erledigung die entsprechenden Fähigkeiten erst erworben werden mussten“) und bat um die Eingruppierung der nachträglich gelieferten Erzeugnisse „in die Liste der Güter des erfüllten Reparations-Lieferplanes 1952“ (Dok. 137). Auch diese Demarche ist lediglich in russischer Übersetzung im Archiv für Außenpolitik der Russischen Föderation (AVP RF) überliefert. Sie wurde nach Moskau weitergeleitet und dort offensichtlich positiv beschieden (vgl. dort Fn. 1). In internen Regierungspapieren der DDR, im Jahresbericht für 1952 des Amtes für Reparationen der DDR sowie auch auf einer von Grotewohl selbst anberaumten Reparationskonferenz am 12. November 1952 fiel die Kritik dagegen deutlicher aus und richtete sich gegen einzelne Regierungsverantwortliche und Betriebsleiter (vgl. dort Fn. 3 und 5). 8. Handelsabkommen, Handelspraxis und der Beitritt der DDR zum RGW Der hohe Energie- und Materialbedarf der gemäß dem ersten Fünfjahrplan der DDR besonders geförderten Schwerindustrie machte es zwingend erforderlich, nicht nur die Handelsbeziehungen mit der Sowjetunion und anderen 83  Vgl.

Karlsch, Reparationsleistungen, S. 192.

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Ostblockstaaten auf- und auszubauen, sondern ungeachtet des an Schärfe zunehmenden Kalten Krieges auch die Ende der 1940er Jahre noch bestehenden engen Handelsverbindungen zu den Westzonen nach Möglichkeit aufrechtzuerhalten.84 Ulbricht selbst formulierte bei der Vorstellung des ersten Fünfjahrplans der DDR im Juli 1950 (vgl. Dok. 12, Fn. 11) als Zielvorstellungen die größtmögliche Autarkie bei der Materialversorgung, zugleich den Ausbau der Handelsbeziehungen mit den „volksdemokratischen Ländern“, ausdrücklich aber auch den Ausbau des innerdeutschen Handels.85 In dem Maße, in dem infolge der US-amerikanischen Embargobestimmungen (vgl. Dok. 15, Fn. 12 und Dok. 36, Fn. 4) im Frühjahr 1950 die westdeutschen Lieferungen von Eisen und Stahl einbrachen, geriet jedoch auch die Versorgung der Stahlindustrie und des Maschinen- und Fahrzeugbaus mit Rohstoffen und halbfertigen Produkten zunehmend in Schwierigkeiten. Umso dringlicher wurde der Aufbau von Lieferbeziehungen zu den östlichen Nachbarstaaten der DDR, der schließlich am 29. September 1950 zur Aufnahme der DDR in den im Januar 1949 gegründeten Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) führte (Dok. 37). Das mit dem sowjetischen Modell einer zentral gelenkten Wirtschaft in der DDR ebenso wie in anderen Ostblockstaaten nach und nach übernommene Außenhandelsmonopol des Staates brachte es mit sich, dass die Handelsbeziehungen der DDR zu diesen Staaten in jeweils bilateralen zwischenstaatlichen Abkommen geregelt wurden, und dies änderte sich auch nach dem Beitritt der DDR zum RGW nicht. Dafür sollten zunächst wechselseitige Handelsvertretungen eingerichtet werden. Einen entsprechenden Beschluss fasste der Ministerrat der UdSSR – zeitgleich mit dem Beschluss über die Bildung der SKK – bereits am 5. November 1949 (vgl. Dok. 2, Fn. 9). Nachdem der Leiter der sowjetischen Mission in der DDR Georgij Puškin Außenminister Dertinger zehn Tage später darüber informiert und seinerseits der Regierung der DDR die Errichtung einer Handelsvertretung in Moskau nahegelegt hatte (Dok. 2), trafen beide Regierungen mit einem Notenwechsel am 19. November eine entsprechende Vereinbarung (vgl. dort Fn. 10 und 12). Ein Kompetenzstreit zwischen dem MfAA und dem Ministerium für Außenhandel und Innerdeutschen Handel musste offensichtlich über die Vermittlung der sowjetischen Mission geklärt werden (vgl. dort Fn. 11). Obwohl die SKK bereits am 8. Februar 1950 die „tägliche Kontrolle“ über die Arbeit des Ministeriums für Innerdeutschen Handel, Außenhandel und Materialversorgung der DDR auf sich nehmen wollte, um „in kürzester Zeit den Abschluss von Handelsabkommen mit allen Volksdemokratien und die Entsendung von Handelsvertretern in diese“ zu erreichen und „die systemati84  Vgl. André Steiner, Von Plan zu Plan. Eine Wirtschaftsgeschichte der DDR, München 2004, S. 20–21. 85  Vgl. DSED 3, S. 158–159.



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sche Ausweitung, Entwicklung und Festigung der Handelsbeziehungen mit den Volksdemokratien und der Sowjetunion“ zu garantieren (vgl. Dok. 22, Fn. 5), entwickelten sich die Handelsbeziehungen in der Praxis anfänglich nicht wie vorgesehen. Mehrere Quellen deuten darauf hin, dass im Frühjahr 1950 zwischen dem Westhandel der DDR und ihren Handelsverpflichtungen gegenüber den „Volksdemokratien“ ein Ungleichgewicht entstand, wobei sich die DDR gegenüber ihren östlichen Partnern verschuldete bzw. ihren Lieferverpflichtungen nicht nachkam. In diese Richtung deutet nicht nur eine entsprechende Beschwerde des Leiters der tschechoslowakischen Mission in der DDR Otto Fischl, von der der Staatssekretär im MfAA Anton Ackermann (SED) am 7. April 1950 Puškin berichtete. Ackermann selbst beklagte in diesem Gespräch die mangelnde Kontrolle der Regierung über den Außenhandel, womit er auf das Ministerium für Innerdeutschen Handel, Außenhandel und Materialversorgung unter Leitung von Georg Handke zielte (Dok. 22). Bereits ein Memorandum der SKK vom 17. März 1950 hatte auf die gestiegene Verschuldung gegenüber der ČSR, Ungarn und Rumänien, allerdings auch gegenüber der Bundesrepublik und den Niederlanden hingewiesen (vgl. Dok. 17, Fn. 16). Wegen der Schwierigkeiten im Außenhandelsministerium bat ­Pieck Čujkov am 29. März sogar um die vorzeitige Rückkehr von Minister Handke, der sich zu Verhandlungen über das erste Handelsabkommen mit der UdSSR in Moskau aufhielt (vgl. Dok. 19, Fn. 21). Auch Čujkov hatte die Arbeit des Ministeriums zuvor kritisiert (Dok. 17). Handke selbst erstattete dem stellvertretenden Vorsitzenden der SKK für Wirtschaftsfragen Georgij Bykov am 10. Juli 1950 Bericht über die Arbeit seines Ministeriums; er führte einen großen Teil der „Unzulänglichkeiten in der Arbeit des Ministe­ riums“ auf das Fehlen gut ausgebildeter Mitarbeiter zurück (Dok. 36). Die erwähnten Verhandlungen in Moskau, die am 12. April 1950 zur Unterzeichnung des „Abkommen[s] über den Waren- und Zahlungsverkehr zwischen der UdSSR und der DDR“ für das Jahr 1950 führten (vgl. Dok. 24, Fn. 4), sind durch eine Aufzeichnung der Leiterin der HA Wirtschaftspolitik im MfAA Greta Kuckhoff dokumentiert, die für Ackermann bestimmt war (Dok. 24). Kuckhoff kritisierte hier die mangelnde Vorbereitung der DDRDelegation und berichtete des Weiteren über den Verlauf der sich über zwei Monate hinziehenden Verhandlungen, in denen wiederum die Gefahr der Entstehung von Schuldsalden, aber auch die Schwierigkeit für die DDR-­ Industrie, spät im Jahr bestellte Produkte rechtzeitig abzuliefern, für deren Herstellung die Rohstoff- und Materiallieferungen aus der Sowjetunion erst die Voraussetzung waren, diskutiert wurden. Das MID beteiligte sich – anders als das MfAA – nicht an den Verhandlungen, da es sich laut Kuckhoffs Bericht für Abkommen, die lediglich den Warenaustausch regelten, als nicht zuständig betrachtete und diese dem Außenhandelsministerium überließ.

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Mit der ČSR war bereits am 9. Januar ein „Abkommen über den Austausch von Waren, Dienstleistungen und über den Zahlungsverkehr“ geschlossen worden (vgl. Dok. 20, Fn. 3). Der Wunsch der DDR-Führung nach einem weitergehenden „Freundschaftsvertrag“ stieß in der ČSR nicht auf Gegeninteresse (Dok. 20 und 23); abgeschlossen wurde am 23. Juni jedoch ein „Abkommen über technische und wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit“ (vgl. Dok. 20, Fn. 3), in das ein früher eingereichter tschecho­ slowakischer Entwurf für ein Wirtschaftsabkommen eingeflossen war (vgl. Dok. 23 und dort Fn. 7 und 8). Ein ähnliches Abkommen konnte mit der VR Polen schon am 6. Juni 1950 unterzeichnet werden; dies ging einher mit einer Deklaration zur Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze durch die Regierung der DDR, gefolgt vom „Görlitzer Abkommen“, das trotz unklarer Legitimation der DDR-Regierung die Ostgrenze Deutschlands festschreiben sollte (vgl. Dok. 20, Fn. 6). Recht früh bahnten sich auch Wirtschaftsbeziehungen der DDR mit der VR China an. So nahm, wie der Leiter der DDR-Mission in Moskau Appelt Außenminister Vyšinskij am 2. März 1950 berichtete, die Delegation, die sich zu den Vertragsverhandlungen in Moskau aufhielt, Kontakt auch zu chinesischen Vertretern auf und vereinbarte die Entsendung einer Handelsdelegation. Appelt schrieb dieser Kontaktaufnahme eine gesamtdeutsche Dimension zu, insofern auch westdeutsche Firmen über die DDR Kontakte zur VR China suchten (Dok. 15) – ein Punkt, den Ulbricht einen Monat später auch im Gespräch mit Stalin aufgriff.86 Die Delegation reiste Ende Juli 1950 nach China, ein entsprechendes Handelsabkommen wurde am 10. Oktober unterzeichnet (vgl. dort Fn. 11). Das Angebot, auch westdeutschen Firmen Handelskontakte nach China zu vermitteln, wurde später möglicherweise gezielt als politisches Lockmittel eingesetzt (Dok. 59). Über die am 29. September 1950 erfolgte Aufnahme der DDR in den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) war in Moskau entschieden worden, nachdem Gromyko am 18. Juli einen Beschlussentwurf zum Aufnahmeverfahren bei Stalin selbst eingereicht hatte. Darin war der Form halber vorgeschlagen worden, dass die Regierung der DDR ihr Aufnahmeersuchen an die Regierungen aller Mitgliedstaaten zugleich richten solle (Dok. 37). Die formelle Zustimmung der UdSSR zu dem Antrag, in dem die DDR-Regierung erneut den Anspruch betonte, in ihrer Wirtschafts- und Handelspolitik gesamtdeutsche Interessen zu vertreten, erfolgte am 9. September (vgl. dort Fn. 5). Stalin hatte eine mögliche Aufnahme der DDR in den RGW bereits im Gespräch mit der SED-Führung am 4. Mai in Moskau angedeutet (vgl. dort Fn. 3). Am 17. Mai hatte Čujkov (der Stalin diesen Vorschlag erstmals

86  Vgl.

Treffen mit Stalin 1950, S. 588.



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am 14. September 1949 in einem Beschlussentwurf unterbreitet hatte87) gegenüber der SED-Führung diese Frage für dringlich erklärt (vgl. Dok. 31 und dort Fn. 29). Eine besondere Initiative der SED in diese Richtung geht aus den Quellen nicht hervor. Über Unzulänglichkeiten bei der Mitarbeit der DDR-Vertreter im RGW berichtete der Erste Rat der DDR-Mission in Moskau Markus Wolf am 12. März 1951 an Ackermann; diese Passagen nahmen einen großen Teil seines Berichts über die Handelsabkommensverhandlungen mit der UdSSR für das Jahr 1951 ein (Dok. 71). Waren die oben beschriebenen Handelsabkommen für jeweils ein Jahr angelegt (und mussten entsprechend jährlich neu abgeschlossen werden), so entstand mit der Einführung der Fünfjahrpläne zugleich das Erfordernis von Handelsabkommen, die auf diesen Planungszeitraum zugeschnitten waren und den Bedarf der Industrie mittelfristig decken sollten (so angedeutet in Dok. 32). Auch hierzu hatte bereits Stalin am 4. Mai – im Zusammenhang mit seiner Bemerkung zur Aufnahme der DDR in den RGW – das Stichwort geliefert,88 und Čujkov legte der SED-Führung wiederum am 17. Mai die Dringlichkeit dieser Frage nahe (Dok. 31) und untermauerte dies sogleich schriftlich in zwei Memoranden (vgl. dort Fn. 23 und 29). Ein solches, an den Fünfjahrplan der DDR angepasstes Handelsabkommen mit der UdSSR konnte jedoch erst am 27. September 1951 abgeschlossen werden (vgl. dort Fn. 20), entsprechende Abkommen mit der VR Polen am 11. November und mit der ČSR am 1. Dezember 1951.89 Dies legt den Schluss nahe, dass den mittelfristigen Handelsabkommen keine vorrangige Bedeutung beigemessen wurde und die jährlichen Abkommen weiterhin die Grundlage des Außenhandels bildeten. Nicht nur über Pläne, sondern auch über die Durchführung musste im Verlauf des hier dokumentierten Zeitraums immer wieder verhandelt werden. Lieferrückstände und -engpässe beim Import wie beim Export nehmen einen breiten Raum in der Quellenüberlieferung ein. Während Vertreter der UdSSR wiederholt monierten, dass die DDR ihre Verpflichtungen nicht erfüllen konnte, sah sich die DDR-Regierung aufgrund von Materialmangel, aber auch von Engpässen bei der Lebensmittelversorgung mehrfach gezwungen, über die in den Abkommen vereinbarten Listen hinaus zusätzliche Lieferungen vor allem von Roh- oder halbfertigen Materialien, aber auch von Fertigwaren und Lebensmitteln aus der Sowjetunion zu erbitten. Grotewohls bereits im Zusammenhang mit den Reparationsverpflichtungen der DDR erwähnte Bitte um Metalllieferungen vom 8. Januar 1951 betraf ebenso die Planerfül87  Vgl.

Foitzik, Interessenpolitik, S. 456–479, hier S. 456. Treffen mit Stalin 1950, S. 591. 89  Vgl. DAPDDR 1, S. 367 und 393–394. 88  Vgl.

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lung im Hinblick auf Exportverpflichtungen an Erzeugnissen des Maschinenbaus, die Lieferungen sollten demnach in das 1951 zu schließende Handelsabkommen mit aufgenommen werden (Dok. 62). Während der Verhand­ lungen zu dem Handelsabkommen für das Jahr 1951 kam es laut Bericht von Wolf zu Irritationen, als Ulbricht und Handke wegen des Mehrbedarfs an Roheisen und Walzgut sowie an Fleischlieferungen den Vertragsentwurf nachverhandeln wollten, der stellvertretende Außenhandelsminister der UdSSR Aleksandr Loščakov jedoch wegen der Verzögerung verstimmt reagiert und auf die Möglichkeit verwiesen habe, nach Vertragsabschluss die Listen zu ergänzen (vgl. Dok. 71 und dort Fn. 5). In internen Regierungspapieren der UdSSR wurden auch im Sommer 1952 Lieferrückstände seitens der DDR thematisiert. Außenminister Vyšinskij erwog in diesem Zusammenhang am 27. August, über die Mission in OstBerlin bei der Regierung der DDR „vorstellig zu werden“ (Dok. 125). Diese wandte sich am 27. Februar 1953 aus ähnlichen Gründen an das ZK der KPdSU und bat  – möglicherweise die Ermahnung von Loščakov bei den Verhandlungen für 1951 aufgreifend –, einerseits die Unterzeichnung des Handelsabkommens für das Jahr 1953 nicht zu verzögern, andererseits die Lieferverpflichtungen der DDR nachträglich zu erleichtern bzw. auf „Exportgüter von sekundärer volkswirtschaftlicher Bedeutung“ umzuschichten, gleichzeitig aber auch die Menge der von der DDR benötigten Importwaren aus der UdSSR zu erhöhen (Dok. 138). Die Schwerindustrie der DDR sei mit den für 1953 geplanten Liefermengen zuzüglich der Lieferungsrückstände für 1952 überfordert; zudem verwiesen Grotewohl und Ulbricht erneut auf die Schwierigkeit, innerhalb eines Jahres auf kurzfristig eingegangene Großaufträge reagieren zu können. Eine Liste der von der DDR zusätzlich benötigten Waren war beigefügt. Ein Kuriosum in den Handelsvereinbarungen und der Handelspraxis stellen zwei Fälle dar, die beide am 13. Februar 1952 in einem Schreiben von Appelt an Ackermann behandelt wurden: der Rückkauf von 20 000 nach dem Krieg durch die Rote Armee konfiszierten Güterwaggons durch die DDR90 und die Lieferung von elektrischen Ausrüstungen und einem Kraftwerk zur Elektrifizierung des städtischen Personenverkehrs durch die Sowjetunion (im Gegenzug zur Lieferung von Personenwaggons aus der DDR); um beides hatte Grotewohl den Ministerrat der UdSSR gebeten. Appelt beklagte sich über die Peinlichkeit, dass nach der Zusage der sowjetischen Regierung zur Lieferung der elektrischen Anlagen, der zwei Anfragen Grotewohls vorausgegangen waren, die zuständigen Stellen in der Regierung der DDR nicht reagiert hätten, da das „Ministerium für Planung“ (die Staatliche 90  Vgl. dazu schon Dierk Hoffmann, Otto Grotewohl (1894–1964). Eine politische Biographie, München 2009, S. 476, und Lemke, Einheit oder Sozialismus, S. 243– 244, Anm. 13.



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Plankommission) mit dem Kauf der elektrischen Anlagen nicht einverstanden gewesen sei (Dok. 97). Immer wieder auftretende Engpässe in der Versorgung mit Grundnahrungsmitteln führten zu wiederholten Bitten um zusätzliche oder vorfristige Lieferungen aus der Sowjetunion, so bereits im Vorfeld der Oktoberwahlen 1950 (Dok. 43), aber auch im Herbst 1952, als das Politbüro des ZK der SED sich gezwungen sah, Butter aus dem Verkauf in den HO-Läden herauszunehmen und nur noch über den Kartenverkauf zu vergeben (vgl. Dok. 132, Fn. 3). In diesem Fall bat Appelt im Auftrag Grotewohls Puškin um eine frühzeitige Lieferung der für das Jahr 1952 noch anfallenden Restmenge an Butter (Dok. 132). Die SED-Führung suchte nach Schuldigen für die zunehmenden Versorgungsschwierigkeiten und nahm diese zum Anlass, den Minister für Handel und Versorgung Karl Hamann (LDPD) und zwei seiner Staatssekretäre abzusetzen. Hamann wurde im Anschluss daran am 10. Dezember 1952 wegen angeblicher „Sabotage- und Schädlingstätigkeit“ vom MfS verhaftet und am 24. Mai 1954 in einem Geheimprozess zunächst zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Strafe wurde nach kurzer Zeit auf zehn Jahre herabgesetzt. 1956 wurde Hamann nach fast vier Jahren Haft begnadigt; im Jahr darauf flüchtete er in die Bundesrepublik.91 9. Der Aufbau der Schwerindustrie und der Industrieministerien Dass die massive Förderung der Schwerindustrie beim wirtschaftlichen und industriellen Aufbau der DDR im Zentrum des ersten Fünfjahrplans der DDR stand, entsprach im Grundsatz dem sowjetischen Modell der Industrialisierung und den theoretischen Vorstellungen kommunistischer Wirtschaftsfunktionäre. Die im Verlauf des Jahres 1950 getroffenen Entscheidungen zum Bau von Großprojekten insbesondere der Eisen- und Stahl- sowie der Werftindustrie ergaben sich jedoch auch aus konkreten Zwangslagen wie den Reparationsforderungen der UdSSR und den zunehmenden Lieferengpässen und -unsicherheiten bei Metallerzeugnissen infolge der westlichen Embargopolitik und der allgemeinen Eisen- und Stahlknappheit in dieser Zeit.92 Da die sowjetischen Reparationsforderungen vordringlich durch Produkte des Schwermaschinenbaus und des Schiffbaus bedient werden mussten, entstand frühzeitig der Bedarf an zusätzlichen Anlagen der Metallverhüttung; der Hochseeschiffbau in der DDR wiederum wurde für die Reparationsgüterproduktion überhaupt erst geschaffen.93 91  Vgl.

Kowalczuk, Stasi konkret, S. 99–117. zuletzt Rainer Karlsch, Energie- und Rohstoffpolitik, in: Die zentrale Wirtschaftsverwaltung in der SBZ/DDR. Akteure, Strukturen, Verwaltungspraxis, hrsg. von Dierk Hoffmann, Berlin/Boston 2016, S. 249–362, hier S. 272–273. 93  Vgl. ebenda, S. 261. 92  So

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Planungen zum Bau eines eigenen großen Eisenhüttenwerkes waren bereits 1949 angelaufen. Als Ulbricht am 17. Mai 1950 gegenüber der SKK im Zusammenhang mit der Ausarbeitung des Fünfjahrplans die Projektierung des neuen Werkes sowie den ebenfalls geplanten Ausbau der Werftindustrie ankündigte (Dok. 31), war noch keine endgültige Entscheidung über den Standort gefallen, wenngleich sich die Wahl eines Standortes bei Fürstenberg (Oder) bereits abzeichnete. Indem allerdings Čujkov in diesem Gespräch auf die Nutzung von Erzen aus Krivoj Rog (Kryvyj Rih) für die Eisenverhüttung in der DDR drängte (vgl. auch das Memorandum in Dok. 31, Fn. 29), gab er implizit die Entscheidung für den sowohl von Selbmann als auch von Ulbricht vorgeschlagenen Standort nahe der polnischen Grenze bereits vor oder setzte sie voraus – denn sie war zugleich eine Entscheidung gegen mögliche Standorte mit einem Elb- oder Ostseehafen (mit der Option von Erz- und Kohleimporten aus Schweden und der Bundesrepublik), wie sie noch im Frühjahr 1950 im Ministerium für Planung aus ökonomischen Gründen, aber sogar auch im Hinblick auf die Option einer deutschen Wiedervereinigung überlegt worden waren.94 Die Entscheidung für den Standort des späteren Eisenhüttenstadt fiel offensichtlich vor allem aus politischen Erwägungen zugunsten einer engeren wirtschaftlichen Verflechtung mit der UdSSR und der VR Polen (aus der die Kohle geliefert werden sollte) – gleichzeitig mit den sowjetischen Erzlieferungen regte Čujkov an dieser Stelle auch die Einbindung der DDR in den RGW an – sowie aus Erwägungen der militärischen Sicherheit heraus.95 Die Option einer deutschen Wiedervereinigung spielte damit bei der Entscheidung über diesen wichtigen Industriestandort keine entscheidende Rolle. Denkbar ist, dass die westliche Embargopolitik die Entscheidung mit beeinflusst haben mag, insofern eine Abhängigkeit von westlichen Rohstofflieferungen vermieden werden sollte. Vor diesem Hintergrund können Erzlieferungen aus der Ukraine eine größere Versorgungssicherheit geboten haben, obwohl sie logistische Probleme hervorriefen und entsprechend teuer waren.96 Politische wie auch ökonomische Gründe waren entscheidend dafür, dass der Lieferung von schlesischer Kohle aus der VR Polen der Vorzug vor Ruhrkohle gegeben wurde.97 Über den exakten Standort bei Fürstenberg (Oder) wurde erst entschieden, kurz bevor Ulbricht in seiner programmatischen Rede zum ersten Fünfjahrplan auf dem III. Parteitag der SED am 22. Juli 1950 die Großprojekte in der Eisenverhüttung und im Hochseeschiffbau offiziell ankündigte (vgl. Dok. 12, Fn. 11).98 94  Vgl.

Gayko, Standortpolitik, S. 131–133. Nicolaus/Schmidt, Einblicke, S. 46–47. 96  Vgl. Gayko, Standortpolitik, S. 135–139. 97  Vgl. Nicolaus/Schmidt, Einblicke, S. 46. 98  Vgl. Gayko, Standortpolitik, S. 131. 95  Vgl.



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Der am 17. Mai 1950 ebenfalls angesprochene Aufbau von Hochseewerf­ ten wurde erst im August des Jahres im Politbüro des ZK der SED und im Ministerrat formell beschlossen und – im Rahmen der „Berichterstattungskampagne“ der SED über den Fünfjahrplan – in der Presse verkündet (vgl. Dok. 36, Fn. 12); die Baumaßnahmen selbst waren jedoch zu diesem Zeitpunkt bereits im Gange. Dampfmaschinen mit Abdampfturbinen, die für den Ausbau der Neptun-Werft in Rostock, eines SAG-Betriebs, benötigt wurden, sollten im Übrigen von der Firma Borsig aus West-Berlin importiert werden; die dafür erforderlichen Verfahren waren Gegenstand der bereits erwähnten Beratung des stellvertretenden Vorsitzenden der SKK für Wirtschaftsfragen Georgij Bykov und des Ministers für Innerdeutschen Handel, Außenhandel und Materialversorgung Georg Handke am 10. Juli 1950 (Dok. 36). Der Bau des ersten Hochofens für das neue Eisenhüttenkombinat Ost geriet im Lauf des Jahres 1951 mehrfach ins Stocken. Die Ingenieure der DDR verfügten zunächst über keine Erfahrungen mit dem Bau eines Hochofens. Vor allem Fehlplanungen und -prognosen von Mitarbeitern des Ministeriums führten jedoch dazu, dass der Eröffnungstermin unnötigerweise vorverlegt und die Einweihung des Ofens schließlich unter Simulation des Anblasens inszeniert wurde. Das tatsächliche Anblasen des Ofens und der Beginn der Produktion mussten danach noch mehrmals verschoben werden, ein Umstand, den Grotewohl an einem der angestrebten Termine, dem 13. Oktober 1950, gegenüber der SKK offenbar gezielt verschwieg (vgl. Dok. 83 und dort Fn. 19). Die SKK hatte bereits am 19. Juli 1951 auf eine „schlechte Organisation der Arbeiten“ am Eisenhüttenkombinat Ost hingewiesen und eine Anhörung Selbmanns vor dem Politbüro des ZK der SED vorgeschlagen (Dok. 77). Deren Führung hatte trotz der üblichen Zustimmungsäußerungen nicht darauf reagiert. Erst im Herbst des Jahres wurden dann gleich mehrere und miteinander um die Deutungshoheit konkurrierende Untersuchungen eingeleitet. Parallel zu einem Gutachten der für den Aufbau des Hochofens verantwortlichen Ingenieure (vgl. Dok. 83, Fn. 19) entstand im MfS ein weiteres Gutachten, das eben diese Ingenieure und auch Selbmann selbst in den „Verdacht der bewußten Störung bei der Projektierung und Aufbau des Eisenhüttenkombinates Ost bei Fürstenberg“99 stellte. Es befindet sich bemerkens­ werterweise zusammen mit dem ersten Gutachten in der Ablage des Büros Ulbricht, der möglicherweise die Probleme mit dem Eisenhüttenkombinat für eine Kampagne gegen die Person Selbmanns nutzen wollte. Ulbricht griff zusätzlich auch auf die Expertise des wegen eines Wirtschaftsvergehens zu mehrjähriger Haft verurteilten Ingenieurs Hubert Hermanns zurück, der be99  Vgl. BAB-SAPMO, DY 30/3696, Bl. 24–39, zur hier zitierten Überschrift vgl. Bl. 24.

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reits in den 1920er Jahren zu metallurgischen Fragen veröffentlicht hatte und noch aus dem Gefängnis heraus zu beratenden Tätigkeiten herangezogen wurde. Während Hermanns im Dezember 1951 die Konstruktion des Hochofens und im Januar 1952 dann auch das Gutachten der Ingenieure kritisch kom­mentierte,100 erhoben die Verfasser des MfS-Gutachtens etwa zur gleichen Zeit in eigenen Berichten schwere Anschuldigungen gegen Selbmann und die von ihm beauftragten Ingenieure.101 Auf der Politbürositzung am 5. Februar 1952 erteilte Ulbricht Selbmann auf Grundlage des Gutachtens von Hermanns eine Rüge; Selbmann kam jedoch trotz anhaltender Kritik Ulbrichts an ihm auch gegenüber der SKK mit dieser Parteistrafe davon (vgl. Dok. 99 und dort Fn. 18). Zwar musste er öffentliche Selbstkritik üben, wurde dann aber vom Ministerrat der DDR mit der Problemlösung beauftragt (Dok. 98, Fn. 13). Aus Sicht der beteiligten Ingenieure entbehrte das Gutachten Hermanns’ jeder Grundlage,102 auch Selbmann sprach Hermanns jegliche Autorität ab und beklagte sich darüber, dass Ulbricht diesem Vertrauen schenkte.103 In der Forschung wurde gelegentlich vermutet, dass Ulbricht in dieser Zeit einen Schauprozess gegen Selbmann wegen angeblicher Indus­ triesabotage vorbereitete und hier das Material dazu sammelte.104 Dass sich ein solches Vorgehen allerdings kaum mit der in dieser Zeit im Hintergrund ebenfalls vorbereiteten sowjetischen Friedensvertragsinitiative, der sog. „Stalin-Note“, vereinbaren ließ (vgl. z. B. Dok. 96), mag auf den spezifischen Ort der DDR im Brennpunkt des Kalten Krieges verweisen. Denn was auch immer Ulbricht plante, passte nicht in die diplomatischen und propagandistischen Vorgefechte zu dieser Initiative auf der großen politischen Ebene. Aus Magnitogorsk eingeladene leitende sowjetische Ingenieure bescheinigten dem Vorgehen der Verantwortlichen beim Hochofenbau schließlich zwar Voreiligkeit, aber keine grundlegenden Konstruktionsfehler,105 so dass Ulbrichts Anschuldigungen gegen Selbmann zunächst in den Hintergrund rückten. Ein weiteres, Ende 1953 entstandenes sowjetisches Gutachten bestätigte wiederum weitgehend die von Hermanns geübte Kritik an der Konstruktion der ersten beiden Hochöfen.106 Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Selbmann jedoch bereits der Kritik an seinen Ingenieuren angeschlossen und seinerseits

100  Vgl.

ebenda, Bl. 21–23, und BStU, MfS AS 161/58, Bl. 13–39. ebenda, Bl. 3–11, 75–89. 102  Vgl. Kiechle, Fritz Selbmann, S. 330. 103  Vgl. BStU, MfS AS 161/58, Bl. 137–138. 104  Vgl. Jörn Schütrumpf, Der geplante „deutsche Industrieprozeß“. Eine Fußnote, in: Utopie Kreativ, Sonderheft 1997, S. 99–103, und aktueller Nicolaus/Schmidt, Einblicke, S. 70–71 sowie Kiechle, Fritz Selbmann, S. 329–333. 105  Vgl. Nicolaus/Schmidt, Einblicke, S. 88. 106  Vgl. Gayko, Standortpolitik, S. 83. 101  Vgl.



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pauschale Vorwürfe gegen sie veröffentlicht, ohne freilich Namen zu nennen.107 Als die SKK am 19. Juli 1950 erstmals Probleme beim Aufbau des Eisenhüttenkombinats Ost ansprach (Dok. 77), wies sie zugleich auch auf die Produktion mangelhafter Ware in den bereits bestehenden Werken im Verantwortungsbereich des Ministeriums für Schwerindustrie hin. Genannt wurden die beiden Stahlwerke der DDR, die Maxhütte in Unterwellenborn (Thüringen) und das Stahl- und Walzwerk Brandenburg, die bis zu 50 Prozent Ausschussware lieferten, wie auch Grotewohl zugab. Bis auf knappe Bemerkungen Čujkovs und Ulbrichts zu fehlendem Mangan als einem Grund für die Ausschussproduktion (Dok. 79) liefen alle Erklärungs- und Lösungsversuche auf Personalfragen hinaus; die SKK- und die SED-Spitzen verstanden die aufgetretenen technischen Schwierigkeiten vor allem als Personal- und Strukturprobleme des Ministeriums und suchten auf dieser Ebene auch nach Lösungen. Beklagt wurde mehrfach das Fehlen gut ausgebildeter „Kader“ im Ministerium und in den Betriebsleitungen, und als Lösungen erschienen kurzfristig die Bitte um Entsendung sowjetischer Fachleute (Dok. 77), längerfristig dann eine von Seiten der DDR geplante Umstrukturierung des Ministeriums für Schwerindustrie, über die Ulbricht am 21. August erstmals informierte (Dok. 79), und die von der SKK angeregte Bildung von Kollegien (bestehend aus den leitenden Mitarbeitern des jeweiligen Ministeriums) bei den Industrieministerien nach dem Vorbild sowjetischer Behörden – und damit die Übernahme eines sowjetischen Modells (Dok. 98). Kurz darauf wandte Čujkov allerdings auf die Bitte Ulbrichts um Hilfe bei der Verbesserung der Arbeitsmethoden der Ministerien ein, „dass die Organisation der Arbeit der Ministerien und Verwaltungen nach dem Muster der Behörden der Sowjetunion nicht immer für die spezifischen Bedingungen der DDR geeignet sein könne“ (ebenda). Die genannten Maßnahmen blieben bis ins Frühjahr 1952 auf der Tagesordnung der Diskussionen zur Industriepolitik. Einen spezifischen Blickwinkel auf die Missstände in der Schwerindustrie nahm der stellvertretende Vorsitzende der SKK Ivan Semičastnov in der bereits erwähnten Unterredung am 19. Juli 1950 ein: „Semičastnov wies ­Pieck und Grotewohl auf die Explosion einer Gasleitung im Hüttenwerk Brandenburg hin und meinte, die Betriebsstörungen im Werk, die Ausschussproduktion und jetzt dieses Ereignis ließen den Gedanken an ‚Sabotage‘ aufkommen. Grotewohl erwiderte, eine Untersuchung des Störfalls mit dem Schwerpunkt auf diesen Aspekt sei bereits durch das Ministerium für Staatssicherheit eingeleitet worden“ (Dok. 77). ­Pieck notierte zu diesem Gespräch im Zusammenhang mit der Ausschussproduktion in den Werken Maxhütte und Bran-

107  Vgl.

Neues Deutschland, 18. Januar 1953, S. 3.

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denburg: „Verdacht Selbmann“.108 Es erscheint denkbar, dass der Fokus auf Selbmann als dem Hauptbeschuldigten einer möglichen Anklage bereits hier durch die SKK angedeutet und von der SED-Führung, insbesondere von Ulbricht, auch in diesem Sinne verstanden wurde. Der von Ulbricht am 21. August 1951 angekündigte Umbau des Ministe­ riums für Schwerindustrie sah die Auslagerung dreier Hauptverwaltungen aus dem Ministerium und ihre Aufwertung zu Staatssekretariaten vor. Er war am selben Tag im Politbüro bereits beschlossen worden und erhielt am 10. September, obwohl Čujkov die Frage als dringlich bezeichnete, nur unter der Bedingung der Prüfung einer Personalie das Einverständnis der SKK (Dok. 81), bevor er dann am 2. November des Jahres im Ministerrat beschlossen werden konnte (vgl. Dok. 79, Fn. 9). Gleichwohl mahnte Čujkov bereits am 12. Oktober erneut (und noch einmal schriftlich am 4. November), das Ministerium müsse dringend durch Staatssekretäre verstärkt werden, da es bei Abwesenheit Selbmanns ohne Leitung sei (vgl. Dok. 83 und dort Fn. 14). Am 10. September 1951 regte Grotewohl in diesem Zusammenhang eine Umstrukturierung auch des Ministeriums für Maschinenbau an, das in ähnlicher Weise durch Staatssekretariate verstärkt werden sollte. Beschlüsse dazu wurden erst im Frühjahr 1952 gefasst und anschließend mehrfach revidiert, bis das Ministerium nach einer zwei Jahre andauernden Phase des Laborierens an seiner Struktur zunächst im Dezember 1952 in drei Ministerien aufgespalten wurde, um dann Ende 1953 erneut zusammengelegt zu werden (vgl. Dok. 81 und dort Fn. 14), ein in der Aufbauphase der DDR nicht ungewöhnlicher Vorgang. 10. Landwirtschaft, Lebensmittelversorgung und Preispolitik bis 1952 Die Bodenreform war Anfang Juni 1948 von der SMAD für abgeschlossen erklärt worden.109 Mit der Enteignung der Gutsbesitzer waren vor allem in den nördlichen Ländern der SBZ zahlreiche sogenannte Neubauernhöfe geschaffen worden, auf denen ehemalige landlose Bauern, Landarbeiter sowie Vertriebene (in der DDR „Umsiedler“ genannt) angesiedelt wurden, denen es an Erfahrung, Ausrüstung, Vieh und z. T. an Wohnraum mangelte und deren Parzellen sich oftmals als zu klein erwiesen, um die Ablieferungsnormen zu erfüllen. Die DDR-Regierung bzw. zuvor die Deutsche Wirtschaftskommission (DWK) in der SBZ versuchte seit 1947/1948, die landwirtschaftliche Produktion und die Pflichtablieferung eines Teils der Erzeugnisse zentral zu planen. Sie sah dafür einen staatlichen Teilzugriff auf landwirtschaftliche 108  Vgl. 109  Vgl.

Badstübner/Loth, S. 371. Tägliche Rundschau, 3. Juni 1948, S. 1–2, hier S. 2.



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Produkte vor, die zu pauschal niedrigen „Erfassungspreisen“ in jeweils nach der Hektargröße der Anbaufläche berechneten Mengen abgeliefert werden mussten. Überschüssige Erzeugnisse konnten die Betriebe zu höheren Preisen frei verkaufen, wovon anfangs vor allem größere Betriebe profitierten. Die klassenkämpferisch angefeindeten110 und zumeist alteingesessenen „Großbauern“ (so eine in der SED-Sprache gängige Bezeichnung für Bauern, die über 20 ha Land besaßen) wurden in den Jahren bis 1952 über Besteuerung und andere gesetzliche Regelungen, die Ausdifferenzierung des Ablieferungssolls entsprechend der Betriebsgröße und die Justierung der Preisregelungen für Erfassung und Aufkauf besonders belastet, während gleichzeitig die Klein- bzw. Neubauern mit denselben Mitteln gefördert wurden.111 Letztere sollten zudem durch die vor allem aus ehemaligen Maschinenparks der Gutshöfe aufgebauten, im Dezember 1950 vollständig verstaatlichten Maschinen-Ausleih-Stationen (MAS) unterstützt werden. Eine Kollektivierung von Landwirtschaftsbetrieben stand in dieser Phase (noch) nicht auf der Tagesordnung.112 Dass der Aufbau erfolgreicher Kleinbauernwirtschaften auf diese Weise kaum gelingen konnte, zugleich aber die Bauern mit größerem Landbesitz massiv geschädigt wurden, erkannte noch vor dem Beginn der Planung von Kollektivbetrieben auch die SKK. In ihrer Lesart hieß es in einem ihrer Berichte Anfang des Jahres 1952: „Im Jahr 1951 ging die Zahl der in der Landwirtschaft beschäftigten Bevölkerung auf 1 655 400 zurück, bzw. im Vergleich zu 1949 um 296 000 Personen  … In der DDR hat sich ein Problem mit der Nutzung von aufgegebenem Land ergeben, das dadurch entsteht, dass das Land vor allem von Neubauern und Übersiedlern liegengelassen wird, die ihre Parzellen im Zuge der Bodenreform erhalten haben, sie dann aufgegeben haben und zum Arbeiten in die Industrie gegangen sind. Außerdem lassen auch Altbauern, besonders solche aus den Reihen der Großbauern, ihr Land liegen wegen Alters oder Krankheit des Besitzers … oder weil ein Teil von ihnen aus Furcht, für von ihnen begangene Verbrechen belangt zu werden, in den Westen geflohen ist. 1951 wurden weitere 23 134 ha Land von Bauern aufgegeben. Gegenwärtig beläuft sich die Gesamtfläche des nicht unter den Bauern verteilten Bodens auf 73 000 ha.“113 Als Čujkov am 28. Februar 1950 zwei der dauerhaft im Vordergrund stehenden Probleme dieser Zeit benannt hatte – den Mangel an funktionierenden Landwirtschaftsmaschinen in den MAS und die Knappheit an Düngemitteln – war darauf zunächst keine ernsthafte Reaktion der SED gefolgt; allerdings hatte der Ministerrat kurz zuvor bereits Beschlüsse zu diesen Fragen 110  Vgl.

Bauerkämper, Ländliche Gesellschaft, S. 139–144. Schöne, Frühling auf dem Lande, S. 70–71. Vgl. dazu auch UdF 4, S. 121–126. 112  Vgl. Badstübner/Loth, S. 260 und 268. 113  Vgl. AVP RF, f. 082, op. 40, p. 261, d. 51, Bl. 110. 111  Vgl.

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verabschiedet (vgl. Dok. 14 und dort Fn. 12). Später im Jahr wurden für den Export vorgesehene Düngemittel für die eigene Landwirtschaft abgezweigt (Dok. 31 und 36). Ebenso wie die MAS waren auch die 1949 aus den bisherigen Provinzialund Landesgütern gebildeten „volkseigenen Güter“ ursprünglich aus enteigneten Gutshöfen hervorgegangen. Letztere waren in diesen Fällen nicht aufgeteilt, sondern als Musterbetriebe mit speziellen Aufgaben (etwa in der Viehzüchtung) betraut worden; im Verlauf des Jahres 1949 wurden sie auf eine Forderung der SMAD hin den Ländern entzogen und in „Volkseigentum“ überführt. Beide Einrichtungen stellten damit Anfang der 1950er Jahre Instrumente staatlichen Handelns in der ansonsten noch privatwirtschaftlich geführten Landwirtschaft dar; sie wurden daher von der SED mitunter zu „Keimen des Sozialismus“ stilisiert.114 Entsprechend wurde auch ihre Arbeit von der SKK begutachtet – die sich vor 1952 ansonsten wenig mit der Landwirtschaft beschäftigte (so die Einschätzung von Gribanov in Dok. 107) – und konnte sogar zum Gegenstand der Spitzengespräche zwischen SKK und SED werden, wie etwa am 10. September 1951, als Čujkov das Fehlen einer Rechnungsführung und den niedrigen Viehbestand bei den volkseigenen Gütern sowie die Anpassung des Stundenlohns an den Leistungslohn bei den MAS monierte, in deren Folge die Arbeitsproduktivität dramatisch gesunken sei (Dok. 81).115 Ein Konflikt zwischen der SKK und der SED-Führung über die Ausgestaltung des Preissystems als Lenkungsmittel bahnte sich seit dem Februar des Jahres 1950 an, als in der Vorbereitung der Oktoberwahlen eine Senkung der HO-Preise für frei verkäufliche Waren diskutiert wurde.116 Da jede Neuregelung des (aufgrund des Bezugskartensystems für Lebensmittel doppelten) Preissystems für die Verbraucher eng mit der Höhe des Ablieferungssolls, den Erfassungspreisen für die Pflichtablieferungen und den Aufkaufpreisen für überschüssig erzeugte Produkte der Landwirtschaft zusammenhing, wurden je nach Justierung dieser verschiedenen Positionen unterschiedliche Bevölkerungsgruppen stärker belastet oder entlastet. So konnten die Diskussionen um Preislenkungen mitunter auch Kernanliegen der kommunistischen Funktionäre berühren: Im Vordergrund standen dabei oftmals weniger agrarwissenschaftliche Erkenntnisse als etwa die Frage, ob eine stärkere Belastung oder Begünstigung der Bauern (im Gegensatz zu den Lohnarbeitern als Ver-

114  Vgl.

dazu Bauerkämper, Ländliche Gesellschaft, S. 132–133. Kritik der SKK am Stundenlohn bei den MAS war nicht neu, vgl. Scherstjanoi, SED-Agrarpolitik, S. 329 und dort Anm. 784. 116  Vgl. dazu die ausführliche Darstellung in Scherstjanoi, SED-Agrarpolitik, S. 197–202, für die einige der hier erstmals veröffentlichten Dokumente bereits ausgewertet wurden. 115  Die



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braucher) politisch wünschenswert oder wenigstens tragbar wäre.117 Während die SED nun eine Preissenkung für frei verkäufliche HO-Waren mit einer Erhöhung der Preise für subventionierte Waren (in Presseverlautbarungen war zumeist von einer „Schließung der Preisschere“ die Rede, vgl. Dok. 27, Fn. 12) sowie der Erfassungspreise für die landwirtschaftlichen Erzeuger verbinden wollte, wandte sich Čujkov vehement gegen diese Regelung. Seine Begründung verkannte jedoch die wirtschaftliche Situation vieler Bauernbetriebe, wenn er ausführte, dass „das Budget einer Bauernfamilie (reine Einnahmen) ohnehin um zwei bis dreimal höher liege als das Budget einer ­Arbeiterfamilie“ (Dok. 17) und die Arbeiter Begünstigungen für Bauern in diesem Fall steuerlich ausgleichen müssten (Dok. 18). Eigentlicher Anlass für Čujkovs Ausführungen über die Preispolitik war allerdings der beobachtete Abfluss von Ost-Mark nach West-Berlin, für den er einerseits eine „­finanzielle Diversion“ des Westens, andererseits aber auch die zu hohen kommerziellen Preise der HO-Läden verantwortlich machte, wegen derer viele Bewohner Ost-Berlins ihr Geld in West-Mark umtauschten. Die dagegen zu treffenden Maßnahmen reichten von der Lancierung von Falschinformationen (vgl. Dok. 17, Fn. 8) über die erwähnte Senkung der kommerziellen HO-Preise bis zu der hier von Čujkov angemahnten „Bekämpfung des Schmuggels“ durch die Schaffung einer zentralen Zollbehörde, die tatsächlich kurz darauf als „Amt für Kontrolle des Warenverkehrs“ (AKW) von der Regierung der DDR beschlossen wurde (vgl. Dok. 17, Fn. 15 sowie Dok. 19). In der Auseinandersetzung um die Preisregelungen setzte Čujkov seine Auffassungen weitgehend durch und zwang die DDR-Regierung zu einer Revision ihrer bereits getroffenen Beschlüsse (Dok. 18). Fragen der Landwirtschaft wurden in den hier vorgestellten Gesprächsprotokollen dieser Zeit vor allem als Problemfälle angesprochen. Die diskutierten Maßnahmen waren in erster Linie reaktiv und zielten auf die Behebung aufgetretener Mängel und Missstände; für eine Diskussion längerfristiger agrarpolitischer Konzeptionen und Zielsetzungen finden sich in den hier vorliegenden Quellen vor 1952 kaum Anhaltspunkte (für das Jahr 1952 vgl. hingegen Abschnitt III). Anlass zu Diskussionen gab wiederholt die Versorgungslage in der Bevölkerung mit Fleisch und tierischem Fett. Diese Frage war bereits im Vorfeld der Oktoberwahlen auf die Agenda gesetzt worden – zunächst mit der Folge öffentlich proklamierter Zielvorstellungen für eine bessere Versorgung (vgl. Dok. 27 und dort Fn. 10), dann von seit dem Frühjahr vorbereiteten Fleischlieferungen aus der Sowjetunion (vgl. Dok. 31, Fn. 13 sowie Dok. 43). Als im Frühsommer 1951 ein Absinken des Viehbestandes bereits seit dem Herbst 1950 gemeldet wurde (vgl. Dok. 75, Fn. 9), nahm sich auch die SKK dieser Frage wieder an und legte der SED nahe, mehr Fleisch aufzukaufen 117  Vgl.

ebenda, S. 202.

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und dafür die geplante Erhöhung der Aufkaufpreise zu überdenken (vgl. Dok. 79, Fn. 11); die Festlegung der Preise überließ sie jedoch nun der SED (Dok. 79). Das Ministerium für Handel und Versorgung der DDR unter der Leitung von Karl Hamann wurde in diesem Fall von SED und SKK gleichermaßen für die Situation verantwortlich gemacht. Das Problem des Kartoffelkäfers, um den noch im Jahr 1950 eine absurde Kampagne geführt worden war, derzufolge US-amerikanische Flugzeuge den die Ernte bedrohenden Käfer über der DDR abgeworfen hätten (Dok. 35), wurde an dieser Stelle pragmatisch angegangen: Čujkov mahnte eine erhöhte Produktion eines Schädlingsbekämpfungsmittels an (Dok. 79), während ­­Pieck zu demselben Gespräch notierte: „Kartoffelkäfer – in diesem Jahr schweigen wir“.118 II. Die Deutsche Frage im Spannungsfeld der innerdeutschen Konkurrenz und des Kalten Krieges 1. Zwischen Innen- und Außenpolitik: Die beiden deutschen Staaten im „Wettbewerb“ Die in diesem Band dokumentierten Wechselbeziehungen dreier Staaten (zu denen die westlichen Besatzungsmächte als Akteure mit teilweise unterschiedlichen Interessen hinzutreten) stellen in ihrer Konstellation in mehrfacher Hinsicht einen Sonderfall zwischenstaatlicher Beziehungen dar. Innerhalb dieses Dreiecks war schon aufgrund der eingeschränkten Souveränität der beiden deutschen Staaten im hier betrachteten Zeitraum eine diplomatische Kommunikation im üblichen Sinne des Wortes kaum möglich. Dies wurde einerseits mit Inszenierungen hergebrachter diplomatischer Formen kompensiert (so in der DDR mit der Bildung des MfAA und dem Auftreten von Diplomaten der DDR in den staatssozialistischen Ländern), andererseits aber auch mit Bemühungen um informelle Kontakte und Beziehungen. Die begleitende Diplomatie fand dabei vor allem auf der Ebene der Siegermächte statt. Die UdSSR erkannte ihrerseits die Bundesrepublik nicht an und vermied es schon aus diesem Grund, auch nur Erklärungen zur Politik der Bundesregierung oder zu Entscheidungen des Bundestages abzugeben (Dok. 18 und 35); dies taten in ihrem Auftrag im Regelfall Regierungsstellen bzw. Verlautbarungsorgane der DDR. Das Verhältnis der beiden Staaten auf deutschem Boden zueinander war wiederum insofern ein Sonderfall, als sie zwar vom Moment ihrer Gründung an in einem ideologischen Gegensatz zueinanderstanden, sich aber gegenseitig nicht als Ausland ansehen konnten, sondern vielmehr als konkurrierende politische Gegenentwürfe im selben Land. Die 118  Vgl.

Badstübner/Loth, S. 373.



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doppelte Gründung zweier nur halbsouveräner und institutionell noch unfertig ausgebauter deutscher Staaten überlagerte die zu dieser Zeit immer noch enge Verflochtenheit der deutschen Teilungsgesellschaften. Die jeweiligen Abhängigkeiten von den Besatzungsmächten und die als Gegenmodelle verstandenen Verfasstheiten beider Staaten – einer westlich orientierten Demokratie einerseits und der hinter demokratischen Fassaden durchgesetzten Diktatur der SED andererseits – zwangen ihren Regierungen im Kontext des Kalten Krieges spezifische Handlungslogiken auf. Die Bundesregierung mied jeglichen offiziellen Kontakt mit Vertretern der DDR-Regierung, da sie die DDR aufgrund ihrer fehlenden demokratischen Legitimation nicht anerkannte, aber auch weil sie sich gegenüber den Westmächten als verlässlicher Partner zeigen wollte, der zu keinerlei Besorgnis hinsichtlich möglicher deutsch-deutscher oder gar deutsch-sowjetischer Alleingänge Anlass gab. Wo dennoch Kontakte hergestellt werden mussten, etwa zur Regelung des Interzonenhandels und der Versorgung West-Berlins, griff man zu Hilfskonstruktionen wie der Treuhandstelle für den Interzonenhandel (vgl. Dok. 12, Fn. 8 und Dok. 98, Fn. 6), die im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft Verhandlungen mit DDR-Stellen führte, jedoch formell als Einrichtung des Deutschen Industrie- und Handelstages und damit der Privatwirtschaft firmierte.119 Da die beiden deutschen Staaten sich gegenseitig nicht anerkannten, jedoch beide den Anspruch erhoben, der legitime Vertreter eines in der Zukunft nach ihrem jeweiligen Modell zu schaffenden deutschen Gesamtstaates zu sein, oszillierte die auf das jeweilige Gegenüber bezogene Politik sowohl institutionell als auch rhetorisch zwischen einer Art erweiterter Innenpolitik und einer De-facto-Außenpolitik. Die Abwesenheit formaler zwischenstaatlicher Beziehungen zwischen der DDR und der Bundesrepublik führte zugleich dazu, dass die Politik gegenüber dem jeweils anderen Staat von unterschiedlichen Institutionen und Akteuren getragen wurde. Da die Bundesrepublik gemäß ihrem Grundgesetz die deutsche Teilung nicht anerkannte, wurde eigens für die Vorbereitung einer kommenden Wiedervereinigung (so z. B. formuliert in Dok. 91) das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen geschaffen – und dies sogar gegen den Willen des Bundesvorsitzenden der SPD Kurt Schumacher, der aus prinzipiellen Gründen eine entsprechende Abteilung im Innenministerium ansiedeln wollte.120 Dieses präzedenzlose Ministerium sollte allerdings nicht mit offiziellen Stellen in der DDR in Verbindung treten, sondern zunächst Informationen über diese sammeln und weitergeben; außerdem unterstützte es von staatlichen Willkürakten betroffene Bevölkerungsgruppen und Oppositionelle in der DDR sowie politische Flüchtlinge. Die zahlreichen politischen Flüchtlinge 119  Vgl. Peter E. Fäßler, Durch den „Eisernen Vorhang“. Die deutsch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen 1949–1969, Köln 2006, S. 60–65. 120  Vgl. Creuzberger, Kampf für die Einheit, S. 41.

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aus der SBZ/DDR, die sich – mit dem in der SBZ geschassten ehemaligen Vorsitzenden der Ost-CDU Jakob Kaiser an der Spitze (vgl. Dok. 113, Fn. 4) – als Mitarbeiter im gesamtdeutschen Ministerium wiederfanden, und der die Politik des Ministeriums in den frühen Jahren maßgeblich prägende Staatssekretär Franz Thedieck, der zugleich über gute Verbindungen ins Bundeskanzleramt verfügte, sorgten für eine grundsätzlich antikommunistische Ausrichtung des gesamtdeutschen Ministeriums.121 In seiner Politik gegenüber der DDR arbeitete das Ministerium – wenn es etwa um die Abwehr ostdeutscher Initiativen und Kampagnen in der Bundesrepublik ging – in enger Abstimmung mit dem Bundesministerium des Innern und den Innenministern der Länder (Dok. 40). Ging es um Lösungsvorschläge zur deutschen Frage oder um die DDR selbst, suchte man im Regelfall den Schulterschluss mit dem Bundeskanzler (Dok. 60) bzw. nach dessen Gründung im März 1951 mit dem Auswärtigen Amt unter Adenauers Leitung (Dok. 106 und 113). Das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen arbeitete zudem mit den sogenannten „Ostbüros“122 der westdeutschen Parteien zusammen, und es unterstützte aktiv mehrere nichtstaatliche Organisationen, die ihrerseits in der DDR Informationen sammelten und auf verschiedene Weise in und außerhalb der DDR gegen das SED-Regime wirkten. Damit agierte das Ministerium zumindest in Teilen auch in der Tradition der US-amerikanischen Liberation Policy; die von der „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ (KgU) verübten Sabotageakte wurden im Ministerium allerdings abgelehnt.123 Das gesamtdeutsche Ministerium wurde von sowjetischer und von DDR-Seite entsprechend angefeindet und als Zentrum westlicher Agentenund Sabotagetätigkeit betrachtet (Dok. 117). Die von Bundeskanzler Konrad Adenauer vorgegebene Linie der prinzi­ piellen Abgrenzung gegenüber staatlichen Stellen der DDR wurde zwar im Großen und Ganzen vom Parteivorstand der SPD, nicht aber von allen Vertretern des Regierungslagers geteilt. So fanden sich in mehreren Ministerien, Landesregierungen, im Bundestag und auch unter Exilanten der Ost-CDU im Umfeld von Jakob Kaiser Politiker, die – sei es aus wirtschaftlichen Interessen, sei es um der deutschen Einheit willen (oder aus beiden Gründen zusammen) – in bestimmten Situationen Kontakte zu Vertretern der DDR und auch der SKK entweder befürworteten oder sogar selbst suchten. Innerhalb der CDU handelte es sich vor allem um evangelische Spitzenpolitiker, aber auch um Vertreter der Berliner oder der Exil-CDU – oftmals ehemalige Zentrumspolitiker –, die noch über enge persönlichen Beziehungen nach Ost121  Vgl.

ebenda, S. 70–72 und 529–530. dazu Wolfgang Buschfort, Parteien im Kalten Krieg. Die Ostbüros von SPD, CDU und FDP, Berlin 2000. 123  Vgl. Creuzberger, Kampf für die Einheit, S. 141–153, 263–264. 122  Vgl.



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Berlin bzw. in die DDR verfügten.124 Da derartige Kontakte wegen des Fehlens diplomatischer Beziehungen nur inoffiziell gesucht werden konnten und nach Möglichkeit geheim gehalten wurden, sind diese Kontaktaufnahmen bislang quellenmäßig relativ wenig belegt. Bekanntere Beispiele bildeten schon bisher die stellvertretenden Ministerpräsidenten von Niedersachsen bzw. Bayern Günther Gereke (CDU) und Josef Müller (CSU, vgl. dazu Dok. 8 und dort Fn. 4, Dok. 12 und dort Fn. 9, Dok. 25 und dort Fn. 16, Dok. 67 sowie Dok. 102, Fn. 23). Wie die Edition belegen kann, bemühten sich – in unterschiedlichem Ausmaß und soweit die entsprechenden Quellen als zuverlässig eingeschätzt werden können – auch andere bundesdeutsche Politiker um entsprechende Kontakte zu DDR-Stellen oder gar zur SKK. Dies betraf Vizekanzler Franz Blücher (FDP, vgl. Dok. 31 und 34) und indirekt möglicherweise den Bundesminister des Innern Gustav Heinemann (Dok. 38), der sich nach seiner Entlassung als Innenminister auch selbst mit Vertretern der SED und der Ost-CDU traf (vgl. Dok. 53, Fn. 9 und Dok. 67). Der Ökonom und Referatsleiter im Bundesministerium für Wirtschaft Matthias Schmitt sondierte offensichtlich bei der SKK Möglichkeiten zu einer weitreichenden politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit (Dok. 39). Eine politische Einigung mit der Sowjetunion strebte zwei Jahre später laut einer von DDR-Außenminister Dertinger zitierten Quelle der Minister für Bundesangelegenheiten von Nordrhein-Westfalen Carl Spiecker (CDU) an, hierin möglicherweise unterstützt von seinem Ministerpräsidenten Karl Arnold (CDU, vgl. Dok. 123 und dort Fn. 12). Der stellvertretende Vorsitzende der Exil-CDU Ernst Lemmer erörterte im Oktober 1951 mit Dertinger Fragen der deutschen Einheit; öffentlich erklärte er dieses Treffen bezeichnenderweise zu einer Zufallsbegegnung, der er nicht mehr habe ausweichen können (vgl. Dok. 84, 85 sowie Dok. 136, Fn. 7). Einen Schritt weiter ging schließlich Bundestagspräsident Hermann Ehlers (CDU), der im September 1952 gegen die ausdrückliche Bitte des Kanzlers (Dok. 128) eine Delegation der Volkskammer unter der Leitung von deren Vizepräsidenten Hermann Matern (SED) offiziell in Bonn empfing (Dok. 129). Gezielt in die Öffentlichkeit gingen mit ihren Gesprächsinitiativen hingegen einzelne prominente Persönlichkeiten aus Gesellschaft und Kirche, die ihrerseits enge Verbindungen in die Politik unterhielten und nicht selten das Unbehagen bürgerlicher und kirchlicher (insbesondere evangelischer) Kreise über die Wiederbewaffnung oder über die konsequente Ablehnung auf die deutsche Einheit gerichteter Vorschläge aus der DDR artikulierten. Eine solche nationalpazifistische Gefühlslage vertrat etwa der stellvertretende Ratsvorsitzende der EKD und Mitbegründer der Bekennenden Kirche Martin Niemöller, der im Januar 1952 auf Einladung des Patriarchen der Russisch124  Vgl.

Bösch, Die Adenauer-CDU, S. 122–123 und dort Anm. 84.

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Orthodoxen Kirche Aleksij I. und zum Unbehagen Adenauers (Dok. 94) nach Moskau reiste und dort mit Regierungsstellen der UdSSR und der DDR sprach. Niemöllers Reise ist vor allem aus seinen Eigendarstellungen bekannt;125 nicht oder wenig bekannt waren bisher die Überlieferungen seiner ostdeutschen und sowjetischen Gesprächspartner (Dok. 92 und 93).126 Annähernd zur selben Zeit hielt sich der ehemalige Reichskanzler der Weimarer Republik Joseph Wirth in Ost-Berlin auf, wo er die SKK-Führung sowie Vertreter der Parteien und der Kirchen traf, sich dort allerdings – in noch höherem Maße als Niemöller – bis hin zur Redaktion seiner öffent­ lichen Stellungnahmen durch Grotewohl, Ulbricht und das für die „Betreuung“ Wirths zuständige Politbüromitglied Franz Dahlem von der SED-Führung instrumentalisieren ließ (vgl. Dok. 90 und dort Fn. 5). Beide versuchten eine Art Ersatz-Außenpolitik aus eigenem Antrieb zu entwickeln. Niemöller, der wegen seiner früheren offenen NS-Gegnerschaft über ein hohes Ansehen verfügte, in der zeitgenössischen Öffentlichkeit und auch innerhalb der Kirche jedoch wegen der unklaren Trennung von Privatperson und Amtsträger und der Verquickung von politischer Tätigkeit und kirchlichen Aufgaben kritisiert wurde (vgl. etwa Dok. 94, Fn. 4 und 6), erklärte einerseits Fragen der Ökumene zum Hauptgegenstand seiner Reise (vgl. dort Fn. 5). Andererseits verwandte er sich in Moskau (weitgehend erfolglos) für die seelsorgerische Betreuung und die Rückkehr der verbliebenen deutschen Kriegsgefangenen in der UdSSR – das letztere ein klassisches Aufgabenfeld einer noch nicht existierenden Ost-West-Diplomatie. Tatsächlich wurde Niemöller vom stellvertretenden Außenminister der UdSSR Valerian Zorin empfangen (vgl. Dok. 93), während Adenauer selbst bis dahin die Anliegen der Kriegsgefangenen nur indirekt über Appelle an die Alliierte Hohe Kommission und an die UNO zu vertreten versucht hatte.127 Die Gefangenenfürsprache, in diesem Fall für die in den „Waldheimer Prozessen“ 1950 in der DDR Verurteilten, war auch eines der Anliegen Joseph Wirths, das er ungeachtet seines naiven Umgangs mit der SKK- und der SED-Führung mit Nachdruck vertrat (vgl. Dok. 90 und dort Fn. 26 und 27). Bereits am 21. Oktober 1949 hatte Adenauer den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik für alle Deutschen öffentlich formuliert.128 Ein 125  Vgl. Niemöllers Bericht „Meine Reise nach Moskau“ in Der Spiegel 3/1952, S. 13–15; vgl. auch Kirchliches Jahrbuch 1952, S. 10–14 sowie insgesamt Jan Niemöller, Erkundung gegen den Strom. 1952: Martin Niemöller reist nach Moskau. Eine Dokumentation, Stuttgart 1988. 126  Vgl. allerdings die Auswertung des Vermerks von Botschafter Rudolf Appelt vom 4. Januar 1952 (Dok. 92) in Benjamin Ziemann, Martin Niemöller. Ein Leben in Opposition, München 2019, S. 437–438. 127  Vgl. AAPD (1949/50), S. 396, Anm. 9 und S. 490, Anm. 3 und 4. 128  Vgl. BT Stenographische Berichte, 13. Sitzung, 21. Oktober 1949, S. 307–308.



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Außenministerium konnte die Bundesrepublik 1949 jedoch zunächst nicht einrichten, da sich die Westmächte mit dem Besatzungsstatut129 die Regelung der Außenbeziehungen des neuen Staates vorbehielten. Bundeskanzler Adenauer konnte sich jedoch bei den Verhandlungen mit der Alliierten Hohen Kommission (AHK) auf dem Petersberg bei Bonn in doppelter Hinsicht eine Sonderstellung sichern: Zum einen berieten sich die Alliierten Hohen Kommissare in allen die deutsche Politik und damit auch die Außenbeziehungen der Bundesrepublik betreffenden Fragen mit dem Kanzler; zum anderen waren die Ministerien verpflichtet, ihren Briefverkehr mit der AHK über das Bundeskanzleramt abzuwickeln,130 in dem eigens für die Kontakte der Bundesregierung zum Petersberg die von Adenauers außenpolitischem Berater, dem früheren Diplomaten Herbert Blankenhorn geleitete „Verbindungsstelle zur Alliierten Hohen Kommission“ eingerichtet wurde. Dieses auch als „Urform der Außenpolitik“ beschriebene Sonderverhältnis zur AHK ermöglichte es Adenauer, auf die von der AHK bestimmte, auch deutschlandpolitische Fragen betreffende Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland Einfluss zu nehmen.131 Die Bundesregierung bemühte sich, durch eine konsequente Politik der Westbindung und weitgehende Zugeständnisse an die Interessen der westlichen Besatzungsmächte deren Vertrauen zu gewinnen und auf diesem – mitunter von der Opposition heftig kritisierten – Weg mittelfristig einen Gewinn an Souveränität, internationaler Anerkennung und Gleichberechtigung zu erreichen. Ein erster Erfolg in diesem Sinne war das Petersberger Abkommen vom 22. November 1949, das u. a. die Aufhebung der Demontagen, die Aufnahme von Handels- und konsularischen Beziehungen und die Mitgliedschaft der Bundesrepublik in internationalen Organisationen vorsah (vgl. Dok. 4, Fn. 11). Am 5. August 1950 folgte die Aufnahme als assoziiertes, am 2. Mai 1951 als vollberechtigtes Mitglied in den Europarat (vgl. Dok. 17, Fn. 2; zu Wahrnehmung und Reaktionen in der DDR und der UdSSR vgl. Dok. 35 und dort Fn. 6). In der Folge beendeten die Westmächte den Kriegszustand mit Deutschland und bereiteten mit dem ab Ende des Jahres 1951 verhandelten „Deutschlandvertrag“ (vgl. Dok. 20, Fn. 12) die Anerkennung der Souveränität der Bundesrepublik vor. Nicht zuletzt dem Souveränitätsgewinn diente auch die von Adenauer im Sommer 1950 gegenüber den Alliierten Hohen Kommissaren signalisierte Bereitschaft, einen Wehrbeitrag für die militärische Sicherheit Westeuropas zu leisten (Dok 41). Sowohl Adenauer als auch die US-Regierung argumentierten dabei mit einer verschärften Bedrohungslage, die sich angesichts des vom kommunistischen Norden mit Billigung 129  Vgl.

DzD II, 2, S. 338–344. Kabinettsprotokolle, Bd. 1 (1949), S. 102. 131  Vgl. Hans Buchheim, Deutschlandpolitik 1949–1979. Der politisch-diplomatische Prozeß, Stuttgart 1984, S. 10–12 (zum Zitat vgl. S. 10). 130  Vgl.

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Stalins unmittelbar zuvor begonnenen Koreakrieges ergeben habe. Die Außenminister der Westmächte erklärten daraufhin im September 1950 in New York, ihre eigenen Verteidigungsanstrengungen in Westeuropa verstärken zu wollen. Sie weiteten zugleich ihre Sicherheitsgarantie für die Bundesrepublik auf einen möglichen Angriff der ostdeutschen Volkspolizei aus und erlaubten Bonn die Aufstellung „beweglicher Polizeieinheiten auf Länderbasis“, aber auch die Einrichtung eines Außenministeriums und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen (vgl. Dok. 48, Fn. 3; zur sowjetischen Reaktion auf die New Yorker Außenministerkonferenz vgl. Dok. 47 und dort Fn. 4). Auf dieser Grundlage konnte über eine Revision des Besatzungsstatuts am 15. März 1951 das Auswärtige Amt neu gegründet werden. Die auf einen Vorschlag Grotewohls hin schon am 28. September 1949 vom ZK der VKP (b) getroffene Entscheidung, in der DDR ein Außenministerium einzurichten,132 diente zu einem Teil der Simulation von Souveränität, die der DDR im Gegensatz zur Bundesrepublik von ihrer Besatzungsmacht eingeräumt worden sei.133 Zugleich bekräftigte sie den Anspruch der DDR, der Nukleus eines vereinigten Deutschlands zu sein und dieses mit der bereits geschaffenen Institution des Außenministeriums auch international vertreten zu können. Möglicherweise deshalb wurde das MfAA in seiner Struktur weitgehend dem Auswärtigen Amt der Weimarer Republik und nicht etwa dem sowjetischen MID nachgebildet.134 Die Richtlinien der Außenpolitik, die das MfAA zu vertreten hatte, wurden gleichwohl aus Moskau vorgegeben; innerhalb der DDR waren das Politbüro bzw. das ZK der SED maßgeblich für operative Entscheidungen im vorgegebenen Rahmen. Wie in der DDR üblich, galt auch hier grundsätzlich die Überordnung des Parteiapparats über den Staatsapparat.135 Die Durchsetzung der Parteiinteressen im MfAA sicherte u. a. Staatssekretär Anton Ackermann (SED), der zudem über gute Beziehungen zu sowjetischen Stellen verfügte (Dok. 22, 23 und 32). Ackermann ließ die Vorgänge im Ministerium im Allgemeinen und die Person Dertingers im Besonderen überwachen und erstattete darüber Bericht (Dok. 32).136

132  Vgl. UdF 4, S. 466–474, hier S. 468 (zum Vorschlag Grotewohls vom 6. August 1949 vgl. ebenda, S. 423). 133  Vgl. Amos, Westpolitik, S. 47. 134  Vgl. Michael Lemke, Prinzipien und Grundlagen der Außenbeziehungen der DDR in der Konstituierungsphase des DDR-Außenministeriums 1949–1951, in: Sowjetisierung und Eigenständigkeit, S. 233–274, hier S. 251. 135  Vgl. Wentker, Außenpolitik, S. 29–30. 136  Vgl. auch Michael Lemke, Prinzipien und Grundlagen der Außenbeziehungen der DDR in der Konstituierungsphase des DDR-Außenministeriums 1949–1951, in: Sowjetisierung und Eigenständigkeit, S. 233–274, hier S. 270–271.



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Die Entscheidungshoheit über die sogenannte „Westarbeit“, d. h. die Gesamtheit der auf die Beeinflussung von Politik und Gesellschaft der Bundesrepublik zielenden Aktivitäten, beanspruchte innerhalb der DDR die SED. Dafür hatte sie seit 1947 einen umfangreichen Apparat eingerichtet, der ab 1949 vom Politbüro und der dort angesiedelten „Westkommission“ unter Vorsitz von Franz Dahlem angeleitet wurde. Unter mehreren Umstrukturierungen organisierten die Führungsgremien der SED in den Folgejahren die „Westarbeit“ auf verschiedenen Ebenen.137 Zunächst schien die KPD das naheliegende Instrument der SED in Westdeutschland zu sein, deren Parteiprogramm und Verlautbarungen auch nach ihrer formalen Trennung von der SED 1948/49 weiterhin in Ost-Berlin verfasst und von der SED vorgegeben wurden (vgl. etwa Dok. 87 und dort Fn. 11–13). Dass die KPD nicht in der Lage war, die Zustimmung größerer Bevölkerungsgruppen zu gewinnen, war allerdings recht früh bekannt (vgl. etwa Dok. 39 und 75).138 Auf organisatorisch unterer Ebene setzte man seit dem Frühjahr 1950 vor allem auf die „Nationale Front“, die den Anschein einer überparteilichen und – mit dem Aufbau von Strukturen in Westdeutschland – gesamtnationalen Bewegung erwecken sollte, allerdings ebenfalls von der SED, z. T. sogar direkt von sowjetischen Beratern angeleitet wurde.139 Die Steigerung ihrer umfang- und materialreichen Agitationstätigkeit im Jahr 1950 stieß in der westdeutschen Bevölkerung auf wenig positive Resonanz. In Teilen der westdeutschen Öffentlichkeit löste sie vielmehr – wohl auch grundiert von allgemeinen Bedrohungsgefühlen angesichts des Koreakrieges – Beunruhigung aus. Dies wiederum führte in Regierungskreisen, insbesondere bei Staatssekretär Thedieck im Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen, zu Forderungen, „Tarn­ organisationen“ der SED, darunter zuallererst die „Nationale Front“, zu verbieten oder deren Aktivitäten zu unterbinden (Dok. 40). Für generelle Verbote einzelner Parteien und Organisationen fand sich zu dieser Zeit zwar noch keine Mehrheit (vgl. dort Fn. 23), jedoch folgte dem Schreiben Thediecks unmittelbar ein Beschluss der Bundesregierung über die „Politische Betätigung von Angehörigen des öffentlichen Dienstes gegen die demokratische Ordnung“ vom 19. September 1950 (vgl. dort Fn. 25 und 31), der Mitgliedern als verfassungsfeindlich eingestufter Organisationen die Tätigkeit im öffentlichen Dienst verbot.140

137  Vgl. 138  Vgl.

Amos, Westpolitik, S. 30–31. auch Treffen mit Stalin 1950, S. 595 und Ruggenthaler, Stalins Bluff,

S. 48–53. 139  Vgl. zur Organisationsstruktur der „Nationalen Front“ Amos, Westpolitik, S. 42–46, zu ihrer Tätigkeit in Westdeutschland ebenda, S. 50–67. 140  Zur Ähnlichkeit der Argumentation vgl. auch Kabinettsprotokolle, Bd. 2 (1950), S. 696 und 702–703.

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Sowohl die von der SED angeleitete Westarbeit der DDR als auch die deutschlandpolitischen Aktivitäten des MfAA blieben während der hier betrachteten Zeit an Weisungen aus Moskau gebunden. Den Hauptkanal für die Übermittlung wichtiger Entscheidungen bildeten die in Abschnitt I beschriebenen Unterredungen zwischen der SKK und der SED auf Spitzenebene; parallel dazu interagierten sowohl die sowjetische Mission in Ost-Berlin als auch die SKK, insbesondere Semenov, mit dem MfAA. In dieser Edition nur vereinzelt belegt sind die Kontakte auf den unteren Ebenen, etwa über die zahlreichen sowjetischen „Berater“ in Organisationen wie der „Nationalen Front“, in den Ministerien und in den Sicherheitsstrukturen der DDR. Dass im MfAA keine sowjetischen Berater installiert wurden, ist als Indiz für dessen von sowjetischer Seite als gering eingeschätzte Relevanz gedeutet worden.141 Insgesamt kamen die SED und die DDR-Regierung in dieser Zeit über die Rolle eines Instruments der sowjetischen Deutschlandpolitik nicht hinaus; alle wesentlichen Kampagnen, Aktionen, Appelle und Verhandlungsangebote dieser frühen Periode wurden in Moskau beschlossen und über die SKK vermittelt. Dies hat zu der Einschätzung geführt, die DDR habe keine (eigene) Außenpolitik betrieben, sondern lediglich Außenbeziehungen unterhalten142 – eine These, die bereits von Zeitgenossen wie dem in den Westen geflohenen ehemaligen Mitarbeiter des MfAA Gerold Rummler vertreten wurde (vgl. Dok. 106, Fn. 27). Im Folgenden wechselt also der Fokus zu Quellen, die das deutsch-deutsche Verhältnis im Kontext des Kalten Krieges beleuchten. Dies betrifft sowohl Momente direkter Interaktion zwischen Vertretern der beiden deutschen Staaten und Gesellschaften, aber auch die oftmals parallelen Maßnahmen in verschiedenen Politikfeldern, die in besonderer Weise durch die Konkurrenzsituation in der Konfrontation des Kalten Krieges, aber auch durch die in den frühen 1950er Jahren noch vielfach vorhandenen engen Bindungen zwischen Ost- und Westdeutschland bedingt waren. Sie umfassen neben Ansätzen von institutionalisierter Außenpolitik auch die unterschiedliche, aber jeweils aufeinander bezogene Innenpolitik beider deutscher Staaten. Gerade wegen der noch nicht zerschnittenen engen Beziehungen beider Gesellschaften lässt sich die jeweilige Innenpolitik nicht genau trennen von Versuchen, gesellschaftliche Gruppen im jeweils anderen Staat zu beeinflussen. Solange die deutsche Frage nicht entschieden war, warben beide Regierungen mit ihrer Innen-, ihrer Wirtschafts- und ihrer Außenpolitik – im wechselseitigen Glauben an eine „Magnettheorie“ der überlegenen Attraktivität des eigenen Systems – zugleich um die Zustimmung der Bevölkerung im jeweils anderen 141  Vgl. Michael Lemke, Prinzipien und Grundlagen der Außenbeziehungen der DDR in der Konstituierungsphase des DDR-Außenministeriums 1949–1951, in: Sowjetisierung und Eigenständigkeit, S. 233–274, hier S. 238. 142  Vgl. ebenda, S. 234.



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Staat. Hier wird also in diesem Sinne auch die Innenpolitik der beiden deutschen Staaten unter dem Blickwinkel betrachtet, dass sie immer auch eine deutsch-deutsche Komponente enthielt und sich in einem gesamtdeutschen Echoraum in der Wahrnehmung von Ereignissen und in den Reaktionsketten des aufeinander bezogenen politischen Handelns bewegte. Das Gleiche gilt wiederum für die beginnende Außenpolitik beider Staaten, die etwa (in unterschiedlichem Maße) im Streben nach Souveränität gegenüber den jeweiligen Besatzungsmächten, aber auch nach internationaler Anerkennung und nach Aufnahme in internationale Organisationen immer zugleich eine konkurrierende war. In diesem Sinne zielte die Institutionalisierung der Außenpolitik in der DDR durch die Bildung des MfAA ebenso auf die Simulation von Souveränität wie auf internationale Anerkennung ab. 1.1 Die Inszenierung von Außenpolitik: das MfAA und die Mission der DDR in Moskau Wenige Tage nach seiner Ankunft in Moskau absolvierte der frisch akkreditierte Missionschef der DDR in Moskau, Rudolf Appelt (SED), anlässlich des dortigen Revolutionsjubiläums am 7. November 1949 seinen ersten Auftritt auf diplomatischem Parkett. Der Staat, den er vertreten sollte, war genau einen Monat alt, und Appelt berichtete begeistert und nicht ohne Pathos von der Aufmerksamkeit, die der DDR und ihren Vertretern zuteilwurde (von Ansprachen sowjetischer Führer über einen Empfang durch Gromyko bis hin zu Großporträts von P ­ ieck und Grotewohl auf der obligatorischen Parade); ebenso bescheinigte er den angereisten Delegationsmitgliedern der DDR, „tief beeindruckt von Erlebtem“ gewesen zu sein (Dok. 1). Die Vertretung der DDR in Moskau bestand allerdings auch längere Zeit danach eher symbolisch. Wie der I. Missionsrat Markus Wolf an das MfAA berichtete, war sie zur Verwunderung der sowjetischen Partner noch bei Jahresende mit ihren provisorisch in einem Hotel untergebrachten vier Mitarbeitern nicht in der Lage, ihrer „normalen Tätigkeit“ nachzugehen (Dok. 11). Wolf bat darum, zur Aufnahme der regulären Arbeit einen Kern von vorläufig sechs zusätz­ lichen Mitarbeitern nach Moskau zu schicken, und sprach im Weiteren von der ungeklärten Finanzlage. Die Finanzierung der DDR-Mission wurde in der Folge über einen sowjetischen Kredit gesichert; der ursprünglich vorgesehene Stellenplan mit 60 Mitarbeitern konnte damit jedoch nicht verwirklicht werden (vgl. dort Fn. 3 und 4). Zumindest die geforderten Sekretärinnen wurden jedoch bald aus den Kreisen der ehemaligen Moskauer KPD-Emigration rekrutiert, denn im Oktober 1950 forderte Ulbricht, dass das rekrutierte Personal ebenso wie Wolf selbst als Angestellte der DDR-Mission die sowjetische Staatsbürgerschaft abgeben und wieder die deutsche annehmen müssten (Dok. 45). Wolf wechselte kurze Zeit später in den Außenpolitischen Nach-

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richtendienst (APN), den für Auslandsspionage (vor allem in der Bundesrepublik und in West-Berlin) zuständigen Vorgänger der HA XV bzw. HV A im Ministerium für Staatssicherheit (MfS), der zu dieser Zeit noch unter der Tarnbezeichnung „Institut für Wirtschaftswissenschaftliche Forschung“ unter der Leitung von Staatssekretär Ackermann im MfAA angesiedelt war.143 Inwieweit er während seiner Zeit an der DDR-Mission in Moskau bereits auf die kommende Tätigkeit vorbereitet wurde, ist ungeklärt.144 Über längere Zeit ungelöst blieb auch die Raumfrage. Die diplomatische Mission der DDR sollte das Gebäude der ehemaligen Botschaft des Deutschen Reichs in Moskau erhalten, in dem jedoch seit 1941 das Sowjetische Informationsbüro untergebracht war, das während des Krieges die öffentliche Darstellung der Kriegsereignisse maßgeblich geprägt hatte. Eine Lösung dieser Frage war bereits von Wolf erwartet worden (Dok. 11) und wurde im Folgenden von Appelt angemahnt (Dok. 12, 15 und 30), sie verzögerte sich jedoch ungeachtet einer entsprechenden Anordnung des Ministerrates der UdSSR vom 14. April 1950 sowie der symbolischen Bedeutung, die der Übernahme des ehemaligen deutschen Botschaftsgebäudes durch die DDR beigemessen wurde (vgl. Dok. 30, Fn. 10), noch um mehr als ein weiteres Jahr. Erst gegen Ende des Jahres 1951 konnte das Botschaftsgebäude fertig renoviert und von der Diplomatischen Mission der DDR bezogen werden (vgl. Dok. 82 und dort Fn. 17). Auch das Außenministerium der DDR selbst befand sich während eines Großteils des hier dokumentierten Zeitraums im Aufbau. Die Ernennung des CDU-Politikers Georg Dertinger zum Außenminister, die möglicherweise das ungeplante Resultat eines Gerangels um Führungspositionen war,145 billigte das ZK der VKP (b) zusammen mit der Ernennung der anderen Minister der Provisorischen Regierung am 8. Oktober 1949.146 Gut einen Monat später beklagte sich Dertinger beim Leiter der sowjetischen Mission in Ost-Berlin Georgij Puškin über die Schwierigkeit, geeignete Mitarbeiter für das Außenministerium zu rekrutieren. Man wolle sich dabei jedoch Zeit lassen und eigens junge Mitarbeiter ausbilden (Dok. 3). Zehn Tage zuvor, am 10. November 1949, hatte die SKK gemeldet, dass von den geplanten 415 Mitarbeitern erst 25 eingestellt worden seien; generell wurde außerdem moniert, dass zahlreiche Regierungsangestellte im Westteil der Stadt lebten (vgl. dort Fn. 8). Obwohl das MfAA offiziell nicht vorrangig für die Deutschlandpolitik zuständig sein sollte,147 wurde Dertinger von seinen sowjetischen Gesprächs143  Vgl.

Wentker, Außenpolitik, S. 38–39. Kowalczuk, Stasi konkret, S. 64–65 und 373, Anm. 19 und 20. 145  Vgl. Wentker, Außenpolitik, S. 39. 146  Vgl. UdF 4, S. 492–493. 147  Vgl. Wentker, Außenpolitik, S. 35. 144  Vgl.



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partnern immer wieder nach seiner Einschätzung der Lage in Westdeutschland gefragt  – anfangs von Außenminister Vyšinskij selbst (Dok. 8 und 10), dann von Puškin (Dok. 20, 28, 48, 50 und 53) und zuletzt von Semenov (Dok. 123), mit dem er ohnehin regelmäßig in Kontakt stand (vgl. auch Dok. 105). Offensichtlich sahen das sowjetische MID und die SKK seine Kontakte nach Westdeutschland – die ihm später zum Vorwurf gemacht wurden (vgl. Dok. 20, Fn. 9) – zumindest in der Anfangszeit als nützliche Informationsquelle an. Für Dertinger selbst war die deutsche Frage verschiedenen Zeugnissen zufolge ein Hauptmotiv seines politischen Handelns. Er hielt es für seine Aufgabe (Dok. 57) und bemühte sich während der Dauer seiner Amtszeit, eigene deutschlandpolitische Initiativen zu entwickeln, die er mit nachlassendem Erfolg seinen sowjetischen Gesprächspartnern unterbreitete (vgl. dazu etwa Dok. 42, Fn. 3, Dok. 48, 53, 105 und 106). Auch in seinem Ministerium wurde an Ideen zur Deutschlandpolitik gearbeitet, wie die Skizze des Leiters der Hauptabteilung Grundsatzfragen Gerhard Reintanz (CDU) zu einem „deutschen Friedensvertrag“ zeigt (Dok. 72). Offensichtlich hielt Dertinger die deutsche Einheit nur im Einklang mit den sowjetischen Interessen für erreichbar, und wahrscheinlich glaubte er auch daran, dass die Deutschlandpolitik der UdSSR mit den verschiedenen von ihr getragenen Kampagnen eine reale Chance dafür bot. Aus dieser Überzeugung heraus, die die staatliche Einheit höher gewichtete als demokratische Rechte und Freiheiten, war Dertinger bereit, sich der sowjetischen Dominanz und auch der faktischen Herrschaft der SED in der DDR sehr weitgehend unterzuordnen (vgl. Dok. 2, Fn. 4). Möglicherweise – dies wurde ihm zumindest im MID unterstellt148 – wiegte er sich auch in der Hoffnung, dass in einem mit sowjetischer Hilfe vereinigten und neutralisierten Deutschland einer vereinigten CDU vor der in Westdeutschland denkbar unpopulären SED eine entscheidende Rolle zukommen würde, sofern sich Teile der westdeutschen CDU und der CSU um der deutschen Einheit willen gegen Adenauers Kurs der Westbindung und der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik mobilisieren ließen (vgl. dazu etwa Dok. 48). Wie andere auch erhoffte Dertinger zumindest die Bildung einer breiten westdeutschen Opposition gegen diese Politik Adenauers und mittelfristig die Abwahl, wenn nicht den Sturz von dessen Regierung (Dok. 53). Möglicherweise erkannte er – so legt es zumindest die Darstellung seines in den Westen geflohenen Pressereferenten Gerold Rummler nahe – im Nachgang der „Stalin-Note“, dass seine Hoffnung in eine tatsächlich auf die deutsche Einheit zielende sowjetische Außenpolitik illusorisch war und seine eigenen Initiativen bei sowjetischen Stellen nunmehr auf Desinteresse stießen (Dok. 106). Dertinger, der seine eigene Bedeutung und 148  Vgl. A.M. Filitov, Germanija v sovetskom vnešnepolitičeskom planirovanii 1941–1990, Moskau 2009, S. 157–158.

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seine Rolle als Außenminister sicherlich überschätzte149 – wiewohl er sich der sowjetischen Dominanz in jeder Hinsicht bewusst war (Dok. 12) –, trat zumeist in repräsentativer Funktion in Erscheinung, so etwa bei Einladungen in sozialistisch regierte mittel- und osteuropäische Länder, wo die DDR-Delegationen durchaus nicht immer gerne gesehen waren (vgl. Dok. 23). Er unterschrieb gemeinsam mit Grotewohl das „Görlitzer Abkommen“ über die Markierung der Oder-Neiße-Grenze mit Polen, das jedoch zuvor Ulbricht in Absprache mit der SKK vorbereitet und ausgehandelt hatte (vgl. Dok. 20, Fn. 6 und Dok. 32) und das laut einem Bericht der SKK in der Bevölkerung bis in die Mitgliederbasis der SED hinein unpopulär war (vgl. Dok. 33, Fn. 6). Auch war Dertinger maßgeblich an der absurden Kampagne beteiligt, die den angeblichen Abwurf von Kartoffelkäfern über der DDR durch USamerikanische Flugzeuge anprangerte (Dok. 35). Ansonsten waren er und sein Ministerium verantwortlich für die Auslandsmissionen der DDR und für die Regelung konsularischer Fragen. 1.2 Konsularische Angelegenheiten und diplomatische Versuche Doch auch im konsularischen Alltagsgeschäft stieß das MfAA auf Grenzen, und die Besatzungsmacht zeigte sich zögerlich bei der Übertragung konsularischer Rechte oder der Bearbeitung spezifischer Fragen und Wünsche. So blieb etwa die Zuständigkeit für die Ausstellung von Visa für ausländische Staatsbürger trotz mehrfacher Bemühungen seitens des MfAA für lange Zeit ungeklärt. Nachdem sich Dertinger im November 1950 unsicher hinsichtlich der Zuständigkeiten gezeigt hatte, war offensichtlich auf die Anfrage Grotewohls hin (Dok. 3) im MID der Entwurf einer Instruktion erarbeitet worden, der zufolge die DDR das Recht auf die Ausstellung von Visa an Bürger derjenigen Staaten (mit Ausnahme der UdSSR) erhalten sollte, mit denen sie diplomatische Beziehungen unterhielt.150 Diese Frage wurde jedoch von sowjetischer Seite auf Eis gelegt; die Ausstellung von Visa – die auch als „Gradmesser“ für die Souveränität des jungen Staates galt – blieb für mehr als ein weiteres Jahr ausschließlich eine Aufgabe der SKK. Die Behandlung dieser Frage wirft ein wenig Licht auch auf Kompetenzstreitigkeiten und Machtverhältnisse innerhalb des MfAA. Denn unter Verweis auf die Übertragung entsprechender Rechte an die Bundesrepublik bat Missionschef Appelt im Auftrag von Staatssekretär Ackermann im September 1951 den sowjetischen Außenminister Vyšinskij erneut um eine günstigere Regelung dieser Frage (vgl. Dok. 82 und dort Fn. 14–16). Während Dertinger ihm für seine „Eigenmächtigkeit“ eine Rüge erteilte, führte der 149  Vgl.

zur Charakterisierung Dertingers insgesamt Amos, Westpolitik, S. 160–

150  Vgl.

Foitzik, Interessenpolitik, S. 522–523.

161.



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Vorstoß der beiden SED-Politiker zumindest zu einem Teilerfolg, denn im Dezember 1951 übertrug die sowjetische Regierung der DDR das Recht auf Erteilung von Visa für deutsche Staatsangehörige und Bürger der „volksdemokratischen Länder“ (vgl. Dok. 88 und dort Fn. 4); sowjetische Staatsbürger sowie die Bürger westlicher und anderer Staaten fielen jedoch weiterhin unter die Entscheidungsbefugnis sowjetischer Stellen. Ähnlich lange bemühte sich das MfAA um die Rückführung der sogenannten „deutschen Spezialisten“ – technischer Fachleute und Konstrukteure, die in den Jahren 1946 und 1947 auf Anordnung des Ministerrats der UdSSR teilweise mit ihren Familien in die UdSSR überführt worden waren, um ihr Wissen für die Entwicklung sowjetischer Technologiezweige, vor allem des Flugzeug- und Raketenbaus, nutzbar zu machen.151 Insbesondere Missionschef Appelt bat seit Anfang des Jahres 1950 recht hartnäckig um eine Lösung dieser Frage und verwies auf Briefe, die die Spezialisten oder ihre Angehörigen an die Mission oder das MfAA gerichtet hätten (vgl. Dok. 15 und dort Fn. 5 sowie Dok. 82). Tatsächlich waren entsprechende Schreiben erstmals bereits 1948 beim MID der UdSSR eingegangen.152 Auch diese Frage galt als prestigeträchtig, insofern die Regierung der DDR beweisen wollte, dass sie ihrer Fürsorgepflicht für deutsche Staatsbürger im Ausland nachkam. Appelt verknüpfte sie im Jahr 1950 argumentativ mit den bevorstehenden Oktoberwahlen (Dok. 15) und bezeichnete eine baldige Lösung auch später als „politisch günstig“ (Dok. 82). In den Jahren 1951 und 1952 kehrte tatsächlich ein Großteil der Spezialisten auf Grundlage sowjetischer Regierungsbeschlüsse in ihre Heimat zurück (vgl. Dok. 82, Fn. 13). Als der Kirchenpräsident von Hessen-Nassau Niemöller während seiner Moskaureise Anfang des Jahres 1952 den Botschafter der DDR Appelt nach den deutschen Spezialisten fragte, die er gern besuchen wolle, wiegelte dieser ab und sicherte die baldige Lösung des Problems zu (Dok. 92). Die UdSSR hielt jedoch entsprechend ihrem Bedarf oder aus Sicherheitsgründen weiterhin einen Teil der Fachleute zurück, die letzten Spezialisten konnten erst in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre die Sowjetunion verlassen (vgl. Dok. 15, Fn. 7). In den hier vorliegenden westlichen Quellen spielt das Thema keine Rolle. Wie Niemöllers Anfrage zeigt, war es jedoch in der westdeutschen Öffentlichkeit noch präsent; 1946 hatten zunächst die Berliner SPD und im Anschluss daran auch Vertreter der USA und Großbritanniens gegen den teilweise erzwungenen Transfer der Fachleute in die Sowjetunion protestiert.153 Einen schnelleren Erfolg erzielte die Mission der DDR in Moskau bei der Rückführung ehemaliger Angehöriger der französischen Fremdenlegion mit 151  Vgl. Christoph Mick, Forschen für Stalin. Deutsche Fachleute in der sowjetischen Rüstungsindustrie 1945–1958, München 2000, S. 80–92. 152  Vgl. UdF 4, S. 208–209. 153  Vgl. UdF 3, S. 68–74.

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deutscher Staatsbürgerschaft, die während des Indochinakriegs aus Kriegsgefangenenlagern der vietnamesischen Kommunisten entlassen und in Eisenbahntransporten über die UdSSR in die DDR zurückgeführt wurden (vgl. Dok. 18 und dort Fn. 25 sowie Dok. 82 und dort Fn. 9). Noch bevor ein besonderes Regierungsabkommen zu dieser Frage beschlossen worden war, konnte im Herbst 1951 auch erstmals die Entsendung einer Gruppe von Studenten aus der DDR zum Studium an sowjetischen Hochschulen vereinbart werden (vgl. Dok. 82 und dort Fn. 10 und 11). Diese Einrichtung verstetigte sich in der Folge und wurde am 12. Mai 1952 auf eine vertragliche Grundlage gestellt, nach der sich die UdSSR und die DDR die Kosten für das Auslandsstudium teilten (Vgl. Dok. 110, Fn. 2). Die Quellen zeigen jedoch auch, dass dem MfAA in erster Linie ausführende und organisatorische Aufgaben zufielen (Dok. 82). Wie üblich waren die eigentlichen Entscheidungen im SED-Politbüro getroffen worden, und die grundlegenden Absprachen erfolgten zwischen SED-Führung bzw. in diesem Fall Grotewohl als Ministerpräsidenten und der sowjetischen Regierung und Parteiführung. Für das Jahr 1952 ist sogar belegt, dass sich Ulbricht zur Vorbereitung der zweiten Studiengruppe direkt an das Politbüro des ZK der VKP (b) wandte (Dok. 110). Hier ging es um die Verteilung der Studenten auf verschiedene Studienfächer; im Vordergrund stand die technische und naturwissenschaft­ liche Ausbildung. Die Konkurrenz beider deutscher Staaten um internationale Anerkennung und mögliche Mitgliedschaften in internationalen Organisationen berührte unmittelbar die Frage der Rechtsidentität zum ehemaligen Deutschen Reich. Als sich Bundeskanzler Adenauer am 6. März 1951 zur Haftung der Bundesrepublik für die Auslandsschulden des Deutschen Reiches bekannte, erklärte die Regierung der DDR dies für rechtsungültig (vgl. Dok. 127, Fn. 7). Nach Abschluss der Londoner Schuldenkonferenz für die Regelung der deutschen Auslandsschulden im August 1952 (vgl. dort Fn. 2) und vor Beginn der Verhandlungen über ein entsprechendes Regierungsabkommen zwischen der Bundesrepublik und den Gläubigerstaaten im September des Jahres (vgl. dort Fn. 5) wandte sich Außenminister Vyšinskij an Stalin (Dok. 127). Er stellte die Londoner Verhandlungen als einen Bruch des Potsdamer Abkommens dar, verwies auf sowjetische Interessen in Bezug auf die Bezahlung der äußeren Besatzungskosten (vgl. dort Fn. 6) und schlug vor, dass die Regierung der DDR ähnlich wie im Jahr zuvor eine „Erklärung zum unrechtmäßigen Charakter separater Verhandlungen und jeglicher Vereinbarungen der Bonner Regierung mit den Regierungen der Westmächte bezüglich der Auslandsschulden Deutschlands“ (so der Entwurf für einen Politbürobeschluss, vgl. dort Fn. 9) abgeben solle. Stalin ging auf diesen Vorschlag, der auf langfristige Ansprüche an ein vereinigtes Deutschland abzielte, offensichtlich nicht ein, denn es erging keine entsprechende Erklärung der DDR-Regierung.



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Im Sommer 1951 erhoben die SED- und die SKK-Spitzen anlässlich des Beginns einer Konferenz der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) – einer Einrichtung der UNO zur internationalen Regelung der Funkfrequenzen – den Anspruch auf die Mitgliedschaft der DDR sowie auf Übertragung der für das ehemalige Deutsche Reich registrierten Frequenzen auf die DDR (vgl. Dok. 81 und dort Fn. 28 sowie Dok. 83). Das spezifische Interesse der DDRFührung wurde hierbei überlagert durch das Anliegen der UdSSR, die ITU solle auf Basis der vor dem Krieg kumulativ entstandenen Listen zur Frequenzverteilung weiterarbeiten und diese lediglich modifizieren und erweitern. Dies richtete sich gegen die auf der vorangegangenen Konferenz von Atlantic City 1947 getroffene Vereinbarung, die Verteilung der Rundfunkfrequenzen weltweit komplett neu zu organisieren.154 Auch vor diesem Hintergrund unterstützte die UdSSR den Antrag der DDR-Regierung auf Aufnahme in die ITU und ihren Protest gegen die Vergabe von Frequenzen des ehemaligen Deutschen Reiches an die Bundesrepublik aktiv mit eigener Diplomatie (vgl. Dok. 83 und dort Fn. 8–11). Die Ansprüche der DDR wurden von der ITU jedoch nicht anerkannt. Stattdessen wurde die Bundesrepublik am 31. März 1952 als vollberechtigtes Mitglied aufgenommen; die DDR trat der ITU erst 1973 bei (vgl. dort Fn. 11). 1.3 Deutsch-deutsche Dimensionen von Innenpolitik In ihrem Werben um einzelne gesellschaftliche Gruppen zeigte sich die Staatsmacht in der DDR janusköpfig: Sie bemühte sich um Attraktivität, Akzeptanz und Zustimmung, zugleich weitete sie nach Möglichkeit ihren Einfluss und ihre Kontrolle auf die verschiedenen Sphären und Institutionen der Gesellschaft aus. Auf grundlegende Kritik oder auf Versuche der Selbstorganisation außerhalb der staatlich organisierten Räume reagierte sie zunehmend repressiv. Diese Doppelgesichtigkeit zeigte sich etwa in der Wissenschafts- und Kulturpolitik. Das Politbüro des ZK der SED und in der Folge die Regierung beschlossen mehrfach Programme, die die Arbeits- und Lebensbedingungen für Wissenschaftler und technische Fachleute in der DDR verbessern sollten. Misstrauen erregte zunächst die 1950 noch gängige Praxis, dass Ost-Berliner Studenten an der West-Berliner Technischen Universität eingeschrieben waren. Um das von Čujkov formulierte Ziel zu erreichen, „dass die Republik in den nächsten Jahren sehr viele Spezialisten benötige, die ihr ganz und gar ergeben seien“ (Dok. 27), wurde in den folgenden Jahren die Gründung von

154  Vgl. George A. Codding jr., Broadcasting Without Barriers, Paris 1959, S. 104–106.

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technischen Fakultäten und Hochschulen in der DDR forciert (vgl. dort Fn. 23). Ab 1951 belegen die Quellen Bemühungen, die DDR als Wissenschaftsstandort für Akademiker attraktiver zu machen. Die Abwanderung von Wissenschaftlern und vor allem technischen Fachleuten in die Bundesrepublik wurde seit dieser Zeit als Problem angesehen (und auch in den Gesprächsprotokollen benannt), auf das man mit Beschlüssen zu höheren Gehältern, Renten oder Rationen reagierte (vgl. Dok. 74, Fn. 7 und Dok. 102, Fn. 3, 5 und 6). Sie wurden flankiert durch Bemühungen, wissenschaftliche Gesellschaften analog zu westdeutschen Strukturen, aber staatlich initiiert und kontrolliert, zu gründen und die Zahl der Konferenzen zu erhöhen, zu denen dann Teilnehmer aus sozialistischen Staaten eingeladen werden sollten (vgl. Dok. 81, Fn. 22). Anfangs bestand auch die Hoffnung, über die Ausrichtung gesamtdeutscher Konferenzen das Interesse westdeutscher Wissenschaftler zu wecken und diese sogar abwerben oder anderweitig beeinflussen zu können (vgl. Dok. 74 sowie Dok. 75 und dort Fn. 11). Die vor allem für Grundlagenforschung zuständige, aber damit langfristig auch für die Entwicklung der Industrie bedeutsame Akademie der Wissenschaften wurde 1951 einerseits aufgewertet, indem man sie direkt dem Ministerpräsidenten unterstellte, andererseits aber in höherem Maße politischen und wirtschaftlichen Vorgaben unterworfen und in ihrer Organisationsstruktur gestrafft und hierarchisiert.155 Grotewohl fasste diese Ambivalenz in den „vereinbarten Grundsätzen“ der Akademie vom 30. November 1951 in einem Satz zusammen: Die Akademie sei „die höchste wissenschaftliche Institution, die sich den Plangrundlagen des Staates eingliedern muß“ (vgl. Dok. 81, Fn. 24). In derselben Unterredung am 10. September 1951, in der über die Akademie der Wissenschaften gesprochen wurde, fasste man auch eine „Reorganisation der Akademie der Künste“ ins Auge (Dok. 81). Um die von Akademiemitglied Johannes R. Becher prominent geforderte aktivere Kulturpolitik der Akademie durchzusetzen,156 versuchte man nun, mit sanften Mitteln der Überredung den in der DDR-Öffentlichkeit zwar geachteten, aber eigenwilligen und nicht immer der aktuellen Parteilinie folgenden Akademiepräsidenten Arnold Zweig zum Rücktritt zu überreden. Dafür bat Grotewohl nun die SKK, Zweig einen Kuraufenthalt in der Sowjetunion zu ermöglichen, um in dessen Abwesenheit die Umstrukturierung der Akademie vorzubereiten und 155  Vgl. Peter Nötzoldt, Die Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin in Gesellschaft und Politik. Gelehrtengesellschaft und Großorganisation außeruniversitärer Forschung 1946–1972, in: Die Berliner Akademien der Wissenschaften im geteilten Deutschland 1945–1990. Herausgegeben von Jürgen Kocka unter Mitarbeit von Peter Nötzoldt und Peter Th. Walther, Berlin 2002, S. 39–80, hier S. 49–50. 156  Vgl. Matthias Braun, Kulturinsel und Machtinstrument. Die Akademie der Künste, die Partei und die Staatssicherheit, Göttingen 2007, S. 58.



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Zweig nachgiebig zu stimmen. Zweig, der im Frühjahr 1952 knapp zwei Monate in ärztlicher Betreuung in Moskau und auf der Krim verbrachte (vgl. dort Fn. 33), war jedoch auch danach nicht sofort bereit, sein Amt niederzulegen und das Feld dem internen Kontrahenten Becher zu überlassen. Das Politbüro inszenierte daraufhin zunächst eine Kampagne gegen die DEFAVerfilmung des Zweig-Romans „Das Beil von Wandsbek“. Nachdem Zweig Ende des Jahres schließlich um Beurlaubung gebeten hatte, konnte Becher, dessen „Wahl“ das Politbüro am 27. Juni beschlossen hatte, die Geschäfte übernehmen; im April 1953 wurde er dann ohne Gegenkandidaten von der Akademie zum Präsidenten gewählt (vgl. dort Fn. 34). In einem Spannungsfeld zwischen organisierter und gesteuerter Mobilisierung und Repression bewegte sich auch die Jugendpolitik der ersten Jahre in der DDR. Mit großem organisatorischem Aufwand und begleitet von einer Propagandakampagne, die gezielt auch Jugendliche in Westdeutschland ansprechen sollte, bereitete die formal überparteiliche, aber längst von der SED gelenkte FDJ das für Pfingsten 1950 angesetzte erste „Deutschlandtreffen der Jugend“ in Berlin vor (die symbolische Überschreibung des christlichen Pfingstfestes war beabsichtigt). Dieses erste Treffen dieser Art, an dem laut DDR-Angaben etwa 700 000 Jugendliche teilnahmen (darunter 30 000 aus Westdeutschland), wurde von den Funktionären der SED und FDJ mit derart kämpferischer Rhetorik aufgeladen, dass die SKK die deutschen Kommunisten mäßigen musste (vgl. Dok. 21 und dort Fn. 16), da sie an ungeplanten Zwischenfällen im noch ungeteilten Berlin kein Interesse haben konnte. Insbesondere der in dem entsprechenden Memorandum der SKK auch namentlich erwähnte FDJ-Vorsitzende Erich Honecker hatte zuvor mit nachgerade revolutionärem Ungestüm einen „Marsch auf [West-]Berlin“ angekündigt.157 Im Westen wurde die Rhetorik tatsächlich ernst genommen, zumal es im Vorfeld zu Zusammenstößen zwischen Provokateuren der FDJ und WestBerliner Polizeikräften gekommen war, die wiederum in der DDR-Presse aufgebauscht wurden (vgl. Dok. 25 und dort Fn. 18). Bereits zwei Monate zuvor hatten allerdings die Innenminister der Länder und Vertreter des gesamtdeutschen Ministeriums beraten, inwiefern eine Teilnahme westdeutscher Jugendlicher durch die Nichtausstellung von Interzonenpässen oder andere Maßnahmen verhindert werden könne (vgl. Dok. 40 und dort Fn. 21). Zudem plante die FDJ für den Sommer 1950 weitere Jugendtreffen sogar in westdeutschen Städten (vgl. dort Fn. 29). Die westdeutsche Polizei reagierte mitunter sehr ungeschickt auf diese Initiativen zur Mobilisierung Jugend­ licher. So sperrte man bei Lübeck für Rückkehrer vom Deutschlandtreffen „wegen Seuchengefahr“ zeitweise den Grenzübergang und lieferte der DDR157  Vgl. Michael Lemke, Vor der Mauer. Berlin in der Ost-West-Konkurrenz 1948 bis 1961, Köln/Weimar/Wien 2011, S. 142–143.

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Propaganda damit eine Steilvorlage (vgl. dort Fn. 13). Teile der SED-Führung befanden sich während des Sommers 1950 in einer Art revolutionärer Illu­ sionsphase. In einer Zeit, in der sie selbst ihre Herrschaft in der DDR gegen eine latent unzufriedene Bevölkerungsmehrheit erst noch festigen musste, hoffte sie auf den Sturz der Adenauer-Regierung durch die Mobilisierung unzufriedener Bevölkerungsgruppen in Westdeutschland glaubte diesen durch Massenagitation vorbereiten zu können. Im Fokus standen dabei traditionell die Arbeiter, bald aber auch zunehmend mit der Regierung unzufriedene bürgerliche Kreise – und von Anfang an aber auch die Jugend, die als beeinflussbar angesehen wurde und im Denken der SED-Führung zugleich die Zukunft eines sozialistischen Gesamtdeutschlands verkörperte. Die Kehrseite der Mobilisierung Jugendlicher in der DDR war die Verfolgung von Jugendlichen, die sich außerhalb der offiziell genehmigten Formen und der zentralisierten Organisationen wie der FDJ bewegten. Während des erwähnten „Deutschlandtreffens“ hatte eine Gruppe aus Thüringen angereister Jugendlicher West-Berlin besucht und war dort laut Berichten des MfS in Kontakt mit dem RIAS und der „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ gekommen (vgl. Dok. 96, Fn. 18). Wegen der Verbreitung von Flugblättern, einzelner Störaktionen und teilweise auch der Zugehörigkeit zu einer geheimen unabhängigen Jugendvereinigung unter dem Namen „Freie Gemeinschaft“ wurden diese und eine Reihe weiterer Jugendlicher Anfang Januar 1951 in Jena verhaftet; zehn von ihnen verurteilte anschließend ein Sowjetisches Militärtribunal zu langjähriger Zwangsarbeit. Die Jugendlichen wurden Anfang 1952 begnadigt (und dennoch von den Behörden der DDR nur zögerlich freigelassen, vgl. Dok. 96), doch zeigte sich hier, mit welcher Härte die Repressionsorgane der DDR und die Besatzungsmacht selbst gegen Jugendliche vorgingen, wenn sie sich in ihrem Herrschaftsanspruch herausgefordert sahen, insbesondere wenn dabei Westkontakte im Spiel waren. Seine Verbindung zum Westen wurde auch Josef Reimann, dem Sohn des KPD-Vorsitzenden Max Reimann, zum Verhängnis. Josef Reimann, der offensichtlich Schwierigkeiten hatte, sich zwischen der DDR und der Bundesrepublik zu entscheiden, war im März 1951 bei seiner freiwilligen Rückkehr in die DDR vom MfS verhaftet und vernommen worden. Wie Semenov der SED-Führung (im Kontext der Begnadigung der Jenaer Jugendlichen) berichtete, warf man ihm Spionage im Auftrag der Engländer vor; Reimann wurde im darauffolgenden Jahr zu einer Haftstrafe verurteilt (vgl. Dok. 96 und dort Fn. 20). Der Anfang der 1950er Jahre in der DDR gängige Vorwurf der „Spionage“, der für die Beschuldigten schwerste Folgen haben konnte, ist auch aus heutiger Sicht nicht immer eindeutig zu bewerten. Er war Ausdruck des durch die unmittelbare Konfrontation mit dem westlichen Gegenstaat bei weitgehend offenen Grenzen verfestigten Welt- und Feindbildes stalinisti-



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scher Funktionäre, die im Innern wie im Äußeren Feinde ihrer Ordnung am Werk sahen, derer sie habhaft zu werden suchten. Andererseits gab es in der Tat nicht unerhebliche Aktivitäten westlicher Geheimdienste in der DDR, die, vor allem was die Dienste der westlichen Besatzungsmächte und die von ihnen angeworbenen Zuträger betrifft, bis heute nicht quantifizierbar sind.158 Die Strafverfolgungen wurden in diesen Fällen allerdings zumeist von den sowjetischen Repressionsorganen durchgeführt und folgten deren Logik und spezifischen Methoden.159 Die Zuständigkeiten sowjetischer Militärtribunale (SMT) für deutsche Staatsbürger in der DDR waren im Spätsommer 1950 modifiziert worden. Auf einen Vorschlag der SKK hin, der vom Politbüro des ZK der VKP (b) nicht formell beschlossen, dann aber weitgehend angewandt wurde, sollten jene nur noch in besonderen Fällen Gerichtsverhandlungen über Deutsche führen. Zu diesen besonderen Fällen gehörten jedoch sogenannte „Staatsverbrechen“ nach Artikel 58 des Strafgesetzbuches der RSFSR, unter denen Artikel 58-6, der „Spionage“ betraf, am häufigsten angewandt wurde.160 Dies bedeutete seit der Wiedereinführung der Todesstrafe in der UdSSR am 12. Januar 1950, dass in als schwerwiegend angesehenen Fällen sowjetische Militärtribunale seit 1950 Todesurteile gegen deutsche Staatsbürger verhängen konnten. Davon waren in den Jahren bis 1953 knapp 1 000 Deutsche betroffen, die in nichtöffentlichen Prozessen verurteilt, nach Moskau überführt und dort durch Erschießung hingerichtet wurden (vgl. Dok. 49, Fn. 3). Solche Urteile wurden nur in Ausnahmefällen und zu Abschreckungs- oder propagandistischen Zwecken bekanntgegeben; die Frage der Geheimhaltung oder Veröffentlichung galt als so wichtig, dass darüber an höchster Stelle entschieden wurde.161 Ein erster Vorschlag dieser Art kam im Oktober 1950 vom Minister für Staatssicherheit der UdSSR Viktor Abakumov sowie von Čujkov, die von der Verhaftung dreier Gruppen deutscher „Spione“ im amerikanischen bzw. britischen Auftrag berichteten. Das Politbüro stimmte am 23. Oktober ihren Vorschlägen zu, beauftragte das Militärtribunal mit der Abhaltung der Prozesse und legte außerdem fest, wann die Gerichtsverfahren stattfinden sollten. Mit der Veröffentlichung in der deutschsprachigen Presse

158  Laut nicht verifizierten Angaben hatte die CIA Mitte der 1950er Jahre angeblich über 1500 Quellen in der DDR, vgl. Armin Wagner/Matthias Uhl, BND contra Sowjetarmee. Westdeutsche Militärspionage in der DDR, hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Berlin 2007, S. 38. 159  Vgl. Andreas Hilger/Nikita Petrow, „Im Namen der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken“. Sowjetische Militärjustiz in der SBZ/DDR von 1945 bis 1955, in: Erschossen in Moskau, S. 19–35, hier S. 21–22. 160  Vgl. ebenda, S. 30. 161  Vgl. ebenda, S. 32–33.

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der DDR wurde Čujkov beauftragt, mit der Vorbereitung der Verfahren das MGB (Dok. 49). Aus einer späteren Aufzeichnung des Leiters der Dritten Europäischen Abteilung des MID Gribanov vom 23. Juli 1952 geht hervor, wie die Tätigkeit von „Spionen“ im Auftrag westlicher Organisationen aus sowjetischer Sicht beurteilt wurde und welche Maßnahmen die Strafverfolgungsorgane der DDR und der UdSSR dagegen bereits unternommen hätten (Dok. 117). 1.4 Der Umgang mit dem NS-Erbe und den Kriegsgefangenen in beiden deutschen Staaten Im Umgang mit der NS-Vergangenheit und -Belastung von Einzelpersonen oder Personengruppen zeigten sich trotz grundsätzlicher Unterschiede in beiden deutschen Staaten in der hier betrachteten Zeit auch manche Parallelen und Ähnlichkeiten. Neben der sehr unterschiedlich gehandhabten juristischen Verfolgung von NS- und Kriegsverbrechern strebten beide Staaten auf ihre Weise die Reintegration und Rehabilitierung von Personengruppen an, die zwar durch Parteimitgliedschaft oder andere Zugehörigkeiten oder Ämter als belastet galten, die aber darüber hinaus keiner schweren individuellen Verbrechen beschuldigt wurden. In der bundesdeutschen Öffentlichkeit herrschte nach der Entnazifizierung durch die Alliierten und den Kriegsverbrecherprozessen bis in kirchliche Kreise hinein eine Stimmungslage vor, die nicht die weitere juristische Verfolgung von NS-Tätern anstrebte, sondern eine weitestgehende Amnestie forderte. Die Bundesregierung übernahm diese Forderungen in moderater Form, wusste aber um die Grenzen ihrer Möglichkeiten, vor allem was die Amnestierung verurteilter Kriegsverbrecher durch die Alliierten Hohen Kommissare betraf. So bat etwa Adenauer den USamerikanischen Hochkommissar John McCloy, die Todesstrafen zu erlassen.162 McCloy ließ in der Folgezeit Gnadengesuche für verurteilte Kriegsverbrecher prüfen (vgl. Dok. 41, Fn. 16). Die Besatzungsmächte entschieden sich schließlich, einzelne Todesstrafen in Haftstrafen umzuwandeln und bei weniger schwerwiegenden Fällen Verurteilte zu entlassen. Eine General­ amnestie lehnten sie jedoch angesichts der Schwere vieler Verbrechen ab (vgl. Dok. 93, Fn. 5). Als im Sommer 1950 – vor dem Hintergrund des Koreakrieges – eine Debatte um einen möglichen Wehrbeitrag der Bundesrepublik zur Verteidigung Westeuropas begann, wurde die Frage der Rehabilitierung ehemaliger Wehrmachtsangehöriger zusätzlich mit der Debatte um die mögliche Aufstellung neuer deutscher militärischer Einheiten verknüpft: Die Autoren der 162  Vgl. Alan Thomas Schwartz, Die Begnadigung deutscher Kriegsverbrecher. John J. McCloy und die Häftlinge von Landsberg, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jg. 38 (1990) 3, S. 375–414, hier S. 382.



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Himmeroder Denkschrift163 vom 9. Oktober 1950 etwa – in der Möglichkeiten eines bundesdeutschen Verteidigungsbeitrags skizziert wurden –, aber auch Adenauer selbst vertraten die Position, dass der Rekrutierung deutscher Soldaten eine weitestgehende Amnestierung der letzten Kriegsgefangenen und damit die Gleichberechtigung der Deutschen vorausgehen solle.164 Nach dieser Vorstellung bestand die Voraussetzung für den Aufbau einer neuen Demokratie und ihrer Wehrhaftigkeit gegenüber der kommunistischen He­ rausforderung gerade nicht in der systematischen Aufarbeitung von NS-Verbrechen. Sie lag vielmehr im Selbstverständnis der frühen Bundesrepublik und ihrer Führungseliten in der zielgerichteten Integration und Rehabilitierung zumindest der sogenannten Mitläufer des NS-Regimes, die Befehle befolgt, aber keine schweren Verbrechen begangen hätten (vgl. Dok. 41 und dort Fn. 17), und sie schloss letztlich auch die Begnadigung der verurteilten Kriegsverbrecher ein.165 In diesem Sinne äußerte sich auch der über gute Kontakte nach Großbritannien verfügende ehemalige Wehrmachtsgeneral Gerhard Graf von Schwerin, der 1950 für einige Monate als Berater des Bundeskanzlers für Militärund Sicherheitsfragen wirkte. In einer Vorlage für Adenauers Gespräch mit den Alliierten Hohen Kommissaren am 17. August 1950, das Adenauer selbst in der Rückschau als entscheidende Wegmarke für den Neuaufbau einer deutschen Armee betrachtete (vgl. Dok. 41 und dort Fn. 2), sah von Schwerin in der ungenügenden Sicherung des Bundesgebiets und in der fehlenden Souveränität des deutschen Volkes „die Ursache negativer, teilnahmsloser, selbstsüchtiger und stark defaitistischer Einstellung der Bevölkerung“. Sowohl für die äußere als auch für die innere Sicherheit, vor allem gegenüber der „fünften Kolonne“ (der befürchteten Infiltrierung durch kommunistische Kräfte, vgl. Dok. 41, Fn. 8), schlug Adenauers Berater die Aufstellung einer mobilen und bewaffneten Bundespolizei von zunächst 25 000 Mann vor (vgl. Dok. 41 und dort Fn. 11); dieses Konzept wurde allerdings auf der New Yor163  Vgl. Hans-Jürgen Rautenberg/Norbert Wiggershaus, Die „Himmeroder Denkschrift“ vom Oktober 1950. Politische und militärische Überlegungen für einen Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur westeuropäischen Verteidigung, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 21 (1977), S. 135–206, hier S. 169 und 188–189. 164  Vgl. Annette Weinke, Die Verfolgung von NS-Tätern im geteilten Deutschland. Vergangenheitsbewältigungen 1949–1969, oder: Eine deutsch-deutsche Beziehungsgeschichte im Kalten Krieg, Paderborn/Wien/München/Zürich 2002, S. 54–55. Diese Forderung der Himmeroder Denkschrift mündete schließlich in die sogenannten „Ehrenerklärungen“, die NATO-Oberbefehlshaber Eisenhower und später auch Adenauer für die ehemaligen Wehrmachtssoldaten (sofern sie keine Kriegsverbrechen verübt hätten) abgaben, vgl. Wettig, Entmilitarisierung und Wiederbewaffnung, S. 400–401, und BT Stenographische Berichte, 240. Sitzung, 3. Dezember 1952, S. 11141. 165  Vgl. Jeffrey Herf, Divided Memory. The Nazi Past and the Two Germanys, Cambridge, Mass./London 1997, S. 267–271.

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ker Außenministerkonferenz von den Alliierten abgelehnt.166 Darüber hinaus sollten mit den Alliierten Verhandlungen über den Aufbau militärischer Formationen geführt werden – möglicherweise auf Grundlage der „Dienstgruppen“, die bereits zuvor vor allem für technische Dienstleistungen von den Besatzungsmächten aus Wehrmachtsveteranen gebildet worden waren (vgl. Dok. 41, Fn. 19). Für die seiner Ansicht nach erforderliche „Aufhebung der die ehemaligen Soldaten entehrenden und diffamierenden Bestimmungen“ riet von Schwerin in einer etwas widersprüchlichen Formulierung zu „Begnadigungsaktionen bei denjenigen ehemaligen deutschen Offiziere[n] und Soldaten, die von alliierten Militärgerichten wegen nicht kriminell gearteter Kriegsverbrechen verurteilt wurden“. Adenauer verwendete die Vorlage von Schwerins nicht in ihrer Gesamtheit. Von Schwerin, der sich seit Mai 1950 mit Szenarien eines möglichen sowjetischen Angriffs beschäftigte und nach Möglichkeiten suchte, „um die Katastrophe zu mildern“ (vgl. Dok. 41, Fn. 3), und der für weitergehende Planungen zudem die Himmeroder Tagung organisierte, wurde bereits im Oktober 1950 von Adenauer wieder entlassen und in seiner Rolle als Berater in militärischen Fragen durch den CDU-Abgeordneten und Gewerkschafter Theodor Blank ersetzt (vgl. dort Fn. 21). Für die DDR zeigt sich eine scheinbar widersprüchliche Entwicklung. Hier führte die zentrale Bedeutung des offiziellen „Antifaschismus“ als Legitimationsquelle des neuen Staates zu einer politischen Instrumentalisierung des Täterbegriffs, die sich darin zeigte, dass in zunehmendem Maße nicht tatsächliche NS-Verbrecher, sondern „Feinde des sozialistischen Aufbaus“ als „Faschisten“ in den Blick einer politisierten Strafjustiz gerieten.167 Als Entnazifizierungsmaßnahmen wurden aber auch die beiden frühen Enteignungswellen in der SBZ, die Bodenreform und die Sequestrierung und spätere Enteignung mittlerer und großer Handwerks- und Industriebetriebe dargestellt (vgl. Dok. 90, Fn. 22), durch die gleichzeitig mit der gewünschten gesellschaftlichen Umgestaltung vermeintlich auch der Bruch mit der NS-Vergangenheit vollzogen worden sei. Der am 30. Dezember 1949 im Politbüro des ZK der VKP (b) und im Ministerrat der UdSSR getroffene168 und am 17. Januar 1950 in der DDR166  Vgl. Dokumente zur deutschen Militärgeschichte 1945–1990. Bundesrepublik und DDR im Ost-West-Konflikt. Im Auftrag des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr hrsg. von Christoph Nübel, Berlin 2019, S. 119–121. 167  Vgl. Annette Weinke, Die Verfolgung von NS-Tätern im geteilten Deutschland. Vergangenheitsbewältigungen 1949–1969, oder: Eine deutsch-deutsche Beziehungsgeschichte im Kalten Krieg, Paderborn/Wien/München/Zürich 2002, S. 63. 168  Vgl. Sowjetische Speziallager in Deutschland 1945 bis 1950, hrsg. von Sergej Mironenko, Lutz Niethammer, Alexander von Plato (Koordination) in Verbindung mit Volkhard Knigge und Günter Morsch, Bd. 2: Sowjetische Dokumente zur Lagerpolitik, eingeleitet und bearbeitet von Ralf Possekel, Berlin 1998, S. 364–366.



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Presse verkündete Beschluss, die sowjetischen Speziallager in Buchenwald, Sachsenhausen und Bautzen aufzulösen, sah die Entlassung eines Großteils der dort inhaftierten Deutschen vor. 10 513 als Kriegsverbrecher verurteilte Personen wurden jedoch zur Verbüßung ihrer Haftstrafen an das Innenministerium der DDR überstellt, weitere 3432 Internierte, über die noch kein Urteil gefallen war, wurden an dasselbe Innenministerium „zur Untersuchung ihrer verbrecherischen Tätigkeit und Aburteilung durch das Gericht der Deutschen Demokratischen Republik“ übergeben.169 Diese Inhaftierten wurden im Frühjahr 1950 in den sogenannten „Waldheimer Prozessen“ in summarischen Schnellverfahren zu Haftstrafen zwischen 10 und 25 Jahren verurteilt; dabei wurden auch 32 Todesurteile ausgesprochen (vgl. Dok. 90, Fn. 26). Die Urteile sollten einem internen Protokoll zufolge mit Blick auf die bevorstehenden Oktoberwahlen zügig und ohne „[f]ormaljuristische Bedenken“ gefällt werden; sie folgten der Logik, dass die Inhaftierten, wären sie unschuldig gewesen, von der sowjetischen Militärjustiz freigelassen worden wären.170 Während die politische Justiz der DDR mit den „Waldheimer Prozessen“ ein Exempel an teils stark Belasteten, mehrheitlich aber im Sinne der Anklagen Unschuldigen statuierte und damit symbolisch ihre rigorose Abrechnung mit der NS-Vergangenheit inszenierte,171 verfolgte die SED parallel dazu längst eine Linie, die der Entwicklung in der frühen Bundesrepublik nicht völlig unähnlich war. Sie zielte auf die Integration der als weniger stark belastet geltenden ehemaligen Parteimitglieder, Funktionsträger oder Wehrmachtsangehörigen ab.172 Für eine entsprechende „[t]aktische Linie bei Behandlung der Nazimitglieder“ (­Pieck notierte dazu: „differenzieren – aktive Nazi weiter wie bisher bekämpfen nominelle Mitglieder der Nazipartei he­ ranziehen“) hatte ­Pieck bereits im Januar 1946 das Einverständnis Stalins erhalten.173 Obwohl noch in Waldheim vermeintliche und wirkliche NS-Täter teils auf bloße Verdachtsmomente, teils auch auf gänzlich konstruierte Anschuldigungen hin verurteilt wurden, hatte die SED bereits 1946 als erste deutsche Partei nach dem Krieg die Mitgliedschaft ehemaliger Angehöriger der NSDAP zugelassen.174 Im Jahr 1951 war der Anteil ehemaliger NSDAPMitglieder in der SED mit etwa 8 Prozent sogar höher als der Anteil ehemaliger Sozialdemokraten, der nach verschiedenen Säuberungswellen nur noch 169  Vgl.

Neues Deutschland, 17. Januar 1950, S. 1. Wolfgang Eisert, Die Waldheimer Prozesse. Der stalinistische Terror 1950. Ein dunkles Kapitel der DDR-Justiz, Esslingen/München 1993, S. 65. 171  Vgl. Annette Weinke, Die Verfolgung von NS-Tätern im geteilten Deutschland. Vergangenheitsbewältigungen 1949–1969, oder: Eine deutsch-deutsche Beziehungsgeschichte im Kalten Krieg, Paderborn/Wien/München/Zürich 2002, S. 71. 172  Vgl. ebenda, S. 64–67 und 333–334. 173  Vgl. Badstübner/Loth, S. 63. 174  Vgl. Foitzik, Interessenpolitik, S. 124. 170  Vgl.

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6,5 Prozent betrug; verschiedenen Gliederungen der NSDAP hatten insgesamt etwa 19 Prozent aller damaligen SED-Mitglieder angehört.175 Kurz nach Gründung der DDR wurde das „Gesetz über den Erlaß von Sühnemaßnahmen und die Gewährung staatsbürgerlicher Rechte für ehemalige Mitglieder und Anhänger der Nazipartei und Offiziere der faschistischen Wehrmacht“ vom 11. November 1949 (in Kraft getreten am 17. November) verabschiedet.176 Einem entsprechenden Vorschlag der SED, der auf die „Wiederherstellung des Wahlrechts für ehemalige Nazis“ und des Rechts auf Berufsausübung (mit Ausnahme der Arbeit bei der Polizei, der Verwaltung des Innern, beim Brandschutz und bei den Justizorganen) zielte, hatte das Politbüro des ZK der VKP (b) bereits am 28. September zugestimmt; der entsprechende Gesetzentwurf wurde vom selben Gremium am 11. Oktober bestätigt.177 Überlegungen, dieses Gesetz zu modifizieren, gingen 1951 offensichtlich von Ulbricht aus. Geplant war eine Regierungsdirektive, durch die ehemalige HJ- und BDM-Mitglieder von den im Gesetz benannten Einschränkungen für ehemalige Mitglieder der „NSDAP oder deren Gliederungen“ (vgl. Dok. 78, Fn. 2) ausgenommen werden sollten, so dass jene wegen ihrer „aktive[n] Beteiligung … am demokratischen Aufbau der Republik“ nun auch zum Dienst in den Innen- und Justizverwaltungen zugelassen werden konnten. Ein Grund für diesen Vorschlag könnten – sofern nicht propagandistische Ziele im Vordergrund standen – Personalprobleme bei der Rekrutierung in die öffentlichen Dienste gewesen sein. Nachdem die SKK und das MID zugestimmt hatten, berichtete Gromyko am 30. Juli 1951 an Stalin über ­Ulbrichts Initiative (Dok. 78); am selben Tag beschloss das Politbüro des ZK der VKP (b) eine zustimmende Weisung an die SKK (vgl. dort Fn. 5), die jedoch aus nicht bekannten Gründen in der DDR keinen entsprechenden Beschluss nach sich zog. Genau ein Jahr später wurde jedoch die 1951 nur für die Mitglieder der nationalsozialistischen Jugendorganisationen geplante Wiederherstellung der vollen staatsbürgerlichen Rechte auf alle ehemaligen Parteimitglieder und Wehrmachtsoffiziere ausgeweitet. Ausgenommen blieben nach wie vor wegen „Kriegsverbrechen oder anderer Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ gerichtlich verurteilte „Mitglieder oder Anhänger der NSDAP“ (vgl. Dok. 120 und dort Fn. 3). Dokumentiert ist in dieser Edition ein chiffriertes Telegramm 175  Vgl. Jan Foitzik, Die stalinistischen ‚Säuberungen‘ in den ostmitteleuropäischen Parteien. Ein vergleichender Überblick, in: Stalinistischer Terror und ‚Säuberungen‘ in den kommunistischen Parteien Europas seit den dreißiger Jahren. Herausgegeben von Hermann Weber und Dietrich Staritz in Verbindung mit Siegfried Bahne und Richard Lorenz, Berlin 1993, S. 401–415, hier S. 414–415 und Anm. 56. 176  Vgl. UdF 4, S. 677, Anm. 395. 177  Vgl. ebenda, S. 469 und 502.



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des stellvertretenden Außenministers Gromyko an die Führung der SKK, welche zuvor einen entsprechenden Vorschlag nach Moskau gesandt hatte. Die für solche grundsätzlichen Fragen üblichen Wege des Schriftverkehrs und der Beschlussfassung an höchster Stelle lassen sich damit anhand dieser beiden miteinander zusammenhängenden Vorgänge nachvollziehen. Im September 1952 bestätigten dann – ebenfalls nach dem üblichen Muster – zunächst das Politbüro des ZK der SED und daraufhin der Ministerrat der DDR den Gesetzentwurf. Das Integrationsangebot an ehemalige Funktionsträger des NS-Staates und Militärs der Wehrmacht hatte zugleich eine deutsch-deutsche Komponente. So war auch in der „Stalin-Note“ vom 10. März 1952 vorgesehen, ihnen „die gleichen politischen und bürgerlichen Rechte wie allen anderen deutschen Bürgern“ zu gewähren.178 Die DDR warb verstärkt seit 1951 auch um national gesinnte Kreise in der Bundesrepublik, die mit der strikten Politik der Westbindung und der damit vorläufig einhergehenden Verfestigung der deutschen Teilung unzufrieden sein mochten (Dok. 39).179 Zur selben Zeit wie das Gesetzesvorhaben über die Gewährung der vollen staatsbürgerlichen Rechte (Ende Juli/Anfang August 1952, vgl. Dok. 120) wurde auch eine „Überprüfung der in Waldheim verurteilten Nazi- und Kriegsverbrecher an Hand der Akten zwecks Entlassung aus der Haft oder Verminderung der Strafen“ beschlossen (vgl. Dok. 102, Fn. 13), die im September 1952 tatsächlich zu einer Teilamnestie der Inhaftierten führte. Semenov hatte Ulbricht bereits am 17. März des Jahres dazu geraten, zu überprüfen, „wer von den Verurteilten keine konkreten Verbrechen begangen hat“ (Dok. 102). Ob der Einsatz Joseph Wirths für in Waldheim verurteilte Gefangene drei Monate zuvor (Dok. 90) diese Überlegungen beeinflussen konnte, lässt sich nicht nachweisen. Ulbricht machte in der Unterredung mit Semenov am 17. März 1952 (hier bezogen auf die Neugründung der Veteranenorganisation „Stahlhelm“) aus der intendierten Doppelgleisigkeit der SED-Politik gegenüber dem NS-Erbe in der DDR keinen Hehl: Es sei „unbedingt erforderlich, den reaktionären Elementen, die ihr Haupt erheben, Schläge zu versetzen und gleichzeitig einige Schritte zur Amnestierung inhaftierter ehemaliger Nazis zu unternehmen“ (Dok. 102). Was für die Gegenwart als Gefahr wahrgenommen wurde, sollte bekämpft, was in der Vergangenheit zu liegen schien, sollte ruhen gelassen werden. Ein Thema von großer symbolischer Aufladung für die Deutschen in Ost und West waren zu dieser Zeit die in der Sowjetunion inhaftierten Kriegsgefangenen. Sie überstiegen zahlenmäßig bei Weitem die in den Gefängnissen der Westalliierten verbliebenen Kriegsgefangenen; zudem war über ihr 178  Vgl. 179  Vgl.

DDS 1, S. 292. dazu allgemein Lemke, Einheit oder Sozialismus, S. 194–197.

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Schicksal weit weniger bekannt, was auch zu überhöhten Schätzungen in Bezug auf ihre Anzahl führte. Während die sinkenden Zahlen deutscher Kriegsgefangener – bei denen es sich nunmehr ausschließlich um verurteilte Kriegsverbrecher handelte – in westlichen Staaten bzw. in den alliierten Gefängnissen in Deutschland in diesen Jahren zwischen 1000 und 2000 lagen (vgl. Dok. 93, Fn. 5), blieben die Zahlen der in der UdSSR verbliebenen lange Zeit Gegenstand von Schätzungen des Roten Kreuzes sowie von Befürchtungen und Hoffnungen der Angehörigen. In den Jahren 1949 und 1950 wurden in der UdSSR Gerichtsverfahren gegen einen Großteil der verbliebenen Kriegsgefangenen durchgeführt, welche zumeist in Massenverfahren etwa wegen der Zugehörigkeit zu einer als verbrecherisch eingestuften Organisation oder Einheit zu Haftstrafen von bis zu 25 Jahren verurteilt wurden (vgl. Dok. 92, Fn. 5). Bei der Urteilsfindung wurde oftmals die Verfolgung tatsächlicher Kriegsverbrechen überlagert durch aktuellere sicherheitspolitische Erwägungen, die etwa den Verdacht auf konspiratives Verhalten im Lager, „Spionage“, Sympathie mit den Westmächten etc. betrafen. Diese Verquickungen verschleierten vielfach die Aussagekraft der Urteile in Bezug auf tatsächlich begangene Kriegsverbrechen bzw. die individuelle Schuld eines Angeklagten.180 Offensichtlich hatte Martin Niemöller diese Problematik im Sinn, als er während seines Aufenthaltes in Moskau mit dem stellvertretenden sowjetischen Außenminister Zorin zusammentraf. Denn er versuchte vorzufühlen, „ob nicht diejenigen unter ihnen [den Kriegsgefangenen], die wegen ihrer Zugehörigkeit zu verbrecherischen Organisationen verurteilt wurden, jedoch selbst keine Morde und andere Verbrechen begangen haben, freigelassen und nach Hause geschickt werden könnten“. Als Zorin entgegnete, es gebe keine solchen Fälle, und die von Niemöller beschriebenen Personen seien bereits freigelassen worden, bestätigte Niemöller die Rechtmäßigkeit der Urteile und verlegte sich auf das politische Argument, dass die Begnadigung eines Teils der verbliebenen Kriegsgefangenen helfen würde, in Westdeutschland „die feindliche Propaganda auszuschalten“ (Dok. 93). Obwohl Zorin keinerlei Zusagen machte, äußerte sich Niemöller nach seiner Rückkehr – möglicherweise auch um seine Reise gegenüber Kritikern zu rechtfertigen – verhalten optimistisch, dass seine Anliegen nun in der sowjetischen Regierung beraten würden (vgl. Dok. 100, Fn. 3). Am 2. April 1952 beschloss der Ministerrat der UdSSR die Repatriierung von 653 „ehemaligen Kriegsgefangenen und internierten Staatsbürgern Deutschlands“ (vgl. dort Fn. 4). Die Entlassung dieser Personen war allerdings u. a. wegen ihrer abgelaufenen Straffristen ohnehin geplant; ihre Rückkehr (die Ulbricht sogar 180  Vgl. Andreas Hilger, Sowjetische Justiz und Kriegsverbrechen. Dokumente zu den Verurteilungen deutscher Kriegsgefangener, 1941–1949, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jg. 54 (2006) 3, S. 461–515, hier S. 472–474.



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noch verhindern wollte) kann daher nicht als ein Entgegenkommen gegenüber Niemöller gewertet werden.181 Die Unklarheit hinsichtlich der Zahl zurückgehaltener Kriegsgefangener war durch eine Meldung der TASS eher vergrößert als beseitigt worden, die am 4. Mai 1950 den Abschluss der Rückführung von insgesamt fast 2 Mio. Kriegsgefangenen mit Ausnahme von 9717 verurteilten Kriegsverbrechern und 3815 Angeklagten, deren Verfahren noch liefen, verkündet hatte (vgl. Dok. 28, Fn. 6). Der Leiter der sowjetischen Mission in der DDR Puškin deutete gegenüber Dertinger an, die Meldung sei sogar auf dessen Anregung hin vor dem Jahrestag der deutschen Kapitulation veröffentlicht worden (Dok. 28). Den Vertretern der DDR blieb nichts anderes übrig, als die Richtigkeit dieser Angaben zu bestätigen und der Regierung der UdSSR zu danken (Dok. 30), sie wichen möglicherweise auch deswegen auf Bitten um Namenslisten aus. Nach westlichen Berechnungen, denen Schätzungen des Deutschen Roten Kreuzes zugrundelagen, konnten diese Zahlen nicht stimmen; am 14. Juli 1950 protestierten die Westmächte in getrennten, aber gleichlautenden Noten gegen die sowjetische Kriegsgefangenenpolitik.182 Laut sowjetischen Quellen hatte die Zahl der deutschen Kriegsgefangenen, gegen die Anklagematerial vorliege, 1949 etwa 37 000 betragen;183 Ende 1951 befanden sich laut späteren westdeutschen Schätzungen noch etwa 27 000 Kriegsgefangene und andere internierte Deutsche in der UdSSR (vgl. Dok. 92, Fn. 8). Für die Führung der DDR waren die in der UdSSR verbliebenen Kriegsgefangenen ein etwas heikles Thema. Einerseits drängte die deutsche Öffentlichkeit auf eine Lösung dieser Frage, wenigstens auf Informationen über die Vermissten; andererseits leitete man Anfragen dieser Art eher zögerlich an sowjetische Stellen weiter, und wenn, dann ging es vor allem um Verstorbenenlisten zur Information der Angehörigen (vgl. etwa Dok. 19 und dort Fn. 22). Auch Außenminister Dertinger bat seine sowjetischen Gesprächspartner um mehr Transparenz in der Kriegsgefangenenfrage und schlug vor, die Angehörigen der Lebenden über deren Urteile und Haftdauer zu informieren, „damit vollständige Klarheit in unserem Volke geschaffen wird, wer noch am Leben ist und wer nicht“ (Dok. 28). Als Dertinger Anfang 1951 Puškin für von der UdSSR gewährte Erleichterungen für Kriegsgefangene beim Briefverkehr dankte, betonte er den „ausserordentlich positive[n] psy181  Vgl. Andreas Hilger, Faustpfand im Kalten Krieg? Die Massenverurteilungen deutscher Kriegsgefangener 1949/50 und die Repatriierung Verurteilter 1950 bis 1956, in: Sowjetische Militärtribunale, Bd. 1: Die Verurteilung deutscher Kriegsgefangener 1941–1953, hrsg. von Andreas Hilger, Ute Schmidt und Günther Wagenlehner, Köln/Weimar/Wien 2001, S. 211–271, hier S. 251–252. 182  Vgl. DzD II, 3, S. 260–262. 183  Vgl. Foitzik, Interessenpolitik, S. 504–505.

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chologischen Wert“, den solche Erleichterungen für die gesamtdeutschen Initiativen der DDR hätten (Dok. 64). In ähnlicher Weise argumentierte im Übrigen auch Niemöller, als er sich zur Vorbereitung seines Treffens mit Zorin mit dem Leiter der DDR-Mission in Moskau Appelt austauschte: Er setzte – ob aus taktischen Gründen oder aus Überzeugung – ein gemeinsames Interesse mit seinen Gesprächspartnern voraus, der „westlichen Propaganda“ begegnen zu wollen, und wies auf den politischen Nutzen hin, den eine Veröffentlichung der Namen aller zurückgehaltenen Kriegsgefangenen hätte, „weil dann alle jene Familien, die von der gegnerischen Propaganda angesteckt noch auf die Rückkehr ihrer Angehörigen warten, mit einem Schlage Klarheit erhalten würden“ (Dok. 92). Zorin lehnte das Ansinnen Niemöllers allerdings kompromisslos ab (Dok. 93), und die UdSSR reagierte auch nicht auf entsprechende Bitten aus der DDR. 2. Die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik und Initiativen zu „freien gesamtdeutschen Wahlen“ Aus Sicht der DDR-Führung war die Debatte um die „Wiederbewaffnung“ bzw. „Remilitarisierung“ der Bundesrepublik (vgl. zur zeitgenössischen Begriffsverwendung Dok. 42, Fn. 2) unmittelbar mit der deutschen Frage verknüpft. Dies ergab sich daraus, dass ein Aufbau militärischer Einheiten in der Bundesrepublik nur in engster politischer und militärischer Einbindung in ein westliches Bündnissystem (über dessen konkrete Form noch diskutiert wurde) überhaupt denkbar war, dies jedoch die Möglichkeit einer deutschen Wiedervereinigung zu für die UdSSR und die DDR interessanten oder auch nur akzeptablen Konditionen ausschließen würde. Umgekehrt bot sich aus östlicher Sicht eine nationale Einheitskampagne an, um den umstrittenen Aufbau militärischer Formationen in der Bundesrepublik als Beitrag zur Verteidigung Westeuropas zu verzögern, wenn nicht sogar zu verhindern. Als die Einheitspartei, die DDR-Regierung und die von der SED wesentlich gesteuerte „Nationale Front“ im Sommer 1950 auf sowjetische Aufforderung hin die Initiative zu einer aktiveren Deutschlandpolitik ergriffen, taten sie dies daher zunächst im Zeichen des Antimilitarismus.184 Sie hofften, die in der westdeutschen Gesellschaft verbreitete Ablehnung einer „Remilitarisierung“ der Bundesrepublik für ihre Ziele nutzbar machen und sich zugleich selbst als Garanten einer Wiedervereinigung anbieten zu können, die mit dem Abzug aller Besatzungstruppen verbunden wäre. Die rhetorische Verknüpfung von „Einheit“ und „Frieden“ war dabei allerdings weder neu noch originell; sie lag etwa auch den Erklärungen zur „Nationalen Front“ zugrunde, die 1949 auf sowjetische Initiative hin als formal überparteiliche gesamtdeutsche 184  Vgl.

Wettig, Einheit in Freiheit, S. 190–194.



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Sammlungsbewegung gebildet worden war.185 Schon zu dieser Zeit waren der Abzug aller Besatzungstruppen und der baldige Abschluss eines Friedensvertrages propagiert worden – zwei Punkte, die auch in allen weiteren deutschlandpolitischen Kampagnen der UdSSR und der DDR enthalten waren. Da bereits 1949 die „imperialistischen Mächte“, allen voran die USA, als die Hauptfeinde des Friedens ausgemacht waren, die laut DDR-Propaganda in dem von ihnen geschaffenen „Separatstaat“ die „Wiederbelebung des deutschen Militarismus“ planten,186 war der Weg nicht weit zu einer erneuerten Einheits- und Friedenskampagne, die in den Jahren 1950 und 1951 bereits auf westdeutsche Diskussionen über einen möglichen Beitrag der Bundesrepublik zur Verteidigung Westeuropas reagieren konnte. Derweil war in den Schulen der Volkspolizei der DDR die Ausbildung von Offiziers­ kadern einer zukünftigen Armee längst angelaufen (vgl. Dok. 83, Fn. 28), was auch im Westen registriert und adressiert wurde (vgl. Dok. 19, Fn. 26). Den Beginn organisierter Friedenskampagnen in der DDR jenseits allgemeiner Floskeln markierte der Versuch, auf die vom Ständigen Komitee des „Weltkongresses der Kämpfer für den Frieden“ (dem späteren Weltfriedensrat) mit dem Stockholmer Appell vom 19. März 1950 (vgl. Dok. 21, Fn. 12) initiierte Unterschriftenaktion zur Ächtung der Atombombe – mit Zielrichtung auf die USA – aufzusatteln und diese für eine Einflussnahme der DDR auf die westdeutsche Gesellschaft zu nutzen. Zur Organisation der Unterschriftenkampagne sollten lokale Friedenskomitees gegründet werden. In einem Gespräch mit der SKK-Führung am 6. April des Jahres schlug ­Pieck jedoch vor, wegen der personellen Schwäche der „Friedensbewegung“ die Unterschriftenaktion bereits vor der Bildung lokaler Komitees einzuleiten (Dok. 21); sie sollte nun zentral durch das „Deutsche Komitee der Friedenskämpfer“ organisiert werden (vgl. ebenda, Fn. 13). Bereits kurz nach dem Stockholmer Appell war zudem beschlossen worden, die Friedenskampagne in die Tätigkeit der „Nationalen Front“ einzugliedern.187 Der sowjetische Schriftsteller Il’ja Ėrenburg, der als Mitunterzeichner des Stockholmer Appells die Unterschriftenkampagne in Deutschland beobachtet hatte, kommentierte etwas später dann auch ironisch, die Deutschen verwechselten diese mit der Kampagne für die Einheit (vgl. Dok. 30, Fn. 8). Grotewohl wiederum versuchte im Gespräch mit Stalin am 4. Mai 1950 in Moskau, die anlaufende Friedenskampagne organisatorisch von der „Nationalen Front“ zu trennen, da er die Popularität der letzteren im Westen als gering einschätzte. Beide Fragen und die entsprechenden Aktivitäten blieben jedoch miteinander verknüpft. Denn Stalin selbst erklärte Grotewohl, dass eine erfolgreiche Frie185  Vgl.

Fn. 19. die mit Moskau abgestimmten „Vorschläge“ der SED zur „Plattform der Nationalen Front“, Neues Deutschland, 5. Oktober 1949, S. 4–6, hier S. 5. 187  Vgl. DzD II, 3, S. 631–633. 186  Vgl.

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denskampagne die Voraussetzung für die „Wiederherstellung eines starken Deutschland“ sei, und drängte die SED, die in Teilen mit einer Zweistaatenlösung zufrieden sein mochte, in diesem Sinne zu einer aktiveren Westarbeit, die auf eine gesamtdeutsche Lösung abzielen sollte188 – erwartet wurde zu dieser Zeit noch die Bildung eines gesamtdeutschen Staates nach den Vorstellungen der UdSSR (Dok. 54).189 Zwar hatte auch die SKK bereits seit dem März 1950 auf eine Stärkung der Komitees der „Nationalen Front“ gedrängt,190 doch fasste das Politbüro des ZK der SED am 2. Juni des Jahres seinen Beschluss „über die Verstärkung des Kampfes in Westberlin und Westdeutschland“, in dem nun die „Entwicklung einer gesamtdeutschen Politik“ als „Hauptaufgabe“ festgeschrieben war,191 wohl vor allem als Folge der Ermahnung Stalins. Kurz darauf hielt Semenov der SED-Führung zudem vor, dass der „Kampf um [den] Frieden schwach“ sei.192 Seine detaillierten Anweisungen zu einer umfangreichen Kampagne, die er am 17. Mai (Dok. 31) und in ähnlicher Form erneut am 12. Juni193 der SED-Führung nahelegte, fanden Eingang in einen entsprechenden SED-Politbürobeschluss vom 20. Juni (vgl. dort Fn. 42) und wurden nach Maßgabe der personellen und organisatorischen Möglichkeiten der SED und der KPD in Teilen auch umgesetzt. Der von Semenov anfangs vorgeschlagene Regierungsappell an alle Deutschen (Dok. 31) findet sich allerdings weder in P ­ iecks Notizen vom 12. Juni noch im Politbürobeschluss vom 20. Juni; es ist daher anzunehmen, dass dieser Vorschlag in Moskau keine Zustimmung fand.194 Nachdem die SED – darin unterstützt von der SKK (Dok. 13) – in der ersten Jahreshälfte 1950 ihr Hauptaugenmerk auf die Konsolidierung der DDR und die Vorbereitung in ihrem Sinne erfolgreicher „Wahlen“ im Oktober 1950 gelegt hatte, waren Mitte des Jahres gleichwohl die Weichen für eine Akzentverschiebung hin zu einer aktiven Deutschlandpolitik gestellt. Diese zeigte sich in der Öffentlichkeit zunächst in herausfordernden Redebeiträgen und verbalen Attacken gegen die Bundesregierung und die west­ 188  Vgl.

Treffen mit Stalin 1950, S. 594–595 und 598–599. auch Lemke, Einheit oder Sozialismus, S. 47–48. 190  Vgl. Monika Kaiser, Wechsel von sowjetischer Besatzungspolitik zu sowjetischer Kontrolle? Sowjetische Einflußnahme und ostdeutsche Handlungsspielräume im Übergangsjahr von der SBZ zur DDR, in: Sowjetisierung und Eigenständigkeit, S. 187–231, hier S. 200–201. 191  Vgl. Badstübner/Loth, S. 343. 192  Vgl. ebenda, S. 348. 193  Vgl. ebenda, S. 350. 194  Vgl. zu Semenovs Initiative und den darauffolgenden Beschlüssen der SED auch Monika Kaiser, Wechsel von sowjetischer Besatzungspolitik zu sowjetischer Kontrolle? Sowjetische Einflußnahme und ostdeutsche Handlungsspielräume im Übergangsjahr von der SBZ zur DDR, in: Sowjetisierung und Eigenständigkeit, S. 187–231, hier S. 202–204. 189  Vgl.



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lichen Besatzungsmächte sowie in einer Reihe propagandistischer Aktionen wie dem Nationalkongress der „Nationalen Front“ Ende August 1950 (Dok. 40). Stalin wiederum verstand es, sich auch ungeachtet des eigenen Besitzes der Atombombe auf die Forderung nach einem Atomwaffenverbot zu berufen: Da die USA auf diese Forderung nicht reagiert hätten, habe die UdSSR ihrerseits Atomwaffen entwickeln müssen (vgl. Dok. 84, Fn. 10). Die Einbindung einer aufgerüsteten Bundesrepublik in ein westliches Verteidigungsbündnis wurde jedoch auch von Politikern und Funktionären unterhalb der Spitzenebene frühzeitig antizipiert. So waren sich Botschafter Puškin und DDR-Außenminister Dertinger laut einem Vermerk Dertingers bereits am 5. Mai 1950 – noch vor Beginn des Koreakrieges – darüber einig, dass „eine uneingeschränkte Verwirklichung der amerikanischen Pläne auf schrittweise Einbeziehung Westdeutschlands in das westliche System bis zum Beitritt in den Atlantik-Pakt“ wahrscheinlich sei (Dok. 28). Während Stalin die SEDFührung am Tag zuvor in Moskau bereits zu einer aktiveren Deutschland­ politik aufgefordert hatte, waren sich Puškin und Dertinger in Ost-Berlin noch nicht darüber im Klaren, „ob wir an dem Prinzip festhalten, erst die Schritte in Westdeutschland abzuwarten und dann zu reagieren oder ob die Notwendigkeit besteht, die Entwicklung in Westdeutschland durch Akte unsererseits zu verhindern oder wenigstens aufzuhalten“ (ebenda). Die zweite Option sollte die Deutschlandpolitik der UdSSR und der DDR in den folgenden Jahren bestimmen. 2.1 Westliche Planungen zu einem Verteidigungsbeitrag der Bundesrepublik Ein möglicher Beitrag der Bundesrepublik zur Verteidigung Westeuropas wurde seit Ende der 1940er Jahre in allen drei westlichen Besatzungsmächten diskutiert. Die Positionen dazu divergierten nicht nur zwischen, sondern auch innerhalb der drei Staaten. Militärplaner aller drei Westmächte hatten bereits seit 1947/48 über eine Bildung westdeutscher militärischer Einheiten nachgedacht. Ihre politischen Führungen standen derartigen Planungen zunächst mehrheitlich skeptisch bis ablehnend gegenüber oder hielten sie für vorläufig nicht durchsetzbar. Während die französische Regierung bis zum Beginn des Koreakrieges zumindest in der Öffentlichkeit bei ihrer grundsätzlichen Ablehnung blieb, deutete sich seit 1949/50 in den USA und in Großbritannien ein Umdenken an.195 Als eine mögliche Lösung des Problems, nur wenige Jahre nach Kriegsende Deutsche erneut mit Waffen auszustatten, sahen einige der Planungen seine Verkopplung mit einer anzustrebenden politi195  Vgl. zu diesem Komplex Norbert Wiggershaus, Die Entscheidung für einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag 1950, in: AWS 1, S. 325–402, hier S. 327–332 und 335–338.

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schen Integration Westeuropas vor. In einem solchen Rahmen schien es vorstellbar, deutsche Kontingente in eine supranationale Europa-Armee einzugliedern. Auch Adenauer zog bereits am 3. Dezember 1949 öffentlich in Erwägung, dass in eine europäische Armee auch deutsche Soldaten einberufen werden könnten (vgl. Dok. 42, Fn. 2). Die Bildung einer eigenen deutschen Armee lehnte er hingegen ab – eine Position, die er auch in den folgenden Jahren öffentlich vertrat. Seit Ende des Jahres 1949 entwickelten US-amerikanische Militärs angesichts des erfolgreichen sowjetischen Atombombentests Ende August 1949 und der konventionellen Überlegenheit der sowjetischen Streitkräfte in Europa konkrete Planungen zur militärischen Sicherung Westeuropas, die bereits auf eine Bewaffnung Westdeutschlands setzten. Das am 14. April 1950 dem Nationalen Sicherheitsrat der USA vorgelegte Memorandum NSC 68, das eine massive konventionelle Aufrüstung der USA und ihrer Verbündeten forderte, regte zumindest in allgemeinen Worten auch eine Nutzung der „Energien und Ressourcen“ Deutschlands für die Verteidigung Westeuropas an.196 US-Präsident Truman und Außenminister Acheson sprachen sich allerdings bis zum Sommer des Jahres gegen weitergehende Planungen des Pentagons in Bezug auf die Bundesrepublik aus.197 Unabhängig von den Erklärungen der Regierungsvertreter hatten USamerikanische Stellen in der Bundesrepublik seit Ende 1949 gezielt eine Reihe ehemaliger Generalstabsoffiziere der Wehrmacht zu ihren Planungen hinzugezogen, die auf US-amerikanische Initiative in den Jahren zuvor im Rahmen der Organisation Gehlen zusammengeführt und lose organisiert worden waren. In diesem Umfeld entstanden auf Betreiben der CIA und mit dem Wissen Adenauers Konzeptionen für eine zukünftige Wiederbewaffnung, die starke inhaltliche Kontinuitäten zur Himmeroder Denkschrift vom 9. Oktober 1950 aufwiesen. Als Schnittstelle zur Bundesregierung fungierte Wohnungsbauminister Eberhard Wildermuth (FDP). Parallel zu der im Mai 1950 eingerichteten Dienststelle des von den Briten unterstützten Grafen von Schwerin organisierten und unterstützen damit US-amerikanische Stellen ein Planungsgremium für den späteren Aufbau militärischer Einheiten, in dem u. a. die ehemaligen Generale Adolf Heusinger und Hans Speidel, die dem Widerstand nahegestanden bzw. im Falle Speidels auch angehört hatten, seit 1950 eine führende Rolle spielten.198 Beide waren an den Planungen im Rahmen der Organisation Gehlen sowie auch an der Himmeroder Denkschrift 196  Vgl.

FRUS 1950 I, S. 234–292, hier S. 275. zu den US-amerikanischen Planungen und zur Meinungsbildung innerhalb der US-Regierung Rupieper, Der besetzte Verbündete, S. 98–103. 198  Vgl. zu diesem Komplex Agilolf Keßelring, Die Organisation Gehlen und die Neuformierung des Militärs in der Bundesrepublik, Berlin 2017, S. 86–98, 121–124, 133–136, 143–164. 197  Vgl.



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beteiligt, und beide betätigten sich später maßgeblich beim Aufbau der Bundeswehr. Noch vor Beginn des Koreakrieges fassten auch die Hohen Kommissare der USA und Großbritanniens in Gesprächen mit Adenauer auf lange Sicht einen Aufbau westdeutscher militärischer Einheiten als Verteidigungsbeitrag der Bundesrepublik ins Auge.199 Adenauer hatte zunächst den Aufbau einer kasernierten und bewaffneten Bundespolizei angeregt;200 bereits im Mai 1950 war jedoch auch von einem späteren Aufbau größerer Kampfverbände die Rede, wie ihn alliierte Militärplaner bereits seit 1949 befürwortet hatten. Einen Angriff der UdSSR erwarteten die Gesprächspartner nicht kurzfristig, erklärten ihn aber – hier im Einklang mit dem Memorandum NSC 68 – mittelfristig für möglich und sogar für wahrscheinlich. Diese Diskussion wurde bis zum Sommer 1950 jedoch nicht öffentlich geführt. Der von der Sowjetunion gebilligte und unterstützte Angriff nordkoreanischer Truppen auf Südkorea am 25. Juni 1950 löste die Überlegungen zu einem Aufbau westdeutscher Truppenkontingente damit nicht aus, erhöhte aber in den Augen der westalliierten Regierungen sowie der Bundesregierung die Dringlichkeit dieser Frage und ließ auch in der bundesdeutschen Öffentlichkeit eine Diskussion um die Kriegsgefahr und mögliche Gegenmaßnahmen aufkommen. In den Augen der US-Regierung bestätigte der Koreakrieg die in NSC 68 formulierten Einschätzungen zu einem aggressiven sowjetischen Expansionsstreben, und er führte letztlich zur Umsetzung der darin geforderten Rüstungsprogramme in den USA selbst.201 Am 11. August 1950 ergriff der britische Oppositionsführer Winston Churchill die politische Initiative, als er vor der Beratenden Versammlung des Europarats die Bildung einer europäischen Verteidigungsarmee mit westdeutscher Beteiligung anregte. Während frühere, ähnliche geartete Vorschläge Churchills kein positives Echo gefunden hatten, wurde dieser Antrag noch am selben Tag angenommen.202 In der Besprechung, die Adenauer daraufhin am 17. August mit den Alliierten Hohen Kommissaren zur Lage der äußeren Sicherheit führte,203 stützte er sich in Teilen seiner Ausführungen auf ein Aide-Mémoire seines Beraters für Militär- und Sicherheitsfragen von Schwerin vom selben Tag (Dok. 41). Obwohl die Alliierte Hohe Kommission eine Bundespolizei bereits am 28. Juli 1950 abgelehnt hatte (vgl. dort Fn. 11), hielt Adenauer entsprechend den Vorschlägen von Schwerins zunächst an dieser Forderung fest und wiederholte sie – zumal von britischer Seite nach 199  Vgl.

AAPD (1949/50), S. 164–169. ebenda, S. 139–141. 201  Vgl. Christian Greiner, Die alliierten militärstrategischen Planungen zur Verteidigung Westeuropas 1947–1950, in: AWS 1, S. 119–323, hier S. 292. 202  Vgl. DzD II, 3, S. 282–284. 203  Vgl. AAPD, Hohe Kommissare 1, S. 222–230. 200  Vgl.

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wie vor zustimmende Signale gesendet wurden – in seinem von den Hohen Kommissaren erbetenen Sicherheitsmemorandum vom 29. August 1950.204 Während Adenauer erneut betonte, keine eigene bundesdeutsche Armee anzustreben, erklärte er am 17. August seine Bereitschaft – die er am 29. August bekräftigte –, die Bildung einer übernationalen westeuropäischen Armee mit deutschen Kontingenten zu unterstützen. Bereits am folgenden Tag äußerte Adenauer seine Positionen in einem Interview in der New York Times in Grundzügen auch gegenüber der Öffentlichkeit.205 Die Zielsetzung, die Adenauer mit seiner wiederholten Forderung nach einer Bundespolizei verfolgte – deren Bildung eine Grundgesetzänderung erfordert hätte –, wandelte sich offenbar im Laufe des Jahres 1950.206 War es ihm anfangs um Bereitschaften zum Schutz der Bundeseinrichtungen und zum schnellen Eingreifen im Falle von Unruhen gegangen,207 so sollte die Bundespolizei in der Konzeption von Schwerins „nach Muster der ostdeutschen Volkspolizei“ gebildet werden208 und dieser „nach Stärke, Organisation, Ausrüstung und Bewaffnung … zumindest ebenbürtig“ sein (Dok. 41). Die Bundespolizei hätte damit militärische Aufgaben erhalten und als Basis eines späteren Aufbaus militärischer Einheiten dienen sollen. Allem Anschein nach versuchte sich Adenauer auch diese Option zumindest bis zur Entscheidung auf der New Yorker Außenministerkonferenz offenzuhalten. Seine wiederholten Vorstöße in diese Richtung wurden in den USA jedoch offensichtlich mit Skepsis aufgenommen, denn McCloy schrieb am 10. September 1950 an Präsident Harry Truman von einer „confusing series of proposals for a large Federal police force, which have tended to mix together a genuine police for maintaining internal order and a disguised army to deal with the Bereitschaften threat from East Germany“.209 Die Einschätzungen zum Bedrohungspotenzial der DDR-Volkspolizei fielen in den Quellen dieser Zeit unterschiedlich aus. Trotz anfänglicher Befürchtungen hatte sich in den Hauptstädten der drei Westmächte im Laufe des Sommers 1950 die Überzeugung durchgesetzt, dass die UdSSR einen großen Krieg jenseits der Grenzen Koreas nicht unmittelbar vorbereitete.210 Dennoch beriefen sich Adenauer und von Schwerin wiederholt auch auf die 204  Vgl.

dazu im Zusammenhang DzD II, 3, S. 931–936. ebenda, S. 285–287. 206  Vgl. David Parma, Konsolidierung des Bundesgrenzschutzes 1949 bis 1972. Eine Untersuchung der Gesetzgebungsprozesse unter besonderer Betrachtung der inneradministrativen und politischen Vorgänge, Wiesbaden 2016, S. 139–172. 207  Vgl. AAPD (1949/50), S. 139–141. 208  Vgl. ebenda, S. 151–153, hier S. 151. 209  Vgl. DzD II, 3, S. 976–980, hier S. 977. 210  Vgl. Norbert Wiggershaus, Die Entscheidung für einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag 1950, in: AWS 1, S. 325–402, hier S. 339–349. 205  Vgl.



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Gefahr, die von einer aufgerüsteten Volksarmee ausgehen könnte (vgl. Dok. 41, Fn. 6). Hatte von Schwerin am 4. August in einem internen Papier die Volkspolizei als militärisch noch nicht einsatzfähig bezeichnet, ihre Entwicklung zu einer einsatzfähigen Armee jedoch bis 1952 erwartet,211 so sprach er in seiner Vorlage für Adenauer von der hohen Wahrscheinlichkeit einer baldigen „Aktion mit beschränktem Ziel, wie es z. B. die Inbesitznahme von Berlin bedeuten würde“; vorbereitet würde die Volksarmee außerdem für „weitergehende Aktionen gegen Westdeutschland nach Muster Korea“ (Dok. 41). Das Szenario eines möglichen Angriffs der Volkspolizei unterhalb der Schwelle eines großen Krieges zwischen den Siegermächten in Analogie zum koreanischen Fall entsprach Befürchtungen, die in der Bevölkerung durchaus verbreitet waren. Es konnte Adenauer jedoch auch dazu dienen, seinen Anspruch auf eine mobile Bundespolizei und sein Streben nach einer Sicherheitsgarantie der Alliierten für das Bundesgebiet zusätzlich zu bekräftigen.212 Die am 19. September 1950 von den Außenministern der USA, Großbritanniens und Frankreichs in New York getroffenen Beschlüsse gaben diese Sicherheitsgarantie, nicht jedoch die Erlaubnis zur Bildung einer Bundespolizei (vgl. Dok. 48, Fn. 3). Die Konzeption von Schwerins, nach der eine Bundespolizei die Grundlage für eine spätere Bildung militärischer Einheiten bilden sollte, war damit hinfällig. Die mit der Vorbereitung einer Wiederbewaffnung verbundenen Aufgaben übernahm kurz darauf das Amt Blank, in das auch die von den USA unterstützten Militärsachverständigen Speidel und Heusinger aufgenommen wurden.213 Die New Yorker Außenministerkonferenz ließ allerdings die Bildung leicht bewaffneter kasernierter Polizeikräfte auf Länderbasis zu, die auch von der Bundesregierung eingesetzt werden könnten. Eine Teillösung für die von der Bundesregierung empfundene Sicherheitslücke wurde Anfang des Jahres 1951 zudem mit der Bildung eines Bundesgrenzschutzes gefunden (vgl. Dok. 41, Fn. 11). Während die militärischen Konzeptionen US-amerikanischer Stellen in dieser Zeit (ebenso wie die der von ihnen unterstützen deutschen Militärberater) den Deutschen eigene Divisionen zubilligen wollten, die unter einer gemeinsamen europäisch-amerikanischen bzw. unter US-amerikanischer Führung im Rahmen der NATO stehen sollten, zielten französische Planungen darauf ab, deutsche personelle Ressourcen für eine Verteidigungslinie vor der Grenze Frankreichs zwar zu nutzen, sie aber zur besseren Kontrollierbarkeit in möglichst kleinen Einheits- oder Verbandsgrößen zu halten oder ihre Bildung gar zu verzögern, da man fünf Jahre nach Kriegsende bewaffneten deutschen Verbänden weiterhin misstraute. Nachdem die Außen211  Vgl.

DzD II, 3, S. 902–907, hier S. 905. AAPD Hohe Kommissare 1, S. 224–225 und DzD II, 3, S. 934–935. 213  Agilolf Keßelring, Die Organisation Gehlen und die Neuformierung des Militärs in der Bundesrepublik, Berlin 2017, S. 465–466. 212  Vgl.

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minister der drei Westmächte in ihrem gemeinsamen New Yorker „Deutschland-Kommuniqué“ vom 19. September 1950 einem westdeutschen Verteidigungsbeitrag zugestimmt, seine Form aber offengelassen hatten,214 stellte der französische Ministerpräsident René Pleven am 24. Oktober einen konkreteren Plan für eine europäische Armee vor. Diese sollte zusammen mit den politischen Institutionen eines geeinten Europas gebildet werden und einem europäischen Verteidigungsministerium unterstehen. Die nationalen – darunter auch die zu bildenden deutschen – Kontingente sollten „auf Basis der kleinstmöglichen Einheit“ in die europäische Armee eingegliedert werden; diese Armee würde „gemäß den Verpflichtungen des Atlantikpaktes operie­ ren“.215 Nach dieser Konstruktion sollte die Bundesrepublik über kein eigenes Verteidigungsministerium verfügen, und auch eine deutsche Mitgliedschaft in der NATO war nicht vorgesehen. Trotz anfänglicher Kritik sowohl seitens der beiden anderen Westalliierten als auch Adenauers – angezweifelt wurde vor allem die Tauglichkeit gemischtnationaler Großverbände,216 und Adenauer störte zudem die Ungleichbehandlung, wie sie etwa in der Verhinderung einer NATO-Mitgliedschaft zum Ausdruck kam217 – versuchte man auf die französischen Interessen einzugehen. So wurde der Pleven-Plan nach mehreren Modifikationen und Kompromissen zur Grundlage der weiteren Verhandlungen über die seit 1951 angestrebte Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG), die schließlich in den am 27. Mai 1952 unterzeichneten EVG-Vertrag mündeten. Von der sowjetischen Regierung, die auch in dem auf größtmögliche Kontrolle der Deutschen abzielenden Pleven-Plan eine potentielle Gefährdung ihrer eigenen deutschlandpolitischen und Sicherheitsinteressen sah, wurde diese Entwicklung aufmerksam beobachtet. Über die Interessengegensätze innerhalb der NATO-Staaten gut informiert, versuchte sie noch im Dezember 1950 die Westmächte gegeneinander auszuspielen und erinnerte die Regierungen Frankreichs und Großbritanniens an die mit der UdSSR im Zweiten Weltkrieg geschlossenen Beistandspakte, die nun durch die zusammen mit den USA betriebene „Remilitarisierung“ Westdeutschlands „unterhöhlt“ würden.218 Laut dem Vorschlag des Leiters der Dritten Euro­päischen Abteilung im MID Gribanov, der den Entwurf zu einer entsprechenden Note am 25. November 1950 bei Gromyko einreichte, zielte diese Ini­tiative in 214  Vgl.

DzD II, 3, S. 330–333, hier S. 331–332. ebenda, S. 392–396 (zu den Zitaten S. 394 und 395). 216  Vgl. Rupieper, Der besetzte Verbündete, S. 113. 217  Vgl. Wettig, Entmilitarisierung und Wiederbewaffnung, S. 369; zur unmittelbaren Reaktion des Bundeskanzlers vgl. Herbert Blankenhorn, Verständnis und Verständigung. Blätter eines politischen Tagebuchs 1949 bis 1979, Frankfurt am Main/Berlin/ Wien 1980, S. 115–116. 218  Vgl. DzD II, 3, S. 466–468. 215  Vgl.



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erster Linie auf Frankreich ab. Sie sollte „die bestehenden Differenzen zwischen den drei Mächten … vertiefen, … die französische Regierung in eine schwierige Lage bringen und … dem demokratischen Lager in Frankreich im Kampf gegen die Remilitarisierung Westdeutschlands helfen“.219 Offenbar kam die sowjetische Führung jedoch im Verlauf des Jahres 1951 zu der Erkenntnis, dass die „Remilitarisierung“ Westdeutschlands kaum aufzuhalten sei, da sich die USA zwar einerseits gegenüber den französischen Bedenken kompromissbereit zeigten, andererseits aber notfalls auch bereit wären, eine ihnen genehmere Lösung etwa im NATO-Rahmen durchzusetzen.220 Ob und wie lange die von Dertinger wiederholt geäußerte Hoffnung, die Franzosen gegen die USA und Adenauer ausspielen und zu einer generellen Ablehnung der „Remilitarisierung“ bewegen zu können (Dok. 50, 84 und 85), von sowjetischen Außenpolitikern geteilt wurde, lässt sich anhand der vorliegenden Quellen nicht mit Sicherheit sagen. Dertingers sowjetischer Gesprächspartner Puškin hielt sich in dieser Frage bedeckt und schien Dertingers Aussagen, der sich auf seine Unterredung mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der Exil-CDU Ernst Lemmer und dessen Kontakte zu den französischen Besatzungsbehörden berief (Dok. 84 und 85), im Oktober 1951 generell anzuzweifeln. Allerdings unternahm die UdSSR auch in dieser Zeit Initiativen, die gezielt die französische Regierung beeinflussen sollten, etwa indem sie diese am 11. September 1951 in einer Note vor der „Gefahr einer Wiederholung der deutschen Aggression“ warnte.221 Als tatsächlich am 30. August 1954 die EVG in der französischen Nationalversammlung scheiterte, rückten die von den USA unterstützten Planungen zur Bildung deutscher Armeeverbände in einem euro-atlantischen Rahmen in den Vordergrund, die schließlich zur Gründung der Bundeswehr am 12. November 1955 führten. Zusammen mit dem Sicherheitsmemorandum vom 29. August 1950 hatte Adenauer eine zweite Denkschrift über die „Neuordnung der Beziehungen der Bundesrepublik zu den Besatzungsmächten“ bei der Alliierten Hohen Kommission eingereicht, in der er das Angebot eines Wehrbeitrags mit der Forderung nach Beendigung des Kriegszustands und größerer Eigenverantwortlichkeit der Bundesrepublik verband und damit faktisch deren Souveränität anvisierte.222 Auch Pleven hatte die militärische Frage des Wehrbeitrags eng mit der politischen Integration Europas und der Frage nach der zukünftigen Rolle der Bundesrepublik verknüpft. Parallel zu den Verhandlungen über die EVG wurden daher in den folgenden anderthalb Jahren Verhandlun219  Vgl.

АVP RF, f. 082, op. 37, p. 211, d. 75, Bl. 6–7. zu diesem Komplex Ruggenthaler, Stalins Bluff, S. 31–33 sowie S. 48–49, 86, 89–93, 103–104 und 106. 221  Vgl. DDS, S. 269–276. 222  Vgl. DzD II, 3, S. 937–938. 220  Vgl.

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gen über den Status der Bundesrepublik geführt, die in dem am 26. Mai 1952 in Bonn unterzeichneten „Deutschlandvertrag“ (vgl. Dok. 20, Fn. 12) ihren vorläufigen Schlusspunkt fanden. Der Vertrag sollte das Besatzungsstatut ablösen und sprach der Bundesrepublik weitgehende Souveränität zu; er trat – wegen des Scheiterns des EVG-Vertrages, an den er gekoppelt war – jedoch erst 1955 mit Modifikationen in Kraft. Beide Verträge waren in den Jahren ihrer Vorbereitung Hauptgegenstand der Polemiken von Seiten der DDR und der UdSSR und der Bezugspunkt aller Initiativen zur deutschen Einheit und zum Abschluss eines Friedensvertrags. 2.2 Initiativen zu „freien gesamtdeutschen Wahlen“ Die öffentliche Diskussion um eine westdeutsche Wiederbewaffnung, die nach Beginn des Koreakrieges in der Bundesrepublik aufgekommen war, spitzte sich im August und September 1950 angesichts der zu dieser Zeit prekären Lage der südkoreanischen und der UNO-Truppen (vgl. Dok. 41, Fn. 7) zu. Im August verdichteten sich für die SED – etwa mit dem oben behandelten Beschluss des Europarates vom 11. August und der öffentlichen Erklärung Adenauers vom 17. August – die Anzeichen, dass ein Aufbau westdeutscher bewaffneter Kontingente in einem europäischen Rahmen geplant werde. Daraufhin begannen Regierungsstellen in der DDR in Absprache mit oder auf Weisung der SKK bzw. des Außenministeriums der UdSSR, nach einer passenden Reaktion zu suchen. Man überließ zunächst dem MfAA und dem CDU-Politiker Dertinger den Vortritt (Dok. 42), der am 19. September eine Rede „über die weltpolitische Lage“ hielt, in der er vor einer von den USA und Adenauer betriebenen „Remilitarisierung Westdeutschlands“ warnte und dagegen den „Platz der Christen … im Lager des Friedens“ verortete.223 Währenddessen tagte die New Yorker Außenministerkonferenz, auf deren Abschlusskommuniqué (vgl. Dok. 48, Fn. 3) die DDR-Regierung dann erneut reagieren musste. Auch hier hielten sich die SED und die SKK im Hintergrund, unter deren Anleitung und Mitwirkung Dertinger zunächst ein Kommuniqué der DDR-Regierung und dann in eigenem Namen eine Regierungserklärung ausarbeitete (vgl. Dok. 42, Fn. 3 und 4). Es war offensichtlich Dertingers Idee, auch andere sozialistisch regierte Staaten einzubinden und den entsprechenden Erklärungen damit den Anschein eines größeren internationalen Gewichtes zu verleihen. Die von der SKK informierten sowjetischen Entscheidungsträger hielten sich weiterhin bedeckt und beschlossen erst Mitte Oktober 1950, als Antwort auf die New Yorker Außen­ ministerkonferenz der drei westlichen Besatzungsmächte nun eine Außenministerkonferenz der acht sozialistischen Staaten Mittel- und Ost­ 223  Vgl.

Neue Zeit, 19. September 1950, S. 3–4.



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europas zur Frage der westdeutschen „Remilitarisierung“ in Prag einzuberufen (vgl. Dok. 47 und dort Fn. 3). Inzwischen hatte die Debatte in der Bundesrepublik (vgl. etwa Dok. 48, Fn. 7) mit einem offenen Brief des stellvertretenden Ratsvorsitzenden der EKD und Kirchenpräsidenten von Hessen-Nassau Martin Niemöller an Adenauer vom 4. Oktober an Schärfe zugenommen. Darin hatte Niemöller dem Bundeskanzler die Legitimation abgesprochen, über eine „Remilitarisierung“ entscheiden zu können, und zu dieser Grundsatzfrage eine Volksabstimmung oder aber Neuwahlen gefordert (vgl. Dok. 48, Fn. 10). Auch innerhalb der Regierung hatte diese Debatte mit dem Rücktritt Bundesinnenminister Gustav Heinemanns zu einem ersten größeren Zerwürfnis geführt. Heinemann hatte bereits am 31. August 1950 seinen Rücktritt angeboten, nachdem er das Kabinett und sich selbst als Innenminister durch Adenauers öffentliche Äußerungen zu einem deutschen Verteidigungsbeitrag und durch dessen Sicherheitsmemorandum – das im Kabinett zwar besprochen, aber nicht beschlossen worden war – übergangen gefühlt hatte.224 Als er dann am 9. Oktober in einem Schreiben an Adenauer seine ablehnende Position zur „Remilitarisierung“ darlegte (vgl. Dok. 48, Fn. 8), wurde er von Adenauer entlassen.225 Die zehn Tage später stattfindende Prager Konferenz wurde kurzfristig einberufen; die acht Außenminister trafen sich nur vier Tage nach dem Moskauer Beschluss. Noch weniger Zeit ließ man Dertinger, den Missionsschef Puškin erst einen Tag nach der Übermittlung des Moskauer „Vorschlags“ zur Einberufung der Konferenz informierte, nachdem das SED-Politbüro seine und Ackermanns Teilnahme bereits beschlossen hatte (vgl. Dok. 48, Fn. 6). Dertinger überspielte diese Demütigung (Dok. 48 und 50), zumal er sofort verstand, dass die UdSSR seinen eigenen Vorschlag aufgegriffen hatte (Dok. 47 und 48). Die am 22. Oktober veröffentlichte „Prager Erklärung“ enthielt die erwartbare Verurteilung der „Remilitarisierung“, dazu die bereits früher ähnlich formulierte Forderung nach dem „[u]nverzüglichen Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland unter Wiederherstellung der Einheit des deutschen Staates in Übereinstimmung mit dem Potsdamer Abkommen und mit der Maßgabe, daß die Besatzungstruppen aller Mächte binnen Jahresfrist nach Abschluß des Friedensvertrages aus Deutschland zurückgezogen werden“. In ihrem letzten Punkt ging sie jedoch einen entscheidenden Schritt weiter, denn sie schlug als Zwischenstufe zur Erlangung solcher Ziele die „Bildung eines aus Vertretern Ost- und Westdeutschlands paritätisch zusammengesetzten Gesamtdeutschen Konstituierenden Rats“ vor. Dieser sollte „die Bildung einer provisorischen demokratischen, friedliebenden gesamt224  Vgl. Kabinettsprotokolle, Bd. 2 (1950), S. 639, Anm. 35 und S. 663–664, Anm. 1. 225  Vgl. dazu im Zusammenhang Kabinettsprotokolle, Bd. 3 (1950) Wortprotokolle, S. 187–194.

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deutschen souveränen Regierung vorbereiten“ und bis dahin zur Vorbereitung des Friedensvertrags herangezogen werden. Zudem wurde eine Volksbefragung zu dieser Frage angeregt.226 Von gesamtdeutschen Wahlen bzw. davon, wie genau auf diesem Wege eine gesamtdeutsche Regierung zustande kommen mochte, war in dem Vorschlag keine Rede. Doch war dies, wie Molotov auf der Prager Konferenz nichtöffentlich andeutete, die erste diplomatische Initiative, die die Bundesregierung nicht mehr wie bisher üblich delegitimierte und dämonisierte, sondern implizit als potentiellen Verhandlungspartner ansprach und damit letztendlich anerkannte (vgl. Dok. 47, Fn. 3). Sie markierte einen Schwenk in der sowjetischen Deutschlandpolitik und in den von ihr angewiesenen Kampagnen und Initiativen der DDR von der bisherigen Rhetorik der Konfrontation hin zu einer dem Anschein nach konstruktiven und verhandlungsbereiten Politik, die auf eine deutsche Wiedervereinigung abzielte, bei der über die paritätische Beteiligung der DDR-Vertreter in jedem Fall die Interessen der UdSSR und der DDR gewahrt blieben.227 Die UdSSR hatte mit diesem Schritt die Initiative in der deutschen Frage an sich gezogen, weitere Schritte folgten kurz darauf. Der Kurswechsel in der sowjetischen Deutschlandpolitik betraf indes nicht nur die in der Prager Erklärung vorgeschlagenen Beratungen mit Vertretern der Bundesregierung. Parallel dazu suchten die sowjetischen Deutschland­ politiker und ihre Bündnispartner in der DDR nach neuen potentiellen Verbündeten in der Bundesrepublik, um jenseits der KPD-Anhängerschaft die auch in kirchlichen und bürgerlichen Kreisen verbreitete Opposition zur Wiederbewaffnung zu unterstützen und, wenn möglich, gegen die Regierung Adenauer zu mobilisieren. Als Adressaten dieser Initiativen boten sich zunächst Niemöller und Heinemann an (vgl. Dok. 53, Fn. 9), die ihre Ablehnung von Adenauers militärischen Planungen nun auch beide an die Öffentlichkeit trugen.228 Die sowjetischen Außenpolitiker setzten zur Aufnahme von Verbindungen zu bürgerlichen und kirchlichen Kreisen darüber hinaus auch auf neue Mittelsmänner. Zwar waren die ersten Kontakte zu Heinemann und Niemöller über die KPD hergestellt worden,229 doch berichtete kurz darauf auch Dertinger, dass in westdeutschen protestantischen Kreisen, die von Niemöller und Heinemann vertreten würden, „der Wunsch geäußert“ worden 226  Vgl.

DDS 1, S. 252–253 (zu den Zitaten vgl. S. 252). einer Aufzeichnung aus dem Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen, die wahrscheinlich Anfang Januar 1951 entstand, hätte auch die in der Prager Erklärung geforderte Rückkehr zu den Bestimmungen des Potsdamer Abkommens bedeutet, dass jede der vier Siegermächte ihr Veto gegen jede beliebige Entscheidung des Rates einlegen könnte, vgl. PA AA, B 2-VS, Bd. 106A. 228  Heinemann legte seine Auffassungen kurz nach seiner Entlassung als Innenminister in einer Denkschrift zur deutschen Sicherheit öffentlich dar, vgl. Kirchliches Jahrbuch 1950, S. 179–186. 229  Vgl. Lemke, Die infiltrierte Sammlung, S. 182. 227  Laut



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sei, „Kontakt mit der Deutschen Demokratischen Republik aufzunehmen“, und schlug vor, „die Erfüllung dieser Wünsche [zu] unterstützen“ (Dok. 53). Nur einen Tag später, am 1. November 1950, erläuterte der Präsident der provisorischen Volkskammer Johannes Dieckmann (LDP) dem sowjetischen Missionschef Puškin, dass einflussreiche Vertreter der evangelischen Kirche und sogar regierungsnahe Politiker in der Bundesrepublik gegen die „Remilitarisierung“ opponierten und an Kontakten zur DDR interessiert seien (Dok. 55). Er zeigte sich hoffnungsvoll, dass sich innerhalb der EKD die Position Niemöllers durchsetzen werde und dass sich eine neu zusammengesetzte Bundesregierung nach dem von ihm erwarteten Ausscheiden Adenauers verhandlungsbereiter zeigen würde. Bereits im Sommer 1950 waren Gerüchte über Adenauers schlechten Gesundheitszustand verbreitet worden (vgl. Dok. 39 und dort Fn. 27). Da jedoch die SED in ihrer Westpolitik zu unflexibel und nicht in der Lage sei, Beziehungen zu „progressiven Funktionsträgern Westdeutschlands“ aufzunehmen, regte Dieckmann an, dass „Vertreter der anderen Blockparteien, die bedeutende Ergebnisse erzielen könnten“ (einschließlich seiner selbst), diese Aufgabe übernehmen sollten. Möglicherweise begriffen Puškin und Čujkov diesen Vorschlag als Anlass für einen entscheidenden strategischen Richtungswechsel, zumindest aber als Frage von grundlegender Bedeutung für die Deutschlandpolitik der UdSSR, denn sie schickten ihren Bericht mit zustimmendem Kommentar als chiffriertes Telegramm direkt an Stalin (Dok. 55). Eine Antwort ist nicht bekannt, doch wurden Kontaktaufnahmen der von Puškin und Čujkov namentlich genannten Politiker Dertinger und Nuschke (beide CDU) mit westdeutschen Politikern in der Folgezeit auch im Bundeskanzleramt vermeldet (Dok. 59). Nuschke traf sich Anfang des Jahres 1951 mit Niemöller und Heinemann (Dok. 67); Dertinger kam im Herbst 1951 mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der Exil-CDU Ernst Lemmer zusammen (Dok. 84 und 85). Einen späten Versuch, mit westdeutschen Spitzenpolitikern über Fragen der deutsch-deutschen Annäherung ins Gespräch zu kommen, unternahm – wahrscheinlich in Absprache mit Semenov – der Minister für Handel und Versorgung Karl Hamann (LDP) Anfang des Jahres 1952. Semenov stellte diese letztlich gescheiterte Kontaktaufnahme gegenüber Ulbricht jedoch als eine Initiative der SPD dar. Ulbricht misstraute beiden Seiten, schrieb es aber der SPD zu, dass sie die „Nationale Front“ spalten und die Blockparteien abwerben wolle (vgl. Dok. 102 und dort Fn. 23). Möglicherweise versuchte er zu dieser Zeit – kurz nach der Übermittlung „Stalin-Note“ – deutsch-deutsche Kontakte, die an der SED vorbeiliefen, generell zu unterbinden und damit eine seit dem Herbst 1950 von der SKK verfolgte Taktik zu revidieren. Einen Kurswechsel sah in den Prager Beschlüssen auch der Bevollmächtigte der Bundesrepublik Deutschland in Berlin Heinrich Vockel. In einem Schreiben an Adenauer ordnete er sie als „neue Generallinie“ ein und ver-

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wies auf eine Rede Ulbrichts, in der dieser um die „Deutschen in Ost und West“ warb, ohne dabei die Bundesregierung direkt anzugreifen. Stattdessen richtete er seine Polemik nurmehr gegen die „anglo-amerikanischen Imperialisten“, die er für die Spaltung Deutschlands und die Vorbereitung eines neuen Weltkrieges verantwortlich machte (vgl. Dok. 51 und dort Fn. 5). Zugleich versuchte er implizit, neben der Arbeiterschaft auch „[b]reite Kreise des Bürgertums“ in der Bundesrepublik anzusprechen, die gegen die „Remilitarisierung“ eingestellt seien.230 Generell wurde die „Remilitarisierung“ der Bundesrepublik in der DDR-Propaganda als Vorbereitung der USA zu einem Angriffskrieg dargestellt (vgl. Dok. 47, Fn. 4). Entsprechend galten die USA in der offiziellen Sicht der DDR auch als die Aggressoren im Koreakrieg (Dok. 58). Während sich die DDR-Regierung in einer gesonderten Erklärung die Prager Vorschläge „zu eigen“ machte (vgl. Dok. 57, Fn. 8), äußerten sich die westlichen Regierungen durchweg ablehnend. Das Außenministerium der USA sah darin in erster Linie einen Versuch, die Ausführung der New Yorker Beschlüsse zu behindern (vgl. Dok. 50, Fn. 8). Am 8. November des Jahres erklärte Adenauer die Prager Vorschläge vor dem Bundestag für „völlig unannehmbar“ und verwies auf frühere Forderungen nach freien Wahlen als Grundlage für jede gesamtdeutsche Regierungsbildung; Oppositionsführer Kurt Schumacher (SPD) äußerte sich ähnlich (vgl. Dok. 50 und dort Fn. 5). Angesichts der damaligen, von der UdSSR gelenkten Einheitsrhetorik im Zuge der Kampagne um die „Nationale Front“ – die den Deutschen die Einheit, aber keine freien Wahlen versprach – hatte der US-amerikanische Hohe Kommissar John McCloy am 28. Februar 1950 „die politische Vereinigung Deutschlands aufgrund freier Wahlen“ zu einem der „Hauptziele der amerikanischen Politik“ erklärt.231 Obwohl die Erklärung McCloys zu diesem Zeitpunkt im US-amerikanischen Außenministerium nicht völlig unumstritten war, da die europäische oder auch atlantische Integration der Bundesrepublik zeitweilig die Priorität vor Erklärungen zur deutschen Einheit haben sollte, hielt es McCloy für notwendig, die deutsche Frage nicht der UdSSR zu überlassen, sondern den Deutschen ein Angebot zur deutschen Einheit zu unterbreiten, das der Westintegration nicht widerspräche. Intern kritisierte er im Übrigen auch die Bundesregierung für ihre Passivität in der Frage gesamtdeutscher Wahlen.232 Unter Bezugnahme auf die Erklärung McCloys forderte die Bundesregierung daraufhin am 22. März des Jahres den Erlass eines Wahlgesetzes durch alle vier Besatzungsmächte, auf dessen Grundlage 230  Vgl.

Neues Deutschland, 29. Oktober 1950, S. 4–5, hier S. 5. DzD II, 3, S. 55–56, hier S. 55. 232  Zur Entstehung von McCloys Erklärung vgl. Rupieper, Der besetzte Verbündete, S. 210–213. 231  Vgl.



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gesamtdeutsche Wahlen zu einer verfassunggebenden Nationalversammlung stattfinden könnten.233 Als die Spitzen der SKK und der SED am folgenden Tag darüber sprachen, bezog Grotewohl diese Erklärung zunächst lediglich auf die für den 15. Oktober angesetzten Wahlen zur Volkskammer der DDR, für die die SED gerade dabei war, eine Einheitsliste aller Parteien und Massenorganisationen der „Nationalen Front“ durchzusetzen (vgl. Abschnitt I). Er vermutete im Vorstoß der Bundesregierung einen Versuch, „die Idee der Nationalen Front und der Einheitslisten bei den bevorstehenden Wahlen zu diskreditieren“ (Dok. 18). P ­ ieck äußerte sich grundsätzlicher und stellte das westliche Konzept freier Wahlen generell in Frage. Die Forderung der Bundesregierung sei „ein gewissenloser Versuch, das deutsche Volk zu täuschen, denn von was für freien Wahlen könne die Rede sein, wenn sie unter dem Diktat der herrschenden Kreise Englands und Amerikas stattfinden?“ P ­ iecks Bemerkung entsprach der Vorstellung kommunistischer Funktionäre dieser Zeit, freie Wahlen in einem demokratisch-repräsentativen Sinne seien nicht „wirklich frei“, da sie im Allgemeinen den Interessen der Bourgeoisie gegenüber den Arbeitern, in diesem Fall aber insbesondere den Interessen der US-amerikanischen „Imperialisten“ dienten, denen man vorwarf, für die Spaltung Deutschlands verantwortlich zu sein und einen Krieg Deutscher gegen Deutsche vorzubereiten. Die westlichen Forderungen nach freien Wahlen galten der SED-Führung zum einen als ein Betrugsversuch an der Arbeiterklasse, den es zu „entlarven“ gelte.234 Zum anderen waren sich die SED-Funktionäre wie auch die sowjetischen Deutschlandpolitiker spätestens seit 1946 darüber im Klaren, dass aus freien gesamtdeutschen Wahlen nicht die SED, sondern die CDU oder die SPD als Sieger hervorgehen würde. Wenn sie also in der Folgezeit mit Initiativen für gesamtdeutsche Wahlen hervortraten, so verbanden sie diese im Regelfall mit Bedingungen, angesichts derer die Wahrscheinlichkeit hoch war, dass entweder die Bundesregierung oder aber die Westmächte nicht darauf eingehen würden. Ein mögliches Ziel der Initiativen war indes schon die Verhandlungsaufnahme selbst, die – falls sich innerhalb der Bundesregierung oder unter den Westalliierten verhandlungsbereite Kräfte durchsetzen sollten – automatisch zu Verzögerungen beim geplanten Aufbau militärischer Einheiten führen musste. So zumindest wurden die Initiativen bereits frühzeitig im Bundeskanzleramt gedeutet (Dok. 59). Angesichts der wiederholten Ablehnung der östlichen Initiativen durch die Bundesregierung sank schließlich auch für die sowjetische Deutschlandpolitik 233  Vgl.

DzD II, 3, S. 127–128. diesem Sinne äußerte sich etwa Anton Ackermann auf der 2. Tagung des ZK der SED am 24. August 1950, zitiert nach Michael Lemke, Die DDR und die deutsche Frage 1949–1955, in: Wilfried Loth (Hrsg.), Die deutsche Frage in der Nachkriegszeit, Berlin 1994, S. 136–171, hier S. 145 und Anm. 26. 234  In

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das Risiko, die Ernsthaftigkeit der eigenen Vorschläge in Verhandlungen beweisen zu müssen.235 Mit der Forderung nach einem Konstituierenden Rat, in dem DDR-Vertreter gleichberechtigt mit Vertretern der Bundesrepublik tagen würden – womit sie ein Vetorecht gegenüber allen Entscheidungen des Rates besäßen –, sollte außerdem garantiert werden, dass ein solcher Rat zu keinen die Interessen der UdSSR und der DDR gefährdenden Ergebnissen kommen konnte.236 Als ­Pieck nun am 23. März 1950 gegenüber der SKK ankündigte, den westlichen Forderungen nach freien Wahlen „die Losung ‚Freie Wahlen in einem freien Land‘ “ entgegenstellen zu wollen (Dok. 18), so meinte er wohl konkret die Überschrift eines Kommentars, der am nächsten Tag auf der ­Titelseite des Neuen Deutschland erschien.237 In einem weiteren Sinne fasste er damit jedoch eine ganze Reihe öffentlicher Erklärungen sowie Artikel und Kommentare in der DDR-Presse aus dieser Zeit zusammen, in denen mit viel rhetorischem Aufwand und einiger Spitzfindigkeit das westliche Konzept freier Wahlen delegitimiert238 und die angeblich von der DDR ermöglichten „wahrhaft freie[n], demokratische[n] Wahlen in einem freien Lande“ aufgewertet werden sollten (vgl. Dok. 18, Fn. 10). In den auf die Prager Erklärung folgenden deutschlandpolitischen Initiativen der UdSSR und der DDR wurde nicht oder nur in Ansätzen expliziert, was genau unter den darin angebotenen freien gesamtdeutschen Wahlen zu verstehen war. Auch spielten diese Initiativen mit der begrifflichen Doppeldeutigkeit, sollten sie doch auch bürgerliche Kreise in der Bundesrepublik ansprechen. Die so Angesprochenen hatten dann für sich zu entscheiden, ob sie den gelegentlichen Bezugnahmen auf die Weimarer Verfassung Glauben schenken wollten oder ob sie ihrem Urteil die in der DDR bei den „Wahlen“ zur Volkskammer am 15. Oktober des Jahres erkennbare Praxis zugrunde legten, mit Hilfe einer erzwungenen Einheitsliste die Mehrheit der Stimmen für eine von der SED kontrollierte Regierung zu sichern. Manche wollten dies in Verhandlungen herausfinden. Möglicherweise bestand seitens der SED und ihrer sowjetischen Auftraggeber für einige Zeit tatsächlich die Hoffnung, im gesamtdeutschen Rahmen Teile der CDU oder der SPD sowie andere Gegner von Adenauers Kurs der Westbindung von den eigenen deutschlandpolitischen Absichten überzeugen und über einen Regierungswechsel in Bonn die Bereitschaft zu Verhandlungen erreichen zu können. Auf dieser Grundlage 235  Vgl.

ebenda, S. 145–146. Wettig, Einheit in Freiheit, S. 195–196. 237  Wörtlich: „Freie Wahlen im freien Land“, vgl. Neues Deutschland, 24. März 1950, S. 1. 238  Bereits am 1. März 1950 hieß es in einem Kommentar des Neuen Deutschland zur Erklärung McCloys vom Vortag, dass unter den Bedingungen des Besatzungsstatuts keine freien Wahlen möglich seien (S. 1). 236  Vgl.



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mochte man gehofft haben, über eine Einigung im Rahmen der „Nationalen Front“ zu einer Wiedervereinigung zu kommen, die die bis dahin in der DDR etablierte Ordnung nicht gefährdete und womöglich sogar ihre Ausweitung auf ganz Deutschland ermöglichte.239 Schon ein Eintritt in Verhandlungen, zu welchem Ende sie auch führen mochten, hätte im Übrigen die formale Anerkennung der DDR und ihrer Regierung und damit ihre Aufwertung bedeutet.240 Das Minimalziel aller folgenden Initiativen blieb in jedem Fall die Störung der seit dem Sommer 1950 vorangetriebenen Westintegration der Bundesrepublik im politischen und im militärischen Sinne. 2.3 Der „Grotewohl-Brief“ Kurz nach den Volkskammerwahlen in der DDR – die neue Regierung war noch nicht offiziell gebildet worden – leitete der stellvertretende Außenminister der UdSSR Gromyko einen Vorschlag von Čujkov und Semenov an Stalin weiter, der die Fortführung der mit der Prager Erklärung begonnenen deutschlandpolitischen Initiative betraf. Demnach sollte die Regierung der DDR unmittelbar nach ihrer für den 15. November 1950 angesetzten Neubildung ein Schreiben an die Bundesregierung richten, das den in Prag formulierten Vorschlag zur Bildung eines paritätisch zusammengesetzten Gesamtdeutschen Konstituierenden Rates erweitern sollte. Um dem „anglo-amerikanischen Vorschlag über so genannte freie Wahlen“ zu begegnen, sollte nun dem Konstituierenden Rat zusätzlich die Aufgabe zugewiesen werden, die „Voraussetzungen für die Durchführung gesamtdeutscher Wahlen“ zu schaffen (Dok. 54). Der Vorschlag der SKK wurde in Moskau schnell und formlos gebilligt (vgl. dort Fn. 8 und 9). Das damit angewiesene Schreiben wurde von Ulbricht in Absprache mit der SKK ausgearbeitet, jedoch erst am 30. November im Namen Grotewohls an Bundeskanzler Adenauer gesandt (vgl. dort Fn. 5). Dieser als „Grotewohl-Brief“ bekannt gewordene Vorschlag wurde durch eine breite propagandistische Kampagne begleitet241 und führte innerhalb der Bundesregierung und in der westdeutschen Öffentlichkeit zu durchaus gemischten Reaktionen, die von offener Ablehnung bis hin zu Forderungen reichten, zumindest unter der Hand Gespräche mit der DDR-Regierung aufzunehmen.242 Laut der Prager Erklärung und dem „Grotewohl-Brief“ sollte der Konstituierende Rat die Bildung einer provisorischen Regierung vorbereiten; zugleich 239  Vgl.

zu diesem Komplex insgesamt Amos, Westpolitik, S. 89–90. ebenda, S. 72. 241  Vgl. DzD II, 3, S. 1142–1147. 242  Vgl. dazu detailliert Lemke, Einheit oder Sozialismus, S. 134–142. Die weiteren Ausführungen zum Thema folgen dieser Darstellung, soweit nicht anders angegeben. 240  Vgl.

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wäre mit seinem Zusammentreten „sofort“ die Voraussetzung für eine „unverzügliche“ Aufnahme von Verhandlungen über einen Friedensvertrag gegeben. Eine zeitnahe Vorbereitung gesamtdeutscher Wahlen war im „Grotewohl-Brief“ allerdings nicht vorgesehen. Vielmehr hieß es dazu in einer verklausulierten Formulierung, der Rat könne „die Vorbereitung der Bedingungen zur Durchführung freier gesamtdeutscher Wahlen … übernehmen“.243 Offensichtlich sollte zunächst eine provisorische, womöglich paritätisch zusammengesetzte Regierung zum Abschluss eines Friedensvertrags gebildet werden, bevor anschließend die „Bedingungen zur Durchführung“ gesamtdeutscher Wahlen geschaffen, nicht aber schon die Wahlen durchgeführt worden wären.244 Was mit den „Bedingungen“ tatsächlich gemeint war, erklärte eine im Schreiben Gromykos an Stalin vom 1. November 1950 nachgeschobene Erläuterung, die zugleich auch als Instruktion für mögliche Verhandlungen im Konstituierenden Rat verstanden werden konnte. Diese sah vor, dass „die Repräsentanten der Deutschen Demokratischen Republik im Gesamtdeutschen Konstituierenden Rat auf der Demokratisierung Westdeutschlands als einer für die Durchführung wahrhaft freier demokratischer Wahlen unerlässlichen Bedingung bestehen müssen“ (Dok. 54). Dieser zum Verständnis der Initiative entscheidende Satz bedeutete zum einen, dass die Vertreter der DDR bei möglichen Verhandlungen auf dem Maximalziel einer Ausweitung des politischen Modells der DDR auf Gesamtdeutschland bestehen sollten – denn nichts anderes meinte der Ausdruck „Demokratisierung“ in der Sprache der sowjetischen und der DDR-Quellen. Wenn jedoch dieses Ziel in den Verhandlungen nicht durchgesetzt werden konnte – und dies musste auch den damaligen Akteuren als der wahrscheinlichere Fall gelten –, hatte der Konstituierende Rat bzw. die provisorische Regierung offensichtlich vor allem die Aufgabe, die im Westen bisher angestrebten Entwicklungen politisch zu blockieren. Möglicherweise hofften die sowjetischen Deutschlandpolitiker zu dieser Zeit noch, durch das Versprechen der Einheit eine Mehrheit der westdeutschen Bevölkerung gegen die Regierung Adenauer aufbringen zu können. In keinem Fall aber bedeutete der „GrotewohlBrief“ die Bereitschaft, freie Wahlen zu einem gesamtdeutschen Parlament zu ermöglichen. Nichtsdestoweniger erwies sich die Initiative als eine Herausforderung für Adenauer und die Bundesregierung. Sie offenbarte – und auch darauf mochte die gut informierte SED-Führung gesetzt haben – größere Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Bundesregierung, als diese sie nach außen hin zeigen wollte. Über die erste Besprechung im Kabinett am 11. Dezember 1950, zu

243  Vgl. 244  Vgl.

DzD II, 3, S. 452–453, hier S. 453. dazu auch Wettig, Einheit in Freiheit, S. 196–197.



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der auch die Fraktionsvorsitzenden der wichtigsten Parteien eingeladen waren, berichtete Adenauer drei Tage später der Alliierten Hohen Kommission, er habe „mit einer gewissen Freude feststellen können, daß jeder der Anwesenden eine Meinung für sich hatte“.245 Die Behandlung des „GrotewohlBriefes“ in den Kabinettssitzungen wurde möglicherweis aus Gründen der Geheimhaltung nicht protokolliert.246 Später wurden diejenigen Schriftstücke aus der Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten im Bundeskanzleramt, die interne Diskussionen und Meinungsbildungsprozesse dazu dokumentieren, mit einer Sperrfrist von siebzig Jahren versehen. Umso ausführlichere Berichte gelangten jedoch von diesen Sitzungen durch unbekannte Informanten an die SED-Führung, die auf diese Weise über die regierungsinterne Diskussion recht gut im Bilde war.247 Deutschland war zu dieser Zeit seit wenig mehr als einem Jahr staatlich geteilt, und in der Bevölkerung in Ost und West bestand weiterhin die Sehnsucht nach einer Überwindung der Spaltung, die vielen auch politisch noch keineswegs unumkehrbar erschien. Die international angespannte Lage seit Ausbruch des Koreakrieges mochte einen zusätzlichen Grund liefern, die Möglichkeit deutsch-deutscher Verhandlungen nicht von vornherein auszuschlagen. Obwohl die internen Repressionen in der DDR auch in Phasen ihrer deutschlandpolitischen Offerten nicht nennenswert nachließen – was alle Verhandlungsoffensiven zugleich konterkarieren musste –,248 konnte sich die Bundesregierung dieser verbreiteten Stimmung nicht vollständig entziehen, wollte sie nicht in der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken, an einer Lösung der deutschen Frage nicht interessiert zu sein. Ohnehin saßen Befürworter von Verhandlungen auch am Kabinettstisch, wie sich bald zeigen sollte. Eine erste Analyse der neuen Initiative lieferte der Staatssekretär im Bundeskanzleramt Walter Hallstein am 7. Dezember 1950. Er vermutete darin das bisher nicht explizit ausgesprochene Angebot einer Wiedervereinigung Deutschlands auf Grundlage seiner Neutralität und erwartete, dass im Falle eines Verzichts auf die Wiederbewaffnung zahlreiche Zugeständnisse angeboten würden, einschließlich von Handelserleichterungen (und sogar der Vermittlung von Handelsbeziehungen mit der VR China). Das Hauptziel der Initiative sah Hallstein jedoch in der Verzögerung oder Verhinderung der „Wiederaufrüstung Europas, einschließlich Deutschlands“ (Dok. 59). Zu ei-

245  Vgl.

AAPD, Hohe Kommissare 1, S. 302. Amos, Westpolitik, S. 72, Anm. 90. 247  Vgl. zu der gemeinsamen Sitzung des Kabinetts und der Fraktionsvorsitzenden von CDU/CSU, FDP, DP und SPD am 11. Dezember 1950 DzD II, 3, S. 1153, Anm. 5. 248  Vgl. zu diesem Zusammenhang Lemke, Einheit oder Sozialismus, S. 141–142. 246  Vgl.

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ner ähnlichen Einschätzung kam wenige Tage später der US-amerikanische Hohe Kommissar John McCloy im Gespräch mit Adenauer.249 Am 7. Dezember berichtete auch Jakob Kaiser dem Bundeskanzler von ersten Reaktionen auf den „Grotewohl-Brief“, die aus den Kreisen der ExilCDU an ihn herangetragen worden seien. Trotz unterschiedlicher Ansichten „über Inhalt und Form“ der Antwort hätten die aus der SBZ/DDR in den Westen geflohenen CDU-Mitglieder gefordert, dass eine Antwort erfolgen müsse (Dok. 60). Kaiser selbst bat Adenauer um eine persönliche Aussprache, worauf dieser jedoch nicht einging. Auf der erwähnten ersten Besprechung des Kabinetts zu dieser Frage am 11. Dezember unter Einschluss der Faktionsvorsitzenden mehrerer Parteien forderte Kaiser dann – laut dem Vermerk eines Informanten der SED-Führung – die sofortige Ablehnung des „Grotewohl-Briefes“. Ludwig Erhard soll derselben Quelle zufolge dagegen inoffizielle Verhandlungen etwa über ­Mittelsmänner aus der Wirtschaft angeregt haben. Adenauer wiederum habe erklärt, dass er „alle Türen … offen lassen wolle, weil er wisse, daß in der großen Politik ebensolche Fühler zwischen Moskau und Washington beständen [sic]“.250 Abweichend von Kaisers Position hatte dessen enger Vertrauter Johann Baptist Gradl bereits einen Tag zuvor weitreichende Vorschläge entwickelt, wie über die Neutralisierung Deutschlands und die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze eine Wiedervereinigung erreicht werden könne. Als Bedingung galt jedoch auch Gradl die Abhaltung freier Wahlen (vgl. Dok. 60, Fn. 11). Während Bundespräsident Theodor Heuss (FDP) dem Bundeskanzler eine direkte Antwort an Grotewohl vorschlug, in der erklärt werden sollte, dass die demokratische Legitimation der DDR-Regierung nicht anerkannt werden könne,251 sprach sich Adenauer für eine abwartende Haltung aus, um zunächst die Diskussion zu beruhigen. Er zog jedoch eine spätere, indirekte Antwort in Betracht, die dann, wie er auch Heuss gegenüber erläuterte, mit den Führungen der Parteien sowie mit der Alliierten Hohen Kommission und der Diplomatie der Westalliierten abgestimmt werden solle.252 Gegenüber McCloy hatte Adenauer bereits zuvor erklärt, er wolle informell antworten und dabei inhaltliche Rückfragen stellen.253 Ausdrücklich gab er in seinen Gesprächen mit den Hohen Kommissaren der Wahrung der Freiheit Westdeutschlands den Vorzug vor einer schnellen Wiedervereinigung, von der er 249  Vgl.

AAPD, Hohe Kommissare 1, S. 306–307. Fn. 247. 251  Vgl. Heuss – Adenauer. Unserem Vaterlande zugute. Der Briefwechsel 1948– 1963, bearbeitet von Hans Peter Mensing, hrsg. von Rudolf Morsey und Hans-Peter Schwarz, Berlin 1989, S. 51–52. 252  Vgl. DzD II, 3, S. 1174. 253  Vgl. DzD II, 3, S. 1153. 250  Vgl.



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annahm, dass sie zu einem sowjetisch beeinflussten gesamtdeutschen Staatswesen führen würde.254 Er konzedierte aber, dass der „Grotewohl-Brief … ernster genommen werden [müsse], als man ursprünglich annahm“.255 McCloy selbst hatte zuvor erklärt, „daß es sich bei diesem Brief um eine hochpolitische Angelegenheit handele, die sorgfältiger Prüfung bedürfe“.256 Kurz darauf erklärte Adenauer auch in einem Gespräch mit Heuss, der „Grotewohl-Brief“ sei „nicht nur ein Propagandamanöver, sondern ein ernster politischer Schachzug“.257 Offensichtlich sah sich Adenauer unter einem so großen öffentlichen Handlungsdruck, dass er entgegen seinen Prinzipien den Bevollmächtigten der Bundesregierung in Berlin Heinrich Vockel beauftragte, bei DDR-Außenminister Dertinger – beide kannten sich bereits aus früherer Zeit – persönlich zu eruieren, inwieweit der Vorschlag Grotewohls bzw. dessen am 11. Dezember von Dertinger selbst gegenüber einem niederländischen Journalisten ausgeführte Interpretation ernst gemeint sei. Dertinger hatte in diesem Gespräch einen Handelsvertrag und eine Zusammenarbeit von Polizei und Justiz als primäre Ziele von Verhandlungen genannt. Gegenüber Vockel bestätigte er den Inhalt einer entsprechenden Zeitungsmeldung, erklärte jedoch, seine Äußerungen seien nicht autorisiert gewesen. Von Grotewohl erhielt er da­ raufhin für sein unabgestimmtes Handeln eine Rüge (vgl. Dok. 59, Fn. 3). Adenauer musste sich seinerseits von Jakob Kaiser vorhalten lassen, „daß die Gegenseite schon aus solcher ‚Fühlungnahme‘ Kapital für sich zu schlagen wissen wird“.258 Das Hinauszögern einer Antwort über den Jahreswechsel fiel Adenauer umso leichter, als der Vorsitzende der SPD Kurt Schumacher eine Beantwortung des „Grotewohl-Briefs“ vehement ablehnte. Nach Auffassung Schumachers handelte es sich um eine sowjetische, nicht um eine ostdeutsche Initiative. Damit wäre die UdSSR auch der faktische Verhandlungspartner, dem man jedoch nicht gewachsen sei (vgl. Dok. 63, Fn. 6). Vielmehr sollte an die Westalliierten appelliert werden, auf der für 1951 geplanten Außenministerkonferenz der vier Siegermächte das Anliegen freier Wahlen zu einem gesamtdeutschen Parlament als Grundlage für die Wiedervereinigung zu vertreten (vgl. Dok. 65, Fn. 7). Kurz nach Jahresbeginn 1951 entstand in der Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten im Bundeskanzleramt eine Aufzeichnung zur sowjetischen Deutschlandpolitik. Diese vor allem auf militärische Bedrohungsszenarien bezogene Analyse wertete die Initiative der DDR-Regierung  – anders als 254  Vgl.

AAPD, Hohe Kommissare 1, S. 305–307. Vgl. auch DzD II, 3, S. 1176. AAPD, Hohe Kommissare 1, S. 302. 256  Vgl. Fn. 253. 257  Vgl. Fn. 252. 258  Vgl. DzD II, 3, S. 1182. 255  Vgl.

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McCloy und Adenauer – als eine rein propagandistische Aktion, der mit Gegenpropaganda begegnet werden müsse. Ihr Hauptziel sei eine gesamtdeutsche Legitimation der DDR-Regierung. Daneben ziele sie auf die Spaltung des Westens: Auf internationaler Ebene sollten die Westmächte gegeneinander ausgespielt werden, auf nationaler Ebene solle sie die Bevölkerung gegen die Bundesregierung aufbringen. Beides wurde in der Analyse in erster Linie unter sicherheitspolitischem Aspekt betrachtet (Dok. 61). Mitte Januar 1951 antwortete Adenauer schließlich – nicht in schriftlicher Form, sondern indem er auf einer Pressekonferenz indirekt – ohne Grotewohl zu adressieren – auf die von diesem aufgeworfene Frage einging. Zwar dürfe „nichts unversucht bleiben … , die deutsche Einheit in Freiheit und Frieden wiederherzustellen“. Die Bundesregierung könne aber nur mit denjenigen verhandeln, „die willens sind, eine rechtsstaatliche Ordnung, eine freiheit­ liche Regierungsform, den Schutz der Menschenrechte und die Wahrung des Friedens vorbehaltlos anzuerkennen und zu garantieren“ (vgl. Dok. 65, Fn. 6). Er bezog sich dabei explizit auch auf das Mitte Dezember 1950 in der DDR verabschiedete „Gesetz zum Schutz des Friedens“ (vgl. Dok. 106, Fn. 19), das zwar formal „Kriegspropaganda“ unter schwere Strafe stelle, sich jedoch in Wirklichkeit gegen „jede freie Meinungsäußerung“ richte.259 Einen Entwurf seiner Antwort hatte Adenauer zuvor – in einer wiederum nicht protokollierten Sitzung – den Bundestagsausschüssen für gesamtdeutsche Fragen und für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten vorgetragen und dafür weitgehende Zustimmung erhalten (vgl. Dok. 60, Fn. 9). Der Vorsitzende des Ausschusses für gesamtdeutsche Fragen Herbert Wehner (SPD) hatte eine solche Beratung bereits Anfang Dezember 1950 vorgeschlagen (Dok. 60). Kurz darauf, am 12. Januar 1951, wandte sich Heinrich Vockel an Adenauer und versuchte, diesen zu einer konzilianteren Antwort zu überreden, die Verhandlungen nicht ausschließen würde. Zwar erwarte er sich inhaltlich nichts von Verhandlungen, doch halte er es für richtig, „dass aus Zeitgewinn eine Antwort gefunden werden muss, die die Tür möglichst lange offen lässt“ (Dok. 63). Vockel berief sich auf einen Bericht des Berliner Bundestagsabgeordneten Robert Tillmanns, der als beratendes Mitglied an beiden Ausschusssitzungen teilgenommen hatte.260 In seiner Argumentation verwies er darauf, dass die Siegermächte ebenfalls Notenwechsel zur deutschen Frage führten und sogar Verhandlungen planten. Vockel und Tillmanns, der zugleich als stellvertretender Vorsitzender den CDU-Landesverband von Berlin vertrat, war der Antwortentwurf allerdings bereits am 9. Januar im Auftrag Blankenhorns vorgelegt worden. Hierzu hatte Vockel laut einer Aufzeichnung aus 259  Vgl. 260  Vgl.

Bemühungen der Bundesrepublik, S. 24. Gesamtdeutscher Ausschuss, S. 105 und 106.



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dem Bundeskanzleramt ähnliche Vorschläge unterbreitet wie in seinem Schrei­ben an Adenauer, die jedoch noch darüber hinausgingen. Zusätzlich schlug Vockel Vorbesprechungen über die Tagesordnung der eigentlichen Verhandlungen vor, außerdem wollte er die „im Gang befindliche[n] Bewaffnung der Ostzone“ bei gleichzeitiger „Schutzlosigkeit der Bundesrepublik“ erwähnt wissen.261 Ein solcher Passus findet sich tatsächlich in Adenauers Presseerklärung, deren Entwurf Blankenhorn verfasst hatte.262 Weder Vockels Äußerung vom 9. Januar noch sein Schreiben vom 12. Januar enthielten jedoch einen Hinweis darauf, zu welchem Zweck Zeit gewonnen werden sollte. Eine Auseinandersetzung Adenauers mit Tillmanns, der am 12. Februar 1951 im Bundesparteiausschuss eine „positive Neutralisierung“ Deutschlands für denkbar erklärte,263 mag einen Hinweis darauf geben, dass den kurzfristigen Interventionsversuchen von Vockel und Tillmanns wohl nicht ausschließlich taktische Motive zugrunde lagen. Auch nach Adenauers Erklärung rissen die Diskussionen zunächst nicht ab. Grotewohl antwortete am 31. Januar mit einer Regierungserklärung auf Adenauers Ablehnung seines Vorschlags, in der er die „Remilitarisierung“ attackierte und Adenauer zu Verhandlungen ohne Vorbedingungen aufrief. Er erklärte die deutsche Einheit zu einer Angelegenheit der Deutschen, während Adenauer lediglich an die Besatzungsmächte appelliert habe, gesamtdeutsche Wahlen vornehmen zu lassen, aber zu deutsch-deutschen Gesprächen nicht bereit sei. Seine abschließende Losung „Deutsche an einen Tisch“ (vgl. Dok. 65, Fn. 8) wurde in diesem Sinne für die DDR-Propaganda der folgenden Zeit bestimmend.264 Einen Tag nach Grotewohls Erklärung wandte sich Bischof Otto Dibelius an Bundestagspräsident Hermann Ehlers, den er hier in seiner kirchlichen Funktion als „Oberkirchenrat“ adressierte. Dibelius verwahrte sich in seinem Schreiben mehrfach vor politischer Indienstnahme, ließ Ehlers aber wissen, dass er täglich von Kirchenvertretern „gedrängt werde, in bezug auf die Anbahnung eines Gespräches zwischen West und Ost eine Initiative zu ergreifen“. Eine „glatte Zurückweisung“ der Gesprächsangebote werde auch „von der ostdeutschen Bevölkerung nicht mehr verstanden“. Wie zuvor Vockel erklärte auch Dibelius, er halte den Erfolg solcher Gespräche für unwahrscheinlich. Er verwies aber auf die propagandistischen Nachteile einer Ablehnung und regte an, „durch irgendwelche Mittelsmänner ein vertrauliches Gespräch führen zu lassen, um abzutasten, wie weit die Kommunisten zu 261  Vgl. Aufzeichnung von Alexander Böker, 9. Januar 1951, PA AA, B 2-VS, Bd. 106A. 262  So notierte es Otto Lenz, vgl. Lenz, Im Zentrum der Macht, S. 1. 263  Vgl. Hans-Peter Schwarz, Adenauer. Der Aufstieg: 1876–1952, Stuttgart 1991, S. 835. 264  Vgl. dazu Lemke, Einheit oder Sozialismus, S. 142–143.

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gehen bereit wären“ (Dok. 65). Seine Bereitschaft, eine solche Vermittlerrolle zu übernehmen, wenn er gefragt werde, deutete Dibelius nur mit einem Satz an; er hatte sie jedoch bereits im Januar vor dem Rat der EKD erklärt (vgl. dort Fn. 3). Laut SED-Quellen setzte sich Ehlers selbst für Verhandlungen und eine freundlichere Antwort auf den „Grotewohl-Brief“ ein.265 Die Ablehnung deutsch-deutscher Gespräche auf Grundlage des „Grotewohl-Briefs“ war im Wesentlichen eine Entscheidung Adenauers selbst, die er in Absprache mit, aber nicht auf Druck der Alliierten Hohen Kommission traf. Unterstützung erhielt er dafür letztlich von der SPD, die Grotewohls Vorschläge ebenfalls glatt ablehnte und mit großer Eindeutigkeit auf die demokratische Kernforderung nach freien Wahlen bestand (Dok. 66). Der von Herbert Wehner geleitete Bundestagsausschuss für gesamtdeutsche Fragen stellte Adenauers ablehnender Antwort keine wesentlichen Hindernisse entgegen. Auch Kaiser, der eine frühere Antwort gefordert hatte, blieb letztlich bei seiner ablehnenden Haltung. In einer im Anschluss an Adenauers Ablehnung des „Grotewohl-Briefes“ am 15. Januar 1951 verlesenen eigenen Erklärung bezog er sich explizit auf die von Grotewohl vorgeschlagene Reihenfolge der Schritte und erklärte, diese müsse umgekehrt verlaufen und mit freien Wahlen zu einer Nationalversammlung beginnen, der es dann obliege, „im Namen des gesamten deutschen Volkes alle weiteren Schritte zu unternehmen“. In diesem Fall sei ein Konstituierender Rat unnötig, der nur vorgeschlagen worden sei, um kommunistische Ziele durchzusetzen.266 Er nahm damit die Diskussionen um die kommenden östlichen Vorschläge zu einer Wiedervereinigung und Friedensregelung vorweg, die immer wieder um die Reihenfolge der Schritte kreisten: Kamen in den kommunistischen Vorschlägen Wahlen an letzter Stelle, so waren sie aus westlich-demokratischer Sicht die Voraussetzung für jede weiterführende Entwicklung. Darin bestand noch im Nachgang der „Stalin-Note“ im Sommer 1952 der Kern der Auseinandersetzungen (Dok. 126). Für Kritiker der strikten Westbindung stellte sich hier wie später immer wieder die Frage, ob die Westseite nicht um der Einheit willen auf die eine oder andere ihrer Kernforderungen verzichten könne oder müsse (vgl. Dok. 131 und dort Fn. 4). Die Bundesregierung bemühte sich 1950/51 mit begrenztem Erfolg, nach außen ein Bild der Geschlossenheit abzugeben. Mehrere Spitzenpolitiker in Adenauers Kabinett oder in seinem Umfeld, aber auch führende Vertreter der evangelischen Kirche äußerten, wenn auch in vorsichtiger Form, ihre abweichenden Vorstellungen zum Umgang mit der DDR-Initiative. Ihre Motivationen mochten unterschiedlich sein. Adenauer selbst zögerte und ließ sich mit 265  Vgl. Lemke, Einheit oder Sozialismus, S. 137. Zu Dibelius’ Angeboten, eine Vermittlerrolle zu übernehmen, und Ehlers’ Versuchen, Adenauer zu einer konzilianteren Haltung zu bewegen, vgl. auch Besier, Der SED-Staat und die Kirche, S. 84–87. 266  Vgl. Bemühungen der Bundesrepublik, S. 25–26.



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seiner Entscheidung Zeit. Es ist vorstellbar, dass eine CDU-geführte Regierung unter einem anderen Kanzler als Adenauer – wie es sich etwa Dieckmann erhoffte (Dok. 55) – bereit gewesen wäre, in dieser Situation in Verhandlungen mit Vertretern der DDR-Regierung einzutreten, die letzterer die erwünschte Anerkennung und einen Legitimationszuwachs eingebracht hätten. Zu freien gesamtdeutschen Wahlen hätten solche Verhandlungen nicht geführt, allenfalls zu einer begrenzten Entspannung der deutsch-deutschen Verhältnisse, soweit dies im Kontext des Kalten Krieges möglich war, und zu einer Etablierung mehr oder weniger formalisierter Gesprächskanäle. Die Wiederbewaffnung verzögerte sich schließlich auch ohne zähe deutschedeutsche Verhandlungen. Für die SED-Führung und die Regierung der DDR bedeutete das Scheitern ihrer Initiative dennoch einen wahrscheinlich nicht erwarteten Misserfolg.267 Ihre Propaganda änderte sich in der Folge und wurde erneut aggressiver. Sie richtete sich nun vor allem auf die bereits in der Prager Erklärung vorgeschlagene und von Dertinger zunächst selbst verschobene (Dok. 50), seit März 1951 aber mittels einer aufwändigen Kam­ pagne in Ost und West geforderte „Volksbefragung gegen die Remilitarisierung Deutschlands und für den Abschluß eines Friedensvertrages“, die in der Bundesrepublik verboten wurde und daher weitgehend auf die DDR beschränkt blieb (vgl. Dok. 75, Fn. 4). Auch die sowjetischen Deutschland­ politiker begannen, neue bzw. weitergehende Ideen zu entwickeln. Im Fe­ bruar 1951 entstanden erste konkrete Entwürfe zu der sowjetischen Friedensvertragsinitiative, die über ein Jahr später als „Stalin-Note“ bekannt wurde.268 Anlass dafür waren allerdings nicht in erster Linie die Entscheidungen Adenauers, sondern die nun anstehenden Vorgespräche mit Vertretern der Westmächte, die nach sowjetischem Wunsch eine neue Außenministerkonferenz der vier Mächte zur deutschen Frage vorbereiten sollten. 2.4 Die Pariser Vorkonferenz zur Ausarbeitung einer Tagesordnung für eine neue Ratssitzung der vier Außenminister Wie die erwähnte Aufzeichnung aus dem Bundeskanzleramt zur Sicherheitslage es Anfang des Jahres 1951 (Dok. 61) zutreffend analysierte, verfolgte die UdSSR ihre mit der Prager Erklärung und dem „Grotewohl-Brief“ verbundenen Ziele nicht nur auf der Ebene der deutsch-deutschen Politik, sondern auch im internationalen Rahmen. So richtete die sowjetische Regierung am 3. November 1950 – in diesen Tagen fiel auch der Beschluss über den „Grotewohl-Brief“ – gleichlautende Noten an die Regierungen der drei Westmächte, in denen sie die Einberufung einer neuen Außenministerkonfe267  Vgl. 268  Vgl.

Lemke, Einheit oder Sozialismus, S. 142. Loth, Die Entstehung der „Stalin-Note“, S. 20–21 und 63.

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renz der vier Mächte zur Behandlung der deutschen Frage unter Betonung der Entmilitarisierung Deutschlands auf Grundlage der Prager Erklärung vorschlug (vgl. Dok. 56, Fn. 2). Angesichts einer ersten öffentlichen Erklärung US-Außenminister Achesons – der eine Außenministerkonferenz nicht rundheraus abgelehnt habe, jedoch die Tagesordnung erweitern wolle – und der teilweise wohlwollenden Reaktionen in der französischen und britischen Presse beeilte sich der Leiter der Dritten Europäischen Abteilung im sowjetischen Außenministerium Gribanov, dem stellvertretenden Außenminister Gromyko bereits am 9. November eine Kommission vorzuschlagen, die Direktiven für die bevorstehende Ratssitzung entwerfen sollte (Dok. 56). Die Zusammensetzung der Kommission, die auch sowjetische Noten im Vorfeld der Verhandlungen ausarbeiten sollte, wurde von Molotov bestätigt (vgl. dort Fn. 5 und 6). Die Westmächte antworteten am 22. Dezember mit gleichlautenden Noten. Sie wandten sich darin – ähnlich der Erklärung Achesons vom 8. November (vgl. Dok. 56, Fn. 4)  – nicht grundsätzlich gegen Verhandlungen, lehnten aber die Prager Erklärung und die Verengung auf die Entmilitarisierung Deutschlands als Verhandlungsgrundlage ab; die Konferenz solle alle Probleme behandeln, die die „derzeitigen internationalen Spannungen in der ganzen Welt“ verursachten.269 Dafür schlugen die Westmächte vor, auf einer Vorkonferenz die Tagesordnung der eigentlichen Ratssitzung der vier Außenminister zu vereinbaren, was die sowjetische Regierung am 30. Dezember akzeptierte (vgl. Dok. 63, Fn. 3). In einem weiteren Notenwechsel kamen die Regierungen darin überein, dass die stellvertretenden Außenminister aller vier Mächte auf einer am 5. März 1951 beginnenden Vorkonferenz in Paris über die Tagesordnung der geplanten Außenministerkonferenz verhandeln würden, in der die Ursachen der Spannungen in Europa zur Sprache kommen sollten (vgl. Dok. 66, Fn. 59). Die sich anbahnende Vorkonferenz wirkte in beiden deutschen Staaten auch auf die Diskussionen über die deutsche Frage zurück. In einem Gedankenaustausch mit Schumacher über den Verteidigungsbeitrag der Bundesrepublik äußerte Adenauer am 31. Januar 1951 die Befürchtung, dass sich die Großmächte auf ihrer Konferenz über die Köpfe der Deutschen hinweg über eine Neutralisierung und Demilitarisierung Deutschlands einigen könnten, sofern sich in den USA isolationistische Tendenzen durchsetzten; in Frankreich gebe es solche Neigungen bereits.270 Schumacher betrachtete in seiner Entgegnung vom 6. Februar den möglichen Rückzug der USA aus Europa als eine lediglich taktische Drohung; auch die Außenministerkonferenz könne „im Negativen kaum mehr bringen als ihr Scheitern“ (Dok. 66). Er wiederholte seinen bereits am 31. Januar geäußerten Vorschlag (vgl. Dok. 65, Fn. 6), dass Adenauer auf die 269  Vgl. 270  Vgl.

DzD II, 3, S. 472–474 (hier S. 474). Adenauer, Erinnerungen 1945–1953, S. 416–419, hier S. 416–417.



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Außenministerkonferenz einwirken solle, indem er die vier Mächte in einer Regierungserklärung zur Ermöglichung freier gesamtdeutscher Wahlen auffordere. Auf Adenauers in seinem Schreiben vom 31. Januar geäußerte Befürchtungen bezogen sich auch die Überlegungen des Generalkonsuls in New York Heinz Krekeler (FDP). Dieser schickte am 19. Februar einen in der Akte nicht überlieferten Bericht an Blankenhorn und merkte dazu an, die Bundesregierung könne „nicht nur die russische, sondern auch die französische Haltung“ beeinflussen, indem sie neben der Abhaltung freier Wahlen auch die Entlassung aller politischen Gefangenen und die „völlige Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit in der Ostzone mit allen ihren Konsequenzen als ein schlechthin unabdingbares Postulat“ erkläre. Sein Vorschlag zielte auf die bekannten Fälle politisch motivierter Strafjustiz ab; dagegen bezweifelte er, „hinsichtlich der wirtschaftspolitischen Massnahmen, welche die Kommunisten in der Ostzone getroffen haben, in Westdeutschland eine gemeinsame Basis zu finden“ (Dok. 68). In der DDR entwickelte die SED-Führung eine neue Initiative, die die Diskussion um einen Friedensvertrag mit einem vereinigten Deutschland auf die internationale Ebene ausweiten und die Bundesregierung ein weiteres Mal unter Druck setzen sollte. Am 21. Februar 1951 übermittelten Čujkov und Semenov einen Vorschlag ­Piecks, Grotewohls und Ulbrichts zustimmend nach Moskau, die Volkskammer solle an den Bundestag appellieren, in einem gemeinsamen Ersuchen die vier Mächte um die „Aufnahme der Frage des Abschlusses des Friedensvertrages mit Deutschland im Jahre 1951 in die Tagesordnung“ zu bitten.271 Die Ziele wurden intern nun wesentlich kleiner gefasst als mit dem „Grotewohl-Brief“. So berichtete Gromyko Stalin am 24. Februar, dieser Vorschlag werde „nach den Meinungen P ­ iecks, Grotewohls und Ulbrichts breite Unterstützung in Westdeutschland finden und der Durchführung einer Volksbefragung gegen die Remilitarisierung nützen“.272 Der Vorschlag, der zudem vorsah, dass im Falle des Ausbleibens einer Antwort die Volkskammer den Appell an die vier Mächte selbst und noch vor Beginn der Konferenz einreichen solle, wurde in Moskau an höchster Stelle gebilligt, der entsprechende Appell an den Bundestag am 2. März in der Volkskammer „beschlossen“ und am folgenden Tag veröffentlicht (vgl. Dok. 69, Fn. 5). Etwa zur gleichen Zeit sorgte sich Dertinger um die Gleichbehandlung der DDR auf internationaler Bühne im Vorfeld der Konferenz. Er wies Puškin auf Meldungen hin, die AHK werde die Bundesregierung über den Verlauf der Vorverhandlungen wie auch der geplanten Außenministerkonferenz unterrichten, und bat darum, die DDR in ähnlicher Weise einzubeziehen (Dok. 69). Am Tag der Beschlussfassung in Moskau, dem 24. Februar, 271  Vgl. 272  Vgl.

Loth, Die Entstehung der „Stalin-Note“, S. 64–65, hier S. 64. Ruggenthaler, Stalins Bluff, S. 67–68, hier S. 67.

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wandte sich Gribanov seinerseits an Gromyko, der gleichsam die Schnittstelle zwischen der SKK, der im Außenministerium für Deutschlandfragen zuständigen Dritten Europäischen Abteilung und dem Politbüro bildete, und legte ihm drei verschiedene Vorschläge vor. Der erste Vorschlag griff Dertingers Bitte auf: Gribanov regte einen Beschluss über die Informationsweitergabe an die DDR-Regierung an, der zusammen mit den Direktiven an den sowjetischen Verhandlungsführer – diese Aufgabe übernahm ebenfalls Gromyko  – Stalin und dem Politbüro vorgelegt werden solle. Von diesem Vorschlag findet sich außer einer uneindeutigen Notiz ­Piecks vom 12. März in den Quellen keine Spur (vgl. Dok. 69, Fn. 10). Der zweite Vorschlag betraf den Appell an den Bundestag bzw. an die vier Mächte: Gribanov drang darauf, dass zunächst eine Reaktion des Bundestages auf den Vorschlag eines gemeinsamen Appells abgewartet werden solle. Erst im Falle einer ausbleibenden oder negativen Antwort solle die DDR-Regierung ihren Appell selbst an die vier Mächte richten. Diese Frage wurde so gelöst, dass die Volkskammer dem Bundestag eine Frist von zwei Tagen setzte, innerhalb derer eine Antwort erfolgen müsse; nach dem erwartbaren Ausbleiben der Antwort reichte dann nicht die Regierung, sondern Volkskammerpräsident Dieckmann den Appell an die vier Mächte in Form eines Telegramms an Stalin punktgenau zum Beginn der Vorkonferenz am 5. März ein (vgl. Dok. 69, Fn. 5 und 7). Der dritte Vorschlag Gribanovs, dass zu den Verhandlungen eine gemeinsame deutsch-deutsche Delegation eingeladen werden könnte, erübrigte sich angesichts der kühlen Redebeiträge in der Bundestagsdebatte am 9. März des Jahres (vgl. dort Fn. 6). Er hätte lediglich propagandistischen Zwecken dienen können, wurde aber in Moskau wohl nicht weiter erörtert und fand keinen Eingang in die Direktiven für die Konferenz (vgl. dort Fn. 12). Die von der Alliierten Hohen Kommission angekündigten Informationen an die Bundesregierung über den Stand der Verhandlungen liefen offensichtlich über den erst kürzlich in den Auswärtigen Dienst eingetretenen Heinrich Böx, der seit Mai 1951 mehrere Zwischenberichte sowie am 24. Juni 1951 einen Abschlussbericht verfasste und Blankenhorn vorlegte. In seinem Abschlussbericht resümierte Böx, dass „zur Zeit eine Wiederherstellung der deutschen Einheit auf dem Verhandlungswege nicht möglich ist“.273 Die Vorkonferenz wurde am 21. Juni 1951 ergebnislos abgebrochen, nachdem Gromyko die NATO und die Präsenz der USA in Europa zum Verhandlungsgegenstand machen wollte.274 Eine von Gribanov an dem offensichtlich arbeitsintensiven 24. Februar in einem weiteren Schreiben an Gromyko vorge273  Vgl.

PA AA, B 2-VS, Bd. 107A. Verlauf und Scheitern der Verhandlungen vgl. Hanns Jürgen Küsters, Der Integrationsfriede. Viermächte-Verhandlungen über die Friedensregelung mit Deutschland 1945–1990, München/Bonn 2000, S. 538–553, und Loth, Die Entstehung der „Stalin-Note“, S. 20–23. 274  Zum



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schlagene Kommission, die für die Konferenz den Entwurf eines Friedensvertrags mit Deutschland ausarbeiten sollte,275 wurde angesichts des Verhandlungsverlaufs nicht mehr benötigt. Für diese Kommission sah Gribanov zwei Mitglieder (einschließlich seiner selbst) vor, die er bereits für die Kommission zur diplomatischen Vorbereitung der Außenministerkonferenz vorgeschlagen hatte (Dok. 56). Sofern sich die Regierung der UdSSR von den Verhandlungen in Paris noch einen Durchbruch in der deutschen Frage in ihrem Sinne erhofft hatte, so lag dies mit dem Abbruch der Verhandlungen in weiter Ferne. In den Gesprächstreffen der SKK- und der SED-Führungen spielte die deutsche Frage bereits während des Frühjahrs 1951 kaum mehr eine Rolle.276 Die nächste deutschlandpolitische Kampagne der DDR begann etwa ein halbes Jahr nach Beginn der Pariser Vorverhandlungen. Die UdSSR und die DDR beschränkten sich in der Folgezeit im Wesentlichen darauf, westdeutsche Oppositionelle gegen die Regierung Adenauer und deren Politik der Westintegration zu mobilisieren und nach Möglichkeit in ihre Pläne einzubinden. Insbesondere betraf dies nun die sogenannten Neutralisten – eine kleine und heterogene Gruppe öffentlich hervortretender Intellektueller oder Politiker sowie ihrer Anhänger, die zumeist lose miteinander verbunden waren und denen in der einen oder anderen Form die Schaffung eines wiedervereinigten und neutralen Deutschlands vorschwebte.277 2.5 Die Neutralisten Als Ansprechpartner schienen sich zunächst erneut die prominentesten Gegner der Wiederbewaffnung im Westen, Heinemann und Niemöller, anzubieten. Dertinger hatte bereits Ende Oktober 1950 die Kontaktaufnahme befürwortet und dafür die Zustimmung Puškins erhalten (Dok. 53). Hier ließ sich zugleich an die Kampagnen gegen die „Remilitarisierung“ anknüpfen, denn Niemöller wie Heinemann hatten ebenfalls bereits im Oktober eine Volksabstimmung zu dieser Frage angeregt. Dies traf nun zusammen mit der kurz darauf in der DDR vorbereiteten und nach dem Scheitern des „Grotewohl-Briefes“ in Gang gesetzten „Volksbefragung gegen die Remilitarisierung Deutschlands und für den Abschluß eines Friedensvertrages“ (vgl. Dok. 75, Fn. 4). Wie bei solchen Kampagnen üblich, sollte die von SKK und SED geplante Aktion über lokale Ausschüsse und die „Nationale Front“ in den Westen getragen werden; sie wurde jedoch im April 1951 in der Bundesrepublik verboten.278 Zuvor hatte man versucht, Niemöller und Heinemann 275  Vgl.

Loth, Die Entstehung der „Stalin-Note“, S. 63. Lemke, Einheit oder Sozialismus, S. 146. 277  Vgl. Ruggenthaler, Stalins Bluff, S. 34. 278  Vgl. Lemke, Einheit oder Sozialismus, S. 144–145. 276  Vgl.

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für die eigene Kampagne zu gewinnen. Niemöller hatte bereits von sich aus am 22. Dezember 1950 Heinemann, den aus der CDU ausgeschlossenen ehemaligen niedersächsischen Landwirtschaftsminister Günther Gereke und den Wortführer neutralistischer Bestrebungen Ulrich Noack in sein Haus eingeladen, um mit dem dort formulierten „Wiesbadener Aufruf“ erneut eine Volksabstimmung zu Fragen des Verteidigungsbeitrages zu fordern.279 Als die Westpolitiker der SED Hermann Axen und Franz Dahlem am 10. Januar 1951 Heinemann in ihre Kampagne zur Volksbefragung einbinden wollten, zog dieser sein Engagement zurück (vgl. Dok. 53, Fn. 9) – sei es, weil er seine Unabhängigkeit von der SED wahren wollte, sei es, weil Gereke eine Unterschriftenaktion zum „Wiesbadener Aufruf“ öffentlich gemacht hatte, an der sich inzwischen Führungspolitiker der rechtsextremen SRP beteiligt hatten.280 Obwohl in der Forschung dieser Vorgang zumeist als Anlass für das Auseinandergehen Heinemanns und Gerekes angesehen wird,281 trafen sich beide Ende Januar oder Anfang Februar 1951 erneut mit Niemöller, dieses Mal um sich, wie der Generalkonsul in Amsterdam Karl Du Mont an Blankenhorn berichtete, mit dem Vorsitzenden der Ost-CDU Otto Nuschke über das weitere Vorgehen nach Adenauers Ablehnung des „Grotewohl-Briefes“ zu beraten (Dok. 67). Anders als Du Mont berichtete, diente dieses Treffen möglicherweise auch der Vorbereitung zur – vermutlich von der SKK gebilligten – Gründung einer „Gesamtdeutschen Friedenspartei“,282 wie sie laut einer Aktennotiz des Amts für Informationen der DDR vom 11. Januar 1951 auf Initiative von Nuschke, Niemöller, Heinemann und Dibelius zwischen der Ost-CDU und der CSU im Gespräch gewesen sei. Die nach dieser Quelle auch von Gereke und Personen aus dem Umfeld Noacks unterstützte Initiative blieb jedoch ergebnislos (vgl. Dok. 67, Fn. 6). Heinemanns Aktivitäten in den folgenden Jahren – etwa die Gründung der „Notgemeinschaft zur Rettung des Friedens in Europa“ zusammen mit der Vorsitzenden der Zentrumspartei Helene Wessel im Herbst 1951 oder die Gründung der Gesamtdeutschen Volkspartei (GVP) ein Jahr später – wurden von der SKK und der SED weiterhin aufmerksam beobachtet. Abgesehen von seiner generellen Gesprächsbereitschaft blieb er jedoch darauf bedacht, seine Unabhängigkeit gegenüber Ost-Berlin zu wahren.283 Obwohl auch Niemöller aus Sicht der SED eigenwillig und unberechenbar blieb und etwa unbeirrt zu einem Friedenskongress nach Jugoslawien reiste (vgl. Dok. 79 und dort Fn. 20 und 21), zeigte er in höherem Maße die Bereitschaft, sich auf 279  Vgl. Dieter Koch, Heinemann und die Deutschlandfrage, München 1972, S. 236–240. 280  Vgl. Amos, Westpolitik, S. 108–109 und dort Anm. 63. 281  Vgl. ebenda. 282  Vgl. Lemke, Einheit oder Sozialismus, S. 163. 283  Vgl. Amos, Westpolitik, S. 111–112.



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die Kampagnen der SED einzulassen bzw. sie für seine eigenen Anliegen zu nutzen, wie er es gesehen haben mochte. Im Gegenzug dafür wurde er von Adenauer systematisch ausgegrenzt, der mitunter sogar den Kontakt mit Niemöller untersagte und versuchte, ihn auch innerhalb der EKD zu isolieren.284 Die DDR-Regierung bemühte sich ihrerseits, Niemöller gegen Dibelius auszuspielen und die Durchsetzung seiner politischen Positionen innerhalb der EKD zu fördern. Die EKD selbst nahm unter ihrem Ratsvorsitzenden Dibelius mehrheitlich eine ausgleichende Position ein und rief zur Zurückhaltung in Bezug auf politische Erklärungen auf (vgl. Dok. 55 und dort Fn. 5). Weitere Versuche Niemöllers, die Kirche für seine Kampagne gegen die „Remilitarisierung“ zu gewinnen, stießen allerdings auf Kritik innerhalb der EKD, deren Leitung schließlich auf der Spandauer Bischofskonferenz im März 1952 den „Weg des politischen Kampfes“ für die Kirche ablehnte (vgl. Dok. 94 und dort Fn. 6). Niemöllers Annäherungen an die DDR und auch an die sowjetische Politik gipfelten in seiner bereits erwähnten Reise nach Moskau Ende 1951/Anfang 1952, wo er neben Vertretern der Russisch-Orthodoxen Kirche auch Repräsentanten beider Regierungen traf (Dok. 92 und 93). Ein enger Vertrauter Niemöllers, der Darmstädter Studentenpfarrer Herbert Mochalski (vgl. Dok. 123 und dort Fn. 6), diente offensichtlich über längere Zeit als Mittelsmann zur SED. Mochalski berichtete etwa im September 1951 der SED von den Plänen Heinemanns und Helene Wessels zur Gründung ihrer „Notgemeinschaft zur Rettung des Friedens in Europa“,285 die die SED später ebenfalls – mit Hilfe der KPD – in von ihr unterstützte Kampagnen einzubinden versuchte (vgl. Dok. 112 und dort Fn. 8). Im November 1952 beteiligte sich Mochalski selbst an der Gründung der GVP, als deren Vorstandsmitglied er später – zusammen mit dem Bundestagsabgeordneten Hans Bodensteiner (vgl. Dok. 123 und dort Fn. 7 und 8) – in Ost-Berlin um die Finanzierung der Partei nachsuchte und damit letztlich Heinemann in Misskredit brachte.286 Einen ähnlichen Weg wie Mochalski ging dessen Mitstreiter Heinz Krämer, der zunächst in Mochalskis „Darmstädter Aktionsgruppe“ ein leitende Funktion ausübte, dann aber selbst Heinemanns und Wessels „Notgemeinschaft“ und später der GVP beitrat. Auch Krämer traf sich mit Vertretern der DDR und lieferte ihnen Einschätzungen zu politischen Entwicklungen; offenbar war er einer der Kontaktmänner Dertingers im Westen (vgl. Dok. 123 und dort Fn. 6 und 13). Dass Heinemann, der möglicherweise in dieser Zeit durch die Organisation Gehlen überwacht wurde,287 bereits vor seinem Zerwürfnis mit Adenauer 284  Vgl.

Bösch, Die Adenauer-CDU, S. 125–126. Lemke, Die infiltrierte Sammlung, S. 193–194. 286  Vgl. Lemke, Einheit oder Sozialismus, S. 291–293. 287  Vgl. Sälter, Phantome des Kalten Krieges, S. 438 und dort Anm. 58. 285  Vgl.

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und dem Austritt aus der Regierung unter einer gewissen Beobachtung stand, zeigt ein Vermerk des Koordinators für Nachrichtendienste im Bundeskanzleramt Achim Oster – der zugleich der „Zentrale für Heimatschutz“ des Grafen von Schwerin zugeordnet war – vom 28. Juli 1950. Dieser Vermerk, den von Schwerin über Blankenhorn dem Bundeskanzler zukommen ließ, besagte, Heinemann habe sich mit dem Würzburger Historiker Ulrich Noack getroffen, der mit dem von ihm gegründeten Nauheimer Kreis für ein neutrales und waffenfreies vereinigtes Deutschland warb. Der Bericht schrieb Heinemann Sympathien für Noacks Positionen zu und legte nahe, dass auch Noacks Kontakte zur SKK, namentlich zu Semenov, im Sinne Heinemanns seien (Dok. 38). Ob Adenauer diesem Vermerk Bedeutung beimaß und er im Zuge der Entlassung Heinemanns eine Rolle spielte, ist nicht bekannt. Bemerkenswert ist jedoch, dass Heinemann noch während seiner Amtszeit als Bundesminister des Innern im Visier der frühen westdeutschen Nachrichtendienste stand, die ihn offenbar verdächtigten, die Westbindung der Bundes­ republik in Frage zu stellen. Am selben Tag, an dem der oben genannte Vermerk entstand, verfasste Oster zusätzlich einen Vermerk betr. „Geheimschutz“, in dem er behauptete, Heinemanns Sekretärin habe früher für den KPD-Abgeordneten Heinz Renner gearbeitet, und damit die Gefahr des Geheimnisverrats insinuierte (vgl. Dok. 38, Fn. 3). Tatsächlich stellte Renner, mit dem Heinemann seit seiner Zeit als Oberbürgermeister von Essen bekannt war, nach Heinemanns Entlassung aus der Regierung dessen Kontakt zur SED her.288 Die Begegnungen Heinemanns und Noacks waren allerdings sporadischer Natur und gestalteten sich schwierig. Beide begegneten sich auf Niemöllers Initiative bei der Ausarbeitung des „Wiesbadener Aufrufs“ (s. o.), dem eine Distanzierung Heinemanns folgte, der Noack öffentlich Naivität vorwarf. Noack trat kurzzeitig noch der GVP bei, verließ sie jedoch wieder, sobald sich diese mit dem von der SED gesteuerten Bund der Deutschen des ehemaligen Reichskanzlers Joseph Wirth verbündete.289 Eine politische Zusammenarbeit Heinemanns und Noacks ist für Heinemanns Amtszeit als Innenminister anderweitig nicht belegt. Vermutlich handelte es sich um einen eher tastenden Kontakt, der im Bundeskanzleramt – möglicherweise verstärkt durch ein allgemeines Bedrohungsgefühl gut einen Monat nach Beginn des Koreakrieges – eine übersteigerte Verdächtigung nach sich zog. Der Würzburger Lehrstuhlinhaber für Geschichte Ulrich Noack hatte sich seit 1946 in mehreren Schriften und öffentlichen Auftritten für die Schaffung eines vereinigten, entmilitarisierten und neutralisierten Deutschlands ausgesprochen. Deutschland sollte keinem der beiden Blöcke angehören, sondern eine Mittlerrolle zwischen Ost und West ausüben. In dieser Rolle könne es, 288  Vgl. 289  Vgl.

Lemke, Einheit oder Sozialismus, S. 162. Gallus, Die Neutralisten, S. 167–168.



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so hoffte Noack, auch als Barriere zwischen beiden Blöcken dienen und deren Konfrontation entschärfen. Seine Sicherheit sollte nicht durch die Wahl eines Bündnisses, sondern durch internationale Garantien gewährleistet werden. Noack war dafür bereit, die Oder-Neiße-Linie als Ostgrenze anzuerkennen, und schlug ein gesondertes Handelsabkommen mit der UdSSR vor, um diese für seine Ziele zu gewinnen. 1948 gründete Noack mit dem Nauheimer Kreis ein offenes und überparteiliches Forum zur Diskussion des Neutralitätsgedankens.290 Frühzeitig nahm Noack auch Kontakte zur SMAD und zu Parteien in der SBZ auf, insbesondere zur SED und zur Ost-CDU. Obwohl die sowjetische Führung und die SED bis 1950 die Idee der Neutralität ablehnten, brachten sie Noack als potentiellem Verbündeten gegen eine westdeutsche Staatsbildung bzw. später gegen die Adenauer-Regierung ein verhaltenes Interesse entgegen.291 Als Noack und sein Kreis im November 1949 zu einem „Deutschland-Kongreß der Freunde des Neutralisierungsgedankens“ in Rengsdorf einluden, um ein größeres Publikum zu erreichen, entsandte auch die SED eine Delegation. Wie ein Bericht des sowjetischen Außenministeriums vermerkte, wurde der Kongress eben wegen der vermuteten Nähe Noacks zu den Zielen der SED verboten und von der Polizei aufgelöst (vgl. Dok. 19, Fn. 15). Als die SED Noack am 25. März 1950 zu einem Vortrag in die Verwaltungsakademie Forst Zinna einlud, kam es auch hier zu heftigen Auseinandersetzungen, als Noack freie Wahlen nach getrennten Parteilisten propagierte und dafür von SED-Vertretern heftig attackiert wurde.292 Die SED übte zu dieser Zeit massiven Druck auf die Blockparteien der DDR aus, um eine Einheitsliste für die Volkskammerwahlen in der DDR durchzusetzen. In diesem Zusammenhang war Noacks Unterstützer, der Vorsitzende der sächsischen CDU Hugo Hickmann, bereits zum Rücktritt gezwungen worden (vgl. Dok. 19 und dort Fn. 5). Obwohl aber Čujkov der SED-Führung kurz nach der Veranstaltung in Forst Zinna riet, „solche Dinge vorsichtiger anzugehen“, hielt die SKK den Kontakt zu Noack weiterhin aufrecht (vgl. Dok. 19 und dort Fn. 15 und 16). Noacks Nauheimer Kreis war ein offenes Gesprächsforum. Er bestand aus einer heterogenen Gruppe von Persönlichkeiten in wechselnder Zusammensetzung, die die deutsche Einheit durch Neutralität anstrebte, in der jedoch mitunter auch kontrovers diskutiert wurde. Mehreren Mitstreitern Noacks aus dem Umfeld des Nauheimer Kreises war es nicht genug, Diskussionsvorschläge auszuarbeiten. Sie entwickelten eigene Initiativen, mit denen sie teils eine Ausweitung des Osthandels anstrebten, teils aber auch politische Ziele verfolgten, die weit über Noacks Vorstellungen hinausgingen. So erschienen 290  Vgl.

zusammenfassend Gallus, Die Neutralisten, S. 154–163. zur ausführlichen sowjetischen Berichterstattung über Noack und dessen Thesen UdF 4, S. 508–509 sowie 680–683, Anm. 403. 292  Vgl. Lemke, Einheit oder Sozialismus, S. 158. 291  Vgl.

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am 5. August 1950 drei Westdeutsche in der Informationsabteilung der SKK, die sich auf den Nauheimer Kreis beriefen und erklärten, sie wollten „eine breite politische Tätigkeit … entfalten, deren Ziel die Organisation von Kräften sei, die in echter Opposition zur amerikanischen Politik und zur Regierung Adenauer stehen“ (Dok. 39). Geplant seien nicht die Gründung einer Partei oder eine Zusammenarbeit mit der schwachen KPD, sondern die informelle Koordinierung aller oppositionellen Gruppen, die eine antiwestliche Einstellung und die Ablehnung von Adenauers Politik verbinde, um diese Kräfte zu bündeln und populärer zu machen. Es ging dabei auch um nationalistische Gruppierungen – genannt wurden etwa Anhänger von Otto Strasser, August Haußleiter und Günther Gereke –, die teilweise sozialistische Wirtschaftsauffassungen vertraten und deren antiwestliche und antikapitalistische Ressentiments größer sein mochten als ihre Distanz zur Sowjetunion, welche in ihren Augen offenbar glaubhaft die deutsche Einheit garantieren konnte (vgl. Dok. 39 und dort Fn. 11, 12, 19 und 23). Zugleich meldeten die Besucher Gerüchte über eine Erkrankung Adenauers und erwarteten seine baldige Ablösung, was eine Unterstützung ihrer Aktivitäten umso dringlicher erscheinen ließ. Zwei der Besucher, Emil Hoffmann und Werner Hagert, waren ehemalige NSDAP-Mitglieder und selbst Anhänger des noch im kanadischen Exil lebenden Gründers der „Schwarzen Front“ Otto Strasser. Hoffmann war gleichzeitig im illegalen Ost-West-Handel tätig und bot der SKK Geschäfte an, mit denen er die politischen Aktivitäten seiner Gruppe finanzieren wolle (vgl. Dok. 39, Fn. 29). Zuvor hatte er die SED gebeten, die Anreise der beiden anderen Besucher aus Westdeutschland zu finanzieren, da sie auf Anregung der SED stattfinde (vgl. dort Fn. 8). Etwas rätselhaft erscheint das Engagement des dritten Besuchers, des liberalen Ökonomen und Mitarbeiters im Bundesministerium für Wirtschaft Matthias Schmitt in diesem Kreis. Im Wirtschaftsministerium war allerdings die Auffassung durchaus verbreitet, dass die Bundesrepublik auf den innerdeutschen Handel angewiesen sei und die im Wesentlichen von den USA verhängten und durchgesetzten Embargobestimmungen (vgl. Dok. 36, Fn. 4 und Dok. 70) der westdeutschen Wirtschaft ungleich größeren Schaden zufügten als der Wirtschaft anderer westlicher Staaten (Dok. 44). Ludwig Erhard versuchte dementsprechend auf Erleichterungen bei der Ausfuhr von Waren, zumindest aber auf die Gleichbehandlung der Bundesrepublik in Bezug auf die Ausfuhrkontrollen hinzuwirken. Adenauer selbst war nicht generell gegen den Osthandel eingestellt (vgl. Dok. 44, Fn. 3), hielt es aber für politisch klug, den US-amerikanischen Forderungen nach einem Lieferverbot für rüstungsrelevante Güter in den Ostblock entgegenzukommen (vgl. dort Fn. 15). Neben dem Bundesministerium für Wirtschaft bemühten sich auch westdeutsche Industrielle um eine Lockerung der Embargobestimmungen und suchten teilweise sogar selbst den Kontakt zur SKK oder zur DDR-Re-



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gierung (vgl. Dok. 25 und dort Fn. 23, Dok. 31 und dort Fn. 47 und 48, Dok. 34 und dort Fn. 2). Laut einem im RGASPI überlieferten Bericht eines anonymen Gewährsmannes der SKK bemühte sich Vizekanzler Franz Blücher (FDP) in dieser Zeit um Kontakte zur SKK und zur DDR-Regierung, um sich von politischer Seite – gegen die von Adenauer durchgesetzte Regierungslinie – für engere Wirtschaftsbeziehungen zwischen Ost und West einzusetzen. Demnach hoffte er, auf diesem Wege auch der deutschen Einheit näherkommen zu können (vgl. Dok. 31 und dort Fn. 51). Im Juni 1950 billigte Stalin die Westreise einer DDR-Delegation unter Leitung des Ministers für Außenhandel und Innerdeutschen Handel Handke, die mit Blücher und interessierten Wirtschaftsvertretern ins Gespräch kommen sollte (Dok. 34). Die Reise kam jedoch nicht zustande; Blücher traf erst im Sommer 1951 den stellvertretenden Außenminister der UdSSR Valerian Zorin.293 Derartige OstAktivitäten, so sie denn stattfanden wie in den Quellen dargestellt, hielt Blücher selbst geheim; in seinem Nachlass etwa findet sich davon keine Spur.294 Im Bundesministerium für Wirtschaft setzte sich auch der frühere Diplomat Hans Kroll, der die Bundesregierung in den Pariser EmbargoAusschüssen vertrat, in zumeist diskreter Weise295 für den Osthandel und die langfristige Abschaffung der Embargobestimmungen ein (Dok. 70 und 121). Die oben genannte anonyme Quelle der SKK brachte ihn für das Frühjahr 1950 mit Blüchers Aktivitäten in Verbindung; Kroll habe sich ebenfalls um Kontakte mit der SKK bemüht (vgl. Dok. 31, Fn. 52). Für das Jahr 1952 ist zumindest belegt, dass sich Kroll in konspirativer Weise mit dem Regierungsbevollmächtigten der DDR für Innerdeutschen Handel Josef Orlopp traf,296 der für die DDR auch offizielle Nachverhandlungen zum Interzonenhandelsabkommen vom 20. Juli 1951 geführt hatte (Dok. 77, 83 und 98). Möglicherweise versuchte Matthias Schmitt aus einer ähnlichen Motivation heraus wie Kroll die von Emil Hoffmann angebahnten Kanäle zu nutzen, um seinerseits mit der SKK ins Gespräch zu kommen. Das Zweckbündnis mit Hoffmann hielt jedoch nicht lange, denn in einer späteren Veröffentlichung polemisierte Hoffmann gegen Schmitt, dem er nun vorwarf, ein Vertreter der Regierungslinie zu sein.297 Möglich ist zudem, dass der Protokollant die 293  Vgl.

Ruggenthaler, Stalins Bluff, S. 89–90. BA Koblenz, N 1080; zu Blüchers Tageskalender für 1950 und 1951 vgl. ebenda, N 1080/294-4 und -5. 295  Vgl. zu Krolls Tätigkeit in den Pariser Embargo-Ausschüssen Kühlem, Kroll, S. 137–152. 296  Vgl. Peter E. Fäßler, Bonn und das strategische Embargo gegen die Sowjetunion und ihre Verbündeten 1949–1958, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jg. 54 (2006) 4, S. 673–700, hier S. 691. 297  Vgl. Emil Hoffmann, Die Zerstörung der deutschen Wirtschaftseinheit. Interzonenhandel und Wiedervereinigung, Hamburg 1964, S. 134–136, 145–146. 294  Vgl.

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Aussagen der Besucher ungenau zuordnete. Vielleicht muss aber auch angenommen werden, dass die Bereitschaft zum Grenzgängertum bei vielen westdeutschen Politikern in den ersten Jahren nach der doppelten Staatsgründung, als die Trennschärfen des Kalten Krieges neu und gewöhnungsbedürftig waren, generell größer war, als dies zeitgenössisch nach außen getragen wurde. Eine Episode blieb letztlich das Engagement des früheren reichsdeutschen Botschafters in Moskau Rudolf Nadolny. Dieser hatte sich seit 1946 in zahlreichen Gesprächen, Denkschriften und Briefen bei den Besatzungsmächten, insbesondere bei der UdSSR und den USA, um die staatliche Einheit Deutschlands bemüht. Aufgrund seiner früheren Kontakte als Botschafter, aber auch weil er zeitweilig als möglicher deutscher Außenminister gehandelt wurde, konnte er in den Jahren 1946 und 1947 bei der SMAD ein- und ausgehen und hatte regelmäßigen Kontakt zu Semenov; außerdem suchte er den Kontakt zur Ost-CDU. Er befürwortete in dieser Zeit die Schaffung eines einheitlichen deutschen Staates in enger Anlehnung an die Sowjetunion, nicht jedoch die Übernahme des sowjetischen Modells. In unbeantworteten Briefen schlug er Molotov eine zukünftige Kooperation beider Staaten vor, die eine Revision der Oder-Neiße-Grenze einschließen sollte; zugleich sah er Deutschland, ähnlich wie die Neutralisten um Ulrich Noack, in einer Brückenfunktion zwischen Ost und West. Nach Abbruch der Kontakte durch die SMAD und angesichts der Berliner Blockade schwenkte er um und befürwortete eine stärkere Anlehnung an die USA.298 1949 zog er aus West-Berlin nach Rhöndorf und gründete dort zusammen mit dem ehemaligen Vorsitzenden der Ost-CDU Andreas Hermes Anfang des Jahres 1950 die „Gesellschaft für die Wiedervereinigung Deutschlands“, deren Gründungsurkunde u. a. auch von Günther Gereke, Ernst Lemmer und dem Publizisten Wolf Schenke (vgl. Dok. 39, Fn. 9) unterschrieben wurde, der auch mit Noack in enger Verbindung stand.299 Wahrscheinlich – so berichtete es der Präsident des Bundesverfassungsschutzes Otto John – hatte Nadolny auch Kontakt zu Dertinger (Dok. 136). Über das von der Gesellschaft herausgegebene Nachrichtenblatt Deutsche Politik versuchte er weiterhin in die Diskussionen um die deutsche Frage einzugreifen; seine Interventionen wurden auch im Auswärtigen Amt zur Kenntnis genommen (Dok. 73). Er erreichte jedoch insgesamt nur geringe Resonanz, die führenden Parteien wandten sich ab, und Nadolny selbst trat bereits 1951 aus der von ihm mitgegründeten Gesellschaft wieder aus.300 298  Vgl. zu diesem Komplex Günther Wollstein, Rudolf Nadolny – Außenminister ohne Verwendung, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jg. 28 (1980) 1, S. 47–93, hier S. 72–82. 299  Vgl. Gallus, Die Neutralisten, S. 148–150. 300  Vgl. ebenda, S. 151–152.



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Während die SKK und die SED längst das Interesse an Nadolny verloren hatten, widmeten sie seit dem Sommer 1951 umso größere Aufmerksamkeit dem früheren Reichskanzler der Weimarer Republik Joseph Wirth, von dem sie sich offensichtlich in ähnlicher Weise wie zuvor von Heinemann erhofften, dass er linksbürgerliche Kreise in der Bundesrepublik für die Deutschlandpolitik der DDR bzw. gegen die sich abzeichnenden Vertragswerke über die EVG und den Status der Bundesrepublik Deutschland gewinnen könne. Mit seinem spektakulären Besuch in Ost-Berlin über den Jahreswechsel 1951/52 gelang es Wirth mit Unterstützung der SED, für eine kurze Zeit die Aufmerksamkeit der westdeutschen Öffentlichkeit auf sich zu ziehen (Dok. 90). Die Bundesregierung versuchte immerhin, auf die Leitung der EKD einzuwirken, dass der gerade aus Moskau zurückgekehrte Niemöller sich in Berlin nicht auch noch Wirths Kampagne anschließen solle (Dok. 94). Wirths umfangreiche, von der SED wesentlich unterstützte Publizistik (vgl. Dok. 90 und dort Fn. 5) und seine Versuche, seinerseits eine Sammlungsbewegung zu initiieren (die SED stellte sich ein Zusammengehen u. a. mit Heinemann, Wessel, Niemöller und Hermes vor, vgl. Dok. 90, Fn. 14), blieben letztlich ebenso erfolglos wie ähnliche Versuche Heinemanns oder der Gruppe um Hoffmann und Hagert. Tatsächlich schlossen Heinemanns GVP und der von Wirth gegründete Bund der Deutschen (BdD) auf Betreiben der erwähnten SED-Kontaktleute Mochalski und Krämer für die Bundestagswahlen 1953 ein Wahlbündnis, das nicht zuletzt daran scheiterte, dass die Finanzierung des BdD aus Ost-Berlin bekannt wurde.301 Von einem weiteren vermeintlichen oder wirklichen Netzwerk westdeutscher Politiker, das sich laut Angaben des in Bonn lebenden ADN-Korrespondenten Wilhelm Karl Gerst, der der KPD angehörte, in Opposition zum EVG-Vertrag und zum „Deutschlandvertrag“ gebildet habe, berichtete Dertinger am 20. August 1952 Semenov. Hier handelte es sich nicht um oppositionelle Kleingruppen, sondern um mehrere Ministerpräsidenten, die sich laut Gerst gegen die Ratifizierung der Vertragswerke ausgesprochen hätten. Gerst wiederum berief sich auf den Minister für Bundesangelegenheiten in Nordrhein-Westfalen Carl Spiecker (CDU), der erklärt habe, sein Ministerpräsident Karl Arnold (CDU) sowie einige weitere Ministerpräsidenten unterstützten seinen Vorschlag, mit der UdSSR in heimliche Verhandlungen über die Bildung einer europäischen Föderation auf Grundlage des Europarates einzutreten; die UdSSR könne einen entsprechenden Vorschlag auf diplomatischer Ebene unterbreiten (vgl. Dok. 123 und dort Fn. 12). Zum Hintergrund dieser von Gerst kolportierten Initiative gehört der Beschluss des Bundesrates am 20. Juni 1952, eine Entscheidung über die beiden Ende Mai unterzeichneten 301  Vgl. Josef Müller, Die Gesamtdeutsche Volkspartei. Entstehung und Politik unter dem Primat nationaler Wiedervereinigung 1950–1957, Düsseldorf 1990, S. 286–301.

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Verträge (vgl. Dok. 20, Fn. 12 und Dok. 131, Fn. 6) vorerst aufzuschieben. Vor allem die SPD lehnte die Vertragswerke ab, aber auch der Ministerpräsident von Baden-Württemberg Reinhold Maier (DVP/FDP) stimmte für den Aufschub und verhinderte damit eine mögliche Mehrheit der CDU-regierten Länder. Er wollte noch im darauffolgenden Jahr den Beschluss vertagen, ließ sich aber schließlich von Adenauer und dem FDP-Bundesvorstand überreden.302 Ob Arnold, wie sein Minister Spiecker laut Aussage von Gerst behauptete, die Verträge tatsächlich politisch ablehnte oder ob er aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken zögerte, die auch Bundespräsident Heuss zeitweilig teilte, lässt sich schwer belegen; in der entscheidenden Sitzung im Jahr darauf befürwortete Arnold die Verträge.303 In der unmittelbaren Nachkriegszeit hatte Arnold – ähnlich wie Jakob Kaiser – das Konzept eines „christlichen Sozialismus“ vertreten, der auch begrenzte Eingriffe in die Eigentumsordnung vorsah, und damit den Widerspruch Adenauers hervorgerufen.304 Auch danach hatte er – wiederum im Einklang mit Kaiser – die Idee einer zukünftigen Blockfreiheit Deutschlands formuliert und ihm eine Mittlerrolle in Europa zugewiesen. Noch 1948 ging er auf eigene Initiative mit einem Zehnpunkteplan und einem „Manifest an die deutsche Einheit“ an die Öffentlichkeit und erklärte sich bereit, auch mit Vertretern der SBZ zusammenzuarbeiten.305 Ungeachtet solcher früheren Bemühungen Arnolds um einen Ausgleich zwischen Ost und West um der Einheit willen ist die Glaubwürdigkeit der Quelle von Gerst, die Dertinger an Semenov weiterleitete, in mehrfacher Hinsicht schwer einzuschätzen. Entweder Spiecker oder Gerst mögen das Maß an Zustimmung für ihre unrealistisch anmutende Initiative übertrieben dargestellt haben. In einer späteren, von Polemik gegen Adenauer geprägten Veröffentlichung widmete Gerst den für ihn offensichtlich entscheidenden Debatten im Bundesrat fünf Seiten.306 Semenov reagierte reserviert auf die Überlegungen Dertingers und hielt schriftlich fest, dass er sich „jeglicher Äußerungen zu den Darlegungen Dertingers“ enthalten habe (Dok. 123). Nichtsdestoweniger legt die Quelle nahe, dass zumindest Spiecker, der bis Mitte der 1920er Jahre Pressechef der Reichsregierung gewesen war, noch zu dieser Zeit deutschland- und europapolitische Ambitionen

302  Vgl. zu diesem Hintergrund insgesamt Arnulf Baring, Außenpolitik in Adenauers Kanzlerdemokratie. Bonns Beitrag zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, München 1969, S. 261–293. 303  Vgl. Detlev Hüwel, Karl Arnold. Eine politische Biographie, Wuppertal 1980, S. 274–278. 304  Vgl. ebenda, S. 72–79. 305  Vgl. ebenda, S. 186–190. 306  Vgl. Wilhelm Karl Gerst, Die Bundesrepublik Deutschland unter Adenauer, Berlin 1957, S. 124–129.



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hegte,307 die konträr zu Adenauers Regierungslinie standen und die er über Kontakte zu sowjetischen Stellen zu verfolgen hoffte. Eine zusammenhanglose Notiz in Otto Lenz’ Tagebuch vom 22. Juli 1952 scheint eine solche Konstellation zu bestätigen. Spiecker sei „derjenige, der sich immer wieder gegen die Politik des Bundes wende und stets abfällige Bemerkungen über den BK mache. Arnold stehe völlig unter dem Einfluß Spieckers.“308 Im Bundesvorstand der CDU sah man Spiecker zu dieser Zeit als Störfaktor und dachte über seine Versetzung auf einen Botschafterposten nach.309 Spiecker selbst sah sich vermutlich als möglichen Unterhändler für die angestrebten Gespräche mit sowjetischen Vertretern, denn „eine von Gerst angefragte Beteiligung Arnolds halte er … für zu auffällig“ (vgl. Dok. 123, Fn. 12). Spieckers durch Gerst vermittelter Kontakt zu Dertinger galt in der bisherigen Forschung als Gerücht zweifelhafter Agenten der Organisation Gehlen und mithin als „Phantom des Kalten Krieges“;310 der im Tagebuch von Semenov abgelegte Bericht von Gerst bestätigt jedoch diese Verbindung. Spieckers Initiative ist offenbar in einem breiteren Kontext der Westpolitik der DDR bzw. der lose miteinander vernetzten Personenkreise in der Bundesrepublik zu verstehen, die Anfang der 1950er Jahre gegen die Politik der Westbindung opponierten und, in der Hoffnung, so die Chance auf die deutsche Einheit aufrechterhalten zu können, in unterschiedlichem Maße die Unterstützung der DDR oder sowjetischer Stellen akzeptierten oder die Zusammenarbeit mit ihnen suchten. Gerst verwies in seinem Bericht auf die frühere enge Zusammenarbeit Spieckers mit Joseph Wirth (vgl. Dok. 123, Fn. 12). Spiecker hatte seinen früheren Mentor 1948 sogar für die Gründung der „Union der Mitte“ gewinnen können,311 einer Partei, die den linken Flügel der CDU und Teile der SPD miteinander verbinden sollte. Die Idee zu einer solchen Partei hatte Spiecker bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit entwickelt.312 Als Führungsmitglied und kurzzeitiger Vorsitzender der Zentrumspartei stand Spiecker Helene Wessel nahe. Aus seiner NS-Gegnerschaft und Exilzeit stand er mit einzelnen Kommunisten ebenso wie mit Otto Strasser in enger Verbindung.313 Die im Zusammenhang mit Vizekanzler Blüchers Bemühungen um Ostkontakte erwähnte anonyme Quelle der SKK 307  Mögliche außenpolitische Ambitionen Spieckers deutet – ohne Hinweis auf Ostkontakte – Claudius Kienle an, vgl. Kienle, Karl Spiecker, S. 253–255. 308  Vgl. Lenz, Im Zentrum der Macht, S. 395. 309  Vgl. Fn. 307, hier jedoch gedeutet in einem rein innenpolitischen Kontext. 310  Vgl. Sälter, Phantome des Kalten Krieges, S. 400 und dort Anm. 44; diese Einschätzung wiederholt Kienle, Karl Spiecker, S. 253–254. 311  Vgl. ebenda, S. 247–248. 312  Vgl. Wolfgang Matthias Schwiedrzik, Träume der ersten Stunde. Die Gesellschaft Imshausen, Berlin 1991, S. 45–48. 313  Vgl. Kienle, Karl Spiecker, S. 128–129.

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(vgl. Dok. 31, Fn. 51) nannte bereits im Frühjahr 1950 neben Blücher auch Spiecker als Unterstützer einer Initiative Hans Krolls, die auf informelle Gespräche mit der SED und der SKK über eine Wiedervereinigung ab­ zielte.313a Agenten der Organisation Gehlen legten zudem einen indirekten Zusammenhang zwischen Spiecker und Emil Hoffmann nahe, der Verbindungen zu sowjetischen Stellen unterhalte.314 Solche manchmal losen und situativen, manchmal engeren Verbindungen zwischen politisch tätigen Einzelpersonen und ihren kleinen Anhängerkreisen bedeuteten zu keiner Zeit, wie in der binären Logik des Kalten Krieges westdeutsche Nachrichtendienste befürchten und die Westpolitiker der DDR erhoffen mochten, dass eine wirkmächtige politische Gruppe am Werk war, die in der politischen Elite der Bundesrepublik und in der westdeutschen Bevölkerung Mehrheiten gewinnen konnte. Dieser Fehleinschätzung unterlagen über Jahre hinweg sowohl die sowjetischen Deutschlandpolitiker als auch die SED-Führung, aber auch mit Westpolitik befasste (und zum Teil beauftragte) Politiker der Ost-CDU wie Dertinger oder Nuschke. Keine der hier genannten Gruppen oder Kleinparteien, die auf die eine oder andere Weise neutralistische Vorstellungen zur deutschen Frage vertraten und auf die sich die Hoffnungen der Gegner Adenauers und ihrer sowjetischen Gesprächspartner richteten, fand in der Bundesrepublik größere Zustimmung. Die Westdeutschen mochten sich die staatliche Einheit wünschen oder die Wiederbewaffnung ablehnen, zu keinem Zeitpunkt aber war eine Mehrheit von ihnen bereit, das vor ihren Augen entstehende politische Modell der DDR anzuerkennen. So misstrauten sie auch denjenigen Politikern, bei denen erkennbar war, dass sie Unterstützung aus Ost-Berlin erhielten. Zudem erwecken einige der Quellen den Eindruck, als neigten die sowjetischen Stellen dazu, die Gesprächsbereitschaft und Kontaktsuche westdeutscher oppositioneller Politiker mit einer Übernahme und Unterstützung ihrer eigenen deutschlandpolitischen Positionen in eins zu setzen. So geben manche Quellen Aussagen westdeutscher Gesprächspartner wieder, die aus den eigenen Propagandaabteilungen zu stammen schienen (Dok. 39 und 123). Möglicherweise legten westdeutsche Besucher aber auch einen gewissen Opportunismus an den Tag, um ihre Ziele zu erreichen. Doch setzten die sowjetischen Deutschlandpolitiker auch gezielt und aus taktischen Gründen auf Einzelpersonen wie Heinemann oder Noack, aber auch auf Gruppierungen aus dem nationalistischen Spektrum, von denen sie wussten, dass die Übereinstimmung mit ihnen zweckgebunden und begrenzt war.

313a  Vgl. 314  Vgl.

RGASPI, f. 17, op. 137, d. 345, Bl. 2–9, hier Bl. 8. Sälter, Phantome des Kalten Krieges, S. 400 und dort Anm. 46.



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2.6 Die Vorbereitung der „Stalin-Note“ Obwohl Ulrich Noack und der Nauheimer Kreis in der Bundesrepublik nicht mehr als eine Minderheitenmeinung vertraten, standen sie ein Jahr später am Anfang der konkreten Überlegungen im sowjetischen Außenministerium zur Ausarbeitung des Friedensvertragsvorschlags, der später als „StalinNote“ bekannt werden sollte. Sie hätten, wie Außenminister Vyšinskij am 28. Februar 1951 an Molotov schrieb, als einzige detaillierte Entwürfe für eine „Neutralisierung Deutschlands“ ausgearbeitet.315 Die SKK habe daher vorgeschlagen  – und diesem Vorschlag schloss sich Vyšinskij an  – „die Bewegung für eine Neutralisierung auszunutzen, weil sie einige Hindernisse bei der Verwirklichung der Remilitarisierung Westdeutschlands durch die Regierungen der USA, Englands und Frankreichs schafft“. Die UdSSR könne zwei Vorschläge einbringen, die auch von den Neutralisten vertreten würden: das Verbot des Beitritts zu einem militärpolitischen Bündnis und die „Gewährung von Garantien der Neutralität Deutschlands von Seiten der Groß­ mächte“.316 Die Unterstützung der Neutralisten solle jedoch zunächst nichtöffentlich geschehen, um die Bewegung nicht zu diskreditieren, aber auch weil, wie Puškin angemerkt habe, „diese Bewegung in ihrer weiteren Konsequenz auch antisowjetischen Inhalt haben kann“.317 Bis zum Spätsommer 1951 wurden die öffentlichen Kampagnen zu gesamtdeutschen Wahlen und zum Abschluss eines Friedensvertrags nicht wieder aufgegriffen. Sie spielten bis zum Sommer auch in den Unterredungen zwischen der SKK- und der SED-Führung keine Rolle.318 Erst am 15. September wandte sich Grotewohl in einer programmatischen Rede vor der Volkskammer „[a]n alle Deutschen“ und rief den Bundestag dazu auf, in eine „gemeinsame gesamtdeutsche Beratung“ einzuwilligen, die über zwei Fragen entscheiden sollte: die „Abhaltung freier gesamtdeutscher Wahlen“ und die „Beschleunigung des Abschlusses eines Friedensvertrages“ mit Deutschland (vgl. Dok. 80, Fn. 7). Dieser daraufhin formal in der Volkskammer beschlossene Appell war lediglich der erste Teil eines umfassenden Aktionsplans, der 315  Vgl. Ruggenthaler, Stalins Bluff, S. 53–58, hier S. 53. Im Dezember 1948 und Januar 1949 beschloss der Nauheimer Kreis Aufrufe und Vorschläge zu einer Friedenssicherung durch Neutralisierung Deutschlands. Sie wurden 1949 im Selbstverlag veröffentlicht, vgl. Dokumente des Friedens. Mitteilungen für die Freunde der Neutralisierung Deutschlands. Nauheimer Kreis, Würzburg o. J. [1949], S. 3–5 und 8–9. Der darin enthaltene „Entwurf zu einem Neutralisierungs-Vertrag für Deutschland“ vom 23. Januar 1949 ist außerdem abgedruckt in: Rainer Dohse, Der dritte Weg. Neutralitätsbestrebungen in Westdeutschland zwischen 1945 und 1955, Hamburg 1974, S. 224–225. 316  Vgl. Ruggenthaler, Stalins Bluff, S. 57. 317  Vgl. ebenda, S. 58–61, hier S. 61. 318  Vgl. Fn. 276.

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im sowjetischen Außenministerium (MID) ausgearbeitet worden war und der der Vorbereitung des sowjetischen Friedensvertragsvorschlags dienen sollte, an dessen Entwurf gleichzeitig im MID gearbeitet wurde. Der Kern dieses Plans war bereits in einem Schreiben von Gribanov an Gromyko vom 9. Juli 1951 enthalten, in dem Gribanov angesichts des Scheiterns der Pariser Vorkonferenz und des Fortgangs der Verhandlungen über einen Wehrbeitrag der Bundesrepublik eine Reihe von Maßnahmen vorschlug, „[u]m die Initiative im Kampf für die Wiederherstellung der Einheit des demokratischen Deutschlands nicht unseren Händen entgleiten zu lassen“.319 In einer Vorlage dieser Initiative für Stalin vom 28. August war dann von einem Wunsch der SEDFührung die Rede, welche am 30. Juli um die Veröffentlichung eines sowjetischen Friedensvertragsvorschlags gebeten habe, um die Beendigung des Kriegszustands mit Deutschland seitens der Westmächte (vgl. Dok. 20, Fn. 12) zu kontern.320 Tatsächlich hinterließ P ­ ieck zu einem Gespräch mit der SKK an diesem Tag – nach einer Klage über den Verlust der Initiative an den „Gegner“ – die Notiz „neuer Programmpunkt Friedensvertrag“, verbunden mit einer Bemerkung zu einer „Gleichberechtigung in Remilitarisierung“.321 Da ein ausführliches Protokoll dieser Sitzung bis heute nicht zugänglich ist, lässt sich aus dieser Notiz nicht ableiten, wer den neuen Programmpunkt angesprochen hatte; angesichts des im MID bereits vorliegenden Plans ist es jedoch wahrscheinlich, dass die Initiative von der UdSSR ausging, die sich auch bei den folgenden Schritten ihrer Kampagne auf angebliche Wünsche der Deutschen berief.322 Der schließlich am 8. September im Politbüro des ZK der VKP (b) beschlossene detaillierte Aktionsplan (vgl. Dok. 80, Fn. 5) sah in diesem Sinne vor, dass nach dem Appell der Volkskammer zur Einberufung einer gesamtdeutschen Beratung – dessen Ablehnung in jeder Stufe der Planung antizipiert wurde – die Regierung der DDR an die vier Besatzungmächte „die Bitte um den möglichst baldigen Abschluss eines Friedensvertrags“ richten solle (Dok. 96). Dazu hieß es in dem Aktionsplan vom 8. September abschließend: „Als Antwort darauf würde die sowjetische Regierung in entsprechender Weise diesen Vorschlag der Regierung der DDR unterstützen und ihrerseits einen Entwurf der grundlegenden Bestimmungen eines Friedensvertrages mit Deutschland vorlegen.“323 In den folgenden Monaten bis zur Überbringung der „Stalin-Note“ folgten die Regierungen der DDR und der UdSSR mit kleinen Modifikationen weitgehend präzise diesem Plan; sie sprachen vor allem die genauen Formulierungen ihrer Appelle und Erklärungen und die Zeitpunkte von deren Veröffentlichungen ab. 319  Vgl.

Loth, Die Entstehung der „Stalin-Note“, S. 66–70, hier S. 67. ebenda, S. 76–79, hier S. 76. 321  Vgl. Badstübner/Loth, S. 373. 322  Vgl. Loth, Die Entstehung der „Stalin-Note“, S. 27 und 31. 323  Vgl. Foitzik, Interessenpolitik, S. 550–552, hier S. 552. 320  Vgl.



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Da der am 8. September im Politbüro bereits gefasste Beschluss zu dem Aktionsplan außerdem vorsah, dass „die Meinung P ­ iecks und Ulbrichts zu erfragen“ sei,324 diese sich zu dieser Zeit jedoch zur Kur an unterschiedlichen Orten der Sowjetunion aufhielten, suchte Vyšinskij am 9. September zunächst P ­ ieck in seinem Sanatorium in Barvicha bei Moskau auf und legte ihm die beschlossenen Pläne dar. P ­ ieck stimmte sofort zu, merkte aber zu der darin vorgesehenen Garantie der freien Betätigung aller „Personen, demokratischen Parteien und gesellschaftlichen Organisationen“ im Falle gesamtdeutscher Wahlen an, dass in diesem Fall die SPD in der DDR aktiv werden könne; daran sei jedoch „auch nichts Schlimmes“ (Dok. 80). Außerdem wollte ­Pieck Näheres zu den Inhalten des Friedensvertragsvorschlags wissen, gab sich aber dann mit einer allgemeinen Antwort zu den Themenfeldern zufrieden, die darin angesprochen sein sollten. Der Volkskammerappell vom 15. September 1951, der wenige Tage später von einer unterstützenden Erklärung Čujkovs flankiert wurde (vgl. Dok. 80, Fn. 6), löste eine Abfolge von wechselseitigen Reaktionen, Erklärungen und Vorschlägen zwischen Ost und West aus.325 Anders als ein Jahr zuvor im Falle des „Grotewohl-Briefes“ reagierte die Bundesregierung schnell, auch weil das Kabinett den Bundeskanzler zu einer Antwort drängte. Adenauer, der die Initiative für einen von der UdSSR befohlenen Versuch hielt, „die Verhandlungen mit den West-Alliierten zu stören“ (vgl. Dok. 80, Fn. 8), verwies daraufhin in einer Radioansprache am 18. September auf die früheren Forderungen der Bundesregierung und der Alliierten Hohen Kommission nach einer Abhaltung freier gesamtdeutscher Wahlen, die von der UdSSR nicht beantwortet worden seien (vgl. Dok. 84, Fn. 4). Diese Einschätzung und Argumentation entsprachen dem Rat Jakob Kaisers, den dieser dem Bundeskanzler am Vortag schriftlich übermittelt hatte.326 In einer Erklärung vor dem Bundestag hielt Adenauer dann am 27. September dem Appell Grotewohls und der Volkskammer seinen Vorschlag einer Wahlordnung in 14 Punkten entgegen, die aus seiner Sicht als Grundlage für die Abhaltung gesamtdeutscher Wahlen dienen könnten. Am selben Tag beschloss der Bundestag, der mit Ausnahme der KPD-Fraktion den Vorschlag der Volkskammer ablehnte, auch die Ausarbeitung eines Wahlgesetzes (vgl. Dok. 80, Fn. 8), das am 6. Februar 1952 beraten und angenommen wurde (vgl. Dok. 84, Fn. 12), dem die DDR aber bereits am 9. Januar 1952 mit einem eigenen Wahlgesetzentwurf zuvorgekommen war (vgl. Dok. 84, Fn. 13). Am 4. Oktober 1951 regte Adenauer in einer Note an die Regierungen der Westmächte die Bildung einer internationalen Kommission unter dem Dach der UNO an, 324  Vgl.

ebenda, S. 550–551; vgl. dazu auch Ruggenthaler, Stalins Bluff, S. 36. wesentlichen zeitgenössisch veröffentlichten Dokumente sind zusammengestellt in: Bemühungen der Bundesrepublik, S. 35–74. 326  Vgl. Kaiser an Adenauer, 17. September 1951, PA AA, B 2-VS, Bd. 107A. 325  Die

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die in beiden deutschen Staaten die Voraussetzungen für freie gesamtdeutsche Wahlen prüfen sollte (vgl. Dok. 86, Fn. 2). Die Westmächte stimmten nach anfänglichem Zögern zu (vgl. Dok. 90, Fn. 21), und am 20. Dezember beschloss die Vollversammlung der UNO – gegen die Stimme der UdSSR – die Einsetzung der Kommission (vgl. Dok. 101, Fn. 2), welche sich am 22. Februar 1952 zwecks einleitender Gespräche an Čujkov und McCloy wandte (vgl. dort Fn. 3). Als Čujkov daraufhin den Entwurf einer Antwort nach Moskau sandte, wurde er auf Grundlage eines Politbürobeschlusses am 17. März – kurz nach der Übermittlung der „Stalin-Note“ – angewiesen, das Schreiben nicht zu beantworten, da die UdSSR die UNO-Kommission nicht anerkenne (vgl. Dok. 101 und dort Fn. 8); nach der offiziellen Linie der UdSSR und der DDR bedeutete sie eine „Einmischung in die inneren Angelegenheiten des deutschen Volkes“; die Wahlen müssten durch eine deutschdeutsche Kommission und – entsprechend dem Potsdamer Abkommen – durch die vier Siegermächte kontrolliert werden (vgl. dort Fn. 7). Bereits unmittelbar nach der Veröffentlichung des Volkskammerappells hatte der Mitarbeiter der Politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes Alexander Böker Analysen des neuen Vorschlags verfasst und diesen mit dem „Grotewohl-Brief“ aus dem Jahr zuvor verglichen. Er merkte darin an, dass in dem neuen Vorschlag zum einen auf die paritätische Zusammensetzung der gesamtdeutschen Beratung verzichtet werde und zum anderen in der Tat nun die Wahlfrage in den Vordergrund gerückt sei. Die nun herausgestellte Definition freier Wahlen sei als Reaktion auf Adenauers Erklärung vom 15. Januar des Jahres zu verstehen (vgl. Dok. 65, Fn. 6), mit der dieser auf den „Grotewohl-Brief“ reagiert habe. Sie gehe auf einzelne der Forderungen Adenauers ein, lasse jedoch solche Punkte außer Acht, die mit den Praktiken des Repressionsapparates und der politischen Justiz in der DDR zusammenhingen, wie den Schutz der persönlichen Sicherheit politischer Akteure, die Garantie aller Freiheitsrechte auch durch die Besatzungsmächte und die Abschaffung des Friedensschutzgesetzes (vgl. Dok. 106, Fn. 19). Grotewohls Definition freier Wahlen habe daher angesichts der „Tatsachen des täglichen Lebens in der Sowjetzone“ einen rein deklamatorischen Charakter.327 In einer späteren Fassung wies Böker zudem auf die Forderung Grotewohls nach Wahlblöcken hin, die nach seiner Auffassung die in der DDR erzwungenen Einheitslisten auch in gesamtdeutsche Wahlen hineintragen solle. In der Argumentation Bökers328 ebenso wie in Verlautbarungen Adenauers spielte aber auch die nicht geklärte Frage der Ostgrenze Deutschlands eine Rolle, die von 327  Vgl. Alexander Böker, Analyse des Vorschlags der Volkskammer vom 15. September 1951, o. D., PA AA, B 2-VS, Bd. 107A. 328  Vgl. Alexander Böker, Vergleich der beiden sowjetzonalen Vorschläge vom 30. November 1950 und 15. September 1951, 20. September 1951, PA AA, B 2-VS, Bd. 107A.



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Grotewohl gar nicht erwähnt worden sei. Adenauer begründete seine Ablehnung des Volkskammerappells wiederholt auch mit der Forderung nach Rückgabe der Ostgebiete im Falle einer Friedensregelung; damit stieß er teilweise in der westdeutschen Öffentlichkeit auf Kritik (vgl. Dok. 84 und dort Fn. 6 sowie Dok. 85 und dort Fn. 8 und 12). Im Falle einer Wiedervereinigung musste nach Auffassung der Bundesregierung vor Abschluss eines Friedensvertrages über die Zugehörigkeit der verlorenen Ostgebiete verhandelt werden; die Bundesregierung ließ etwa im Deutschen Büro für Friedensfragen dazu Material vorbereiten (vgl. Dok. 95 und dort Fn. 6). Die Annahme des Volkskammerappells war von seinen Planern nicht vorgesehen. Bereits die frühen Dokumente aus der Planungsphase erwarteten die Ablehnung des Vorschlags durch die Bundesregierung, die sich dadurch „entlarven“ würde;329 auch laut dem Politbürobeschluss vom 8. September sollten die geplanten Maßnahmen „der weiteren Entlarvung der antidemokratischen Bonner Regierung Westdeutschlands dienen“.330 Falls doch Verhandlungen zustande kämen, könnten dann weitere Forderungen wie die „Nichtzulassung der Remilitarisierung“ vorgebracht werden, die, wenn sie nicht zum Erfolg führten, die Verhandlungen scheitern lassen würden. Nach Ablehnung oder Scheitern der gesamtdeutschen Beratung sollten dann die nächsten Schritte der Kampagne eingeleitet werden. Nachdem Adenauer am 16. Oktober 1951 vor dem Bundestag von seinen bisherigen Bemühungen um die „Wiederherstellung der deutschen Einheit und gesamtdeutsche Wahlen“ berichtet hatte und dabei die Unterstützung der Westmächte für die Einsetzung einer UNO-Kommission vorweisen konnte (vgl. Dok. 86, Fn. 2), entstanden entweder in der SED- oder in der SKKFührung Vorschläge zum weiteren Vorgehen, die dann nach dem üblichen Verfahren von der SKK-Führung nach Moskau geschickt wurden, wo eine im MID vorbereitete Beschlussvorlage für Weisungen dem Politbüro vorgelegt wurde. Der vom 31. Oktober 1951 datierte Entwurf von Weisungen an Čujkov, Semenov und Puškin sah vor, dass Grotewohl auf Adenauers Erklärung vor dem Bundestag reagieren solle, lehnte jedoch den Vorschlag nach einem weiteren Appell der Volkskammer „an das deutsche Volk“ zu diesem Zeitpunkt ab. Stattdessen sollte P ­ ieck nun einen Brief an Bundespräsident Heuss richten und ihn zu einem persönlichen Treffen „zur Vorbesprechung der Fragen im Zusammenhang mit der Einberufung der gesamtdeutschen Beratung“ einladen. In diesem Schreiben sollte P ­ ieck auch die Bildung einer deutsch-deutschen Kommission (anstelle einer UNO-Kommission) vorschlagen, die unter der Kon­trolle der vier Mächte die Bedingungen für gesamtdeutsche Wahlen prüfen sollte. Bestätigt wurde außerdem der Vorschlag zur 329  Vgl. 330  Vgl.

Loth, Die Entstehung der „Stalin-Note“, S. 72–73 und 76–79, hier S. 78. Foitzik, Interessenpolitik, S. 550–552, hier S. 552.

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Bildung einer weiteren Kommission, die den gesamtdeutschen Wahlgesetzentwurf (vgl. Dok. 84, Fn. 13) ausarbeiten sollte. Der Zweck des Wahlgesetzentwurfs war im folgenden Satz benannt: „Eine Veröffentlichung des Entwurfs zur Diskussion im gesamten Volk kann der Bonner Regierung einen Anlass liefern, den Vorschlag der DDR zur Einberufung der gesamtdeutschen Konferenz unter dem Vorwand, dass die einen oder anderen Bestimmungen in dem Entwurf unannehmbar seien, abzulehnen“ (Dok. 86). Die Weisungen wurden umgesetzt. Seine ablehnende Antwort vom 7. November begründete Heuss – ungewöhnlich für den politischen Diskurs dieser Zeit – mit dem Tonfall der Polemik, die in P ­ iecks Brief vom 2. November enthalten sei, und dem gegensätzlich gebrauchten „Begriff des ‚Demokratischen‘ “, der eine Verständigung „im Elementaren“ verunmögliche (vgl. Dok. 86, Fn. 6). Bereits im Politbürobeschluss vom 8. September 1951 war vorgesehen, dass sich nach dem „Scheitern“ der gesamtdeutschen Beratung „die Regierung der DDR selbst an die Regierungen der Vier Mächte mit der Bitte um Beschleunigung des Abschlusses eines Friedensvertrages … und dem nachfolgenden Abzug der Besatzungstruppen aus Deutschland wenden“ könne, worauf die UdSSR eine unterstützende Antwort geben würde (vgl. Dok. 80, Fn. 5). Ursprünglich sollte mit dieser Antwort bereits der Entwurf zu einem Friedensvertrag veröffentlicht werden. Ende Januar/Anfang Februar 1952 fiel in der sowjetischen Führung jedoch die Entscheidung, beide Vorgänge zu entkoppeln und den Friedensvertragsvorschlag in der Hinterhand zu behalten.331 Anfang Februar wurde eine Weisung an die SKK ausgearbeitet, die die SED-Führung über die Inhalte ihres Appells instruieren sollte.332 Die Weisung wurde am 8. Februar im Politbüro angenommen.333 Wie die Weisung vorsah, trafen einen Tag später Čujkov und Semenov mit der SEDFührung zusammen und erläuterten ihnen ihre Aufgabe im Sinne der sowjetischen Führung (Dok. 96). Es handelte sich dabei um den letzten größeren Beitrag der DDR-Regierung zur Vorbereitung der sowjetischen Friedensvertragsinitiative. Die bis heute andauernde Forschungskontroverse über die Einordnung der „Stalin-Note“ – die hier nicht eingehend rekapituliert wird, deren wesentliche Positionen an dieser Stelle aber in bewusster Verkürzung als „Angebotsthese“ (im Sinne eines ernsthaften Vorschlags zur Wiedervereinigung durch Neutralität) und als „Propagandathese“ (nach der eine Aufgabe der DDR von Stalin nicht beabsichtigt war und die „Stalin-Note“ propagandistischen Zielen diente) zusammengefasst werden sollen334 – hat zu unter331  Vgl.

Ruggenthaler, Stalins Bluff. S. 39–40. Loth, Die Entstehung der „Stalin-Note“, S. 113–115. 333  Vgl. Foitzik, Interessenpolitik, S. 565–567. 334  Hier nach Gerhard Wettig, Die Stalin-Note. Historische Kontroverse im Spiegel der Quellen, Berlin 2015, S. 26–38 und 42–50. Die darin auch ausgeführte „Disziplinierungsthese“ ist für diesen Zusammenhang nicht relevant. 332  Vgl.



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schiedlichen Deutungen auch der am 8. Februar 1952 beschlossenen Weisung an die SKK geführt. Diese betrafen die Frage, ob die in der Weisung formulierten Ziele der sowjetischen Deutschlandpolitik und der nun dafür angewiesenen Maßnahmen – sie sollten nach dieser Quelle „zur Beschleunigung des Abschlusses eines Friedensvertrages mit Deutschland, zur Beseitigung der Spaltung Deutschlands und zur Schaffung eines einheitlichen deutschen Staates“ beitragen335 – die tatsächliche Absicht der sowjetischen Führung wiedergaben oder die gewünschte strategische Richtlinie vorgaben, in deren Geist der Appell der DDR-Regierung abgefasst werden sollte.336 Vor diesem Hintergrund ist auch das Protokoll der Unterredung vom 9. Februar von Interesse, in dem die Weisung mit der SED-Führung erörtert wurde. Tatsächlich hatte diese den Auftrag, den Appell selbst zu verfassen, und wie mehrfache Nachfragen nach dem gewünschten Inhalt und Ton des Appells belegen, war dies für sie kein einfaches Unterfangen; Grotewohl bat sogar darum, den „Teil der Mitteilung, der die genaue Formulierung der Maßnahmen seitens der DDR-Regierung enthalte, in schriftlicher Form“ zu bekommen (Dok. 96). Offensichtlich hatten Čujkov und Semenov die SED-Führung bis dahin mündlich unterrichtet. Insofern liegt die Deutung nahe, dass die in der Weisung formulierten Ziele als diskursive Leitplanken zu verstehen waren, nach denen sich die Verfasser des Appells richten sollten. Selbst die protokollierten Gespräche bilden trotz ihrer im Vergleich zu einem Politbürobeschluss größeren Informalität die „tatsächlichen“ Absichten der Sprecher im Regelfall nicht einfach ab; nichtsdestoweniger mag auch das vorliegende Protokoll vor den Hintergrund der Kontroverse verschieden interpretierbar sein. In der Unterredung betonte die SKK-Führung mehrfach die Neuartigkeit der aktuellen Kampagne. Čujkov verneinte etwa die Frage, ob sich der Appell auf frühere Erklärungen Molotovs und Vyšinskijs zu einem Friedensvertrag beziehen solle (vgl. Dok. 96 und dort Fn. 7). Semenov betonte, „dass der Appell der DDR-Regierung an die vier Mächte zum Friedensvertrag nicht mehr einfach die Fortsetzung früherer Maßnahmen“ sei, sondern „eine neue Etappe im Kampf um den Frieden und die Einheit Deutschlands sein“ werde. Der Bezugspunkt des Appells sollte der „Deutschlandvertrag“ sein, dem der von der Sowjetunion ins Spiel gebrachte Friedensvertrag entgegengehalten werden solle; keine Rede war dagegen mehr von einem „Kampf gegen die Remilitarisierung“, möglicherweise weil die „Stalin-Note“ ihrerseits die Bildung einer nationalen Armee vorsah. Ein gesonderter Appell an die Bundesregierung solle sich „der Polemik gegen Adenauer und die Bonner Regierung“ enthalten (vgl. Dok. 96 und dort Fn. 9). Grotewohl verfasste den Entwurf,

335  Vgl. 336  Vgl.

Foitzik, Interessenpolitik, S. 566. Ruggenthaler, Stalins Bluff, S. 41, Anm. 79.

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der noch einmal in Moskau geprüft, mit geringen Modifikationen gebilligt und am 13. Febru­ar veröffentlicht wurde (vgl. dort Fn. 3 und 9). Der Ablauf der Erklärungen und Noten verlief wie geplant. Nachdem Gromyko am 10. März 1952 den Botschaftern der drei Westmächte in Moskau die „Stalin-Note“ überreicht hatte,337 entspann sich ein bis in den Sommer andauernder Notenwechsel zwischen den Westalliierten und der sowjetischen Regierung, der bis zum September des Jahres festgefahren war und endete.338 In der westdeutschen Politik und Öffentlichkeit löste die Initiative lebhafte Debatten aus, die auch nach der ablehnenden Antwort der Westmächte vom 25. März (vgl. dazu auch Dok. 106) und im Zuge des folgenden Notenwechsels der Siegermächte nicht abebbten. Die Bundesregierung lehnte nicht nur das vermeintliche Angebot Stalins, sondern weiterhin auch jegliche Verhandlungen mit Vertretern der DDR ab, etwa als eine Volkskammerdelegation zu Besuch in Bonn weilte (Dok. 128 und 129). Der Bundestagsabgeordnete Eugen Gerstenmaier (CDU) sah sich gar zu einer Rechtfertigung genötigt, als berichtet wurde, er habe Verhandlungen in Erwägung gezogen und sich dabei auf den Bundeskanzler berufen (Dok. 116). Politiker wie die Bundestagsabgeordneten Hans Bodensteiner (CSU) und Karl Georg Pfleiderer (FDP) oder Publizisten wie der Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Paul Sethe vertraten dagegen die Auffassung, dass man die Sicherheitsinteressen der Sowjetunion berücksichtigen müsse, wenn man die Wiedervereinigung erreichen wolle; Sethe prägte dafür das Bild des Preises, der zu entrichten sei, wolle man im Tauschgeschäft die gewünschte Ware erhalten (vgl. Dok. 123 und dort Fn. 7, zu Sethe vgl. Dok. 131, Fn. 4). Ob aber Stalin die deutsche Einheit als Ware zum Verkauf anbot, bleibt zweifelhaft. Die sowjetischen Quellen, die die lange Vorbereitung der Friedensvertragsinitiative dokumentieren, erwecken an keiner Stelle den Eindruck, dass sich Politiker vor einem deutschlandpolitischen Durchbruch sahen und glaubten, ihn mit einem neuen Verhandlungsangebot erreichen und gestalten zu können. Die Sprache, die aus den Schriftstücken und Protokollen dieser Zeit spricht, bleibt formelhaft und bewegt sich auf der Ebene taktischer Finessen, die auf wenig anderes abzielten als auf die öffentliche „Entlarvung“ des Gegners. 2.7 Der Fall Dertingers Am frühen Morgen des 15. Januar 1953 verhaftete das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) den Außenminister der DDR Georg Dertinger (CDU). Zwei Tage später verfasste der Präsident des Bundesverfassungsschutzes Otto John ein Schreiben an das Auswärtige Amt über die Hintergründe der 337  Vgl. 338  Vgl.

dazu Loth, Die Entstehung der „Stalin-Note“, S. 45 und dort Anm. 107. zusammenfassend Ruggenthaler, Stalins Bluff, S. 151–169.



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Verhaftung, wie sie sich nach seiner Kenntnis darstellten (Dok. 136). Er zeigte sich bis auf einzelne Fehleinschätzungen recht gut informiert. Dertinger wurde bei seinen Vernehmungen und im Urteilsspruch vorgeworfen, im Auftrag westlicher Politiker und Geheimdienste Spionage und Geheimnisverrat gegen die DDR betrieben zu haben, um diese zu schädigen. Des Weiteren warf man ihm „Zersetzungsarbeit“ und „Sabotage“ vor.339 Am selben Tag wie Dertinger waren seine Frau Maria, zwei seiner Mitarbeiterinnen und der Hauptgeschäftsführer der Ost-CDU Fritz Jentzsch verhaftet worden; bereits in Haft befanden sich sein Kontaktmann in Westdeutschland Eberhard Plewe, der am 29. November 1952 nach Ost-Berlin gelockt und verhaftet worden war, und der ehemalige Staatssekretär im Justizministerium Helmut Brandt. Dertinger, seine vier Mitarbeiter sowie Brandt wurden im Juni 1954 zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, seine Frau etwa einen Monat später zu acht Jahren Haft. Über die tatsächlichen Gründe seiner Verhaftung konnte – jenseits der stali­nistischen Hysterie des Spionageverdachts  – lediglich spekuliert wer­ den;340 in den Vernehmungen standen seine vermeintlichen und wirklichen Westkontakte im Vordergrund. Insbesondere Otto Lenz, der am 15. Januar 1951 Staatssekretär im Bundeskanzleramt geworden war, beschäftigte die Ermittler des MfS und spielte eine zentrale Rolle in dem von ihnen konstruierten Verschwörungszusammenhang, den sie Dertinger in den Vernehmungen anlasteten. Es war eine Besonderheit des beginnenden Kalten Krieges im gerade erst geteilten Deutschland, dass mehrere zuvor gut miteinander vernetzte Politiker, oftmals aus der Zentrumspartei, nun auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs im Dienst gegensätzlicher Regierungen standen. Dertinger war früher mit Lenz befreundet gewesen und hatte bei Kriegsende in dessen Haus in Berlin-Dahlem gelebt.341 Zum Berliner Freundes- und Bekanntenkreis von Otto Lenz hatten auch Jakob Kaiser, Hans Globke und Heinrich Vockel gehört.342 Lenz war zudem eng mit dem bayerischen Justizminister Josef Müller (CSU) verbunden, den er 1944 vor dem Reichskriegsgericht verteidigt hatte343 und der seinerseits Kontakte in die DDR unterhielt (vgl. Dok. 12, Fn. 9 und Dok. 25, Fn. 16). Ironischerweise wurde Lenz selbst wegen seiner Verbindung zu Müller durch die Organisation Gehlen überwacht.344 Während die direkten Kontakte zwischen Lenz und Dertinger abbrachen, ist es nicht klar, inwieweit indirekte Kontakte weiterhin bestanden und die SKK diese möglicherweise sogar nutzen wollte. Aussagen von Maria Dertinger bei 339  Vgl. 340  Vgl. 341  Vgl. 342  Vgl. 343  Vgl. 344  Vgl.

Lapp, Dertinger, S. 220–221. ebenda, S. 168–171. ebenda, S. 64 und 70. Lenz, Im Zentrum der Macht, S. IX. ebenda, S. XI. Sälter, Phantome des Kalten Krieges, S. 395–399.

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Vernehmungen durch das MfS im Oktober 1953 legen zumindest nahe, dass Plewe als Mittelsmann zwischen Dertinger und Lenz fungiert haben könnte. Auch von Kontakten Plewes zu Karl Arnold, Josef Müller und Andreas Hermes ist hier die Rede – Verbindungen, die Dertinger nunmehr zum Vorwurf gemacht wurden.345 Auch wenn diese Quelle grundsätzlich mit Vorsicht zu betrachten ist, insofern die Vernehmer des MfS einen Geheimnisverrat Dertingers vor allem an Lenz zu „beweisen“ versuchten und die Vernommene unter erheblichen Druck gestellt haben konnten, erscheinen – diesseits aller fiktiven Anschuldigungen des MfS – sporadische Kontaktaufnahmen über die Vermittlung Plewes analog zu anderen Westkontakten Dertingers durchaus vorstellbar. Waren Dertingers Westkontakte im Zuge der Kampagnen um den „Grotewohl-Brief“ seit dem Herbst 1950 auch von sowjetischer Seite grundsätzlich erwünscht gewesen, um jenseits der Verbindungen, über die die SED verfügte, in den Westen hineinwirken zu können (Dok. 53 und 55), so endete das Interesse an Dertinger möglicherweise im Lauf des Jahres 1952. Bereits in der Forschung bekannt sind im Zusammenhang mit der Debatte um die „Stalin-Note“ Aussagen seines ehemaligen Pressereferenten Gerold Rummler, der im April 1952 in den Westen floh und US-amerikanischen Stellen sowie der Bundesregierung über Interna berichtete. Sein Bericht über ein Gespräch Dertingers mit Puškin vom 27. März 1952 gilt als Hinweis darauf, dass die UdSSR zumindest nach der ablehnenden Antwortnote der Westmächte zwei Tage zuvor346 kein Interesse mehr an einer deutsch-deutschen Verständigung hatte,347 während Dertinger sich noch im Frühjahr 1952 intensiv um eine Lösung der deutschen Frage im Nachgang der „Stalin-Note“ bemühte (Dok. 105 und 106). Rummlers ausführlichere schriftliche Berichterstattung für die Bundesregierung ist hier vollständig und in ihrem Wirkungszusammenhang dokumentiert (Dok. 106). Sie wurde von Adenauer gelesen und im Auswärtigen Amt als geheimer Erlass an die bundesdeutschen Auslandsvertretungen verschickt (vgl. dort Fn. 1). Der Gesandte der Bundesrepublik Deutschland in Norwegen Georg von Broich berichtete daraufhin, Dertingers Ehefrau Maria habe im Frühjahr in West-Berlin nach Möglich­ keiten einer Flucht in den Westen gefragt (Dok. 113). Wie Dertinger am 17. ­ April Semenov mitteilte, hatte ihm Rummler dies vor seiner eigenen Flucht selbst nahegelegt; außerdem habe er ihm berichtet, vom sowjetischen Geheimdienst zu Dertinger befragt worden zu sein, und ihn aufgrund dieser Gespräche vor einer Verhaftung gewarnt (Dok. 105). Laut einem Vermerk des MfS vom 21. August 1952 soll Maria Dertinger Rummler in West-Berlin 345  Vgl.

BStU, MfS AU, 4/55, Bd. 2, Bl. 90–98. AdG 22 (1952), S. 3404. 347  Vgl. Rupieper, Stalin – Nenni, S. 551–552 und 556–557. 346  Vgl.



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getroffen haben; dabei sei es ebenfalls um Fluchtmöglichkeiten gegangen (vgl. Dok. 136, Fn. 9). In den Gesprächen über die Option einer Flucht in den Westen wurde mehrfach thematisiert, dass Dertinger in der Bundesrepublik als politischer Flüchtling nicht mehr willkommen wäre (Dok. 105 und 113). Während Dertinger sich im Gespräch mit Semenov offen gab und recht freimütig über den Vorfall mit Rummler berichtete, ließ Semenov in seiner Aufzeichnung erkennen, dass er Dertingers Darstellung misstraute, und deutete seine Distanz zu dessen Aussagen an (Dok. 105). In den sowjetischen Aufzeichnungen zu Gesprächen mit Dertinger finden sich solche Bezeugungen des Misstrauens, seitdem dieser Puškin von seinem Treffen mit Ernst Lemmer – den er ebenfalls seit früherer Zeit kannte – am 12. Oktober 1951 berichtet hatte, in dem sich beide vor dem Hintergrund des Volkskammer­ appells vom 15. September über Möglichkeiten einer deutsch-deutschen Annäherung austauschen wollten. Puškin legte in seiner Aufzeichnung nieder, dass sich Dertingers mündliche und seine schriftliche Darstellung (Dok. 85) dieser Begegnung widersprächen, wobei er beide für unglaubwürdig hielt (Dok. 84). Otto John führte die Begegnung mit Lemmer, die in der westlichen Presse Aufsehen erregte, als möglichen Haftgrund an (Dok. 136). Auch wenn Dertinger in seiner schriftlichen Darstellung behauptete, Lemmer habe das Treffen initiiert (Dok. 85), ist es wahrscheinlich, dass Dertinger mit Wissen oder sogar im Auftrag von Semenov die Begegnung über seinen Mittelsmann Plewe organisieren ließ (vgl. Dok. 84, Fn. 17). In den Vernehmungsprotokollen des MfS spielte dieses Treffen hingegen keine wesentliche Rolle (vgl. Dok. 136, Fn. 8). Die Verdächtigungen gegen Dertinger reichten länger zurück. Als sein Staatssekretär im MfAA Anton Ackermann (SED) am 2. Juni 1950 im Gespräch mit Puškin verschiedene Anschuldigungen und Verdächtigungen gegen Dertinger erhob, hatte kurz zuvor eine „Überprüfung der Schulverhältnisse in den Berliner Randgebieten“ ergeben, dass Dertingers Kinder eine Schule in West-Berlin besuchten. Dieser Bericht ging an Ulbricht, der ihn an das MfS weiterleitete. In der Folge wurden Nachbarn und Kontaktpersonen Dertingers befragt, bis Ackermann am 27. April 1951 einen weiteren Bericht über Dertinger verfasste und ihn „unter Sonderaufsicht“ stellen ließ (vgl. Dok. 32 und dort Fn. 8 und 10). Dass die Verhaftung eines Regierungsmitglieds nicht einfach von der SED angeordnet werden konnte, sondern in Moskau beschlossen worden sein musste, ist vermutet worden.348 In Moskau hatte Außenminister Vyšinskij die Ständige Kommission für auswärtige Angelegenheiten beim ZK der KPdSU einberufen, der er selbst angehörte, um auf Grundlage eines Berichts des stellvertretenden Ministers für Staatssicherheit der UdSSR Sergej Ogol’cov 348  Vgl.

Lapp, Dertinger, S. 168.

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über den Fall Dertingers zu beraten. Dabei trugen Grigor’jan und Puškin ihre Vorschläge vor. Die Entscheidung, Dertinger verhaften zu lassen, wurde damit begründet, dass dieser sich in den Westen absetzen könne (Dok. 135). Eine entsprechende Weisung wurde am 9. Januar 1953 im Politbüro angenommen. Der unlängst zum Leiter der sowjetischen Mission in Ost-Berlin ernannte Ivan Il’ičev, zugleich Resident des Informationskomitees beim MID in Deutschland, wurde eigens nach Moskau beordert, um die Weisung von Vyšinskij entgegenzunehmen. Er flog am 13. Januar nach Berlin zurück, um über Čujkov und Ulbricht die Verhaftung in die Wege zu leiten (vgl. dort Fn. 8). Über eine besondere Rolle Semenovs im Zusammenhang mit der Verhaftung Dertingers ist gemutmaßt worden.349 Diese lässt sich ungeachtet der Rolle seines ehemaligen Stellvertreters Il’ičev nicht eindeutig feststellen. Unter den sowjetischen Außenpolitikern, die mit Dertinger befasst waren, waren offensichtlich der ehemalige Missionsleiter Puškin und außerdem Vyšinskij federführend bei der Entscheidung, den Außenminister der DDR aus dem Amt heraus zu verhaften. III. Der „Aufbau des Sozialismus“ in der DDR nach der „Stalin-Note“ Als die Führung der SED Ende März 1952 zu Gesprächen mit Stalin und anderen Politbüromitgliedern in Moskau eintraf, war das Scheitern der sowjetischen Friedensvertragsinitiative – sofern sie denn überhaupt auf das Erreichen der in der „Stalin-Note“ formulierten Vorschläge abzielte – angesichts der westlichen Antwortnoten vom 25. März350 auch für die Öffentlichkeit bereits absehbar. Was Stalin mit der SED-Führung am 1. und 7. April be­ sprach,351 betraf im Wesentlichen die für die nächste Zeit angedachten Umbaumaßnahmen in der DDR, von denen einige für die SED-Funktionäre unerwartet und neu sein mochten, andere aber bereits seit längerer Zeit vor­ bereitet worden waren und nun mit Blick auf die II. Parteikonferenz der SED im Juli des Jahres forciert werden konnten. Hierbei lag Anfang April noch kein genauer Fahrplan für alle weiteren Maßnahmen vor; auch von Ulbrichts späterer Losung vom „Aufbau des Sozialismus“ (vgl. Dok. 112, Fn. 10) auf der Parteikonferenz war Anfang April 1952 noch nicht die Rede (über sein entsprechendes Vorhaben informierte Ulbricht die SKK spätestens am 10. Juni, vgl. Dok. 112). Vielmehr gab Stalin in den Gesprächen mit der SED-Führung die Signale dafür, dass in der Folgezeit Maßnahmen zur Kon349  Vgl. 350  Vgl.

Amos, Westpolitik, S. 171. AdG 22 (1952), S. 3404 (vgl. dazu auch Dok. 106 und dort Fn. 26, 28, 30

und 31). 351  Zu den Protokollen der beiden Gespräche vgl. Treffen mit Stalin 1952, S. 187– 206.



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solidierung und Absicherung der DDR als Separatstaat angegangen werden sollten, von denen einige bereits eine längere Planungs- und Vorbereitungsphase durchlaufen hatten, andere aber auch erst im Anschluss an die Gespräche in Moskau ausgearbeitet wurden. Bei all diesen Maßnahmen nutzte die SED die durch Stalins eher allgemein gehaltene Äußerungen eröffneten Gestaltungsspielräume und trieb unmittelbar nach ihrer Rückkehr aus Moskau die Umgestaltung des Staates in Abstimmung mit der SKK energisch voran. Trotz der weiterhin geübten Einheitsrhetorik352 wurde die Richtung, in die der neue Staat gesteuert werden sollte, nun deutlicher erkennbar. Die Per­ spektive einer möglichen deutschen Wiedervereinigung rückte zunächst in den Hintergrund, und die Konsolidierung der SED-Diktatur mit weitgehenden Eingriffen in den tradierten Verwaltungsaufbau der DDR sowie in die Rechte und teilweise auch in die Eigentumsverhältnisse der Bevölkerung trat in den Vordergrund. In einzelnen Bereichen, etwa bei der Schaffung von Produktionsgenossenschaften in der Landwirtschaft, wurden wesentliche Entscheidungen in einem längeren Prozess über das Jahr 1952 hinweg getroffen. Vor allem die weitgehende Abriegelung der innerdeutschen Grenze sowie der Auf- und Ausbau von Sicherheitsorganen und Streitkräften ließen sich mit der seit langem erwarteten353 und mit der Unterzeichnung des „Deutschlandvertrages“ am 26. Mai (vgl. Dok. 20, Fn. 12) und des EVGVertrages am 27. Mai 1952 (vgl. Dok. 131, Fn. 6) formal erklärten Eingliederung Westdeutschlands in westliche Bündnisstrukturen sowie mit vermeintlichen und wirklichen Spionage- und Diversionsakten (vgl. Dok. 117) rechtfertigen. Dabei mögen auch Bedrohungswahrnehmungen eine Rolle gespielt haben. Die getroffenen Maßnahmen waren jedoch Teil einer umfassenden Transformation von Staat und Gesellschaft, die grundsätzlich seit langem angedacht worden war und seit dem Frühjahr 1952 mit Billigung der UdSSR umgesetzt werden konnte. Die Vorbereitung der II. Parteikonferenz wiederum begann nicht erst im April 1952, sondern bereits im Dezember 1951.354 Dabei waren die genauen Inhalte teilweise offengelassen, eine „weitere Festigung der demokratischen Ordnung in der Deutschen Demokratischen Republik“ aber bereits zum Ziel erklärt worden (so auf der 8. Tagung des ZK der SED vom 21.–23. Februar 1952).355 Eine Diskussion um die Neudefinition der Zuständigkeiten des Politbüros und des ZK der SED sowie um einen Umbau des Staatsapparates fand bereits am 8. März 1952 (zwei Tage vor der Übermittlung der „Stalin-Note“) statt (Dok. 99). 352  Dass die „Propaganda für die Einheit Deutschlands“ fortzuführen sei, gab Stalin der SED-Führung am 7. April zum Abschluss mit auf den Weg, vgl. Treffen mit Stalin 1952, S. 206. 353  Vgl. Ruggenthaler, Stalins Bluff, S. 31–34. 354  Vgl. Badstübner/Loth, S. 380. 355  Vgl. Wettig, Einheit in Freiheit, S. 227.

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Zu den im April von Stalin angeregten und in der Folge von der SED aufgegriffenen Maßnahmen gehörten neben anderem der Aufbau von Streitkräften der DDR und die Planung und Durchführung von Absperrmaßnahmen an der innerdeutschen Grenze. Hinzu kamen eine Reihe von Maßnahmen in der Landwirtschaft, darunter nun auch die Förderung von Produk­ tionsgenossenschaften, sowie Umstrukturierungen im Ministerrat und im Staatsapparat, die zunächst vor allem die für die Sicherheitsorgane zuständigen Ministerien (das Innenministerium und das MfS) betrafen. Diese Maßnahmen wurden in den Spitzengesprächen von SKK und SED in dieser Zeit auch in einem Zusammenhang gedacht und verhandelt (Dok. 112 und 115). In allen genannten Bereichen wurden – sowohl in der DDR als auch in der UdSSR – konkrete Entscheidungen und Beschlüsse im Anschluss an die Gespräche in Moskau getroffen. Deren Umsetzung begann teils vor, teils unmittelbar nach der Parteikonferenz. 1. Umstrukturierung der SKK Nicht explizit erwähnt wurde in den Protokollen der Gespräche mit Stalin die direkt im Anschluss angegangene umfassende Gebietsreform, die auf die Abschaffung der Länder zielte und diese durch ein neues System von Bezirken und Kreisen ersetzte (vgl. Dok. 107, Fn. 5). Die Abschaffung der Länder war die Konsequenz eines bereits zuvor begonnen Prozesses, der im Geiste des „demokratischen Zentralismus“ an den Länderregierungen vorbei ein direktes Durchregieren der Zentrale in die Kreise und Gemeinden ermöglichen sollte. Hierfür waren bereits auf der 8. Tagung des ZK der SED vom 21. bis 23. Februar und im Politbüro des ZK der SED am 25. März 1952 Beschlüsse gefasst worden, die allerdings die Länder selbst noch unangetastet ließen.356 Dass das Politbüro unmittelbar nach der Rückkehr der SED-Führung aus Moskau, am 11. April, die Abschaffung der Länder bereits in seine Beschlussvorlage aufnahm und dieses Anliegen im MID bereits am 18. April unterstützt wurde (Dok. 107), lässt vermuten, dass die Abschaffung der Länder in den engeren Machtzirkeln schon zuvor angedacht wurde und dass es in Moskau eine wie auch immer geartete informelle Absprache darüber ge­ geben haben dürfte. In der Forschung wird die Initiative vorwiegend der SED-Führung zugeschrieben, die Stalins Äußerung über den „Weg zum Sozialismus“357 als Erlaubnis zur umfassenden Zentralisierung der Verwaltungsstruktur in der DDR im Paket mit den anderen genannten Maßnahmen 356  Vgl. Henning Mielke, Die Auflösung der Länder in der SBZ/DDR. Von der deutschen Selbstverwaltung zum sozialistisch-zentralistischen Einheitsstaat nach sowjetischem Modell 1945–1952, Stuttgart 1995, S. 66–68. 357  Vgl. Treffen mit Stalin 1952, S. 204, und Badstübner/Loth, S. 397.



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verstanden habe, zumal keine sowjetische Direktive nachweisbar ist.358 Das Fehlen einer schriftlichen Quelle beweist in Anbetracht der vielfach informellen Praktiken der Machtausübung allerdings nicht hinreichend, dass keine Weisung ergangen ist. Die etwas uneindeutige Formulierung, mit der der Leiter der Dritten Europäischen Abteilung des MID Gribanov seinem Dienstherrn Vyšinskij am 18. April 1952 von der Gebietsreform berichtete, stellt zumindest einen temporalen, wenn nicht auch sogar kausalen Zusammenhang zwischen den Gesprächen in Moskau und der Entscheidung der DDR-Regierung her (Dok. 107): Laut Gribanov habe „die Führung der DDR nach der Moskaureise und den in der Instanz geführten Unterredungen die Notwendigkeit anerkannt …, in greifbarer Zukunft eine grundlegende Reform des gesamten administrativ-territorialen Systems der DDR durchzuführen“. Während Gribanov nun die Bildung einer Abteilung für Staatsaufbau der SKK bereits im April mit der erst in Planung befindlichen Abschaffung der Länder begründete (Dok. 107), erscheint die im Sommer 1952 vorgenommene erneute Umstrukturierung der SKK im Hinblick auf die neuen Verwaltungsstrukturen (vgl. Dok. 107, Fn. 5) dann allerdings als eine nachholende Reaktion auf die inzwischen getroffenen Beschlüsse der DDR-Regierung.359 Die Initiative zur Abschaffung der Länder ging offensichtlich nicht von der SKK aus, ihre Planung und Umsetzung mussten jedoch mit ihr abgestimmt werden. Das neu geschaffene System der Bezirke und Kreise diente nicht nur der Zentralisierung von Regierung und Verwaltung, sondern auch sicherheits­ politischen Zielen im Hinblick auf den Grenzschutz, die Organisation und Mobilisierung der zu schaffenden Streitkräfte und die Neustrukturierung der Staatssicherheitsorgane auf lokaler Ebene.360 Das erwähnte Schreiben Gribanovs an Vyšinskij (Dok. 107) wirft ein Licht auf sowjetische Aktivitäten, die die Maßnahmen zur Umgestaltung und Konsolidierung der DDR begleiten sollten. Gribanov bezog sich auf zwei Ministerratsbeschlüsse, die am 14. April 1952 getroffen wurden, „um das gesamte System der sowjetischen Behörden in Deutschland zu konsolidieren und ihre Arbeit zu verbessern“. Diese bisher nicht deklassifizierten Anordnungen betrafen zum einen die Sicherung der „Demarkationsgrenze“ und zum anderen die Wiedereinrichtung von 140 Kommandanturen der SKK. Diese Maßnahme, die auf erhöhte Kontrolle und Sicherheit abzielte und die militärische

358  So bei Henning Mielke, Die Auflösung der Länder in der SBZ/DDR. Von der deutschen Selbstverwaltung zum sozialistisch-zentralistischen Einheitsstaat nach sowjetischem Modell 1945–1952, Stuttgart 1995, S. 70, und in SKK-Statut, S. 90. Vgl. dagegen jedoch Wettig, Einheit in Freiheit, S. 234. 359  Vgl. SKK-Statut, S. 90–100. 360  Vgl. Diedrich/Wenzke, Die getarnte Armee, S. 92, und Gieseke, Die hauptamtlichen Mitarbeiter, S. 88.

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Komponente der sowjetischen Präsenz in der DDR stärkte,361 erwähnte Stalin selbst im Kontext der geplanten Maßnahmen zur Grenzsicherung und betrachtete sie als Schutz „gegen mögliche Diversionsakte“.362 Des Weiteren kündigte Gribanov eine von Stalin angewiesene Umstrukturierung der SKK an, bei der zwei neue Abteilungen gebildet werden sollten: die erwähnte Abteilung für Staatsaufbau sowie eine Abteilung für Landwirtschaft, welche die von Stalin angeregten Maßnahmen in der Landwirtschaft institutionell abdecken sollte. Neben diesem Ausbau der SKK-Strukturen und der entsprechenden Aufstockung des Personals wurden in dem von Gribanov angekündigten Beschlussentwurf mehrere Leitungsposten innerhalb der SKK neu besetzt (Dok. 108).363 Mit einzelnen Änderungen bei der Postenbesetzung wurde der Entwurf am 24. April 1952 im Ministerrat bestätigt (vgl. dort Fn. 2). Zum Kontext dieser Umstrukturierung und Neudefinition der Rolle der SKK gehörten auch die Bitte des neu ernannten stellvertretenden SKKVorsitzenden für Wirtschaftsfragen Maširin, aufgrund erhöhter Arbeitsbelastung aus der Abteilung für Wirtschaftsfragen eine neue Abteilung auszugliedern, die für Handel und Warenverkehr sowie für die Nahrungsmittel- und Leichtindustrie zuständig sein solle (Dok. 119). Im selben Zusammenhang standen auch Überlegungen zu einer Neujustierung der Aufgabenbeschreibung des Politischen Beraters Semenov im Frühsommer 1952, die für dessen Tätigkeit vor allem außen- und deutschlandpolitische Schwerpunkte setzten (Dok. 114). Ob die Umstrukturierung der SKK im Frühjahr 1952 als Zeichen einer grundsätzlichen Neuorientierung der sowjetischen Deutschlandpolitik im Nachgang der „Stalin-Note“ zu werten ist oder als Versuch, die bisherige deutschlandpolitische Mehrgleisigkeit und Flexibilität aufrechtzuerhalten, ist in der Forschung bislang umstritten.364 2. Der Beginn der Kollektivierung in der Landwirtschaft Zur Gründung und Förderung von Kollektivbetrieben in der Landwirtschaft hatte sich Stalin am 7. April 1952 – unter teils überraschten Nachfragen der SED-Funktionäre – wortreich ausgelassen (vgl. Dok. 112, Fn. 10). Dennoch kam dieser Punkt in den ersten Maßnahmenkatalogen der SED nach der Rückkehr ihrer Führung aus Moskau nicht vor (Dok. 107), sieht man von einem Politbürobeschluss über die Entsendung von Delegationen nach Ungarn und Polen ab, die die dortigen Erfahrungen „studieren“ sollten (vgl. dort Fn. 6). Anders als im Fall der Gebietsreform begründete das MID die Bildung 361  Vgl.

SKK-Statut, S. 88–89. Treffen mit Stalin 1952, S. 200. 363  Zu den Personalentscheidungen vgl. ausführlicher SKK-Statut, S. 86–88. 364  Vgl. SKK-Statut, S. 84–85. 362  Vgl.



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der neuen SKK-Abteilung nicht explizit mit dem geplanten Großprojekt, der Kollektivierung von Landwirtschaftsbetrieben, sondern berief sich nur indirekt auf eine Anweisung der „Instanz“ (gemeint war Stalin), dass der Landwirtschaft mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden müsse.365 Da Stalins Ausführungen zur Landwirtschaft am 7. April jedoch fast ausschließlich um die Frage der Kollektivierung kreisten, ist anzunehmen, dass diese unausgesprochen auch gemeint war. Stalin hatte mit seiner Bemerkung, die SED solle „[n]ach der Einbringung der Ernte … mit den Bauern über die Bildung von Produktionsgenossenschaften zu sprechen beginnen“,366 einen größeren Zeitrahmen vorgegeben als für die anderen in diesem Kontext vorgesehenen Maßnahmen. Im ersten Spitzengespräch der SKK und SED nach der MoskauReise, in dem die ebenfalls geplante militärische Aufrüstung sowie Fragen der Grenzpolizei im Mittelpunkt standen, wurde jedoch laut P ­ iecks Notizen am 14. April der Punkt „Prod.-Genoss.“ bereits angespro­chen;367 das Thema stand damit frühzeitig auf der Agenda. In der Folge begann eine interne Planungs- und Vorbereitungsphase, in der die SKK Inspektionsreisen unternahm368 und eine Kommission des ZK der SED unter der Leitung Ulbrichts Vorschläge zur Kollektivbewirtschaftung ausarbeitete, die in die am 3. Juni im SED-Politbüro beschlossenen „Maßnahmen zur Förderung von Produk­ tionsgenossenschaften in der Landwirtschaft“369 eingingen. Unmittelbar nach dem Politbürobeschluss wurden die Ersten Kreissekretäre der SED über die Absichten informiert.370 Produktionsgenossenschaften sollten von nun an gefördert, jedoch als Eigeninitiativen der Beteiligten vor Ort dargestellt werden; die Rolle der SED sollte hingegen verschwiegen werden. Dieser Beschluss wurde in der Folge von der neu eingerichteten Landwirtschaftsabteilung der SKK einer kritischen Bewertung unterzogen.371 Sie ging in ein Memorandum ein, das die SKK-Führung am 20. Juni überreichte und mit dem sie gegen Ulbrichts Widerspruch einzelne Maßnahmen zurücknahm und das von Ulbricht vorgelegte Tempo zu bremsen suchte (vgl. Dok. 115 und dort Fn. 9). So sei es für die Bildung einer zuständigen Hauptverwaltung beim Ministerium für Landwirtschaft „noch zu früh“; auch widersprach die SKK u. a. dem Ansinnen, sogenannte „Großbauern“ generell aus den Leitungen der Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB) zu entfernen. Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang Ulbrichts hartnäckige Versuche, eine Klassifizierung der Bauern anhand der Größe ihres Landbesitzes 365  Vgl. 366  Vgl. 367  Vgl. 368  Vgl. 369  Vgl. 370  Vgl. 371  Vgl.

auch Scherstjanoi, SED-Agrarpolitik, S. 361. Treffen mit Stalin 1952, S. 204. Badstübner/Loth, S. 400–401. Scherstjanoi, SED-Agrarpolitik, S. 362–364. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/214, TOP 6, Anlage 4. Schöne, Frühling auf dem Lande, S. 96–97. Scherstjanoi, SED-Agrarpolitik, S. 375.

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festzulegen und auf dieser Grundlage eine Situation des Klassenkampfes auf dem Dorfe mit Zielrichtung auf die „Großbauern“ (nach Vorbild des sowjetischen Begriffs des „Kulaken“) zu inszenieren. Dies passte der SKK zu diesem Zeitpunkt jedoch offensichtlich nicht ins Konzept (Dok. 112 und 115); Stalin selbst hatte am 7. April angewiesen, die Kollektivierung in der DDR – abweichend von seinem eigenen Vorgehen zwanzig Jahre zuvor in der Sowjetunion – nicht mit Repressionen gegen „Kulaken“ zu verbinden. Nichtsdestoweniger unterstützte nun auch die SKK die Gründung von Produktionsgenossenschaften und forderte Ulbricht dazu auf, nach dem bereits vorliegenden Musterstatut für Produktionsgenossenschaften des Typs 1, der lediglich eine gemeinsame Bewirtschaftung des Ackerlandes vorsah, nun auch die weitergehenden Musterstatuten für Produktionsgenossenschaften der Typen 2 und 3 zu erarbeiten und vorzulegen (Dok. 115). Hier war es Ulbricht, der wohl aus taktischen Erwägungen zögerte und dafür plädierte, die ersten Produk­ tionsgenossenschaften auf Grundlage des Musterstatuts für Typ 1 zu bilden. Das Musterstatut für Typ 2 (das zusätzlich zum Ackerland die gemeinsame Nutzung von Maschinen, Geräten und Zugtieren vorsah) war zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits ausgearbeitet und wurde zusammen mit Typ 1 am 1. Juli 1952 im SED-Politbüro beschlossen (vgl. Dok. 115, Fn. 13). Die Muster­ statuten wurden eigens auf die Verhältnisse in der DDR zugeschnitten und blieben mit ihrer abgestuften partiellen Vergemeinschaftung hinter den Kollektivwirtschaften in der UdSSR zurück, wichen aber auch – trotz einer gewissen Anlehnung an das ungarische Beispiel – von den Formen der Kollektivbewirtschaftung in anderen sozialistischen Staaten ab.372 Nachdem Anfang Juni 1952 die ersten Produktionsgenossenschaften gegründet worden waren und bereits am 10. Juni dem SED-Politbüro ein Bericht darüber vorlag,373 kündigte Ulbricht am selben Tag gegenüber Semenov an, auf der Parteikonferenz eine „Erklärung über die Schaffung der Grund­ lagen des Sozialismus“ abgeben zu wollen. Zur Begründung, warum dies nun notwendig sei, gab er neben anderem an, „es sei die Bildung von Produk­ tionsgenossenschaften auf dem Land in Angriff genommen worden, und alle würden sofort verstehen, in welche Richtung die Entwicklung laufe“ (Dok. 112). Semenov äußerte dazu möglicherweise auch deswegen „keine eigene Meinung“, weil Stalin am 7. April eine solche Erklärung noch nicht für notwendig gehalten hatte (vgl. dort Fn. 10). Wahrscheinlich strebte Ulbricht auch für sein Referat am 9. Juli 1952 eine argumentative Verknüpfung seiner Sozialismus-Losung mit dem Thema der Kollektivierung in der Landwirtschaft an. In dem Schreiben der SED-Führung vom 2. Juli 1952, mit dem sie von Stalin die Erlaubnis für die Sozialismus-Erklärung einholen wollte, war 372  Vgl. 373  Vgl.

ebenda, S. 367–368 und 377–378. ebenda, S. 374, und Schöne, Frühling auf dem Lande, S. 98–100.



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zugleich von der „Schaffung der Grundlagen des Sozialismus in der Landwirtschaft“ die Rede, zudem sollte die DDR zur „Volksdemokratie“ erklärt werden.374 Gegen die letzteren beiden Punkte wurden in Moskau Bedenken laut. Stalins Antwort, die erst am Vortag von Ulbrichts Referat eintraf, billigte implizit die geplante Losung vom „Aufbau des Sozialismus“, untersagte jedoch „aus taktischen Erwägungen“ die Verwendung des Begriffs „Volksdemokratie“ für die DDR. Obwohl die in einem früheren Entwurf des MID formulierte Kritik an der Erklärung zum „Sozialismus in der Landwirtschaft“ in Stalins Antwort nicht mehr enthalten war, verzichtete Ulbricht in seinem ­Referat auf eine solche Formulierung.375 Der öffentliche Umgang der UdSSR mit der von ihr maßgeblich angeregten Umgestaltung der DDR war auch zum Zeitpunkt der II. Parteikonferenz der SED nach wie vor uneindeutig und von taktischer Vorsicht geprägt. Hier ging es jedoch um die Sprache, in die man die Entwicklungen öffentlich kleidete, nicht um die Vorgänge selbst. Dass die Kollektivierung insgesamt dennoch zögerlicher angegangen wurde als die anderen in diesem Kontext verhandelten Maßnahmen und die Entscheidungsfindung sich über einen längeren Zeitraum hinzog, lag nicht zuletzt auch in der Komplexität der Aufgabe selbst begründet. Für die Bildung landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften musste zumindest ein Teil der Bauernschaft durch Überzeugung gewonnen werden, zudem sollten die geschaffenen Kollektivbetriebe mit Hilfe staatlicher Unterstützung dann auch leidlich wirtschaften können. Sie ließen sich aus Sicht der Verantwortlichen in der Konstellation der aufmerksamen wechselseitigen Beobachtung im deutsch-deutschen Spannungsverhältnis nicht zeitnah mit repressiven Mitteln der Exekutive gegen Widerstände durchsetzen, wie dies etwa bei den ebenfalls im Frühjahr 1952 angegangenen Maßnahmen zur Grenzsicherung erfolgte, wobei auch hier die Umsetzung der Maßnahmen von der SKK teilweise moniert wurde (Dok. 115). Vielmehr erforderte die Umgestaltung der Landwirtschaft eine gründlichere Vorbereitung und die Einbeziehung größerer Gruppen von Beteiligten; man konnte „die Kolchosen nicht einfach aus der Tasche ziehen“, wie sich Stalin ausdrückte.376 Die verschiedenen Maßnahmen waren gleichwohl miteinander verknüpft, und die Schaffung von Kollektivbetrieben wurde von der SED-Führung als Teil des Gesamtprojektes einer sozialistischen Modernisierung von oben aufgefasst,377 wie es schon 374  Vgl. Dietrich Staritz, Die Gründung der DDR. Von der sowjetischen Besatzungsherrschaft zum sozialistischen Staat, 3. überarbeitete und erweiterte Neuauflage, München 1995, S. 261–264, hier S. 262. 375  Vgl. Treffen mit Stalin 1952, S. 180–184; zu Stalins von Vyšinskij übermittelter Antwort vgl. dort S. 183. 376  Vgl. ebenda, S. 204. 377  Vgl. Schöne, Frühling auf dem Lande, S. 94–95, und Bauerkämper, Ländliche Gesellschaft, S. 165–166.

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die Repliken der SED-Funktionäre auf Stalins Kolchosen-Bemerkungen andeuteten und wie Ulbricht es zur Begründung seiner Sozialismus-Losung am 10. Juni anführte (Dok. 112). Wie sich die verschiedenen Maßnahmen dieser Zeit wechselseitig beeinflussen konnten, zeigt sich auch am Beispiel der eigentumsrechtlichen Fragen, die sich aus der Zwangsaussiedlung von Bauern aus dem Grenzstreifen zur Bundesrepublik ab Ende Mai ergaben und die am 20. Juni zunächst nur angedeutet wurden (vgl. Dok. 115 und dort Fn. 11, aber auch bereits Dok. 111, Fn. 3). Auch wenn die Voraussetzungen dafür noch fehlten, strebten SKK und SED langfristig an, das zunächst beschlagnahmte Land nach Möglichkeit neu zu bildenden landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften zur Verfügung zu stellen.378 Das von Ulbricht zunächst nicht gewünschte, jedoch von der SKK angemahnte Musterstatut für Typ 3 der Produktionsgenossenschaften, das eine gemeinsame Viehhaltung einschloss, wurde offensichtlich zunächst vor allem im Grenzgebiet propagiert und möglicherweise dafür auch beschleunigt ausgearbeitet.379 Ob dies nun geplant war oder sich aus der Dynamik der Ereignisse ergab: Das Grenzgebiet wurde infolge der Zwangsaussiedlungen – und darin trotz der unterschiedlichen Konstellationen nicht unähnlich der Rolle des tschechoslowakischen Grenzgebiets nach der Vertreibung der Sudetendeutschen bei der dortigen Kollektivierung der Landwirtschaft ab 1949380 – zu einem eigentümlichen, wenn auch wenig erfolgreichen Laboratorium dieses ersten Versuchs einer Kollektivierung von Landwirtschaftsbetrieben im SED-Staat. Wie in anderen Zusammenhängen auch, betrafen Differenzen zwischen der SKK und der SED angesichts der skizzierten Schwierigkeiten eher den Zeitpunkt und die Verfahrensweise der Schaffung von Kollektivbetrieben, kaum aber das Ziel selbst. Ulbricht beschleunigte den Verlauf der von Stalin vorgegebenen Kollektivierung in der Landwirtschaft, weil er sie für einen untrennbaren Bestandteil der nun zu errichtenden sozialistischen Ordnung hielt. Er wurde dabei zwar in einzelnen Punkten von der SKK gebremst, konnte jedoch durchsetzen, dass die Kollektivierung gleichzeitig mit der SozialismusLosung auf der Parteikonferenz angekündigt wurde, weil man ihn gewähren ließ und Stalin dieser Entwicklung schließlich zustimmte. Nach dem eher vorsichtigen Beginn im Juni und Juli 1952 stieg ab August die Zahl der Neugründungen an. Der Ministerrat der DDR hatte am 24. Juli eine Reihe von Vergünstigungen sowohl für die Produktionsgenossenschaften selbst als auch für Neubauern beschlossen, die ihr in der Bodenreform

378  Vgl.

Scherstjanoi, SED-Agrarpolitik, S. 393–401. ebenda, S. 400–402. 380  Vgl. Andreas Wiedemann, „Kommt mit uns das Grenzland aufbauen!“ Ansiedlung und neue Strukturen in den ehemaligen Sudetengebieten 1945–1952, Essen 2007, S. 404–408 und 427–428. 379  Vgl.



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übereignetes Land in eine solche einbringen wollten.381 Zunehmend begannen auch SED-Funktionäre auf Kreisebene, vor Ort für die Kollektivierung zu agitieren.382 Dieses Vorgehen wurde von einem großen Teil vor allem der alteingesessenen Bauern abgelehnt und konnte mitunter zu heftigen Auseinandersetzungen innerhalb eines Dorfes führen. Ein in Dok. 130 verhandelter Vorfall ereignete sich bereits am 7. August in Friedrichsaue (Kreis Seelow). Er erlangte erst mit Verzögerungen größere Bekanntheit und wurde schließlich von der SED zu einer Kampagne aufgebauscht, die weit über den lokalen Konflikt hinausging und Eingang in den Beschluss des ZK der SED über „Lehren aus dem Prozeß gegen das Verschwörerzentrum Slansky“ fand (vgl. Dok. 130, Fn. 7). Die gewaltsame Auseinandersetzung bei der Gründung einer Produktionsgenossenschaft in Friedrichsaue wurde anderthalb Monate später, am 20. Oktober 1952, Gegenstand einer Unterredung P ­ iecks mit der SKK;383 offensichtlich auf Anfrage reichte der Chef der Deutschen Volkspolizei Karl Maron dazu am 23. Oktober einen Bericht bei der SKK ein.384 Das von Semenov am 29. Oktober an Ulbricht übergebene Memorandum der SKK mit Weisungen zur Behandlung dieses Falls (Dok. 130) ging der von Ulbricht zwei Tage später dem SED-Politbüro vorgetragenen und dort beschlossenen „Stellungnahme … zu den Vorgängen bei der Gründung der Produktionsgenossenschaft in Friedrichsaue“ (vgl. dort Fn. 8) unmittelbar voraus. Zwar hatte das ZK der SED bereits am 27. Oktober eine Untersuchungskommission zu dem Vorfall eingesetzt, doch wählte hier die SKK einen scharfen Tonfall im Stil stalinistischer Repressionspolitik, den Ulbricht in seiner Beschlussvorlage dann sogar ein wenig abschwächte und auf praktische Anweisungen herunterbrach. Die propagandistische Weiterverwendung dieses Vorfalls durch die SED-Führung in Leitartikeln, Reden und Beschlüssen deutet jedoch darauf hin, dass die SED diesen Impuls aufgenommen hatte. Die öffentliche Kampagne anlässlich des Vorfalls in Friedrichsaue zeigte eine geänderte Politik der SED in Richtung einer forcierten Kollektivierung unter inszeniertem Klassenkampf und strafrechtlicher Verfolgung vorab definierter Gegner385 an, die zugleich auch auf die Disziplinierung lokaler SED-Funk­ tionäre abzielte.386 Diese Radikalisierung, die schließlich auch die Voraussetzungen für den Volksaufstand am 17. Juni 1953 mit schuf, war von der SKK 381  Vgl.

BAB, DC 20-I/3/119, TOP 1, Anlage 1. Scherstjanoi, SED-Agrarpolitik, S. 410. 383  Vgl. Badstübner/Loth, S. 407. 384  Vgl. Schöne, Frühling auf dem Lande, S. 82, Anm. 156. 385  Vgl. Falco Werkentin, Der totale soziale Krieg. Auswirkungen der 2. Parteikonferenz der SED im Juli 1952, in: Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung 2002, S. 23–54, hier S. 34–38. 386  Vgl. Schöne, Frühling auf dem Lande, S. 83–85. 382  Vgl.

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zu diesem Zeitpunkt mindestens wohlwollend akzeptiert, wenn nicht sogar vorgegeben. 3. Rekrutierungsprobleme: Die Kasernierte Volkspolizei und die Staatssicherheit Der Auf- und Ausbau der für die äußere und innere Sicherheit zuständigen Strukturen – und dabei vor allem die Rekrutierung und Ausbildung der jeweils angestrebten Anzahl geeigneter „Kader“ – beschäftigte die Führungsspitzen der SED und SKK in dem gesamten hier betrachteten Zeitraum und wurde wiederholt zum Gegenstand ihrer Unterredungen. Dies verstärkte sich seit 1951 und vor allem im Frühjahr 1952, als der Ausbau der verschiedenen Sicherheitsstrukturen forciert wurde. Durch die Diskussionen zog sich während dieser Zeit das Problem der personellen Unterbesetzung der jeweiligen „Organe“ und der Schwierigkeit, eine ausreichende Zahl geeigneter Mitarbeiter zu rekrutieren. Dabei kam es wiederholt zu Konkurrenzkonflikten zwischen den verschiedenen Polizeibehörden um Personen, die aus Sicht der SED die Voraussetzungen für den Dienst in einer der Strukturen erfüllten. Die Forderungen, die auch von sowjetischer Seite an einen zügigen Ausbau der militärischen und Polizeiformationen gestellt wurden, trafen auf einen ständigen Mangel an aus Sicht der Machthaber geeignetem Personal. Sie führten zu Diskussionen über die Anforderungen, die an das Personal gestellt werden sollten, und die Kriterien für die Rekrutierung in die jeweiligen Sicherheitsstrukturen. Mit dem Aufbau kasernierter Einheiten der Volkspolizei war bereits im Herbst 1948 begonnen worden.387 Diese ersten, zunächst nur leicht bewaffneten militärischen Formationen unterstanden seit November 1949 der neu gebildeten HV Ausbildung im Ministerium des Innern, in deren Schulen und Bereitschaften in den folgenden Jahren Offizierskader für eine später zu schaffende Armee ausgebildet wurden; Anwärter für die hohen Offiziersränge wurden seit Ende 1949 zu Lehrgängen in die UdSSR geschickt.388 Trotz lange andauernder Schwierigkeiten sowohl bei der Personalstärke als auch bezüglich der unzureichenden Ausbildung und Ausrüstung gelang es der HV Ausbildung bis Ende 1951, die Sollzahlen an ausgebildeten Offizieren zu erreichen und eine militärische Kerntruppe mit starkem Überhang an Offizieren zu schaffen, auf deren Grundlage eine zukünftige Armee gebildet werden konnte.389 Während Čujkov in einer Unterredung am 12. Oktober 1951 die 387  Vgl.

UdF 4, S. 232–236. Hans Ehlert, Die Hauptverwaltung für Ausbildung (1949–1952), in: Diedrich/Ehlert/Wenzke, Im Dienste der Partei, S. 253–280, hier S. 260–261. 389  Vgl. Rüdiger Wenzke, Auf dem Wege zur Kaderarmee. Aspekte der Rekru­ tierung, Sozialstruktur und personellen Entwicklung des entstehenden Militärs in 388  Vgl.



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Ausbildung von Offizieren durch die HV Ausbildung als Erfolgsmodell gegenüber den Schwierigkeiten bei der Rekrutierung für das MfS anpries (Dok. 83), hielt Ulbricht am 17. März 1952 – also vor der Antwort der Westmächte auf die „Stalin-Note“ und den Unterredungen mit Stalin – dagegen, dass die ausgebildeten Führungskräfte der kasernierten Volkspolizei-Bereitschaften noch „nicht in der Lage“ seien, „in einer schwierigen Situation Truppen anzuführen“ (Dok. 102). Stalins bekannte Weisung vom 1. April, die DDR solle „ohne Lärm und Propagandaagitation“ eine Armee aufbauen (vgl. Dok. 112, Fn. 6), dürfte damit trotz ­Piecks überrascht wirkender Reaktion für die SED-Führung kaum grundsätzlich unerwartet gekommen sein.390 Verschiedene Anhaltspunkte weisen eher darauf hin, dass der Aufbau einer Armee bereits im Herbst 1951, als sich im Westen die Entscheidungen zum „Deutschlandvertrag“ und zur Einbindung der Bundesrepublik in ein westliches Verteidigungsbündnis anbahnten, als Perspektive auf der Tagesordnung stand.391 So beschloss das Politbüro des ZK der VKP (b) am 15. November 1951, ab Anfang 1952 deutsche Piloten an den neuesten sowjetischen Jagdflugzeugen auszubilden und der DDR Seekriegsausrüstungen zur Verfügung zu stellen.392 Da der Aufbau militärischer Formationen den Potsdamer Bestimmungen und darauffolgenden Kontrollratsbeschlüssen widersprach, tarnte die DDR sie konsequent als Polizeiformationen. Selbst die sowjetischen Gesprächsprotokolle hielten diese Sprachregelung ein und bezeich­ neten die militärisch ausgebildeten Einheiten bis zum Sommer 1952 durchgängig als „Polizei“, „kasernierte Polizei“ oder „Volkspolizei“. Wenn etwa Čujkov von „Klagen der bürgerlichen Parteien“ berichtete, „dass deren Mitglieder nicht in die Volkspolizei aufgenommen werden“, so lässt sich in diesem Fall aus dem Kontext schließen, dass die kasernierten Einheiten gemeint waren (Dok. 115). Tatsächlich strebte die SED eine weltanschaulich geschulte und nach Möglichkeit aus der Arbeiterschaft rekrutierte Kerntruppe an (vgl. Dok. 83, Fn. 28), auch wenn in der Anfangszeit auf ehemalige Wehrmachtsoffiziere und -soldaten zurückgegriffen werden musste.393 Ulbrichts Erklärung zur Schaffung „nationaler Streitkräfte der DDR“ vom 9. Juli 1952 (vgl. Dok. 112 und dort Fn. 6) sollte deren zukünftigen Aufbau rechtfertigen, nicht ihren teilweise bereits vollzogenen Aufbau offenlegen. Doch änderte sich danach zumindest in den Protokollen der Sprachgebrauch, wenn etwa der SBZ/DDR bis 1952/53, in: Thoß, Volksarmee schaffen, S. 205–272, hier S. 247– 248. 390  Vgl. auch Badstübner/Loth, S. 384. 391  Vgl. Diedrich/Wenzke, Die getarnte Armee, S. 78–81. 392  Vgl. Foitzik, Interessenpolitik, S. 554–556. 393  Vgl. Rüdiger Wenzke, Auf dem Wege zur Kaderarmee. Aspekte der Rekrutierung, Sozialstruktur und personellen Entwicklung des entstehenden Militärs in der SBZ/DDR bis 1952/53, in: Thoß, Volksarmee schaffen, S. 205–272, hier S. 270–271.

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­ ieck im August des Jahres intern nun ebenfalls von „nationalen Streitkräften P der DDR“ zu sprechen begann (Dok. 124). Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) war seit seiner Gründung im Februar 1950 kontinuierlich personell aufgestockt worden, blieb aber im Herbst 1951 mit etwa 4500 Mitarbeitern394 offensichtlich weit hinter den sowjetischen Erwartungen hinsichtlich seines Personalbestandes zurück. So hielt Čujkov der SED-Führung am 12. Oktober 1951 vor, „dass die Organe der Staatssicherheit nur zu 48 Prozent [ihrer Sollstärke] besetzt sind“ (Dok. 83). Insbesondere seien zahlreiche Kreisdienststellen unterbesetzt oder gar ohne Leitung. Ulbricht zeigte sich ratlos und verwies auf die strengen Kriterien für die Auswahl von Personal für das MfS, die den Kreis der in Frage kommenden Personen verengten und etwa ältere SED-Mitglieder schon deshalb ausschlössen, weil sie im Regelfall Verwandte in Westdeutschland hätten. Es bleibe lediglich die Rekrutierung und Ausbildung junger Leute, jedoch würden sich dabei „von 1000 Personen … nur etwa 50 für die Arbeit in den Organen eignen“. Dieses Zahlenverhältnis entspricht der Aussage Ulbrichts vom 9. Februar 1952, dass „die Organe des MfS derzeit die Anwerbung von Personen zur Auffüllung ihres Apparats betreiben, wobei sie, um die benötigten 5000 Personen auszuwählen, etwa 100 000 SEDMitglieder überprüfen müssen“ (Dok. 96). Da ­Pieck bereits in seiner Aufzeichnung zu dem oben erwähnten Gespräch am 12. Oktober 1951 in diesem Kontext „Plan 100 000“ notiert hatte,395 lässt sich vermuten, dass das MfS aus seiner Rekrutierungspraxis heraus auf ein solches Zahlenverhältnis gekommen war und im Umkehrschluss bereits zu diesem Zeitpunkt geplant war, 100 000 Mitglieder der SED und der FDJ zu überprüfen, um die hier genannte Sollzahl an 5000 Mitarbeitern rekrutieren zu können. In der Tat liegt der damalige Mitarbeiterstand, ergänzt um diese Sollzahl, zwischen der Forderung des stellvertretenden SKK-Vorsitzenden und Generalmajors des MVD Michail Kaverznev vom Februar 1952, das MfS solle bis Jahresende einen Personalstand von 11 899 erreichen, und dem Ende 1952 tatsächlich erreichten Stand von ca. 8800 Mitarbeitern.396 Die Rekrutierung für das MfS kollidierte jedoch offensichtlich zunächst mit den Plänen zur Ausbildung zukünftiger Kampfpiloten für die ebenfalls zu bildenden Luftstreitkräfte der DDR, für deren Lehrgang in der Sowjetunion bis Mitte März 1952 die Teilnehmer ausgewählt werden sollten (vgl. Dok. 96, Fn. 21). Čujkov kritisierte mehrfach, so am 12. Oktober 1951, am 9. Februar und wieder am 20. Juni 1952 die schleppende Personalauswahl für das MfS (Dok. 83, 96 und 115). Er verwies dabei auf eine nicht näher bestimmte 394  Vgl.

Gieseke, Die hauptamtlichen Mitarbeiter, S. 86. Badstübner/Loth, S. 375. 396  Vgl. Gieseke, Die hauptamtlichen Mitarbeiter, S. 85 und 87. 395  Vgl.



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„Tätigkeit der Feinde“ in der DDR (Dok. 83 und 96). Was er damit meinte, dürfte weitgehend den Ausführungen Gribanovs vom 23. Juli zu Tätigkeiten von „Spionen, Diversanten, Saboteuren und anderen Agenten“ der Westmächte in der DDR entsprochen haben (Dok. 117; vgl. dort insbesondere Fn. 27). Ulbricht seinerseits kritisierte in der Folge mit ähnlicher Begründung wie zuvor Čujkov die Arbeit der Kreisdienststellen des MfS und schloss dabei aber in seltener Offenheit auch die den deutschen „Organen“ vorangestellten sowjetischen Berater ein (Dok. 99). Ulbricht und Semenov zeichneten in diesem Gespräch zwei Tage vor der Übergabe der „Stalin-Note“ ein Szenario verschiedener Bedrohungen, gegen die sich der neue Staat mit Strafverfolgungen und Schauprozessen schützen müsse. Sie kamen dabei auf eine angebliche „Untergrundarbeit“ ehemaliger Sozialdemokraten innerhalb der SED zu sprechen, die nach ihrer Darstellung „im Auftrag des Ostbüros der Schumacher-SPD“ agierten – laut Ulbricht der „hauptsächliche[ ] Organisator aller Spionage- und Diversionstätigkeit in der DDR“. Ein Teil der von Ulbricht hier vorab geäußerten Kritikpunkte an der Arbeit des MfS ging zehn Tage später in abstrakterer Form in die „Entschließung des Polit-Büros zur Arbeit des Ministeriums für Staatssicherheit“ ein (vgl. Dok. 99, Fn. 9). Ulbricht sprach in dieser Phase, in der mögliche Verhandlungen über die deutsche Einheit zumindest als theoretische Option im Raume standen, in den internen Unterredungen kaum noch von der Mobilisierung einer westdeutschen Opposition gegen Adenauer.397 Eher richteten sich seine Überlegungen – gleichsam in einem Reflex aus der KPD-Zeit der Weimarer Republik – gegen die SPD (die er noch bis Ende März öffentlich zu umwerben versuchte, vgl. Dok. 96 und dort Fn. 16), etwa wenn er Herbert Wehner denunzierte (vgl. Dok. 102 und dort Fn. 24) oder als Begründung für seine Losung vom „Aufbau des Sozialismus“ aufführte, dass nur so eine Spaltung der Sozialdemokratie zu erreichen sei (Dok. 112).398 In den Gesprächen zwischen der SKK- und der SED-Führung spielten allerdings seit der MoskauReise der SED-Führung die diplomatischen Notenwechsel um den Friedensvertrag und die Einheit Deutschlands nur noch am Rande eine Rolle. Als Ulbricht dennoch am 10. Juni 1952 behauptete, der Friedensvertrag könne „nicht nur eine Frage der Propaganda sein“, und unter der erfragten Realisierung seiner Bestimmungen in der DDR offensichtlich die militärische Sicher397  Anders jedoch gegenüber den 1. Kreissekretären der SED auf der im Kontext der Landwirtschaftspolitik erwähnten Konferenz der SED-Kreissekretäre am 4. Juni 1952, vgl. Lemke, Einheit oder Sozialismus, S. 229. 398  In den Jahren nach 1949 wurde die SPD wiederholt zum Hauptziel der Angriffe der SED. Das Verhältnis der SED zur SPD wechselte situativ zwischen dem Bemühen um eine „Aktionseinheit der Arbeiterklasse“ und Versuchen, den linken Flügel der SPD gegen Kurt Schumacher auszuspielen, vgl. Lemke, Einheit oder Sozialismus, S. 148–156.

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heit verstand, für die sich „die Arbeiterklasse der DDR … verantwortlich fühlen“ solle, hielt Semenov mit für die meist eher nüchtern gehaltenen Gesprächsaufzeichnungen ungewöhnlicher Direktheit fest, dass er UIbrichts Ausführungen für unsinnig halte (Dok. 112). 4. Die „Einführung eines besonderen Regimes“ und die Zwangsaussiedlungen entlang der innerdeutschen Grenze Noch am Abend des 14. April 1952, an dem der Ministerrat der UdSSR mit der Anordnung Nr. 1788-671ss die „Umstrukturierung des gesamten Sicherungs- und Überwachungssystems an der Demarkationslinie und andere Maßnahmen“ (so Gribanov in Dok. 107) in der DDR beschloss, übermittelte die SKK-Führung Grundzüge dieser Anordnung an P ­ ieck, Grotewohl und Ulbricht. Vier Tage später, am 18. April 1952, folgten weitere Informationen, die bereits die geplante räumliche Staffelung des „Grenzschutzes“ in drei Streifen von 10 m, 500 m und 5 km Tiefe entlang der innerdeutschen Grenze mit jeweils besonderen Regeln der Kontrolle und des Aufenthaltes enthielten.399 Der Ministerratsbeschluss vom 14. April folgte mit dem Abstand von nur einer Woche auf die von Stalin am 7. April ausgegebene Weisung, die innerdeutsche Grenze sei „nicht einfach als Grenze, sondern als gefährliche Grenze“ anzusehen, deren „Schutz … verstärkt werden“ müsse – hier argumentativ verknüpft mit der Festigung der Staatlichkeit der DDR und mit Gefahren durch westliche Agenten.400 Einen Hinweis auf vorangegangene Planungen in der UdSSR gibt ein Bericht des Ministers für Staatssicherheit Semen Ignat’ev an Molotov vom 9. Januar 1952 „über den nicht zufriedenstellenden Zustand der Bewachung der Demarkationsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik“, in dem zahlreiche Grenzverletzungen beklagt und insbesondere die Schwäche der Deutschen Grenzpolizei betont wurden.401 Die Leitung der Grenzpolizei, die bis zu diesem Zeitpunkt der HVDVP im Ministerium des Innern unterstand, erhielt am 5. Mai 1952 detaillierte Weisungen der SKK zu den nun geplanten Grenzmaßnahmen, die sie am 12. Mai an den Minister für Staatssicherheit der DDR Wilhelm Zaisser weiterleitete.402 An diesem Tag erging zugleich der Befehl, die Grenzpolizei aus der HVDVP herauszulösen und (mit Wirkung vom 16. Mai) dem MfS zu unterstellen.403 In der ersten Maihälfte erhielt auch das ZK der SED Weisungen 399  Vgl.

Badstübner/Loth, S. 400–402. Treffen mit Stalin 1952, S. 200–201. 401  Vgl. Ruggenthaler, Stalins Bluff, S. 170–171. 402  Vgl. Bennewitz/Potratz, Zwangsaussiedlungen, S. 221–224. 403  Vgl. Monika Tantzscher, Hauptabteilung VI: Grenzkontrollen, Reise- und Touristenverkehr (Anatomie der Staatssicherheit. Geschichte, Struktur und Methoden – MfS-Handbuch), Berlin 2005, S. 43. 400  Vgl.



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der SKK für das weitere Vorgehen. Diese in einer undatierten Aktennotiz überlieferten Weisungen sahen u. a. vor, eine Regierungsverordnung „über die Errichtung eines besonderen Regimes an der Demarkationslinie“ zu beschließen und für die praktische Umsetzung eine Regierungskommission zu bilden. Diese Weisungen enthielten erstmals auch einen Hinweis auf geplante Zwangsaussiedlungen verdächtiger Personengruppen aus dem Grenzstreifen.404 Als Semenov mit Zaisser am 15. Mai 1952 Einzelheiten des neuen Grenzregimes besprach (Dok. 111), hatte das SED-Politbüro die Regierungskommission bereits eingesetzt und Zaisser selbst an deren Spitze berufen (vgl. dort Fn. 3). Die kurz zuvor befohlene Unterstellung der Grenzpolizei unter das MfS veranlasste Zaisser nun dazu, unter Bezugnahme auf einen (nicht überlieferten) Entwurf der SKK für die Regierungsverordnung zu fordern, dass nicht die dem Ministerium des Innern unterstehenden Grenzbehörden der DDR, sondern das MfS mit der Erarbeitung und Einführung einer Instruktion über das in der Sperrzone zu errichtende besondere Regime beauftragt werden solle. Dies wurde so auch umgesetzt, jedoch in der am 26. Mai im Ministerrat der DDR beschlossenen Regierungsverordnung nicht explizit benannt, da man eine entsprechende Formulierung, die in einer weiteren Entwurfsfassung noch enthalten war, in der Endredaktion gestrichen hatte (vgl. Dok. 111, Fn. 6). Alle Überarbeitungsschritte der hier verhandelten Verordnungen wurden eng mit der SKK abgestimmt. In der erwähnten Entwurfsfassung der Regierungsverordnung vom 26. Mai 1952 findet sich auch ein später ebenfalls gestrichener Passus über die Errichtung einer „5 km breiten Sperrzone“ (vgl. Dok. 117, Fn. 22). Die offi­ zielle und veröffentlichte Fassung enthielt zwar lange Ausführungen über die Tätigkeit westlicher „Spione, Diversanten, Terroristen und Schmuggler“, die die Maßnahmen begründen sollten, jedoch kaum spezifische Anweisungen – außer dem eher allgemein formulierten Auftrag an das MfS, „unverzüglich strenge Maßnahmen zu treffen für die Verstärkung der Bewachung der Demarkationslinie“.405 Der Auftrag bezog sich tatsächlich in erster Linie auf die nun zu errichtende gestaffelte Sperrzone und wurde in einer noch am selben Tag von Zaisser unterzeichneten Polizeiverordnung konkretisiert. Diese sah neben Regeln des Betretens und des Aufenthalts die Registrierung aller Einwohner des Fünf-Kilometer-Streifens „innerhalb von 48 Stunden nach Inkrafttreten dieser Verordnung bei den für sie zuständigen Meldestellen der Deutschen Volkspolizei“ vor.406 Diese Registrierung sowie die eigentliche Absperrung der Grenze gingen der zeitgleich geplanten und kurz darauf 404  Vgl. Bennewitz/Potratz, Zwangsaussiedlungen, S. 224–226; zur „Säuberung der Grenzkreise“ von verdächtigen Personengruppen vgl. Punkt 7 auf S. 226. 405  Vgl. BAB, DC 20-I/3/109, Materialien zur 84. a. o. Sitzung der Regierung der DDR vom 26. Mai 1952, Bl. 78–79, bzw. Neues Deutschland, 27. Mai 1952, S. 3. 406  Vgl. Sperrmaßnahmen der Sowjetzonenregierung, S. 52–53, hier S. 52.

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begonnenen Zwangsaussiedlung eines Teils der Einwohner der Fünf-Kilometer-Zone voraus. Sie wurden – wie in solchen Fällen üblich – propagandistisch vorbereitet und begleitet durch eine Pressekampagne, welche die Grenzmaßnahmen als eine von der Bevölkerung gewünschte Abwehrreaktion auf westliche Provokationen und Grenzverletzungen erscheinen ließ.407 Gemäß dieser Propaganda – aber auch internen Papieren zufolge (Dok. 117) – richteten sich die Grenzmaßnahmen vor allem gegen Grenzverletzungen durch westliche oder im westlichen Dienst stehende Agenten und Saboteure. Die Leidtragenden der Maßnahmen waren jedoch vor allem diejenigen Bewohner der neuen Fünf-Kilometer-Zone, die innerhalb kürzester Zeit anhand von vorab festgelegten Kategorien als verdächtig eingestuft und zwangsausgesiedelt wurden. Dafür erging – gleichzeitig mit der oben erwähnten Regierungsverordnung  – am 26. Mai 1952 der Befehl 38/52 des Chefs der Deutschen Volkspolizei Karl Maron zur Ausweisung der darin im Weiteren definierten Personengruppen aus der Sperrzone.408 Auch diese (intern als „Aktion Ungeziefer“ bezeichnete) Maßnahme war in ihren Grundzügen von der SKK angewiesen worden. Das am 15. Mai 1952 von Semenov an Zaisser übergebene entsprechende Memorandum gab die Definition der auszusiedelnden Personen in groben Strichen bereits vor: Demnach waren „[a]lle Ausländer, Staatenlosen, nicht mit Wohnsitz Gemeldeten, zeitweilig Wohnenden, sowie alle feindlichen, kriminellen und verdächtigen Personen … in die inneren [d. h. grenzfernen] Kreise der DDR umzusiedeln“ (vgl. Dok. 111, Fn. 17). Wegen der Uneindeutigkeit der letztgenannten Kategorien enthielt der Befehl 38/52 eine detailliertere Auflistung darüber, welche Personengruppen anhand von zuvor angelegten Polizeilisten und Verdächtigtenkarteien ausgewählt werden sollten. Inwieweit diese detailliertere Definition, die etwa auch Personen ohne feste Arbeit und Prostituierte umfasste, ebenfalls von der SKK angeregt oder bei der Deutschen Volkspolizei ausgearbeitet wurde, lässt sich nicht klären. In jedem Fall forderte die SKK, ihr den „Entwurf zu der In­ struktion … zur Koordinierung vorzulegen“. Die Zwangsaussiedlung der über 8300 betroffenen Personen begann noch Ende Mai und wurde vom MfS und der HVDVP im Wesentlichen in der ersten Junihälfte durchgeführt. Ihre Umsetzung wurde von den sowjetischen Beobachtern offensichtlich als katastrophal eingeschätzt, denn kurz nach Beendigung der Aussiedlungen, am 20. Juni 1952, hielt Čujkov der SEDFührung unter Berufung auf „Moskau“ massive Fehler vor (Dok. 115). Zu Zaisser merkte er an, dass er „als Leiter der Regierungskommission mit den ihm gestellten Aufgaben nicht fertig werde“, und empfahl, „ihm eine strenge Rüge zu erteilen“. Die in einem Memorandum dargelegte Kritik bezog sich 407  Vgl. ebenda, S. 39–43, 45–46 und 50–51 sowie Bennewitz/Potratz, Zwangsaussiedlungen, S. 31–32. 408  Vgl. ebenda, S. 231–233.



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darauf, dass eine große Zahl der „zur Umsiedlung vorgesehenen Familien“ in den Westen geflüchtet sei, sowie auf die aus Sicht der SKK falsche Auswahl der zwangsweise umgesiedelten Personen. So habe der Großteil der aus Thüringen ausgesiedelten Bauernfamilien weniger als 10 ha Land besessen. Die SKK, die die Zwangsaussiedlungen selbst angewiesen hatte, forderte nun, sie zu beenden „und unter der Bevölkerung dieser Zone die Gewissheit herzustellen, dass sie rechtmäßig in dieser Zone wohnt“ (vgl. Dok. 115, Fn. 5). Allerdings waren die Zwangsaussiedlungen ohnehin bis Mitte Juni terminiert gewesen und zu diesem Zeitpunkt bereits weitgehend abgeschlossen. Angesichts dessen lässt sich die massive Kritik der SKK an der Umsetzung der von ihr selbst kurzfristig angewiesenen Maßnahmen auch als Rechtfertigungsstrategie gegenüber den eigenen Vorgesetzten in Moskau lesen, bei der die Verantwortung für die Fehler auf Zaisser gelenkt wurde. In der Tat waren die Entscheidungen über die Schicksale der betroffenen Familien vor Ort über den generellen Befund der massiven Rechtsverletzung durch den Staat hinaus auch von einem hohen Maß an Willkür geprägt, obwohl die zuständigen Mitarbeiter der Deutschen Volkspolizei und des MfS auf seit längerem vorbereitete Polizeiakten zurückgriffen.409 Anders als bei der Einführung von Kollektivbetrieben in der Landwirtschaft wurde für den Beginn der Grenzmaßnahmen nicht eine einigermaßen gründliche Vorbereitung zur Voraussetzung gemacht. Der Beginn der Maßnahmen war vielmehr von sowjetischer Seite zeitlich an die Unterzeichnung des „Deutschlandvertrages“ (vgl. Dok. 20, Fn. 12) gekoppelt worden – als Teil einer Rechtfertigungsstrategie, die diesen Vertrag als Aggression deutete, der die DDR mit einer Verschärfung des Grenzschutzes begegnen müsse.410 Auch die Zwangsaussiedlungen dienten damit der Herrschaftssicherung des SED-Staates an dessen bis dahin „weicher“ innerdeutscher Grenze. Zugleich mit der Einführung des besonderen Grenzregimes bemühte sich die DDR-Führung um den personellen Ausbau der Grenzpolizei. In der erwähnten Unterredung mit Semenov am 15. Mai 1952 kam Zaisser auf die unzureichende Personalsituation bei der Grenzpolizei zu sprechen, der infolge von Säuberungen 8000 Personen fehlten (Dok. 111). Wegen der laufenden Rekrutierung für die Kasernierte Volkspolizei könne von der Grenzpolizei jedoch keine zügige Lösung des Problems erwartet werden – hier ergab sich damit erneut eine Konkurrenzsituation zwischen verschiedenen Sicherheitskräften bei der Personalanwerbung. Am 20. Juni 1952, als die Zwangsaussiedlungen aus dem grenznahen Gebiet weitgehend abgeschlossen waren, 409  Vgl.

zur Auswahl der auszusiedelnden Personen insgesamt ebenda, S. 36–44. ebenda, S. 36. In der Weisung der SKK von Anfang Mai sowie in ­Piecks Notizen vom 7. Mai 1952 wird der 22. Mai genannt; zu diesem Termin war die Unterzeichnung des „Deutschlandvertrages“ erwartet worden. Vgl. ebenda, S. 244, und Badstübner/Loth, S. 403. 410  Vgl.

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für dessen Bewachung jedoch dringend Kräfte benötigt wurden, „empfahl“ Čujkov der SED-Führung (unter der oben erwähnten Kritik an der Arbeit Zaissers), Polizisten von der tschechoslowakischen, der polnischen und der Ostseegrenze abzuziehen sowie Offiziersanwärter „zum Praktikum“ an die Grenze zu schicken (Dok. 115). Das SED-Politbüro griff diese Frage erst am 12. August auf und beauftragte Zaisser mit der Anwerbung von „10 000 bis 11 000 Mann“ für die Grenzpolizei (vgl. Dok. 111, Fn. 14), der die Aufgabe zugeteilt worden war, „Grenzverletzungen“ (Grenzüberschreitungen außerhalb der dafür vorgesehenen Kontrollpunkte und ohne Genehmigung) jeglicher Art zu unterbinden und die Grenze nach innen wie nach außen zu bewachen. Zu ihrer Unterstützung wurden ab August 1952 unter den Bewohnern der Fünf-Kilometer-Sperrzone „freiwillige Helfer“ als Kontrolleure und Informanten angeworben. Die bisherigen sowjetischen Kommandeure wurden durch Berater ersetzt (vgl. dort Fn. 15); auf lange Sicht wurde die Grenz­ polizei auch militärisch bewaffnet und in das Verteidigungskonzept der so­ wjetischen Streitkräfte einbezogen.411 5. Die Berliner Sektorengrenze: Konflikte und Planspiele Da die Sowjetunion den Viermächtestatus Berlins nicht vollständig aufkündigte, blieb die Sektorengrenze zwischen Ost- und West-Berlin bis 1961 von den im Frühjahr 1952 durchgeführten rigiden Sperrmaßnahmen entlang der innerdeutschen Grenze weitgehend ausgespart. Obwohl die Regierung der DDR versuchte, die Einreise aus der DDR nach Ost-Berlin verstärkt zu kontrollieren (Dok. 133),412 den Grenzverkehr zwischen West-Berlin und der DDR erschwerte (Dok. 117) und auch die Zahl der Grenzübergänge innerhalb Berlins verringerte, blieb Berlin weiterhin gleichsam ein geöffnetes Fenster vor allem für diejenigen Bewohner der DDR, die sich infolge des zunehmenden Drucks, den die SED-Diktatur im Jahr 1952 auf die Gesellschaft ausübte, zur Flucht in den Westen entschlossen oder dazu genötigt waren. Insbesondere die Flucht von technisch ausgebildeten Fachleuten bzw. Ingenieuren, der für den Aufbau der Industrie dringend benötigten sogenannten „technischen Intelligenz“, erkannte die SED-Führung frühzeitig als Pro­ blem, dem sie zunächst vor allem mit wirtschaftlichen Lockmitteln wie der Erhöhung von Gehältern und Renten und der Senkung der Einkommenssteuer, aber auch mit attraktiveren Arbeitsbedingungen zu begegnen suchte 411  Vgl. zu Arbeit und Funktionen der Grenzpolizei im Jahr 1952 Gerhard Sälter, Grenzpolizisten. Konformität, Verweigerung und Repression in der Grenzpolizei und den Grenztruppen der DDR (1952–1961), Berlin 2009, S. 70–72, und Torsten Diedrich, Die Grenzpolizei der DDR (1946–1961), in: Diedrich/Ehlert/Wenzke, Im Dienste der Partei, S. 201–224, hier S. 208–210. 412  Vgl. auch Wettig, Einheit in Freiheit, S. 233.



Einführung zu den Dokumenten

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(vgl. Dok. 74 und dort Fn. 2 und 7 sowie Dok. 75 und dort Fn. 5; vgl. dazu auch Dok. 81). Am 17. März 1952 übergab Semenov Ulbricht eine detaillierte Analyse der SKK „zur Lage der Intelligenz“ und zu den Gründen ihrer Abwanderung in den Westen (vgl. Dok. 102 und dort Fn. 3). Zu den darin angesprochenen Verhaftungen in Betrieben merkte Ulbricht an, man müsse in solchen Fällen „mehr oder weniger plausible Haftgründe“ angeben. Zugleich kündigte er die Bildung einer Kommission zur Ausarbeitung weiterer Maßnahmen an. Die „Verbesserung der Lage der Intelligenz“ beschäftigte das SED-Politbüro in der Folge mehrfach, dies führte etwa zu einem Ministerratsbeschluss über Gehaltserhöhungen vom 28. Juni 1952 (vgl. dort Fn. 5 und 6). Recht früh kam jedoch auch der Gedanke auf, dass Erschwernisse beim Grenzübertritt dabei helfen könnten, die Fachleute in der DDR zu halten. Als der stellvertretende Leiter der GUSIMZ Kobulov am 11. April 1951 den von Ulbricht aufgeführten drei Fluchtursachen und zwei Lösungsvorschlägen ein Neun-Punkte-Programm zu dieser Frage entgegenhielt, stimmte Ulbricht fast allen Punkten zu. Nur die darin vorgeschlagenen Erleichterungen für Verwandtenbesuche in Westdeutschland lehnte er vehement ab mit der Begründung, dass die Fachleute bei Besuchsreisen im Westen abgeworben werden könnten. Er setzte hinzu, dass Fachkräfte, die in der Industrie der DDR arbeiteten, auch nicht in den Westsektoren Berlins leben dürften (Dok. 74). Während des Jahres 1951 entstanden bereits Planungen, wie im Falle einer weitergehenden politischen Spaltung der Stadt die Versorgungs- und Verkehrsinfrastruktur getrennt werden könnte (vgl. Dok. 118, Fn. 10). Einen ersten konkreten Versuch, Verkehrsverbindungen zwischen der DDR und West-Berlin einzuschränken und das Berufspendlertum innerhalb Berlins zu reglementieren, unternahm Ulbricht mit einem Maßnahmeplan, den er am 28. Februar 1952 bei Čujkov einreichte. Der Zeitpunkt war allerdings ungünstig gewählt; Ulbrichts Vorstoß konnte schon aus Gründen der damaligen, in der „Stalin-Note“ gipfelnden deutschlandpolitischen Initiative der UdSSR von der SKK nicht kurzfristig aufgegriffen werden.413 Gleichwohl deutet vieles darauf hin, dass Ulbricht hier bereits eine längerfristige Strategie verfolgte. Denn er griff die Berlin-Frage erneut auf, als die innerdeutsche Grenze gerade geschlossen und die Zwangsaussiedlungen noch in vollem Gange waren. Anlass war wiederum „die Frage der bürgerlichen Intelligenz“, die, wie Ulbricht am 10. Juni 1952 gegenüber Semenov darlegte, aufgrund der „deutlichere[n] Auseinanderentwicklung von Ost- und Westdeutschland“ nun zwischen beiden Staaten wählen müsse (Dok. 112). Da die Flucht eines Teils 413  Vgl. dazu Stefan Creuzberger, Abschirmungspolitik gegenüber dem westlichen Deutschland im Jahre 1952, in: Die sowjetische Deutschland-Politik in der Ära Adenauer, hrsg. von Gerhard Wettig, Bonn 1997, S. 12–36, hier S. 23–25 (zum Beleg für Ulbrichts Schreiben vgl. S. 23).

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der „technischen Intelligenz“ zu befürchten sei, machte sich Ulbricht, wie Semenov notierte, nicht nur „für eine verlässliche Schließung der [innerdeutschen] Grenze stark“, sondern fühlte auch bereits vor, „ob an der Grenze zwischen den West- und den Ostsektoren Berlins eine Bewachung eingeführt oder ob spezielle Passierstellen für DDR-Bürger bei Reisen nach Berlin eingerichtet werden müssen“. Einen neuerlichen Vorstoß unternahm Ulbricht am 26. Juli 1952, als er Semenov seine mittlerweile weiter fortgeschrittenen Überlegungen „zum Schutz der Sektorengrenzen zwischen Ost- und Westberlin“ unterbreitete (Dok. 118). Er strebte nun neben der Überwachung der Sektorengrenze die Einführung von Passierscheinen für West-Berliner, die den Ostteil der Stadt besuchen wollten, sowie die Trennung der Verkehrssysteme an. Zur Begründung führte er nicht mehr nur die Flucht von Fachleuten, sondern eine ganze Reihe von Problemen an, die er mit den genannten Maßnahmen lösen zu können glaubte. Darunter waren wirtschaftliche Probleme wie der Abfluss von Waren nach West-Berlin und allgemein der „Schmuggel“ zwischen den Sektoren, was faktisch nichts anderes meinte als die Fortführung der eingespielten Lieferbeziehungen innerhalb der Stadt. Des Weiteren zählte Ulbricht „die Einschleusung von Spionen und Terroristen“ sowie das Untertauchen von „Kriminellen, Veruntreuern, feindlichen Agenten, Deserteuren“ aus der DDR in West-Berlin auf, die sich dort dem Zugriff des Staates entzögen. Da nicht ersichtlich ist, warum Ulbricht solcherart beschriebene Personengruppen in der DDR bzw. in Ost-Berlin halten wollte, und zudem die Flucht in den Westen generell als kriminelle Handlung gewertet wurde, kann diese Auflistung neben anderem auch als Umschreibung für gewöhnliche „Repu­ blikflüchtlinge“ gelesen werden, die aus Sicht der SED-Führung eben die Tatsache ihrer Flucht zu Kriminellen machte. Schließlich kam Ulbricht auch hier explizit auf die Abwanderung der „technischen Intelligenz“ zu sprechen und erklärte umständlich, „dass die Verschärfung des Klassenkampfes in der DDR im Zusammenhang mit dem Aufbau des Sozialismus unter der bürgerlichen Intelligenz unweigerlich zu einer schwankenden Haltung und folglich zur Flucht eines Teils der Intelligenz in den Westen führe“. Wie auch immer die einzelnen Punkte zu deuten und zu gewichten sind: Die Schließung der innerdeutschen Grenze konnte für Ulbricht bei anhaltend offener Sektorengrenze in Berlin „nicht die erforderliche Wirkung“ erbringen; ohne einen „Schutz der Sektorengrenzen … werde es sehr schwer sein, in der DDR einen gefestigten sozialistischen Staat aufzubauen.“ Die Einführung der Grenzmaßnahmen wollte Ulbricht auch im Berliner Fall an den „Deutschlandvertrag“ koppeln, dessen Ratifizierung durch den Bundestag er für September/ Oktober 1952 erwartete (vgl. Dok. 118 und dort Fn. 9) und der damit erneut zur Rechtfertigung eines besonderen Grenzregimes dienen sollte. Wie schon in der Unterredung am 10. Juni reagierte Semenov auch auf diesen Vorstoß



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skeptisch und zurückhaltend; über eine solche Frage könne nur in Moskau entschieden werden. Offensichtlich änderte Semenov seine Meinung im Verlauf des folgenden halben Jahres, denn Mitte Dezember 1952 schickte er selbst den Entwurf eines an Stalin adressierten Schreibens zur Einrichtung eines Grenzschutzes an der Berliner Sektorengrenze an seinen Dienstherrn Vyšinskij nach Moskau. Er berief sich dabei auf einen „Vorschlag der DDR-Führung, der unter Teilnahme der SKK in Deutschland ausgearbeitet wurde“ und mit dem auch das MID bereits einverstanden sei (Dok. 133). Am 4. Dezember war die Frage in der Dritten Europäischen Abteilung des MID behandelt und offensichtlich positiv beurteilt worden.413a In seiner ausführlichen Begründung für die Maßnahme griff Semenov im Wesentlichen die von Ulbricht am 26. Juli vorgebrachten Argumente auf. Die Darlegung Semenovs unterschied sich von der Ulbrichts nur in Nuancen und in der Reihenfolge der Argumente: An erster Stelle stand hier „die Notwendigkeit, die DDR als selbständigen volksdemokratischen Staat weiter zu konsolidieren“. Darauf folgte der Hinweis auf von West-Berlin ausgehende Aktivitäten der Westmächte gegen die DDR, unter denen nun deutlicher als zuvor auch die Re­ publikflucht subsumiert wurde, insofern Semenov es westlichen Stellen zuschrieb, „Übertritte von wankelmütigen Elementen aus der DDR nach ­Westdeutschland zu arrangieren, was dazu genutzt wird, um die DDR zu diskreditieren“. Deutlicher als zuvor wird auch der Vorwandcharakter der Bezugnahme auf den „Deutschlandvertrag“ sichtbar, dessen Ratifizierung nun für Januar/Februar 1953 erwartet wurde (vgl. Dok. 133 und dort Fn. 8) und vor dessen Hintergrund, wie Semenov ausführte, „die von der DDR-Führung ins Auge gefassten Vorkehrungen zum Schutz der Sektorengrenze Ostberlins unter dem Aspekt internationaler Politik nach außen hin wie Verteidigungsmaßnahmen aussehen“ würden. Neu war gegenüber Ulbrichts Vorschlägen jedoch eine detaillierte Ausführung darüber, wie bei der Grenzsicherung im Innenstadtbereich verfahren werden sollte. Hier war nun bereits geplant, langfristig ca. 4000 Bewohner der direkt an der Grenze anliegenden Häuser auszusiedeln. Bemerkenswert ist auch, dass West-Berliner die Passierscheine für den Übertritt direkt an der Grenze erhalten sollten, während Ost-Berliner laut Semenovs Vorschlag die Erlaubnis für einen Besuch im Westteil bei den Behörden der DDR beantragen müssten. Die neue Grenze wäre damit für West-Berliner leichter passierbar gewesen als für ihre Ost-Berliner Nachbarn. Dies passte nicht zu der oft und in manchen Schriftstücken einzig vorgetragenen Notwendigkeit der Abwehr westlicher Agententätigkeit (wobei unter diese Bezeichnung sämtliche Organisationen fielen, die Informationen über die DDR 413a  Vgl Gerhard Wettig, Aufrüstung, Grenzschließung und Besatzungsstatus der DDR. Sowjetische Deutschland-Politik im Umbruch 1951 bis 1954, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 76/1 (2017), S. 70–103, hier S. 88 und Anm. 60.

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sammelten und etwa Flüchtlinge unterstützten, einschließlich der „Ostbüros“ westdeutscher Parteien, vgl. Dok. 117). Auch in dem Entwurf einer Anordnung des ZK der KPdSU vom 2. Januar 1953, die den Vorschlägen zur Überwachung der Berliner Sektorengrenze und zur Kontrolle des Grenzübertritts zustimmen sollte, jedoch nicht beschlossen wurde, war – abweichend von Semenovs Entwurfsfassung (vgl. Dok. 133, Fn. 9) – lediglich von einer Beendigung des unkontrollierten Grenzübertritts aus dem Westen die Rede.414 Ob und inwieweit der Entwurf Semenovs durch Vyšinskij oder seinen Apparat überarbeitet wurde, ist nicht bekannt; belegt ist jedoch, dass am 20. Dezember 1952 ein Schreiben von Vyšinskij und Semenov zu dieser Frage an Stalin erging.415 Im Unklaren bleibt auch, wer wann darüber entschied, wie mit dieser Frage umgegangen werden sollte, und ob der Anfang 1953 bereits kranke Stalin sich überhaupt noch selbst mit deutschlandpolitischen Fragen von dieser Tragweite beschäftigte. Möglicherweise herrschte auch intern keine Klarheit über den einzuschlagenden Kurs, denn noch für Mitte Januar 1953 lässt sich eine Kampagne in der DDR-Presse nachverfolgen, die nach dem bereits vom Mai 1952 bekannten Muster westliche Provokationen an den Sektorengrenzen kolportierte und dann angebliche Bitten der Bevölkerung um Grenzschutz meldete, danach jedoch versandete (vgl. Dok. 133, Fn. 7). Stalins Nachfolger setzten dieser Unsicherheit in einer Weisung an Čujkov und Semenov ein Ende, mit der sie alle Pläne zu einer Grenzsicherung innerhalb Berlins vorerst auf Eis legten.416 Für die Maßnahmen zur Grenzsicherung sowohl im Mai 1952 als auch im Berliner Sonderfall werden in verschiedenen Quellen unterschiedliche Beweggründe genannt. Die Frage, welche Beweggründe entscheidend für die Pläne zur Grenzschließung waren und wie etwa die nicht nur in öffentlichen Erklärungen behauptete Abwehr westlicher Agenten oder auch die Verhinderung von Schmuggel als Motive zu gewichten sind, ist nicht ganz eindeutig zu beantworten. Aus den hier vorliegenden Quellen lässt sich herleiten, dass die Flucht vor allem von technischen Fachleuten die SED-Führung schon vor den Beschlüssen zur Grenzsicherung beschäftigte und auf verschiedenen Wegen verhindert oder minimiert werden sollte. Erst nachdem andere Mittel, die DDR für Ingenieure attraktiv zu machen, zu keinem Ende der Fluchtbe414  Vgl. Christian F. Ostermann (Hrsg.), Uprising in East Germany 1953. The Cold War, the German Question, and the First Major Upheaval Behind the Iron Curtain, Budapest 2001, S. 43. 415  Vgl. Stefan Creuzberger, Abschirmungspolitik gegenüber dem westlichen Deutschland im Jahre 1952, in: Die sowjetische Deutschland-Politik in der Ära Adenauer, hrsg. von Gerhard Wettig, Bonn 1997, S. 12–36, hier S. 35, Anm. 71. 416  Vgl. Christian F. Ostermann (Hrsg.), Uprising in East Germany 1953. The Cold War, the German Question, and the First Major Upheaval Behind the Iron Curtain, Budapest 2001, S. 50–51.



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wegung führten, ging vor allem Ulbricht mehr und mehr dazu über, die Lösung des Problems in der Einschränkung der Bewegungsfreiheit zu suchen (Dok. 112 und 118). Die in der Forschung gelegentlich vertretene These, die Fluchtverhinderung habe in dieser frühen Phase im Denken der SED-Führung so gut wie keine Rolle gespielt,417 kann durch die hier präsentierten Quellen als widerlegt gelten. Die Worte, mit denen Ulbricht die Flucht technischer Fachleute aus der DDR gegenüber der SKK beschrieb, legen nahe, dass das Thema der SED-Führung unangenehm war und auf der Führungsebene lange Zeit eher verklausuliert angesprochen wurde. Wenn Ulbricht etwa beklagte, die „[f]ehlende Bewachung der Sektorengrenze in Berlin ermögliche es auch westlichen Aufklärungsdiensten, die ingenieurtechnische Intelligenz aus der DDR mit allen Mitteln hinüberzuziehen, um so den Fünfjahrplan zu sabotieren“ (Dok. 118) – und damit aktiv handelnde Personen, die sich für eine Aufgabe ihres Lebens in der DDR entschieden, als gleichsam willenlose Objekte der Aktivitäten westlicher Agenten darstellte –, so kann diese Umkehrung einen Hinweis darauf liefern, wie die zur Begründung der Grenzmaßnahmen zumeist angegebene Abwehr westlicher Agenten – jenseits aller ohnehin gebotenen quellenkritischen Vorsicht – auch zu verstehen ist. Die Flucht anderer Personengruppen wird in den hier vorliegenden Quellen mit Ausnahme der Bauern nur vereinzelt erwähnt. Auch sie war jedoch bereits 1952 Gegenstand regelmäßiger Berichte an die SKK und seit September des Jahres auch unter der Bezeichnung „Republikflucht“ von Sitzungen des SED-Politbüros.418 Angesichts der forcierten Rekrutierungen junger Männer für die verschiedenen Sicherheitskräfte bei gleichzeitigem Mangel an Arbeitskräften in der Industrie419 ist davon auszugehen, dass die Abwanderung junger Menschen im arbeits- und wehrfähigen Alter für die DDRFührung ein drängendes Problem war, das auch dann mitgedacht werden sollte, wenn es in einem Dokument nicht zur Sprache kommt. Allerdings war die Tätigkeit westlicher Agenten nicht ausschließlich eine Chimäre stalinistischer Funktionäre, sondern hatte – wie jüngere Forschungen zur Tätigkeit west­ licher Organisationen in der DDR zeigen420 – selbst dann eine reale Grundlage, wenn sie aufgebauscht und als Rechtfertigungsstrategie für re417  Vgl. Michael Kubina, Ulbrichts Scheitern. Warum der SED-Chef nicht die Absicht hatte, eine „Mauer“ zu errichten, sie aber dennoch bauen ließ, Berlin 2013, insbesondere S. 100–101 und 121. 418  Vgl. Falco Werkentin, Der totale soziale Krieg. Auswirkungen der 2. Parteikonferenz der SED im Juli 1952, in: Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung 2002, S. 23–54, hier S. 49–50. 419  Vgl. ebenda, S. 52–53. 420  Vgl. Heitzer, Affäre Walter; ders., Kampfgruppe; Armin Wagner/Matthias Uhl, BND contra Sowjetarmee. Westdeutsche Militärspionage in der DDR, hrsg. vom ­Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Berlin 2007; Ronny Heidenreich, Die DDRSpionage des BND. Von den Anfängen bis zum Mauerbau, Berlin 2019.

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pressive Maßnahmen gegen die eigene Bevölkerung benutzt und vorgeschoben wurde (Dok. 117). Hier wiederum überlagern sich vorsätzliche Täuschung und tatsächliche Bedrohungswahrnehmung. Insofern lässt sich aus der scheinbaren Vielstimmigkeit der internen Diskurse und der nach außen getragenen propagandistischen Rechtfertigungsstrategien eine einzelne „tatsächliche“ Motivation für die rigiden Grenzmaßnahmen nicht leicht herauslesen. Vielmehr waren sie Ausdruck eines totalitären Kontrollanspruchs der SED über Staat und Gesellschaft insgesamt. Sie richteten sich in diesem Sinne nach innen wie nach außen, auch wenn die Deutung naheliegt, dass die Fluchtbewegung während des Jahres 1952 zum Hauptproblem der SEDFührung in der Grenzfrage wurde. Entgegen dem von Semenov in seiner Autobiografie entworfenen Selbstbild, in dieser Zeit Antipode zu Ulbrichts stalinistischem, auf die bloße Kopie des sowjetischen Vorbilds ausgerichteten Kurs gewesen zu sein,421 ist Ende des Jahres 1952 eine recht weitgehende Konvergenz in den Positionen beider Funktionäre erkennbar. Dies gilt für den Bereich der Landwirtschaft ebenso wie für die Überwachung der Berliner Sektorengrenze. Generell markiert sich in den Quellen ab dem Herbst 1952 der Eindruck einer parallelen und sich möglicherweise gegenseitig steigernden Radikalisierung der Positionen sowohl der SED-Führung als auch der SKK und ihrer Moskauer Auftraggeber, die auch zu den Verhaftungen und Prozessen gegen ehemalige „bürger­ liche“ Aushängeschilder der DDR-Regierung wie Karl Hamann und Georg Dertinger führte. Dass Semenov nach Stalins Tod einen Kurswechsel propagierte, mag für seine geistige Flexibilität sprechen, nicht jedoch für seine durchgängig gemäßigtere Linie als Kontrahent Walter Ulbrichts im politischen Richtungsstreit.

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421  Vgl. Wladimir S. Semjonow, Von Stalin bis Gorbatschow. Ein halbes Jahrhundert in diplomatischer Mission, 1939–1991, Berlin 1995, S. 274. Auch die darauffolgende Episode seiner Unterredungen mit Stalin über Ulbricht und die Verhältnisse in der DDR erscheint unglaubwürdig, vgl. ebenda, S. 279–281.

Dokumentenverzeichnis 1.  Schreiben des Leiters der Diplomatischen Mission der DDR in Moskau Appelt an den Leiter der Hauptabteilung für Politische Angelegenheiten im MfAA Kegel. 09.11.1949 Appelt berichtet über die Teilnahme an den Feierlichkeiten zum Jahrestag der Oktoberrevolution, über positive Ausführungen Malenkovs zu Deutschland und der DDR und über Bilder von P ­ ieck und Grotewohl auf den Moskauer Straßen. Die Wahrnehmung von Stalin als Generalissimus müsse in der DDR stärker werden. Die Mission der DDR habe Kontakt mit Diplomaten der Volksdemokratien, und Gespräche mit Gromyko und Semenov seien aufgenommen worden. 2.  Unterredung zwischen dem Leiter der Mission der UdSSR in der DDR Puškin und Außenminister Dertinger. 15.11.1949 Dertinger berichtet über den vergangenen Parteitag der Ost-CDU. Puškin informiert über die sowjetische Absicht, eine Handelsvertretung in Ost-Berlin zu errichten. Dertinger äußert den Wunsch, dass Vyšinskij auf dem Rückweg aus New York Ost-Berlin besuchen möge. 3.  Unterredung zwischen dem Leiter der Mission der UdSSR in der DDR Puškin und Ministerpräsident Grotewohl. 20.11.1949 Grotewohl und Ulbricht berichten über einen Plan zum Wiederaufbau Berlins: Vorrang habe die Frankfurter Allee, welche in Stalin-Allee umbenannt werden solle. Dertinger klagt über Schwierigkeiten der personellen Besetzung des MfAA und erläutert seine personelle Strategie. Zur Frage der Visa-Erteilung erklärt er, dass er nicht wisse, ob die Erteilung von Visa Aufgabe des MfAA oder der SKK sei. 4.  Unterredung zwischen dem Leiter der GUSIMZ Merkulov, dem stellvertretenden Leiter der GUSIMZ Kobulov, dem Politischen Berater Semenov, Präsident P ­ ieck, Ministerpräsident Grotewohl und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht. 26.11.1949 Merkulov informiert über einen Auftrag des ZK der VKP (b) zu Verhandlungen über die Zukunft der SAG in Deutschland nach Gründung der DDR. Ziel sei der Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung (Protokoll), die die Rechte der SAG sichert. Es solle getrennte Verhandlungen zu den SAG im Allgemeinen und zur SAG Wismut geben. 5.  Verhandlung zwischen dem Leiter der GUSIMZ Merkulov, dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht, dem Minister für Planung Rau und dem Minister für Industrie Selbmann. 09.12.1949 Zu Beginn der Verhandlungen über den Status der SAG-Betriebe in der DDR stellt Merkulov sowjetische Vorschläge für ein gemeinsames Protokoll vor.

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CLXVI Dokumentenverzeichnis Demnach sollen die Aktivitäten der SAG in die langfristige Wirtschaftsplanung der DDR aufgenommen werden. Die UdSSR trennt sich von der DEFA und weiteren Filmproduk­tionsstätten. 23 Industriebetriebe sollen an die DDR übergeben werden. Im Anschluss werden einzelne Punkte des sowjetischen Protokollentwurfs besprochen. 6.  Verhandlung zwischen dem Leiter der GUSIMZ Merkulov, dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht und dem Minister für Industrie Selbmann. 12.12.1949 Auf mehrfache Nachfrage von Merkulov erklärt Ulbricht wiederholt, der sowjetische Protokollentwurf über die Tätigkeit der SAG würde von der Regierung der DDR akzeptiert werden und könne als angenommen gelten. Auf Ulbrichts Frage, wann er der DDR-Regierung Bericht erstatten solle, bemerkt Merkulov, dies müsse jetzt geschehen, da Ulbricht von der Regierung die Vollmacht zur Unterzeichnung des Protokolls einholen müsse. Ulbricht hält Meinungsverschiedenheiten mit einzelnen Ministern der Blockparteien für möglich, sichert jedoch die Durchsetzung des Protokolls zu. Ulbricht werde die SKK am 16.  Dezember über seine Berichterstattung an die DDR-Regierung informieren. 7.  Verhandlung zwischen dem Leiter der GUSIMZ Merkulov, dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht und dem Minister für Industrie Selbmann. 12.12.1949 Merkulov begründet die Notwendigkeit eines gesonderten Protokolls, das die vorrangige Versorgung der SAG Wismut mit Arbeitskräften und allem Material einschließlich Transportmitteln sichern soll, mit dem besonderen Charakter ihrer Produktion. Er erklärt, der sowjetische Protokollentwurf enthalte Bestimmungen zur Geheimhaltung, laut denen Informationen über die SAG Wismut nur Grotewohl und einem Bevollmächtigten (Ulbricht) zugehen sollten, und zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen für die Arbeiter. Merkulov verliest den Protokollentwurf, der nach Besprechung einzelner Punkte angenommen wird. Weitere Fragen sollen durch Kobulov, Mal’cev und Ulbricht geregelt werden. Ulbricht kündigt an, die Zustimmung zur Unterschrift vom Kabinett einzuholen. In einem inoffiziellen Teil des Gesprächs werden Fehler bei einem Brand im Bergbau angesprochen, denen mit verstärkter p ­ olitischer Arbeit und verbesserter Versorgung der Arbeiter begegnet werden solle. 8.  Unterredung zwischen Außenminister Vyšinskij und Außenminister Dertinger. 15.12.1949 Dertinger spricht die Lage in Westdeutschland und die Deutschlandpolitik der Westmächte an. Er sieht eine in politischen Kreisen Westdeutschlands verbreitete Bereitschaft, politische Kontakte und wirtschaftliche Beziehungen zur DDR herzustellen. Ackermann, Dertinger und Vyšinskij stellen Überlegungen zu den Plänen der Westmächte in Bezug auf die Bundesrepublik an und erwarten deren Aufnahme in die NATO. Vyšinskij erklärt, die NATO solle nicht überschätzt werden, und die DDR werde durch ihre bloße Existenz und ihre Entwicklung auch die Bevölkerung Westdeutschlands überzeugen.

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DokumentenverzeichnisCLXVII 9.  Verhandlung zwischen dem Leiter der GUSIMZ Merkulov, dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht, dem Minister für Planung Rau und dem Minister für Industrie Selbmann. 16.12.1949 Merkulov erklärt nach Prüfung der deutschen Übersetzungen die Protokolle über die Tätigkeit der SAG und der SAG Wismut für abgestimmt. Ulbricht berichtet von der einstimmigen Annahme beider Protokolle durch den Ministerrat am Vortag. In einem inoffiziellen Teil des Gesprächs bringt Selbmann auf Wunsch von Dertinger deutsche Klagen zu Kompensationsgeschäften der SAG vor, welche Waren in den Westzonen unter den von der DWK festgesetzten Preisen verkauften. 10. Unterredung zwischen Außenminister Vyšinskij und Außenminister Dertinger. 20.12.1949 Dertinger bedankt sich – auch im Namen der DDR-Bevölkerung – für die Teilnahme an der Feier zum 70.  Geburtstag Stalins. Vyšinskij merkt an, er mache keinen Unterschied zwischen der DDR und ganz Deutschland. Dertinger hebt die positive Resonanz in Ost und West auf den Berlinbesuch Vyšinskijs hervor. Vyšinskij sieht Gegensätze zwischen Großbritannien und den USA in der Frage der Bewaffnung Westdeutschlands. Dertinger vermutet den Zusammenbruch des auf dem Marshallplan basierenden westlichen Bündnisses. Er lobt die Entwicklungen in der UdSSR und sieht darin eine Bestätigung für die Politik seiner Regierung. Auch hebt er die Bedeutung von Besuchsreisen von DDR-Delega­ tionen in die UdSSR hervor. Vyšinskij lobt die Aufbautätigkeiten in Berlin sowie außerdem die Verfassung der Weimarer Repu­blik. 11.  Aufzeichnung des Ersten Rates der Mission der DDR in Moskau Wolf. 31.12.1949 Wolf berichtet vom Aufbau und der Tätigkeit der DDR-Mission in Moskau. Er betont die Unterstützung durch sowjetische Stellen und die „Volksdemokratien“ und bemängelt, dass die Mission zwei Monate nach ihrer Einrichtung noch immer nur aus dem Gesandten, einem Rat und einem 1. Sekretär bestehe. Er klagt außerdem über eine mangelnde finanzielle Ausstattung und die fehlende Verbindung mit dem MfAA. 12. Unterredung zwischen Außenminister Vyšinskij und dem Leiter der Diplomatischen Mission der DDR in Moskau Appelt. 12.01.1950 Appelt bittet um die Bereitstellung einer anderen Räumlichkeit für die DDRMission in Moskau bis zur Übergabe des ehemaligen deutschen Botschaftsgebäudes. Er berichtet von seiner Unterredung mit Grotewohl bei Moskau, welcher sich um die Rohstoffversorgung der Industrie und den Zustand der Volkspolizei angesichts der bevorstehenden Wahlen sorge. Auf die Frage Vyšinskijs nach dem Stand der Beziehungen zur Bundesrepublik berichtet Appelt unter Berufung auf Kaumann, in westdeutschen Wirtschafts- und z. T. sogar in Regierungskreisen gebe es Interesse an Handelsbeziehungen zur DDR. Gefragt nach der Stimmung in der Bevölkerung konstatiert Appelt eine positive Entwicklung nach der Gründung der DDR. Er berichtet von positiven Reaktionen der Delegationsmitglieder auf die Geburtstagsfeier Stalins. Dertinger spreche sich für einen marxistischen

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CLXVIII Dokumentenverzeichnis Sozialismus aus, auch ehemalige Sozialdemokraten wie Ebert stünden hinter der Politik der SED. 13.  Protokoll Nr.  3 der Beratung beim Vorsitzenden der SKK Čujkov. 19.01.1950 Čujkov schätzt die „politische Arbeit“ unter Arbeitern, Bauern und Hausangestellten im Vorfeld der Wahlen am 15.  Oktober 1950 als unzureichend und ihre Mobilisierung als unsicher ein. Dies gelte besonders für Beschäftigte in Privatbetrieben. Er bezeichnet die Vorbereitung und Durchführung der Wahlen als Hauptaufgabe des Jahres und fasst den Beschluss, die SKK müsse vordringlich die SED unterstützen und ihre Arbeit nur über die SED betreiben. 14.  Unterredung zwischen dem Vorsitzenden der SKK Čujkov, Präsident ­Pieck und Ministerpräsident Grotewohl. 28.02.1950 Čujkov kritisiert ein Schreiben Ulbrichts an Koval’ zur Vorbereitung des Fünfjahrplans, das die Ausarbeitung der Planvorgaben als gemeinsame Aufgabe der SKK und der SED darstelle. Sie sei jedoch vordringlich eine Angelegenheit der Deutschen selbst. P ­ ieck erläutert, die Planvorgaben sollten von der SED erstellt werden, müssten jedoch danach mit sowjetischen Stellen abgestimmt werden, da den Deutschen die Erfahrung fehle. Čujkov erklärt, in diesem Fall müsse sich das Politbüro des ZK der SED an das Politbüro des ZK der VKP (b) mit der Bitte um Hilfe wenden. Čujkov schlägt Rau als Leiter der Arbeiten zur Erstellung des Fünfjahrplans vor. Dieser berichtet über die bisherigen Vorarbeiten zum Fünfjahrplan. Grotewohl fasst zusammen, dass die SKK von den deutschen Behörden mehr Selbständigkeit erwarte und die Deutschen nur in wichtigen Fragen die Hilfe der SKK erbitten sollten. Semenov kritisiert den umgekehrten Fall von Amtsträgern der DDR, die die SKK nur über Nebensächliches informierten und wichtige Fragen selbst entscheiden wollten. Čujkov weist auf die Überbelastung Zaissers in seiner derzeitigen Doppelfunktion hin, für dessen Stelle in der HV Ausbildung ein Nachfolger gefunden werden müsse, spricht Probleme bei der Frühjahrsaussaat an und rät, stärker auf den privaten Sektor in der Wirtschaft zu setzen. Grotewohl ergänzt, der Mittelstand sei die Grundlage der „Natio­nalen Front“, und in Westdeutschland müsse der Eindruck entstehen, es ginge mittleren Unternehmen in der DDR gut. 15. Unterredung zwischen Außenminister Vyšinskij und dem Leiter der Diplomatischen Mission der DDR in Moskau Appelt. 02.03.1950 Appelt informiert über Briefe deutscher Spezialisten in der UdSSR an die DDRMission sowie an das MfAA mit der Bitte um Rückkehr nach Deutschland. Die DDR-Mission habe in der Angelegenheit der deutschen Spezialisten bereits zwei Noten an das MID gerichtet. Appelt unterstreicht die Bedeutung dieser Frage in Zusammenhang mit den bevorstehenden Wahlen. Vyšinskij erkundigt sich nach Stahl­lieferungen aus Westdeutschland an die DDR. Appelt erklärt, dass diese auf inoffi­ziellem Wege einträfen auf Grundlage direkter Absprachen mit westdeutschen Industriellen. Appelt fragt nach dem für die DDR-Mission in Moskau vorgesehenen Gebäude.

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DokumentenverzeichnisCLXIX 16.  Schreiben des Generalsekretärs Podcerob, des Leiters der Abteilung für Vertragsrecht Golunskij und des Leiters der Dritten Europäischen Abteilung Gribanov an Außenminister Vyšinskij. 03.03.1950 Podcerob, Golunskij und Gribanov informieren über einen Vorschlag der SKK, die Regierung der DDR solle eine Anordnung zur Kontrolle und Bekämpfung illegaler Warentransporte zwischen Ost- und West-Berlin erlassen. Sie schlagen Rückfragen an Čujkov und Semenov vor, um ein Gutachten über ihren Vorschlag vorbereiten zu können. Auch das Außenhandelsministerium solle ein Gutachten erstellen. 17.  Unterredung zwischen dem Vorsitzenden der SKK Čujkov, Präsident ­Pieck und Ministerpräsident Grotewohl. 17.03.1950 Grotewohl und P ­ ieck informieren über das Einverständnis Nuschkes für die OstCDU mit der Aufstellung einer Einheitsliste, von der LDP fehle dagegen noch eine analoge Zustimmung. Nuschke habe sich jedoch – zum Unmut P ­ iecks – vorläufig gegen eine öffentliche Ankündigung der Einheitsliste ausgesprochen. Čujkov weist auf das Problem des Abflusses von Ost-Mark nach West-Berlin hin, führt dies auf „finanzielle Subversion“ anglo-amerikanischer Geheimdienste zurück und fordert als Gegenmaßnahme, auch in Zusammenhang mit den anstehenden Wahlen, Preissenkungen. Zur Bekämpfung des Schmuggels solle ein Zolldienst eingerichtet werden. Diskutiert werden außerdem die schlechte Außenhandelsbilanz der DDR gegenüber der Bundesrepublik, Fehler der Redaktion der Berliner Zeitung sowie die Auslandskontakte „bürgerlicher“ Politiker wie des als unzuverlässig angesehenen Kastner. 18.  Unterredung zwischen dem Vorsitzenden der SKK Čujkov, Präsident ­Pieck und Ministerpräsident Grotewohl. 23.03.1950 Čujkov kritisiert einen unmittelbar zuvor gegen seinen Rat getroffenen Beschluss zur Erhöhung der Erfassungspreise für Fleisch, Milchprodukte und Eier um 25 Prozent, von dem vor allem großbäuerliche Betriebe profitieren würden. Laut P ­ ieck handele es sich um einen Ministerratsbeschluss auf Grundlage eines Beschlusses des Politbüros, das seinerseits falsch informiert worden sei. Auf die Frage Čujkovs nach den Vorschlägen der Bundesregierung zu gesamtdeutschen Wahlen bezweifelt ­Pieck, dass es sich dabei um „wirklich freie Wahlen“ handeln könne. Grotewohl hält eine Regierungserklärung dazu für unnötig. Weiter berichtet Grotewohl über sein Treffen mit Dibelius und Grüber, welche Kritik an der Politik der SED gegenüber der Kirche und den Gläubigen geübt hätten. Čujkov kündigt die Repatriierung von 17 500 deutschen Kriegsgefangenen an. 19.  Unterredung zwischen dem Vorsitzenden der SKK Čujkov, Präsident ­Pieck und Ministerpräsident Grotewohl. 29.03.1950 ­Pieck unterrichtet über die am Vortag durch den Parteienblock verabschiedete Erklärung zur Vorbereitung der Wahlen im Oktober, in der auch Einheitslisten beschlossen worden seien. Kastner habe für sein Einverständnis zunächst Forderungen gestellt. Čujkov merkt an, der Kampf gegen „reaktionäre Elemente“ in den bürgerlichen Parteien habe nachgelassen. Er müsse in den bürgerlichen Parteien selbst geführt werden. Grotewohl berichtet über den Parteiausschluss Blochs aus der CDU. Dertinger habe sich für Bloch verwendet, dies stehe ihm

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CLXX Dokumentenverzeichnis jedoch nicht zu. Čujkov spricht die Aus­arbeitung des Fünfjahrplans sowie eines Gesetzes zur Schaffung einer zentralen Zollbehörde an und rät zu größerer Vorsicht angesichts des Auftritts von Ulrich N ­ oack in Forst Zinna. ­Pieck bittet um die baldige Rückkehr Handkes aus Moskau und um die Übergabe von Listen in Kriegsgefangenschaft verstorbener Deutscher. Grotewohl bittet Čujkov um Zugmaschinen für bereits zuvor der Volkspolizei übergebene Artilleriegeschütze. 20.  Unterredung zwischen dem Leiter der Mission der UdSSR in der DDR Puškin und Außenminister Dertinger. 31.03.1950 107 Dertinger erklärt die Absicht der Regierung der DDR, mit der ČSR einen Vertrag über Freundschaft und gute Nachbarschaft abzuschließen, in dem auch Fragen der wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit geregelt werden sollten. Verhandlungen über einen solchen Vertrag seien jedoch nur mit sowjetischer Zustimmung möglich. Dertinger kündigt an, dass die DDR auch mit Polen einen solchen Vertrag abschließen wolle, und bittet auch dazu um eine sowjetische Stellungnahme. Auf die Nachfrage von Puškin nach Informationen Der­ tingers aus Westdeutschland erläutert dieser, er erwarte für den Juli d. J. die Aufnahme Westdeutschlands in den Europarat, die Anerkennung der Bonner Regierung durch die Westmächte, den Austausch diplomatischer Vertretungen, eine Änderung des Besatzungsstatuts und die Beendigung des Kriegszustands. 21.  Unterredung zwischen dem Vorsitzenden der SKK Čujkov, dem Stellvertreter des Politischen Beraters Il’ičev und Präsident ­Pieck. 06.04.1950 110 ­Pieck berichtet über die Kritik von Landesbischof Müller an der Nationalen Front, der Einheitsliste für die bevorstehenden Wahlen und der Zurückdrängung des Christentums im Schulunterricht. Auf einem Treffen mit den evangelischen Landesbischöfen sei die Verlesung eines von Müller dazu angekündigten Hirtenbriefes in den Gemeinden aufgeschoben worden. ­Pieck und Čujkov sehen im Auftreten der Kirche eine von den USA und Großbritannien initiierte Provoka­ tion. Auf die Kirche solle ohne offene Repression eingewirkt werden, wofür Čujkov eine Beteiligung von Nuschke und Kastner vorschlägt. ­Pieck spricht eine Unterschriftensammlung zum Verbot der Atomwaffe an und äußert Vorschläge zur Sitzverteilung und Abgeordnetenzahl in der künftigen Volkskammer. Čujkov kritisiert die Propagandakampagne im Vorfeld des Deutschlandtreffens der Jugend als zu provokativ und thematisiert den Arbeitskräftemangel bei der SAG Wismut. ­Pieck informiert über einen Beschluss über „nationale Feiertage“ der DDR. 22.  Unterredung zwischen dem Leiter der Mission der UdSSR in der DDR Puškin und Staatssekretär Ackermann. 07.04.1950 118 Ackermann bittet um Rat in der Frage des Schutzes der Interessen deutscher Bürger in Ländern, mit denen die DDR keine diplomatischen Beziehungen unterhält. Puškin kündigt eine spätere Antwort an. Ackermann informiert über ­einen Protest der Regierung der ČSR wegen der Nicht-Erfüllung der Handels­ verpflichtungen der DDR. Er sieht diesen Protest als berechtigt an und macht einzelne Mitarbeiter des Ministeriums für Innerdeutschen Handel, Außenhandel und Materialversorgung verantwortlich. Abschließend beklagt Ackermann die Größe der polnischen diplomatischen Mission in der DDR, die zahlreiche deut-

DokumentenverzeichnisCLXXI sche Staatsbürger, z. T. aus West-Berlin, eingestellt habe und für diese vom MfAA der DDR eine Vorzugsversorgung verlange. 23.  Unterredung zwischen dem Leiter der Mission der UdSSR in der DDR Puškin und Staatssekretär Ackermann. 14.04.1950 120 Ackermann beschwert sich über den Beschluss der ungarischen Regierung, die Aussiedlung von Deutschen aus Ungarn zu beenden und ggf. die Rückkehr bereits ausgereister Deutscher zu ermöglichen, der ohne Absprache mit der Regierung der DDR erfolgt sei und bei zahlreichen ausgesiedelten Deutschen nun falsche Hoffnungen wecke. Ackermann informiert über ein Telegramm von Große aus Prag, wonach die Regierung der ČSR mit der DDR keinen politischen Vertrag, sondern ein Wirtschaftsabkommen abschließen wolle. Große habe Grotewohl darüber zuvor unrichtig informiert. Außerdem berichtet Ackermann im Auftrag Grotewohls Puškin über den schlechten Empfang der DDR-Delegation zum 5. Jahrestag der Befreiung Ungarns. 24. Aufzeichnung der Leiterin der Hauptabteilung Wirtschaftspolitik im MfAA Kuckhoff. 17.04.1950 124 Kuckhoff berichtet über Vorbereitung, Verlauf und Ergebnisse der Verhandlungen über das Abkommen über den Waren- und Zahlungsverkehr zwischen der UdSSR und der DDR in Moskau. Sie beschreibt die Zusammensetzung der deutschen Delegation, deren Mitglieder über die Vorbesprechungen im Ministerium für Innerdeutschen Handel, Außenhandel und Materialversorgung nicht ausreichend informiert gewesen seien. Für die Verhandlungen seien drei Kommissionen zu einzelnen Fragekomplexen gebildet worden: eine Textkommission, eine Warenkommission und eine Kommission zur Prüfung von Überhängen aus alten Verpflichtungen. Wie von den sowjetischen Vertretern gefordert, seien die Verpflichtung, ein eventuelles Schuldsaldo bei Jahresende abzudecken, und ein Passus, nach dem auch Zahlungen außerhalb des Handelsabkommens auf das zu errichtende Clearing-Konto geleitet werden können, in den Vertrag aufgenommen worden. Die Realisierung des Abkommens solle zweimal im Jahr geprüft werden. Das MID sei an den Verhandlungen nicht beteiligt gewesen. Das Abkommen sei von den Ministern Men’šikov und Handke unterzeichnet worden. Kuckhoff berichtet abschließend über das Begleitprogramm der Delegations­ reise. 25.  Unterredung zwischen dem Vorsitzenden der SKK Čujkov, Ministerpräsident Grotewohl und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten ­Ulbricht. 21.04.1950 130 Čujkov informiert über einen Brief der alliierten Stadtkommandanten zur Unterstützung des Vorschlags der West-Berliner Stadtkommandanten zu Wahlen in ganz Berlin, fragt Grotewohl und Ulbricht nach ihrer Meinung dazu und kündigt eine Antwort der SKK an. Er berichtet über das Interesse westdeutscher Firmen an Verträgen zur Lieferung von Metallerzeugnissen. Des Weiteren werden Konflikte mit der Evangelischen Kirche im Zusammenhang mit der Verlesung des Hirtenbriefs von Bischof Müller und ein anstehendes Treffen Grotewohls mit Bischof Dibelius diskutiert. Besprochen werden außerdem Fragen des Fünfjahrplans und die Vorbereitung der Reise der SED-Führung nach Moskau.

CLXXII Dokumentenverzeichnis 26.  Schreiben von Außenminister Vyšinskij an den Vorsitzenden des Ministerrats Stalin. 25.04.1950 145 Vyšinskij berichtet von dem Vorschlag der West-Berliner Stadtverordneten zu Wahlen in ganz Berlin und dessen Unterstützung durch die westlichen Stadtkommandanten. Semenov und Čujkov schlagen vor, nicht der Stadtverordnetenversammlung, sondern den westlichen Stadtkommandanten zu antworten und darauf zu verweisen, dass die UdSSR bereits 1949 in Paris Wahlen für Gesamtberlin vorgeschlagen habe. Das MID schließt sich der Empfehlung von Semenov und Čujkov an und legt den Entwurf eines Beschlusses für das Politbüro des ZK der VKP (b) vor. 27.  Unterredung zwischen dem Vorsitzenden der SKK Čujkov, Ministerpräsident Grotewohl und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten ­Ulbricht. 26.04.1950 148 Čujkov übergibt einen Plan für Lieferungen an die sowjetischen Besatzungstruppen. Er teilt den Beschluss der SKK mit, das Sanatorium in Heringsdorf an die DDR zu übergeben. Daraufhin kommt er auf ökonomische Fragen im Hinblick auf die Vorbereitung der Wahlen zu sprechen. Grotewohl informiert über einen Plan zu wirtschaftlichen Maßnahmen, der u. a. Preissenkungen und Lebensmittelimporte vorsieht. Eine vollständige Abschaffung des Bezugskartensystems sei noch nicht geplant, jedoch sollten die Fleischrationen erhöht werden. Čujkov weist auf die Gefahr des Ausverkaufs von Waren durch West-Berliner Käufer im Fall einer Abschaffung des Bezugskartensystems hin und regt einen Lohnzuschlag für Niedriglöhner sowie eine zeitliche Fächerung der Preissenkungen an. Er schlägt die Entlassung in West-Berlin lebender Arbeiter in Ost-Berliner Betrieben sowie den Entzug der Stipendien für DDR-Studenten an der West-Ber­ liner TU vor. Čujkov sondiert eine mögliche Übersiedlung von General Paulus in die DDR. 28.  Vermerk von Außenminister Dertinger. 05.05.1950 157 Puškin habe bei seinem Besuch nach der Einschätzung Dertingers zu einem möglichen Beitritt Westdeutschlands zur Europa-Union, zum Europarat und zur NATO gefragt, insbesondere aber die Frage aufgeworfen, ob das Besatzungsstatut durch eine Friedensregelung ersetzt werde. Man sei sich in der Erwartung einig gewesen, dass die US-amerikanischen Pläne zur Einbeziehung der Bundesrepublik in das westliche System einschließlich der NATO verwirklicht würden. Daraufhin sei diskutiert worden, zu welchem Zeitpunkt die DDR-Regierung auf diese Entwicklungen reagieren und ob sie lediglich reagieren oder auch aktiv handeln solle, um die erwartete Entwicklung zu verhindern oder zu verzögern. Auf Dertingers Frage nach der aktuellen Meldung in der Westpresse zur Zahl der verurteilten Kriegsgefangenen habe Puškin die Richtigkeit dieser Zahl inoffiziell bestätigt. Dertinger habe darum gebeten, den Wunsch der DDRRegierung nach Bekanntgabe der Namen der verbliebenen Kriegsgefangenen weiterzuleiten.

DokumentenverzeichnisCLXXIII 29.  Schreiben des Vorsitzenden der Außenpolitischen Kommission des ZK der VKP (b) Grigor’jan an den stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrats Molotov. 08.05.1950 159 Für die Entwürfe der DDR-Regierung zu einem Beschluss des Politbüros des ZK der SED und zu einer Bitte an die Regierung der UdSSR um Senkung der Reparationsforderungen schlägt die Außenpolitische Kommission beim ZK der VKP (b) eine stärker „politische“ Prägung eines solchen Schreibens vor, in dem die friedliche Grundlage der DDR-Wirtschaft betont und für die Festlegung der Pläne zur wirtschaftlichen Entwicklung und Anhebung des Lebensstandards eine Klärung der Reparationsfrage erbeten werden solle. Semenov sei mit diesem Vorschlag einverstanden. 30. Unterredung zwischen Außenminister Vyšinskij und dem Leiter der Diplomatischen Mission der DDR in Moskau Appelt. 12.05.1950 161 Appelt überreicht das Schreiben der DDR-Regierung an Stalin mit der Bitte um Senkung der Reparationszahlungen. Er dankt für den Beschluss der UdSSR zur Rückführung von deutschen Kriegsgefangenen. Auf die Frage Vyšinskijs nach der Bewegung für die deutsche Einheit berichtet Appelt von 15 Mio. Unterschriften unter den Appell für ein Verbot der Atombombe und äußert sich optimistisch über die Entwicklung in Westdeutschland. Auch lobt er die Erklärung des Vertreters der SKK zu Gesamtberliner Wahlen und dankt für die Übergabe des Gebäudes der ehemaligen deutschen Botschaft in Moskau an die DDRMission. 31.  Unterredung zwischen dem Vorsitzenden der SKK Čujkov, Ministerpräsident Grotewohl und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten ­Ulbricht. 17.05.1950 164 Ulbricht berichtet über die einstimmige Annahme der Resolution über die Einheitslisten auf der Sitzung der Vorsitzenden der Parteien und Massenorganisationen. Bei den Vorverhandlungen, so berichtet Grotewohl, habe Kastner allerdings Forderungen hinsichtlich der Verteilung der Ressorts und der Zahl der Parlamentssitze für die LDP gestellt. Čujkov rät, im Vorfeld der Wahlen die Beziehungen zu den „bürgerlichen Führungspersonen“ nicht zu verschärfen. Wichtiger sei eine Konzentration auf wirtschaftliche Fragen. So sei die Erfüllung des Export- und Importplans für das zweite Quartal 1950 nicht zufriedenstellend verlaufen. Ulbricht fordert daraufhin eine Revision des Außenhandelsplans und beklagt zusätzliche Forderungen der SAG. Čujkov fordert Nach­ besserungen bei den Planvorgaben des Fünfjahrplans und weist auf den ­Arbeits­kräftemangel bei der SAG Wismut hin. Er spricht sich für den Abschluss fünfjähriger Handelsabkommen der DDR mit der UdSSR und den Volksdemokratien sowie für eine Initiative zur Popularisierung des Fünfjahrplans aus. Čujkov mahnt außerdem die Lösung weiterer Wirtschaftsfragen an, darunter die Aufnahme der DDR in den RGW. Grotewohl teilt Beschlüsse zu Preissenkungen mit. Čujkov drängt auf eine bessere Förderung „junger Kader“ für Führungspositionen und kritisiert in diesem Zusammenhang den Verkehrsminister. Semenov kritisiert die Entwürfe der Abkommen der DDR mit der ČSR über kulturelle und über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit, gibt Ratschläge zur Fortsetzung der „Friedenskampagne“ in Ost- und Westdeutschland und legt die Ablö-

CLXXIV Dokumentenverzeichnis sung der Leitung der DSF nahe. Ulbricht berichtet, westdeutsche Industrielle, aber auch Vizekanzler Blücher, seien an Gesprächen über Wirtschaftskontakte und über die Frage der deutschen Einheit interessiert, und spricht sich für Verhandlungen aus. 32.  Unterredung zwischen dem Leiter der Mission der UdSSR in der DDR Puškin und Staatssekretär Ackermann. 02.06.1950 183 Ackermann informiert über die bevorstehende Reise einer DDR-Regierungsdelegation nach Warschau. Im Mittelpunkt werde der Abschluss von Abkommen über wissenschaftlich-technische sowie kulturelle Zusammenarbeit und über den Warenaustausch stehen. Ulbricht beabsichtige aber auch, sich mit Polen über die Demarkation der Grenze zu verständigen. Dazu habe Ulbricht bereits ein Gespräch mit der Führung der SKK geführt. Ackermann bezichtigt Dertinger einer übertriebenen Neigung zum Alkohol und zu Frauen sowie einer fehlerhaften Amtsführung und erwähnt, dass Dertingers Kinder eine West-Berliner Schule besuchten. 33.  Schreiben des stellvertretenden Außenministers Gromyko an den Vorsitzenden des Ministerrats Stalin. 04.06.1950 186 Das MID lehnt den Vorschlag Ulbrichts als verfrüht ab, bei seinem Besuch in Warschau am 5.  Juni das Thema der Demarkation der deutsch-polnischen Grenze anzuschneiden. 34.  Schreiben des stellvertretenden Außenministers Gromyko an den Vorsitzenden des Ministerrats Stalin. 04.06.1950 189 Gromyko berichtet von Kontaktversuchen westdeutscher Industrieller mit Vertretern der SED und der SKK, um Wirtschaftsbeziehungen mit der DDR herzustellen und Möglichkeiten für eine deutsche Einheit zu erörtern. Aus diesen Gesprächen sei hervorgegangen, dass auch Vizekanzler Blücher Interesse an einer Kontaktaufnahme unter Ausschluss der Öffentlichkeit habe. Ulbricht habe um das Einverständnis der SKK mit einer Entsendung von Handke, Orlopp und Stoph zu Verhandlungen mit Blücher nach Westdeutschland gebeten. Čujkov und Semenov sowie das MID stimmten diesem Vorschlag zu. Entwürfe zu einer Anordnung des ZK der VKP (b) und einer Anweisung an Semenov und Čujkov liegen bei. 35.  Unterredung zwischen dem Leiter der Mission der UdSSR in der DDR Puškin und Außenminister Dertinger. 20.06.1950 191 Dertinger fragt, ob die Note der DDR-Regierung an die Regierungen der UdSSR, Polens und der ČSR über die „amerikanische Kartoffelkäfer-Aktion“ vor oder nach dem Eintreffen einer sowjetischen Antwort veröffentlicht werden solle. Puškin rät, auf die Antworten der drei Regierungen zu warten. Dertinger kündigt eine außenpolitische Erklärung vor der Volkskammer an, in der er über die geplanten Abkommen der DDR mit Polen, der ČSR und Ungarn, den Beitritt der Bundesrepublik zum Europarat und den amerikanischen „Einsatz von Kartoffelkäfern“ sprechen wolle. Puškin bejaht die Frage, ob Dertinger darin die Note der DDR-Regierung betr. Kartoffelkäfer erwähnen könne. Auf eine weitere Frage Dertingers antwortet Puškin, die sowjetische Regierung werde keine Er-

DokumentenverzeichnisCLXXV klärung zum Beitritt der Bundesrepublik zum Europarat abgeben, da sie den westdeutschen Staat nicht anerkenne. 36. Unterredung zwischen dem stellvertretenden Vorsitzenden der SKK Bykov und dem Minister für Innerdeutschen Handel, Außenhandel und Materialversorgung Handke. 10.07.1950 194 Handke legt Rechenschaft über die Arbeit seines Ministeriums ab. Schwierigkeiten gebe es bei der Materialversorgung aufgrund unrealistischer Materialbilanzen, vor allem nachdem die UdSSR Nachforderungen zum Reparationsplan gestellt habe, für die keine Ressourcen (Walzgut) vorhanden gewesen seien. Auch in der Ressourcenverteilung gebe es Schwierigkeiten: Die Industrie habe ihren Produktionsplan nicht eingehalten, und beim Import von Walzgut ergebe sich infolge des westdeutschen Stahlembargos eine Fehlmenge. Der von der SAG Wismut angemeldete Bedarf an Walzgut sowie der von Ulbricht angewiesene Ausbau der Werften erforderten weitere Käufe von Rohstoffen. Exportwaren zum Ausgleich der Handelsbilanz seien nicht ausreichend bereitgestellt worden. Hinzu käme der Mangel an gut ausgebildeten Kadern im Ministerium. Auf die Frage Bykovs nach Maßnahmen gegen diese Missstände verweist Handke auf Vertragsverhandlungen über Lieferungen von Walzgut mit weiteren Staaten. Bykov gibt Ratschläge zu weiteren Maßnahmen. Die Senkung der Reparationslieferungen der DDR werde es erleichtern, staatliche materielle Reserven aufzubauen. Für den Ausbau der Neptun-Werft sollten bei der Firma Borsig Dampfmaschinen gekauft werden. 37.  Schreiben des stellvertretenden Außenministers Gromyko an den Vor200 sitzenden des Ministerrats Stalin. 18.07.1950 Gromyko informiert über die Anfrage Ulbrichts bezüglich einer baldigen Aufnahme der DDR in den RGW. Das MID unterstütze diesen Wunsch und empfehle der Regierung der DDR, ihr Ersuchen an alle Ratsmitglieder zu richten. Gromyko legt dazu den Entwurf einer Anordnung vor. 38. Vermerk des Sachbearbeiters und Organisators für den Nachrichten201 dienst im Bundeskanzleramt Oster. 28.07.1950 Oster bezieht sich auf inoffizielle Informationen, nach denen Bundesinnenminister Heinemann Noack empfangen und ihm bestätigt habe, dass dessen Konzeption zur Neutralisierung Deutschlands seinen eigenen Überlegungen entspräche und er deshalb Noack unterstütze. Friedensburg habe für Noack den Weg zu Semenov bereitet. 39. Unterredung zwischen dem stellvertretenden Leiter der Informationsabteilung der SKK Oberst Guljaev und den Vertretern westdeutscher Wirt203 schaftskreise Hoffmann, Schmitt und Hagert. 05.08.1950 Guljaev berichtet über sein Gespräch mit Vertretern westdeutscher Kreise aus Politik und Wirtschaft, die über die Ziele des Nauheimer Kreises hinausgehend eine Sammlungsbewegung oppositioneller Gruppen gegen die Politik der USA und Adenauers organisieren wollten. Sie setzten dabei nicht auf die „alten“ Parteien – auch nicht auf die KPD, die keinen Erfolg verspreche –, sondern wollten eine informelle Vereinigung neuer oppositioneller Gruppen und Parteien koordi-

CLXXVI Dokumentenverzeichnis nieren, die für die Besatzungsmächte und die deutschen Behörden nicht greifbar sei. Schmitt habe hier vor allem den BHE, aber auch eine Reihe kleinerer Oppositionsgruppen genannt und Möglichkeiten für deren Beeinflussung erläutert. Des Weiteren sei über einzelne Fragen zur Entwicklung von Wirtschaft und Handel in Westdeutschland berichtet worden. Hoffmann erwarte eine Ablösung Adenauers durch Brüning als Bundeskanzler. Abschließend habe Schmitt die Frage der Finanzierung ihrer Initiative angesprochen und um die Ermöglichung von Handelsgeschäften Hoffmanns mit SAG in der DDR gebeten. 40.  Rundschreiben des Staatssekretärs im Bundesministerium für gesamt213 deutsche Fragen Thedieck. 15.08.1950 Thedieck informiert die Innenminister der Länder aus Sicht des BMG über die Tätigkeit von der SED gesteuerter „Tarnorganisationen“ im Bundesgebiet und bittet um Prüfung seiner Vorschläge für Gegenmaßnahmen. Die SED verbreite ihre Propaganda verstärkt über Vereinigungen und Organisationen, deren Name und Satzung dies nicht eindeutig erkennen lasse. Angesichts der Erklärungen der SED-Führung seit dem Juli des Jahres, in denen zum „nationalen Widerstand“ gegen die westlichen Besatzungsmächte aufgerufen worden sei, und des neuen Parteistatuts der SED sollten die Tätigkeit einer Reihe von Organisationen unter dem Dach der „Nationalen Front“ als Kampf gegen die demokratische Ordnung erkannt und Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Neben einer Aufklärung der Bevölkerung empfiehlt Thedieck, in begründeten Fällen ein Verbot der Tätigkeit einzelner Organisationen zu prüfen. Konkret solle gegen die Vorbereitung des Deutschen Nationalkongresses und den geplanten Aufmarsch der FDJ in Dortmund vorgegangen werden. Auch sei es geboten, die Finanzquellen solcher Organisationen zu überprüfen. 41. Aide-Mémoire des Beraters der Bundesregierung für Militär- und Si224 cherheitsfragen Graf von Schwerin. 17.08.1950 Von Schwerin übermittelt als Grundlage für eine Besprechung Adenauers mit der AHK ein Aide-Mémoire, das die Bedrohungslage aus dem Osten umreißt und Maßnahmen zur Herstellung der äußeren und inneren Sicherheit vorschlägt. Mit einem sowjetischen Angriff sei nicht unmittelbar zu rechnen, jedoch sei die Volkspolizei bald zu einer begrenzten Aktion wie einer Besetzung Berlins in der Lage. Von Schwerin befürchtet angesichts der Passivität der westdeutschen Bevölkerung, der ungenügenden Sicherung des Bundesgebietes nach außen und der Uneinigkeit der westlichen Alliierten ein Szenario analog zum Koreakrieg und beklagt die wirksame Einschüchterungspropaganda des Ostens. Für die innere Sicherheit seien neben der Herstellung politischer Souveränität vor allem die Aufstellung zentral geführter mobiler und bewaffneter Polizeikräfte sowie die Hilfe der AHK gegen die „fünfte Kolonne“ vonnöten. Für die äußere Sicherheit schlägt von Schwerin eine Rehabilitierung ehemaliger Soldaten und Begnadigung eines Teils der wegen Kriegsverbrechen verurteilten Offiziere, Verhandlungen zur Aufnahme der Bundesrepublik in eine westeuropäische Verteidigungsgemeinschaft und Maßnahmen „zur Sicherstellung des personellen und materiellen Wehrpotentials“ Westdeutschlands vor.

DokumentenverzeichnisCLXXVII 42.  Schreiben des Leiters der Dritten Europäischen Abteilung Gribanov an Außenminister Vyšinskij. 05.09.1950 232 Gribanov kündigt eine Rede Dertingers zur „Remilitarisierung“ Westdeutschlands an und rät dazu, bis dahin keine Schritte von sowjetischer Seite zu unternehmen. Nach dieser Rede könne über eine Erklärung von Čujkov und weitere Presseveröffentlichungen entschieden werden, diese seien in Vorbereitung. 43.  Telegramm des stellvertretenden Außenministers Gromyko an den Vorsitzenden der SKK Čujkov und den Politischen Berater Semenov. 18.09.1950 234 Gromyko informiert über den Beschluss, dass die Bitte Ulbrichts um Lieferung von Fleisch, Butter und Fisch in die DDR bewilligt worden sei. Das Außenhandelsministerium der UdSSR werde die Lieferung durchführen. Ulbricht solle seinerseits informiert werden. 44.  Schreiben des Bundesministers für Wirtschaft Erhard an Bundeskanzler Adenauer. 25.09.1950 235 Erhard informiert über die jüngsten Verschärfungen der Ausfuhrkontrollen für strategisch wichtige Güter in den Ostblock durch die Regierung der USA, die diese auch in den mit ihnen zusammenarbeitenden Staaten durchsetzen wollten (insbesondere Großbritannien sei in diesem Zusammenhang kritisiert worden). Die Anwendung der Embargopolitik auf den bundesdeutschen Osthandel erfolge jedoch uneinheitlich, insofern die britischen und französischen Hohen Kommissare mit den von den Amerikanern durchgeführten Ausfuhrkontrollen nicht einverstanden seien. Erhard beschreibt die bisherige, weitgehend einvernehmliche Praxis der Erteilung von Ausfuhrgenehmigungen und kommt zu dem Schluss, dass die neuen Vorwürfe gegen die deutsche Genehmigungspraxis nicht gerechtfertigt seien, zumal Deutschland bereits größere wirtschaftliche Opfer erbringe. So sei es angebracht, einerseits die Bereitschaft zur Anwendung schärferer Kontrollmaßnahmen zu signalisieren, andererseits jedoch die „Diskriminierung Deutschlands im Osthandel“ im Verhältnis zur Praxis anderer Staaten zu be­ enden. 45. Schreiben des stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht an den Leiter der Diplomatischen Mission der DDR in Moskau Appelt. 10.10.1950 241 Ulbricht informiert über die Entscheidung der SED, dass deutsche Mitarbeiter an der DDR-Mission in Moskau ihre sowjetische Staatsbürgerschaft zurückgeben müssen. 46. Aufzeichnung des Leiters der Dritten Europäischen Abteilung Gribanov. 15.10.1950 242 Gribanov berichtet über den Ablauf der „Wahlen“ in der DDR. Zahlreiche Wähler seien nach Betrieben oder Dienststellen organisiert zur Wahl gegangen, und nur wenige hätten Wahlkabinen benutzt. Gribanov erwähnt Gottesdienste, in deren Anschluss sich die Besucher geschlossen zur Wahl begeben hätten. Er führt Zwischenzahlen zur Wahlbeteiligung auf und spricht von vereinzelten Flugblättern und Plakaten, die sich gegen die Wahl richteten.

CLXXVIII Dokumentenverzeichnis 47.  Telegramm des stellvertretenden Außenministers Gromyko an den Leiter der Mission der UdSSR in der DDR Puškin, den Vorsitzenden der SKK Čujkov und den Politischen Berater Semenov. 16.10.1950 243 Gromyko übermittelt die Weisung, Dertinger über die Einberufung einer Konferenz der acht Außenminister der Volksdemokratien in Prag zu informieren, auf der eine gemeinsame Erklärung zum Beschluss der New Yorker Außenministerkonferenz zur „Remilitarisierung“ Deutschlands verabschiedet werden solle. Darin folge die Regierung der UdSSR den Schlussfolgerungen Dertingers. Auch Ulbricht solle informiert werden. 48.  Unterredung zwischen dem Leiter der Mission der UdSSR in der DDR Puškin und Außenminister Dertinger. 18.10.1950 246 Dertinger wird spät und kurzfristig zur Außenministerkonferenz in Prag eingeladen. Er äußert sich erfreut darüber, dass er hinsichtlich der geplanten Erklärung zur „Remilitarisierung“ Westdeutschlands mit der sowjetischen Regierung übereinstimme. Dertinger sei der Auffassung, dass der Beschluss der Westmächte zu einer „Remilitarisierung“ Westdeutschlands und zur eigenen Truppenverstärkung Unzufriedenheit und Besorgnis in der überwiegend pazifistisch eingestellten westdeutschen Bevölkerung ausgelöst habe, und verweist dafür auf den Rücktritt Heinemanns und den offenen Brief Niemöllers an Adenauer. Die Bevölkerung werde erkennen, dass sie aktiv gegen diese Politik kämpfen müsse. Diese Bewegung könne zum Ausgangspunkt für den nationalen Zusammenschluss der Deutschen werden. Dabei werde die Prager Außenministerkonferenz eine große Unterstützung sein. Dertinger merkt an, dass die DDR als gleichberechtigter Partner daran teilnehme. 49.  Beschluss des ZK der VKP (b). 23.10.1950 249 Das Politbüro des ZK der VKP (b) beschließt auf Empfehlung des MGB und der SKK, bis Ende des Jahres nichtöffentliche Gerichtsprozesse vor einem sowjetischen Militärtribunal gegen drei Gruppen durchzuführen, denen „Spionage“ und „Subversion“ im Auftrag US-amerikanischer und britischer Geheimdienste vorgeworfen werde. Das MGB werde mit der Verhandlungsführung, die SKK mit der anschließenden Veröffentlichung in der Presse beauftragt. 50.  Unterredung zwischen dem Leiter der Mission der UdSSR in der DDR Puškin und Außenminister Dertinger. 03.11.1950 251 Dertinger zeigt sich beeindruckt von der Prager Außenministerkonferenz und dankt für die Unterstützung der DDR-Delegation durch Molotov. Nach west­ lichen Reaktionen auf die Prager Erklärung gefragt teilt Dertinger mit, er habe noch keine Informationen darüber erhalten, und es gebe noch keine offiziellen Verlautbarungen, was sich damit erkläre, dass den Westmächten und Adenauer eine Antwort schwerfalle. Fest überzeugt zeigt sich Dertinger davon, dass die westdeutsche Bevölkerung positiv auf die Prager Erklärung reagieren müsse. Diese werde auch die französische Politik beeinflussen, so dass sich Differenzen zwischen den USA und Frankreich verschärfen könnten. Der mögliche Kompromiss, die Bildung kleiner deutscher militärischer Einheiten als Teile westlicher Verbände, könne die einflussreiche westdeutsche Industrie und die Militärkreise nicht zufriedenstellen. Der Widerstand der westdeutschen Bevölkerung werde

DokumentenverzeichnisCLXXIX sich verschärfen, und dann werde die Prager Erklärung die Grundlage für die Lösung der Deutschlandfrage sein. Eine Volksbefragung zu den Vorschlägen der Prager Konferenz sei jedoch verfrüht. 51. Schreiben des Bevollmächtigten der Bundesrepublik Deutschland in Berlin Vockel an Bundeskanzler Adenauer. 30.10.1950 255 Vockel schätzt die Beschlüsse der Prager Außenministerkonferenz als neue „Generallinie“ der SED ein. 52. Schreiben von Finanzminister Loch an Finanzminister Zverev. 30.10. 1950 256 Loch bittet Zverev um seine Meinung zur Frage der Festlegung eines Wechselkurses zwischen dem Rubel und der DM der DDR. 53.  Unterredung zwischen dem Leiter der Mission der UdSSR in der DDR Puškin und Außenminister Dertinger. 31.10.1950 257 Dertinger äußert sich zur Lage in Westdeutschland. Laut Informationen aus Bayern sei die Regierung Adenauer in einer Krise. Möglich sei eine Spaltung der CSU durch die Herauslösung einer „progressiven“ protestantischen Partei. Anlässlich eines Treffens von Niemöller und Schumacher setze Dertinger Hoffnungen in eine protestantisch geprägte Oppositionsbewegung. Dertinger stimmt Puškins Zweifel an Schumachers oppositioneller Rolle zu, er erwarte jedoch eine zukünftige SPD-Regierung. Puškin bescheinigt Dertinger eine naive Sicht auf die Entlassung von Schwerins. Dertinger bietet an, Kontakte zur CDU in Westdeutschland herzustellen. Puškin und Dertinger sind sich einig, dass man dem Kontaktwunsch oppositioneller protestantischer Kreise in Westdeutschland entgegenkommen müsse. 54.  Schreiben des stellvertretenden Außenministers Gromyko an den Vorsitzenden des Ministerrats Stalin. 1.11.1950 260 Laut Bericht von Semenov und Čujkov werde sich die neu gebildete Regierung der DDR gemäß den Prager Beschlüssen mit einem Brief an die Bundesregierung zur Bildung eines Konstituierenden Rates wenden. Gromyko informiert über den Vorschlag von Semenov und Čujkov, dass darin neben den in Prag beschlossenen Aufgaben des Konstituierenden Rates auch die Verpflichtung angeführt werden solle, die Voraussetzungen für eine Durchführung gesamtdeutscher Wahlen zu schaffen. Damit könne der westlichen Forderung nach freien Wahlen entgegengetreten werden. Das MID befürworte diesen Vorschlag. 55.  Telegramm des Vorsitzenden der SKK Čujkov und des Leiters der Mission der UdSSR in der DDR Puškin an den Vorsitzenden des Ministerrats Stalin. 04.11.1950 262 Puškin und Čujkov berichten von Dieckmanns Einschätzung der Situation der Bonner Regierung und seinen Plänen, mit westdeutschen politischen und kirchlichen Kreisen, die die Politik Adenauers ablehnten, Kontakt aufzunehmen. Dieckmann setze insbesondere auf Niemöller sowie andere Vertreter der EKD und hoffe auf eine verhandlungsbereitere Bonner Regierung ohne Adenauer. Dieckmann kritisiert demnach die zu unflexible Haltung der SED gegenüber

CLXXX Dokumentenverzeichnis solchen Kreisen und bringt sich selbst und Vertreter anderer Blockparteien als Vermittler in Stellung. 56.  Schreiben des Leiters der Dritten Europäischen Abteilung Gribanov an den stellvertretenden Außenminister Gromyko. 09.11.1950 265 Gribanov berichtet Gromyko von der Antwort Achesons auf den Vorschlag der UdSSR zur Einberufung des Rats der Außenminister, wonach die USA auf einer möglichen Viermächtekonferenz nicht nur die Deutschlandfrage besprechen wollten, und von Reaktionen der westlichen Presse auf den sowjetischen Vorschlag. Er schlägt die Bildung einer Kommission unter Leitung von Zorin zur Vorbereitung der sowjetischen Position auf einer solchen Konferenz vor. 57.  Aus einer Rede von Außenminister Dertinger. 17.11.1950 267 In seiner internen Ansprache vor den Chefs der Missionen der DDR erklärt Dertinger die „Hauptaufgaben“ der Außenpolitik der DDR im abgelaufenen Jahr – die Festigung der Beziehungen zu den sozialistischen Staaten und die Eingliederung der DDR als „gleichberechtigten Bestandteil in die Gemeinschaft friedliebender Völker“ – für gelöst. Nun sei eine aktive Mitwirkung der DDR vor allem an der Friedenssicherung in Europa erforderlich, wofür die Prager Erklärung die Aufgabenstellung vorgebe. Dertinger äußert sich zur Bildung ­eines gesamtdeutschen konstituierenden Rates und nennt die Prager Erklärung einen „ehrlichen“ Vorschlag ohne provokative Sprache und Propaganda. Er spezifiziert den Inhalt der jüngsten Note der UdSSR an die Regierungen der Westmächte und äußert die Hoffnung, dass die bisher angedeutete ablehnende Reaktion der Westmächte auf die Prager Erklärung nicht endgültig sei, sondern dass der „Druck der Völker“ sie zur Aufnahme von Gesprächen zwingen würden. 58.  Stichpunkte zu einer Rede des Leiters der Diplomatischen Mission der DDR in Moskau Appelt. 18.11.1950 269 Appelt äußert sich in seiner internen Rede vor den Chefs der Missionen der DDR zu Auseinandersetzungen in der UNO zwischen den USA und der UdSSR, zur These Stalins vom „Nebeneinanderbestehen der Systeme“ und zur sowjetischen Politik in Bezug auf Korea (die eine friedliche Lösung anstrebe). Zugleich hält Appelt Waffenlieferungen an Nordkorea für wahrscheinlich. Appelt erwartet eine „schwere militärische Niederlage“ der USA mit Auswirkungen auf die übrigen Völker Asiens. Nach Überlegungen zur wirtschaftlichen Entwicklung in der UdSSR kommt Appelt auf die sowjetische Deutschlandpolitik zu sprechen, die seit zwei bis drei Jahren unverändert sei. Die Prager Außenministerkonferenz habe große Erwartungen hervorgerufen. In der UdSSR werde häufig nach den Reaktionen in Westdeutschland gefragt. Man hege die Hoffnung, dass die „Remilitarisierung“ Westdeutschlands verhindert werden könne. Über die Wahlen in der DDR im Oktober sei auf den ersten Seiten der Zeitungen berichtet worden. 59.  Vermerk des Staatssekretärs im Bundeskanzleramt Hallstein. 06.12.1950 272 Hallstein umreißt die Auffassungen und Aktionen der DDR-Regierung, mit denen vor dem Hintergrund der Prager Erklärung zu rechnen sei. Demnach hielten

DokumentenverzeichnisCLXXXI Dertinger und Nuschke die Prager Beschlüsse für einen grundlegenden Beitrag zur europäischen Entwicklung, der auch Zugeständnisse seitens der UdSSR im Hinblick auf eine Wiedervereinigung erhoffen lasse. Beide hätten Kontakte zu westdeutschen Politikern gesucht und ihnen leicht geänderte Vorschläge als Gesprächsgrundlage für einen „konsultativen“ (nicht konstitutiven) Rat unterbreitet, die die gegenseitige Anerkennung der beiden deutschen Staaten, dann allgemeine Wahlen unter neutraler Aufsicht, die Grenzöffnung und den Abzug aller Besatzungstruppen umfasst hätten. Hallstein erwartet, dass angesichts der Lage in Korea, der Gesprächsbereitschaft der Briten und Franzosen und der Wahlagitation Schumachers diese Vorschläge auf positive Resonanz treffen könnten. Auch aus der Presse seien Forderungen zu Verhandlungen zu erwarten. Sein Fazit: Die Neutralitätspropaganda ziele auf die Verzögerung und damit auf die Verhinderung des Verteidigungsbeitrags der Bundesrepublik. 60. Schreiben des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen Kaiser an Bundeskanzler Adenauer. 07.12.1950 275 Kaiser übersendet Adenauer ein Fernschreiben von Reuter über dessen Briefwechsel mit Ebert, in dem er Adenauer eine Rücksprache anbietet. Daraufhin kommt er auf den „Grotewohl-Brief“ zu sprechen und berichtet von verschiedenen Reaktionen. So habe Wehner angefragt, ob nicht der gesamtdeutsche Ausschuss in dieser Sache tagen müsse. Vertreter der Exil-CDU seien der Meinung, dass die Bundesregierung auf die Vorschläge in der einen oder anderen Form reagieren müsse. Auch aus den Industrie- und Handelskammern zweier Länder der DDR seien eindringliche Schreiben zu dieser Frage eingegangen. Kaiser bittet Adenauer um ein Gespräch in dieser Angelegenheit. 61. Aufzeichnung aus der Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten. 08.01.1951 277 Laut dieser Aufzeichnung zu Zielen und Strategien der sowjetischen Deutschlandpolitik ist das bevorzugte Ziel der UdSSR eine Sowjetisierung Deutschlands ohne Gewaltanwendung. Im Falle einer Gewaltanwendung werde diese lokal begrenzt und formal ohne Beteiligung der UdSSR erfolgen. Auf eine eventuelle große Auseinandersetzung bereite man sich jedoch vor. Die verschiedenen Verhandlungsangebote seien als Propagandaaktionen zu deuten, der mit Gegenpropaganda begegnet werden solle. Versuche, die westdeutsche Bevölkerung und ihre Regierung, aber auch die Westmächte gegeneinander auszuspielen, könnten der Vorbereitung einer begrenzten Gewaltanwendung dienen. Es sei mit einer einseitigen Bildung eines Konstituierenden Rates zu rechnen, der der DDR-Regierung eine gesamtdeutsche Legitimierung verleihen solle. Ein Angriff würde wahrscheinlich nach dem koreanischen Modell erfolgen: durch die Volkspolizei ggf. unter Beteiligung anderer Satellitenstaaten. Dieses Konzept könne durch eine kleine westdeutsche Armee vereitelt werden. Die gezeigte Verhandlungsbereitschaft mit den Westmächten solle auch einem möglichen Gegenangriff auf die UdSSR vorbeugen. Je deutlicher der Westen erkläre, dass auch ein begrenzter Angriff aus der Sowjetsphäre als Angriff der UdSSR angesehen würde, desto unwahrscheinlicher sei ein solcher Angriff.

CLXXXII Dokumentenverzeichnis 62. Schreiben des Ministerpräsidenten Grotewohl an den Ministerrat der UdSSR. 08.01.1951 282 Grotewohl bittet dringend um die Lieferung von Rohstoffen zur Erfüllung des Fünfjahr- und des Reparationsplans. 63. Schreiben des Bevollmächtigten der Bundesrepublik Deutschland in Berlin Vockel an Bundeskanzler Adenauer. 12.01.1951 283 Vockel denkt über eine geeignete Entgegnung auf den „Grotewohl-Brief“ im Zusammenhang mit der sowjetischen Note vom 15.  Dezember 1950 nach und befürwortet – analog zur Note der Westmächte vom 5.  Januar 1951 – aus taktischen Gründen, die Bereitschaft zu Vorverhandlungen mit der DDR zu zeigen und gleichzeitig Bedingungen für die Tagesordnung zu stellen. 64. Schreiben von Außenminister Dertinger an Ministerpräsident Grotewohl. 16.01.1951 285 Dertinger berichtet von einer Unterredung mit Puškin über Möglichkeiten der Unterstützung der Arbeit der DDR-Regierung in Westdeutschland durch die Regierung der UdSSR. Er bezeichnet Erleichterungen gegenüber deutschen Kriegsgefangenen in der UdSSR als außerordentlich wirksam im Hinblick auf Gespräche über die Wiederherstellung der deutschen Einheit. 65.  Schreiben des Vorsitzenden des Rats der EKD Dibelius an Bundestagspräsident Ehlers. 01.02.1951 286 Dibelius berichtet, er werde von kirchlichen Kreisen zu einer Initiative in Richtung einer Gesprächsanbahnung mit der DDR-Regierung anlässlich des „Grotewohl-Briefes“ gedrängt. Er selbst halte den Erfolg solcher Gespräche für unwahrscheinlich, rate aber dennoch zu einem Versuch, ggf. über Mittelsmänner das Verhandlungsangebot zu testen, auch weil eine Ablehnung von vornherein die Propaganda der DDR begünstigen würde. Man müsse auch die Stimmung in der ostdeutschen Bevölkerung bedenken, die sich nach Veränderung sehne. Die schlechte wirtschaftliche Lage in der DDR könne ein Motiv für das Gesprächsangebot gewesen sein. Dibelius erklärt, sich nicht zu sehr in die Politik begeben zu wollen, und grenzt sich von anderen „Vermittlungspolitikern“ ab, behält sich aber eine öffentliche Stellungnahme vor. 66. Schreiben des Vorsitzenden der SPD Schumacher an Bundeskanzler Adenauer. 06.02.1951 289 Schumacher legt in seiner Antwort auf ein Schreiben Adenauers die Position der SPD zum bundesdeutschen Verteidigungsbeitrag und zur bundesdeutschen Außenpolitik insbesondere gegenüber der UdSSR in ihrem internationalen Kontext dar. 67.  Schreiben des Generalkonsuls I. Klasse Du Mont an Ministerialdirektor Blankenhorn. 08.02.1951 304 Du Mont informiert über ein Treffen zwischen Nuschke, Gereke, Heinemann und Niemöller im Haus von Propst Grüber in Berlin.

DokumentenverzeichnisCLXXXIII 68.  Schreiben des Generalkonsuls I. Klasse Krekeler an Ministerialdirektor Blankenhorn. 19.02.1951 305 Krekeler reagiert auf Sorgen Adenauers bezüglich einer Viermächtekonferenz. Er schlägt vor, konkrete Forderungen in Bezug auf die DDR zu erheben, die von allen Parteien in der Bundesrepublik (mit Ausnahme der KPD) unterstützt würden. 69.  Schreiben des Leiters der Dritten Europäischen Abteilung Gribanov an den stellvertretenden Außenminister Gromyko. 24.02.1951 Gribanov berichtet von der Absichtserklärung der AHK, die Bonner Regierung 306 über den Verlauf der Vorkonferenz sowie über die geplante Konferenz der vier Außenminister zu unterrichten, und schlägt vor, die Regierung der DDR ebenfalls über den Verlauf dieser Sitzungen zu informieren. Des Weiteren solle die DDR-Regierung die Reaktion des Bundestages auf den Vorschlag eines gemeinsamen Schreibens an die vier Mächte mit der Bitte um Aufnahme der Friedensvertragsfrage in die Tagesordnung der Außenministerkonferenz abwarten und im Falle einer abschlägigen Reaktion diesen Vorschlag selbst an die Vier Mächte richten. Schließlich solle der sowjetische Vertreter auf der Tagung des Außenministerrates die Einladung einer DDR-Delegation vorschlagen. 70.  Runderlass der Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten im Bundeskanzleramt. 01.03.1951 309 An der Zusammenarbeit mit den westlichen Staaten bei der Embargopolitik in Bezug auf die Lieferung von Kriegsmaterial und strategischen Gütern an Länder des Ostblocks sei die Bundesrepublik durch einen ständigen Vertreter bei den Pariser Ausschüssen gleichberechtigt beteiligt. Da die deutsche Haltung in dieser Frage auf die Beziehungen der anderen beteiligten Staaten zur Bundesrepublik zurückwirke, sei eine regelmäßige Berichterstattung über alle diese Fragen betreffenden Maßnahmen, Äußerungen oder Zeitungsberichte in den einzelnen Ländern erforderlich. Werde die deutsche Kooperation in Zweifel gezogen, müsse dem begegnet werden. Die in diesem Runderlass adressierten Generalkonsulate sollten in die Ausfuhrkontrollen ein­gebunden werden. Für Fragen des Embargos, aber auch der bilateralen Handelsbeziehungen zu Ländern des Ostblocks, sei im Bundesministerium für Wirtschaft eine eigene Stelle unter der Leitung von Kroll eingerichtet worden. Für alle die Embargo­politik und die Pariser Ausschüsse betreffenden Fragen gelte strikte Geheimhaltung. 71. Schreiben des Ersten Rats der Mission der DDR in Moskau Wolf an Staatssekretär Ackermann. 12.03.1951 312 Wolf berichtet über den schnellen, aber konfliktreichen Verlauf der Handelsvertragsverhandlungen und die Beteiligung der DDR an der Arbeit des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW). 72. Aufzeichnung des Leiters der Hauptabteilung Grundsatzfragen im MfAA Reintanz. 14.03.1951 315 Reintanz entwirft Thesen für einen Deutschen Friedensvertrag. Darin werde Deutschland zur Neutralität verpflichtet. Die Oder-Neisse-Linie sei die Ostgrenze, die Vertriebenen erhielten die deutsche Staatsbürgerschaft, die in den Ostgebieten verbliebenen Deutschen könnten optieren. Deutschland dürfe Polizeikräf-

CLXXXIV Dokumentenverzeichnis te in noch zu bestimmendem Ausmaß unterhalten, jedoch keine Armee. Die juristische Verfolgung von Kriegsverbrechern werde auf Deutschland übertragen. Der Rat der Außenminister überwache die Ausführung des Friedensvertrages, die Besatzungstruppen würden abgezogen. Neben Regelungsvorschlägen zu wirtschaftlichen und finanziellen Fragen – darunter eine Annullierung der Vorkriegsschulden – schreibt der Entwurf außerdem den Ersatz von Kriegsschäden, die Rückerstattung oder Entschädigung geraubten ausländischen Eigentums und die Erfüllung der zwischen der DDR und der UdSSR 1950 vereinbarten Reparationsverpflichtungen fest. 73.  Aufzeichnung des Botschafters a. D. Nadolny. 05.04.1951 320 Nadolny bezieht sich auf einen zuvor in der Deutschen Politik veröffentlichten Bericht über die „russischen Ansichten zur Weltlage“ und widerspricht den darin der sowjetischen Führung zugeschriebenen Ansichten. Dabei fordert er die deutsche Einheit und die Rückgabe der Ostgebiete durch die UdSSR. Nadolny vermerkt den wirtschaftlichen und sozialen Rückstand der UdSSR gegenüber Westeuropa und schließt eine Sowjetisierung Westeuropas durch die UdSSR aus. Auch sei das Modell des Sowjetstaates für Frankreich oder Italien nicht attraktiv. Bei Franzosen und Engländern wiederum sieht Nadolny ein wachsendes Verständnis für die Lage der Deutschen. Im Gegensatz zu Adenauer hätte Nadolny einen Verhandlungsversuch anlässlich des „Grotewohl-Briefes“ befürwortet, um dessen Vorschläge zu testen. Die UdSSR solle im Koreakrieg keine Gefahr für sich sehen, da sie mitverantwortlich sei und selbst Frieden stiften könne, wenn sie es wolle. 74.  Unterredung zwischen dem stellvertretenden Leiter der GUSIMZ Kobulov und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht. 11.04.1951 323 Ulbricht spricht die Flucht von Fachleuten aus der DDR an, die durch die unzureichende Umsetzung von Maßnahmen zur Verbesserung der Lage der „technischen Intelligenz“ begünstigt worden sei. Er gibt sich selbst die Mitverantwortung dafür und äußert Vorschläge zu einer Lösung dieser Frage. Kobulov antwortet mit einem Katalog von weiteren Vorschlägen, denen Ulbricht mit Ausnahme einer Lockerung in der Vergabepraxis von Passierscheinen für Westbesuche zustimmt. Ulbricht bittet um die Senkung der in dem Handelsabkommen zwischen der UdSSR und der DDR geplanten Liefermenge für synthetischen Kautschuk, spricht Schwierigkeiten bei der Erfüllung der Reparationsaufträge im Zusammenhang mit der Festlegung der Preise und des Wechselkurses an und bittet um technische Hilfe durch sowjetische Betriebe. Er bittet außerdem darum, beim Wohnungsbau für Beschäftigte der SAG die Architekturvorschriften des Ministeriums für Aufbau zu berücksichtigen. Des Weiteren kündigt er die Einrichtung von Pionierlagern der VEB sowie die Einrichtung von Sportvereinen nach sowjetischem Vorbild an und berichtet vom Neubau einer Eisenbahnstrecke für die SAG Wismut. 75. Unterredung zwischen dem stellvertretenden Vorsitzenden der SKK Semičastnov und Ministerpräsident Grotewohl. 28.06.1951 333 Grotewohl bittet nach Beendigung seines Urlaubs in der UdSSR um einen Gedankenaustausch und fragt nach Wünschen der SKK. Besprochen werden einige

DokumentenverzeichnisCLXXXV in Grotewohls Abwesenheit getroffene Beschlüsse der DDR-Regierung. Semičastnov benennt als anliegende Aufgaben die Umsetzung des Fünfjahrplans, die Ausarbeitung des Plans für 1952, die Vorbereitung der III.  Weltfestspiele der Jugend und Studenten sowie Fragen der Landwirtschaft, insbesondere des Fleischankaufs. Grotewohl kündigt an, er werde sich der Erfüllung der Reparationslieferungen widmen. Er kritisiert den Zustand der KPD und fordert mehr wissenschaftliche Konferenzen mit interna­tionaler Bedeutung in der DDR. 76.  Schreiben des stellvertretenden Außenministers Gromyko an den Vorsitzenden des Ministerrats Stalin. 13.07.1951 336 Gromyko informiert über die Absicht der DDR-Regierung, mit einer eigenen Erklärung der von den Westmächten verkündeten Aufhebung des Kriegszustands mit Deutschland entgegenzutreten, und übermittelt die wesentlichen Punkte des über die SKK zugeleiteten Entwurfes sowie einen Beschlussentwurf für das ZK der VKP (b). Der Vorschlag werde durch die SKK und das MID unterstützt. 77. Unterredung zwischen dem stellvertretenden Vorsitzenden der SKK Semičastnov, dem Stellvertreter des Politischen Beraters Il’ičev, Präsident ­Pieck und Ministerpräsident Grotewohl. 19.07.1951 338 Semičastnov informiert über Stellungnahmen der SKK zu vorangegangenen Entwürfen, Bitten und Anfragen Ulbrichts, so zu dessen Entwurf des Fünfjahrplans, zur Frage einer Stromsperre für West-Berlin, zu Absperrungsmaßnahmen an der Demarkationslinie, zur Bewaffnung der Mitarbeiter der AKW, zur Lebensmittelversorgung und Organisation der III. Weltfestspiele der Jugend und Studenten und zur Einrichtung einer Gedenkstätte im ehemaligen KZ Buchenwald. Er schlägt vor, Probleme beim Bau des EKO Ost im Politbüro zu behandeln, und spricht Produktionsfehler in den Stahlwerken der DDR an. Die SKK schlage außerdem eine Neuregelung der Stellung der Deutschen Notenbank und die Schaffung eines Gesetzes über das Bankgeheimnis vor. Il’ičev spricht „Diversionsakte“ an, die von den westlichen Besatzungsmächten und der Bundesregierung gesteuert seien. ­Pieck äußert sich ablehnend zu Erklärungen des Evangelischen Kirchentags. 78.  Schreiben des stellvertretenden Außenministers Gromyko an den Vorsitzenden des Ministerrats Stalin. 30.07.1951 346 Das MID und die SKK unterstützen den Vorschlag Ulbrichts, das Verbot für ehemalige Mitglieder der HJ und des BDM, in den Einrichtungen der Innenund Justizverwaltungen zu arbeiten, aufzuheben. 79.  Unterredung zwischen dem Vorsitzenden der SKK Čujkov, dem Stellvertreter des Politischen Beraters Il’ičev, Präsident ­Pieck, Ministerpräsident Grotewohl und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht. 21.08.1951 348 Čujkov fragt nach dem Stand der Verhandlungen über den Interzonenhandel und spricht Schwierigkeiten bei der Erfüllung des Reparationslieferplans für 1951 sowie in der Stahlproduktion an. Ulbricht informiert über den geplanten Umbau des Ministeriums für Schwerindustrie. Čujkov fragt nach Möglichkeiten, in der DDR Fluss- und Binnenseeschiffe zu bauen, weist auf Schwierigkeiten in der

CLXXXVI Dokumentenverzeichnis Landwirtschaft und Versorgung hin und fordert eine verstärkte Produktion von Schädlingsbekämpfungsmitteln gegen den Kartoffelkäfer. Ulbricht bittet um die Aushändigung geologischer Unterlagen aus den durch die SAG Wismut durchgeführten Erschließungsarbeiten. 80. Unterredung zwischen Außenminister Vyšinskij und Präsident ­­Pieck. 09.09.1951 356 Vyšinskij stellt ­Pieck im Auftrag des Politbüros einen Aktionsplan vor, der einen Appell der Volkskammer an den Bundestag zur Einberufung einer gesamtdeutschen Beratung und die spätere Vorlage eines Friedensvertragsentwurfs durch die UdSSR vorsieht. ­Pieck erwartet eine Ablehnung des Volkskammerappells durch den Bundestag, wodurch die Bundesregierung jedoch in eine unvorteilhafte Lage geraten werde. Vyšinskij erläutert in allgemeinen Worten den Inhalt des geplanten sowjetischen Friedensvertragsentwurfs. P ­ ieck stimmt dem Aktionsplan zu. Er spricht sich dafür aus, eine Unterschriftensammlung zugunsten eines Fünfmächtepaktes vorläufig aufzuschieben. Vyšinskij fordert die Regierung der DDR auf, Indien die Aufnahme di­plomatischer Beziehungen vorzuschlagen. 81.  Unterredung zwischen dem Vorsitzenden der SKK Čujkov, dem Stellvertreter des Politischen Beraters Il’ičev und Ministerpräsident Grotewohl. 10.09.1951 362 Čujkov fragt Grotewohl nach seiner Meinung zum Plan für Reparationslieferungen für das Jahr 1952. Er bittet um Unterstützung bei der Rekrutierung von Arbeitern für die SAG Wismut. Grotewohl erläutert die Planung von Umsiedlungen in den Förderorten der SAG Wismut und schlägt Walter Kirsten als Leiter dieser Maßnahme vor. Čujkov ist einverstanden mit dem geplanten Umbau des Ministeriums für Schwerindustrie. Grotewohl schlägt eine Aufgliederung auch des Ministeriums für Maschinenbau vor, kritisiert die ungenügende Nutzung von Investitionsmitteln durch die Ministerien und informiert über die Entlassung des sächsischen Gesundheitsministers Thürmer. Čujkov spricht Schwierigkeiten in der Landwirtschaft, Konflikte im Ost-Berliner Magistrat und den Weggang von Wissenschaftlern in die Bundesrepublik sowie Maßnahmen zur Lösung dieser Frage an. Er kritisiert die unbefriedigende Einhaltung von Beschlüssen zum Haushalt sowie zu geringe Steuereinnahmen. Grotewohl spricht die geplante Reorganisation der Akademie der Künste an und legt nahe, Akademiepräsident Arnold Zweig in die UdSSR einzuladen, um den Umbau der Akademie zu erleichtern. 82. Unterredung zwischen Außenminister Vyšinskij und dem Leiter der Diplomatischen Mission der DDR in Moskau Appelt. 28.09.1951 374 Appelt lobt die Kampagne, die im Zusammenhang mit dem Volkskammer-Appell in der DDR und in Westdeutschland betrieben werde. Daraufhin bittet Appelt im Namen der DDR-Regierung um die Durchreise durch die UdSSR von ehemaligen deutschen Kriegsgefangenen aus Vietnam, um die Erlaubnis für die Einreise von 188 Studenten aus der DDR zum Studium in der UdSSR, um die Rückkehr deutscher Spezialisten, die sich z. T. seit fünf Jahren in der UdSSR aufhielten, und um die Übertragung des Rechts auf Visaerteilung an Ausländer an die Behörden der DDR. Er informiert außerdem über die baldige Fertigstel-

DokumentenverzeichnisCLXXXVII lung des Gebäudes der DDR-Mission in Moskau. Inoffiziell stellt Appelt die von Grotewohl angeregte Frage nach Rückgabe eines Teils der Kunstwerke, die die Sowjetarmee aus Deutschland entnommen habe. 83.  Unterredung zwischen dem Vorsitzenden der SKK Čujkov, dem Politischen Berater Semenov, Präsident ­Pieck, Ministerpräsident Grotewohl und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht. 12.10.1951 383 Čujkov erklärt, das Interzonenhandelsabkommen werde vom Westen nicht eingehalten, dessen Vertreter versuchten, Einzelverträge zur Versorgung West-Berlins durchzusetzen. Der Kohlemangel West-Berlins solle als Hebel benutzt werden, um den Gesamtvertrag durchzusetzen. Čujkov geht auf die Funkkonferenz der ITU ein. Die DDR solle Rundfunkfrequenzen, die für das ehemalige Deutsche Reich registriert und nun z. T. für die Bundesrepublik eingetragen worden seien, für sich beanspruchen. Grotewohl erläutert, dass die DDR nicht Mitglied der ITU sei, jedoch einen Beitrittsantrag gestellt habe. Čujkov moniert die fehlende Leitung des Ministeriums für Schwerindustrie, die zu Verzögerungen beim Aufbau des EKO Ost geführt habe. Grotewohl benennt Schwierigkeiten bei der Besetzung der geplanten Staatssekreta­ riate und erklärt, der erste Abstich am Hochofen sei bereits erfolgt. Čujkov bittet um den Bau von Schiffen für die UdSSR über den Plan hinaus und weist auf Spionage seitens der Volksdemokratien in der DDR hin. Er merkt an, dass beim MfS nur etwa die Hälfte der vorgesehenen Stellen besetzt sei. Ulbricht beschreibt Schwierigkeiten bei der Kaderauswahl für das MfS. Čujkov spricht sich für die Beseitigung von WestBerliner Enklaven auf dem Territorium der DDR aus. 84.  Unterredung zwischen dem Leiter der Mission der UdSSR in der DDR Puškin und Außenminister Dertinger. 13.10.1951 396 Dertinger informiert über seine Unterredung mit Ernst Lemmer und gibt dessen Einschätzung der Politik Adenauers sowie Reaktionen darauf innerhalb der westdeutschen CDU sowie seitens der Franzosen wieder. Auf die Frage Puškins, zu welchem Zweck sich Lemmer mit Dertinger habe treffen wollen, nennt ­Dertinger die jüngste Erklärung Stalins zur Atombombe in der Pravda, eine französische Einflussnahme und Lemmers Interesse am Volkskammer-Appell vom 10. Oktober. Des Weiteren äußert Dertinger auf Nachfrage Puškins seine Erwartungen an die Reaktionen des Bundestages auf den neuen VolkskammerAppell. Seiner Aufzeichnung dieses Gesprächs fügt Puškin Bemerkungen zu den Äußerungen Dertingers und seinen möglichen Motivationen bei, wobei er Dertingers Darstellung misstraut. 85.  Aufzeichnung von Außenminister Dertinger. 13.10.1951 403 Lemmer, der um das Treffen mit Dertinger gebeten habe, habe diesen gefragt, ob der jüngste Volkskammer-Appell als ehrlicher Vorschlag und die Erklärung Stalins zur Atombombe als ernsthafte Warnung zu verstehen seien. Die von Dertinger gegebene positive Antwort sei, so Lemmer, wichtig, um größere Teile der CDU und die französische Regierung gegen die Politik Adenauers und für eine gesamtdeutsche Beratung zu gewinnen. Adenauer habe sich mit seiner Haltung zur Oder-Neisse-Grenze isoliert, und sowohl in der SPD als auch in Teilen der CDU wachse die Stimmung zugunsten einer schnellen Wiedervereinigung

CLXXXVIII Dokumentenverzeichnis durch gesamtdeutsche Wahlen. Lemmer erwarte die Verabschiedung eines Wahlgesetzes für gesamtdeutsche Wahlen im Bundestag und rate dazu, mit einem Gegenvorschlag zu antworten und in Verhandlungen einzutreten, die weitere Abkommen der Bundesregierung hinsichtlich einer „Remilitarisierung“ verhindern oder verzögern würden. 86.  Beschluss des Politbüros des ZK der VKP (b). 31.10.1951 408 Entwurf von Weisungen an die SKK zur Deutschlandpolitik. Grotewohl solle in einer Regierungserklärung die Reaktion Adenauers auf den Volkskammer-Appell kritisieren, ein weiterer Appell sei jedoch verfrüht. Stattdessen solle P ­ ieck sich an Heuss mit dem Vorschlag zur Bildung einer gesamtdeutschen Beratung zur Abhaltung gesamtdeutscher Wahlen wenden. Eine Prüfung der Voraussetzungen für gesamtdeutsche Wahlen könne durch eine deutsch-deutsche Kommission in allen Zonen Deutschlands erfolgen. Zur Vorbereitung eines Wahlgesetzentwurfs könne in der DDR eine Kommission gebildet werden. Der Gesetzentwurf solle nicht veröffentlicht, sondern in die gesamtdeutsche Beratung eingebracht werden. Ein erneuter Appell könne später erfolgen. 87.  Unterredung zwischen dem Vorsitzenden der SKK Čujkov, dem Politischen Berater Semenov und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten ­Ulbricht. 23.11.1951 410 Ulbricht hält die unterbrochenen Verhandlungen über den innerdeutschen Handel für gescheitert und begründet ihr Scheitern mit den Forderungen der westdeutschen Vertreter, die zudem die Kontrolle des Postverkehrs vonseiten der DDR kritisiert hätten. Čujkov hält Gegenmaßnahmen für unzweckmäßig, stattdessen solle der Öffentlichkeit gezeigt werden, dass am Scheitern der Verhandlungen die westlichen Behörden schuld seien. Er rät außerdem vom Verkauf von Kohle und Briketts nach Westdeutschland ab. Čujkov erwartet im Zusammenhang mit dem angekündigten Generalvertrag ein Verbot der KPD in Westdeutschland und bespricht mit Ulbricht und Semenov mögliche Maßnahmen für die Arbeit der KPD in der Illegalität sowie die Aus­arbeitung ihres Wahlprogramms. 88.  Unterredung zwischen dem Rat der diplomatischen Mission der UdSSR in der DDR Čebotarev und Außenminister Dertinger. 10.12.1951 417 Čebotarev teilt mit, die DDR solle das Recht erhalten, an Bürger der Volksdemokratien Visa zur Einreise und zum Transit durch die DDR auszustellen. Das Verfahren für die Einreise von Bürgern der UdSSR sowie anderer Länder bleibe unverändert. Dertinger bittet um die Übermittlung des deutschen Textes, den die DDR-Delegation vor der UNO in Paris abgeben werde. 89.  Schreiben des Leiters der Dritten Europäischen Abteilung Gribanov an den stellvertretenden Außenminister Gromyko. 19.12.1951 419 Gribanov übersendet den Entwurf eines Berichtes an Stalin über die Initiative ­Ulbrichts, die Regierung der DDR solle der Bundesregierung ein gemeinsames Schreiben an die Besatzungsmächte zur Verbesserung des Interzonenhandels ­ vorschlagen. Der Bericht kritisiert Ulbrichts Entwurf, da Ulbricht die vertraglich festgelegte Kontrolle der SKK über die Verbindungswege zwischen den Teilen

DokumentenverzeichnisCLXXXIX Deutschlands, den Außenhandel der DDR und die Ausfuhr von Rohstoffen aufheben wolle. Daher lehne die SKK diesen Vorschlag ab. Sie habe jedoch, wie Gribanov betont, selbst keinen Vorschlag zur Verbesserung des Interzonenhandels vorgelegt. Das MID befürworte hingegen den Vorschlag, sofern er keine Aussagen zur Aufhebung der Beschlüsse des Potsdamer Abkommens oder der sowjetischen Kontrolle über Verbindungswege und die Ausfuhr von Rohstoffen enthalte. Der Appell solle lediglich da­rauf abzielen, Hindernisse für den Interzonenhandel zu beseitigen. 90.  Unterredung zwischen dem Vorsitzenden der SKK Čujkov, dem Politischen Berater Semenov und dem Reichskanzler a. D. Wirth. 19.12.1951 423 Wirth bekennt sich zu seiner Gegnerschaft zu Adenauer. Er erklärt die Ziele seiner Reise und seine Schwierigkeiten in Westdeutschland. Čujkov und Semenov versichern, die Politik der UdSSR sei auf die Sicherung des Friedens gerichtet, und würdigen den Vertragsabschluss von Rapallo. Wirth beruft sich ebenfalls auf diesen Vertrag und kündigt an, sich nach seiner Rückkehr mit einer Gruppe Gleichgesinnter für gute Beziehungen zur UdSSR einzusetzen. Er betont die Bedeutung von Dibelius als Bundesgenossen, dafür solle die SED ihre Politik gegenüber der Kirche modifizieren. Auf eine Frage von Semenov erklärt er, dass Teile des Bürgertums aus Furcht vor Enteignungen eine Wiedervereinigung nach sowjetischen Bedingungen ablehnten. Wirth betont seine freundschaftlichen Beziehungen zu Heuss, dem er einen Brief schreiben wolle. Zum Abschluss des Gesprächs setzt er sich für einzelne Inhaftierte ein, die in den Waldheimer Prozessen verurteilt wurden. 91.  Aufzeichnung aus dem Auswärtigen Amt. 04.01.1952 435 Die Beobachtung der UdSSR im Dienst der Bundesregierung erfolge durch ver­ schiedene Stellen ohne Koordination. Erforderlich sei die Schaffung institutioneller Voraus­setzungen für eine lückenlose Beobachtung durch die Schaffung einer zentralen Forschungsstelle, die mit größeren Haushaltsmitteln ausgestattet sein müsste, oder durch einen regelmäßigen Erfahrungsaustausch der Fachleute. 92.  Vermerk von Botschafter Appelt. 04.01.1952 437 Appelt berichtet über den Besuch von Pastor Niemöller in der DDR-Mission in Moskau. Niemöller habe nach den in der UdSSR verbliebenen deutschen Spezialisten und Kriegsgefangenen gefragt. Appelt habe ihm versichert, dass sich die erste Frage in Kürze durch die Rückführung der verbliebenen Spezialisten erledigen werde und ein Besuch Niemöllers bei diesen nicht notwendig sei. Zur Frage der Kriegsgefangenen habe Niemöller von einer „Hetze“ im Westen gesprochen. Er werde es schwer haben, wenn er ohne Ergebnisse zurückkehre. Niemöller habe die in der UdSSR veröffentlichte Zahl von 13 000 verurteilten Kriegsgefangenen für richtig erklärt und gefragt, ob er über das Rote Kreuz Namen dieser Kriegsgefangenen erhalten könne. Appelt bescheinigt Niemöller in dieser Frage einen „objektiven“ Standpunkt. Danach habe er das Gespräch auf Niemöllers Besuchsprogramm und auf die deutsch-sowjetische Freundschaft gelenkt, als deren „unbedingter Anhänger“ sich Niemöller zu erkennen gegeben habe. Von Appelt nach der westdeutschen Armee gefragt, habe Niemöller ange-

CXC Dokumentenverzeichnis merkt, dass ihre Bildung bis zur Bundestagswahl 1953 hinausgeschoben werden müsse, danach werde voraussichtlich die SPD regieren. 93.  Unterredung zwischen dem stellvertretenden Außenminister Zorin und dem stellvertretenden Vorsitzenden des Rats der EKD Niemöller. 07.01.1952 442 Niemöller bekennt sich zu seiner Gegnerschaft gegen die „Remilitarisierung“ der Bundesrepublik und setzt sich zugleich für die Rückkehr der deutschen Kriegsgefangenen aus der UdSSR ein. Zorin verzichtet auf eigene Darlegungen und beteuert den Friedenswunsch der UdSSR. 94. Schreiben des Bevollmächtigten der Bundesrepublik Deutschland in Berlin Vockel an Bundeskanzler Adenauer. 09.01.1952 446 Vockel berichtet über ein mit Dibelius geführtes Gespräch, in dem Niemöllers Moskaureise und seine weiteren Aktivitäten, die Haltung der evangelischen Kirche und der Presse dazu, die Kriegsgefangenenfrage und die Beziehungen zur Russisch-Orthodoxen Kirche erörtert wurden. 95.  Aufzeichnung des Legationsrats I. Klasse Kossmann. 24.01.1952 449 Kossmann skizziert „Grundlinien“ und Ziele der bundesdeutschen Ostpolitik, wobei er von einer Wiedervereinigung unter Rückgewinnung der deutschen Ostgebiete jenseits der Oder-Neiße-Linie ausgeht und bei der Frage einer „Neuordnung des sowjetischen Raums“ Zurückhaltung empfiehlt. 96.  Unterredung zwischen dem Vorsitzenden der SKK Čujkov, dem Politischen Berater Semenov, Präsident ­Pieck, Ministerpräsident Grotewohl und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht. 09.02.1952 454 Čujkov spricht  – Weisungen des MID folgend  – Maßnahmen an, die zum schnellen Abschluss eines Friedensvertrags führen sollen. Die geplanten nächsten Schritte, ein Appell der DDR-Regierung an die Besatzungsmächte zum Abschluss eines Friedensvertrags und eine Aufforderung an die Bundesregierung, diesen Appell zu unterstützen, sowie eine anschließende Befürwortung durch die UdSSR, werden eingehend diskutiert. Grotewohl fragt nach Inhalt und Ton des zu entwerfenden Schreibens. Semenov spricht den Fall von 11 Jugendlichen, die wegen antisowjetischer Handlungen durch ein SMT verurteilt, aber durch das Oberste Gericht der UdSSR begnadigt worden seien, und den Fall des 1951 durch das MfS verhafteten Josef Reimann, des Sohnes Max Reimanns, an. ­Ulbricht informiert abschließend über Probleme bei der Kaderrekrutierung für das MfS. 97. Schreiben von Botschafter Appelt an Staatssekretär Ackermann. 13.02.1952 463 Appelt lobt Grotewohls schnelle Antwort auf ein Angebot der sowjetischen Regierung zum Rückkauf von 20 000 Güterwagen durch die Regierung der DDR. Er kritisiert demgegenüber das frühere Verhalten der DDR-Regierung, die in einem vergleichbaren Fall auf einen auf ihren eigenen Wunsch hin gefassten Beschluss der Regierung der UdSSR zur Lieferung von elektrischen Lokomotiven und einem Bahnkraftwerk lange nicht reagiert habe, da das Ministerium für Planung mit deren Erwerb nicht einverstanden gewesen sei. Dies sei jedoch ein

DokumentenverzeichnisCXCI völlig unzulässiges Verhalten gegenüber dem Beschluss der Regierung der UdSSR gewesen, und Verkehrsminister Beščev habe dies auch so wahrgenommen. Appelt selbst sei über diese Verzögerung nicht informiert worden. Appelt kündigt die baldige Unterzeichnung der Verträge über beide Lieferungen an. 98.  Unterredung zwischen dem Vorsitzenden der SKK Čujkov, dem Politischen Berater Semenov und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht. 15.02.1952 466 Čujkov kritisiert das Vorgehen von Orlopp bei den Interzonenhandelsverhandlungen als zu defensiv und verweist auf den Braunkohlemangel in West-Berlin. Orlopp solle bei den Verhandlungen die Lieferung von Briketts von der Ausführung bereits bezahlter Aufträge sowie von der rechtzeitigen Lieferung von Düngemitteln an die DDR abhängig machen. Die Frage der Warenbegleitscheine solle dabei nicht erwähnt werden. Als Druckmittel könne eine Stromsperre für West-Berlin eingesetzt werden. Čujkov befürwortet auch eine Pressekampagne gegen Adenauer und die USA. Auf eine zusätzliche Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren solle dagegen verzichtet werden. Čujkov kündigt an, die DDRRegierung werde über die Ergebnisse von geologischen Erkundungen informiert werden, sofern sie kein Uran beträfen. Er regt die Bildung von Kollegien bei den Industrieministerien nach sowjetischem Vorbild an. Ulbricht übt daraufhin massive Kritik an der Arbeit einiger Ministerien und bittet um sowjetische Hilfe. Čujkov entgegnet, das sowjetische Modell sei für die Bedingungen der DDR nicht immer geeignet. Semenov berichtet über Rücktrittsüberlegungen von Minister Reingruber. Ulbricht informiert über geplante Direktiven für die KPD, gemäß denen auf lokaler Ebene gemeinsame Listen mit der SPD gebildet werden könnten. 99.  Unterredung zwischen dem Politischen Berater Semenov und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht. 08.03.1952 474 Semenov kritisiert einen Entwurf zur Verbesserung der Arbeit von Politbüro und Sekretariat des ZK der SED, in dem die Zuständigkeiten von Politbüro und Sekretariat in Bezug auf Beschlüsse zu Gesetzesvorhaben und die Verantwortlichkeit einzelner Politbüromitglieder für bestimmte Arbeitsbereiche nicht genau definiert seien. Der Apparat des ZK der SED solle nicht den bislang fehlenden Apparat des Ministerrates ersetzen, sondern sich mit Parteifragen beschäftigen und zugleich den Staatsapparat insgesamt überwachen. Ulbricht schlägt vor, Rau und Wandel anstelle ihrer bisherigen Funktionen als stellvertretende Ministerpräsidenten für Wirtschaftsfragen bzw. für Volksbildung u. a. einzusetzen. Er lehnt die Ansprüche von Rau und Zaisser ab, ihnen die in ihre Verantwortungsbereiche fallenden Abteilungen des ZK-Apparats zu unterstellen. Semenov mahnt an, Minister und Staatssekretäre aus der SED sollten nach sowjetischem Vorbild zu Politbürositzungen eingeladen werden, wenn ihre Bereiche betreffende Fragen erörtert werden. Semenov und Ulbricht befürworten ein taktisches Entgegenkommen bei Fragen von geringer Relevanz gegenüber den Ministern der „bürgerlichen“ Parteien im Ministerrat. Ulbricht kritisiert die Arbeit des MfS einschließlich der sowjetischen Berater auf Kreisebene und spricht von der Tätigkeit westlicher Spionagedienste in der DDR. Semenov und Ulbricht sehen die Gefahr „feindlicher Elemente“ auch im Staatsapparat, Ulbricht verweist dabei

CXCII Dokumentenverzeichnis auf ehemalige Sozialdemokraten in der SED. Ulbricht kritisiert angesichts einer Untersuchung des Baus von EKO Ost die Wirtschaftsbehörden der DDR. Auch die Arbeiter seien unzufrieden, da sie wegen fehlender Zulieferungen nur Minimallöhne erhielten. 100. Schreiben von Botschafter Appelt an Staatssekretär Ackermann. 14.03.1952 483 Appelt informiert über ein Schreiben von Florin, laut dem im Zusammenhang mit der Moskaureise Niemöllers im MfAA zahlreiche Anfragen und Begnadigungsgesuche für deutsche Kriegsgefangene in der UdSSR eingegangen seien. Gribanov habe ihm angesichts dieser Information vertraulich mitgeteilt, dass in der UdSSR ein Beschluss zur Begnadigung weiterer deutscher Kriegsgefangener vorbereitet werde. Appelt bittet darum, weitere Gnadengesuche vorläufig nicht an die DDR-Mission in Moskau weiterzuleiten. 101.  Schreiben von Außenminister Vyšinskij an den Vorsitzenden des Ministerrats Stalin. 17.03.1952 484 Vyšinskij berichtet von einem Telegramm der UNO-Kommission zur Prüfung der Voraussetzungen für die Durchführung gesamtdeutscher Wahlen an Čujkov, in dem die Kommission um die Aufnahme von Gesprächen mit den Behörden der DDR bitte. Čujkov und Semenov hätten vorgeschlagen, der Kommission dahingehend zu antworten, dass die Position der DDR zu dieser Frage bereits bekannt sei. Das MID sei jedoch der Ansicht, dass das Telegramm nicht beantwortet werden solle, da die UdSSR die Kommission nicht anerkenne. Auch die DDR-Regierung habe die Rechtsgrund­lage der Kommission bestritten und somit die Anfrage bereits beantwortet. 102. Unterredung zwischen dem Politischen Berater Semenov und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht. 17.03.1952 487 Semenov übergibt Vorschläge der SKK zur Arbeit mit Wissenschaftlern und Angehörigen der „technischen Intelligenz“. Ulbricht merkt dazu an, dass für Verhaftungen in Betrieben in Zukunft bessere Begründungen geliefert werden müssten und dass eine Erhöhung der Lebensmittelrationen wegen Fleischmangels abgelehnt worden sei. Semenov weist auf Berichte hin, nach denen die Bundesregierung die Teilnahme westdeutscher Besucher an der Internationalen Wirtschaftskonferenz in Moskau zu verhindern suche. Er übergibt Materialien der SKK zur Neugründung der Veteranenorganisation „Stahlhelm“, zur geplanten Übergabe von Archivbeständen an das MfS der DDR in Merseburg und zu der laut Semenov unzureichenden Thematisierung des Einsatzes „bakteriologischer“ Waffen durch die USA im Korea-Krieg in der DDR-Presse. Semenov rät zu einer Überprüfung der Waldheimer Prozessakten, um zu ermitteln, welche Verurteilten freigelassen werden könnten, und übermittelt Vorschläge der SKK zur Aufgabenverteilung der Staatssekretariate im Ministerium für Maschinenbau der DDR. Er informiert über eine Mitteilung Hamanns, Ollenhauer und Wehner hätten versucht, mit ihm Kontakt aufzunehmen. Ulbricht lehnt Verhandlungen der SPD mit den Blockparteien ab und äußert Anschuldigungen gegen Wehner. Er erklärt auf Semenovs Frage hin, dass die im sowjetischen Friedensvertragsentwurf enthaltenen militärischen Leitsätze aufgrund der langen Friedenskampa-

DokumentenverzeichnisCXCIII gne in der DDR von einem großen Teil der Bevölkerung abgelehnt würden. Ulbricht weist auf Mängel bei der Ausbildung der KVP hin und stellt Überlegungen zum Zeitpunkt der Aufstellung einer westdeutschen Armee sowie zu einer verdeckten Produktion der westdeutschen Rüstungsindustrie an. 103.  Unterredung zwischen dem stellvertretenden Leiter der GUSIMZ Kobulov und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht. 24.03.1952 499 Kobulov trägt Anliegen betr. die Arbeit der SAG in der DDR vor. Er bittet um eine vorrangige Belieferung der SAG Wismut mit Werkstoffen und Gerät, um die Übereignung des Bergbaureviers Kleinnaundorf und um Unterstützung bei der Anwerbung von Arbeitskräften. Er kündigt die Übergabe von geologischen Materialien, die nicht Uran betreffen, an und kritisiert die Arbeit der deutschen Bauverwaltung im Revier der SAG Wismut sowie das nun zur Unterschrift stehende Ergebnisprotokoll der gemischten Kommission zur Ausarbeitung von Vorschlägen zur praktischen Arbeit der SAG. Kobulov kündigt eine Senkung der Abgabepreise für Erzeugnisse der sowjetischen Betriebe an und teilt mit, dass Ulbrichts Bitte um technische Unterstützung beim Aufbau des Fernsehwesens entsprochen worden sei, woraufhin Ulbricht erklärt, dies sei nicht mehr notwendig. Kobulov kritisiert die hohe Fluktuation und mangelhafte Ausbildung deutscher Funktionäre in den SAG. Auf Kobulovs Bitte um die Überlassung von Konstrukteuren aus VEB erklärt Ulbricht, diese würden in der DDR dringend gebraucht. Kobulov bittet um die Lieferung von Elektromotoren, von Bauzeichnungen für Schwimmkräne sowie von Blei und Kupfer, woraufhin Ulbricht erklärt, letztere müssten aus der UdSSR geliefert werden. Ulbricht schlägt seinerseits vor, SAG, die Produkte erzeugten, deren Absatz nicht gesichert sei, Aufträge zur Produktion von Spezialtechnik für die Volkspolizei zu erteilen. Er fordert eine bessere Koordinierung der Produktion vor allem von Kraftfahrzeugen zwischen VEB und SAG und drängt darauf, dass auch die Werften der DDR mit aus der UdSSR eingeführtem Metall versorgt werden müssten. Kobulov erklärt hingegen die für Materialversorgung zuständigen Stellen der DDR für verantwortlich. 104. Schreiben der stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrats Molotov und Mikojan an den Vorsitzenden des Ministerrats Stalin. 31.03.1952 511 Molotov und Mikojan übermitteln Vorschläge zur Übergabe eines Teils der SAG-Betriebe an die DDR. Die Vorschläge enthalten zu den für die Übergabe vorgesehenen und den verbleibenden Betrieben jeweils Angaben über die Gesamtzahlen der Beschäftigten, das Warenproduktvolumen, den Ertragsplan für 1952, den Rentabilitätsgrad und den Gesamtwert. Übergeben werden sollen Betriebe vor allem der Kaliindustrie, der Baustoffbranche, der Oderschifffahrt und des Mittel- und Leichtmaschinenbaus. In sowjetischem Besitz sollen dagegen die meisten Stahlwerke und Betriebe der Elektroindustrie, des Schwermaschinenbaus und der Produktion von Verkehrs- und Transportmitteln verbleiben. Die DDR solle den Gesamtwert der übergebenen Betriebe innerhalb von drei Jahren in Vierteljahresraten teils durch Warenlieferungen, teils durch Zahlungen begleichen.

CXCIV Dokumentenverzeichnis 105.  Unterredung zwischen dem Politischen Berater Semenov und Außenminister Dertinger. 17.04.1952 514 Dertinger, der das Gespräch erbeten hat, berichtet über Behauptungen seines in den Westen geflüchteten Mitarbeiters Rummler und informiert über seinen Grotewohl unterbreiteten Vorschlag, Mitte September Wahlen in ganz Deutschland durchzuführen. Sodann entwickelt er gegenüber Semenov einen noch nicht mit der DDR-Regierung abgestimmten Vorschlag einer gemischten tschechoslowakisch-deutschen Kommission zur Regelung des Lebens im Grenzgebiet. 106. Aufzeichnung des ehemaligen Referenten im MfAA Rummler. 18.04. 1952 518 Rummler berichtet über die Vorgeschichte, Hintergründe und Deutungen der Stalin-Note und des folgenden Notenwechsels sowie ihrer deutschlandpolitischen Implika­tionen, die Rolle Dertingers dabei, interne Gespräche zwischen Puškin und Dertinger und Reaktionen Dertingers. Er beansprucht, über die Wahrnehmung Dertingers Auskunft geben zu können. 107. Schreiben des Leiters der Dritten Europäischen Abteilung Gribanov an Außenminister Vyšinskij. 18.04.1952 530 Gribanov berichtet über die Annahme von Anordnungen des Ministerrats der UdSSR vom 14.  April 1952 betr. die Einrichtung von 140 Kommandanturen der SKK und die Einführung von Grenzmaßnahmen sowie über den Entwurf einer Anordnung über Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeit der SKK, in der eine Aufstockung des Personals sowie die Einrichtung neuer Abteilungen für Staatsaufbau und für Landwirtschaft vorgesehen seien. Zur Begründung verweist Gribanov auf die geplante Auf­lösung der Länder und die in Moskau beschlossenen Maßnahmen zum Umbau der Landwirtschaft in der DDR. 108. Schreiben des Sekretärs des ZK der VKP (b) Ponomarenko und des Außenministers Vyšinskij an den stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrats Molotov. 22.04.1952 533 Ponomarenko und Vyšinskij übermitteln den Entwurf einer Anordnung über Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeit der SKK. Darin werden die Berufung zweier zusätzlicher Stellvertreter des Vorsitzenden der SKK und die Einrichtung neuer Abteilungen für Staatsaufbau und für Landwirtschaft sowie Personalentscheidungen vorgeschlagen. 109.  Schreiben von Außenminister Vyšinskij und Finanzminister Zverev an den Vorsitzenden des Ministerrats Stalin. 23.04.1952 536 Vyšinskij und Zverev berichten von der Sperrung von drei Konten der Deutschen Notenbank in US-amerikanischen Banken, über die, so werde behauptet, Geschäfte mit der VR China getätigt worden seien. Die Federal Reserve Bank der USA habe die Deutsche Notenbank aufgefordert, ihre seit Dezember 1950 getätigten Bankgeschäfte offenzulegen. Die Deutsche Notenbank habe gegen die Sperrung Einspruch eingelegt, und die DDR-Regierung habe Warenlieferungen in die USA vorläufig eingestellt. Der sowjetische Botschafter in den USA und die SKK schlügen, unterstützt vom MID und dem Finanzministerium der UdSSR, vor, im Namen der SKK Protest gegen die Kontensperrung einzulegen.

DokumentenverzeichnisCXCV Dies könne von Nutzen sein hinsichtlich US-amerikanischen Vermögens in der DDR. Ein Entwurf einer Anordnung des ZK der VKP (b) ist beigefügt. 110. Schreiben des stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht an den stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrats Malenkov. 24.04.1952 539 Ulbricht bittet im Namen des ZK der SED das ZK der VKP (b) um die Erlaubnis für die Entsendung von 200 Studenten aus der DDR zum Studium in die UdSSR. Beigefügt ist ein Vorschlag für die Verteilung der Studenten nach Fachbereichen. 111. Unterredung zwischen dem Politischen Berater Semenov und dem Minister für Staatssicherheit Zaisser. 29.05.1952 542 Zaisser berichtet über den Beschluss des Politbüros, für die Einführung eines besonderen Regimes an der innerdeutschen Grenze eine Regierungskommission unter Zaissers Vorsitz zu bilden. Auf einen von der SKK übergebenen Entwurf einer Regierungsverordnung über die Einführung des Grenzregimes eingehend schlägt Zaisser zwei Änderungen vor: Mit der Einführung einer Sperrzone solle das MfS, dem die Grenzpolizei unterstellt worden sei, beauftragt und für Arbeitspendler in diese Sperrzone sollten Passagierscheine eingeführt werden. Zaisser unterbreitet außerdem eine Reihe weiterer praktischer Vorschläge zur Durchführung des neuen Grenzregimes. Abschließend äußert er Vorschläge zur Behebung des Personalmangels bei der Grenzpolizei sowie zum Status der Grenzpolizei innerhalb des MfS und bittet um eine Entscheidung in der Frage der territorialen Stationierung ihres deutschen Stabes. Semenov, der diese Fragen vorläufig nicht beantwortet, übergibt Zaisser Instruktionen zur Sicherstellung der Errichtung des Grenzregimes und zur Aussiedlung verdächtiger Personen aus dem Grenzstreifen. 112. Unterredung zwischen dem Politischen Berater Semenov und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht. 10.06.1952 548 Ulbricht stellt im Vorfeld der II. Parteikonferenz der SED Überlegungen zur politischen Lage in Deutschland und zur Vorbereitung seiner Rede auf der Konferenz an. Er wolle in seiner Rede zustimmend auf den sowjetischen Friedensvertragsentwurf eingehen. Außerdem werde er die Verantwortung der Arbeiterklasse für den Aufbau der DDR deutlich machen und die Bildung „nationaler Streitkräfte“ in der DDR ansprechen. Die Beurteilung eines Militärbündnisses der Westalliierten mit der Bundesrepublik falle ihm schwer, es solle jedoch unter der westdeutschen Bevölkerung eine Kampagne gegen die USA geführt werden. Ulbrichts Frage nach einer sowjetischen Reaktion auf den „Generalvertrag“ wird von Semenov nicht beantwortet. Für den zweiten Teil seiner Rede zur Lage in der DDR kündigt Ulbricht eine Erklärung zum Aufbau des Sozialismus an und nennt Gründe dafür. Er befürchtet die Flucht eines Teils der technischen Intelligenz in den Westen und befürwortet aus diesem Grund die geplante Grenzschließung einschließlich einer Bewachung der Sektorengrenzen Berlins. In der Landwirtschaft sei eine Kategorisierung der Landbevölkerung anhand ihres Landbesitzes erforderlich.

CXCVI Dokumentenverzeichnis 113.  Bericht des Gesandten der Bundesrepublik Deutschland in Norwegen von Broich-Oppert an das Auswärtige Amt. 18.06.1952 556 Von Broich-Oppert übermittelt unter Bezug auf eine als Runderlass an die Auslandsvertretungen gegangene Aufzeichnung Rummlers zu DDR-Außenminister Dertinger Informationen zu möglichen Fluchtabsichten Dertingers. Der Leiter des UFJ habe ihm von einem Gespräch mit Dertingers Ehefrau berichtet, in dem Möglichkeiten eines Übertritts in den Westen erörtert, jedoch für unrealistisch befunden worden seien. 114. Entwurf für die Arbeitsordnung des Politischen Beraters der SKK. 20.06.1952 557 Der Entwurf definiert in neun Punkten die Aufgaben und Funktionen des Politischen Beraters. Dazu gehören die Beratungsfunktion des Vorsitzenden der SKK in innen- und außenpolitischen Fragen, die Ausarbeitung deutschlandpolitischer Maßnahmen der UdSSR, die Umsetzung deutschlandpolitischer Direktiven des ZK der VKP (b), die Beziehungen zur SED-Führung sowie zur KPD einschließlich der Berichterstattung darüber, eine Beteiligung an der „Kontrolle“ der Blockparteien, die Ausarbeitung von Vorschlägen und Maßnahmen hinsichtlich der Deutschlandpolitik der Westmächte und der Bundesregierung sowie der Beziehungen zu den westlichen Besatzungstruppen, Informationen über die politische und wirtschaftliche Lage in beiden Teilen Deutschlands und die Aufsicht über die politische Einstellung des Mitarbeiterstabs. 115.  Unterredung zwischen dem Vorsitzenden der SKK Čujkov, dem stellvertretenden Vorsitzenden der SKK Semičastnov, dem Politischen Berater Semenov, Ministerpräsident Grotewohl und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht. 20.06.1952 559 Čujkov informiert über Entscheidungen betr. die zu bildenden Streitkräfte der DDR. Mitglieder „bürgerlicher“ Parteien sollten nicht in ihre zentralen Einheiten aufgenommen werden. Die Kaderrekrutierung für das MfS erfolge sehr langsam. Čujkov berichtet von Kritik aus Moskau an der Durchführung der Grenzsicherung, insbesondere an der Arbeit der Regierungskommission unter der Leitung von Zaisser. Die Aussiedlung von Bewohnern des Grenzstreifens solle eingestellt werden. Auf Fragen der Landwirtschaft eingehend spricht sich Čujkov unter dem Widerspruch Ulbrichts gegen einige geplante Maßnahmen aus, so gegen die die Säuberung der BHG von „Kulaken“. Er regt die Ausarbeitung der Mustersatzung für Produktionsgenossenschaften des zweiten und dritten Typs an. Čujkov spricht finanzpolitische Fragen an, und Grotewohl berichtet von interner Kritik am Finanzministerium. Ulbricht unterrichtet über Fehlstellen im Plan für 1953. Grotewohl beklagt Verzögerungen bei Materiallieferungen aus der UdSSR. 116.  Schreiben des Bundestagsabgeordneten Gerstenmaier an Bundeskanzler Adenauer. 23.06.1952 569 Gerstenmaier erläutert seine eigenen Äußerungen auf einer Pressekonferenz der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Er habe Verhandlungen mit der DDR-Regierung für den Fall befürwortet, dass sie eine tatsächliche Chance auf eine Wiedervereinigung böten. Während die SPD sich dagegen verwahrt habe, sei er bereits

DokumentenverzeichnisCXCVII früher dafür eingetreten, und auch der Bundeskanzler habe dies erwogen. Im Hinblick auf Missverständnisse in der Berichterstattung über diese Pressekonferenz erklärt Gerstenmaier, er habe nie gesagt, Adenauer sei für Verhandlungen eingetreten, und er erwarte auch selbst derzeit keine Verhandlungslösung. 117. Aufzeichnung des Leiters der Dritten Europäischen Abteilung Gribanov. 23.07.1952 571 Gribanov spricht von einem Netz von Organisationen, die im Auftrag britischer und amerikanischer Spionagedienste gegen die DDR tätig seien. Er zählt acht von West-Berlin aus agierende antikommunistische Gruppen auf und charakterisiert diese, da­runter die VPO, den UFJ, die KgU, das „Informationsbüro West“, das Ostbüro der SPD sowie kleinere Gruppen und schließlich die Exilvereinigungen in den Westen geflüchteter LDP- und CDU-Mitglieder. Sodann zählt Gribanov die von der SED getroffenen Maßnahmen zur Bekämpfung dieser Zentren auf, darunter die „Stärkung der Straforgane der DDR“, die Eingliederung der Grenzpolizei in das MfS, die Beschlüsse der DDR-Regierung vom Mai 1952 zur Grenz­sicherung, verschiedene Maßnahmen zur Kontrolle der Außenund Sektorengrenzen Berlins, die Unterbrechung von Telefonverbindungen und der Aufbau der KVP. 118. Unterredung zwischen dem Politischen Berater Semenov und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht. 26.07.1952 579 Ulbricht und Semenov tauschen ihre Überlegungen zu den im zweiten Halbjahr 1952 anstehenden Aufgaben für das ZK der SED aus. Ulbricht fragt, ob die SKK Anmerkungen zum Programmentwurf der KPD habe, der möglichst schnell veröffentlicht werden solle. Ulbricht spricht die Lage in Berlin an, wo die Währungsdifferenz und Lebensmittelaufkäufe durch West-Berliner in Ost-Berlin zu Schwierigkeiten geführt hätten. Er schlägt Restriktionen bei Kauf und Verkauf im Einzelhandel sowie Passagierscheine für West-Berliner vor und erklärt sich mit von Semenov vorgebrachten Gegenargumenten nicht einverstanden. Ulbricht schlägt ferner die Einführung einer Bewachung der Sektorengrenze vor, da vor allem aus West-Berlin Spione eingeschleust würden und umgekehrt auf diesem Weg technische Spezialisten die DDR verließen. Zweifel Semenovs an der Durchführbarkeit weist Ulbricht zurück. Die Einführung von Passagierscheinen für West-Berliner würde viele der oben benannten Probleme lösen. Die Verkehrsnetze seien auf einen alleinigen Betrieb in Ost-Berlin bereits vorbereitet. 119.  Schreiben des stellvertretenden Vorsitzenden der SKK Maširin an den Vorsitzenden der SKK Čujkov. 26.07.1952 584 Maširin gibt einen Überblick über die verschiedenen Aufgabenfelder der Abteilung für Wirtschaftsfragen der SKK, die acht Büros umfasse, und schlägt deren Aufteilung vor. Aufgrund ihrer vielfältigen Aufgaben und des großen Arbeitsumfangs, der infolge der Verwaltungsreform in der DDR noch wachse, und da in Zukunft vermehrt die Koordination verschiedener Abteilungen erforderlich sei, solle sie in zwei Abteilungen aufgegliedert werden. Eine solle für die Aufsicht über die Planung der Volkswirtschaft, die Materialversorgung, Arbeit und Löhne, die Planerfüllung, das Statistikwesen und die Planung der Forschungs­ tätigkeit zuständig sein, die andere für Fragen des Handels und des Warenver-

CXCVIII Dokumentenverzeichnis kehrs sowie der Nahrungsmittel- und Leichtindustrie. Da für die Entwicklung der Industrie ein Anstieg des Warenverkehrs notwendig sei, sollten alle damit verbundenen Fragen in einer Hand konzentriert sein. 120. Telegramm des stellvertretenden Außenministers Gromyko an den Vorsitzenden der SKK Čujkov und den Politischen Berater Semenov. 30.07.1952 587 Gromyko informiert über die Annahme eines Vorschlags der SKK zur Aufhebung rechtlicher Beschränkungen für ehemalige Offiziere der Wehrmacht und Mitglieder der NSDAP mit Ausnahme derer, die aufgrund eines Gerichtsurteils inhaftiert sind. Die DDR-Regierung sei darüber zu unterrichten. 121.  Aufzeichnung des Leiters der Gruppe West-Ost und Interzonenhandel im Bundesministerium für Wirtschaft Kroll. 31.07.1952 588 Kroll berichtet über die Initiative eines ungenannten Vertreters des sowjetischen Außenhandelsministeriums gegenüber dem Direktor der Gruppe Walzstahl ­ Bruns. Bruns sei daran interessiert, unverbindliche Gespräche zu führen, falls das Bundeswirtschaftsministerium sein Einverständnis gäbe. Nachdem dies geschehen sei, habe Bruns private Gespräche in Kopenhagen angekündigt. 122.  Aufzeichnung des Legationsrats I. Klasse Kossmann. 15.08.1952 590 Kossmann gibt Empfehlungen zum Verhältnis zu osteuropäischen Exilgruppen. Die Politik gegenüber Exilgruppen solle durch das Auswärtige Amt koordiniert werden, die praktische Tätigkeit jedoch durch private Organisationen erfolgen, auf die die Politik Einfluss nehmen müsse. Ziel einer solchen Politik solle die Verbesserung der Beziehungen zu den osteuropäischen Völkern im Rahmen der europäischen Idee und unter Verfechtung des Selbstbestimmungsrechts sein, dabei sollten deutschfreundliche Gruppen gefördert und der Einfluss tschechischer und polnischer Gruppen zurückgedrängt werden. In Bezug auf die Einrichtung von Exilvertretungen empfiehlt Kossmann Zurückhaltung und rät zu informellen Treffen mit Vertretern von Exilgruppen. 123.  Unterredung zwischen dem Politischen Berater Semenov und Außen595 minister Dertinger. 20.08.1952 Dertinger berichtet anhand einer Mitteilung des Journalisten Gerst über Bestrebungen einer Gruppe westdeutscher Landespolitiker um den Minister in Nordrhein-Westfalen Spiecker, der sich laut dieser Information gegen den „Deutschlandvertrag“ und gegen die Einbeziehung der Bundesrepublik in die EVG wende, der UdSSR eine diplomatische Initiative in Richtung einer europäischen Föderation vorschlagen wolle und dafür um ein Treffen mit sowjetischen Diplomaten nachsuche. Dertinger selbst schlägt in Ergänzung des sowjetischen Vorschlags für die Grundlagen eines Friedensvertrages mit Deutschland vor, die vier Mächte sowie die Nachbarstaaten eines zukünftigen neutralen Deutschlands sollten dessen Sicherheit garantieren. Dertinger berichtet auch von einem Gespräch mit dem Mitglied der „Darmstädter Aktionsgruppe“ Krämer, der die Opposition im Bundestag gegen die Ratifizierung des „Deutschlandvertrages“ als schwach einschätze.

DokumentenverzeichnisCXCIX 124. Unterredung zwischen dem Politischen Berater Semenov und Präsident ­Pieck. 26.08.1952 601 ­Pieck fragt nach dem Einverständnis der SKK mit einer Erhöhung der Löhne für Beschäftigte privater Betriebe und kündigt eine Kampagne zur Propagierung der sowjetischen Note an die drei Westmächte vom 23.  August in Westdeutschland an. Er teilt die Ablösung von Handke als Minister für Außenhandel und Innerdeutschen Handel mit, spricht den Besuch einer ungarischen Regierungsdelegation in die DDR und die Reise einer SED-Delegation zum XIX. Parteitag der VKP (b) an und äußert sich begeistert über die neue Satzung der VKP (b). Die Evangelische Kirche wende sich gegen die Schließung theologischer Fakultäten an den Universitäten zugunsten einer theologischen Akademie. Semenov berichtet über den Aufbau der KVP und empfiehlt P ­ ieck eine aktive Gegenpropaganda gegen westliche Darstellungen des „Aufbaus des Sozialismus“ in der DDR. 125.  Schreiben von Außenminister Vyšinskij an den stellvertretenden Vor609 sitzenden des Ministerrats Mikojan. 27.08.1952 Vyšinskij empfiehlt angesichts von Berichten über die Nichterfüllung der Exportverpflichtungen der DDR, die diplomatische Mission der UdSSR solle beim geschäftsführenden Ministerpräsidenten der DDR Rau vorstellig werden. 610 126.  Sprachregelung aus dem Bundeskanzleramt. 29.08.1952 In seiner Analyse der sowjetischen Note vom 23.  Mai 1952 hebt der unbekannte Autor eingangs hervor, dass die Bundesregierung, obwohl nicht Adressat der Note, von den Westmächten zur Beratung konsultiert worden sei. Der erste Teil der Note beinhalte eine Polemik gegen den „Deutschlandvertrag“ und den EVG-Vertrag, denen ein aggressiver Charakter unterstellt werde. Der Kern der Note sei die Aufforderung an die Westmächte zur Abhaltung einer Viermächtekonferenz über die deutsche Frage und der Vorschlag zu einer Tagesordnung, nach der in exakt umgekehrter Reihenfolge zu dem von den Westmächten vorgeschlagenen Verfahrensweg Schritte zu einem Friedensvertrag und der Bildung einer gesamtdeutschen Regierung verhandelt werden sollten. Sie sehe zuerst Verhandlungen über einen Friedensvertrag vor, der den Status Gesamtdeutschlands noch vor einer Regierungsbildung festlegen solle. Daraufhin solle die Bildung einer gesamtdeutschen Regierung verhandelt werden und erst danach die Abhaltung von Wahlen. Dieser Vorschlag ziele entweder auf eine Verzögerung der Verhandlungen über einen Friedensvertrag (und damit der Ratifizierung des „Deutschlandvertrages“ und des EVG-Vertrages) oder auf die Schaffung vollendeter Tatsachen vor der Bildung einer gesamtdeutschen Regierung. 127.  Schreiben von Außenminister Vyšinskij an den Vorsitzenden des Mi615 nisterrats Stalin. 07.09.1952 Vyšinskij berichtet über den Abschluss der Londoner Konferenz zur Regelung der Auslandsschulden Deutschlands, auf der die Gesamthöhe der Vor- und Nachkriegsschulden Deutschlands beziffert und ein Modus der Schuldentilgung in Raten festgelegt worden sei. Vyšinskij kritisiert das separate Vorgehen der Westmächte als einen Verstoß gegen die Potsdamer Beschlüsse und erwähnt Vorkriegsschulden Deutschlands auch gegenüber der UdSSR. Er führt die „äußeren Besatzungskosten“ für den Unterhalt der sowjetischen Besatzungstruppen

CC Dokumentenverzeichnis in Höhe von knapp 25 Milliarden Rubel auf. Diese Frage sei im Kontrollrat nicht geregelt worden, eine mögliche Begleichung dieser Kosten sei im Falle eines Friedensvertrages jedoch zu prüfen. Da die Frage der Auslandsschulden Deutschlands die Interessen ganz Deutschlands berühre, halte das MID es für angebracht, der Regierung der DDR zu empfehlen, die von der Bundesregierung auf sich genommenen Verpflichtungen im Sinne der internationalen Abkommen für unrechtmäßig zu erklären. 128. Schreiben von Bundeskanzler Adenauer an Bundestagspräsident ­Ehlers. 15.09.1952 619 Adenauer fordert Ehlers dazu auf, aus parteipolitischen wie auch aus außenpolitischen Gründen den geplanten Empfang von Nuschke und vier Abgeordneten der Volkskammer durch das Präsidium des Bundestages abzusagen. 129. Schreiben von Botschafter Appelt an Außenminister Dertinger. 24.09.1952 621 Appelt berichtet über Reaktionen von Gribanov und Puškin auf den Besuch der Volkskammerdelegation in Bonn. Gribanov habe diesem Besuch höchste Bedeutung zugesprochen, Puškin habe das zurückhaltende Auftreten der Delegation gelobt. 130. Unterredung zwischen dem Politischen Berater Semenov und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht. 29.10.1952 623 Anlage Nr. 1 der hier nicht abgedruckten Gesprächsaufzeichnung berichtet von Auseinandersetzungen zwischen Gegnern der Kollektivierung der Landwirtschaft und Vertretern der SED anlässlich der Gründung von landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften in mehreren Orten. Ein Beschlussentwurf zu einem solchen Vorfall in Friedrichsaue und zum Umgang mit vergleichbaren Fällen ist beigefügt. 131.  Vermerk des Referenten im Auswärtigen Amt von Klewitz. 14.11.1952 626 Von Klewitz stellt Überlegungen zur Frage eines Neutralitätsabkommens mit der UdSSR als „Preis“ für eine Wiedervereinigung an. Eine Sicherheitsgarantie für die UdSSR bedeute in diesem Zusammenhang, dass sich für den Fall eines Angriffs eines dritten Staates auf die UdSSR die Bundesrepublik oder die EVG als Ganze zur Neutralität verpflichten müssten. Wenn Einvernehmen bestehe, dass die UdSSR die Angegriffene sei, ergäben sich keine Kollisionen mit EVG und NATO aufgrund ihres Charakters als Defensivabkommen. Bestehe darüber kein Einvernehmen, die Bundesrepublik sehe die UdSSR jedoch als Angegriffene, könne sie dennoch Neutralität wahren, da ein Beschluss über den Notstand laut EVG-Vertrag einstimmig erfolgen müsse. Für die NATO gelte das Gleiche. Da die Defensivabkommen über die die EVG und die NATO eine deutsche Neutralität im Falle eines Angriffs eines dritten Staates auf die UdSSR also ohnehin vorsähen, könne die UdSSR in einem Neutralitätsabkommen mit Deutschland keinen „Preis“ sehen, für den sie zur Aufgabe der DDR bereit wäre.

DokumentenverzeichnisCCI 132. Unterredung zwischen dem stellvertretenden Außenminister Puškin und Botschafter Appelt. 27.11.1952 629 Appelt bittet auf Anweisung Grotewohls um eine Beschleunigung der Lieferung von Butter in die DDR. Die DDR habe im Jahr 1952 nur einen geringen Teil der geplanten Buttermenge aus „kapitalistischen Ländern“ kaufen können. Auch die UdSSR habe nicht die vollständige vereinbarte Menge an Butter geliefert. Wegen Lebensmittelmangels in der DDR bitte Appelt nun um eine zügige Lieferung der fehlenden ca. 8000 Tonnen Butter. 133.  Entwurf des Politischen Beraters Semenov. 15.12.1952 631 Semenov bezieht sich in diesem Entwurf eines Schreibens an Stalin auf einen von der SKK unterstützten Vorschlag der SED-Führung an das ZK der KPdSU zur Einrichtung einer Grenzsicherung und zur Einführung von Passagierscheinen an der Sektorengrenze zwischen Ost- und West-Berlin. Begründet sei eine solche Maßnahme dadurch, dass West-Berlin ein Stützpunkt für gegen die DDR gerichtete Aktivitäten sei, und durch wirtschaftliche Erwägungen. Angesichts der Pariser Verträge könnten diese Vorkehrungen als Verteidigungsmaßnahmen dargestellt werden. Semenov erklärt eine solche Trennung für technisch durchführbar. Im Innenstadtbereich sei eine spätere Umsiedlung der Anwohner geplant. An der Bewachung sollten die Grenzpolizei, die Berliner Stadtpolizei und die sowjetischen Streitkräfte beteiligt sein. Die Trennung der Verkehrs- und Versorgungssysteme sei vorbereitet oder bereits vollzogen. Semenov spricht auch mögliche negative Folgen dieser Maßnahme, die von einer Pressekam­ pagne begleitet werden solle, an. Das MID sei mit dem Vorschlag einverstanden. 134.  Schreiben von Außenminister Vyšinskij an den stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrats Malenkov. 30.12.1952 638 Vyšinskij informiert über die Bitte Ulbrichts an die SKK, den Haushalt für OstBerlin für das Jahr 1953 in den Haushalt für die DDR aufzunehmen und OstBerlin damit als Bezirk der DDR zu behandeln. West-Berlin sei bereits finanziell den Bundesländern gleichgestellt. Das MID überlasse die Entscheidung der Regierung der DDR. Seitens der SKK bestünden gegen den finanziellen Einschluss Ost-Berlins in die DDR keine Einwände. Ein Entwurf zu einer Anordnung an die SKK ist beigefügt. 135.  Schreiben von Außenminister Vyšinskij an den stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrats Malenkov. 05.01.1953 639 Vyšinskij informiert über den Beschluss des ZK der KPdSU in Abstimmung mit dem Ministerium für Staatssicherheit der UdSSR auf Vorschlag von Vyšinskij, Grigor’jan und Puškin zur Verhaftung von Außenminister Dertinger. 136. Schreiben des Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz John an das Auswärtige Amt. 17.01.1953 641 John informiert über die Verhaftung von DDR-Außenminister Dertinger und benennt mögliche Gründe der Verhaftung.

CCII Dokumentenverzeichnis 137. Schreiben des Ministerpräsidenten Grotewohl an den Vorsitzenden der SKK Čujkov. 02.02.1953 646 Grotewohl erklärt, dass trotz insgesamt erfüllter Reparationsverpflichtungen der DDR für das Jahr 1952 einige Programmpunkte des Reparations-Lieferplans nicht vollständig erfüllt seien. Dies betreffe vor allem Betriebe des Schwermaschinenbaus. Grotewohl führt Plangruppen und einzelne Betriebe auf, die ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen seien, und erklärt dies damit, dass die Fähigkeiten zur Erzeugung bestimmter Produkte erst gelernt werden mussten oder es sich sogar um Neukonstruktionen gehandelt habe, zugleich aber auch die Versorgung dieser Betriebe mit Walzgut, Gussstahl und Schmiedestücken nicht habe gewährleistet werden können. Grotewohl habe sich angesichts der Rückstände persönlich für die Erfüllung des Plans eingesetzt und Kritik an den Vertretern der Betriebe geübt. Aufgrund der Schwierigkeiten sei eine rechtzeitige Lieferung in den meisten Fällen jedoch nicht möglich gewesen. Grotewohl schlägt vor, die fehlenden Posten, die zu Beginn des Jahres 1953 nachgeliefert würden, dennoch in den Reparations-Lieferplan für 1952 einzugruppieren. 138.  Schreiben des Ministerpräsidenten Grotewohl und des stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht an das ZK der KPdSU. 27.02.1953 650 Grotewohl und Ulbricht teilen mit, dass sie Gregor trotz Verzögerungen bei den Verhandlungen mit der Unterschrift unter das Handelsabkommen zwischen der UdSSR und der DDR beauftragt haben. Aus Sicht der DDR müsse jedoch noch nachverhandelt werden. In einer Anlage führen Grotewohl und Ulbricht Planvorgaben für den Außenhandel mit der UdSSR für das Jahr 1953 auf. Aufgrund von Sonderverpflichtungen der DDR und Exportrückständen aus dem Jahr 1952 seien die Export­verpflichtungen der DDR für 1953 wesentlich höher als die tatsächlichen Ausfuhren des Jahres 1952. Eine solche Steigerung der Exporte könne die DDR nicht leisten, zumal es im Wesentlichen um Erzeugnisse der Schwerindustrie gehe. Grotewohl und U ­ lbricht schlagen vor, zum Ausgleich der Bilanz vermehrt Güter von „sekundärer volkswirtschaftlicher Bedeutung“ zu liefern. Außerdem bitten sie, dringend benötigte Importgüter in das Handels­ abkommen aufzunehmen, über die bislang keine Einigung erzielt worden sei. Zwei Listen darüber sind beigefügt.

Dokumente



Dokument 1: 9. November 19493

1. Schreiben des Leiters der Diplomatischen Mission der DDR in Moskau Appelt an den Leiter der Hauptabteilung für Politische Angelegenheiten im MfAA Kegel Telegramm

Moskau, 9. November 19491

Teilnahme unserer Mission2 an den Feierlichkeiten zum Jahrestag der Oktoberrevolution fand in Moskau allgemeines Interesse und wurde zum denkbar günstigsten Beginn für bevorstehende Arbeit. Bei Festsitzung [am] sechsten November im grossen Theater fand ich Gelegenheit, mit diplomatischen Vertretern der Volksdemokratien, auch China, Korea und Mongolei, bekannt zu werden. Begrüssung durch stellvertretenden Aussenminister Gromyko sowie einer Reihe leitender Mitarbeiter des Aussenministeriums. Ausführungen Malenkows über Deutschland3 fanden starken Beifall. Bemerkenswert war Erwähnung der Deutschen Republik in Begrüssungsschreiben der Festsitzung an Generalissimus Stalin.4 Bei Parade am siebenten November waren

1  Durchdruck. Datum der Aufgabe des Telegramms in Moskau. Es war adressiert an den damaligen Dienstsitz des MfAA in Ost-Berlin, Luisenstraße 56, und ging dort am 10. November 1949 ein. 2  Appelt, dessen Ernennung zum Außerordentlichen und Bevollmächtigten Botschafter das Neue Deutschland am 18. Oktober auf S. 1 bekanntgegeben hatte, war am Abend des 4. November auf dem Luftweg in Moskau eingetroffen und dort vom stellvertretenden Außenminister der UdSSR A.I. Lavrent’ev begrüßt worden (vgl. Neues Deutschland, 6.  November 1949, S. 1). Bereits am folgenden Tag wurde er gemeinsam mit seinem Missionsrat, Markus Wolf, durch Gromyko empfangen, dem er eine Kopie seines durch Pieck unterzeichneten Beglaubigungsschreibens überreichte. Appelt erkundigte sich nach dem Termin seines Empfangs durch das Staatsoberhaupt der UdSSR, den Vorsitzenden des Obersten Sowjets Švernik und bekannte sich zu seiner völligen diplomatischen Unerfahrenheit (Aufzeichnung Gromykos, 5. November 1949, AVP RF, f. 82, op. 36, p. 182, d. 5, Bl. 27). Appelt überreichte sein vom 4. November datiertes Beglaubigungsschreiben formell am 11. November an Švernik (vgl. Neues Deutschland, 13. November 1949, S. 1). Zur Anbahnung der diplomatischen Beziehungen vgl. UdF 4, Dok. 175 und Anm. 398–400. 3  Die Lösung der „deutschen Frage“ sei, so Malenkov, Bedingung für die Friedenssicherung in der Welt und könne nur erfolgreich gelingen, wenn sich die „Demokraten“ durchsetzen würden. Die Gründung der DDR stelle demnach das Fundament für eine friedliche Entwicklung Deutschlands dar, vgl. den Wortlaut der Rede Malenkovs unter dem Titel „Der Siegeszug der Kräfte der Demokratie und des Sozialismus“ in: Neues Deutschland, 8. November 1949, S. 3–4, hier S. 4. 4  Am 6.  November 1949 wurde auf der Festsitzung zum 32. Jahrestag der Oktoberrevolution im Bolschoi-Theater in Moskau ein Begrüßungsschreiben an Stalin verabschiedet, das auf eine positive Aufnahme der Botschaft Stalins an die Deutschen durch die Bevölkerung der UdSSR verweist; vgl. „Vormarsch auf dem Wege zum Kommunismus“, Neues Deutschland, 8. November 1949, S. 1.

4 Dokumente

beide deutsche Delegationen5 vollzählig und Mission durch mich und Wolf vertreten. Herzliche Begrüssung durch Gromyko, Lawrentjew, Semjonow und Diplomaten der Volksdemokratien. Allgemeines Aufsehen erregte, wie Bildung der Deutschen Demokratischen Republik durch Ansprache Marschall Wassilewski,6 durch Bilder von Präsident Pieck, Ministerpräsident Grotewohl, zahlreichen Transparenten [sic] und Ausrufen von Losungen vom Lenin-Mausoleum bei Demonstration gewürdigt wurde. Mehrfach sind in ­ Strassen Bilder von Pieck und Grotewohl zu sehen. Ehrenvoller Höhepunkt wurde für deutsche Mission Empfang des diplomatischen Korps durch Gromyko. Deutschland vertreten durch Dieckmann, Sindermann, Appelt, Wolf. Erscheinen des Missionschefs von Vertretern Westmächte stark beachtet. Hatte längere Gespräche mit Marschallen Budjonnyj und Sokolowskij, Ministern Swerjew und Gromyko und anderen in auffallend herzlichem Tone. Anschliessend Vorstellung von Dieckmann und Unterredung mit Marschall Sokolowskij, Ministern Swerjew, Gromyko und anderen. Inhalt aller Gespräche war deutsch-sowjetische Freundschaft und Zusammenarbeit. Über ausführlichen Inhalt folgt schriftlich Bericht.7 Vertreter Deutschlands konnten beim Empfang feststellen, dass Worte Generalissimus Stalins in historischen Begrüssungstelegramm sowie Worte Malenkows8 tief in Bewusstsein des Sowjetvolkes eingedrungen und es nun darauf ankommt, dies in Deutschland zu begreifen. Mission weilte während der Feiertage unter deutschen Delegationen, die tief beeindruckt von Erlebtem. Appelt PA AA, MfAA A CL, Bd. 7850, Bl. 7. 5  Eine 20-köpfige Delegation der FDJ verließ Berlin bereits am 1. November 1949 (vgl. Neues Deutschland, 1. November 1949, S. 2), eine ebenfalls 20 Personen umfassende Delegation von Vertretern der Regierung der DDR „und ihrer Volksvertretungen sowie eine Reihe von Arbeitsaktivisten“ reiste einen Tag später ab. Letzterer gehörten u. a. Horst Sindermann als Leiter der Delegation, der Präsident der Volkskammer, Johannes Dieckmann, der Minister für Post und Fernmeldewesen, Fritz Burmeister, und der Ministerpräsident des Landes Thüringen, Werner Eggerath an. Auch das Elektromotorenwerk Wernigerode entsandte eine Abordnung (vgl. ebenda, 3. November 1949, S. 1). Die Regierungsdelegation kehrte am 30. November zurück (vgl. ebenda, 30. November 1949, S. 1). 6  Der Minister für die bewaffneten Streitkräfte, Marschall Vasilevskij, trug vor der Militärparade am Roten Platz zum 32. Jahrestag der Oktoberrevolution einen Tagesbefehl vor, in dem er die Gründung der DDR „als einen Wendepunkt in der Geschichte Europas und als ein historisches Ereignis von außerordentlicher Bedeutung für die Sicherung eines dauerhaften Friedens in Europa“ bezeichnete, vgl. Berliner Zeitung, 8. November 1949, S. 1. 7  Ein solcher Bericht konnte im Bestand des MfAA im PA AA nicht ermittelt werden. 8  Zum Inhalt des „Begrüßungstelegramms“ Stalins zur Gründung der DDR an ­Pieck und Grotewohl vgl. UdF 4, S. 502–503. Zu den „Worten Malenkovs“ vgl. Fn. 3 zu diesem Dokument.



Dokument 2: 15. November 19495

2. Unterredung zwischen dem Leiter der Mission der UdSSR in der DDR Puškin und Außenminister Dertinger Geheim

Berlin-Ost, 15. November 19491

Aus dem Tagebuch2 von G.M. Puškin Habe Außenminister Dertinger aufgesucht.3 Zu Beginn des Gesprächs berichtete Dertinger über seine Eindrücke vom IV. Parteitag der CDU in Leipzig.4 Dertinger erklärte, er sei mit den Ergebnissen des Parteitags zufrieden. Der Parteitag habe die Politik des CDUVorstands gebilligt. Von den 270 Delegierten hätten sich bei der Abstimmung

1  Original an Vyšinskij. Kopien gingen an: Gromyko, Čujkov, Gribanov und in die Akten. Das Dokument mit der Ausgangsnummer 01 vom 22. November 1949 erhielt am 25. November 1949 im Sekretariat von Vyšinskij die Eingangsnummer 8892-v. 2  „Tagebuch“ ist ein aus der russischen Kanzleisprache übernommener Begriff des Auswärtigen Dienstes der UdSSR für Gesprächsaufzeichnungen. 3  Am 15. Oktober 1949 hatte die sowjetische Regierung den Beschluss gefasst, „diplomatische Missionen mit der provisorischen Regierung der DDR auszutauschen“, und G.M. Puškin zum „Chef der diplomatischen Mission“ ernannt. Noch am selben Tag dankte DDR-Präsident Pieck für diese Entscheidung (vgl. Neues Deutschland, 18. Oktober 1949). Puškin war am 2. November in Ost-Berlin eingetroffen und dort von Außenminister Dertinger begrüßt worden. Zwei Tage später übergab er sein am 31. Oktober ausgestelltes Beglaubigungsschreiben an Pieck, traf sich mit Dertinger und besuchte Mitglieder der provisorischen Regierung, aber auch Vertreter verbündeter Staaten. Am 24. November 1949 bestätigte der sowjetische Ministerrat die Ausstattung der Diplomatischen Mission der UdSSR bei der Provisorischen Regierung der DDR mit 45 Mitarbeitern, einem repräsentativen PKW ZIS-110 und einer abhörsicheren Telefonleitung, vgl. GA RF, f. R-5446, op. 106 sč, d. 430, Bl. 277–278. 4  Der IV. Parteitag der CDU fand am 12. November 1949 in Leipzig statt. Dertinger hatte dort ein „Bekenntnis zum Sozialismus“ und zur Oder-Neiße-Grenze abgelegt und „die Freundschaft zwischen Deutschland und Russland im Rahmen des großen, weltweiten demokratischen Friedenslagers“ als „Gewähr des Friedens und des Wohlstandes für jedermann in Deutschland und Europa“ bezeichnet (Neue Zeit, 13. November 1949). Im Manuskript dieser Rede hatte Dertinger noch von „Sozialismus aus christlicher Verantwortung“ gesprochen, vgl. Rede des DDR-Außenministers Dertinger, 12. November 1949, PA AA, MfAA A, Bd. 10099, Bl. 37–70, hier Bl. 46. Bereits vor dem Parteitag erhielt das Bundeskanzleramt eine anonyme Information zu Dertinger, über den es dort hieß: „Er hat sich aber auch in eine politische Konzeption hineingelebt, in der die Sowjetunion auf die Dauer gesehen das beherrschende Element in Europa darstellt …“ Das Ziel der sowjetischen Deutschlandpolitik sei in der Interpretation Dertingers: „ein geeintes Deutschland, das die sichere Gewähr bietet, sich niemals in eine antirussische Konstellation einzulassen …“ Zur deutschen Einheit vertrete er die Auffassung, „die Ostzone stelle ein deutsches Piemont dar. Westdeutschland sei durch äussere Gewalt und Verrat im Innern vom eigentlichen Kern abgesprengt und werde zurückgeholt werden …“ Vgl. PA AA, B 130, Bd. 222A.

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Dokumente

nur zwei der Stimme enthalten.5 Die Bemühungen der Anhänger der Politik Jakob Kaisers, Opposition gegen die Politik des CDU-Vorstands zu organisieren, seien gescheitert.6 Dertinger stellt einen Zusammenhang zwischen der

5  Es handelte sich um den sächsischen Finanzminister und Vorsitzenden der CDUVolkskammerfraktion Gerhard Rohner und den Vorsitzenden des CDU-Landesverbands und Vizepräsidenten der Provisorischen Volkskammer Hugo Hickmann. Auf dem IV. Parteitag in Leipzig hatte Rohner an die Minister der CDU in der Provisorischen Regierung gewandt erklärt: „Sie werden über aller gesunden Blockkameradschaft und der sich natürlich entwickelnden menschlichen Verbundenheit im Kabinett nie vergessen dürfen, dass die CDU unter gar keinen Umständen sich auf den Weg der Volksdemokratie und damit des Einparteiensystems drängen lassen kann, wie es den Endzielen der SED erklärtermaßen entspricht.“ Vgl. Mike Schmeitzner, Zwischen simulierter Demokratie und offener Diktatur. Die Rolle der sächsischen Parteien und Gewerkschaften 1945–1950, in: Hilger/Schmeitzner/Schmidt, Diktaturdurchsetzung, S. 139–154, hier S. 154. Auf einer Konferenz der CDU-Minister beim Zentralvorstand der CDU am 4. Oktober hatte Rohner zuvor gemeinsam mit Wilhelm Bachem „die sofortige Abhaltung von Wahlen“ und „das Ressort des Finanzministers für die CDU“ gefordert, vgl. AVP  RF, f. 0457а, op. 7, p. 35, d. 11, Bl. 117–119. Hickmann hatte am 10. Oktober im Sächsischen Landtag erklärt: „Das Ziel für die politische Konstruktion des Ostens ist eine demokratische Republik auf der Grundlage der durch den Volkskongreß bestätigen Verfassung, die der Volksrat geschaffen hat. Auch dieser Zonenstaat bedarf, wenn er endgültig hergestellt werden soll, der Grundlage demokratisch-parlamentarischer Wahlen. Der Weg zu dieser Wahl ist noch versperrt. Darum haben wir uns zunächst damit abzufinden, ein kurzfristiges Provisorium als Übergangslösung zur Errichtung dieses Staates zu schaffen … Vgl. Sächsischer Landtag, 1. Wahlperiode, 63. Sitzung, 10. Oktober 1949, S. 1460. Rohner und Hickmann traten am 30. Januar 1950 auf massiven Druck seitens der SED und der SKK von ihren Ämtern zurück, vgl. Dok. 19, Fn. 5. 6  Dem Parteitag vorausgegangen waren Auseinandersetzungen innnerhalb der CDU, über die Nuschke den Vertreter der SMAD, Oberstleutnant Nazarov, schon am 25. September 1949 unterrichtet hatte. Wegen der Unzufriedenheit vieler CDU-Funktionäre mit der Verlegung des Parteitags, so Nuschke, „waren wir genötigt, am 22. September eine Konferenz der Mitglieder des Zentralvorstands, der Vorsitzenden der Landesvorstände und der CDU-Minister einzuberufen. Auf dieser Konferenz wurde die Frage der Situation in der Zone und der Aufgaben der CDU im Zusammenhang mit der Bildung des westdeutschen Staates erörtert … Es wurde eine Entschließung verabschiedet, in welcher die Bildung des westdeutschen Staates und insbesondere des Ostministeriums unter Jakob Kaiser verurteilt wurde …“ Die „Professoren Hickmann und Fascher“ hätten dagegen vorgeschlagen, ein Glückwunschtelegramm an Adenauer zu schicken. Auf der Konferenz wurde der Beschluss gefasst, um die Ansetzung von Wahlen für den Februar 1950 zu bitten. Das Ziel sei, so Nuschke, „dass die Führung der CDU an der Lösung aller politischen Probleme der Zone gleichberechtigt mit den anderen Parteien beteiligt sein wird.“ Nuschke „betonte, er erlaube sich nicht den Gedanken, dass die SMA daran interessiert sei, sein Ansehen unter den CDU-Mitgliedern zu beeinträchtigen, besonders im Hinblick auf den Sieg der CDU/CSU im Westen und das Aufleben reaktionärer Stimmungen in den Reihen der CDU der Ostzone. In diesem Zusammenhang bat Nuschke … 1. drei bis fünf Personen aus der Haft freizulassen … 2. seine Bitte zu unterstützen, die Beschlagnah-



Dokument 2: 15. November 19497

erfolgreichen Abhaltung des Parteitags und den jüngsten Maßnahmen der Sowjetregierung7 in der Deutschlandfrage her. Dertinger erklärte, die Ergebnisse des Parteitags spiegelten die tatsächlichen Stimmungen der überwältigenden Mehrheit der CDU-Mitglieder wider. Die CDU, so Dertinger, bestehe zu 50–60 Prozent aus Arbeitern und Angestellten, zu 25 Prozent aus Bauern, und die Übrigen seien Unternehmer und Geschäftsleute. In den Kreis- und Ortsvorständen der CDU liege der prozentuale Anteil der Geschäftsleute und Unternehmer wesentlich höher als in der Partei. Wie Dertinger ausführte, sollen Anfang 1950 Neuwahlen der Kreis- und Ortsvorstände der CDU stattfinden. Er hoffe, dass sich dann Personen durchsetzen, die die Generallinie der zentralen Parteiführung unterstützen.8 Ich dankte Dertinger für diese Informationen. mung einiger Kleinunternehmen aufzuheben und diese den früheren Besitzern zurückzugeben …“ Vgl. AVP RF, f. 0457a, op. 7, p. 35, d. 11, Bl. 101–104. 7  Am Abend des 10.  Oktober 1949 hatte Čujkov in Berlin-Karlshorst Grotewohl, Dieckmann und die Mitglieder des Präsidiums der Provisorischen Volkskammer empfangen und sie dabei über den Beschluss der Regierung der UdSSR informiert, der Provisorischen Regierung der DDR die „Verwaltungsfunktionen zu übergeben, die bisher der Sowjetischen Militäradministration zustanden“ (vgl. DzD II, 2, S. 177–178, und UdF  4, S. 670, Anm. 369). Vier Tage später begrüßte Stalin die Gründung der DDR in einem Glückwunschtelegramm an Pieck und Grotewohl (vgl. UdF 4, S. 502– 503). Am 15.  Oktober 1949 suchte Čujkov Pieck auf und übergab den Beschluss seiner Regierung „über den Austausch diplomatischer Missionen“ (vgl. Neues Deutschland, 18. Oktober 1949, S. 1). Unmittelbar vor dem CDU-Parteitag hatte Čujkov in seiner neuen Funktion als Vorsitzender der SKK am 11.  November 1950 die Mitglieder der Provisorischen Regierung der DDR in Berlin-Karlshorst empfangen und ihnen die offizielle Erklärung über die Bildung der SKK übergeben, die den politischen Rahmen ihrer Tätigkeit bestimmte (vgl. UdF 4, S. 685–686, Anm. 410). 8  Čujkov und Semenov berichteten in einem streng geheimen Telegramm auf der Grundlage mündlicher Berichterstattung von Ulbricht über am 22. November 1949 im SED-Politbüro beschlossene, in den deutschen Unterlagen jedoch nicht überlieferte „Richtlinien über die weitere Durchführung der Blockpolitik“, die der SKK erst vier Tage später im vollen Wortlaut zugingen. Vorgesehen war die Ausschaltung aller Kräfte in den Blockparteien, die nicht bereit waren, sich der führenden Rolle der SED zu beugen: „1. In Sachsen und Brandenburg ist in aller Offenheit der Kampf gegen die rechten Elemente der CDU und LDP als Kampf gegen einzelne Personen zu beginnen, um deren Entfernung zu erreichen. Dabei ist Kurs auf die Entfaltung der demokratischen Kräfte in diesen Parteien zu nehmen. 2. Es ist anzustreben, dass Abgeordnete von CDU und LDP zur Nationaldemokratischen Partei und zur Demokratischen Bauernpartei übertreten. 3. Gleichzeitig ist ein breiter Massenkampf von unten auf der Grundlage der Direktiven des Blocks und des Manifests der Nationalen Front gegen die rechten Elemente zu entfalten. 4. In der ganzen Republik ist der Kampf dermaßen zu entfalten, dass die rechten Elemente bis zum Mai 1950 zerschlagen sind. 5. Den Genossen, die Spezialaufgaben in der Abteilung Massenagitation erfüllen, ist die Kontrolle der Verwirklichung dieser Direktive in den Ländern aufzuerlegen. 6. Das Sekretariat wird beauftragt, dem Politbüro einen Bericht über die Ausfüh-

8 Dokumente

Sodann teilte ich Dertinger die Absicht der Sowjetregierung mit, in der Deutschen Demokratischen Republik eine Handelsvertretung einzurichten,9 ich sagte ihm, dass nach unserer Meinung die Einrichtung der Handelsvertretung durch Briefaustausch erfolgen könne und übergab ihm den Entwurf zu einem vom Außenministerium der UdSSR vorgelegten Brief10. Dertinger sagte, er werde seine Regierung hiervon in Kenntnis setzen, und er sei überzeugt, dass er mir in den nächsten Tagen eine befriedigende Antwort auf diese Frage geben könne.11 Ich teilte Dertinger mit, dass der Handelsvertreter der Sowjetunion in Deutschland Genosse Martynov sein werde, des Weiteren sagte ich ihm, dass die Deutsche Demokratische Republik im Rahmen ihrer diplomatischen Verrung des Beschlusses vorzulegen.“ Vgl. AVP RF, f. 059, op. 22, p. 38, d. 239, Bl. 212–213, veröffentlicht in UdF 4, S. 676–677, Anm. 394. 9  Bereits am 5. November 1949 hatte der Ministerrat der UdSSR die Einrichtung einer Handelsvertretung in der DDR beschlossen, vgl. GA RF, f. R-5446, op. 106 sč, d. 429, Bl. 182–185. Auf dieser Grundlage erließ Čujkov dann am 21.  November 1949 den streng geheimen Befehl Nr. 002, der die Liquidierung der Verwaltung des Bevollmächtigten des sowjetischen Außenhandelsministeriums verfügte, vgl. AVP RF, f. 082, op. 37, p. 207, d. 44, Bl. 13. Die Errichtung einer solchen Vertretung hatte er schon am 14. September 1949 vorgeschlagen, vgl. UdF 4, Dok. 155, hier S. 441. Einen vorangegangenen Vorschlag hatte das sowjetische Außenhandelsministerium noch am 4. April 1949 abgelehnt, vgl. UdF 4, S. 290. 10  Der Entwurf hatte folgenden Wortlaut: „… Die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken wird gemäß den Wünschen der Provisorischen Regierung der Deutschen Demokratischen Republik ihre Handelsvertretung in der Deutschen Demokratischen Republik mit dem Sitz in Berlin haben. Der Handelsvertreter der UdSSR und seine Stellvertreter werden alle Vorrechte und Immunitäten genießen, die den Mitgliedern der diplomatischen Vertretung zuerkannt sind. Die von der Handelsvertretung und ihren Abteilungen besetzten Räume werden Exterritorialitat haben. Die Handelsvertretung und ihre Abteilungen werden alle Chiffre und den diplomatischen [Kurier-] Dienst benutzen.“ Vgl. BDU 1, S. 148. Dieser Entwurf findet sich auch in einer nicht unterzeichneten Aufzeichnung Dertingers vom 15. November 1949, vgl. PA AA, MfAA A, Bd. 15529, Bl. 1–2. Am 19. November tauschten Puškin und Dertinger Noten ensprechenden Inhalts aus, vgl. BDU 1, S. 149–150. 11  Dertinger hielt in seiner Aufzeichnung vom 15. November (vgl. Fn. 10) fest, dass er Pieck über diesen Vorgang informiert und vorgeschlagen habe, die „Verabredung“ dem Ministerrat zur Bestätigung vorzulegen (vgl. PA AA, MfAA A, Bd. 15529, Bl. 1–2). Dazu vermerkte Friedrich Geyer, der Leiter der DDR-„Regierungskanzlei“: „Der H.[err] M.f.A. A. soll eine genau entsprechende Bestätigung dem Botschafter [Puškin] übergeben und in diesem Dokument die von der Regierung am 17. November beschlossene Ernennung des Handelsattachés Sobottka mitteilen.“ (Vgl. PA AA, MfAA V SOW 105-151). Nachdem zwischen dem MfAA und dem Ministerium für Außenhandel und Innerdeutschen Handel Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Weisungsbefugnis des MfAA an diese Handelsvertretung aufgetreten waren (vgl. PA AA, MfAA A, Bd. 9565, Bl. 123–124), wandte sich Ackermann an Arkadʼev, um Einzelheiten der Arbeitsweise der Handelsvertretung zu klären (vgl. AVP RF, f. 07, op. 22, p. 34, d. 159, Bl. 49–50).



Dokument 2: 15. November 19499

tretung in Moskau einen Handelsattaché haben könne.12 Dertinger dankte für diese Mitteilung. Zum Abschluss der Unterredung äußerte Dertinger den Wunsch, dass der Außenminister der Sowjetunion, Genosse A.Ja. Vyšinskij, auf seinem Rückweg von New York nach Moskau für einen oder zwei Tage in Berlin Station machen und sich mit Vertretern deutscher Organe und der Öffentlichkeit treffen möge. Dabei merkte Dertinger an, dass Bevin nach der letzten Pariser Tagung des Rates der Außenminister13 die Vertreter westdeutscher Behörden in Frankfurt am Main über die Ergebnisse der Tagung informiert habe und dass jetzt Acheson den Westsektor von Berlin besucht habe.14 Dertinger sagte, er habe die Frage einer Einladung des Genossen A.Ja. Vyšinskij nach Berlin zwar noch nicht mit Grotewohl besprochen,15 zweifle aber nicht, dass die Regierung seinen Vorschlag einhellig unterstützen werde. Ich versprach, den Genossen A.Ja. Vyšinskij von dieser Bitte zu unterrichten.16

G. Puškin17

AVP RF, f. 07, op. 22, p. 34, d. 159, Bl. 47–48. 12  Am 19. November 1949 wurden zu dieser Frage Noten gewechselt. Die DDR bestimmte daraufhin ihren Handelsattaché, der im Rahmen ihrer Diplomatischen Mission tätig sein sollte (vgl. PA AA, MfAA V SOW 081-131). Erster DDR-Handelsvertreter in Moskau wurde anstelle des ursprünglich vorgesehenen Gustav Sobottka 1950 Georg Henke. 13  Auf der Konferenz vom 9. bis 11. November 1949 in Paris behandelten die Außenminister der drei Westmächte Fragen der gemeinsamen Deutschlandpolitik. Sie verabschiedeten eine Direktive an die AHK als Grundlage der Verhandlungen mit Bundeskanzler Adenauer, die am 22. November 1949 zum Abschluss des Petersberger Abkommens (vgl. Dok. 4, Fn. 11) führten. 14  Am 18. November 1949 bestätigte das Politbüro der VKP (b) auf Vorschlag des sowjetischen Außenministeriums den Beschluss, dass Vyšinskij auf dem Rückweg von der 4. Sitzung der UNO-Hauptversammlung in New York Ost-Berlin besuchen solle. In der an den sowjetischen Außenminister übermittelten telegrafischen Weisung hieß es: „Nach Meinung Dertingers würde dies ein Gegengewicht gegen die Visite von Acheson in Deutschland schaffen, dessen agitatorische Folgen beseitigen und die Autorität der Provisorischen Regierung festigen.“ Vgl. RGASPI, f. 17, op. 162, d. 41, Bl. 45, und ebenda, d. 42, Bl. 142. Zum Besuch Vyšinskijs in Ost-Berlin vgl. Dok. 8. Acheson hatte West-Berlin am Montag, dem 14. November 1949 besucht. Am Tag zuvor war er als erster Außenminister in der Hauptstadt der neugeschaffenen Bundesrepublik eingetroffen. Zu Achesons Besuch in Bonn und Berlin vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. und 15. November 1949, jeweils auf S. 1. Zu Achesons Gespräch mit Adenauer in Bonn vgl. AAPD (1949/50), S. 18–21. 15  Weder auf der 6.  Sitzung des Ministerrats der DDR am 17.  November 1949 noch im Politbüro der SED wurde diese Frage behandelt. 16  Eine entsprechende Mitteilung von Puškin konnte im AVP RF nicht ermittelt werden. Vgl. aber dazu Fn. 14 zu diesem Dokument. 17  Handschriftlich.

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3. Unterredung zwischen dem Leiter der Mission der UdSSR in der DDR Puškin und Ministerpräsident Grotewohl Geheim

Berlin-Ost, 20. November 19491

Aus dem Tagebuch2 von G.M. Puškin Grotewohl gab für unsere diplomatische Vertretung ein Frühstück, bei dem von unserer Seite Genosse Arkad’ev und ich zugegen waren, und von deutscher Seite Ulbricht, Minister Dertinger und die Staatssekretäre Geyer und Ackermann. Grotewohl und Ulbricht berichteten während des Frühstücks über den Plan zum Wiederaufbau Berlins. Die Provisorische Regierung beabsichtige, im kommenden Jahr stadtviertelweise mit dem Wiederaufbau Berlins zu beginnen. Vor allem solle die „Frankfurter Allee“ wieder aufgebaut werden. Diese Straße solle in Stalin-Prospekt3 umbenannt werden. Danach würden die daran angrenzenden Straßen wieder aufgebaut. Nach Meinung der Regierung werde eine solche Reihenfolge eine größere politische Wirkung erzielen als die Wiedererrichtung einzelner Häuser in verschiedenen Stadtteilen. Grotewohl und Ulbricht teilten ihre Absicht mit, der Sowjetregierung die Bitte vorzutragen, eine Gruppe sowjetischer Architekten nach Berlin zu entsenden, die den Deutschen die Erfahrungen der sowjetischen Architekturschule vermitteln könnten.4 1  Original an Vyšinskij. Kopien gingen an Gromyko, Čujkov, Gribanov, Semenov und in die Akten. Das Dokument erhielt am 30. November 1949 die Ausgangsnummer 05 und am 12.  Dezember 1949 im Sekretariat von Vyšinskij die Eingangsnummer 9049-v. 2  „Tagebuch“ ist ein aus der russischen Kanzleisprache übernommener Begriff des Auswärtigen Dienstes der UdSSR für Gesprächsaufzeichnungen. 3  Im Original „Prospekt Stalina“. Während im russischen Text „Frankfurter Allee“ mit russischen Buchstaben transkribiert wird, ist die dort geplante neue Straße nicht mit dem deutschen Wort „Allee“ wiedergegeben, sondern mit der russischen Bezeichnung „Prospekt“. Offenbar gebrauchten die deutschen Teilnehmer den späteren Straßennamen hier noch nicht. Am 16. Dezember 1949 (kurz vor Stalins 70. Geburtstag) fasste das Politbüro des ZK der SED den Beschluss, die Umbenennung der Frankfurter Allee in Stalinallee vorzubereiten, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/61, TOP 14. Die Umbenennung wurde am 21. Dezember 1949 mit der Grundsteinlegung für den ersten Wohnblock und einer Fackelzug-Demonstration verbunden, vgl. Neues Deutschland vom 22. Dezember 1949, S. 1. 4  Die Entsendung einer sowjetischen Architektendelegation kam in dieser Zeit nicht zustande. Vielmehr beschloss das SED-Politbüro am 24. Januar 1950 seinerseits die Entsendung einer „Delegation zum Studium der [sowjetischen] Städteplanung“ sowie die Zusammensetzung dieser Delegation: vom Ministerium für Aufbau Dr. Lothar Bolz (Minister), Walter Pisternik (Leiter der HA Bauwesen), Kurt Liebknecht (Direktor des Instituts für Städtebau und Hochbau), vom Ministerium für Industrie



Dokument 3: 20. November 194911

Sodann äußerten Grotewohl und Ulbricht den Wunsch, dass sowjetische Künstler und Musiker öfter in die Deutsche Demokratische Republik reisen sollten. Konkret baten sie, das Ensemble von Igor’ Moiseev und eine Gruppe sowjetischer Musiker zu schicken. Sie sagten, sie würden diese Bitte im Namen der Deutschen Gesellschaft für kulturelle Verbindungen mit der UdSSR5 vorbringen, unterstrichen aber, diese Bitte komme von der Regierung. Ich versprach, mich für eine positive Entscheidung in dieser Sache einzusetzen. Dertinger bat mich in einem persönlichen Gespräch, bei der albanischen Regierung durch unsere Vertretung in Tirana klären zu lassen, ob die albanische Regierung die Deutsche Demokratische Republik anerkannt hat. Er habe in der Presse gelesen, dass die albanische Regierung eine Erklärung über die Anerkennung abgegeben hat,6 habe aber von der albanischen Regierung keine offizielle Mitteilung darüber erhalten.7 Ich versprach, seiner Bitte nachzukommen. der Architekt Waldemar Alder (Leiter der industriellen Projektion in der HA Bauindustrie), vom Magistrat von Groß-Berlin der Architekt Edmund Collein (Leiter für Hochbau im Hauptamt für Bau- und Wohnungswesen) und aus den Ländern Kurt Leucht (Leiter des Stadtplanungsamtes Dresden), vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/68, TOP 7. Am 8. Februar 1950 leitete Vyšinskij einen entsprechenden Wunsch an Stalin zur Bestätigung durch das Politbüro der VKP (b) weiter, vgl. AVP RF, f. 07, op. 23a, p. 12, d. 160, Bl. 1. Letztendlich fanden 1950 gleich mehrere Reisen zu ähnlichen Zwecken statt: Im Februar 1950 beschäftigte sich eine Delegation der DDR mit Fragen der Planung und des Wiederaufbaus der städtischen Wirtschaft. Im April besuchte eine Gruppe von Architekten Moskau, geleitet von Kurt Liebknecht (vgl. dazu die Erinnerungen Kurt Liebknechts: Mein bewegtes Leben, Berlin 1986). Der Minister für Aufbau Bolz berichtete am 27. Juli 1950 dem Ministerrat über die Delegationsreise zum Studium des Städte- und Häuserbaus und legte die im Anschluss von seinem Ministerium erarbeiteten „Grundsätze des Städtebaus“ vor (vgl. BAB, DC 20-I/3/24, TOP 1 und Anlage 1). Am 23. August 1950 beschloss der Ministerrat der DDR „Maßnahmen zur Neugestaltung des Stadtzentrums“ von Berlin sowie das „Gesetz über den Aufbau der Städte in der DDR und der Hauptstadt Deutschlands (Aufbaugesetz)“, dem die von Bolz vorgelegten „Grundsätze“ beigefügt waren, vgl. BAB, DC 20-I/3/28, TOP 1 und 2, Anlagen 1 und 2. 5  Eine Gesellschaft mit diesem Namen gab es in der DDR nicht. Offensichtlich ist die „Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft“ gemeint, die 1949 aus der zwei Jahre zuvor gegründeten „Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion“ hervorging. Puškin leitete die Bezeichnung wahrscheinlich aus dem Namen der VOKS (Allunionsgesellschaft für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland) ab. 6  Bereits am 23. Oktober 1949 hatte das Neue Deutschland über ein Glückwunschtelegramm des Vorsitzenden des Ministerrats der Volksrepublik Albanien, Enver Hodscha, an Grotewohl berichtet, in dem es hieß, die Ausrufung der Deutschen Demokratischen Republik sei in Albanien mit großer Freude und Genugtuung aufgenommen worden. 7  Diplomatische Beziehungen zwischen Tirana und Ost-Berlin wurden erst am 2. Dezember 1949 aufgenommen.

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Dertinger klagte über Schwierigkeiten bei der Rekrutierung des Apparats des Außenministeriums: Bewerber für eine Arbeit im Außenministerium gebe es viele, aber Personen mit einiger Erfahrung, denen man diese Arbeit anvertrauen könne, gebe es nur wenig. Gegenwärtig habe das Außenministerium nur um die 50 Mitarbeiter. Dertinger sagte, er und Ackermann hätten beschlossen, sich mit der Auswahl der Mitarbeiter für das Außenministerium Zeit zu lassen.8 Vor allem setzen sie auf junge Leute, für die spezielle Kurse eingerichtet werden. Sodann sagte Dertinger mir, dass er sich mit mir treffen möchte, um über die Frage der Visaangelegenheiten zu sprechen.9 Ihm sei nicht klar, was auf diesem Gebiet in die Zuständigkeit des Außenministeriums und der Sowjetischen Kontrollkommission falle. Ich versprach, den Standpunkt der SKKFührung in dieser Sache zu erkunden und mich dann mit ihm zu treffen.10

G. Puškin11

AVP RF, f. 07, op. 22, p. 34, d. 159, Bl. 51–52. 8  Nach sowjetischen Angaben waren im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten am 10. November 1949 erst 25 von 415 vorgesehenen Stellen besetzt. Besonders wurde vermerkt, dass es in den Regierungsstellen eine große Anzahl von Personen (über 1000) gebe, die in den Westsektoren von Berlin wohnen (AVP RF, f. 07, op. 22, p. 34, d. 176, Bl. 6–7). Die Struktur der Regierung wurde auf einer Sitzung der DDR-Regierung erst einen Monat vor dem Empfang bei Grotewohl erörtert (vgl. BAB, DC 20-I/3/1, Protokoll der 2. Sitzung vom 20. Oktober 1949, Anlage 2), die Arbeitspläne der Ministerien auf der Sitzung der Regierung am 5. Januar 1950 (vgl. ebenda, Protokoll der 10. Sitzung vom 5. Januar 1950, Anlage 1). 9  Die Frage der Visa-Ausstellung beschäftigte das MfAA in den ersten Jahren sehr intensiv, denn sie galt in deutsch-deutscher Konkurrenz als Attribut der angestrebten vollen Souveränität. Trotz wiederholten Drängens (vgl. Dok. 82) wurden der DDR durch die Kontrollmacht UdSSR erst Ende 1951 begrenzte Rechte eingeräumt (vgl. Dok. 88). 10  Vgl. dazu den Entwurf einer Instruktion an die SKK aus dem April 1950, laut der diese dem Außenministerium der DDR mitteilen sollte, dass die SKK keine Einwände gegen eine Erteilung von Visa durch die DDR nach der folgenden Ordnung erhebe: „1. Ausländische Bürger von Staaten, mit denen die Deutsche [Demokratische] Republik diplomatische Beziehungen unterhält, wenden sich für die Erteilung von Visa für die Einreise, Ausreise oder Durchreise durch die Deutsche [Demokratische] Republik an das Außenministerium der Deutschen [Demokratischen] Republik oder an die diplomatischen Vertretungen der Deutschen [Demokratischen] Republik in dem entsprechenden Land. Alle Visafragen, die Staatsbürger der Sowjetunion betreffen, werden von den sowjetischen Organen genehmigt und bearbeitet. Die Visa­ angelegenheiten von Staatsbürgern der USA, Großbritanniens und Frankreichs liegen in der Zuständigkeit der Sowjetischen Kontrollkommission. 2. Visaangelegenheiten ausländischer Bürger aus Staaten, mit denen die Deutsche Demokratische Republik keine diplomatischen Beziehungen unterhält, werden in Abstimmung mit dem Außenministerium der Deutschen Demokratischen Republik von der Sowjetischen Kontrollkommission geprüft und entschieden … 3. Die SKK behält die Kontrolle über die



Dokument 4: 26. November 1949 13

4. Unterredung zwischen dem Leiter der GUSIMZ Merkulov, dem stellvertretenden Leiter der GUSIMZ Kobulov, dem Politischen Berater Semenov, Präsident Pieck, Ministerpräsident Grotewohl und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht Streng geheim

26. November 19491

Aufzeichnung der Unterredung vom 26.  November 1949 in der Wohnung von Wilhelm Pieck in Berlin, Beginn der Unterredung um 19 Uhr, Ende der Unterredung um 22 Uhr. Teilnehmer: auf sowjetischer Seite2 V. Merkulov, B. Kobulov, V. Semenov und der Dolmetscher der SKK, Machalov; auf deutscher Seite Wilhelm ­Pieck, Otto Grotewohl und Walter Ulbricht. Nach gegenseitiger Begrüßung und einem kurzen Bericht Piecks über seine Reise durch deutsche Städte, von der er soeben zurückgekommen war,3 teilte Merkulov den deutschen Genossen mit, dass er und die Gen. Kobulov und Semenov im Auftrage des Zentralkomitees der VKP (b) bevollmächtigt worden seien, mit den Gen. Pieck, Grotewohl und Ulbricht über Fragen zur Erteilung von Visa für die Einreise, Ausreise und die Durchreise von Staatsbürgern dritter Staaten durch die Deutsche Demokratische Republik.“ Vgl. Foitzik, Interessenpolitik, S. 522–523. Diese Ordnung wurde vorerst nicht umgesetzt. So stellte der Mitarbeiter der sowjetischen Mission Georgij Arkad’ev anlässlich einer Anfrage ­Ulbrichts bezüglich der Ausstellung von Einreisevisa aus Österreich am 15. August 1950 klar, „dass die Erteilung von Einreisevisa in das [sic] Kompetenzbereich der Besatzungsbehörde fällt, und zu welchem Zweck bei der Sowjetischen Kontrollkommission eine Visaabteilung besteht“, vgl. BAB-SAPMO, NY 4182/1194, Bl. 159. Vgl. im Weiteren die Nachfrage Appelts in Dok. 82 sowie Fn. 14 und 16 dazu. 11  Handschriftlich. 1  Hauptadressat dieses Dokuments war Stalin. Kopien gingen an Malenkov, Molotov und Mikojan. Dieses Exemplar mit der Ausgangsnummer M/1 übermittelte Merkulov am 29.  November 1949 an Molotov, bei dem es die Eingangsnummer 6384s erhielt, vgl. RGASPI, f. 82, op. 2, d. 481, Bl. 20. Wahrscheinlich wurde die Aufzeichnung durch den Übersetzer Machalov angefertigt. Pieck fertigte während oder nach der Unterredung ein Stichwortprotokoll zu dieser Unterredung an, vgl. Badstübner/Loth, S. 317–318. 2  Die hier und im Folgenden kursiv hervorgehobenen Wörter sind im Original maschinenschriftlich unterstrichen. 3  In drei Zweitagesreisen hatte Pieck am 15. und 16.  November Halle und das Walzwerk in Hettstedt, am 23. und 24.  November Weimar und am 25. und 26.  November Dresden und Meißen besucht, vgl. „Vormerk-Kalender“ von Wilhelm Pieck 1949, in: BAB-SAPMO, NY 4036/27. Über diese Reisen nach Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen wurde in der DDR-Presse breit berichtet.

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Tätigkeit der sowjetischen Betriebe in Deutschland zu verhandeln. Merkulov stellte fest, dass bekanntlich die sowjetischen Betriebe in Deutschland4 eine nicht geringe Bedeutung für die Wirtschaft der Republik besäßen und von ihrer störungsfreien Funktion in einem gewissen Maße die erfolgreiche Erfüllung des Volkswirtschaftsplanes zum Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft abhänge. Pieck bestätigte diesen Sachverhalt. Weiter erklärte Merkulov, die Sowjetunion sei ebenfalls an einer erfolgreichen Arbeit dieser Betriebe interessiert, zumal ein Teil der Produktion im Rahmen der durch ihre wirtschaftliche Tätigkeit erzielten Einkünfte in die Sowjetunion verbracht werde. Früher seien die sowjetischen Betriebe etwas isoliert ihrer Arbeit nachgegangen, aber heute, nach Gründung der Deutschen Demokratischen Republik, sei eine enge Koordinierung zwischen den sowjetischen Betrieben und den entsprechenden deutschen Regierungsorganen absolut notwendig, um sowohl die Interessen der Deutschen Demokratischen Republik als auch diejenigen der Sowjetunion zu wahren. In diesem Zusammenhang fragte Merkulov, ob die deutschen Genossen es als zweckmäßig erachteten, Fragen zu erörtern, welche für die Hauptprinzipien der Tätigkeit sowjetischer Betriebe in Deutschland und deren Beziehungen mit deutschen Regierungsorganen ausschlaggebend seien. Pieck erwiderte, es sei sinnvoll, so ein Thema zu erörtern. Daraufhin gab Merkulov bekannt, dass demnächst der Chef der Diplomatischen Mission der Sowjetunion in Deutschland, Gen. Puškin, offiziell eine Übersicht über die Führung der Verhandlungen zu diesen Fragen vorstellen werde5 und dass er, Merkulov, sowie die Gen. Kobulov und Semenov vom Zentralkomitee der VKP (b) bevollmächtigt worden seien, die Gen. Pieck, Grotewohl und Ulbricht über den Inhalt der vorbereiteten Protokollentwürfe zur Tätigkeit der sowjetischen Betriebe in Deutschland zu unterrichten und mit ihnen die Vorgehensweise bei der Führung der offiziellen Verhand­lungen und der anschließenden Unterzeichnung entsprechender Protokolle im Na4  Ca. 200 deutsche Betriebe in der SBZ waren 1946 auf Beschluss des Rats der Volkskommissare vom 25.  Januar 1946 in das Eigentum der UdSSR übergegangen (vgl. UdF  2, S. 705–706, Anm. 268). Im November 1949 befanden sich noch 116 Unternehmen im sowjetischen Eigentum, darunter die modernsten und leistungs­ fähigsten in den jeweiligen Industriezweigen. 5  Auf diese Mitteilung Puškins vom 5. Dezember 1949, dass die sowjetische Regierung wünsche, Besprechungen über die Sowjetischen Aktiengesellschaften einzuleiten, und dafür die genannten Personen bevollmächtigte, teilten Ulbricht und Dertinger in einer offiziellen Antwort am 7. Dezember 1949 mit, „daß der Herr Ministerpräsident a1s deutsche Delegation die nachgenannten Mitglieder der Regierung beauftragt hat: Herrn Walter Ulbricht, Stellvertreter des Ministerpräsidenten, als Leiter der Delegation, Herrn Heinrich Rau, Minister für Planung, Herrn Fritz Selbmann, Minister für Industrie“. Vgl. BDU 1, S. 162.



Dokument 4: 26. November 1949 15

men der Regierung der UdSSR und der Regierung der DDR abzustimmen.6 Im Anschluss daran informierte Merkulov die deutschen Genossen kurz über den Inhalt der Protokollentwürfe7 und schlug vor, deren Texte vor­ zulesen. Pieck, Grotewohl und Ulbricht waren damit einverstanden und gaben auf entsprechende Fragen von Merkulov die Antwort, es sei zweckmäßig, zunächst die Protokolle am Stück vorzulesen und sie dann zu erörtern. Merkulov las den russischen Text des Protokolls zu den Fragen der Tätigkeit der sowjetischen Betriebe in Deutschland und des Protokolls zu den Fragen der Tätigkeit der Niederlassung8 der [sowjetischen staatlichen] Ak­ tiengesellschaft Wismut in Deutschland9 vor. Parallel zur Lesung stellte der Dolmetscher Machalov anhand der vorher angefertigten Übersetzung den deutschen Wortlaut der Protokolle vor. Nachdem die Protokolle vorgelesen worden waren, erklärte Grotewohl, die von der sowjetischen Regierung vorgestellten Protokolle stellten, so wörtlich, einen sehr wichtigen Schritt auf dem Wege zur Verwirklichung dessen dar,

6  Am 23. September 1949 hatte Merkulov einen Bericht „Zur künftigen Stellung der sowjetischen Betriebe in Deutschland“ an Molotov und Mikojan übermittelt. Darin hatte er die Unterzeichnung eines „Abkommen[s] über die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen der UdSSR und Ostdeutschland“ sowie von Protokollen vorgeschlagen, in denen der Modus der Tätigkeit der sowjetischen Betriebe in Deutschland und deren Beziehungen zu den deutschen Regierungsorganen festgelegt werden (vgl. UdF  4, S. 461–463, vgl. auch AVP  RF, f. 07, op. 22a, p. 10, d. 146, Bl. 25–27 [Kopie]). Die ursprünglich von Merkulov vorgesehenen Einzelprotokolle wurden bereits in dem vom Politbüro des ZK der VKP (b) am 18. November 1949 bestätigten Entwurf zu einem einzigen Protokoll zusammengefasst (vgl. Fn. 7). In dem gleichen Politbürobeschluss wurden Merkulov, Kobulov und Semenov beauftragt, Pieck, Grotewohl und Ulbricht über den Inhalt dieses Entwufs zu informieren und mit diesen den Ablauf der Verhandlungen dazu abzustimmen, vgl. RGASPI, f. 17, op. 162, d. 41, Bl. 46. 7  Der Wortlaut des Entwurfs des Protokolls zur Arbeit der Sowjetischen Aktiengesellschaften in Deutschland findet sich in RGASPI, f. 17, op. 162, d. 42, Bl. 146–151. In deutscher Übersetzung ist er abgedruckt in UdF 4, S. 665–667, Anm. 363. Das am 5. Mai 1950 unterzeichnete und damit in Kraft gesetzte Protokoll ist abgedruckt in Foitzik, Interessenpolitik, S. 523–525. 8  „Niederlassung“ bezeichnete zum einen die Gesamtheit der Betriebe und sonstigen Einrichtungen der staatlichen sowjetischen Aktiengesellschaft Wismut auf dem Territorium der DDR und zum anderen die Verwaltung dieser Betriebe. Auch bei den übrigen sowjetischen Aktiengesellschaften wurden deren Betriebe und sonstigen Einrichtungen in der DDR wie auch deren Verwaltung als „Niederlassungen“ bezeichnet. 9  Der Wortlaut des Entwurfs des Protokolls über die Tätigkeit der SAG Wismut findet sich in RGASPI, f. 17, op. 162, d. 42, Bl. 143–145. In deutscher Übersetzung ist er abgedruckt in UdF  4, S. 668–669, Anm. 364. Eine amtliche Übersetzung des Protokollentwurfs vom 15.  Dezember ist abgedruckt in: Wismut Dokumente, S. 86– 88. Das Protokoll wurde mit dieser deutschen Fassung am 5. Mai 1950 unterzeichnet.

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was im Telegramm des Gen. Stalin10 gesagt worden sei, und diese zwei Dokumente seien von ihrem Inhalt her eine große politische und wirtschaftliche Hilfe für die Deutsche Demokratische Republik. Während die Bonner Regierung ein Abkommen zur Demontage deutscher Betriebe11 unterzeichnet habe, gebe die sowjetische Regierung Betriebe an Deutschland zurück. Dies werde die Position der SED, insbesondere im Westen, entscheidend stärken.12 Grotewohl hob die wichtige Bedeutung des Entschlusses der sowjetischen Regierung hervor, Deutschland die Unternehmen der Filmindustrie zu übereignen, was nicht nur für die SED finanzielle Fragen löse, sondern auch die Basis der ideologischen Parteiarbeit festige. Des Weiteren gab Grotewohl zu verstehen, dass für die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik eine wichtige Bedeutung dem Umstand zukomme, dass die Arbeit der sowjetischen Betriebe in Deutschland sich nach deutschen Gesetzen richten und ein Teil der Pacht und anderer Einkünfte der sowjetischen Betriebe für Investitionsaufwendungen eingesetzt 10  In Stalins Telegramm hieß es: „Die Erfahrung des letzten Krieges hat gezeigt, daß das deutsche und das sowjetische Volk in diesem Krieg die größten Opfer gebracht haben, daß diese beiden Völker in Europa die größten Potenzen zur Vollbringung großer Aktionen von Weltbedeutung besitzen.“ Vgl. UdF 4, S. 502–503. Zur Antwort von Pieck und Grotewohl vgl. ebenda, S. 678, Anm. 397. 11  Gemeint ist das Petersberger Abkommen. Die Demontagen bildeten tatsächlich den Anlass für dieses ohne Hinzuziehung des Bundestages durch die Hohen Kommissare François-Poncet (Frankreich), McCloy (USA) und Robertson (Großbritannien) und Bundeskanzler Adenauer ausgehandelte und am 22. November 1949 unterzeichnete Abkommen, doch war es keineswegs „ein Abkommen zur Demontage deutscher Betriebe“. Vereinbart wurde vielmehr, dass die Bundesrepublik (Punkt I) Mitglied internationaler Organisationen (u. a. des Europarats) wird und (Punkt II) dem Ruhrstatut vom 28. April 1949 und damit der „internationalen Ruhrbehörde“ (als vollberechtigtes Mitglied, das jedoch lediglich über 3 von 15 Stimmen verfügte) beitritt. Die Bundesregierung musste sich verpflichten, die Entscheidungen der Alliierten zur Entmilitarisierung (Punkt III, vgl. Dok. 66, Fn. 25) und Dekartellisierung (Punkt VI) zu beachten. Im Gegenzug sicherte die Hohe Kommission in Punkt IV der Bundesregierung die Wiederaufnahme von handels- und konsularischen Beziehungen und in Punkt VII die Einstellung der Demontagen bis auf einzelne Ausnahmen zu. Vgl. für den Wortlaut der „Niederschrift der Abmachungen zwischen den Alliierten Hohen Kommissaren und dem Deutschen Bundeskanzler“ (Petersberger Abkommen) vom 22. November 1949 DzD II, 2, S. 274–277, vgl. dazu auch Adenauer, Erinnerungen 1945–1953, S. 282. In einer erregten nächtlichen Debatte des Bundestages zu diesem Abkommen, in der erneut die Demontagen angesprochen wurden, rief Schumacher (nach Zwischenrufen von links: „Sind Sie noch ein Deutscher?“, „Sprechen Sie als deutscher Kanzler?“) Adenauer entgegen: „Der Bundeskanzler der Alliierten!“ (BT Stenographische Berichte, 18. Sitzung, 24. und 25. November 1949, S. 525). Zum Petersberger Abkommen titelte das Neue Deutschland am 26.  November 1949: „900 Betriebe bleiben auf der Demontageliste“. 12  Dieser und der folgende Absatz wurden am Rand handschriftlich hervorgehoben.



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werden. Grotewohl eröffnete, man habe sich bei der letzten Reise nach Moskau13 an die sowjetische Regierung mit der Bitte gewandt, lediglich einen Teil der Produktion aus den sowjetischen Betrieben für den deutschen Exportbedarf abzuzweigen und dabei nicht erwartet, dass die sowjetische Regierung sich bereit erklärt, die gesamte Warenproduktion aus den sowjetischen Betrieben der Deutschen Demokratischen Republik zur Verfügung zu stellen, wobei nur die Waren ausgenommen seien, die im Zusammenhang mit dem Reparationsplan und im Rahmen der Einkünfte der sowjetischen Betriebe geliefert werden müssten. Pieck und Ulbricht schlossen sich den Ausführungen Grotewohls an. Im Verlaufe der Erörterung einzelner Punkte aus den vorgelesenen Protokollen gab es seitens der deutschen Genossen eine Reihe von Meinungsäußerungen. Zu Punkt 2 des Protokolls über die Tätigkeit der sowjetischen Betriebe14 stellte Ulbricht die Frage, wer den Devisentransfer und den Transport der Waren im Rahmen der Gewinne der sowjetischen Seite übernehmen werde: deutsche oder sowjetische Organe. Außerdem fragte er nach, ob die im Rahmen der Gewinne auszuführenden Waren aus eigener Produktion oder auch aus der Produktion deutscher Betriebe kommen würden.15 Hierbei fügte er 13  Gemeint ist die geheim gehaltene Reise von Pieck, Grotewohl, Ulbricht und Oelßner nach Moskau vom 10. bis zum 28. September 1949, bei der trotz des langen Aufenthaltes kein Gespräch mit Stalin zustande kam. 14  Vgl. Fn. 7 zu diesem Dokument. 15  Ulbricht bezog sich mit seiner Frage auf Punkt 2 dieses Entwurfs (vgl. Fn. 7), in dem es hieß: „2. Die sowjetische Seite hat das Recht, in Höhe der von ihr aus der Nutzung des ihr gehörenden Vermögens in Deutschland erzielten Gewinne und anderer Einkünfte Waren oder frei konvertierbare Währung aus Deutschland auszuführen. Waren, die in Anrechnung auf die Gewinne und anderen Einnahmen der sowjetischen Seite aus Deutschland ausgeführt werden, werden über die von den Handelsabkommen zwischen UdSSR und Deutschland vorgesehenen Lieferungen hinaus in den allgemeinen Exportplan der Deutschen Demokratischen Republik einbezogen werden.“ (RGASPI, f. 17, op. 162, d. 42, Bl. 147). Dieser Punkt blieb in der am 5.  Mai 1950 unterzeichneten endgültigen Fassung dieses Protokolls unverändert erhalten (vgl. PA AA, MfAA V SOW 004-13). Detailliert geregelt wurden die Rechte der UdSSR in Bezug auf „Gewinne, Mieten und andere Einnahmen, die … durch die Tätigkeit sowjetischer Betriebe in Deutschland erzielt werden“ am 11. September 1950 in einer geheimen Zusatzvereinbarung. Sie liefen auf eine staatliche Garantie von Gewinnen und Mieten durch die DDR hinaus. So hieß es dort: „1. Der Reingewinn, den Sowjetische Staatliche Aktiengesellschaften aus der Tätigkeit ihrer Abteilungen in Deutschland erzielen, wird auf ein Konto der Staatsbank der UdSSR bei der Garantie- und Kreditbank (Garkrebo) in Berlin überwiesen. 2. Die Reingewinnbeträge werden nach den Vierteljahresfinanzplänen der Abteilungen der Sowjetischen Staatlichen Aktiengesellschaften in Deutschland monatlich in Höhe eines Drittels des für das Vierteljahr vorgesehenen Betrages überwiesen. Die genaue Berechnung der zu überweisenden Reingewinnbeträge erfolgt nach den vierteljährlichen buchhalterischen Bilanzen der Abteilungen der Sowjetischen Staatlichen Aktiengesellschaften in Deutschland. Die

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hinzu, dass es für sie außerordentlich wichtig wäre, wenn die Verantwortung für diese Maßnahmen in vollem Umfange bei den deutschen Organen läge. Merkulov gab zu verstehen, dass die Frage im Prinzip genau auf diese Weise gelöst werde, die praktische Vorgehensweise bei der Umsetzung dieses Punktes werde jedoch durch die in Punkt 15 des Protokolls vorgesehene gemischte paritätische Kommission ausgearbeitet.16 Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt seien im Rahmen der Gewinne nur Waren aus der Produktion der sowjetischen Betriebe ausgeführt worden, in Zukunft sei allerdings die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, im Rahmen der Gewinne auch Waren aus deutscher Produktion zu kaufen. Über dieses Thema werde man späterhin eine Einigung erzielen können. Gegenstand ausführlicher Diskussion wurde Punkt 12 zum Thema der Auflösung der Filmproduktions-Aktiengesellschaft DEFA.17 endgültige Abrechnung über den für das Kalenderjahr zu überweisenden Reingewinn wird nach den buchhalterischen Jahresbilanzen der Abteilungen der Sowjetischen Staatlichen Aktiengesellschaften in Deutschland vorgenommen. 3. Die Miete, die die Sowjetunion gemäß den Verträgen und Vereinbarungen über die Vermietung sowjetischer Betriebe an die Sowjetischen Staatlichen Aktiengesellschaften von diesen zu erhalten hat, ist von den Abteilungen der Sowjetischen Staatlichen Aktiengesellschaften auf ein Konto der Staatsbank der UdSSR bei der Garkrebo durch monatliche gleichmäßige Zahlungen zu überweisen … 5. … Die Beträge, die zum Unterhalt der Vorstände der Sowjetischen Staatlichen Aktiengesellschaften und des Apparates der Verwaltung des sowjetischen Vermögens in Deutschland abzuführen sind, werden monatlich überwiesen, und zwar in dem in den Vierteljahresfinanzplänen der Abteilungen der Sowjetischen Staatlichen Aktiengesellschaften in Deutschland vorgesehenen Umfang. Die endgültige Abrechnung erfolgt auf der gleichen Grundlage wie die Abrechnung über die Reingewinnüberweisungen, wie sie im Punkt 2 vorgesehen ist. 6. Die sowjetische Seite hat das Recht für alle in den obigen Punkten genannten Summen, die auf das Konto der Staatsbank der UdSSR bei der Garkrebo überwiesen wurden, aus Deutschland Waren oder frei konvertierbare Valuta auszuführen, sowie diese Summen für verschiedene Bedürfnisse innerhalb Deutschlands zu verwenden.“ Vgl. PA AA, MfAA V SOW 003b–9. 16  Punkt 15 des Entwurfs (vgl. Fn. 7) lautete: „Zwecks Ausarbeitung von Vorschlägen, die im Zusammenhang mit diesem Protokoll stehen und die praktische Tätigkeit der sowjetischen Betriebe in Deutschland sowie deren wechselseitige Beziehungen mit den entsprechenden deutschen Behörden betreffen, wird innerhalb von zwei Wochen eine gemischte paritätische Kommission gebildet werden.“ Vgl. RGASPI, f. 17, op. 162, d. 42, Bl. 150–151. Über deren Einberufung und Arbeit konnten keine Quellen ermittelt werden. Im Ergebnis der Arbeit dieser Kommission wurden bis zum 30. Oktober 1950 insgesamt neun geheime Zusatzvereinbarungen zu dem am 5. Mai 1950 unterzeichneten Protokoll zwischen Vertretern der DDR und der UdSSR abgeschlossen, die sehr detailliert die Rechte und Pflichten der SAG-Niederlassungen (Betriebe) in der DDR regelten, vgl. PA AA, MfAA V SOW 003b–9. 17  Punkt 12 des Entwurfs (vgl. Fn. 7) lautete: „Die Seiten vereinbaren, die gemischte sowjetisch-deutsche Aktiengesellschaft DEFA für die Produktion und den Verleih von Kinofilmen aufzulösen.“ Vgl. RGASPI, f. 17, op. 162, d. 42, Bl. 147.



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Grotewohl und Pieck erklärten, dass der Wortlaut des Punktes, in dem die Liquidierung der DEFA behandelt wird, der deutschen Seite nicht zusage, da bei einer Liquidierung dieser Gesellschaft die Partei, welche 45 Prozent der Aktien der Gesellschaft halte, ihrer Rechte an dieser Gesellschaft verlustig gehen könne. Die in der Regierung vertretenen bürgerlichen Parteien könnten, wie Grotewohl äußerte, Ansprüche auf eine Beteiligung an dieser Gesellschaft geltend machen, was für die Partei nicht wünschenswert wäre. Man müsse es so arrangieren, dass die SED einziger Aktionär dieser Gesellschaft bleibt, und daher sei es nicht zweckmäßig, die Frage der Vorgehensweise bei einer Liquidierung der DEFA einer gemischten paritätischen Kommission zu überlassen.18 Es wurden verschiedene Versionen eines Wortlautes für diesen Punkt vorgeschlagen. Schließlich einigte man sich darauf, dass die folgende Version am akzeptabelsten wäre: „Die sowjetische Seite verzichtet auf die Beteiligung in der gemischten sowjetisch-deutschen Aktiengesellschaft für Filmproduktion und -verleih DEFA. Im Zusammenhang damit erstattet die Aktiengesellschaft DEFA der sowjetischen Seite den von ihr eingebrachten Anteil zum Aktienkapital der Gesellschaft zurück.“19 Grotewohl fragte, wie der Verleih von DEFA-Filmen in Zukunft gestaltet werden solle, denn zum gegenwärtigen Zeitpunkt sei das Unternehmen Sovexportfilm im Rahmen eines Vertrages mit dem Verleih von Filmen befasst. Merkulov erläuterte, der Vertrag zwischen Sovexportfilm und der Linsa AG20 werde annulliert, und danach werde die DEFA berechtigt sein, selbständig ihre Filme in allen Ländern, mit Ausnahme der UdSSR, zu verleihen.21 Grotewohl reagierte zufrieden auf diese Antwort. Im Anschluss daran interessierten sich die deutschen Genossen für die zukünftigen Beziehungen zwischen der DEFA und den vier Betrieben der Filmindustrie, die der Regierung der DDR übereignet werden sollen.22 Ul18  Dieser

Absatz wurde am Rand handschriftlich hervorgehoben. diese Formulierung wurde in Punkt 12 der am 5. Mai 1950 unterzeichneten Regierungsvereinbarung übernommen, vgl. PA AA, MfAA V SOW 004-13. 20  Gemeint ist die SAG Linsa, zu der bis dahin die Filmstudios Ufa und Tobis sowie die Kopierfabriken AFIFA und Paul Tesch gehörten, vgl. Fn. 22. 21  Für den Vertrieb sowjetischer, deutscher und anderer Filme in der DDR und den Vertrieb der DEFA gehörender Filme im Ausland außer der UdSSR gründeten beide Regierungen mit einem Abkommen vom 20. Juni 1950 die „deutsch-sowjetische Filmvertriebsgesellschaft Progress-Film-Vertrieb“, vgl. PA AA, MfAA V SOW 006-17. 22  Gemeint sind das Filmatelier Ufa, Babelsberg, das Filmatelier Tobis, Berlin, sowie die Filmkopierfabrik AFIFA, Berlin, und die Filmkopierfabrik für Schwarz19  Genau

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bricht sprach die Befürchtung aus, dass der bürgerliche Teil der Regierung Deutschlands sich einer Verpachtung dieser Betriebe an die DEFA entgegenstellen könnte, was nicht wünschenswert wäre, und er schlug vor, die Linsa solle nachträglich mit der DEFA ein Abkommen über die Verpachtung der Filmunternehmen schließen. In diesem Falle, so Ulbrichts Meinung, werde der Pachtvertrag automatisch in Kraft bleiben. Merkulov entgegnete, man könne darüber nachdenken, jedoch sei ein nachträglicher Abschluss ein schwieriges Unterfangen, da ein solcher Akt in den Geschäftsbüchern Niederschlag finden müsse, und diese würden von deutschen Mitarbeitern geführt. Pieck bestätigte, dass so eine Maßnahme nicht zum Ziel führe und gab zu bedenken, man dürfe kein Gerede darüber aufkommen lassen, dass es irgendwelche [geheimen] Abreden zwischen der sowjetischen Regierung und der SED gebe. Man kam zu dem Beschluss, dass die deutschen Genossen selbst darüber nachdenken sollten, wie es am besten gelingen könnte, die UFA- und Tobis-Studios sowie die Filmkopieranstalten AFIFA und Paul Tesch an die DEFA zu verpachten. Grotewohl bat um Klarstellung, ob der gesamte Pachtbetrag für Investi­ tionsaufwendungen eingesetzt und welcher Produktionsanteil aus den sowjetischen Betrieben der Regierung Deutschlands für Exportzwecke zur Verfügung gestellt werden solle. Merkulov erläuterte, dass ein Teil der Pacht für Investitionsaufwendungen eingesetzt werde und die gesamte Produktion der sowjetischen Betriebe, mit Ausnahme desjenigen Anteils, der im Rahmen der Gewinne der sowjetischen Seite der Ausfuhr unterliege, also fast 90 Prozent, der deutschen Regierung zur Verfügung gestellt werde, und letztere könne diese nach eigenem Ermessen für den Export oder für die Deckung von Bedarfsfällen innerhalb Deutschlands verwenden. Auf die Frage Grotewohls bezüglich der Reparationen antwortete Merkulov, er werde diese Frage nicht behandeln, da die Reparationsfrage mit den deutschen Genossen separat erörtert werde.23 Pieck, Grotewohl und Ulbricht waren sich darin einig, dass der Produktion der Betriebe, die zur [sowjetischen staatlichen] Aktiengesellschaft Wismut gehören, eine Sonderrolle zukomme und für diese Betriebe daher spezielle Bedingungen gelten müssten.

Weißdruck Paul Tesch, Berlin, die zur SAG Linsa gehörten und zusammen mit 19 anderen Betrieben an die DDR zurückverkauft wurden. 23  Die Frage der Reparationsleistungen der DDR wurde während der Gespräche im November und Dezember 1949 nicht angesprochen. Eine Senkung der Repara­ tionslasten für die DDR kam erst im Mai 1950 zustande, vgl. Dok. 30 und dort Fn. 4.



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Der Text des Protokolls zur Tätigkeit der Aktiengesellschaft Wismut24 stieß bei den deutschen Genossen auf keinerlei Einwände. Pieck eröffnete, man werde dafür sorgen, dass im Zusammenhang mit den Betrieben der Aktiengesellschaft Wismut aufseiten der in der Regierung vertretenen bürger­ lichen Parteien kein unnötiger Lärm entstehe. Bei der Erörterung der Frage zur industriellen Tätigkeit der sowjetischen Betriebe äußerten Grotewohl und Ulbricht den Wunsch, die Gen. Merkulov und Kobulov möchten sich im Laufe der kommenden Tage mit Planungsminister Rau und dessen Stellvertreter Leuschner treffen, um den Produktionsplan für die sowjetischen Betriebe im Jahr 1950 im Vorfeld zu prüfen und, falls erforderlich, im Interesse einer Fertigung von Erzeugnissen, die für die Wirtschaft der Republik und den Export eher benötigt werden, das Sortiment der zu fertigenden Waren ein wenig zu modifizieren. Ulbricht fügte hinzu, so eine Vorbesprechung der Frage solle keine bindende Wirkung für die Seiten haben und verpflichte zu nichts. Merkulov erwiderte, ein Treffen könne stattfinden, sobald die deutschen Genossen dazu bereit seien; der Produktionsplan für die sowjetischen Betriebe im Jahr 1950 sei von der sowjetischen Seite bereits ausgearbeitet worden. Auf die Möglichkeit der baldigen Übergabe von [weiteren] Betrieben an Deutschland anspielend, bemerkte Grotewohl scherzhaft, in dem derzeit stattfindenden Gespräch sei ein guter Anfang gelegt worden. Merkulov reagierte ausweichend auf diese Bemerkung und gab keine Antwort.25 Im Anschluss daran wurde die folgende Vorgehensweise für die Führung der offiziellen Verhandlungen über die erwähnten Themen ausgearbeitet: Puškin wird am Montag oder Dienstag Grotewohl einen Besuch abstatten und ihn offiziell über den Vorschlag der sowjetischen Regierung, Verhandlungen zum Thema der Tätigkeit der sowjetischen Betriebe in Deutschland aufzunehmen, unterrichten. Grotewohl wird den Minister für Auswärtige Angelegenheiten, Dertinger, zu sich bitten, der bei dem Gespräch mit Puškin zugegen sein wird.26 Am Donnerstag, dem 1. Dezember, wird Grotewohl das Ministerkabinett von dem Vorschlag der sowjetischen Regierung in Kenntnis setzen27 und gleichzeitig dem Kabinett mitteilen, dass er zur Führung der Verhandlungen den stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht, Planungsminister Rau

24  Vgl.

Fn. 9 zu diesem Dokument. Absatz wurde am Rand handschriftlich hervorgehoben. 26  Ob dieses Gespräch zwischen Puškin und Grotewohl stattgefunden hat und ob zu diesem Gespräch Dertinger hinzugezogen wurde, lässt sich aus den deutschen Quellen nicht ermitteln. Die DDR-Presse verlautbarte nichts dazu. 27  Die hervorgehobenen Wörter sind im Original handschriftlich unterstrichen. 25  Dieser

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und Industrieminister Selbmann bevollmächtigt habe.28 Falls die bürgerlichen Parteien darauf bestehen sollten, werde man zusätzlich Finanzminister Loch hinzuziehen müssen, aber man werde versuchen, es nicht dazu kommen zu lassen. Merkulov teilte mit, die sowjetische Regierung habe für die Verhandlungen [zu den Betrieben der Sowjetischen Aktiengesellschaften] die Gen. Merkulov, Kobulov, Arkad’ev und Skopcov und zu den Verhandlungen über die Aktiengesellschaft Wismut die Gen. Merkulov, Kobulov und Mal’cev bevollmächtigt. Grotewohl gab bekannt, dass auf der deutschen Seite mit der Führung der Verhandlungen über das Thema der Aktiengesellschaft Wismut ebenfalls die oben aufgeführten Genossen betraut würden, allerdings ohne Finanzminister Loch. Die offiziellen Verhandlungen können am 2. Dezember beginnen. Merkulov fragte nach, wo diese Verhandlungen am sinnvollsten stattfinden sollten und schlug drei Varianten vor: in den Räumlichkeiten eines der deutschen Regierungsorgane, im Gästehaus der SKK oder abwechselnd in deutschen oder sowjetischen Räumlichkeiten. Es wurde entschieden, die erste Sitzung im Gästehaus der SKK durchzuführen und danach Datum und Ort der darauffolgenden Sitzung festzulegen. Außerdem wurde vereinbart, dass die Regierung der Republik bis zum Ende der Verhandlungen keine Informationen über die Verhandlungen an die Presse weitergeben wird.29 Danach besprach Semenov mit den deutschen Genossen noch einige Fragen, die seine Arbeit betreffen. Im Anschluss daran gab Gen. Kobulov zur Kenntnis, dass der Magistrat von Berlin den Wunsch geäußert habe, den sowjetischen Anteil der Aktien an der gemischten Spritreinigungsanstalt und Likörfabrik Kahlbaum30 zu kaufen und fragte, ob es gegen den Verkauf der Aktien an den Magistrat Einwände gebe, zumal die sowjetische Seite im Prinzip mit dem Verkauf der Kahlbaum-Aktien einverstanden sei. Pieck antwortete, seitens der Regierung

28  Der Ministerrat wurde über die Aufnahme von Verhandlungen über „den Vorschlag der sowjetischen Regierung“ am 1. Dezember nicht informiert. Erst auf der nächsten Sitzung der DDR-Regierung erstattete Ulbricht Bericht „über die Vorbereitung einer Vereinbarung über die Tätigkeit der Zweigstellen Sowjetischer Aktiengesellschaften in Deutschland“, vgl. dazu Dok. 6, Fn. 6 sowie Dok. 9. 29  Über die Verhandlungen wurde in der DDR-Presse nicht berichtet. Auch in den Zeitungen des Westens erschienen dazu keine Informationen. 30  Die 1818 gegründete Chemische Fabrik C.A.F. Kahlbaum – Spritreinigungsanstalt und Likörfabrik wurde am Ende des 19. Jahrhunderts nach Adlershof verlegt. Sie firmierte ab August 1950 als VEB Spiritus Adlershof und später als VEB Bärensiegel.



Dokument 5: 9. Dezember 194923

Deutschlands gebe es gegen den Verkauf der Aktien an den Magistrat keine Einwände. Zum Schluss stellte Merkulov die Frage, ob alle Fragen geklärt seien oder die Notwendigkeit bestehe, sich noch einmal zur weiteren Erörterung der Protokolle zu treffen. Pieck antwortete, alles sei klar und ein zusätzliches Treffen nicht erforderlich. Damit war die Unterredung beendet. V. Merkulov31 RGASPI, f. 82, op. 2, d. 481, Bl. 21–28.

5. Verhandlung zwischen dem Leiter der GUSIMZ Merkulov, dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht, dem Minister für Planung Rau und dem Minister für Industrie Selbmann 

9. Dezember 19491

Aufzeichnung der Verhandlung vom 7. Dezember 1949 im Gästehaus der SKK in Berlin. Beginn der Verhandlung um 20:35 Uhr, Ende der Verhandlung um 23:40 Uhr. Teilnehmer: auf sowjetischer Seite2 V.N. Merkulov, B.Z. Kobulov, G.P. Ar­ kad’ev, V.I. Skopcov, I.A. Stepura und der Dolmetscher der SKK, Machalov; auf deutscher Seite der stellvertretende Ministerpräsident Walter Ulbricht, der Minister für Planung Heinrich Rau und der Industrieminister Friedrich Selbmann. Vor Beginn der Verhandlung bot Merkulov Ulbricht an, die Leitung der Sitzung zu übernehmen. Ulbricht erklärte sich einverstanden und legte in seinen Eröffnungsworten dar, dass auf der Basis eines Bescheides des Leiters der Sowjetischen Mission in Deutschland, Puškin, Ministerpräsident Grotewohl ihn, Ulbricht, Planungsminister Rau sowie Industrieminister Selbmann

31  Handschriftlich.

1  Durchdruck. Die Aufzeichnung der Verhandlung erfolgte durch I.A. Stepura am 9. Dezember 1949. Das Original ging an Stalin. Kopien dieses Dokuments erhielten Malenkov, Molotov und Mikojan. Dieses Exemplar mit der Ausgangsnummer M/2 übermittelte Merkulov am 10. Dezember 1949 an Molotov, bei dem es am 19. Dezember die Eingangsnummer 6391s erhielt, vgl. RGASPI, f. 82, op. 2, d. 481, Bl. 20. 2  Die hier und im Folgenden kursiv hervorgehobenen Wörter sind im Original maschinenschriftlich unterstrichen.

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beauftragt habe, mit der sowjetischen Delegation Verhandlungen über die Aktivitäten der sowjetischen Betriebe in Deutschland zu führen.3 Ulbricht fügte hinzu, dass laut Absprache mit Grotewohl beabsichtigt sei, die Verhandlungen in vertraulichem Rahmen stattfinden zu lassen und nach Beendigung der Verhandlungen die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik durch Grotewohl in Kenntnis zu setzen.4 Ferner sagte Ulbricht, die sowjetische Delegation habe offensichtlich Vorschläge ausgearbeitet, und er bat darum, diese zu besprechen. Merkulov merkte an, er verstehe die Aussagen Ulbrichts so, dass diese Verhandlungen trotz des vertraulichen Rahmens, in welchem sie stattfänden, als offiziell anzusehen seien und dass im Auftrag der Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und der Provisorischen Regierung der Deutschen Demokratischen Republik das Ergebnis der Verhandlungen in einem entsprechenden Protokoll mit Unterschrift festgehalten werde. Ulbricht bestätigte den offiziellen Charakter der Verhandlungen, wobei er sich auf ein Schreiben berief, das am 7. Dezember dieses Jahres an Gen. Puškin gesandt worden war und eine Antwort auf den Vorschlag der Regierung der Sowjetunion enthielt, welcher darauf gezielt hatte, die Verhandlungen aufzunehmen.5 Daraufhin gab Merkulov bekannt, dass die sowjetische Seite Vorschläge vorbereitet habe, die zu erörtern seien. In diesen Vorschlägen seien die wesentlichen Richtlinien für die Aktivitäten der sowjetischen Betriebe in Deutschland formuliert.6 Es gehe dabei um folgende Themen: 1. die rechtliche Stellung der sowjetischen Betriebe in Deutschland sowie der Organe, unter deren Aufsicht diese stehen werden; 2. die Nutzung der Gewinne und anderer erwirtschafteter Erträge durch die sowjetische Seite; 3. die Investitionsaufwendungen durch die sowjetische Seite; 4. die Besteuerung der sowjetischen Betriebe; 5. die Planung der Aktivitäten der sowjetischen Betriebe in Abstimmung mit den volkswirtschaftlichen Plänen der Deutschen Demokratischen Repu­ blik; 6. die Versorgung der sowjetischen Betriebe mit Rohstoffen und Produk­ tionsmaterial; 7. die Festlegung von Preisen für die Erzeugnisse der sowjetischen Betriebe; 3  Zur Bevollmächtigung von Ulbricht, Rau und Selbmann vgl. die Erklärung Grotewohls vom 26.  November 1949 in Dok. 4, zur späteren schriftlichen Bestätigung vgl. dort Fn. 5. 4  Vgl. Dok. 4, Fn. 28. 5  Vgl. Dok. 4, Fn. 5. 6  Vgl. Dok. 4, Fn. 6.



Dokument 5: 9. Dezember 194925

8. die Aufrechterhaltung und Erweiterung der gegenseitigen Zusammen­ arbeit zwischen den sowjetischen Betrieben und den volkseigenen Betrieben der Deutschen Demokratischen Republik; 9. die Weiterleitung relevanter Informationen durch die sowjetischen Betriebe an die entsprechenden deutschen Regierungsorgane. Darüber hinaus sei, wie Merkulov anmerkte, die sowjetische Delegation von der sowjetischen Regierung bevollmächtigt worden, das Thema des Ausstiegs der sowjetischen Seite aus der Filmproduktions-Aktiengesellschaft DEFA7 und der Übereignung von 23 Industriebetrieben, insbesondere der Filmstudios UFA und Tobis, der Filmkopieranstalten AFIFA und Paul Tesch8 sowie der Porzellan-Manufaktur Meissen an die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik auf die Tagesordnung zu setzen.9 Im Namen der Delegation dankte Ulbricht der sowjetischen Regierung für diese Vorschläge. Er sagte, diese Vorschläge bedeuteten, dass in Zukunft die Aktivitäten der sowjetischen Betriebe in Deutschland mit in den volkswirtschaftlichen Ge-

7  Zu

den ursprünglichen sowjetischen Vorschlägen zur DEFA vgl. Dok. 4, Fn. 17. Dok. 4, Fn. 22. 9  Die Rückgabe der insgesamt 23 Betriebe an die DDR wurde in dem am 5. Mai 1950 in Moskau von W. Ulbricht unterzeichneten Protokoll in Punkt 13 festgehalten. Die 23 Objekte wurden in Anlage 1 zu diesem Protokoll namentlich aufgeführt, vgl.  PA  AA, MfAA V SOW 003-8, Bl. 1–6 bzw. 11–12. Die Unterzeichnung des ­SAG-Protokolls wie auch die Rückgabe der Betriebe wurde als Mitteilung des Amts für Information der Provisorischen DDR-Regierung im Neuen Deutschland und in der sowjetischen Presse zeitgleich am 21. Mai 1950 bekanntgegeben. Darin wurden zwar die übergebenen Betriebe einzeln aufgeführt, aber die Unterzeichnung des Protokolls zur SAG Wismut und dessen Inhalt verschwiegen (BDU 1, S. 198–199). Die Rückgabe der 23 Betriebe erfolgte nicht kostenlos. Gemäß einer von der gemischten paritätischen Kommission (vgl. Fn. 32 zu diesem Dokument sowie Dok. 4, Fn. 16) ausgearbeiteten undatierten, wahrscheinlich im Juli 1950 unterzeichneten „Ordnung der Übergabe von 23 Betrieben an die Regierung der Deutschen Demokratischen Repu­blik“ erstattete letztere der UdSSR für diese Betriebe eine Gesamtsumme von 74 893 949,08 DM der DDR. Diese Summe sollte im Laufe des Jahres 1950 auf ein spezielles Konto gezahlt werden. Durch den gleichzeitigen Abzug des Werts des „­ Anlage- und Umlaufvermögens“ aller zurückgegebenen Betriebe in Höhe von 53 785 425 DM der DDR „von der Gesamtsumme der von Deutschland an die So­ wjetunion geleisteten Reparationszahlungen“ musste die DDR diesen Betrag in Form von Reparationen zusätzlich an die UdSSR zahlen (PA AA, MfAA V SOW 003b–9, Bl. 5–6). Grotewohl hatte zuvor am 5.  Juli 1950 Einwände seiner Experten gegen diese Summe als unmaßgeblich zurückgewiesen: „Es ist nicht erwünscht … Differenzen zum Gegenstand einer prinzipiellen Erörterung dieser Einzelprobleme außerhalb des Rahmens des großen politischen Gesamtproblems zu machen, da eine solche Erörterung dazu führen könnte, die weitere Entwicklung der freundschaftlichen Hilfsmaßnahmen seitens der UdSSR zu beeinträchtigen.“ Vgl. Karlsch, Reparationsleistungen, S. 271, Dokument 7. 8  Vgl.

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samtplan der Deutschen Demokratischen Republik10 aufgenommen würden und dass dies die Möglichkeit eröffne, die Bevölkerung und die Arbeiterklasse der Republik über jene große Arbeit ins Bild zu setzen, die von den sowjetischen Betrieben in Deutschland geleistet werde. Die Arbeiter würden verstehen, dass sie, wenn sie in sowjetischen Betrieben tätig seien, auf diese Weise ihren Beitrag zur Stärkung der Wirtschaft und zur weiteren Demokratisierung der Republik leisteten. Des Weiteren meinte Ulbricht, er sei sehr zufrieden, dass die Frage der Übergabe der Filmproduktionsanstalten gelöst sei, und gab der Hoffnung Ausdruck, dass in den Betrieben der Filmindus­ trie, wenn auch nur eine Zeitlang, weiterhin sowjetische Spezialisten beschäftigt werden könnten, die bis in die Gegenwart große Hilfe bei deren Wiederaufbau geleistet hätten. Die der deutschen Seite übereigneten Film­ unternehmen würden zu soliden Stützpunkten für die demokratische Um­ erziehung des deutschen Volkes umgebaut. Merkulov entgegnete, der Verbleib sowjetischer Spezialisten gehöre zu den konkreten und praktischen Fragen, die man später erörtern könne.11 Ulbricht merkte an, die deutsche Seite sei sich in vollem Maße darüber im Klaren, dass die Einbeziehung von Großbetrieben aus dem Besitz sowjetischer staatlicher Aktiengesellschaften in den Gesamtplan der Deutschen Demokratischen Republik keine leichte Aufgabe sei. Man werde dafür einige Monate benötigen. 10  Gemeint ist hier offensichtlich die langfristige Wirtschaftsplanung, die in der SBZ unter sowjetischer Anleitung bereits 1948 begann. Zur Ausarbeitung des Zweijahrplans für 1949–1950 vgl. UdF 4, S. 17, Fn. c und S. 530, Anm. 7–8). Bereits ein Jahr später fragte die SED-Führung Stalin, „ob wir Ende 1949 mit den Vorarbeiten zur Ausarbeitung des Fünfjahrplanes beginnen sollen“ (Badstübner/Loth, S. 296: Brief an Stalin, 19.  September 1949). Schon zuvor hatte Čujkov Stalin einen „Beschlussentwurf zu Wirtschaftsfragen“ übermittelt, der vorsah, die deutschen Behörden mit der Ausarbeitung eines Fünfjahrplans auf der Grundlage der Entwicklung einer selbständigen Wirtschaft in der SBZ in „Zusammenarbeit mit der UdSSR und den Ländern der Volksdemokratien“ zu beauftragen. Der Oberste Chef der SMAD sollte dafür in der ersten Jahreshälfte 1950 dem Ministerrat der UdSSR die „Kontrollziffern“ dieses Plans vorlegen (UdF 4, S. 440–441). Für dieses Vorgehen erhielten die deutschen Genossen am 28. September 1949 die Zustimmung des ZK der VKP (b), vgl. ebenda, S. 469. Am 13.  Januar 1950 wurde auf einer Besprechung beim Vorsitzenden der SKK der Beschluss gefasst, ein Projekt mit Empfehlungen der SKK für den Fünfjahrplan zur Entwicklung der Volkswirtschaft der DDR auszuarbeiten. Diese Empfehlungen sollten den Umfang und Charakter der Reparationslieferungen, die Höhe der Besatzungsausgaben und einen Plan zur weiteren Entwicklung der SAG, darunter der Wismut AG, enthalten. Nach Bestätigung durch die Regierung der UdSSR sollten sie dem Ministerrat der DDR bekanntgegeben werden. Vgl. AVP RF, f. 082, op. 37, p. 207, d. 44. Bl. 57–58. 11  Die Bedingungen für die Entsendung und die Bezahlung sowjetischer Spezialisten, die technische Hilfe in der DDR leisteten, wurde durch einen am 1. Juli 1952 unterzeichneten Staatsvertrag geregelt (vgl. PA AA, MfAA V SOW 027-55).



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Merkulov wies die deutschen Genossen auf den Umstand hin, dass die sowjetischen Betriebe in der Wirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik einen wichtigen Platz einnehmen und daher Maßnahmen ergriffen werden müssen, damit das Tempo ihrer Aktivitäten in dieser Phase des Übergangs zu neuen Arbeitsformen nicht nachlässt und insbesondere keine Unterbrechungen in ihrer Versorgung mit Rohstoffen und Produktionsmaterial auftreten. Ulbricht stimmte den Worten Merkulovs zu. Alle praktischen Fragen – und derer werde es nicht wenige geben – müssten, wie Merkulov sagte, in Zukunft in einer gemischten paritätischen Kommission besprochen werden, die gemäß den Vorschlägen der sowjetischen Seite zu bilden sei, wobei zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur Fragen grundsätzlicher Art zur Erörterung anstünden.12 Hierbei sei es sehr wichtig, die grundsätzlichen Fragen richtig zu verstehen, damit das Lösen praktischer Fragen keine Schwierigkeiten bereite. Ulbricht antwortete, man habe im Vorfeld der Verhandlungen diese grundsätzlichen Fragen bereits unter sich besprochen, und es seien keine Einwände erhoben worden. Merkulov zeigte sich mit dieser Antwort Ulbrichts zufrieden und schlug vor, zur Besprechung einzelner Punkte aus dem Protokollentwurf überzugehen. Er stellte kurz das Aufbauprinzip sowjetischer staatlicher Aktiengesellschaften vor und erklärte, dass die auf Grundlage der Beschlüsse von Potsdam13 in das Eigentum des sowjetischen Staates überführten Betriebe in Deutschland durch den Staat den Vorständen von Aktiengesellschaften in Moskau zur Nutzung auf Pachtbasis übergeben worden seien. Diese hätten zum Zwecke der Leitung dieser Betriebe Außenstellen gegründet, welche ordnungsgemäß in Deutschland registriert seien. Die Arbeit dieser Außenstellen werde sich nach deutschen Gesetzen vollziehen, und die Interessen der Sowjetunion werde die in Berlin ansässige Verwaltung für sowjetisches Eigentum in Deutschland (USIG) wahrnehmen. Im Anschluss daran verlas Merkulov den ersten Punkt des Protokollentwurfs.14 12  Vgl.

Dok. 4, Fn. 16. den Beschlüssen der Potsdamer Konferenz vgl. DzD II, 1, S. 2102–2148 (Kommuniqué) und S. 2149–2202 (Abschlussprotokoll der Verhandlungen) sowie UdF 2, S. 72–91. 14  Punkt 1 hatte folgenden Wortlaut: „Die in Deutschland eingetragenen Zweigstellen der in der UdSSR gegründeten staatlichen Aktiengesellschaften, denen von den zuständigen sowjetischen Organen auf Grund von Pachtverträgen Vermögen in Deutschland (lt. beigefügter Liste, s. Anlage Nr. I), das in Übereinstimmung mit den Beschlüssen der Potsdamer Konferenz vom 2. August 1945 in das Eigentum der UdSSR übergegangen ist, zur Nutzung übergeben wurde, üben ihre Tätigkeit in Deutschland nach deutschen Gesetzen aus. Die der UdSSR zustehenden Rechte in 13  Zu

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Ulbricht stellte fest, dass das Prinzip klar sei. Selbmann bat Merkulov um Erläuterung, wer genau der Verpächter sei und welches Statut die Verwaltung für sowjetisches Eigentum in Deutschland habe. Merkulov gab die nötigen Erklärungen, und die deutsche Delegation zeigte sich zufrieden. Danach stellte Merkulov den Inhalt des zweiten Punktes aus dem Protokollentwurf vor, der das Reglement zur Nutzung der Gewinne und anderer Einkünfte durch die sowjetische Seite zum Inhalt hatte.15 Die sowjetische Seite müsse, wie Merkulov erklärte, berechtigt sein, für die Summe der erzielten Gewinne und anderen Einkünfte Waren oder frei konvertierbare Währung aus Deutschland auszuführen. Rau fragte, ob es sich hierbei um Waren handeln müsse, die in speziellen Listen aufgeführt seien. Merkulov antwortete, dass diese Waren in dem allgemeinen Exportplan der Deutschen Demokratischen Republik enthalten sein könnten. Selbmann meinte, das Prinzip sei absolut klar, jedoch sei es angesichts des Umstandes, dass die Gewinne in ihrer Höhe von den Aktiengesellschaften selbst festgesetzt würden, erforderlich, dass die deutsche Regierung Auskunft über die Vorgehensweise bei der Festlegung dieser Gewinne erhalte, damit sie diese in ihren Plänen am Anfang eines jeden Jahres berücksichtigen könne. Merkulov erwiderte, die notwendigen Informationen würden den jeweiligen Regierungsorganen zur Verfügung gestellt. Es gebe dazu einen entsprechenden Punkt im Protokollentwurf. Rau fragte, welche Waren im Austausch gegen die Einkünfte ausgeführt würden, und merkte dabei an, es sei jedem klar, dass solche Waren ausgeführt würden, welche die Sowjetunion benötige, allerdings müsse seiner Auffassung nach das Warensortiment mit dem Exportplan der Republik koordiniert werden. Merkulov las daraufhin den ersten Absatz des sechsten Punktes aus dem Protokollentwurf vor, welcher besagt, dass bei der Planerstellung beide Seiten vom gegenseitigen Interesse geleitet werden müssen.16 Rau und SelbBezug auf das obenerwähnte sowjetische Eigentum werden von der Verwaltung für sowjetisches Vermögen in Deutschland wahrgenommen.“ Dieser Text des sowjetischen Entwurfs (vgl. UdF 4, S. 665–667, Anm. 363) unterschied sich in diesem Punkt ebenso wenig wie der der im Folgenden angeführten Punkte von den am 5. Mai 1950 unterzeichneten Fassungen der entsprechenden Punkte, vgl. PA AA, MfAA V SOW 003-8, Bl. 1–6, hier Bl. 1. 15  Zur Formulierung von Punkt 2 vgl. Dok. 4, Fn. 15. 16  Der erste Absatz von Punkt 6 lautete: „Die Zweigstellen der Sowjetischen Staatlichen Aktiengesellschaften in Deutschland werden ihre Produktions- und Wirtschaftspläne den entsprechenden deutschen Planungsstellen vorlegen, wobei beide



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mann zeigten sich angesichts der durch Merkulov gegebenen Erläuterung zufrieden. Des Weiteren stellte Merkulov den Inhalt des dritten Protokollpunktes vor, in welchem die Investitionsaufwendungen, welche die sowjetische Seite für Pacht und Teile der Gewinne und anderer Einkünfte der sowjetischen Seite tätigt, behandelt werden.17 Rau meinte scherzhaft zu diesem Punkt, es handele sich hier um Verpflichtungen, welche die sowjetische Seite eingehe, und daher habe die deutsche Seite nichts dazu zu sagen. Anschließend sprach Merkulov über den vierten Punkt des Protokollentwurfes, welcher die Vorgehensweise bei der Ausfuhr von Gewinnen in Form von vierteljährlichen Vorauszahlungen zum Thema hat.18 Rau und Selbmann vertraten die Meinung, dass Vorauszahlungen von Gewinnen auf der Grundlage von Vierteljahresbilanzen mit gewissen Schwierigkeiten verbunden seien. Merkulov entgegnete, die Arbeitspraxis habe gezeigt, dass ein solches Reglement der Überweisung von Gewinnen in Form von Vorauszahlungen keinerlei Probleme verursache und erläuterte eingehend die technische Vorgehensweise bei der Bestimmung von Gewinnhöhen und bei der Ausfuhr von Waren. In diesem Zusammenhang merkte er an, dass üblicherweise am Ende eines Jahres ein nicht in Waren abgegoltener Gewinnanteil übrig bleibe, der in das nächste Jahr übernommen werde. Selbmann fragte, ob dieser Gewinnrest im ersten Quartal des folgenden Jahres in Waren abgegolten werden müsse und äußerte den Wunsch, die Abgeltung dieses Restes in Waren im Verlaufe des gesamten Jahres zu ermög­ lichen.

Parteien bei der Überprüfung der genannten Pläne von den beiderseitigen Interessen ausgehen werden.“ Vgl. PA AA, MfAA V SOW 003-8, Bl. 1–6, hier Bl. 3. 17  Punkt 3 hatte folgenden Wortlaut: „Ein Teil des Pachtgeldes, das aus der Verpachtung des Eigentums der UdSSR an die Sowjetischen Staatlichen Aktiengesellschaften erzielt wird, wird für Kapitalinvestierungen in den sowjetischen Betrieben in Deutschland zwecks Erweiterung der Produktion und Erneuerung der technischen Ausrüstung verwandt. Die sowjetische Seite ist auch damit einverstanden, einen Teil der von ihr erzielten Gewinne und anderen Einnahmen für zusätzliche Kapitalanlagen in den sowjetischen Betrieben und für die Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen der Arbeiter und Angestellten der sowjetischen Betriebe zu verwenden.“ Vgl. PA AA, MfAA V SOW 003-8, Bl. 1–6, hier Bl. 2. 18  Punkt 4 hatte folgenden Wortlaut: „Die Beträge der Reingewinne und andere Einnahmen, insbesondere das der sowjetischen Seite zustehende Pachtgeld, werden durch Vorschüsse auf der Grundlage der vorhergehenden Quartalsbilanzen der Zweigstellen der Sowjetischen Staatlichen Aktiengesellschaften auf die Konten der Staatsbank der UdSSR in Deutschland eingezahlt.“ Vgl. PA AA, MfAA V SOW 003-8, Bl. 1–6, hier Bl. 2.

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Merkulov antwortete, dass sich in dieser Frage eine konkrete Vereinbarung zu einem späteren Zeitpunkt finden lasse. Im Zusammenhang mit dem fünften Punkt, welcher die Vorgehensweise bei der Besteuerung der sowjetischen Betriebe zum Thema hat,19 stellte Selbmann fest, es gebe in Deutschland verschiedene Steuern und es müsse genauer darauf hingewiesen werden, dass bei der Besteuerung die sowjetischen Betriebe den volkseigenen Betrieben gleichgesetzt würden.20 Ulbricht merkte an, es sei nicht erforderlich, in diesem Punkt irgendwelche Korrekturen vorzunehmen, da im Januar 1950 das Gesetz über ein einheit­ liches Steuersystem verabschiedet und damit dann Klarheit in die Angelegenheit gebracht werde. Selbmann zeigte sich mit diesem Vorschlag einverstanden. Der sechste und siebente Punkt betreffend Fragen der Arbeitsplanung für sowjetische Betriebe in Deutschland und deren Versorgung mit Rohstoffen und Produktionsmaterial riefen keine Kommentare hervor. Beim Übergang zum Thema „Vertrieb der Erzeugnisse sowjetischer Betriebe“ meinte Merkulov, die sowjetische Seite sei der Auffassung, dass es richtiger wäre, wenn deutsche Vertriebsorgane den Vertrieb dieser Erzeugnisse in die Hand nähmen und nur dann, wenn die deutschen Vertriebsorgane den Absatz der Planproduktion der sowjetischen Betriebe nicht gewährleisten könnten, diesen das Recht zugestanden werden sollte, den Vertrieb selbständig zu übernehmen, und zwar sowohl innerhalb der Republik als auch auf Außenmärkten.21

19  Punkt 5 hatte folgenden Wortlaut: „In Bezug auf Verbindlichkeiten, Handelsund Produktionsrechte sowie staatliche als auch Gemeindebesteuerung werden die Betriebe und Zweigstellen der Sowjetischen Staatlichen Aktiengesellschaften in Deutschland nicht unter schlechtere Bedingungen gestellt, als sie für Betriebe gelten bzw. Anwendung finden werden, die der Deutschen Demokratischen Republik sowie anderen Staaten oder Privatpersonen gehören, denen das Recht der Meistbegünstigung zugebilligt wird. Die Beträge aus der Verpachtung des Eigentums der UdSSR an die Sowjetischen Staatlichen Aktiengesellschaften sowie die Beträge der Reingewinne unterliegen keiner Besteuerung.“ Vgl. PA  AA, MfAA V SOW 003-8, Bl. 1–6, hier Bl. 2–3. Nicht besprochen wurde Punkt 7. Er lautete: „Die zuständigen deutschen Wirtschaftsbehörden werden Maßnahmen treffen, dass die Versorgung der sowjetischen Betriebe in Deutschland mit Rohstoffen und Materialien ebenso erfolgt wie für Betriebe, die unter unmittelbarer Verwaltung der deutschen staatlichen Organe stehen.“ Vgl. ebenda, Bl. 3. 20  Die Besteuerung der sowjetischen Betriebe in der DDR wurde am 6. September 1950 außerhalb der Regierungsvereinbarung in einer von der gemischten paritätischen Kommission (vgl. Dok. 4, Fn. 16) ausgearbeiteten besonderen Steuerordnung geregelt. Sie sah die zentrale Zahlung aller „direkten und indirekten Steuern und Abgaben, sowohl die gesamtstaatlichen als auch die Gemeindesteuern und die örtlichen Steuern“ für die sowjetischen Betriebe durch die „Abteilungen der Sowjetischen Staatlichen Aktiengesellschaften“ vor, vgl. PA AA, MfAA V SOW 003b-9, Bl. 19–21, hier Bl. 19.



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Rau machte deutlich, die Zubilligung des Rechtes an sowjetische Betriebe, Erzeugnisse selbständig zu vertreiben, verstoße gegen das Außenhandelsmonopol und bringe die Wirtschaft der Republik durcheinander. Selbmann wies darauf hin, dass durch sowjetische Betriebe vorgenommene Kompensationsgeschäfte dem normalen Warenverkehr in der Republik zuwiderliefen. Kobulov entgegnete, Kompensationsgeschäfte innerhalb Deutschlands seien seit März 1948, also seit Gründung der Deutschen Wirtschaftskommission, vollständig eingestellt. Und Geschäfte, die mit den Westzonen vonstatten gingen, würden obligatorisch bei den DWK-Organen22 registriert. Selbmann ließ wissen, dass einige sowjetische Betriebe, insbesondere Betriebe der Elektroindustrie, eine enge Zusammenarbeit mit den entsprechenden deutschen Organen pflegten und keinen Anlass zu Missverständnissen gäben. Andere Betriebe hingegen, zum Beispiel aus der Chemiebranche, die selbständig tätig seien, unterhielten keine Geschäftskontakte mit den deutschen Organen. Hier liege der Grund für die Schwierigkeiten beim Vertrieb der Produktion aus sowjetischen Betrieben. Merkulov merkte an, der Wunsch der sowjetischen Seite bestehe genau darin, in dieser Angelegenheit reinen Tisch zu machen. Nach Ansicht der sowjetischen Delegation wäre es am besten, diese Frage so zu lösen, dass der Verkauf der Erzeugnisse der sowjetischen Betriebe in vollem Umfange über deutsche Vertriebsorgane geschehe. Merkulov fragte, ob die deutsche Seite dies übernehmen könnte. Selbmann antwortete, dies sei möglich, sofern das Sortiment der hergestellten Erzeugnisse vorher mit den deutschen Planungsorganen abgestimmt werde.23 Merkulov entgegnete, genau darum gehe es. 21  Punkt 8 hatte folgenden Wortlaut: „Die sowjetische Seite ist damit einverstanden, dass die Realisierung der von den sowjetischen Betrieben herausgebrachten Produktion durch die deutschen staatlichen Absatzstellen erfolgt. Hierbei gewährleistet die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik den Absatz der von den sowjetischen Betrieben erzeugten eingeplanten Produktion entsprechend dem Verteilungsplan. Den sowjetischen Betrieben wird das Recht gewährt, den Anteil der Produktion der sowjetischen Betriebe, dessen Absatz im Verteilungsplan nicht gewährleistet ist, selbständig innerhalb Deutschlands oder durch Ausfuhr in andere Länder zu realisieren.“ Gemeint war hier der Verkauf in und außerhalb Deutschlands, vgl. PA AA, MfAA V SOW 003-8, Bl. 1–6, hier Bl. 3–4. Vgl. dazu auch Dok. 9 und dort Fn. 9. 22  Gemeint sind die Verwaltungen der Deutschen Wirtschaftskommission. 23  Zum Wortlaut von Punkt 6 vgl. oben Fn. 16. Der dort nicht abgedruckte zweite Absatz lautete: „Dabei wird festgestellt, dass die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik jährlich nach den Unterlagen der Verwaltung für sowjetisches Vermögen in Deutschland den Umfang und die Nomenklatur der Produktion, die von den sowjetischen Betrieben für die Ausfuhr aus Deutschland auf Rechnung der Einnah-

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Ulbricht warf ein, im Jahr 1950 würden die deutschen Organe nicht in der Lage sein, den Verkauf aller Erzeugnisse, die in den sowjetischen Betrieben hergestellt werden, zu bewerkstelligen. Rau äußerte den Gedanken, man könnte den sowjetischen Betrieben das Recht zugestehen, selbständig den Vertrieb in die Hand zu nehmen, allerdings müssten die Kontingente der für den Verkauf geplanten Waren unbedingt mit ihnen abgestimmt und jeder Verkaufsakt bei den entsprechenden deutschen Regierungsorganen registriert werden. Merkulov erwiderte, dagegen sei nichts einzuwenden. Kobulov meinte, man könne den Wortlaut des Protokolls so wie geschrieben belassen, da es hier nicht nur um 1950, sondern auch um die folgenden Jahre gehe, in denen die deutschen Organe in der Lage sein würden, den Verkauf der Planproduktion aus den sowjetischen Betrieben in vollem Umfang zu gewährleisten. Das in die Praxis umzusetzende Reglement für den Verkauf der Erzeugnisse aus den sowjetischen Betrieben müsse im Protokoll der gemischten paritätischen Kommission zu Papier gebracht werden.24 Selbmann warf ein, erst nach Konkretisierung des Sortiments der von den sowjetischen Betrieben hergestellten Erzeugnisse könne die Frage geklärt werden, welchen Teil davon die deutsche Seite für den Verkauf übernehmen könne. Merkulov antwortete, die sowjetische Seite sei bereit, sich in den kommenden 2–3 Tagen mit den deutschen Genossen zu treffen, um im Interesse beider Seiten das gesamte Produktsortiment der sowjetischen Betriebe für das Jahr 1950 durchzugehen. Ulbricht schlug vor, die Genossen Merkulov, Kobulov, Rau und Selbmann mit der Durchsicht des Produktsortiments zu betrauen. Es wurde festgelegt, dass die genannten Genossen zu diesem Zweck am Samstag, dem 10. Dezember um 11 Uhr früh zusammenkommen sollten.25

men der sowjetischen Seite erzeugt wird, in den Gesamtvolkswirtschaftsplan mit aufnehmen wird.“ Vgl. PA AA, MfAA V SOW 003-8, Bl. 1–6, hier Bl. 3. 24  Zur gemischten paritätischen Kommission vgl. Dok. 4, Fn. 16. Das hier unter Punkt 8 aufgeführte (undatierte) Protokoll „[ü]ber den Absatz der Produktion sowjetischer Betriebe in Deutschland“ verpflichtete die Regierung der DDR, den Absatz der von den sowjetischen Betrieben herzustellenden Produktion zu sichern, und berechtigte gleichzeitig die sowjetischen Betriebe dazu, „nach Vereinbarung mit den entsprechenden deutschen Staatsorganen, ihre außerplanmässig hergestellte Produktion selbständig abzusetzen“, vgl. PA AA, MfAA V SOW 003b–9, Bl. 32–35, hier Bl. 32–33. 25  Aufzeichnungen zu diesem Treffen konnten in deutschen und russischen Archiven nicht ermittelt werden.



Dokument 5: 9. Dezember 194933

Danach trug Merkulov den neunten Punkt des Protokolls vor, welcher die Festlegung der Preise für die Erzeugnisse zum Inhalt hatte.26 Der Punkt wurde ohne Wortmeldungen akzeptiert. Bei der Behandlung des zehnten Protokollpunktes27 wies Merkulov darauf hin, dass die sowjetischen und die deutschen Betriebe Teile eines einheit­ lichen Wirtschaftssystems der Deutschen Demokratischen Republik seien und daher einander durch Bewahrung und Erweiterung der zwischen ihnen vorhandenen Produktionskooperation gegenseitig unterstützen müssten. Selbmann ließ erkennen, dass die deutsche Seite im Prinzip damit einverstanden sei, in der Praxis jedoch Unregelmäßigkeiten zur Tagesordnung gehörten. So führten zum Beispiel einige sowjetische Betriebe der Kohleindustrie den Abbau von Kohleflözen nicht ordnungsgemäß durch. In ein–zwei Jahren, so Selbmann, würden diese Betriebe ihre Kohlevorräte aufgebraucht haben und bei der deutschen Regierung neue Lagerstättenabschnitte fordern. Merkulov entgegnete, der von Selbmann ins Gespräch gebrachte Punkt sei als solcher durchaus wichtig, habe allerdings keinen Bezug zu der Produk­ tionskooperation zwischen den sowjetischen und den deutschen Betrieben. Rau gab zu verstehen, dass seiner Meinung nach dieser Punkt doch mit dem Kooperationsthema zu tun habe und nannte als Beispiel eine im sowjetischen Kombinat Friedländer28 befindliche Abraumförderbrücke, die nicht voll ausgelastet sei, während das nebenan befindliche deutsche Kombinat diese Förderbrücke benötige. Merkulov wiederholte erneut, die von dem Gen. Selbmann und Rau ins Gespräch gebrachten Fragen hätten nichts mit der Produktionskooperation zu tun, sondern mit der zweckwidrigen Verwendung von Ausrüstungen oder der falschen Verfahrenstechnik beim Abbau von Kohlevorkommen, und er wolle veranlassen, dass der Sache auf den Grund gegangen werde. Ulbricht fragte, ob diese zwei Punkte nicht ebenfalls im Rahmen der bevorstehenden Besprechung am Samstag geklärt werden könnten. 26  Punkt 9 hatte folgenden Wortlaut: „Bei der Preisfestsetzung für die Produktion, die von den sowjetischen Betrieben herausgebracht wird, werden die entsprechenden deutschen Wirtschaftsstellen die von den sowjetischen Betrieben vorzulegenden Kalkulationen berücksichtigen und hierbei davon ausgehen, dass sich die Preise für die Produktion der sowjetischen Betriebe auf dem Preisniveau für analoge Produktion halten müssen, die von Betrieben herausgebracht wird, die der unmittelbaren Verwaltung der deutschen staatlichen Organe unterstehen.“ Vgl. PA AA, MfAA V SOW 0038, Bl. 1–6, hier Bl. 4. 27  Punkt 10 hatte folgenden Wortlaut: „Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik wird Massnahmen zur Aufrechterhaltung und zum weiteren Ausbau des gegenseitigen Zusammenwirkens der sowjetischen Betriebe in Deutschland mit den deutschen Betrieben auf dem Gebiete der Produktionstätigkeit treffen.“ Vgl. PA AA, MfAA V SOW 003-8, Bl. 1–6, hier Bl. 4. 28  Gemeint ist die SAG-Niederlassung Friedländer in Lauchhammer.

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Merkulov erwiderte, er könne, solange ihm der Kern dieser Fragen nicht bekannt sei, nichts dazu sagen. Der elfte Punkt29, der sich um die Weiterleitung von Informationen und die Rechenschaftslegung an die deutschen Regierungsorgane dreht, wurde ohne Einwände akzeptiert. Anschließend sprach Merkulov über den Austritt der Sowjetunion aus der Beteiligung an der DEFA AG und die Übereignung von 23 Betrieben an die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik. Ulbricht bekundete, dass, wie ihm mitgeteilt worden sei, die DEFA nach dem Ausstieg der sowjetischen Seite mit Verlust arbeiten werde, wenn nicht die Bedingungen des gegenwärtig existierenden Vertrages mit Sovexportfilm über Modalitäten von Bezahlung und Verleih der DEFA-Produkte weiterhin gültig blieben. Ulbricht bat darum, dieses Thema gesondert mit sowjetischen und deutschen DEFA-Mitarbeitern zu besprechen. Dabei verwies er darauf, dass es für die deutsche Seite äußerst wünschenswert wäre, den genannten Vertrag beizubehalten. Merkulov antwortete, Sovexportfilm sei in das System des Ministeriums für Kinematographie der UdSSR eingebunden, und diese Frage müsse separat mit den entsprechenden Genossen erörtert werden, da sie mit dem Protokollentwurf nicht direkt etwas zu tun habe.30 Auf Bitten von Ulbricht wurde entschieden, für Freitag, den 9. Dezember, ein Treffen der sowjetischen Mitarbeiter Afanas’ev, Usol’cev, Antonov und Andrievskij mit den deutschen Gen. Schwab und Beling anzuberaumen, um diese Frage im privaten Rahmen vorab besprechen zu lassen.31 Die Punkte 14, 15 und 16 wurden ohne Einwände akzeptiert.32 29  Punkt 11 hatte folgenden Wortlaut: „Die Zweigstellen der Sowjetischen Staatlichen Aktiengesellschaften in Deutschland werden den entsprechenden deutschen Regierungsstellen die notwendige Information und Berichte einreichen und zwar in dem Umfange, wie er für Betriebe festgelegt ist, die unter unmittelbarer Verwaltung der deutschen staatlichen Organe stehen.“ Vgl. PA  AA, MfAA V SOW 003-8, Bl. 1–6, hier Bl. 4. 30  Die Zukunft der DEFA war bereits am 26.  November ausführlich besprochen worden und hatte zur einzigen wesentlichen Änderung des sowjetischen SAG-Protokollentwurfs geführt, vgl. Dok. 4 und dort Fn. 17 und 19. Zur Regelung der Rückgabe der 23 Betriebe an die DDR vgl. oben Fn. 9. Zum Schutz der beiderseitigen Interessen in Bezug auf Filmgeschäfte vgl. Dok. 4, Fn. 21. 31  Aufzeichnungen zu diesem Treffen konnten in deutschen und russischen Archiven nicht ermittelt werden. 32  Die Punkte 14 und 15 betrafen die Bildung und Aufgaben der gemischten paritätischen Kommission. Punkt 14 wies der Kommission die Regelung des Übergabeverfahrens der in Anlage 2 aufgeführten 23 SAG-Betriebe zu (vgl. Fn. 9 zu diesem Dokument), „unter der Berücksichtigung, dass der Wert der Betriebe … von der Gesamtsumme der Reparationszahlungen Deutschlands an die UdSSR gestrichen werden



Dokument 5: 9. Dezember 194935

Ulbricht fragte, wie die Arbeit der gemischten paritätischen Kommission vonstattengehen solle und wie viel Zeit sie benötige, um Vorschläge zu entwerfen. Merkulov erwiderte, diese gemischte paritätische Kommission werde vermutlich für die Ausarbeitung umfassender praktischer Vorschläge zu jedem Punkt des Hauptprotokolls eine Reihe von Unterkommissionen bilden müssen, und dafür würden, wie er meinte, mindestens zwei Monate benötigt.33 Ulbricht bat um den russischen Wortlaut des Protokolls sowie die deutsche Übersetzung. Er bemerkte dabei, dass der russische Text als offiziell gelten solle, dass die deutsche Seite mit diesem Text einverstanden sei und dass man die deutsche Übersetzung klären wolle. In zwei–drei Tagen werde der präzisierte Wortlaut der deutschen Übersetzung der sowjetischen Delegation zurückgegeben, und am Montag, dem 12. Dezember, könne man sich um acht Uhr abends treffen, um ihn endgültig zu besprechen.34 Auf die entsprechende Frage Merkulovs antwortete Ulbricht, das Protokoll über die Tätigkeit der Aktiengesellschaft Wismut könne ebenfalls am 12. Dezember besprochen werden; an der Besprechung des Protokolls werde von deutscher Seite er, Ulbricht, sowie Selbmann zugegen sein. Damit endete die Verhandlung. Nach der Verhandlung wurde den deutschen Genossen ein leichtes Abendessen gereicht. Die Aufzeichnung der Verhandlung erfolgte durch Stepura RGASPI, f. 82, op. 22, d. 481, Bl. 30–41.

muss und dass die Summen der Kapitalaufwendungen, die in diesen Betrieben vorgenommen wurden, der sowjetischen Seite zurückerstattet werden müssen“. Punkt 15 regelte die Bildung der Kommission (vgl. Dok. 4, Fn. 16). Punkt 16 regelte das Inkrafttreten des Protokolls am Tage seiner Unterzeichnung (dem 5. Mai 1950). 33  Vgl. Dok. 4, Fn. 16. Als Frist für die Arbeit der gemischten paritätischen Kommission wurden unter Punkt 15 (vgl. oben Fn. 32) drei Monate festgelegt. Die Arbeitsergebnisse der Kommission lagen am 30. November 1950 vollständig vor. 34  Vgl. Dok. 6.

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6. Verhandlung zwischen dem Leiter der GUSIMZ Merkulov, dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht und dem Minister für Industrie Selbmann 

12. Dezember 19491

Aufzeichnung der Verhandlung vom 12. Dezember 1949 im Gästehaus der SKK in Berlin. Beginn der Verhandlung um 20:15 Uhr, Ende der Verhandlung um 20:40 Uhr. Teilnehmer: auf sowjetischer Seite2 V.  Merkulov, B.  Kobulov, G. Arkad’ev, V. Skopcov, M. Mal’cev und der Dolmetscher der SKK, Machalov; auf deutscher Seite der stellvertretende Ministerpräsident Walter Ulbricht und der Industrieminister Friedrich Selbmann. Zu Beginn der Verhandlung teilte Merkulov mit, die sowjetische Delegation habe den deutschen Text des Protokollentwurfes zum Thema der Tätigkeit der sowjetischen Betriebe in Deutschland erst vor zwei Stunden von Ulbricht erhalten und sei noch nicht dazu gekommen, ihn durchzulesen. Merkulov fragte Ulbricht, ob man davon ausgehen könne, dass der von der sowjetischen Seite vorbereitete Protokollentwurf seitens der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik akzeptiert worden sei. Ulbricht bestätigte dies und fügte hinzu, dass es seiner Auffassung nach zweckmäßig wäre, wenn die sowjetische Delegation sich mit dem deutschen Text des Protokolls vertraut machte. Merkulov erwiderte, die sowjetische Delegation werde sich am 13. Dezember den Text vornehmen und die deutsche Seite gegebenenfalls über Beanstandungen benachrichtigen. Ulbricht fragte, wann er nach Meinung der sowjetischen Delegation das Ministerkabinett über die laufenden Verhandlungen in Kenntnis setzen solle: jetzt oder in zwei Monaten, d. h. zu einem Zeitpunkt, wenn schon auf der Grundlage des Protokolls praktische Vorschläge ausgearbeitet sein würden. Merkulov erklärte, die sowjetische Delegation betrachte die Aussage Ulbrichts, dass der Text des Protokolls akzeptiert sei, als Meinung der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik.

1  Durchdruck. Die Aufzeichnung der Verhandlung erfolgte durch I.A. Stepura. Das Original ging an Stalin. Kopien dieses Dokuments erhielten Malenkov, Molotov und Mikojan. Dieses Exemplar mit der Ausgangsnummer M/4 übermittelte Merkulov am 16.  Dezember 1949 an Molotov, wo es am 21.  Dezember einging und die Eingangsnummer 6419s erhielt, vgl. RGASPI, f. 82, op. 2, d. 481, Bl. 48. 2  Die hier und im Folgenden kursiv hervorgehobenen Wörter sind im Original maschinenschriftlich unterstrichen.



Dokument 6: 12. Dezember 194937

Ulbricht teilte mit, es habe in dem Zeitraum, der nach dem ersten Treffen3 mit der sowjetischen Delegation verstrichen sei, keine einzige Sitzung des Ministerkabinetts gegeben, und er habe keine Möglichkeit gehabt, über die laufenden Verhandlungen Bericht zu erstatten, doch angesichts der Tatsache, dass Ministerpräsident Grotewohl ihn, Ulbricht, beauftragt habe, zusammen mit Rau und Selbmann die Verhandlungen zu führen, und aufgrund dessen, dass diese keine Einwände gegen den Wortlaut des Protokolls vorgebracht hätten, sei er der Auffassung, dass der Text des Protokolls feststehe. Merkulov antwortete, dass als Ergebnis der Verhandlungen das Protokoll durch die Seiten im Namen und im Auftrage der Regierungen der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und der Deutschen Demokratischen Repu­ blik unterzeichnet werden müsse und dass die Person, welche das Protokoll im Namen der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik unterzeichnen werde, über eine entsprechende Vollmacht seitens der Regierung verfügen müsse. Aus diesem Grunde sei die deutsche Delegation gehalten, bereits jetzt die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik zu unterrichten und eine entsprechende Vollmacht zur Unterzeichnung des Protokolls einzuholen,4 zumal, wie im Protokoll vermerkt, die Gründung einer gemischten paritätischen Kommission zur Ausarbeitung praktischer, auf dem Protokoll fußender Vorschläge erst nach Unterzeichnung des Protokolls möglich sei.5 Ulbricht entgegnete, in diesem Falle werde er am Donnerstag, dem 15. Dezember des laufenden Jahres, in der Sitzung des Ministerkabinetts entsprechend Bericht erstatten,6 und fügte hinzu, es könnten sich dabei einige 3  Vgl.

Dok. 5. Unterzeichnung des SAG-Protokolls in Form einer Regierungsvereinbarung erfolgte erst am 5. Mai 1950 zusammen mit dem Wismut-Protokoll, zu dem eine gesonderte Regierungsvereinbarung abgeschlossen wurde (vgl. Dok. 4, Fn. 7 und 9). Zur Unterzeichnung beider Dokumente erhielt Ulbricht je gesondert eine formelle Ermächtigung durch Grotewohl, vgl. PA AA, MfAA V SOW 003-8 und ebenda, SOW 004-13. 5  Zur Gründung und den Ergebnissen der gemischten paritätischen Kommission zur Ausarbeitung von praktischen Fragen, die sich aus dem Protokoll ergeben, vgl. Dok. 4, Fn. 16. Zu von der Kommission bearbeiteten Detailfragen vgl. Dok. 5, Fn. 9, 20, 24 und 32. 6  Ulbricht erstattete auf der Sitzung des Ministerrats der DDR am 15. Dezember Bericht über das Ergebnis der Verhandlungen, die er zusammen mit Rau und Selbmann im Auftrag Grotewohls mit einer von der SKK beauftragten Kommission über die Tätigkeit der Sowjetischen Aktiengesellschaften in der DDR und die Zweigstelle der „SAG Wismuth“ [sic] geführt hatte. Die Verhandlungsergebnisse selbst wurden in diesem Protokoll nicht dargelegt. Stattdessen heißt es dort: „Die Regierung nahm von den Protokollen, in denen die Ergebnisse dieser Verhandlungen niedergelegt sind, zustimmend Kenntnis und ermächtigte den Stellvertreter des Ministerpräsidenten, Ulbricht, diese Protokolle namens der Regierung der Deutschen Demokratischen Re4  Die

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Schwierigkeiten ergeben, da laut den deutschen Gesetzen dieses Thema vor allem mit dem Minister für Auswärtige Angelegenheiten besprochen werden müsse.7 Merkulov merkte an, er kenne nicht alle Feinheiten der deutschen Gesetze, klar sei jedenfalls, dass eine Vollmacht der Regierung eingeholt werden müsse. Wie das jedoch bewerkstelligt werden könne, sei Sache der deutschen Seite. Ulbricht meinte, er werde in dieser Woche alle notwendigen Schritte unternehmen, um die Vollmacht zur Unterzeichnung des Protokolls zu erhalten, er jedoch sehe den Wortlaut des Protokolls als abgemacht an. Merkulov fragte, ob er der Regierung der Sowjetunion mitteilen könne, dass der Standpunkt Ulbrichts in dieser Frage die Meinung der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik widerspiegele. Ulbricht antwortete, die deutsche Delegation betrachte das Protokoll als abgestimmt, aber da es in der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik auch Repräsentanten bürgerlicher Parteien gebe, schließe er nicht aus, dass diese Repräsentanten anderer Ansicht seien. Er versichere dennoch, dass er bei der Regierungssitzung am Donnerstag, dem 15. Dezember, für eine Billigung des Protokolltextes durch die Regierung sorgen werde. Merkulov fragte, wann die deutsche Delegation eine endgültige Antwort auf diese Frage geben könne. Es wurde vereinbart, am Freitag, dem 16.  Dezember, ein turnusmäßiges Treffen der sowjetischen und der deutschen Delegation abzuhalten, auf welchem Ulbricht über die Ergebnisse seiner Berichterstattung an die Regierung der DDR in der Frage des Protokolls und der Tätigkeit sowjetischer Betriebe in Deutschland informieren werde. Die Aufzeichnung der Verhandlung erfolgte durch Stepura RGASPI, f. 82, op. 2, d. 481, Bl. 49–51.

publik zu unterzeichnen. Die von Ministerpräsident Grotewohl beauftragten Herren haben die Verhandlungen weiterzuführen und für die nächste Ministerratssitzung Vorschläge für die Besetzung der in den Protokollen vorgesehenen Kommissionen und Unterkommissionen zu machen.“ Vgl. BAB, DC 20-1/3/1, Bl. 168–169. Weder über die Zusammensetzung der Kommissionen noch über den Verlauf der Verhandlungen erhielt der Ministerrat jemals Informationen. 7  Vgl. dazu den Bericht Ulbrichts vom 16. Dezember in Dok. 9.



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7. Verhandlung zwischen dem Leiter der GUSIMZ Merkulov, dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht und dem Minister für Industrie Selbmann Streng geheim

12. Dezember 19491

Aufzeichnung der Verhandlung vom 12. Dezember 1949 im Gästehaus der SKK in Berlin. Beginn der Verhandlung um 20:40 Uhr, Ende der Verhandlung um 21:55 Uhr. Teilnehmer: auf sowjetischer Seite2 V.  Merkulov, B.  Kobulov, G. Arkad’ev, M.  Mal’cev und der Dolmetscher der SKK V.  Machalov; und auf deutscher Seite: der stellvertretende Ministerpräsident W. Ulbricht und der Minister für Industrie F. Selbmann. Vor Beginn der Verhandlung über die Tätigkeit der Betriebe der [sowjetischen staatlichen] Aktiengesellschaft Wismut erklärte Ulbricht, dass zum Führen von Verhandlungen in dieser Frage er, Ulbricht, und Selbmann ermächtigt seien.3 Merkulov wies darauf hin, dass die sowjetische Seite es wegen des der deutschen Seite bekannten besonderen Charakters der Produktion4 der Betriebe der Wismut AG für zweckmäßig halte, ein gesondertes Protokoll zu Fragen der Tätigkeit der Betriebe der Wismut AG aufzusetzen.5

1  Durchdruck. Die Aufzeichnung der Verhandlung erfolgte durch I.A. Stepura. Das Original ging an Stalin. Kopien dieses Dokuments erhielten Malenkov, Molotov und Mikojan. Dieses Exemplar mit der Ausgangsnummer M/4 übermittelte Merkulov am 16. Dezember 1949 an Molotov, wo es am 21. Dezember einging und die Eingangsnummer 6419s erhielt, vgl. RGASPI, f. 82, op. 2, d. 481, Bl. 48. 2  Die hier und im Folgenden kursiv hervorgehobenen Wörter sind im Original maschinenschriftlich unterstrichen. 3  Grotewohl hatte am 26. November angekündigt, mit den Verhandlungen über die Tätigkeit der SAG Wismut würden ebenfalls Ulbricht, Rau und Selbmann betraut (vgl. Dok. 4). Rau war an den Verhandlungen zur Wismut nicht beteiligt. Ulbricht selbst erklärte am 7. Dezember, er werde mit Selbmann die Verhandlungen führen (vgl. Dok. 5). Zur Sonderrolle Ulbrichts im Hinblick auch auf Informationen zur Tätigkeit der Wismut vgl. Fn. 6 zu diesem Dokument. 4  Die SAG Wismut entwickelte sich 1949 und in den Folgejahren zum größten Uran-Produzenten im sowjetischen Einflussbereich und bildete eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Verwirklichung des sowjetischen Atombombenprojekts. 5  Zum ursprünglichen sowjetischen Entwurf des Wismut-Protokolls vom 18. November 1949 vgl. UdF  4, S. 668–669, Anm. 164, und zu einer deutschen Fassung dieses Entwurfs, die offensichtlich im Ergebnis der Besprechung vom 12. Dezember 1949 entstand, vgl. Wismut Dokumente, S. 86–88. Diese Fassung des Protokolls wurde am 5. Mai 1950 von Ulbricht und Merkulov als Regierungsvereinbarung zu-

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Beide Seiten seien, erklärte Merkulov weiter, angesichts von deren großer Bedeutung für die Sicherheit der Sowjetunion ebenso wie für die Deutsche Demokratische Republik gleichermaßen an einer erfolgreichen Tätigkeit dieser Betriebe interessiert. Daher sei es notwendig, Maßnahmen zu treffen, um die Betriebe der Wismut AG mit allem Erforderlichen, einschließlich Rohstoffen, Materialien, Arbeitskräften, Brennstoffen, Transportmitteln, Elektroenergie usw. vorrangig zu versorgen. Angesichts des geheimen Charakters der Produktion der Betriebe der Wismut AG sei im Entwurf des Protokolls vorgesehen, dass Informationen über die Tätigkeit dieser Betriebe nur dem Ministerpräsidenten der Deutschen Demokratischen Republik durch einen vom Ministerpräsidenten speziell ernannten Bevollmächtigten6 in einem besonders festgelegten Verfahren vorzulegen sind. Im Protokoll seien zudem einige Verpflichtungen der sowjetischen Seite vorgesehen, die die Schaffung verbesserter Produktions- und Lebensbedingungen für die Arbeiter und Angestellten der Betriebe der Wismut AG, die Zahlung ihrer Löhne zum erhöhten Tarif u. a. betreffen. Sodann verlas Merkulov den Protokollentwurf Punkt für Punkt. Zu Punkt 1, in welchem von der vorrangigen Versorgung der Betriebe der Wismut AG mit allem Notwendigen, insbesondere mit Strom, die Rede ist, bemerkte Selbmann, es habe in der Vergangenheit Fälle gegeben, in denen Wismut-Betriebe ohne vorherige Abstimmung mit den deutschen Behörden eine große Menge Strom entnommen haben, was angesichts des allgemeinen Strommangels dazu geführt habe, dass deutschen Betrieben Schaden zugefügt worden sei. Selbmann erklärte, es müssten Maßnahmen getroffen werden, um die Steigerung der Erzeugung von Strom für den Bedarf der Wismut, etwa in Höhe von 100 000 kW, sicherzustellen. Er bat außerdem, dass die Verteilung und Nutzung von Strom in den Regionen, in denen sich Betriebe der Wismut AG befinden, in Abstimmung mit den entsprechenden deutschen Behörden erfolgen sollte.

sammen mit dem Protokoll zur Arbeit der Sowjetischen Aktiengesellschaften in Deutschland unterzeichnet (vgl. Dok. 4, Fn. 7 und 9). 6  In Punkt 8 des Wismut-Protokolls ist von einer vom Ministerpräsidenten ernannten „Vertrauensperson“ die Rede, über die die notwendigen Informationen zur Tätigkeit der Wismut an diesen weitergeleitet werden sollten (vgl. auch Dok. 103). Für diese Funktion, die in diesem Fall mit der des „Bevollmächtigten“ für die Verhandlungen, aber auch für die Unterrichtung des Ministerrates zusammenfiel (vgl. Dok. 4, Fn. 28 und Dok. 6, Fn. 6), war der stellvertretende Ministerpräsident der DDR Ulbricht möglicherweise bereits am 26.  November 1949 vorgesehen. Pieck erwähnte in seiner Notiz zum Gespräch am 26.  November eine „Vertrauensperson“, allerdings ohne dies zu spezifizieren, vgl. Badstübner/Loth, S. 318.



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Merkulov antwortete, das Bestehen von Schwierigkeiten bei der Stromversorgung der Betriebe der Wismut AG sei der sowjetischen Seite bekannt, und es müssten in der Tat Maßnahmen getroffen werden, um in der Zukunft die Stromerzeugung zu steigern. Diese Steigerung betrage in der nächsten Zeit nicht 100 000 kW, sondern etwa 250 000 kW. Wie die sowjetischen hätten auch die deutschen Organisationen reale Möglichkeiten zur Steigerung der Stromerzeugung, und es sei notwendig, gemeinsame Anstrengungen zur Realisierung dieser Möglichkeiten zu unternehmen. Merkulov wies ferner darauf hin, dass die besondere Wichtigkeit der Betriebe der Wismut AG es erfordere, dass ihre Bedürfnisse an erster Stelle befriedigt werden, was auch in Punkt 1 festgeschrieben sei,7 natürlich, soweit möglich, ohne Schaden für andere Betriebe. Die Versorgung der Betriebe der Wismut AG mit allem Erforderlichen vor allen anderen Betrieben sei, so Merkulov, von den gemeinsamen Interessen beider Seiten diktiert. Nach Unterzeichnung des Protokolls sollen die jeweiligen Mitarbeiter der sowjetischen und deutschen Seite zusammenkommen, um die Erarbeitung von Maßnahmen zur Steigerung der Stromerzeugung zu besprechen. Punkt 2 des Protokollentwurfs8 wurde ohne Bemerkungen angenommen. Zu dem von Merkulov verlesenen Punkt 3, in dem es um die Zuteilung neuer Grundstücke für den Bedarf der Wismut AG geht,9 erklärte Selbmann, er habe keine Einwände gegen die Zuteilung neuer Grundstücke für das Anlegen neuer Gruben. Sollte aber die Wismut oberirdisch bebaute Grundstücke, z. B. für Lagerungswirtschaft, beanspruchen, dann könnten, besonders 7  Punkt 1 des Entwurfs hatte in der am 15. Dezember redigierten deutschen Fassung folgenden Wortlaut: „Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik wird die notwendigen Maßnahmen treffen, um in erster Linie die Zweigstelle der Wismut A. G. und ihre Betriebe mit Arbeitskräften, Materialressourcen, Lebensmitteln und Industriewaren, Brennstoffen, Elektroenergie und Eisenbahntransportmitteln zu versorgen.“ Vgl. Wismut Dokumente, S. 86. Der Text des vorangegangenen sowjetischen Entwurfs vom 18.  November 1949 (vgl. UdF  4, S. 668–669, Anm. 364) unterschied sich in diesem Punkt und in den nachfolgend angeführten Punkten inhaltlich nicht von der hier zitierten Fassung, die am 5. Mai 1950 unterzeichnet wurde (vgl. Fn. 5 zu diesem Dokument). 8  Punkt 2 hatte folgenden Wortlaut: „In den Fällen, wo der Bedarf der Wismut A. G. an Materialien und Ausrüstungen nicht auf Kosten der Ressourcen der Deutschen Demokratischen Republik abgedeckt werden kann, hat die Zweigstelle der Wismut A. G. das Recht, diese in der erforderlichen Menge aus der UdSSR und anderen Ländern einzuführen, wobei die einzuführenden Materialien und Ausrüstungen keiner Verzollung oder irgendwelchen anderen Gebühren unterliegen.“ Vgl. Wismut Dokumente, S. 87. 9  Punkt 3 hatte folgenden Wortlaut: „Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik wird den entsprechenden Stellen Anweisung geben, der Wismut A. G. in notwendigen Fällen neue Grundstücke zuzuweisen.“ Vgl. Wismut Dokumente, S. 87.

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wenn diese Frage vor Ort entschieden werde, einige Schwierigkeiten mit den Vertretern der bürgerlichen Parteien entstehen. Dabei verwies er auf einen Fall, bei dem die Wismut das Gebäude einer Spinnerei (volkseigener Betrieb) als Lager beansprucht habe. Ulbricht sagte, die Wismut werde unbedingt jedes für die Produktion benötigte Grundstück erhalten. Wenn es aber, fuhr Ulbricht fort, in der praktischen Arbeit der Wismut erforderlich werden sollte, der Wismut ein ober­ irdisches Bauwerk zu übergeben, dann sei es zweckmäßig, sich zwecks Entscheidung dieser Frage unmittelbar an ihn zu wenden. Merkulov erläuterte, in Punkt 3 gehe es um die Zuteilung neuer Grund­ stücke nur für Bergwerke, deren oberirdische Werksgelände und für den Bau von Wohngebäuden für die deutschen Arbeiter und Angestellten. Die Punkte 4, 5 und 6 des Protokollentwurfs10 wurden ohne Kommentare angenommen. Punkt 7, in dem es darum geht, nach welchem Verfahren die Höhe der Besteuerung der Wismut-Betriebe festgesetzt werden soll, veranlasste Selbmann zu der Bitte, zu erläutern, wie dieser Punkt praktisch umgesetzt werden solle. Merkulov erläuterte, wegen des geheimen Charakters der Produktion der Betriebe der Wismut solle diese von der Vorlage der Bilanzen und anderer Rechnungsdaten an die Finanzbehörden befreit sein und teilte hierbei mit, dass die Wismut mit der Regierung des Landes Sachsen einen Vertrag auf fünf Jahre geschlossen habe, in welchem die jährliche Summe der Besteue-

10  Punkt 4 hatte folgenden Wortlaut: „Die Zweigstelle Wismut A. G. hat das Recht, ihre gesamte Produktion aus Deutschland nach der Sowjet-Union auszuführen, wobei diese Produktion nicht in den Gesamtexportplan der Deutschen Demokratischen Republik einbezogen wird. Die Bezahlung der ausgeführten Produktion erfolgt teilweise auf Kosten der Einnahmen der Sowjetischen Staatlichen Aktiengesellschaften in Deutschland und teilweise auf Kosten der Reparationslieferungen aus Deutschland.“ Punkt 5 lautete: „Die sowjetische Seite verpflichtet sich, für die in den Betrieben der Zweigstelle der Wismut A. G. beschäftigten Arbeiter und Angestellten eine verbesserte Versorgung mit Lebensmitteln und Industriewaren zu sichern und die Auszahlung des Lohns nach einem erhöhten Tarif zu gewährleisten.“ In Punkt 6 hieß es: „Zur Verbesserung der Wohn- und übrigen Lebensbedingungen der Arbeiter und Angestellten der Zweigstelle der Wismut A. G. in Deutschland übernimmt die sowjetische Seite die Verpflichtung, auf ihre eigenen Kosten im Jahre 1949 150 000 Quadratmeter und im Jahre 1950 160 000 Quadratmeter Wohnfläche zu bauen und in Zukunft den Wohnungsbau in Abhängigkeit von der Erweiterung der Produktionstätigkeit der Zweigstelle der Wismut A. G. durchzuführen. Außerdem wird die sowjetische Seite die notwendigen Maßnahmen treffen für den weiteren Ausbau des Netzes der von der Zweigstelle der Wismut A. G. geschaffenen Polikliniken, Krankenhäuser, Entbindungsheime, Sanatorien, Erholungsheime, Klubs, Kinderkrippen und anderer kultureller Anstalten für die Betreuung der Arbeiter und Angestellten der Betriebe der Wismut A. G. sowie ihrer Familien.“ Vgl. Wismut Dokumente, S. 87.



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rung mit 30 Millionen Mark festgesetzt sei.11 Diese Summe sei für das Jahr 1949 bereits bezahlt. Ulbricht bemerkte, die Regierung des Landes Sachsen sei nicht berechtigt gewesen, einen solchen Vertrag zu schließen, und auf den Einwand Mal’cevs, der Vertrag sei zu einer Zeit geschlossen worden, als eine Regierung der Deutschen Demokratischen Republik noch nicht gebildet gewesen sei, antwortete Ulbricht, in diesem Falle hätte ein solcher Vertrag mit der Deutschen Wirtschaftskommission geschlossen werden müssen. Merkulov wies darauf hin, dass derartige Fragen hinfort über den vom Ministerpräsidenten der Deutschen Demokratischen Republik ernannten Bevollmächtigten entschieden werden. Ulbricht erklärte, ein solcher Bevollmächtigter werde er, Ulbricht, sein.12 Dann schlug Kobulov vor, mit der Entscheidung aller Fragen, die die Tätigkeit der Wismut betreffen, sollten die Gen. Ulbricht, Kobulov und Mal’cev beauftragt werden, die sich zu diesem Zweck in regelmäßigen Abständen treffen sollten. Ulbricht und Selbmann stimmten diesem Vorschlag zu. Die Punkte 8, 9 und 10 des Protokollentwurfs13 wurden ohne Kommentare angenommen. Selbmann erklärte, er habe insgesamt keine Einwände gegen den Protokollentwurf zur Tätigkeit der Wismut. Ulbricht erklärte, von diesem Protokoll werde nur der Ministerpräsident Kenntnis haben, der ihn, Ulbricht, zu dessen Unterzeichnung ermächtigen werde.14

11  Punkt 7 hatte folgenden Wortlaut: „Die Festlegung der Höhe der Besteuerung der Zweigstelle der Wismut A. G. und der Höhe des Pachtentgeldes für die Nutzung der der Zweigstelle der Wismut A. G. zur Ausbeutung zugewiesenen Grundstücke unter und über Tage erfolgt auf der Grundlage allgemeiner Angaben, die den entsprechenden deutschen Stellen von der Zweigstelle der Wismut A. G. vorgelegt werden.“ 12  Zur Bevollmächtigung Ulbrichts zu Verhandlungen vgl. Dok. 4 und 6, zu seiner gleichzeitigen Rolle als „Vertrauensperson“ vgl. Fn. 6 zu diesem Dokument. Zur damit verbundenen Rolle Ulbrichts als „Bevollmächtigter“ zur Regelung von Fragen der SAG Wismut vgl. auch Dok. 103. 13  Zu Punkt 8 des Wismut-Protokolls vgl. Fn. 6 zu diesem Dokument. Punkt  9 lautete: „Nach Liquidierung der Tätigkeit der Zweigstelle der Wismut A. G. wird die sowjetische Seite die gesamten in der Zeit der Tätigkeit der Zweigstelle der Wismut A. G. geschaffenen Immobilien (Dienst- und Industriegebäude, Wohnhäuser, Anlagen aller Art und sonstiges) unentgeltlich in das Eigentum der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik übergeben.“ In Punkt 10 hieß es: „Dieses Protokoll ist ein Geheimdokument, und beide Seiten werden die nötigen Maßnahmen für seine Geheimhaltung treffen.“ Vgl. Wismut Dokumente, S. 88. 14  Vgl. Dok. 6, Fn. 4.

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Merkulov bemerkte, für die Unterzeichnung des Protokolls sei die Ermächtigung durch die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik und nicht durch den Ministerpräsidenten erforderlich. Selbmann bestätigte, dass der Ministerpräsident nicht berechtigt sei, eigenmächtig einen Vertrag mit einem ausländischen Staat zu schließen, denn das sei dann ein Verstoß gegen die Verfassung. Merkulov bemerkte, das Kabinett könne den Ministerpräsidenten ermächtigen, jedes beliebige Abkommen zu schließen. Ulbricht erklärte, in diesem Falle werde er diese Frage dem Kabinett auf der Sitzung vom 15. Dezember d. J. vorlegen und dann die entsprechenden Vollmachten erhalten.15 Danach erklärte Selbmann, er wolle die günstige Gelegenheit wahrnehmen, um mit der sowjetischen Delegation einige Fragen zu besprechen, die die praktische Tätigkeit der Wismut betreffen, insbesondere zu einem Brand, der sich in den letzten Tagen des Oktober in einem der Betriebe der Wismut ereignet habe.16 Merkulov erklärte, nachdem er sich mit den Mitgliedern der sowjetischen Delegation beraten hatte, die sowjetische Delegation habe keine Einwände gegen die Besprechung einiger Fragen der praktischen Tätigkeit der Wismut, aber da die sowjetische Delegation von der Regierung der UdSSR nicht ermächtigt sei, solche Fragen wie beispielsweise die Frage eines Brandes zu erörtern, schlage er, Merkulov, vor, sie nach Beendigung der offiziellen Sitzung über die Prüfung des Protokollentwurfs zu Fragen der Tätigkeit der Wismut zu besprechen. Ulbricht und Selbmann stimmten einer solchen Behandlung der Frage zu. An Ulbricht wurde der russische Text des Protokollentwurfs zu Fragen der Tätigkeit der Wismut sowie eine Übersetzung des Textes ins Deutsche übergeben. Ulbricht erklärte, man werde den deutschen Text der Übersetzung sorgfältig studieren. Falls man Anmerkungen zu machen habe, werde er sie der sowjetischen Delegation mitteilen. Die Frage werde von ihm am 15. Dezember dem Kabinett vorgetragen werden,17 und am 16. Dezember werde er der sowjetischen Delegation die Ergebnisse seines Vortrags mitteilen. Damit war der offizielle Teil der Verhandlung beendet. Auf die Frage des Brandes zurückkommend, erklärte Selbmann, in letzter Zeit habe die Verleumdungskampagne in Westdeutschland gegen die Tätigkeit der Wismut erheblich nachgelassen. Jedoch habe der Brand in der Grube in Johanngeorgenstadt erneut feindselige Ausfälle in der westdeutschen 15  Vgl.

Dok. 6 und dort Fn. 6 sowie Dok. 9. war ein Brand in Bergwerksanlagen der Wismut AG in Johanngeorgenstadt am 24. November 1949. 17  Vgl. Dok. 6, Fn. 6 und Dok. 9. 16  Gemeint



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Presse ausgelöst.18 Ausgebrochen sei er infolge nicht abgestimmten Handelns zwischen der sowjetischen Verwaltung der Wismut und den deutschen Organisationen. Insbesondere sei die Leitung der an den Unglücksort entsandten deutschen Rettungsmannschaften ebenso wie die Leitung der örtlichen Polizeiorgane von der Verwaltung der Wismut nicht an den Unglücksort gelassen worden. Infolgedessen hätten die Polizeiorgane, die über keine genauen ­Angaben über das Unglück verfügten, ihm, Selbmann, von Hunderten Toten und Verletzten bei dem Brand berichtet, und diese Aussagen seien in die Presse gelangt. Mal’cev bemerkte, es sei nur ein Mensch umgekommen, die Übrigen seien gerettet worden.19 Selbmann bestätigte, dass sich die Angaben der Polizei als falsch erwiesen hätten, und verwies auf die Notwendigkeit, die Frage der gegenseitigen Beziehungen zwischen der Verwaltung der Wismut und den deutschen Rettungsdiensten zu erörtern. Ulbricht bemerkte, die Angaben der Polizei über den massenhaften Tod von Untertagearbeitern habe erst der von ihm, Ulbricht, an den Brandort entsandte Staatssekretär des Innenministeriums als unzutreffend feststellen können.20 Ulbricht äußerte die Meinung, der Brand in Johanngeorgenstadt sei das Ergebnis feindlicher Aktionen der aus den Westzonen Deutschlands eingeschleusten faschistischen Agenten.21 18  Rainer Karlsch schreibt von „einer wahren Flut“ von Berichten zur Wismut AG ab Sommer 1947 (vgl. Karlsch/Zeman, Urangeheimnisse, S. 220), dies gilt jedoch nur für Meldungen in der West-Berliner Presse, die von der SED-Führung besonders ernst genommen wurde (vgl. Fn. 19). In der überregionalen Presse der Bundesrepublik erschienen bis Dezember 1949 dagegen nur wenige Beiträge zum Uranbergbau auf dem Territorium der DDR, vgl. Der Spiegel 23/1948 vom 5. Juni 1948 und Die Zeit vom 14. Oktober 1948. Über den erwähnten Brand in einer Grube in Johanngeorgenstadt wurde weder dort noch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung berichtet. 19  Der in West-Berlin erscheinende, der SPD nahestehende Telegraf hatte am 28. November den Brand in Johanngeorgenstadt gemeldet und dabei eine Zahl von 2 500 Toten genannt. Ein deutscher Ingenieur, der zunächst die Rettungsarbeiten leitete, kann sich dagegen nur an 40 Verletzte und einen Toten erinnern, vgl. Karlsch/ Zeman, Urangeheimnisse, S. 239. 20  Ein von Rainer Karlsch befragter Zeitzeuge berichtete nicht über unabgestimmtes Handeln zwischen deutschen und sowjetischen Verantwortlichen, dagegen aber vom Einsatz sowjetischer Soldaten unter Tage. Berichte an Selbmann zu diesem Unglück sind in deutschen Archiven ebenso wenig überliefert wie der Bericht des von Ulbricht entsandten Staatssekretärs. 21  Beim Uranbergbau gab es in dieser Zeit immer wieder Vorfälle, die von der sowjetischen Verwaltung bzw. von der SED als Sabotage gedeutet wurden. Die meisten davon sind bis heute ungeklärt. In der DDR wurden sie später mit künstlerischen Mitteln zu propagandistischen Zwecken genutzt, vgl. den Film „Sonnensucher“ aus dem Jahr 1958 von Konrad Wolf.

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Angesichts der Fälle von Sabotage und aktiver faschistischer Propaganda seitens feindlicher Elemente, die in Betrieben der Wismut stattgefunden hätten, sei es notwendig, Maßnahmen zur Verstärkung der politischen Arbeit in den Wismut-Betrieben zu treffen. Nach Meinung Ulbrichts wäre es zweckmäßig, die örtlichen Organisationen der SED und der Gewerkschaften in den Betrieben der Wismut unmittelbar dem ZV der SED und dem Bundesvorstand der Gewerkschaften zu unterstellen.22 Mal’cev machte den Vorschlag, die Partei- und Gewerkschaftsorgane zu stärken. Ulbricht wies auch auf die Notwendigkeit hin, die Verteilung von Lebensmitteln und Industriewaren unter den Arbeitern der Wismut zu regeln, um unerwünschte Vorkommnisse zu vermeiden. Er berichtete von einem Fall, als eine Verkaufsstelle wegen Desorganisiertheit und einer großen Ansammlung Wartender zu Bruch gegangen sei. Mal’cev bestätigte, dass ein solcher Fall stattgefunden habe. Ulbricht berichtete weiter, dass in den Gebieten der Wismut die Arbeiter auf den Dächern der Züge sitzen. Er schlug vor, den Eisenbahnverkehr [besser] zu regeln. Merkulov bemerkte, in alle diese Fragen müsse Ordnung gebracht werden. Zu den von Ulbricht und Selbmann gestellten Fragen betreffend die Koordinierung der Handlungen der Bergwerk-Rettungsdienste, den Kampf gegen faschistische Agitation und Sabotage feindlicher Elemente, die Verstärkung der parteipolitischen Arbeit und die Regelung von Alltagsfragen sprach sich Kobulov dafür aus, dass mit der Entscheidung dieser Fragen dieselben Genossen, von denen zuvor die Rede gewesen sei, nämlich Ulbricht, Kobulov und Mal’cev, betraut werden sollten. Diesem Vorschlag wurde zugestimmt. Merkulov wies darauf hin, dass es wegen des Fehlens von Rohstoff- und Materialvorräten für die Sicherstellung des Produktionsprogramms für das Jahr 1950 in den Betrieben der Wismut erforderlich sei, dass Ulbricht entsprechende Anweisungen zur Beschleunigung der Entscheidung von Fragen der Versorgung der Betriebe der Wismut erteile, gemäß dem Antrag, der dem

22  Betriebsgruppen der SED waren von der sowjetischen Generaldirektion der Wismut AG erst im Frühsommer 1947 zugelassen worden. Diese Betriebsgruppen wurden bereits im Oktober desselben Jahres zu einer Parteiorganisation der Wismut AG zusammengefasst und als Kreisverband Aue II dem sächsischen Landesvorstand der SED unterstellt. Im Zuge der Expansion der Wismut AG entstanden Betriebsgruppen der SED auch in Thüringen, die dessen SED-Landesvorstand unterstanden. Auf Beschluss des Politbüros der SED vom 31. Januar 1950 wurde die gesamte Parteiorganisation aus den Landesverbänden ausgegliedert und direkt dem Parteivorstand unterstellt. Die Vorbereitungen dazu hatten bereits im Dezember 1949 begonnen, vgl. Burghard Ciesla, Partei in der Partei. Die SED-Gebietsorganisation Wismut (1947– 1949), in: Wismut Studien, S. 228–270, hier S. 237–241.



Dokument 8: 15. Dezember 194947

Ministerium für Planung23 von der Verwaltung für sowjetisches Eigentum in Deutschland übergeben worden sei. Zum Schluss der Besprechung wurden Ulbricht und Selbmann zu einem leichten Abendessen eingeladen. Die Aufzeichnung der Verhandlung erfolgte durch Stepura RGASPI, f. 82, op. 22, d. 481, Bl. 52–59.

8. Unterredung zwischen Außenminister Vyšinskij und Außenminister Dertinger Geheim

Ost-Berlin, 15. Dezember 19491

Aus dem Tagebuch2 von A.Ja. Vyšinskij Heute empfing ich Dertinger, der mir in Begleitung des Staatssekretärs im Außenministerium, Ackermann, und des Leiters der deutschen Vertretung in Moskau, Appelt, einen Gegenbesuch abstattete.3 Nach dem protokollarischen Teil des Gesprächs sprach Dertinger die Lage in Westdeutschland und die Frage der Deutschlandpolitik der Westmächte an. Dertinger bemerkte, in politischen Kreisen Westdeutschlands sei eine Tendenz zur Herstellung von Kontakten mit der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik zu erkennen. Einige wichtige westdeutsche Politiker schlügen jetzt offen vor, einen Kontakt und enge wirtschaftliche Verbindungen mit der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik herzustellen. Dabei bezog er sich auf Äußerungen des stellvertretenden Ministerpräsiden23  Das Ministerium für Planung war 1949 durch die Provisorische Regierung der DDR gebildet worden und bestand bis Oktober 1950, als nach sowjetischem Vorbild eine Staatliche Plankommission gebildet wurde, die die Aufgaben dieses Ministe­ riums übernahm. 1  Original. Das Dokument erhielt im Sekretariat von Vyšinskij am 22.  Dezember die Registriernummer 9382-v. 2  „Tagebuch“ ist ein aus der russischen Kanzleisprache übernommener Begriff des Auswärtigen Dienstes der UdSSR für Gesprächsaufzeichnungen. 3  Der von Dertinger angeregte Besuch des sowjetischen Außenministers in OstBerlin (vgl. Dok. 2, Fn. 14) kam vom 14. bis 15. Dezember 1949 zustande. Vyšinskij zog daraus die mehrdeutige Schlussfolgerung: „Notwendig ist, den schnellstmög­ lichen Abschluss eines Friedensvertrags zu erreichen. Es ist notwendig, alle Hindernisse auf diesem Weg zu überwinden, denn der Abschluss des Friedensvertrags, das ist für Deutschland der Weg in die Familie der friedliebenden Völker“ (vgl. AVP RF, f. 07, op. 22, p. 24, d. 5, Bl. 68). Im Sprachgebrauch Vyšinskijs war es die UdSSR, die an der Spitze dieser Familie stand.

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ten von Bayern, Müller, und des stellvertretenden Ministerpräsidenten von Niedersachsen.4 Ackermann äußerte die Vermutung, dass die Westmächte derzeit darauf hinarbeiten, mit Westdeutschland einen Separatfriedensvertrag zu schließen. Danach werden sie nach seiner Meinung die Frage eines Beitritts Westdeutschlands zum Atlantikpakt5 aufwerfen. Dertinger widersprach Ackermann und sagte, die Westmächte würden offenbar nicht so weit gehen, unmittelbar einen Separatfriedensvertrag mit Westdeutschland zu schließen, sondern sie würden versuchen, das Besatzungsstatut durch irgendein „Friedensstatut“ zu ersetzen, das dann wie ein Friedensvertrag angesehen würde. Dertinger ist ebenfalls der Meinung, dass die Westmächte bestrebt seien, Westdeutschland an den Atlantikpakt anzuschließen. Ich sagte, die Politik der Westmächte laufe eben darauf hinaus, dass angestrebt werde, Westdeutschland an den Atlantikpakt anzuschließen und es zur Realisierung ihrer aggressiven Pläne zu benutzen, und fügte hinzu, dass die Bedeutung des Atlantikpakts angesichts der Widersprüche zwischen den Unterzeichnerstaaten und im Hinblick auf schwerwiegende innere Widersprüche in diesen Ländern nicht6 überschätzt werden sollte. Des Weiteren sprach ich die Überzeugung aus, dass das deutsche Volk, ein Volk mit einer hochent­ wickelten Kultur und mit gereiften patriotischen Gefühlen, es nicht zulassen werde, dass sein Land zu einer Kolonie wird. Die bloße Existenz der Deutschen Demokratischen Republik, die weitere Entwicklung ihrer Wirtschaft und Kultur und die Verbesserung des Wohlstands des Volkes werde die Bevölkerung Westdeutschlands davon überzeugen, dass der deutsche demokra4  Stellvertretender Ministerpräsident in Niedersachsen war als Minister für Landwirtschaft und Forsten von Juni 1948 bis Juni 1950 Günther Gereke. Gereke hatte schon seit Mai 1949 Kontakte mit Vertretern der SBZ/DDR, u. a. mit Dertinger, unterhalten und war in Konflikt mit Adenauer geraten. Im Juni 1950 schloss er in OstBerlin einen Vertrag über ein Kompensationsgeschäft ab und traf sich dabei mit ­Ulbricht, was sein Ausscheiden aus der CDU und der niedersächsischen Regierung zur Folge hatte. Vgl. Winterhager, Gereke, S. 58–61. Vgl. auch den Bericht in Der Spiegel 24/1950, S. 5–6. Zu Äußerungen Josef Müllers vgl. Dok. 12, Fn. 9. All die Kontakte, über die Dertinger berichtete, kamen gegen den wiederholt erklärten Willen Adenauers und der Bundesregierung zustande. 5  Der am 4. April 1949 durch die Außenminister der USA, Großbritanniens, Frankreichs, der Niederlande, Belgiens, Luxemburgs, Kandas, Italiens, Norwegens, Dänemarks (mit Grönland), Islands und Portugals unterzeichnete und am 24. August 1949 ratifizierte Nordatlantikvertrag (veröffentlicht in: Europa-Archiv 1949, S. 2071–2072). Seine Geltungsdauer betrug zunächst 20 Jahre. Er bildet die Grundlage der North Atlantic Treaty Organisation (NATO), die wiederum die Inhalte dieser internationalen Vereinbarung garantiert. Von 1949 bis April 1952 befand sich das NATO-Hauptquartier in Washington, D.C., anschließend bis 1967 in Paris. 6  Im Original handschriftlich gestrichen: „über Gebühr“.



Dokument 9: 16. Dezember 194949

tische Staat im Osten Deutschlands auf dem richtigen Weg ist. Die Deutsche Demokratische Republik könne alle demokratischen und patriotischen Kräfte Deutschlands unter der Idee der Einheit Deutschlands auf demokratischer Basis vereinen. Der Umstand, dass es in der Deutschen Demokratischen ­Republik verschiedene Parteien gebe und dass die Programme dieser Parteien nicht gleich seien, könne ihrem gemeinsamen Kampf um die Einheit Deutschlands nicht im Wege stehen. Dertinger erklärte, er sei diesbezüglich genau derselben Ansicht. Beim Hinausgehen erklärte Dertinger, Grundlage der Außenpolitik der Deutschen Demokratischen Republik sei die aufrichtige Freundschaft zur Sowjetunion, und er sehe seine Aufgabe darin, diese Freundschaft mit allen Mitteln zu festigen.7 Bei dem Gespräch war Genosse Puškin anwesend.

A. Vyšinskij8

AVP RF, f. 07, op. 22, p. 24, d. 5, Bl. 64–66.

9. Verhandlung zwischen dem Leiter der GUSIMZ Merkulov, dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht, dem Minister für Planung Rau und dem Minister für Industrie Selbmann 

16. Dezember 19491

Aufzeichnung der Verhandlung im Gästehaus der SKK in Berlin am 16. Dezember 1949. Beginn der Verhandlung um 15:00 Uhr, Ende der Verhandlung um 15:35 Uhr. Teilnehmer: auf sowjetischer Seite2 V.  Merkulov, B.  Kobulov, G. Arkad’ev, V. Skopcov und der Dolmetscher der SKK V. Machalov; und auf deutscher Seite: der stellvertretende Ministerpräsident W. Ulbricht, der Minister für Planung H. Rau und der Minister für Industrie F. Selbmann.

7  Zur

Position Dertingers gegenüber der UdSSR vgl. auch Dok. 2, Fn. 4.

8  Handschriftlich.

1  Durchdruck. Die Aufzeichnung der Verhandlung erfolgte durch I.A. Stepura. Das Original ging an Stalin. Kopien dieses Dokuments erhielten Malenkov, Molotov und Mikojan. Dieses Exemplar mit der Ausgangsnummer M/5 übermittelte Merkulov am 16. Dezember 1949 an Molotov, wo es am 21. Dezember einging und die Eingangsnummer 6418s erhielt. 2  Die hier und im Folgenden kursiv hervorgehobenen Wörter sind im Original maschinenschriftlich unterstrichen.

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Zu Beginn der Verhandlung teilte Merkulov mit, dass er heute, am 16. Dezember, von Ulbricht einen Brief mit beigefügtem deutschen Text der Protokolle zu Fragen der Tätigkeit sowjetischer Betriebe und zu Fragen der Tätigkeit der Abteilung der [sowjetischen staatlichen] Aktiengesellschaft Wismut in Deutschland erhalten habe3 und dass die sowjetische Delegation nach Prüfung des Textes keine Anmerkungen zur deutschen Übersetzung der Protokolle habe. Somit betrachte die sowjetische Seite die Protokollentwürfe als zwischen den Parteien abgestimmt. Weiter machte Gen. Merkulov einige Anmerkungen zur technischen Ausgestaltung der Protokolle vor ihrer Unterzeichnung. Sodann bat Merkulov Ulbricht, sofern möglich, mitzuteilen, wie die Diskussion der Frage der zwischen den Delegationen geführten Verhandlungen auf der Sitzung der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik verlaufen sei. Ulbricht berichtete, alles sei sehr einfach verlaufen: Er habe gegenüber dem Kabinett die große Bedeutung beider Protokolle für Deutschland begründet und danach den Text dieser Protokolle in voller Länge verlesen.4 Der stellvertretende Ministerpräsident Nuschke, der bei dieser Kabinettssitzung den Vorsitz innegehabt habe, habe die Kabinettsmitglieder gefragt, ob sie nicht Anmerkungen zum Inhalt der Protokolle zu machen hätten, und vorgeschlagen, dass Ulbricht ermächtigt werden solle, diese Protokolle im Namen der Provisorischen Regierung der Deutschen Demokratischen Republik zu unterzeichnen. Der stellvertretende Ministerpräsident Kastner habe erklärt, diese Protokolle seien ein Schritt vorwärts in den gegenseitigen Beziehungen zwischen Deutschland und der Sowjetunion. Ulbricht teilte außerdem mit, er habe vor seiner Ausführung auf der Sitzung dem neben ihm sitzenden Außenminister Dertinger die Protokolle zur Kenntnisnahme vorgelegt und sie anschließend wieder zurückgenommen. Merkulov fragte, ob über die Protokolle abgestimmt worden sei und ob die anderen Mitglieder der Regierung Kenntnis von den zurückliegenden Verhandlungen gehabt hätten. Ulbricht antwortete, es seien alle notwendigen Formalitäten eingehalten worden, und beide Protokolle seien vom Kabinett einstimmig angenommen worden.5 Von den anderen Regierungsmitgliedern habe von den Verhandlungen nur Außenminister Dertinger, den er eine Woche zuvor über die Verhandlungen informiert habe,6 ungefähre Kenntnis gehabt. 3  Zum deutschen Text des Wismut-Protokolls vgl. Wismut Dokumente, S. 86–88. Zur Herleitung vgl. Dok. 7 und dort Fn. 5. 4  Vgl. Dok. 6, Fn. 6. 5  Vgl. Ulbrichts abschließende Bemerkungen in Dok. 6 sowie dort Fn. 6. 6  Dafür konnte in deutschen Archiven kein Beleg ermittelt werden. Vgl. aber Ulbrichts am 12. Dezember (Dok. 6) geäußerte Befürchtung, es könne angesichts seiner Informationspflicht gegenüber Dertinger „Schwierigkeiten“ geben.



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Merkulov äußerte seine Befriedigung über die Mitteilung Ulbrichts und sagte, er werde der Regierung der Sowjetunion über die Ergebnisse der Verhandlungen berichten und um Ermächtigung zur Unterzeichnung bitten.7 Nach dem Erhalt der Vollmachten werde man einen bestimmten Tag zur Unterzeichnung der Protokolle ansetzen und sich über das Verfahren einigen können. Es bleibe nur, fügte Merkulov hinzu, sich gegenseitig zum erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen zu beglückwünschen, die einfacher verlaufen seien als zunächst angenommen. Selbmann bemerkte, es habe keinen Grund gegeben, an irgendwelche Komplikationen zu denken. Merkulov erinnerte daran, dass es Ulbricht gewesen sei, der von möglichen Komplikationen gesprochen habe und unterschiedliche Sichtweisen auf die Verhandlungen seitens der Vertreter der der Regierung angehörenden bürgerlichen Parteien nicht ausgeschlossen habe. Ulbricht bestätigte dies und sagte, das stärkste Argument, das den entscheidenden Einfluss auf die Vertreter der bürgerlichen Parteien ausgeübt habe, sei die Tatsache gewesen, dass der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik von der sowjetischen Seite 23 Betriebe übergeben worden seien.8 Sodann erklärte Selbmann, er wolle dem Gen. Kobulov inoffiziell einige Fakten darüber zur Kenntnis bringen, dass sowjetische Betriebe, wie er schon bei einem der Gespräche ausgeführt habe, Kompensationsgeschäfte unter Verstoß gegen die festgesetzten Regeln getätigt haben.9 Merkulov antwortete, die sowjetische Delegation habe keine Einwände dagegen, die Fragen, die Selbmann zu stellen wünsche, inoffiziell zu erörtern. Selbmann berichtete von Fällen, in denen Schreibmaschinen der Marke „Olympia“ und Briketts zu niedrigeren Preisen als den von den deutschen Behörden festgesetzten in die Westzonen verkauft worden seien.

7  Im AVP RF konnte dafür kein Beleg ermittelt werden. Die Unterzeichnung des Protokolls erfolgte mit unwesentlichen Änderungen in Form einer Regierungsvereinbarung erst am 5. Mai 1950 in Moskau zusammen mit dem Protokoll zu den SAGBetrieben, das ebenfalls den Rang einer zwischenstaatlichen Vereinbarung erhielt, vgl. Dok. 6, Fn. 4. 8  Vgl. Dok. 5, Fn. 21 und 24. 9  Zur Kritik Selbmanns an Kompensationsgeschäften der SAG vgl. bereits Dok. 5. Die Kompensationsgeschäfte der SAG mit westdeutschen Firmen stellten aus Sicht der DDR bis zur Auflösung der SAG 1953 ein ungelöstes Problem dar, da die SAG auch weiterhin Produkte unter Bedingungen verkauften, die die Preise für andere Produkte aus der DDR verdarben, vgl. Peter E. Fäßler, Durch den „Eisernen Vorhang“. Die deutsch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen 1949–1969, Köln 2006, S. 86.

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Außerdem sagte er, sowjetische Betriebe hätten Kompensationsgeschäfte innerhalb der Republik getätigt, indem sie Waren gegen Lebensmittel für den Bedarf der Arbeiter und Angestellten getauscht hätten. Kobulov antwortete, die Kompensationsgeschäfte innerhalb der Republik seien, wie er schon früher gesagt habe, nach der Bildung der Deutschen Wirtschaftskommission, d. h. seit März 1948, eingestellt worden, und was die Kompensationsgeschäfte mit den Westzonen betreffe, so seien sie auf breiter Basis praktiziert worden und würden weiter praktiziert, jedoch bei obligatorischer Registrierung jedes solchen Geschäfts bei den deutschen Behörden. Diese Geschäfte, so Gen. Kobulov, seien eine der Quellen der Sicherstellung der materiell-technischen Versorgung der sowjetischen Betriebe und deswegen erfolgt, um die Produktionspläne überzuerfüllen. Ulbricht sagte, der Begriff der Kompensationsgeschäfte müsse jetzt überhaupt geändert werden, denn einige Genossen würden als Kompensationsgeschäfte solche Geschäfte ansehen, die die Sicherstellung der Versorgung von Betrieben zum Ziel haben. Kobulov fügte hinzu, dass, wenn seitens sowjetischer Betriebe Verstöße gegen die von ihm erwähnte Ordnung der Tätigung von Kompensationsgeschäften vorgekommen seien, die Schuldigen bestraft worden seien und auch in Zukunft bestraft werden. Er bat Selbmann, ihm Materialien zu derartigen Fällen zu übergeben, damit sie untersucht und die Schuldigen zur Verantwortung gezogen werden können, denn insbesondere von dem Geschäft mit den Schreibmaschinen sei ihm, Kobulov, nichts bekannt. Selbmann teilte mit, dass, während die Preise für Brikett seinerzeit von den deutschen Behörden auf 31 Mark pro Tonne festgesetzt worden seien, sowjetische Betriebe sie für 28 Mark verkauft hätten, womit sie den normalen Handel hintertrieben hätten. Merkulov bemerkte, es gehe, wie er verstehe, um Fakten, die in der Vergangenheit stattgefunden haben, und um sie in Zukunft nicht zu wiederholen, müsse auf sie reagiert werden, deshalb sollten die im Besitz der deutschen Seite befindlichen einschlägigen Materialien dem Gen. Kobulov übergeben werden, der sie prüfen und die notwendigen Maßnahmen ergreifen werde, wonach er diese Frage mit Rau oder Selbmann erörtern werde. Selbmann bemerkte, die entscheidende Frage sei die Frage der Preise. Merkulov sagte, jedenfalls werde die sowjetische Seite Maßnahmen treffen, damit sowjetische Betriebe nicht gegen deutsche Gesetze verstoßen. Kobulov machte den Vorschlag, er werde eine Instruktion zur Ordnung der Tätigung von Kompensationsgeschäften erarbeiten, sie Ulbricht zur Bestätigung vorlegen, und die sowjetischen Betriebe würden sich hinfort streng an diese Instruktion halten.10 10  Eine

solche Instruktion konnte nicht nachgewiesen werden.



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Ulbricht stimmte diesem Vorschlag zu. Damit war die Verhandlung beendet. Die Aufzeichnung der Verhandlung erfolgte durch Stepura RGASPI, f. 82, op. 2, d. 481, Bl. 61–65.

10. Unterredung zwischen Außenminister Vyšinskij und Außenminister Dertinger Geheim

Moskau, 20. Dezember 19491

Aus dem Tagebuch2 von A.Ja. Vyšinskij Heute empfing ich den Außenminister der Deutschen Demokratischen Republik, G. Dertinger, der mir einen offiziellen Besuch abstattete. Dertinger kam in Begleitung des Leiters der diplomatischen Mission der Deutschen Demokratischen Republik in Moskau, R. Appelt. Nachdem er mir die persönlichen Grüße des Staatspräsidenten W. Pieck überbracht hatte, sprach Dertinger seinen Dank dafür aus, dass die deutsche Delegation die Möglichkeit habe, an der Feier zum 70. Geburtstag des Genossen Stalin teilzunehmen,3 und sagte, die deutsche Delegation bringe die 1  Durchdruck, der keine Registraturnummer erhielt, aus der Ablage Vyšinskijs. Das Original ging an Stalin. Kopien erhielten: Molotov, Malenkov, Berija, Mikojan, Kaganovič, Bulganin, Gromyko, Zorin, Lavrent’ev, Gusev, Podcerob, die Dritte Europäische Abteilung und die Protokollabteilung. 2  „Tagebuch“ ist ein aus der russischen Kanzleisprache übernommener Begriff des Auswärtigen Dienstes der UdSSR für Gesprächsaufzeichnungen. 3  Dertinger war als Mitglied der DDR-Delegation zur Feier von Stalins 70. Geburtstag nach Moskau gereist. Diese Delegation wurde in Vertretung Wilhelm Piecks von Walter Ulbricht angeführt. Weiterhin gehörten ihr an: die Minister Wandel, Steidle und Loch, die Landespolitiker Ebert, Moltmann, Schwarze und Frölich, darüber hinaus je ein/e Vertreter/in des Demokratischen Frauenbundes, der FDJ, der Jungen Pioniere und des FDGB sowie Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kultur und Industrie. Neben der Regierungsdelegation waren auch eine Delegation von Eisenbahnern sowie eine Delegation der FDJ nach Moskau gereist. Koordiniert vom Ministerrat der DDR, der selbst die Erklärung „Freundschaft für immer mit Stalin“ zur Unterschrift durch alle Mitglieder der Provisorischen Regierung vorbereitet hatte (vgl. BAB, DC 20-I/3/1), brachten die ostdeutschen Gäste Geschenke für Stalin mit, darunter Meißner Porzellan und das Modell eines Planetariums, das aus Spenden der Werktätigen der gesamten Republik in Jena hergestellt werden sollte (vgl. Dok. 15, Fn. 8). Am 21. Dezember 1949 wurde im Moskauer Bolschoi-Theater ein Festakt zu Stalins 70. Geburtstag veranstaltet, einen Tag darauf fand im Georgssaal des Kreml ein Staatsbankett statt. Die Delegationen kehrten am 27. Dezember zurück nach Ber-

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Gefühle und Gedanken der gesamten Bevölkerung der Deutschen Demokratischen Republik zum Ausdruck. Ich bemerkte, dass nach unserer Meinung die deutsche Delegation im Namen ganz Deutschlands sprechen könne. Ich sagte, wir machen prinzipiell keinen Unterschied zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und ganz Deutschland. Dertinger merkte an, mein Besuch in Berlin sei in Westdeutschland auf anhaltende Resonanz gestoßen,4 da er deutlich den Unterschied in den Souveränitätsrechten der beiden Teile Deutschlands demonstriert habe. In Westdeutschland würden die dorthin reisenden Politiker der Westmächte die Minister zu sich zitieren und ihnen Befehle erteilen,5 während mein Berlin­ besuch davon zeuge, dass das Prinzip der Gleichberechtigung der Staaten anerkannt werde. Dertinger verwies zudem darauf, dass besonders zahlreiche und seriöse Kommentare in der Presse der französischen Zone erschienen seien.6 lin, Ulbricht, der in der Nacht vom 26. zum 27.  Dezember von Stalin empfangen wurde (vgl. LPS, S. 528), einen Tag später. 4  Vyšinskij hatte Ost-Berlin vom 14.  bis 16.  Dezember 1949 besucht, vgl. DAPDDR 1, S. 239–245 und Neues Deutschland, 15.–18. Dezember 1949. Der Besuch fand in der gesamten ost- und westdeutschen Presse ein Echo, vgl. auch Neue Zeit, 18. Dezember 1949, und Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16. und 18. Dezember 1949. 5  Der US-Außenminister Acheson bereiste vom 11. bis 14. November 1949 die Bundesrepublik und West-Berlin (vgl. dazu auch Dok. 2, Fn. 14). Anders als von Dertinger behauptet, stattete er am Sonntag, dem 13. November, der Bundesregierung in Bonn einen Besuch ab, bei dem es unter anderem um Kritik der SPD an den Ergebnissen der Außenministerkonferenz der drei Westmächte vom 9. bis 11. November 1949 in Paris und um den Wunsch der Bundesregierung nach einer völkerrechtlichen Beendigung des Kriegszustandes ging, vgl. AAPD (1949/50), Nr. 9, S. 18–21 und Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. und 14. November 1949. Erst später besuchten die Außenminister der anderen westlichen Alliierten die Bundesrepublik: Der französische Außenminister Schuman bereiste die Bundesrepublik und West-Berlin vom 13. bis 16.  Januar 1950 und stattete ebenfalls der Bundesregierung sowie dem Bundespräsidenten einen Besuch ab, vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. bis 17. Januar 1950. Ein Besuch des britischen Außenministers Morrison erfolgte erst vom 18. bis 21. Mai 1951, vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17. bis 22. Mai 1951. 6  Möglicherweise bezog sich Dertinger dabei auf Reaktionen auf ein Interview, das er der westdeutschen Presseagentur dpa Ende November 1949 gegeben hatte. Darin hatte er erklärt: „Die Sicherheitsforderungen, die der Westen und insbesondere Frankreich berechtigterweise an Deutschland stellen, können nur von einem neuen, demokratischen, wahrhaft friedliebenden Gesamtdeutschland erfüllt werden, niemals aber von dem abgespaltenen Westdeutschland, dessen Regime in seinem Bestand von den aggressiven nationalistischen Kräften abhängig ist.“ Gleichzeitig hatte sich Dertinger bei dieser Gelegenheit scharf gegen eine „Verzichtserklärung auf das Saargebiet“ ausgesprochen. Vgl. Neue Zeit, 3. Dezember 1949, S. 1; vgl. dazu auch Entwurf eines



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Des Weiteren sagte Dertinger, die Franzosen sollten mehr auf die Deutsche Demokratische Republik zählen. Sie stünden vor der Alternative: entweder „Hilfe“ nach dem Marshallplan7 oder Freundschaft mit dem Osten. Ich bemerkte, dass derzeit zwischen den Engländern und den Amerikanern große Widersprüche bezüglich der Bewaffnung [Westdeutschlands] bestünden, die unter dem Vorwand eines drohenden militärischen Angriffs seitens der Sowjetunion betrieben werde. Dertinger sagte, nach seiner Meinung werde in dem Moment, in dem die Völker Westeuropas verstehen, dass die sowjetische Politik tatsächlich Friedenspolitik ist, der ganze Block auf der Basis des „Marshallplans“ zusammenbrechen.8 Ich bemerkte, dass er schon jetzt eher eine juristische Fiktion als ein tatsächliches Bündnis sei.

Interviews von DDR-Außenminister Dertinger mit dpa, 28. November 1949, in: PA AA, MfAA A, Bd. 15532, Bl. 32–34. 7  Der Marshallplan wurde im Juni 1947 durch US-Außenminister George Marshall als Programm für den Wiederaufbau und die Entwicklung Europas („European Recovery Program“) konzipiert. Er entwickelte sich in Kontinuität zur US-Wirtschaftspolitik während und nach dem Zweiten Weltkrieg (vgl. Majskij, Wirtschaftpolitik der USA nach dem Kriege, 14.  November 1945, in: AVP RF, f. 06, op. 7, p. 18, d. 184, Bl. 38–88) und bildete die Antwort der USA auf die wirtschaftliche Nachkriegskrise in der Mehrheit der Staaten Europas und Asiens. Er basierte auf der Gewährung umfangreicher Wirtschaftshilfen durch die USA und zielte auf die Durchsetzung der Prinzipien der freien Marktwirtschaft über nationale Grenzen hinweg. Ein Teilnehmerstaat des Hilfsplans musste mit den Vereinigten Staaten und mit anderen Partnern Abkommen schließen. Darin festgelegt wurden Verpflichtungen, zur Erhöhung der industriellen und landwirtschaftlichen Produktion beizutragen, die nationale Währung zu stabilisieren, an der Beseitigung von Zollschranken im gegenseitigen Handel zu arbeiten, Rohstoffe zu fördern und den Vereinigten Staaten unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit zu deren Ankauf zu bieten u. a. Der Plan fixierte aber auch neue Konturen der amerikanischen Außenpolitik, indem er keine Unterschiede zwischen den vormaligen Kriegsgegnern machte. Dementsprechend wurden Österreich und auch Westdeutschland seit 1947 in diesen Plan einbezogen. Die UdSSR betrachtete den Marshallplan als gegen sich und ihre Verbündeten gerichtet (vgl. UdF 3, S. LXV) und unterband bereits im Sommer 1947 die Teilnahme Polens und der Tschechoslowakei an der Umsetzung des „European Recovery Program“, für die am 16. April 1948 die „Organisation for European Economic Co-operation“ (OEEC) gegründet wurde, der zunächst ausschließlich Staaten im amerikanischen Einflussbereich in Europa angehörten: Belgien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Irland, Island, Italien, Luxemburg, Norwegen, Niederlande, Österreich, Portugal, Vereinigtes Königreich, Schweden, Schweiz, Türkei und Westdeutschland. 8  Dertinger war zum ersten Mal am November 1948 als Mitglied einer Delegation des Deutschen Volksrats nach Moskau gereist. Sein Bericht über diese Reise gipfelte in dem Satz: „Die Sowjetunion, das ist der Friede.“ Vgl. Neue Zeit, 14. November 1948, S. 3.

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Dertinger sprach die vorteilhaften Veränderungen an, die in jüngster Zeit in unserem Land stattgefunden haben, und sagte, sein persönlicher Besuch in unserem Land überzeuge ihn besser als alles andere von der Richtigkeit der Politik unserer Regierung. Er habe zum Beispiel bei seinem Besuch der Sow­jetunion im vergangenen Jahr persönlich die innere Gewissheit gewonnen, dass der von ihr gegenwärtig verfolgte Kurs der richtige sei. In Deutschland gebe es bereits jetzt eine so große Zahl von Menschen, die selbst die Sowjet­union besucht hätten, dass schon ausgeschlossen sei, dass sie in den verleumderischen Berichten über die UdSSR etwas anderes als Lügen sähen. Menschen, die die Sowjetunion besucht hätten, würden zu wahren Zeugen für die UdSSR und den Frieden.9 Ich stimmte ihm zu und merkte an, unter welch schweren und ungünstigen Bedingungen wir unser Land geschaffen und aufgebaut haben. Ich wies darauf hin, dass der letzte Krieg für beide Seiten schrecklich gewesen sei und zu großen Zerstörungen geführt habe. Ich sei aber überzeugt, dass das deutsche Volk, ein Volk mit einer alten Kultur und großem Fleiß, es schaffen werde, sein Land schnell wieder aufzubauen. Ich hätte mich in Berlin davon überzeugen können, dass in Ostdeutschland mit dem Aufbau begonnen worden sei, was 1945–47 noch nicht der Fall gewesen sei. Dertinger antwortete, der Oberbürgermeister von Berlin, Ebert, studiere sorgfältig die Bautätigkeit des Moskauer Stadtsowjets in Moskau.10 Im Zusammenhang mit der Erwähnung des Namens des Präsidenten Ebert11 sagte ich, Präsident Ebert stehe symbolisch für die gesamte Weimarer Epoche. Die Weimarer Verfassung sei nach meiner Ansicht nicht schlecht gewesen. Dertinger sagte, die Anglo-Amerikaner hätten mit der Bonner Verfassung gezeigt, was sie wirklich wollen, nämlich immerwährende Besatzung. Das Gespräch dauerte 20 Minuten. Bei dem Gespräch war der Attaché der Dritten Europäischen Abteilung, Gen. S.I. Dorofeev, anwesend.

A. Vyšinskij

AVP RF, f. 07, op. 22, p. 24, d. 5, Bl. 69–71. 9  Die UdSSR lud seit 1947 gezielt Delegationen von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus der SBZ (zum Teil mit westdeutscher Beteiligung) nach Moskau ein. Umgekehrt wurden sowjetische Delegationen nach Ost-Berlin eingeladen. Über diese wechselseitigen Reisen wurde intensiv in der ostdeutschen Presse berichtet. Zwischen dem 18. April 1947 und Dezember 1948 lassen sich mindestens 18 derartige Berichte im Neuen Deutschland nachweisen. 10  Der Ost-Berliner Oberbürgermeister Friedrich Ebert gehörte zur DDR-Delegation, vgl. Fn. 3. 11  Gemeint ist der erste Reichspräsident Friedrich Ebert, Vater des Ost-Berliner Oberbürgermeisters.



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11. Aufzeichnung des Ersten Rates der Mission der DDR in Moskau Wolf 

Berlin-Ost, 31. Dezember 19491

Die Tätigkeit der Diplomatischen Mission in Moskau steht auch weiter unter dem Zeichen der Freundschaft, Aufgeschlossenheit und des äußersten Entgegenkommens der verschiedenen sowjetischen Stellen sowohl, als auch der Vertreter der Volksdemokratien und Chinas. In letzter Zeit wurde jedoch immer häufiger gefragt, ob und wann neue Mitarbeiter erwartet würden und wann die Mission ihre normale Tätigkeit aufzunehmen gedenke. Die Erklärungen, daß noch keine Mitarbeiter vorhanden seien und daher der Rat und der 1. Sekretär sämtliche technische Angelegenheiten (einschließlich der Botengänge) selbst erledigen mußten, daß noch keine normale Verbindung zum Ministerium bestehe etc., werden zwei Monate nach Beginn unserer Tätigkeit schon mit sichtbarem Erstaunen aufgenommen. Ferner dürfte unser Hinweis auf räumliche Schwierigkeiten mit der Übergabe des Gebäudes (voraussichtlich in den ersten Tagen des neuen Jahres)2 hinfällig werden. Zur Zeit besteht die Mission aus: dem Chef der Mission, Herrn Appelt, dem Rat, Herrn Wolf, dem Leiter der Konsularabteilung, Herrn Schütz und einer Sekretärin für russischen Schriftwechsel (die zur Zeit krank ist). Bei dieser Besetzung ist es nicht einmal möglich, den vom Protokoll vorgeschriebenen Verpflichtungen der Mitarbeiter nachzukommen und auch nur einigermaßen mit der Erfüllung der wirklichen Aufgaben zu beginnen. Mit der Lösung der Personalfrage wäre die Aufnahme der normalen Tätigkeit, wie sie von den Vertretungen der anderen demokratischen Staaten in Moskau geleistet und unverkennbar auch von uns erwartet wird, durchaus möglich. Mit dem Studium der Erfahrungen der Sowjetunion, der Erfüllung von Aufträgen der einzelnen Ministerien und Organisationen (wie sie z. B. vom Volksbildungsministerium bereits vorliegen), der Anknüpfung kultureller Verbindungen und der Information über alle Vorgänge in der Deutschen Demokratischen Republik und in Westdeutschland, den Aufgaben des Handels1  Original. Am Kopf des Dokuments vermerkte Markus Wolf handschriftlich: „Herrn Mutius mit der Bitte, ein Exemplar für Herrn Minister Dertinger und drei Durchschläge für mich anfertigen zu lassen. M. Wolf“, dahinter notierte Mutius am 31. Dezember mit seinem Kurzzeichen: „erl[edigt].“ Links vermerkte Kegel am 10. Januar 1950: „Mappe UdSSR“. 2  Gemeint ist das Gebäude der ehemaligen Botschaft des Deutschen Reiches in der Stanislavskij-Str. 10. Allerdings verzögerte sich dessen Übergabe, vgl. Dok. 12 und dort Fn. 3. Sie kam erst 1951 zustande, vgl. Dok. 30, Fn. 10.

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rats, der unabsehbaren Menge konsularischer Arbeit und nicht zuletzt den gesellschaftlichen Verpflichtungen könnte die Mission in kürzester Zeit die im Stellenplan vorgesehenen zehn diplomatischen und 40 technischen Mitarbeiter beschäftigen.3 Um wenigstens provisorisch mit der Arbeit beginnen zu können und die Gefahr unerwünschter politischer Rückschlüsse auszuschalten, wäre es notwendig: I. Unverzüglich (bis Mitte Januar) folgende Mitarbeiter nach Moskau zu schicken: 1. den Handelsrat; 2. den Presseattaché oder den 2. Rat für Kulturfragen (wenn möglich beide); 3. einen 1., 2. oder 3. Sekretär für das Protokoll; 4. den Kanzleichef; 5. eine perfekte deutsche Stenotypistin; 6. die bereits bestätigte Sekretärin, Frl. Lilly Stenzer. Die Entsendung jeder dieser sechs Mitarbeiter ist gleich vordringlich und müßte in jedem Einzelfalle sofort nach der Bestätigung vorgenommen werden. II. ist die finanzielle Frage zu klären. Zur Zeit gleicht die Mission einem Krämerladen. Der Zustand, daß sie mehrere Tage lediglich über ein Konto von 1–2 000 Rubel verfügte, ist untragbar. Die Vertretung der Republik in Moskau ist nicht in der Lage den kleinsten repräsentativen Pflichten auch in bescheidenster Weise so nachzukommen, wie dies die Missionen der kleinsten Staaten tun. Die Mitarbeiter führen einzeln Buch über jedes Frühstück, da nach zwei Monaten über die Art ihrer Bezahlung noch nichts bekannt ist.4

3  Die Stellenausstattung der Diplomatischen Vertretungen der DDR im Ausland lag im Verantwortungsbereich des Staatssekretärs im MfAA Anton Ackermann, der über die diesbezügliche Planung im Februar an Puškin berichtete. Danach waren für die Mission in Moskau einschließlich des 23-köpfigen technischen Personals ursprünglich 60 Stellen vorgesehen. Allein in der politischen Abteilung sollten unter Leitung des Ersten Sekretärs neun Personen arbeiten, darunter zwei Mitarbeiter für den Chiffrierdienst. In der Größenordnung an zweiter Stelle standen die Auslandsvertretungen der DDR in Prag, Warschau und Peking, für die jeweils 41 Mitarbeiter vorgesehen waren, es folgten die Vertretungen in Sofia, Bukarest und Budapest mit je 30 sowie in Tirana und Pjöngjang mit 20 Mitarbeitern. Vgl. AVP RF, f. 082, op. 37, p. 206, d. 39, Bl. 8–10. Diese Planungen konnten nicht verwirklicht werden. 4  Die Finanzierung der DDR-Mission in Moskau wurde in den ersten Jahren durch jährliche Regierungsabkommen über einen Kredit zugunsten der Deutschen Demokratischen Republik für Ausgaben zum Unterhalt diplomatischer Vertretungen und offizieller Delegationen in der UdSSR geregelt, vgl. PA AA, MfAA V SOW 0026.



Dokument 11: 31. Dezember 194959

Nach den Erfahrungen der Volksdemokratien ist eine Vertretung in Moskau, selbst bei Berücksichtigung aller möglichen Vergünstigungen, wesentlich teurer, als in jedem anderen Land. In Anbetracht der politischen Bedeutung müßten die Mittel für eine bescheidene, aber nicht unter jeder Würde arbeitende Mission der Republik dennoch aufgebracht werden. Seit Dezember hat die Mission die Möglichkeit von ihrem Dollarkonto Rubel nach dem für alle Vertretungen geltenden diplomatischen Vorzugskurs (1 Dollar = 8 Rubel) abzuheben. Für 1950 hat der Chef der Mission den Bedarf an 3 Millionen Rubel zur Berücksichtigung bei der Vorzugsquote angemeldet. Weiter besteht die Möglichkeit Güter jährlich zollfrei einzuführen für: die Mission – 300 000 Rubel den Chef de Mission – 120 000 Rubel den 1. Rat – 40 000 Rubel jeden anderen diplomatischen Mitarbeiter 20 000 Rubel (vorausgesetzt, daß der Mission das Statut einer Botschaft zuerkannt wird5). Schließlich besteht die Möglichkeit eines auf Gegenseitigkeit beruhenden Verrechnungsabkommens, wobei die Lebenshaltungskosten in Moskau und in Berlin zu berücksichtigen wären. Sobald hierüber in Berlin Klarheit besteht, müßte die Mission in Moskau zur Beschleunigung unbedingt in die Verhandlungen eingeschaltet werden. Die Bezahlung der Mitarbeiter müßte genau so gehandhabt werden wie von den Volksdemokratien. Beispiel: Tschechoslowakei. Deren Diplomaten erhalten ihr Grundgehalt (ohne Zulagen) in ihrer Heimatwährung auf ihr Konto überwiesen. Ihre Bezahlung in Rubel erfolgt in der von einer Kommission in jedem Fall nach dem Bedarf errechneten Höhe (Botschafter = 15 000 Rubel, 1. Rat = 11 000 Rubel etc.). Zur Feststellung dieses Bedarfs wäre entweder die Erfahrung der Volksdemokratien zu Grunde zu legen oder ein Fragebogen zur Errechnung der Lebenshaltungskosten anzufertigen. Die Zeit des Aufenthaltes im Hotel müßte durch Reisespesen gedeckt werden. (Mitglieder der tschechoslowakischen Handelsdelegation erhalten 250– 300 Rubel Spesen pro Tag und Kopf). III. ist eine normale, regelmäßige Verbindung zwischen Mission und Ministerium zu gewährleisten: 1. Kurierverbindung – zweimal monatlich 2. Chiffretelegramme (unverzüglich wenigstens provisorisch)

5  Im Ergebnis des ersten offiziellen Besuchs einer Regierungsdelegation der DDR in Moskau erfolgte im August 1953 die Zuerkennung des Status einer Botschaft für die Mission der DDR in Moskau.

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3. Radio. Mit den Vorarbeiten für die Radioverbindung muß sofort begonnen werden, auch in Anbetracht der späteren Verbindung mit Peking über Moskau. IV. Die Mission ist regelmäßig und systematisch mit Zeitungen, Gesetzen, sonstigem offiziellen Material, wichtigen politischen, wirtschaftlichen, kulturpolitischen Informationen, Neuerscheinungen auf allen Gebieten usw. zu versorgen. V. Ist der Chef der Mission, bzw. der Handelsrat ausführlich über die Handelspolitik zu orientieren (Beispiel: Empfang bei der rumänischen Handelsdelegation). VI. Sind der Mission möglichst bald konkrete Aufträge und Richtlinien, vor allem für die konsularischen Tätigkeiten, zuzuleiten. VII. Ist der materielle und technische Bedarf der Mission unter Berücksichtigung der repräsentativen Aufgabe als vordringlich zu behandeln und zu befriedigen. Vorstehend sind nur die dringendsten, unaufschiebbaren Gesichtspunkte erwähnt, ohne deren Berücksichtigung jede normale Tätigkeit der Mission illusorisch bleiben muß. Es liegt im Interesse der Republik, daß ihre Mission den Erwartungen gerecht werden kann, die zweifellos nicht nur von ihren Staatsbürgern, sondern auch von den Vertretern der Sowjetregierung und den Vertretern der freundschaftlichen Länder6 an die Tätigkeit in Moskau geknüpft werden. M. Wolf PA AA, MfAA A, Bd. 114, Bl. 29–32.

12. Unterredung zwischen Außenminister Vyšinskij und dem Leiter der Diplomatischen Mission der DDR in Moskau Appelt Geheim

12. Januar 19501

Aus dem Tagebuch2 von A.Ja. Vyšinskij Heute empfing ich den Leiter der diplomatischen Mission der Deutschen Demokratischen Republik in Moskau, R. Appelt, der mir einen protokollarischen Besuch abstattete. 6  Gemeint sind die Volksdemokratien, die diplomatische Beziehungen mit der DDR hergestellt hatten. 1  Original an Stalin. Kopien gingen an Molotov, Malenkov, Berija, Mikojan, Kaganovič, Bulganin. Das Dokument erhielt keine Registraturnummer. 2  „Tagebuch“ ist ein aus der russischen Kanzleisprache übernommener Begriff des Auswärtigen Dienstes der UdSSR für Gesprächsaufzeichnungen.



Dokument 12: 12. Januar 1950

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Appelt sagte, ihn beunruhige noch immer die Frage des Gebäudes für die diplomatische Mission der Deutschen Demokratischen Republik in Moskau, und fragte, ob es nicht möglich sei, der diplomatischen Mission bis zur Übergabe des Gebäudes der ehemaligen deutschen Botschaft an sie irgendeine andere Räumlichkeit zur Verfügung zu stellen. Ich antwortete, dass ich mich persönlich um diese Angelegenheit kümmern werde und annehme, dass sie positiv entschieden wird.3 Appelt teilte des Weiteren mit, dass er gestern mit dem Ministerpräsidenten der Deutschen Demokratischen Republik, Otto Grotewohl, gesprochen habe, der sich gegenwärtig zur Kur in Barvicha aufhalte.4 Grotewohl sei, so Appelt, vor seiner Ankunft in Moskau pessimistisch gestimmt gewesen, aber jetzt habe sich seine Stimmung zum Besseren gewandelt. Seine Gesundheit bessere sich mit jedem Tag, und Grotewohl sei der sowjetischen Regierung für die ihm gewährte Möglichkeit zum Erholen und Kuren in der UdSSR sehr dankbar. Grotewohl befasse sich auch hier in Barvicha mit politischen Fragen, erklärte Appelt, insbesondere beschäftige er sich mit der Frage der Versorgung der Industrie mit Rohstoffen, die zur Erfüllung des Fünfjahrplans der Volkswirtschaft benötigt werden.5 Die zweite Frage, mit der er sich befasse, sei die Frage der Volkspolizei. Grotewohl sei der Meinung, dass die Volkspolizei gegenwärtig nicht ausreichend gefestigt und diszipliniert ist,6 3  Zur geplanten Unterbringung der Diplomatischen Mission der DDR in Moskau vgl. Dok. 11, Fn. 2. Die Übergabe des Gebäudes der ehemaligen deutschen Botschaft in Moskau wurde mehrfach in Aussicht gestellt, aber immer wieder verschoben, da es nicht einfach war, ein Ersatzquartier für das Sovinformbjuro zu finden, das dort untergebracht war (Vermerk von M. Wolf, 11. Februar 1950, PA AA, MfAA A, Bd. 143, Bl. 513). Eine ersatzweise Unterbringung der DDR-Mission in einem anderen Gebäude kam nicht zustande. Zur weiteren Entwicklung dieser Frage vgl. Dok. 30, Fn. 10. 4  Laut Neues Deutschland trat Grotewohl am 4. Januar 1950 „nach vollständiger Wiederherstellung seiner Gesundheit“ seinen Urlaub „in einem Kurort in der Sowjetunion“ an, vgl. Neues Deutschland, 5. Januar 1950, S. 1. Er hielt sich in der folgenden Zeit in einem Regierungssanatorium in Barvicha, einem Kurort westlich von Moskau am Ufer der Moskva auf. Am 17. Februar kehrte er zurück, vgl. ebenda, 18. Februar 1950, S. 1. 5  Über dieses Gespräch berichtete Botschafter Appelt an das MfAA noch am gleichen Tage. Darin stellte er fest: „Auf Wunsch des Herrn Ministerpräsidenten Grotewohl habe ich informativ auch das Problem der Sicherstellung der Rohstoffe für unseren kommenden Fünfjahrplan [vgl. Fn. 11 zu diesem Dokument] zur Sprache gebracht.“ Vgl. Appelt an Kegel, 12. Januar 1950, PA AA, MfAA A, Bd. 143, Bl. 505. Die Rohstoffversorgung der DDR-Wirtschaft wurde 1950 auch durch die Unterzeichnung eines Handelsvertrags zwischen der DDR und der UdSSR geregelt (vgl. Dok. 24 und dort Fn. 4). Mit der Vorbereitung dieses Vertrages beschäftigten sich Grotewohl und die DDR-Regierung seit Ende 1949. 6  Es ist nicht eindeutig, ob Grotewohl hier die Bereitschaften der Volkspolizei der HVDVP oder womöglich (auch) die kasernierten Bereitschaften der HV Ausbildung

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dabei stünden ihr wichtige Aufgaben bevor, besonders nach den Wahlen vom 15. Oktober 1950.7 Ich bemerkte, dass es für die Schaffung einer guten Volkspolizei natürlich eine gewisse Zeit braucht. Appelt fügte hinzu, die Provisorische Regierung der Deutschen Demokratischen Republik lerne in ihrer gesamten Arbeit von den reichhaltigen Erfahrungen der Sowjetunion. Ich erkundigte mich danach, wie derzeit die Beziehungen zwischen Ostund Westdeutschland seien und ob es irgendwelche Anzeichen für eine Annäherung zwischen ihnen gebe. Appelt antwortete, es sei bislang schwierig, von irgendwelchen ernsthaften Anzeichen für eine Annäherung zwischen Ost- und Westdeutschland zu sprechen, aber es gebe schon einzelne Fälle, in denen sich Vertreter der Intel­ ligenz und von Wirtschafts-, Handels- und sogar Regierungskreisen Westdeutschlands offen für die Aufnahme von Beziehungen mit Ostdeutschland aussprechen. Appelt bezog sich dabei auf den Vertreter der Handelskreise Westdeutschlands, Kaumann8, der in einem Gespräch mit Vertretern der Provisorischen Regierung der Deutschen Demokratischen Republik erklärt habe, die Wirtschaftskreise Westdeutschlands würden gern Handelsbeziehungen meinte bzw. welcher Art die „wichtigen Aufgaben“ waren, die er für die Zeit nach den Oktoberwahlen (vgl. Fn. 13 zu diesem Dokument) erwartete. Offensichtlich ging es im weitesten Sinne um die Aufrechterhaltung der inneren Ordnung im Sinne der SED, denkbar ist jedoch auch, dass Grotewohl nach den Wahlen Unruhen für möglich hielt. Die hier angedeuteten Personalprobleme könnten insofern für die kasernierten Einheiten sprechen, als vor allem diese sich im Aufbau befanden (vgl. Dok. 83, Fn. 28) und u. a. Personal aus den Bereitschaften der HVDVP für die kasernierten Bereitschaften abgezogen wurde, um dort die Sollstärken an verlässlichen Kadern zu erreichen. Interne Berichte aus dieser Zeit sprachen in Bezug auf die kasernierten Einheiten der Volkspolizei von ungenügender militärischer Eignung und politischer Zuverlässigkeit des Personals sowie von dessen Unzufriedenheit mit der Ausbildung, der Ausrüstung und der Verpflegung, vgl. Wolfgang Eisert, Zu den Anfängen der Sicherheits- und Militärpolitik der SED-Führung 1948 bis 1952, in: Thoß, Volksarmee schaffen, S. 141–204, hier S. 185–186. 7  Gemeint sind die Wahlen zur Volkskammer am 15. Oktober 1950, vgl. dazu Fn. 13 zu diesem Dokument. 8  Gottfried Kaumann leitete seit November 1949 die dem Bundeswirtschaftsministerium unterstellte „Treuhandstelle für den Interzonenhandel“, die seit 1950 in WestBerlin ansässig war (vgl. Dok. 98, Fn. 6), und unterhielt in dieser Funktion Kontakte zu offiziellen Vertretern der DDR. 1950 gründete sich in der Bundesrepublik eine „Arbeitsgemeinschaft Interzonenhandel“. Politik der Bundesregierung war es, abgesehen von Wirtschaftskontakten, die insbesondere zur Versorgung West-Berlins unumgänglich waren, alle Kontakte zu staatlichen Stellen der DDR und jede Form der Anerkennung der DDR und damit eine Annäherung zwischen den beiden Staaten zu verhindern. Zu der diesbezüglich zeitweilig abweichenden Meinung von Vizekanzler Blücher vgl. jedoch Dok. 31, Fn. 52.



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mit der Sowjetunion und den osteuropäischen Ländern aufnehmen, könnten dies aber nicht offen tun, da die Engländer dagegen seien. Kaumann habe erklärt, dass Ostdeutschland bei der Aufnahme von Handelsbeziehungen zwischen Westdeutschland und den genannten Staaten als Vermittler auftreten könnte. Appelt führte auch das Beispiel des stellvertretenden Ministerpräsidenten von Bayern, Müller, an, der sich offen für die Aufnahme enger Beziehungen zu Ostdeutschland ausspreche.9 Im Ruhrgebiet, so Appelt, weite sich die Bewegung der Arbeiterklasse für die Einheit Deutschlands mit jedem Tag aus. Auf meine Frage nach der Stimmung im deutschen Volk antwortete Appelt, die Gründung der Deutschen Demokratischen Republik habe einen tiefgreifenden Stimmungsumschwung in der Bevölkerung ausgelöst. Das deutsche Volk überzeuge sich mit jedem Tag mehr und mehr davon, dass die Gründung der Deutschen Demokratischen Republik keine Fiktion, sondern Wirklichkeit ist. Die Tatsache, dass die Deutsche Demokratische Repu9  In zwei Interviews war Josef Müller Ende Oktober/Anfang November 1949 für eine Verständigung zwischen Ost- und Westdeutschland eingetreten (vgl. Dokumentation der Zeit, hrsg. vom Deutschen Institut für Zeitgeschichte, 1949–1950, S. 51–53). Im Dezember 1949 hatte er in einem Leitartikel für die Nürnberger Nachrichten erklärt: „Die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands ist eine durchaus lösbare Aufgabe.“ Über diese Äußerungen berichtete das Neue Deutschland am 18. Dezember 1949 auf S. 2. Gegenüber dem (Ost-)Berliner Rundfunk erklärte Müller am 4. Dezember desselben Jahres, „aus der Demarkationslinie des Jahres 1945 dürfe niemals eine völkerrechtliche Grenze werden“. Einen Tag später bemerkte laut Frankfurter Allgemeine Zeitung der Generalsekretär der CSU Franz-Josef Strauß vor dem Geschäftsführenden Landesvorstand dazu, „die Mehrheit der Partei sei der Auffassung, daß die Wirtschaftsverbindungen zwischen Ost und West bestehen bleiben müßten. Man sei sich weiter einig, daß mit den antikommunistischen christlichen Kräften der Ostzone unter allen Umständen eine Verbindung aufrechterhalten bleiben müsse. Allerdings würde die Anerkennung der Ostzonen-Regierung die Billigung der Methoden ihrer Entstehung bedeuten, die tapfere und mutige Opposition gegen die Diktatur desavouieren und die Aufgabe des Anspruchs auf die legale Vertretung eines einheitlichen Deutschland zur Folge haben. Der bayerische Justizminister Dr. Müller sei ernsthaft bemüht, in diese Frage Klarheit zu bringen.“ Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. Dezember 1949, S. 3. In einem Papier des Außenministeriums der UdSSR vom 6. Januar 1950 mit der Überschrift „Der Kampf um die Einheit Deutschlands in Westdeutschland“ hieß es zu Müller: „Unter den prominenten Politikern Westdeutschlands, die sich gegen die Spaltung des Landes aussprechen, ist der stellvertretende Ministerpräsident und Justizminister von Bayern und ehemalige CSUVorsitzende, Dr. Josef Müller, zu nennen. Müller setzt sich für die Koordination der Wirtschaftspolitik Westdeutschlands und der Deutschen Demokratischen Republik und für die Schaffung eines diesbezüglichen speziellen Koordinierungsorgans ein. Müller ist ein Vertreter derjenigen Kreise der Bourgeoisie Westdeutschlands, die sich für engere Wirtschaftsbeziehungen mit Osteuropa aussprechen, ohne dabei aber einen Verzicht auf amerikanische Anleihen in Betracht zu ziehen.“ Vgl. AVP RF, f. 082, op. 37, p. 208, d. 48, Bl. 4.

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blik von den Ländern der Volksdemokratie anerkannt ist10 und dass ihr die Sowjetunion aktiv hilft, stärke das Vertrauen des deutschen Volkes in die Provisorische Regierung. Die Ausarbeitung des Fünfjahrplans der Volkswirtschaft, dessen Verabschiedung im Juli 1950 auf dem ordentlichen Parteitag der SED erfolgen solle,11 und die Abschaffung des Lebensmittelkartensys10  Zum Zeitpunkt des Gesprächs war die DDR anerkannt durch die UdSSR (am 17. Oktober 1949), Bulgarien, die Tschechoslowakei und Polen und (alle am 18. Oktober 1949), Ungarn (am 19. Oktober 1949), Rumänien (am 22. Oktober 1949), China (am 25. Oktober 1949), Nordkorea (am 7. November 1949) und Albanien (am 2. Dezember 1949, vgl. Dok. 3, Fn. 7). 11  Zur 1949 begonnenen Vorbereitung des Fünfjahrplans vgl. Dok. 5, Fn. 10. Das Politbüro des ZK der SED beschloss auf seiner Sitzung vom 14. Februar 1950 unter TOP 12 die „Grundlinien“ der Direktiven für den Fünfjahrplan (BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/71). Darüber berichtete der für Wirtschaftsfragen verantwortliche Stellvertreter des Vorsitzenden der SKK Kovalʼ auf einer Beratung der Führung dieser Kommission am folgenden Tage. Er wurde beauftragt, „im Zusammenhang mit dem Beschluss des Politbüros der SED über den Entwurf von Direktiven und Kontrollziffern für den Fünfjahrplan der DDR Vorschläge für einen Plan der Reparationslieferungen, der Besatzungskosten und einen Fünfjahrplan zur Entwicklung der Betriebe der SAG zu entwickeln und diese vor dem Ministerrat der UdSSR vorzutragen. Bei der Vor­ bereitung sind folgende Punkte zu berücksichtigen: 1) Der Reparationsplan soll die Lieferung von Güter- und Passagierschiffen großer Tonnage (5–7 000 t) enthalten; 2) die Möglichkeit und Zweckmäßigkeit einer Aufstockung der Kapitalinvestitionen in die SAG ist zu prüfen; 3) die Besatzungsausgaben sind nur als Geldsumme in den Plan einzubeziehen, ohne Angabe der Güter, die den sowjetischen Streitkräften in Deutschland zu liefern sind; 4) für den Vertragsschluss zwischen den Regierungen der UdSSR und der DDR über den Fünfjahrplan für Reparationslieferungen ist eine Frist bis zum 1. August vorzusehen. Als unbedingt notwendig muss eine Prüfung des vom ZK der SED ausgearbeiteten und erhaltenen Entwurfes von Direktiven für die Aus­ arbeitung des Fünfjahrplans der Entwicklung der Volkswirtschaft der DDR angesehen werden, damit die Möglichkeit besteht, kritische Anmerkungen zu diesen Direktiven zu äußern.“ Vgl. AVP  RF, f. 082, op. 37, p. 207, d. 44, Bl. 68–69. Nun konnte das oberste SED-Gremium auf seiner Sitzung am 28. Februar 1950 Ulbricht und Rau mit der Vorbereitung eines ersten Fünfjahrplanentwurfs beauftragen, vgl. DY 30/IV 2/2/74. Dennoch war auch in den folgenden Wochen im SED-Politbüro immer noch nicht vom Planentwurf, sondern vom Entwuf der Direktiven für diesen Plan die Rede, wobei am 25. April 1950 ausdrücklich beschlossen wurde, „daß keine Zahl dieses Entwurfes öffentlich bekannt gemacht werden darf“, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/85. Erst im Rahmen der Berichterstattung auf dem III. Parteitag der SED veröffentlichte das Neue Deutschland Walter Ulbrichts Rede „Der Fünfjahrplan und die Perspektiven der Volkswirtschaft“, in der es hieß: „Die Ausarbeitung des Fünfjahrplanes entsprang der Direktive des Politbüros der SED vom 14. Februar 1950. In dieser Direktive wurde festgelegt, daß eine Kommission unter der Leitung von Walter Ulbricht beauftragt wird, die Kontrollziffern für den Plan bis zum 15. Juni 1950 vorzulegen und zu diesem Zwecke eine exakte Bilanz der Volkswirtschaft auszuarbeiten … daß die industrielle Bruttoproduktion bis 1955 auf das Doppelte der Vorkriegsproduktion des Jahres 1938 gesteigert werden soll. Das dem Parteitag vorliegende Dokument enthält alle grundlegenden Kontrollziffern. Gleichzeitig wurden die Spezialpläne für



Dokument 12: 12. Januar 1950

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tems12 nach der Ernte 1950 werden nach Meinung Appelts gute Voraussetzungen für einen Sieg der demokratischen Kräfte der Republik bei den bevorstehenden Wahlen schaffen.13 Auf den kürzlichen Aufenthalt einer deutschen Delegation in Moskau und ihre Teilnahme an der Feier zum 70. Geburtstag des Gen. I.V. Stalin ein­ gehend,14 bemerkte Appelt, dass die der Delegation angehörenden Minister der Deutschen Demokratischen Republik in gehobener Stimmung nach Deutschland zurückgekehrt seien und sich aktiv für die Freundschaft mit der Sowjetunion einsetzen. Insbesondere habe, so Appelt, der aus Moskau nach Berlin zurückgekehrte Außenminister der Deutschen Demokratischen Repu­ blik, Dertinger, seine feste Überzeugung erklärt, dass nur eine Auffassung des Sozialismus, nämlich die marxistische, möglich sei und dass es einen christlichen Sozialismus, wie dies im Westen behauptet werde, nicht gebe und nicht geben könne. Dabei fügte Appelt an, dass an der Aufrichtigkeit Dertingers schwerlich zu zweifeln sei, jedoch untergrüben solche offenen Äußerungen die Position Dertingers in den Reihen der Christlich-Demokratischen Union, und es wäre besser, wenn Dertinger solche Erklärungen nicht offen abgeben würde. Ich erkundigte mich, wie es dem Oberbürgermeister von Berlin, Ebert, geht und wie er zu den demokratischen Umgestaltungen in Ostdeutschland steht. Appelt antwortete, Ebert stehe voll hinter der Politik der SED und setze sie um. Ebert unterscheide sich grundlegend von seinem Vater. Der Name die Durchführung der großen Investitionen in der Hüttenindustrie, den Werften, der Energieerzeugung und des Bergbaus ausgearbeitet.“ (23. Juli 1950, S. 4). 12  Die Abschaffung der Lebensmittelkarten erfolgte in der DDR erst am 27. Mai 1958 durch ein spezielles Gesetz, vgl. BAB, DC 20-I/3/288, Bl. 18–31. 13  Gemeint sind die „Wahlen“ zur Volkskammer am 15. Oktober 1950. Die sowjetische Besatzungsmacht und die KPD/SED übten seit 1946 massiven Einfluss auf die Wahlen zu den Volksvertretungen in der SBZ aus (vgl. UdF 2–3). Die damit zusammenhängenden Fragen spitzten sich – neben den von Appelt genannten „Voraussetzungen“ (die sich auf die erhoffte ökonomische Entwicklung bezogen und gezielte Preissenkungen im Vorfeld der Wahlen einschlossen, vgl. Dok. 27) – seit 1948 auf die Frage der Anwendung einer einheitlichen Liste zu, auf der alle Parteien und Organisationen ihre Kandidaten gemeinsam zur Wahl stellen und damit im Voraus die spätere Sitzverteilung bestimmten. Gemäß den Wünschen der SED-Führung hatte das Politbüro des ZK der VKP (b) am 28. September 1949 entschieden, die unmittelbar anstehenden Wahlen in der DDR auf den Herbst 1950 zu verschieben und auf Grundlage einer Einheitsliste durchzuführen, vgl. UdF  4, S. 468. Die Anwendung einer „gemeinsamen Kandidatenliste“ für diese Wahlen setzte die SED bis Mai 1950 mit Hilfe der SKK durch, vgl. Dok. 17, Fn. 7 und Dok. 31, Fn. 2. Am 19. Januar 1950 wurden auf einer Sitzung beim Vorsitzenden der SKK in Deutschland die Organisation der Wahlen und die Stärkung der SED im Vorfeld der Wahlen als primäre Ziele festgesetzt, vgl. Dok. 13. 14  Vgl. Dok. 10, Fn. 3.

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von Eberts Vater15 werde von der SED in ihrer Propagandaarbeit unter der deutschen Bevölkerung geschickt genutzt. Viele ehemalige rechte Sozialdemokraten, die in die SED eingetreten seien, hätten, so Appelt, mit ihren früheren Ansichten gebrochen und den Weg der marxistischen Partei eingeschlagen. Das Gespräch dauerte 25 Minuten. Bei dem Gespräch war der Referent des Leiters der Dritten Europäischen Abteilung, Gen. N.M. Lun’kov, anwesend.

A. Vyšinskij16

AVP RF, f. 07, op. 23, p. 31, d. 10, Bl. 1–3.

13. Protokoll Nr. 3 der Beratung beim Vorsitzenden der SKK Čujkov Geheim

Berlin, 19. Januar 19501 Protokoll Nr. 3

Anwesend: Gen. Čujkov, Semičastnov, Semenov, Koval’, Kobulov, Pere­ livčenko, Kabanov, Arkad’ev, Butkov, Vlasov, Voevudskij, Eličev, Zorin, Il’ičev, Kozlov, Lebedev, Mel’nikov, Nazarov, Panov, Puškin, Russov, Chomjakov, Juščenko 1. Über die politische und wirtschaftliche Lage in den Ländern der Deutschen Demokratischen Republik und in der Stadt Berlin und über die Aufgaben im Zusammenhang mit den bevorstehenden Wahlen. Berichterstatter: Gen. Kotikov, Dubrovskij, Kolesničenko, Rodionov, Šarov, Usov. Redebeiträge und Fragen: Gen. Čujkov, Semenov, Koval’, Kobulov, Pere­ livčenko, Puškin, Arkad’ev, Lebedev, Chomjakov, Kozlov.

15  So

im Original.

16  Handschriftlich.

1  Original an Čujkov. Das Dokument wurde am 30.  Januar 1950 in neun Exemplaren ausgefertigt und erhielt am folgenden Tag die Registraturnummer im Sekretariat des „Oberkommandierenden der SMA“ in Deutschland 0491. Auf Weisung von Außenminister Vyšinskij übermittelte Dymov die Protokolle der ersten bis achten „Beratung“ an das MID, vgl. AVP RF, f. 082, op. 37, p. 207, d. 44, Bl. 53.



Dokument 13: Berlin, 19. Januar 1950

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Beschluss des Vorsitzenden der SKK Gen. Čujkov Aus den Berichten2 der Vertreter der SKK in den Ländern und in Berlin geht hervor, dass die politische Arbeit unter den Massen noch schwach organisiert ist und dass keine Gewissheit besteht, dass die Massen der Arbeiter, Bauern und Hausangestellten bei den Wahlen mit der SED gehen werden. Wie es aussieht, ist besonders schlecht die Arbeit unter den Beschäftigten von Privatbetrieben organisiert, die allein im Land Sachsen um die 650 000 Personen bzw. 51 Prozent der gesamten Arbeiterschaft ausmachen.3 Da in diesem Zusammenhang unsere wesentliche Aufgabe in diesem Jahr die Vorbereitung und Durchführung der Wahlen ist, müssen die Organe der SKK der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands besonders nachdrücklich und vielseitig helfen, und zwar in Fragen der organisatorischen Konso­ lidierung, der ideologischen Erziehung, der Ausweitung und Stärkung der Autorität der Partei unter den Massen, der Erziehung und richtigen Aufstellung der Kader, der Leitung der Wirtschaftstätigkeit und der tatkräftigen 2  Die

Berichte konnten im AVP RF nicht ermittelt werden. einem Bericht der SKK „Über die Situation in Privatunternehmen“ vom 19. Mai 1950 heißt es in Bezug auf die Arbeiter: „Immer raffinierter werden die Methoden des Kampfes der Unternehmer um die Bewahrung ihres Einflusses auf die Arbeiter und um den Erhalt ihrer wirtschaftlichen Positionen. Die verbreitetste und erprobteste Form der Bewahrung ihres Einflusses auf die Arbeiter ist nach wie vor die Methode der Bestechung und des Buhlens nicht nur um die Facharbeiter, sondern auch um die Mehrheit der Arbeitenden … Um hochqualifizierte Arbeiter in den Betrieben zu halten, greifen Unternehmer häufig zu dem Mittel überhöhter Lohnzahlungen … In letzter Zeit sind zahlreiche Fälle aufgedeckt worden, in denen Unternehmer die zur Bestechung von Arbeitern aufgewendeten Summen unter den Betriebskosten verbuchen, um so ihre Ertragssteuern zu mindern … Beim Ministerium für Arbeit und Soziales sind um die 400 Anträge von Unternehmern eingegangen mit der Bitte, die von ihnen zur Auszahlung von Prämien, Beihilfen und anderen Gaben für die Arbeiter verwendeten Mittel nicht zu besteuern. Die Ablehnung dieser Bitten durch das Ministerium wird von den Unternehmern dazu genutzt, die Selbstverwaltungs­ organe in den Augen der Arbeiter zu kompromittieren.“ Vgl. AVP RF, f. 0457а, p. 53, d. 19, Bl. 126–127. Eine Antwort auf die entstandene Situation sollte die auf Anordnung der Regierung der DDR vom 17. August 1950 vorgenommene Lohnerhöhung für 2,6 Millionen Beschäftigte in der volkseigenen Industrie, im Verkehrswesen und in sowjetischen Betrieben sein. Jedoch erhielten laut Angaben der SKK „1,75 Millionen in privaten Industrie- und Handwerksbetrieben beschäftigte Arbeiter und Angestellte keine Lohnerhöhung auf der Basis dieser Anordnung“. In diesem Zusammenhang schlug die SKK als möglichen Weg vor, „die kollektiven Verträge neu zu schließen, wobei den Gewerkschaften das Recht eingeräumt wird, eine Erhöhung der Lohnsätze im Rahmen der in den entsprechenden Branchen der volkseigenen Indus­ trie geltenden Sätze anzustreben“ (ebenda, Bl. 248–249). In der gesamten DDR gab es noch 1952 in privaten Betrieben 3 471 762 Beschäftigte gegenüber 3 972 020 Beschäftigten in volkseigenen Betrieben, vgl. Statistisches Jahrbuch der DDR, erster Jahrgang 1955, Berlin 1956. 3  In

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Stärkung der Nationalen Front.4 Für die Stärkung der Partei ist es erforderlich, dass unsere gesamte Arbeit nur über die Partei betrieben wird. Sekretär der Konferenz Oberstleutnant Dymov5

AVP RF, f. 082, op. 37, p. 207, d. 44, Bl. 59–60.

14.  Unterredung zwischen dem Vorsitzenden der SKK Čujkov, Präsident Pieck und Ministerpräsident Grotewohl Geheim

28. Februar 19501

Aufzeichnung einer Unterredung zwischen dem Vorsitzenden der SKK in Deutschland, Armeegeneral V.I.  Čujkov, und den Vorsitzenden der SED, Gen. Pieck und Grotewohl, am 28. Februar 1950. An dem Gespräch nahmen die Gen. Semenov, Il’ičev und Koval’ und der Minister für Planung der DDR, Rau, teil. Zu Beginn der Unterredung machte Gen. Čujkov die Gen. Pieck und Grotewohl darauf aufmerksam, dass in dem Schreiben des Gen. Ulbricht an den 4  Auf der siebenten Beratung beim SKK-Vorsitzenden Čujkov am 28.  Februar 1950 wurde beschlossen, der SED bei der Stärkung der Nationalen Front „tägliche Hilfe“ mit dem Ziel zu leisten, die Gewerkschaften, den DFD und die FDJ zur aktiven Arbeit in örtliche Ausschüsse heranzuziehen und dadurch eine bedeutende Zunahme von Arbeitern und Bauern in deren Zusammensetzung, insbesondere in Sachsen-Anhalt und Thüringen, und die Organisation von Haus-, Gebiets- und Kreiskomitees der Nationalen Front in den großen Städten und vor allem in Berlin zu erreichen. Den Landesvorständen der SED sei zu empfehlen, über Presse und Rundfunk eine breit angelegte Propaganda der Arbeitserfolge der umgestalteten Ausschüsse in Gang zu setzen; Gesprächsrunden und Konferenzen zum Austausch von Arbeitserfahrungen einzuberufen; in jedem Ausschuss Agitationsgruppen einzurichten und zu deren Arbeit SED-Mitglieder und Vertreter von Massenorganisationen heranzuziehen, wobei die Hauptrichtung der Agitationsarbeit die individuelle Agitation unter den nicht organisierten Bevölkerungskreisen – Hausfrauen, Handwerker, Bauern – sein soll. Der Kampf gegen „reaktionäre Elemente in den bürgerlichen Parteien“ sei zu beschleunigen, um den Einfluss der bürgerlichen Parteien unter den Massen zu „zersetzen“ und „progressive Flügel“ in den bürgerlichen Parteien zu bilden und auszubauen. Vgl. AVP RF, f. 082, op. 37, p. 207, d. 44, Bl. 71–73. 5  Handschriftlich. 1  Original. Hauptadressat des Dokuments war Vyšinskij. Die Aufzeichnung der Unterredung erfolgte durch V. Machalov. Kopien dieses Dokuments gingen an das ZK der VKP (b) (Grigorʼjan), Semenov und in die Ablage. Auf dem hier abgedruckten Dokument ist die Eingangsnummer 03296 vom 30. April 1950 und die Ausgangsnummer 1/00240 vom 18. Mai 1950 vermerkt sowie der Stempel des Technischen Sekretariats der Allgemeinen Abteilung des ZK der VKP (b) mit der Nummer 53028 d291 erkennbar.



Dokument 14: 28. Februar 1950

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Gen. Koval’ vom 21.  Februar  19502 einige Fragestellungen nicht ganz dem Geist der Zeit entsprechen. So sei in Punkt eins dieses Schreibens von einer Unterredung die Rede, die zwischen einem Vertreter aus Moskau, den Gen. Chomjakov, Semenov und Ulbricht stattgefunden habe und in deren Verlauf der Vertreter der Planungsbehörden aus Moskau angeblich eine Reihe grundlegender Aufgaben gestellt habe.3 Tatsächlich aber habe kein Vertreter der Planungsbehörden aus Moskau an dieser Unterredung teilgenommen. In Punkt zwei des Schreibens heiße es, die Planvorgaben des Fünfjahrplans würden von der Kommission der SKK und einer vom Politbüro der SED benannten Kommission ausgearbeitet.4 Es entstehe der Eindruck, als sei die Erstellung des Fünfjahrplans eine Angelegenheit der sowjetischen Genossen und nicht der Deutschen selbst. Pieck antwortete, Gen. Ulbricht habe mit ihm darüber gesprochen, und sie hätten sich das folgendermaßen gedacht: Die von den deutschen Genossen ausgearbeiteten Planvorgaben sollen mit den Genossen aus der SKK abge2  Ulbrichts Schreiben an Koval’ vom 21.  Februar 1950 nahm auf offensichtlich zuvor von Koval’ gestellte Fragen Bezug. Zur ersten Frage hieß es: „1. Wie kam die Direktive des Politbüros zustande? Vor längerer Zeit fand eine Besprechung zwischen einem Vertreter für Planung aus M[oskau], dem Genossen Chomiakow, Gen. Semjonow und mir statt, wo der Vertreter folgende Hauptprobleme stellte: a) Ausarbeitung statistischer Unterlagen über die wirtschaftliche Entwicklung in der Weimarer Zeit, in der Zeit des Faschismus und des Hitlerkrieges; b) Ausarbeitung einer Direktive des Politbüros für die Aufstellung der Kontrollziffern des Fünfjahrplans; c) Einsetzung von Arbeitsgruppen zur Vorbereitung der Kontrollziffern; d) Vereinbarung der Kontrollziffern mit dem ZK der KPdSU [sic] und danach endgültige Ausarbeitung der Kontrollziffern zum Fünfjahrplan für den Parteitag; e) nach dem Parteitag Ausarbeitung des Fünfjahrplans in allen Einzelheiten durch die Regierung. Entsprechend diesen Vorschlägen setzte das Politbüro eine Kommission ein zur Ausarbeitung der Direktive für den Fünfjahrplan und dann der Kontrollziffern. Die Vorbereitung der statistischen Arbeiten stiess auf grosse Schwierigkeiten und verzögerte sich …“ Vgl. BAB-SAPMO, NY 4036/736, Bl. 60–61. Zur russischen Übersetzung vgl. die Anlage zu diesem Dokument in RGASPI, f. 17, op. 137, d. 309, Bl. 8–10. 3  Eine Aufzeichnung dieser Unterredung ist im AVP RF nicht überliefert. 4  Zur zweiten Frage („Was sind die nächsten Aufgaben?“) schrieb Ulbricht: „Meiner Ansicht nach bestehen sie in folgendem: Ausarbeitung der exakten Bilanz und der entscheidenden Kontrollziffern sowohl durch die Mitarbeiter der S.K.K. wie durch die vom Politbüro eingesetzte Kommission und ihre Mitarbeiter im Staatsapparat. Laufende Zusammenarbeit der Gen. Rau und Leuschner mit Ihnen und Gen. Chomiakow sowie der Leiter der 37 Arbeitsgruppen. Materialaustausch zwischen den Gruppen der S.K.K. und den Arbeitsgruppen der SED. Um Missverständnissen vorzubeugen, betone ich, dass bei der Ausarbeitung der Direktive die jährlichen Leistungen für Reparationen und für die Besatzungskosten in der gleichen Höhe vorgesehen sind wie im Wirtschaftsplan und im Staatshaushaltsplan für 1950. Zur Bilanz des Fünfjahrplans und zu jedem einzelnen Hauptabschnitt dieses Plans wird das Politbüro Stellung nehmen.“ Vgl. BAB-SAPMO, NY 4036/736, Bl. 60–61. Zur russischen Übersetzung vgl. RGASPI, f. 17, op. 137, d. 309, Bl. 8–10.

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stimmt werden und etwas später, Ende April, wenn er (Pieck) während seines Urlaubs in Moskau sei, würden Grotewohl und Ulbricht dorthin reisen, und sie würden dann zu dritt diese Frage vorbringen.5 Das Schreiben des Gen. Ulbricht an Gen. Koval’ betreffe lediglich die Vorgehensweise bei den Vorbereitungsarbeiten für die Erstellung des Fünfjahrplans. Gen. Semenov antwortete darauf, das von Ulbricht erwähnte Gespräch habe im Dezember stattgefunden,6 und soweit er wisse, sei die Frage der Erstellung des Fünfjahrplans von der SED-Führung schon früher, in dem bekannten Schreiben im Juli oder August des vergangenen Jahres,7 aufgeworfen worden. Im Dezember sei es darum gegangen, dass es, wenn die Planvorgaben für den Parteitag benötigt werden, wünschenswert wäre, diese Arbeit möglichst bald zu beginnen. Nach dem Schreiben Ulbrichts stelle es sich indessen so dar, dass die Planvorgaben zuerst von Moskau bestätigt werden und erst danach an die deutschen Stellen gehen sollen. Wäre es etwa richtig, zu behaupten, so Gen. Semenov weiter, dass die Planvorgaben von den sowjetischen Genossen bestätigt werden müssen und dass die Erstellung des Fünfjahrplans Sache der sowjetischen Genossen sei? Diesbezüglich könne man unterschiedliche Meinungen hören. Leuschner stelle die Frage nach der Notwendigkeit der Zusammenarbeit, hier gehe es um die Ausarbeitung der Planvorgaben durch die SKK, und in anderen Fällen sei von notwendiger Hilfe zu hören, da die Mitarbeiter der SKK in ihrer Mehrzahl früher in der SMAD gearbeitet hätten und über mehrere Jahre hinweg die deutsche Wirtschaft geleitet und deshalb große Erfahrungen gesammelt hätten, während die deutschen Genossen diese Erfahrungen nicht hätten. In diese Frage müsse Klarheit gebracht werden. Pieck erklärte, formell habe Semenov vollkommen recht, und Ulbricht sei in seinem Schreiben eine unrichtige Formulierung unterlaufen, aber man sei der Meinung, dass die Erstellung des Fünfjahrplans unsere gemeinsame Sache, unser gemeinsames Interesse sei und dass die SKK der SED bei der

5  Wilhelm Pieck notierte in seinem „Vormerkkalender“ für 1950: Urlaub vom 16. April bis 23. Mai 1950, Abflug nach Moskau am 16. April, Rückflug aus Moskau am 23. Mai, 8 Uhr und am selben Tag für 12 Uhr Empfang in Schönefeld, BABSAPMO, NY 4036/27, Bl. 37–40. Zu den Reisen von Ulbricht und Grotewohl nach Moskau vgl. Dok. 29, Fn. 2. 6  Vgl. Fn. 3 zu diesem Dokument. 7  Es konnte nicht festgestellt werden, auf welches Schreiben der SED-Führung vom Juli oder August 1949 sich Semenov hier bezog. In die Ausarbeitung des Fünfjahrplans setzte Otto Grotewohl bereits in seinem Gespräch mit Semenov am 6. August 1949 große Hoffnung, vgl. UdF 4, S. 424. Die SED-Führung bat in ihrem ­Schreiben an Stalin vom 19. September 1949 darum, mit der Ausarbeitung dieses Plans Ende 1949 beginnen zu dürfen, weil sie ihn auf dem III. SED-Parteitag vorlegen wollte, vgl. Badstübner/Loth, S. 296.



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Lösung der vor ihr stehenden Aufgaben helfen müsse. Es gehe um Hilfe für eine Bruderpartei. Gen. Čujkov antwortete Pieck, hier könne es nur um Hilfe gehen. Für die Sowjetische Kontrollkommission sei es nicht ganz angenehm und zweckmäßig, die Arbeit zur Erstellung des Fünfjahrplans zu übernehmen. Das sei Sache der deutschen Genossen und nicht der Vertreter und Mitarbeiter der SKK. Gut sei es, dem zu helfen, der selbst arbeite, und Hilfe werde man immer leisten. Pieck sagte, man könne im Politbüro die Planvorgaben ausarbeiten, aber die Mitarbeiter der SKK, die über große Erfahrung verfügen, seien am besten in der Lage zu kontrollieren, inwieweit diese Vorgaben real und erfüllbar seien, und alles zu entfernen, was darin illusorisch sei. Pieck bemerkte weiter, die SMA habe ihnen die Leitungsfunktionen übertragen, aber zusätzliche Erfahrungen habe man daraus nicht gewonnen. Es sei nicht beabsichtigt gewesen, bei der Ankunft in Moskau zu erklären, dass die Planvorgaben von der SKK bestätigt worden seien, sondern dass sie abgestimmt werden müssen. Es werde im Ergebnis nicht gut sein, wenn man nach Moskau mit unrealistischen Zahlen komme. Gen. Čujkov antwortete, man müsse heute im Wesentlichen drei Fragen entscheiden: Erstens müsse man sich darüber Klarheit verschaffen, dass seitens der SKK Hilfe geleistet werde, dafür sei es aber erforderlich, dass sich das Politbüro der SED an das ZK der VKP (b) mit der Bitte um Hilfeleistung bei der Erstellung des Fünfjahrplans wende.8 Man verstehe sehr wohl, dass dies ein sehr wichtiges Dokument ist, das in den Parteitag eingebracht werden soll. 8  Am selben Tag (dem 28. Februar 1950) verfasste Pieck einen an Stalin selbst gerichteten Brief, in dem er erklärte: „Der 5-Jahr-Plan wird die hauptsächlichste Grundlage der Agitation für die am 15. Oktober stattfindenden allgemeinen Wahlen … bilden. Die vom Politbüro zu lösende Aufgabe der Ausarbeitung des Planentwurfs, besonders der Feststellung der Kontrollziffern, ist für das Pol[it]büro sehr schwierig, weil es das erste Mal ist, dass sich das Pol[it]büro mit einer solchen Aufgabe beschäftigt und ihm die dazu notwendigen Erfahrungen fehlen. Das Pol[it]büro wendet sich deshalb an Sie, lieber Genosse Stalin, mit der Bitte, den Vorsitzenden der Sowjetischen Kontrollkommission, Armeegeneral Tschujkow, zu ersuchen, daß er mit seinen Mitarbeitern uns die notwendige Hilfe bei der Durchführung dieser Aufgabe leistet. Der Entwurf soll vom Politbüro bis Anfang März fertiggestellt werden. Wir werden uns auch dann an Sie, lieber Genosse Stalin, mit der Bitte wenden, den Entwurf zu prüfen und uns mit Ihren Ratschlägen behilflich zu sein, bevor wir den Entwurf dem Parteivorstand zur Beschlußfassung für die Beratung auf dem Parteitag unterbreiten …“ Vgl. DzD  II, 3, S. 602. Am 1.  März bat Pieck die SKK um Übersetzung des Briefes, vgl. BAB-SAPMO, NY 4036/736, Bl. 64. Am 7.  März übermittelte Čujkov Pieck und Grotewohl (laut einer Aufzeichnung Machalovs vom 30. April) die Antwort Moskaus auf diese Bitte, woraufhin sich Pieck für die gewährte Hilfe bedankte und den Wunsch ausdrückte, dass „derartige Informationen auch in der Zukunft nicht abbrechen mögen“, vgl. RGASPI, f. 17, op. 137, d. 309, Bl. 11.

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Zweitens müsse die Frage entschieden werden, wer die gesamte Arbeit zur Erstellung des Fünfjahrplans bei Abwesenheit Ulbrichts9 leiten und bis zum Abschluss der gesamten Arbeit als dessen ständiger und unablösbarer Vertreter fungieren soll. Bei dem Gespräch mit Ulbricht sei man der Meinung gewesen, dass diese Arbeit unbedingt von einem Mitglied oder Kandidaten des Politbüros geleitet werden solle. Leuschner sei weder Mitglied noch Kandidat des Politbüros. Ich10 sagte, ich würde ihn nur wenig kennen, aber Gen. Koval’ kenne ihn sehr gut und sei der Meinung, dass ihm diese Aufgabe nicht zukomme. Gen. Koval’ bemerkte in diesem Zusammenhang, diese Arbeit überschreite den Rahmen eines einzigen Ministeriums, und Leuschner könne aufgrund seiner Position nicht die Arbeit aller Ministerien koordinieren. Gen. Čujkov sagte des Weiteren, unsere Genossen müssten wissen, mit wem sie arbeiten werden, und ihm erscheine es zweckmäßig, mit dieser Arbeit bei Abwesenheit Ulbrichts Rau zu betrauen, der dann der ständige Vertreter wäre, was der Position, die Rau innehabe, entspreche. Die nächste Frage und zugleich Bitte ging dahin, dass die deutschen Genossen die Erörterung dieser Fragen nicht auf das Heute beschränken möchten, sondern später, im Verlauf der eigentlichen Arbeit Rau im Politbüro anhören und mit der Autorität des Politbüros auf die richtige Entscheidung aller Fragen Einfluss nehmen sollten. Pieck dankte für die versprochene Hilfe und merkte an, er sei mit dem, was hier über Leuschner gesagt worden sei, völlig einverstanden. Leuschner sei ein ganz gescheiter Mann, aber er sei nicht Mitglied und auch nicht Kandidat des Politbüros und deshalb gegenüber der Partei nicht so verantwortlich, dass er eine solche Arbeit leiten könnte. Pieck stimmte dem Gen. Čujkov zu und sagte, diese Arbeit werde Rau leiten. Rau gab danach einen kurzen Bericht über den Verlauf der Vorbereitungsarbeiten zur Erstellung des Fünfjahrplans. Es seien schon 37 zentrale Arbeitsgruppen, fünf auf Landesebene und eine in Berlin gebildet worden. Mit fast allen diesen Gruppen sei der Plan und das Verfahren zur Durchführung der Arbeiten schon diskutiert worden. Dies stehe nur bei vier Landesgruppen noch aus. Rau informierte des Weiteren über die schon vorhandenen Ergebnisse der Kontrolle des Verlaufs der Planerfüllung für das Jahr 1950 und der Organisation der Arbeit, von der schon 650 Vereinigungen [Volkseigener Betriebe], Betriebe und Wirtschaftsinstitutionen erfasst seien. Aus den eingegangenen Rechenschaftsberichten gehe hervor, dass viele Betriebe schlecht 9  Nach dem „Vormerkkalender“ von Pieck hielt sich Ulbricht zwischen dem 20. Februar und dem 1. April zur Erholung in der UdSSR auf, BAB-SAPMO, NY 4036/27, Bl. 37–40. 10  So im Original. Der Protokollant gibt im Folgenden die Worte Čujkovs wieder.



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organisiert seien und dass es noch viele ungenutzte Produktionskapazitäten gebe. Grotewohl sagte, wenn er richtig verstanden habe, strebe die SKK an, dass sie [die DDR-Behörden] bei ihrer Arbeit mehr Selbständigkeit an den Tag legen, damit sie lernen, selbst zu arbeiten. Dies sei eine Frage der Entfaltung von Eigeninitiative. Sie müsse wahrscheinlich auch im Ministerrat angesprochen werden. Die Menschen seien sich noch nicht bewusst geworden, dass ein Umbruch eingesetzt habe. Sie stünden gewissermaßen auf einem Bein, sagte Grotewohl weiter, und das zweite Bein sei Karlshorst. Es sei notwendig, dass sie fest auf beiden Beinen stehen, ganz zu schweigen davon, dass der reduzierte Apparat der SKK ohnehin nicht in der Lage sei, alles zu umfassen. Deshalb ist Grotewohl der Meinung, dass man unsere Hilfe nur in besonders wichtigen grundsätzlichen Fragen in Anspruch nehmen und die übrigen Fragen selbständig entscheiden solle. Gen. Čujkov antwortete Grotewohl, er stimme ihm völlig zu und sagte weiter, dass er, wenn man über eine Situation informiert werde, in welcher die einen oder anderen Fragen unter dem Aspekt der Interessen der DDR nicht völlig glatt entschieden werden, die SED-Führung informieren werde und alle Fragen über sie laufen werden. Gen. Semenov sprach in diesem Zusammenhang ihm zugegangene Informationen an, wonach einige Parteimitglieder, die hohe Posten bekleiden, es nicht für nötig halten, die sowjetischen Behörden über bedeutende Fragen zu informieren, sondern nur über Lappalien berichten. Außerdem gebe es Parteimitglieder, die es nicht für nötig halten, die sowjetischen Behörden innerhalb mehrerer Monate wenigstens einmal anzurufen oder aufzusuchen, da sie der Meinung seien, wir müssten die Informationen von irgendwo sonst erhalten. Deshalb müsse der Kampf um Selbständigkeit zugleich ein Kampf gegen solche Tendenzen sein, die eine schwache (vielleicht auch starke – schwer zu sagen) Erscheinungsform von Nationalismus beinhalten. Pieck antwortete, für sie [die SED-Führung] sei eine solche Information von unserer Seite sehr nützlich, denn sie gebe ihnen die Möglichkeit, solche Tendenzen von Anbeginn zu unterbinden. Danach wies Gen. Čujkov darauf hin, dass Zaisser bekanntlich zum Minister für Staatssicherheit ernannt, aber nicht von seinen Pflichten als Chef der Reservepolizei11 entbunden worden sei und gegenwärtig das eine mit dem anderen verbinde. Beide Aufgaben so zu erfüllen, dass keine von ihnen Scha11  Im Original „rezervnoj policii“. Wahrscheinlich sind damit die kasernierten Einheiten der Volkspolizei gemeint, für deren Aufbau Zaisser als Leiter der HV Ausbildung des Ministeriums des Innern verantwortlich war. Zaisser, der das am 8. Februar 1950 gebildete MfS übernommen hatte, wurde in der Folge von der Leitung der HV Ausbildung entbunden und in dieser Funktion durch Heinz Hoffmann ersetzt (vgl. Dok. 83, Fn. 28).

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den nehme, sei fast unmöglich. Auf Zaissers [Polizei-]Stelle müsse ein politisch gebildeter, zuverlässiger und gefestigter Genosse gesetzt werden. Was die Polizeiausbildung angehe, so könne man hier [von sowjetischer Seite] eine nicht unerhebliche Hilfe leisten, aber an der Spitze der Reservepolizei müsse eine politische Figur stehen. Pieck antwortete, man werde in nächster Zeit einen entsprechenden Kandidaten auswählen. Gen. Čujkov machte Pieck und Grotewohl darauf aufmerksam, dass nach uns vorliegenden Informationen aus der ZKK die Vorbereitung zur Frühjahrsaussaat nicht überall reibungslos verlaufe: es gebe Mängel insbesondere bei der Reparatur von Traktoren und landwirtschaftlichen Maschinen und bei der Versorgung mit Düngemitteln, und er riet den Genossen, diese Frage im Politbüro der SED anzusprechen.12 Zum Schluss sagte Gen. Čujkov, dass in größerem Maße der private Sektor genutzt werden müsste, dabei gehe er von der Annahme aus, dass die deutschen Genossen offenbar nicht beabsichtigen, bei der Erstellung des Fünfjahrplans dessen völlige Beseitigung bzw. drastische Einschränkung zur Aufgabe zu machen. Pieck antwortete, das sei natürlich nicht der Fall. Grotewohl unterstrich in diesem Zusammenhang, dass auf den privaten Sektor etwa 50 Prozent aller Produktionskapazitäten entfallen und dass man mit ihm sensibel umgehen müsse, denn die kleinen und mittleren Privatunternehmer seien ein Stützpfeiler bei der Entwicklung der Bewegung der Nationalen Front. In Westdeutschland müsse sich die Meinung bilden, dass die kleinen und mittleren Privatunternehmer hier ein Recht auf Leben haben. Bei der Unterredung war der Dolmetscher Machalov anwesend. Die Unterredung dauerte drei Stunden. Das Gespräch wurde aufgezeichnet von Oberleutnant Machalov13 RGASPI, f. 17, op. 137, d. 309, Bl. 2–7.

12  Probleme der Frühjahrsaussaat wurden 1950 nicht im Politbüro der SED behandelt. Am 13. März stimmte dieses Gremium dem Entwurf des Aufrufs „Gute Frühjahrsbestellung ist die Voraussetzung für die Erreichung von Friedenserträgen!“ zu, der durch den „Block der antifaschistisch-demokratischen Parteien“ verabschiedet werden sollte, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/76, TOP  8, Anlage  2. Zu diesen Fragen hatte der Ministerrat der DDR bereits am 26.  Januar ein „Gesetz über Maßnahmen zur Erreichung der Friedenshektarerträge“ sowie eine Anordnung „über die Vorbereitung und Durchführung der Frühjahrsbestellung 1950“ beschlossen (vgl. BAB, DC 20-I/3/10, Anlage 1 und 2); das Gesetz war am 8. Februar in der Volkskammer verabschiedet worden. 13  Handschriftlich.



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15. Unterredung zwischen Außenminister Vyšinskij und dem Leiter der Diplomatischen Mission der DDR in Moskau Appelt Geheim

Moskau, 2. März 19501

Aus dem Tagebuch2 von A.Ja. Vyšinskij Heute empfing ich auf seine Bitte den Leiter der diplomatischen Mission der Deutschen Demokratischen Republik in Moskau, R. Appelt.3 Appelt teilte mit, dass er am 3. März zur Leipziger Messe fahre, die in diesem Jahr die größte Messe der Nachkriegszeit sein werde und auf der bis zu 20 000 Besucher aus Westdeutschland und bis zu 2 000 Besucher aus dem Ausland erwartet würden.4 Auf der Messe würden einige brandneue Erfindungen ausgestellt werden, die bis dahin geheim gehalten worden seien. Appelt sagte, er werde in sieben bis zehn Tagen nach Moskau zurückkehren. Appelt teilte mit, dass die Mission sowie auch das MfAA der DDR viele Briefe von in der Sowjetunion arbeitenden deutschen Spezialisten erhielten, in denen diese um Rückkehr nach Deutschland bäten.5 Er sagte, diese Briefe 1  Das Original erhielt Stalin. Kopien gingen an Molotov, Malenkov, Berija, Mikojan, Kaganovič, Bulganin, Gromyko, Zorin, Lavrent’ev, die Dritte Europäische Abteilung und (zwei Exemplare) in die Akten (letztere Angabe ist unterstrichen). Auf dem hier abgedruckten Dokument finden sich keine Registratur-, Ausgangs- oder Eingangsnummern. 2  „Tagebuch“ ist ein aus der russischen Kanzleisprache übernommener Begriff des Auswärtigen Dienstes der UdSSR für Gesprächsaufzeichnungen. 3  Zu dieser Unterredung existiert gleichfalls eine Aufzeichnung durch den Leiter der diplomatischen Mission der DDR in Moskau Appelt, vgl. PA AA, MfAA A, Bd. 143, Bl. 515–516. Im Wesentlichen stimmen beide Aufzeichnungen überein bis auf das folgende, nur in der Aufzeichnung Appelts verzeichnete Lob Vyšinskijs für Dertinger: „Zum Schluss unserer Unterredung kam Außenminister Wyschinskij auf die letzte Rede unseres Außenministers in der Volkskammer zu sprechen und bezeichnete sie als eine sehr gute und mutige Rede.“ Gemeint war eine Grundsatzerklärung Dertingers in der Volkskammer am 22. Februar 1950, über die das Neue Deutschland am 23. Februar auf S. 1 berichtete. Die Neue Zeit druckte die Erklärung am 26. Februar auf S. 2 und 3 vollständig ab. 4  Laut Abschlussbericht des Messeamts kamen insgesamt 355 000 Besucher zur Messe nach Leipzig (Neues Deutschland, 15. März 1950, S. 2). Die Gesamtsumme der auf der Leipziger Frühjahrsmesse abgeschlossenen Geschäfte betrug 526 Millionen DM (der DDR), vgl. ebenda, 16. April 1950, S. 7. 5  Appelt erklärte nach seinen eigenen Aufzeichnungen (vgl. Fn. 3) Folgendes: „Ich warf zuerst die Frage der deutschen Spezialisten in der Sowjetunion auf und schilderte, gestützt auf Unterlagen, die der Mission von deutschen Spezialisten zugegangen sind, daß es zahlreiche Fälle gibt, wo derartige Leute in der Sowjetunion nicht mehr gebraucht werden und den Wunsch geäußert haben, nach der Heimat zurückzukehren. Das betrifft Spezialisten aus der Textilindustrie, die ihre Aufgaben er-

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ließen sich in drei Kategorien einteilen: 1. von Spezialisten, die auf Vertragsbasis zur Arbeit in die UdSSR gereist seien und deren Zeit jetzt abgelaufen sei; 2. von Ehefrauen und anderen Familienangehörigen von in der Sowjetunion verstorbenen Spezialisten; sie würden jetzt nirgends arbeiten und von der Hilfe anderer Spezialisten leben; 3. von betagten Menschen im Alter von 60 Jahren und darüber. Außerdem gebe es Fälle, in denen Ehemänner in der UdSSR arbeiten, ihre Frauen und Kinder aber in Deutschland seien. Die Mission habe zu diesen und anderen Fragen zum Problem der deutschen Spezialisten zwei Noten an das MID der UdSSR geschickt.6 Bei einem der Gespräche habe Gribanov ihm, Appelt, gesagt, dass die gesamte Frage der deutschen Spezialisten in der UdSSR gegenwärtig geprüft werde. Appelt betonte, diese Frage sei im Kontext der näher rückenden Wahlen im Herbst 1950 von erheblicher politischer Bedeutung. Ich antwortete Appelt, die Frage der deutschen Spezialisten werde tatsächlich geprüft und ich werde mich um die Angelegenheit kümmern. Auf eine Zusatzfrage Appelts wies ich darauf hin, dass für die Mission vorerst kein Erfordernis besteht, weitere Noten zur Frage der Spezialisten an das MID zu schicken.7 füllt haben und deren Verträge abgelaufen sind, alte Leute über 60 Jahre, die krank sind und eine unwichtige Beschäftigung haben, weiters [sic] Leute, die nicht mehr als Spezialisten beschäftigt werden und schließlich Frauen mit Kindern, deren Männer hier gestorben sind. Der Herr Außenminister bestätigte mir, was wir bereits durch Herrn Gribanow wissen, daß die sowjetischen Stellen eine allgemeine Regelung der Frage der deutschen Spezialisten ausarbeiten und an einer für die Deutschen Demokratischen Republik befriedigenden Lösung interessiert sind. Auf meine konkrete Frage, ob die Mission an den einzelnen vorliegenden Fällen weitere Verbalnoten an das Außenministerium richten soll, antwortete der Herr Außenminister, daß dies nicht notwendig sei, weil die vorgesehene Regelung bald kommen dürfte und dann Klarheit geschaffen sein wird.“ Zum Problem der deutschen Spezialisten vgl. UdF 3, S. XL und 68–74 sowie UdF 4, S. 185–186, 208–209 und 367–368. 6  Appelt hatte das Problem der Spezialisten erstmals am 26. Januar 1950 im sowjetischen Außenministerium angesprochen und den Wunsch geäußert, zu einer „größeren Gruppe von Spezialisten nach Leningrad zu reisen, um zunächst einmal überhaupt den Bestand an Problemen und Notwendigkeiten aufzunehmen“. Er wurde von Gribanov gedrängt, sein Anliegen schriftlich darzulegen „und dann die entsprechende Antwort“ abzuwarten, vgl. PA  AA, MfAA A, Bd. 143, Bl. 506–510, hier Bl. 508. Daraufhin ging drei Tage später die erste DDR-Note zur Frage der Spezialisten im sowjetischen Außenministerium ein, vgl. AVP RF, f. 07, op. 23, p. 43, d. 199, Bl. 11. Eine zweite Note zu dieser Frage konnte nicht ermittelt werden. 7  Am 15. Juni 1950 teilte Sergej Kudrjavcev dem Missionsrat der DDR in Moskau M. Wolf mit: „In die DDR sind 58 deutsche Spezialisten abkommandiert worden, die vorher im Bereich des Ministeriums für Leichtindustrie gearbeitet haben … Diese 58 Menschen gehören zu der Gruppe von Spezialisten, nach denen die Mission der DDR in ihren Noten gefragt hatte.“ Vgl. AVP RF, f. 082, op. 37, p. 199, d. 4. Bl. 36. Am 11. November warf Appelt in einem Gespräch mit Gribanov die Frage der Spezialisten erneut auf: „In der DDR lassen Briefe deutscher Spezialisten aus der UdSSR



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Sodann fragte Appelt mich, ob schon irgendein Beschluss über das Planetarium für Stalingrad8 gefasst sei und ob er in Berlin zumindest berichten könne, dass die UdSSR zumindest prinzipiell einverstanden sei, dieses Geschenk anzunehmen. Appelt betonte, dass diese Frage ebenfalls politische Bedeutung habe. Ich antwortete, ein formeller Beschluss über das Planetarium sei noch nicht gefasst, und äußerte meine persönliche Meinung, dass dieses Geschenk ein guter Akt der Freundschaft sein werde. Ich versprach zu veranlassen, dass diese Frage beschleunigt entschieden wird.9 an ihre Angehörigen, in denen sie von ihrer ungeklärten Lage schreiben, einen unangenehmen Eindruck entstehen. Die deutschen Spezialisten – sagte Appelt – wissen nicht, wie lange sie noch in der Sowjetunion bleiben müssen. Dabei haben viele von ihnen einen Teil ihrer Familie in Deutschland, und gegenwärtig bemühen sie sich mit aller Kraft, in die Heimat zurückzukehren.“ Vgl. AVP RF, f. 082, op. 37, p. 199, d. 4, Bl. 74–75. Am 15.  November informierte Gribanov Gromyko über den Inhalt eines Gespräches: „Der Ministerrat der UdSSR betrachtet die Frage der deutschen Spezialisten nach den einzelnen Ministerien … [A]m 10. November ist außerdem eine Verfügung des Ministerrats über die deutschen Spezialisten ergangen, die im Bereich des Ministeriums für Verbindungswesen arbeiten. Entsprechend dieser Verfügung wird dem Ministerium für Verbindungswesen empfohlen, innerhalb von anderthalb Monaten den größten Teil der deutschen Spezialisten in die DDR zu schicken. Auch die Familien der übrigen Spezialisten dürfen nach Deutschland geschickt werden. Die Aufenthaltsfrist der im Bereich des Ministeriums für Verbindungswesen verbliebenen Spezialisten ist auf den 1. November 1952 festgesetzt … [I]ch halte es für zweckmäßig, die Frage der Informationsübermittlung an die Mission der DDR betreffend die beschlossenen Pläne der Regierung der UdSSR zur Verschickung der deutschen Spezialisten zu klären.“ Vgl. AVP RF, f. 082, op. 37, p. 199, d. 4, Bl. 80–81. Am 6. August 1952 konnte Gribanov die Rückführung des größten Teils der Spezialisten ankündigen, vgl. PA AA, MfAA A, Bd. 15611, Bl. 40–43. Doch zunächst blieben zahlreiche deutsche Fachleute weiterhin in der UdSSR. Bis 1955 nahm die Rückführung der Spezialisten einen bedeutenden Platz in der Arbeit der DDR-Mission ein. 8  Die Idee, ein Planetarium mit allem Zubehör als Geschenk für Stalin aus dem Erlös von Sonderschichten „Tausende[r] von Belegschaften“ zu bauen und durch deutsche Wissenschaftler, Architekten, Techniker und Aktivisten in Stalingrad aufzustellen, verkündete der FDGB-Vorsitzende Herbert Warnke am 28. November 1949 vor zehntausend Aktivisten in Leipzig (vgl. Neues Deutschland, 29. November 1949, S. 1). Ein Modell des Planetariums wurde zusammen mit den Bauplänen zu Stalins Geburtstag in Moskau übergeben (vgl. Neues Deutschland, 20. Dezember 1949, S. 8). Erst Ende 1951 bestätigte das Politbüro die deutschen Verantwortlichen. Das Planetarium wurde im September 1954 fertiggestellt. 9  Appelt erklärte nach seinen eigenen Aufzeichnungen (vgl. Fn. 3 zu diesem Dokument) Folgendes: „Zweitens warf ich die Frage des Planetariums auf und erklärte das Interesse der deutschen Stellen an dieser Angelegenheit. Außenminister Wyschinskij erwiderte, daß er mir zu seinem Bedauern noch keine Antwort wegen des Standortes und der mit dem Aufbau des Planetariums zusammenhängenden Fragen geben könne. Die Sowjetregierung habe noch keine Entscheidung getroffen. Es sei selbstverständlich, daß sich damit die von deutscher Seite geplanten Termine hinausschieben.“

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Zur Information teilte Appelt mir mit, dass die deutsche Handelsdelegation10 Kontakt zur chinesischen Handelsdelegation aufgenommen habe und mit ihr die Entsendung einer Handelsdelegation der DDR nach China im April vereinbart habe. Appelt verwies darauf, dass die Frage des Handels mit China von großem Interesse für ganz Deutschland sei und dass es in Westdeutschland einflussreiche Kreise gebe, die über die DDR eine Verbindung mit China herstellen möchten.11 Ich fragte Appelt, wie es derzeit mit den Stahllieferungen aus Westdeutschland in die DDR aussehe. Appelt antwortete, Stahl aus Westdeutschland komme an, aber auf inoffiziellem Wege, durch direkte Vereinbarungen mit Industriellen der Westzone.12 10  Gemeint ist die in Moskau weilende DDR-Delegation unter Leitung von Greta Kuckhoff, vgl. Dok. 24. 11  Appelt erklärte nach seinen eigenen Aufzeichnungen (vgl. Fn. 3 zu diesem Dokument) Folgendes: „Drittens informierte ich den Herrn Außenminister kurz über den mit der hier weilenden chinesischen Delegation aufgenommenen Kontakt und darüber, daß die Entsendung einer deutschen Handelsdelegation nach Peking vorgesehen ist.“ Die Handelsdelegation zur Herstellung wirtschaftlicher Kontakte mit China flog am 27. Juli 1950 nach Peking, vgl. Neues Deutschland, 28. Juli 1950, S. 1. In diesem Bericht hieß es zudem, sie hätte „Tausende von Angeboten westdeutscher Firmen … mitgenommen“. Im Ergebnis dieser und anderer Kontakte konnte am 10. Oktober 1950 ein Abkommen über den Waren- und Zahlungsverkehr zwischen der DDR und der Volksrepublik China unterzeichnet werden. Am 23. November bestätigte der DDR-Ministerrat dieses Abkommen und beschloss, „Vertreter der Chinesischen Volksrepublik zur Teilnahme an der nächsten Leipziger Frühjahrsmesse einzuladen“, vgl. BAB, DC 20-I/3/37, Bl. 3. Möglicherweise wurde das Angebot der Vermittlung von Handelskontakten nach China an westdeutsche Firmen auch gezielt als politisches Lockmittel eingesetzt, vgl. Dok. 59. 12  Appelt hielt dazu in seinen Aufzeichnungen (vgl. Fn. 3 zu diesem Dokument) Folgendes fest: „Seinerseits wollte Außenminister Wyschinskij wissen, ob die Stahllieferungen aus Westdeutschland nach unserer Republik tatsächlich eingestellt seien.“ Gemäß dem Frankfurter Abkommen vom 8. Oktober 1949 (vgl. Dok. 17, Fn. 18) sollten 150 000 t Walzwerkerzeugnisse und 110 000 t Roheisen (Gießerei- und Stahlroheisen) geliefert werden, was nicht in diesem Umfang geschah. An der Entwicklung des innerdeutschen Handels waren die OEEC-Staaten und in erster Linie die USA nicht interessiert. In der Zeit vom 18. Februar bis 9. März 1950 wurde beispielsweise der Verkauf von 37 Schiffen aus West-Berlin unterbunden. Am 8. Februar 1950 waren Stahllieferungen in die DDR durch das Bundesministerium für Wirtschaft unterbunden worden, vgl. DzD II, 3, S. 36–38, Anm. 1. In Ost- und Westdeutschland wurde in diesem Zusammenhang von einem „Stahlembargo“ gesprochen. In der im Ergebnis von Verhandlungen zwischen der Treuhandstelle für den Interzonenhandel (vgl. Dok. 98, Fn. 6) und Vertretern der DDR am 25.  Februar 1950 in Ost-Berlin unterzeichneten Vereinbarung, die „endgültig die Stahlsperre aufhebt und die vertragsgemäße Durchführung des Frankfurter Abkommens über den innerdeutschen Handel garantiert“, wurde im Konjunktiv formuliert: „Warenbegleitscheine würden für Eisen und Stahl wieder genehmigt, mit der Maßgabe, daß die restlichen Mengen gleichmäßig auf die Monate März, April, Mai, Juni verteilt würden.“ Vgl. Neues Deutsch-



Dokument 15: 2. März 195079

Zum Schluss der Unterredung fragte Appelt nach dem Stand der Dinge beim Gebäude für die Mission. Ich antwortete, dass wir uns um die Räumung des Gebäudes bemühen, dass es aber sehr schwierig sei, einen so wichtigen und sperrigen Apparat wie das Informbüro13 auszuquartieren. Ich hoffe aber, dass das Gebäude demnächst der Mission übergeben wird. Appelt bat um Erlaubnis, schon jetzt zwei Architekten zum Inspizieren des Gebäudes zu schicken, um festzustellen, welche Umbaumaßnahmen und welche Möbel erforderlich sind. Ich antwortete, dass ich darüber mit der Verwaltung für die Betreuung des diplomatischen Corps sprechen werde und dass ich meinerseits mit keinen Schwierigkeiten rechne.14

land, 26. Februar 1950, S. 1. Diese Vorsicht war gerechtfertigt, denn auf der Sitzung des Bundeskabinetts am 28. Februar 1950 beanstandete Adenauer „das eigenmächtige Vorgehen von Beamten des Bundesministeriums für Wirtschaft hinsichtlich der Aufhebung des Stahlembargos gegenüber der Ostzone. Es handele sich dabei um eine hochpolitische Frage. Die Alliierte Hohe Kommission sei sehr ungehalten in dieser Angelegenheit.“ Vgl. Kabinettsprotokolle, Bd. 2 (1950), S. 233–234. Da aber die Bestellungen aus der DDR anderweitig nicht absetzbar waren, suchten die Produzenten nach informellen Wegen, um Stahl an die DDR zu liefern. Wie diese Geschäfte abgewickelt wurden und welchen Umfang sie hatten, lässt sich nicht belegen. Es scheint dabei aber auch zu politischen Kontakten gekommen zu sein, vgl. Dok. 39. 13  Gemeint ist das „Sovinformbjuro“ der UdSSR, vgl. dazu UdF  2, S. 663, Anm. 99. 14  Appelt hielt dazu in seinen Aufzeichnungen (vgl. Fn. 3 zu diesem Dok.) Folgendes fest: „Viertens brachte ich wiederum die Frage unseres Missionsgebäudes zur Sprache. Außenminister Wyschinskij bedauerte lebhaft, daß es bisher trotz aller Mühe nicht gelungen sei, für das sowjetische Informationsbüro ein geeignetes Gebäude zu finden, damit die Übersiedlung erfolgen könne. Er erklärte mir, daß sich alle zuständigen Stellen und er selbst persönlich darum bemühen, daß wir unser Gebäude (die frühere deutsche Botschaft) beziehen können. Auf meinen neuerlich vorgebrachten Vorschlag, uns doch die Möglichkeit zu geben das Haus vermessen zu lassen, um Umbaupläne und Einrichtung [sic] in Deutschland in Arbeit geben zu können, erklärte er, daß er den Wunsch für berechtigt halte und bei den entsprechenden Stellen unterstützen werde.“ Am 2. April 1950, während des Empfangs einer deutschen Delegation anlässlich der Unterzeichnung des Handelsvertrags zwischen der DDR und der UdSSR (vgl. Dok. 24 und dort Fn. 4), „fragte Appelt erneut, wann er denn das Gebäude der früheren deutschen Botschaft bekommt“ (AVP RF, f. 082, op. 37, p. 199, d. 4., Bl. 22). Am 20. April traf sich Gribanov mit dem Ersten Rat der Diplomatischen Mission der DDR M. Wolf und notierte dazu: „Wolf teilte mir mit, dass er im Auftrag Appelts darum bittet, zwei deutschen Architekten aus der deutschen Delegation zum Studium des Städtebaus zu erlauben, das Haus zu besichtigen, das für die Übergabe an die Mission der DDR vorgesehen ist. Appelt würde das gerne in Verbindung mit dem Aufenthalt der deutschen Architekten in Moskau erledigen … Angesichts dessen, dass der Beschluss des Ministerrates zur Übergabe des Gebäudes der früheren Deutschen Botschaft an die Diplomatische Mission der DDR bereits erfolgt ist, halte ich es für möglich, der Bitte Appelts zu entsprechen.“ Vgl. ebenda, Bl. 25–

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Bei dem Gespräch war der Attaché der Dritten Europäischen Abteilung, Genosse S.I. Dorofeev, anwesend.

A. Vyšinskij15

AVP RF, f. 07, op. 23, p. 31, d. 10, Bl. 4–6.

16. Schreiben des Generalsekretärs Podcerob, des Leiters der Abteilung für Vertragsrecht Golunskij und des Leiters der Dritten Europäischen Abteilung Gribanov an Außenminister Vyšinskij Geheim

3. März 19501

An Gen. A.Ja. Vyšinskij Die Gen.  Čujkov und Semenov teilen mit (Telegramm vom 25.  Februar d. J.2), dass sie im Zusammenhang mit Verstößen gegen den Interzonenhandel3 zwischen dem Ost- und dem Westsektor von Berlin (was die unkontrollierte Ausfuhr von Erzeugnissen der Maschinenbau- und der Leichtindustrie aus der Ostzone zur Folge hat) beabsichtigen, der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik zu empfehlen, eine Anordnung betreffend die Kontrolle und Bekämpfung illegaler Warentransporte zu erlassen.4 Zwecks Vorbereitung eines Gutachtens zu der genannten Anordnung halten wir es für erforderlich, die Gen. Čujkov und Semenov um die Beantwortung der folgenden Fragen zu bitten: 26; zur Delegation der deutschen Architekten vgl. Dok. 3, Fn. 4. Vyšinskij gab die Erlaubnis zur Besichtigung des Gebäudes. 15  Handschriftlich. 1  Original an Vyšinskij. Kopien dieses Dokuments gingen an Podcerob und Gribanov sowie in die Akten. Das Dokument erhielt die Ausgangsnummer der Dritten Europäischen Abteilung 218/3eo. 2  Das Telegramm von Čujkov und Semenov wurde im AVP RF nicht ermittelt. 3  Gemeint sind Verstöße gegen das Frankfurter Abkommen vom 8. Oktober 1949 (vgl. Dok. 17, Fn. 18). 4  Am 20. April 1950 beschloss der Ministerrat der DDR das „Gesetz zum Schutze des innerdeutschen Handels“, durch das das Amt für Kontrolle des Warenverkehrs (AKW) gebildet (vgl. Dok. 17 und dort Fn. 15 sowie Dok. 19) und die Ausgabe von Warenbegleitscheinen sowie deren Anwendung auch auf den Handel mit West-Berlin geregelt wurde. Die Ausfuhr von Waren ohne Begleitschein sollte demnach mit Gefängnis nicht unter drei Jahren, in besonders schweren Fällen nicht unter fünf Jahren bestraft werden. Vom 1. Mai 1950 an sollten für den Warentransport in den Ostsektor Berlins ebenfalls Warenbegleitscheine eingeführt werden (vgl. BAB, DC 20-I/3/16, TOP 2, Anlage 2).



Dokument 16: 3. März 1950 81

1. Sind mit der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik Vorverhandlungen über den Erlass einer derartigen Anordnung geführt worden, und wie ist der Standpunkt der Regierung? 2. Welche Regelung der Ein- und Ausfuhr von Waren gilt in den West­ sektoren von Berlin, und sind irgendwelche Maßnahmen administrativer oder strafrechtlicher Ahndung wegen ungenehmigten Warentransports vorgesehen? 3. Was veranlasste die Gen. Čujkov und Semenov, in dem Entwurf der Anordnung Maßnahmen administrativer oder strafrechtlicher Ahndung für einfachen und organisierten Schmuggel vorzuschlagen, welche die in der früheren deutschen Gesetzgebung vorgesehenen um ein Mehrfaches überschreiten? 4. Man möge uns den genauen Text der deutschen Gesetze über Schmuggel der Vorhitlerzeit mitteilen sowie auch, sofern möglich, den Text der gegenwärtig in den Westzonen geltenden entsprechenden Gesetze. Gleichzeitig erachten wir es für zweckmäßig, ein Gutachten des MVT zum Telegramm der Gen. Čujkov und Semenov einzuholen. Entwürfe der Telegramme nach Berlin und eines Briefs an Gen. Men’šikov fügen wir bei.5 Wir bitten um Prüfung.6 B. Podcerob  S.  Golunskij  M. Gribanov7 AVP RF, f. 082, op. 37, p. 213, d. 86, Bl. 19–20.

5  Die Telegrammentwürfe konnten im AVP RF nicht ermittelt werden. Zum Brief an Men’šikov vgl. AVP RF, f. 82, op. 37, p. 213, d. 86, Bl. 21. Er ist datiert auf den 3.  März 1950 und mit der Nummer 216/3eo versehen. Men’šikov antwortete darauf am 20.  März, dass er nichts gegen die durch Čujkov und Semenov vorgeschlagenen Empfehlungen an die Provisorische Regierung der DDR betr. Kampf gegen den Schmuggel nach West-Berlin einzuwenden habe, vgl. ebenda, Bl. 22. 6  Vyšinskij vermerkte am linken Rand auf Bl. 19: „Einverstanden“. 7  Alle drei Unterschriften handschriftlich.

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17.  Unterredung zwischen dem Vorsitzenden der SKK Čujkov, Präsident Pieck und Ministerpräsident Grotewohl Geheim

17. März 19501

Aufzeichnung einer Unterredung des Vorsitzenden der SKK in Deutschland, Armeegeneral V.I.  Čujkov, mit den Vorsitzenden der SED, W.  Pieck und Otto Grotewohl, am 17. März 1950. Am 17. März 1950 suchten der Vorsitzende der SKKD, Armeegeneral Čujkov, und der stellvertretende politische Berater, Gen. Il’ičev, die Vorsitzenden der SED, W. Pieck und Otto Grotewohl, auf. Bei dem Gespräch teilte Pieck mit, dass der Vorsitzende der CDU, Nuschke, sein Einverständnis gegeben habe, bei den bevorstehenden Wahlen mit einer Einheitsliste anzutreten. Nuschke meine aber, dass die Vereinbarung der Blockparteien, bei den Wahlen mit einer Einheitsliste anzutreten, erst später auf besonderen Beschluss veröffentlicht werden sollte, je nach der Entwicklung der Ereignisse in Westdeutschland. So könne man beispielsweise, sollte es in Westdeutschland zu einem Beitritt zum Europarat2 kommen, diese Parteienvereinbarung als Antwort auf dieses Vorgehen der west1  Original. Hauptadressat des Dokuments war Vyšinskij. Die Aufzeichnung der Unterredung erfolgte durch V. Machalov. Kopien dieses Dokuments erhielten Grigorʼjan im ZK der VKP (b) und Semenov. Auf dem hier abgedruckten Exemplar ist die Eingangsnummer 03296 vom 30.  April 1950 und die Ausgangsnummer 1/00240 vom 18. Mai 1950 vermerkt sowie der Stempel des Technischen Sekretariats der Allgemeinen Abteilung des ZK der VKP (b) mit der Nummer 53028 d291 erkennbar. 2  Der Europarat war am 5. Mai 1949 durch den Abschluss des Londoner Zehnmächtepakts (vgl. Dok. 20, Fn. 10) gegründet worden. Gemäß Kapitel 1, Artikel 1 der Satzung des Europarates war es dessen Aufgabe, „einen engeren Zusammenschluß unter seinen Mitgliedern zu verwirklichen, um die Ideale und Grundsätze, die ihr gemeinsames Erbe sind, zu schützen und zu fördern und um ihren wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt zu begünstigen. Dieses Ziel wird mit Hilfe der Organe des Rates erstrebt durch die Prüfung von Fragen gemeinsamen Interesses, durch den Abschluß von Abkommen und durch gemeinsames Handeln auf den Gebieten der Wirtschaft, des sozialen Lebens, der Kultur, der Wissenschaft, der Rechtspflege und der Verwaltung sowie durch Schutz und Weiterentwicklung der Menschenrechte und Grundfreiheiten.“ Eigens wurde die Einschränkung gemacht, dass Fragen der nationalen Verteidigung nicht zur Zuständigkeit des Europarates gehören. Vgl. Bundesgesetzblatt 1950, Teil I, S. 263. Bereits im November 1949 verabschiedete der Ministerrat des Europarats in Paris die einstimmige Empfehlung, die Bundesrepublik als assoziiertes Mitglied aufzunehmen. Nach großen Kontroversen beschloss der Bundestag am 15. Juni 1950 in dritter Lesung den Beitritt. Am 11. Juli trat das entsprechende Gesetz in Kraft, und am 13. Juli wurde die formelle Beitrittsurkunde an den Generalsekretär des Europarates weitergeleitet. Am 5. August 1950 wurde die Bundesrepublik als assoziiertes Mitglied und am 2. Mai 1951 als vollberechtigtes Mitglied in den Europarat aufgenommen. Vgl. auch Dok. 35, Fn. 6.



Dokument 17: 17. März 195083

deutschen Reaktion veröffentlichen mit der Begründung, dass derartige Handlungen das gemeinsame Auftreten aller Parteien der DDR erforderlich machen.3 Pieck teilte des Weiteren mit, dass ebensolche Verhandlungen in den nächsten Tagen mit Kastner und Hamann (LDP) stattfinden sollen. Ziel der Verhandlungen sei der Abschluss einer gleichartigen Vereinbarung mit der LDP.4 Pieck bemerkte, für die bürgerlichen Parteien werde es, nachdem sie sich durch solche Vereinbarungen gebunden haben würden, schwer sein, eine Kehrtwende zu vollziehen, und er machte in diesem Zusammenhang auf eine Veröffentlichung der Zeitung der sächsischen SED, der sächsischen Volksstimme,5 aufmerksam, in welcher über eine dieser Tage abgehaltene Konferenz von Vertretern der SED mit Vertretern der CDU und der LDP des Landes Sachsen (Dedek, Rambo u. a.) berichtet werde, auf der ein Beschluss über die Aufstellung einer einheitlichen Kandidatenliste gefasst worden sei.6 Pieck fragte, wie die Meinung des Gen. Čujkov dazu sei, wie der Parteivorstand und das Politbüro auf diesen Schritt reagieren sollen. Zu sagen, man wolle keine Aufstellung einer Einheitsliste, fuhr Pieck fort, das gehe nicht; aber zu erklären, man sei dafür, aber für eine Veröffentlichung sei es noch zu früh, das sei auch nicht gut. Gen. Čujkov antwortete, die Hauptsache sei jetzt das Abfassen einer gemeinsamen Wahlplattform und die gemeinsame Vorbereitung auf die Wahlen, und was die genannte Äußerung angehe, so würde er es für richtig halten, 3  Am 15. März 1950 hatte Nuschke in einem Gespräch mit den beiden SED-Vorsitzenden „grundsätzlich gemeinsamen Listen“ zugestimmt, aber geraten: „… besser über Wahllisten nicht reden, sondern auf Folter spannen … Besser darauf zu warten, bis im Westen z. B. Beitritt zum Europa-Rat“. Vgl. BAB-SAPMO, NY 4036/722, Bl. 248. 4  Am 20. März 1950 erzielte Pieck im Gespräch mit Hamann „grundsätzliche“ Übereinstimmung, die Wahlen (vgl. Dok. 12, Fn. 13) auf Grundlage der Einheitsliste durchzuführen. Die Zustimmung Kastners erreichte Pieck fünf Tage später, vgl. BABSAPMO, NY 4036/722, Bl. 248. Formelle Vereinbarungen wurden jedoch weder mit der CDU noch mit der LDP getroffen. 5  Im Original mit deutschen Worten in kyrillischer Schrift als Sächsische Stimme wiedergegeben. Gemeint war die in Sachsen erscheinende SED-Zeitung Volksstimme. 6  Am 17. März 1950 berichtete die Volksstimme in ihrer Chemnitzer Ausgabe auf S. 1 unter der Überschrift „Volkswahlen keine Parteiangelegenheit!“ über ein „Gespräch am runden Tisch“, bei dem am Vortag „maßgebende Politiker der Blockparteien“, darunter Ernst Lohagen (SED), Willi-Peter Konzok (LDP), Josef Rambo und Magnus Dedek (beide CDU), eine gemeinsame „Kandidatenliste der Nationalen Front des demokratischen Deutschlands“ (so die Unterüberschrift) gefordert hätten. Alle genannten Vertreter wurden in dem Bericht einzeln mit entsprechenden Forderungen zitiert.

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wenn der Parteivorstand und das Politbüro einfach über diese Erklärung hinweggehen und überhaupt nicht darauf reagieren würden. Sollen sie an der Basis nur Geschrei machen, das sei ihre Sache. Wenn aber der Parteivorstand in einer bestimmten Weise reagiere, dann werden diejenigen, für die es da­ rauf ankomme, sofort verstehen, worum es hier geht. Pieck stimmte dem Gen. Čujkov voll und ganz zu.7 Gen. Čujkov machte Pieck und Grotewohl darauf aufmerksam, dass einigen Angaben zufolge die anglo-amerikanische Spionage und westdeutsche staatliche Dienste sich anschicken, eine breit angelegte finanzielle Diversion gegen die DDR zu betreiben. Sie würden gegenwärtig Ost-Mark billig aufkaufen, um nach den Wahlen und der Abschaffung des Bezugskartensystems zu versuchen, das Handelsnetz im Ostsektor von Berlin auszuzehren. Laut vorliegenden inoffiziellen groben Berechnungen, bemerkte Gen. Čujkov weiter, hätten sich in Westberlin gegenwärtig vermutlich etwa 400 Millionen Ost-Mark angehäuft. Um den Abfluss unserer Mark in die Westsektoren irgendwie zu unterbinden, sei auf seine (Čujkovs) Veranlassung in der Presse berichtet worden,8 dass die Westberliner Behörden die West-Mark aufgeben und beabsichtigen, die Ost-Mark als Grundlage für eine einheitliche Wäh7  Die SED-Führung folgte den Ratschlägen Čujkovs nicht, sondern blieb bei ihrer am 14. März 1950 im Parteivorstand festgelegten Linie, bei der Vorbereitung der Wahlen (vgl. Dok. 12, Fn. 13) die Anwendung der Einheitsliste durch verstärkte Arbeit an der Basis der bürgerlichen Parteien und durch eine breite Kampagne der Mobilisierung der Mitglieder dieser Parteien und der gesamten Bevölkerung vorzubereiten (BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/1/40). Ernst Lohagen musste vier Tage nach dem Gespräch mit dem SKK-Vorsitzenden im Politbüro Selbstkritik für seinen voreiligen Aufruf zur Einheitsliste (vgl. Fn. 6) üben, die SED wurde zugleich „verpflichtet, durch eine breite Massenkampagne die Voraussetzungen für die Aufstellung gemeinsamer Listen zu schaffen“ (BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/77, TOP 3). Am 28. März bestätigte dasselbe Gremium die Entwürfe zweier Erklärungen. Lediglich die erste allgemeine Erklärung zu den Wahlen wurde in der DDR-Presse in leicht modifizierter Form veröffentlicht. In ihr war zwar von „gemeinsamen Aufgaben“, aber weder von Einheitslisten noch von einem gemeinsamen Wahlprogramm die Rede. Die zweite Erklärung war zur Unterschrift durch die Vorsitzenden aller vier Parteien bestimmt. Sie griff die Vorschläge und Wünsche der bürgerlichen Parteien, speziell die von Nuschke (vgl. Fn. 3 zu diesem Dokument) auf. Sie sah vor, die Aufstellung einer Einheitsliste „erst nach Vereinbarung“ zu veröffentlichen (BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/80, TOP 2, Anlagen 1 und 2). Wie vom SED-Politbüro vorgesehen, beschloss der Block noch am 28. März, mit einem gemeinsamen Programm in die Wahl zu gehen. Nach dem Schluss der offiziellen Sitzung unterzeichneten alle Parteivorsitzenden eine Erklärung zur Aufstellung der Einheitsliste, die vorerst nicht veröffentlicht werden sollte. Zur weiteren Entwicklung vgl. Dok. 31, Fn. 2. 8  In einem mit „Vor Einführung der Ostmark in Westberlin?“ überschriebenen Artikel streute die Tägliche Rundschau am 17. März 1950 auf S. 1 das Gerücht, West-Berliner Wirtschaftssachverständige und Behörden planten aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit die Einführung der Ost-Mark in West-Berlin. Dies erkläre auch die hohen Ankäufe von Ost-Mark in West-Berlin.



Dokument 17: 17. März 195085

rung in Berlin anzuerkennen. Womit sei eine solche Erscheinung, dass viele Bewohner der Republik in den Westsektoren einkaufen, zu erklären? Dies erkläre sich dadurch, dass es für die Bewohner des Ostsektors auch bei einem hohen Wechselkurs vorteilhaft sei, ihr Geld in West-Mark zu tauschen, da die kommerziellen Preise9 der „HO“ und die in den Westsektoren geltenden Preise für die gleichen frei verkäuflichen Waren zueinander im Verhältnis 1:8,5, 1:11, 1:1710 u. ä. stehen. Es müssten konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung des Abflusses von [Ost-]Mark nach Westberlin erarbeitet werden. Was müsste dafür getan werden? Vor allem und möglichst bald die kommerziellen Preise in der „HO“ sowie auch die hohen Ankaufspreise senken, wobei die Erfassungspreise auf dem bisherigen Stand belassen und nicht, wie von den deutschen Behörden vorgesehen, erhöht werden, so dass die Bauern nicht in eine gegenüber den Arbeitern günstigere Lage gebracht werden, zumal das Budget einer Bauernfamilie (reine Einnahmen) ohnehin um zwei bis drei Mal höher liege als das Budget einer Arbeiterfamilie. Wenn man bei der Abschaffung des Bezugskartensystems die derzeitigen Preise für bewirtschaftete Waren beibehalte, dann werde der Haushalt der Republik das nicht verkraften. Wie es aussehe, werde man die Preise für bewirtschaftete Waren etwas anheben und die Preise für frei verkäufliche Waren deutlich senken müssen, um zu einheitlichen Preisen zu kommen. Es wäre zweckmäßig, eine Gruppe von Genossen zu beauftragen, einen Maßnahmenplan zur Sicherstellung der Abschaffung des Bezugskartensystems zu erarbeiten.11 Grotewohl antwortete auf die letzte Bemerkung des Gen. Čujkov, zu einheitlichen Preisen durch eine gewisse Erhöhung der Preise für bewirtschaftete Waren und eine Senkung der Preise für frei verkäufliche Waren müsse man schon zum Sommer kommen, damit die Preise nicht unmittelbar vor den Wahlen erhöht werden. Eine Senkung der Preise für frei verkäufliche Waren und eine gewisse Erhöhung der Preise für bewirtschaftete Waren seien 9  Preise, die mehr oder weniger denen für die gleichen Waren auf dem freien („schwarzen“) Markt entsprachen. 10  So im Original. Wahrscheinlich meinte Čujkov hier eine Umrechnung der Preise in Relationen der Ost-Mark zur West-Mark. 11  Im Zuge der Vorbereitung der Wahlen (vgl. Dok. 12, Fn. 13) hatte der Ministerrat am 2. Februar 1950 Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgung beschlossen (BAB, DC 20-1/3/11), die die Volkskammer drei Wochen später als Gesetz annahm und die DDR-Presse in großer Aufmachung veröffentlichte. Sie sahen eine Neuregelung der Pflichtablieferung und Neufestsetzungen der Lebensmittelpreise auch in den Läden der HO vor. Das Politbüro versuchte einen Monat später, einer zu starken Erhöhung der Erfassungspreise für landwirtschaftliche Produkte entgegenzusteuern (vgl. Dok. 18, Fn. 8), ließ aber gleichzeitig im Neuen Deutschland eine Senkung der Preise für Lebensmittel, Textil- und sonstige Industriewaren der HO um durchschnittlich 30 Prozent verkünden (vgl. Neues Deutschland, 26. März 1950, S. 1).

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schon vorgenommen worden, wobei die Erhöhung dieser Preise in der Bevölkerung ruhig aufgenommen worden sei und im Allgemeinen unbemerkt verlaufen sei, da die Preiserhöhung für Brot mit einer Verbesserung von dessen Qualität einhergegangen sei. Was aber den Haushalt betreffe, so ergebe sich allein durch die Erhöhung der Preise für Weißbrot bis zum 1. Juni ein Gewinn aus Akziseinnahmen in Höhe von 200 Millionen Mark, so dass die Einkommenssteuer eines Arbeiters zu Lasten dieses Postens gesenkt werden könne.12 Gen. Čujkov widersprach Grotewohl und sagte, der Haushalt erleide einen Verlust von einer halben Milliarde Mark allein deshalb, weil die Produkte, die bei den Bauern zu hohen Ankaufspreisen beschafft werden, in ihrer Mehrzahl nicht in den freien Verkauf gehen, wie dies ursprünglich vorgesehen gewesen sei, sondern in die bewirtschaftete Versorgung zu Festpreisen. Da die Waren zu den hohen Preisen in der „HO“ keine Käufer fänden, gehe die Bevölkerung zum Einkaufen in die Geschäfte der Westsektoren. Deshalb müsse die vorgesehene Preissenkung möglichst schnell vorgenommen werden. Gen. Čujkov bat Pieck und Grotewohl, bei der vorgesehenen Preissenkung auch Zucker zu berücksichtigen, für den der Preis, soweit er informiert sei, ursprünglich nicht gesenkt werden sollte, da das deutsche Ministerium auf der Basis unrichtiger Berechnungen das Aufkommen eines Mangels befürchtet habe, während aber Zucker in ausreichender Menge vorhanden sei. Gen. Čujkov machte Pieck und Grotewohl auch darauf aufmerksam, dass die in Westberlin geltenden niedrigen Preise nicht allein durch politische Erwägungen oder Dumping zu erklären seien, denn die Preise in Westdeutschland seien um 30–50 Prozent höher als auf dem Weltmarkt. Gen. Čujkov fragte des Weiteren Pieck und Grotewohl nach ihrer Meinung, ob nicht in der Presse eine Meldung über die bevorstehende Preissenkung veröffentlicht werden sollte. Grotewohl antwortete, man habe diesbezüglich schon bittere Erfahrungen gemacht. Wenn heute eine Preissenkung angekündigt werde, dann werde

12  Eine Senkung der Einkommenssteuer kam vor den Wahlen nicht zustande. In dem am 27. August 1950 in der DDR-Presse veröffentlichten gemeinsamen Wahlprogramm der Nationalen Front des demokratischen Deutschland heißt es dazu: „In fünf Jahren, mit der Erfüllung dieses großen Aufbauplans, werden die Menschen in der Deutschen Demokratischen Republik weit besser leben als je zuvor in Deutschland! Die Gewinne der Großbetriebe, die früher in die Taschen der Monopolkapitalisten flossen, kommen jetzt der Friedenswirtschaft und den werktätigen Menschen zugute. Damit wird es möglich, allmählich den Steueranteil der Werktätigen an den Staatseinkommen zu senken. Zum Beispiel wird die Lohnsteuer bis 1955 voraussichtlich um die Hälfte ermäßigt werden können.“ Vgl. Neues Deutschland, 27. August 1950, S. 1–2, hier S. 2.



Dokument 17: 17. März 195087

morgen in den Geschäften des freien Handels keine Menschenseele mehr sein. Der Handelsumsatz werde drastisch zurückgehen. Gen. Čujkov sagte, in diesem Falle müsse man die Senkung schneller durchführen und, wenn möglich, nicht bis zum 1. April warten.13 Gen. Čujkov sagte des Weiteren, die Senkung der Preise für frei verkäufliche Waren müsse mit der Bekämpfung des Schmuggels verbunden werden: hier müsse zeitlich abgestimmt zugeschlagen werden, und er stellte die Frage nach der Organisation des Zolldienstes. Gegenwärtig werde der Zolldienst von den Polizeibehörden betrieben und geleitet. Sowjetische Kontrollpunkte gebe es sehr wenig, und deren Personal zähle lediglich etwa 100 Personen in der gesamten Zone. Es stelle sich die Frage der Schaffung einer zentralen Zollverwaltung und die Frage, bei welchem Ministerium sie eingerichtet werden soll: beim Finanzministerium oder beim Handelsministerium? Grotewohl antwortete, beim Finanzministerium könne man sie nicht einrichten, da die Finanzministerien in den Ländern in den Händen der bürgerlichen Parteien seien und man (die SED-Führung) schon bittere Erfahrungen mit dem Fall Rohner14 und anderen habe. Gen. Čujkov bemerkte in diesem Zusammenhang, der Zolldienst müsse ausschließlich einem zentralen Ministerium der Republik unterstellt sein, und er schlug vor, dass das Politbüro der SED diese Frage entscheiden solle, und danach könne man einen faktisch schon funktionierenden Zolldienst übergeben.15 Dieser Dienst sei auch notwendig, um zu verhindern, dass Westberlin über Tarnfirmen Käufe unmittelbar bei Firmen in den Ländern tätigt. Sodann ging Gen. Čujkov zur Frage der Erstellung des Fünfjahrplans über und erinnerte Pieck und Grotewohl daran, dass die Erstellung des Plans bis zum 1. April abgeschlossen sein müsse. Deshalb würde er vorschlagen, so Gen. Čujkov weiter, für den 26. oder 27. März eine gemeinsame Konferenz zur Erörterung des ursprünglichen Planentwurfs, der zu diesem Zeitpunkt

13  Zu der am 25. März 1950 verkündeten Preissenkung für HO-Waren vgl. Fn. 11 zu diesem Dokument. Sie trat am 27. März in Kraft. 14  Gemeint ist der sächsische Finanzminister Gerhard Rohner, der im Februar 1950 in den Westen geflüchtet war (vgl. zu Rohner auch Dok. 2, Fn. 5). Als das Politbüro der SED diesen Fall am 21. März behandelte, konnte es keine formellen Fehler feststellen, kritisierte aber die „ausseretatsmässige Verwendung von Mitteln aus den sozialen Posten des Haushaltes“ (BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/80). 15  Čujkov verwies hier auf das Amt für Kontrolle des Warenverkehrs (AKW), dessen Bildung die Provisorische Regierung der DDR am 20. April 1950 beschloss, vgl. Dok. 16, Fn. 4 (vgl. dazu auch Dok. 19). Es war beim Ministerium für Innerdeutschen Handel, Außenhandel und Materialversorgung eingerichtet (vgl. Dok. 98, Fn. 5). Daraus ging am 28. August 1952 das „Amt für Zoll und Kontrolle des Warenverkehrs“ (AZKW) hervor. Es stand in engster Verbindung mit dem Ministerium für Staatssicherheit.

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fertig sein müsse, einzuberufen. An einer solchen Konferenz würde von sow­ jetischer Seite auch Gen. Koval’ teilnehmen und von Seiten der SED Rau. Pieck antwortete, die deutschen Genossen würden diese Arbeit bis Anfang April wahrscheinlich nicht schaffen, aber sie würden sie bis gegen Ende April erledigen. Gen. Čujkov sagte, er sei an dieser Frage besonders interessiert und seine Spezialisten würden die Erstellung eines Beschlussentwurfs für den Parteitag und die Ausarbeitung von Planvorgaben und einer Bilanz bis Anfang April für möglich halten. Pieck und Grotewohl stimmten dem Vorschlag, zum 27. März d. J. eine solche Konferenz einzuberufen, zu. Danach übergab Gen. Čujkov den Vertretern der SED ein Aide-mémoire zur Frage der Erfüllung des Export- und Importplans der DDR für die Monate Januar – Februar 195016 und bemerkte, die Export- und Importbilanz 16  Darin wurde vermerkt, dass im Januar–Februar 1950 die „hochwichtigen, für die Sicherstellung des Produktions- und insbesondere des Reparationsplans erforderlichen Güter“ Aluminium, Zinn, Mangan- und Chromerz gar nicht und die Güter Kupfer, Blei, Nickel, Kadmium, Schwefelkies, Kugellager, gewaschene Wolle und Rohleder nur „in ganz geringfügigen Mengen“ importiert worden seien. Erheblich zurückgegangen sei auch das Tempo der Lieferung von Roheisen: „Wurden im Januar noch 37,6 tsd. Tonnen geliefert, so waren es im Februar nur noch 16,1 tsd. Tonnen und in den ersten zehn Tagen im März 1,6 tsd. Tonnen.“ Weiter hieß es: „Die unbefriedigende Erfüllung des Importplans für die oben aufgelisteten Güter und Rohstoffe hat die Betriebe, die Aufträge im Rahmen der Reparationslieferungen ausführen, in Bedrängnis gebracht. Dies betrifft auch die Betriebe der staatlichen sowjetischen Aktiengesellschaften in Deutschland, die einen bedeutenden Teil der Reparationsaufträge ausführen. Die eigene Produktion der heimischen Industrie kann die Fehlmengen bei den Importlieferungen noch nicht ausgleichen. Laut uns vorliegenden Kenntnissen beabsichtigt das Ministerium für Außenhandel und Innerdeutschen Handel [im Ori­ ginal: Ministerium für Innerdeutschen Handel, Außenhandel und Materialversorgung] gegenwärtig, für den Ankauf von Kupfer und Blei 300 000 US-Dollar und 800 000  Deutsche Mark West bereitzustellen, was den Ankauf von lediglich 750 t Kupfer bei einem Bedarf laut Importplan von 2 050 t im März und von 750 t Blei bei einem Bedarf von 3045 t sicherstellen kann.“ Auf die „unbefriedigende Erfüllung des Importplans“ habe sich insbesondere die „schwache Erfüllung des Exportplans“ ausgewirkt (hierzu folgen Daten über die gestiegene Verschuldung gegenüber den Niederlanden, der Tschechoslowakei, Ungarn und Rumänien). „Außerdem betrug laut den Angaben des Rechenschaftsberichts des Ministeriums für Außenhandel und Innerdeutschen Handel die Verschuldung der Deutschen Demokratischen Republik gegenüber den Westzonen Deutschlands zum 1. März d. J. ca. 18 Mio. Deutsche Mark … Im Februar d. J. hat die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik das Ministerium für Außenhandel und Innerdeutschen Handel und das Finanzministerium der DDR angewiesen, dem Amt für Reparationen und Lieferungen der DDR 50 Mio. Mark West für den Ankauf defizitärer, für die Erfüllung der Reparationsaufträge erforderlicher Materialien und Rohstoffe zur Verfügung zu stellen. Gemäß Stand vom 10. März d. J. sind praktische Maßnahmen zur Erhebung und Bewilligung der genannten Mittel bislang nicht getroffen worden. Im Hinblick auf das oben Ausge-



Dokument 17: 17. März 195089

entwickele sich ungünstig. Handke sei in Moskau,17 wann er zurückkomme, sei schwer zu sagen, und hier arbeite das Ministerium schlecht. Gen. Čujkov bat Pieck und Grotewohl, die nötigen Weisungen zu erteilen. Pieck bemerkte, von Staatssekretär Ganter-Gilmans komme wenig Hilfe und stimmte Gen. Čujkov voll und ganz darin zu, dass die Arbeit des Ministeriums aktiviert werden müsse und versprach, die nötigen Weisungen zu erteilen. Gen. Čujkov verwies auf die hohe Verschuldung der DDR gemäß dem Frankfurter Abkommen18 (15,8 Millionen Mark) und sagte, die Lieferungen in die DDR könnten aus Gründen der Zahlungsunfähigkeit der letzteren eingestellt werden. Gen. Il’ičev informierte Pieck und Grotewohl über die Absicht des ZK des VLKSM [Komsomol], eine sieben Mann starke Delegation der FDJ in die UdSSR einzuladen, um sie mit den Erfahrungen der Komsomolarbeit und der Jugendbewegung in der Sowjetunion bekannt zu machen.19 Die sowjetische Regierung, sagte Gen. Il’ičev weiter, habe beschlossen, eine Gruppe unter der Leitung von Bolz (7 Mann) in die Sowjetunion einzuladen, um sie mit den Erfahrungen des Wiederaufbaus von Städten und der kommunalen Wirtschaft bekannt zu machen.20

führte wäre es angebracht, den Sachstand bei der Erfüllung der Import- und Exportpläne im Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik zu erörtern und Maßnahmen zur Sicherstellung der Erfüllung dieser Pläne zu erarbeiten.“ Vgl. RGASPI, f. 17, op. 137, d. 309, Bl. 51–53. 17  Der Minister für Innerdeutschen Handel, Außenhandel und Materialversorgung Georg Handke hielt sich zusammen mit Greta Kuckhoff zu Verhandlungen für den ersten Handelsvertrag der DDR mit der UdSSR in Moskau auf (vgl. Dok. 24 und dort Fn. 4). Am 29. März bemühte sich Pieck um die Rückkehr Handkes, Vgl. Dok. 19 und dort Fn. 21. 18  Gemeint ist das „Interzonenhandelsabkommen“ oder auch „Frankfurter Abkommen“, das am 8. Oktober 1949 in Frankfurt am Main unterzeichnet worden war. Es sicherte, ohne die betreffenden Staaten zu nennen, den Warenverkehr zwischen den Währungsgebieten der DM-Ost (DDR) und der DM-West (Bundesrepublik) durch die gegenseitige Lieferung von im Voraus in getrennten Listen vereinbarten Waren, für die die zuständigen politischen Behörden jeweils besondere „Warenbegleitscheine“ auszustellen sich verpflichteten. Die Bezahlung aller Lieferungen erfolgte ausschließlich auf dem Verrechnungsweg über die Bank deutscher Länder und die Deutsche Notenbank mit getrennten Konten „A“ und „B“ nach speziellen Verrechnungsverfahren und Kreditrahmen. Das Abkommen hatte eine Geltungsdauer bis zum 30. Juni 1950, also von nur knapp neun Monaten, vgl. DzD II, 2, S. 126–138. 19  Die von Heinz Keßler geleitete zehnköpfige FDJ-Delegation flog am 26. April aus Berlin-Schönefeld ab und kehrte nach der Teilnahme an den Feiern zum 1. Mai am 16. Mai 1950 zurück. 20  Die vom Minister für Aufbau Lothar Bolz geleitete Delegation reiste am 12. ­April 1950 nach Moskau und kehrte am 2. Mai 1950 zurück.

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Gen. Il’ičev übergab Pieck und Grotewohl ein Aide-mémoire über die politischen Fehler, die in der Berliner Zeitung gemacht worden seien (ist beigefügt).21 Pieck räumte ein, dass die Leitung der Berliner Zeitung politisch geschwächt worden sei, nachdem eine Reihe von Mitarbeitern von dort auf eine andere Arbeit versetzt worden sei, und er versprach, die Situation zu korrigieren. Pieck informierte des Weiteren die Gen. Čujkov und Il’ičev darüber, dass ein gewisser Schauss aus Hannover sich im Auftrag von Albertz und Gereke (Minister der niedersächsischen Landesregierung) an das MfAA der DDR mit dem Vorschlag gewandt habe, die DDR solle diejenigen Übersiedler aus Polen, die von den Engländern nicht aufgenommen werden, in Internierungs21  Dieses lautete: „Die Berliner Zeitung, die im Wesentlichen die richtige Linie verfolgt und die Politik der SED aktiv popularisiert, lässt sich in letzter Zeit zahlreiche grobe Fehler zuschulden kommen, die das Niveau der Zeitung erheblich mindern. So brachte sie am 9. November 1949 einen Artikel mit der Überschrift ‚Marschall Rokossowski zum Verteidigungsminister ernannt‘ und über der Überschrift [sic] ‚­Polen gefährdet‘. Am 28. Januar veröffentlichte die Zeitung unkommentiert einen Teil einer Rede Schumachers, in der dieser sagt, der Lebensstandard in Westdeutschland sei ‚sogar niedriger als in Österreich, Italien und der Sowjetunion‘. Am 21. Fe­ bruar 1950 wurde ein Artikel ‚Alliierte Kritik an der Bonner Regierung‘ veröffentlicht (obwohl bekannt ist, dass die Anglo-Amerikaner keine Verbündeten des deutschen Volkes sind und ihre ‚Kritik‘ nur eine Finte ist). Am 16. März 1950 erschien ein unnötiger Artikel ‚Oder-Neiße, Ruhr, Saar‘ [tatsächlich „Oder, Neiße, Ruhr und Saar“], der die Fragen der Westgrenzen Polens unrichtig beleuchtete. In derselben Ausgabe gab es eine Notiz über die Ergebnisse der Wahlen zum Obersten Sowjet der UdSSR, die mit der unrichtigen Überschrift ‚99,37 % für Stalin‘ versehen war. In der Notiz wurden unrichtige Zahlen zu den Wahlergebnissen angeführt.“ Vgl. RGASPI, f. 37, op. 137, d. 309, Bl. 54. Das Aide-mémoire gab die genannten Artikel in der Berliner Zeitung in Teilen ungenau wieder, möglicherweise aufgrund ungenauer Übersetzungen ins Russische. So hatte der Bericht über Rokossovskij vom 9. November 1949 die Überschrift „Polens großer Sohn kehrt zurück“, darunter stand als Unterüberschrift: „Rokossowski zum Verteidigungsminister ernannt / Polen gefährdet“. Laut Bericht der Berliner Zeitung vom 28. Januar 1950, S. 2, habe Schumacher in einer Erklärung in Freiburg Westdeutschland als Land „der großen Klassengegensätze“ bezeichnet, „in dem viel mehr Menschen hungerten als anderswo“ und der größte Teil der Bevölkerung an dem „Schaufensterreichtum“ keinen Anteil habe. Abschließend hieß es darin: „Die westdeutschen Reallöhne ständen hinter denen der Sowjetunion, Italiens und Österreichs.“ Der Artikel vom 21. Februar 1950 auf S. 5 trug die Überschrift „Alliierte Kritik an Bonner Wirtschaft“ und führte aus, dass die kritisierten Verhältnisse durch die Westalliierten erst erzeugt worden seien, diese jedoch „die gesamte Verantwortung auf die deutsche ‚Bundesregierung‘ “ abwälzten. In der erwähnten ADN-Meldung auf der gleichen Seite hieß es unter der Überschrift „99,37 % stimmten für Stalin“: „Nach Mitteilung der Zentralen Wahlkommission für die Wahlen zum Obersten Sowjet der UdSSR betrug die Gesamtzahl der Wähler 111 116 373 Personen. Davon wählten 111 090 010 Personen oder 99,98 %. 99,37 % aller Wähler stimmten für die Kandidaten des Blocks der Kommunisten und Parteilosen.“



Dokument 17: 17. März 195091

lager stecken, und wenn diese Übersiedler in der Masse der Internierten aufgegangen seien, sie mit entsprechenden Papieren illegal über die Zonengrenze in den Westen bringen. (Die Engländer würden nur die Aufnahme solcher Übersiedler erlauben, die bei ihnen in den Listen verzeichnet seien und die laut den Papieren Verwandte in Westdeutschland haben.)22 Pieck sagte, die Herren aus Westdeutschland bräuchten anscheinend Agitationsmaterial, und hier gehe es um eine weitere Provokation. Deshalb habe er (Pieck) dem Staatssekretär im MfAA, Ackermann, aufgetragen zu antworten, man sei daran nicht interessiert. Gen. Čujkov stimmte dem Standpunkt Piecks voll und ganz zu. Zum Abschluss der Unterredung sprach Grotewohl die Frage der bürgerlichen Minister in der Regierung der DDR an und ging auf Kastner und Nuschke ein. Kastner und Nuschke würden viele Einladungen nach Westdeutschland und in andere Länder erhalten mit der Aufforderung, dort eine Reihe von Referaten, Vorträgen u. ä. zu halten. So sei Kastner nach München, Zürich, Florenz, Stockholm u. a. eingeladen worden. Grotewohl habe ihnen auf ihre Ansprüche hin erklärt, er halte eine Reise eines stellvertretenden Ministerpräsidenten der DDR in Länder, die den Atlantikpakt23 und den Marshallplan24 anerkennen, für nicht akzeptabel, zumal diese Länder die DDR nicht anerkannt haben. Eine solche Absicht könne dem Vertrauen, das der DDR von den befreundeten Ländern entgegengebracht worden sei, und vor allem dem Vertrauen seitens der Sowjetunion schaden. Kastner habe daraufhin mit einer Kabinettskrise gedroht, sich aber beruhigt, nachdem Grotewohl ihn gefragt habe, bis wann er mit dem Eingang der endgültigen Rücktritts­ erklärung Kastners rechnen könne, um sie an die Presse weiterzuleiten. Grotewohl sagte weiter, Kastner sei ein Mann, der es faustdick hinter den Ohren habe, und es sei schwer zu beurteilen, ob nicht eine solche Reisestrecke (München, Florenz, Zürich …) eines schönen Tages Kastners endgültige Reisestrecke sein werde. Während man hier die bürgerlichen Minister unter Beobachtung halten könne, könne man das in der Schweiz oder in Italien nicht, und das jetzige Kabinett müsse bis zu den Neuwahlen unbedingt bestehen bleiben. Grotewohl bemerkte auch, Kastners Gattin habe in einer Unterhaltung mit der Frau von Dieckmann bei einem Bankett in Leipzig sehr lebhaft von der Überführung von Vermögenswerten in die Schweiz und sogar nach Südamerika gesprochen. Gen. Čujkov riet Grotewohl, die bürgerlichen Minister, und dazu auch einige Minister, die SED-Mitglieder seien (Selbmann, Reingruber), fester an die Kandare zu nehmen. Wenn sie eine feste Hand über sich spüren, dann 22  Ein solches Schreiben von Schauss, einem Referenten Günther Gerekes (vgl. Dok. 8, Fn. 4), konnte nicht ermittelt werden. 23  Gemeint ist der Nordatlantikpakt, vgl. Dok. 8, Fn. 5. 24  Zum Marshallplan vgl. Dok. 10, Fn. 7.

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werden sie von größerem Respekt gegenüber der Republik durchdrungen sein. Die Unterredung dauerte 2 Stunden 20 Minuten. Bei der Unterredung war der Dolmetscher Machalov zugegen. Das Gespräch wurde aufgezeichnet von Oberleutnant Machalov25 Anlagen: Aide-mémoires 1. Über die Erfüllung des Export- und Importplans der DDR für Januar– Februar 195026 2. Über politische Fehler in der Berliner Zeitung27 RGASPI, f. 17, op. 137, d. 309, Bl. 43–50.

18.  Unterredung zwischen dem Vorsitzenden der SKK Čujkov, Präsident Pieck und Ministerpräsident Grotewohl Geheim

23. März 19501

Aufzeichnung einer Unterredung des Vorsitzenden der SKK in Deutschland, Armeegeneral V.I.  Čujkov, mit den Vorsitzenden der SED, W.  Pieck und O. Grotewohl, am 23. März 19502. An dem Gespräch nahmen der stellvertretende politische Berater, Gen. Il’ičev und der Minister für Planung der DDR, Rau, teil. Zu Beginn der Unterredung sagte Gen. Čujkov, er habe von dem Beschluss einer Kommission unter der Leitung von Rau erfahren, die Erfassungspreise3 25  Handschriftlich. 26  Vgl.

Fn. 16. Fn. 21. 1  Original. Hauptadressat des Dokuments war Vyšinskij. Die Aufzeichnung der Unterredung erfolgte durch V. Machalov. Das Dokument erhielt am 30. April 1950 die Eingangsnummer 03299. Kopien dieses Dokuments wurden mit der Ausgangsnummer 1/00240 am 18. Mai 1950 an Semenov und Grigorʼjan weitergeleitet. Im Technischen Sekretariat der Allgemeinen Abteilung des ZK der VKP (b) erhielt das Dokument die Eingangsnummer 53208 d29a. Pieck fertigte während oder nach der Unterredung ein Stichwortprotokoll zu dieser Unterredung an, vgl. Badstübner/Loth, S. 337–339. 2  Nach den Aufzeichnungen von Pieck (vgl. Fn. 1) begann das Gespräch um 20 Uhr bei ihm „im Hause“ im Schloss Niederschönhausen, dem Sitz des DDR-Präsidenten, das Pieck zugleich als Wohnung nutzte. 3  Nach den Aufzeichnungen von Pieck (vgl. Fn. 1) war von „Erfassungspreisen“ die Rede, der Ministerrat der DDR sprach im selben Zusammenhang von „Erzeugerpreisen“ (vgl. Fn. 4), das Politbüro von „Erfasserpreisen“ (vgl. Fn. 5). 27  Vgl.



Dokument 18: 23. März 195093

für Fleisch, Milchprodukte, Eier und Ölpflanzen um 25 Prozent zu erhöhen. Uns sei nicht ganz klar, was der Grund für eine solche Erhöhung der Erfassungspreise sei. Pieck antwortete dem Gen. Čujkov, der Beschluss über die Erhöhung der Erfassungspreise für Fleisch, Eier, Milchprodukte, Ölpflanzen und Hülsenfrüchte um 20–25 Prozent sei bereits vom Ministerrat der DDR gefasst worden.4 Für Brot, Kartoffeln und Gemüse würden sie auf dem bisherigen Stand verbleiben. Gen. Pieck sagte des Weiteren, dem Regierungsbeschluss sei ein Beschluss des Politbüros der SED vorausgegangen,5 der ein Projekt bestätigt habe, das von einer Kommission unter der Leitung von Rau vorgelegt worden sei. Ein Kommuniqué über den Beschluss des Ministerrats sei zur Veröffentlichung an die Presse und den Rundfunk gegeben worden.6 Gen. Čujkov erinnerte daran, dass er während der Unterredung vom 17. März 1950 den Vorsitzenden der SED seine Überlegungen zur Unzweckmäßigkeit einer solchen Preiserhöhung dargelegt habe und dass Pieck und Grotewohl damals mit seinen Ausführungen einverstanden gewesen seien.7 Pieck und Grotewohl hätten ihm damals recht gegeben, so Gen. Čujkov, dass von einer solchen Erhöhung der Erfassungspreise vor allem die wohlhabenden und großbäuerlichen Betriebe profitieren, auf die über 60 Prozent der gesamten Landfläche entfallen (160 000 Betriebe). Dabei würden diese wohlhabenden und großbäuerlichen Betriebe von den Subventionen in Höhe von 200 Millionen Mark im Falle einer Erhöhung der Erfassungspreise 112 Millionen erhalten, während die armen und mittleren Betriebe (511 000) insgesamt nur 82 Millionen erhalten. Eine Erhöhung der Erfassungspreise bedeute auch, dass die Arbeiter und Angestellten zusätzliche Steuern zu schultern hätten. Gen. Čujkov merkte des Weiteren an, dass im Haushalt der Republik die zur Auszahlung dieser Subvention erforderlichen Mittel nicht vorhanden seien, und dass deshalb die SED Mittel und Wege für einen Ausweg aus der entstandenen Situation finden müsse. 4  Bereits am 2. Februar 1950 hatte der Ministerrat zusammen mit dem Entwurf eines Gesetzes über die Verbesserung der Versorgung der Bevölkerung die Erhöhung der „Erzeugerpreise“ beschlossen (vgl. Dok. 17, Fn. 11). Nach der Annahme dieses Gesetzes durch die Volkskammer beschloss der Ministerrat am 23. März 1950 – also unmittelbar vor dieser abendlichen Unterredung – nach einem Vortrag von Finanzminister Loch eine Erhöhung der „Erzeugerpreise“ für Schlachtvieh, Milch und Eier um 25 Prozent sowie für Öl- und Hülsenfrüchte um 20 Prozent (BAB, DC 20-1/3/15). 5  Das Politbüro der SED hatte zur Erhöhung der „Erfasserpreise“ am 14. Februar 1950 einen entsprechenden Beschluss gefasst, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/71, TOP 13, Anlage 6. 6  Zur Bekanntgabe der Preiserhöhungen vgl. Fn. 8. 7  Eine Einverständniserklärung Piecks und Grotewohls wurde nach der Unterredung am 17. März zumindest nicht protokolliert, vgl. Dok 17.

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Grotewohl räumte ein, dass man einen schweren Fehler gemacht habe, aber jetzt etwas zu unternehmen, nachdem die Regierung den Beschluss gefasst habe, sei schwierig. Pieck erklärte, die Kommission, die an dieser Frage gearbeitet habe, habe das Politbüro unrichtig informiert, und das Politbüro habe sich nicht in ausreichendem Maße kundig machen können und habe einen Fehler begangen.8 Gen. Čujkov fragte die Parteivorsitzenden des Weiteren nach ihrer Meinung zu der Erklärung der Bonner Regierung bezüglich der Abhaltung gesamtdeutscher Wahlen.9 Pieck antwortete, diese Erklärung sei ein gewissenloser Versuch, das deutsche Volk zu täuschen, denn von was für freien Wahlen könne die Rede sein, wenn sie unter dem Diktat der herrschenden Kreise Englands und Amerikas stattfinden? Dieser Erklärung, so Pieck weiter, stelle man die Losung „Freie Wahlen in einem freien Land“10 entgegen. Grotewohl merkte an, die von der Bonner Regierung erhobene Forderung nach Abhaltung gesamtdeutscher Wahlen ziele darauf ab, die Idee der Nationalen Front und der Einheitslisten bei den bevorstehenden Wahlen zu diskre8  Im unmittelbaren Anschluss an das Gespräch mit Čujkov und diesen Beschluss beauftragte das Politbüro „die Genossen in der Regierung“, dessen Korrektur zu beantragen. Die Erhöhung der Einkaufspreise für landwirtschaftliche Produkte dürfe nicht mehr als zehn Prozent betragen (BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/79). Der Ministerrat korrigierte daraufhin auf Antrag Grotewohls am 30. März 1950 seinen eigenen Beschluss (BAB, DC 20-1/3/15). Das Neue Deutschland meldete die Preiserhöhung für landwirtschaftliche Erzeugnisse bereits am 25. März, ohne sie jedoch zu beziffern (S. 2). 9  Ausgelöst durch die Erklärung des Hohen Kommissars der USA in Deutschland McCloy vom 28.  Februar 1950 zur Herstellung der deutschen Einheit mittels freier Wahlen in ganz Deutschland als Ziel der amerikanischen Politik (DzD II, 3, S. 55–56) hatte die Bundesregierung am 22. März den Erlass eines Wahlgesetzes durch die vier Besatzungsmächte als entscheidende Voraussetzung für die Durchführung dieser Wahlen benannt, vgl. ebenda, S. 127–128. Die Durchführung freier gesamtdeutscher Wahlen unter Kontrolle der vier Mächte oder der Vereinten Nationen stand bereits im Januar 1950 im Mittelpunkt des „Ostprogramms“ des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen, vgl. ebenda, S. 491–500. 10  Im Neuen Deutschland wurde diese Losung erstmals 24. März 1950 in einem Kommentar auf S. 1 unter dieser Überschrift veröffentlicht und dazu erklärt: „Alle Vorbedingungen für wirklich freie Wahlen … gipfeln in der Feststellung: Die entscheidende Voraussetzung für freie Wahlen ist ein freies Land. Eine Bevölkerung, die nicht frei atmen kann, kann auch nicht frei wählen.“ Eine ähnliche Formulierung war jedoch auch bereits in einem Kommentar zur Erklärung McCloys (vgl. Fn. 9) gewählt worden, vgl. Neues Deutschland, 1. März 1950, S. 1. In der vom Politbüro der SED am 28. März bestätigten (vgl. Dok. 17, Fn. 7) gemeinsamen Erklärung des Blocks der antifaschistisch-demokratischen Parteien und Massenorganisationen hieß es dann: „Die Wahlen [in der DDR am 15. Oktober 1950] werden wahrhaft freie, demokratische Wahlen in einem freien Lande sein.“ Vgl. Neues Deutschland, 30. März 1950, S. 1.



Dokument 18: 23. März 195095

ditieren. Auf der anderen Seite sei das ein Manöver mit dem Ziel, die Aufmerksamkeit von der Abtrennung des Saargebiets11 abzulenken. Eine notwendige Voraussetzung für die Abhaltung gesamtdeutscher Wahlen sei die Rückkehr zum Potsdamer Abkommen12 und die Annullierung des Besatzungsstatuts.13 Gen. Čujkov sagte in diesem Zusammenhang, dieser Schritt der Bonner Regierung sei zweifellos ein breit angelegtes Manöver, zumal Adenauer buchstäblich dieser Tage die Notwendigkeit einer Union zwischen Westdeutschland und Frankreich erklärt habe.14 Gen. Čujkov bemerkte auch, dass es bei der Antwort auf die Erklärung Bonns zweckmäßig wäre, sie mit der vorausgegangenen Erklärung Adenauers in Zusammenhang zu bringen. Grotewohl teilte mit, es sei nicht daran gedacht, irgendeine Regierungs­ erklärung abzugeben, und man halte die Erklärung Nordens auf der Pressekonferenz für ausreichend,15 und er sagte weiter, er beabsichtige, dieser Tage in Leipzig zu dieser Frage zu sprechen,16 und merkte an, dass es sehr wün11  Am 3. März 1950 war in Paris zwischen den Regierungen Frankreichs und des Saarlandes die „Allgemeine Konvention zwischen dem Saarland und Frankreich“ abgeschlossen worden (vgl. Amtsblatt des Saarlandes 1951, S. 3–5), die mit weitgehenden Sonderrechten für Frankreich in Deutschland auf breite Unzufriedenheit stieß und am 20. Mai 1953 durch eine neue Konvention ersetzt wurde. 12  Zu den Beschlüssen der Potsdamer Konferenz vgl. Dok. 5, Fn. 13. 13  Zu dem auf der Außenministerkonferenz der drei Westmächte vom 5. bis 8. April 1949 in Washington beschlossenen, am 10. April 1949 in Bonn dem Präsidenten des Parlamentarischen Rats Adenauer übergebenen und am 12. Mai 1949 durch die Militärgouverneure und Oberbefehlshaber der drei Westzonen veröffentlichten Besatzungsstatut, das am 21. September 1949 in Kraft trat, vgl. UdF 4, S. 529, Anm. 4. Es ist in DzD II, 2, S. 338–344 veröffentlicht. 14  Seinen Vorschlag einer Union mit Frankreich hatte Bundeskanzler Adenauer in einem Interview mit Joseph Kingsbury-Smith entwickelt. Der Wortlaut dieses Interviews ist abgedruckt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 22. März 1950 auf S. 3. Vgl. in diesem Zusammenhang auch den Schuman-Plan (Dok. 39, Fn. 25). 15  Am selben Tag wie die Unterredung, dem 23. März 1950, gab der Pressechef des Amtes für Information der DDR Albert Norden auf einer Pressekonferenz eine Erklärung zu den Wahlvorschlägen der Bundesregierung (vgl. Fn. 9 zu diesem Dokument) ab. Sie wurde am Tag darauf im Neuen Deutschland unter dem Titel „Amerikanische Wahlen sind nicht frei“ zusammengefasst (S. 1). Demnach bezeichnete Norden die „Existenz und Tätigkeit“ der Bundesregierung als einen Bruch des Potsdamer Abkommens. Die Wahlvorschläge seien „ein demagogisches Manöver, das aus Furcht vor der wachsenden Kraft der Nationalen Front … propagiert werde“. Adenauers Vorschlag betreffend eine Union mit Frankreich (vgl. Fn. 14 zu diesem Dokument) wurde in der Erklärung nicht thematisiert. 16  Am 26.  März 1950 berichtete die DDR-Presse über Grotewohls Besuch des Kraftwerks Böhlen bei Leipzig (das bei dieser Gelegenheit auf seinen Namen umgetauft wurde). Äußerungen zur Deutschlandpolitik wurden dabei nicht überliefert.

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schenswert und für sie [die DDR-Führung] äußerst nützlich wäre, wenn die sowjetische Regierung ihre Haltung zu dieser Erklärung Bonns äußern würde. Gen. Čujkov antwortete, für die sowjetische Regierung sei das kaum machbar, da sie den separaten westdeutschen Staat nicht anerkenne. Grotewohl berichtete danach von seinem Treffen mit den Vertretern der Evangelischen Kirche, Bischof Dibelius und dem Geistlichen Grüber, am 23. März 1950. Bischof Dibelius habe zunächst einige zweitrangige Fragen angesprochen, aber dann unverschämte provokative Erklärungen abgegeben des Inhalts, dass in der DDR die Gewissensfreiheit abgeschafft sei, dass das Volk sich nicht traue, offen seine Ansichten zu äußern, dass gute und aufrichtige Christen verfolgt werden usw. usf. Seine Erklärung habe Dibelius dahingehend zusammengefasst, dass die einzige Verfechterin von Freiheit und Gerechtigkeit in der Republik die Evangelische Kirche sei.17 Grotewohl habe Dibelius gefragt, worin eigentlich der Zweck seines Besuchs bestehe; wenn Dibelius wünsche, mit den guten Beziehungen zwischen Staat und Kirche Schluss zu machen, dann habe er mit seiner Erklärung ein gutes Stück dazu beigetragen. Sollte es aber, so Grotewohl weiter, um Verhandlungen mit der Regierung gehen, dann möge Dibelius in diesem Falle doch geruhen, konkrete Fakten und Materialien vorzulegen. Dibelius habe Grotewohl darauf geantwortet, er könnte Materialien zu Verfolgungen und Hetzjagden vorlegen, fürchte aber um das Schicksal der Personen, die ihm solche Informationen gegeben hätten;18 und Grüber habe 17  Laut einer von Propst Heinrich Grüber angefertigten Aktennotiz zu diesem Treffen begann Dibelius das Gespräch mit der einleitenden Bemerkung, die Kirchen­ leitungen hätten sich um ein „einigermaßen loyales Verhältnis zu der Staatsgewalt“ und Zurückhaltung in politischen Fragen bemüht, „ohne sich freilich dagegen wehren zu können, daß ihre Äußerungen und Maßnahmen politisch gedeutet würden“. Die intensivierte Propaganda für die Nationale Front habe jedoch zu dringlichen „Be­ schwernisse[n] der evangelischen Gemeinden“ geführt. Dibelius habe in diesem Zusammenhang von willkürlichen Verhaftungen ohne Begründung und ohne Information der Angehörigen, von der Nichtwahrung der verfassungsmäßig garantierten Unverletzlichkeit der Persönlichkeit und von unerträglichem Gewissensdruck gesprochen. „In den Schulen müßten die Lehrer Anschauungen vortragen, die sie selbst nicht teilten. Die Schüler würden bis hinauf zur Universität genötigt, politische Bekenntnisse abzulegen, die ihrer Überzeugung nicht entsprächen. Die Presse sei von Unwahrhaftigkeit durchzogen.“ Die Kirche müsse aber „gegen diese Herrschaft der Lüge mit allen geistlichen Mitteln ankämpfen“. Vgl. Pontifex nicht Partisan, S. 71– 73. 18  Laut Grübers Aufzeichnung (vgl. Fn. 17) antwortete Dibelius auf Fragen Grotewohls nach dem Sinn der Unterredung und nach konkreten Unterlagen, die Kirche wolle Einzelfälle mit den Länderregierungen verhandeln, der Staat solle aber seine „Gesamthaltung … in den Dingen, für die die Kirche eine Verantwortung trage“, ändern und dies auch öffentlich erklären. Grotewohl habe darauf erwidert, dass eine Grundsatzdiskussion zwecklos sei, er aber bereit sei, Material zu prüfen, „um dabei festzustellen, ob es sich um vereinzelte Übergriffe nachgeordneter Stellen handele



Dokument 18: 23. März 195097

geradeheraus erklärt: Ist es für Sie, Herr Ministerpräsident, etwa besser, wenn wir in Westdeutschland ein Blau- oder Graubuch über die Gräueltaten, die hier begangen werden, veröffentlichen? Dibelius habe, nachdem er von Grotewohl eine heftige Zurechtweisung erhalten habe, seinen provokanten Tonfall zurückgenommen und eine erträglichere Position eingenommen.19 Grotewohl sagte, er messe diesem Besuch sehr große Bedeutung bei und vermute, die Kirche werde sich bemühen, im Wahlkampf die Stelle der geschwächten und an Händen und Füßen gefesselten bürgerlichen Parteien einzunehmen und die Kirchenkanzel für reaktionäre Propaganda zu benutzen. Daher werde es notwendig sein, mit allem Ernst die Frage des Verhältnisses zur Kirche und der Arbeit mit ihr in der gegenwärtigen Etappe anzugehen. Gen. Čujkov teilte mit, dass er keine Einwände gegen die Ernennung von Karl Hoffmann zum Leiter der Hauptverwaltung Ausbildung habe.20 Gen. Čujkov informierte die Parteivorsitzenden, dass der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Deutschen Notenbank21, Boes, ein Angebot einer holländischen Bank bezüglich der Gewährung eines Warensicherungskredits erhalten habe, und bat, sich zu diesem Angebot vorsichtig zu verhalten.22 oder um symptomatische Erscheinungen“. Die Kirchenvertreter versprachen Material vorzulegen, „die Schwierigkeit sei freilich die, daß in den meisten Fällen die Menschen ihre Namen nicht preisgeben wollten, aus Furcht vor Repressalien. Ministerpräsident Grotewohl erklärte, daß er sich persönlich dafür verbürge, daß in allen Fällen niemandem etwas geschehen würde. Wenn er das Material erhalten und geprüft hätte, sei er bereit, um eine neue Besprechung zu bitten.“ Vgl. Pontifex nicht Partisan, S. 71–73. In einem Schreiben Grübers an Nuschke vom 28. September 1950 übermittelte er diesem einen Bericht über die Erschwernisse der Kirchengemeinden, vgl. Pontifex nicht Partisan, S. 73–78. 19  In Grübers Gegenüberlieferung (vgl. Fn. 17) erscheinen Grotewohls Äußerungen weniger konfrontativ und schroff als in dessen Darstellung gegenüber der SKKFührung. Eine „heftige Zurechtweisung“ ist nicht bezeugt (ebensowenig aber auch Grübers Bemerkung über ein „Blau- oder Graubuch“). Laut Grüber habe Grotewohl gesagt, er müsse die Vorwürfe persönlich nehmen; „die Anschuldigungen klängen so, als sei er ein Schuft, das sei er aber nicht!“ 20  Gemeint ist Karl-Heinz Hoffmann, der am 25. April 1950 durch das Politbüro der SED offiziell als Nachfolger von Wilhelm Zaisser zum Leiter der HV Ausbildung des MdI bestimmt wurde, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/85 und Dok. 83, Fn. 28. 21  Im Original hier als „Investitionsbank“ bezeichnet. 22  In einem beiliegenden Papier der SKK vom 17. März 1950 wird eher vorsichtiges Interesse geäußert: „Uns liegt eine Information des stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Notenbank, Herrn Boes, vor, laut welcher er, Boes, von einer holländischen Bank das Angebot bekommen habe, der Deutschen Notenbank einen Kredit für die Sicherstellung von Warenlieferungen zu gewähren. Dieses Angebot ist jedoch unbeantwortet geblieben, da, wie Herr Boes sagte, in den deutschen Organen niemand diese Frage entschieden habe. Herr Boes teilte ferner mit, dass er als altgedienter Bankfachmann Maßnahmen erarbeiten und in die Praxis umsetzen könnte, die der Festigung der monetären Beziehungen der Deutschen Notenbank mit

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Zum Abschluss der Unterredung informierte Gen. Čujkov über die bevorstehende Repatriierung von 17 500 ehemaligen deutschen Kriegsgefangenen aus der UdSSR23 und übergab den Parteivorsitzenden: 1. eine telefonische Nachricht des Gen. Grigorjan betreffend die Herausgabe der Werke des Gen. Stalin in der DDR in deutscher Sprache24 und 2. ein Telegramm des ZK der KP Vietnams an den Parteivorstand der SED zur Frage der Repatriierung deutscher Soldaten, die in einem französischen Expeditionscorps gedient hatten und sich gefangen nehmen ließen, in die DDR.25 Auf Vorschlag von Rau wurde beschlossen, sich zur Vorbesprechung des Fünfjahrplans nicht am 27. März, sondern, wie ursprünglich vorgesehen, am 29. März d. J. zu treffen.26 Banken der westlichen Länder dienen würden, sowie dazu, dass die Deutsche Notenbank von diesen Kredite bekäme. Diese Frage ist, wie uns scheint, sofern Herr Boes tatsächlich solche Möglichkeiten hat, von gewissem Interesse für die Republik. In diesem Zusammenhang wäre es zweckmäßig, dass sich eine der verantwortlichen Personen mit den Vorschlägen des Herrn Boes vertraut macht und die Frage der Möglichkeit ihrer praktischen Umsetzung entscheidet. Herr Boes ist Mitglied der SED, und uns liegen keinerlei kompromittierende Angaben über ihn vor.“ Vgl. RGASPI, f. 17, op. 137, d. 309, Bl. 61. 23  Die Entlassung von 17 538 Kriegsgefangenen wurde erst Anfang Mai 1950 von der sowjetischen Nachrichtenagentur Tass bekannt gegeben, vgl. Dok. 28, Fn. 6. Zu Zweifeln an den dort genannten Zahlen vgl. Dok. 30, Fn. 6. 24  Grigorʼjan hatte im Auftrag von Suslov mitgeteilt, dass die Übersetzung des dritten Bandes der Werke Stalins ins Deutsche durch den Moskauer Verlag für fremdsprachige Literatur in Kürze beendet sein und nach Berlin gesandt werden werde. Es sei nichts dagegen einzuwenden, dass beginnend mit dem vierten Band „die deutsche Ausgabe der Werke J. Stalins vom Marx-Engels-Institut beim PV der SED bei anschliessender Kontrolle der Übersetzung durch den Moskauer Verlag für fremdsprachige Literatur vorgenommen wird“. Notwendig sei aber, auf dem Titelblatt die Zeilen beizubehalten: „Wird auf Beschluss des ZK der KPdSU /B/ gedruckt“ und „MarxEngels-Lenin-Institut beim ZK der KPdSU/B/“. Unter diesen Zeilen könne angeführt werden: „Die deutsche Ausgabe wird auf Beschluss des PV der SED gedruckt“ und „Die deutsche Übersetzung wurde vom Marx-Engels-Lenin-Institut beim PV der SED besorgt“. Von diesem Schreiben nahm das Politbüro am 24. März 1950 Kenntnis, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/79. 26  Die Repatriierung Deutscher, die in Vietnam gefangengenommen wurden (oder, wie es in diesem Fall hieß, übergelaufen waren), vollzog sich in der Regel auf dem Landweg über die UdSSR. Am 13. Juli 1950 wandte sich Appelt im Auftrag des MfAA an Gribanov mit der Bitte an die Regierung der UdSSR, die Durchreise von 200 ehemaligen deutschen Fremdenlegionären in Vietnam zu genehmigen, vgl. PA AA, MfAA A, Bd. 143, Bl. 533–535, und AVP RF, f. 082, op. 37, p. 199, d. 4, Bl. 47–50. Dieser Bitte wurde im August des Jahres entsprochen. Weitere Rücktransporte ehemaliger Fremdenlegionäre wurden seit 1951 erneut Gegenstand von Verhandlungen der DDR-Mission mit sowjetischen Stellen, vgl. Dok. 82 und dort Fn. 9. 26  Vgl. Dok. 19.



Dokument 19: 29. März 195099

Die Unterredung dauerte 3 Stunden. Bei der Unterredung war der Dolmetscher Machalov zugegen. Das Gespräch wurde aufgezeichnet von Oberleutnant Machalov27 RGASPI, f. 17, op. 137, d. 309, Bl. 55–58.

19.  Unterredung zwischen dem Vorsitzenden der SKK Čujkov, Präsident Pieck und Ministerpräsident Grotewohl Geheim

29. März 19501 Unterredung mit den Vorsitzenden der SED W. Pieck und Otto Grotewohl am 29. März 1950

Am 29. März 1950 suchten der Vorsitzende der SKK in Deutschland, Armeegeneral V.I. Čujkov, und der stellvertretende politische Berater I.I. Il’ičev die Vorsitzenden der SED, W. Pieck und Otto Grotewohl auf. Zu Beginn der Unterredung teilte Pieck mit, dass am 28. März vom Block der antifaschistisch-demokratischen Parteien der DDR eine Erklärung zur Vorbereitung der Wahlen im Oktober 1950 verabschiedet worden sei, die am 30. März in der Presse veröffentlicht werde.2 Danach habe eine Konferenz der Parteivorsitzenden stattgefunden, auf der ein Zusatzabkommen über das Antreten mit Einheitslisten bei den bevorstehenden Wahlen verabschiedet worden sei.3 Der Zeitpunkt und die Form der Veröffentlichung dieses Abkommens sollen durch einen weiteren Beschluss festgelegt werden. Pieck merkte an, dass der Vorsitzende der LDP, Kastner, zunächst nicht einverstan27  Handschriftlich.

1  Original. Hauptadressat des Dokuments war Vyšinskij. Die Aufzeichnung der Unterredung erfolgte durch V. Machalov. Das Dokument erhielt am 30. April 1950 die Eingangsnummer 03300. Kopien dieses Dokuments wurden mit der Ausgangsnummer 1/00240 am 18.  Mai 1950 an Semenov und Grigorʼjan weitergeleitet. Im Technischen Sekretariat der Allgemeinen Abteilung des ZK der VKP (b) erhielt das Dokument die Eingangsnummer 53208 d29a. Pieck notierte sich offensichtlich vor dieser Unterredung Stichpunkte, die er vor oder nach der Unterredung durch weitere stichwortartige Notizen ergänzte, vgl. Badstübner/Loth, S. 339–341. 2  Zur Vorbereitung dieser Erklärung durch das Politbüro der SED vgl. Dok. 17, Fn. 7. Zum Protokoll dieser Sitzung des Blocks vgl. BAB, DY 3/10, zur Veröffentlichung der unterzeichneten Erklärung in der DDR-Presse vgl. Neues Deutschland, 30. März 1950, S. 1. 3  Zum Verlauf der zusätzlichen Zusammenkunft am 28. März vgl. BAB-SAPMO, NY 4036/719, Bl. 183–185: „Kurzer Bericht über die Besprechungen mit den Vorsitzenden der fünf Parteien“.

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den gewesen sei, das Zusatzabkommen über einheitliche Kandidatenlisten bei den Wahlen zu unterschreiben, dies dann aber, nachdem er ein wenig gefeilscht habe, doch getan habe. Wie sich herausgestellt habe, wollte Kastner von der SED-Führung ein Schreiben bekommen, in welchem seitens der SED bestätigt würde, dass der LDP eine mit den anderen Parteien gleichberechtigte Position zuerkannt würde und welches Kastner gegenüber den Mitgliedern seiner Partei als Rechtfertigung dafür dienen könnte, dass er der Aufstellung von Einheitslisten bei der Wahl zugestimmt habe. Gen. Čujkov machte Pieck und Grotewohl darauf aufmerksam, dass laut vorliegenden lokalen Informationen die Verabschiedung eines gemeinsamen Wahlprogramms in einzelnen Fällen eine Schwächung des Kampfes gegen reaktionäre Elemente in den bürgerlichen Parteien zur Folge gehabt habe. Einige SED-Mitglieder seien sogar der Meinung, dass dieser Kampf seine Aktualität verloren habe, da sich alle Parteien für die Wahlen auf der Basis eines einheitlichen Wahlprogramms vereinigt hätten, wodurch es zu einer versöhnlerischen Haltung gegenüber dem reaktionären Flügel der CDU und der LDP komme. Grotewohl bemerkte in diesem Zusammenhang, die bürgerlichen Führer seien bestrebt, das von ihnen unterzeichnete Dokument dazu zu benutzen, den Kampf gegen reaktionäre Elemente in ihren Parteien einzustellen, und sie würden sich dabei sogar auf die SED-Führung berufen. So habe z. B. Hamann während einer Rede in Thüringen den Satz fallen lassen, Grotewohl und Pieck hätten ihnen angeblich versichert, dass jetzt niemandem etwas passieren werde. Einen ähnlichen Gedanken habe Dertinger in Potsdam geäußert.4 Grotewohl betonte, solche Äußerungen der bürgerlichen Führer würden die SED-Mitglieder verunsichern und sie von der richtigen Linie abbringen. Im gleichen Zusammenhang berichtete Grotewohl über sein Gespräch mit Dertinger über Bloch, der auf Beschluss des Vorstands der brandenburgischen CDU aus der Partei ausgeschlossen worden sei. Nuschke und Dertinger seien bemüht, Bloch in der Partei zu halten, wobei Dertinger auf den Fall Hickmann verwiesen habe, als der letztere alle Funktionen niedergelegt habe, jedoch in der Partei geblieben sei.5 Es habe sich herausgestellt, dass zwi4  Diese

Äußerungen von Hamann und Dertinger wurden nicht ermittelt. der sächsische CDU-Landesvorsitzende Hickmann (zu dessen früheren Äußerungen vgl. Dok. 2, Fn. 5) am 6.  Januar 1950 die Führungsrolle der SED in Staat und Gesellschaft infrage gestellt und die Eigenständigkeit der Parteien gefordert hatte, betrieben SED und SKK eine Kampagne zu seiner (und Finanzminister Rohners) Absetzung. Am 23. Januar stürmten SED-Gruppen die CDU-Landeszentrale in Dresden, und am 25. Januar wurde Dertinger zum kommissarischen Landesvorsitzenden bestimmt. Als der Politische Ausschuss des Hauptvorstandes der CDU am 28. Januar auf die Forderung Čujkovs an Nuschke hin die Absetzung Hickmanns beschloss, trat dieser am 30. Januar von seinen Ämtern zurück, vgl. Richter, Ost-CDU, S. 222– 5  Nachdem



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schen Dertinger und Bloch freundschaftliche Beziehungen bestehen. Grotewohl habe Dertinger erklärt, dass es ihm als Außenminister nicht anstehe, Bloch, der erklärt habe, der 7. Oktober sei der Tag eines Staatsstreichs,6 zu verteidigen. Dertinger habe nachgedacht und versprochen, nichts zu unternehmen, um Bloch wieder in die CDU aufzunehmen.7 Gen. Čujkov teilte Pieck und Grotewohl mit, dass laut vorliegenden Informationen in einzelnen Versammlungen der CDU und der LDP Reden gehalten worden seien mit der Forderung, jeglichen auch nur andeutungsweise gemachten Hinweisen auf die Einheitslisten den entschlossenen Kampf anzusagen. Es sei klar, dass solche Forderungen von einer wütenden Reaktion erhoben werden, die entschlossen bekämpft werden müsse. Die Aufgabe bestehe darin, die reaktionären Elemente der bürgerlichen Parteien durch diese Parteien selbst zu schlagen, wobei die SED im Schatten bleiben müsse. Grotewohl antwortete, jetzt müsse die Taktik flexibel wie nie zuvor sein. Die meisten Fehler seien mit der Schwerfälligkeit einzelner Genossen zu erklären (der Fall Lohagen8). Grotewohl stimmte der Meinung des Gen. Čujkov zu, bemerkte jedoch, dass diese Regel nicht allgemeingültig sein könne. So müsse beispielsweise gegen den Minister für Handel und Versorgung Gillessen9 (Thüringen), der Mitglied der CDU sei, von oben eingeschritten werden, 226. Der ebenfalls zurückgetretene Rohner (vgl. Dok. 2, Fn. 5) floh im Februar 1950 in die Bundesrepublik, vgl. Richter, Ost-CDU, S. 227. 6  Der damalige stellvertretende Vorsitzende des Landesvorstands der CDU in Brandenburg Peter Bloch bekannte sich in seinen 1983 abgeschlossenen Erinnerungen rückblickend zu diesen Äußerungen, ohne sie zu belegen: „Ich habe in über 20 öffentlichen Kundgebungen die Gründung der DDR als einen Staatsstreich gekennzeichnet, ich habe auf dem Parteitag der CDU so offen gesprochen, daß die SMA meinen Diskussionsbeitrag als ‚Kriegserklärung‘ bezeichnet hat, ich bin auf einer Umsiedlerversammlung gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze aufgetreten“, vgl. Bloch, Hoffnung und Resignation, S. 143. 7  Bloch war am 12. März 1950 vom Geschäftsführenden Vorstand dieser Landesorganisation aus der Partei ausgeschlossen worden. Zwei Tage später hatte Dertinger aus eigener Initiative Kontakt mit Bloch aufgenommen und ihn aufgefordert, Einspruch beim Hauptvorstand der CDU gegen seinen Ausschluss einzulegen. „Wenige Tage“ später lud Dertinger Bloch im Auftrag von Nuschke zu einer CDU-Sitzung ins Außenministerium. Dertinger führte den Vorsitz. Dieses nicht näher bestimmbare Gremium nahm den Ausschluss Blochs zurück. Nachdem er Warnungen erhalten hatte, entschloss sich Bloch, am 30. März 1950 nicht von seinem West-Berliner Arbeitsplatz zu seinem Wohnsitz nach Klein-Machnow in der DDR zurückzukehren, vgl. Bloch, Hoffnung und Resignation, S. 171–176. 8  Gemeint ist der Aufruf zur Aufstellung von Einheitslisten im Blockausschuss Dresden durch den Vorsitzenden des SED-Landesvorstands Sachsen Ernst Lohagen, wofür dieser am 21. März 1950 im Politbüro Selbstkritik üben musste, vgl. Dok. 17, Fn. 7. 9  Bereits im Januar 1950 war der Landesvorstand Thüringen der SED von der Berliner Parteiführung aufgefordert worden, Material für einen Prozess gegen den

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denn Gillessen sei als Minister seinen Aufgaben nicht gerecht geworden und habe die Arbeit zur Versorgung der Bevölkerung in einer Weise ruiniert, die an Sabotage grenze. Weiter ging Gen. Čujkov auf die Frage der Ausarbeitung des Fünfjahrplans ein und sagte, es bestehe keine Notwendigkeit, die vielen Materialien in einem Kreis wie diesem zu prüfen. Es wäre wohl richtig, wenn Koval’ und Rau, nachdem sie selbst die Planvorgaben im Vorfeld erörtert hätten,10 eine Zusammenstellung aller bei ihnen aufgekommenen Divergenzen vorlegen würden, um hier einen gemeinsamen Standpunkt zu finden. Es handele sich um ein sehr wichtiges Dokument, deshalb müsse man den Genossen eine gewisse Zeit lassen. Pieck und Grotewohl stimmten dem Gen. Čujkov voll und ganz zu. Es wurde beschlossen, sich Mitte nächster Woche zur Frage des Fünfjahrplans zu treffen. Gen. Čujkov fragte sodann Pieck und Grotewohl, wie die Arbeit zur Ausarbeitung eines Gesetzes über die Bekämpfung des Schmuggels und zur Schaffung einer zentralen Zollbehörde vorangehe.11 Grotewohl antwortete, das Politbüro habe eine Sonderkommission eingesetzt. Der gravierendste Punkt, über den noch viel nachgedacht werden müsse, sei die Schaffung einer zentralen Zollbehörde, denn allein schon die Tatsache der Schaffung einer solchen Behörde wäre gleichbedeutend mit der Anerkennung von Zollgrenzen in Deutschland und der Errichtung einer Barriere an der Zonengrenze. Gen. Čujkov stimmte zu, dass diese Frage in der Tat sehr gravierend sei und deshalb große Sorgfalt bei ihrer Behandlung verlange. Sodann sprach Gen. Čujkov die Frage der Versetzung derjenigen Eisenbahnarbeiter in den Westsektoren, die gegenwärtig keine Arbeit haben, zur Arbeit in den Ostsektor an. Wenn die Arbeiter nicht einverstanden seien, im Ostsektor zu arbeiten, dann werde man sie wohl entlassen müssen. Die Entlassung müsse allerdings in kleinen Teilschritten vorgenommen werden. Grotewohl antwortete, diese Frage müsste mit den Gewerkschaften abgestimmt werden, womit Gen. Čujkov vollkommen einverstanden war.

CDU-Landesminister für Handel und Versorgung Heinrich Gillessen zu sammeln. Obwohl dieses nicht vorgelegt werden konnte, drängte Grotewohl auf Gillessens Entlassung. Der aus dem Amt Gedrängte floh im Juni in den Westen. Das Erfurter Gericht verurteilte ihn am 7. Februar 1951 wegen Verstoßes gegen SMAD-Befehl Nr. 160 in Abwesenheit zu acht Jahren Zuchthaus, vgl. Petra Weber, Justiz und Diktatur. Justizverwaltung und politische Strafjustiz in Thüringen 1945–1961, München 2000, S. 216–217. 10  Ein Treffen zwischen Koval’ und Rau konnte nicht nachgewiesen werden. 11  Vgl. Dok. 16, Fn. 4.



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Gen. Čujkov fragte Pieck und Grotewohl des Weiteren, wie es um die Ernennung von Karl Hoffmann12 auf die bisher von Zaisser besetzte Stelle stehe. Pieck antwortete, das Politbüro habe beschlossen, die Entscheidung dieser Frage bis zur Rückkehr Ulbrichts zu vertagen,13 der bekanntlich gebeten habe, diese Sache nicht ohne ihn zu entscheiden. Gen. Čujkov machte des Weiteren Pieck und Grotewohl darauf aufmerksam, dass in der deutschen Delegation, die an den Maifeierlichkeiten in Moskau teilnehmen solle, weder Arbeiter noch Funktionäre der Gesellschaft für sowjetisch-deutsche Freundschaft vertreten seien, sondern allein Professoren. Pieck stimmte der Meinung des Gen. Čujkov zu und versprach, die Zusammensetzung der Delegation zu überprüfen.14 Gen. Čujkov machte des Weiteren Pieck und Grotewohl auf den Umstand aufmerksam, dass man Noack die Tribüne der Verwaltungsakademie zur Verfügung gestellt habe, wo Noack gegen die Nationale Front u. a. aufgetreten sei.15 Gen. Čujkov bat, solche Dinge vorsichtiger anzugehen.16 12  Gemeint

ist offensichtlich Karl-Heinz Hoffmann, vgl. Dok. 18, Fn. 20. kehrte am 1. April 1950 aus dem Urlaub in der UdSSR zurück, vgl. Dok. 14, Fn. 9. 14  Bereits am 4. April 1950 korrigierte die SED die ursprüngliche Zusammensetzung der DDR-Delegation zur Feier des 1. Mai in Moskau. Die Delegation bestand nun nur noch aus einem Spitzenfunktionär (Erich Mückenberger), dazu kamen Wissenschaftler, Vertreter von Betriebsbelegschaften und Bauern, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/81, TOP 18). Das Neue Deutschland berichtete am 3. Mai 1950 auf S. 3 von Reaktionen der DDR-Delegation auf die Maifeier und zitierte dabei neben Mückenberger, dem Redakteur Robert Keller und dem HO-Vorsitzenden Paul Baender auch eine „Traktorenführerin und Aktivistin“. 15  Ulrich Noack war als Begründer des Nauheimer Kreises eingeladen worden. Zur Gründung dieses Kreises und zur schwankenden Haltung der sowjetischen Vertreter und der SED gegenüber Noack, dem Wortführer der Neutralisten in Westdeutschland, vgl. UdF  4, S. 508–509 und 679–683, Anm. 402 und 403. Eine Mitteilung des Außenministeriums der UdSSR („Der Kampf für die Einheit Deutschlands in Westdeutschland“) berichtete am 6.  Januar 1950 über das mit der Nähe zu Zielen der SED begründete Verbot des „Deutschland-Kongresses der Freunde des Neutralisierungsgedankens“, den Noack für den 18. bis 20. November 1949 in Rengsdorf geplant hatte. Die dennoch begonnene Sitzung sei von der Polizei aufgelöst worden. Der Bericht urteilte in diesem Zusammenhang: „Die politischen Ansichten Noacks sind nicht progressiv. Er ist gegenüber den Regierungen der Volksdemokratien negativ eingestellt.“ Weiter zitierte die Mitteilung eine Äußerung Noacks aus dem April 1949: „Deutschland kann nur existieren und gedeihen, wenn es sich an eine eigene Art von ‚Ghandi-Politik‘ hält, wenn es sich den Versuchen verweigert, ein mächtiges Imperium zu werden, und sich in einen Puffer zwischen den zwei Blöcken verwandelt. Dann kann es Verhandlungen führen und sowohl mit dem Westen als auch mit dem Osten etwas aushandeln.“ Vgl. AVP RF, f. 082, op. 37, p. 208, d. 48. Bl. 3. Anfang 1950 befürwortete Ulbricht jedoch die Einladung Noacks in die DDR-Verwaltungsakademie Forst Zinna. Gleichzeitig bereiteten die Verantwortlichen diesen Auf13  Ulbricht

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Gen. Il’ičev informierte Pieck und Grotewohl über ein Telegramm aus Moskau, in welchem mitgeteilt werde, dass es für die tschechoslowakische Regierung nicht ganz nachvollziehbar sei, warum die Regierung der DDR bei den Verhandlungen über die Überlassung eines Rundfunksenders in Brünn an die DDR zaudere.17 Pieck antwortete, er habe vor einigen Tagen zu dieser Frage einen Brief an Slánský abgeschickt.18 Gen. Il’ičev teilte weiter mit, dass Moskau die Bitte geäußert habe, die Übertragung von Moskauer Rundfunksendungen nach England über Berlin und Leipzig zu folgenden Zeiten zu gestatten: Berlin – von 22:30 bis 23:30 Uhr Leipzig – von 00:30 bis 01:00 Uhr und von 01:30 bis 02:00 Uhr. Pieck antwortete, für die Zeiten, die auf die Übertragungen über Leipzig entfallen, gebe es keine Einwände, bezüglich Berlins sei das aber ohne Störung der deutschen Sendungen nicht möglich. Gen. Čujkov erinnerte Pieck und Grotewohl an ein mit Ulbricht geführtes Gespräch19 über die Einrichtung einer Küstenwache durch Polizeikräfte und tritt dort am 25. März außerordentlich misstrauisch vor und attackierten den Neutralisten, als dieser in der Diskussion die in der Bundesrepublik vorherrschende Sicht auf die Verhältnisse in der DDR ansprach, vgl. BAB-SAPMO, NY 4090/653, Bl. 57– 67. 16  Während die DDR-Presse den Auftritt Noacks in Forst Zinna verschwieg, berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 31. März 1950 auf S. 1 unter der Überschrift „Offener Bruch zwischen Noack und der Nationalen Front“ recht detailliert und aus der Sicht Noacks darüber. Nachdem ihm gegenüber in der Diskussion ein Volksentscheid über die Wiedervereinigung Deutschlands als richtige Methode bezeichnet worden war, den wirklichen Willen des Volkes festzustellen, habe er angeregt, „in der Sowjetzone einen Volksentscheid darüber abzuhalten, ob die Bevölkerung auf einer Einheitsliste oder auf getrennten und voneinander unabhängigen Parteilisten für eine gesamtdeutsche Nationalversammlung Volksvertreter wählen wolle“. Die gleiche Zeitung meldete acht Wochen später ohne zeitliche und örtliche Konkretisierung die Erklärung Noacks, er habe sich „auch sehr freundschaftlich mit einem russischen Oberst in Karlshorst unterhalten. Diese Unterhaltung habe die Notwendigkeit gezeigt, daß die Freundschaft Rußlands zum deutschen Volke nicht über die Sozialistische Einheitspartei führe“, vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. April 1950, S. 3. 17  Das Telegramm konnte im AVP RF nicht ermittelt werden. 18  Ein solcher Brief konnte nicht ermittelt werden. Offensichtlich kam es mit Verzögerungen zu einer Einigung, denn am am 18. April 1950 stimmte das Politbüro des ZK der SED „dem Vorschlag der tschechoslowakischen Genossen, die Langwelle 1103 m (Brünn) für die Ausstrahlung des Programms des Deutschlandsenders täglich von 12 Uhr bis Sendeschluß zu übernehmen, zu“, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/84, TOP 20. 19  Eine Aufzeichnung zu diesem Gespräch konnte im AVP RF nicht ermittelt werden. Möglicherweise meinte Čujkov ein am 4.  Februar 1950 bei Pieck in Anwesenheit von Ulbricht geführtes Gespräch, vgl. Badstübner/Loth, S. 332–333.



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teilte in diesem Zusammenhang mit, dass man für diesen Dienst außer vier dänischen Schiffen, die von ihren Besitzern verkauft werden, auch sechs sow­jetische Kutter erhalten könne, dafür müsse die Regierung der DDR aber einen Antrag bei der sowjetischen Regierung stellen (ein Informationsblatt zu dieser Frage ist beigefügt).20 Pieck übermittelte Gen. Čujkov die Bitte, bei der möglichst baldigen Rückkehr des Ministers für Außenhandel, Handke, behilflich zu sein (die Bitte ist beigefügt).21 Pieck sagte des Weiteren, Innenminister Steinhoff habe sich im Auftrag des Politbüros der SED an die SKK mit der Bitte gewandt, ob dem Innenministerium der DDR nicht Listen der in Gefangenschaft verstorbenen deutschen Kriegsgefangenen übergeben werden könnten, und bat, diese Frage in Moskau vorzutragen.22 Gen. Čujkov versprach, eine entsprechende Anfrage an Moskau zu richten.23 Pieck bat den Gen. Čujkov des Weiteren, sich zu erkundigen, was aus der von ihnen schon im Februar gestellten Anfrage zur Übergabe des Filmver20  Das

Informationsblatt ist in der Akte nicht überliefert. vom 29. März 1950 datierte Papier ist in russischer Übersetzung überliefert. Darin erklärte die Regierung der DDR: „Wegen der langen Abwesenheit von Minister Handke wird das Ministerium für Außenhandel seinen Aufgaben nicht gerecht. Minister Handke hält sich seit Anfang Februar 1950 im Zusammenhang mit der Vorbereitung eines Handelsvertrags in der Sowjetunion auf. Die unverzügliche Rückkehr Handkes ist dringend erwünscht. Es ist anzunehmen, dass, nachdem er die grundsätzliche Richtung für die Verhandlungen über den Handelsvertrag vorgegeben hat, seine Rückkehr deren weiteren Verlauf nicht behindern wird. Wir bitten, die entsprechenden Instanzen in Moskau in gebührender Weise zu informieren, damit Minister Handke umgehend nach Berlin zurückkehren kann.“ Vgl. RGASPI, f. 17, op. 137, d. 309, Bl. 99. Vgl. zur Abwesenheit Handkes bereits Dok. 17 und dort Fn. 17. 22  Ein Schreiben Steinhoffs zu dieser Frage konnte in deutschen Archiven nicht nachgewiesen werden. Offensichtlich wurden an die DDR keine Listen der in Gefangenschaft verstorbenen deutschen Kriegsgefangenen übergeben, denn am 25. September wandte sich der „Suchdienst für vermisste Deutsche im Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik“ über das MfAA an das Rote Kreuz der UdSSR mit der Frage, ob eine Überprüfung von Sterbefällen deutscher Kriegsgefangener anhand einer von der DDR-Seite gefertigten Übersicht möglich sei, vgl. PA AA, MfAA A, Bd. 15522, Bl. 9). Da die für die UdSSR zuständige HA I Bedenken gegen die Weiterleitung dieser Anfrage hatte, leitete sie MfAA-Staatssekretär Ackermann zunächst an Ulbricht weiter. Das Politbüro des ZK der SED beschloss am 25. Oktober 1950 dazu, dem „ZK der WKP (B) vorzuschlagen, daß, nachdem die Rückführung der Kriegsgefangen aus der Sowjetunion abgeschlossen ist, den Organen des Innenministeriums der DDR erlaubt wird, für die Deutschen, die als vermißt gemeldet wurden, auf Antrag der Familienangehörigen die Todesurkunden auszustellen“. Vgl. BABSAPMO, DY 30/IV 2/2/115. 23  Dazu konnte im AVP RF kein Telegramm ermittelt werden. 21  Das

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leihs Sojusexportfilm und der Kopierwerke der Gesellschaft Linsa an die Aktiengesellschaft DEFA geworden sei.24 Grotewohl übergab dem Gen. Čujkov eine Bitte der Hauptverwaltung Ausbildung der Volkspolizei, den Polizeieinheiten und -schulen, die sowjetische Artillerieausrüstungen erhalten hätten, Zugmaschinen dafür bereitzustellen (die Bitte ist beigefügt).25 Gen. Čujkov versprach, diese Bitte zu prüfen, betonte aber, dass es möglich sei, diese Ausrüstungen (mit Ausnahme der 152-Millimeter-Haubitzen) auf Autozugmaschinen zu transportieren, wofür deutsche Schwerlastkraftwagen verwendet werden können.26 Gen. Čujkov teilte außerdem mit, das Kriegsministerium27 habe ihm gestattet, der deutschen Volkspolizei 160 Feldküchen auf Pferdefuhrwerken und 100 Küchen zur Installation auf Kraftfahrzeugen zu übergeben.

24  Zur Zukunft des Filmverleihs in der DDR vgl. Dok. 4, Fn. 21 und zur SAG Linsa ebenda, Fn. 20 und 22. 25  Das vom 28. März 1950 datierte Papier, unterzeichnet von Heinz-Bernhard Zorn im Auftrag des Leiters der HV Ausbildung, ist in russischer Übersetzung überliefert: „Über Zugmaschinen für Polizeieinheiten und -schulen der Kategorie ‚B‘. Nachdem die Polizeieinheiten und -schulen sowjetische Ausrüstungen zu ihrer Verfügung erhalten haben, sind ihnen unbedingt die passenden Zugmaschinen bereitzustellen. Die Hauptverwaltung Ausbildung verfügt über keine eigenen Zugmaschinen, die für diesen Zweck geeignet wären. Daher bitten wir, bei der entsprechenden Instanz einen Antrag auf Bereitstellung von Zugmaschinen für diese Ausrüstungen zu stellen, und zwar: 8 leichte Zugmaschinen für Ausrüstungen des Kalibers 76 mm und für 122-mmHaubitzen sowie 9  Zugmaschinen des schweren Typs für 152-mm-Haubitzen.“ Vgl. RGASPI, f. 17, op. 137, d. 309, Bl. 100. Zur Bereitstellung der genannten Artillerieausrüstung vgl. Badstübner/Loth, S. 332. 26  Zum Aufbau der kasernierten Bereitschaften der Volkspolizei vgl. Dok. 83, Fn. 28. Diese Entwicklung wurde im Westen misstrauisch beobachtet. Am 23. Mai 1950 richtete die US-Regierung in diesem Zusammenhang eine Note an die sowjetische Regierung, in der sie die UdSSR der Verletzung vorangegangener Vereinbarungen der Siegermächte zu Deutschland beschuldigte und eine sofortige Auflösung der kasernierten Einheiten forderte, vgl. DzD  II, 3, S. 203–206. Die sowjetische Regierung ließ fast fünf Monate verstreichen, ehe sie diese Note am 19. Oktober 1950 beantwortete, indem sie als alleinige Funktion der Volkspolizei die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angab und ihrerseits Vorwürfe in Bezug auf die Militarisierung der Polizei in Westdeutschland erhob. „Die Sowjetregierung erklärt, daß sie sich mit derartigen Maßnahmen der Regierungen der USA, Großbritanniens und Frankreichs, die auf die Wiederbelebung einer regulären deutschen Armee in Westdeutschland abzielen, nicht abfinden wird.“ Vgl. DzD II, 3, S. 374–375. 27  Gemeint ist das Kriegsministerium der UdSSR. Es war im Februar 1950 aus dem Ministerium für die bewaffneten Streitkräfte hervorgegangen, das selbst Nachfolger des von 1934 bis 1946 bestehenden Volkskommissariats für Verteidigung war. Unmittelbar nach dem Tod Stalins wurde das Kriegsministerium im März 1953 in Verteidigungsministerium umbenannt.



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Zum Abschluss der Unterredung sprach Pieck seinen Dank für die von den sowjetischen Freunden geleistete Hilfe aus. Bei der Unterredung war der Dolmetscher Machalov zugegen. Die Unterredung dauerte 2 Stunden. Das Gespräch wurde aufgezeichnet von Oberleutnant Machalov28 RGASPI, f. 17, op. 137, d. 309, Bl. 62–68.

20. Unterredung zwischen dem Leiter der Mission der UdSSR in der DDR Puškin und Außenminister Dertinger Geheim

Berlin-Ost, 31. März 19501

Aus dem Tagebuch2 von G.M. Puškin  Dertinger hatte mich zum Essen eingeladen. Nach dem Essen sprach er mit mir über den Abschluss eines Vertrages über Freundschaft und gutnachbarliche Zusammenarbeit zwischen der DDR und der Tschechoslowakei.3 Dertinger sagte, die Regierung der DDR beabsichtige, mit der Regierung der Tschechoslowakei in Verhandlungen über den Abschluss eines Rahmenvertrages4 einzutreten. Laut Dertinger soll es in diesem Vertrag einen speziellen 28  Handschriftlich.

1  Original an Vyšinskij. Kopien dieses Dokuments gingen an Gromyko und Gribanov. Das Dokument trägt die Ausgangsnummer 0147 (ohne Datum), die Eingangsnummer 5445-v im Sekretariat von Vyšinskij vom 14. April 1950 und die Eingangsnummer 632 (2.) der Dritten Europäischen Abteilung vom selben Tag. 2  „Tagebuch“ ist ein aus der russischen Kanzleisprache übernommener Begriff des Auswärtigen Dienstes der UdSSR für Gesprächsaufzeichnungen. 3  Ein solcher Vertrag kam 1950 nicht zustande, vgl. Dok. 23. Bereits am 9. Januar 1950 hatten die Regierungen der DDR und der Tschechoslowakei ein Abkommen über den Austausch von Waren, Dienstleistungen und über den Zahlungsverkehr geschlossen (vgl. BAB, DC 20-I/3/8, Anlage 10). Erst am 23. Juni 1950 unterzeichneten die Provisorische Regierung der DDR und die Regierung der ČSR eine gemeinsame Deklaration, ein Abkommen über technische und wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit, ein Protokoll über die Finanzierung von nichtkommerziellem Verkehr sowie ein Protokoll über die kulturelle Zusammenarbeit. In der Deklaration erklärten beide Regierungen, „daß es zwischen ihren beiden Staaten keine strittigen und offenen Fragen gibt. Unsere beiden Staaten haben keine Gebiets- oder Grenzansprüche und ihre Regierungen betonen ausdrücklich, daß die durchgeführte Umsiedlung der Deutschen aus der Tschechoslowakei unabänderlich, gerecht und endgültig gelöst ist.“ Vgl. DAPDDR 1, S. 375–381, und DAPDDR 4, S. 247–254. 4  Dieses deutsche Wort ist in kyrillischer Schrift in Klammern hinter die russische Übersetzung gesetzt.

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Artikel über Freundschaft zwischen der DDR und der Tschechoslowakei geben, des Weiteren einen Artikel über wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern, über kulturelle Zusammenarbeit u. a. Dertinger sagte, er zweifle nicht daran,5 dass ein solcher Vertrag zur Herstellung freundschaftlicher, gutnachbarlicher Beziehungen zwischen der DDR und der Tschechoslowakei beitragen und dass er der Festigung des Friedens dienen werde. Dessen ungeachtet halte er es nicht für möglich, Verhandlungen mit der Regierung der Tschechoslowakei aufzunehmen, ohne zuvor unser Einverständnis erhalten zu haben. Konkret fragte Dertinger, ob die Sowjetregierung die Zeit für den Abschluss eines solchen Vertrages zwischen der DDR und ihren Nachbarn für gekommen halte. Er erläuterte, dass die DDR-Regierung nach dem Abschluss eines solchen Vertrages mit der Tschechoslowakei beabsichtige, Verhandlungen über den Abschluss eines entsprechenden Vertrages mit Polen aufzunehmen.6 Dertinger teilte mit, er werde morgen im Rahmen einer deutschen Delegation zur Feier des 5. Jahrestages der Befreiung Ungarns nach Budapest reisen, und er beabsichtige, am kommenden Samstag zurückzukehren.7 Dertinger sagte, er hätte gern nach seiner Rückkehr aus Budapest eine Antwort von uns.8 Ich versprach Dertinger, seine Bitte der Sowjetregierung zur Kenntnis zu bringen. Danach fragte ich ihn, ob er über irgendwelche Informationen zu Westdeutschland verfüge. Dertinger sagte, er habe von seinen Freunden9 einige 5  Dieser

Satzteil und der vorangegangene Satz sind am linken Rand angestrichen. erfolgte der Abschluss eines vergleichbaren Abkommens mit Polen vor den Abmachungen mit der Tschechoslowakei (vgl. Fn. 3). Am 6. Juni 1950 unterzeichneten eine Delegation der Provisorischen Regierung der DDR und die Regierung der Republik Polen eine gemeinsame Deklaration (die sich zur Grenze entlang der Oder und Neiße bekannte), ein Abkommen über technische und wissenschaftlichtechnische Zusammenarbeit, ein Finanzierungsprotokoll sowie ein Protokoll über kulturelle Zusammenarbeit, vgl. DAPDDR  1, S. 330–336 und DAPDDR  4, S. 113– 120. Am 6.  Juli folgte das Abkommen „über die Markierung der festgelegten und bestehenden deutsch-polnischen Staatsgrenze“, vgl. DAPDDR 1, S. 341–343 und DAPDDR 4, S. 125–127. 7  Gemeinsam mit Grotewohl reiste Dertinger am 1. April 1950 auf dem Schienenweg nach Budapest, um am „5. Jahrestag der Befreiung Ungarns durch die Sowjet­ armee“ teilzunehmen, vgl. Neues Deutschland, 2. April 1950, S. 1. Beide Politiker kehrten auf demselben Wege erst am 11. April zurück, vgl. ebenda, 12. April 1950, S. 2. 8  Die kursiv hervorgehobenen Wörter sind von Hand unterstrichen. 9  Wahrscheinlich ging Puškin von Kontakten Dertingers nach Westdeutschland aus, und vermutlich waren sowjetischen Stellen diese Kontakte auch namentlich bekannt. Ob auch die DDR-Führung über diese Informationen verfügte, ist nicht bekannt. In den zahlreichen Verhören durch das MfS wurde Dertinger nach seiner Verhaftung intensiv danach befragt, welche Kontakte er in wessen Auftrag bis zu seiner Verhaftung nach Westdeutschland bzw. West-Berlin gepflegt hatte. Dertinger nannte in diesem Zusammenhang Eberhard Plewe, Otto Lenz, Heinrich Vockel und Hart6  Tatsächlich



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Informationen über die Politik der Westmächte in Bezug auf Westdeutschland erhalten. Diese Informationen liefen im Wesentlichen auf Folgendes hinaus: Die Westmächte würden aller Wahrscheinlichkeit nach Anfang Juli auf der Vertreterversammlung der am Europäischen Pakt beteiligten Länder Westdeutschland in den Europarat aufnehmen.10 Ende Juli werde, wie es aussehe, die Anerkennung der Bonner Regierung durch die Westmächte erfolgen und es werde ein Austausch diplomatischer Vertretungen zwischen der Bonner Regierung und der Regierung [sic] der Westmächte stattfinden.11 In diesem Zusammenhang werde wohl eine Änderung des Besatzungsstatuts erfolgen und es werde eine Erklärung der Westmächte über die Beendigung des Kriegszustands mit Westdeutschland geben.12

mann Freiherr von Richthofen, wobei zumindest der Kontakt zu Otto Lenz offensichtlich länger zurücklag. Kaum wird in den überlieferten MfS-Protokollen dagegen Ernst Lemmer erwähnt, mit dem Dertinger am 12. Oktober 1951 in West-Berlin zusammentraf, vgl. Dok. 84 und 85. Bei Widerruf seiner Geständnisse deutete Dertinger selbst an, dass er bei Kontakten zu Westdeutschen im Auftrag sowjetischer Stellen gehandelt habe. 10  Zur Aufnahme der Bundesrepublik in den Europarat vgl. Dok. 17, Fn. 2. Gemeint ist hier der am 5. Mai 1949 in London abgeschlossene Vertrag (Londoner Zehnmächtepakt) zwischen Belgien, Dänemark, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Schweden und Großbritannien zur Bildung des Europarats (vgl. ebenda). Dieser Vertrag bildet noch heute dessen Satzung. 11  Bundeskanzler Adenauer drängte im Frühjahr 1950 gegenüber McCloy auf die Einrichtung westdeutscher Generalkonsulate in den USA, Großbritannien und Frankreich und äußerte den Wunsch, Generalkonsulate auch in 15 anderen Staaten zu errichten, vgl. AAPD (1949/50), S. 150–151. 12  Großbritannien beendete den Kriegszustand mit Deutschland am 9. Juli, Frankreich am 13. Juli und die USA am 19. Oktober 1951 (vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. Juli 1951, S. 1, 14. Juli und 22. Oktober 1951, jeweils S. 2). Die Be­ endigung des Kriegszustandes erfolgte rückwirkend zum 8. Mai 1945, auch viele andere Staaten fassten in jenem Zeitraum diesen Beschluss. Erst mit dem am 26. Mai 1952 unterzeichneten „Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten“ (bekannt auch als „Deutschlandvertrag“, „Generalvertrag“, „Bonner Vertrag“, „Bonner Konvention“, im sowjetischen Sprachgebrauch auch als „Separatvertrag“) erkannten die USA, Großbritannien und Frankreich die volle Souveränität der Bundesrepublik an. Es dauerte jedoch noch weitere drei Jahre, ehe dieser Vertrag am 5. Mai 1955 in Kraft trat und die genannten Mächte Botschaften in Bonn errichteten. Diplomatische Beziehungen zwischen der Bundes­ republik und diesen Staaten wurden jedoch bereits 1950 hergestellt. Zum Deutschlandvertrag vom 26. Mai 1952 vgl. Auswärtiges Amt (Hrsg.), Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Dokumente von 1949–1994, Köln 1995, S. 194–198 (Auszug). Die Neufassung vom 23.  Oktober 1954 ist im BGBl. 1954, Teil  II, S. 61–332 abgedruckt.

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Alle diese Maßnahmen hängen, so Dertinger, unmittelbar mit der Vorbereitung zur Aufnahme Westdeutschlands in den Nordatlantikpakt13 und zur Einbeziehung des Landes in den aggressiven anglo-amerikanischen Block zusammen. Dertinger ist der Meinung, dass diese Information den Kern der angloamerikanischen Politik in Westdeutschland richtig wiedergibt. Ich bemerkte meinerseits, dass sich die Ereignisse in Westdeutschland tatsächlich in diese Richtung entwickeln.

G. Puškin14

AVP RF, f. 07, op. 23, p. 43, d. 201, Bl. 33–34.

21.  Unterredung zwischen dem Vorsitzenden der SKK Čujkov, dem Stellvertreter des Politischen Beraters Il’ičev und Präsident Pieck Geheim

6. April 19501

Unterredung mit dem Vorsitzenden der SED, W. Pieck am 6. April 1950. Am 6. April 1950 suchten der Vorsitzende der SKK in Deutschland, Armeegeneral V.I.  Čujkov, und der stellvertretende politische Berater, Gen. I.I. Il’ičev, den Vorsitzenden der SED, W. Pieck auf. Pieck berichtete über ein Gespräch des Ministerpräsidenten von Thüringen, Eggerath, mit dem Magdeburger Bischof Müller. Müller, den selbst Nuschke als einen der reaktionärsten Kirchenleute in der Republik charakterisiere, habe gegenüber Eggerath in scharfer Form seinen Unmut geäußert wegen der zunehmenden Bewegung der Nationalen Front2, wegen des geplanten Antretens mit einheitlichen Kandidatenlisten bei den im Oktober an13  Zum

Nordatlantikpakt vgl. Dok. 8, Fn. 5.

14  Handschriftlich.

1  Original. Hauptadressat des Dokuments war Vyšinskij. Die Aufzeichnung der Unterredung erfolgte durch V. Machalov. Das Dokument erhielt am 30. April 1950 die Eingangsnummer 03301. Kopien dieses Dokuments wurden mit der Ausgangsnummer 1/00240 am 18.  Mai 1950 an Semenov und Grigorʼjan weitergeleitet. Im Technischen Sekretariat der Allgemeinen Abteilung des ZK der VKP (b) erhielt das Dokument die Eingangsnummer 53208 d29a. Pieck fertigte während oder nach der Unterredung ein Stichwortprotokoll zu dieser Unterredung an, vgl. Badstübner/Loth, S. 341–342. Nach dem Vormerkkalender von Pieck begann das Gespräch um 20 Uhr. 2  Zur Nationalen Front, die im Frühjahr 1949 als eine gesamtdeutsche Sammlungsbewegung für „Einheit und gerechten Frieden“ ins Leben gerufen wurde, vgl. UdF 4, S. XIX–XXI.



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stehenden Wahlen3 und wegen der Anordnung, den Schulunterricht auf der Basis des dialektischen Materialismus zu betreiben, was den christlichen Glauben in der Substanz untergrabe. Müller habe erklärt, Personen im kirchlichen Dienst würden gezwungen, der Nationalen Front und der Gesellschaft für sowjetisch-deutsche Freundschaft beizutreten, wodurch Geistliche in Konflikt mit ihrem Gewissen gerieten. Müller sei gegen das Antreten mit Einheitslisten bei den bevorstehenden Wahlen, weil solche „Einheitswahlen“ angeblich keine freien Wahlen seien.4 Zwar habe Müller anerkannt, dass Freundschaft zwischen Deutschland und der Sowjetunion notwendig sei, habe aber gleich darauf in diesem Zusammenhang die Frage gestellt, warum in der Sowjetunion aus unbekannten Gründen Tausende deutsche Kriegsgefangene und andere deutsche Staatsbürger festgehalten werden. Pieck sagte des Weiteren, Müller habe alle Geistlichen der ihm unterstellten Gemeinden aufgefordert, an den ersten Ostertagen von der Kirchenkanzel seinen Hirtenbrief zu verlesen, in welchem er zum Kampf gegen den Druck der Nationalen Front und zur Opposition gegen die in der DDR vorgenommenen Maßnahmen aufrufe.5 3  Zu

den Wahlen am 15. Oktober 1950 vgl. Dok. 12, Fn. 13. Landesbischof von Sachsen-Anhalt, Ludolf Hermann Müller, hatte am 29. März 1950 gegenüber dem Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt Werner Bruschke in Halle erklärt, die „Kirche verfolge mit ernster Sorge die Entwicklung“ in der DDR, die materialistische Beeinflussung der Bevölkerung, die Werbung für die Nationale Front, die Einheitslisten für die bevorstehenden Wahlen. Dies weiche von demokratischen Normen ab. Die Kirche könne dazu nicht länger schweigen. Sie wolle in einem Hirtenbrief am Ostersonntag die Kirchenbesucher auf die bestehenden Gefahren hinweisen (vgl. Vermerk des Büros des Ministerpräsidenten von SachsenAnhalt, 30. März 1950 in BAB-SAPMO, DY IV 2/14/6, Bl. 16–18). Mit dem thüringischen Ministerpräsidenten Eggerath sprach am 4. April der Dompropst von Erfurt und übergab dabei den Text der von Müller angekündigten kirchlichen Ansprache. Danach kam es zu dem von Pieck erwähnten Gespräch Müllers mit Eggerath, vgl. Besier, SED-Staat und Kirche, S. 69. 5  Die für den Ostersonntag, den 9. April 1950, vorgesehene Kanzelabkündigung (Hirtenbrief) ist mehrfach veröffentlicht, zuerst in: Kirchliches Jahrbuch 1950, S. 117– 119, dann in: Günter Heidtmann, Kirche im Kampf der Zeit. Die Botschaften, Worte und Erklärungen der evangelischen Kirche in Deutschland und ihrer östlichen Glaubenskirchen, Berlin 1954, S. 120–121. Auszüge aus dieser Erklärung brachte die Frankfurter Allgemeine Zeitung bereits am 24. April 1950 auf S. 1 und bezeichnete sie als „Protest der Evangelischen Kirchenleitung Berlin-Brandenburg gegen die marxistische Ausrichtung des gesamten öffentlichen Lebens in der Sowjetzone“. Bischof Müller schilderte die damaligen Schwierigkeiten mit der DDR-Regierung ausführlich in seinem Bericht auf der 8. Tagung der I. Synode in Halle am 30. Juni 1950, vgl. Berichte der Magdeburger Kirchenleitung zu den Tagungen der Provinzialsynode 1946–1989, hrsg. von Harald Schultze, Göttingen 2005 [Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte, Reihe A: Quellen, Band 10], S. 76–84, dort ist auf S. 580–582 als Anlage 1 die von Müller am 31. März 1950 verfasste Kanzelabkündigung erneut abgedruckt. 4  Der

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Im Hinblick auf die große Bedeutung dieser von der Kirche angezettelten Kampagne habe der Ministerrat der DDR am 6. April 19506 den stellvertretenden Ministerpräsidenten Nuschke, Innenminister Steinhoff und Volksbildungsminister Wandel beauftragt, alle evangelischen Bischöfe, die an der Spitze von Landeskirchen stehen, unter der Leitung des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Dibelius, nach Berlin zu einer Besprechung einzuberufen.7 Vorgespräche zu dieser Frage habe Pieck schon mit Nuschke (CDU) und Kastner (LDP), den stellvertretenden Ministerpräsidenten der DDR, geführt.8 Kastner habe erklärt, der Tonfall von Müllers Brief sei völlig inakzeptabel, und dieses Vorgehen sei eine direkte Einmischung in den Wahlkampf und in Regierungsangelegenheiten, und Nuschke habe vorgeschlagen, scharf gegen diese neuerliche Provokation der Kirche Stellung zu beziehen. Beschlussgemäß habe Steinhoff bei der Besprechung erklärt, der Brief Müllers sei ein Verstoß gegen Artikel 41 der Verfassung der DDR, der es verbiete, Religionsgemeinschaften und die Freiheit der Predigt von der Kirchenkanzel zu politischer Agitation zu missbrauchen.9 Steinhoff habe ver6  Eine Sitzung des Ministerrats fand am 6. April 1950 nicht statt. An diesem Tag traf sich jedoch das Politbüro der SED um 10 Uhr zu einer Sondersitzung, um sich ausschließlich mit der „Provokatorische[n] Kanzel-Ankündigung [sic] des Landesbischofs Müller, Sachsen-Anhalt“ zu befassen. Darin wurde u. a. beschlossen: „1) Die fünf Landesbischöfe sind sofort vom Innenminister nach Berlin zu berufen. Im Beisein des Volksbildungsministers sind sie davor zu warnen, die provokatorische Kanzel-Ankündigung zu verlesen. 2) Die Landesvorsitzenden [der SED] und Ministerpräsidenten der Länder werden für Freitag, den 7.4.1950, 9 Uhr zu einer Besprechung nach Berlin berufen.“ Dem sollten am selben Tag Konferenzen mit den Oberbürgermeistern und Landräten, den Landessekretariaten und Kreisvorsitzenden der SED sowie Beratungen mit den Bürgermeistern und Gemeindevorstehern und den Kreissekretariaten und Ortsguppenvorsitzenden der SED folgen, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/ IV 2/2/82, und Goerner, Kirche als Problem der SED, S. 62–63. 7  Unmittelbar nach der Sitzung des Politbüros wurde der Berliner Generalsuper­ intendent Friedrich-Wilhelm Krummacher, den Pieck aus der Arbeit im National­ komitee Freies Deutschland kannte, sofort zu einem Gespräch ins Zentralkomitee bestellt (vgl. Vermerk Krummachers vom 6. April 1950, in: EZA 4/448, Bl. 216–217 Rs.). Dabei interpretierte der SED-Vorsitzende Müllers geplante Kirchenabkündigung als eine Kampfansage gegen die DDR. Um einen „Kulturkampf“ zu vermeiden, bereiteten Krummacher und Pieck ein Treffen der evangelischen Bischöfe der DDR und des Bischofs von Berlin-Brandenburg Dibelius im DDR-Innnenministerium für denselben Tag vor, vgl. Fn. 10 zu diesem Dokument. 8  Die „Vorgespräche“ Piecks mit Nuschke und Kastner fanden laut Piecks Vormerkkalender im Anschluss an die Politbürositzung am 6.  April statt, vgl. BABSAPMO, NY 4036/27, Bl. 36. Aufzeichnungen zu diesen Gesprächen konnten nicht ermittelt werden. 9  Artikel 41 der am 7. Oktober 1949 in Kraft gesetzten Verfassung der DDR hatte folgenden Wortlaut: „Jeder Bürger genießt volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die ungestörte Religionsausübung steht unter dem Schutz der Republik. Einrichtun-



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langt, dass Müller seinen Brief zurücknehme und seine Aufforderung an die Geistlichen annulliere. Widrigenfalls behalte sich die Regierung das Recht vor, die Maßnahmen zu ergreifen, die sie für notwendig erachte. Pieck teilte des Weiteren mit, dass die Bischöfe bei der Besprechung bei Steinhoff zugestimmt haben, die Verlesung dieses Dokuments von den Kanzeln aufzuschieben, um nach den Osterfeiertagen die Forderungen der Kirche mit der Regierung zu erörtern. Auf diese Weise sei eine Kompromisslösung erreicht worden. Dem Bericht Steinhoffs zufolge, bemerkte Pieck weiter, sei zu vermuten, dass die Initiative zu der Kompromissvereinbarung offenbar von Dibelius selbst ausgegangen sei, der die Besprechung kurz vor ihrem Ende verlassen habe, begleitet von Superintendent Braun (Brandenburg) und Grüber, die kurz danach zurückgekommen seien.10 Des Weiteren ging Pieck in groben Zügen auf ihre [der SED-Führung] Taktik in den Beziehungen mit der Kirche ein. Diese Taktik, so Pieck, laufe darauf hinaus, das Entstehen eines provozierten Konflikts zwischen der ­Regierung der DDR und der Masse der Gläubigen nicht zuzulassen. Es sei völlig klar, dass diese Kampagne der Kirchenleute eine weitere von den Anglo-Amerikanern inszenierte Provokation sei, deren Ziel es sei, den Wahlkampf zu hintertreiben und Zwietracht in ihn hineinzutragen. Unsere Aufgabe, so Pieck weiter, bestehe darin, die Masse der Gläubigen auf unsere Seite zu ziehen. Gen. Čujkov antwortete, das Auftreten der kirchlichen Kreise sei, wie ­Pieck richtig bemerkt habe, eine offenkundige Provokation, die von der anglo-amerikanischen Spionage inszeniert sei und zum Ziel habe, alle Maßnahmen der DDR zu hintertreiben. Die anglo-amerikanische Spionage setze jetzt auch auf die reaktionäre Kirche. Das Ziel sei es, einen Konflikt des Staates mit der Kirche einerseits und mit den Gläubigen andererseits zu provozieren. Man müsse zugeben, dass dieses Manöver zeitlich sehr geschickt kalkuliert sei und mit den Ostertagen zusammenfalle, an denen nicht nur Gläubige in die Kirche gehen. In diesem Zusammenhang fragte Gen. Čujkov Pieck, ob er, Pieck, glaube, dass einige Geistliche trotz der erzielten Übereinkunft die Botschaft Müllers in ihren Gemeinden verlesen werden und ob man zu diegen von Religionsgemeinschaften, religiöse Handlungen und der Religionsunterricht dürfen nicht für verfassungswidrige oder parteipolitische Zwecke mißbraucht werden. Jedoch bleibt das Recht der Religionsgemeinschaften, zu den Lebensfragen des Volkes von ihrem Standpunkt aus Stellung zu nehmen, unbestritten.“ 10  Zu der Besprechung bei Steinhoff am 6.  April um 18  Uhr erschienen neben Dibelius drei Landesbischöfe, darunter Müller, einige Generalsuperindenten und Heinrich Grüber, der Bevollmächtigte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der Regierung der DDR. Gegen die Zusage eines Grundsatzgesprächs erklärte sich Müller bereit, nicht auf der öffentlichen Verlesung seiner Kirchenabkündigung zu bestehen (vgl. Besier, SED-Staat und Kirche, S. 71). Aufzeichnungen dieser Besprechung konnten nicht ermittelt werden.

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sen Geistlichen nicht Leute schicken sollte, die mit ihnen in angemessener Weise reden würden. Pieck antwortete, für den 7. April seien die Ministerpräsidenten und die Sekretäre der SED-Organisationen aus allen Ländern in den Zentralvorstand der SED bestellt worden, dort würden sie von der Führung Informationen und entsprechende Weisungen zu dieser Frage erhalten.11 Gen. Čujkov sagte außerdem, es sei wichtig, Übertreibungen vor Ort zu vermeiden, damit es nicht zu Repressionen gegen die Kirche komme, denn das könne unerwünschte Komplikationen unter den Gläubigen zur Folge haben. Pieck antwortete, diesbezüglich würden gesonderte Weisungen erteilt werden. Gen. Čujkov schlug des Weiteren vor, zur Beilegung des Konflikts mit der Kirche Nuschke und Kastner hinzuzuziehen, dadurch könne geprüft werden, wie konsequent sie die Politik, zu der sie sich bekannt haben, betreiben. Pieck stimmte dem Gen. Čujkov voll und ganz zu. Sodann ging Gen. Pieck auf die Beschlüsse der Stockholmer Tagung des Ständigen Komitees des Weltfriedenskongresses zur Organisation der Un­ terschriftensammlung für ein Atomwaffenverbot und zur Bildung lokaler ­Friedenskomitees ein.12 Pieck nannte die Besonderheiten der Situation in Deutschland, die Spaltung des Landes in zwei Teile, und sagte, in Deutschland habe sich eine Friedensbewegung noch nicht wirklich entwickelt. Die hauptsächliche, zentrale nationale Aufgabe in Deutschland sei die Wiederherstellung eines einheitlichen Deutschlands und ein Friedensvertrag. Natür11  Vgl. den Beschluss des Politbüros am 6.  April (Fn. 6). Pieck erläuterte am 7. April den Ministerpräsidenten, dass den kirchlichen „Provokationen“ nicht öffentlich entgegengetreten werden sollte, um es zu keinem „Kampfe zwischen der Regierung und der Kirche kommen zu lassen. Aber es ist dringend erforderlich, die Kampagne zur Stärkung der Nationalen Front fortzusetzen und besonders auf die Pastoren einzuwirken, ohne irgendwelche Druckmittel anzuwenden.“ Vgl. BAB-SAPMO, NY 4036/736, Bl. 114–117, hier Bl. 116, zit. nach Goerner, Kirche als Problem der SED, S. 63. 12  Das Neue Deutschland hatte fortlaufend und an prominenter Stelle, aber in relativ kleiner Aufmachung über die Stockholmer „Tagung des Ständigen Komitees des Weltkomitees der Friedenskämpfer“ berichtet, die am Abend des 15. März eröffnet und am Sonntag, dem 19. März 1950 beendet wurde. In dieser Zeitungsdarstellung spielten die in Stockholm gefassten Beschlüsse keine Rolle, vielmehr war im Zusammenhang mit dem Abschluss dieser Tagung von „der Annahme eines Aufrufes, in dem alle friedliebenden Menschen der Welt aufgefordert werden, sich durch ihre Unterschrift für ein Verbot der Atomwaffen und für eine internationale Kontrolle über die Befolgung dieses Verbotes zu bekennen“ die Rede (vgl. Neues Deutschland, 21. März 1950, S. 1). Dieser Aufruf wurde als „Stockholmer Appell“ bekannt. Dort war allerdings nicht von „alle[n] friedliebenden“, sondern von „alle[n] Menschen der Welt, die guten Willens sind“ die Rede, ein Ausdruck, der auch im Text der katholischen Messe vorkommt („Friede auf Erden den Menschen guten Willens“).



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lich dürfe diese zentrale, grundsätzliche Aufgabe nicht die internationale Friedensbewegung überlagern, aber die Organisation dieser Bewegung pa­ rallel zur Entwicklung der Bewegung der Nationalen Front des demokratischen Deutschlands stoße auf gravierende Schwierigkeiten mit den Kadern. Deshalb sei beschlossen worden, die Unterschriftensammlung für ein Atomwaffenverbot unverzüglich anlaufen zu lassen, ohne die Bildung lokaler Friedenskomitees abzuwarten, und die Arbeit zur Bildung dieser Komitees werde man mit der Organisation eines zentralen Republikskomitees beginnen, das diese Arbeit leiten werde.13 Gen. Čujkov stimmte dem Standpunkt Piecks voll und ganz zu. Sodann teilte Pieck dem Gen. Čujkov vorab seine Meinung zur Sitzverteilung im künftigen Parlament der DDR mit. Es wäre zweckmäßig, die Zahl der Abgeordneten der Volkskammer von 330 auf 500 und in der Länderkammer von 41 auf 60 zu erhöhen. Dabei erhielte die SED statt der bisherigen 90  Sitze 110 (22 Prozent), die LDP und die CDU statt 45 jeweils 60 (je 12 Prozent). Besonders würde auch die Vertretung der NDPD, der DBD, des FDGB und des DFD deutlich zunehmen.14 13  Das Politbüro der SED beschloss erst am 4. April – mehr als 14 Tage nach dem Abschluss der Stockholmer Tagung –, „[d]as zentrale Friedenskomitee in Berlin zu einem aktiven selbständigen Zentrum der Friedensbewegung für ganz Deutschland auszubauen“. Dieses Komitee sollte Träger der Unterschriftensammlung für den „Stockholmer Appell“ werden und dazu eine Zusammenkunft der Leiter aller Organisationen, Kirchen und Einzelpersonen einberufen, in der ein Beschluss über die Unterschriftensammlung zur Ächtung der Atomwaffe gefasst werden sollte. Ferner beschloss das Politbüro, in diesem Zusammenhang „darauf hinzustreben, zunächst selbständige Friedenskomitees in den Ländern, Kreisen und Orten zu bilden“ (BABSAPMO, DY 30/IV 2/2/81). Weder vor noch nach der Unterredung Piecks mit Čujkov gelang es der SED, die Friedensbewegung in ganz Deutschland unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Unterschriftensammlung für den Stockholmer Aufruf begann in Westdeutschland schon am 9. April, in der DDR und in Berlin aber erst nach dem 21. ­April 1950. An diesem Tag fasste das „Deutsche Komitee der Kämpfer für den Frieden“ den Beschluss, „Friedenskomitees in allen Ländern, Kreisen und Orten der Deutschen Demokratischen Republik und in der Hauptstadt Deutschlands, Berlin“ zu gründen und „die Unterschriftensammlung in allen Häusern in Stadt und Land“ zu organisieren (vgl. Neues Deutschland, 22. April 1950, S. 1). 14  Genau diese Relationen der Sitzverteilung nannte die SED-Führung auch am 4. Mai 1950 in ihrem Gespräch mit Stalin (vgl. Badstübner/Loth, S. 347). Das Politbüro der SED hatte unmittelbar nach der Rückkehr von Ulbricht und Grotewohl aus Moskau am 9. Mai beschlossen, „eine Übereinstimmung über den Proporz der Parteien und Organisationen bei der Aufstellung der Kandidaten“ zu erzielen (vgl. BABSAPMO, DY 30/IV 2/2/87). Über die zukünftige Sitzverteilung in der am 15. Oktober zu wählenden Volkskammer (vgl. Fn. 15) einigten sich die Vorsitzenden der Parteien und Massenorganistaionen am 25. Mai 1950. Auf der Sitzung des Zentralen Blockausschusses vom 6.  Juli wurde diese Einigung bestätigt, vgl. AVP  RF, f. 082, op. 37, p. 210, d. 66, Bl. 66–69: Il’ičev an Gribanov, 13.  Juli 1950, und ebenda, Bl. 70–75: Gribanov an Gromyko und Zorin, 13. Juli 1950.

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Gen. Il’ičev machte Pieck darauf aufmerksam, dass eine solche Erhöhung der Gesamtzahl der Parlamentsabgeordneten verfassungswidrig sei15 und dass das Parlament der Republik offenbar erst Änderungen in der Verfassung vornehmen müsse. Auf die im Zusammenhang mit dem im Mai bevorstehenden gesamtdeutschen Jugendtreffen entfaltete Massenagitations- und Propagandaarbeit eingehend, bemerkte Gen. Čujkov, diese Propagandakampagne gehe zu weit, sie trage teilweise provokativen Charakter, und er übergab Pieck ein Aide-­ mémoire zu dieser Frage (ist beigefügt16). 15  Die am 7. Oktober 1949 in Kraft gesetzte Verfassung bestimmte in Artikel 52, Punkt (3): „Die Volkskammer besteht aus 400 Abgeordneten“ und in Artikel 71: „In der Länderkammer hat jedes Land für je 500 000 Einwohner einen Abgeordneten. Jedes Land hat mindestens einen Abgeordneten.“ Der Provisorischen Volksammer, zu der sich der „Deutsche Volksrat“ am 7. Oktober 1949 konstituiert hatte, gehörten 300 Abgeordente an, der Volksrat selbst hatte aus 330 Abgeordneten bestanden. Der Provisorischen Länderkammer der DDR, die sich am 11. Oktober 1949 konstituiert hatte, gehörten 41 Abgeordnete an. Die am 15. Oktober 1950 gewählte Volkskammer bestand aus 466 Abgeordneten, davon 400 aus den Wahlkreisen der DDR und 66 aus den Ost-Berliner Wahlkreisen. Die Fraktion der SED bestand aus 110, die der CDU aus 67, der LDP aus 66, der NDPD aus 35 und des DBD aus 33 Abgeordneten. Daneben gab es noch 6 weitere Fraktionen des FDGB und der Massenorganisationen. Die nur in Ost-Berlin gewählten sechs sozialdemokratischen Kandidaten firmierten unter der Bezeichnung „Sozialdemokratische Aktion“ und besaßen keinen Fraktionsstatus. Auf ihrer konstituierenden Sitzung beschloss die Volkskammer am 8. November 1950 in erster und zweiter Lesung das Gesetz „Über die Zusammensetzung der Länderkammer“, das die Zahl der Abgeordneten dieser Kammer von 34 auf 63 erhöhte, wovon 13 aus Ost-Berlin kamen, vgl. Neues Deutschland, 9. November 1950, S. 1. 16  Zum Deutschlandtreffen der Jugend vgl. Dok. 25, Fn. 19. Das Aide-mémoire lautete: „In jüngster Zeit sind bei der Durchführung der Propagandakampagne zur Vorbereitung des Deutschlandtreffens der Jugend in den Auftritten einiger führender Mitarbeiter der SED und des Jugendverbands Äußerungen provokativer Art zu vernehmen gewesen. So erklärte beispielsweise der Leiter des Informationsamtes der Deutschen Demokratischen Republik, G. Eisler: ‚Die deutsche Jugend werde zu Pfingsten ungeachtet aller Sektorengrenzen durch ganz Berlin marschieren und den Amerikanern, die sich widerrechtlich auf dem Boden Berlins befänden, zurufen: Verlaßt Berlin und Westdeutschland!‘ (Berliner Zeitung vom 11. März 1950). [Darin hieß es auf S. 1 wörtlich: „Verlasst Berlin und Deutschland“.] In seiner Erklärung auf einer Pressekonferenz am 31. Januar d. J. sagte Eisler: ‚Die Amerikaner versuchen verzweifelt, in Westeuropa 35 Divisionen zusammenzuschmieden. Dabei setzen sie vor allem auf die deutsche Jugend. 500 000 Teilnehmer am Deutschlandtreffen der Jugend entsprechen ungefähr der Zahl von 35 Divisionen‘ (Tägliche Rundschau vom 1. Februar 1950. Auch in anderen Zeitungen veröffentlicht). Auf einer Versammlung des Aktivs der Jugend des Landes Brandenburg erklärte Honecker: ‚Auf unserer Berliner Konferenz der FDJ-Funktionäre haben wir Schumacher geantwortet, dass es ein Irrtum wäre zu glauben, das deutsche Volk bereite einen Aufstand vor und gebe das vier Monate lang durch seine Aufrufe, durch das Radio usw. bekannt. Dieser Aufstand, wenn er denn stattfindet, wird dann gewiss so überraschend kommen, dass



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Pieck sagte hierzu, die Presse habe ihren Eifer schon gemäßigt – leere Phrasen seien hier nicht angebracht – und es würden entsprechende Maßnahmen getroffen werden. Gen. Čujkov übergab Pieck des Weiteren ein Aide-mémoire17 zur Frage der Erfüllung des Plans zur Versorgung der Wismut mit Arbeitskräften und bemerkte, im ersten Quartal 1950 seien statt 45 000 Arbeitern nur 16 000 zur Wismut geschickt worden. Gen. Čujkov bat Pieck, das Arbeitsministerium18 anzuweisen, im Ministerrat über den Verlauf der Erfüllung dieses Plans zu berichten. Gen. Il’ičev merkte an, das Arbeitsministerium schlage vor, Saisonarbeiter aus der Landwirtschaft, die derzeit keine Arbeit hätten, zur Wismut zu entsenden. Pieck sagte, am Dienstag dem 11. April werde man diese Frage im Politbüro prüfen19 und sie danach an die Regierung weiterleiten. Gen. Čujkov informierte Pieck des Weiteren über eine Besprechung der Leitung der SKK mit den Vertretern der SKK in den Ländern, bei der die Frage der Situation in den Komitees der Nationalen Front erörtert worden sei.20

einige Herren in Deutschland keine Zeit mehr haben werden, ihre Koffer zu packen und zusammen mit den amerikanischen Herren Besatzern nach Hause zu verschwinden.‘ “ Vgl. RGASPI, f. 17, op. 137, d. 309, Bl. 76. 17  In dem Aide-mémoire („Plan zur Versorgung der Wismut AG mit Arbeitskräften für das Jahr 1950“) wurde vermerkt, dass das Ministerium für Arbeit und Gesundheitswesen den Plan zur Bereitstellung von Arbeitskräften für das Jahr 1950 schon 1949 „zur Ausführung verabschiedet“ habe, die Wismut AG jedoch statt der für das erste Quartal vorgesehenen 45 000 Arbeiter nur 16 000 bekommen habe. Der Bedarf an Arbeitskräften zur „Erfüllung des Arbeitsplans der Wismut AG“ für das 2. und 3. Quartal werde daher mit je 40 000 und für das 4. Quartal mit 25 000 Mann festgesetzt. Weiter hieß es: „Im Hinblick auf die besondere Wichtigkeit der von der Wismut AG verrichteten Arbeiten würden wir es für zweckmäßig halten, dass das Politbüro der SED auf der Parteischiene und die Regierung auf der Schiene der Verwaltungs­ organe entsprechende Anweisungen über die Entsendung der oben genannten Anzahl an Arbeitskräften erteilen.“ Vgl. RGASPI, f. 17, op. 137, d. 309, Bl. 77. 18  Gemeint ist das Ministerium für Arbeit und Gesundheitswesen, das bis Oktober 1950 bestand. 19  Am 11. April 1950 befasste sich das Politbüro unter TOP 5 mit dem Thema: „Arbeitskräfte für die Wismuth [sic] AG“ und beschloss eine Kommission zu bilden, die überprüfen sollte, „wie die nötigen Arbeitskräfte aufgebracht und wie zugleich die Anforderungen herabgesetzt werden können“ (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/83). Gemeint waren damit offensichtlich die sowjetischen Anforderungen, vgl. Fn. 17. 20  Eine Aufzeichnung dieser Besprechung konnte in russischen Archiven nicht ermittelt werden.

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Zum Abschluss der Unterredung teilte Pieck mit, dass beschlossen worden sei, den 8. Mai und den 7. Oktober zu nationalen Feiertagen zu erklären:21 8. Mai – Tag der Befreiung, 7. Oktober – Tag der Republik. Bei der Unterredung war der Dolmetscher Machalov anwesend. Das Gespräch wurde aufgezeichnet von Oberleutnant Machalov22 RGASPI, f. 17, op. 137, d. 309, Bl. 69–75.

22. Unterredung zwischen dem Leiter der Mission der UdSSR in der DDR Puškin und Staatssekretär Ackermann Geheim 

Berlin-Ost, 7. April 19501

Aus dem Tagebuch2 von G.M. Puškin Ackermann wandte sich an mich um Rat in der Frage des Schutzes der Interessen deutscher Staatsbürger in Ländern, mit denen die DDR keine diplomatischen Beziehungen unterhält. Ackermann sagte, es handele sich dabei um neutrale Länder und Länder, die in Deutschland nicht Besatzungsmacht sind. Er ist der Ansicht, dass die Regierung der DDR schon jetzt den Schutz dieser Interessen den Ländern anvertrauen solle, mit denen sie diplomatische Beziehungen habe, denn sonst werde das die Bonner Regierung tun. Ackermann bat um unseren Rat, in welcher Form dies zu tun sei und welches Land man mit dem Schutz der Interessen deutscher Staatsbürger im Ausland be-

21  Am 4. April 1950 hatte das Politbüro entschieden, den Ministerrat „den 8. Mai (Tag der Befreiung) und den 7. Oktober (Tag der Republik) als gesetzliche Nationale Feiertage beschließen zu lassen“ (BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/81). Neun Tage später folgte der Ministerrat der DDR dieser Entscheidung und bestätigte einen entsprechenden Gesetzentwurf, den die Volkskammer am 19. April 1950 annahm. Der erste Feiertag bezog sich auf die „Zerschlagung der faschistischen Wehrmacht und des faschistischen Staatsapparates durch die sowjetische Armee“, der zweite auf die Gründung der DDR. 22  Handschriftlich. 1  Original an Vyšinskij. Kopien dieses Dokuments gingen an Gromyko und Gribanov. Die Ausgangsnummer 0149 ist nicht mit einem Datum versehen, die Eingangsnummern des Sekretariats von Vyšinskij 5443-v und der Dritten Europäischen Abteilung 650 (2.) datieren beide vom 14. April 1950. 2  „Tagebuch“ ist ein aus der russischen Kanzleisprache übernommener Begriff des Auswärtigen Dienstes der UdSSR für Gesprächsaufzeichnungen.



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trauen könne. Ich sagte Ackermann, dass ich ihm diese Frage später beantworten werde.3 Sodann informierte Ackermann mich, dass der Leiter der tschechoslowakischen diplomatischen Mission, Fischl, auf Weisung seiner Regierung beim Außenministerium der DDR Protest eingelegt habe, weil die DDR ihren Handelsverpflichtungen gegenüber der Tschechoslowakei nicht nachkomme. Ackermann sagte, er halte in diesem Falle den Protest Fischls für berechtigt, da sich im Handel der DDR mit der Tschechoslowakei ein Saldo von 9 Millionen Dollar zugunsten der Tschechen gebildet habe. Ackermann meint, die Handelspolitik der DDR sei nicht richtig. Mit fast allen Ländern der Volksdemokratie, so Ackermann, habe sich ein Saldo zugunsten dieser Länder gebildet, während umgekehrt bei Handelsabschlüssen der DDR mit Finnland und einigen westlichen Ländern ein positiver Saldo für die DDR entstanden sei4. Er neige zu der Auffassung, dass diese Politik kein Zufall sei. Nach seinen Worten ziehen es einige den Ländern der Volksdemokratie feindlich gesinnte Elemente vor, die Handelsgeschäfte der DDR mit den Westmächten zum Schaden des Handels mit den Ländern der Volksdemokratie zu aktivieren, wobei sie sich den Umstand, dass die Regierung der DDR nicht die gebotene Kontrolle über ihren Außenhandel wahrnimmt, zunutze machen. In diesem Zusammenhang nannte er den Namen des Staatssekretärs im Ministerium für Außenhandel, Ganter-Gilmans (CDU), sowie des Leiters der Verwaltung für Interzonenhandel, Orlopp (SED, ehemaliger Sozialdemokrat). Ackermann sagte, er habe auf der letzten Sitzung des Politbüros des Parteivorstandes der SED angeregt, im Apparat des Ministeriums für Außenhandel der DDR Ordnung zu schaffen und dass die DDR ihren Verpflichtungen aus den Handelsverträgen mit den Ländern der Volksdemokratie strikt nachkommen müsse. Die Mitglieder des Politbüros hätten seinem Vorschlag zugestimmt und einen entsprechenden Beschluss gefasst.5 3  Am 26. April 1950 schrieb Gribanov aus diesem Anlass an Vyšinskij, diese Fragen seien „operativ erledigt und gegenwärtig [seien] keine weiteren Maßnahmen erforderlich“, vgl. AVP RF, f. 07, op. 23, p. 43, d. 201, Bl. 39. 4  Die hier und im Folgenden kursiv hervorgehobenen Wörter sind im Original handschriftlich unterstrichen. 5  Bereits am 8. Februar 1950 wurde auf einem Treffen beim Vorsitzenden der SKK in Deutschland der Beschluss gefasst: „… Die Abteilung für Materialbilanzen der SKK muss die Tätigkeit des Ministeriums für Innerdeutschen Handel, Außenhandel und Materialversorgung unter ihre tägliche Kontrolle nehmen; sie muss offensiver Vertreter anderer Parteien für die Arbeit in den deutschen Organen des Außenhandels heranziehen; sie muss in kürzester Zeit den Abschluss von Handelsabkommen mit allen Volksdemokratien und die Entsendung von Handelsvertretern in diese erreichen; sie muss unverzüglich die Schulden der DDR gegenüber den Westzonen tilgen und in möglichst kurzer Frist die vollständige Erfüllung des Interzonenhandelsabkommens gewährleisten. Sie soll die Arbeit des Ministeriums dahingehend lenken, dass die systematische Ausweitung, Entwicklung und Festigung der Handelsbeziehungen mit

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Zum Schluss beschwerte sich Ackermann über den Leiter der polnischen diplomatischen Mission in der DDR, Izydorczyk, der seinen Apparat übermäßig mit deutschen Staatsbürgern aufblähe, insbesondere solchen aus Westberlin, und der gegenüber dem MfAA der DDR die unverschämte Forderung stelle, für diese Art Mitarbeiter der polnischen diplomatischen Mission Vorzugsversorgung zu gewähren. Laut Ackermann hat die Zahl der Mitarbeiter der polnischen diplomatischen Mission 300 Personen erreicht. Ackermann erklärte, das MfAA der DDR habe die Gewährung von Vorzugsversorgung für 60 Mitarbeiter der polnischen diplomatischen Mission und ihre Familienangehörigen zugesagt, dies aber für andere Mitarbeiter, vor allem für deutsche Staatsangehörige, abgelehnt.

G. Puškin6

AVP RF, f. 07, op. 23, p. 43, d. 201, Bl. 36–37.

23. Unterredung zwischen dem Leiter der Mission der UdSSR in der DDR Puškin und Staatssekretär Ackermann Geheim 

Ost-Berlin, 14. April 19501

Aus dem Tagebuch2 von G.M. Puškin Ackermann teilte mir mit, dass die ungarische Regierung kürzlich beschlossen habe, die Aussiedlung von Deutschen aus Ungarn nach Deutschland zu beenden. Dieser Beschluss sehe auch die Möglichkeit vor, dass ausgesiedelte Deutsche dann nach Ungarn zurückkehren können, wenn nahe den Volksdemokratien und der Sowjetunion garantiert sind …“ Vgl. AVP RF, f. 082, op. 37, p. 207, d. 44, Bl. 66–67; zum Interzonenhandelsabkommen vgl. Dok. 17, Fn. 18. Auf der Sitzung des Politbüros des ZK der SED vom 28. März 1950 wurde unter TOP 8 die Nichterfüllung von Handelsverträgen mit den Volksdemokratien diskutiert. Die von Ackermann, der an dieser Sitzung teilgenommen hatte, erwähnte Kritik an Ganter-Gilmans und Orlopp ist im Beschlussprotokoll nicht verzeichnet, dafür jedoch der Beschluss, die Wirtschaftsabteilung des ZK der SED zu beauftragen, „dem Politbüro Grundsätze für die Handelspolitik der SED vorzulegen“, vgl. BABSAPMO, DY 30/IV 2/2/80. Das Gespräch ging dem Abschluss eines Abkommens über den Waren- und Zahlungsverkehr zwischen der DDR und der UdSSR am 12. April 1950 unmittelbar voraus, vgl. Dok. 24 und dort Fn. 4. 6  Handschriftlich. 1  Original an Vyšinskij. Kopien dieses Dokuments gingen an: Gromyko und die Dritte Europäische Abteilung. Auf dem Dokument sind die Ausgangsnummer 028 vom 20. April 1950 und die Eingangsnummer 5953-v des Sekretariats von Vyšinskij vom 24. April 1950 eingetragen. Das Dokument lag Vyšinskij vor. 2  „Tagebuch“ ist ein aus der russischen Kanzleisprache übernommener Begriff des Auswärtigen Dienstes der UdSSR für Gesprächsaufzeichnungen.



Dokument 23: 14. April 1950121

Angehörige dieser Deutschen in Ungarn geblieben seien und sie keine aktiven Anhänger des Faschismus gewesen seien. Der Beschluss der ungarischen Regierung sei auf einer Pressekonferenz mitgeteilt worden, die der Staatssekretär im Außenministerium, Boldizsár, in Budapest gegeben habe.3 Die Nachricht über den Beschluss der ungarischen Regierung und über die Pressekonferenz sei in der DDR durch ADN verbreitet worden. Diese Nachricht habe bei allen aus Ungarn ausgesiedelten Deutschen die Hoffnung auf Rückkehr nach Ungarn geweckt. Ackermann teilte mir mit, dass heute der Leiter der ungarischen diplomatischen Mission in Berlin, Hajdú, zu ihm gekommen sei und ihm mitgeteilt habe, dass die Mission in den letzten zwei Tagen wegen der großen Zahl von Besuchern, die um Rückkehr nach Ungarn nachsuchen, nicht normal arbeiten könne. Außerdem erhalte die Mission täglich Hunderte von Briefen aus allen Teilen der DDR. Ackermann erklärte mir, die ungarische Regierung habe nicht korrekt gehandelt, indem sie einen solchen Beschluss ohne vorherige Abstimmung mit der Regierung der DDR gefasst habe. Nach seiner Meinung sei sie dazu verpflichtet gewesen, da die aus Ungarn ausgesiedelten Deutschen die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten hätten und in der DDR eine ständige Aufenthaltserlaubnis besäßen. Die ungarische Regierung habe mit ihrem Beschluss nicht nur bei den aus Ungarn, sondern auch bei den aus Polen und der Tschechoslowakei ausgesiedelten Deutschen falsche Hoffnungen auf Rückkehr geweckt: Laut Ackermann besteht die Bevölkerung der DDR zu über 20 Prozent aus Umsiedlern aus Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn und Ostpreußen.4 Die Erklärung der ungarischen Regierung schaffe ernsthafte Schwierigkeiten für die Regierung der DDR. Ackermann bat mich um Rat, was in diesem Falle zu tun sei.5 Ich antwortete ihm, es sei das Beste, diese Frage mit den Ungarn selbst zu besprechen. Ich bemerkte, dass die 3  Die Neue Zeit berichtete am 2. April 1950 auf S. 1, Boldizsár habe auf einer Pressekonferenz den Beschluss des ungarischen Ministerrats bekannt gegeben, „die Aussiedlung der in Ungarn lebenden Deutschen, der sogenannten Schwaben, einzustellen und sämtlichen bereits ausgesiedelten Deutschen, die noch Eltern, Kinder oder Ehegatten in Ungarn haben, die Möglichkeit zur Rückkehr nach Ungarn zu geben“. Im Neuen Deutschland vom gleichen Tag wurde zwar der Beschluss, nicht aber Boldizsár erwähnt (S. 2). 4  Die Zahl der Vertriebenen in der Sowjetischen Besatzungszone stieg von 2,5 Millionen im Dezember 1945 auf 4,4 Millionen im März 1949. Ihr Bevölkerungsanteil erhöhte sich in diesem Zeitraum von 17,1 auf 25 Prozent, vgl. Dieter Marc Schneider, „Zentralverwaltung für deutsche Umsiedler“, in: SBZ-Handbuch, S. 239–243. Weiterführende Dokumente finden sich in: Manfred Wille, Die Vertriebenen in der SBZ/ DDR. Dokumente, Bd. 3, Wiesbaden 2003. 5  Am 18. April 1950 nahm das Politbüro des ZK der SED einen Bericht Ackermanns über die „Überführung von Deutschen nach Ungarn“ zustimmend zur Kenntnis. „Das Politbüro hält den Beschluß der Ungarischen Regierung für falsch und teilt der SKK diese Meinung mit.“ Vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/84, TOP 13.

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ungarische Regierung, als sie diesen Beschluss gefasst habe, wahrscheinlich an die Rückkehr einiger weniger aus Ungarn ausgesiedelter Deutscher gedacht habe und auch nur solcher, für die die in Ungarn zurückgebliebenen Familien einen Antrag stellen. Ich sagte Ackermann, ich hoffe, dass sich die deutsche Regierung mit der ungarischen Regierung, die Klarheit in diese Angelegenheit bringen werde, leicht einigen werde. Ackermann informierte mich, dass vom Vertreter der DDR in Prag, Große, ein Telegramm eingegangen sei, in dem dieser mitteile, die tschechoslowakischen Freunde hätten ihm dargelegt, dass sie nicht an den Abschluss eines politischen Vertrages mit der DDR, sondern an ein Abkommen über wirtschaftliche Angelegenheiten gedacht hätten.6 In diesem Zusammenhang sagte Ackermann, Große habe seinerzeit Grotewohl unrichtig über den Vorschlag der tschechoslowakischen Freunde informiert. Aus dieser Information habe Grotewohl verstanden, dass die tschechoslowakischen Freunde vorgeschlagen hätten, einen Freundschaftsvertrag zwischen der DDR und der Tschechoslowakei abzuschließen. In diesem Sinne habe Grotewohl Ackermann und Dertinger informiert und sie beauftragt, mit mir zu verhandeln. Die tschechoslowakische Regierung habe jetzt durch ihren Gesandten in Berlin, Fischl, den Entwurf zu einem Wirtschaftsabkommen mit der DDR übergeben.7 Dieser Tage solle das Projekt auf einer Sitzung des Politbüros des Parteivorstandes der SED erörtert werden,8 danach werde Ackermann mir die Entscheidung des Politbüros mitteilen und über mich die Sowjetregierung um Rat in dieser Angelegenheit bitten.9 Zum Schluss berichtete Ackermann mir, dass sich Grotewohl auf der Sitzung des Politbüros des Parteivorstands der SED in seinem Bericht über die Reise der deutschen Regierungsdelegation nach Ungarn zur Feier des 5. Jahrestages der Befreiung Ungarns über den schlechten Empfang beklagt habe, den die Ungarn der deutschen Delegation bereitet hätten.10 Grotewohl habe 6  Vgl. Dok. 20, Fn. 3. Das Telegramm von Große konnte im PA AA nicht ermittelt werden. 7  Zum Text dieses Entwurfs vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/84, Anlage 5. 8  Am 18. April 1950 stimmte das Politbüro der SED dem tschechoslowakischen Entwurf eines „Abkommens über die wirtschaftliche Zusammenarbeit“ zu. Ort und Zeitpunkt der Unterzeichnung dieses Abkommens sollte durch die tschechoslowakische Regierung bestimmt werden, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/84, TOP 13 c. Zur Verzögerung und zum schließlichen Abschluss eines (geänderten) Abkommens vgl. Dok. 20, Fn. 3. 9  Eine Weisung der Sowjetregierung zum Vertrag mit der Tschechoslowakei konnte im AVP RF nicht ermittelt werden. 10  Auf der Sitzung vom 11. April 1950 nahm das Politbüro des ZK der SED den Bericht Grotewohls über seine Reise nach Ungarn „zur Kenntnis“. Zu dem Inhalt des Berichts finden sich keine Angaben im Protokoll, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/83, TOP 10. Auf seiner Sitzung am 13. April beschäftigte sich auch der Minister-



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berichtet, dass seine Rede auf der Festsitzung von den Anwesenden kühl aufgenommen worden sei und dass die Ungarn immer bemüht gewesen seien, die deutsche Delegation auf den letzten Platz zu setzen. Grotewohl habe in seinem Informationsbericht betont, dass die sowjetische Delegation, insbesondere die Gen. Vorošilov und Suslov, sich äußerst zuvorkommend gegenüber der deutschen Delegation verhalten hätten: Beim Empfang in der sowjetischen Botschaft habe Grotewohl neben dem Gen. Vorošilov gesessen. Laut Ackermann hat Dertinger, der Mitglied der deutschen Delegation war, die Unhöflichkeit der Ungarn in origineller Weise kommentiert. Er habe ihm, Ackermann, gesagt, dass es in Zukunft zweckmäßig wäre, wenn die deutsche Delegation in solchen Fällen von einem Kommunisten geleitet würde. Auf Ackermanns Bemerkung, dass in der SED kein Unterschied zwischen ehemaligen Sozialdemokraten und Kommunisten gemacht werde, habe Dertinger geantwortet, er wisse das, aber das verstehe man weder in Ungarn noch in Polen noch in der Tschechoslowakei, dort vergesse man nicht, dass Grotewohl ein ehemaliger Sozialdemokrat ist. Diese Bemerkung machte Dertinger gegenüber Ackermann im Zusammenhang mit der bevorstehenden Reise einer deutschen Delegation am 8. Mai nach Prag zur Feier des 5. Jahrestages der Befreiung der Tschechoslowakei.11

G. Puškin12

AVP RF, f. 07, op. 23, p. 43, d. 201, Bl. 43–45.

rat mit dieser Frage. Über die Delegationsreise berichtete Dertinger, Grotewohl beschränkte sich auf ergänzende Erklärungen, vgl. BAB, DC 20-I/3/16, TOP 6. 11  Auf der Sitzung vom 18. April 1950 bestätigte das Politbüro des ZK der SED unter TOP 4 Walter Ulbricht als Leiter der Regierungsdelegation zum 5. Jahrestag der Befreiung der Tschechoslowakei am 9. Mai, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/84. Diese Reise kam nicht wie geplant zustande. Anstelle von Ulbricht leitete Selbmann die DDR-Delegation, vgl. Neues Deutschland, 6.  Mai 1950, S. 1. Pieck, Ulbricht und Grotewohl hielten sich zu dieser Zeit in Moskau auf, wo sie am 4. Mai mit Stalin zusammentrafen, vgl. Dok. 29, Fn. 2. 12  Handschriftlich.

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24. Aufzeichnung der Leiterin der Hauptabteilung Wirtschaftspolitik im MfAA Kuckhoff SB 01131, Panzerschranksache vertraulich, im geschlossenen Umschlag

Berlin-Ost, 17. April 19501

Bericht über die Handelsabkommensverhandlungen in Moskau Die Delegation, die zu den Handelsabkommensverhandlungen vom 31. Januar bis 13. April 1950 in Moskau war, setzte sich aus folgenden Teilnehmern zusammen: Herr Minister Handke (Leiter), Frau Lore Staimer (stellvertretender Leiter), Herr August Gröhl (alle Ministerium für Innerdeutschen Handel, Außenhandel und Materialversorgung), Frau Greta Kuckhoff (Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, Hauptabteilung Wirtschaftspolitik), Herr Hermann Grosse (Ministerium für Industrie, Hauptabteilung Maschinenbau), Herr Edgar Luetgens (Ministerium für Industrie, Hauptabteilung Leichtindustrie). Während der ersten 3 Wochen waren außerdem anwesend: Herr Straßenberger (Ministerium für Planung, Zentrales Planungsamt, er wurde durch den Ministerpräsidenten zurückberufen), Herr Wagner (Ministerium für Industrie, Hauptabteilung Chemie, er wurde krankheitshalber und da er nicht unbedingt bei den Verhandlungen benötigt wurde, zurückgeschickt). Die Benennung der Mitglieder erfolgte wenige Tage vor Antritt der Reise. Die sachlichen Vorbesprechungen wurden von den verschiedenen Abteilungen des Ministeriums für Innerdeutschen Handel, Außenhandel und Materialversorgung untereinander unter Hinzuziehung von Mitarbeitern anderer Haupt- und Fachabteilungen dieses Ministeriums resp. einiger anderer Ministerien durchgeführt. Die Delegationsmitglieder selbst waren von der Problematik nicht oder unzulänglich informiert (als Beispiele: Höhe und Art der Überhänge aus früheren Abkommen resp. aus Reparationsaufträgen, Umlegung von Reparationen auf Außenhandel, Plan für die noch ausstehenden Verträge mit anderen Ländern wie Polen, Rumänien usw., Verpflichtungen aus bereits geschlossenen Abkommen, CSR, Polen; genaue Spezifikationslisten für Walzwerkerzeug­ nisse und ähnliches mehr). Es fand nur eine etwa eine halbe Stunde dauernde gemeinsame Besprechung unmittelbar vor dem ersten Abreisetermin statt. Da dieser Abreisetermin sich dann um 3 Tage verschob, blieb Zeit für eine kurze Überprüfung der bei der Besprechung übergebenen Unterlagen. Festgelegt wurde, daß 1  Durchdruck. Am Kopf des Dokuments ist vermerkt: „[An] Staatssekretär Acker­ mann“.



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ver­trauliche Unterlagen nicht mit auf die Reise genommen werden dürfen. Neben der ungenügenden Mitarbeit der Delegationsmitglieder bei den Vorarbeiten, war diese Maßnahme daran schuld, daß sehr ausführliche tägliche Telefonate mit Berlin geführt werden mußten, bei denen von beiden Seiten Zahlenangaben gemacht wurden und z. T. Erklärungen notwendig waren, die vertraulicher Natur waren. Dem Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, HA Wirtschaftspolitik war der Vertragstext zur Durchsicht zugegangen – mit einer Stunde Frist – die materiellen Unterlagen waren uns nicht bekannt. Der Ablauf der Verhandlungen vollzog sich in folgender Weise: Am ersten Tag nach unserer Ankunft fand eine Begrüßungsvorstellung beim stellv. Außenhandelsminister der SU, Herrn Loschakoff, statt, an der Herr Minister Handke, Frau Staimer, Frau Kuckhoff und Herr Gröhl teilnahmen. Hierbei wurde die Arbeitsmethodik festgelegt: Delegationsplenarsitzungen sollten nicht stattfinden, vielmehr sollten Kommissionen zur Verhandlung bestimmter Fragenkomplexe gebildet werden, die nach Bedarf zusammentreten sollten. Nach dem Abschluß ihrer Arbeit würde zwischen dem Minister der DDR und dem stellvertretenden Außenhandelsminister der SU eine abschließende Besprechung stattfinden, um die endgültige Form und den Inhalt des Abkommens festzulegen. Folgende 3 Kommissionen wurden gebildet: 1. Textkommission, die alle grundsätzlichen2 Fragen zu klären beauftragt war: Frau Greta Kuckhoff (Leiterin), Frau Lore Staimer, Herr August Gröhl. 2. Warenkommission: Frau Lore Staimer (Leiterin), Herr August Gröhl, Herr Hermann Grosse, Herr Alfred Binz und gegebenenfalls Herr Luetgens und Herr Wagner, die jedoch beide nur selten an Sitzungen teilzunehmen brauchten. 3. Kommission zur Prüfung von Überhängen aus alten Verpflichtungen, die ebenfalls von Frau Staimer geleitet wurde, unter der Herr Gröhl mitarbeitete. Die Textkommission hat insgesamt 4 mal getagt. Als Diskussionsgrundlage wurde der deutsche Vorschlag – Anlage 1 – angenommen. Die erste Besprechung zeigte bereits, daß der Begriff des „gegenseitigen Warenaustausches“ nicht umfassend genug war, um die von uns zu lösenden Handelsaufgaben sämtlich zu umschließen. (Lohnveredelung, Valutenauftragsgeschäfte, zusätzliche Kompensationsgeschäfte). Die bereits von den tschechischen Verhandlern anläßlich ihrer Abkommensverhandlungen gestellte Forderung, die Verpflichtung aufzunehmen, 2  Die hier und im Folgenden kursiv hervorgehobenen Wörter sind im Original maschinenschriftlich unterstrichen.

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evtl. Schuldsalden am Ende des Jahres durch „Waren, Gold, Pfund-Sterling oder US-Dollar abzudecken“ wurde ebenfalls sofort erhoben. Es wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, daß diese Forderung begründet sei, obwohl die SU wisse, daß uns weder Gold, noch die geforderten Devisen in größerem Umfange zur Verfügung ständen. Die Rückkehr zu normalen Vertragsbedingungen unter selbständigen Staaten verlange jedoch, daß ein solcher Artikel in das Abkommen aufgenommen würde, zumal sich in jedem Vertrag, den die SU mit befreundeten oder anderen Staaten abgeschlossen habe, ein solcher Artikel befände. Er müsse uns veranlassen, alles daran zu wenden, einen Schuldsaldo zu vermeiden und die entsprechenden organisatorischen Voraussetzungen dafür im Handel wie in der Produktion zu schaffen. Diese Forderung wurde von uns – besonders auch von mir – anerkannt. Dadurch, daß das vorliegende Abkommen für 1950 erst im 2. Quartal des Jahres 1950 abgeschlossen wurden konnte, mußten wir von unserem ursprünglichen Vorschlag zurücktreten, der für den Abschluß der Einzelkontrakte eine vier- bis sechsmonatige Frist vorsah. Die SU hat mit den anderen Ländern die Frage in der Art geregelt, daß eine Abschlußfrist von zwei, höchstens drei Monaten festgelegt wurde. In unserem Falle jedoch waren die Verhandlungspartner bemüht, die Formulierung „nach Möglichkeit“ einzufügen. Nachdem die deutsche Seite mir jedoch verbindlich erklärte, daß ihr der Abschluß innerhalb von 3 Monaten durchaus möglich sei und angesichts der Tatsache, daß die rechtzeitige Lieferung, vor allem der Maschinen, bis zum Ablaufsdatum des Abkommens (31. Dezember 50) gefährdet ist, wenn die Bestellungen noch später als bis zum 12. Juli eingehen, trug ich meine Bedenken gegen diese Formulierung vor. Sie fand sich trotzdem im endgültigen Textentwurf. Ich habe nach der offiziellen Überreichung dieses Entwurfes durch den Handelsminister der SU Herrn Menschikoff, an Herrn Minister Handke, nochmals gebeten, die Frist auf drei Monate ohne Einschränkung festzulegen, um Verzögerungen bei dem Abschluß der Kontrakte zu vermeiden, durch die eine rechtzeitige Erfüllung unserer Verpflichtungen aus dem Abkommen gefährdet sei. Unserem Wunsche wurde entsprochen. Wir haben bei den Verhandlungen wiederholt Gelegenheit gehabt, darauf hinzuweisen, daß eine von der Partnerseite geforderte Gleichwertigkeit der gegenseitigen Lieferungen zu jedem Zeitpunkt im Verlaufe des Vertragsjahres von uns nicht gewährleistet werden kann. Die Gründe dafür sind objektiver Natur. Die Warenkontingente der Import- resp. Exportseite sind in ihrer Wertigkeit zeitlich nicht in Einklang zu bringen. Die Lieferungen der SU (Rohstoffe, Halbfabrikate und Lebensmittel) werden vorzüglich in der ersten Jahreshälfte folgen. Sie sind z. T. sogar die Voraussetzung für die Lieferung von Fertigwaren deutscherseits. Es liegt also in der Struktur des Abkommens selbst, daß sowohl nach dem 1. wie nach dem 2. Quartal sich ein Aktivsaldo



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zugunsten der SU ergeben muß. Selbst wenn in den Einzelkontrakten die übliche Bestimmung aufgenommen wird, daß ein Drittel des Preises für Maschinen nach Abschluß des Vertrages, ein weiteres Drittel bei Fertigstellung der Ware und das letzte Drittel bei Übernahme erfolgt, ist an einen Ausgleich nicht zu denken. Aus diesem Grund erklärte die Regierung der SU sich bereit, Vorauslieferungen an uns im Werte von bis zu 120 Millionen Rubel zu gewähren, für die ein Jahressatz von 2 Prozent berechnet werden würde. Am Ende des Jahres 1950 jedoch soll die Wertgleichheit hergestellt sein. Überhänge können im Laufe der weiteren drei Monate, also bis Ende März 1951, abgedeckt werden. Um eine Übersicht über die Schwierigkeiten bei der Abwicklung des Abkommens rechtzeitig zu erhalten, wurde von der SU der sowjetische Handelsvertreter in der DDR, Herr Martinoff – und ein namentlich noch nicht benannter Bevollmächtigter des Ministeriums für Innerdeutschen Handel, Außenhandel und Materialversorgung der DDR beauftragt, im Mai und im Oktober den Stand der Realisierung des Abkommens zu prüfen und notwendigenfalls Vorschläge zur Behebung der Schwierigkeiten auszuarbeiten, die von den beiden Regierungen geprüft werden sollen. Die Tätigkeit eines Vertreters des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten wurde begrenzt auf die Mitarbeit in der Textkommission, jedoch wurden mehrere gemeinsame Besprechungen durchgeführt, in denen sämtliche – auch die materiellen – Fragen der Warenkontingentlisten durchberaten wurden. Vonseiten des Außenministeriums der SU war kein Vertreter anwesend. In einer Rücksprache mit dem Leiter der wirtschaftspolitischen Abteilung des sowjetischen Außenministeriums wurde von sowjetischer Seite betont, daß die Tätigkeit des Außenhandelsministeriums bestimmt würde durch die Erfordernisse des Volkswirtschaftsplanes und daß das Außenministerium nur dort mitarbeitet, wo echte Verträge, die nicht nur einen Warenaustausch festlegen, abgeschlossen würden (siehe das Beispiel chinesischer Handelsvertrag und Vertrag über die Gründung gemischter Wirtschaftsgesellschaften in China). Der mir telegrafisch übermittelte Auftrag des Herrn Ministers,3 darauf zu achten, daß der Vertrag „real“ sei, kann von dem Vertreter des Außenministeriums nur als grundsätzliche Forderung übermittelt, aber – da die materiellen Unterlagen fehlen – (Gesamtaußenhandelsplan, Produktions- und Reparationsplan, Verteilungsplan) nicht durchgeführt werden. Um eine solche Kontrolle zu ermöglichen, wäre es notwendig, die Voraussetzungen dafür hier zu schaffen, d. h. den Auftrag des Herrn Ministerpräsidenten dazu zu erhalten und die notwendigen Unterlagen laufend zur Verfügung zu haben.

3  Dieses

Telegramm konnte im PA AA nicht ermittelt werden.

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Das Handelsabkommen wurde am 12. April 1950 von dem Außenhandelsministerium der SU, Herrn Menschikoff, und dem Ministerium für Innerdeutschen Handel, Außenhandel und Materialversorgung der DDR, Herrn Minister Handke, im Hotel National in Moskau unterzeichnet.4 Anläßlich der Unterschrift des Abkommens fand ein Frühstück für sämtliche Delegationsmitglieder statt, an dem vonseiten der deutschen Mission in Moskau der Botschafter, Herr Appelt, der 1. Botschaftsrat, Herr Markus Wolff [sic] und der Handelsattaché, Herr Georg Henke, sowie der Leiter der Konsularabteilung, Herr Schütze, teilnahmen. Die Verhandlungen fanden so statt wie es unter gleichberechtigten Partnern üblich ist. Für das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten ist von Interesse, daß seitens der sowjetischen Verhandlungspartner ein Artikel vorgeschlagen und schließlich von uns akzeptiert wurde, der vorsieht, daß auch solche Zahlungen, die mit dem Handelsabkommen nicht in Verbindung stehen, über das auf Grund des Abkommens zu errichtende Clearing-Konto geleitet werden können, wenn die Staatsbank der UdSSR und die deutsche Notenbank eine solche Vereinbarung treffen. Minister Handke hat nachdrücklich den Standpunkt vertreten, daß Handelsabkommmen nicht durch Bestimmungen belastet werden dürfen, die außerhalb der Sphäre des Außenhandels selbst liegen.5 Die ihm gemäß Plan übertragenen Import- und Exportanforderungen sind rechnerisch ausgeglichen und lassen keinerlei Spielraum für Zahlungen, die nicht mittelbar oder unmittelbar den Aufgaben des Außenhandels dienen, zu. 4  Am 14. April 1950 veröffentlichten die Izvestija eine Mitteilung über das zwei Tage zuvor abgeschlossene „Abkommen über den Waren- und Zahlungsverkehr zwischen der UdSSR und der DDR“, in der der Wunsch betont wurde, „die wirtschaft­ liche Entwicklung beider Lander zu fördern, engere und festere freundschaftliche Beziehungen zwischen beiden Völkern zu schaffen und die gegenseitigen Handelsbeziehungen zu erweitern und zu vertiefen … Die Sowjetunion wird an die DDR Getreide, Fette, Schwarz- und Buntmetalle, Lastautos, Apatitkonzentrate, Manganerz, Erdölprodukte, Koks, Baumwolle und andere Waren, die die Deutsche Demokratische Republik für die Entwicklung ihrer Volkswirtschaft benötigt, liefern. Die Deutsche Demokratische Republik wird an die Sowjetunion Industrieausrüstungen und Maschinen, Zement, Kali, Chemikalien, Briketts und andere Waren liefern.“ Vgl. BDU 1, S. 178–179. Auf das Verhältnis dieses vertraglich geregelten Warenverkehrs zur gleichzeitigen Verwirklichung der fortlaufenden Reparationslieferungen ging diese Erklärung nicht ein. Der Vertragstext blieb während der gesamten DDR-Zeit geheim. Das deutsche Exemplar des Vertrags findet sich in: PA AA, MfAA V SOW 001-1. 5  Es ist nicht eindeutig feststellbar, an welche Zahlungen die sowjetische Seite dabei dachte. Möglicherweise an die Kosten für die Unterhaltung der diplomatischen Mission der DDR in Moskau, deren Bezahlung am 3. Mai 1950 durch ein Abkommen zwischen den Regierungen der DDR und der UdSSR über die Gewährung eines Kredits zugunsten der DDR für Ausgaben zum Unterhalt diplomatischer Vertretungen und offizieller Delegationen in der UdSSR geregelt wurde. Vgl. PA AA, MfAA V SOW 002-6.



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Die Bedenken von Minister Handke bestehen m. E. zu Recht, da die Importkontingente durch jede Zahlung aus dem durch Warenlieferungen sich füllenden Konto geschmälert und dadurch die Ziele des Volkswirtschaftsplanes gefährdet werden. Der Hinweis, daß es sich hier um einen „Kann“-Artikel handelt, bei dem das für die Banken zuständige Ministerium die Annahme in jedem einzelnen Fall von seiner Zustimmung abhängig machen kann – wobei das Außenhandelsministerium selbstverständlich befragt werden muß – hat schließlich zur Zustimmung der deutschen Seite geführt. Aus mehrfachen Diskussionen mit Minister Handke selbst, stellte sich jedoch bei uns die gemeinsame Meinung her, daß, um einen reibungslosen Ablauf des außerhalb des Außenhandels notwendigen Zahlungsverkehrs zu gewährleisten, ein Valutaplan für die DDR aufgestellt werden müßte; zu diesem Zwecke wäre es notwendig, alle Deviseneinnahmen der verschiedenen staatlichen Organisationen zu prüfen und zentral (Finanzministerium) nach einem von der Regierung aufzustellenden Plan zu verwenden.6 Die Versorgung der Missionen mit den notwendigen Haushaltsmitteln wird – das ist mein Eindruck – nicht über den „Kann“-Artikel zu erledigen sein, so lange nicht entweder ein fester Betrag dafür in dem Außenhandelsplan aufgenommen werden kann, der – genau wie die Importe – zusätzlich warenmäßig gedeckt ist, oder aber die Gewähr besteht, daß die gegenseitigen Zahlungen sich – ohne Warenbasis – balancieren.7 * Nebenher möchte ich bemerken, daß ich Gelegenheit nahm, den Leiter der Wirtschaftspolitischen Abteilung im Ministerium für Auswärtiges zu sprechen (ca. 40 Minuten), um die Erfahrungen in der Arbeitsorganisation dort kennen zu lernen. (gesonderter Bericht folgt)8 6  Die Erstellung eines einheitlichen, durch die Regierung der DDR bestätigten Valutaplans durch das Finanzministerium blieb bis zum 17. Juli 1952 ungeregelt. Erst an diesem Tage bestätigte der DDR-Ministerrat eine „Verordnung über die Aufstellung von Valutaplänen“. Darin wurden „alle staatlichen und wirtschaftlichen Organe, alle Einrichtungen der volkseigenen Wirtschaft und alle gesellschaftlichen Organisationen und Einrichtungen der DDR“ verpflichtet, ihr Aufkommen und ihren Bedarf aus ausländischen Zahlungsmitteln (Geld, Wechsel, Schecks usw.) und an Zahlungsmitteln der Bank Deutscher Länder für jedes Planjahr jeweils zu einem Valutaplan zusammenzufassen. Diese einzelnen Valutapläne sollten dann durch das Finanzministerium zu einem durch die Regierung zu bestätigenden Valutaplan der DDR zusammengefasst werden (vgl. BAB, DC 20-I/3/117, Bl. 167–169). 7  Zur Regelung der finanziellen Sicherstellung der Arbeit der DDR-Mission in Moskau, also ihrer Unterhaltung, vgl. Fn. 5 zu diesem Dokument. 8  Vgl. das vorangegangene Schreiben von Kuckhoff (zu der Zeit in Moskau) an den Staatssekretär im MfAA Ackermann vom 2. März 1950, PA AA, MfAA A, Bd. 15523, Bl. 32–33.

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Die Delegationsmitglieder hatten reichliche Gelegenheit, an dem kulturellen Leben Moskaus teilzunehmen. Sie lernten in sehr gründlicher Führung die Lenin-Bibliothek kennen und besuchten das Stalinwerk das Kalibergwerk und die modernste Brotfabrik der SU einschl. der sozialen und kulturellen Einrichtungen. Frau Handke, Frau Staimer und ich waren im Großen Theater zur Staatsfeier des Internationalen Frauentages eingeladen. Unsere mangelnden resp. unzureichenden Sprachkenntnisse behinderten [uns] stark im Eindringen in Einzelfragen, obwohl sachlich die Voraussetzungen dafür hätten geschaffen werden können. Über die Beziehung von Delegationen zur Botschaft folgt gesondert Bericht.9 Bei der Erstellung dieses Berichts lag mir der Abkommenstext, der in einer Ausfertigung bei Herrn Minister Handke ist, nicht vor, so daß die Artikel, in denen sich die besprochenen Regelungen finden, nicht exakt benannt werden konnten.10 PA AA, MfAA A, Bd. 15529, Bl. 3–7.

25.  Unterredung zwischen dem Vorsitzenden der SKK Čujkov, Ministerpräsident Grotewohl und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht Geheim

21. April 19501

Aufzeichnung einer Unterredung zwischen dem Vorsitzenden der SKK in Deutschland, Armeegeneral V.I. Čujkov, und den Vorsitzenden der SED, Otto Grotewohl und Walter Ulbricht, am 21. April 1950. 9  Vgl. das Schreiben von Kuckhoff an DDR-Außenminister Dertinger vom 15.  Mai 1950, PA AA, MfAA A, Bd. 15358, Bl. 24–26. Darin äußert sich Kuckhoff über künftige Handelsvertragsverhandlungen und die Besetzung der Handelsvertretung in der Mission in Moskau. 10  Dieser Absatz wurde nachträglich eingefügt. 1  Original. Hauptadressat des Dokuments war Vyšinskij. Kopien gingen an das ZK der VKP (b) – Grigorʼjan, an Semenov und in die Akten. Auf dem Dokument befindet sich die Eingangsnummer 03576, datiert vom 11.  April (vermutlich gemeint: 11. Mai) 1950 und die Ausgangsnummer 1/00240 vom 18. Mai 1950 sowie die Eingangsnummer 53208 d29a (Anlage) des Technischen Sekretariats der Allgemeinen Abteilung des ZK der VKP (b).



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An der Unterredung nahmen teil: der politische Berater beim Vorsitzenden der SKKD, Gen. V.S. Semenov, der stellvertretende politische Berater, Gen. I.I. Il’ičev, und der Leiter der Informationsabteilung des Apparats des politischen Beraters, Oberst Kijatkin. Zu Beginn der Unterredung gab Gen. Čujkov Grotewohl und Ulbricht ein Schreiben der Kommandanten der Westsektoren von Berlin, Bourne, Taylor und Ganeval, an den Kommandanten des sowjetischen Sektors von Berlin, Generalmajor Kotikov, zur Kenntnis.2 In diesem Schreiben billigen die westlichen Kommandanten den Beschluss der Westberliner Stadtverordnetenversammlung, in ganz Berlin Wahlen auf der Basis der Wahlordnung von 1946 und des Entwurfs einer Verfassung für Groß-Berlin von 1948 abzuhalten,3 wovon sie General Kotikov in Kenntnis setzen. Gen. Čujkov teilte mit, am 20. April d. J. habe Oberst Elizarov, der gegenwärtig General Kotikov vertrete, eine an alle vier Kommandanten Berlins gerichtete Anfrage von Reuter erhalten mit der Bitte, den Beschluss der Westberliner Stadtverordnetenversammlung über Wahlen in Berlin zu billigen und deren Abhaltung zuzustimmen.4 Wir vermuten, so Gen. Čujkov weiter, dass sich Reuter, als er diese Bitte stellte, zuvor der Unterstützung der westlichen Kommandanten versichert hat, und dass auf Reuters Schreiben ein entsprechendes Schreiben der westlichen Kommandanten folgen wird. Ein solches Schreiben sei am 21. April eingegangen.5 Die westlichen Kommandanten hätten somit Reuter eine bejahende Antwort gegeben und uns ihre 2  Die drei westlichen Stadtkommandanten hatten in auf den 21. April 1950 datierten gleichlautenden Schreiben die Forderung der West-Berliner Stadtverordnetenversammlung nach Wahlen in ganz Berlin (vgl. Fn. 3) begrüßt, vgl. BQuD 2, S. 1889– 1890. Zur Antwort des sowjetischen Kommandanten an die westlichen Kommandanten von Berlin vom 8. Mai 1950 und ihrer Vorbereitung vgl. Dok. 26 und dort Fn. 13. 3  Am 18. April 1950 hatten die drei Fraktionen der West-Berliner Stadtverordnetenversammlung einen Dringlichkeitsantrag eingebracht, der Wahlen in ganz Berlin forderte und sich dabei auf den Willen bezog, „die Einheit von Berlin wiederher­ zustellen“. Bei der Begründung dieses Antrags bezog sich der Stadtverordnetenvorsteher Otto Suhr zwei Tage später auf die von ihm selbst am 23. März 1950 gestellte Forderung nach Wahlen in ganz Berlin. Suhr drückte dabei die Hoffnung aus, dass alle vier Stadtkommandanten ihre Zustimmung zu diesen Wahlen geben würden. Der Antrag wurde am 20. April einstimmig angenommen (BQuD 2, S. 1887–1889, auch in DzD  II, 3, S. 159–160). Nach diesem Beschluss wurden entsprechende Briefe an die Kommandanten aller Sektoren Berlins geschickt. Zur Wahlordnung von 1946 vgl. Dok. 26, Fn. 7 und zum Verfassungsentwurf von 1948 vgl. ebenda, Fn. 5. 4  Reuter hatte in gleichlautenden Schreiben den Beschluss der Stadtverordneten (vgl. Fn. 3) an Kotikov und die drei westlichen Stadtkommandanten übermittelt, vgl. BQuD 2, S. 1889, Anm. 15. 5  Gemeint ist hier offensichtlich das bereits erwähnte Schreiben der westlichen Stadtkommandanten, vgl. Fn. 2 zu diesem Dokument.

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Antwort an den Oberbürgermeister von Westberlin in Kopie zugeschickt, was nichts anderes bedeute als die Aufforderung, sich ihrem Beschluss anzuschließen. Gen. Čujkov fragte, wie die Meinung Grotewohls und Ulbrichts zu dieser Frage sei.6 Grotewohl antwortete, hier sei dieselbe Linie zu beobachten, die auch Adenauer verfolge, der vor gar nicht langer Zeit die Forderung erhoben habe, in ganz Deutschland sogenannte freie Wahlen abzuhalten.7 Es sei klar, dass dieses Manöver in Berlin ebenfalls von den Amerikanern inszeniert worden sei. Mit diesem Manöver würden zwei Ziele verfolgt: 1. unsere Position in der Frage der Einheit Deutschlands zu diskreditieren, falls wir auf ihren Vorschlag nicht eingehen; 2. auf den Verlauf der Vorbereitungen auf die Oktoberwahlen Einfluss zu nehmen, da ihnen klar sei, dass wir bei diesen Wahlen mit Einheitslisten antreten und ihre Möglichkeiten, die Zone zu beeinflussen, immer weiter geschmälert werden. Unsere Position zu dieser Frage, sagte Grotewohl weiter, sei bekannt. Schon vor der Londoner Tagung des Rats der Außenminister8 habe man die Frage der Einheit Deutschlands und der Abhaltung eines gesamtdeutschen Referendums aufgeworfen.9 Jedoch seien als Antwort auf unsere Vorschläge die Londoner Empfehlungen,10 die separate Währungsreform,11 das Besat6  Das SED-Politbüro war schon zuvor außerordentlich hellhörig in Bezug auf Wahlvorbereitungen in West-Berlin gewesen. Bereits am 11. April 1950 wollte es den Berliner Landesvorstand auf die Linie gemeinsamer Wahlen in Ost-Berlin und der DDR festlegen, beschränkte sich dann aber darauf, Vorbedingungen für Wahlen in ganz Berlin zu stellen. Dazu findet sich der handschriftliche Vermerk: „Bei der SKK ist anzufragen, a) ob es Einwendungen gegen die Durchführung der Wahlen in Berlin gibt, b) ob in Berlin auch Wahlen zur Volkskammer stattfinden sollen oder ob durch die Stadtverordnetenversammlung Vertreter mit beratender Stimme für die Volkskammer ernannt werden sollen.“ Vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/83, TOP 3. 7  Vgl. Dok. 18, Fn. 9. 8  Gemeint ist die fünfte Sitzungsperiode des Rats der Außenminister vom 23. November bis 15. Dezember 1948 in London. 9  Gemeint ist offensichtlich das „Volksbegehren für einen Volksentscheid über die Einheit Deutschlands“, an dem sich nach nicht nachprüfbaren Angaben zwischen dem 23. Mai und 13. Juni 1948 14,8 Millionen Deutsche aus allen Besatzungszonen beteiligten. 10  Gemeint sind die Empfehlungen der Londoner Sechsmächtekonferenz (der USA, Großbritanniens, Frankreichs und der drei Benelux-Staaten), die in zwei Phasen vom 23.  Februar bis 6.  März und vom 20.  April bis 2.  Juni 1948 stattfanden. Sie bildeten die Grundlage für eine gemeinsame Deutschlandpolitik dieser Mächte. Sie sind im Sechsmächtekommuniqué vom 7. Juni 1948 dargelegt und zielten auf die Entwicklung der drei westlichen Besatzungszonen zu einem Staat, vgl. UdF 3, S. 712, Anm. 362. 11  Gemeint ist Währungsreform in den drei Westzonen am 20. Juni 1948, die in diesem größten Teil Deutschlands ein eigenes Währungsgebiet schuf, in das – nach



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zungsstatut12 und die Gründung eines separaten westdeutschen Staates13 gefolgt. Nachdem die Potsdamer Beschlüsse14 von den Westmächten „atomisiert“ worden seien, könne von allgemeinen Wahlen keine Rede mehr sein. Was Berlin angehe, so könne und sollte man der Abhaltung von Wahlen zustimmen, aber nur unter der Bedingung, dass eine einheitliche Währung und eine einheitliche Transportwirtschaft wiederhergestellt werden, kurz gesagt, unter der Bedingung, dass alle in Berlin durchgeführten Separatmaßnahmen, für die allein die Westmächte verantwortlich seien, zurückgenommen werden. Ulbricht bemerkte hierzu, man sei für Wahlen in Berlin und ebenso für Wahlen in Deutschland, aber auf der Basis der Potsdamer Beschlüsse. Vor allem müssten die Bedingungen geschaffen werden, unter denen diese Wahlen möglich seien: Rücknahme aller Separatmaßnahmen und Durchführung der im Potsdamer Abkommen vorgesehenen Demokratisierung in Westberlin. Grotewohl ging in diesem Zusammenhang darauf ein, wie man im Westen Deutschlands auf die von ihnen [der DDR] eingenommene Haltung in der Frage der von Adenauer und McCloy geforderten gesamtdeutschen Wahlen reagiert habe. Dieser Tage sei zu Grotewohl ein Vertreter Müllers (CDU),15 des stellvertretenden Ministerpräsidenten der bayerischen Regierung, gekommen16 und habe Grotewohl gebeten, seinen Einfluss im Zusammenhang mit den bis dahin schärfsten Auseinandersetzungen zwischen den Siegern des Zweiten Weltkrieges, der UdSSR auf der einen und den drei Westmächten auf der anderen Seite – die drei Berliner Westsektoren einbezogen wurden, vgl. UdF 4, S. XXXVII– XLI. 12  Vgl. Dok. 18, Fn. 13. 13  Die Gründung des westdeutschen Staates erfolgte in einem längeren, in der Öffentlichkeit gut nachvollziehbaren Prozess, dessen Ergebnis die Verabschiedung des Grundgesetzes am 8. Mai 1949 durch den Parlamentarischen Rat war. Nach Bestätigung durch die drei westlichen Militärgouverneure am 12. Mai und der Zustimmung der westdeutschen Bundesländer wurde es am 23. Mai 1949 verkündet. 14  Zu den Beschlüssen der Potsdamer Konferenz vgl. Dok. 5, Fn. 13. 15  So im Original. Gemeint ist die CSU. 16  Bereits am 17. April 1950 hatte sich Josef Müller in dieser Angelegenheit an Grotewohl gewandt, vgl. BAB-SAPMO, NY 4090/440, Bl. 18. Zu dem Gespräch Grotewohls mit einem Vertreter Müllers existiert eine Aufzeichnung von Hans ­Tzschorn, dem persönlichen Referenten Grotewohls, vom 19. April 1950 (vgl. ebenda, Bl. 23). Am 13. Juni 1950 bestätigte das Politbüro der SED Vorschläge zur propagandistischen Auswertung einer gesamtdeutschen Konferenz in Eisenach. Darin hieß es u. a., sollte „die Frage eines Warenaustauschs zwischen Bayern und der DDR“ gestellt werden, so sei „zu antworten, dass dagegen nichts einzuwenden wäre, wenn der stellvertr. bayerische Ministerpräsident Müller nach dem Beispiel von Dr. Gerecke [sic] nach Berlin zu persönlichen Besprechungen käme“, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/94, TOP 10 und Anlage 2. Zur Wahrnehmung Müllers in der DDR vgl. Dok. 12, Fn. 9.

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dem Prozess gegen den Konzern DCGG17 geltend zu machen. Dieser Vertreter habe gesagt, man sei dort von der Haltung der DDR in der Frage der Wahlen enttäuscht; besser wäre es, auf den Vorschlag Adenauers einzugehen, sich mit ihm zu Verhandlungen in Berlin zu treffen und ihm dort die eigenen Forderungen darzulegen und ihn so in eine ungünstige Lage zu bringen, denn er würde diesen Vorschlägen niemals zustimmen, aber seine Ablehnung würde die von ihm selbst begonnene Kampagne untergraben. Grotewohl merkte an, ihre Position finde nicht bei allen Anhängern der Nationalen Front Westdeutschlands das nötige Verständnis (gemeint sei hier nicht die KPD). Selbst Anhänger der Nationalen Front würden darauf verweisen, dass die Weigerung, über die Vorschläge Adenauers zu sprechen, wohl für das Fehlen eines ehrlichen Strebens nach der Einheit Deutschlands spreche. Gen. Čujkov machte Grotewohl und Ulbricht darauf aufmerksam, dass parallel zu der vom Westen begonnenen Kampagne für Wahlen in Berlin Panzer, Kampftechnik und Gase nach Westberlin gebracht werden. Auf der einen Seite setze man sich für „freie Wahlen“ ein, auf der anderen Seite häufe man Truppen und Waffen an. Jedes Wort über Friedenskampf löse Terror aus. In Westberlin seien 250 Personen nur deshalb verhaftet worden, weil sie für den Frieden und gegen die Entfesselung eines neuen Krieges eingetreten seien.18 Ob unter den Bedingungen eines solchen Terrors etwa freie Wahlen möglich seien? Reuter sehe in Panzern und Terror den einzigen Schutz gegen Frieden und ein gesamtdeutsches Jugendtreffen.19 17  Gemeint

ist die Deutsche Continental-Gas-Gesellschaft. konnte nicht ermittelt werden, auf welches spezifische Ereignis sich diese Bemerkung bezog. Sowohl ost- als auch westdeutsche Zeitungen erwähnten in der vorangegangenen Zeit Zusammenstöße zwischen Polizisten und Demonstranten sowie Verhaftungen auf West-Berliner Territorium im Vorfeld des für Pfingsten geplanten „Deutschlandtreffens der Jugend“ (vgl. Fn. 19). Wahrscheinlicher ist, dass Čujkov an eine ihm vorgelegte Gesamtzahl in West-Berlin verhafteter Jugendlicher dachte. Am 28. März hatte das Neue Deutschland auf S. 1 gemeldet: „In den letzten Wochen wurden fast an jedem Tag und in jeder Nacht in Westberlin junge Friedenskämpfer verhaftet. So sind in dem Zeitraum vom 25. Februar bis zum 27. März 149 Jungen und Mädchen von der Stumm-Polizei festgenommen worden …“. In der Berliner Zeitung hieß es am gleichen Tag, ebenfalls auf S. 1: „Bisher wurden insgesamt 170 Personen im Zusammenhang mit der Vorbereitung des Friedenstreffens der deutschen Jugend zu Pfingsten in Westberlin verhaftet. Auch am Montag wurden wieder sechs Jugendliche zu Gefängnisstrafen verurteilt und ein Jugendlicher von Westpolizisten verschleppt …“. Am 24. Mai legte das Neue Deutschland auf S. 6 erneut eine Gesamtzahl vor: „Seit dem 1. Januar wurden in Westberlin wegen Vorbereitung für das Deutschlandtreffen 316 Jugendliche verhaftet, davon 230 Jungen und 86 Mädel.“ 19  Gemeint ist das von der FDJ organisierte erste „Deutschlandtreffen der Jugend“. Es fand über Pfingsten, vom 27. bis 30. Mai 1950 in Ost-Berlin statt. Laut DDRAngaben nahmen daran 700 000 Jugendliche teil, darunter 30 000 aus Westdeutschland. 18  Es



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Ulbricht sagte, wenn der Westen zu einem solchen Manöver greife, dann werde man die verhafteten Jugendlichen befreien. Gen. Čujkov sprach in diesem Zusammenhang die Frage der Waffentransporte nach Westberlin an. Die Gewerkschaft der Eisenbahner habe erklärt, dass die Lokführerbrigaden solche Frachten nicht zu transportieren wünschen. Kürzlich sei in Magdeburg auf ein Signal aus Berlin hin ein solcher Militärzug gestoppt worden,20 und er sei nur infolge des Eingreifens des Leiters der Transportabteilung der SKK, Gen. Voevudskij, nach Berlin geleitet worden. Somit gebe es schon einen Präzedenzfall. Gen. Čujkov sagte, wenn sich die Eisenbahner morgen kategorisch weigern, diese Frachten zu transportieren, dann werden weder er noch vermutlich auch die Regierung der DDR ihnen das verbieten können. Ulbricht sagte, sowohl auf der Linie der Partei als auch auf der Linie der Gewerkschaften und der Organisation der Freien Deutschen Jugend stelle sich die Frage, dass Jugendbrigaden gezwungen sein könnten, Panzer und Gase nach Westberlin zu bringen. Man verlange, ihnen eine klare Antwort zu geben, denn politisch sei eine solche Situation schlichtweg unerträglich. Die Frage müsse entschieden werden. Seitens der Partei reiche eine Anweisung, damit solche Transporte eingestellt werden. Grotewohl bemerkte dazu, dass dann der Westen Soldaten auf die Lokomotiven setzen werde. Ulbricht antwortete darauf, der Westen habe nicht das Recht, das auf dem Territorium der DDR zu tun. Gen. Čujkov empfahl, hierzu vorerst keinerlei Weisungen zu erteilen. Man müsse abwarten, bis aus Moskau eine Antwort auf eine dorthin gerichtete Anfrage komme.21 Gen. Čujkov teilte des Weiteren mit, die Leitung der SKK bereite eine Antwort auf das Schreiben Reuters und der westlichen Kommandanten vor,22 und er empfahl Grotewohl und Ulbricht, vorerst keine offizielle Erklärung dazu abzugeben, sondern mit der Entlarvung des Plans Adenauers auf derselben Linie fortzufahren. Sodann setzte Gen. Čujkov Grotewohl und Ulbricht von den Vorschlägen einer Reihe westdeutscher Firmen (Ruhrstahl u. a.) in Kenntnis, über ihren Bevollmächtigten in Berlin Verträge über die Lieferung verschiedener Metallerzeugnisse abzuschließen.23 Dem Vertreter der SKK, der diesen Bevoll20  Im Neuen Deutschland wurde über das Stoppen westalliierter Militärzüge in diesen Wochen nicht berichtet. 21  Im AVP RF konnten keine Telegramme dazu ermittelt werden. 22  Zur Vorbereitung der sowjetischen Antwort vgl. Dok. 26. Die sowjetische Antwort an die drei westlichen Stadtkommandanten wurde am 16. Mai 1950 durch Oberbürgermeister Reuter vor der Stadtverordnetenversammlung bekanntgegeben, vgl. BQuD 2, S. 1891–1892. 23  Vorschläge westdeutscher Firmen aus dieser Zeit konnten in deutschen Archiven nicht belegt werden, vgl. dazu auch Dok. 15, Fn. 12 und Dok. 34, Fn. 2. Zu einem (nicht ermittelten) „Brief westdeutscher Industrieller“ an die Regierung der DDR un-

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mächtigten gefragt habe, wie die genannten Firmen die Lieferungen unter den Bedingungen des Stahlembargos durchführen wollen, habe dieser geantwortet, wenn Adenauer ihnen Hindernisse in den Weg lege, dann werde er auf schweren Druck seitens der Industriekreise Westdeutschlands treffen, was für ihn äußerst unerwünscht sei. Die Politik Adenauers werde, wie man sehe, in Westdeutschland bei Weitem nicht von allen gutgeheißen. Man müsse versuchen, Adenauer und die Industriellen gegeneinander aufzubringen. Gen. Čujkov sagte des Weiteren, es wäre wünschenswert, die Kirchenfrage zu erörtern. Laut vorliegenden Angaben hätten die Kirchenkreise ungeachtet der von Steinhoff ausgesprochenen Warnung24 beschlossen, am 23. April den Hirtenbrief des Bischofs Müller zu verlesen.25 Die Kirchenleute seien besonders darüber verärgert, dass Grotewohl ihre Delegation am 14. April nicht empfangen habe. Offensichtlich habe sich die Kirche trotz allem entschlossen, [uns] den Krieg zu erklären. Man müsse darüber nachdenken, wie man es erreichen könnte, dass dieser Hirtenbrief in einer möglichst geringen Anzahl von Kirchen verlesen wird. Es wäre falsch, während der Zeit der evangelischen Synode Repressionen gegen die Kirche anzuwenden. Gen. Čujkov fragte Grotewohl und Ulbricht, wie ihre Meinung zu dieser Frage sei. Grotewohl antwortete, er habe schon bei einem der früheren Gespräche eine Einschätzung der Kirche und der ihr von den Anglo-Amerikanern zugedachten Rolle im Wahlkampf gegeben.26 Diese Einschätzung habe sich jetzt völlig bestätigt. Der Vorfall, wenn man dieses Wort hier benutzen dürfe, mit der Kirchendelegation am 14. April habe sich folgendermaßen ereignet: Bekanntlich sei auf der Besprechung mit Steinhoff beschlossen worden, die Verlesung von Müllers Hirtenbrief in den Kirchen aufzuschieben und nach seiner (Grotewohls) Rückkehr aus Budapest27 die Forderungen der Kirche mit der Regierung zu erörtern. ter Federführung von Otto Wolff von Amerongen (Otto-Wolff-Konzern), an dem möglicherweise auch der Generaldirektor des Mannesmann-Konzerns beteiligt war, vgl. Dok. 31 und dort Fn. 47. Zu direkten Kontakten von Vertretern westdeutscher Wirtschaftskreise mit der SKK vgl. Dok. 39. 24  Zur Besprechung bei Innenminister Steinhoff am 6.  April 1950 vgl. Dok. 21, Fn. 10. 25  Zum Hirtenbrief des Bischofs Müller vgl. Dok. 21, Fn. 5. Seiner Verlesung in den evangelischen Kirchen der DDR – mit Ausnahme der Kirchen der Länder Pommern und Thüringen – am 23. April 1950, dem Beginn der 2. Tagung der ersten Synode der EKD in Berlin-Weißensee, war ein Briefwechsel zwischen Dibelius und Grotewohl vorausgegangen, vgl. Fn. 29 zu diesem Dokument. 26  Möglicherweise meinte Grotewohl seinen Bericht über ein Gespräch mit Dibelius am 23. März 1950, vgl. Dok. 18. 27  Zur Reise von Grotewohl nach Budapest vom 1. bis 11. April 1950 vgl. Dok. 20, Fn. 7.



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Er habe Dibelius gebeten, so Grotewohl weiter, konkrete Beweise zur Untermauerung seiner Forderungen an die Regierung vorzulegen, denn man könne keine Verhandlungen führen, wenn man nicht über konkretes Faktenmaterial verfüge. Wenn man dieses Material zur Verfügung hätte, könnte man die Kirchenleute entlarven, indem man die von ihnen aufgestellten Behauptungen eine nach der anderen zerpflücke. Dieser Standpunkt sei vom Politbüro gebilligt worden,28 und ihm habe auch die Leitung der SKK zugestimmt. Die Kirche habe gemeint, der Ministerpräsident würde ihre Delegation am 14. April empfangen. Da er aber die Materialien von Dibelius erst am 13. abends erhalten habe, sei es natürlich unmöglich gewesen, die Delegation zu empfangen, denn man habe die eingegangenen Materialien erst einmal studieren müssen. Grotewohl habe Grüber mitgeteilt, er werde die Verhandlungen mit der Kirche am 14. April nicht führen können, da Dibelius sich nicht bequemt habe, ihm alle Materialien rechtzeitig zu schicken, weshalb diese Verhandlungen etwas später stattfinden würden. Und wenn Grüber Dibelius davon nicht informiert habe, dann liege die Schuld dafür ganz bei Grüber, d. h. bei der Kirche selbst. Am 15. April habe Dibelius an Grotewohl einen Brief geschickt,29 in dem er geschrieben habe, die Regierung habe das Osterabkommen30 nicht erfüllt, und die Kirche betrachte es daher als nicht mehr gültig. Grotewohl sagte weiter, er habe in seinem Brief Dibelius gefragt, wie diese seine Zeilen zu verstehen seien: ob das eine Absage an Verhandlungen zwischen der Regierung und der Kirche bedeute, bei denen die wechselseitigen Beziehungen zwischen beiden hätten geklärt werden sollen? Und ob dies nicht den Beginn einer gegen die DDR gerichteten Kampagne durch die Kirche bedeute? Dibelius habe auf die ihm vorgelegte Frage nicht direkt geantwortet, sondern habe in seinem Brief, in welchem er geschrieben habe, dass neun Zehntel der Gesamtbevölkerung Anhänger der Evangelischen Kirche seien und es 28  Am 28. März 1950 hatte Grotewohl über eine Besprechung mit Vertretern der evangelischen Kirche berichtet und sich dabei offenbar auf das Treffen am 23. März bezogen (vgl. Dok. 18 und dort Fn. 17–19). Sein Bericht wurde „zur Kenntnis genommen“. Es sollten „taktische Richtlinien über die Gewinnung der unteren Geistlichen für die Nationale Front des demokratischen Deutschland“ ausgearbeitet werden, „um reaktionäre Vorstöße seitens der Kirche zu unterbinden“, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/80. 29  Dieses Schreiben findet sich in: BAB-SAPMO, NY 4090/450, Bl. 89–90. Darin sprach Dibelius grundsätzlich Fragen des Verhältnisses von Kirche und Staat an. Grotewohl antwortete darauf Dibelius am 18. April, vgl. ebenda, Bl. 92–95. In einem erneuten Schreiben vom 20. April 1950 versicherte Dibelius unerschrocken (und ließ dies auch veröffentlichen): „Die Kirche wünscht keinen Kampf mit der Staatsgewalt, sowenig sie ihn fürchtet.“ Vgl. Kirchliches Jahrbuch 1950, S. 114–117. 30  Gemeint ist die am 6. April 1950 in der Unterredung bei Steinhoff getroffene Abmachung betr. den Verzicht auf die Verlesung des Hirtenbriefs, vgl. Dok. 21, Fn. 10.

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deshalb niederträchtig wäre, ihnen den Materialismus einzuimpfen, eine Reihe unverschämter Forderungen gestellt. Erstens verlange Dibelius, die Regierung solle Angriffe gegen den christlichen Glauben sowohl in den Schulen als auch im Rahmen jeglicher wie auch immer gearteter Maßnahmen für unzulässig erklären, und das Geschichtslehrbuch von Mišulin,31 anhand dessen die zukünftigen Lehrer ausgebildet werden, solle von der Regierung aus dem Verkehr gezogen werden.32 Dibelius erkläre, dies könnte die Lage entspannen. Zweitens solle die Regierung es für unzulässig erklären, Druck beim Treffen politischer Entscheidungen jeglicher Art sowie Zwang zum Eintritt in politische Organisationen und in die FDJ auszuüben. Drittens solle die Regierung ihre Entschlossenheit erklären, die Verfassung der Republik einzuhalten. Zum Schluss habe Dibelius Grotewohl um Erlaubnis gebeten, den Inhalt dieses Briefes einem begrenzten Kreis der Öffentlichkeit bekannt zu machen, und er habe betont, die Vertreter der Evangelischen Kirche seien jederzeit zu Verhandlungen bereit. Es sei bezeichnend, bemerkte Grotewohl weiter, dass Dibelius, der zuerst im Namen der gesamten Evangelischen Kirche gesprochen habe, jetzt nur als evangelischer Bischof der Berliner Landeskirche auftrete. Damit gebe er sein Betätigungsfeld in den Ländern und die Verantwortung für die Bischöfe und die Kirche in den Ländern auf. Grotewohl teilte mit, dass nach Eingang der Mitteilung über die am 23. April bevorstehende Verlesung des Hirtenbriefs der Ministerrat einberufen worden sei, wo Nuschke und Steinhoff ein entsprechender Auftrag erteilt worden sei. Für den Fall, dass Dibelius eine Rede halte, sei ein Brief an die Ministerpräsidenten der Länder vorbereitet worden mit der Aufforderung, die Verlesung des Hirtenbriefs in den Kirchen nicht zuzulassen.33 Auf die in dem Brief von Dibelius dargelegten ultimativen Forderungen eingehend, berichtete Grotewohl in groben Zügen davon, mit welchen Argumenten man die Behauptungen der Kirche zurückweisen könne.

31  Gemeint ist A.W. Mischulin (Hrsg.), Geschichte des Altertums, übers. v. Alfred Siggel, Ost-Berlin 1949. In seinem Brief an Grotewohl vom 20. April 1950 (vgl. Fn. 29) merkte Dibelius dazu an, in diesem Buch werde „aus der materialistischen Geschichtsauffassung gefolgert … daß Jesus Christus überhaupt nicht gelebt habe“ (vgl. Kirchliches Jahrbuch 1950, S. 115). 32  Die hier kursiv gesetzten Teile dieses Satzes sind mit blauem Stift unterstrichen. 33  Unmittelbar vor der Verlesung des Hirtenbriefs wandte sich Grotewohl an die Ministerpräsidenten der Länder in der DDR und erklärte, dass die Verlesung des Hirtenbriefes einen „Missbrauch kirchlicher Handlungen“ und einen „verfassungswidrigen Angriff auf die DDR“ darstelle, vgl. BAB-SAPMO, NY 4090/423, Bl. 72, Fernschreiben Grotewohls an die Ministerpräsidenten der DDR-Länder.



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Grotewohl merkte an, mit dem Studium der von der Kirche vorgelegten Materialien brauche man sich nicht besonders zu beeilen. Man müsse den Kirchenleuten Zeit lassen, ordentlich nachzudenken. Mit jedem Tag gäre es stärker innerhalb der Kirche, und diesen Prozess der Zersetzung von innen her müsse man mit allen Mitteln fördern. Das Politbüro und die Regierung, so Grotewohl weiter, seien der Meinung, dass man die Situation nicht weiter verschärfen sollte, sondern dass man im Verhältnis zur Kirche eine feste und bestimmte Haltung einnehmen sollte. Den Gedankeneskapaden der Kirche müsse man auch Forderungen nach Verzicht der Kirche auf Druck gegen Geistliche, die die Nationale Front befürworten, entgegensetzen. Grotewohl teilte weiter mit, dass im Kreis Templin in zwei Gemeinden die Predigt34 am 16. April bereits verlesen worden sei. Gen. Čujkov stellte fest, der Krieg habe bereits begonnen, er habe auf Initiative von Dibelius begonnen, hinter dem die Amerikaner stünden, und er bemerkte weiter, dass diese Eiterbeule aufgestochen werden müsse, und zwar je schneller desto besser. Die Reaktion habe Angst vor der Zunahme der Bewegung der Nationalen Front, die Amerikaner würden keine Hoffnung mehr auf die bürgerlichen Parteien setzen. Grotewohl bemerkte in diesem Zusammenhang, die bürgerlichen Parteien hätten sich mit aller Entschiedenheit auf ihre [der SED] Seite gestellt,35 stimmte aber der Meinung des Gen. Čujkov zu, dass hier womöglich ein doppeltes Spiel betrieben werde, dessen Ziel es sei, den Schlag von den bürgerlichen Parteien abzulenken. Somit sei es den Amerikanern nicht gelungen, die Kirche und die bürgerlichen Parteien in einer geschlossenen Einheitsfront zusammenzuschließen. Die Front habe sich als brüchig erwiesen. Gen. Čujkov antwortete darauf, die Attacke von Dibelius, die im Wesentlichen mit der Attacke Reuters und der westlichen Kommandanten zusammen­ falle,36 zeuge nicht von einer brüchigen, sondern von einer einheitlichen Front. Möglicherweise würden danach entsprechende Schritte von Seiten Adenauers und der Hohen Kommissare folgen. Denn sie würden unsere Wahlen für „illegal“ und ihre eigenen Vorschläge für „legal“ erklären. Wir müssen nicht in die Defensive, sondern in die Offensive gehen, sie Stück für 34  Gemeint ist der Hirtenbrief von Bischof Müller, vgl. Fn. 25 zu diesem Dokument und Dok. 21, Fn. 5. 35  Wahrscheinlich meinte Grotewohl die Distanzierung Nuschkes und Kastners von dem Hirtenbrief Bischof Müllers (vgl. Dok. 21), möglicherweise aber auch allgemeiner das Einschwenken der Führungen der bürgerlichen Parteien auf die von SED und SKK geforderte Einheitsliste zu den bevorstehenden Wahlen (vgl. Dok. 17, Fn. 7). 36  Čujkov spielte damit auf den von den westlichen Kommandanten unterstützten Vorschlag der West-Berliner Stadtverordnetenversammlung an, Wahlen in ganz Berlin durchzuführen, vgl. Fn. 2 und 3 zu diesem Dokument.

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Stück schlagen. Eben deshalb dürfe man es nicht auf eine Verschärfung der Beziehungen zur Kirche anlegen. Repressionen unsererseits wären für sie von Vorteil. Wir müssen von unten tätig sein und die Geistlichen dazu bewegen, solche Predigten nicht von der Kirchenkanzel zu verlesen. Wichtig sei es, in gebührender Weise die Arbeit mit den Geistlichen zu entfalten und wenn schon keine Kirchenspaltung, so doch Zwist vorzubereiten. Grotewohl bemerkte hierzu, bis zu einer Spaltung sei es noch weit, und Zwist in Kirchenkreisen komme schon auf. Eine ganze Reihe von Geistlichen empöre sich offen über die dreisten Forderungen von Dibelius.37 In diesem Zusammenhang sagte Gen. Čujkov, während der Synode solle die Presse zeigen, was der Staat für die Kirche tue und dabei eine loyale Position einnehmen. Vielleicht sollte Nuschke auf der Synode im Namen der Regierung sprechen, und Grotewohl könnte Dibelius vor oder nach der Eröffnung der Synode empfangen. Grotewohl antwortete, Dibelius vor der Synode zu empfangen sei nicht möglich und bat seinerseits, Gen. Semenov möge Dibelius sowie Bischof Hahn am 22. April empfangen. Dibelius werde wahrscheinlich die Bitte äußern, seinen Neffen aus der Gefangenschaft zu entlassen, eine ähnliche Bitte beabsichtige auch Hahn vorzubringen. Gen. Semenov stimmte dem Vorschlag Grotewohls zu und sagte, er werde in dem Gespräch mit Dibelius überhaupt nicht über den Hirtenbrief usw. sprechen, sondern nur von der bevorstehenden Synode, von Heinemann u. ä. reden.38 Gen. Semenov regte des Weiteren an, Grotewohl solle sich, wenn er die Kirchenleute empfange, nach den Bedürfnissen der Kirche, nach der Situation der Geistlichen in den Gemeinden u. ä. erkundigen. Ulbricht sagte, er sei dafür, die Beziehungen zur Kirche nicht zu verschärfen, und er sei mit dem von Gen. Semenov vorgeschlagenen Plan einverstanden.39 37  Verlautbarungen „staatsnaher“ Geistlicher gegen Dibelius sind in der Neuen Zeit nicht veröffentlicht worden, die Kritik wurde offensichtlich intern geäußert. Die Zeitung verfolgte eher die Tendenz, einen Konflikt zwischen Grotewohl und Dibelius zu leugnen bzw. als falsche Behauptung westlicher Medien (hier des sozialdemokratischen West-Berliner Montagsblattes) zu deklarieren, vgl. Neue Zeit, 19. April 1950, S. 1 („Notizen“). 38  Tatsächlich wurde Dibelius zusammen mit Krummacher am 22. April 1950 von Semenov empfangen. Dabei erklärte sich der Politische Berater bereit, ein spezielles Gnadengesuch für Pfarrer Taube, den Neffen von Dibelius, vorzubereiten, „falls Dibelius darauf besonderes Gewicht lege“. Seinerseits erkundigte sich Semenov nach der bevorstehenden Synode und nach der Doppelfunktion Gustav Heinemanns als Innenminister der Bundesrepublik und als Präses der Synode, vgl. den Vermerk Krummachers vom 13. Mai, in: EZA 4/448, Bl. 241–243. 39  Am 28. April 1950 empfing Grotewohl im Beisein der stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht, Nuschke und Kastner, der Minister Zaisser und Wandel sowie der Staatssekretäre Warnke (MdI) und Geyer alle fünf evangelischen Landesbischöfe



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Grotewohl stimmte dem Gen. Semenov ebenfalls zu und teilte mit, man habe bereits beschlossen, dass bei der Eröffnung der Synode Nuschke im Namen der Regierung sprechen werde,40 und dass das Neue Deutschland einen Artikel über die Lage der Kirche in der DDR bringen werde, in welchem die Hilfe durch den Staat unterstrichen werde.41 Solche Auftritte würden kirchliche Opposition schwieriger machen und seien geeignet, die Angriffe von Dibelius zu neutralisieren. Gen. Čujkov schlug des Weiteren Grotewohl und Ulbricht vor, darüber nachzudenken, ob man nicht die Mittel, die als Kirchensteuer an Dibelius gehen und zu staatsfeindlichen Zwecken verwendet werden, an die Staatskasse übergeben sollte, damit der Staat dann selbst den Geistlichen den Unterhalt zahlen würde. In diesem Falle könnte man die Höhe dieses finanziellen Unterhalts etwas steigern. So sei es beispielsweise in der Tschechoslowakei bereits gemacht worden.42 Ulbricht antwortete, in der Tschechoslowakei seien die Geistlichen erst nach einem erbitterten Kampf gegen die Kirche in staatlichen Unterhalt genommen worden. (mit Ausnahme des Landesbischofs von Thüringen, Moritz Mitzenheim) und den katholischen Weihbischof Wilhelm Weskamm. Warnke fiel bei diesem ersten Spitzentreffen zwischen Kirche und Staatsmacht seit Gründung der DDR die Funktion zu, die vorgebrachten Fälle von Repressionen gegen Vertreter der evangelischen Kirche zu entkräften. Von dieser Unterredung existiert eine Aufzeichnung Krummachers, vgl. EZA 4/448, Bl. 226–234 Rs, und ein Protokoll der DDR-Regierung, vgl. BABSAPMO, NY 4090/452. 40  Nuschke nahm am Eröffnungsgottesdienst der vom 23. bis 27. April 1950 in Weißensee abgehaltenen gesamtdeutschen Synode der evangelischen Kirche teil (vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25. April 1950, S. 1), trat aber auf der Tagung selbst nicht als Redner auf, sondern veröffentlichte unter Verweis auf den geschlossenen Charakter der Verhandlungen am 25. April in der Neuen Zeit auf S. 1 eine Grußbotschaft an Bischof Dibelius, in der er die Versicherung abgab, der Staat werde die verfassungsmäßige Religionsausübung „wie bisher, so auch in Zukunft“ anerkennen. Eine Aussprache zwischen Grotewohl (mit weiteren Vertretern der Regierung) und Vertretern der evangelischen sowie z. T. der katholischen Kirche fand am 28. April statt, vgl. Fn. 39. 41  Am 23. April 1950 veröffentlichte das Neue Deutschland auf S. 2 einen längeren Artikel über „Die Kirche in der Deutschen Demokratischen Republik“, in dem von den durch die Verfassung garantierten Rechten der Kirche sowie von darüber hinausgehender Unterstützung, die der Staat – wie es hieß – der Kirche gewährt habe, die Rede war. 42  Im Oktober 1949 hatte die neue tschechoslowakische Regierung mit dem Gesetz G 217/1949 Sb ein staatliches Kirchenamt eingerichtet, mit dem das gesamte kirchliche Leben finanziert, überwacht und gesteuert wurde. G 218/1949 Sb regelte dazu die „wirtschaftliche Absicherung“ der Kirchen und Religionsgemeinschaften. Nachdem der Staat deren Vermögen eingezogen hatte, verpflichtete er sich, sie zu finanzieren, zwang sie damit gleichzeitig in finanzielle Abhängigkeit und konnte über eine differenzierte Honorierung regimetreues Verhalten von Geistlichen belohnen.

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Gen. Semenov sagte, die Kirchenleute werden bei ihren Verhandlungen mit Grotewohl möglicherweise beiläufig einige Worte über ihre schwierige finanzielle Situation fallen lassen. Diese Worte könnte man als Anlass für den Erlass einer entsprechenden Anordnung durch die Regierung benutzen. Gen. Semenov machte Grotewohl und Ulbricht auch darauf aufmerksam, dass die Kirchenleute mit ihrer Kampagne offenbar hoffen, die Aufmerksamkeit von solchen hochwichtigen Gesetzgebungsakten wie dem Arbeitsgesetz,43 dem Gesetz über die gesellschaftliche Stellung der Frau44 und einer Reihe weiterer Maßnahmen der Regierung der DDR abzulenken. Gen. Semenov sagte weiter, die Kirche müsse neutralisiert werden und das müsse so gemacht werden, dass sich die Kirchenleute selbst zerstreiten. Die Gewinnung der progressiven Elemente müsse über die Nationale Front erfolgen, wobei allerdings nicht die führende Rolle der Partei in der Bewegung der Nationalen Front vergessen werden dürfe. Wenn die Arbeit zur Gewinnung der progressiven Elemente erfolgreich sein solle, dann müsse man nach einem sorgsam ausgearbeiteten Plan handeln und mit einer durchdachten Argumentation vorgehen. Gen. Čujkov zog das Fazit der Erörterung der Beziehungen zur Kirche und sagte, man müsse anscheinend die Länder über unsere gemeinsame Linie in den Beziehungen mit der Kirche unterweisen und entsprechende Weisungen zur Entfaltung der Arbeit mit den progressiven Elementen über die Nationale Front erteilen. Grotewohl stimmte dem Gen. Čujkov zu, meinte aber, die Weisung an die Ministerpräsidenten der Länder, laut welcher das Verlesen der Predigt von den Kirchenkanzeln nicht gestattet sei,45 könne nicht zurückgenommen werden, da das gleichbedeutend mit einem Rückzug in die Defensive sei. Gen. Semenov merkte in diesem Zusammenhang an, das Schreiben an die Ministerpräsidenten müsse sorgfältig durchdacht werden, die Formulierungen müssen flexibel und elastisch sein.

43  Das erwähnte Arbeitsgesetz („Gesetz zur Förderung und Pflege der Arbeitskräfte, zur Steigerung der Arbeitsproduktivität und zur weiteren Verbesserung der materiellen und kulturellen Lage der Arbeiter und Angestellten“) wurde am 19. April in der Volkskammer verabschiedet. 44  Von einem in Vorbereitung befindlichen Gesetz über die rechtliche Stellung der Frau war im Neuen Deutschland im Frühjahr 1950 mehrfach die Rede; am 22. April wurden Auszüge einer Rede Grotewohls veröffentlicht, in der er ausführlich auf Inhalte des geplanten Gesetzes einging. Im Protokoll der dort erwähnten Ministerratssitzung vom 20. April ist jedoch darüber nichts zu finden (BAB, DC 20-I/3/31). Das „Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau“ wurde schließlich am 27. September 1950 in der Volkskammer verabschiedet. 45  Vgl. zum Fernschreiben von Grotewohl an die Ministerpräsidenten der fünf DDR-Länder Fn. 33 zu diesem Dokument.



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Grotewohl antwortete darauf, man wolle in dem Brief keine Verbote aussprechen, sondern darlegen, wie man einen solchen Schritt der Kirche verstehe. In dem Schreiben an die Ministerpräsidenten werden wir unterstreichen, sagte Grotewohl weiter, dass wir keinen Krieg erklären. Sodann teilte Gen. Čujkov Grotewohl und Ulbricht mit, dass aus Moskau ein Telegramm eingegangen sei,46 laut welchem Moskau bereit sei, am 2. Mai Vertreter des Politbüros zur Erörterung von Fragen im Zusammenhang mit dem Fünfjahrplan der DDR zu empfangen. Gen. Koval’ habe mitgeteilt, so Gen. Čujkov, dass gewisse Divergenzen nur bei drei Positionen des Fünfjahrplans verblieben seien, und zwar bei Stickstoff und Salpetersäure, bei Caprolactam und beim Schiffbau. Diese Fragen würden folglich an Moskau verwiesen. Unklar sei nur eins, nämlich: Wer werde wann den Beschluss zum Fünfjahrplan vorbereiten, der dem Parteitag der SED vorgelegt werden soll und der gemäß einer Übereinkunft beim vorigen Treffen47 bis zum 25. April 1950 ausgearbeitet sein soll. Rau habe sich angeblich privat mit der Ausarbeitung eines solchen Dokuments beschäftigt, sei aber verreist und habe somit nichts getan. Wer arbeite jetzt an der Anfertigung eines Entwurfs für diesen Beschluss? Ulbricht antwortete darauf, ihm sei diese Fragestellung nicht klar. Rau habe Thesen zum Fünfjahrplan erarbeitet, in denen gezeigt werde, worauf sich der Plan gründe und welches die wirtschaftlichen Plankennziffern seien. Gen. Čujkov sagte, allein mit Planvorgaben sei es nicht getan, zum Fünfjahrplan müsse es einen Beschluss des Politbüros zu den politischen und wirtschaftlichen Aufgaben des Plans geben, die Planvorgaben müssten eigentlich einem solchen Beschluss beigefügt werden.48 Und hier brauche man nicht die Thesen von Rau, sondern ein Dokument des Politbüros, in welchem die Grundidee, die politische und ökonomische Ausrichtung des Fünfjahrplans dargelegt werde. Ulbricht sagte, ein solches Dokument müsse er selbst schreiben. Zeit bleibe zwar überhaupt nicht mehr, aber bis Mittwoch den 26. April werde das Dokument gemacht sein.

46  Dieses

Telegramm konnte im AVP RF nicht ermittelt werden. ihrem Treffen mit Čujkov hatten Pieck und Grotewohl am 29.  März 1950 (vgl. Dok. 19) ein weiteres Treffen zum Fünfjahrplan für die Woche vom 3. bis 7. April vereinbart. Ein Protokoll dieser Unterredung ist bisher nicht ermittelt. 48  Gemeint ist sind die „Direktiven zum Fünfjahrplan“, denen das Politbüro der SED am 25. April 1950 zustimmte, vgl. Dok. 12, Fn. 11. 47  Bei

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Auf die Frage, wer neben Grotewohl und Ulbricht nach Moskau fahren werde, antworteten Grotewohl und Ulbricht, das werde wahrscheinlich Oelßner sein. Endgültig werde diese Frage vom Politbüro entschieden.49 Ulbricht sagte weiter, im Zusammenhang mit der Moskaureise müsse ein Plan zur Vorbereitung auf die Wahlen ausgearbeitet werden, zu dem auch eine Reihe wirtschaftlicher Fragen gehöre, und zwar: 1. Welche weiteren Maßnahmen zur Verbesserung der materiellen Situation der Bevölkerung müssen getroffen werden? 2. Abschaffung des Bezugskartensystems vor oder nach den Wahlen? 3. Außenhandelsplan. 4. Mittel für die Wahlpropaganda – Beschaffung von Papier usw. Zellulose aus Schweden für diesen Zweck heranzuschaffen sei ein zu teures Vergnügen. 5. Radiopropaganda. Infolge des Übergangs auf neue Wellen sei der Äther mit westlichen Sendern vollgestopft. Die Bevölkerung der Republik höre den RIAS und den NWDR-Berlin. Das koste uns schon jetzt, so Ulbricht, hunderttausende Stimmen bei den zukünftigen Wahlen. Man müsse Sofortmaßnahmen treffen. Gen. Čujkov fragte Ulbricht, wann diese Vorschläge fertig seien, damit man zusammenkommen und sie erörtern könne. Ulbricht antwortete, das könne am 26. April sein. Es wurde beschlossen, sich am 26. April um 19:00 Uhr zu treffen.50 Des Weiteren gab Gen. Čujkov Grotewohl und Ulbricht ein Dokument der Gestapo über Horst Sindermann zur Kenntnis.51 Bei der Unterredung war der Dolmetscher Machalov anwesend. Das Gespräch wurde aufgezeichnet von Oberleutnant Machalov52 RGASPI, f. 17, op. 137, d. 309, Bl. 84–98.

49  Zur Zusammensetzung der Delegation für die geheimgehaltene Reise der SEDFührung nach Moskau wurde im Politbüro der SED kein Beschluss gefasst. 50  Vgl. Dok. 27. 51  Das an Ulbricht und Grotewohl übergebene Dokument konnte nicht ermittelt werden. Horst Sindermann war 1949 Mitglied des Kleinen Sekretariats geworden, wo er für Organisations- und Kaderfragen zuständig war. Auf Grundlage einer Mitteilung der ZPKK wurde er am 11. Juli 1950 von dieser Funktion entbunden und in die Redaktion der Zeitung Freiheit (Halle) versetzt (BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/97). In einem Beitrag des Spiegels zum Tod Sindermanns heißt es, die sowjetische Geheimpolizei habe Sindermann verdächtigt, Agent der Gestapo gewesen zu sein, vgl. Der Spiegel 17/1990 vom 23. April 1990, S. 272. 52  Handschriftlich.



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26. Schreiben von Außenminister Vyšinskij an den Vorsitzenden des Ministerrats Stalin Streng geheim

25. April 19501

An Gen. I.V. Stalin Der sowjetische Kommandant von Berlin hat am 21. IV.2 vom Oberbürgermeister des Magistrats der Westsektoren von Berlin einen Brief erhalten, in dem dieser mitteilt, die Stadtverordnetenversammlung der genannten Sektoren3 habe beschlossen, Magistratswahlen für das gesamte Stadtgebiet abzuhalten,4 und in dem er zugleich die vier Kommandanten bittet, den Entwurf für eine Verfassung Berlins von 1948 zu bestätigen.5 Eine solche Mitteilung ist auch den Kommandanten der Westsektoren von Berlin zugegangen, welche ihrerseits dem sowjetischen Kommandanten Kopien ihrer an den Oberbürgermeister gerichteten Antwortschreiben zugeschickt haben.6 In diesen Schreiben erklären sie ihr Einverständnis mit der Abhaltung Gesamtberliner Wahlen auf der Basis der Wahlordnung von 19467 und der 1  Original an Stalin. Datum der Ausfertigung. Kopien gingen an: Molotov, Malenkov, Berija, Mikojan, Kaganovič, Bulganin. Auf dem Dokument gibt es keine Registriernummern. Handschriftlicher Vermerk von Vyšinskij mit blauem Stift am Kopf des Dokuments vom 26. April 1950: „Die Deutschen fragen“. Darüber ein Vermerk: „In diesem Sinne für Gen. St[alin] vorb[ereiten] + 6 [Exemplare] 25.4.“, und mit anderem Stift: „Telegramm abgeschickt am 27.IV.“ 2  Die kursiv gesetzten Wörter sind handschriftlich durch Vyšinskij eingefügt. Laut Angabe von Čujkov (vgl. Dok. 25) erhielt der sowjetische Kommandant den Brief am 20. April. 3  Die hier und im Folgenden kursiv hervorgehobenen Wörter sind – wenn nicht anders angegeben – handschriftlich unterstrichen. 4  Zum Beschluss der West-Berliner Stadtverordnetenversammlung vgl. Dok. 25, Fn. 3. 5  Seit der Annahme der provisorischen Verfassung durch die Alliierte Kommandantur am 19. Juli 1946 und den Wahlen in Berlin im Oktober 1946 stand die Ausarbeitung einer Verfassung für Berlin auf der politischen Tagesordnung der Berliner Volksvertreter. CDU, SPD und SED legten dazu 1947 eigene Entwürfe vor, vgl. BQuD 2, S. 1917–1930, 1930–1940 und 1940–1952, auf deren Grundlage der Berliner Verfassungsausschuss am 12. März 1948 einen vollständigen Entwurf erarbeitete. Nach zahlreichen Änderungen verabschiedete die Stadtverordnetenversammlung am 22. April 1948 gegen die Stimmen der SED die Verfassung von Berlin. In der Alliierten Kommandantur verhinderte die UdSSR jedoch 1948 deren Bestätigung. 6  Vgl. Dok. 25 und dort Fn. 2. 7  Die vorläufige Wahlordnung hatte die Alliierte Kommandantur im Juni 1946 vom Berliner Magistrat angefordert und dafür Grundsätze vorgegeben, vgl. BQuD 1, S. 1116–1117. Das von Oberbürgermeister Arthur Werner, der 1945 von der UdSSR eingesetzt worden war, unterzeichnete Dokument genehmigte die Alliierte Kommandantur am 14. August 1946 einstimmig, vgl. ebenda, S. 1118–1123. Auf ihrer Grund-

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nicht bestätigten Verfassung Berlins von 1948, unter Beibehaltung des in den Westsektoren seit dem 14. Mai 1949 geltenden Besatzungsstatuts für Berlin.8 Die Gen. Čujkov und Semenov schlagen vor,9 nicht dem Oberbürgermeister der Westsektoren von Berlin, sondern den Kommandanten der Westsektoren von Berlin im Namen des Vertreters der SKK in Berlin zu antworten und ihnen mitzuteilen, dass die sowjetische Regierung schon im Juni 1949 auf der Tagung des Rats der Außenminister einen Vorschlag eingebracht hat, Gesamtberliner Wahlen zu bestimmten Bedingungen abzuhalten10 und dass die SKK, sich davon leiten lassend, die Abhaltung Gesamtberliner Wahlen unter folgenden Bedingungen für zweckmäßig erachtet: 1. Aufhebung der Aufteilung der Stadt in Sektoren, Abzug der Garnisonen der Besatzungsmächte aus Berlin und Auflösung aller Kommandanturen. 2. Abschaffung des Besatzungsstatuts, Einführung einer einheitlichen Währung und Durchführung demokratischer Reformen, wie sie in den Potsdamer und anderen gemeinsamen Beschlüssen der vier Mächte vorgesehen sind. 3. Schaffung eines Viermächte-Kontrollgremiums mit begrenztem Mitarbeiterstab, welches die Kontrolle über die Erfüllung der Potsdamer Beschlüsse in Bezug auf Gesamtberlin ausübt. Das MID der UdSSR erachtet es für zweckmäßig, den Kommandanten der Westsektoren zu antworten und ihnen unser Einverständnis mit der Abhaltung Gesamtberliner Wahlen zu den von uns im Juni 1949 auf der Tagung des Rats der Außenminister dargelegten Bedingungen mitzuteilen, wobei zu diesen Bedingungen auch der Abzug der Garnisonen der Besatzungsmächte aus Berlin, die Einstellung der Zufuhr von Panzern, Panzerwagen und sonstigen Rüstungsgütern aus Westdeutschland nach Berlin11 sowie die Aufhebung der Aufteilung Berlins in Sektoren gehört. lage wurden am 20. Oktober 1946 Wahlen in ganz Berlin durchgeführt, aus denen die SPD als stärkste Partei hervorging. 8  In dem hier abgedruckten Dokument ist der abschließende, kursiv hervorgehobene Satzteil (ab „unter Beibehaltung …“) handschriftlich durch doppelten Schrägstrich durchgestrichen. Das Besatzungsstatut für Berlin, auch als Kleines Besatzungsstatut bezeichnet, meint die Erklärung der drei westlichen Stadtkommandanten vom 14. Mai 1949 über die Grundsätze der Beziehungen der Stadt Groß-Berlin zur Alliierten Kommandantur. Diese Erklärung bestimmte die Rechte, die sich die drei westlichen Kommandanten vorbehielten, vgl. BQuD 2, S. 1726–1729. 9  Ein Telegramm hierzu konnte im AVP RF nicht ermittelt werden. Zur Antwort Vyšinskijs an Čujkov und Semenov vom 27./28.  April und zum Schreiben an die Kommandanten der Westsektoren vom 8. Mai 1950 vgl. Fn. 13 zu diesem Dokument. 10  Zum sowjetischen Vorschlag vom Juni 1949 betr. Berliner Wahlen vgl. UdF 4, S. 383–386. 11  Es existieren keine veröffentlichten Angaben zur Ausrüstung der westlichen Besatzungstruppen in Berlin. Die USA hatten in West-Berlin seit 1947 6 300 Soldaten stationiert, die meisten davon waren „support personnel“, nur 2 000 trugen Waffen. Anfang der 1950er-Jahre gab es weder Panzer noch Artillerie. Erst ab 1958 wurden



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Entwürfe zu einem Beschluss des ZK der VKP (b) und zu einer Antwort des Vertreters der SKK in Berlin an die Kommandanten der Westsektoren von Berlin zur Abhaltung Gesamtberliner Wahlen sind beigefügt.12 Ich bitte um Prüfung.13 A. Vyšinskij 25. April 1950 Für die Richtigkeit: [Unterschrift handschriftlich] AVP RF, f. 07, op. 23а, p. 11, d. 144, Bl. 9–10. bis zu zwei Panzer-Kompanien mit insgesamt 28 Panzern sowie eine Batterie mit acht Geschützen in der Stadt stationiert. Es handelte sich hauptsächlich um eine Schaupräsenz. Wir danken William Stivers für diese Auskunft. Informationen über die Ausrüstung der britischen und französischen Besatzungstruppen in Berlin liegen nicht vor. 12  Werden hier nicht abgedruckt. Zu dem (gebilligten) Entwurf einer Antwort des Vertreters der SKK an die westlichen Stadtkommandanten vgl. Fn. 13. 13  Die zustimmende Entscheidung Stalins ergibt sich aus dem handschriftlichen Vermerk am Schluss: „532-VK, Chiffrierte Telegramme zu dieser Frage: Nach Berlin: Ausgang sp 443 vom 28. April 50, aus Berlin (SKK): Nr. 7/877 vom 28. April 50. Aus Berlin (SKK): Nr. 7/819 vom 21. April 50, aus Berlin (SKK): Nr. 240 vom 22. April 50“. Ein chiffriertes Telegramm vom 27./28. April 1950 von Vyšinskij an Čujkov und Semenov enthielt als Entwurf einer Antwort der SKK an die Kommandanten der Westsektoren die folgenden Punkte: „1. Freie demokratische Wahlen sollen in ganz Berlin unter der Kontrolle der vier Mächte auf Grundlage des Wahlverfahrens, das im Oktober 1946 angewendet wurde, abgehalten werden. 2. Zur Durchführung der Wahlen in Berlin ist eine deutsche Kommission auf paritätischer Grundlage zu bilden, d. h. auf Grundlage gleichrangiger Vertretungen des sowjetischen Sektors auf der einen und der westlichen Sektoren auf der anderen Seite … 3. Das II. Kapitel der Wahlordnung von 1946, das die Gruppe von Personen definiert, die wahlberechtigt sind, ist zu überarbeiten mit dem Ziel, die Gruppe von Personen, die vom Wahlrecht ausgenommen sind, einzuengen. Dabei ist von der Notwendigkeit auszugehen, ein Verfahren zu schaffen, nach dem auch ehemaligen Mitgliedern der Nationalsozialistischen Partei und anderer NS-Organisationen die Wahlberechtigung zuerkannt wird, mit Ausnahme derjenigen, denen die Wahlberechtigung gerichtlich entzogen wurde. 4. Das Recht, Kandidaten für die Wahlen eines Gesamtberliner Magistrats aufzustellen, sollen alle in Groß-Berlin zugelassenen politischen Parteien haben, ebenso alle gesellschaftlichen Organisationen, die von der Alliierten Kommandantur zugelassen sind … 5. Die gewählte Stadtverwaltung wird auf der Grundlage der Verfassung Groß-Berlins von 1946 arbeiten. 6.  Das durch den separaten Beschluss der Kommandanten der drei Westsektoren Berlins im Mai 1949 eingeführte Besatzungsstatut muss abgeschafft werden. 7. Zur Schaffung der notwendigen Voraussetzungen für die Durchführung wirklich demokratischer Wahlen unter ruhigen Umständen in Berlin müssen die Garnisonen aller Besatzungsmächte abgezogen werden, ebenso ist die Aufteilung Berlins in Sektoren abzuschaffen.“ Vgl. AVP RF, f. 059, op. 24, p. 4, d. 21, Bl. 40–42. Die (anderen) oben genannten Telegramme wurden im AVP RF nicht deklassifiziert. Der amtierende sowjetische Stadtkommandant Elizarov schickte eine Antwort entsprechenden Inhalts am 8. Mai nicht an die West-Berliner Stadtverordneten, sondern an den Vorsitzenden der West-Berliner Stadtkommandantur, vgl. BQuD, S. 1891–1892, vgl. auch FRUS 1950 IV, S. 852–854. Bereits am 23. April 1950 hatte jedoch die Tägliche Rundschau, das Sprachrohr der SKK, Wahlen in ganz Berlin als Provokation abgelehnt.

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27.  Unterredung zwischen dem Vorsitzenden der SKK Čujkov, Ministerpräsident Grotewohl und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht Geheim

26. April 19501

Aufzeichnung einer Unterredung zwischen dem Vorsitzenden der SKK in Deutschland, Armeegeneral V.I. Čujkov, und den Vorsitzenden der SED, Otto Grotewohl und Walter Ulbricht, am 26. April 1950. Am 26. April 1950 suchten die Vorsitzenden der SED, O.  Grotewohl und W. Ulbricht, den Vorsitzenden der SKK in Deutschland, Armeegeneral V.I.  Čujkov auf. An der Unterredung nahm der politische Berater beim Vorsitzenden der SKKD, Gen. V.S. Semenov, teil. Zu Beginn der Unterredung übergab Gen. Čujkov einen Plan zu Lieferungen an die Gruppe der sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland2 und sagte, dieser Plan unterscheide sich in keiner Weise von dem Plan, den die Regierung bisher erfüllt habe, und sehe Lieferungen zu derselben Summe wie früher vor.3 Gen. Čujkov teilte Grotewohl und Ulbricht außerdem mit, die Sowjetische Kontrollkommission habe beschlossen, das Sanatorium Heringsdorf an der Ostseeküste, das bis jetzt für die Bedürfnisse der Gruppe der sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland reserviert gewesen sei, mit allen Dienstund Kurgebäuden an die Regierung der DDR zu übergeben (der Text des entsprechenden Schreibens des Gen. Čujkov an den Ministerpräsidenten der DDR ist beigefügt4).

1  Original. Kopien gingen an das ZK der VKP  (b)  – Grigorʼjan und an Semenov. Auf dem Dokument befindet sich die Ausgangsnummer 1/0256 vom 1.  Juni 1950 sowie die Eingangsnummer 58137 d29a (Anlage) des Technischen Sekretariats der Allgemeinen Abteilung des ZK der VKP (b). 2  Die „Gruppe der Sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland“ bestand seit dem 29. Mai 1945. Sie setzte sich mit einer Personalstärke von ca. 500 000 Mann (1950) aus Truppenteilen der Ersten Belorussischen Front mit Sitz zunächst in Potsdam-Babelsberg, ab 1946 in Wünsdorf, der Zweiten Belorussischen Front und der Ersten Ukrainischen Front der Roten Armee bzw. der Sowjetischen Streitkräfte zusammen. Am 26.  März 1954 wurde sie in „Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland“ umbenannt. 3  Der Lieferplan konnte in russischen Archiven nicht ermittelt werden. 4  In dem Schreiben hieß es entsprechend, dass laut Beschluss der SKK vom 26. April 1950 „das Sanatorium Heringsdorf … mit allen Heil- und Dienstgebäuden“ an die Regierung der DDR übergeben werde, vgl. BAB-SAPMO, NY 4182/1194, Bl. 103.



Dokument 27: 26. April 1950149

Grotewohl sprach dem Gen. Čujkov seinen Dank für die seitens der SKK getroffene Entscheidung aus und sagte, die Regierung werde ihrerseits das Sanatorium Heringsdorf an den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund übergeben,5 der so die Möglichkeit erhalte, das Netz von Sanatorien und Kurorten für die Werktätigen der Republik erheblich auszuweiten. Gen. Čujkov machte Grotewohl und Ulbricht auf einen Briefwechsel des Industrieministers der DDR, Selbmann, mit dem Leiter der Verwaltung für sowjetisches Eigentum in Deutschland [USIG] zur Frage der Unterstützung und technischen Hilfe durch die USIG beim Bau einer Fabrik für synthetischen Kautschuk in Polen aufmerksam. Das Industrieministerium der DDR richte an die USIG die Frage technischer Hilfeleistung durch sowjetische Betriebe in Deutschland auch für andere Länder, obwohl die Verwaltung für sowjetisches Eigentum in Deutschland nicht berechtigt sei, solche Fragen eigenmächtig zu entscheiden. Gen. Čujkov bat Grotewohl und Ulbricht, Selbmann – und über ihn dem ihm unterstellten Ministerium – eine entsprechende Erläuterung zu geben. (Eine Kopie des an Grotewohl ausgehändigten Aide-mémoire ist beigefügt6). 5  1945 hatte die SMAD zahlreiche Gebäude in Heringsdorf requiriert und als Sanatorium für Offiziere eingerichtet. Ulbricht notierte auf die Mitteilung der SKK über den Übergabebeschluss (vgl. Fn. 4) am 27. April handschriftlich, gerichtet an Grotewohl: „Ich bitte Übergabe an FDGB zu veranlassen.“ Am 28. April teilte Ulbricht im Auftrag von Grotewohl dem FDGB-Vorsitzenden Warnke die Übergabe des Sanatoriums an den Bundesvorstand des FDGB als „Erholungsheim für Werktätige“ mit unter dem Vorbehalt, dass Offiziere der sowjetischen Armee, die das Sanatorium nutzten, diese Räume weiterhin zur Verfügung haben sollten (BAB-SAPMO, NY 4182/1194, Bl. 104). In seiner Antwort vom 9. Mai beschrieb Warnke Komplikationen bei der Übergabe, insofern die sowjetische Leitung des Sanatoriums zwar bereit sei, einen Teil  der Gebäude abzugeben, jedoch den Übergabebefehl Čujkovs noch nicht kannte und daher abwarten wolle (ebenda, Bl. 105–106). Außerdem konnte die Übergabe von in einem Speicher ausgelagerten Einrichtungsgegenständen des Sanatoriums zunächst nicht geregelt werden (ebenda, Bl. 107 und 109). Bei der Eröffnung des FDGB-Sanatoriums im benachbarten Ahlbeck am 9. Juni 1950 konnte daher die Übergabe des Sanatoriums in Heringsdorf noch nicht verkündet werden (vgl. den Bericht im Neuen Deutschland, 13. Juni 1950, S. 3, der anlässlich der Einweihung des FDGB-Heimes Ahlbeck über die „Besitzergreifung“ der Usedomer Seebäder im Allgemeinen durch die Arbeiter räsonnierte). Übergabe und Umbau des gesamten Komplexes zogen sich bis ins Folgejahr hinein (vgl. die Ankündigung in der Neuen Zeit, 15. Februar 1951, S. 5). Das prominente ehemalige Kurhaus „Atlantic“, das zwischenzeitlich als Lazarett gedient hatte, wurde 1951 als FDGB-Ferienheim „Solidarität“ wiedereröffnet. 6  Darin hieß es entsprechend, Selbmann habe in seinem Schreiben Nr. 217 vom 4. April 1950 den Leiter der Verwaltung für sowjetisches Vermögen in Deutschland um technische Hilfeleistung für ein Konstruktions- und Ingenieurbüro, das von der Regierung der DDR mit der Ausarbeitung eines Projekts für eine Fabrik für synthetischen Kautschuk in Polen beauftragt worden sei, durch das zu einer Abteilung der SAG Kaučuk gehörige Werk Buna gebeten. Außerdem frage das Ministerium für

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Grotewohl versprach, das zu tun. Sodann schlug Gen. Čujkov vor, auf die wirtschaftlichen Fragen zu sprechen zu kommen, die im unmittelbaren Zusammenhang mit den bevorstehenden Wahlen7 stehen, und er fragte Ulbricht und Grotewohl, wann sie die Abschaffung des Bezugskartensystems für zweckmäßig halten: vor oder nach den Wahlen. Ulbricht antwortete, man beabsichtige, das Bezugskartensystem nicht vor dem 1. November abzuschaffen, wobei die Bezugskarten für Fette, Fleisch und Zucker bestehen bleiben, jedoch die Normen für die Abgabe dieser Lebensmittel auf Karten erhöht werden sollen.8 Gen. Čujkov stimmte Ulbricht zu und merkte an, somit bestünden in der Frage der Fristen für die Abschaffung des Bezugskartensystems keine Meinungsunterschiede. Grotewohl informierte in diesem Zusammenhang über den Plan wirtschaftlicher Maßnahmen zu den Wahlen, der vom Politbüro der SED bestätigt worden sei.9 Dieser Plan sehe folgende Maßnahmen vor: 1. Ab 1. September 1950 Übergang zur Versorgung aller Kategorien der Bevölkerung mit Fleisch und Fetten entsprechend den festgesetzten Normen und Beendigung des Ersatzes von Fleisch und Fetten durch andere Lebensmittel.10 Schwerindustrie nach technischer Hilfe seitens sowjetischer Betriebe in Deutschland auch für andere Länder. Jedoch: „Die Verwaltung für sowjetisches Vermögen in Deutschland ist nicht berechtigt, solche Fragen selbständig zu entscheiden.“ Vgl. RGASPI, f. 17, op. 137, d. 309, Bl. 137. 7  Zu den Oktoberwahlen vgl. Dok. 12, Fn. 13. 8  Laut einer vom Leiter der Finanzabteilung der SKKD, V. Sitnin, Anfang November 1950 für Čujkov angefertigten Notiz äußerte Ulbricht zu diesem Zeitpunkt die folgenden Einwände: „Ulbricht äußerte Bedenken hinsichtlich der Abschaffung der Karten für Weizenmehl, da er fürchte, das Mehl werde von Einwohnern des Westens aufgekauft werden. Ulbricht ist auch gegen die Abschaffung der Karten für Zucker. Was Industriewaren betrifft, so sprach er sich gegen die vorgeschlagene Preissenkung für Lederschuhe im kommerziellen Handel aus, da er glaubt, dass die Schuhe bei dem vorgeschlagenen Preisniveau von den Einwohnern Westberlins aufgekauft würden“. Die Leitung der SKKD wählte eine Kompromisslinie. „Sollte Ulbricht dennoch auf der Beibehaltung der Karten für Weizenbrot bestehen, so scheint es uns zweckmäßiger, die Frage der Abschaffung der Lebensmittelkarten ganz zu vertagen und ab dem 1. Januar 1951 lediglich die Karten für Industriewaren abzuschaffen.“ Vgl. AVP RF, f. 0457a, op. 9, p. 53, d. 19, Bl. 274–275. Zur verspäteten Abschaffung des Kartensystems vgl. Dok. 12, Fn. 12. 9  Es konnte nicht festgestellt werden, wann der „Plan wirtschaftlicher Maßnahmen zu den Wahlen“ vom Politbüro der SED bestätigt wurde. In den Protokollen taucht ein solcher Punkt nicht auf. 10  Beim Treffen der DDR-Führung mit Stalin am 4. Mai 1950 sprach Ulbricht die Absicht der SED an, „die Versorgung zu verbessern, um die Stimmung der Bevölkerung zu beeinflussen“ vgl. Dok. 31, Fn. 13. Im Neuen Deutschland wurde die ge-



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2. Senkung der kommerziellen Preise in der „HO“, ebenfalls ab 1. Septem­ ber 1950.11 3. Abschaffung der sogenannten „Scheren“ bei den geltenden Preisen.12 4. Revision des Plans für den Ankauf freier Lebensmittelüberschüsse aus landwirtschaftlicher Produktion, um die Diskrepanz in der sozialen Situation der Arbeiter und Bauern abzumildern.13 5. Anlieferung von 100 000 Paar lederner Arbeitsschuhe aus Ungarn, die vor allem an die Arbeiter des Bergbaus und der Hüttenindustrie gehen sollen.14 6. Ab 1. Juni Abschaffung der Bezugskarten für Sommerschuhe aus Leinen und aus Lederersatz.15 plante Erhöhung der Fleisch- und Fettrationen am 18. August 1950 auf S. 1 („Regierungsbeschluss zur Verbesserung der Lebenslage der Bevölkerung“) und am 19. August auf S. 1 und 5 („Verordnungen über die Verbesserung des Lebens“) allgemein angekündigt. Konkreter wurde die „Verordnung über die weitere Verbesserung der Versorgung der Bevölkerung mit Fleisch und Fett ab 1. September 1950“ am 23. August 1950 auf S. 6 veröffentlicht. Anfang September erschienen jedoch Artikel, die Hinweise auf Schwierigkeiten in der Fleischversorgung gaben und Sabotage oder Versagen einzelner Bürokraten dafür verantwortlich machten, vgl. Neues Deutschland, 8. September 1950, S. 5. Ein Artikel vom 12. September, S. 2, sprach von „in der Anlaufperiode auftretenden Schwierigkeiten“, die zu überwinden seien, ein Artikel vom 15. September, S. 1 und 2, von Beschwerden über die „Nichtdurchführung der von der Regierung erlassenen Gesetze in bezug auf die Fleisch- und Fettversorgung und die Lohn- und Rentenerhöhung“. 11  Das Neue Deutschland berichtete am 3. September 1950 auf S. 1 über die Herabsetzung der HO-Preise für Lebensmittel „aller Art“ und Industrieprodukte. Demnach wurden die Preissenkungen am 2. September in einer Pressekonferenz durch Staatssekretär Rumpf und den Hauptdirektor der HO Baender bekanntgegeben. Eine Auflistung der alten und neuen HO-Preise für wesentliche Lebensmittel und Gebrauchsgüter sowie prozentualer Angaben der Preissenkungen war auf S. 1 beigefügt. 12  Mehrere Zeitungen der DDR sprachen im Zusammenhang mit den HO-Preissenkungen von einer sich nun schließenden „Preisschere“ zwischen HO- und Normalpreisen. So kommentierte die Berliner Zeitung am 3. September 1950 auf S. 1 die HO-Preissenkungen unter der Überschrift „Die Schere schließt sich“ und verknüpfte die beobachtete Annäherung der HO- an die Normalpreise mit der Erwartung einer baldigen Abschaffung der Rationierung. Das Neue Deutschland schrieb am 12. September auf S. 2, die „faktische Schließung der Preisschere für Brot durch die Senkung des HO-Brotpreises“ habe zu Umsatzerhöhungen geführt. Die Äußerungen zur „Preisschere“ blieben jedoch im Regelfall allgemein und wurden nicht durch konkrete Angaben gestützt. 13  Zur Erhöhung und ersten Revision der Aufkaufpreise für Lebensmittel vgl. Dok. 18, Fn. 4 und 8. 14  Das Politbüro beschloss, 100 000 Paar Arbeitsschuhe aus Ungarn auf Kredit zu kaufen, vgl. Dok. 31, Fn. 13. 15  Im Neuen Deutschland wurde nicht über eine Abschaffung von Bezugskarten für Sommerschuhe aus Leinen und aus Lederersatz berichtet, am 2. Juni 1950 auf

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7. Im Hinblick auf den Mangel an Kartoffeln (110 000 Tonnen, sofern 50 000 durch Import beschafft werden) soll der Ersatz für Kartoffeln durch andere Lebensmittel, und zwar hauptsächlich durch Mehl, erfolgen, wofür ein zusätzliches Kontingent von 22 000 Tonnen Mehl und anderen Nahrungsmitteln benötigt wird. 8. Die Leichtindustrie wird beauftragt, eine einwandfreie Versorgung der Bevölkerung mit Textilwaren sicherzustellen.16 Grotewohl teilte des Weiteren mit, man habe zwei Varianten für die Erhöhung der Fleischrationen für die Bevölkerung. Die erste Variante sehe eine Erhöhung der Fleischration um 30 Prozent vor, die zweite um 60 Prozent. Grotewohl sagte, eine endgültige Entscheidung sei noch nicht getroffen worden, aber er neige eher zu der ersten Variante, da er die zweite für nicht realistisch halte. Bei Fetten sei vorgesehen, eine Erhöhung um 30 Prozent vorzunehmen. Sodann berichtete Grotewohl davon, wie man sich die Senkung der Preise im kommerziellen Handel denke. Es sei vorgesehen, diese Preissenkung zum 1. September vorzunehmen.17 Diese Preissenkung betreffe alle Grundnahrungsmittel18 mit Ausnahme von Zucker. So solle der Preis für Fleischprodukte um 50 Prozent, für Mehl um 40 Prozent und für Pflanzenöl um 30 Prozent gesenkt werden, d. h. im Durchschnitt sei eine Senkung der Preise um 35–40 Prozent vorgesehen. In diesem Zusammenhang machte Gen. Čujkov Grotewohl und Ulbricht darauf aufmerksam, dass im Falle der Abschaffung des Bezugskartensystems, wenn die Türen der Geschäfte des Ostsektors von Berlin auch den Bewohnern der Westsektoren offen stünden, die Geschäfte bald leer sein könnten, da alle Waren weggekauft seien, und um die Westberliner Käufer zufriedenzustellen, müsse man ein zusätzliches Kontingent von 350 000 Tonnen Getreide und 50 000 Tonnen Zucker erschließen, wozu man nicht in der Lage sei. Deshalb, so Gen. Čujkov weiter, wäre es zweckmäßig, für den Handel bestimmte Obergrenzen festzusetzen und sich zugleich Gedanken über die Maßnahmen zu machen, die man zur Abwendung eines Ausverkaufs treffen könnte. Ulbricht antwortete, ihrerseits sei beabsichtigt, neben der Festsetzung bestimmter Obergrenzen in Berlin Kundenlisten für jedes Geschäft einzuführen. Dies sei allerdings vorerst noch eine vorläufige Entscheidung. In diesem S. 2 findet sich allerdings ein Leserbrief einer Frau, die sich beschwert, dass sie für ihre Bezugsscheine keine Schuhe mehr bekommt. 16  Zur Lieferung von Baumwolle in die DDR erließ der Ministerrat der UdSSR am 18.  Juni 1950 die geheime Verordnung Nr. 2818-1120s, vgl. GA  RF, f. R-5446, op. 106 sč, p. 2818, d. 493, Bl. 13. 17  Vgl. Fn. 11 zu diesem Dokument. 18  Der Absatz ist ab hier bis zum Ende linksseitig angestrichen.



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Falle würden der Bevölkerung Westberlins nur die Türen der kommerziellen Geschäfte offen stehen, in denen auch Bewohner des Ostsektors, die diese oder jene Waren über das festgesetzte, auf der Basis des durchschnittlichen Pro-Kopf-Verbrauchs berechnete Limit hinaus erwerben wollen, zusätzliche Einkäufe tätigen können.19 Gen. Čujkov stimmte Ulbricht zu, merkte aber an, von einer Senkung der kommerziellen Preise und der Abschaffung des Bezugskartensystems würde vor allem diejenige Bevölkerungskategorie profitieren, die mehr als 175 Mark im Monat verdiene. Es gebe aber auch eine Kategorie, die weniger als 150 Mark im Monat erhalte und die weder jetzt noch nach der Senkung der kommerziellen Preise und einer gewissen Erhöhung der Preise für gegenwärtig bewirtschaftete Waren in der Lage seien, irgendetwas in der „HO“ zu kaufen. Ob man nicht für eine solche niedrig entlohnte Kategorie auf Rechnung von Staatshaushaltsmitteln einen Lohnzuschlag leisten könne, d. h. so etwas wie den nach der Abschaffung des Bezugskartensystems in der UdSSR eingeführten Brotzuschlag, berechnet auf 7–8 Mark im Monat pro Person. Das würde in der Summe ungefähr 120 Millionen Mark jährlich an zusätz­ lichen Ausgaben aus dem Haushalt der Republik ausmachen. Nach Meinung von Finanzfachleuten, so Gen. Čujkov weiter, sei der Haushalt der Republik in der Lage, eine solche zusätzliche Belastung zu verkraften. Grotewohl und Ulbricht stimmten zu, dass die Situation der Niedriglohnempfänger verbessert werden müsse und sagten zu, diese Frage im Lichte der Vorschläge des Gen. Čujkov zu studieren. Im Zusammenhang mit der beabsichtigten Senkung der kommerziellen Preise warf Gen. Čujkov die Frage auf, ob es nicht zweckmäßig sein werde, diese nächste Senkung, die die deutschen Genossen sich anschicken, nur einmal, am 1. September, vorzunehmen, nicht in einem Zug, sondern in mehreren, zum Beispiel drei Etappen durchzuführen. In diesem Falle könnte man die erste Etappe zeitlich mit dem Deutschlandtreffen der Jugend20 verbinden, die zweite mit dem Beginn oder dem Anfangsstadium der Arbeit des Parteitags und die dritte unmittelbar vor den Wahlen ansetzen. Grotewohl antwortete darauf, man habe geplant, die Senkung der Preise auf einmal, am 1. September vorzunehmen, sie aber ziemlich stark zu senken, um die Wähler in gewisser Weise psychologisch zu beeinflussen.

19  Vgl.

zur späteren Behandlung dieser Fragen auch Fn. 8 zu diesem Dokument. ist das erste Deutschlandtreffen der Jugend, vgl. Dok. 25, Fn. 19. Am 21. Mai 1950 berichtete die DDR-Presse in großer Aufmachung über eine Senkung der HO-Preise für Fleisch- und Fettprodukte sowie Eier. Das Neue Deutschland titelte mit der Überschrift „Außerplanmäßige Preissenkung“, darüber war im Kopf der Zeitung die Aufschrift „Nur noch 6 Tage bis zum Deutschlandtreffen der Jugend“ zu lesen. 20  Gemeint

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Ulbricht wandte sich gegen eine Preissenkung in den Tagen des Deutschlandtreffens der Jugend und sagte, das habe keinen Sinn, er stimmte aber dem Vorschlag des Gen. Čujkov zu, die Preissenkung während des SEDParteitags vorzunehmen, nachdem von der Tribüne des Parteitags ein solch kolossales wirtschaftspolitisches Programm wie der Fünfjahrplan zur Entwicklung der Volkswirtschaft der DDR entfaltet sein werde.21 Somit wurde eine Übereinkunft erzielt, die für den 1. September vorgesehene Senkung der Preise in der „HO“ in zwei Etappen vorzunehmen, wobei die hauptsächliche Preissenkung im Hinblick auf die Notwendigkeit der psychologischen Wählerbeeinflussung im September stattfinden soll. Als Ergebnis der Diskussion dieser Frage schlug Gen. Čujkov vor, Experten beider Seiten zu beauftragen, abgestimmte Vorschläge zur Senkung der Preise auf der Basis der erzielten Übereinkunft zu erarbeiten. Grotewohl und Ulbricht stimmten diesem Vorschlag des Gen. Čujkov zu. Sodann machte Gen. Čujkov Grotewohl und Ulbricht darauf aufmerksam, dass im Ostsektor von Berlin 125 000 in den Westsektoren der Stadt wohnende Arbeiter beschäftigt sind, an die monatlich 35 Millionen Mark an Löhnen ausgezahlt werden. Diese Zigtausende Arbeiter seien ungeachtet dessen, dass sie ihren Lebensunterhalt aus den Händen der Republik erhalten, in ihrer Mehrheit gegen die in der Republik bestehende antifaschistischdemokratische Ordnung eingestellt, ein Teil von ihnen betreibe in den Westsektoren eine gegen die Republik gerichtete Wühlarbeit. Es entstehe eine Situation, dass wir Reuter helfen, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, während es bei uns 40 000 freie Arbeitskräfte gebe, die man an ihre Stelle setzen könnte. Ob man nicht die in Westberlin wohnenden Arbeiter entlassen und nur diejenigen Spezialisten und hochqualifizierten Arbeiter behalten sollte, die wir benötigen? Ein solcher Schritt würde die Situation in Westberlin schwieriger machen und den sozialen Konflikt zwischen den Arbeitermassen und dem Magistrat von Westberlin noch weiter verschärfen.22 Gen. Čujkov wies außerdem darauf hin, dass 55 Prozent der Studenten der Technischen Hochschule in Westberlin mit Stipendien studieren, die an sie aus dem Haushalt des Ministeriums für Volksbildung der Republik vergeben werden. So komme es dazu, dass die Republik die Ausbildung einer technischen Intelligenz finanziere, die, wenn sie in die Betriebe der Republik zu21  Das Neue Deutschland berichtete am 16.  Juli, wenige Tage vor Beginn des III. Parteitages der SED (20. bis 24. Juli 1950), auf S. 1 über Senkungen der HOPreise, die am Vortag auf einer Pressekonferenz durch den Hauptgeschäftsführer der HO Baender bekanntgegeben worden seien. Die Preissenkungen betrafen Grundnahrungsmittel sowie eine Reihe von Industrieprodukten; eine Auflistung über alte und neue Preise war dem Bericht beigefügt. 22  Vgl. dazu die Arbeit von Frank Roggenbruch, Das Berliner Grenzgängerpro­ blem. Verflechtung und Systemkonkurrenz vor dem Mauerbau, Berlin 2008.



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rückkehre, was durchaus zweifelhaft sei, dort ein Gezücht der anglo-amerikanischen Agentur sei. Im selben Zusammenhang wies Gen. Čujkov Grotewohl und Ulbricht auf die Notwendigkeit hin, den gesamten Fragenkomplex zur Ausbildung einer neuen Intelligenz aus dem Volk zu entscheiden, wobei zu berücksichtigen sei, dass die Republik in den nächsten Jahren sehr viele Spezialisten benötige, die ihr ganz und gar ergeben seien. Ulbricht stimmte dem Gen. Čujkov voll und ganz zu und hielt es seinerseits für erforderlich, den Studenten der TH Westberlin die Stipendien zu verweigern und neben der Erweiterung der TH Dresden das Problem der Ausbildung einer neuen technischen Intelligenz durch die Einrichtung neuer technischer Hochschulen unterschiedlichen Zuschnitts radikal zu lösen.23 Grotewohl sagte, eine Gruppe deutscher Genossen, die in Moskau gewesen sei,24 arbeite derzeit daran, für das Politbüro der SED eine Reihe von Vorschlägen zur Entwicklung und Ausweitung der Hochschulbildung in der DDR zusammenzustellen, er sprach sich aber gegen den Verzicht auf Spezialisten, die ihre Ausbildung in Westberlin gemacht haben, aus und sagte zur Begründung, Technik sei Technik und die TH Dresden tauge nichts. Gen. Čujkov sagte weiter, sein Apparat arbeite gegenwärtig ebenfalls an der Zusammenstellung von Empfehlungen zu dieser Frage, und sobald sie fertig seien, werde man sie den Vorsitzenden der Partei zur Kenntnis geben. Danach machte Gen. Semenov Grotewohl und Ulbricht auf Presseäußerungen Stoltzenbergs und Lochs zu den bevorstehenden Wahlen aufmerksam,25 in denen diese sich einer Argumentation bedienen, die die Gefahr unerwünschter Folgen für die Entwicklung der Bewegung der Nationalen Front in sich berge, und er bat Grotewohl und Ulbricht, in angemessener Weise auf Stoltzenberg und Loch einzuwirken, was sie auch zu tun versprachen. 23  Auf Beschluss des Politbüros der SED vom 16.  Januar 1951 erfolgte im März 1951 die Bildung eines Staatssekretariats für Hochschulwesen. An der Universität Rostock wurde 1951 eine Fakultät für Schiffbautechnik eingerichtet, dort folgte 1952 die Einrichtung einer weiteren Fakultät für Luftfahrtwesen, die bereits 1953 an die TH Dresden (gegründet 1828/1890) verlagert wurde. In Dresden erfolgte 1952 die Gründung der Hochschule für Verkehrswesen, die aus der TH Dresden hervorging. 1953 erfolgte die Gründung einer Hochschule für Schwermaschinenbau in Magdeburg, einer Hochschule für Maschinenbau Karl-Marx-Stadt, einer Hochschule für Elektrotechnik in Ilmenau sowie einer Zentralen Hochschule für landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften in Meißen. 1954 entstanden die Technische Hochschule für Chemie Leuna-Merseburg (THC) und die Hochschule für Bauwesen Leipzig. Davor waren schon 1952/53 Fachschulen bzw. Ingenieurschulen für die Ingenieursausbildung gegründet worden. 24  Es konnte nicht ermittelt werden, welche „Gruppe deutscher Genossen“ hier gemeint ist. 25  Es konnte nicht ermittelt werden, welche Presseäußerungen von Stoltzenbergs und Lochs hier gemeint sind.

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Zum Schluss der Unterredung fragte Gen. Čujkov Grotewohl und Ulbricht nach ihrer Meinung zu einer Rückkehr von Paulus in die Republik, der, wie aus Moskau verlaute, in seinen Äußerungen den demokratischen Aufbau in der DDR unterstütze.26 Ulbricht antwortete, jetzt, nach dem Tod von Paulus’ Frau,27 die in Westdeutschland gelebt habe, seien alle Einwände gegen seine Rückkehr entfallen, denn man könne hoffen, dass Paulus in der Republik bleibe und nicht in den Westen gehe. Gen. Čujkov merkte an, der Westen werde Paulus, der mit seinem Auftritt beim Nürnberger Prozess die neofaschistischen und reaktionären Kreise Westdeutschlands heftig gegen sich aufgebracht habe, wohl nicht aufnehmen, und er bat Grotewohl und Ulbricht, für Paulus die notwendigen Bedingungen dafür zu schaffen, dass er sich zum Beispiel der Militärgeschichte u. ä. widmen könne.28 Zum Abschluss wurde beschlossen, für den 28. April ein weiteres Treffen anzuberaumen, auf welchem Fragen im Zusammenhang mit dem Ende Mai bevorstehenden Deutschlandtreffen der Jugend29 besprochen werden sollen. Bei der Unterredung war der Dolmetscher Machalov anwesend. Das Gespräch wurde aufgezeichnet von Oberleutnant Machalov30 RGASPI, f. 17, op. 137, d. 309, Bl. 127–135. 26  Aus der Gefangenschaft hatte sich Generalfeldmarschal Paulus 1948 und 1950 an Stalin mit der Bitte an die sowjetische Regierung gewandt, in die DDR entlassen zu werden (RGASPI, f. 82, op. 2, d. 1163, Bl. 102–108 und ebenda, d. 1168, Bl. 45– 52). Bei seinem Treffen mit der SED-Führung Ende 1948 fragte daraufhin Stalin die deutschen Genossen, „ob man ihn entlassen sollte“. Pieck und Grotewohl antworteten, dass Paulus in Deutschland nicht gebraucht werde, vgl. UdF 4, S. 227. Bei seinem nächsten Gespräch mit der SED-Führung am 4. Mai 1950 schnitt Stalin erneut die Möglichkeit der Entlassung des Generalfeldmarschalls an, doch obwohl Pieck, Ulbricht und Čujkov nichts gegen die Aufnahme von Paulus in der DDR einzuwenden hatten, wollte sich Stalin noch immer nicht für dessen Entlassung endscheiden (vgl. Treffen mit Stalin 1950, S. 600–602). 27  Constance Elena Paulus war in der Nacht vom 8. zum 9. November 1949 an Gelbsucht gestorben, vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. November 1949, S. 3. 28  Am 3. Oktober 1953 fasste das Präsidium des ZK der KPdSU nach Zustimmung von Ulbricht den Beschluss: „Gen. Kruglov wird gestattet, Paulus in die DDR zu repatriieren.“ Am 24. Oktober 1953 konnte Friedrich Paulus die UdSSR verlassen, vgl. Torsten Diedrich, Paulus. Das Trauma von Stalingrad. Eine Biographie, Paderborn 2008, S. 369–385. 29  Vgl. Dok. 25, Fn. 19. 30  Handschriftlich.



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28. Vermerk von Außenminister Dertinger MB/01.10 Panzerschranksache

Berlin-Ost, 5. Mai 19501

Am 5. Mai 1950 15:00 Uhr besuchte mich Botschafter Puschkin auf seinen Wunsch in meinem Dienstzimmer. Der Botschafter schnitt die Frage der voraussichtlichen politischen Entwicklung in Westdeutschland an, insbesondere die Probleme eines Beitritts Westdeutschlands zur Europa-Union evtl. später Europa-Rat2 und AtlantikPakt.3 Insbesondere interessierte er sich für die Frage, ob damit zu rechnen sei, dass die westlichen Alliierten gegenüber Westdeutschland das Besatzungsstatut revidieren evtl. aufheben und durch eine Friedenserklärung oder gar durch einen Friedensvertrag ablösen würden. Wir tauschten unsere beiderseitigen Informationen zu diesen Fragen aus, wobei sich eine völlige Übereinstimmung der Informationen, wie auch der Beurteilung der Lage ergab. Auch der Botschafter hält bei aller Berücksichtigung gewisser Unterschiede in den Auffassungen zwischen den westlichen Alliierten eine uneingeschränkte Verwirklichung der amerikanischen Pläne auf schrittweise Einbeziehung Westdeutschlands in das westliche System bis zum Beitritt in den Atlantik-Pakt für wahrscheinlich. Das Gespräch wandte sich dann den Folgerungen zu, die sich für die Deutsche Demokratische Republik aus einer solchen Entwicklung ergeben würden, wobei vor allem die Frage erörtert wurde, zu welchem Zeitpunkt von unserer Seite die entsprechenden Ereignisse in Westdeutschland zu beantworten seien. Dabei wurde die Frage gestellt, ob wir an dem Prinzip festhalten, erst die Schritte in Westdeutschland abzuwarten und dann zu reagieren oder ob die Notwendigkeit besteht, die Entwicklung in Westdeutschland durch Akte unsererseits zu verhindern oder wenigstens aufzuhalten. In dem Gespräch wurden die Vorteile und Nachteile der beiden Möglichkeiten untersucht, ohne dass eine diesbezügliche Meinung ermittelt worden wäre, da eine solche Frage nur von den Regierungschefs entschieden werden kann.4

1  Durchdruck. Weitere Exemplare wurden Ackermann, der HA I und der Ablage zugeleitet. 2  Die „Union Europäischer Föderalisten“ (UEF) wurde im Dezember 1946 in Paris gegründet, zur gleichen Zeit bildete sich in Deutschland ein Zusammenschluss unter der Bezeichung „Europa-Union“. Dies war eine breite Bewegung für eine (west-)europäische Einigung. Auf ihre Initiative bildete sich 1949 der Europarat, vgl. Dok. 17, Fn. 2. 3  Gemeint ist der Nordatlantikpakt, vgl. Dok. 8, Fn. 5. 4  Zum Zeitpunkt dieser Unterredung hielten sich Pieck, Grotewohl und Ulbricht zu Gesprächen in Moskau auf (vgl. Dok. 29, Fn. 2). Sie waren am Abend zuvor, dem

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Ich hatte den Eindruck, dass der Botschafter den Auftrag hatte, sich ein Bild von unserem Urteil über die Lage zu verschaffen als Beitrag zur Meinungsklärung seiner eigenen Regierung.5 Nach Schluss des Gespräches schnitt ich die Frage der heute morgen in der Westpresse veröffentlichten Meldung über den Abschluss der Heimkehr der Kriegsgefangenen an.6 Eine amtliche Bestätigung der Meldung lag bis zur Stunde des Gesprächs dem Botschafter Puschkin noch nicht vor. Er bestätigte aber die Richtigkeit des Inhalts und betonte, dass die Regierung der UdSSR gemäss meiner ihm s. Zt. gegebenen Anregung7 entsprechend die Feststellung von der abgeschlossenen Befreiung aller deutschen Kriegsgefangenen termingerecht vor dem Tag der Befreiung8 ausgegeben habe. Ich bat den Botschafter um Übermittlung des Wunsches, dass seine Regierung den Angehörigen der noch in Russland verbliebenen, als Kriegsverbrecher verurteilten Kriegsgefangenen Mitteilung zugehen lässt, dass der betreffende Soldat noch am Leben [ist] und eine entsprechende Strafe abbüsst, damit vollständige Klarheit in unserem Volke geschaffen wird, wer noch am Leben ist und wer nicht. Der Botschafter sagte die Befürwortung und Weiterleitung dieses Wunsches zu.9 Dertinger PA AA, MfAA A, Bd. 14855, Bl. 1. 4. Mai 1950, von Stalin empfangen worden, der ihnen eine aktivere Deutschlandpolitik nahegelegt hatte, vgl. Treffen mit Stalin 1950, S. 594–595 und 598–599. 5  Es konnte nicht ermittelt werden, ob es im Tagebuch Puškins eine Aufzeichnung dazu gibt. 6  TASS hatte am 4. Mai gemeldet, dass mit der Ausreise von 17 538 Personen die Rückführung von 1 939 063 deutschen Kriegsgefangenen aus der UdSSR beendet worden sei. Auf dem Territorium der UdSSR verblieben 9 717 Kriegsgefangene, die wegen schwerer Kriegsverbrechen verurteilt worden seien, und weitere 3 815 Personen, gegen die noch ermittelt werde, sowie 14 Männer, die wegen Erkrankung zeitweilig zurückgestellt seien. Diese Meldung wurde sofort im Rundfunk verbreitet. Der Tagesspiegel veröffentlichte eine entsprechende AP-Meldung am 5. Mai 1950 auf S. 1. Im Neuen Deutschland und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschien die Meldung erst am 6.  Mai. Im Westen wurden die angegebenen Zahlen angezweifelt, vgl. DzD II, 3, S. 454–460 sowie Dok. 30, Fn. 6. Die Tass-Erklärung ging zurück auf den Beschluss des Ministerrats der UdSSR Nr. 1106-396ss vom 17. März 1950. Diesen Beschluss hatten Außenminister Vyšinskij und Innenminister Kruglov durch ein Schreiben an Stalin am 4.  März 1950 vorbereitet, vgl. Voennoplennye v SSSR, 1939–1956. Dokumenty i materialy, hrsg. von M.M. Zagorul’ko, Moskau 2000, S. 876–884. 7  Es konnte nicht ermittelt werden, wann und wo Dertinger eine derartige Anregung gegeben hatte. 8  Zur Einführung dieses „Nationalen Feiertags“ vgl. Dok. 21, Fn. 21. 9  Ein diesbezügliches Telegramm Puškins konnte im AVP RF nicht ermittelt werden.



Dokument 29: 8. Mai 1950159

29. Schreiben des Vorsitzenden der Außenpolitischen Kommission des ZK der VKP (b) Grigor’jan an den stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrats Molotov Streng geheim 

8. Mai 19501

An Gen. V.M. Molotov Vor dem Hintergrund der durch die Genossen Grotewohl und Ulbricht2 vorgestellten Entwürfe eines Beschlusses des Politbüros der SED sowie eines Schreibens der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik an die Regierung der UdSSR zur Reparationsfrage3 wäre es angebracht, den deut1  Original an Molotov. Das Schreiben erhielt die Ausgangsnummer 25-S-744 vo, 8. Mai 1950. Es ging am selben Tag im Sekretariat von Molotov ein und erhielt dort die Eingangsnummer M-4072. Am Fuß des Dokuments findet sich der Vermerk: „Zu den Akten“ mit unleserlicher Paraphe und unleserlichem Datum. 2  Pieck, Grotewohl, Ulbricht und Oelßner waren gemeinsam mit Čujkov und Semenov in der Nacht vom 4. zum 5. Mai 1950 von 22:00 bis 01:15 Uhr von Stalin in seinem Arbeitskabinett im Kreml zu einem längerem Gespräch empfangen worden. Dazu ist eine sowjetische Aufzeichnung veröffentlicht (Treffen mit Stalin 1950, S. 575–607), und es existiert ein kurzes Stichpunktprotokoll, dass Pieck während oder nach dem Gespräch anfertigte (Badstübner/Loth, S. 345–348). Um diese Beratung hatte sich die SED seit Längerem bemüht, ihr Zustandekommen wurde erst am 21. April bestätigt. Pieck setzte nach dem Gespräch mit Stalin seinen Erholungsaufenthalt in Barvicha fort. Ob Grotewohl, Ulbricht und Oelßner gemeinsam in einem Flugzeug mit Čujkov und Semenov am 9.  Mai oder schon vorher allein nach Berlin zurückkehrten, lässt sich bis heute nicht feststellen. 3  Das Schreiben (vgl. Dok. 30, Fn. 4) formulierte eine Bitte an Stalin, die sowjetischen Reparationsforderungen gegenüber Deutschland zu senken. Die Notwendigkeit, die Reparationsverpflichtungen der DDR zu reduzieren, war offensichtlich im Zusammenhang mit der Ende 1949 begonnenen Ausarbeitung des ersten Fünfjahrplans für die DDR zutage getreten. Bereits im Vorfeld der Gespräche mit Stalin (vgl. Fn. 2) hatten die sowjetischen Verantwortlichen in Berlin und Moskau zum wiederholten Male versucht, die Gesamtsumme der seit der Potsdamer Konferenz entnommen Reparationen zu bestimmen, und waren dabei auf eine Gesamtsumme von 3 342,3 Millionen Dollar gekommen. Nach dieser Rechnung hatte die UdSSR trotz der 1945–1948 außerordentlich intensiv durchgeführten Demontagen und der Übernahme von hunderten der größten und modernsten Betriebe in der SBZ in sowjetisches Eigentum erst etwa ein Drittel der von ihr seit der Konferenz von Jalta beanspruchten 10 Milliarden Dollar als Reparationen erhalten (vgl. Laufer, Politik und Bilanz, S. 74–75). Die restlichen zwei Drittel hätten im Wesentlichen nur noch aus Reparationsentnahmen aus der laufenden Produktion der DDR-Wirtschaft bestanden, die jedoch in den vorangegangenen Jahren eine Summe von 300 Millionen Dollar kaum überschritten hatten. In diesem Tempo wäre die Gesamtsumme in mehr als zehn Jahren noch immer nicht erreicht worden, doch hätten die fortlaufenden Reparationsentnahmen die Wirtschaftsplanung in der DDR und deren Außenhandel zunehmend belastet. Die Frage nach der Zukunft der sowjeti-

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schen Genossen zu empfehlen,4 bei der endgültigen Erörterung der oben genannten Dokumente folgende Hinweise in Betracht zu ziehen: 1. Aufgrund der besonderen politischen Bedeutung der Dokumente, und zwar sowohl unter dem Gesichtspunkt der weiteren inneren wirtschaftlichen und politischen Entwicklung Deutschlands als auch im Hinblick auf die Besonderheiten der gegenwärtigen internationalen Lage, sollten diese Dokumente eine umfassendere politische Prägung5 erhalten. 2. Insbesondere wäre es sinnvoll, auf folgende Umstände hinzuweisen: a) in Übereinstimmung mit den Beschlüssen von Potsdam6 ist die Wirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik auf eine friedliche Grundlage gestellt worden, und in der Deutschen Demokratischen Republik wurde auf den Gebieten der Demokratisierung und Entmilitarisierung große Arbeit geleistet; b) bei der Festlegung der weiteren Pläne zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes und zur Anhebung des Lebensstandards der Werktätigen möchte die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik sich bezüglich der Reparationsverpflichtungen gegenüber der UdSSR Klarheit verschaffen und die Regierung der UdSSR ersuchen, die Frage einer möglichen Reduzierung der Reparationszahlungen Deutschlands7 zu prüfen. Gen. Semenov8 befürwortet diese Hinweise der Außenpolitischen Kommission des ZK der VKP (b). schen Reparationsforderungen wurde damit zu einer Frage der Entwicklungsperspektive der DDR bzw. der Aussicht, die die UdSSR einer deutschen Wiedervereinigung beimaß. Bisher deutet nur eine Kurzmitschrift von Pieck zu „Bemerkungen Semenovs“ vom 4. Mai 1950 darauf hin, dass sich Vertreter der SED schon im Vorfeld des Treffens mit Stalin auch Wünsche betr. eine Reduzierung der deutschen Reparationsleistungen geäußert hatten (Badstübner/Loth, S. 342). Es blieb Stalin überlassen, im Gespräch mit der SED-Führung am 4. Mai 1950 (vgl. Fn. 2) eine generelle Senkung der sowjetschen Reparationsforderungen vorzuschlagen. Ulbricht wollte so viel wie möglich von dem politischen Effekt dieses Vorschlags „auf d[em] Konto der SED verbuchen“. Der in wenigen Wochen beginnende Parteitag der SED solle sich „mit der Bitte an die sowjetische Regierung wenden, die Reparationszahlungen herabzusetzen, ohne Zahlen zu nennen“. Stalin war damit nicht einverstanden, da Gerüchte durchsickern würden und dadurch „die Kraft des politischen Schlages verringert“ wäre. Er mahnte die deutschen Genossen, einen Brief zu den Reparationen möglichst schnell an die sowjetische Regierung zu schicken, vgl. Treffen mit Stalin 1950, S. 599–600 und 607. 4  Ulbricht und Grotewohl übermittelten die handgeschriebenen Entwürfe für einen Beschluss des Politbüros und ein Schreiben der DDR-Regierung bereits am folgenden Tag an das ZK der VKP (b), vgl. RGASPI, f. 82, op. 2, d. 1172, Bl. 6–8. 5  Die kursiv hervorgehobenen Wörter sind hier und im Folgenden von Hand unterstrichen. 6  Zu den Beschlüssen der Potsdamer Konferenz vgl. Dok. 5, Fn. 13. 7  Gemeint ist hier offensichtlich die DDR. 8  Semenov hatte an der Unterredung Stalins mit der SED-Führung am 4. Mai 1950 teilgenommen.



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Es wäre zweckmäßig, die Genossen Čujkov und Semenov, die am 9. Mai nach Berlin fliegen werden, zu beauftragen, diese Hinweise an die Genossen Grotewohl und Ulbricht weiterzuleiten.9 Der Vorsitzende der Außenpolitischen Kommission des ZK der VKP (b) V. Grigor’jan10 RGASPI, f. 82, op. 2, d. 1172, Bl. 13.

30. Unterredung zwischen Außenminister Vyšinskij und dem Leiter der Diplomatischen Mission der DDR in Moskau Appelt Geheim

12. Mai 19501

Aus dem Tagebuch2 von A.Ja. Vyšinskij Heute empfing ich den Leiter der diplomatischen Mission der DDR in Moskau, R. Appelt, auf dessen Bitte. Appelt überreichte mir zur Weitergabe an Gen. I.V. Stalin die Abschrift eines bei ihm telegraphisch eingegangenen Briefs der Regierung der DDR, der die Bitte um Prüfung der Frage einer Senkung der Reparationszahlungen der DDR an die UdSSR enthält.3 Appelt verwies darauf, dass das Original 9  Die Hinweise von Grigorʼjan blieben unberücksichtigt. Ohne Änderungen bestätigte das Politbüro der SED am 9. Mai (BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/87) den in Moskau gefertigten Beschluss (vgl. Fn. 4), der am folgenden Tag im Neuen Deutschland veröffentlicht wurde. Der Ministerrat der DDR beschloss am 11. Mai 1950 nach Berichterstattung durch Grotewohl das ebenfalls in Moskau entworfene Schreiben an die sowjetische Regierung zur Senkung der Reparationsleistungen der DDR und beauftragte Grotewohl zu Verhandlungen (BAB, DC 20-I/3/17). Das Schreiben erhielt Ackermann noch am selben Tag mit der Bitte, es „so schnell als möglich durch un­ seren Botschafter in Moskau der Regierung der UdSSR übermitteln zu lassen und eine Abschrift davon Herrn Botschafter Puschkin zuzustellen“. Dem Vorsitzenden der SKK sei eine Abschrift durch den Herrn Ministerpräsidenten unmittelbar zugesandt worden (PA AA, MfAA A, Bd. 15522, Bl. 13). Zur Übergabe des Schreibens durch Appelt an Vyšinskij vgl. Dok. 30. 10  Handschriftlich. 1  Original an Stalin. Kopien dieses Dokuments gingen an: Molotov, Malenkov, Berija, Mikojan, Kaganovič, Bulganin. 2  „Tagebuch“ ist ein aus der russischen Kanzleisprache übernommener Begriff des Auswärtigen Dienstes der UdSSR für Gesprächsaufzeichnungen. 3  Dertinger übergab am selben Tag um 16:00 Uhr ein Exemplar dieses Schreibens an Puškin in Ost-Berlin und bat um eine Antwort bis zum Zusammentritt der Volkskammer am 16. Mai (PA AA, MfAA A, Bd. 14873, Bl. 5). Die Volkskammer trat zu ihrer 17. Tagung erst am 17. Mai zusammen, möglicherweise um die erst an diesem

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des Briefes per Post an ihn abgeschickt worden sei und nach Eingang an uns übergeben werde. Eine Übersetzung des Briefes sei beigefügt.4 Appelt wies darauf hin, dass die Regierung der DDR die Erfüllung der Reparationsverpflichtungen als ihre moralische Schuldigkeit ansehe. Appelt sprach seinen Dank für den Beschluss der Regierung der UdSSR zur Frage der deutschen Kriegsgefangenen aus.5 Appelt teilte mit, der österreichische Vertreter in Moskau habe ihm gegenüber Zweifel an einer Meldung der österreichischen Presse geäußert, laut welcher in der UdSSR noch 5 000 österreichische Kriegsgefangene verblieben seien, wenn von den deutschen Kriegsgefangenen nur 13 000 übrig seien.6 Auf meine Frage nach der Entwicklung der Bewegung für die Einheit Deutschlands7 antwortete Appelt, in der DDR seien 15 Millionen UnterTag erfolgte Veröffentlichung der Antwort Stalins abzuwarten, vgl. Fn. 4 zu diesem Dokument. 4  Das Schreiben selbst wird hier nicht abgedruckt. Es ist veröffentlicht in: BDU 1, S. 187–188. Zur Entstehung des Schreibens vgl. Dok. 29. Entsprechend dem am 4.  Mai abgestimmten Szenarium (vgl. Dok. 29, Fn. 3) überreichte Vyšinskij Appelt am 16.  Mai die auf den 15.  Mai datierte Antwort Stalins (vgl. PA  AA, MfAA  A, Bd. 107, Bl. 5–6 und AVP  RF, f. 082, op. 37, p. 199, d. 3, Bl. 20–21). Sie wiederholte die bereits am 4. Mai genannte Halbierung der noch ausstehenden deutschen Reparationsverpflichtungen an die UdSSR auf 3 171 Millionen Dollar, die innerhalb von 15 Jahren „mit Waren aus der laufenden Produktion“ zu zahlen seien. Diese Antwort wurde sofort in der ost- und westdeutschen Presse veröffentlicht (vgl. Neues Deutschland und Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17. Mai 1950). Sie ist abgedruckt in: DDS 1, S. 243. Entwürfe Molotovs, Berijas und Mikojans für diese Antwort sind veröffentlicht in: Foitzik, Interessenpolitik, S. 519–521. Deren Datierung auf den 24. April 1950 ist allerdings fraglich. Grotewohl antwortete Stalin am 19. Mai 1950, vgl. DAPDDR 1, S. 246–247. 5  Zu dem am 4. Mai 1950 behaupteten Abschluss der Rückführung von 1 939 063 deutschen Kriegsgefangenen aus der UdSSR vgl. Dok. 28, Fn. 6. 6  Die letzte von Appelt angeführte Zahl wurde nicht nur in der österreichischen Presse, sondern auch in der TASS-Meldung genannt (vgl. Dok. 28, Fn. 6). In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wurden diese Zahlen noch am gleichen Tage angezweifelt und dazu Erklärungen des West-Berliner Oberbürgermeisters Reuter und des SPD-Vorsitzenden Schumacher, aber auch Meldungen offizieller amerikanischer und britischer Stellen angeführt. Am 14. Juli 1950 protestierten die drei Westmächte in getrennten, aber gleichlautenden Noten gegen die sowjetische Kriegsgefangenpolitik, vgl. DzD  II, 3, S. 260–262. Bereits Ende 1949 hatte die Hauptverwaltung für Kriegsgefangene und Internierte des Innenministeriums der UdSSR über die Anzahl der festgehaltenen belasteten deutschen Kriegsgefangenen berichtet und dabei die Zahl von 37 000 Kriegsgefangenen genannt, gegen die Anklagematerial vorliege, vgl. Foitzik, Interessenpolitik, S. 504–505. Am 30. März 1952 berichtete der Innenminister der UdSSR über 15 120 verurteilte und 1 284 noch nicht verurteilte Deutsche in sowjetischen Lagern, vgl. ebenda, S. 581. 7  Zur Nationalen Front, die im Frühjahr 1949 als eine gesamtdeutsche Sammlungsbewegung für „Einheit und gerechten Frieden“ ins Leben gerufen wurde, vgl. UdF 4, S. XIX–XXIII.



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schriften unter den Appell für ein Verbot der Atombombe8 gesammelt worden. Auch in Westdeutschland entwickele sich diese Bewegung erfolgreich, sie sei dort stärker geworden, und der Kampfgeist der Bevölkerung sei dort weitaus größer als bislang vermutet. Auf meine Frage nach der Reaktion der Deutschen auf die Antwort des Vertreters der SKK in Berlin zur Frage der Gesamtberliner Wahlen9 antwortete Appelt, diese Erklärung habe einen guten Eindruck gemacht und sei für die Bevölkerung verständlich. Appelt sprach auch seinen Dank für die Übergabe des Gebäudes der ehemaligen deutschen Botschaft an die Mission aus und teilte mit, dass man zum September dorthin umzuziehen gedenke.10 8  Gemeint ist der Stockholmer Appell, vgl. dazu Dok. 21, Fn. 12 und 13. Weltweit wurden innerhalb weniger Monate 500 Millionen Unterschriften gesammelt, zum größten Teil  stammten sie aus der UdSSR und China. Il’ja Ėrenburg, der zu diesem Zeitpunkt die Bundesrepublik und die DDR bereist hatte, kritisierte diese Kampagne Mitte Juni in einem Gespräch mit dem Missionsrat der DDR in Moskau, Markus Wolf: Die Deutschen hätten „innerhalb von drei Tagen 15 Millionen Unterschriften unter den Stockholmer Appell gesammelt, einschließlich der Säuglinge. Die Mehrheit hat überhaupt nicht verstanden, was sie unterschreibt … Man hat dort [in Deutschland insgesamt] oft die nationale Frage und die Friedensbewegung in einen Topf geworfen.“ Vgl. Schreiben von Wolf an das MfAA, 19. Juni 1950, in: PA AA, MfAA A, Bd. 15546, Bl. 12–13. Auf sowjetischer Seite kam diese Kritik Ėrenburgs offensichtlich nicht an. Der Vertreter der SKK Den’gin wandte sich am 21. September 1950 in gleichlautenden Schreiben an seine westlichen Amtskollegen, um gegen die Verfolgung von Personen zu protestieren, „die für die Schaffung eines friedliebenden demokratischen Deutschlands eintreten“. Diese Verfolgungen seien nicht nur auf das rechtswidrige Verbot der Tätigkeit der Ausschüsse der „Anhänger des Friedens“ beschränkt, sondern erstreckten sich auch auf die Sammlung von Unterschriften unter den Stockholmer Appell. „Kämpfer für den Frieden“ würden in den Berliner Westsektoren „gröblich“ unterdrückt und „grausam“ verprügelt und von der Polizei verhaftet. „Die Tatsache, daß zahlreiche verhaftete Personen durch Militärgerichte der westlichen Besatzungsbehörden abgeurteilt wurden, beweist, daß diese grausamen Verfolgungen der Anhänger des Friedens in Westberlin mit Kenntnis und Zustimmung der Kommandanten der Berliner Westsektoren durchgeführt werden … Wie sich aus Pressemitteilungen der Westsektoren ergibt, hat der Westberliner Magistrat eine Verfügung erlassen, auf Grund derer nicht nur Kämpfer für den Frieden verfolgt werden, sondern auch Einwohner, die ihre Unterschrift unter den Stockholmer Appell setzten.“ Vgl. BDU 1, S. 238–240. 9  Zur sowjetischen Antwort auf die Frage der West-Berliner Stadtverordneten zu Wahlen in ganz Berlin vgl. Dok. 26, Fn. 13. In der westdeutschen und West-Berliner Öffentlichkeit stieß diese Antwort auf breite Ablehnung, vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. Mai 1950, S. 3: „Unerfüllbare Bedingungen. Der Vorschlag Jelisarows zur Abhaltung von Wahlen in Berlin“. 10  Am 14. April 1950 hatte der Ministerrat der UdSSR die Unterbringung der Diplomatischen Mission der DDR in der Stanislavskij-Str.  10 (heute: Leont’evskij pereulok) beschlossen, vgl. die Anordnung Nr. 1569-601s, GA  RF, f. R-5446, op. 106 sč, d. 481, Bl. 359–360. Der von Appelt genannte Umzugstermin kam jedoch

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Bei dem Gespräch war der Attaché der 3. Europäischen Abteilung, Gen. S.I. Dorofeev, zugegen. A. Vyšinskij11 AVP RF, f. 07, op. 23, p. 31, d. 10, Bl. 7–8.

31.  Unterredung zwischen dem Vorsitzenden der SKK Čujkov, Ministerpräsident Grotewohl und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht Geheim

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Aufzeichnung einer Unterredung zwischen dem Vorsitzenden der SKK in Deutschland, Armeegeneral V.I. Čujkov, und den Vorsitzenden der SED, O. Grotewohl und W. Ulbricht, am 17. Mai 1950. An der Unterredung nahm der politische Berater beim Vorsitzenden der SKK in Deutschland, Gen. V.S. Semenov, teil. Zu Beginn der Unterredung fragte Gen. Čujkov Grotewohl und Ulbricht danach, wie auf der Sitzung der Vorsitzenden der Parteien und Massenorganisationen am 16.  Mai 1950 die Verabschiedung der Resolution über die Einheitslisten verlaufen sei.2 nicht zustande. Ende September wies Missionsrat Wolf darauf hin, dass der Umzug in das Gebäude nicht nur für eine geregelte Arbeit notwendig sei, sondern auch ein politisches Moment darstelle, „besonders in Hinblick auf die zur Zeit groß reklamierte Einrichtung von Gebäuden für die Bonner Generalkonsulate in Washington und London“ (vgl. Vermerk von Wolf, 26.  September 1950, PA  AA, MfAA A, Bd. 143, Bl. 541–543). Der Umzug wurde erst im Laufe des Jahres 1951 vollzogen. Ende dieses Jahres sollte das Gebäude vollständig renoviert sein, vgl. Dok. 82. 11  Handschriftlich. 1  Original. Hauptadressat des Dokuments war Vyšinskij. Kopien gingen an das ZK der VKP (b)  – Grigorʼjan und an Semenov. Auf dem hier vorliegenden 2.  Exemplar befindet sich die Ausgangsnummer 1/0256 vom 1. Juni 1950 sowie die Eingangsnummer 58137 d29a (Anlage) des Technischen Sekretariats der Allgemeinen Abteilung des ZK der VKP (b). 2  Auf der Basis von Absprachen mit den Blockparteien (vgl. Dok. 17, Fn. 7) und unmittelbar nach der Rückkehr aus Moskau (vgl. Dok. 29, Fn. 2) entschied das Politbüro der SED am 9.  Mai, für den 16.  Mai eine Sitzung des Blocks einzuberufen (BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/87), um einen Beschluss der Vorsitzenden der Parteien und Massenorganisationen zur Veröffentlichung ihrer am 28. März unterzeichneten Erklärung (vgl. Dok. 17, Fn. 7) herbeizuführen. Dieser offizielle Beschluss des Blocks kam auf seiner Sitzung vom 16.  Mai problemlos zustande und wurde am 17.  Mai 1950 in der DDR-Presse bekannt gegeben. Am 6.  Juli 1950 bestätigte der „Demokratische Block“ den zuvor verabschiedeten Beschluss der Führer der politi-



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Ulbricht antwortete, die Resolution sei einstimmig, ohne jegliche Komplikationen, verabschiedet worden. Grotewohl merkte jedoch an, dass es bei den Verhandlungen, die der abschließenden Sitzung am 16.  Mai vorausgegangen seien, eine Reihe von Schwierigkeiten gegeben habe. Diese Schwierigkeiten seien von Kastner gemacht worden, der zum einen die Frage nach der Sitzverteilung im künftigen Parlament und zum anderen nach der Verteilung der Ressorts in der neuen Regierung nach den Wahlen aufgeworfen habe. Auf der Sitzung am 16. Mai sei diese Frage nicht erörtert worden. Kastner habe bei den Vorverhandlungen den Gedanken geäußert, dass bei der Aufteilung der Parlamentssitze die LDP auch nach der Kategorie solcher Massenorganisationen wie FDGB und DFD berücksichtigt werden sollte.3 Grotewohl habe Kastner geantwortet, es habe keinen Sinn, einen Streit zwischen den Parteien in die Massenorganisationen hineinzutragen. Ulbricht bemerkte in diesem Zusammenhang, dass wenige Stunden vor der Sitzung Kastner zusammen mit Hamann um ein Treffen gebeten habe,4 in dessen Verlauf Kastner die Frage gestellt habe, wie die Linie der SED nach den Wahlen sein werde und ob nicht die jetzige Zusammenarbeit zwischen den Parteien geschädigt werde. Ulbricht sagte weiter, er habe Kastner versichert, niemand habe die Absicht, mit der Blockpolitik zu brechen, und was die Linie der Partei angehe, so werde sie aus den Thesen des Parteitags ersichtlich sein, die in den nächsten Tagen veröffentlicht werden.5 Bezeichnend schen Parteien zur Mandatsverteilung in der Volkskammer der DDR (vgl. BABSAPMO, DY 3/10, Bl. 228) sowie in den Kreisen und Gemeinden (vgl. ebenda, Bl. 335). Das gemeinsame Programm zu den Wahlen (vgl. Dok. 12, Fn. 13) beschloss der „Deutsche Nationalkongress“ der Nationalen Front erst am 26. August 1950. Die DDR-Presse veröffentlichte es am folgenden Tag. 3  Da es in dieser Sitzung um die Aufteilung der Parlamentssitze unter den Parteien und prokommunistischen Massenorganisationen ging, die auf der von der SED geforderten Einheitsliste vertreten sein sollten, zielte Kastner offensichtlich darauf, den durch die Zuteilung von Parlamentssitzen an die FDJ und den DFD zu erwartenden Stimmenzuwachs der SED in den Parlamenten für seine Partei auszugleichen. 4  Das Treffen von Ulbricht mit Kastner und Hamann am bzw. unmittelbar vor dem 16.  Mai 1950 konnte mit deutschen Quellen nicht belegt werden. Weder im Zentral­ vorstand noch im „Führungsausschuß“ der LDPD ist von einem solchen Treffen im Umfeld der Blocksitzung vom 16. Mai 1950 die Rede. Auf der Sitzung selbst erwähnte Kastner Verhandlungen „in kleineren, verantwortlichen Kreisen“ (ADL, LDPD 9145). Karl Hamann führte wenig später im Landesvorstand Thüringen Gespräche mit Pieck und Grotewohl an, die am 17. Mai stattgefunden haben sollen (ADL, L5-590, Bl. 34). Der Name Ulbricht taucht in diesem Zusammenhang nirgends auf. 5  Die hier angekündigten Thesen des Parteitages waren bereits am 14. Mai 1950 als „Entwurf einer Entschließung zur Vorlage auf dem III. Parteitag“ unter dem Titel „Die gegenwärtige Lage und die Aufgaben der SED“ auf S. 3–5 im Neuen Deutschland veröffentlicht worden. Dieser Entwurf enthielt unter Kapitel III., Punkt 2 Aussagen zur Blockpolitik, in denen eine Weiterentwicklung des Blockes der „anti­

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sei, dass Hamann sich während des Gesprächs in keiner Weise beteiligt habe und demonstrativ sein Desinteresse gezeigt habe und zu verstehen gegeben habe, dass dies alles eine persönliche Angelegenheit Kastners sei. Unterdessen habe Kastner seine Gattin zu Justizminister Fechner geschickt, diese habe versucht, Fechner dazu geneigt zu machen, dass er (Fechner) Kastner als Kandidat für die Verleihung des Nationalpreises für seine angeblich vierzigjährigen Verdienste auf dem Gebiet der Justiz vorschlagen solle. Frau Kastner habe in ihrem Gespräch mit Fechner gesagt, nur das könne Kastner „gesunden lassen“. Es gehe hier also um 100 000 Mark. Hunderttausend Mark könne man Kastner geben, nur nicht in Form eines Nationalpreises, denn durch ebendiese Frau Kastner werde zweifellos mit der Zeit bekannt werden, was hinter dieser Sache steckt, und wir geraten in eine sehr unschöne Situation, da die westliche Presse sofort ein Geschrei um die Bestechung der bürgerlichen Führungspersonen erheben werde.6 Deshalb, so Ulbricht, müsse man Kastner wohl irgendetwas geben, aber über Arthur Pieck. Kastner habe schon eine kostenlose Villa und Einrichtung erhalten,7 irgend-

faschistisch-demokratischen Parteien“ „besonders nach unten“, aber zugleich auch der Kampf gegen „reaktionäre Elemente“ in den bürgerlichen Parteien gefordert werden. In der Folgezeit bis zum Parteitag finden sich zur Blockpolitik in verschiedenen Beiträgen nur allgemeine Bemerkungen. Die am 25. Juli 1950 im Neuen Deutschland auf S. 14–17 veröffentlichte „Entschließung des III. Parteitages“ der SED enthält in Bezug auf die Blockpolitik die gleichen Passagen wie der am 14. Mai veröffentlichte Entwurf (hier auf S. 15). 6  In parteiinternen Auseinandersetzungen in der LDP des Jahres 1950 wurden dem Ehepaar Kastner wiederholt Korruption und ein aufwändiger Lebenswandel vorgeworfen. Auch die am 20. Juli 1950 im (informellen) Führungsausschuss der LDP getroffene Entscheidung, Kastner aus der Partei auszuschließen, wurde damit (sowie mit seiner „unklaren“ politischen Linie in Bezug auf die Einheitsliste) begründet, vgl. Zeller, Kastner, S. 134–136. Korruptionsvorwürfe wurden auch im Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 26. Juli auf S. 1 als Grund für den Parteiausschluss Kastners genannt. Am 20. April hatte die Frankfurter Allgemeine Zeitung auf S. 3 über die Flucht seines Sohnes Ralph nach West-Berlin und dessen öffentliche Kritik an seinem Vater berichtet, die ebenfalls die Andeutung einer persönlichen Vorteilsnahme enthielt. Kastner selbst versuchte sich gegen diese Vorwürfe zu wehren, so bestritt er in einem Brief an Hamann vom 23. Juli die (in westlichen Zeitungen lancierten) Korruptionsvorwürfe wie auch die Zweifel an seiner „Linie gegenüber der Nationalen Front“ und sprach den Beschlüssen des Führungsausschusses der LDP die Rechtsgrundlage ab, vgl. MfS AU 63/52, Bl. 17–22. 7  Kastner verfügte über eine Dienstwohnung in Berlin und mietete als ehemaliger sächsischer Justizminister und Abgeordneter der sächsischen Volkskammer ein Grundstück in Dresden. Seiner Frau war Ende 1949 durch das Finanzministerium der DDR eine Kontoüberziehung von 30 000 DM gestattet worden, nachdem sie angegeben hatte, Kastner habe Anspruch auf Sonderaufwendungen für seine Dresdner Wohnräume durch das Land Sachsen. Die sächsische Landesregierung hatte diese Forderung jedoch zurückgewiesen, und die Deutsche Notenbank Dresden lehnte auch



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etwas in dieser Art könnte man für ihn noch tun, ohne allerdings zu vergessen, auf der Hut zu sein. Gen. Čujkov bemerkte in diesem Zusammenhang, bislang verlaufe alles nach dem beschlossenen Plan,8 und er machte Grotewohl und Ulbricht da­ rauf aufmerksam, dass man in den Beziehungen zu den bürgerlichen Führungspersonen bestrebt sein sollte, scharfe Kanten zu vermeiden und bis zu den Wahlen die Beziehungen zu ihnen nicht zu verschärfen. Alle Mittel und Kräfte müssten jetzt dafür eingesetzt werden, dass alle großen Aufgaben für das Jahr 1950 bewältigt werden, denn die Lösung dieser Aufgaben sei in vieler Hinsicht eine Vorentscheidung für die weitere wirtschaftspolitische Entwicklung der Republik und ihre Erfolge in der Zukunft; deshalb müsse man, so Gen. Čujkov weiter, die Aufmerksamkeit auf solche Erscheinungen konzentrieren, die sich negativ auf die Erfüllung des Volkswirtschaftsplans für 1950 auswirken, der das Fundament für den Fünfjahrplan9 lege. Hier müsse der unbefriedigende Stand der Erfüllung des Export- und Importplans für das zweite Quartal 1950 genannt werden, und es müsse erneut die Frage nach der Arbeit des Ministeriums für Außenhandel der DDR gestellt werden. So sei z. B. der Import wichtiger Rohstoffe und Materialien, die für die Deckung des Plans für Reparations- und sonstige Lieferungen erforderlich seien, durch folgende Ziffern mit Stand vom 15. Mai gekennzeichnet: Roheisen – 28 Prozent auf das Jahr bezogen, Aluminium – 5 Prozent auf das Jahr bezogen, Zinn – ca. 7 Prozent, Kugellager – 37 Prozent usw. Während im ersten Quartal aus den Westzonen Deutschlands noch 20 000 Tonnen Roh­ eisen geliefert worden seien, seien es im zweiten Quartal nur noch 400 Tonnen gewesen. Unbefriedigend verlaufe der Import von Materialien, die zur Erhöhung des Lebensstandards der Bevölkerung benötigt werden. Schlecht stehe es um die Beschaffung solcher Materialien wie Schwefelkies, Apatitkonzentrat, Wolle, calcinierte Soda [Natriumkarbonat] u. a. (ein von Gen. Čujkov zu dieser Frage übergebenes Aide-mémoire ist beigefügt).10 Gen. Čujkov sagte, die Leitung der SKK halte es für zweckmäßig, auf der nächsten Sitzung des Ministerrats der DDR den Fortgang der Erfüllung des Export- und Importplans für 1950 zu prüfen und dabei besonderes Augenmerk auf die unbedingte und rechtzeitige Lieferung der wichtigsten Materiain der Folgezeit die Gewährung weiterer Kredite ab. Vgl. Zeller, Kastner, S. 138– 139. 8  Wahrscheinlich ist ein Maßnahmeplan der SKK zur Vorbereitung der Oktoberwahlen (vgl. Dok. 12, Fn. 13) gemeint, der mit der SED-Führung abgestimmt wurde. Dieser Plan konnte bisher nicht ermittelt werden. 9  Zum Fünfjahrplan der DDR vgl. Dok. 5, Fn. 10 und Dok. 12, Fn. 11. 10  Die (schwer lesbare) Anlage über Schwierigkeiten bei der Erfüllung des ExportImport-Plans befindet sich in: RGASPI, f. 17, op. 137, d. 309, Bl. 119–221. Zur vo­ rangegangenen Kritik der SKK vgl. auch Dok. 17, Fn. 16.

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lien und Rohstoffe zu richten, die zur Erfüllung des Reparationsplans und des Volkswirtschaftsplans der DDR bestimmt sind.11 In diesem Zusammenhang merkte Ulbricht an, der Außenhandelsplan der Republik bedürfe der Revision, denn in ihm sei eine Unstimmigkeit enthalten, und die Bilanz sei nicht in Ordnung. Insbesondere breche der Export im ersten Halbjahr ein. Zur Illustration ging Ulbricht auf die Situation bei Stickstoffdüngern ein. Die Landwirtschaft der Republik verlange von ihm unter Berufung auf eine Regierungserklärung12 zu Recht, die Versorgung mit Stickstoff zu gewährleisten. Die Industrie der Republik wäre in der Lage, den Bedarf der Landwirtschaft voll zu erfüllen, wenn Stickstofflieferungen nicht auch von den Ländern der Volksdemokratie verlangt würden, deren Forderungen wiederum berechtigt seien. Es entstehe ein klares Missverhältnis. Man müsse wohl diese Länder bitten, die Lieferfristen auf das zweite Halbjahr zu verschieben oder irgendeinen anderen Ausweg aus der entstandenen Situation suchen. Ein weiteres Beispiel: Die sowjetischen Aktiengesellschaften hätten verlangt, aus Gewinnen Waren im Wert von 33 Millionen Mark für die Ausfuhr bereitzustellen. Auf Nachfrage, ob diese Anforderung im Plan berücksichtigt sei, habe sich herausgestellt, dass dies nicht der Fall sei, die Anforderung sei zusätzlich gemacht worden. Somit müssten jetzt diese Waren in einer Summe von über 30 Millionen Mark zulasten anderer Exportverpflichtungen aufgebracht werden. Fragen zum Zustand des Außenhandels und zur Erfüllung des Export- und Importplans sollen am Dienstag dem 23. Mai, also nach ihrer eingehenden Vorausbearbeitung im [ZK-]Apparat, im Politbüro der SED besprochen werden.13 11  Auf den Sitzungen des Ministerrats der DDR, die vom 25. Mai bis 22. Juni im wöchentlichen Abstand stattfanden, wurde die Erfüllung des Export- und Importplans für 1950 nicht behandelt. 12  Möglicherweise meinte Ulbricht hier die Veröffentlichung des „Gesetz[es] über die Verbesserung der Versorgung der Bevölkerung und über die Pflichtablieferung landwirtschaftlicher Erzeugnisse im Jahre 1950 vom 22. Februar 1950“ im Neuen Deutschland am 23.  Februar auf S. 6, die von Ulbricht unterzeichnet war. In einer dem Gesetzestext vorangestellten Einleitung werden für die Erreichung der in der Landwirtschaft angestrebten Ziele neben anderen Düngemitteln 180 000 t Stickstoffdünger in Aussicht gestellt. Die Ankündigung vermehrter Düngemittellieferung wird an dieser Stelle sogleich mit einer Neuregelung der Pflichtablieferung gekoppelt: „Entsprechend der erhöhten Ergiebigkeit der Landwirtschaft wird die Veranlagung zur Pflichtablieferung landwirtschaftlicher Erzeugnisse neu geregelt.“ Die Ankündigung einer besseren Versorgung mit Düngemitteln findet sich bereits in einer Neujahrsbotschaft Piecks im Neuen Deutschland am 1. Januar 1950 (S. 2) sowie in einer Bekanntmachung von Politbürobeschlüssen zur Landwirtschaft am 20. Januar (S. 1). Der im Neuen Deutschland am 14. Mai auf S. 3–5 veröffentlichte „Entwurf einer Entschließung zur Vorlage auf dem III. Parteitag“ (vgl. Fn. 5 zu diesem Dokument) enthält in seinen Passagen zur Landwirtschaft keine Bezugnahme auf Düngemittel. 13  Am 23. Mai 1950 nahm das SED-Politbüro einen Bericht Ulbrichts zu „Fragen des Außenhandels“ „zur Kenntnis“ und beschloss, das „Politbüro der KPdSU (B) [zu



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Gen. Čujkov erinnerte Grotewohl und Ulbricht an die Ratschläge, die ihnen vom ZK der VKP (b) erteilt worden seien,14 und sagte, für ihn seien diese Ratschläge eine direkte Weisung, und er habe ihre Ausführung zu kontrollieren. Was aber die sowjetischen Aktiengesellschaften angehe, so liege deren wirtschaftliche Tätigkeit außerhalb seiner Zuständigkeit, und er bat Ulbricht, diese Fragen mit Gen. Kobulov zwecks einer für beide Seiten maximal akzeptablen Regelung abzustimmen.15 Sodann richtete Gen. Čujkov das Augenmerk Grotewohls und Ulbrichts auf die weitere Arbeit am Fünfjahrplan der Republik zur Vorbereitung des abschließenden Entwurfs für einen Beschluss des III. Parteitags der SED zum Fünfjahrplan, wobei er den Blick besonders auf die Präzisierung der wirtschaftspolitischen Aufgaben des Fünfjahrplans und der Planvorgaben richtete. So wäre es notwendig, das Programm zum Schmelzen von Gusseisen auszuweiten, wobei besonders auf die Versorgung der metallurgischen Produktion mit Koks zu achten sei, und der Abschnitt über Investitionsarbeiten müsse um ein Programm für geologische Schürfungen ergänzt werden. Dafür wäre es zweckmäßig, beim Ministerrat der DDR ein Komitee für Angelegenheiten der Geologie zu schaffen,16 welches zum Zentrum der weiteren bitten], bei der Beschaffung der folgenden Lebensmittel aus der Sowjetunion und den Volksdemokratien auf Kredit behilflich zu sein: Aus der Sowjetunion: 200 000 t Fleisch, Aus Ungarn: 13 000 t Fleisch. Aus Polen: 20 000 t Fleisch. Aus Rumänien: 3 000 t Fleisch. Aus der Sowjetunion und Polen: 24 500 t Fisch. Ferner folgende Waren, aus Ungarn: 100 000 Arbeitsschuhe. Aus der Tschechoslowakei: Lederschuhe in noch festzusetzender Menge. Aus der Sowjetunion: 8 000 t Baumwolle im Wert von insgesamt 75 Millionen Dollar.“ Vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/90. Stalin hatte am 4. Mai 1950 diese Hilfslieferungen für die Sicherung des Sieges der SED bei den bevorstehenden Wahlen (vgl. Dok. 12, Fn. 13) bestätigt und in diesem Zusammenhang erklärt: „[D]as wichtigste ist der Sieg bei den Wahlen. Wenn sie geschlagen werden, dann wird Tschuikow erneut in den Kampf ziehen müssen.“ Vgl. Treffen mit Stalin 1950, S. 575–607, hier S. 593. Zur Lieferung von Fleisch, Fetten und Fisch in die DDR erließ der Ministerrat der UdSSR am 18. Juni 1950 die geheime Verordnung Nr. 2615-1039s, zur Lieferung von Baumwolle in die DDR folgte elf Tage später die Verordnung Nr. 2818-1120s, vgl. GA  RF, f. R-5446, op. 106  sč, p. 2615, d. 492, Bl. 61–62 und ebenda, d. 493, Bl. 13 (vgl. dazu auch Dok. 43). 14  Es konnte nicht festgestellt werden, auf welche Ratschläge sich Čujkov hier bezog. 15  Bei der Verhandlung über das Wismut-Protokoll am 12. Dezember 1949 waren regelmäßige Gesprächstreffen zwischen Kobulov und Ulbricht zur Entscheidung bisher ungeklärter Fragen vereinbart worden (vgl. Dok. 7). Bei den für die Folgezeit belegten Treffen zwischen Kobulov und Ulbricht wurden auch Fragen der SAG im Allgemeinen sowie weitere anliegende Fragen besprochen (vgl. Dok. 74 und 103). 16  Als Nachfolgerin des Reichsamtes für Bodenforschung war am 1. November 1945 die „Geologische Landesanstalt in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands“ eröffnet worden. Am 19. Oktober 1950 beschloss die Provisorische Regierung der DDR, eine dem Ministerpräsidenten unterstellte Geologische Kommission zu bilden

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geologischen Erkundung und Erschließung der Vorkommen der Republik würde, die vielfältige fossile Rohstoffe benötige. Auf diesen letzten Vorschlag des Gen. Čujkov antwortete Ulbricht, gegenwärtig werde eine republikweite Konferenz von Vertretern aller mit geologischen Arbeiten befassten Institutionen einberufen mit dem Ziel, ein Gesamtbild abzuklären und eine Reihe konkreter Maßnahmen zur Entwicklung geologischer Schürf- und Erschließungsarbeiten vorzumerken.17 Gen. Čujkov sagte des Weiteren, es wäre notwendig, die Arbeitskräftebilanz zu korrigieren, und führte als Beispiel die äußerst schwierige Arbeitskräftesituation in den Betrieben der Wismut AG an, die trotz einiger Beschlüsse der DDR-Regierung bis jetzt Hunger nach Arbeitskräften hätten.18 Grotewohl bemerkte dazu, die Durchführung der Beschlüsse zur Befriedigung des Arbeitskräftebedarfs der Wismut AG habe sich deshalb etwas verzögert, weil gegenwärtig eine Gruppe von Genossen den gesamten Fragenkomplex im Zusammenhang mit der Arbeitskräftebilanz untersuche. In nächster Zeit werden diese Fragen entschieden sein,19 und die Situation in den Betrieben der Wismut AG werde bereinigt. Sodann sprach Gen. Čujkov die Notwendigkeit einer Präzisierung der Volkswirtschaftsbilanz und insbesondere der Bildung und Verteilung des Volkseinkommens an, und er machte darauf aufmerksam, dass bei Studium und Ausarbeitung der Planvorgaben für den Lebensstandard nicht vom Stand des Jahres 1936 ausgegangen werden sollte, denn das sei kein Kriterium. Der Lebensstandard müsse über das Niveau von 1936 gehoben werden. Grotewohl und Ulbricht stimmten der Meinung des Gen. Čujkov zu, und Ulbricht teilte mit, dass gegenwärtig eine Gruppe von Genossen an statistischem Material zum Lebensstandard arbeite. Gen. Čujkov richtete des Weiteren besonderes Augenmerk auf die Wichtigkeit des Abschlusses fünfjähriger Handelsabkommen zwischen der DDR einerseits und der UdSSR sowie den Ländern der Volksdemokratie und China und ihr als ausführende Organe einen Geologischen Dienst und einen Geophysikalischen Dienst nachzuordnen, vgl. BAB, DC 20-I/3/34, TOP 4, Anlage 3. 17  Eine republikweite Konferenz von Vertretern aller mit geologischen Arbeiten befassten Institutionen kam 1950 nicht zustande. Auf dem III. Parteitag der SED erklärte Walter Ulbricht am 22. Juli 1950: „Die Tätigkeit der Geologischen Anstalt muß bedeutend verbessert werden, damit die bei uns vorhandenen Steinkohlenvorkommen und die Erdölvorkommen festgestellt und erschlossen werden … Auf Grund der Aufgaben des Fünfjahrplans ist es notwendig, die geologische Forschung zu systematisieren und zu verstärken und neue Rohstoffvorkommen – Kohle, Eisenerz, Erdöl u. a. – ausfindig zu machen.“ Vgl. Neues Deutschland, 23. Juli 1950, S. 3–8, hier S. 4 und 7. 18  Den Arbeitskräftebedarf der Wismut hatte Čujkov bereits am 6. April 1950 angesprochen, vgl. Dok. 21 und dort Fn. 17. 19  Vgl. Dok. 21, Fn. 19.



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andererseits über den Export und Import von Waren höchster Wichtigkeit,20 und er regte an, ein Programm zur Popularisierung des Fünfjahrplans unter Heranziehung breiter Schichten der Öffentlichkeit und wissenschaftlicher Kräfte der Republik zu erarbeiten. Zu diesem Zweck könnten bedeutende Publizisten, Schriftsteller und Künstler herangezogen werden, es könnte der Druck von Broschüren und Plakaten organisiert werden, das Kino könnte mobilisiert werden, es könnte ein Wettbewerb über die beste Erzählung ausgeschrieben werden usw.21 Gen. Semenov bemerkte in diesem Zusammenhang, diese Arbeit zur Popularisierung des Fünfjahrplans müsse jetzt sofort beginnen, denn, wie die Erfahrung der Sowjetunion zeige, brauche es eine ziemlich lange Zeit, bis diese Leute sich eingehend mit dem Plan bekannt machen und sich in ihn vertiefen können. Grotewohl und Ulbricht unterstützten diesen Vorschlag, und Ulbricht sagte weiter, die Heranziehung von Schriftstellern zur Popularisierung des Fünfjahrplans werde ein wichtiges Mittel dafür sein, dass diese sich in ihrem Schaffen der Realität der Gegenwart und somit den großen Aufgaben zuwenden, die vom Heute und den sich eröffnenden Perspektiven gestellt werden, und nicht immer wieder ein und dasselbe Thema der Vergangenheit und des Lebens in der Emigration variieren.22 Gen. Čujkov sagte des Weiteren, dass, nachdem die Arbeit zur Präzisierung der wirtschaftspolitischen Aufgaben des Fünfjahrplans und der Planvorgaben abgeschlossen sei und der III. Parteitag die Anordnung über den Fünfjahrplan verabschiedet haben werde, die Ausarbeitung dieses Plans an 20  Der Abschluss eines Abkommens zwischen der UdSSR und der DDR über gegenseitige Warenlieferungen und deren Verrechnung bis 1955 kam erst am 27. September 1951 zustande, vgl. PA AA, MfAA V SOW 018-32. 21  Der Fünfjahrplan wurde in der DDR u. a. durch Plakate popularisiert, deren Motive auch auf Briefmarken erschienen, vgl. Sammlung des Deutschen Historischen Museums. 22  Zu den „Aufgaben“ der Schriftsteller hatte sich weder die Kulturverordnung der Deutschen Wirtschaftskommission vom 31.  März 1949 noch die am 16.  März 1950 durch den Ministerrat der DDR vorgelegte (BAB, DC 20-1/3/14) und acht Tage später durch die Volkskammer beschlossene „Verordnung zur Entwicklung einer fortschrittlichen demokratischen Kultur des deutschen Volkes und zur weiteren Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Intelligenz“ geäußert. Erst in der Entschließung des III. Parteitags der SED zu dem von Pieck vorgetragenen Rechenschaftsbericht „Die gegenwärtige Lage und die Aufgaben der SED“ heißt es: „Selbst namhafte fortschrittliche Schriftsteller, vor allem in der dramatischen Literatur, beginnen erst zögerlich Gegenwartsprobleme in ihren Werken aufzugreifen. Das Ausweichen vor der Behandlung stellt nichts anderes als ein Ausweichen vor den brennenden Fragen des Klassenkampfes dar.“ Vgl. DSED, III, S. 79–130, hier S. 118. Am 30. Dezember 1950 bekräftigte das ZK der SED noch einmal: „Auf kulturellen Gebiet ist … die Kunst in allen ihren Zweigen an die Probleme der Gegenwart heranzuführen“ (ebenda, S. 308).

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die einzelnen Branchenministerien, Länder und Betriebe weitergeleitet werden könne. Danach übergab Gen. Čujkov Grotewohl und Ulbricht ein Aidemémoire zu den oben dargelegten Fragen (ist beigefügt).23 Ulbricht teilte mit, an der Präzisierung der Planvorgaben des Fünfjahrplans werde schon gearbeitet, und das Industrie- und das Planungsministerium würden in nächster Zeit mit der Projektierung eines Eisenhüttenkombinats und mit der Ausarbeitung von Maßnahmen, die durch die Revision des Schiffbauprogramms bedingt seien, beginnen, im Hinblick darauf, dass für eine erfolgreiche Lösung dieser Aufgaben die Grundlage schon im Jahr 1950 gelegt werden müsse.24 Sodann sagte Ulbricht, für ihn sei eine Frage unklar, nämlich bis wann der endgültige Text der Resolution des Parteitags zum Fünfjahrplan vorbereitet sein müsse.25 Er persönlich würde meinen, bis zum 15. Juni. Wenn man sich die Aufgabe stelle, die endgültige Abfassung des Textes früher abzuschließen, dann müsse man wahrscheinlich hinterher Korrekturen an ihm einbringen, die als Ergebnis des Studiums spezieller Einzelfragen sowieso gemacht werden. Gen. Čujkov antwortete, hier sei wichtig, dass bis zum Parteitag alle Vorbereitungen zur Sicherstellung des vorgesehenen Programms wirtschaftlicher Maßnahmen abgeschlossen seien. Bisher sei jedoch von den deutschen Genossen noch keine Anfrage an die UdSSR und die Länder der Volksdemokratie zu Fragen der Lieferung von Fetten, Fleisch und Baumwolle an die 23  Darin hieß es in ähnlicher Weise: „1. Es ist ein abschließender Entwurf für eine Anordnung des III. Parteitags der SED zum Fünfjahrplan der Volkswirtschaft der DDR vorzubereiten, wobei besonderes Augenmerk auf die Präzisierung der wirtschaftspolitischen Aufgaben des Fünfjahrplans zu legen ist. 2. Die Planvorgaben für den Fünfjahrplan sind zu präzisieren und zu ergänzen … 3. Da den Fragen der Versorgung der Volkswirtschaft des Landes besondere Bedeutung zukommt, wird das Ministerium für Außenhandel der DDR angewiesen, unverzüglich in Verhandlungen über den Abschluss eines auf fünf Jahre angelegten Abkommens mit der UdSSR, den Ländern der Volksdemokratie und China über Export und Import hochwichtiger Güter einzutreten. 4. Es ist ein Langzeitprogramm zur Popularisierung des Fünfjahrplans auszuarbeiten, wozu breite Schichten der Öffentlichkeit und der Wissenschaft der Republik hinzuzuziehen sind. 5. Nach Verabschiedung der Planvorgaben durch den SED-Parteitag ist mit der Ausarbeitung des Fünfjahrplans auf der Ebene der Ministerien, der Länder und der Betriebe zu beginnen.“ Vgl. RGASPI, f. 17, op. 137, d. 309, Bl. 122–123. 24  Der Auf- bzw. Ausbau der Eisenhütten- und Werftindustrie wurde von Walter Ulbricht auf dem III. Parteitag 1950 das erste Mal angesprochen. Berichte dazu plante das Politbüro am 2. August ein (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/102). Zur weiteren Entwicklung der Werften in der DDR vgl. Dok. 36, Fn. 6 und 12. Den Aufbau einer „Industriestadt“ für das neue Eisenhüttenkombinat beschloss dasselbe Gremium am 14. November 1950 (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/118). Zur weiteren Diskussion um dieses Kombinat und seinen Bau vgl. Dok. 77, Fn. 18 und Dok. 83, Fn. 19. 25  Zur Ausarbeitung des Fünfjahrplans und der endgültigen Resolution des Parteitages dazu vgl. Dok. 12, Fn. 11.



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Deutsche Demokratische Republik eingegangen,26 was eng mit den Maßnahmen zur Steigerung des Lebensstandards der Bevölkerung zusammenhänge. Gen. Čujkov sagte weiter, es wäre zu wünschen, dass diese Maßnahmen in den nächsten Tagen mit einer Ausarbeitung abgeschlossen und im Politbüro der SED bestätigt würden. Nach sowjetischer Meinung müssten auch solche Fragen angedacht werden wie die Einbeziehung der DDR in den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe,27 die Ausweitung der Produktionskapazitäten für den Hochseeschiffbau, die Organisation des Flugzeugmotorenbaus und die Nutzung der Erze von Krivoj Rog zum Schmelzen von Gusseisen in der DDR. An der Ausarbeitung dieser Fragen könne sich seitens der SKK Gen. Koval’28 mit seinem Apparat beteiligen, unter Beibehaltung der bisher bestehenden Regelung der Zusammenarbeit (ein von Gen. Čujkov an Grotewohl und Ulbricht übergebenes Aide-mémoire zu diesen Wirtschaftsfragen ist beigefügt).29 26  Vgl. Fn. 13 zu diesem Dokument. Wann die Anfragen an die übrigen Länder gestellt wurden und ob diese Lieferungen tatsächlich erfolgten, konnte nicht ermittelt werden. 27  Vgl. Dok. 37 und dort Fn. 3–5. 28  Konstantin Ivanovič Kovalʼ, der vor und nach der deutschen Kapitulation 1945 als Bevollmächtigter des Sonderkomitees für Deutschland die massenhafte Demontage von Industrieanlagen in der SBZ und Berlin leitete, hatte seit Ende 1945 die Verantwortung für die Wirtschaft im sowjetischen Teil von Deutschland übernommen. Er verblieb ungewöhnlich lange auf seinem Posten und arbeitete unter allen Obersten Chefs der SMAD. Wahrscheinlich ohne Wissen von Čujkov wurde in Moskau zum Zeitpunkt dieses Gesprächs seine Ablösung vorbereitet, vgl. die Anordnung des Ministerrats der UdSSR Nr. 2370-913s vom 30.  Mai 1950, in: GA  RF, f. R-5446, op. 106 sč, d. 489, Bl. 55. 29  Das mit „Einige akute Wirtschaftsfragen“ überschriebene Aide-mémoire lautete: „1. Bislang sind an die UdSSR und die Länder der Volksdemokratie keine entsprechenden Anfragen zur Frage der Lieferung von Fetten, Fleisch und Baumwolle an die Deutsche Demokratische Republik gerichtet worden. Da dieser Frage eine außerordentlich große und akute Bedeutung zukommt, ist es dringend erforderlich, die Abgabe von Angeboten zu beschleunigen. 2. Bis jetzt ist das volle Programm der wirtschaftlichen Maßnahmen, deren Durchführung zu den Wahlen zu wünschen wäre, noch nicht bestätigt worden. Unserer Meinung nach wäre es wünschenswert, diese Maßnahmen in den nächsten Tagen abschließend auszuarbeiten und im Politbüro der SED zu bestätigen und darin die genannten Fett-, Fleisch- und Baumwolllieferungen aus der UdSSR und den Ländern der Volksdemokratie, Preissenkungen, vollständige Auslieferung der auf Lebensmittelkarten zu beziehenden Waren, Erhöhung des Warenangebots in Lebensmittel- und Konsumwarengeschäften sowie Lohnerhöhungen vor allem für Arbeiter vorzusehen. 3. Unserer Meinung nach wäre es zweckmäßig, eine Gruppe verantwortlicher Genossen zu beauftragen, folgende Fragen vorzubereiten: a) Einbeziehung der DDR in den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe, b) Ausweitung der Produktionspotentiale im Hochseeschiffbau, c) Organisation des Flugzeugmotorenbaus, d) Einsatz von Erz aus Krivoj Rog zum Schmelzen von Roheisen in der DDR. Von Seiten der SKK kann an der Vorbereitung dieser Vorschläge Gen.

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Ulbricht antwortete, Vorschläge zur Senkung der Preise und zur Erhöhung der Lebensmittelrationen lägen ihnen schon vor. Was aber die Regelung der Zusammenarbeit bei der Ausarbeitung der von Gen. Čujkov angesprochenen Fragen angehe, so sei vollkommen klar, dass sie so bleiben müsse wie bisher. Ulbricht bemerkte weiter, alle diese Fragen könne man sehr schnell bearbeiten, dafür würde es reichen, wenn er, Ulbricht, sie zusammen mit Gen. Koval’ anspreche. Aber dann werde der Staats- und Parteiapparat der DDR, so Ulbricht, niemals zu arbeiten lernen; wenn man jedoch den Apparat zu dieser Arbeit heranziehe, dann müsse ein etwas größerer Zeitrahmen gewährt werden. Grotewohl teilte außerdem mit, das Politbüro habe beschlossen, die nächste [Preis-]Senkung im kommerziellen Handel terminlich an das Deutschlandtreffen der Jugend zu binden.30 Diese Senkung werde geringfügig ausfallen (10 bis 20 Prozent). Eingedenk des von Gen. Čujkov bei einem der Gespräche gemachten Vorschlags, die Senkung der Preise in mehreren Etappen vorzunehmen, habe das Politbüro beschlossen, die nächste Hauptetappe der Preissenkung zum 1. September durchzuführen.31 Gen. Čujkov stimmte Ulbricht und Grotewohl zu und ging zu der Frage über, wie junge Kader zu Führungsarbeit in der Republik eingesetzt werden können. Gen. Čujkov sprach von schwacher Beförderung junger Kader auf verantwortliche Posten und machte in diesem Zusammenhang Grotewohl und Ulbricht darauf aufmerksam, dass sich weder der Verkehrsminister noch sein Staatssekretär bequemt hätten, zum Kongress der Eisenbahnaktivisten32 zu reisen, auf dem so wichtige Fragen wie die Einsparung von Treibstoff, die Erhöhung der Laufleistung von Lokomotiven u. a. erörtert worden seien; dabei hätte ihre Teilnahme an der Arbeit des Kongresses einen weiteren Impuls für die Entwicklung der Aktivistenbewegung im Verkehrswesen und für die Koval’ unter Hinzuziehung entsprechender Spezialisten teilnehmen.“ Vgl. RGASPI, f. 17, op. 137, d. 309, Bl. 124. 30  Vgl. Dok. 25, Fn. 19. 31  Das Politbüro hatte Preisfragen am 16.  Mai 1950 besprochen und dabei neue HO-Preise für Fleisch, Fette, Eier, Milch und Brötchen bestätigt (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/89). Zu den Preissenkungen von 1950 und zur Berichterstattung darüber im Neuen Deutschland vgl. Dok. 17, Fn. 11 und Dok. 27, Fn. 11, 12, 20 und 21. Zum Vorschlag Čujkovs betr. mehrfacher schrittweiser Senkung vgl. ebenfalls Dok. 27. 32  In seiner Einladung an Reingruber vom 9. Mai 1950 hatte der Generaldirektor der Reichsbahn Kreikemeyer das Treffen der Eisenbahnaktivisten wie folgt angekündigt: „Am 12.5.1950 um 9 Uhr findet in der Generaldirektion Reichsbahn, Berlin W 8, Voßstr. 33 (Speisesaal) ein Erfahrungsaustausch über den vom Neuen Deutschland ausgeschriebenen 500er Wettbewerb statt, an dem die am Wettbewerb beteiligten Lokomotivpersonale teilnehmen. Unter Hinweis auf die Wichtigkeit der Besprechung wird um Ihre gefl. Teilnahme gebeten.“ Vgl. BAB, DM 1/3406. Das Neue Deutschland berichtete am 14. Mai 1950 auf S. 5 und 7 von der Konferenz.



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Zunahme junger Kader geben können. Gen. Čujkov teilte mit, er habe an Verkehrsminister Reingruber einen Brief geschickt,33 in dem er die Erfolge junger Eisenbahner gewürdigt habe und in gebührender Form seine Verwunderung darüber ausgedrückt habe, dass sich weder der Minister noch sein Staatssekretär an der Arbeit des Kongresses beteiligt hätten. Des Weiteren ging Gen. Čujkov darauf ein, dass noch immer ungesunde Beziehungen zwischen den Umsiedlern und den einheimischen Bewohnern der Republik bestünden, außerdem sprach er eine Reihe von Mängeln in der Arbeit der lokalen Verwaltungen an und übergab den Parteivorsitzenden ein Aide-mémoire zu diesen Fragen (ist beigefügt).34 33  Das vom 16.  Mai 1950 datierte Schreiben Čujkovs an Reingruber und Kreikemeyer wurde am 19.  Mai in der Generaldirektion der Deutschen Reichsbahn übersetzt. Čujkov rühmte die „Lok-Aktivisten“, die vermehrt Schwerlastzüge gefahren, den Gütertransport gesteigert und zugleich Lokomotiven freigestellt und Kohle eingespart hätten. „Die schöpferische Initiative des Lokpersonals … fand in der neuen bewunderungswürdigen Bewegung der Lokführer für 500 km Tageslaufleistung ihren Ausdruck … Diese bedeutenden Erfolge der Aktivisten des Eisenbahnverkehrs haben in der Praxis gezeigt, was die ‚Erklärungen‘ der westdeutschen Reaktionäre und ihrer anglo-amerikanischen Herren wert sind, die da voraussagten, daß der Eisenbahnverkehr und insbesondere die Lokwirtschaft in nächster Zeit zusammenbrechen werden … Die aus dem Volke hervorgegangene Bewegung der Aktivisten bedarf der ständigen Unterstützung und Hilfe von Seiten des leitenden und ingenieur-technischen Personals … Die abgehaltene Besprechung der Lok-Aktivisten, an der Sie und der Staatssekretär leider nicht teilgenommen haben, offenbarte das Vorhandensein gewaltiger, unermeßlicher Reserven und großer Möglichkeiten für die weitere Entwicklung des Wettbewerbs der Aktivisten in allen Zweigen des Verkehrswesens.“ Vgl. BAB, DM 1/3406. Nach einer Unterredung mit Grotewohl am 22.  Mai räumte Reingruber in einem Schreiben vom 24. Mai an Grotewohl ein: „Den Vorwurf, der … mir und meinem Staatssekretär dahingehend gemacht wird, daß wir an dem Erfahrungsaustausch der Lokaktivisten … nicht teilgenommen haben, erkennen ich und mein Staatssekretär als berechtigt an.“ Zugleich forderte er jedoch von den Generaldirektoren der Reichsbahn, er müsse „in Zukunft detailliert und rechtzeitig unter Hinweis auf die besondere Wichtigkeit derartiger Konferenzen benachrichtigt werden“, und verwies auf sein sonstiges Engagement für die Aktivistenbewegung (vgl. ebenda). 34  Die DDR und die sowjetische Besatzungsmacht bezeichneten die Vertriebenen als „Umsiedler“. Das Aide-mémoire lautete: „Auf den Rechenschaftsversammlungen der lokalen Behörden im März-April d. J. hat die Bevölkerung zu Recht einzelne Unzulänglichkeiten in der Arbeit des Staatsapparats kritisiert. Viele Umsiedler äußerten sich unzufrieden mit der Arbeit der für ihre Versorgung mit Wohnungen, Möbeln und Gemüsegärten zuständigen Behörden, und sie wiesen auf das Bestehen ungesunder Beziehungen zwischen den Einheimischen und den Umsiedlern hin. Kritisiert wurden Mängel auf dem Gebiet des Schulbaus und der Versorgung der Schüler mit Schuhen und der Lehrer mit Wohnungen. Es wurde konstatiert, dass in einigen Polikliniken die Patienten stundenlang Schlange stehen müssen, um zum Arzt ins Sprechzimmer zu kommen, und dass in der Republik die Herstellung chirurgischer Instrumente nicht organisiert ist. Die Bauern verwiesen auf die schlechte Arbeit der landwirtschaft­ lichen Genossenschaften hinsichtlich der Versorgung mit Mineraldüngern und der Organisation des Austausches von Saatgut. Viele Bauern aus Mecklenburg und Sach-

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Gen. Semenov teilte Grotewohl und Ulbricht mit, dass die sowjetische Regierung beschlossen habe, der Regierung der DDR die Funktionen des Schutzes und der Verwaltung ausländischen Vermögens auf dem Territorium der Republik zu übertragen,35 und er verlas den Entwurf eines Protokolls zu dieser Frage und ein kurzes Kommuniqué, wobei er anmerkte, dass die Formulierungen des Protokolls milder gewählt worden seien als diejenigen, die in der Proklamation Nr. 2 des Kontrollrats36 enthalten seien. Ulbricht fragte in diesem Zusammenhang, ob die Rede von ausgewiesenem Vermögen sei oder ob das Eigentum an diesem Vermögen noch nachgewiesen werden müsse. Gen. Semenov antwortete, die sowjetischen Behörden würden der Regierung die gesamte Korrespondenz und die in ihrer Verfügung befindlichen sen-Anhalt äußerten berechtigten Unmut darüber, dass sie bislang kein Geld für die im Herbst 1949 verkauften Agrarprodukte erhalten haben. Auf den Rechenschaftsversammlungen wurden etliche wertvolle Vorschläge zur Beseitigung der aufgedeckten Mängel und zur Verbesserung der Arbeit der lokalen und zentralen Behörden eingebracht. Aber niemand aus den deutschen Organen verallgemeinert die Ergebnisse dieser Versammlungen und trifft Maßnahmen zur Korrektur der aufgedeckten Mängel. Um die Verbindungen der Organe der Staatsmacht mit der Bevölkerung zu festigen und das Ansehen dieser Organe im Volk zu erhöhen, sowie um die breiten Massen der Bevölkerung vor den bevorstehenden Wahlen auf die Seite der Partei zu ziehen, würden wir für erforderlich halten: 1. Die einschlägigen Abteilungen des ZK der SED und die Ministerien der Republik sind anzuweisen, die Ergebnisse der Rechenschaftsversammlungen der lokalen Behörden zusammenzufassen, die politischen Stimmungen der verschiedenen Bevölkerungsschichten auf diesen Versammlungen zu verallgemeinern, alle dort eingebrachten Vorschläge zu studieren und einige Maßnahmen zur Realisierung dieser Vorschläge vor den diesjährigen Wahlen vorzumerken. 2. Die Landes- und Bezirksleitungen der SED, die Landtage und die Oberbürgermeister sind anzuweisen, konkrete Maßnahmen zur Realisierung der auf den Rechenschaftsversammlungen im Land, im Bezirk, im Dorf und in der Stadt eingebrachten Vorschläge der Bevölkerung vorzumerken, wobei seitens der zentralen Behörden eine sorgfältige Kontrolle ihrer Durchführung vor den Wahlen 1950 einzurichten ist.“ Vgl. RGASPI, f. 17, op. 137, d. 309, Bl. 125–126. 35  Schon am 26.  Dezember 1949 hatte Vyšinskij an Stalin einen in der SKK ausgearbeiteten Entwurf einer Anordnung des Ministerrats der UdSSR übermittelt, der vorsah, die Kontrolle über das ausländische Eigentum auf dem Gebiet der DDR im Gesamtwert von 2,137 Milliarden Mark dem „deutschen Staat“ zu übergeben (vgl. AVP RF, f. 07, op. 23a, d. 170, Bl. 3). Diese Anordnung war unter der Nr. 1721-669s in Moskau am 27.  April 1950 verabschiedet worden (vgl. GA  RF, f. R-5446, op. 106  sč, d. 484, Bl. 47). Auf dieser Grundlage wurde am 20.  Juni 1950 das von Semenov verlesene Protokoll durch die Finanzminister beider Staaten unterzeichnet (vgl. PA AA, MfAA A, Bd. 1453, Bl. 9). 36  Die am 20. September 1945 verabschiedete Kontrollratsproklamation Nr. 2 „Zusätzliche an Deutschland gestellte Forderungen“, regelte allumfassend in Abschnitt V, Paragraph 16 und in Abschnitt VI, Paragraph 19 den Schutz des Eigentums der Vereinten Nationen in Deutschland sowie des dort befindlichen Eigentums der Personen und Staaten, mit denen sich die Vereinten Nationen im Krieg befunden hatten.



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Akten übergeben. Demzufolge werde das Eigentum an dem Vermögen genau festgestellt werden müssen. Der Protokollentwurf und das Kommuniqué werden den deutschen Genossen zugeschickt, damit sie sich eingehend damit bekannt machen und ihre Anmerkungen machen können. Danach teilte Gen. Semenov Grotewohl und Ulbricht seine Anmerkungen zum Entwurf eines deutsch-tschechoslowakischen Abkommens über kulturelle Zusammenarbeit37 mit und bemerkte, dieses Dokument sei von den zuständigen Stellen studiert worden, und es wäre wünschenswert, vor seiner Abstimmung mit Moskau die Meinung der deutschen Genossen zu hören. Gen. Semenov machte Grotewohl und Ulbricht darauf aufmerksam, dass dieses Dokument in politischer Hinsicht zahnlos sei, es enthalte keine scharfe politische Ausrichtung. So werde beispielsweise in Artikel 1a, in welchem die Rede vom Engagement gegen die von anderen Ländern betriebene Diskriminierungspolitik sei, nicht einmal gesagt, von welchen Ländern eine solche Politik betrieben werde.38 Die zweite Anmerkung betreffe die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit, hier bestehe die Gefahr des Abfließens von Produktionsgeheimnissen nach Westen, deshalb wäre es erforderlich, diese Frage sorgfältig abzuwägen. Ferner sei in dem Entwurf des Abkommens die Rede von der Bildung ständiger bilateraler Kommissionen für Verkehr, Finanzen usw. Die Erfahrungen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der UdSSR und den Ländern der Volksdemokratie hätten gezeigt, dass die akzeptabelste und effektivste Form bilaterale Verhandlungen zwischen den jeweiligen Behörden beider Seiten in jedem einzelnen Fall seien. Grotewohl antwortete darauf, der Entwurf des Abkommens sei vom ZK der KP der Tschechoslowakei geschickt worden39 und enthalte mehr politische Deklamation als konkreten Inhalt, und er bat Gen. Semenov, seine Anmerkungen in schriftlicher Form zu machen. In diesem Zusammenhang sagte Ulbricht, gegenwärtig werde ein Abkommen über kulturelle Zusammenarbeit mit der Republik Polen vorbereitet, aber hier sei die Situation etwas anders als mit der Tschechoslowakei. Dieses 37  Zur Unterzeichnung des „Protokoll[s] über die kulturelle Zusammenarbeit“ und des „Abkommen[s] über technische und wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit“ mit der Tschechoslowakei am 23. Juni 1950 vgl. Dok. 20, Fn. 3. 38  Offensichtlich wurde bereits hier nicht das „Protokoll über kulturelle Zusammenarbeit“, sondern der tschechoslowakische Entwurf eines „Abkommens über die wirtschaftliche Zusammenarbeit“ diskutiert (vgl. Dok. 23, Fn. 7), der in abgeänderter Form in das an 23. Juni 1950 geschlossene „Abkommen über technische und wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit“ einging (vgl. Dok. 20, Fn. 3). Im letztgenannten Abkommen waren „die imperialistischen Staaten“ als Urheber einer „Politik der Diskriminierung“ benannt, die in dem vorangegangenen Entwurf unter Artikel I a) lediglich „einigen Staaten“ zugeschrieben wurde. 39  Vgl. Dok. 23 und dort Fn. 7.

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Abkommen sei bis in alle Einzelheiten von verschiedenen gemischten deutsch-polnischen Kommissionen vorbereitet worden. Ulbricht schlug vor, die Abkommen mit der Tschechoslowakei und Polen so vorzubereiten, dass sie gleichzeitig abgeschlossen werden könnten.40 Sodann sprach Gen. Semenov die Frage nach dem Verlauf der Friedenskampagne an, der Sammlung von Unterschriften unter den Appell des Ständigen Komitees des Weltfriedenskongresses,41 und er machte auf Mängel dieser Arbeit in der DDR aufmerksam, wo sie an einigen Orten formell, ohne die nötige Aufklärungsarbeit stattgefunden habe, und in Westdeutschland, wo auf dem Unterschriftenbogen nicht der Text des Appells des Ständigen Komitees, sondern ein anderer, von den deutschen Genossen selbst verfasster Text abgedruckt gewesen sei. Ulbricht antwortete darauf, die Kampagne zur Unterschriftensammlung habe in Westdeutschland schon zwei Monate früher begonnen, also zu einem Zeitpunkt, als der Text des Appells noch nicht bekannt war. Jetzt würden diese Bögen eingezogen und die Lage werde bereinigt. Um diese Fragen kümmere sich jetzt Dahlem im Auftrag des Politbüros der SED. Gen. Semenov sagte des Weiteren, er möchte, um die Gefahr eines Einschlafens dieser Friedenskampagne in der DDR abzuwenden, die folgende Variante einer Fortsetzung der Kampagne nach dem Abschluss der Unterschriftensammlung unter den Appell des Ständigen Komitees des Weltfriedenskongresses in der DDR der Aufmerksamkeit der Parteivorsitzenden empfehlen: Es gebe den Vorschlag, einen Appell an das deutsche Volk zu veröffentlichen mit dem Aufruf zur weiteren Entfaltung des Friedenskampfes und zur Entlarvung der Kriegshetzer, die Westdeutschland in einen neuen Krieg hineinziehen wollen. Einen solchen Appell an das deutsche Volk könnten die Regierungsmitglieder der DDR, die Parteiführer, prominente Personen des öffentlichen Lebens, herausragende Kulturschaffende, Schriftsteller usw. unterzeichnen.42 Um diesen Appell herum könnte eine breit angelegte Arbeit entfaltet werden, dazu müssten alle Mittel genutzt werden: Radio, Presse, Losungen, Spruchbänder und sogar Kohlebriketts mit Friedenslosungen. Entlang der Straße Berlin-Helmstedt könnte man überall solche Spruch40  Zum

getrennten Abschluss der Abkommen vgl. Dok. 20, Fn. 6. Reaktion der SED-Führung auf den Stockholmer Appell vgl. Dok. 21, Fn. 13, zur Unterschriftensammlung vgl. Dok. 30, Fn. 8. 42  Der von Semenov vorgeschlagene Appell an das deutsche Volk kam nicht zustande. Die nächste größere im Namen der DDR-Regierung geführte gesamtdeutsche Kampagne war der sogenannte Grotewohl-Brief, vgl. zu dessen Entstehung Dok. 54 und dort Fn. 5. Die im Folgenden von Semenov vorgeschlagenen Aktionen zur Fortsetzung der Friedenskampagne nach der Unterschriftensammlung zum „Stockholmer Appell“ unterhalb der Regierungsebene gingen in den Beschluss des SED-Politbüros „[ü]ber die Verstärkung des Kampfes für den Frieden“ vom 20. Juni 1950 ein, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/95, TOP 14, Anlage 16. 41  Zur



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bänder und Losungen aufhängen. Gen. Semenov machte Grotewohl und Ulbricht darauf aufmerksam, dass der Kampf der deutschen Arbeiterklasse und die Entfaltung des Friedenskampfes in Deutschland von großer internationaler Bedeutung seien. Grotewohl und Ulbricht stimmten diesem Vorschlag zu. Ulbricht merkte an, es sei auch der Vorschlag gekommen, ein Ständiges Jugendkomitee für den Friedenskampf zu gründen und alljährlich einen Gesamtdeutschen Jugendkongress abzuhalten. Das könne man machen, aber er (Ulbricht) sei nicht ganz damit einverstanden, den Jugendkongress – wie vorgeschlagen – jedes Jahr zu Pfingsten abzuhalten. Die Situation verändere sich, und deshalb sollten die Tage der Abhaltung des Kongresses nicht schon vorher genau festgelegt werden, sondern je nach der Situation, wie sie sich in jedem Jahr ergeben habe. Sodann teilte Gen. Semenov Grotewohl und Ulbricht mit, es gebe einen Beschluss über die Übergabe des Sowjetischen Kulturhauses in Berlin und seiner zwei ebenfalls in Berlin befindlichen Filialen an die Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft.43 Im Einzelnen seien diese Fragen mit Gen. Bakulin abzustimmen. Auf die Frage, wer von deutscher Seite die Arbeit zur Übernahme der Kulturhäuser leiten werde, antwortete Ulbricht, das werde Heymann sein, der Leiter der Kulturabteilung des Parteivorstands der SED. Ulbricht sagte weiter, man werde das Haus der Kinder in Lichtenberg (Berlin) an die Organisation der Jungen Pioniere übergeben und es werde dann zum Zentralen Haus des jungen Pioniers der Republik, das die Pionierarbeit vor Ort organisatorisch und methodisch lenken werde. In diesem Zusammenhang bat er Gen. Semenov, die dort arbeitenden Kader, wenn möglich, dort zu belassen. Gen. Semenov antwortete, die Mitarbeiter der Informationsabteilung würden auch weiterhin der Organisation der Jungen Pioniere helfen.

43  Gemeint waren: das „Haus der Kultur der Sowjetunion“ (das frühere Palais am Festungsgraben), das seit 1950 als „Haus der deutsch-sowjetischen Freundschaft“ genutzt wurde, das Gebäude der ehemaligen Singakademie am Kastanienwäldchen, das bis 1950 Teil des „Hauses der Kultur der Sowjetunion“ war und seit 1950 als Maxim-Gorki-Theater genutzt wurde, und der 1910/11 errichteten Gebäudekomplex der höheren Knabenschule (Gymnasium) in der Berliner Parkaue 23–29, in dem auf Befehl Nr. 65 der SMAD vom 30.  Juni 1948 ein „Haus der Kinder“ als Filiale des Hauses der Kultur der Sowjetunion eingerichtet worden war. Es wurde am 25. Mai 1950 an die DDR übergeben, die dort das „Zentralhaus der Jungen Pioniere“ und das „Theater der Freundschaft“ einrichtete, das am 16. November 1950 eingeweiht wurde. Ein Schreiben von Čujkov an Grotewohl zu diesem Anlass wurde am 24.  Mai in Neuen Deutschland auf S. 1 veröffentlicht. Auf welchen Beschluss sich Semenov hier bezog, konnte nicht geklärt werden. Weder das Politbüro der VKP (b) noch der Ministerrat der UdSSR fassten zu dieser Frage einen Beschluss.

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Grotewohl bemerkte, ein ebensolches Organisations- und Leitungszentrum für die Arbeit der Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft solle das jetzige Haus der Kultur in Berlin werden. Sodann machte Gen. Semenov Grotewohl und Ulbricht darauf aufmerksam, dass die politisch schwache gegenwärtige Führung der zum jetzigen Zeitpunkt über eine Million Mitglieder zählenden Gesellschaft für deutschsowjetische Freundschaft nicht fähig sei, eine solche Massenorganisation zu leiten und dass sich deshalb die Frage einer Ablösung der Führung der Gesellschaft stelle, und er betonte, es wäre wünschenswert, die Zusammensetzung der Führung unter dem Gesichtspunkt ihrer nationalen Zugehörigkeit44 auszutauschen. In diesem Zusammenhang fragte Gen. Semenov die Parteivorsitzenden, was sie von dem Vorschlag hielten, Ackermann an die Spitze der Gesellschaft zu stellen. Ulbricht antwortete, die Notwendigkeit eines Wechsels in der Führung der Gesellschaft sei ihnen schon lange klar. Seinerzeit habe Gen. Tjul’panov vollkommen recht gehabt, als er diejenigen, die an der Spitze der Gesellschaft stehen und sich in deren Umfeld betätigen, als englische Kolonie charakterisiert habe. Aber eine Kandidatur Ackermanns für den Posten des Präsidenten der Gesellschaft sei nicht ganz passend, denn an die Spitze der Gesellschaft müsse man eine Person stellen, in deren Erscheinungsbild zumindest eine „Nuance von Überparteilichkeit“ enthalten sein müsse. Außerdem müsse eine solche Person einen bekannten Namen haben. Grotewohl und Ulbricht versprachen, über eine Kandidatur für die Ablösung Kuczynskis nachzudenken. Gen. Semenov übergab sodann den Parteivorsitzenden ein Aide-mémoire über die unrichtigen Darstellungen, zu denen es das Haus des Rundfunks in einer Sendung über den Briefaustausch zwischen Gen. Stalin und Otto Grotewohl zur Frage der Senkung der Reparationen habe kommen lassen.45 Sodann fragte Gen. Semenov die Parteivorsitzenden, wie die Lage im Fall Sindermann sei. Laut vorliegenden Kenntnissen halte Sindermann noch immer Vorträge, obwohl die Materialien, die ihn der Auslieferung von Antifaschisten beschuldigen,46 noch nicht ausgewertet seien.

44  Diese Organisation wurde seit 1947 durch Jürgen Kuczynski geleitet, auf dessen „jüdische Nationalität“ Semenov hier offensichtlich anspielte. Am 6. Juni 1950 fasste das SED-Politbüro den Beschluss: „Der Genosse Fritz Ebert wird als Präsident der Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft anstelle des Genossen Jürgen Kuczynski eingesetzt [gestrichen und dafür: ‚vorgeschlagen‘]. Der Genosse Jürgen Kuczynski soll freigestellt werden, um sich seinen schriftstellerischen und wissenschaftlichen Aufgaben intensiver zu widmen.“ Vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/93. 45  Das Aide-mémoire von Semenov ist in der Akte nicht überliefert. 46  Zu Sindermann vgl. Dok. 25, Fn. 51.



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Ulbricht antwortete, er habe über diese Frage mit Matern gesprochen. Matern habe mitgeteilt, die in den Gestapo-Dokumenten dargelegten Fakten entsprächen der Wirklichkeit, und die Prozessmaterialien würden eine noch größere Schuldzuweisung gegen Sindermann bekräftigen. Matern habe versprochen, den Fall Sindermann binnen einer Woche abzuschließen. Was aber die Vorträge betreffe, so habe er (Ulbricht) einige davon schon stillschweigend verhindert, aber Sindermann ganz zu verbieten, Vorträge zu halten, sei nicht ratsam, denn Sindermann wisse noch von nichts. Des Weiteren fragte Gen. Semenov die Parteivorsitzenden nach einem Brief westdeutscher Industrieller.47 Ulbricht antwortete, es handele sich um eine Gruppe des Wolff-Konzerns48 und einiger weiterer Konzerne Westdeutschlands. Der Konzern Mannesmann sei in dieser Gruppe nicht vertreten, aber sein Generaldirektor Zangen sei an diesem Spiel offenbar beteiligt, ziehe es aber vor, im Hintergrund zu bleiben. Ein Teil der Großindustriellen gehe mit Adenauer und unterstütze die Verschmelzung des Ruhrgebiets und Lothringens49 zu einem riesigen Arsenal für die Vorbereitung eines neuen Krieges, während der andere Teil eine weitere Vertiefung der Krise und das Heraufziehen eines Unwetters verspüre und schon jetzt alternative Positionen suche. Den westlichen Industriellen gehe es um den Abschluss von Geschäften, aber zugleich betrieben sie eine gewisse politische Sondierung. Im Wissen darum, dass die Krise unerbittlich dazu zwingen wird, mit ganzer Kraft die Frage der Einheit Deutschlands aufzuwerfen, seien sie bemüht, bei den Verhandlungen abzutasten, wie wir uns den künftigen Weg zur Einheit denken. Interessanterweise stehe Blücher, der für den Marshallplan50 zuständige Minister in der Bonner Regierung, bei diesen Verhandlungen nicht abseits. Er sei kürzlich in den USA gewesen. Möglicherweise kommen im westlichen Lager schon jetzt 47  Ein Brief westdeutscher Industrieller vor dem 17. Mai 1950 an ostdeutsche Stellen konnte in deutschen Archiven nicht ermittelt werden. Zum Interesse westdeutscher Industrieller an Kontakten zur DDR vgl. Dok. 25 und dort Fn. 23, Dok. 34, Fn. 2 sowie Dok. 39. 48  Gemeint ist der Otto-Wolff-Konzern, der seit 1940 von Otto Wolff von Amerongen geleitet wurde. Wolff verfügte seit der Vor- bzw. Kriegszeit über Kontakte zu Hans Kroll, der seit dem 4. Mai 1950 Ständiger Delegierter der Bundesrepublik Deutschland bei den Embargo-Ausschüssen in Paris und später Leiter der Gruppe West-Ost und Interzonenhandel im Bundesministerium für Wirtschaft war, und zu Semenov, dem er im November 1940 auf einem Empfang seines Unternehmens im Kaiserhof zum ersten Mal begegnet war, vgl. Jochen Thies, Otto Wolff von Amerongen: Kundschafter der Marktwirtschaft, in: Peter Danylow und Ulrich S. Soénius (Hrsg.), Otto Wolff. Ein Unternehmer zwischen Wirtschaft und Politik, Berlin 2005, S. 385–436, hier S. 391. Angeblich machten aber die Umsätze mit der UdSSR in den Jahren 1951 und 1952 nur einige hunderttausend Mark aus, vgl. ebenda, S. 406. 49  Vgl. dazu den Schuman-Plan (Dok. 39, Fn. 25). 50  Zum Marshallplan vgl. Dok. 10, Fn. 7.

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Widersprüche auf, von denen wir noch nichts wissen und die Blücher veranlassen, einen Ausweg aus der Situation zu suchen. Jedenfalls sei die Rede Blüchers51 sehr symptomatisch. Ulbricht bemerkte weiter, diese Leute würden danach streben, sich mit Mitgliedern der Regierung sowie mit Gen. Semenov zu treffen. Empfangen werde man sie wohl müssen.52 Ulbricht sprach 51  Es ist nicht klar, auf welche Rede Blüchers Ulbricht genau anspielt. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung gab am 3. April 1950, S. 1, eine Rede Blüchers auf einer Kundgebung der DVP in Stuttgart wieder. Blücher warnte dort davor, „einen Kreuzzug gegen Rußland zu predigen. Was in den Gebieten der russischen Souveränität vorgehe, dürfe nicht interessieren. Westdeutschland müsse eine Politik des Friedens und der Wiedervereinigung betreiben … Jeder Schritt, der Deutschland in das gleichberechtigte Verhältnis der Völker führe, sei ein Schritt zum Frieden. Nur die baldige Vereinigung der europäischen Nationen könne den Kontinent vor großen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Gefahren bewahren. Er hoffe, daß der amerikanische Druck auf die europäische Vernunft sich so verstärken werde, daß man mit realen Ergebnissen rechnen könne.“ Die Berliner Zeitung meldete am 4. Mai 1950 auf S. 5 Warnungen Blüchers vor dem Rückgang des deutschen Osthandels. Wörtlich habe der Minister erklärt: „Ich will sehr deutlich sagen, daß nach meiner Überzeugung der Rückgang des deutschen Warenverkehrs mit den östlich und südöstlich angrenzenden Völkern auf ein Fünftel des Vorkriegsumfanges sehr ernst ist und daß gerade deshalb die Intensivierung des Absatzes im Osten neben anderen Erdteilen so wichtig ist.“ 52  In deutschen Quellen gibt es zwar Hinweise auf die Gesprächsbereitschaft Blüchers gegenüber Ost-Berlin, aber trotz der sowjetischen Einwilligung (vgl. Dok. 34) keinen Beleg für das Zustandekommen persönlicher Kontakte bereits im Sommer 1950. Dagegen erhielt die sowjetische Seite bereits im Frühjahr inoffizielle Informationen ihrer Kontaktleute in der Bundesrepublik über von Adenauers Linie stark abweichende Ansichten Blüchers. Aus einem auf den 24. April 1950 datierten anonymen Bericht eines Gewährsmannes (der als „guter Kenner gesamtdeutscher Fragen“ über Ansehen in der Bundesrepublik und aus der Zeit des Volksrats über Kontakte zur SED verfügte), welcher im Mai 1950 der internationalen Abteilung des ZK der VKP (b) vorlag, geht hervor, dass der Vizekanzler in einem privaten Gespräch mit FDP-Parteifreunden Gedanken in Bezug auf die Politik entwickelt habe, „die seines Erachtens nunmehr in Westdeutschland gemacht werden muss. So ist Blücher der Ansicht, dass Westdeutschland getrennt von Ostdeutschland in spätestens 2 bis 3 Jahren keine Lebensmöglichkeit mehr hat.“ Blücher habe bei dieser Gelegenheit erklärt: „Es muss unter allen Umständen versucht werden, von Westdeutschland aus mit dem Osten ins Gespräch zu kommen. Grundsatz sei vor allen Dingen einmal, unsererseits … eine Zusammenführung von West- und Ostdeutschland zu erreichen.“ Der Gewährsmann berichtete seinen sowjetischen Auftraggebern auch von einer wahrscheinlich vorangegangenen Unterhaltung mit August Hoppe (einem Journalisten des NWDR) und mit dem früheren Diplomaten (und künftigen bundesdeutschen Botschafter in Moskau) Hans Kroll, die beide in engem Kontakt zu Blücher gestanden hätten, und erklärte: „Wir glauben, dass weder Bonn noch [Ost-]Berlin [die] deutsche Einheit wirklich wollen.“ Kroll habe dabei den Wunsch nach einer Aussprache mit einer maßgeblichen russischen Stelle in Karlshorst geäußert. Zu diesem Zweck hätten beide ihre Vorstellung für eine für die UdSSR akzeptable Wiedervereinigung der beiden „Reichsteile“ dargelegt, vgl. RGASPI, op. 137, d. 345, Bl. 2–9. Nach sowjetischen Unterlagen kam es erst im Juli 1951 zu einem Gespräch mit Blücher. Laut ei-



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sich dafür aus, diese Verhandlungen fortzusetzen, ohne ihnen irgendeine politische Färbung zu geben. Zu verlieren habe man nichts, sagte Ulbricht, aber gewinnen könne man im Hinblick auf den angespannten Metallbedarf einiges. Zum Abschluss der Unterredung teilte Gen. Čujkov den Parteivorsitzenden mit, dass die Führung der SKK gegenwärtig eine Reihe von Maßnahmen erarbeite mit dem Ziel, den Haushalt der Republik zu entlasten. Irgendwelche Zahlen zu nennen sei vorerst noch nicht möglich, aber sobald die Materialien fertig seien, werde er (Čujkov) sie der Aufmerksamkeit der Vorsitzenden der SED empfehlen. Bei der Unterredung war der Dolmetscher Machalov anwesend. Das Gespräch wurde aufgezeichnet von Oberleutnant Machalov53 RGASPI, f. 17, op. 137, d. 309, Bl. 102–118.

32. Unterredung zwischen dem Leiter der Mission der UdSSR in der DDR Puškin und Staatssekretär Ackermann Geheim

Ost-Berlin, 2. Juni 19501

Aus dem Tagebuch2 von G.M. Puškin Aufzeichnung einer Unterredung mit dem Staatssekretär des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der DDR, Ackermann Ackermann informierte mich über die bevorstehende Reise einer Regierungsdelegation der DDR nach Warschau. Die Delegation, bestehend aus Ulbricht, Handke, Leuschner und Ackermann, fährt am 4. Juni nach War-

nem zusammenfassenden Bericht von Zorin vom 2. September 1951 warnte Blücher dabei vor der „Remilitarisierung“ der Bundesrepublik, die von den Amerikanern gefördert werde, und bekannte sich zur Notwendigkeit direkter Handelsbeziehungen der Bundesrepublik zur DDR, vgl. Ruggenthaler, Stalins Bluff, S. 89–90. 53  Handschriftlich. 1  Original an Vyšinskij. Die Gesprächsaufzeichnung wurde am 23.  Juni 1950 in vier Exemplaren ausgefertigt. Kopien dieses Dokuments ging an: Gromyko, Gribanov und in die Akten. Im Sekretariat Vyšinskijs ging es am 27. Juni 1950 ein und erhielt die Eingangsnummer 8118-v. 2  „Tagebuch“ ist ein aus der russischen Kanzleisprache übernommener Begriff des Auswärtigen Dienstes der UdSSR für Gesprächsaufzeichnungen.

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schau.3 Die Delegation wird mit der polnischen Regierung Verhandlungen über den Abschluss eines Abkommens über den Austausch wissenschaftlichtechnischer Erfahrungen führen. Im Anschluss daran wird die Delegation mit den Polen ein Einjahres-Handelsabkommen unterzeichnen, zu welchem die Verhandlungen bereits abgeschlossen sind. Darüber hinaus beabsichtigt die Delegation der DDR, mit den Polen eine Einigung über den Abschluss eines Abkommens zur Regelung der Finanzierung von nichtkommerziellen Aktivitäten (Unterhaltung diplomatischer Missionen und offizieller Delegationen) zu erzielen.4 Schließlich wird ein Protokoll über die kulturelle Zusammen­ arbeit zwischen den beiden Ländern unterzeichnet werden. Im Laufe der Verhandlungen wird die Regierungsdelegation der DDR mit der polnischen Regierung einen Informationsaustausch über die Koordinierung des Fünfjahrplans der DDR mit dem polnischen Sechsjahrplan führen, um eine Erweiterung des Warenaustausches zu erreichen.5 Ackermann ließ mich außerdem wissen, dass Ulbricht beabsichtigt, mit den Polen eine Einigung über die Demarkation einer polnisch-deutschen Grenze zu erlangen.6 Zu diesem 3  Zur Delegation gehörte außer den Genannten auch Rumpf. Sie verhandelte vom 5. bis 6. Juni 1950 mehrere Abkommen in Warschau, vgl. Dok. 20, Fn. 6. 4  Im russischen Original heißt es „staatlicher“ Delegationen. In der deutschen Fassung des entsprechenden Abkommens zwischen der DDR und der UdSSR, das am 3. Mai 1950 unterzeichnet wurde, steht an dieser Stelle: „Als offizielle Delegation sind Personen zu verstehen, die zwecks Führung von Verhandlungen oder zu Handlungen im Auftrag und im Namen der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik kommen.“ 5  Der Sechsjahrplan für Polen war bestimmt für die Periode von 1950 bis 1955 und befand sich zu dieser Zeit in der abschließenden Planungsphase. Am 21. Juli 1950 wurde er im Sejm angenommen. Er sah einen Ausbau der Industrieproduktion von 158 Prozent gegenüber 1949 vor, wobei vor allem die Schwerindustrie massiv ausgebaut werden sollte, auf deren Grundlage in einer späteren Phase der Ausbau der anderen Industriezweige erfolgen sollte. Die Produktion von Investitionsgütern hatte Vorrang vor der Konsumgüterproduktion und sollte bis 1955 einen Anstieg von 254 Prozent erreichen. Vorgesehen waren gleichzeitig der Aufbau industriell unterentwickelter Regionen, die Ausweitung der Kohleförderung und allgemein die Ausweitung des staatlichen auf Kosten des privaten Sektors in der Wirtschaft (speziell die Vergesellschaftung des Kleingewerbes) sowie in der Landwirtschaft. In dem Sechsjahrplan, dessen Planvorgaben von unrealistischen wirtschaftlichen Voraussetzungen ausgingen, waren auch Mittel der Massenmobilisierung wie etwa sozialistische Wettbewerbe zur Steigerung der Arbeitsproduktivität vorgesehen. Der Plan wurde durch die UdSSR beeinflusst und unterstützt, die eine Reihe von Wirtschaftsverträgen mit Polen abschloss. 6  Zu den Ergebnissen der Reise nach Warschau vgl. Dok. 20, Fn. 6. Am 8.  Juni 1950 wurden auf der Sitzung des DDR-Ministerrats die Ergebnisse des Regierungsbesuchs in Polen besprochen, dabei bemerkte Grotewohl, „dass die Warschauer Verhandlungen als hochpolitischer Vorgang zu werten seien, der in entscheidener Weise zur Festigung des Friedens in Europa beiträgt“. Dertinger „unterstrich die Bedeutung der Warschauer Verhandlungen für die gesamte Aussenpolitik … weil sie gezeigt ha-



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Thema, so sagte Ackermann, hatte Ulbricht ein Gespräch mit der Führung der SKK gehabt.7 Zum Schluss der Unterredung beklagte Ackermann sich über den Minister für Auswärtige Angelegenheiten, Dertinger. Nach den Worten Ackermanns gibt Dertinger sich häufig dem Trunke hin und ist ein Schürzenjäger. Vor einiger Zeit wurde festgestellt, dass er Kontakte zu einer gewissen Frau Bubner, Mitglied der CDU, hat. Sie ist Tochter des deutschen Trotzkisten Bubner8 und unterhält dubiose Beziehungen zum Westen. Vor Kurzem hat Dertinger, ohne Rücksprache mit der Personalabteilung des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten gehalten zu haben, als Privatsekretärin im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten eine Frau eingestellt, die ihren Wohnsitz in Westberlin hat.9 Ackermann berichtete, dass Dertinger nach jeder Unterredung mit ihm seine Fehler korrigiere, aber nach einiger Zeit wieder neue Fehler begehe. Ackermann merkte an, er habe keine Anhaltspunkte dafür, dass Dertinger selber Kontakte zum Westen unterhält, aber alles Datenmaterial deute darauf hin, dass die anglo-amerikanischen Nachrichtendienste ihn verstärkt im Visier haben, er jedoch unter diesen Bedingungen nicht die entsprechende Vorsicht walten lässt, insbesondere bei der Auswahl seiner Mitarbeiter. Ackermann gab ein unvorteilhaftes Urteil über die Ehefrau Dertingers ab, die aus der ben, dass die politische Atmosphäre zwischen den beiden Völkern bereinigt [ist] und es der Deutschen Demokratischen Republik gelungen sei, Grundlagen für eine künftige vertrauensvolle freundschaftliche Zusammenarbeit zu schaffen“, vgl. BAB, DC 20-I/3/20. 7  Im AVP RF ist keine Aufzeichnung zu diesem Gespräch überliefert. 8  Gemeint ist Ilse-Ruth Bubner. Über diverse Verfehlungen von Dertinger fertigte Ackermann ein Jahr später eine kurze Aufzeichnung an, in der es u. a. hieß: „Ferner teilte der Fahrer Müller mit, daß Frau Bubner mitunter auch beim Minister in seiner Wohnung in Niederschönhausen ist. Es ist vorgekommen, daß Müller Minister Dertinger und Frau Bubner am Abend in die Wohnung nach Niederschönhausen brachte und am Morgen fuhren beide wieder in die Stadt. Dem ist hinzuzufügen, daß Frau Bubner fast täglich beim Minister in seinen Privaträumen im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten ist.“ Vgl. Aufzeichnung von Ackermann, 27. April 1951, BStU, MfS, AU 449/54, Bd. 8, Bl. 17. Die Behauptung, dass Bubner die Tochter eines „Trotzkisten“ sei, lässt sich nicht belegen, wirkt jedoch sehr unglaubhaft. Mög­ licherweise verwechselte Puškin Bubner mit Margarete Buber, der Frau von Heinz Neumann, der 1937 als angeblicher Trotzkist in Moskau zum Tode verurteilt und erschossen wurde. Ilse-Ruth Bubner wurde zusammen mit Dertinger am 15. Januar 1953 in dessen Dienstvilla in Berlin-Pankow (vgl. Fn. 10) verhaftet. Sie wurde zu 13 Jahren Zuchthaus verurteilt. Zu den umfangreichen Vernehmungsprotokollen vgl. BStU, MfS, 449/54, Bd. 9. 9  Katharina (Käthe) Zinsser und Ruth Schneider arbeiteten als Sekretärinnen von Dertinger, vgl. Lapp, Dertinger, S. 106, 166. Zinsser wurde im Zusammenhang mit der Verhaftung Dertingers 1953 ebenfalls verhaftet und zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt.

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Familie eines Barons stammt und eine eifrige Katholikin ist. Dertinger wohnt zwar mit seiner Familie in der sowjetischen Zone, in einem Vorort Berlins, aber er fährt jeden Tag durch Westberlin. Seine Kinder gehen in eine katholische Schule in Westberlin. Die SED-Führung hat ihm ein Haus in Pankow zur Verfügung gestellt, aber er hat es mit dem Umzug noch nicht eilig.10 Der Leiter der Diplomatischen Mission der UdSSR in der DDR G. Puškin11 AVP RF, f. 07, op. 23, p. 43, d. 201, Bl. 55–56.

33. Schreiben des stellvertretenden Außenministers Gromyko an den Vorsitzenden des Ministerrats Stalin Streng geheim

4. Juni 19501

An Gen. I.V. Stalin Am 5. Juni fährt eine Regierungsdelegation der Deutschen Demokratischen Republik unter der Leitung von Ulbricht nach Warschau zu Verhandlungen über den Abschluss eines Abkommens über wirtschaftliche und wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit.2 10  Im Dezember 1948 war die Familie Dertinger von Berlin-Charlottenburg nach Klein-Machnow gezogen, die beiden ältesten Kinder, Rudolf und Oktavie, besuchten jedoch weiterhin West-Berliner Schulen. Im Frühjahr 1951 bezog Georg Dertinger eine Dienstvilla in Berlin-Pankow, vgl. Lapp, Dertinger, S. 83–84, 89–90, 116–117, 135–137. In einem Bericht über die „Überprüfung der Schulverhältnisse in den Berliner Randgebieten“ vom 27. Mai 1950 wurde „festgestellt, daß die Kinder des Außenministers Dertinger gleichfalls in Westberliner Schulen gehen“. Dieser Bericht ging an Ulbricht, der ihn am 31. Juli 1950 an Zaisser weiterleitete, vgl. BStU, MfS, AU 449/54, Bd. 8, Bl. 6. Ab diesem Zeitpunkt wurden Nachbarn Dertingers nach dessen Kindern und nach Verwandtschaftsbeziehungen seiner Frau befragt. Bei weiteren Befragungen dabei genannter Personen ging es zunehmend um Auslandskontakte Dertingers sowie um einzelne kolportierte Äußerungen, vgl. ebenda, Bl. 8–14. Vgl. in diesem Zusammenhang auch den Bericht Ackermanns vom 27. April 1951 (Fn. 8 zu diesem Dokument), unter dem dieser handschriftlich vermerkte: „Dertinger sei unter Sonderaufsicht gestellt.“ 11  Handschriftlich. 1  Kopie. Das Original ging an Stalin. Kopien dieses Dokuments erhielten Molotov, Malenkov, Berija, Mikojan, Kaganovič und Bulganin. Das hier vorliegende Exemplar Nr. 2 erhielt am 4. Juni die Ausgangsnummer 37-gi und am 5. Juni den Eingangsstempel des Sekretariats Molotovs sowie die Eingangsnummer M-5560i. Am Kopf findet sich der Vermerk Molotovs: „Keine Einwände“. 2  Zur Planung der Reise vgl. Dok. 32, zu ihren Ergebnissen vgl. Dok. 20, Fn. 6.



Dokument 33: 4. Juni 1950187

Die Gen. Čujkov und Semenov haben am 4.  Juni mitgeteilt,3 dass das Politbüro der SED auch die Frage der Gründung einer gemischten polnischdeutschen Kommission zur Demarkation der deutsch-polnischen Grenze entlang der Oder und Neiße4 in das Programm dieser Verhandlungen aufgenommen habe.5 Ulbricht hatte die Leitung der SKK gebeten, zu diesem Thema die sowjetische Regierung zu befragen, da diese Angelegenheit die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz betreffe. Ulbricht vertritt den Standpunkt, dass die Regelung dieser Frage größere Klarheit in die Beziehungen zu den Polen bringen und die Propaganda der SED erleichtern könnte. Die Gen. Čujkov und Semenov sind der Meinung, dass der Vorschlag des Politbüros der SED bezüglich der Demarkation der deutsch-polnischen Grenze angesichts der bevorstehenden Wahlen zu früh kommt, da die Frage der Grenze in der feindlichen Propaganda nach wie vor eine große Rolle spielt und bei einem Teil der deutschen Bevölkerung auf ein starkes Echo stößt.6

3  Das 4  Die

Telegramm konnte im AVP RF nicht ermittelt werden. kursiv hervorgehobenen Wörter sind hier und im Folgenden von Hand unter-

strichen. 5  Das SED-Politbüro hatte am 3. Juni unter Teilnahme Ackermanns neben den Gesprächsthemen und den Entwürfen der Abkommen auch beschlossen: „Das Sekretariat wird beauftragt, die Mitglieder der Kommission für Grenzmarkierung und Grenzverkehr zu benennen. Darin müssen vertreten sein das Ministerium für Inneres, für Äußeres, für Staatssicherheit sowie … Kommission für Fragen der Oder-Schiffahrt, der Fischereirechte und der wasserrechtlichen Fragen der Oder und Neiße, in der vertreten sein müssen die Ministerien [für] Inneres, Äußeres, Landwirtschaft, Verkehr, Staatssicherheit.“ Vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/92. 6  Zur vorangegangenen Position der SMAD zur Demarkation der deutsch-polnischen Grenze vgl. UdF  4, S. 126–128 bzw. 193–194. In einer darauf folgenden Mitteilung der SKK („Die Reaktionen auf das Abkommen zwischen Polen und der Deutschen Demokratischen Republik“) vom 19. Juli 1950 hieß es: „Die Abkommen wurden auf Versammlungen von Arbeitern und Firmenangestellten, in Ämtern, Städten und Gemeinden diskutiert. Allein in Sachsen sind z. B. 1 300 solcher Versammlungen durchgeführt worden, auf denen über 80 000 Menschen anwesend waren … In der Bevölkerung existieren auch eindeutig ablehnende Äußerungen zur Demarkation der Grenze. Besonders stark verbreitet sind diese Stimmungen in den kleinbürgerlichen Schichten der Gesellschaft und unter den Umsiedlern. Sie umfassen auch einen Teil der Arbeiterschaft und sogar einen gewissen Teil der SED-Mitglieder. Ein deutliches Beispiel, das zeigt, wie tief diese Stimmungen sitzen, ist ein Vorfall, der sich im Volkseigenen Betrieb Vereinigte Wäschereien (Bezirk Prenzlauer Berg, Berlin) ereignet hat [gemeint ist der zur damaligen VVB Berlin Chemie Vereinigte Wäschereien und Färbereien gehörende Betrieb in der Husemannstraße 29]. In diesem Betrieb arbeiten 68 Menschen, alle sind Mitglieder des FDGB. 52 Arbeiter dieser Vereinigung sind Mitglieder der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft [vgl. Dok. 3, Fn. 5]; 37 sind Mitglieder des DFD, 18 sind Mitglieder der SED. Bei der Abstimmung auf der Versammlung stimmten aber alle außer einem gegen die

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Das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR hält die Überlegungen der Gen. Čujkov und Semenov für richtig und meint, es sei nötig, den deutschen Freunden zu empfehlen, in den Verhandlungen mit den Polen das Thema der Demarkation der Grenze nicht anzuschneiden. Der Entwurf einer Anordnung ist beigefügt. Ich bitte um Prüfung.7

i. A. A. Gromyko

[Anlage 1] Entwurf, streng geheim Anordnung des ZK der VKP (b) Der vom Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR vorgelegte Entwurf der Weisung an die Sowjetische Kontrollkommission in Deutschland (siehe Anlage) ist zu genehmigen. [Anlage 2] [Telegramm nach] Berlin An Čujkov und Semenov 1136. Teilen Sie den deutschen Freunden mit, dass es nach Ansicht Moskaus zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu früh wäre, die Frage einer Demarkierung der deutsch-polnischen Grenze entlang der Oder und Neiße zu stellen, da die feindliche Propaganda dies zum Schaden der Deutschen Demokratischen Republik ausnutzen könnte.8 RGASPI, f. 82, op. 2, d. 1180, Bl. 137–139.

Zustimmung zu diesem Abkommen.“ Vgl. AVP  RF, f. 082, op. 37, p. 206, d. 39, Bl. 17–18. 7  Offensichtlich auf Weisung Stalins bestätigte das Moskauer Politbüro am 6. Juni ein Telegramm an Čujkov und Semenov mit dem gegenteiligen Inhalt: „Teilen Sie Ulbricht mit, dass es gegen den Vorschlag zur Demarkation der deutsch-polnischen Grenze keine Einwände gibt.“ Vgl. RGASPI, f. 17, op. 162, d. 43, Bl. 173. 8  Ein sonst unleserlicher Vermerk am linken Rand enthält die Datumsangaben „5 VI“ und „7 VI“.



Dokument 34: 4. Juni 1950189

34. Schreiben des stellvertretenden Außenministers Gromyko an den Vorsitzenden des Ministerrats Stalin Streng geheim

Moskau, 4. Juni 19501

An Gen. I.V. Stalin In jüngster Zeit haben sich Vertreter westdeutscher Industrie- und Handelskreise mehrfach sowohl an Vertreter der SED als auch an Vertreter der So­ wjetischen Kontrollkommission in Bezug auf die Aufnahme von Wirtschaftsbeziehungen zwischen West- und Ostdeutschland sowie in Bezug auf even­ tuelle Grundlagen für eine zukünftige Vereinigung Deutschlands gewandt.2 In Vorverhandlungen, die zwischen Vertretern der SED und Vertretern der westdeutschen Geschäftswelt stattfanden, stellte sich heraus, dass der Vizekanzler der Bonner Regierung, Blücher, versucht, unter Ausschluss der Öffentlichkeit Kontakt mit Vertretern der Deutschen Demokratischen Republik aufzunehmen,3 um die oben genannten Themen vorbereitend zu besprechen. Am 3. Juni fragte Ulbricht im Auftrag von Pieck und Grotewohl bei der SKK an, ob diese Einwände dagegen habe, wenn der Minister für Außenhandel und Innerdeutschen Handel der DDR, Handke,4 sowie Orlopp und Stoph 1  Kopie. Das Original ging an Stalin. Kopien erhielten: Molotov, Malenkov, Berija, Mikojan, Kaganovič, Bulganin. Das Dokument erhielt am 4. Juni die Ausgangsnummer 36-š. 2  Am 13. Juni 1950 verwies Bundeswirtschaftsminister Erhard gegenüber Adenauer auf die „in letzter Zeit lauter gewordenen Stimmen der deutschen Wirtschaft, den Handel der Bundesrepublik mit den Ländern hinter dem Eisernen Vorhang zu beleben, sowie der mehrfach von Vertretern der deutschen Ostzone geäußerte Wunsch, in den Handel der Bundesrepublik mit den Staaten des Ostens und Südostens eingeschaltet zu werden“. Erhard unterstützte eine Wiederbelebung des Osthandels, wollte dabei jedoch keine Vermittlung durch die DDR akzeptieren. Hinnehmbar erschienen ihm aber Kompensationsgeschäfte, die die Fa. Otto R. Krause, Eisengrosshaus G.m.b.h., Düsseldorf am 3. Mai 1950 der SKK angeboten hatte. Erhard sah in einer staatlichen Förderung des Osthandels den einzigen Weg, den informellen Handel mit dem Osten unter Kontrolle der Bundesregierung zu bringen, vgl. AAPD (1949/50), S. 176–182. Über Kontaktversuche deutscher Industrieller in Richtung DDR berichtete am 17. August 1950 die schweizer National-Zeitung: „Ein weiteres dunkles Kapitel ist der illegale Handel mit der Ostzone, der recht umfangreich ist und keineswegs nur des materiellen Gewinns wegen erfolgt, sondern teilweise ebenfalls von politischen Ueberlegungen beeinflusst ist.“ Zwei Tage später kritisierte die Deutsche Wirtschaftszeitung ganzseitige Inserate namhafter westdeutscher Firmen im Zen­ tralorgan der KPD und in anderen Zeitungen und Zeitschriften dieser Partei, vgl. PA  AA, B  130, Bd. 4656A. Vgl. dazu auch die abschließenden Bemerkungen Thediecks in Dok. 40. 3  Zu Meldungen über die Gesprächsbereitschaft Blüchers vgl. Dok. 31, Fn. 52. 4  Die hier und im Folgenden hervorgehobenen Wörter sind im Dokument von Hand unterstrichen.

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als Vertreter der SED, nach Westdeutschland führen, um nichtöffentliche Verhandlungen mit Blücher aufzunehmen. Die Gen. Čujkov und Semenov plädieren dafür, Ulbricht eine positive Antwort zu geben.5 Unter Berücksichtigung der Bestrebungen einflussreicher westdeutscher Industrie- und Handelskreise, wirtschaftliche Beziehungen zur Deutschen Demokratischen Republik aufzubauen, des Interesses der SED, Einblick in die Standpunkte einflussreicher Geschäftskreise Westdeutschlands zu gewinnen, sowie einiger Informationen über eine Antistimmung bei Blücher gegenüber der Politik Adenauers ist das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR der Auffassung, dass den Anregungen der Gen. Čujkov und Semenov zugestimmt werden kann. Der Entwurf einer Anordnung ist beigefügt. Ich bitte um Prüfung.6 A. A. Gromyko [Anlage 1] Entwurf, streng geheim Anordnung des ZK der VKP (b) Der vom Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR vorgelegte Entwurf der Anweisung der Gen. Čujkov und Semenov bezüglich des Treffens zwischen Vertretern der Deutschen Demokratischen Republik und Westdeutschlands (siehe Anlage) ist zu genehmigen. [Anlage 2] [Telegramm nach] Berlin An Čujkov und Semenov 296. Teilen Sie Ulbricht mit, dass aufseiten der Sowjetischen Kontrollkommission gegen eine Reise von Regierungsvertretern der Deutschen Demokratischen Republik nach Westdeutschland zum Zwecke eines Treffens mit Blücher keine Einwände bestehen.7 AVP RF, f. 07, op. 23а, p. 12, d. 155, Bl. 4–6. 5  Das Original konnte im AVP RF nicht ermittelt werden. Die Entwürfe wurden bestätigt (vgl. Fn. 6). 6  Am 6.  Juni 1950 erhielt der Sekretär Stalins die nachstehenden Entwürfe zur „Erledigung“. Offensichtlich auf Weisung Stalins bestätigte das Moskauer Politbüro am 6. Juni diese Entwürfe, vgl. RGASPI, f. 17, op. 162, d. 43, Bl. 184. 7  Zu einem Treffen mit Blücher kam es in dieser Zeit nicht, vgl. Dok. 31, Fn. 52.



Dokument 35: 20. Juni 1950191

35. Unterredung zwischen dem Leiter der Mission der UdSSR in der DDR Puškin und Außenminister Dertinger Geheim

Ost-Berlin, 20. Juni 19501

Aus dem Tagebuch2 von G.M. Puškin Aufzeichnung einer Unterredung mit dem Minister für Auswärtige Angelegenheiten der DDR, Dertinger Dertinger hatte mich eingeladen, um sich über unseren Standpunkt hinsichtlich der Veröffentlichung einer Note der DDR-Regierung3 zu erkundigen, die an die Regierungen der UdSSR, Polens und der Tschechoslowakei gerichtet war und die verbrecherische Kartoffelkäfer-Aktion der Amerikaner zum Thema hatte.4 Dertinger fragte, ob ich Einwände hätte, wenn diese Note 1  Original an Vyšinskij. Diese Gesprächsaufzeichnung wurde am 23.  Juni 1950 in vier Exemplaren ausgefertigt. Kopien gingen an: Gromyko, Gribanov und in die Akten. Im Sekretariat Vyšinskijs ging es (zusammen mit Dok. 32) am 27.  Juni 1950 ein und erhielt die Eingangsnummer 8119-v. Zu der gleichen Unterredung fertigte Dertinger am 21. Juni 1950 einen kurzen Vermerk an, in dem er die 30-minütige Unterredung falsch auf den 21. Juni datierte (vgl. BAB-SAPMO, NY 4090/473, Bl. 2). 2  „Tagebuch“ ist ein aus der russischen Kanzleisprache übernommener Begriff des Auswärtigen Dienstes der UdSSR für Gesprächsaufzeichnungen. 3  Gemeint ist die Verbalnote an die Regierung der UdSSR (vgl. PA AA, MfAA A, Bd. 15539, Bl. 62–64), die in der Nacht vom 19. zum 20. Juni der Diplomatischen Mission der UdSSR in Ost-Berlin überreicht worden war. Noten gleichen Inhalts an die Regierungen Polens und der Tschechoslowakei wurden sofort danach übergeben (handschriftlicher Vermerk von Friedrich Geyer vom 20.  Juni auf einem Schreiben Paul Merkers vom 17. Juni 1950, in: BAB, DC 20-1/3/30, Bl. 176–177, hier Bl. 177). 4  Im russischen Original hier wie im Folgenden „Colorado-Käfer“. Das Thema des Kartoffelkäfers hatte Puškin erstmals am 17. Januar 1950 gegenüber Dertinger im Zusammenhang mit einer europäischen Konferenz zur Bekämpfung dieses Käfers angesprochen, damals jedoch noch ohne jede politische Deutung (vgl. Dertinger an Ulbricht, 18.  Januar 1950, in: BAB, DC 20-1/3/9, Bl. 164). Der DDR-Ministerrat beschloss am 2. März 1950, ebenfalls ohne jede politische Interpretation, eine detaillierte Anordnung zur Bekämpfung des Kartoffelkäfers. Sie sah großangelegte, jedoch finanziell nicht abgesicherte Maßnahmen vor (vgl. BAB, DC 20-1/3/13, Bl. 25–30). Offensichtlich wurde dieses Programm nur unzulänglich umgesetzt. Ende Mai 1950 erklärte das Neue Deutschland, das bis dahin zur Ausbreitung dieses die Kartoffelernte bedrohenden Schädlings geschwiegen hatte, US-Flugzeuge hätten diesen Käfer über der DDR abgeworfen (vgl. Neues Deutschland, 26.  Mai 1950, S. 1). Noch bevor sich die SED-Führung und die DDR-Regierung erneut mit dieser Frage beschäftigten, berichteten Čujkov und Semenov über den angeblichen Abwurf amerikanischer Kartoffelkäfer über der DDR. Auf dieser Grundlage entwickelte Gribanov am 8. Juni 1950 Vorschläge für das weitere Vorgehen in dieser Frage. Vorgesehen waren offizielle Anfragen der DDR an die SKK, Polen und die Tschechoslowakei und

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noch vor dem Eintreffen einer Antwort der Sowjetischen Regierung in der Presse veröffentlicht würde. Ich sagte Dertinger, dass ich nichts sähe, was einer Publikation dieser Note vor dem Eintreffen einer Antwort der drei Regierungen entgegenstehe, da diese Note aber nicht unmittelbar nach ihrer Übergabe an die drei Regierungen veröffentlicht wurde, wäre es jetzt vielleicht passender, mit der Veröffentlichung so lange zu warten, bis die Antworten eingetroffen seien.5 Dertinger erwähnte außerdem, dass er am 28. Juni in der Volkskammer eine außenpolitische Erklärung abgeben wolle. Er habe vor, drei Themen anzuschneiden: als erstes den Abschluss von Wirtschafts- und Kulturabkommen zwischen der Regierung der DDR und den Regierungen Polens, der Tschechoslowakei und Ungarns, als zweites die Entscheidung des BundestaSchrei­ben bzw. Noten durch diese Staaten an US-Stellen (vgl. AVP RF, f. 082, op. 37, p. 214, d. 95, Bl. 1–2). Am selben Tag beschloss der DDR-Ministerrat die Einsetzung einer „außerordentlichen Kommission“ zur Untersuchung der Verbreitung von Kartoffelkäfern. Bereits eine Woche später lag der Bericht dieser Kommission vor. Auf dessen Grundlage beschloss die DDR-Regierung am 15. Juni, den Kommissionsbericht vollständig zu veröffentlichen, die Regierungen der UdSSR, Polens und der Tschechoslowakei zu kontaktieren, 14,5 Millionen DM der DDR bereitzustellen und die Bevölkerung zum Kampf gegen den Käfer aufzurufen (vgl. BAB, DC 20-1/3/30, Bl. 150–153). Das Amt für Information der Regierung der DDR gab dazu 1950 eigens eine Propagandabroschüre unter dem Titel „Halt, Amikäfer. Dokumente zum Kartoffelkäferabwurf“ heraus. 5  In der Aufzeichnung Dertingers über diesen Teil der Unterredung (vgl. Fn. 1) heißt es dazu: „Nach Übergabe der Verbalnote [vgl. Fn. 3] des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der DDR betr. Abwurf von Kartoffelkäfern durch amerikanische Flugzeuge an die Regierung der UdSSR war die Frage der Veröffentlichung dieses diplomatischen Vorgangs offen geblieben. Botschafter Puschkin liess erkennen, dass mit einer Beantwortung unserer Note Ende dieser Woche, spätestens am Montag zu rechnen ist. Mit der Antwort wird auch die Stellungnahme der UdSSR zur Frage der Veröffentlichung erfolgen. Aller Voraussicht nach wird auch die UdSSR die Zweckmässigkeit einer Publikation bejahen.“ Die Antwort der Regierung der UdSSR erfolgte erst am 30. Juni (vgl. Fn. 8), das Neue Deutschland veröffentlichte jedoch schon am 24. Juni 1950 auf S. 1 einen Auszug aus dem Inhalt der in der Nacht vom 19. zum 20. Juni überreichten DDR-Note unter der Überschrift „Verbrecherischer Anschlag gegen die friedliche Aufbauarbeit“. Das Außenministerium der UdSSR hatte der DDR am 16.  Juni 1950 mehrere Maßnahmen in dieser Frage empfohlen, darunter die Versendung einer Note an die UdSSR, Polen und die Tschechoslowakei (vgl. Fn. 3) und eines speziellen Schreibens „über das Verbrechen der Amerikaner an die Adresse des Internationalen Komitees zur Bekämpfung des Colorado-Käfers“ sowie die Veröffentlichung dieser Briefe einschließlich der Ermittlungsergebnisse der Sonderkommission der DDR in den Zeitungen. „Nach Erhalt der Note der Regierung der DDR wird die sowjetische Regierung eine Protestnote an die Regierung der USA richten … Kopien der sowjetischen Note werden zugleich an die Regierungen aller Länder gesendet, mit denen die UdSSR diplomatische Kontakte unterhält, außerdem an Trygve Lie mit der Bitte, Kopien der sowjetischen Note an alle Staaten der UN zu verschicken …“ Vgl. AVP RF, f. 082, op. 37, p. 214, d. 95, Bl. 4–5.



Dokument 35: 20. Juni 1950193

ges (des Bonner Parlaments) für den Beitritt Westdeutschlands zum Europarat6 und als drittes und letztes Thema die amerikanische Sabotagetätigkeit unter Einsatz von Kartoffelkäfern.7 Im Zusammenhang mit dem dritten Thema wollte Dertinger der Volkskammer mitteilen, dass die Regierung der DDR an die Sowjetische Regierung sowie an die Regierungen Polens und der Tschechoslowakei eine Note gerichtet habe. Er fragte mich, ob unsererseits dagegen Einwände zu erwarten seien. Ich habe ihm entgegnet, dass er darüber sprechen könne und hinzugefügt, dass bis dahin wohl bereits eine Antwort der Sowjetischen Regierung auf die DDR-Note eingetroffen sein werde.8 6  In der Aufzeichnung Dertingers über diesen Teil der Unterredung (vgl. Fn. 1) heißt es: „In der Frage der politischen und rechtlichen Beurteilung des Beschlusses des Bonner Parlaments auf Beitritt Westdeutschlands zum Europarat nimmt nach den persönlichen Mitteilungen von Botschafter Puschkin die Regierung der UdSSR den Standpunkt ein, dass es sich hier um einen Beschluss einer Institution handelt, die seitens der UdSSR nicht anerkannt und als nicht existent betrachtet wird, so dass eine unmittelbare Reaktion nicht zu erwarten ist … Dagegen ist es unverkennbar die Erwartung der Regierung der UdSSR, dass die Regierung der DDR ebenso ausführlich wie scharf zur Haltung des Bonner Spalterparlaments Stellung nimmt.“ Zum Beitritt der Bundesrepublik zum Europarat vgl. Dok. 17, Fn. 2. Vgl. dazu auch die Thesen des Leiters der HA IV (Rechtsangelegenheiten) im MfAA, Reintanz, zum Beitritt Westdeutschlands zum Europarat, 20.  Juni 1950, PA  AA, MfAA A, Bd. 14865, Bl. 22–24. Am 28. Juni 1950 erklärte Dertinger vor der Volkskammer: „Die Entscheidung des Bonner Parlaments und der Bonner Regierung eines Beitritts zum EuropaRat ist … für das deutsche Volk in keiner Form bindend und verpflichtend, sie ist eine völkerrechtswidrige Handlung und stellt angesichts des klaren demokratischen und friedlichen Willens der breiten Massen unseres ganzen Volkes einen vollendeten Hoch- und Landesverrat dar.“ Vgl. Neue Zeit, 29. Juni 1950, S. 3. 7  In seiner Rede vor der Provisorischen Volkskammer bezeichnete Dertinger am 28. Juni 1950 „den Abwurf großer Mengen von Kartoffelkäfern aus amerikanischen Flugzeugen“ als „verbrecherischen Anschlag der Anglo-Amerikaner gegen die friedliche Aufbauarbeit Deutschlands … Dieser verbrecherische Anschlag und grobe Bruch des Völkerrechts bedroht nicht nur durch Gefährdung des Kartoffelanbaues die Ernährungslage unserer Bevölkerung, sondern bedeutet auch eine Gefahr für die Nachbarländer der DDR. Damit haben die Kriegstreiber im amerikanischen Lager aus Furcht vor dem Anwachsen der Friedenskräfte in aller Welt und aus der Erkenntnis der Schwäche ihrer eigenen Position den sog. Kalten Krieg in bedrohlicher Weise weiter verschärft. Die Regierung der DDR hat diesen Tatbestand in Noten den Regierungen der UdSSR, Polens und der Tschechoslowakischen Republik zur Kenntnis gebracht.“ Vgl. Neue Zeit, 29. Juni 1950, S. 3. 8  Die Regierung der UdSSR bestätigte den Erhalt der DDR-Note (vgl. Fn. 3) erst am 30. Juni, als sie ihrerseits eine Note in dieser Frage an die US-Regierung richtete (vgl. BAB-SAPMO, NY 4090/473, Bl. 3–4, vgl. dazu auch M. Wolf an das MfAA, 1.  Juli 1950, PA  AA, MfAA A, Bd. 15539, Bl. 65–66). Die Note der sowjetischen Regierung behauptete unter Verweis auf eine entsprechende Mitteilung der DDR-Regierung, amerikanische Flugzeuge hätten große Mengen von „Colorado-Käfern“ über dem Staatsgebiet der DDR abgeworfen. Es folgte eine Auflistung der betroffenen

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Dertinger dankte. Danach wollte Dertinger wissen, ob hinsichtlich der Entscheidung des Bundestages für den Beitritt Westdeutschlands zum Europarat seitens der Sowjetischen Regierung die Abgabe einer Erklärung zu erwarten sei. Ich antwortete Dertinger, dass ich eine solche Erklärung seitens der Sowjetischen Regierung nicht erwarte, da die sowjetische Regierung den westdeutschen Staat nicht anerkenne und daher kaum die Notwendigkeit sehen werde, auf eine Entscheidung des Bonner Parlaments zu reagieren. Zum Schluss versprach Dertinger, mir zur Kenntnisnahme den Wortlaut der Rede zuzusenden, die er am 28. Juni in der Volkskammer halten wolle. Ich sprach ihm dafür meinen Dank aus. Der Leiter der Diplomatischen Mission der UdSSR in der DDR G. Puškin9 AVP RF, f. 07, op. 23, p. 43, d. 201, Bl. 61–62.

36. Unterredung zwischen dem stellvertretenden Vorsitzenden der SKK Bykov und dem Minister für Innerdeutschen Handel, Außenhandel und Materialversorgung Handke Geheim

Berlin-Ost, 10. Juli 19501

Unterredung des stellvertretenden Vorsitzenden der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland, Gen. G.S. Bykov, mit dem Minister für Innerdeutschen Handel, Außenhandel und Materialversorgung, Herrn Handke 1. Gen. Bykov forderte Minister Handke auf, ihn über die Arbeit des Ministeriums für Innerdeutschen Handel, Außenhandel und Materialversorgung zu unterrichten. Bezirke und die Schlussfolgerung, die „aufgeführten … zahlreichen Fakten … haben einen verbrecherischen Charakter“, vgl. AVP RF, f. 082, p. 214, d. 95, Bl. 9. Vgl. zu der Auflistung auch den ausführlicheren „Bericht einer Untersuchungskommission“ zu dieser Frage, den das Neue Deutschland am 16. Juni 1950 auf S. 5 veröffentlicht hatte. 9  Handschriftlich. 1  Kopie. Von der originären Gesprächsaufzeichnung wurden vier durch den amtierenden Sekretariatsleiter im Apparat des Politischen Beraters der SKK in Deutschland bestätigte Kopien ausgefertigt. Diese gingen an: Vyšinskij, Grigorʼjan, Gribanov und in die Akten des Politischen Beraters. Das am 13. Juli 1950 an Vyšinskij übermittelte Exemplar erhielt die Ausgangsnummer 02382. Es ging bei Vyšinskij am 3.  August 1950 ein und erhielt die Eingangsnummer 8959-v.



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Minister Handke teilte mit, dass es zum gegenwärtigen Zeitpunkt Schwierigkeiten bei der Materialversorgung gebe. Der Grund dafür liege darin, dass die geplanten Materialbilanzen nicht ganz realistisch seien. Die geplanten Materialbilanzen hätten seit Anbeginn Mängel gehabt, insbesondere nachdem der Reparationsplan2 konkretisiert worden sei. So habe z. B. der erste Reparationsplan3 eine gewisse Anzahl von Maschinen enthalten, und hierfür seien Ressourcen vorgesehen gewesen; später sei die Anzahl der Maschinen aufgestockt worden. Hierfür sei eine Aufstockung des Walzgutes erforderlich gewesen, und aus diesem Grunde sei eine gewisse Diskrepanz zwischen Ressourcen und Bedarf entstanden. Auch bei der Verteilung der Ressourcen gebe es Mängel. Einzelne Abnehmer hätten mehr Metall bezogen als ihnen zugestanden habe, andere hätten weniger erhalten. Man habe eine Fehleranalyse durchgeführt. Hauptgründe für die Schwierigkeiten bei der Materialversorgung seien die Nichteinhaltung des Produktionsplanes durch die Industrie sowie der verhältnismäßig hohe Anteil an Ausschuss in Höhe von 3–10 Prozent. Und schließlich auch die Nichterfüllung des Importplanes für Walzgut. Man habe die Lieferung von 200 000  Tonnen Walzgut aus Westdeutschland einkalkuliert. Vertraglich seien 190 000 Tonnen abgesichert gewesen. Im ersten Halbjahr habe man aus Westdeutschland wegen des Stahlembargos ca. 45 000 Tonnen Walzgut zu wenig geliefert bekommen. Im Falle einer Einstellung der Metalllieferungen aus Westdeutschland werde man im zweiten Halbjahr mit einer Fehlmenge von ca. 130 000 Tonnen Walzgut zu rechnen haben.4 2  Vgl. die Anordnung des Ministerrats der UdSSR über die teilweise Änderung des Plans der Reparationslieferungen und des Produktionsplans der SAG, 30. Mai 1950, in: GA RF, f. R-5446, op. 106 sč, d. 487, Bl. 253–272. 3  Vgl. die Anordnung des Ministerrats der UdSSR über den Plan der Reparationslieferung aus Deutschland 1950, 17.  Dezember 1949, in: GA  RF, f. R-5446, op. 106 sč, d. 431, Bl. 265–267. 4  Mit Schreiben vom 28. November 1949 hatte der Sekretär der Joint Export-Import Agency (JEIA, vgl. Dok. 44, Fn. 12) Cox an Bundeswirtschaftsminister Erhard zwei geheime Listen von Waren übermittelt, deren Ein- und Ausfuhr in und aus der UdSSR sowie in und aus Staaten in ihrem Einflussbereich verboten oder beschränkt wurden, vgl. DzD II, 2, S. 815–817. Beide Listen sind dort nicht abgedruckt. Die Liste 1 bezog sich auf eine frühere US-Liste der verbotenen Exporte (A-1), sie enthielt 298 Einzelposten in sechs Warenkategorien. Die Liste 2 bezog sich auf eine frühere US-Liste der beschränkten Exporte (B-1) und enthielt 530 Einzelposten in sieben Warenkategorien. Enthalten waren in diesen Listen strategische Rohstoffe wie Uran, Produkte der Stahlverarbeitenden Industrie, kriegstechnisches Gerät, aber auch physikalisch-technische Messinstrumente. Beide US-Listen entstanden schon im März 1948 im Rahmen des „American security export control program“. Zur Einführung des „Stahlembargos“ am 8. Februar 1950 vgl. Dok. 15, Fn. 12. Am 20. Juni 1950 bezifferte der Ständige Vertreter der Bundesrepublik Deutschland bei der Konsultativgruppe in Paris, Kroll, den Umfang der ausstehenden Stahllieferungen an die DDR auf 40 000 Tonnen, vgl. DzD II, 3, S. 837–839. Weitere Zahlen zum Stahl­

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In den letzten Tagen habe sich bei den Metalllieferungen aus Westdeutschland die Situation leicht verbessert. Es gebe eine gewisse Hoffnung, dass die Lieferung von Metall aus Westdeutschland fortgesetzt werde. Trotz der angespannten Lage beim Export-Import-Plan sei der Eingang von Bedarfsanmeldungen für zusätzlichen Import zu verzeichnen. Namentlich die Wismut AG5 habe 7 000 Tonnen Walzgut, 6 000 Tonnen Natriumkarbonat und andere Waren angefordert. Über den Importplan hinaus müsse man für die Durchführung der Reparationslieferungen Material für 50  Millionen West-Mark ankaufen. Man müsse jetzt Rohstoffe für das kommende Jahr einkaufen. Gen. Ulbricht habe die Anweisung erteilt, Rohstoffe und Material zur Vergrößerung der Werften einzukaufen.6 Wenn die Waren aus den zusätzlichen Bedarfsanmeldungen eingekauft würden, ergebe sich auf der Exportseite des Plans eine Diskrepanz in Höhe von ca. 100 Millionen Dollar. Für den Einkauf von Waren wie z. B. Bunt- und Schwarzmetalle würden gute Exportwaren benötigt, z.  B. Ammonsulfat, Benzin, Dieseltreibstoff, Sprit. Aber diese Waren seien nicht in ausreichender Menge für den Export bereitgestellt worden. So seien beispielsweise nur 110 000 Tonnen Ammonsulfat zugeteilt worden, bei einem Bedarf von 300 000 Tonnen. Die Regierung der DDR habe beschlossen, Ammonsulfat an die Landwirtschaft zu geben, um die Hektarerträge zu steigern.7 Es wäre wünschenswert, wenn für den Verkauf auf Außenmärkten die Sägewerksproduktion gesteigert werden könnte, jedoch sehe die Lage so aus, dass aufgrund von Anordnungen ab 1951 Holz in die DDR eingeführt werden soll.8 embargo übermittelte Grotewohl in seinem Schreiben vom 7. August 1950 an Čujkov, vgl. DzD II, 3, S. 908–910. Vgl. auch Dok. 44. 5  So im russischen Original. Gemeint ist die SAG Wismut. 6  Es konnte nicht festgestellt werden, wann Ulbricht diese Weisung gab. Von besonderen Investitionen zur Entwicklung der Werftindustrie sprach Ulbricht zum ersten Mal öffentlich auf dem III. Parteitag der SED (vgl. Neues Deutschland, 23. Juli 1950, S. 4). Zur weiteren Entwicklung vgl. Fn. 12 zu diesem Dokument. 7  Auf ihrer Sitzung vom 13. Juli 1950 verabschiedete die Provisorische Regierung der DDR eine Verordnung über die Versorgung der Landwirtschaft mit Düngemitteln und Düngetorf im Düngejahr 1950/51, in der auch die Abgabe von Stickstoffdüngemitteln geregelt war, vgl. BAB, DC 20-I/3/23. 8  Zur Steigerung der Holzproduktion fasste der Ministerrat der DDR am 23. November 1950 den folgenden Beschluss: „Die Deutsche Notenbank wird beauftragt, die aufgrund des Regierungsbeschlusses vom 16. November 1950 bis Ende ds. Js. aus den Wäldern abzufahrenden Hölzer durch Bereitstellung von Sonderkrediten zu finanzieren. Die Finanzierung hat auch dann zu erfolgen, wenn die Kredite bei volkseigenen Sägewerken über die Sätze der Richtsatzpläne oder bei privaten Sägewerken über die ihnen bisher zugeteilten Limite hinausgehen …“ Das Protokoll sagt weiterhin: „Ferner beauftragte die Regierung das Staatssekretariat für Materialversorgung, bis zum 2. Januar 1951 der Regierung einen Bericht über den Stand der Holzabfuhr



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Handke legte dar, dass die Unzulänglichkeiten in der Arbeit des Ministe­ riums in erheblichem Maße dadurch zu erklären seien, dass nicht genug Kader vorhanden und die vorhandenen Kader schwach seien. Handke teilte mit, dass er in Bälde der Regierung Bericht über die Arbeit des Ministeriums abstatten werde. Im Zusammenhang mit diesem Bericht bat er darum, ihm mitzuteilen, was die SKK-Mitarbeiter bezüglich der ihnen übermittelten Vorschläge zur Änderung des Export-Import-Plans für 1950 anzumerken hätten.9 Gen. Bykov fragte Handke, was das Ministerium in der Praxis unternehme, um die Belieferung mit den erforderlichen Rohstoffen und Materialien sowie insbesondere mit Schwarzmetall-Walzgut, Roheisen und Buntmetall zum gegenwärtigen Zeitpunkt sicherzustellen und wie der entstandene Ressourcenmangel beseitigt werden solle. Handke erläuterte, dass das Ministerium im Hinblick auf die Schwarzmetall-Walzerzeugnisse folgende Maßnahmen ergreife: Vor Kurzem sei ein Vertrag über die Lieferung von 21 000 Tonnen Walzgut aus Australien unterzeichnet worden. Man rechne damit, aus Australien 25 000 Tonnen Walzgut geliefert zu bekommen. Im Werk Thale10 befänden sich 56 000 Tonnen Stahl-Halbzeug. Der Staatssekretär im Industrieministerium, Leuschner, führe momentan in Polen Verhandlungen über die Auflösung dieses Vorrates an Stahl-Halbzeug. Industrieminister Selbmann wolle den Plan zur Erzeugung von Walzgut in diesem Jahr um 20 000 Tonnen steigern. Neben Verhandlungen, die mit Vertretern der Bonner Regierung über eine Verlängerung des alten Handelsabkommens und den Abschluss eines neuen Abkommens geführt würden, befinde sich das Ministerium ebenfalls in Verhandlungen mit Schweden, England, Belgien, Italien und der Schweiz über die Lieferung von Schwarzmetall-Walzerzeugnissen. Ferner teilte Handke mit, dass bezüglich des entstandenen Mangels an Kupfer aufgrund nicht vergebener Aufträge auf dem Auslandsmarkt in Höhe von 10 000 Tonnen das Ministerium bis jetzt keine Vorschläge habe, wie dieser Mangel beseitigt werden könnte. Gen. Bykov wies Handke darauf hin, dass in der DDR die Planung materieller Ressourcen schlecht organisiert sei. In den Händen des Ministeriums seien nicht nur Importressourcen konzentriert, sondern ebenso alle materiellen Ressourcen aus der Eigenproduktion der Republik. und einen Plan vorzulegen, der die vollständige Abfuhr des geschlagenen Holzes gewährleistet.“ Vgl. BAB, DC 20-I/3/37, TOP 9, Bl. 5–6. 9  Erst am 31. Oktober 1950 erstattete Handke auf der Sitzung des Politbüros des ZK der SED unter TOP 4 Bericht über die Außenhandelsbeziehungen der DDR, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/116, abgedruckt in DzD  II, 3, S. 1091–1092. In den Protokollen des Ministerrates findet sich für 1950 kein Bericht von Handke. 10  Gemeint ist der VEB Eisen- und Hüttenwerke Thale.

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Aus diesem Grunde bestimme in erster Linie das Ministerium selbst durch seine Arbeit die richtige Planung des Außenhandels sowohl bezüglich der Wareneinfuhr in die Republik und der Warenausfuhr in andere Länder als auch hinsichtlich der Ressourcenverteilung innerhalb der Republik an die Bedarfsträger. Das Ministerium müsse eine ernsthafte Analyse der Situation im Außenhandel in Angriff nehmen, welcher sich, ausgehend von den Interessen der DDR, aktiv entwickeln müsse. Es sei erforderlich, die Sache so anzugehen, dass nicht die DDR von Westdeutschland und den westlichen Ländern abhängig sei, sondern dass Westdeutschland und die westlichen Länder im Außenhandel von der DDR abhängig seien. In diesem Zusammenhang komme eine große Bedeutung der Struktur des Export-Import-Plans zu. Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt sehe die Situation leider so aus, dass nicht nur die Außenhandelsaktivität der DDR geschwächt, sondern auch die Struktur des Export-Import-Plans so gestaltet sei, dass sowohl Export- als auch Importgeschäfte in großem Ausmaße aus dem Haushalt der DDR bezuschusst werden müssten. Im Export Deutschlands haben Maschinenbauerzeugnisse immer einen großen Anteil gehabt. Aus diesem Grunde bestehe die wichtigste Aufgabe darin, im Exportplan der DDR die Ressourcen der Maschinenbauerzeugnisse zu erweitern. Außerdem dürfe nicht außer Acht gelassen werden, dass in so einer wichtigen Angelegenheit wie der materiellen Versorgung der Volkswirtschaft der DDR eine Planung dieser Versorgung ohne die erforderlichen staatlichen materiellen Reserven undenkbar sei. Die Versorgungslage in der Volkswirtschaft der DDR werde durch die Kürzung der Reparationslieferungen aus der DDR11 bedeutsam erleichtert. Hierdurch würden nicht nur zusätzliche Ex­ port­ressourcen geschaffen, sondern so könnten auch gewisse materielle Reserven aufgebaut werden. Bezug nehmend auf Handkes Bitte um eine Stellungnahme zu seinen Vorschlägen über Korrekturen im Export-Import-Plan für das Jahr 1950 erklärte Gen. Bykov, dass Gen. Černjak dem Ministerium in den kommenden Tagen seine Erwägungen zu diesem Thema mitteilen werde. * 2. Im Zusammenhang mit der Zustimmung von Herrn Ulbricht zum Kauf von Anlagen zum Bau von Schiffen auf der Neptun-Werft12 empfahl Gen. 11  Vgl.

Dok. 29, Fn. 3 und Dok. 30, Fn. 4. Fn. 6 zu diesem Dokument. Eine förmliche Zustimmung von Ulbricht ist nicht nachweisbar. Erst am 17. August 1950 fasste die Provisorische Regierung der DDR auf Vorschlag des Politbüros vom 8. August 1950 einen „Beschluß zum Ausbau der Werften Wismar und Warnemünde für die Produktion von Seefrachtschiffen und Fischdampfern“, in dem die Versorgung der Werften mit Produktionsmaterialien dem 12  Vgl.



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Bykov Herrn Handke, eine Außenhandelsfirma seiner Wahl zu beauftragen, innerhalb der nächsten zwei Tage mit der Firma Borsig über den Kauf von drei Haupt-Dampfmaschinen für die Neptun-Werft à 1 600 PS Leistung, komplettiert mit Abdampfturbinen, in Verhandlungen zu treten, sowie bei dieser Firma 5 Sätze Bauzeichnungen und die Verfahrenstechnik für diese Dampfmaschinen und die zugehörigen Kessel zu kaufen, damit die Produktion dieser Anlagen im Werk Buckau-Wolf13 aufgenommen werden kann. Handke erklärte, ein Kauf von Anlagen und Zeichnungen sei nicht leicht zu bewerkstelligen, denn der Berliner Magistrat habe beschlossen, dass alle Handelsverträge von ihm genehmigt werden müssen.14 Gen. Bykov wies darauf hin, dass die Firma Borsig ein großes Interesse am Verkauf solcher Maschinen habe. Handke entgegnete, er werde die Firma Gross-Berlin in Person des Firmenleiters, Herrn Martignac, mit dem Kauf der Anlagen und Zeichnungen beauftragen. Die Unterredung fand am 10.  Juli  1950 von 14 bis 16  Uhr statt. An­wesende während der Unterredung: Gen. M.K. Černjak, amtierender Leiter der Abteilung für Materialbilanzen und Handel der SKK in Deutschland, und Gen. Lebedev, Dolmetscher Aufzeichnung der Unterredung durch Lebedev AVP RF, f. 07, op. 23, p. 43, d. 201, Bl. 63–67. Minister für Innerdeutschen Handel, Außenhandel und Materialversorgung unterstellt wurde, vgl. BAB, DC 20-I/3/27 und BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/103. Auf seiner Sitzung vom 28. November 1950 beschloss das Politbüro des ZK der SED unter TOP 8, „die Betriebe der VVB Hochseeschiffbau in die Liste der Betriebe aufzunehmen, die vorrangig mit Investitions- und Produktionsmaterialien beliefert werden“, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/120. Unter der Überschrift „Startzeichen zum systematischen Aufbau“ berichtete das Neue Deutschland am 20. August 1950 auf S. 2 über Walter Ulbrichts Besuch auf der Rostocker Neptun-Werft zwei Tage zuvor „im Rahmen der Berichterstattungskampagne der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik“ über den Fünfjahrplan. 13  Gemeint ist die Maschinenfabrik Buckau R. Wolf AG (kurz Buckau-Wolf) mit Sitz in Magdeburg-Buckau. Diese Firma wurde am 13. Oktober 1951 in VEB Schwermaschinenbau Karl Liebknecht umbenannt. 14  Bereits am 15. April 1949 meldete die Neue Zeit auf S. 1 unter der Überschrift „Handelsbeziehungen mit Westberlin“, der provisorische Magistrat von Groß-Berlin habe „den Betrieben des sowjetischen Sektors gestattet … in Geschäftsbeziehungen mit Betrieben der Westsektoren zu treten und mit diesen Handelsabmachungen über gegenseitige Lieferung von Waren, Materialien und Erzeugnissen verschiedener Art zu treffen. Die Abmachungen müssen bei der Abteilung Wirtschaft registriert und über zentralisierte Konten verrechnet werden.“ Der Handel sollte über die Handelsgesellschaft Gross-Berlin oder auch unmittelbar durch die Firmen abgewickelt werden können, vgl. dazu UdF 4, S. 542–543, Anm. 50.

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37. Schreiben des stellvertretenden Außenministers Gromyko an den Vorsitzenden des Ministerrats Stalin Streng geheim

Moskau, 18. Juli 19501

An Gen. I.V. Stalin Ulbricht hat Gen. Puškin um Klärung gebeten, welchen Standpunkt die Sowjetische Regierung in der Frage der Aufnahme der Deutschen Demokratischen Republik in den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe2 vertrete und in welchem Verfahren ein solcher Schritt zu bewerkstelligen sei.3 Ulbricht hält es für wünschenswert, dass die Aufnahme der Deutschen Demokratischen Republik in den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe Ende Juli oder Anfang August erfolgt. Hierbei wird davon ausgangen, dass Grotewohl an die Sowjetische Regierung ein Schreiben mit der Bitte richten wird, die Mitglieder des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe von seinem Ersuchen um Aufnahme der Deutschen Demokratischen Republik in den Rat in Kenntnis zu setzen. Das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR ist der Auffassung, dass die Frage bezüglich der Aufnahme der Deutschen Demokratischen Republik in den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe zum richtigen Zeitpunkt gestellt worden ist. Was nun das Verfahren für diese Aufnahme anbelangt, so sollte der Deutschen Regierung empfohlen werden, das Ersuchen um die Aufnahme in den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe allen Regierungen der Mitgliedsländer dieses Rates zukommen zu lassen. Der Entwurf der Anordnung liegt bei.4

1  Kopie. Von diesem Dokument, auf dem keine Registriernummern vermerkt sind, wurden neun Exemplare angefertigt. Kopien gingen an Molotov, Malenkov, Berija, Mikojan, Kaganovič, Bulganin, Chruščev und in die Akten. 2  Der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) wurde am 5. Januar 1949 als Vereinigung der sozialistischen Länder gegründet. Das Ziel war eine Koordinierung der Handelspolitik und die Entwicklung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Die Zusammenarbeit mit der DDR lief anfangs über bilaterale Verträge, vgl. etwa Dok. 24 und dort Fn. 4. 3  Bereits am 4. Mai 1950 hatte Stalin in der Unterredung mit der SED-Führung im Zusammenhang mit der Verbesserung der Versorgung der DDR-Bevölkerung unvermittelt erklärt, dass die Sowjetunion „keine Einwände gegen die Aufnahme der DDR in den Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe erheben würde“. Die DDR-Führung war darauf nicht eingegangen, vgl. Treffen mit Stalin 1950, S. 591. 4  Darin hieß es: „1. Es werden keine Einwände gegen die Aufnahme der Deutschen Demokratischen Republik in den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe erhoben. 2. Der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik ist mitzuteilen, dass die sowjetische Regierung ihre Bitte um Aufnahme in den Rat für gegenseitige Wirt-



Dokument 38: 28. Juli 1950201

Ich bitte um Prüfung.5

i. A. (A. Gromyko)

AVP RF, f. 07, op. 23а, p. 12, d. 157, Bl. 1.

38. Vermerk des Sachbearbeiters und Organisators für den Nachrichtendienst im Bundeskanzleramt Oster III/VII/50/3

Bonn, 28. Juli 19501

Betrifft: Professor Dr. Ulrich Noack. Nach verlässlicher2 Information hat der Herr Bundesinnenminister3 den Würzburger Historiker Prof. Dr. Ulrich Noack kürzlich empfangen und ihm schaftshilfe

unterstützt, ihr aber empfiehlt, sich in dieser Frage an alle Regierungen der Mitgliedsländer des Rates zu wenden.“ Vgl. AVP RF, f. 07, op. 23а, p. 12, d. 157, Bl. 2. 5  Diese Frage wurde nicht zügig behandelt, jedoch stimmte Stalin offensichtlich dem von Vyšinskij vorschlagenen Verfahren für die Aufnahme der DDR in den RGW zu. Am 22. August 1950 bestätigte das Politbüro der SED den Wortlaut eines Scheibens an die Regierungen aller im Rat vertretenen Länder, das am folgenden Tag im Ministerrat beschlossen wurde (vgl. BAB, DC 20-I/3/28). In dem vom SED-Politbüro bestätigten Entwurf dieses Ersuchens hieß es u. a.: „Wir bitten, bei der Stellungnahme zu unserem Antrag über die Aufnahme in den Rat zur Kenntnis zu nehmen, daß die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik ihre Wirtschaftspolitik mit Blick auf ganz Deutschland durchführt, also auch die wirtschaftlichen Interessen Westdeutschlands bei ihrer Außenhandelspolitik mit berücksichtigt.“ Vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/105, Anlage 2. Das an die Regierung der UdSSR gerichtete Schreiben Grotewohls wurde am 26. August 1950 an das Moskauer Außenministerium übergeben (vgl. BDU  1, S. 231–234). Am 4.  September 1950 informierte Vyšinskij Stalin über dieses Ersuchen. Unter Verweis darauf, dass der Provisorischen Regierung der DDR bereits im Juli diesbezüglich die Unterstützung der sowjetischen Regierung zugesagt worden sei, riet Vyšinskij, den sowjetischen Vertreter im RGW anzuweisen, die Aufnahme der DDR zu befürworten (vgl. AVP  RF, f. 07, op. 23а, p. 12, d. 157, Bl. 8). Die vorgesehene Zustimmung der UdSSR zur Aufnahme der DDR in den RGW wurde der Diplomatischen Mission am 9. September in Form einer Note mitgeteilt (vgl. PA AA, MfAA A, Bd. 15529, Bl. 22). Am 29. September 1950 wurde die DDR einstimmig in den RGW aufgenommen. Am 16. November 1950 wurde Georg Henke zum Ständigen Vertreter der DDR beim RGW ernannt (vgl. BAB, DC 20I/3/36, TOP 8). 1  Original. 2  Dieses Wort ist im Original handschriftlich unterstrichen. 3  Das war zu diesem Zeitpunkt Gustav Heinemann, der am 31. August 1950 wegen Adenauers Vorgehen in der Frage eines Verteidigungsbeitrags der Bundesrepublik seinen Rücktritt anbot, vgl. Kabinettsprotokolle, Bd. 2 (1950), S. 663–664, Anm. 1. Nachdem er Adenauer in einem Schreiben vom 9. Oktober seine ablehnende Position

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versichert, dass seine Konzeption der Neutralisierung Deutschlands seiner eigenen weitgehend entspräche und er die Noack’schen Bestrebungen unterstütze.4 In Verfolg[ung] dieses Weges habe der Berliner Bürgermeister Friedensburg den Weg zu Botschafter Semjonow erneut bereitet.5 Und Prof. Noack fahre jetzt wieder zu einer Fühlungnahme nach Karlshorst. Oster6 PA AA, B 2-VS, Bd. 23A.

zu einer „Remilitarisierung“ dargelegt hatte, wurde er von diesem entlassen. Vgl. dazu und zur Begründung Heinemanns Dok. 48, Fn. 8. Am 28. Juli 1950 entstand ein weiterer Vermerk von Oster mit dem Geschäftszeichen III/VII/50/3 betr. „Geheimschutz“, laut dem die Sekretärin Heinemanns die frühere Gehilfin des KPD-Bundestagsabgeordneten Renner sei. Heinemann sei dies bekannt, er „stehe für seine Sekretärin jedoch gerade“. Der Vermerk wurde durch von Schwerin über Blankenhorn an Adenauer weitergeleitet, vgl. PA AA, B 2-VS, Bd. 23A. Offenbar wurde Heinemann bereits vor dem Zerwürfnis mit Adenauer über die Frage des Wehrbeitrags verdächtigt, mit Staatsgeheimnissen sorglos umzugehen. Nach Heinemanns Entlassung vermittelte Renner dessen Kontakte zur SED, vgl. Lemke, Einheit oder Sozialismus, S. 162. 4  Zu Ulrich Noack vgl. Dok. 19 und dort Fn. 15 und 16 sowie Dok. 39. 5  Ein erneuter Besuch von Noack in Karlshorst nach dem 28. Juli 1950 konnte im AVP RF nicht belegt werden. 6  Handschriftlich. Am Schluss des Dokuments vermerkte Gerhard Graf von Schwerin am 28. Juli 1950: „Herrn Min. Dir. Blankenhorn für den Herrn Bundeskanzler“.



Dokument 39: 5. August 1950203

39. Unterredung zwischen dem stellvertretenden Leiter der Informationsabteilung der SKK Oberst Guljaev und den Vertretern westdeutscher Wirtschaftskreise Hoffmann, Schmitt und Hagert Geheim

5. August 19501

Aus dem Tagebuch2 des stellvertretenden Leiters der Informationsabteilung Oberst G.P. Guljaev Unterredung mit Dr. Hoffmann, Dr. Hagert3 und Dr. Schmitt4 (gekürzte Aufzeichnung)5 Die Unterredung fand am 5. August d. J. in der Informationsabteilung statt. An dem Gespräch nahm Major Kratin teil. Die Aufzeichnung des Gesprächs besorgte Leutnant Popov. Initiator des Treffens war Dr. Hoffmann, der schon in den vorausgegangenen Treffen mit Oberst Guljaev6 bei der Besprechung von Fragen im Zusam1  Kopie. Es ist die einzige Abschrift, die von einer „gekürzten Aufzeichnung“ des Geprächs hergestellt und beglaubigt wurde. Sie ging erst am 18. September Gribanov zu. In einem Begleitschreiben hieß es dazu: „Die Vorschläge der Vertreter Westdeutschlands sind von gewissem Interesse, und unter bestimmten Bedingungen wäre es zweckmäßig, diese Vorschläge von unserer Seite zu unterstützen. Allerdings verfügen wir gegenwärtig nicht über ausreichende Informationen darüber, was die oben genannten Personen aus Westdeutschland repräsentieren, und außerdem ist uns die Position der SKK in dieser Frage nicht bekannt.“ Vgl. AVP RF, f. 082, op. 37, p. 208, d. 49, Bl. 15– 16. Über Unterredungen Guljaevs mit diesen Westdeutschen hatte der Stellvertreter des Politischen Beraters zum ersten Mal am 9. September berichtet (vgl. ebenda, Bl. 14). 2  „Tagebuch“ ist ein aus der russischen Kanzleisprache übernommener Begriff des Auswärtigen Dienstes der UdSSR für Gesprächsaufzeichnungen. 3  Im russischen Original als „Chagarc“ wiedergegeben. In dem Begleitschreiben an Gribanov vom 18. September (vgl. Fn. 1) wurde der Name mit doppeltem „g“ geschrieben. Dass der Chemiker und Zeuge auf dem Nürnberger I. G.-Farben-Prozess Werner Hagert gemeint war, ergibt sich aus seiner Beschreibung im Dokument und einem im Nachlass Ulbricht überlieferten Bericht (vgl. Fn. 8). 4  Der Name wurde im russischen Dokument ursprünglich als „Schmitt“ geschrieben, dann jedoch durchgängig handschriftlich in „Schmidt“ korrigiert. Offensichtlich ist dennoch Matthias Schmitt gemeint, damals Leiter des Referats „Wirtschaftspolitische Grundsatzfragen des Außenhandels“ im Bundesministerium für Wirtschaft. In seinen Publikationen zweifelte Schmitt die Westbindung der Bundesrepublik nie an, setzte sich aber für einen verstärkten Osthandel ein und kritisierte die Handelshemmnisse infolge der US-Embargopolitik. 5  Ob eine Langfassung zu dieser Gesprächsaufzeichnung existiert, konnte nicht ermittelt werden. 6  Aufzeichnungen dazu konnten im AVP RF nicht ermittelt werden.

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menhang mit dem Kreis um Professor Noack7 mitgeteilt hatte, dass er viel weitergehende Pläne habe als diejenigen, die ihn mit dem Noack-Kreis verbinden.8 Dabei stellte Hoffmann uns sein Memorandum zur Verfügung, in welchem diese Pläne dargelegt waren (siehe dazu das Tagebuch von Oberst Guljaev vom 20. Juli d. J.).9 Hoffmann äußerte auch den Wunsch, Oberst Guljaev seine Freunde vorzustellen, mit denen zusammen er diese Pläne umzusetzen beabsichtige. Konkret sprach Hoffmann von Dr. Schmitt, dem Chef der Planungsabteilung des Bonner Wirtschaftsministeriums, und danach, nachdem das Treffen schon vereinbart war, bat Hoffmann um die Erlaubnis, auch noch Dr. Hagert einzuladen, von Beruf Chemiker, der als Berater des amerikanischen Bevollmächtigten für die Entflechtung des Konzerns IG Farbenindustrie tätig sei. Zu Beginn des Gesprächs umriss Dr. Schmitt die Ziele dieser politischen Gruppe in Form einer Darlegung der in dem Memorandum Hoffmanns enthaltenen Ideen. Schmitt erklärte, man beabsichtige, eine breite politische Tätigkeit zu entfalten, deren Ziel die Organisation von Kräften sei, die in echter Opposition zur amerikanischen Politik und zur Regierung Adenauer stehen. 7  Gemeint ist der Nauheimer Kreis um Ulrich Noack, vgl. dazu und zur ambivalenten Haltung der SKK Dok. 19, Fn. 15. Vgl. auch UdF  4, S. 508–509 und S. 679– 683, Anm. 402–403. 8  Im Bericht eines nicht genannten Mitarbeiters an Ulbricht vom 26.  Juli 1950 über ein Treffen mit Hoffmann am 25. Juli hieß es im Vorfeld dieses Gespräches: „Herr Dr. Hoffmann teilte mir mit, dass Herr Dr. Schmidt [sic] vom Wirtschaftsministerium in Bonn und Herr Hagert, Bonn, am Sonnabend und Sonntag, den 5. und 6. August 1950 in Berlin mit dem Frankfurter-Interzonenzug eintreffen und dass man während der Anwesenheit der beiden Herren in Berlin alle uns betreffenden Fragen durchsprechen könne. Herr Dr. Hoffmann bat um die Finanzierung dieser Reise unsererseits, da sie auf unsere Anregung hin unternommen wird.“ Darauf folgen Aufzeichnungen zu einem Bericht Hoffmanns über dessen sechstägige Reise nach Westdeutschland, vgl. BAB-SAPMO, NY 4182/1305, Bl. 207–211, hier Bl. 207. Hoffmanns Gespräche mit der SKK waren seiner Autobiografie zufolge mit Noack weitgehend abgesprochen, vgl. Hoffmann, Mandat, S. 99–102, 106 und 108. 9  Dieses Dokument konnte im AVP RF nicht ermittelt werden. In seiner Autobiografie erwähnte Hoffmann eine von dem Publizisten Wolf Schenke in Abstimmung mit ihm selbst verfasste „Denkschrift an Botschafter Semjonow“, die jedoch vermutlich ein Jahr später zu datieren ist. Darin waren eine Initiative Moskaus für einen Friedensvertrag mit Gesamtdeutschland (einschließlich der „polnisch besetzten Gebiete“), die Neutralität des vereinigten Deutschlands, die Zustimmung zu einer „dem Schutz des Landes dienenden begrenzten Truppe nach dem Muster des Hunderttausend-Mann-Heeres der Weimarer Republik“, die Durchführung freier Wahlen in der DDR und der Bundesrepublik und eine sofortige Aufnahme von Regierungsverhandlungen „zur Überwindung der Spannungen und Schwierigkeiten, insbesondere im Interzonenhandel, in der Versorgung der Bevölkerung der DDR sowie zur Erhaltung der schütter werdenden deutschen Wirtschaftseinheit“ vorgesehen, vgl. Hoffmann, Mandat, S. 109–110.



Dokument 39: 5. August 1950205

1948, als Dr. Schmitt aus englischer Gefangenschaft zurückgekehrt sei, sei die politische Lage für ihn und seine Freunde sehr schwierig gewesen. Sie hätten nicht gewusst, was sie anpacken sollten, und als Menschen guten Willens,10 die mit der aktuellen politischen Entwicklung unzufrieden gewesen seien, hätten sie begonnen, nach irgendwelchen Wegen des Kampfes zu suchen. So sei der Nauheimer Kreis gebildet worden. Die weitere Entwicklung habe jedoch gezeigt, dass eine wirkliche Opposition gegen die aktuelle Politik nicht allein auf der Basis außenpolitischer Thesen aufgebaut werden könne. Dafür sei eine breitere Basis erforderlich. Man habe die Menschen, die nicht mit der Politik des Westens einverstanden seien, davon überzeugen müssen, sich endgültig vom Westen abzukehren. Das habe der erste Schritt sein müssen. Deshalb sei man bestrebt gewesen, eine auf innenpolitische Thesen gegründete Opposition zu schaffen, die die oppositionellen Gruppen im Lande vereinigen sollte. Schmitt betonte, man wisse von der Existenz solcher oppositioneller Gruppen in Westdeutschland, die manches Positive hätten. Diese Gruppen seien von ganz unterschiedlicher Art, aber sie hätten auch Gemeinsamkeiten: Opposition gegen die westdeutsche Regierung. Dazu gehörten die „Sammlung zur Tat“11, die „Deutsche Union“12 u. a. 10  Der Ausdruck „Menschen guten Willens“ spielt möglicherweise auf den Stockholmer Appell an, vgl. Dok. 21, Fn. 12. 11  Im russischen Original hier „Obˮedinenie dlja dejstvija“. Da die Bezeichnung dieser Gruppe(n) in diesem Dokument im Russischen nicht einheitlich wiedergegeben ist (vgl. Fn. 21 und 24), konnte nicht eindeutig geklärt werden, welche Gruppe(n) gemeint war(en): Die „Sammlung zur Tat“ (in Süddeutschland auch unter dem Namen „Europäische Volksbewegung Deutschlands“) war 1949 von dem ehemaligen Sozialdemokraten Karl Steinfeld gegründet worden. Sie vertrat nationalistische und neutralistische Positionen sowie die Idee einer „volkseigenen Wirtschaft“ und nahm erfolglos an der Bundestagswahl 1949 teil. Die „Tatgemeinschaft freier Deutscher“, eine politische Interessenvertretung vor allem heimatvertriebener Deutscher unter der Leitung des Textilunternehmers Gert Spindler und des katholischen Priesters Georg Goebel (der von seinen kirchlichen Ämtern zeitweilig suspendiert wurde), versuchte – ebenfalls erfolglos – ihre Mitglieder als unabhängige Kandidaten 1949 in den Bundestag wählen zu lassen, nachdem sie keine Lizensierung als Partei erhalten hatte. 12  Im russischen Original „nemeckij sojuz“. Es konnte nicht eindeutig geklärt werden, welche Organisation hier gemeint war. Es könnte die 1949 u. a. von August Haußleiter gegründete „Deutsche Union“ gewesen sein, eine eher lockere Sammlungsbewegung, aus der im Herbst 1949, wiederum unter der Leitung Haußleiters, die „Deutsche Gemeinschaft“ hervorging, die sich im Dezember des Jahres auch als Partei gründete (Haußleiter gehörte auch dem „Nauheimer Kreis“ Ulrich Noacks an). Dafür spricht – trotz ihrer überwiegend antikommunistischen Grundhaltung – u. a. deren Ablehnung der Westbindung und Wiederbewaffnung, aber auch die lose Verbindung mit der „Sammlung zur Tat“ (vgl. Fn. 11), die ebenfalls im Herbst 1949 an einem Koordinierungsausschuss der „Deutschen Union“ beteiligt gewesen war. Die „Deutsche Gemeinschaft“ stand vor allem im Frühjahr 1950 auch mit der „Tatgemeinschaft freier Deutscher“ (vgl. Fn. 11) in enger Verbindung, vgl. dazu Fn. 24.

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Die heute bestehenden politischen Parteien und verschiedenen Organisationen zählten, so Schmitt, in ihrem Wesenskern zu den alten politischen Strömungen und könnten daher keine Entwicklungsperspektiven für das deutsche Volk aufzeigen. Was die KPD angehe, so müsse man beachten, dass sie gegenwärtig eine schwache Partei sei und zweitens unter stärkstem Druck stehe und möglicherweise verboten werde.13 Von daher sei schwerlich zu erwarten, dass es der KPD unter den gegenwärtigen Bedingungen gelingen werde, eine breite Oppositionsfront zu bilden. Sie [Hoffmann, Schmitt und Hagert] wollen eine breite Basis finden, eine Form, die es gestatten würde, die oppositionellen Gruppen zu einer „unsichtbaren Front“ gegen Bonn zu machen. Dr. Hagert sagte, ihre Grundthese laute: „Wir sind Deutsche, aber keine Anhänger des Westens. Wir wollen unseren eigenen Weg gehen“. Dr. Hagert erläuterte, er und seine Kollegen seien der „Führerkreis“14, der auch die Aktionsformen erarbeite. Er versprach, Oberst Guljaev ein Memorandum zu übergeben.15 Auf die von ihrer Gruppe vorgesehene Taktik eingehend, erklärte Dr. Schmitt, die Prinzipien der KPD seien für sie nicht akzeptabel. Die Kommunistische Partei lasse sich in ihrem Kampf gegen Bonn von Thesen außenpolitischer Art leiten, d. h. sie orientiere sich offen nach Osten. Die Umstände seien gegenwärtig aber so, dass diese Politik der KPD keinen Erfolg bringen könne. Diese Politik der KPD könne auch unter dem psychologischen Aspekt nicht erfolgreich sein: Offene Orientierung nach Osten rufe den erbitterten Widerstand des Kleinbürgertums hervor, das so etwas wie die Verteidigungsfront der Bourgeoisie16 bilde. Deshalb stelle man an die erste Stelle Thesen innenpolitischer Art: gegen Bonn. Warum? Die von den Amerikanern bestochene Bonner Regierung sei nicht in der Lage, die vor ihr stehenden Aufgaben zu lösen und die nationalen Interessen der Deutschen zu wahren. Die Vereinigung der oppositionellen Gruppen, einschließlich der Partei der Umsiedler17, werde zur Spaltung der Front der Bourgeoisie führen. Vom Standpunkt des Ostens aus seien die Partei der Umsiedler und andere Gruppen 13  Bereits nach dem Beschluss der Bundesregierung vom 19. September 1950 zur Verfassungstreue öffentlich Bediensteter (vgl. Dok. 40, Fn. 25 und 31) wurden viele Kommunisten unter dem Vorwurf der Verfassungsfeindlichkeit aus dem öffentlichen Dienst entlassen. Am 26. Juni 1951 folgte das FDJ-Verbot. Fünf Monate später beantragte die Bundesregierung die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD, doch es dauerte noch knapp fünf Jahre, ehe das Bundesverfassungsgericht am 17. August 1956 die Kommunistische Partei Deutschlands verbot. 14  Das Wort ist in Klammern hinter der russischen Bezeichnung handschriftlich auf Deutsch eingefügt. 15  Ein Memorandum von Hagert konnte im AVP RF nicht ermittelt werden. 16  Im Original steht hier – wahrscheinlich irrtümlich – erneut „Kleinbürgertum“. 17  So im Original, gemeint war der Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE), gegründet am 8. Januar 1950.



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oppositionell gegenüber dem Osten eingestellt. Aber sie seien auch opposi­ tionell gegenüber Bonn, denn die Bonner Regierung könne ihre Forderungen nicht erfüllen. Das müsse man ausnutzen. Ihre Gruppe halte es für nutzlos, das Schwergewicht auf die Bildung oppositioneller Kreise in so großen Parteien wie der CDU, der SPD, der FDP u. ä. zu legen. Diese Parteien hätten in ihren Leitungsgliederungen vor allem Politiker des alten Typs, die in ihren Doktrinen erstarrt seien. Die Gruppe von Hoffmann, Hagert und Schmitt sieht den einzig möglichen Weg zur Schaffung einer breiten Oppositionsfront in Westdeutschland in der Vereinigung aller Oppositionskräfte auf einer Basis, die tatsächlich Entwicklungsperspektiven hätte. Sie beabsichtigen nicht, irgendeine neue Partei zu gründen und halten das sogar für einen taktisch falschen Schritt. Sie halten eine Vielfalt unterschiedlicher Organisationsformen, die Koordination der verschiedenartigsten politischen Oppositionsgruppen für notwendig. Nur eine solche Form der Arbeit werde es gestatten, eine Oppositionsfront so zu errichten, dass sie für die Besatzungsmächte und die deutschen Behörden, die jede aufkommende oppositionelle Organisation umgehend niederzuhalten versuchen, nicht greifbar sei. Was die Taktik politischer Auftritte angehe, so würden sie es für erforderlich halten, sich an flexible politische Parolen zu halten und keine scharfen Formulierungen zu benutzten, die ihre politische Einstellung tatsächlich vollständig wiedergeben. Diese politische Einstellung sei der Kampf gegen den amerikanischen Imperialismus und der Kampf für den Sozialismus. Sie meinen, die Hauptlosung, die alle Bestandteile der Oppositionsfront vereinen werde, sei der Kampf gegen die Regierung Adenauer. Diese Losung werde weithin populär sein, denn Unzufriedenheit mit der Politik Adenauers herrsche in den unterschiedlichsten Kreisen. Dr. Schmitt sagte, die Arbeit unter den oppositionellen Gruppen habe zwei Seiten. Die erste sei die aktive Seite: in der Opposition Gruppen zu unterstützen, die gegen die Bourgeoisie, den Kapitalismus und Bonn aufgetreten seien. Die zweite sei die passive Seite: innerhalb dieser Gruppen die nationalistischen Elemente, die von den Amerikanern benutzt werden können, zu neutralisieren. Und dies sei die Hauptaufgabe, denn die Amerikaner können diese Elemente sehr leicht für ihre Zwecke einsetzen. Unter konkreten Organisationen, auf die sie vor allem zu setzen beabsichtigen, nannte Schmitt die kürzlich entstandene Partei der Umsiedler: den „Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten“ (die Partei von Kraft).18 18  Gemeint war Waldemar Erich Kraft. Zum BHE vgl. Fn. 17. Der Absatz ist am linken Rand handschriftlich angestrichen.

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Schmitt und danach auch Hoffmann erklärten, es werde ihnen gelingen, in dieser Partei ihren Einfluss geltend zu machen und die Initiative zur Schaffung von Organisationen dieser Partei in verschiedenen Ländern Westdeutschlands zu ergreifen. Hoffmann berichtete, er habe einen sehr guten Kontakt zu Gereke19, der im Einvernehmen mit Kraft eine Organisation dieser Partei in Niedersachsen gründe. Der Umstand, dass die eben erst gegründete Partei von Kraft bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein auf Anhieb einen großen Stimmenanteil erhalten habe,20 spreche für die erheblichen Möglichkeiten dieser Partei. Die Partei werde wachsen, sie sei eine oppositionelle Kraft, die sich am Anfang ihrer Entwicklung befinde. Die große Aufgabe sei allerdings die Beseitigung der für diese Partei gegenwärtig charakteristischen chauvinistischen Motive. Hoffmann, Schmitt und Hagert sind der Meinung, dass ihnen das gelingen werde. Weitere Organisationen, die die Hoffmann-Gruppe in erster Linie zu benutzen gedenkt, sind Organisationen wie die „Sammlung zur Tat“21, einige Gruppen der „Deutschen Union“22 und Gruppierungen der Anhänger Strassers.23 Dr. Schmitt bemerkte, sie würden einen Kreis von 10–15 Mitgliedern vertreten, von denen jeder seine Leute in den oppositionellen Gruppen habe. Ihre Arbeit werde anhand des folgenden Beispiels charakterisiert: Als die Ereignisse in Korea begonnen hätten, hätten viele Mitglieder der „Tatgemein-

19  Zu Gereke vgl. Dok. 8, Fn. 4. Nach seinem Parteiausschluss aus der CDU Ende Juni 1950 trat Gereke für kurze Zeit in den BHE ein und bildete eine Fraktion dieser Partei im niedersächsischen Landtag. Wegen Meinungsverschiedenheiten mit der Parteiführung vor allem über den Umgang mit der DDR verließ er die Partei bereits Anfang 1951 wieder und trat der Deutschen Sozialen Partei (DSP) bei, einer nationalistischen Kleinpartei, die seine Anhänger auf sein Betreiben bereits im Herbst 1950 gegründet hatten. Sie setzte sich für den Interzonenhandel ein und bezog daraus auch ihre Finanzierung. Vgl. Winterhager, Gereke, S. 60–65. 20  Bei den Wahlen in Schleswig-Holstein am 9. Juli 1950 war der Anfang des Jahres gegründete BHE (vgl. Fn. 17) auf auf 23,4 Prozent der Stimmen gekommen und damit zur zweitstärksten Kraft vor der CDU in diesem Bundesland geworden. 21  Im russischen Original hier „Sobiranie k dejstviju“. Vgl. Fn. 11 zu diesem Dokument. 22  Vgl. Fn. 12 zu diesem Dokument. 23  Der Absatz ist am linken Rand handschriftlich angestrichen. Gemeint war hier in erster Linie der 1948 von Anhängern Otto Strassers (der sich zu dieser Zeit noch im kanadischen Exil aufhielt) gegründete „Bund für Deutschlands Erneuerung“. Anhänger Strassers unterstützten auch die DSP (vgl. Fn. 19 zu diesem Dokument). Einer der Anhänger Strassers war Hagert selbst, der sich während des Jahres 1951 um dessen Rückkehr aus dem Exil bemühte, vgl. Elzer, Die Schmeisser-Affäre, S. 77–79 und 83.



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schaft freier Deutscher“24 begonnen, die Schaffung westdeutscher Streitkräfte zu fordern, um eine Garantie gegen die Möglichkeit ähnlicher Ereignisse in Deutschland zu haben. Dr. Schmitt habe umgehend die Leiter dieser Gesellschaft bei sich versammelt und ihnen das Fehlerhafte derartiger Ansichten erklärt und auf die Notwendigkeit des Kampfes gegen Bonn zwecks Verhinderung einer Wiederholung der koreanischen Ereignisse in Deutschland hingewiesen. In diesem Zusammenhang betonten Hagert, Schmitt und Hoffmann mehrfach, dass sie generell sehr weitreichende Verbindungen hätten und durch Vertrauenspersonen über vielfältigste Informationen über die Situation in den politischen Parteien, in Regierungsstellen usw. bis hin zu den Organen der Besatzungsmächte verfügen. Im Verlauf des Gesprächs kam die Rede auf wirtschaftliche Probleme Westdeutschlands. Hagert berichtete sehr detailliert und gern über die Situation mit dem Konzern IG Farbenindustrie, der nicht nur nicht entflochten werde, sondern im Gegenteil ein äußerst mächtiges monopolistisches Gebilde bleibe. Hagert versprach, alle Einzelheiten zu dieser Frage schriftlich darzulegen. Major Kratin bat Dr. Schmitt, Beispiele zu nennen, die die Stärkung des amerikanischen Kapitals in der Wirtschaft Westdeutschlands charakterisieren. Dr. Schmitt antwortete, die Amerikaner hätten Scheu, ihr Kapital in westdeutsche Unternehmen zu investieren, da sie die politische Lage für instabil hielten. Die Amerikaner würden die alten Positionen in der deutschen Industrie nutzen. Viele Halter deutscher Aktien, die nach Amerika geflüchtet seien, seien amerikanische Staatsbürger geworden, und deshalb befinde sich in der Hand der Amerikaner ein bedeutender Teil des deutschen Kapitals. Schmitt sprach vom Außenhandel Westdeutschlands und verwies darauf, dass sich die westdeutschen Industriellen dank des Dollarbonus und des wachsenden Binnenmarktes gegenwärtig in einer besseren Lage befänden als dies früher der Fall gewesen sei. Der Absatz sei leichter geworden, und das gelte vor allem für Stahl. 24  Im russischen Original hier „Obščestv[o] dejstvija“. Die kursiv gesetzten Worte sind handschriftlich unterstrichen. Da hier im Russischen erneut eine andere Bezeichnung gewählt wurde (vgl. Fn. 11 und 21 zu diesem Dokument), ist es auch denkbar, dass unterschiedliche Organisationen gemeint waren. Möglich ist auch, dass der Protokollant diese ähnlich klingenden Organisationen nicht auseinanderhalten konnte. Die im Dokument beschriebenen Reaktionen von Teilen der Gruppe auf den Koreakrieg (vgl. Dok. 41, Fn. 7) legen nahe, dass zumindest in diesem Fall die „Tatgemeinschaft freier Deutscher“ gemeint gewesen sein könnte, die sich im Frühjahr 1950 der „Deutschen Gemeinschaft“ (vgl. Fn. 12) angeschlossen hatte. Nach Ausbruch des Koreakrieges traten jedoch Vertreter der „Tatgemeinschaft freier Deutscher“, namentlich Spindler, für eine westdeutsche Aufrüstung ein, verließen die „Deutsche Gemeinschaft“ und näherten sich dem Regierungskurs an.

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Auf die Frage nach dem Verlauf der Debatte um den Schuman-Plan25 antwortete Schmitt, die Regierung Adenauer sei bestrebt, das Schwergewicht vor allem auf die politische Seite der Frage zu legen, denn die Diskussion von Fragen wirtschaftlicher Art würde es durchaus wahrscheinlich machen, dass zwischen den deutschen und französischen Verhandlungsteilnehmern unüberwindliche Differenzen aufkommen. Die französischen Industriellen seien bestrebt, den Schuman-Plan dafür zu nutzen, dass der deutschen Industrie keine Möglichkeit gegeben wird, in ihrer Entwicklung aufzuholen und so die Relation zwischen der französischen und der deutschen Schwerindustrie, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg erheblich zugunsten Frankreichs verändert habe, zu untergraben. Das Gespräch kam auf die Weigerung Schumans, François-Poncet zu empfangen und auf die Beziehungen zwischen beiden. Dr. Hagert gab an, die Ursachen lägen in der unterschiedlichen Einstellung Schumans und Poncets zum Schuman-Plan. Schuman versuche, seinem Plan Züge des sozialen Fortschritts zu verleihen, während Poncet danach trachte, dass in dem Plan ausschließlich die Interessen der französischen Großindustriellen zum Ausdruck kommen. Oberst Guljaev stellte die Frage nach dem Verlauf der Erfüllung des Handelsvertrags zwischen Westdeutschland und Jugoslawien. Dr. Schmitt sagte, von jugoslawischer Seite sei der Vertrag erst zu 40 Prozent erfüllt, und da Westdeutschland an Jugoslawien mehr geliefert habe als es von dort erhalten habe, sei Jugoslawien erheblich verschuldet. Die aus Jugoslawien kommenden Rohstoffe (Tabak, Holz, Hanf) seien schlechter und teurer als die gleichen Rohstoffe aus Bulgarien, Griechenland und Italien. Daher sei eine weitere Ausweitung des Handels mit Jugoslawien kaum möglich. Jugoslawien habe indessen den Wunsch geäußert, den Vertrag auf eine längere Laufzeit zu verlängern und ein Kreditabkommen über 100 Millionen Dollar zu schließen. Westdeutschland sei am Bezug einiger Rohstoffe (Bauxite) aus Jugoslawien interessiert, habe sich aber nur auf den Abschluss eines Kreditabkommens für den Zeitraum 1950–54 eingelassen, welches lediglich einen 15-Millionen-Dollar-Kredit für Jugoslawien vorsehe. Des Weiteren wurde von Oberst Guljaev die Frage nach dem Verhältnis der Hoffmann-Gruppe zu anderen Parteien gestellt. Oberst Guljaev bat, Namen von Personen aus anderen Parteien zu nennen, die mit ihnen zusammenarbeiten. Dr. Hagert und Dr. Hoffmann gaben Kurzcharakteristiken der CDU, der SPD und des DGB, ohne ihre Leute in diesen Parteien zu nennen. 25  Als „Schuman-Plan“ wurde der in einer Erklärung des damaligen französischen Außenministers Robert Schuman am 9. Mai 1950 enthaltene Vorschlag bezeichnet, die deutsche und französische Kohle- und Stahlproduktion zusammenzulegen.



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Schmitt sagte, man wolle nicht auf die bestehenden Parteien einwirken, sondern neue Kräfte außerhalb dieser Parteien und gegen sie schaffen. Dr. Hoffmann erklärte: „Wir bleiben im Schatten und benutzen in diesen Parteien unsere Leute zwecks Information. Unsere Arbeit ist irgendein Zwischending zwischen legaler und illegaler Arbeit“. Hoffmann machte darauf aufmerksam, dass auf der politischen Bühne Brüning erschienen sei.26 Er äußerte die Meinung, dass Brüning möglicherweise bald Adenauer ablösen werde, da Adenauer nach Meinung der Amerikaner nicht allzu flexibel sei, vor allem in Fragen der Sozialpolitik. Außerdem werde Adenauer überhaupt seine Pflichten kaum erfüllen können, da er unheilbar krank sei (Knochentuberkulose). Die Pressemitteilung über die Besserung des Gesundheitszustands Adenauers entspreche nicht der Wirklichkeit.27 Noch einmal auf Fragen der Arbeit ihrer Gruppe eingehend, kam Dr. Schmitt am Ende des Gesprächs auf die finanzielle Seite der Sache zu sprechen und verwies auf Schwierigkeiten, die auf diesem Gebiet bestünden. Schmitt wandte sich mit einer direkten Bitte um Hilfe an Oberst Guljaev und sagte, die wichtigste Form dieser Hilfe wäre unsere Unterstützung für Dr. Hoffmann in der Frage der Tätigung von Handelsgeschäften mit der DDR durch die Gewährung der Möglichkeit, in der DDR hergestellte Waren nach Westdeutschland weiterzuverkaufen, was derzeit viele westdeutsche Kommissionäre täten, und zwar mit größtem Profit für sich. Das würde es gestatten, Möglichkeiten zur Finanzierung dieser Gruppe zu erschließen. Hoffmann fügte hinzu, es gehe vor allem um Betriebe der Sowjetischen Ak-

26  Der frühere Reichskanzler Brüning weilte von Mai bis Juli 1950 in Deutschland und hielt u. a. an der Kölner Universität öffentliche Reden. In der Presse wurde in dieser Zeit spekuliert, dass ihm das Amt des ersten Außenministers der Bundes­ republik angeboten würde (vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17. Juli 1950, S. 3). Hoffmann handelte Brüning in seinem am 26.  Juli aufgezeichneten Bericht über seine Reise nach Westdeutschland (vgl. Fn. 8) in ähnlicher Weise wie in diesem Dokument als möglichen Kandidaten für das Bundeskanzleramt und behauptete, dieser führe „seit längerer Zeit“ in der Schweiz Gespräche mit Adenauer über die Umbildung der Regierung. Vgl. BAB-SAPMO, NY 4182/1305, Bl. 207–211, hier Bl. 208. 27  Die Verschiebung einer Kabinettssitzung aufgrund einer Erkrankung Adenauers meldete die Frankfurter Allgemeine Zeitung bereits am 31. Mai 1950 (S. 2). Am 17. Juli berichtete dieselbe Zeitung erneut von einer Krankheit Adenauers (S. 1). Am 29. Juli kündigte sie an, Adenauer werde „voraussichtlich am 10. August seine Regierungsgeschäfte in Bonn wieder aufnehmen“ (S. 4). Etwa in dieser Zeit erreichten Ulbricht Meldungen, dass Adenauer an Knochentuberkulose leide und wahrscheinlich nicht mehr in sein Amt zurückkehren werde, vgl. Amos, Westpolitik, S. 69 (darunter der Bericht an den „Genossen Ulbricht zur Information“ über ein Treffen mit Hoffmann, vgl. Fn. 8 und 26).

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tiengesellschaften, die über Handelsverbindungen mit verschiedenen Firmen Westdeutschlands verfügen.28 Als konkrete Möglichkeit wurde der Weiterverkauf von unbelichtetem Filmmaterial nach Westdeutschland genannt. Oberst Guljaev riet Hoffmann, konkrete Vorschläge zu machen und dabei vor allem die gegenwärtig tatsächlich bestehenden Möglichkeiten ins Auge zu fassen.29 Zum Schluss der Unterredung versicherten alle drei Oberst Guljaev ihrer Absicht, den ständigen Kontakt zur SKK weiter aufrecht zu erhalten, und ihrer Bereitschaft, Informationen unterschiedlicher Art zu liefern. Anhand des Gesprächsverlaufs zeigte sich, dass Dr. Schmitt tatsächlich ein sehr informierter Mann in Fragen des Außenhandels der Bonner Republik und in einigen anderen Wirtschaftsfragen ist, und dass Dr. Hagert sich in Fragen der Konzernentflechtung in Westdeutschland sowie in Eigentumsfragen in der westdeutschen Schwerindustrie auskennt. Im Verlauf des Gesprächs übergab Dr. Hagert an Oberst Guljaev zur Information das Protokoll einer Sitzung des Ausschusses zum Studium der 28  Zu Geschäftsbeziehungen zwischen SAG und westdeutschen Firmen vgl. Dok. 9 und dort Fn. 9. 29  Am 11. August 1950 übergab Hoffmann bei einem weiteren Treffen mit Guljaev in der Abteilung für Information der SKK diesem „… einen schriftlichen Vorschlag zur Frage des Kontingentes und der Menge von in der DDR erzeugten Waren, deren Verkauf in Westdeutschland er auf sich nehmen und auf diese Weise die Finanzierung der Tätigkeit von der Regierung Adenauers gegenüber oppositionell gesinnten westdeutschen politischen Gruppen sichern könnte“ (vgl. AVP RF, f. 082, op. 37, p. 208, d. 49, Bl. 4). Zu den nachgefragten Waren gehörten: „Kalisalz (38–42 %) – 20 000 Tonnen, Kalisalz (48–52 %) – 10 000 Tonnen, Kaliumferrocyanid – 200 Tonnen, Kaliumferricyanid  – 100 Tonnen, Phenol  – 250 Tonnen, Oxalsäure nach DAB  6  – 200 Tonnen, rohes Naphtalin – 2 000 Tonnen, Ammoniumsulfat – 30 000 Tonnen, Benzin – 3 000 Tonnen, Benzol – 1 000 Tonnen; Saat- und Futtergetreide – jährlich für 5–6 Mio. westdeutsche Mark; Zucker  – 50 000  Tonnen, Damenstrümpfe erster Sorte, links gestrickt – monatlich 100–500 Tausend Paar; Damenstrümpfe zweiter Sorte, links gestrickt – monatlich 50–100 Tausend Paar, Herrensocken erster Sorte – monatlich 10 000 Paar; Stoffe aus Kunstfaser – 50 000 Meter“ (vgl. ebenda, Bl. 12). Am 25. September 1950 bat der Leiter der Dritten Europäischen Abteilung des Außenministeriums der UdSSR Gribanov den stellvertretenden Politischen Berater der SKK Il’ičev unter Bezugnahme auf die Treffen vom 5. und 11. August um eine Charakteristik der hier „genannten Vertreter Westdeutschlands“ sowie um seine „Meinung zu dieser Frage“ (vgl. ebenda, Bl. 14). Hoffmann wurde zu dieser Zeit von der CIA verdächtigt, für die Firma Atlas Trading in einem Dreieckshandel über Skandinavien oder Österreich die Handelsbeschränkungen für den Ost-West-Handel zu unterlaufen, vgl. dazu und zu weiteren Aktivitäten Hoffmanns Douglas Selvage, SA-CIAHV A. Dr. Emil Hoffmann and the „Jungle of the Secret Services“ (1934–1985), in: Uwe Spiekerman (Hrsg.), The Stasi at Home and Abroad. Domestic Order and Foreign Intelligence. Bulletin of the German Historical Institute, Supplement 9 (2014), S. 115–138.



Dokument 40: 15. August 1950213

deutsch-französischen Wirtschaftsbeziehungen, an welcher der Hohe Kommissar der USA in Deutschland, McCloy, als Gast teilgenommen hatte.30 Der stellvertretende Leiter der Informationsabteilung der SKK in Deutschland Oberst Guljaev31 AVP RF, f. 082, op. 37, p. 208, d. 49, Bl. 5–11.

40. Rundschreiben des Staatssekretärs im Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen Thedieck Geheim!

Bonn, den 15. August 19501

Betr.: Illegale Wühlarbeit der SED und der von ihr gesteuerten Organisationen im Bundesgebiet Obwohl der Unterzeichnete bereits auf der Konferenz der Innenminister am 10. August 19502 Gelegenheit hatte, zu akuten Fragen der illegalen Wühlarbeit der SED und der von ihr gesteuerten Organisationen im Bundesgebiet Ausführungen zu machen und Vorschläge zu ihrer Bekämpfung zu unterbreiten, hält es das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen angesichts der Dringlichkeit und Notwendigkeit, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, für erforderlich, den Herren Innenministern der Länder, dem Herrn Senator für die innere Verwaltung bei der Freien Hansestadt Bremen und dem Herrn Polizeisenator der Hansestadt Hamburg die Hauptgesichtspunkte nochmals zu unterbreiten und die Bitte auszusprechen, die Vorschläge für Gegenmaßnahmen einer entsprechenden Prüfung zu unterziehen.3 30  Die Bemerkung in Klammern: „Ist beigefügt“ ist handschriftlich gestrichen. Das Protokoll der Ausschusssitzung konnte nicht ermittelt werden. 31  Handschriftlich. 1  Abschrift. Das Rundschreiben trug die Tgb.  Nr. 3716/50 und war an die Innenminister aller Bundesländer sowie an den Senator für innere Verwaltung von Bremen und den Polizeisenator der Hansestadt Hamburg adressiert. Die Abschrift ging an den Staatssekretär des Innern im Bundeskanzleramt Lenz „mit Bitte um Kenntnisnahme“. Das entsprechende Begleitschreiben ging im Bundeskanzleramt am 17. August 1950 ein. Es erhielt den Stempel „Dem Herrn Bundeskanzler vorzulegen“. Adenauer vermerkte am 19. August links unten: „Eilt! [unleserlich] M[inisterial]R[at] Rust z. K. 1) Zuständigkeit 2) Maßnahmen“. 2  Im Original fälschlich 10. September 1950, dieses Datum ist handschriftlich unterstrichen und mit einem Fragezeichen versehen. 3  Am 11. August 1950 berichtete Heinemann dem Kabinett über die Konferenz vom Vortag. Das Protokoll hielt zu der von Thedieck angesprochenen Frage fest:

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Die rückläufige Entwicklung der kommunistischen Partei im Bundesgebiet und ihre Ablehnung durch die Bevölkerung hat seit Beginn dieses Jahres das Politbüro der SED veranlaßt, ihre Parolen und Ziele im Bundesgebiet propagandistisch durch getarnte Organisationen, Vereinigungen, Komitees, Ausschüsse, Arbeitskreise und dergleichen verbreiten zu lassen. Seit etwa 1 Jahr sind im Bundesgebiet eine Reihe derartiger Zusammenschlüsse entstanden, die zum Teil einen an sich vielleicht durchaus vertretbaren Zweck proklamieren und nach ihrer Satzung und ihrer Zusammensetzung allein noch keinen ausreichenden Anlaß zu einem Eingreifen seitens der Staatsbehörden geben konnten. Bei genauer Beobachtung des Wirkens und der Aufgabenstellung vieler dieser Vereinigungen war aber schon immer der starke Verdacht vorhanden, daß sie von der Sowjetzone aus gesteuert, mit bestimmten Aufgaben bedacht und mit Propagandamaterial, wahrscheinlich auch mit den erforderlichen Geldmitteln versorgt würden. Durch den Parteitag der SED vom 20.– 24. Juli dieses Jahres4 ist aber eine klare Situation geschaffen worden. Hier wurde diesen Vereinigungen die Aufgabe übertragen, Schrittmacher für die „Nationale Front“5 und andere kommunistische Organisationen zu sein und die getarnten Podien für die kommunistischen Agenten und Propagandisten „Auch die Ergebnisse der Besprechung mit den Innenministern der Länder über die Bekämpfung der kommunistischen Infiltration waren sehr beschränkt. Es sei einmütig erklärt worden, daß bei unveränderter Aufrechterhaltung der im Grundgesetz verankerten Grundrechte durchgreifende Maßnahmen nicht getroffen werden können. Es müsse deshalb eine Änderung des Grundgesetzes in Erwägung gezogen werden. Angestrebt werde eine alle Parteien mit Ausnahme der KPD umfassende Arbeitsgemeinschaft, die die Aufgabe haben soll, die propagandistische Behandlung der kommunistischen Infiltration zu vereinheitlichen und wirkungsvoll auszugestalten. Der Staatssekretär im Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen hält es für zweckmäßig, die Öffentlichkeit positiver über die Ergebnisse der gestrigen Besprechung zu unterrichten, findet für diese Ansicht aber im Kabinett keine Mehrheit.“ Vgl. Kabinettsprotokolle, Bd. 2 (1950), S. 626. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete hingegen am 12. August auf S. 4: „Nach Berichten von Teilnehmern an der Besprechung bestand unter den Innenministern Einigkeit darüber, daß der sich immer stärker bemerkbar machenden kommunistischen Wühlarbeit in den Westzonen begegnet werden müsse. Es herrsche bei Erörterung dieser Fragen keine Neigung zu einem generellen Verbot der westdeutschen Kommunistischen Partei, was aus verfassungstechnischen, aber auch aus psychologischen Gründen nicht opportun erschien. Vielmehr waren die Innenminister der Meinung, daß man den westdeutschen Kommunisten Gelegenheit geben sollte, ihren bisher zu verzeichnenden politischen und organisatorischen Krebsgang in aller Oeffentlichkeit fortzusetzen. Auf der anderen Seite werden aber die Länder in Zukunft stärker als bisher die in Nebenorganisationen getarnten Wühlarbeiten beobachten und bekämpfen.“ 4  Gemeint ist der III. Parteitag der SED, auf dem u. a. Entschließungen zum ersten Fünfjahrplan und zur „gegenwärtige[n] Lage und den Aufgaben“ der SED gefasst wurden, vgl. Dok. 12, Fn. 11 und Dok. 31, Fn. 5. 5  Vgl. UdF 4, S. XIX–XXIII.



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in der Bundesrepublik abzugeben. Nachdem der neu gewählte Generalsekretär der SED, Ulbricht, hierbei offen ausgesprochen hat, daß es das Ziel der SED ist, über die von ihr gesteuerten Organisationen die demokratischen Verhältnisse in der Bundesrepublik zu untergraben und den „Nationalen Widerstand“ zu organisieren,6 ist es an der Zeit, diesen getarnten Zusammenschlüssen erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken. Aus den Vorgängen auf dem Parteitag der SED sind besonders noch die folgenden Einzelheiten zu beachten: Otto Grotewohl, der Ministerpräsident der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik, erklärte am 21. Juli 1950: „Niemand in Westdeutschland untersteht rechtmäßig den Anweisungen der Besatzungsmacht. Darin liegt unser Recht auf den nationalen Widerstand, denn es ist ein Widerstand gegen einen rechtlosen Zustand.“7 Grotewohl erklärte weiter, daß auf dem Gebiet der Bundesrepublik „nationale Unterdrückung und Fremdherrschaft“ laste und daher die „Deutsche Demokratische Republik“ den Kampf für die „nationale Einheit und für die Demokratie“ für Gesamtdeutschland zu führen habe.8 Grotewohl forderte die 6  Thedieck bezog sich möglicherweise auf die Rede Ulbrichts vor dem Berliner Parteiaktiv der SED am 3. August 1950, in der er sich unter Bezug auf die Rede Grotewohls vom 21. Juli (vgl. Fn. 7–9) ausführlich zu „nationalem Widerstand“ in der Bundesrepublik und West-Berlin äußerte (vgl. Neues Deutschland, 5. August 1950, S. 3–4). Westdeutsche Zeitungen nahmen diese Rede in ähnlicher Weise als Drohung wahr. So die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 5. August 1950 auf S. 1: „Der kommunistische Kampf gegen Westdeutschland ist von dem neuen Generalsekretär der Sozialistischen Einheitspartei, Ulbricht, jetzt in einer Schärfe proklamiert worden, wie sie selbst auf dem Parteitag der Sozialistischen Einheitspartei noch nicht zutage getreten ist. Ulbricht verlangte, daß die patriotischen Kräfte des Volkes mit aller Kraft den Kampf führen müßten, um die Nester der Kriegsprovokateure zu liquidieren, wie das in Südkorea geschehe … Nach diesen Ankündigungen erwarten politische Kreise, die das Vorgehen der Kommunisten in Osteuropa beobachtet haben, daß in Westdeutschland sehr bald und in wesentlich verstärktem Umfange von entschlossenen aktiven kleinen Gruppen der Kommunisten Aktionen eingeleitet würden, die zunächst vor allem der Einschüchterung der Bevölkerung dienen sollten.“ Vgl. auch die Deutung in Der Spiegel 32/1950 auf S. 5. 7  Grotewohl hatte zuvor in seiner Rede den Westmächten vorgeworfen, „in striktem Widerspruch zu den Bestimmungen des Potsdamer Abkommens“ zu handeln, und daraus gefolgert: „Niemand in Westdeutschland untersteht also mehr rechtmäßig den Anweisungen der Besatzungsmächte. Darin liegt unser Recht auf den nationalen Widerstand, denn es ist ein Widerstand gegen einen rechtlosen Zustand, einen Zustand, auf den das Wort zutrifft: Gewalt geht vor Recht! (Starker Beifall.)“ Vgl. Neues Deutschland, 22. Juli 1950, S. 4. 8  Im Wortlaut: „Die Republik ist im Kampf entstanden, sie steht heute im Kampf und wird ihr Leben im Kampf entfalten müssen. Auf dem westlichen Teil unseres Vaterlandes lastet nationale Unterdrückung und Fremdherrschaft. Unsere junge Deutsche Demokratische Republik hat daher ihren Kampf für das nationale Selbstbestimmungsrecht, für die nationale Einheit und für die Demokratie nicht nur in ihrem eigenen Gebiet, sondern für Gesamtdeutschland zu führen. Sie wird damit zur stärksten

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Arbeiter und Bauern Westdeutschlands auf, sich geschlossen über die Anweisungen ihrer zentralen Leitungen hinwegzusetzen. Die Kaufleute und Unternehmer Westdeutschlands sollen nach Ansicht Grotewohls Handel mit der Deutschen Demokratischen Republik gegen die Weisungen der Besatzungsbehörden treiben.9 Einige Tage später kündigte am 31. Juli Grotewohl auf einer Tagung des Nationalrates Arbeitsverweigerung, Steuerverweigerung, Sabotageakte, Aufruhr und Aufstand im Rahmen des „Nationalen Widerstandes“ an.10 Es ist damit zu rechnen, daß auf dem sogenannten „Deutschen Nationalkongreß“, der am 25. und 26. August in Berlin zusammentreten soll,11 die westlichen Stütze der Nationalen Front des demokratischen Deutschland.“ Vgl. Neues Deutschland, 22. Juli 1950, S. 5. 9  Im Wortlaut: „Der nationale Widerstand muß auf der ganzen Linie entfacht werden. Wenn die Arbeiter und Bauern Westdeutschlands den Zusammenhalt mit den Arbeitern und Bauern im Osten Deutschlands pflegen, dann müssen sie sich entschlossen über die Anweisungen ihrer zentralen Leitungen in den Organisationen hinwegsetzen. Die Kaufleute und Unternehmer Westdeutschlands, die den Handel mit der Deutschen Demokratischen Republik treiben wollen, müssen das gegen die Weisungen der westlichen Besatzungsbehörden tun.“ Vgl. Neues Deutschland, 22. Juli 1950, S. 4. Dieser Teil der Rede Grotewohls entsprach inhaltlich der unter dem Titel „Die gegenwärtige Lage und die Aufgaben der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“ veröffentlichten Entschließung des Parteitags, welche Inhalte sowohl der vorangegangenen Rede Piecks als auch der hier zitierten Rede Grotewohls enthielt, letztere unter Kapitel II, vgl. ebenda, 25. Juli 1950, S. 15. 10  Grotewohl verwendete nicht die hier aufgelisteten Wörter, wiederholte jedoch einleitend die auch im Aufruf des Nationalkongresses genannten „Kampfstationen“ (darunter eine „gewaltige Streikbewegung der Arbeiter gegen Teuerung und Lohnraub“) und sprach unter Verweis auf seine Rede vom 21. Juli den Westmächten die Berechtigung ab, als Besatzungsmächte Anordnungen an die westdeutsche Bevölkerung zu richten. Juristisch beriefen sich die Westmächte, so Grotewohls Argumentation, auf die Bestimmungen über den Kontrollrat, nach denen deutsche Behörden und Staatsangehörige alle Anordnungen der Vertreter der Alliierten zu befolgen haben. Da die Westalliierten jedoch gegen die politischen Bestimmungen des Potsdamer Abkommens verstoßen hätten und nicht Mitglieder des Kontrollrates seien, den sie gesprengt hätten, gelte dies nicht mehr. Daraus schlussfolgerte Grotewohl erneut: „Niemand in Westdeutschland untersteht also mehr rechtmässig den Anweisungen der Besatzungsmächte, und darin … liegt unser juristisches Recht auf die Entfaltung der dritten Phase unseres nationalen Befreiungskampfes, nämlich des nationalen Widerstandes. Wir sind berechtigt – und wir müssen es –, nationalen Widerstand gegen Mächte zu üben, die sich nicht auf völkerrechtliche Bestimmungen, sondern nur darauf berufen können, dass sie die Gewalt innehaben.“ Vgl. das Protokoll der Tagung des Nationalrates der Nationalen Front vom 31. Juli 1950, BAB-SAPMO, DY 6/130. In der DDR-Presse erschienen am 1. August Zusammenfassungen von Grotewohls Rede, so im Neuen Deutschland (S. 3) und in der Berliner Zeitung (S. 1). 11  Auf dem „I. Deutschen Nationalkongreß“ wurde das „Wahlprogramm der Natio­ nalen Front des demokratischen Deutschland zu den Wahlen am 15. Oktober“ verabschiedet, vgl. Neues Deutschland, 27. August 1950, S. 1. Zur vorangegangenen



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Besatzungsmächte zu „widerrechtlichen eingedrungenen Aggressoren“ erklärt werden und nochmals alle Westdeutschen zum „Nationalen Widerstand“ gegen alle Maßnahmen der Bundesregierung und der Besatzungsmacht aufgefordert werden. An diesem Kongreß sollen mindestens 1 000, nach anderen Meldungen 1 800 westdeutsche Kollegen teilnehmen. Auch in dem Aufruf zur Wahl der Delegierten des Nationalkongresses wird zum „Nationalen Widerstand“ aufgerufen. Bekanntlich heißt es in dem Aufruf: „Das grandiose Deutschlandtreffen der Jugend12, ihr Sieg über die Spalter im Kessel von Herrnburg13, die Beschlüsse der Hafenarbeiter über die Verweigerung der Entladung von Kriegsmaterial14, die Millionen Unterschriften zur Ächtung der Atombombe15, die Friedensaktion in Westberlin16, das gemeinsame Auftreten gegen neofaschistische Versammlungen, der Kampf gegen die Konkurrenzdemontagen, die Empörung über die Kriegsstimmung in Westdeutschland, die wachsende Streikbewegung der Arbeiter gegen Teuerung und Lohnraub sind sichtbare Beweise dieser demokratischen Gesinnung von großen Teilen des deutschen Volkes und demonstrieren seinen Willen, einen breiten nationalen Widerstand zu entfalten. Der Nationalkongreß am 25. und 26.  August wird für die Befreiung der ganzen Nation die Stimme erheben. Der Nationalrat der Nationalen Front des demokratischen Deutschlands ruft Euch zum ‚Nationalen Widerstand‘ gegen die USA-KriegsbedroZustimmung der Parteien des „Demokratischen Blocks“ zur Aufstellung einer Einheitsliste und zur Mandatsverteilung in der Volkskammer vgl. Dok. 31, Fn. 2. 12  Vgl. Dok. 25, Fn. 19. 13  Im Dokument fälschlich „Hermburg“. Die niedersächsische Polizei hatte etwa 10 000 vom Deutschlandtreffen der Jugend in Ost-Berlin heimkehrende westdeutsche Jugendliche beim Grenzübertritt zur Personalienfeststellung wegen „Seuchengefahr“ aufgehalten, woraufhin diese sich der Kontrolle verweigert und auf dem Feld kampiert hatten. In der DDR-Presse und sogar in literarischen Texten wurde dieser Vorfall propagandistisch überhöht und – nach Abbruch der Polizeiaktion – als Sieg gefeiert, vgl. die Berichterstattung im Neuen Deutschland vom 1. und 3. Juni 1950 jeweils auf S. 1, vgl. aber auch den „Herrnburger Bericht“ von Bertolt Brecht. 14  Das „Deutsche Komitee der Kämpfer für den Frieden“ hatte in seinem „Arbeitsplan für die deutsche Friedensbewegung“ für den 7. und 8. Juli eine Konferenz in Bremen angekündigt, „auf der die deutsche Arbeiterschaft ihr ‚Nein‘ zur Entladung und zum Transport von Kriegsmaterial aussprechen werde“, vgl. Neues Deutschland, 1. Juli 1950, S. 1. Am 9. Juli berichtete die gleiche Zeitung darüber unter der Überschrift „Die Welt blickt auf Deutschlands Hafenarbeiter“ (S. 2). 15  Vgl. Dok. 21 und dort Fn. 12 und 13 sowie Dok. 30 und dort Fn. 8. 16  Gemeint ist vermutlich der „Tag der Unterschriftensammlung unter den Stockholmer Appell zur Ächtung der Atombombe“, der am 18. Juli 1950, kurz vor Beginn des III. Parteitages der SED (vgl. Fn. 4 zu diesem Dokument) in West-Berlin abgehalten wurde. Die Unterschriftensammlung und in diesem Zusammenhang in West-Berlin durchgeführte Demonstrationen wurden in der DDR-Presse auch als „große Friedensaktion“ bezeichnet, vgl. Neues Deutschland, 18. bis 20. Juli 1950, jeweils S. 1.

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hung, gegen die Spaltung unserer Nation, für die Rettung unserer deutschen Heimat.“17 Zu erwähnen ist noch, daß auf diesem Parteitag der SED eine neue Satzung der Partei aufgestellt wurde, in der jedes Mitglied zum bedingungslosen Gehorsam gegenüber den Befehlen der Parteiführung verpflichtet wurde.18 Aus alledem ergibt sich die klare Forderung, daß jeder Gefolgsmann der SED im Westen zur offenen Revolte in Westdeutschland auf Grund des Parteistatuts und der Parolen des Parteitags verpflichtet ist. In den Plänen der SED für das Gebiet der Bundesrepublik spielen eine größere Rolle als die kommunistische Partei die „Nationale Front“, die „Komitees der jungen Friedenskämpfer“, der „Demokratische Frauenbund“, die zahlreichen „gesamtdeutschen Arbeitskreise“ sowie die „Freie Deutsche Jugend“. Diese Organisationen sollen die Bevölkerung, die noch nicht kommunistisch denkt, unter dem nationalen Deckmantel für die Politik des offenen Aufruhrs und die Intervention der SED reif machen. Der ganze Fragenkomplex ist von hoher Aktualität, weil alle Maßnahmen der SED zusammenhängen mit den für den 15. Oktober vorgesehenen Wahlen in der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik.19 Es ist notwendig, die Fragen sowohl in ihren Auswirkungen auf das Gebiet der Bundesrepublik wie auch auf die Bevölkerung der Sowjetzone zu betrachten. Es ist deshalb notwendig, diese Vorgänge als das, was sie in der Tat sind, nämlich als Kampf gegen die demokratische Ordnung in der Bundesrepublik, zu erkennen und sich zur Durchführung entsprechender Gegenmaßnahmen zu entschließen. 17  Vgl. Neues Deutschland, 1. August 1950, S. 1. Thedieck zitierte hier einzelne Ausschnitte aus dem Aufruf. 18  Das Parteistatut enthielt nicht die hier verwendete Formulierung, jedoch die Verpflichtung für das einzelne Mitglied, „die Parteidisziplin strengstens einzuhalten“. Zur Parteimitgliedschaft hieß es weiter: „Wer gegen die Einheit und Reinheit der Partei verstößt, ihre Beschlüsse nicht erfüllt …, die Parteidisziplin verletzt, ist … zur Verantwortung zu ziehen …“ Die möglichen Parteistrafen reichten von der Verwarnung bis zum Ausschluss. In der Einleitung hieß es allgemein: „Die Partei ist eine einheitliche Kampforganisation … Die Stärke der Partei liegt in ihrer Geschlossenheit, in der Einheit des Willens und der Einheit des Handelns, die unvereinbar sind mit Abweichungen von den Prinzipien des Marxismus-Leninismus und dem Statut der Partei, mit der Verletzung der Parteidisziplin, mit der Beteiligung an fraktionellen Gruppierungen …“ Vgl. Neues Deutschland, 27. Juli 1950, S. 3. Das Parteistatut schrieb mit der Unterordnung der einzelnen Parteimitglieder unter die „Parteidisziplin“ – und damit unter die Vorgaben der nun im Wesentlichen im Politbüro des ZK verkörperten Führung – Entwicklungen fest, die bereits in den Jahren zuvor im Zeichen der Umwandlung der SED zur „Partei neuen Typus’“ nach Vorbild der sowjetischen VKP  (b) vorbereitet und durchgesetzt worden waren. Vgl. Andreas Malycha, Peter Jochen Winters, Die SED. Geschichte einer deutschen Partei, München 2009, S. 69–70; zu dieser Entwicklung insgesamt vgl. ebenda, S. 60–71. 19  Zu den Oktoberwahlen vgl. Dok. 12, Fn. 13 sowie Dok. 46.



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Neben einer intensiven Aufklärung der Bevölkerung steht die Frage im Vordergrund, in welcher Weise die Tätigkeit aller der vorher erwähnten Vereine und Arbeitskreise kontrolliert oder auch verhindert werden kann, unter dem Gesichtspunkt der Kampfparolen des SED-Parteitages zu überprüfen [sic]. Es besteht der begründete Verdacht, daß diese Vereinigungen, Arbeitskreise, Komitees usw. schon heute und insbesondere nach den neuen Weisungen, die ihnen durch den Parteitag der SED zugegangen sind, Vereinigungen sind, deren Zweck oder deren Tätigkeit im Sinne des Artikels 9 Abs. 2 des Grundgesetzes sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten und daher verboten sind. Das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen ist der Überzeugung, daß es dringend notwendig ist, daß seitens der Länderregierungen, soweit es nicht schon geschehen ist, die erforderlichen Weisungen erteilt werden,20 die Tätigkeit aller dieser Vereinigungen zu kontrollieren und gegebenenfalls zu verhindern. Sicher muß die Nachprüfung mit aller Sorgfalt erfolgen und dürfen Maßnahmen nur getroffen werden, die die Gewähr bieten, daß sie auch einer verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung standhalten. Aber in den Fällen, in denen klar gesagt werden kann, daß die Voraussetzungen des Artikels 9 Abs. 2 des Grundgesetzes gegeben sind, sollten die Länder auch nicht vor den entsprechenden Maßnahmen zurückschrecken.21 Die Notwendigkeit ergibt sich sowohl daraus, daß die weiten Schichten der Bevölkerung in der Sowjetzone, die im inneren Gegensatz zu ihren Regierungsorganen stehen, kein Verständnis dafür haben, daß die Bundesrepublik in allzu weitherziger Anwendung demokratischer Grundsätze den Todfeinden der Demokratie es überläßt, das Gebäude der Bundesrepublik zu unterminieren. Aber auch deshalb, weil es notwendig ist, den immer wachsenden Kreisen der Rückversicherer im Gebiet der Bundesrepublik klarzumachen, daß die getarnte Tätigkeit im Sinne der SED im Bundesgebiet nicht ohne Gefahr ist,22 und daß zumindest die Organe des Bundes und der Länder der um sich greifenden Angstpsychose im Nervenkrieg der SED nicht verfallen. Dabei ist 20  Dieser

Satz ist bis hierher linksseitig angestrichen. im Vorfeld des Deutschlandtreffens der Jugend (vgl. Dok. 25, Fn. 19) waren Ende März 1950 zwischen dem Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen und dem Bundesministerium des Innern rechtliche Möglichkeiten ausgelotet worden, um Versammlungen der „Nationalen Front“ in der Bundesrepublik zu unterbinden, vgl. BA  Koblenz, B  136/1732, Bl. 6–9. In diesem Zusammenhang hatte Heinemann in einem Diensttelegramm an den hessischen Minister des Innern vom 30. März 1950 erklärt: „Versammlungen, die sich gegen die verfassungsmässige freiheitliche Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung wenden, sind nach diesseitiger Auffassung bereits auf Grund Art. 8 in Verbindung mit Art. 9 II GG. verboten. Halte daher landespolizeiliches Einschreiten für zulässig. Falls Versammlungen stattfinden, bitte ich um genaue Feststellung des Inhalts der Reden und um Mitteilung.“ Vgl. ebenda, Bl. 11. 22  Dieser Satz ist bis hierher linksseitig angestrichen. 21  Bereits

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das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen der Auffassung, daß es zweckmässiger ist, in wenigen klar liegenden Fällen mit Verboten durchzugreifen, die unter allen Umständen aufrecht erhalten werden können, als in allzu vielen Fällen einzugreifen, in denen die Beweisführung beim Verwaltungsgericht vielleicht Schwierigkeiten bereitet. Es kann dahingestellt bleiben, in diesem Zusammenhang das Verbot der KP zu erörtern,23 ganz abgesehen von der Frage, daß die Voraussetzung des Art. 21 GG, das Bestehen eines Bundesverfassungsgerichts, nicht gegeben ist.24 Aber die Tatsache, daß die kommunistische Partei nicht verboten wird, braucht kein Hindernis zu sein, bestimmte Ableger der kommunistischen Partei, oder besser gesagt, der SED zu verbieten. Es ist im Augenblick vielleicht nicht zweckmäßig, einen Katalog der in Frage kommenden Organisationen aufzustellen.25 Ich bin auch der Auffassung, daß manche Länderregierungen auf Grund ihrer schon bestehenden Verfassungsschutzeinrichtungen 23  Ein Verbot der KPD war mehrfach von Thomas Dehler angeregt worden (das jedoch durch ein Bundesgesetz erfolgen müsse), die Innenminister des Bundes und der Länder hatten sich jedoch bereits auf ihrer Tagung am 11.–12. Mai 1950 in Berlin-Wannsee dagegen ausgesprochen (vgl. Kabinettsprotokolle, Bd. 2 [1950], S. 393 und dort Anm. 43) und dies am 10. August bestätigt (vgl. Fn. 3 zu diesem Dokument). Die Bundesregierung beantragte die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD am 16. November 1951, vgl. Dok. 118, Fn. 4. 24  Dieser Satz ist ab dem Wort „Voraussetzung“ linksseitig angestrichen. Das Bundesverfassungsgericht wurde am 28. September 1951 durch Adenauer offiziell eröffnet. 25  Der Spiegel behauptete bereits am 10. August 1950, Jakob Kaiser ließe „sich eine Liste über kommunistische Tarnorganisationen aufstellen“, vgl. Der Spiegel 32/1950, S. 5–6, hier S. 5. Der Beschluss der Bundesregierung betr. „Politische Betätigung von Angehörigen des öffentlichen Dienstes gegen die demokratische Ordnung“ vom 19. September (vgl. Fn. 31) enthielt eine vergleichbare Liste, die hier nicht einem generellen Verbotsverfahren, sondern dem Verbot der Mitgliedschaft für Beschäftigte im öffentlichen Dienst zugrundegelegt wurde, vgl. PA AA, B 11, Bd. 38, Bl. 56. Diese Liste umfasste – über die im Folgenden von Thedieck selbst aufgeführten Organisationen sowie die KPD hinaus – die „Sozialdemokratische Aktion“ (später infolge eines Antrags der SPD auf Namensverbot in „Sozialistische Aktion“ umbenannt, vgl. Kabinettsprotokolle, Bd. 2 [1950], S. 702–703, Anm. 14), die „Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjet-Union“, den „Gesamtdeutsche[n] Arbeitskreis für Land- und Forstwirtschaft“, das „Komitee der Kämpfer für den Frieden“, das „Komitee der jungen Friedenskämpfer“, die VVN sowie außerdem – im rechts­ extremen Spektrum – die SRP und die „Schwarze Front“ (Otto-Strasser-Bewegung). In den im Dezember 1950 vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen zusammengestellten und „[f]ür den Dienstgebrauch als Manuskript“ gedruckten „Materialien über die staatsfeindlichen Bestrebungen sowjetzonal gelenkter Organisationen in der Bundesrepublik“ war dem oben zitierten Beschlusstext eine ausführliche Darlegung beigefügt, die wesentliche Punkte und Argumentationslinien des Rundschreibens von Thedieck enthielt und unter Verwendung weiterer Zitate ausführte, vgl. ebenda, Bl. 57–63.



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vielleicht besser als das hiesige Ministerium in der Lage sind, zu übersehen, welche Organisationen hier in Frage kommen. Im Ministerium für gesamtdeutsche Fragen besteht aber kein Zweifel, daß die „Nationale Front“ in ihren verschiedenen Abarten ebenso wie die Freie Deutsche Jugend, der Demokratische Frauenbund, die Gesellschaft der Freunde der Sowjetunion und der Kulturbund zur demokratischen Erneuerung zum mindesten die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 erfüllen. Die für die Organe der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik festgelegten Termine machen in einigen Fällen ein sofortiges Einschreiten notwendig. Wie oben erwähnt, ist für den 25. und 26. August der sogenannte Nationalkongreß nach Berlin einberufen.26 Nach dem ganzen Charakter dieser Veranstaltung ist kein Zweifel, daß die Vorbereitungen für diese Veranstaltung im Gebiet der Bundesrepublik und die Teilnahme von Delegierten eine Tätigkeit ist, die im Sinne des Artikels 9 Abs. 2 des Grundgesetzes verboten ist. Es dürfte daher notwendig sein, schon die Wahl der Delegierten zu diesem Nationalkongreß zu verhindern, soweit sie nicht schon inzwischen erfolgt ist. Gleichzeitig sollten alle Vorkehrungen getroffen werden, um die Ausstellung von Interzonenpässen an diese Delegierten zu verhindern. Es wird deshalb vorgeschlagen, abweichend von dem Vorgehen bei dem FDJPfingsttreffen diesmal nicht nur durch interne Anweisungen an die Paßstellen,27 sondern durch öffentliche Bekanntmachung darauf hinzuweisen, daß eine Ausstellung von Interzonenpässen28 für die Teilnahme am Nationalkongreß nicht in Frage kommt. Es besteht kein Zweifel, daß die alliierten Dienststellen einer derartigen Anordnung zustimmen werden. Soweit festgestellt wird, daß dennoch Delegierte aus der Bundesrepublik an dem Nationalkongreß teilgenommen haben, entweder ohne Interzonenpaß oder mit einem unter falschen Angaben erschlichenen Interzonenpaß, sollten die notwendigen Strafmaßnahmen gegen diese Personen eingeleitet werden. 26  Vgl.

Fn. 11 zu diesem Dokument. dem Schreiben des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen betr. „Maßnahmen gegen die Versammlungswelle ‚Nationale Front‘ “ vom 27. März 1950 (vgl. Fn. 21 zu diesem Dokument) sollte den Innenministern der Länder als Maßnahme, „um die Beteiligung von Jugendlichen am Berliner Pfingsttreffen der FDJ zu verhindern oder zu erschweren“, u. a. die „Verweigerung von Interzonenpässen, wenn für die deutsche Dienststelle vermutbar ist, dass der Antragsteller sich in Berlin beteiligen will“, empfohlen werden. Vgl. BA Koblenz, B 136/1732, Bl. 6–9, hier Bl. 8. 28  Laut Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 12. August 1950, S. 4, sei durch die Innenminister der Länder am 10. August (vgl. Fn. 3 zu diesem Dokument) beschlossen worden, den 1 500 für den Nationalkongress vorgesehenen westdeutschen Delegierten keine Interzonenpässe auszuhändigen. Die DDR-Presse veröffentlichte ebenfalls Meldungen darüber, verkündete am 18. August jedoch, die westdeutschen Delegierten könnten „trotz der Verweigerung der Interzonenpässe“ anreisen (S. 2). 27  Laut

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Der zweite Termin ist gegeben durch den für den 30. September und 1. Oktober geplanten Aufmarsch der Freien Deutschen Jugend in Dortmund. Auch hier ist nach Auffassung des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen eine möglichst schnelle und klare Entscheidung erforderlich. Käme man zu der Entscheidung, daß die Freie Deutsche Jugend im Bundesgebiet auf Grund des Art. 9, Abs. 2 des Grundgesetzes nach ihrer Betätigung verboten ist, könnten schon alle Maßnahmen vorbereitender Natur für dieses FDJTreffen inhibiert werden. Es dürfte für die Bundesrepublik schwer tragbar sein, diese FDJ-Treffen zur Abwicklung kommen zu lassen, weil zu erwarten steht, daß dieses Treffen zu einem großen Propagandafeldzug gegen die Bundesrepublik benutzt werden wird, und daß diesem Treffen 14 Tage vor den sogenannten Wahlen vom 15. Oktober in der Sowjetzone von den SEDMachthabern eine besondere Propagandawirkung zugedacht ist. Das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen hätte es außerordentlich begrüßt, wenn durch eine gemeinsame Entscheidung der Herren Innenminister am 10. August 1950 das grundsätzliche Verbot der FDJ auf Grund des Art. 9 Abs. 2 GG. erreicht worden wäre. Da gegen ein Verbot der FDJ zur Zeit noch Bedenken bestehen, würde das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen es sehr begrüßen, wenn das Land Nordrhein-Westfalen wenigstens den FDJ-Aufmarsch in Dortmund verbieten würde, zumal mit der Entsendung bedeutender Delegationen aus der Sowjetzone nach Dortmund gerechnet werden muß.29 Schließlich sei auch noch kurz auf die Frage der Überprüfung der Finanzierung der getarnten Vereinigungen, die von der Sowjetzone aus gesteuert werden, hingewiesen. Es kann als sicher bezeichnet werden, daß diese Vereinigungen sich nicht aus Mitgliedsbeiträgen finanzieren, sondern namhafte Zuwendungen von Dritten erhalten. Die Erfahrung der letzten Zeit hat gezeigt, daß Gewerbetreibende und auch bedeutende Firmen zweifellos aus Rückversicherungsabsichten Mittel in mancherlei Form an die kommunistische Partei und ihre Hilfsorganisationen geben. Die Annoncen namhafter Firmen in der kommunistischen Zeitung Freies Volk zeigen, daß auch auf diesem Wege der kommunistischen Partei und ihren Hilfsorganisationen Mit-

29  Am 20. Juli kündigte das Neue Deutschland ein westdeutsches Jugendtreffen als „Treffen der 100 000 am 30. September und 1. Oktober an Rhein und Ruhr“ an, in dessen Mittelpunkt ein „Friedenskongreß … am 30. September mit mehr als 1 500 Delegierten der friedliebenden Jugend in Dortmund“ stehen sollte (S. 2). Am 19. August berichtete die Berliner Zeitung, das „Friedenstreffen der deutschen Jugend“ sei „auf Befehl der Hohen Kommissare“ durch die Dortmunder Stadtverwaltung verboten worden (S. 2). Das Neue Deutschland berichtete am 3. Oktober 1950 von Kundgebungen westdeutscher „junger Friedenskämpfer“ in zahlreichen Städten der Bundesrepublik, jedoch nicht in Dortmund (S. 1 und 2).



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tel zugewandt werden.30 Wenn irgend ein Anlaß zum Vorgehen gegen Organisationen der genannten Art gegeben ist, sollte nicht versäumt werden, die Frage zu prüfen, woher die Mittel für diese Vereinigungen fließen, und es sollte auch nicht versäumt werden, die Ermittlungen der Öffentlichkeit zu übergeben. Es scheint mir im übrigen durchaus erwägenswert, Firmen, die in der kommunistischen Presse annoncieren, keine staatlichen Aufträge und Aufträge aus ERP-Mitteln zu geben. Wenn [ich] auch in der Aufgabe der verstärkten Aufklärung der Bevölkerung das wirksamste Mittel zur Abwehr der kommunistischen Infiltration sehe, so ist doch die Wühlarbeit der SED und der von ihr gesteuerten Organisationen in ein solches Stadium eingetreten, daß ohne polizeiliche Maßnahmen eine erfolgreiche Bekämpfung nicht mehr möglich ist. Ich unterbreite deshalb nochmals die Bitte, meine Vorschläge einer alsbaldigen Prüfung zu unterziehen und wäre für Unterrichtung über die von Ihnen getroffenen Maßnahmen dankbar.31 In Vertretung: gez. Thedieck BA Koblenz, B 136/1732, Bl. 18–25. 30  Freies Volk hieß das in Düsseldorf herausgegebene Zentralorgan der KPD, vgl. dazu Dok. 34, Fn. 2. 31  Informationen über konkrete, möglicherweise als Folge des Rundschreibens von Thedieck durchgeführte polizeiliche Maßnahmen wurden nicht ermittelt. Zu dem wahrscheinlichen Zusammenhang des Rundschreibens von Thedieck mit dem Beschluss der Bundesregierung betr. „Politische Betätigung von Angehörigen des öffentlichen Dienstes gegen die demokratische Ordnung“ vom 19. September 1950 vgl. Fn. 25 zu diesem Dokument. Vgl. zu diesem Beschluss auch Kabinettsprotokolle, Bd. 2 (1950), S. 696 und 702–703; zur zeitgenössischen Diskussion darüber vgl. Dominik Rigoll, Staatsschutz in Westdeutschland. Von der Entnazifizierung zur Extremistenabwehr, Göttingen 2013, S. 84–87. Zur Mitwirkung des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen an dem Beschluss der Bundesregierung vgl. Creuzberger, Kampf für die Einheit, S. 433–434. Zu der Frage der in der „kommunistischen Presse“ annoncierenden Firmen hieß es im Protokoll der Kabinettssitzung vom 19. September: „Auf Anregung des Bundesministers für den Wohnungsbau soll versucht werden, festzustellen, welche Firmen durch Annoncenaufgabe oder Beiträge die KPD gefördert haben oder noch fördern. Es sollen alsdann in einer Kabinettsvorlage geeignete Vorschläge gemacht werden, in welcher Weise eine Zusammenarbeit mit der KPD geahndet werden könne – sei es durch Entzug öffentlicher Aufträge, sei es durch Auferlegung von Buße.“ Vgl. Kabinettsprotokolle, Bd. 2 (1950), S. 703 (vgl. dort auch Anm. 19). Adenauer selbst hatte sich jedoch bereits am 17. August, also vermutlich vor Erhalt des Schreibens von Thedieck (vgl. Fn. 1), gegenüber den Alliierten Hohen Kommissaren konkreter geäußert und auf einzelne Industriewerke des Ruhrgebiets verwiesen, die in der in Köln erscheinenden kommunistischen Zeitung Volksstimme Anzeigen im Wert von ca. 100 000 DM veröffentlicht hätten, vgl. AAPD, Hohe Kommissare 1, S. 222–230, hier S. 225.

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41. Aide-Mémoire des Beraters der Bundesregierung für Militär- und Sicherheitsfragen Graf von Schwerin I/allg./4/50 geh. Bds.

Bonn, 17. August 19501

Aide Mémoire für die Besprechung des Herrn Bundeskanzlers am 17. August 19502 A. Gefahrenmomente.3 1.) Nach Lage der Dinge ist mit russischen Angriffshandlungen4 gegen Westdeutschland in der nächsten Zeit noch nicht zu rechnen.5 – Auch das 1  Original für den Bundeskanzler. Als Absender ist am Kopf eingetragen: „Zentrale für Heimatdienst“. Daneben ist rot gestempelt: „Geh. Bundessache. Nur durch verpflichtete Personen unmittelbar an Empfänger zu überbringen“. Von diesem Dokument wurden zwei weitere Exemplare für Blankenhorn und die Akten angefertigt. 2  Gemeint ist die Besprechung Adenauers mit den drei Hohen Kommissaren auf dem Petersberg. Das Protokoll dieser Besprechung ist veröffentlicht in: AAPD, Hohe Kommissare 1, S. 222–230. Vgl. dazu auch Adenauer, Erinnerungen 1945–1953, S. 350–351, der diese Besprechung als entscheidend für die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik ansah. Als Folge dieses Gesprächs übersandte Adenauer am 29. August sein Memorandum „über die Sicherung des Bundesgebiets nach innen und außen“ an den amerikanischen Hohen Kommissar McCloy, vgl. DzD II, 3, S. 932–936. 3  Gerhard Graf von Schwerin, der während des Zweiten Weltkrieges auch an der deutsch-sowjetischen Front Einheiten befehligte und mit höchsten Auszeichnungen des NS-Regimes dekoriert wurde, hatte im Mai 1950 noch vor Beginn des Koreakrieges (vgl. Fn. 7 zu diesem Dokument) die Funktion des „Beraters für Militär und Sicherheitsfragen“ des Bundeskanzlers übernommen und einen militärischen Planungsstab unter der Bezeichnung „Zentrale für Heimatdienst“ aufgebaut. Dessen Gesamteinschätzung trug Adenauer nicht vor, vielmehr nannte er konkrete Angaben zur Stärke der sowjetischen Truppen und mutmaßte daraus, „daß Stalin sich mit der Absicht trage, Westdeutschland möglichst unzerstört in seine Hände zu bekommen“. Russland „werde sich mit seinem Angriff wahrscheinlich solange zurückhalten, bis die Unterschiede in der Produktion der Atombomben aufgehoben seien. Wenn Rußland im vollen Besitz der Atombombe sei, dann könne der Fall eintreten, daß weder Sowjetrußland noch die Vereinigten Staaten zur Anwendung der Waffen kommen … Dann entschiede aber die eigentliche Kampfkraft der Landarmee und der Luftwaffe.“ Vgl. AAPD, Hohe Kommissare 1, S. 223–224. Erstmals hatte von Schwerin am 29. Mai 1950 einen „Gedankenbeitrag für den Aufbau einer mobilen Bundesgendarmerie“ übermittelt, der davon ausging, dass das Gebiet der Bundesrepublik von den drei Westmächten als strategisches Vorfeld betrachtet und im Kriegsfall rasch von sowjetischen Panzerverbänden eingenommen werden würde. Die damit einhergehende Fluchtbewegung in Richtung Westen werde binnen weniger Tage zwischen 25 bis 50 Prozent der Bevölkerung erfassen. Da an eine für ausreichende Verteidigungsbemühungen erforderliche Aufrüstung der Bundesrepublik nicht gedacht werden könne, sei die Bundesregierung verpflichtet, „alle vorbereitenden Maßnahmen zu treffen, um die Katastrophe zu mildern“. Dazu skizzierte von Schwerin in einem



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Anlaufen westdeutscher Massnahmen zur Förderung der äusseren Sicherheit wird – sofern diese nicht ausgesprochen provokatorischer Natur sind – die Sowjets nicht zu ernsthaftem Eingreifen veranlassen. 2.) Die Volkspolizei der Ostzone hingegen dürfte für eine Aktion mit beschränktem Ziel, wie es z. B. die Inbesitznahme von Berlin bedeuten würde, ab Herbst dieses Jahres bereit sein. Für weitergehende Aktionen gegen Westdeutschland nach Muster Korea wird die Volkspolizei durch die Sowjets systematisch vorbereitet.6 3.) Angst und Lethargie in der Bevölkerung Westdeutschlands: a) Der ungenügende Zustand der Sicherung des Bundesgebiets gegen äussere Feinde ist so offensichtlich gegen jedermann, dass die klug und systematisch betriebene Einschüchterungspropaganda durch den Osten nunmehr ihre Früchte trägt. b) Die Unfreiheit des deutschen Volkes und seine Abhängigkeit von fremder politischer Führung ist die Ursache negativer, teilnahmsloser, selbstsüchtiger und stark defaitistischer Einstellung der Bevölkerung. Der Sinn für inneren Zusammenhalt und echten Patriotismus ist weitgehend verloren gegangen. Man schielt nach dem Osten und versucht, der zwar unerwünschten aber anscheinend unvermeidlichen Entwicklung der Dinge

zweiten Teil der Aufzeichnung die Möglichkeiten für den Aufbau einer mobilen Bundespolizei. Vgl. Bundesarchiv-Militärarchiv, BW  9, Bd. 3106, zitiert nach AAPD (1949/50), S. 164, Anm. 5. 4  Alle nichtkommentierten Hervorhebungen sind, wenn nicht anders angegeben, hier und im Folgenden im Original maschinenschriftlich unterstrichen. 5  In einem Gespräch mit Adenauer, der angesichts des Krieges in Korea (vgl. Fn. 7 zu diesem Dokument) eine Verstärkung der Sicherungsmaßnahmen in der Bundesrepublik verlangte, erklärte McCloy am 12. Juli 1950, dass er nicht vor 1951 mit einer kriegerischen Auseinandersetzung rechne, diese aber für „unvermeidbar“ halte, vgl. AAPD (1949/50), S. 246–249. 6  Gegenüber den Hohen Kommissaren erklärte Adenauer: „Er sei überzeugt, daß Stalin dieselbe Entwicklung für Westdeutschland vorsehe wie er das für Korea [vgl. Fn. 7 zu diesem Dokument] getan habe. Es sei anzunehmen, daß Rußland sich im Laufe der nächsten Monate von der Ostzonenregierung stärker absetze, um dieser den äußeren Anschein einer erhöhten Handlungsfreiheit zu geben. Sei dann der richtige Zeitpunkt erreicht, so werde die Ostpolizei zur Befreiung der westdeutschen Gebiete eingesetzt.“ AAPD, Hohe Kommissare 1, S. 224. Diese Befürchtung äußerte Adenauer bereits im November 1949, vgl. AAPD (1949/50), S. 18–21. Zum Aufbau der kasernierten Einheiten der Volkspolizei vgl. Dok. 61, Fn. 7. Zu westlichen Reaktionen darauf vgl. Dok. 19, Fn. 26. Zu Mängeln und Schwachstellen der Volkspolizei vgl. Dok. 12, Fn. 6. Von Schwerin selbst hatte erst am 4. August in einem vertraulichen Bericht die Einheiten der Volkspolizei als „heute zu einem militärischen Einsatz noch nicht befähigt“ eingeschätzt, jedoch mit ihrer Entwicklung zu einer „voll verwendungsbereite[n]“ Armee bis Mitte 1952 gerechnet, vgl. DzD II, 3, S. 902–907, hier S. 905.

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irgendwie Rechnung zu tragen. Diese Entwicklung ist durch den bisherigen Verlauf der Ereignisse im Koreakonflikt7 stark gefördert worden. 4.) Die zögernde und schwankende Haltung, sowie die teilweise offensichtliche Uneinigkeit unter den Alliierten sind die Ursache für weitverbreiteten Mangel an Vertrauen zur westlichen Sache innerhalb des deutschen Volkes. 5.) Die seit Jahren planmässig betriebene Infiltration aller Funktionen des öffentlichen Lebens in Westdeutschland mit Elementen der fünften Kolonne8 beginnt jetzt ihre Früchte zu tragen. Das an eine machtvolle staatliche Exekutive gewöhnte deutsche Volk sieht in der mangelnden Initiative der schwachen Exekutivkraft des Bundes und der Länder gegen die planmässigen Machenschaften der fünften Kolonne nur ein bedenkliches Zeichen von Schwäche, nicht aber von überlegener Sicherheit demokratischen Staatsge7  Am 25. Juni 1950 hatten Truppen der Demokratischen Volksrepublik Korea (Nordkorea) die Demarkationslinie zur Republik Korea (Südkorea) überschritten und am 28. Juni die südkoreanische Hauptstadt Seoul erobert. Im Westen ging man mehrheitlich davon aus, dass dies mit Billigung oder sogar auf Anweisung Stalins geschah. Dieser hatte im Mai des Jahres Kim Il-sungs Plan eines Angriffs auf Südkorea zugestimmt und unterstützte die nordkoreanischen Truppen mit Militärberatern, vermied jedoch eine erkennbare Kriegsbeteiligung. Nachdem der amerikanische Präsident am 27. Juni die Unterstützung der südkoreanischen Truppen angekündigt und der UNOSicherheitsrat in Abwesenheit des sowjetischen Delegierten Malik Hilfeleistungen gebilligt hatte, griffen die von den USA und weiteren Staaten gebildeten UNO-Truppen unter amerikanischem Oberbefehl in die Kampfhandlungen ein. Doch sie wurden im August mit den Resten des südkoreanischen Heeres bis auf einen Brückenkopf bei Pusan zurückgedrängt. Fast ganz Südkorea war damit in nordkoreanischer Hand. Die USA reagierten darauf mit einer bis dahin unbekannten Intensivierung der Bombenangriffe auf die durch die Nordkoreaner besetzten Teile dieses Landes, was interna­ tionale Proteste auslöste, an deren Spitze sich die Staaten im sowjetischen Einflussbereich zu stellen versuchten, vgl. den Protest der DDR-Regierung vom 31. August 1950, in: DAPDDR 1, S. 152–153. 8  Der vielschichtigen Ursprünge des Begriffs „Fünfte Kolonne“ sind schwer zu bestimmen. Er wurde in West und Ost mit entgegengesetztem Inhalt gebraucht, um Gruppierungen des jeweiligen Gegners innerhalb des eigenen Hoheitsbereichs zu bezeichnen. Während im spanischen Bürgerkrieg damit die Anhänger Francos gemeint waren, die in Madrid unerkannt ausharrten, um die gewählte Volksfrontregierung zu stürzen, nutzte Stalin den Begriff fast zur selben Zeit, um den Terror in der UdSSR zu rechtfertigen. Von Schwerin gebrauchte ihn bereits in einer Aussprache mit dem amerikanischen stellvertretenden Hohen Kommissar George Price Hays am 17.  Juli 1950: Es bestehe die Gefahr, „daß im Falle einer Invasion eine starke Fünfte Kolonne, die sich zum Teil bereits in Deutschland aufhalte, tätig werde. Daß diese Fünfte Kolonne durch entsprechende Aktionen die Tätigkeit der Regierung paralysiere, die Verkehrswege unterbinde, die Versorgung gefährde und das Nachrichtennetz zerstören würde“, vgl. AAPD (1949/50), S. 263. Adenauer übernahm diesen Begriff in seinem Memorandum „über die Sicherung des Bundesgebiets nach innen und außen“ vom 29. August 1950, das am folgenden Tag an McCloy übermittelt wurde, vgl. ebenda, S. 322–327.



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fühls, wie solches in den westlichen Ländern zu Hause ist. – Folge: Misstrauen der Bevölkerung in die Fähigkeit des Bundes, der von innen her wach­senden drohenden Gefahr Herr zu werden. B. Sofortmassnahmen. 1.) Zur Herstellung der inneren Sicherheit:9 a) Rasche Herstellung wahrer Souveränität und Freiheit durch sichtbaren raschen Abbau der Besatzungspolitik. b) Sichtbare Hinwendung der Regierungen der westlichen Völker zu den Idealen der Einheit Europas – dies insbesondere im Hinblick auf die Aktivierung eines neuen Lebensinhaltes und echten Ideals für die Jugend aller Länder des Westens. c) Erweckung positiver Hoffnung auf Wiedergewinnung eines ausreichenden wirtschaftlichen und damit auch sozialen Wohlstandes bei den Massen durch Lösung der wirtschaftlichen Fesseln und Beschränkungen, vor allem Aufhebung aller die Eigeninitiative und die Produktionsvermehrung hemmenden Beschränkungen. d) Sichtbare Massnahmen zur Herstellung der inneren Sicherheit durch: Rasche Aufstellung mobiler Polizeikräfte unter sicherer zentraler Führung, die nach Stärke, Organisation, Ausrüstung und Bewaffnung der Ostpolizei zumindest ebenbürtig sind. – Das von den Alliierten letzthin gemachte Zugeständnis einer Vermehrung der Länderpolizei um 10 000 Mann10 erscheint nach den bisher bei der Aufstellungsdurchführung gemachten Erfahrungen als ungenügend.

9  Unter „innerer Sicherheit“ wurde 1950 vor allem Sicherheit vor befürchteten „inneren Unruhen“ kommunistischen Ursprungs verstanden. 10  In einem Gespräch mit dem amerikanischen stellvertretenden Hohen Kommissar Hays am 22. Juli 1950 hatte von Schwerin Vorschläge für einen Ausbau der Polizeikräfte übergeben. Ferner kündigte er Überlegungen sowohl zur Reorganisation der Dienstgruppen bei den Besatzungstruppen der drei Westmächte als auch zur „Aktivierung der Kriegskameradschaften ehemaliger deutscher Kampfeinheiten“ an, vgl. AAPD (1949/50), S. 274–280. Der britische stellvertretende Hohe Kommissar Christopher Steel hielt am 9. August den Eintritt ehemaliger Wehrmachtsangehöriger in die geplanten Bereitschaftspolizeien der Länder und außerdem die Zulassung von Vereinigungen ehemaliger Soldaten für möglich, sofern diese „nicht in politisches Fahrwasser abglitten“, vgl. ebenda, S. 301–303. Am gleichen Tag kündigte Hays gegenüber von Schwerin an, dass bei den Dienstgruppen in der amerikanischen Zone außer einer Verstärkung um 10 000 Mann auch strukturelle Änderungen vorgenommen würden, um einen „erfolgreichen Start der geplanten Cadrebildung“ vorzubereiten, vgl. ebenda, S. 304–306. Auch Adenauer erklärte in seinem Sicherheitsmemorandum vom 29. August 1950 (vgl. Fn. 2 zu diesem Dokument) jedoch die Zahl von 10 000 Mann als Polizeireserven der Länder für ungenügend, vgl. DzD II, 3, S. 935.

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aa) Eine Mitwirkung der Hohen Kommissare bei der Überwindung der bereits jetzt erkennbar werdenden Renitenz einiger Länder gegenüber der Er­ richtung starker und zentral geführter mobiler Polizeikräfte11 wird voraussichtlich notwendig werden. bb) Eine Erhöhung der Zahl von 10 000 auf mindestens 25 000 Mann muss baldigst ausgesprochen werden, um die Aufbauplanung nicht nach kurzer Zeit bereits revidieren zu müssen. cc) Eine Mithilfe der Hohen Kommissare bei der Beschaffung der Waffen12 und bei der Finanzierung – durch weitere Herabsetzung der Besatzungskosten13 – wird ebenfalls nicht zu umgehen sein und schliesslich wird ebenso die Mitwirkung der Hohen Kommissare bei der Überwindung des 11  Die Hohen Kommissare hatten 1949 Art. 91 Abs. (2) des Grundgesetzes, der die Unterstellung der Polizei in den Ländern unter die Weisungen der Bundesregierung vorsah, suspendiert. Auch die oppositionelle SPD und einige Bundesländer (vor allem Bayern und Württemberg-Baden) beharrten auf der Polizeihoheit der Länder. Die von Adenauer vorgeschlagene Bildung einer Bundespolizei hatten die Hohen Kommissare am 28. Juli 1950 abgelehnt (vgl. FRUS 1950 IV, S. 701–702), auch die New Yorker Außenministerkonferenz stimmte diesem Vorschlag nicht zu, regte aber die Einrichtung beweglicher Polizeikräfte mit leichter Bewaffnung auf Länderbasis an, deren Anfangsstärke 30 000 betragen und die die Bundesregierung einsetzen könne (vgl. DzD II, 3, S. 332, 1032–1033 und 1038). Im Laufe des Jahres 1950 wurde jedoch ein Ausweg in der Errichtung eines Bundesgrenzschutzes (BGS) gefunden, der als „Bereitschaftspolizei“ des Bundes vorgesehen war. Er wurde mit dem BGS-Gesetz vom 16. März 1951 gegründet und unterstand dem Bundesinnenministerium. 12  Am 27. September 1950 bat der amerikanische stellvertretende Hohe Kommissar Hays von Schwerin, die Bundesregierung solle baldmöglichst die Bewaffnung für die Bereitschaftspolizei anfordern, da diese aus den USA eingeführt werden müsse. Bekleidung, Kraftfahrzeuge, Funk- und Nachrichtengeräte, möglicherweise auch Handgranaten, Sprengmittel und leichte Waffen sollten jedoch in der Bundesrepublik hergestellt werden. Hays informierte ferner, dass die amerikanischen Besatzungstruppen bis zum 1. April 1951 verstärkt werden sollten. Er führte aus, daß aus den Bereitschaftspolizeien in den Ländern und den Dienstgruppen sechs deutsche Divisionen aufgestellt werden könnten, so dass zusammen mit den alliierten Truppen insgesamt 19 Divisionen zur Verfügung stünden, vgl. AAPD (1949/50), S. 362–365. 13  Laut Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland trug der Bund die Besatzungskosten bis 1955, bis zum Inkrafttreten des im Oktober 1954 in Paris unterzeichneten Vertrages zwischen den USA, Frankreich, Großbritannien und der Bundesrepublik Deutschland über die Stationierung fremder Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland. Um eine Reduzierung der Besatzungskosten bemühte sich die Bundesregierung schon 1949. Im Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten des Bundestags wurde die Höhe dieser Kosten für die Zeit vom 1. Oktober 1948 bis zum 3. September 1949 auf 4,5 Milliarden DM beziffert, vgl. DzD II, 3 (1950), S. 603–604, Anm. 5. Auf diese Summe beliefen sie sich auch im Haushaltsjahr 1949, das waren deutlich mehr als ein Drittel der Gesamtausgaben von 12 718,3 Millionen DM. Mit dem Beginn des Koreakrieges (vgl. Fn. 7 zu diesem Dokument) kam es nicht zu einer Verringerung, sondern zu einer Erhöhung der Besatzungskosten. Für 1950 waren für 250 000 bis 300 000 einsatzfähige Besatzungssoldaten 7,4 Mrd. DM vorgesehen.



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Widerstandes gewisser Länder gegen die dringend erwünschte Aufnahme geeigneter Offiziere und Soldaten in die mobilen Polizeikräfte erforderlich sein. dd)  Die baldige Aufstellung ausreichender Hilfspolizeikräfte auf kommunaler, überparteilicher und freiwilliger Basis zwecks Unterstützung der Ortspolizeien erscheint notwendig im Hinblick darauf, dass Letztere im Ernstfall für den ausreichenden Schutz der öffentlichen Einrichtungen, Verhinderung von örtlichen Aufstands- und Sabotageaktionen sowie für die Feststellung, Beobachtung und Sicherstellung von Elementen der fünften Kolonne zu schwach sind. ee)  Die baldige Verstärkung des Bahnschutzes und Zollgrenzschutzes sowie die Aufstellung eines Postschutzes14 erscheint unerlässlich. ff) Die energische Inangriffnahme der Feststellung von Elementen der fünften Kolonne und ihre wirksame Ausschaltung aus allen Sparten des öffentlichen Lebens ist ohne die Mitwirkung aller Organe der Hohen Kommissare nicht zu bewerkstelligen. 2.)  Zur Herstellung der äusseren Sicherheit: Die Aktivierung des Willens der Bevölkerung, einer etwaigen Aggression aus dem Osten mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln Widerstand zu leisten,15 erfordert folgende Massnahmen: a)  Aufhebung der die ehemaligen Soldaten entehrenden und diffamierenden Bestimmungen. b)  Fortsetzung bezw. Aufnahme von Begnadigungsaktionen bei denjenigen ehemaligen deutschen Offiziere[n] und Soldaten, die von alliierten Militärgerichten wegen nicht kriminell gearteter Kriegsverbrechen verurteilt wurden.16 – Sofortige Freilassung derjenigen ehemaligen Offiziere und Soldaten, 14  Postschutz meinte in dieser Zeit primär den Schutz bundesrepublikanischer Einrichtungen und Bürger vor propagandistischen Postsendungen aus der DDR. Bei dem Kampf gegen solche Sendungen wurde auf Anweisung und unter Billigung der Westmächte in den ersten Jahren der Bundesrepublik massenhaft das Postgeheimnis gebrochen, vgl. Josef Foschepoth, Überwachtes Deutschland. Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik, Göttingen 2012. 15  Am 10. Juli 1950 erläuterte von Schwerin gemeinsam mit Gehlen und Blankenhorn dem amerikanischen stellvertretenden Hohen Kommissar Hays, dass die westdeutsche Bevölkerung sich an der Abwehr eines sowjetischen Angriffs beteiligen würde, wenn es sich um eine gemeinsame Verteidigung nach Aufforderung durch die Bundesregierung handelte. Demgegenüber würde gegen eine Mitwirkung innerhalb der Verbände der drei Westmächte auf deren Aufforderung hin von „gewissen Kreisen“ eingewandt werden, dass „deutsche Soldaten als Kanonenfutter zu schade“ seien, vgl. AAPD (1949/50), S. 238–241. 16  In der bundesdeutschen Öffentlichkeit herrschte um 1950 bis in kirchliche Kreise hinein die Tendenz vor, statt auf weitere Strafverfolgungen von NS-Tätern auf die Amnestierung verurteilter Kriegsverbrecher und allgemeiner auf die Rehabilitierung und Integration weniger belasteter ehemaliger Funktionsträger zu drängen. Die

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die wegen des Verdachts von Kriegsverbrechen noch in alliiertem Gewahrsam gehalten werden und deren Verurteilung zweifelhaft oder durch die lange Inhaftierung bereits ausreichend gesühnt erscheint.17 c) Baldige Aufnahme von Verhandlungen mit der Bundesregierung zur Klärung der mit einer Aufnahme Westdeutschlands in die europäische Verteidigungsfront verbundenen Probleme politischer und strategischer Art.18 d) Baldige Aufnahme der in dem Notprogramm der Bundesregierung niedergelegten und in der Zwischenzeit vervollständigten und detaillierten praktischen Vorschläge zur Sicherstellung des personellen und materiellen Wehrpotentials Westdeutschlands im Katastrophenfall.

Bundesregierung griff diese Stimmungslage teilweise auf. Sie verband insbesondere die Planungen zu einem Wehrbeitrag der Bundesrepublik, aber auch Überlegungen zur Herstellung eines Friedenszustands mit Bemühungen um Begnadigungen verurteilter Kriegsverbrecher, vgl. AAPD (1949/50), S. 26–32, hier S. 31–32. Am 31.  Januar 1951 gab der amerikanische Hochkommissar McCloy unter Berufung auf die Empfehlungen eines im Juli 1950 eigens dafür eingerichteten unabhängigen Ausschusses seine Entscheidungen über Gnadengesuche der in Landsberg inhaftierten Kriegsverbrecher bekannt. In zahlreichen Fällen wurden Haftstrafen gesenkt, in einigen Fällen Todes- in Haftstrafen umgewandelt, vgl. AdG  21 (1951), S. 2796. Die Begründungen für seine Entscheidungen (auch für die nicht aufgehobenen Todesstrafen) ließ McCloy anschließend veröffentlichen, vgl. Landsberg. Ein dokumentarischer Bericht. Herausgegeben von Information Services Division Office of the U. S. High Commissioner for Germany, München 1951. Zur weiteren Entwicklung dieser Frage vgl. Dok. 93, Fn. 5. 17  Schon am 24. Mai 1950 beabsichtigte Adenauer, ehemalige Generale zu empfangen, die „nicht nazihörig“ gewesen seien, um einer Diffamierung des Teiles der Wehrmacht, der „nur seine nationale Pflicht erfüllt“ habe, entgegenzutreten, vgl. AAPD (1949/50), S. 159–160. 18  Die Vor- und Nachteile verschiedener Möglichkeiten für einen Aufbau deutscher Sicherheitskräfte im Rahmen einer westeuropäischen Verteidigungsgemeinschaft erläuterte von Schwerin erstmals am 16.  Mai 1950, vgl. AAPD (1949/50), S. 151–153. Nur viereinhalb Monate später erkundigte sich der amerikanische Hohe Kommissar McCloy über von Schwerin danach, ob die Bundesregierung einen amerikanischen Oberbefehl über eine europäische Verteidigungsstreitmacht billigen würde. Ferner bat McCloy um Auskunft, ob in der Bundesrepublik ein Kontingent von etwa zehn Divisionen auf freiwilliger Basis oder nur bei Einführung der Wehrpflicht aufgestellt werden könnte und welche Untergliederung bevorzugt würde. Der Hohe Kommissar fragte weiter, ob und wann der Aufbau einer Luftwaffe zur Unterstützung der Bodentruppen erfolgen solle, vgl. ebenda, S. 369. Zur Beantwortung dieser Fragen erklärte von Schwerin dem Bundeskanzler am 10. Oktober 1950: „Auf freiwilliger Basis werden die Ausbildungs-Stämme, vielleicht auch einzelne der daraus hervorgehenden Kadres (Rahmen-Einheiten), aber keinesfalls die Volleinheiten aufzustellen sein. Daher wird bald eine Wehrpflicht notwendig werden, die jedoch für die genannte Zahl nicht die gesamte personelle Wehrkraft der Bundesrepublik auszuschöpfen braucht (vgl. Beispiel in den USA seit dem Korea-Konflikt).“ Vgl. ebenda, S. 371.



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Dies trifft insbesondere zu auf die Vorschläge betreffend: aa) Reorganisation der Dienstgruppen19 bb) Aktivierung der alten Kriegskameradschaften ehemaliger deutscher Kampfverbände cc) Wiederaufbau des zivilen Luftschutzdienstes dd) Massnahmen für Lenkung, Auffangen und Abtransport der Flüchtlingsströme ee) Sicherstellung ausreichender wirtschaftlicher Reserven auf dem Gebiet der Ernährung, Energieversorgung und industriellen Rohstoffe[,] ebenso auf dem Gebiet der sanitären Versorgung. Persönliche Mitteilung an den US-Hochkommissar Mr. Mc Cloy,20 dass zur Entgegennahme der dem Herrn Bundeskanzler in Aussicht gestellten offiziell und vertraulichen Informationsberichte der Herr Gerhard Graf von Schwerin, wohnhaft in Bonn, Poppelsdorfer Allee 30, autorisiert sei.21 von Schwerin PA AA, B 130, Bd. 7030A.

19  „Dienstgruppen“ wurden in den westlichen Besatzungszonen im Zuge der Auflösung der Wehrmacht seit 1945 gebildet. Sie unterstanden den westlichen Besatzungsmächten, waren uniformiert, vielfach kaserniert und trugen Waffen, wenn es der Auftrag erforderte. Sie unterstützten die westalliierten Streitkräfte und leisteten einen Beitrag zur westdeutschen Wiederbewaffnung. 20  Das erste Wort ist handschriftlich ergänzt, die folgenden Wörter unterstrichen. 21  Diese „Mitteilung“, die einer Ermächtigung gleichkam, wurde nirgends formalisiert, aber in den folgenden Wochen mehrfach praktiziert, vgl. Fn. 18 zu diesem Dokument. Am 26. Oktober 1950 wurde der CDU-Abgeordnete Theodor Blank (vgl. auch Dok. 53 und dort Fn. 8) durch Adenauer zum „Beauftragten des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der Alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen“ berufen. Das Presse- und Informationsamt gab drei Tage später bekannt, dass von Schwerin auf eigenen Wunsch aus seinem Amt ausgeschieden sei.

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42. Schreiben des Leiters der Dritten Europäischen Abteilung Gribanov an Außenminister Vyšinskij Geheim

5. September 19501

An Gen. A.Ja. Vyšinskij Zur Frage der Remilitarisierung2 Westdeutschlands wird eine Rede Dertingers vorbereitet.3 1  Original an Vyšinskij, einziges Exemplar. Es trägt die Ausgangsnummer 1312/3eo und die Eingangsnummer des Sekretariats Vyšinskij 10533-v vom 5.  September 1950. 2  Der Begriff „Remilitarisierung“ bezog sich zunächst auf die Umkehr der Politik der „Demilitarisierung“ Deutschlands und wurde bis zum Beginn des Koreakrieges, wie auch die Begriffe „Wiederaufrüstung“ und „Wiederbewaffnung“, überwiegend ablehnend gebraucht. Die Hohen Kommissare selbst hatten noch am 16. Dezember 1949 das Gesetz Nr. 16 zur Ausschaltung des Militarismus erlassen. Adenauer hatte am 3. Dezember 1949 erklärt: „In der Oeffentlichkeit muß ein für allemal klargestellt werden, daß ich prinzipiell gegen eine Wiederaufrüstung der Bundesrepublik Deutschland und damit auch gegen die Errichtung einer neuen deutschen Wehrmacht bin.“ Er schloss jedoch an dieser Stelle ein deutsches Kontingent in einer europäischen Streitmacht nicht aus, vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5. Dezember 1949, S. 1. Am 16. Dezember 1949 sprachen sich alle im Bundestag vertretenen Parteien gegen eine „Wiederaufrüstung“ aus, setzten dabei teils jedoch unterschiedliche Akzente. Heinrich von Brentano erklärte für die Fraktionen der CDU/CSU, der Freien Demokraten und der Deutschen Partei: „Wir können die Hoffnung nicht aufgeben, daß es den Siegermächten gelingen möge, nach dem Krieg endlich auch den Frieden zu gewinnen. Ein neuer Krieg würde die Lebenshoffnungen der Deutschen begraben. Dem deutschen Volke liegt daher der Gedanke an eine Wiederaufrüstung fern.“ Erich Ollenhauer forderte für die SPD, dass die Bundesregierung bei wichtigen Beschlüssen und Stellungnahmen das Parlament informieren müsse. Seine Partei lehne es ab, eine deutsche Aufrüstung auch nur in Erwägung zu ziehen. Max Reimann warnte aus Sicht der KPD – an die SPD gerichtet –, wer zum Atlantikpakt und zur Europa-Union „ja“ sage, müsse eines Tages auch zu einem deutschen Truppenkontingent „ja“ sagen, und stellte einen Antrag, in dem es hieß: „Der Bundestag untersagt dem Bundeskanzler, die Re­ militarisierung, auch wenn die Westmächte sie fordern, zu betreiben.“ Dieser Antrag wurde im Bundestag nicht beraten, vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5. Dezember 1949, S. 1. Zur Bundestagsdebatte vgl. BT Stenographische Berichte, 24. Sitzung, 16. Dezember 1949, S. 734–742, hier S. 735 und 739–740. Erst seit dem Beginn des Koreakrieges im Juni 1950 wurde der Begriff „Wiederbewaffnung“ stärker von denen gebraucht, die eine solche Entwicklung befürworteten. Dagegen blieb bei deren Gegnern der Begriff „Remilitarisierung“ erhalten und wurde zunehmend als Wiederbelebung des preußisch-deutschen bzw. nationalsozialistischen Militarismus ideologisiert. 3  Angesichts der dramatischen, in Ost und West höchst unterschiedlich wahrgenommenen Entwicklung des Koreakrieges (vgl. Dok. 41, Fn. 7) spitzte sich die Frage der Wiederbewaffnung bzw. „Remilitarisierung“ der Bundesrepublik (vgl. Fn. 2 zu diesem Dokument) im Laufe weniger Tage immer mehr zu. Die geplante Rede Dertingers auf dem bevorstehenden CDU-Parteitag, die wahrscheinlich mit Unterstützung Semenovs im MfAA der DDR entstand, wurde zwar am 19. September 1950 gehalten und sehr



Dokument 42: 5. September 1950233

Bis dahin würde ich es für unzweckmäßig halten, irgendwelche offiziellen Schritte von unserer Seite zu unternehmen. Nach Dertingers Rede wird die Frage einer offiziellen Erklärung des Gen. Čujkov und die Frage einer ausführlicheren Beleuchtung der Frage der Remili­ tarisierung Westdeutschlands in unserer Presse entschieden werden können. Material und Vorschläge zu dieser Frage werden in der SKK vorbereitet, worüber ich mich mit Gen. V.S. Semenov abgesprochen habe. Nachdem die Vorschläge entworfen sind, werden wir sie Ihnen zur Prüfung vorlegen.4 M. Gribanov5 AVP RF, f. 082, op. 37, p. 207, d. 47, Bl. 119. umfangreich in der Täglichen Rundschau und der DDR-Presse veröffentlicht, aber sofort nach dem Bekanntwerden der Beschlüsse der New Yorker Außenministerkonferenz der drei Westmächte zur Wiederbewaffnung Deutschlands (vgl. Dok. 48, Fn. 3) begann im selben Haus die Ausarbeitung einer DDR-Regierungserklärung (vgl. PA AA, MfAA A, Bd. 14852, Bl. 3–13). Beschlüsse der drei Außenminister der Westmächte zur Aufstellung deutscher militärischer Einheiten in der Bundesrepublik waren intern bereits am 9. August 1950 angekündigt worden (vgl. AAPD [1949/50], S. 301–303). Dertinger stellte die ostdeutsche Regierungserklärung am 21. September 1950 im DDR-Ministerrat vor. Ein im Zuge dieser Ausarbeitung entwickelter Vorschlag, dem New Yorker „Deutschlandkommuniqué“ mit einer gemeinsamen Erklärung der UdSSR, Albaniens, Bulgariens, Polens, Rumänien, der Tschechoslowakei und Ungarns „unter Heranziehung der DDR“ entgegenzutreten (vgl. PA AA, MfAA A, Bd. 14852, Bl. 17– 19), wurde zunächst nicht weiterverfolgt. Der Ministerrat beauftragte Grotewohl und Dertinger, den MfAA-Entwurf gründlich zu überarbeiten und ihn mit der SKK abzustimmen (vgl. BAB, DC 20-I/3/31, Bl. 5 und dazu Anlage  9, Bl. 68–71). Noch am selben Tag traf sich Dertinger um 21 Uhr mit Semenov (vgl. PA AA, MfAA A, Bd. 14852, Bl. 19). Zwar existieren von diesem Gespräch bislang keine Aufzeichnungen, dafür aber die Fassung des Kommuniqués, das beraten und am übernächsten Tag in der DDR-Presse veröffentlicht wurde (vgl. DAPDDR 1, S. 153–156). Aus dem Vergleich beider Fassungen wird erkennbar, dass Semenov besonders aggressive antiwestliche Spitzen beseitigte und die Erklärung zur Übergabe an die Chefs der bei der DDRRegierung akkreditierten diplomatischen Missionen am 22. September vorbereitete, also genau an den Kreis von Staaten, an den schon im MfAA gedacht worden war. 4  Eine Erklärung zur „Remilitarisierung“ Westdeutschlands wurde in diesen Tagen durch Čujkov nicht abgegeben. Die SKK überließ die Hauptrolle in der Kampagne gegen die New Yorker Beschlüsse Dertinger und der SED. Letztere hatte bereits am 21. September dazu eine Erklärung veröffentlicht (vgl. DSED 3, S. 222–224). Am 27. September gab dann Dertinger in der Volkskammer eine ausführliche Regierungserklärung ab. Dabei machte er bekannt, dass die Ministerpräsidenten Bulgariens und Rumäniens bereits das am 22. September verkündete Kommuniqué der DDR-Regierung öffentlich unterstützt hätten (vgl. DAPDDR 1, S. 156–175). Erst am 16. Oktober 1950 beschloss das Politbüro des ZK der VKP (b), eine Konferenz der Außenminister der UdSSR, Albaniens, der Tschechoslowakei, Bulgariens, Polens, Rumäniens, Ungarns und der DDR nach Prag einzuberufen (vgl. Dok. 47, Fn. 3). Welche Vorschläge in der Zwischenzeit von der SKK vorbereitet wurden, kann auf Grundlage von Quellen aus dem AVP RF noch nicht geklärt werden. 5  Handschriftlich.

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43. Telegramm des stellvertretenden Außenministers Gromyko an den Vorsitzenden der SKK Čujkov und den Politischen Berater Semenov Verschlüsseltes Telegramm Vorrangig Berlin

18. September 19501

An Gen. Čujkov, Semenov

Im Auftrag der Instanz2 teile ich mit, dass der Bitte des Gen. Ulbricht um Lieferung von Fleisch, Butter und Fisch in die Deutsche Demokratische Republik entsprochen worden ist.3 Das Außenhandelsministerium der UdSSR ist angewiesen worden, für die Ausführung4 zu sorgen. Informieren Sie darüber Ulbricht.5 1  Kopien gingen an: Stalin, Molotov, Malenkov, Mikojan, die 10. Abteilung des MID, mit der Bitte um Bewilligung [„na ‚za‘ “] an eine 8. Verwaltung und zur Kenntnisnahme an Zorin und Gribanov. Möglicherweise war damit die Verwaltung im Zentralkomitee der VKP (b) gemeint, die die Verbindung zu Stalin hielt, der vom 2. August bis 21. Dezember keine Arbeitsbesprechungen in seinem Moskauer Arbeitszimmer durchführte. Am Kopf findet sich der Stempel der „10. Abteilung“ des sowjetischen Außenministeriums, auf dem für die Daten „Erstellt“ und „Abgesandt“ der 18. September 1950, aber keine Uhrzeit angegeben ist. 2  „Instanz“ umschreibt die oberste Entscheidungsebene in der UdSSR, die zumeist identisch ist mit Stalin bzw. dem Politbüro des ZK der VKP (b). 3  Am 23. Mai 1950 hatte das SED-Politbüro beschlossen, das Politbüro des ZK der VKP (b) um Fleischlieferungen zu bitten, vgl. Dok. 31, Fn. 13. Wann, durch wen und an wen diese Bitte übermittelt wurde, konnte nicht festgestellt werden. Stalin selbst hatte am 4. Mai 1950 einen Zusammenhang zwischen diesen Hilfslieferungen und den Wahlen am 15. Oktober hergestellt, vgl. ebenda. Auf die Ankündigung der „Verbesserung der Versorgung der Bevölkerung mit Fleisch und Fett“ zum 1. September waren Meldungen über Schwierigkeiten in der Fleischversorgung gefolgt, vgl. Dok. 27, Fn. 10. Die der Bitte des Politbüros zugrundeliegenden strukturellen Probleme bestanden jedoch weiterhin (vgl. auch Dok. 75, Fn. 9). So fasste die Regierung der DDR am 14. Dezember des Jahres zusätzlich einen „Beschluß zur Sicherung der Versorgung mit Fleisch, Milch und Eiern“, der die bisher ablieferungspflichtigen Erzeuger zu weiteren Lieferungen bis zur Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes verpflichten sollte, und beschloss die „Neuorganisation der volkseigenen Aufkauf- und Versorgungsbetriebe“, vgl. BAB, DC 20-I/3/39, Anlage 9 und 10. 4  Alle hier kursiv gesetzten Worte sind handschriftlich von Gromyko eingefügt. Stattdessen ist von Hand gestrichen: „Bereitstellung von Waggons zur Verladung und fristgerechten Lieferung der genannten Produkte“. 5  Wann und in welcher Form Čujkov oder Semenov Ulbricht informierten, konnte nicht ermittelt werden. Die Dringlichkeit dieser Frage für Ulbricht deutet sich in dessen Antwort vom 19.  September an, als er Čujkov bat: „Um die Lieferung von 19 000 Tonnen Fleisch aus der Sowjetunion über Brest zu ermöglichen, bitten wir darum, unseren Vorschlag zu unterstützen, daß täglich 100 Wagen für den Fleischtransport von der polnischen Eisenbahnverwaltung zur Verfügung gestellt werden …



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Der Eingang ist zu bestätigen.6 A. Gromyko 18/IX7 AVP RF, f. 059, op. 24, p. 3, d. 16, Bl. 103.

44. Schreiben des Bundesministers für Wirtschaft Erhard an Bundeskanzler Adenauer VD 2-373/50 geheim

Bonn, 25. September 19501

Betr.: Allgemeine Verschärfung der Kontrolle der Ausfuhr strategischer Waren nach den unter kommunistischem Einfluss stehenden Gebieten. Be­ zug: Schreiben des Hohen Kommissars der Vereinigten Staaten für Deutschland vom 31. August 19502 und mein Schreiben vom 24. August 50 – V D 2 – 321/50.3 Um den Transport von 5 500 Tonnen Fisch aus Murmansk zu ermöglichen, bitten wir Sie, dafür einzutreten, daß die Sowjetunion ein Kühlschiff zur Verfügung stellt. Die Transportkosten zahlt die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik in Valuta.“ Vgl. BAB-SAPMO, NY 4182/1195, Bl. 56. 6  Ein Telegramm dazu von Semenov konnte im AVP RF nicht ermittelt werden. 7  Paraphe. 1  Beglaubigte Abschrift, die der persönliche Referent Erhards noch am selben Tage ohne weitere Erläuterungen an von Etzdorf in die Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten übermittelte. Am Kopf des Dokuments ist vermerkt: „zu G.S. Nr. 23“. 2  In diesem Schreiben hatte McCloy seine Sorge über die Lizensierung von „übermäßig großen Mengen strategischen Materials“ für die Ausfuhr ausgedrückt, vgl. AAPD (1949/50), S. 366, Anm. 2. Wegen der Laxheit der Ausfuhrkontrollen bei „strategischen Gütern“ (1-B-Exporte) in den Ostblock seit dem 10. Mai 1950, als diese Kontrollen an westdeutsche Stellen übertragen worden waren, wandte sich das State Department am 31. August 1950 auch an die Britische Regierung. Schon in den ersten drei Wochen nach der Übertragung der Konrollen an die Deutschen würden sich die 1-B-Exporte auf 70 Millionen Dollar belaufen, vgl. FRUS 1950 IV, S. 182– 184. Amerikanische Stellen hatten seit Gründung der Bundesrepublik auf die Anwendung der besonders strengen US-Restriktionen auf den Ost-West-Handel, einschließlich des Interzonenhandels Westdeutschlands, gedrängt, vgl. Dok. 36, Fn. 4, vgl. dazu auch Dok. 34, Fn. 2. 3  Das Bundesministerium für Wirtschaft ging davon aus, dass „der Interzonenhandel mit der russisch besetzten Zone in deutscher Zuständigkeit“ liege (Erhard an Adenauer, 21.  Januar 1950, in: PA  AA, Β  10 [Abteilung 2], Bd. 1784). Widerstrebende westdeutsche und amerikanische Interessen zeigten sich erstmals in der Kon­ troverse um das „Stahlembargo“ im Februar 1950, vgl. Dok. 15, Fn. 12. Bereits damals befürchtete Adenauer durch die Anwendung der von McCloy geforderten re­ striktiven Maßnahmen Ausfälle im Außenhandel der Bundesrepublik in Höhe von

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Die amerikanische Haltung zur Frage der Kontrolle der Ausfuhr von strategisch wichtigen Gütern nach dem Sowjetblock hat sich als Folge der verschärften west-östlichen Spannung4 in den letzten Wochen merkbar versteift. Die amerikanische Regierung hat gegen die Ausfuhr derartiger Waren aus den USA selbst verschärfte und erweiterte Massnahmen ergriffen. So werden ab 30. September 39 weitere Positionen der Eisen- und Stahlindustrie in die Liste der genehmigungspflichtigen Waren aufgenommen werden.5 Auch an der Tatsache, dass die Bestimmung, nach der strategisch wichtige Waren in geringen Mengen ohne Genehmigung ausgeführt werden konnten, aufgehoben wurde, lässt sich erkennen, dass die Vereinigten Staaten bereit sind, für ihre eigene Wirtschaft ebenfalls die Konsequenzen aus der von ihnen vertretenen Forderung nach Einschränkung des Osthandels zu ziehen. Gleichlaufend mit den Bemühungen im eigenen Lande versuchen die Vereinigten Staaten eine Verschärfung der Ausfuhrkontrolle auch durch die auf anderen Gebieten mit ihnen zusammenarbeitenden Staaten durchzusetzen. Soweit diese Länder zweiseitige ERP-Verträge mit den USA abgeschlossen haben, ist der ERP-Administrator sogar nach Artikel 117  d des diesen Verträgen zugrundeliegenden amerikanischen Auslandshilfsgesetzes6 verpflichtet, die Lieferung von Waren zu untersagen, die von den Teilnehmerstaaten zur Produktion von Ausfuhrgütern zum Verkauf an den Ostblock verwandt werden, wenn für die gleichen Güter keine Ausfuhrgenehmigung (für den Ostblock) in den USA erteilt werden würde. Wie mir vertraulich bekannt wurde, haben die Botschafter der Vereinigten Staaten in Paris und London in der Woche vom 3.–9. September gleichlautende Noten überreicht, in denen energisch auf wirksamere und umfangreichere Kontrollmassnahmen gedrungen wurde. Die Überreichung von Noten ähnlichen Inhalts in den übrigen Staaten der westlichen Welt ist inzwischen ebenfalls von leitenden amerikanischen Beamten und der Presse bestätigt worden.7 150 bis 200 Millionen Dollar und „zusätzlich in ihrem Handel mit der sowjetischen Zone Ausfälle von 40 bis 50 Millionen Dollar“, vgl. AAPD (1949/50), S. 82–84. 4  Zu der westlichen Sicht auf die Entwicklung des Koreakrieges vgl. Dok. 41, Fn. 7. 5  Offensichtlich bezog sich Erhard hier auf eine vom US-Präsidenten bestätigte Entscheidung des National Security Council vom 24.  August 1950 zur Ausweitung und Verstärkung der Kontrolle über den „East (Soviet Orbit)-West Trade“, vgl. FRUS 1950 IV, S. 179–180. 6  Gemeint ist Artikel 117 des Auslandshilfegesetzes vom 3. April 1948, vgl. EA 1948, S. 1385–1394. 7  Ob die US-Noten an die Regierungen in Paris und London und andere Staaten in der genannten Zeit tatsächlich übergeben wurden, konnte nicht ermittelt werden. Die USA brachten zu Beginn der New Yorker Außenministerkonferenz am 13. September 1950 (vgl. Dok. 48, Fn. 3) einen Beschlussentwurf zum Ost-Westhandel ein, dessen Anwendung in allen NATO-Staaten durchgesetzt werden sollte, vgl. FRUS 1950 III,



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Die am 12. September begonnene Sitzungsperiode des Pariser Coordinations Committees wird aller Wahrscheinlichkeit nach ebenfalls im Zeichen eines starken amerikanischen Druckes auf Ausdehnung, Verschärfung und Vereinheitlichung der Ausfuhrkontrolle stehen.8 Vorbereitet und begleitet wurden diese diplomatischen Schritte durch Berichte der USA-Presse und Erklärungen amerikanischer Beamter und Wissenschaftler, in denen den europäischen Staaten der Vorwurf gemacht wurde, ihre geschäftlichen Interessen über die Notwendigkeit der gemeinsamen Sicherheit gestellt und den Sowjetblock mit strategischen genehmigungspflichtigen Waren beliefert zu haben, während die Vereinigten Staaten in einem schweren Abwehrkampf in Korea stünden. Diese Vorwürfe sind insbesondere auch gegen Großbritannien erhoben worden; die Weiterverschiffung aus USA gelieferten Molybdäns9 nach der Sowjetunion durch eine englische Firma und der umfangreiche englische Werkzeugmaschinenexport im Rahmen des fünfjährigen englisch-sowjetischen Handelsvertrages – Tatsachen, mit denen sich auch das „House Interstate and Foreign Commerce Subcommittee“ eingehend befasste – werden immer wieder in diesem Zusammenhang erwähnt. Die aktive Beteiligung bestimmter amerikanischer Wirtschaftskreise, wie des Verbandes der amerikanischen Werkzeugmaschinenfabriken, an dieser Kampagne lässt allerdings den Verdacht aufkommen, dass ihr nicht ausschließlich Sicherheitsmotive zu Grunde liegen. Präsident Truman selbst nahm in der Pressekonferenz vom 31.  August10 ebenfalls zu diesem Fragenkomplex Stellung und ermahnte die europäischen Nationen, die Ausfuhr von wehrwirtschaftlich wichtigen Gütern nach der Sowjetunion sorgfältiger und strenger als bisher zu kontrollieren. S. 1285–1286. Über dieses Papier konnte auf der Konferenz am 18. September keine Einigung erzielt werden. Insbesondere die Briten beharrten auf Ausnahmeregelungen, die die strikten US-Forderungen unterliefen. Dennoch einigten sich die drei Außenminister am folgenden Tag nach einem Treffen mit ihren Amtskollegen aus den Benelux-Staaten auf ein gemeinsames Papier, vgl. FRUS 1950 IV, S. 187–188. 8  In dem „Memorandum by the Department of State Member of the National Security Council Senior Staff (Jessup) to the Executive Secretary of the National Security Council (Lay)“ vom 11. Oktober heißt es dazu: „Negotiations were continued on the expert level in Paris during the summer [1950]. These negotiations were protracted by the necessity of bringing the divergent points of view closer together and by considerable additions to the proposed list of restricted commodities.“ Vgl. FRUS 1950 IV, S. 202–203. 9  Molybdän ist ein Rohstoff, der zur Herstellung hitzebeständiger Stahllegierungen und zur Veredelung von anderen Stoffen eingesetzt wird, um sie hitzebeständiger bzw. schwer entflammbar zu machen. 10  Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete am 2. September 1950 auf S. 2 über Trumans Erklärung vor Pressevertretern. Der Bericht enthielt u. a. auch die Forderung an alle westeuropäischen Staaten, ihre Kontrollen über Exporte strategisch wichtigen Materials nach der Sowjetunion zu verschärfen.

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In diesem Gesamtzusammenhang stehen nun auch die Schritte der Alliierten Hohen Kommission bzw. des Hohen Kommissars der Vereinigten Staaten in Deutschland; denn auffallend, jedoch verständlich, ist, dass der Wunsch nach der Verschärfung der Kontrolle im wesentlichen von amerikanischer Seite erhoben wird. Der Brief Mr. McCloy’s11 ist nicht in seiner Eigenschaft als geschäftsführender Vorsitzender des Rates der Alliierten Hohen Kommission, sondern in seiner Eigenschaft als Hoher Kommissar der Vereinigten Staaten geschrieben worden. Eine Rücksendung von Ausfuhrgütern an der Grenze ist bisher nur durch die amerikanische Grenzkontrolle erfolgt. Wie mir vertraulich bekannt wurde, sind innerhalb der Alliierten Hohen Kommission auch von französischer und insbesondere englischer Seite Vorstellungen gegen diese einseitigen amerikanischen Massnahmen erhoben worden, da hiervon z. B. auch seinerzeit von der JEIA12 auf Dreimächtebasis ausgestellte Ausfuhrgenehmigungen betroffen wurden. Ausserdem dürfte bei der englischen und französischen Einstellung die Überlegung massgebend gewesen sein, dass ihre Zustimmung zur verschärften Kontrollmassnahme in Deutschland gewisse Rückwirkungen auf die Stellung ihrer eigenen Regierung gegenüber den auf diplomatischem Wege vorgebrachten Wünschen der USA auf Verschärfung der Kontrolle haben könnte. In Deutschland sind diese Wünsche auf Grund der andersartigen staatsrechtlichen Stellung der Bundesrepublik in die Form eines Ersuchens der Besatzungsmacht gekleidet, materiell stehen die gleichen Fragen zur Diskussion wie in den übrigen Hauptstädten der westlichen Welt. Im einzelnen darf ich zu dem Schreiben von Mr.  McCloy und den darin erhobenen Vorwürfen nach nochmaliger Überprüfung der Tätigkeit der Zentralen Genehmigungsstelle wie folgt Stellung nehmen: Mit Schreiben Econ/FT vom 28. November 49 hatte die Alliierte Hohe Kommission die Bundesregierung aufgefordert, die Verantwortung für die Ausfuhrkontrolle strategischer Güter weitgehend zu übernehmen und die Richtlinien mitgeteilt, nach denen diese Ausfuhrkontrolle durchgeführt werden sollte.13 Insbesondere war in diesen Richtlinien festgelegt, bei welchen Gütern und bei Lieferungen nach welchen Staaten die zuständigen deutschen Stellen (Zentrale Genehmigungsstelle des Bundeswirtschaftsministeriums und Zen­ trale Genehmigungsstelle des Bundesernährungsministeriums) Genehmigun11  Vgl.

Fn. 2 zu diesem Dokument. Joint Export-Import Agency (JEIA) wurde nach dem Zusammenschluss der beiden Zonen im Januar 1947 als Zweimächteamt durch die USA und Großbritannien eingerichtet, um den Außenhandel der Bizone zu koordinieren und zu entwickeln. Nach der Fusion der drei Westzonen Deutschlands im April 1949 war auch Frankreich in der JEIA vertreten, vgl. dazu auch UdF 4, S. 202. 13  Zu diesem Schreiben vgl. Dok. 36, Fn. 4. 12  Die



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gen in eigener Verantwortung erteilen können und in welchen Fällen eine Rückfrage bei der Alliierten Hohen Kommission erforderlich ist. Letzteres ist der Fall bei den strategisch besonders wichtigen Waren, die in der sogenannten I A-Liste zusammengefasst sind, während bei den weniger entscheidenden Waren der sogenannten I B-Liste nur Anträge, die über eine „reasonable quantity“ hinausgehen, bei der Alliierten Hohen Kommission vorlagepflichtig sind. Zunächst liess sich die Zusammenarbeit der meinem Ministerium nachgeordneten Zentralen Genehmigungsstelle mit der zuständigen Stelle der Alliierten Hohen Kommission, der Export Control Working Party, gut an. Es war allerdings für die Zentrale Genehmigungsstelle nicht in jedem Falle einfach festzustellen, ob es sich um eine „reasonable“ oder „unreasonable quantity“ handelte, d. h. ob eine Vorlage bei der Alliierten Hohen Kommission erforderlich war oder nicht. Weder die Export Control Working Party noch das Pariser Coordinations-Committee waren aber in der Lage, eine genaue Definition dieser Begriffe für die einzelnen Warengattungen zu geben. So richtete sich die Zentrale Genehmigungsstelle bei der Beurteilung der einzelnen Fälle nach der früheren Genehmigungspraxis der JEIA, soweit diese die Unterlagen übergeben hatte; in allen anderen Fällen wurden die Entscheidungen in Abwägung der allgemeinen Sicherheitsforderungen und der besonderen deutschen wirtschaftlichen Interessen getroffen. Hierbei spielte insbesondere die Überlegung eine Rolle, dass die Bundesrepublik zwar nicht gegenüber den USA, die ähnlich scharfe Kontrollmaßnahmen durchführen, aber im Verhältnis zu den übrigen europäischen Staaten auf dem Gebiete des Osthandels diskriminiert war. Auf eine großzügige Handhabung des Genehmigungssystems drängten nicht nur die deutsche Wirtschaft und die parlamentarischen Institutionen. Auch von alliierter Seite, so von Mr. McCloy auf der Passauer ERP-Messe, wurde immer wieder die Wichtigkeit einer Intensivierung des Osthandels betont. Maßgebend für diese Art der Erteilung von Lieferungsgenehmigungen war nicht zuletzt die Tatsache, dass sie in engster Fühlungnahme mit der Export Control Working Party erfolgte. Neben der laufenden Fühlungnahme führte die Export Control Working Party zum 15. j. M. eine Überprüfung sämtlicher in deutscher Zuständigkeit erteilten Genehmigungen durch. Ausserdem erhalten die Alliierte Hohe Kommission und das Pariser Coordinations-Committee laufend zusammengefasste monatliche Statistiken, die allerdings diejenigen Ausfuhrgeschäfte, für die Anträge von den Firmen auf Grund ihrer bisherigen Erfahrungen und der Beratung durch mein Ministerium im Hinblick auf die Aussichtslosigkeit nicht offiziell eingereicht wurden, nicht enthalten. Diese Überprüfungen ergaben bisher, abgesehen von wenigen Unklarheiten bei Einzelaufträgen, die jeweils sofort aufgeklärt werden konnten, keinerlei Beanstandungen. Insbesondere wurde nie die für einzelne Positionen genehmigte Gesamtmenge beanstandet.

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Wenn nun plötzlich und nachträglich allgemeine Vorwürfe gegen die ­eutsche Genehmigungspraxis erhoben werden, wie dies im Schreiben d Mr.  McCloy’s vom 31.  August der Fall ist, und wenn mit größtmöglicher Publizität Sendungen, die teilweise früher von der JEIA genehmigt waren, an der Grenze angehalten und zurückgesandt werden, so handelt es sich hier offenbar um einen Ausschnitt aus dem groß angelegten von Washington gesteuerten Versuch einer Vereinheitlichung der Exportkontrolle. Da angesichts der Zuspitzung der internationalen Lage auch von Deutschland grössere wirtschaftliche Opfer als bisher gebracht werden müssen, erscheint es mir richtig, ebenso entschieden wie in der Vergangenheit den deutschen Willen zur loyalen Zusammenarbeit und zur Anwendung schärferer Kontrollmaßnahmen zum Ausdruck zu bringen, gleichzeitig aber zu versuchen, der Diskriminierung Deutschlands im Osthandel ein Ende zu machen. Den gleichzeitig mit dem Schreiben Mr. McCloy’s vorgebrachten Wünschen des Komitees für Aussenhandel und Zahlungsverkehr der Alliierten Hohen Kommission14 auf Vorlage von Ausfuhranträgen bestimmter Warenpositionen, für die bisher die deutsche Zuständigkeit gegeben war, wird zu entsprechen sein; ich habe die erforderlichen Anweisungen hierzu bereits erteilt. Ich darf Ihnen in der Anlage den Entwurf eines entsprechenden Antwortschreibens an Mr. McCloy vorlegen.15

gez. Dr. Ludwig Erhard

PA AA, B 130, Bd. 4656A.

14  Zum Schreiben von McCloy vgl. Fn. 2 zu diesem Dokument. In seinem Schreiben AGSEc (50) 1945 Forex vom 8. September 1950 teilte der Vorsitzende der Export Control Working Party mit, dass „Produkte von strategischer Bedeutung in übergroßen Mengen, sei es direkt, sei es über andere Länder, an die Satellitenstaaten geliefert“ worden seien. Ferner bemerkte er: „Die Alliierte Hohe Kommission wünscht Verhandlungen der Experten der Bundesregierung mit den entsprechenden alliierten Stellen über das bestehende Verfahren und die Mittel zur strengeren Durchführung des Verfahrens, um die übergroßen Lieferungen dieser Ausrüstungen zu verhindern. In Erwartung des Resultats dieser Verhandlungen beehre ich mich, Sie im Namen der Hohen Kommission zu bitten, die notwendigen Anweisungen zu geben, daß alle Ausfuhrlizenzen, die diese Produkte betreffen, der Arbeitsgruppe für Exportkontrolle des Außenhandels und Devisenkomitees vorgelegt werden.“ Vgl. AAPD (1949/50), S. 368, Anm. 14. 15  Die Antwort Adenauers an McCloy vom 28.  September 1950 ist abgedruckt in AAPD (1949/50), S. 366–369. Adenauer versicherte darin dem amerikanischen Hohen Kommissar, „daß die Bundesregierung nach wie vor von der Notwendigkeit einer Beschränkung der Ausfuhr strategischen Materials aus Deutschland nach dem unter kommunistischer Kontrolle stehenden Gebiet überzeugt ist und stets in enger und vertrauensvoller Zusammenarbeit mit den West-Staaten alle Maßnahmen ergreifen wird, die erforderlich sind, um dieses Ziel zu erreichen.“



Dokument 45: 10. Oktober 1950241

45. Schreiben des stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht an den Leiter der Diplomatischen Mission der DDR in Moskau Appelt 

Berlin-Ost, 10. Oktober 19501

Lieber Genosse Appelt! Wir sind der Meinung, daß es nicht zweckmäßig ist, daß Sowjetbürger in verantwortlicher Stellung in der deutschen Diplomatischen Mission in Moskau beschäftigt sind.2 Ich wurde beauftragt, Dir mitzuteilen, daß die nachstehend angeführten Genossen an die Sowjetorgane das Ersuchen auf Rückgängigmachung der Sowjetbürgerschaft richten:3 Markus Wolf, Lilli Stenzer, Emmi Stenzer, Hedwig Mahlow (die sich gegenwärtig in der Sowjetunion aufhält, soll ebenfalls ihren Sowjetpaß dort abgeben.) Mit sozialistischem Gruß! W. Ulbricht4 PA AA, MfAA A, Bd. 608, Bl. 398.

1  Original.

2  Gemeint sind deutsche Politemigranten, die in den dreißiger Jahren in der UdSSR Zuflucht gesucht, die sowjetische Staatsbürgerschaft angenommen hatten und die an der DDR-Mission arbeiteten. 3  Es konnte nicht ermittelt werden, durch wen Ulbricht beauftragt wurde. Das Politbüro der SED hatte dazu keinen Beschluss gefasst. 4  Handschriftlich. Am Fuß des Dokuments vermerkte Appelt: „erledigt“. Markus Wolfs Antrag auf Austritt aus der sowjetischen Staatsbürgerschaft fiel nach dessen eigenen Angaben zeitlich in etwa mit dieser Weisung von Ulbricht zusammen. In einem Lebenslauf aus dem Jahr 1951 begründete Wolf diesen Schritt jedoch nicht mit seinem Amt in der DDR-Mission in Moskau, sondern mit seiner 1951 erfolgten Versetzung an das „Institut für wirtschaftswissenschaftliche Forschung“ (Tarnname für den APN), d. h. mit dem Aufbau einer Auslandsspionage in der DDR: „Im Herbst 1950 richtete ich an das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR die Bitte, mir im Zusammenhang mit meinen Aufgaben in der DDR das Ausscheiden aus der sowjetischen Staatsbürgerschaft zu genehmigen.“ (Zitiert nach: Kowalczuk, Stasi konkret, S. 65).

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46. Aufzeichnung des Leiters der Dritten Europäischen Abteilung Gribanov 

Moskau, 15. Oktober 19501 Bericht über den Verlauf der Stimmabgabe2 in der Deutschen Demokratischen Republik

Am 15. Oktober haben zum Zeitpunkt 13 Uhr in der gesamten Deutschen Demokratischen Republik im Schnitt 71,5  Prozent aller Stimmberechtigten an der Abstimmung teilgenommen. In vielen Städten und Gemeinden haben sich 1–2 Stunden vor Beginn der Stimmabgabe lange Wählerschlangen gebildet. Erkennbar ist ein hohes Engagement der Bevölkerung. Viele Wähler gehen organisiert zu den Wahlen, geordnet nach Betrieben, Häusern und Dienststellen. Die überwiegende Mehr­heit der Wähler stimmt ab, ohne die Kabine zu betreten. Im Durchschnitt gehen, wie Vertreter der deutschen Organe3 beobachteten, nur 3–4  Prozent der Wähler vor der Stimmabgabe mit ihren Stimmzetteln in die Kabinen. In einigen Ortschaften legen Vertreter der Geistlichkeit eine hohe Aktivität an den Tag. In einigen Kirchen begannen am Morgen Gottesdienste, die den Wahlen gewidmet waren, und nach Beendigung der Andachten machten sich alle, die sich in den Kirchen versammelt hatten, organisiert zu den Wahllokalen auf.4 Es wird erwartet, dass sich 90–95  Prozent der Wahlberechtigten an der Stimmabgabe beteiligen werden.5 1  Original an Vyšinskij. Kopien gingen an: Gromyko, Zorin, Gusev, Lavrentʼev, Bogomolov, das Generalsekretariat des MID und zu den Akten. 2  Gribanov verwendete hier den Ausdruck „golosovanie“ – „Abstimmung“/ „Stimm­abgabe“. Zu den „Wahlen“ in der DDR vgl. Dok. 12, Fn. 13. 3  Wahrscheinlich meinte Gribanov hier die „Organe“ des MdI bzw. des MfS. 4  Die Neue Zeit berichtete erst am 17. Oktober 1950 und eher allgemein über eine derartige Unterstützung der DDR-Wahlen von kirchlicher Seite: „In den Städten und Gemeinden des Bergarbeiterkreises Senftenberg (Nieder-Lausitz) fanden sich viele Wähler zu Morgenfeiern zusammen, um dann anschließend die Wahllokale aufzusuchen.“ (S. 3). Zur Kritik führender Kirchenvertreter an der Durchführung von Wahlen mit Einheitslisten in der DDR vgl. Dok. 21 und 25. 5  In der Unterredung mit Stalin hatte Pieck noch am 4. Mai erklärt: „Die SED wird versuchen, 80–85 Prozent der Wählerstimmen für die Einheitsliste zu erhalten.“ Vgl. Treffen mit Stalin 1950, S. 603. DDR-Innenminister Steinhoff als Wahlleiter vermeldete am 16. Oktober eine Wahlbeteiligung von 98,44 Prozent der 12 331 905 Wahlberechtigten, vgl. Neues Deutschland, 17. Oktober 1950, S. 1. Die Zahlen zum offiziellen Wahlergebnis wurden dann noch einmal korrigiert. Danach hätten 98,53 Prozent von 12 325 168 Wahlberechtigten teilgenommen. 99,72 Prozent der abgegebenen gülti-



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Eine geringere Wählerbeteiligung gibt es in Kreisen, die an andere Zonen [sic] grenzen. Dort haben, wie zum Beispiel im Kreis Sondershausen (Thüringen), um 13 Uhr erst 43 Prozent der Wähler ihre Stimme abgegeben, während republikweit um diese Zeit der Durchschnitt bei 71,5 Prozent lag. In der Stadt Jena haben 50,8 Prozent, im Kreis Nordhausen 52,3 Prozent, im Kreis Worbis 54,6 Prozent gewählt. Die Reaktion veranstaltet Maßnahmen, um die Beteiligung der Wähler an der Stimmabgabe zu stören: es werden Flugblätter gestreut, es tauchen antisowjetische und gegen die SED gerichtete Plakate verschiedenster Art auf usw. Ernsthafte und groß angelegte Auftritte der Reaktion sind allerdings nirgends zu verzeichnen. Die Stimmabgabe geht weiter. Zur Kenntnisnahme. M. Gribanov6 AVP RF, f. 07, op. 23, p. 43, d. 203, Bl. 26–27.

47. Telegramm des stellvertretenden Außenministers Gromyko an den Leiter der Mission der UdSSR in der DDR Puškin, den Vorsitzenden der SKK Čujkov und den Politischen Berater Semenov [Chiffriertes Telegramm] Sofort

16. Oktober 19501

Nach Berlin An Puškin Kopie an Čujkov, Semenov Suchen Sie sofort Dertinger auf2 und teilen Sie ihm mit, dass die sowjetische Regierung es für zweckmäßig erachtet, eine Konferenz der Außenminisgen Stimmen seien auf die Einheitsliste der Nationalen Front entfallen, vgl. Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik 1955, Jg. 1, Berlin 1956, S. 87. 6  Handschriftlich. 1  Kopie. Exemplare gingen an: Stalin, Molotov, Malenkov, Bulganin, die 10. Abteilung des MID und – mit der Bitte um Bewilligung – an eine 8. Verwaltung (vgl. Dok. 43, Fn. 1). Am Kopf findet sich der Stempel der „10. Abteilung“ des sowjetischen Außenministeriums, auf dem für die Daten „Erstellt“ und „Abgesandt“ der 17. Oktober 1950, aber keine Uhrzeit angegeben ist. Das Dokument wurde von Gromyko am 16.  Oktober abgezeichnet und von Zorin, Lavrent’ev und Gribanov zur Kenntnis genommen. 2  Zur späten Information Dertingers vgl. Dok. 48 und dort Fn. 6.

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ter der UdSSR, der DDR, Albaniens, der Tschechoslowakei, Bulgariens, Polens, Rumäniens und Ungarns einzuberufen,3 um eine gemeinsame Erklärung der Regierungen dieser Länder zum Beschluss der New Yorker Konferenz der Außenminister der USA, Großbritanniens und Frankreichs in der Frage der Remilitarisierung Deutschlands zu verabschieden.4 3  In Reaktion auf die Beschlüsse der New Yorker Außenministerkonferenz zur Wiederbewaffnung Deutschlands (vgl. Dok. 48, Fn. 3) hatte das Politbüro des ZK der VKP  (b) am 16.  Oktober 1950 beschlossen, eine Konferenz der Außenminister der oben genannten Staaten nach Prag einzuberufen. Molotov wurde durch das Moskauer Politbüro beauftragt, „a) den Text der Instruktionen an die Botschafter und Gesandten der UdSSR in der Tschechoslowakei, in Polen, Bulgarien, Rumänien, Ungarn, Albanien und in der DDR abschließend zu redigieren und diese Instruktionen noch heute abzuschicken; b) die Endfassung des Entwurfs der gemeinsamen Erklärung der Außenminister der … acht Länder im Politbüro vorzulegen“, vgl. Foitzik, Interessenpolitik, S. 532–533. Der Moskauer Rundfunk meldete am 20. Oktober 1950 den Beginn der Konferenz, über die am 21. Oktober erstmals das Neue Deutschland berichtete. Am 22. Oktober wurde in der sowjetischen und der DDR-Presse die gemeinsame Erklärung der acht Außenminister veröffentlicht. Sie bestand aus vier Punkten, wovon die ersten drei eine Auseinandersetzung mit dem Kommuniqué der New Yorker Außenministerkonferenz der drei Westmächte bildeten und in einem gewohnt konfrontativen Ton abgefasst waren. Dagegen enthielt der vierte Punkt vier Vorschläge zur Lösung der deutschen Frage, davon enthielten erneut die ersten drei Bekanntes: Ablehnung der Remilitarisierung; Aufhebung aller Beschränkungen für die Entwicklung der deutschen „Friedenswirtschaft“, unverzüglicher Abschluss eines Friedensvertrags. Allein der vierte Vorschlag war neu. Er wandte sich – wie Molotov in Prag erläuterte – „der Form nach indirekt, doch in der Sache direkt an die westdeutsche Regierung“, der er die „Bildung eines aus Vertretern Ost- und Westdeutschlands paritätisch zusammengesetzten Gesamtdeutschen Konstituierenden Rats [vorschlug], der die Bildung einer provisorischen demokratischen, friedliebenden, gesamtdeutschen souveränen Regierung vorbereiten und den Regierungen der UdSSR, der USA, Großbritanniens und Frankreichs die entsprechenden Vorschläge zwecks gemeinsamer Bestätigung unterbreiten soll und der bis zur Bildung einer gesamtdeutschen Regierung zur Konsultation bei der Ausarbeitung des Friedensvertrags heranzuziehen ist. Unter bestimmten Umständen kann eine unmittelbare Befragung des deutschen Volkes über diesen Vorschlag durchgeführt werden.“ Vgl. DDS 1, S. 244–253, hier S. 252–253. Der letzte Satz lag auf der bisherigen Linie der SED und ging auf eine Anregung zurück, die Dertinger in Prag unterbreitet hatte, vgl. PA  AA, MfAA A, Bd. 14615, Bl. 251–256, hier Bl. 255. Molotov unterstrich in seiner bereits zitierten Erläuterung die Neuartigkeit des von ihm eingebrachten und vom Moskauer Politbüro bestätigten Vorschlags: „Hier sind beide Seiten Partner – Ostdeutschland in Gestalt der Deutschen Demokratischen Republik und Westdeutschland in Gestalt der Bonner Regierung.“ Vgl. AVP RF, f. 07, op. 23a, p. 66, d. 3, Bl. 24. Tatsächlich enthielt die Prager Erklärung die erstmalige formale Anerkennung der Bundesrepublik als Partner durch die acht Teilnehmer dieser Konferenz. Zur Reaktion des US-Außenministeriums auf die Prager Erklärung vgl. Dok. 50, Fn. 8. 4  Zu dem Westdeutschland betreffenden Beschluss der New Yorker Außenministerkonferenz vgl. Dok. 48, Fn. 3. Die sowjetische Position betreffend den Beschluss dieser Konferenz legte Vyšinskij dem amerikanischen Botschaftsrat in der UdSSR Walworth Barbour am 5. Februar 1951 in einer Note wie folgt dar: „Die New Yorker



Dokument 47: 16. Oktober 1950 245

Somit ist die sowjetische Regierung zu derselben Schlussfolgerung bezüglich der Notwendigkeit der genannten Konferenz gelangt, von der seinerzeit auch Dertinger sprach.5 Die sowjetische Regierung erachtet es für zweckmäßig, eine solche Konferenz für den 20.–22. Oktober6 in Prag einzuberufen, sofern seitens der Regierung der Tschechoslowakei keine Einwände bestehen. Eine entsprechende Anfrage ist an die Regierungen Albaniens, der Tschechoslowakei, Polens, Bulgariens, Rumäniens und Ungarns gerichtet worden. Über das oben Dargelegte informieren Sie auch7 Ulbricht. Die Antwort der Regierung der DDR teilen Sie umgehend mit. Gromyko8 AVP RF, f. 07, op. 23, p. 43, d. 203, Bl. 26–27.

Konferenz der Außenminister der USA, Großbritanniens und Frankreichs im September 1950 und die darauf folgenden Maßnahmen der Regierungen der drei Mächte zielten insbesondere auf die Wiedererrichtung einer regulären deutschen Armee in Westdeutschland und auf eine massive Aufrüstung in Europa und in den Vereinigten Staaten von Amerika, die unter den Völkern, die erst kürzlich die Erschütterungen und die Not des Zweiten Weltkriegs durchlebt haben, eine wachsende Beunruhigung auslösen.“ Vgl. Sovetsko-amerikanskie otnošenija, S. 322–325, hier S. 322. Nach sowjetischer Lesart galten die Beschlüsse von New York als eine Fortsetzung der Linie, die die amerikanische Politik mit dem Nordatlantikpakt eingeschlagen habe: die Aufrüstung der westeuropäischen Armeen, ihre faktische Unterstellung unter amerikanisches Kommando und die Verwandlung Westeuropas in einen strategischen Aufmarschplatz für einen Angriffskrieg. Da angesichts des „wachsenden Widerstands der Volksmassen“ die westeuropäischen Armeen nicht ausreichten, habe man in New York beschlossen, dass der Kern der „vereinigten“ Armee aus Kadern von Hitlers Armee gebildet werden solle, die von Adenauer gesammelt würden, und dass außerdem verstärkt amerikanische Truppen in Europa stationiert werden sollten (vgl. ­Novoe vremja 40, 4. Oktober 1950, S. 1–3, hier S. 2). 5  Vgl. Dok. 42, Fn. 3. 6  Die Konferenz wurde entgegen der ursprünglichen Planung um einen Tag verkürzt. Sie endete bereits am 21. Oktober 1950. 7  Das Wort „auch“ wurde handschriftlich von Gromyko eingefügt. 8  Paraphe.

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48. Unterredung zwischen dem Leiter der Mission der UdSSR in der DDR Puškin und Außenminister Dertinger Geheim

Ost-Berlin, 18. Oktober 19501

Aus dem Tagebuch2 G.M. Puškins Aufzeichnung einer Unterredung mit dem Minister für Auswärtige Angelegenheiten der DDR, Georg Dertinger Bei meinem Besuch setzte ich Dertinger über den Vorschlag der sowjetischen Regierung in Kenntnis, vor dem Hintergrund der in New York durch die Außenminister der drei Westmächte getroffenen Entscheidung in der Frage der Remilitarisierung Deutschlands3 eine Außenministerkonferenz in Prag einzuberufen.4 Dertinger war äußerst erfreut, dass seine Meinung in dieser Angelegenheit5 mit der Meinung der sowjetischen Regierung übereinstimmte. Er erklärte, er wolle unverzüglich seine Regierung über den Vorschlag der sowjetischen Regierung informieren und habe keinen Zweifel daran, dass seine Regierung unseren Vorschlag mit aufrichtiger Dankbarkeit annehmen werde.6 Weiterhin sagte Dertinger, dass der Beschluss der West1  Original an Vyšinskij. Diese Gesprächsaufzeichnung wurde am 22.  Oktober 1950 in sechs Exemplaren ausgefertigt und erhielt die Ausgangsnummer 0132. Kopien gingen an Gromyko, Zorin, Bogomolov, Gribanov und zu den Akten. Im Sekretariat Vyšinskijs ging sie am 26.  Oktober 1950 ein und erhielt die Eingangsnummer 11209-v. 2  „Tagebuch“ ist ein aus der russischen Kanzleisprache übernommener Begriff des Auswärtigen Dienstes der UdSSR für Gesprächsaufzeichnungen. 3  Gemeint ist die Außenministerkonferenz der drei Westmächte in New York (12. bis 19. September 1950). Auf ihr verabschiedeten Schuman, Bevin und Acheson ein Kommuniqué, in dem sie eine „neue Phase in den Beziehungen zwischen den Alliierten und der Bundesrepublik“ ankündigten. Insbesondere erklärten sie, „im Rahmen ihrer nationalen Gesetzgebung die erforderlichen Schritte zur Beendigung des Kriegszustandes mit Deutschland zu unternehmen“, die alliierten Truppen zu verstärken, über eine „Beteiligung der Deutschen Bundesrepublik an der gemeinsamen Verteidigung Europas“ zu diskutieren sowie ihr die Errichtung „beweglicher Polizeieinheiten auf Länderbasis“, die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit ausländischen Staaten und die Errichtung eines Außenministeriums zu gestatten, vgl. DzD II, 3, S. 330–333. Um die deutsche Beteiligung an Verteidigungsaufgaben genauer zu beraten, kamen die drei Außenminister vom 22.–23. September ebenfalls in New York nochmals zusammen, vgl. ebenda, S. 332, Anm. 4. Zur Beendigung des Kriegszustands vgl. Dok. 20, Fn. 12. 4  Zur Prager Außenministerkonferenz vgl. Dok. 47, Fn. 3. 5  Vgl. Dok. 42, Fn. 3. 6  Dertinger wurde über die Absicht, eine solche Konferenz nach Prag einzuberufen, durch Puškin erst informiert, als das SED-Politbüro bereits unter Beteiligung



Dokument 48: 18. Oktober 1950247

mächte zur Remilitarisierung Westdeutschlands in Westdeutschland Missfallen ausgelöst habe. Dertinger erklärte, das Volk Westdeutschlands sei pazifistisch eingestellt. Dort habe das Motto „Deutsche schießen nicht auf Deutsche“7 sehr viele Befürworter. Eine besondere Besorgnis habe in der Bevölkerung die Erklärung der Außenminister der Westmächte über die Garantien für Westdeutschland ausgelöst, welche durch diese an eine zahlenmäßige Verstärkung der Besatzungstruppen in Westdeutschland gekoppelt worden sind. Dertinger betrachtet den Rücktritt des Innenministers der Bonner Regierung, Heinemann,8 und den von Staatssekretär Ackermann am 17. Oktober die Teilnahme von Dertinger und Ackermann an dieser Konferenz beschlossen hatte, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/114. 7  Die imperative Redewendung „Deutsche schießen nicht auf Deutsche“ entstand in der sich im Sommer 1950 zuspitzenden Kontroverse um einen eigenen Beitrag zur Verteidigung der Bundesrepublik durch deren „Wiederbewaffnung“ oder „Remilitarisierung“. Veranlasst durch einen Brief des Präses der Evangelischen Landeskirche von Westfalen, Ernst Wilm, an Robert Lehr vom 18. September 1950 zu diesem Problem (vgl. Kabinettsprotokolle, Bd. 3 [1950] Wortprotokolle, S. 123–124) hatte dieser am 26.  September 1950 eine Besprechung zwischen Vertretern der Evangelischen Kirche mit evangelischen Mitgliedern der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nach Düsseldorf einberufen, an der neben Wilm auch Bundesinnenminister Heinemann und zahlreiche Bundestagsabgeordnete teilnahmen. Luise Rehling hatte auf dieser Besprechung auf diese Redewendung Bezug genommen und gewarnt: „Wenn die Kirche sagen würde: ‚Deutsche schießen nicht auf Deutsche‘, so würde sie damit den kirchlichen Auftrag überschreiten und eine hochpolitische Entscheidung treffen.“ Vgl. Kabinettsprotokolle, Bd. 3 (1950) Wortprotokolle, S. 162–176, hier S. 176. 8  Vgl. dazu Dok. 38, Fn. 3. Bundesinnenminister Gustav Heinemann hatte in einem Schreiben vom 9. Oktober 1950 dem Bundeskanzler seinen abweichenden Standpunkt zur „Remilitarisierung“ bzw. zu einer „deutschen Beteiligung an militärischen Maßnahmen“ in aller Ausführlichkeit dargelegt und es Adenauer überlassen zu entscheiden, ob er unter diesen Umständen eine weitere Zusammenarbeit mit ihm in der Bundesregierung für möglich halte. In diesem Schreiben ging er von einer sowjetischen Furcht nicht nur vor kapitalistischer Einkreisung, sondern auch vor deutscher Angriffslust aus und prophezeite: „In Polen und in der Tschechei wird die Angst vor der deutschen Revanche die Volksmassen in die Arme ihrer kommunistischen Regierungen treiben.“ Zugleich erinnerte er darin an die „Zweiteilung Deutschlands“, durch die ein künftiger Krieg in Europa „ein Krieg Deutscher gegen Deutsche“ werden würde. Deutsches Ziel müsse es daher sein, dass es zwischen „den beiderseitigen Weltmächten ein Gespräch über Deutschland und die friedliche Wiederherstellung unserer Einheit und Freiheit … gibt“. Obwohl er einräumte, „daß es z. Zt. irreal ist, an eine Verständigung unter den Weltmächten über Deutschland … zu denken“, sah er darin doch eine Chance, die nicht verspielt werden dürfe und warnte: „Unsere Beteiligung an der Aufrüstung würde das Aufkommen einer solchen Chance kaum mehr offen lassen.“ Vgl. Kabinettsprotokolle, Bd. 3 (1950) Wortprotokolle, S. 187– 192, hier S. 190–191. Adenauer schlug noch am selben Tag dem Bundespräsidenten die Entlassung Heinemanns vor, vgl. Adenauer an Heinemann, 9. Oktober 1950, Faksimile, in: Kabinettsprotokolle, Bd. 2 (1950), nach S. 56.

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gegen die Re-Militarisierung9 Deutschlands gerichteten Protestbrief Nie­ möllers an Adenauer10 als Ausdruck der wachsenden Unzufriedenheit der Bevölkerung Westdeutschlands mit der Politik der Bonner Regierung und der Westmächte in der Frage der Remilitarisierung. Dertinger ist der Auffassung, die Massen in Westdeutschland hätten bisher noch nicht erkannt, dass es notwendig ist, aktiv gegen diese Politik zu kämpfen, aber er hat keinen Zweifel daran, dass die Dinge sich so entwickeln werden. Er merkte außerdem an, dass die Bewegung gegen eine Remilitarisierung Westdeutschlands zum Ausgangspunkt für den nationalen Zusammenschluss der Deutschen in ganz Deutschland werden könne. Er denkt, dass die auf der Außenministerkonferenz der Länder des Friedenslagers gefassten Beschlüsse zur Frage der Remilitarisierung Westdeutschlands sich als eine kolossale Unterstützung für das deutsche Volk erweisen werden, welches im Grunde Frieden wünsche. Dertinger misst in diesem Zusammenhang der Tatsache besondere Bedeutung bei, dass die DDR an der Konferenz der Außenminister als gleichberechtigter Partner teilnimmt. Später11 teilte Dertinger mir mit, dass die deutsche Regierung der sowjetischen Regierung für den Vorschlag zur Einberufung der Konferenz der Mi9  „Re-“ wurde handschriftlich nachgetragen. Im russischen Original: „remilitarizacija.“ 10  In seiner Funktion als Präsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau protestierte Niemöller am 4. Oktober 1950 in einem Brief an Adenauer gegen „die Remilitarisierung Westdeutschlands“. Er machte geltend, dass „kein deutscher Wähler bei der Wahl im Sommer 1949 die Absicht gehabt hat, dem Deutschen Bund die Vollmacht zu einer Kriegsrüstung oder Kriegsbeteiligung zu geben“ und forderte daher eine Volksabstimmung oder alternativ Neuwahlen, vgl. DzD II, 3, S. 352–353. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete am 5. Oktober 1950 unter der Überschrift „Neuwahlen verlangt“ über einen „von 37 Pfarrern aus allen Teilen Westdeutschlands in Darmstadt“ unterzeichneten Offenen Brief der Bruderschaften der Bekennenden Kirche an Adenauer (S. 3). Die darin zitierten Sätze finden sich nicht in Niemöllers Schreiben. Am 7. Oktober 1950 meldete die Frankfurter Allgemeine Zeitung unter der Überschrift „Adenauer an Niemöller“, der Bundeskanzler habe Niemöller „um Aufklärung darüber gebeten, ob in seinem Schreiben über die Wiederaufrüstung die Meinung der Evangelischen Kirche oder seine eigene zum Ausdruck gebracht worden sei“ (S. 3). Das Neue Deutschland druckte am 11. Oktober 1950 unter der Überschrift „Bonns Boden bebt“ große Teile von Niemöllers Brief, ließ jedoch alle Stellen, an denen von Ost- und Westdeutschland die Rede war, fort (S. 1 und 2). 11  Ein Schreiben oder eine mündliche Mitteilung von Dertinger an Puškin in dieser Angelegenheit konnte nicht ermittelt werden. Die Mitteilung dürfte aber noch am 18. Oktober erfolgt sein. Der DDR-Ministerrat tagte erst wieder am 19. Oktober 1950, und eine Beteiligung der DDR an der Prager Konferenz wurde dort nicht behandelt. An der Ministerratssitzung nahmen weder Dertinger noch Ackermann teil, die sich wahrscheinlich bereits auf dem Weg nach Prag befanden. Über die Ab- und Rückreise der beiden DDR-Vertreter, Außenminister Dertinger und Staatssekretär Ackermann, berichteten DDR-Zeitungen nicht.



Dokument 49: 23. Oktober 1950249

nister aus acht Ländern in Prag aufrichtig danke, diesen Vorschlag freudig entgegennehme und sowohl mit dem Zeitpunkt der Einberufung als auch mit dem Ort der Konferenz einverstanden sei. Der Leiter der Diplomatischen Mission der UdSSR in der DDR G. Puškin12 AVP RF, f. 07, op. 23, p. 43, d. 201, Bl. 84–85.

49. Beschluss des ZK der VKP (b) Sondermappe  Tagesordnungspunkt 313 des Politbüroprotokolls Nr. 78

23. Oktober 19501

Frage des MGB 1. Die Empfehlung2 des MGB der UdSSR (Gen. Abakumov) und der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland (Gen. Čujkov) bezüglich der Abhaltung von drei Gerichtsprozessen gegen amerikanische und englische Agenten, die gegen die sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik Spionage- und Subversionstätigkeit betrieben haben, wird angenommen.3 12  Handschriftlich.

1  Der Beschluss wurde ursprünglich mit weiteren streng geheimen Beschlüssen des Politbüros in einer besonders geschützten Sonderablage (Sondermappe) aufbewahrt. Das Original ist veröffentlicht in: Lubjanka. Stalin i MGB SSSR. Mart 1946– mart 1953, hrsg. von V.N. Chaustov, V.P. Naumov, N.S. Plotnikova, Moskau 2007, S. 314. 2  Abakumov hatte am 19. Oktober 1950 berichtet, es seien „in den letzten zwei Monaten vom MGB gemeinsam mit den Mitarbeitern der tschekistischen Organe in Deutschland die folgenden amerikanischen und englischen Spionageresidenturen entlarvt und liquidiert worden“, und drei Gruppen von jeweils acht, 11 und 21 Personen genannt, die für amerikanische bzw. britische Geheimdienste spioniert hätten (vgl. Fn. 4 zu diesem Dokument). Abakumov hatte in diesem Zusammenhang die Durchführung dreier Geheimprozesse und die Veröffentlichung der Urteile vorgeschlagen. Zitiert nach: Hilger, Strafjustiz im Verfolgungswahn, S. 101, vgl. dort auch den Beleg in Anm. 29. 3  Laut dem Entwurf einer Anweisung an Čujkov und Semenov, der auf deren eigene Vorschläge zurückging und von Gromyko am 20. September 1950 an Stalin und Mitglieder des Politbüros geschickt wurde, sollten die Zuständigkeiten der sowjetischen Militärtribunale eingeschränkt und eine Reihe der dort bislang verhandelten Fälle an deutsche Gerichte übergeben werden. Dieser Entwurf erhielt zunächst grundsätzliche Zustimmung, wurde jedoch im Politbüro nicht formell beschlossen. Er sah

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2. Die Verfahren gegen die amerikanischen und englischen Spione sind in nichtöffentlichen Gerichtssitzungen des Militärtribunals der Gruppe der sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland zu verhandeln. Das erste Verfahren soll Anfang November, das zweite Ende November und das dritte in der ersten Hälfte Dezember d. J. verhandelt werden.4 3. Die Sowjetische Kontrollkommission in Deutschland (Gen. Čujkov) wird verpflichtet, in der deutschen Presse Kurzmitteilungen über die gegen die anglo-amerikanischen Spione verhängten Urteile zu veröffentlichen.5 vor, dass Militärtribunale für von sowjetischen Staatsbürgern sowie in bestimmten Fällen für von deutschen Staatsbürgern begangene Straftaten zuständig seien, darunter für „Staatsverbrechen nach Artikel 58-2 bis 58-14 des Strafgesetzbuches der RSFSR“, vgl. Foitzik/Petrow, Geheimdienste, S. 347–348 und dort Anm. 242 und 243. Die in Artikel 58 definierten „gegenrevolutionären Verbrechen“ beinhalteten auch Spionage (Artikel 58-6), für die in als schwerwiegend angesehenen Fällen die Todesstrafe vorgesehen war, vgl. Karl Wilhelm Fricke, Politik und Justiz in der DDR. Zur Geschichte der politischen Verfolgung 1945–1968. Bericht und Dokumentation, Köln 1990, S. 106–109. Die Todesstrafe war in der UdSSR erst am 12.  Januar 1950 wieder eingeführt worden. Vor allem unter Anwendung des Artikels 58-6 wurden in den Jahren 1950–1954 durch Sowjetische Militärtribunale 1 112 deutsche Staatsbürger zum Tode verurteilt. 960 der Urteile wurden vollstreckt, vgl. Hilger, Strafjustiz im Verfolgungswahn, S. 128. 4  Zur Verfolgung von „Spionage“ durch Zivilisten vgl. auch Widerstand und Willkür, S. 219–240. 5  Das Neue Deutschland berichtete am 22. November 1950 auf S. 2 über die Verhandlung eines Militärtribunals der sowjetischen Besatzungstruppen gegen eine „Gruppe amerikanischer Spione“, die Informationen über die sowjetischen Besatzungstruppen gesammelt und weitergegeben sowie „Zersetzungsarbeit gegen die Deutsche Demokratische Republik“ geleistet hätten. Von diesen seien fünf zum Tod durch Erschießen, einer zu 25 Jahren Gefängnis und zwei weibliche Angeklagte zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Am 18. Dezember berichtete das Neue Deutschland, ebenfalls auf S. 2, unter der Überschrift „Todesurteile gegen amerikanische Spione“ von Verhandlungen eines sowjetischen Militärtribunals in der ersten Dezemberhälfte gegen 20 Personen unter dem gleichen Anklagepunkt. Von diesen seien sechs zum Tod durch Erschießen, acht zu 25 Jahren, sechs zu 15 Jahren und einer zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt worden. Am 13. Januar 1951 berichtete die gleiche Zeitung auf S. 2 unter der Überschrift „Englische Spione abgeurteilt“ von der Verhandlung eines sowjetischen Militärtribunals vom 8. und 9. Januar, bei der drei Angeklagte zum Tod durch Erschießen, drei Angeklagte zu 25 und jeweils zwei zu 20 bzw. (zwei weibliche Angeklagte) zu 15 sowie eine weitere Person zu zehn Jahren Freiheitsentzug verurteilt wurden. Zu den Akten der Hingerichteten vgl. Widerstand und Willkür, S. 225, Anm. 118. Alle drei Artikel enthielten Darstellungen der „Spionagetätigkeit“ der Angeklagten, benannten „Beweismittel“ und mutmaßliche Auftraggeber und listeten abschließend namentlich die angeklagten Personen sowie ihre Urteile auf. Die aus der ersten genannten Gruppe zum Tode Verurteilten (Franz Aue, Karl Kügler, Ludwig Nebelung, Wilhelm Schluckebier und Georg Schwensitzki) wurden nach Ablehnung ihrer Gnadengesuche am 7. Februar 1951 in Moskau erschossen, die aus der zweiten Gruppe (Helmuth Bakker, Gerhard Dilßner, Anton Friedl, Alfred Pusch, Herbert Seidel und Paul Zehner) am 21. März 1951 und die aus



Dokument 50: 3. November 1950251

4. Mit der Vorbereitung der Verfahren für die Verhandlung im Gericht wird das MGB der UdSSR beauftragt. Auszüge versandt an: Gen. Abakumov, Gromyko. RGASPI, f. 17, op. 162, d. 44, Bl. 132. Veröffentlicht in: Lubjanka. Stalin i MGB SSSR. Mart 1946–mart 1953, hrsg. von V.N. Chaustov, V.P. Naumov, N.S. Plotnikova, Moskau 2007, S. 314.

50. Unterredung zwischen dem Leiter der Mission der UdSSR in der DDR Puškin und Außenminister Dertinger Geheim

3. November 19501

Aus dem Tagebuch von G.M. Puškin Aufzeichnung einer Unterredung mit dem Außenminister der DDR, Georg Dertinger, am 26.  Oktober 1950 Dertinger hatte mich zu sich gebeten, um mir einen an Gen. V.M. Molotov gerichteten Dankesbrief zu übergeben. Ich versprach, seine Bitte unverzüglich zu erfüllen. Dertinger zeigte sich zutiefst beeindruckt von der Prager Konferenz der Außenminister der acht Staaten. Er betonte, er habe in Prag besonders freundschaftliche Aufmerksamkeit und Hilfe für die Delegation der DDR von Seiten des Gen. Molotov erfahren. Er sei, so Dertinger, von den Konferenzteilnehmern in Prag „der Jüngste“ gewesen, da er erstmals an internationalen Konferenzen teilnehme. Außerdem habe ihn die Verantwortung für die Vergangenheit Deutschlands nicht anders als befangen machen können. Aber dank der Aufmerksamkeit seitens Molotovs, fuhr Dertinger fort, habe er bald gespürt, dass er am Konferenztisch nicht nur ein gleichberechtigter, sondern auch ein erwünschter Gast gewesen sei. Danach kam das Gespräch auf die Reaktionen auf die Erklärung der P ­ rager Konferenz2 in Deutschland. Ich fragte Dertinger, ob er irgendwelche Kenntnisse darüber aus Westdeutschland habe. Dertinger antwortete, er habe bislang noch keine vertrauenswürdigen Informationen von seinen westlichen der dritten Gruppe (Josef Anders, Werner Brust und Gerhard Geyer) am 4.  April 1951, vgl. dazu Erschossen in Moskau. 1  Original an Vyšinskij. Kopien dieses Dokuments, das die Ausgangsnummer 0126 erhielt, gingen an: Gromyko, Zorin, Bogomolov, Gribanov und in die Akten. Im Sekretariat Vyšinskijs traf das Schriftstück, das keine Lesespuren zeigt, am 5.  November ein und bekam die Eingangsnummer 11307-v. 2  Vgl. Dok. 47, Fn. 3.

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Freunden3 erhalten, er hoffe aber, solche Informationen in der näheren Zukunft zu bekommen. Weiter bemerkte er, die Erklärung der Außenminister der acht Staaten4 habe, nach der Reaktion der offiziellen Kreise Westdeutschlands zu urteilen,5 sowohl die Vertreter der Besatzungsmächte in Westdeutschland als auch die Bonner Regierungskreise in eine schwierige Lage gebracht. Dertinger mokierte sich über die Erklärung Adenauers zu den Prager Beschlüssen, die dieser, wie Dertinger sich ausdrückte, in aller Hast auf einer Sitzung der CDU in Goslar abgegeben habe. Adenauer habe in dieser Erklärung der Sowjetunion vorgeschlagen, ihre Truppen auf die gleiche Entfernung von Deutschland zurückzuziehen, wie die USA von Westdeutschland entfernt seien.6 Diese Erklärung sei dumm, bemerkte Dertinger. Die westliche Propaganda operiere auch überhaupt nicht mit ihr. Bis jetzt sei der [offizielle] Standpunkt der Bonner Regierung ebenso wie der [offizielle] Stand3  Zu

Dertingers Westkontakten vgl. Dok. 20, Fn. 9. sind die Teilnehmerstaaten an der Prager Konferenz, vgl. Dok. 47,

4  Gemeint

Fn. 3. 5  Es ist unklar, auf welche offiziellen Reaktionen sich Dertinger hier bezog. Erst am 8. November debattierten die Abgeordneten des Bundestages über eine an diesem Tag abgegebene Regierungserklärung Adenauers zu den Beschlüssen der New Yorker Außenministerkonferenz (vgl. Dok. 48, Fn. 3), zum Vorschlag des französischen Ministerpräsidenten Pleven zur Bildung einer europäischen Armee unter deutscher Beteiligung (vgl. Dok. 66, Fn. 50) und zur Note der sowjetischen Regierung vom 3. November zur Einberufung einer Außenministerkonferenz der vier Mächte (vgl. Dok. 56, Fn. 2). Im Rahmen dieser großangelegten Erklärung lehnte Adenauer die Prager Vorschläge (vgl. Dok. 47, Fn. 3) kurz und entschieden als „völlig unannehmbar“ ab und fügte hinzu: „Es ist ausgeschlossen, daß wir in irgendwelche Verhandlungen mit der Sowjetzone über Bildung eines gemeinsamen Organs treten, ehe das von uns wiederholt gestellte Verlangen auf Durchführung freier Wahlen in der Sowjetzone erfüllt ist.“ Vgl. BT Stenographische Berichte, 98. Sitzung, Mittwoch, den 8. November 1950, S. 3564. Noch entschiedener erklärte der Oppositionsführer Kurt Schumacher für die SPD: „Wir als Deutsche haben … die Aufgabe, zu erklären, daß, nationalpolitisch gesehen, die Formel der Prager Außenministerkonferenz für uns nicht akzeptabel ist.“ Vgl. ebenda, S. 3576. 6  Eine Erklärung Adenauers zu den Prager Beschlüssen auf dem 1. Bundesparteitag der CDU, der vom 20. bis 22. Oktober 1950 in Goslar tagte, konnte nicht ermittelt werden. Adenauer hielt seine Eröffnungsrede schon am 20. Oktober und äußerte sich dabei scharf gegenüber der UdSSR, der es gelungen sei, sich „die baltischen Staaten: Litauen, Lettland, Estland, das polnische Weißrussland, das ganze übrige Polen, Ungarn, Tschechoslowakei, Rumänien, Bulgarien und fast die Hälfte Deutschlands in der Form der Sowjetzone“ anzugliedern (vgl. Deutschland-Union-Dienst, Sonderausgabe vom 20.10.1950, Ausgabe B [hektographiert]). Gegenüber Puškin bezog sich Dertinger auf einen Bericht der Neuen Zeit vom 25. Oktober 1950. Dort hieß es auf S. 1: „Adenauer ließ in Goslar auf dem West-C.D.U.-Parteitag die alte Walze der Verdächtigung der Volkspolizei, die für ihn eine ‚Armee‘ ist, wieder abrollen. Seine Frage, ob die sowjetischen Besatzungstruppen in solche Entfernung von der deutschen Grenze zurückgezogen würden wie die Entfernung zwischen den USA und Deutschland beträgt, ist läppisch.“



Dokument 50: 3. November 1950253

punkt der Hohen Kommissare zur Erklärung der Prager Konferenz noch nicht geäußert worden. Dertinger erklärt das damit, dass es den Westmächten und der Regierung Adenauer äußerst schwerfalle, auf die Prager Erklärung zu antworten. Sie müssten die Meinung der westdeutschen Öffentlichkeit in Betracht ziehen, die sich zu einer Erklärung, welche in einem so freundlichen Ton gegenüber den Deutschen gehalten sei, nicht negativ verhalten könne. In dieser Erklärung, fuhr Dertinger fort, sei „eine mächtige dynamische Kraft angelegt“, und deshalb werde der Einfluss der Prager Erklärung auf breite deutsche Kreise in Westdeutschland von Tag zu Tag zunehmen. Nach Meinung Dertingers hat die Erklärung der Prager Konferenz schon einen gewissen Einfluss auf die französische Regierung ausgeübt,7 die in der Frage der Remilitarisierung Westdeutschlands eine etwas andere Position als die USA einnehme.8 Dertinger rechnet damit, dass sich die amerikanischfranzösischen Widersprüche in dieser Frage vertiefen werden. Sollten die am 28. Oktober beginnenden Verhandlungen der Vertreter der Länder des Atlantikpakts9 zu keiner Vereinbarung bezüglich der Formen der Beteiligung 7  Während Puškin mit Dertinger sprach, richtete die sowjetische Regierung eine Note an die französische Regierung, die sie gleichlautend auch der britischen und amerikanischen Regierung übergab und die den bereits publizierten Text der Prager Abschlusserklärung übermittelte, vgl. Dok. 56, Fn. 2. Auf einer Sitzung der Hohen Kommissare der Westmächte in Berlin einen Monat später erklärte der Hohe Kommissar Frankreichs, François-Poncet (laut Telegramm von McCloy an Acheson vom 7. Dezember 1950): „Soviets serious their desire meeting four powers in the hope such meeting would place them better moral position to overcome feeling world public opinion they were aggressors. If West Allies refused such meeting Soviet aim would be still furthered. In his opinion primary Soviet objective to avoid rearmament in and neutralization of Germany. Present feelings Germans follow Noack’s line and desire avoid ‚scorched earth‘ situation Germany, pleased and encouraged Soviets. Soviets were anxious extend guarantee German neutrality and neutralization plus status quo re Oder Neisse border in order calm present worries satellites. In view above Poncet believed necessary give greatest care concerning Adenauer reply Grotewohl letter.“ Vgl. FRUS 1950 IV, S. 668–671, hier S. 669. 8  Das US-Außenministerium hatte bereits am 22. Oktober 1950 in einem Rund­ erlass die Prager Erklärung als Versuch gekennzeichnet, „to recoup polit and propaganda initiative, to confuse public opinion in Western Germany and Europe with re­ spect to true record of US intentions and to create serious psychological and polit handicaps to execution of decisions reached at NY CFM [gemeint war die New Yorker Außenministerkonferenz der drei Westmächte, vgl. Dok. 48, Fn. 3]“. Vgl. FRUS 1950 IV, S. 666–667. Zur öffentlichen Stellungnahme von US-Außenminister Acheson vgl. DzD II, 3, S. 398–400. Die französische Regierung hatte am 24. Oktober mit dem Pleven-Plan einen eigenen Vorschlag zur Bildung westdeutscher militärischer Kontingente im Rahmen einer Europa-Armee formuliert. Diese sollten, wie Dertinger es im Folgenden paraphrasierte, „auf Basis der kleinstmöglichen Einheit“ gebildet werden, vgl. Dok. 66, Fn. 50. 9  Verhandlungen der Staaten des Nordatlantikpaktes (vgl. Dok. 8, Fn. 5) konnten für diese Zeit nicht nachgewiesen werden.

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Westdeutschlands an der gemeinsamen „Verteidigung“ des Westens führen, dann könnten die Prager Vorschläge auch für die Westmächte aktuell werden. Dertinger vermutet jedoch, dass die Amerikaner zu irgendeinem Kompromiss mit den Franzosen kommen werden. Dieser Kompromiss werde sich seiner Meinung nach vermutlich darin äußern, dass es Westdeutschland gestattet sein werde, Truppenkontingente in Form kleiner Einheiten (Bataillone und Regimenter) zu bilden, die in die militärischen Verbände der anderen westlichen Staaten eingegliedert seien. Eine solche Entscheidung der Frage, und sei es auch nur in der ersten Etappe, könne weder die westdeutschen Indus­ triellen noch die westdeutschen Militärkreise begeistern. In diesem Falle, so Dertinger, könne die westdeutsche Industrie nicht mit großen Militäraufträgen für ihre Armee rechnen, und die deutschen Generäle und Offiziere werden sich von der Aussicht auf hohe Kommandoposten in der deutschen Armee verabschieden müssen. Dertinger misst dem persönlichen Interesse der deutschen Industriellen wie auch der deutschen Militärkreise in der Frage der Remilitarisierung große Bedeutung bei. Zur Frage der Einstellung der breiten Bevölkerungsmassen Westdeutschlands zur Remilitarisierung bemerkte Dertinger, diese Einstellung könne nicht10 anders als negativ sein, da die Remilitarisierung für sie eine deutliche Verschlechterung ihrer materiellen Situation bedeuten würde. Die negative Einstellung der Bevölkerung zur Remilitarisierung werde, so die Meinung Dertingers, unvermeidlich zunehmen und könne in eine breite Widerstandsbewegung münden, und in diesem Zusammenhang werden die Vorschläge der Prager Konferenz der Außenminister der acht Länder in den Augen der Bevölkerung die einzig akzeptable Plattform für eine Lösung der Deutschlandfrage sein. Dertinger vermutet, dass sich mit der Zunahme des Widerstands gegen die Remilitarisierung in Westdeutschland auch die Position der französischen Regierung ändern könne, da den Franzosen allmählich klar werde, dass der Kampf der Deutschen gegen die Remilitarisierung eine echte Garantie für ihre Sicherheit sei. Zum Schluss äußerte Dertinger seine Meinung zur Möglichkeit einer Volksbefragung zu den Vorschlägen der Prager Konferenz. Er meint, man solle sich in dieser Sache nicht beeilen, da eine verfrühte Befragung die ganze Sache verderben könnte. Man müsse sich mit der Befragung so lange Zeit lassen, bis die negative Einstellung zur Remilitarisierung in Westdeutschland in eine breite Volksbewegung einmünde. Der Leiter der diplomatischen Mission der UdSSR in der DDR G. Puškin11 AVP RF, f. 07, op. 23, p. 43, d. 201, Bl. 87–90. 10  Die

Verneinung ist handschriftlich eingefügt.

11  Handschriftlich.



Dokument 51: 30. Oktober 1950255

51. Schreiben des Bevollmächtigten der Bundesrepublik Deutschland in Berlin Vockel an Bundeskanzler Adenauer 

Berlin-West, 30. Oktober 19501

Es ist kein Zweifel, dass die Prager Beschlüsse2 den Beginn einer neuen Generallinie der Politik der ostzonalen Regierung gegenüber Westdeutschland bedeuten. Seit einigen Tagen ist die gesamte Propaganda der SED-Regierung auf diese Beschlüsse abgestellt.3 Der Inhalt dieser Propaganda ergibt sich in vollem Umfange aus der Rede des Herrn Ulbricht vom 26. Oktober 19504 auf der Tagung des Zentralkommitees der SED. Ich füge in der Anlage den Wortlaut dieser Rede (Neues Deutschland, vom 29. Oktober 1950) bei.5 Vockel6 PA AA, B 2-VS, Bd. 106A.

1  Original. Links neben dem Datum ist vermerkt: „z. d. Akten Grotewohl-Brief“. Unter dem Datum der Stempel: „Dem Bundeskanzler vorzulegen“ und der Eingangsstempel des Bundeskanzleramts vom 1. November 1950. 2  Vgl. Dok. 47, Fn. 3. 3  Rund ein Drittel aller Artikel des Neuen Deutschlands aus dem Zeitraum vom 24. bis zum 29. Oktober 1950 thematisierten die Prager Außenministerkonferenz bzw. die „Remilitarisierung“ Westdeutschlands – 54 von 151 Berichten auf den jeweils ersten vier Seiten. 4  Die kursiv hervorgehobenen Wörter sind im Original handschriftlich unterstrichen. 5  Die Anlage wird hier nicht abgedruckt. Darin fordert Ulbricht gemäß den Beschlüssen der Prager Außenministerkonferenz (vgl. Dok. 47, Fn. 3) die Bildung eines gesamtdeutschen Rates; „um den Frieden erhalten zu können, um überhaupt leben zu können, [muss] die von den anglo-amerikanischen Imperialisten diktierte Spaltung Deutschlands überwunden werden.“ Die Bildung eines gesamtdeutschen Rates sei die notwendige Bedingung für die Ausarbeitung eines Friedensvertrages mit den Besatzungsmächten und müsse demnach, so Ulbricht weiter, breite Unterstützung bei den Deutschen in Ost und West erfahren. Gleichzeitig müsse „das ganze deutsche Volk … im amerikanischen Imperialismus seinen Todfeind erkennen, der nichts anderes erstrebt, als Westdeutschland zur Militärbasis für Welteroberungsziele zu machen, d. h. Westdeutschland zu zerstören und seine Bevölkerung dem Tode preiszugeben.“ Vgl. „Die Lehren der Wahlen, der Kampf gegen die Remilitarisierung, die Bedeutung des Gesamtdeutschen Konstituierenden Rates“, Neues Deutschland, 29. Oktober 1950, S. 4–5. 6  Handschriftlich.

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52. Schreiben des Finanzministers Loch an Finanzminister Zverev 

Berlin-Ost, 30. Oktober 19501

Sehr geehrter Herr Minister! Nachdem die Regierung der Sowjet-Union durch ihre großzügige Politik die Gründung der Deutschen Demokratischen Republik und Bildung der Regierung ermöglicht hat und damit die Verantwortung der Deutschen Staatsorgane auf dem Gebiet der Finanzwirtschaft begründet worden ist, erlaube ich mir, eine Erörterung über Fragen des Kursverhältnisses Rubel : DM anzuregen. Ich wäre Ihnen zu großem Dank verpflichtet, wenn Sie mir Ihre grundsätzliche Meinung über diese Frage vermitteln würden. Ich zweifle nicht daran, daß nach den zahlreichen Beweisen der sowjetischen Freundschaft für die Entwicklung der Deutschen Demokratischen Republik Ihre Antwort eine günstige Grundlage für weitere Verhandlungen bietet.2 Mit vorzüglicher Hochachtung gez. Dr. Loch PA AA, MfAA A, Bd. 15523, Bl. 42. 1  Am

Kopf des Dokuments ist vermerkt: „Abschrift“. selbst hatte vier Monate zuvor interne Überlegungen zu dieser Frage angestellt, vgl. Foitzik, Interessenpolitik, S. 528–532. Vierzehn Tage nach dem Schrei­ ben Lochs sprach DDR-Botschafter Markus Wolf das Thema des Wechsel­ kurses zwischen DDR-Mark und Rubel unter Verweis auf ein Schreiben von Kuckhoff in einem Gespräch mit dem Leiter der Dritten Europäischen Abteilung des sowjetischen Außenministeriums an. Gribanov erklärte, der Zeitpunkt zur Lösung dieser Frage sei gekommen, und sobald eine Entscheidung vorliege, werde er sie mitteilen, vgl. PA AA, MfAA A, Bd. 143, Bl. 548–549 (Vermerk des 1. Missionsrats der DDR in Moskau M. Wolf, 11. November 1950). Dazu existiert auch eine Aufzeichnung Gribanovs, vgl. AVP RF, f. 082, op. 37, p. 199, d. 4, Bl. 80–82. Als neun Monate später von sowjetischer Seite noch immer keine Mitteilung erfolgt war, richtete der Staatssekretär im DDR-Finanzministerium ein Schreiben an den stellvertretenden DDR-Ministerpräsidenten Rau, um eine Entscheidung anzumahnen. Vom Staatsekretär im DDR-Außenminsterium hatte er zuvor die Antwort erhalten, „daß aufgrund des doppelten Preisniveaus in unserer Republik die Festsetzung eines Kurses nicht möglich sei“ (PA AA, MfAA A, Bd. 15523, Bl. 41). Das Problem blieb die nächsten zwei Jahre ungelöst. Erst nach dem Juni-Aufstand 1953 entschloss sich die sowjetische Führung im Rahmen einer generellen Neuausrichtung ihrer Deutschlandpolitik zu einer Lösung. Beim ersten offiziellen Staatsbesuch der DDR-Führung in Moskau schlug Zverev am 20. August 1953 einen Wechselkurs von 1 Rubel zu 1,80 DM [DDR] ab dem 1. September vor (BAB-SAPMO, NY 4090/471, Bl. 107–123). Dieser Vorschlag wurde umgehend durch die DDR angenommen (vgl. PA AA, MfAA V SOW 035-67, Schreiben des Ministers der Finanzen der DDR Loch an den Vorsitzenden der Staatsbank der UdSSR, 22. August 1953). 2  Zverev



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53. Unterredung zwischen dem Leiter der Mission der UdSSR in der DDR Puškin und Außenminister Dertinger Geheim

Ost-Berlin, 31. Oktober 19501

Aus dem Tagebuch2 G.M. Puškins Aufzeichnung einer Unterredung mit dem Minister für Auswärtige Angelegenheiten der DDR, Georg Dertinger Ich besuchte Dertinger, um ihm im Namen des Genossen V.M. Molotov für das Dankschreiben zu danken und der deutschen Regierung die Wünsche des Gen. Molotov für eine erfolgreiche Umsetzung der Vorschläge der Prager Konferenz3 der Minister aus acht Ländern zu übermitteln. Dertinger bat mich noch einmal, Gen. V.M. Molotov für die freundliche Aufmerksamkeit Dank zu sagen. Dertinger gab kund, er sei noch nie so optimistisch gestimmt gewesen wie zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Er sagte, er habe vertrauliche Informationen von seinen Freunden aus Bayern erhalten,4 die darauf schließen ließen, dass sich die Dinge dort nicht schlecht entwickelten. Danach merkte er an, eine Reihe von Geschehnissen in Westdeutschland zeugten davon, dass man gegenwärtig schon von einer Krise in der Regierung Adenauer sprechen könne. Wie Dertinger darlegte, sei noch vor den Wahlen in Bayern (Ende November dieses Jahres)5 eine Spaltung der Christlich-Sozialen Union (CSU) möglich. Der einflussreiche protestantische Pfarrer Lüdke bereite die Gründung einer neuen protestantischen Partei in Bayern vor, die sich aus dem progressiven Teil der CSU rekrutieren werde.6 Dertinger führte aus, wenn dies ge1  Original an Vyšinskij. Diese Gesprächsaufzeichnung wurde am 3.  November 1950 in sechs Exemplaren ausgefertigt und erhielt die Nr. 0134. Kopien dieses Dokuments gingen an: Gromyko, Zorin, Bogomolov, Gribanov und zu den Akten. Im Sekretariat Vyšinskijs ging sie am 5. November 1950 ein und erhielt die Eingangsnummer 11309-v. 2  „Tagebuch“ ist ein aus der russischen Kanzleisprache übernommener Begriff des Auswärtigen Dienstes der UdSSR für Gesprächsaufzeichnungen. 3  Vgl. Dok. 47, Fn. 3. 4  Zu Dertingers Kontakten nach Westdeutschland vgl. Dok. 20, Fn. 9. 5  Die bayerischen Landtagswahlen fanden am 26.  November 1950 statt. Die SPD wurde mit 28 Prozent stärkste Partei vor der CSU mit 27,4 Prozent, erlangte jedoch nur 63 Sitze, während die CSU durch Überhangmandate auf 64 kam. Darüber hinaus zogen auch die Bayernpartei mit 39, der Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten/Deutsche Gemeinschaft mit 26 und die FDP mit 12  Mandaten in den Landtag ein, vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29. November 1950, S. 3. 6  Konfessionelle Spannungen innerhalb der CSU führten Anfang der 1950er Jahre zu Bestrebungen eines Teils der evangelischen Parteimitglieder vor allem in Franken, die

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schehe, werde eine solche Partei rasch an Einfluss gewinnen, denn protestantische Kreise in Nordbayern seien mit der Adenauer-Politik und der katholischen CSU-Führung in Bayern unzufrieden. Aus diesem Grunde könne sich die Koalitionsgrundlage Adenauers, die ohnehin knapp bemessen sei, bald stark reduzieren. Dertinger macht sich Gedanken über das letzte Treffen zwischen Schumacher und Niemöller.7 Er sagte, die Bemühungen Schumachers, sich mit evangelischen Kreisen über eine einheitliche Front gegen Adenauer zu verständigen, könnten zum Sturz der Regierung Adenauer und vorzeitigen Neuwahlen zum Bonner Parlament führen. Ich entgegnete Dertinger, dass man die oppositionelle Rolle Schumachers gegenüber der Politik der Regierung Adenauer nicht überschätzen solle. Auch sagte ich ihm, dass ich einen substantiellen Unterschied zwischen den Positionen Schumachers und Niemöllers sähe. Während Schumacher mit der Frage über die Wiederbewaffnung Spekulation betreibe, trete Niemöller dem Anschein nach aufrichtig gegen eine Wiederbewaffnung Westdeutschlands ein. Dertinger stimmte dem zu und fügte von sich aus hinzu, dass Schumacher mit allen Mitteln danach strebe, an die Macht zu gelangen. Momentan geriere Schumacher sich, so Dertinger, als „Supernationalist“, weil er sich bei den bevorstehenden Wahlen eine breite Unterstützung vonseiten nationalistisch gesinnter Deutscher sichern wolle. Anschließend setzte Dertinger an zu beweisen, dass Westdeutschland offensichtlich eine sozialdemokratische Regierungsperiode hinter sich bringen müsse, und erst dann, wenn die rechte Sozialdemokratie unter der Leitung Schumachers sich selbst kompromittiert haben werde, die progressiven Deutschen an die Macht kämen, mit denen man sich über eine Vereinigung Deutschlands auf akzeptabler Grundlage einigen könne. Danach ging Dertinger auf die Frage der Entlassung des Adenauer-Beraters General Schwerin ein. Dertinger hat eine etwas einfache Sicht auf dieses Ereignis. Wie er sagte, habe Adenauer seinen „Sicherheitsberater“ suspendiert, weil dieser verfrüht ausgeplaudert habe, dass es einen Plan zur Einfühsich in den Führungspositionen der Partei nicht ausreichend repräsentiert sahen, eine eigene evangelische Partei zu gründen. Obwohl auch die evangelische Landeskirche die Personalpolitik der CSU kritisierte, entzog sie letztlich dieser Initiative ihre Unterstützung mit der Begründung, die Kirche müsse überparteilich sein, und setzte auf die CSU als überkonfessionelle politische Interessenvertreterin für christliche Wähler. Um den spezifischen Interessen evangelischer Parteimitglieder innerhalb der CSU mehr Gehör zu verschaffen, wurde im November 1952 die „Evangelische Arbeitsgemeinschaft in der CSU“ (seit November 1953: „Evangelischer Arbeitskreis“) gegründet. 7  Niemöller und Schumacher hatten sich am 30. Oktober 1950 in Darmstadt getroffen und ein Kommuniqué veröffentlicht, in dem sie Neuwahlen zur Voraussetzung für eine Entscheidung über die Frage eines Verteidigungsbeitrages der Bundesrepublik erklärten, vgl. EA 1950, S. 3591–3592. Ähnlich hatte Niemöller bereits in seinem offenen Brief vom 4. Oktober an Adenauer argumentiert, vgl. Dok. 48, Fn. 10.



Dokument 53: 31. Oktober 1950259

rung der Wehrpflicht gebe. Die Berufung Blanks auf diesen Posten, eines Vertrauten des Kanzlers der Bonner Regierung, betrachtet Dertinger als Beleg dafür, dass die Maßnahmen zur Wiederbewaffnung sowie zur Einführung der Wehrpflicht mit derselben Geschwindigkeit fortgeführt werden sollen, allerdings mehr im Verborgenen.8 Zum Schluss äußerte Dertinger sich über die Möglichkeit einer Fühlungnahme zu CDU-Kreisen in Westdeutschland, welche gegen die Wiederbewaffnung eingestellt sind. Er merkte an, dass Niemöller und Heinemann den Standpunkt einer großen Vielzahl von Mitgliedern der protestantischen Kirche vertreten, die in Westdeutschland einen bedeutenden Einfluss habe. In diesen Kreisen werde, wie Dertinger sagte, der Wunsch geäußert, Kontakt mit der Deutschen Demokratischen Republik aufzunehmen. Es gebe hierfür seiner Meinung nach einige indirekte Anhaltspunkte. Er denke, so Dertinger, wir sollten die Erfüllung dieser Wünsche unterstützen. Ich pflichtete ihm bei.9 Der Leiter der Diplomatischen Mission der UdSSR in der DDR G. Puškin10 AVP RF, f. 07, op. 23, p. 43, d. 201, Bl. 91–93. 8  Zur Person von Schwerins vgl. Dok. 41, Fn. 3, zum Rückzug von Schwerins und zur Berufung Blanks vgl. ebenda, Fn. 21. Zu Überlegungen zur Einführung der Wehrpflicht vgl. ebenda, Fn. 18. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hatte am 21. Oktober gemutmaßt, es bestehe „Grund zu der Annahme, daß – wenigstens für die Dauer – die allgemeine Wehrpflicht doch wieder auftauchen würde“ (S. 2). Blank, der zwar während des gesamten Zweiten Weltkrieges in der Wehrmacht gedient, es dort aber nur zum Oberleutnant gebracht hatte, wurde durch Adenauer am 26. Oktober als „Leiter des Amtes für die Unterbringung der Besatzungstruppen“ berufen. 9  Der Rücktritt Heinemanns aus dem Kabinett Adenauers am 9. Oktober (vgl. Dok. 48, Fn. 8) erschien aus Sicht der SED-Führung als ein Zeichen für eine mögliche Spaltung des „bürgerlichen Lagers“. Sie bemühte sich in der Folgezeit über Mittelsmänner um Kontakte mit Heinemann, Niemöller und anderen Persönlichkeiten vor allem aus protestantischen Kreisen, die in Opposition zu einem westdeutschen Verteidigungsbeitrag standen. An dem auf die Unterredung folgenden Tag, dem 1. November 1950, äußerte sich Dieckmann gegenüber Puškin in ähnlicher Weise und schlug eine Einbindung von Politikern der Ost-CDU in eine solche Kontaktaufnahme vor (vgl. Dok. 55). Am 10. Januar 1951 kam es im Haus von Propst Grüber zu einem Gespräch zwischen Axen, Dahlem und Heinemann, vgl. Amos, Westpolitik, S. 108–110. Laut einer Aktennotiz von Dahlem vom 11. Januar zu diesem Gespräch lehnte Heinemann hier die Unterzeichnung eines Appells für eine Volksbefragung über die Remilitarisierung ab, die bei einem vorangegangenen Treffen Heinemanns, Niemöllers, Gerekes und Noacks geplant worden sei, vgl. BAB-SAPMO, NY 4182/1097, Bl. 4–5. Zu diesem Treffen, das auf Initiative Niemöllers am 22. Dezember 1950 in dessen Haus in Wiesbaden stattfand, vgl. Gallus, Die Neutralisten, S. 167. Im Januar oder Februar 1951 kam möglicherweise, ebenfalls bei Propst Grüber, noch ein Gespräch zwischen Nuschke, Gereke, Heinemann und Niemöller zustande (vgl. Dok. 67). 10  Handschriftlich.

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54. Schreiben des stellvertretenden Außenministers Gromyko an den Vorsitzenden des Ministerrats Stalin Streng geheim

Moskau, 1. November 19501

An Gen. I.V. Stalin Die Gen. Čujkov und Semenov berichten,2 dass die neu gebildete3 Regierung der Deutschen Demokratischen Republik am 15. November in Übereinstimmung mit der Prager Erklärung der acht Außenminister4 ein Schreiben an die „Bonner Regierung“ über die Bildung eines Gesamtdeutschen Konstituierenden Rates richten wird.5 1  Kopie. Von diesem Dokument, das am 1. November mit der Nr. 289-gi registriert worden war, wurden zehn Exemplare angefertigt, die unverteilt blieben. Am Kopf vermerkte Gromyko „Einverstanden“. 2  Dieser Bericht von Čujkov und Semenov konnte nicht ermittelt werden. 3  Die bei den von der SED durch die Einheitsliste vorbestimmten „Wahlen“ am 15. Oktober (vgl. Dok. 12, Fn. 13) bestätigten Abgeordneten traten erst am 8. November 1950 zur konstituierenden Sitzung der Volkskammer zusammen. Sie beschlossen noch am selben Tage in erster und zweiter Lesung einstimmig ein „Gesetz über die Regierung“, das deren Struktur durch die Einbeziehung der „Staatlichen Plankommission“ veränderte. Am 15. November „bestätigte“ die Volkskammer die vorgeschlagene Zusammensetzung der Regierung und „billigte“ deren Regierungsprogramm. Der Vorsitzende der Plankommission, Heinrich Rau, wurde Stellvertreter des Ministerpräsidenten Otto Grotewohl. 4  Gemeint sind die Außenminister von Albanien, Bulgarien, Polen, Rumänien, der Tschechoslowakei, Ungarn, der UdSSR und der DDR, vgl. Dok. 47, Fn. 3. 5  Dieses Schreiben kam erst am 30. November 1950 in Form eines Briefs von DDR-Ministerpräsident Grotewohl an Bundeskanzler Adenauer zustande. Einen vom Politbüro des ZK der SED am 28. November ohne Änderungen bestätigten Entwurf (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/120) hatte Ulbricht noch am selben Tag an den im Urlaub weilenden Grotewohl mit der Aufforderung weitergeleitet, noch selbst Bemerkungen zu machen. Ulbricht wies auch darauf hin, „daß die Freunde [gemeint ist die SKK] noch Änderungen vorschlagen“ könnten, vgl. DzD II, 3, S. 1129. Tatsächlich wurden in diesem Entwurf von Grotewohl und/oder der SKK noch zahlreiche Änderungen vorgenommen, ehe ihn der Ministerrat am 30. November bestätigte. Der Kern dieses Schreibens aber blieb unverändert: „Wir glauben, daß der Gesamtdeutsche Konstituierende Rat die Vorbereitung der Bedingungen zur Durchführung freier gesamtdeutscher Wahlen für die Nationalversammlung übernehmen könnte. So würde die Bildung eines Gesamtdeutschen Konstituierenden Rates sofort die Voraussetzung für die unverzügliche Aufnahme der Beratungen zum Abschluß eines Friedensvertrages schaffen, und gleichzeitig könnte der Rat die Voraussetzungen zur Regierungsbildung treffen. Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik ist bereit, im Geiste ehrlicher Verständigung über alle Fragen zu verhandeln, die mit der Bildung und den Aufgaben eines Gesamtdeutschen Konstituierenden Rates verbunden sind.“ Auch die schon in Prag eingebrachte Idee, „unter Umständen eine Befragung des deutschen Volkes“ durchzuführen, blieb erhalten (ebenda, S. 453). Das Schreiben



Dokument 54: 1. November 1950

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Vor dem Hintergrund, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt die anglo-amerikanische Propaganda auf jedwede Art und Weise versucht, die Bedeutung der in der Prager Erklärung enthaltenen Vorschläge abzuwerten und nach wie vor demagogisch den anglo-amerikanischen Vorschlag über so genannte freie gesamtdeutsche Wahlen6 wiederholt, halten die Gen. Čujkov und Semenov es für zweckmäßig, dass im Schreiben der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik neben den Aufgaben, die dem Konstituierenden Rat durch die Prager Erklärung auferlegt worden sind, auch die Aufgabe angeführt wird, dass die Voraussetzungen für eine Durchführung gesamtdeutscher Wahlen geschaffen werden müssen. Hiermit ist gemeint, dass die Repräsentanten der Deutschen Demokratischen Republik im Gesamtdeutschen Konstituierenden Rat auf der Demokratisierung Westdeutschlands als einer für die Durchführung wahrhaft freier demokratischer Wahlen unerlässlichen Bedingung bestehen müssen.7 Das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR befürwortet die Vorschläge der Gen. Čujkov und Semenov. Entwurf des Beschlusses liegt bei.8 wurde am folgenden Tag um 16:15 Uhr in Bonn überreicht, vom Absender zunächst vertraulich behandelt und erst nach Ausbleiben einer Antwort am 5. Dezember 1950 im Neuen Deutschland auf S. 1 veröffentlicht. Zu ersten Reaktionen westdeutscher Politiker vgl. Dok. 59 und 60. 6  Auf ihrer Londoner Tagung im Mai 1950 hatten die Außenminister der drei Westmächte freie Wahlen als Voraussetzung für Gespräche über eine Friedensregelung gefordert. Ein gemeinsames Schreiben, mit dem die Hohen Kommissare der Westmächte am 25.  Mai diese Forderung an Čujkov übermittelten (vgl. DzD  II, 3, S. 205–207), wurde von diesem nicht beantwortet. Am 14. September 1950 verabschiedete der Bundestag eine interfraktionelle Erklärung, die freie Wahlen zu einem gesamtdeutschen Parlament unter internationaler Kontrolle forderte (vgl. ebenda, S. 317–319). In Ihrem New Yorker „Deutschlandkommuniqué“ vom 19. September (vgl. Dok. 48, Fn. 3) verwiesen die Außenminister der drei Westmächte auf ihre früheren Forderungen nach freien gesamtdeutschen Wahlen (vgl. dazu auch Dok. 18, Fn. 9). In seiner Stellungnahme zur Prager Erklärung (vgl. Dok. 47, Fn. 3) bekräftigte US-Außenminister Acheson am 25. Oktober diese Forderungen erneut (vgl. DzD II, 3, S. 398–400). 7  Diese Argumentation findet sich nicht in dem Schreiben Grotewohls. Es handelt sich offensichtlich um eine Erläuterung der darüber genannten Aufgabe bzw. um eine Instruktion für die Vertreter der DDR, dass sie im Falle des Zusammentretens eines Gesamtdeutschen Konstituierenden Rates die Einführung einer der DDR vergleichbaren politischen Ordnung in der Bundesrepublik zur Bedingung für die Durchführung gesamtdeutscher Wahlen erklären sollten. 8  Der Entwurf lautete: „Der dem MID der UdSSR vorgelegte Entwurf zu Weisungen an die Gen. Čujkov und Semenov im Zusammenhang mit dem Schreiben der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik an die ‚Bonner Regierung‘ bezüglich der Bildung eines Gesamtdeutschen Konstituierenden Rates wird bestätigt.“ Vgl. AVP RF, f. 07, op. 23a, p. 11, d. 144, Bl. 27. Zu den Weisungen hieß es: „Mit Ihren Vorschlägen einverstanden. A. Gromyko“. Vgl. ebenda, Bl. 28.

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Ich bitte um Prüfung.9

i. A.: A. Gromyko

AVP RF, f. 07, op. 23а, p. 11, d. 144, Bl. 26.

55.  Telegramm des Vorsitzenden der SKK Čujkov und des Leiters der Mission der UdSSR in der DDR Puškin an den Vorsitzenden des Ministerrats Stalin Streng geheim, Kopieren verboten Chiffriertes Telegramm Besonders dringlich Sonder-Nr.

4. November 19501

Am 1. November hatte Gen. Puškin ein Treffen mit dem Vorsitzenden der provisorischen Volkskammer der DDR, Dieckmann. Zunächst ging es in dem Gespräch um die Bildung einer neuen Regierung der DDR.2 Aus Dieckmanns Worten war zu verstehen, dass er über alle Vorschläge der SED-Führung zu dieser Frage im Bilde ist und anscheinend zufrieden ist, dass seine Partei (die Liberaldemokratische Partei) in etwa die bisherigen Posten in der Regierung behalten wird. Zur Lage der Dinge in Westdeutschland erklärte Dieckmann, seiner Meinung nach entwickelten sich die Ereignisse dort zugunsten der Anhänger des Friedens und der Einheit Deutschlands. Vor einer Woche habe er in Dresden ein Treffen mit zwei prominenten Kirchenfunktionären aus Westdeutschland gehabt: dem Präsidenten der Evangelischen Kirchenkanzlei, Brunotte, und dem Präsidenten der Generalsynode in Hamburg, Blötz.3 Aus den Gesprä9  Am Schluss des Dokuments ist vermerkt: „Formlos entschieden. Telegramm wurde am 2. November abgeschickt.“ 1  Original an Stalin. Auf dem Dokument sind keine Registraturnummern eingetragen. Kopien gingen an: Molotov, Malenkov, Berija, Mikojan, Kaganovič, Bulganin, Chruščev, Vyšinskij, Gromyko, Grigor’jan. 2  Zur Bildung der DDR-Regierung nach den „Wahlen“ 1950 vgl. Dok. 54, Fn. 3. 3  Heinz Brunotte war von 1949 bis 1965 Präsident der Kirchenkanzlei der EKD und bis 1963 zugleich Präsident des Lutherischen Kirchenamts der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands. Zuvor hatte er sich als Oberkonsistorialrat der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei zeitweilig um einen Ausgleich zwischen evangelischer Kirche und dem NS-Staat bemüht, vgl. Jens Gundlach, Heinz Brunotte 1896–1984. Anpassung des Evangeliums an die NS-Diktatur. Eine biografische Studie, Hannover 2010. Der Hamburger Landgerichtsdirektor Ferdinand Blötz (im russischen Original „Bleds“ geschrieben) war von 1949 bis 1961 Präsident der Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands. Spätere DDRQuellen schrieben Blötz Sympathien für den Marxismus und die Gesellschaftsordnung



Dokument 55: 4. November 1950

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chen mit ihnen hat Dieckmann den Schluss gezogen, dass gegen die Politik der Remilitarisierung Westdeutschlands jetzt sehr einflussreiche Kreise, insbesondere die protestantische Kirche, zu opponieren beginnen. Der Einfluss dieser Kirche, so Dieckmann, erstrecke sich in Westdeutschland auf mindestens die Hälfte der Bevölkerung. Dieckmann räumt die Möglichkeit ein, dass sich die Zusammensetzung der gegenwärtigen Bonner Regierung ändern wird. Er schließt nicht aus, dass sich eine veränderte Bonner Regierung (ohne Adenauer) auf der Linie der Vorschläge der Prager Erklärung der acht Außenminister4 zu Verhandlungen mit der Regierung der DDR bereitfinden kann. Sodann sagte Dieckmann, einflussreiche Personen Westdeutschlands, die der gegenwärtigen Bonner Regierung nicht angehören, ihr aber nahestehen, würden sich an der Herstellung von Kontakten mit Politikern der DDR interessiert zeigen (Dieckmann denkt da anscheinend vor allem an protestantische Kreise). Jetzt habe Dieckmann eine Einladung solcher Kreise zu einer Reise nach Westdeutschland erhalten, habe aber aus Furcht, verhaftet zu werden, auf eine solche Reise verzichtet. Der oben erwähnte Blötz beabsichtige, in einiger Zeit zu Dieckmann nach Berlin zu einem Gespräch zu kommen. Dieckmann misst den Verbindungen mit führenden Kreisen der protestantischen Kirche Westdeutschlands große Bedeutung bei. Er wies darauf hin, dass demnächst eine Kirchenkonferenz des gesamtdeutschen Rates der EKD zur Bestimmung der Position zur Initiative Pastor Niemöllers einberufen werden solle.5 Dieckmann bezweifelt kaum, dass sich die Position Nieder DDR zu, vgl. Besier, SED-Staat und Kirche, S. 113 sowie 756, Anm. 427 und 428. Über die Gesamtdeutsche Bischofskonferenz in Dresden am 26. und 27. Oktober 1950, in deren Rahmen Dieckmann offensichtlich mit Brunotte und Blötz gesprochen hat, berichtete die Neue Zeit am 28. Oktober auf S. 2, beide genannten Kirchenvertreter wurden hier auch zitiert. 4  Vgl. Dok. 47, Fn. 3. 5  Dieckmann bezog sich aller Wahrscheinlichkeit nach auf den in der bundesdeutschen Öffentlichkeit in der Folgezeit vieldiskutierten offenen Brief Niemöllers an Adenauer vom 4. Oktober 1950, in dem er sich gegen die „Remilitarisierung“ gewandt und eine „Befragung der Bevölkerung“ bzw. Neuwahlen gefordert hatte (vgl. Dok. 48, Fn. 10). Bischof Dibelius, der daraufhin öffentlich betont hatte, Niemöller habe nicht „die Meinung der Evangelischen Kirche wiedergegeben“ (vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28. Oktober 1950, S. 3), berief als Ratsvorsitzender der EKD zum 17. November eine Kirchenkonferenz in Berlin-Spandau ein, die den Standpunkt der evangelischen Kirche zur Frage der deutschen Sicherheit erörtern sollte. Am 19. November veröffentlichte die Konferenz eine Entschließung, die die Einheit der Evangelischen Kirche trotz innerer Spannungen beschwor und an die politisch Verantwortlichen in Ost und West appellierte, die Frage der Wiederaufrüstung nicht gegen den Willen der Bevölkerung zu entscheiden. An Niemöller gerichtet hieß es darin: „Kirchenpräsident D. Niemöller hat sich mehrfach zur Wiederaufrüstung in Deutschland geäußert. Der Rat erkennt den Ernst und auch das Gewicht seiner Fragestellung an. Er bedauert jedoch die Schärfen mancher seiner Aeußerungen. Er bedau-

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möllers im Kirchenrat gegen die Linie des Berliner Bischofs Dibelius durchsetzen wird. Dieckmann meint, es wäre wichtig, dass die Regierung der DDR sich bemühte, eine gemeinsame Sprache mit der protestantischen Kirche der DDR zu finden. Zum Schluss gab Dieckmann unzweideutig zu verstehen, dass er mit der unflexiblen Politik der SED-Führung in Bezug auf Westdeutschland unzufrieden sei. Insbesondere, meint Dieckmann, würden in den Beziehungen mit progressiven Funktionsträgern Westdeutschlands die Vertreter der anderen Blockparteien, die bedeutende Ergebnisse erzielen könnten, ungenügend genutzt. Er meinte anscheinend vor allem sich selbst. Im Gespräch mit dem Ersten Sekretär der Mission, Gen. Sitnikov, äußerte sich Dieckmann offener. Er sagte, die SED-Führung nutze nicht seine Möglichkeiten zur Herstellung eines Kontakts mit progressiven Vertretern Westdeutschlands, und er selbst halte es unter diesen Umständen für nicht angebracht, seine Verbindungen zu aktivieren. Wir meinen, dass die Bemerkungen Dieckmanns zu der unflexiblen Politik der SED-Führung bezüglich der Herstellung eines Kontakts zu liberalen bürgerlichen Politikern Westdeutschlands in gewissem Maße begründet sind. Von Seiten unserer Freunde, und besonders bei Ulbricht, besteht die Tendenz, die Westdeutschland betreffenden Angelegenheiten nur allein zu betreiben. Leute wie Dieckmann, Dertinger, Nuschke und Loch könnten etwas mutiger für Verbindungen mit protestantischen und anderen Kreisen Westdeutschlands, die mit der Politik der Amerikaner und Adenauers nicht einverstanden sind, eingesetzt werden. Natürlich muss die SED-Führung ihre Kontrolle über diese Verbindungen sicherstellen und so ihren Kurs in der Deutschlandfrage durchsetzen. Unter den Bedingungen des heutigen Deutschland wird sich eine solche Politik bezahlt machen. Wir halten es für zweckmäßig, unseren Freunden nahezulegen, dass sie die Möglichkeiten der anderen Parteien der DDR zur Herstellung von Verbindungen mit patriotisch gesinnten Kreisen Westdeutschlands nutzen sollten.

Čujkov, Puškin

AVP RF, f. 059, op. 24, p. 34, d. 199, Bl. 63–66.

ert aber auch die Form der Kritik durch den Bundeskanzler.“ Abschließend bat der Rat der EKD alle Amtsträger der Kirche, „in ihren politischen Aeußerungen um ihres Dienstes willen am Evangelium, der allen gilt, möglichste Zurückhaltung zu üben“ (vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20. November 1950, S. 3).



Dokument 56: 9. November 1950

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56. Schreiben des Leiters der Dritten Europäischen Abteilung Gribanov an den stellvertretenden Außenminister Gromyko Streng geheim

9. November 19501

An Gen. A. A. Gromyko Acheson hat auf einer Pressekonferenz am 8. November eine Erklärung abgegeben, die eine vorläufige Antwort auf den Vorschlag der UdSSR zur Einberufung des Rats der Außenminister bedeutet (TASS, Seiten 22–24-o vom 9. November). In dieser Erklärung wird der sowjetische Vorschlag nicht abgelehnt, jedoch auch keine direkte Antwort gegeben.2 Aus Achesons Erklärung folgt, dass die USA beabsichtigen, auf der Viermächtekonferenz, wenn sie stattfindet, nicht nur die Deutschlandfrage, sondern auch andere Probleme (Österreich, Fernost)3 zur Debatte zu stellen.4 Die französische Presse, insbesondere das offiziöse Organ des französischen Außenministeriums, die Zeitung Le Monde, schreibt: „Die sowjetische 1  Original an Gromyko. Das Dokument trägt die Ausgangsnummer 179/3eo der Dritten Europäischen Abteilung und ging am 9. November im Sekretariat von Gromyko ein, wo es unter der Nummer 10597-ag registriert wurde. Es konnte nicht festgestellt werden, ob Kopien hergestellt und verschickt wurden. Am Kopf des Dokuments findet sich ein Vermerk Gromykos „An Gribanov“. Am linken Rand vermerkte Gribanov am 15. November 1950: „Zu den Akten“. 2  Im Anschluss an die Erklärung der Prager Außenministerkonferenz (vgl. Dok. 47, Fn. 3) richtete die sowjetische Regierung am 3. November 1950 gleichlautende Noten an die Regierungen der drei Westmächte. Ausgehend von der Erklärung der New Yorker Außenministerkonferenz zur „Wiederbewaffung“ Deutschlands (vgl. Dok. 48, Fn. 3) verwiesen diese Noten auf die Vorschläge der Prager Außenministerkonferenz und schlugen die sofortige Einberufung einer erneuten Sitzung des Rats der Außenminister zur deutschen Frage vor. Als Bestandteil dieser Noten übermittelte die sowjetische Regierung den Text der Prager Erklärung, vgl. DDS 1, S. 253–254. 3  Die kursiv gesetzten Wörter sind handschriftlich durch Gromyko unterstrichen. 4  Bereits am 6.  November 1950 informierte US-Außenminister Acheson die USBotschaften in London und Paris sowie McCloy mit einem durch den Präsidenten bestätigten Telegramm über die Haltung der USA zum sowjetischen Vorschlag der Einberufung einer Viermächtekonferenz. Dieses Telegramm enthielt bereits den Text der Presseerklärung Achesons und bestimmte den 8. November für die Freigabe dieser Erklärung. Dort hieß es: „We are of course giving careful consideration, in consultation with French and Britain Governments, to Soviet proposal for meeting of CFM on demilitarization of Germany … I should like to point out that Germany is not a problem which can be isolated from the context of similar areas of tension in other parts of the world. Korea has been the scene of armed aggression which, in spite of the efforts of the UN to localize and halt the conflict, is even now being given new and ominous extension.“ Vgl. FRUS 1950 IV, S. 904–906; der endgültige Wortlaut der Erklärung ist veröffentlicht in: Department of State Bulletin, November 20, 1950, S. 818.

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Initiative entspricht den Erwartungen eines erheblichen Teils der französischen öffentlichen Meinung und sogar der französischen Regierung, deshalb muss man ihr große Beachtung beimessen“ (TASS, 5. November, S. 70-o). Viele englische Zeitungen reagieren ebenfalls mit Sympathie auf den sowjetischen Vorschlag. So schreibt insbesondere die Zeitung Daily Express: „Verhandlungen mit der UdSSR sind möglich“ (TASS, 9. November, S. 36-o). Nicht ausgeschlossen ist, dass die Regierungen der drei Mächte unter dem Druck der Weltöffentlichkeit und der Völker der USA, Englands und Frankreichs der Einberufung des Rats der Außenminister zwecks Prüfung des gesamten Fragenkomplexes bezüglich des gegenwärtigen Verhältnisses der vier Mächte zustimmen werden. In diesem Zusammenhang würde ich es für zweckmäßig halten, schon jetzt eine Kommission zur Vorbereitung der Position der Delegation der UdSSR bei einer eventuellen Tagung des Rats der Außenminister zu bilden (Vorbereitung eines Entwurfs von Direktiven, der hauptsächlichen Vorschläge, der Tagesordnung u. a.).5 Ich halte es für erforderlich, dass der Kommission Vertreter der folgenden Abteilungen angehören: USA, Zweite, Dritte und Erste Europäische Abteilung, Erste und Zweite Fernostabteilung. Es wäre zu wünschen, dass die Kommission von Gen. V.A. Zorin geleitet wird. Ich bitte um Ihre Weisungen.6 M. Gribanov7 AVP RF, f. 082, op. 37, p. 211, d. 75, Bl. 1–2. 5  Hierauf erging ein entsprechender Befehl: „1. Für die Vorbereitung der notwendigen Materialien, die im Zusammenhang mit der möglichen Einberufung einer Sitzung des Rates der Außenminister erforderlich sein könnten, ist eine Kommission, bestehend aus folgenden Genossen, zu bilden: a) V.N. Pavlov (Einberufung), b) A. A. Sobolev, c) M.G. Gribanov, d) M.G. Sergeev, e) E.G. Zabrodin. 2. Die Kommission ist zu verpflichten, entsprechende Dossiers zu den Fragen vorzubereiten, die bei der Sitzung des Rates der Außenminister zur Behandlung vorgelegt werden können, und Entwürfe von Vorschlägen für die Tagesordnung der Sitzung des Rates der Außenminister ebenso wie für die Positionen der sowjetischen Delegation zu den einzelnen Fragen auszuarbeiten. 3. Die genannte Kommission ist außerdem mit der Vorbereitung des Entwurfes einer Antwort auf die Noten der Regierungen der USA, Großbritanniens und Frankreichs zu den Fragen zu beauftragen, die mit der Einberufung der Sitzung des Rates der Außenminister zusammenhängen.“ Vgl. AVP RF, f. 082, op. 37, p. 211, d. 75, Bl. 3. Es konnte nicht festgestellt werden, ob der Verwaltungsbefehl durch den Minister erlassen wurde und welche Arbeit die Kommission leistete. 6  Am Ende des Dokuments vermerkte Gromyko ohne Datum: „Zusammensetzung der Kommission: Pavlov, Sobolev, Gribanov, Sergeev, Zabrodin“. Unterlagen zur Arbeit der Kommission konnten nicht ermittelt werden. 7  Handschriftlich.



Dokument 57: 17. November 1950

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57. Aus einer Rede von Außenminister Dertinger Panzerschranksache!

Berlin-Ost, 17. November 19501

[…]2 Nach Eröffnung der Beratung und Bekanntgabe der Tagesordnung wies der Minister in einer kurzen Einleitung im wesentlichen auf folgende Punkte hin: 1) Im abgelaufenen Jahr bestand die Hauptaufgabe unserer Arbeit darin, die freundschaftlichen Beziehungen zu den Ländern, zu denen diplomatische Beziehungen bestehen,3 zu festigen, ein festes Vertrauensverhältnis zu ihnen zu schaffen und die DDR als zuverlässigen, gleichberechtigten Bestandteil in die Gemeinschaft der friedliebenden Völker einzugliedern. Diese Aufgabe kann als gelöst angesehen werden. Die Chefs unserer diplomatischen Missionen haben hierzu wesentlich beigetragen. 2) Die Prager Konferenz4, an der die DDR als völlig gleichberechtigter Partner teilgenommen hat, kann als Schlußstrich unter die erste Etappe unserer Arbeit angesehen werden. Es beginnt nunmehr der Abschnitt einer stärkeren aktiven deutschen Mitwirkung, insbesondere bei der Sicherung des Friedens in Europa. Die nächste konkrete Aufgabenstellung hierzu ergibt sich aus den Prager Beschlüssen.5 3) Die Prager Erklärung, in der als Kernfrage die von den imperialistischen Westmächten betriebene Remilitarisierung Westdeutschlands behandelt wird, zeigt eindeutig die notwendigen Maßnahmen zur Erreichung der Einheit Deutschlands und zur Rückkehr zu Potsdam.6 Die Forderung auf [sic] Bildung eines konstituierenden Rates auf der Grundlage der Parität geht davon aus, daß zur Zeit faktisch zwei Teile Deutschlands bestehen. 1  Durchdruck. Im „Büro des Staatssekretärs“ in mehreren Exemplaren angefertigt. Keine Angaben zum Verteiler. Die Rede wurde auf einer „Arbeitstagung [des Ministers] mit den Chefs der Missionen der DDR“ gehalten. Diese fand am 17. und 18. November 1950 statt. 2  Ausgelassen sind hier die Teilnehmerliste und die Tagesordnung der Sitzung. Anwesend waren (außer Dertinger): Ackermann, Florin, Kuckhoff, Reintanz, Meißner, Keilson, Berner, Kohrt, Appelt, König, Wolf, Grosse, Löhr, Heymann. 3  Zu diesem Zeitpunkt: die UdSSR, Bulgarien, Polen, die ČSR, Ungarn, Rumänien, China, Nordkorea sowie (seit dem 13. April 1950) die Mongolei. Zum Zeitpunkt der Anerkennung vgl. auch Dok. 12, Fn. 10. 4  Die hier und im Folgenden kursiv hervorgehobenen Wörter sind im Original unterstrichen. 5  Vgl. Dok. 47, Fn. 3. Mit „Prager Beschlüssen“ sind die „Vorschläge“ gemeint, die in der Prager Erklärung enthalten sind, vgl. DzD II, 3, S. 382–384. 6  Gemeint sind die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz, vgl. Dok. 5, Fn. 13.

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Die Erwähnung eines möglichen Plebiszits7 bedeutet nicht, daß das Zustandekommen eines konstituierenden Rates als unmöglich betrachtet wird. Besonders muß darauf hingewiesen werden, daß weder die Prager Beschlüsse noch die Regierungserklärung8 eine Sprache enthalten, die die Atmosphäre weiter vergiften könnte. Es handelt sich um einen ehrlichen kon­ struktiven Vorschlag, nicht um Propaganda oder Taktik. 4) Die sowjetische Note an die drei Westmächte.9 Der Vorschlag der Sowjetregierung auf gemeinsame Beratung der vier Außenminister bezog sich auf die Frage der Remilitarisierung Westdeutschlands. Dieser Gedanke wurde bereits in den ersten westlichen Stellungnahmen10 verfälscht durch die Auslegung, die Sowjetregierung wolle auf der Grundlage der Prager Erklärung und über alle Punkte der Erklärung verhandeln. Die in der westlichen Presse bisher ausgesprochene inoffizielle Ablehnung11 ist hoffentlich nicht das letzte Wort. Es ist vielmehr zu hoffen, daß die Regierungen der Westmächte durch den Druck der Völker zur Aufnahme eines konstruktiven Gesprächs gezwungen werden. Nach kurzem Hinweis auf die Ereignisse im Fernen Osten betonte der Minister abschließend, daß unsere neue Aufgabenstellung im Rahmen der

7  In der Prager Erklärung heißt es bezogen auf den Vorschlag der Bildung eines paritätisch zusammengesetzten gesamtdeutschen konstituierenden Rats unter Punkt 4: „Unter bestimmten Umständen kann eine unmittelbare Befragung des deutschen Volkes über diesen Vorschlag durchgeführt werden.“ Vgl. DzD II, 3, S. 384. 8  Das Neue Deutschland veröffentlichte am 26.  Oktober 1950 auf S. 1 einen Regierungsbeschluss zur Erklärung der Prager Konferenz (vgl. Dok. 47, Fn. 3), in dem sich der Ministerrat der DDR die Prager Beschlüsse „zu eigen“ machte und mit Erläuterungen und Kommentaren ergänzte, vgl. DzD  II, 3, S. 396–398. Eine Entschließung des ZK der SED zu den Beschlüssen der Prager Konferenz forderte mit Verweis auf die New Yorker Außenministerkonferenz (vgl. Dok. 48, Fn. 3) den „Abschluss eines Friedensvertrages“, den „Abzug der Besatzungstruppen“ und einen gesamtdeutschen Rat „unter paritätischer Zusammensetzung aus Vertretern Ost- und Westdeutschlands zur nationalen Forderung aller Deutschen“, vgl. DzD II, 3, S. 405– 406. 9  Vgl. Dok. 56, Fn. 2. 10  Als erste äußerte sich die US-Regierung zur sowjetischen Note vom 3. November, vgl. Dok. 56 und dort Fn. 4. 11  Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hatte 6.  November auf S. 1 über ablehnende Reaktionen der drei Westmächte auf die sowjetische Note (vgl. Dok. 56, Fn. 2) berichtet und dabei Differenzen zwischen Frankreich auf der einen und den USA und Großbritannien auf der anderen Seite betont. In Bezug auf die deutsche Position zitierte das Blatt Jakob Kaiser: „Die Moskauer Vorschläge eines Außenministertreffens der vier Großmächte gehen die Westmächte an. Wir Deutsche begrüßen zwar jeden Schritt, der ehrlich die Einheit Deutschlands auf der Basis der Freiheit anstrebt, aber selbst die Gutgläubigsten sind längst zu Skeptikern geworden, wenn es um neue Moskauer Vorschläge um die Einheit geht.“



Dokument 58: 18. November 1950

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Friedenssicherung in Europa zur Richtschnur der weiteren Arbeit unserer Missionen werden muß. PA AA, MfAA A, Bd. 15461, Bl. 3–5.

58. Stichpunkte zu einer Rede des Leiters der Diplomatischen Mission der DDR in Moskau Appelt 

Berlin-Ost, 18. November 19501

[…]2 Aussenpolitik: Kampf der SU innerhalb der UN (Vereinte Nationen) Die ganze sowjetische Öffentlichkeit schenkt grosse Aufmerksamkeit. Wischinski ist gefahren. Seine Reden sind in vollem Wortlaut in der Presse. Auch der Verlauf der Kommissionen. Plan der Amerikaner, wollen die UN in ihre Hände bekommen und zu einem Instrument für den Krieg machen. Der Kampf der SU geht darum, sie zu verhindern und die UN zu erhalten für ein Instrument zur Erhaltung des Friedens. Kampf in der UN. Eine Reihe von Erfolgen sind in diesem Kampf zu verbuchen. Es gibt eine Reihe von Abstimmungen in der Frage China. Es war zwar nicht zahlenmässiges Übergewicht für den Vorschlag der SU, aber zwei Drittel der Menschheit3 ist dafür. SU stützt sich in diesem Kampf auf die Weltfriedensbewegung. Kriegsprod. verbot, Atomwaffen-Verbot, Abschluss Friedenspakte der fünf Grossmächte4. Stalin-These: Von der Möglichkeit des Bestehens zwei Systeme nebeneinander,5 darum muss Lösung gefunden werden, der Fragen. Friedli1  Durchdruck, unkorrigiert. Appelt hielt die Rede, auf die sich diese unfertigen Stichpunkte beziehen, am zweiten Tag einer „Arbeitstagung [des Ministers] mit den Chefs der Missionen der DDR“. Diese fand am 17. und 18. November 1950 statt. Aufgrund des skizzenhaften Charakters der Aufzeichnung und der Häufung von Rechtschreibfehlern wurde im Dokument auf eine besondere Kennzeichnung der Fehler im Einzelnen verzichtet. 2  Ausgelassen sind hier die Stichpunkte Appelts, die sich auf die innere Entwicklung der UdSSR und einzelne nicht Deutschland betreffende Aspekte der sowjetischen Außenpolitik beziehen. 3  Die hier und im Folgenden kursiv gesetzten Wörter sind im Original maschinenschriftlich unterstrichen. 4  Vgl. den am 26.  Februar 1951 durch den Weltfriedensrat beschlossenen Appell zum Abschluss eines Friedenspaktes zwischen den USA, der UdSSR, Großbritannien, Frankreich und der VR China (Dok. 80, Fn. 10). 5  In seiner Antwort auf ein Schreiben des US-Präsidentschaftskandidaten Henry Wallace vom 17. Mai 1948 hatte Stalin erklärt, die Regierung der UdSSR sei der Ansicht, „dass trotz der Unterschiede in den Wirtschaftssystemen und den Ideologien das Nebeneinanderbestehen dieser Systeme und die friedliche Beilegung der Differenzen zwischen der UdSSR und den USA nicht nur möglich, sondern im Interesse

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che Lösung der Koreafrage strebt sie an. Sie haben schon einige Male Amerika goldene Brücken gebaut, dass sie aus dem Koreakonflikt hätten ausscheiden können, aber sie wollen keine friedliche Lösung. Sie wollen Korea erobern, Aufmarschgebiet gegen China und SU, Dritter Weltkrieg. Die sowj. Aussenpolitik hat eine grosse Ruhe in die Koreafrage gebracht. Zwar gibt es jetzt milit. Rückschläge für uns, aber im Weltkrieg gab es auch zeitweise Rückschläge. [Zum] Bombard. des russ. Flugplatzes wurde nur die Protestnote veröffentlicht.6 Man hatte alles vermieden, eine friedliche Lösung zu erschweren. Man ist natürlich nicht gleichgültig gegenüber dem Kor. Volk. Wie weit eine materielle Hilfe in Erscheinung tritt, weiss man nicht, wahrscheinlich Waffen.7 Es gibt keine Anzeichen, die auf eine Änderung der Politik in der Koreafrage bringen könnte. Man ist der Überzeugung, dass die Amerikaner eine schwere militärische Niederlage in Korea erleiden werden und mit schwerem Prestigeverlust. Das hätte Auswirkungen auf die übrigen Völker Asiens. […]8 Die SU-Politik ist darauf gerichtet, Indien von der engl.-am. Politik loszulösen. Das Telegramm Neros [Nehrus] zum 7. November ist in der SUPresse an erster Stelle veröffentlicht worden.9 Wischinski in der UN über den des allgemeinen Friedens auch unbedingt notwendig ist“, vgl. Neues Deutschland, 19. Mai 1948, S. 1. 6  Gemeint ist die sowjetische Protestnote, die der stellvertretende Außenminister der UdSSR Gromyko am 9. Oktober 1950 der US-Botschaft schickte. Darin heißt es: „On October 8 at 16 hours 17 minutes, local time, two fighters of Air Forces USA of type ‚Shooting Starʻ (F-80) grossly violated state frontiers of USSR and approaching on close-shaving flight a Soviet airdrome located on seacoast in region of Sukhaya Rechka, 100 kilometers from Soviet Korean frontier, strafed airdrome with machine guns. As result of strafing damage was inflicted on property of airdrome.“ Vgl. FRUS 1950 IV, S. 1260. 7  Am 10. Juli 1950, zwei Wochen nach Kriegsbeginn, stellte die Frankfurter Allgemeine Zeitung fest: „Als nordkoreanische Truppen in der Nacht zum 25. Juni überraschend die südkoreanische Grenze überschritten, bestand wohl bei niemandem ein Zweifel darüber, daß die Sowjet-Union billigend oder befehlend hinter diesem Vorstoß stand.“ (S. 2). Im Westen gingen viele (zu Recht) auch davon aus, dass Nordkorea Waffen aller Art durch die UdSSR erhielt. 8  Der Sinn der hier ausgelassenen Stelle ist unverständlich: „Indien zu China Stellung … nicht zu werden das Verhältnis Indien zur SU.“ Wahrscheinlich ist gemeint: „Stellung Indiens zu China wird sich nicht so entwickeln wie das Verhältnis Indiens zur UdSSR“. 9  Die Pravda und die Izvestija veröffentlichten anlässlich des Jahrestages der Oktoberrevolution zahlreiche Grußtelegramme ausländischer Staatsführer, allerdings keines von Nehru. Die DDR-Presse berichtete in dieser Zeit ebenfalls nicht über ein Telegramm Nehrus. Möglicherweise bezog sich Appelt hier allerdings auf einen Briefwechsel Nehrus mit Stalin, mit dem am 18. Juli 1950 die Pravda getitelt hatte (am folgenden Tag übernahm das Neue Deutschland den Briefwechsel, ebenfalls



Dokument 58: 18. November 1950271

neuen Gen. Sekretär nannte er den ind. Raum gegenüber Pakistan friedliche Politik. In diesem Zusammenhang der Friedenspolitik. Friedliche Aufbauarbeit in der SU. Auf wirtschaftlichem Gebiet grosse Erfolge. Der Fünfjahrplan grosses Ergebnis. Ziel wurde weit überschritten. Was geschieht nach Ablauf dieses Fünfjahrplanes, der am 1. Januar abläuft. Nichts steht in der Presse. Wahrscheinlich grosse Überraschungen. Grosse Projekte jetzt schon in Angriff. Bau der Kanäle usw. In der SU keine Kriegsstimmung. Aus dem Raum Bulgariens sprechen starke Festigkeit. (Man ist auf jeden Fall gerüstet. Auch die Bevölkerung hatte mater. Opfer zu bringen.) Die SU und die deutsche Frage. Die [sowjetische] Stellung wie vor zwei bis drei Jahren. (Die Prager Konferenz10 war für einige eine Überraschung immerhin.) Der d. [deutschen Industrie] keine Beschränkungen auferlegt, gegen Remilitarisierung, Einheit Deutschland usw. Widerhall der Prager Konferenz sehr gut in der Presse und der Öffentlichkeit. Gut komment. 6.  November Marschall Bulganin seine Rede.11 Prag bedeutet eine mächtige Waffe in der Hand der SU. Man erwartet von uns grosse Aktivität. Man fragt viel danach, wie die westdeutsche Bevölkerung darauf reagiert, wie ist die Stimmung. Warum nicht mehr Unterschriften,12 von ihnen aus breite Front gegen Remilitar. Es wäre gut, wenn bessere Informationen von seiten des Ministeriums. DDR und Lage der DDR Beurteilung in der SU. Grosse Sympathie, grosse Hoffnungen, dass wir die Remilitar. mit verhindern werden. Ohne eine Remilit. Deutschl. ist ein Krieg in Europa nicht möglich. Wahlergebnis13 starker Widerhall. Es war das erste Mal in der Presse, dass man auf der ersten Seite der Zeitungen dazu Stellung nahm. Fünfjahrplan, Zweijahrplan grosser Widerhall.

als Titelthema). Nehru setzte sich hier für eine Beilegung des Koreakrieges und die Aufnahme der Volksrepublik China in die UNO ein. Appelt hätte in diesem Fall das Schreiben Nehrus irrtümlich dem Jahrestag zugeordnet. 10  Vgl. Dok. 47, Fn. 3. 11  Das Neue Deutschland berichtete am 7. November 1950 auf S. 1 kurz über eine Festsitzung im Moskauer Bolschoi-Theater mit einem Referat Bulganins zum Jahrestag der Oktoberrevolution. Ausführliche Auszüge aus der Festrede Bulganins folgten auf S. 3 unter dem Titel „Das Sowjetvolk baut siegreich den Kommunismus auf“, Bulganin sprach zu einem großen Teil über die Entwicklung der Wirtschaft und den Nachkriegsfünfjahrplan. 12  Gemeint sind Unterschriften unter den Stockholmer Appell, vgl. Dok. 21, Fn. 12 und 13. 13  Gemeint ist das offizielle Ergebnis der Wahlen vom 15. Oktober 1950, vgl. dazu Dok. 46 und dort Fn. 5.

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Filmvorführungen zwei gemacht: Rat der Götter,14 dazu öffentl. Diskuss. Familie Benthin15 und Jugendfilm, grossen Eindruck, politische Auswirkung nicht zu beschreiben. PA AA, MfAA A, Bd. 15462, Bl. 7–8.

59. Vermerk des Staatssekretärs im Bundeskanzleramt Hallstein 30d

Bonn, 6. Dezember 19501

Die Westmächte müssen auf Grund der „Prager Beschlüsse“2 in allernächster Zeit mit folgenden politischen Auffassungen und Aktionen der Ostzonenregierung rechnen: Dertinger und Nuschke sind anscheinend ehrlich davon überzeugt, dass die „Prager Beschlüsse“ einen grundsätzlichen Beitrag für die politische Entwicklung in Europa bedeuten. Sie haben in vertrauten Kreisen ihre Bestürzung ausgedrückt, dass diese politische Grossaktion zunächst nur Ablehnung erfahren hat, obgleich nach ihrer Auffassung hierdurch eine Diskussionsgrundlage für Zugeständnisse der UdSSR bezüglich Wiedervereinigung von West- und Ostdeutschland geschaffen wäre. Dertinger und Nuschke haben sich daher neuerdings mit Politikern der Westzone in Verbindung gesetzt3 und versucht, die Aktion wieder in Gang zu 14  Gemeint ist der DEFA-Film „Rat der Götter“ von Kurt Maetzig nach einem Drehbuch von Friedrich Wolf mit Musik von Hanns Eisler, Premiere am 12. Mai 1950. Der Film beschreibt den Weg des I. G.-Farben-Konzerns von 1930 bis 1947. 15  Gemeint ist der DEFA-Film „Familie Benthin“ von Kurt Maetzig und Slatan Dudow nach einem Drehbuch von Kurt Barthel (Pseudonym: KuBa), Johannes R. Becher, Slatan Dudow und Ehm Welk. Die Premiere fand am 8. September 1950 statt. Der Film erzählt die Geschichte einer Unternehmerfamilie, die aus der Teilung Deutschlands Gewinn durch Schmuggel zu ziehen versucht und scheitert. 1  Original. Am Kopf des Dokuments vermerkte Adenauer am 16. Dezember: „gel[esen].“ 2  Vgl. Dok. 47, Fn. 3. 3  Es konnte nicht festgestellt werden, mit welchen Politikern der „Westzonen“ sich Nuschke und Dertinger in Verbindung gesetzt hatten. Dertinger ging am 11. Dezember – wahrscheinlich mit Wissen sowjetischer Stellen (vgl. Dok. 55) – einen bedeutenden Schritt weiter, indem er die Gelegenheit eines Gesprächs mit dem holländischen Journalisten van den Berk nutzte, um in der Öffentlichkeit den Grotewohl-Brief (vgl. Dok. 54, Fn. 5) zu erläutern. Er dürfe nicht so aufgefasst werden, als sei man auf ostdeutscher Seite bereit, die ostzonale Regierung aufzulösen und dann allgemeine deutsche Wahlen abzuhalten. Die westdeutsche und die ostdeutsche Republik seien bestehende Realitäten, die man wechselseitig hinzunehmen habe. „Die ostdeutsche Regierung sieht die künftige Prozedur wie folgt: Erst muss ein auf der Basis der Gleichheit zusammengestellter Ausschuss aus ost- und westdeutschen Vertretern ge-



Dokument 59: 6. Dezember 1950273

bringen, der folgende zusätzliche Gedanken in Anlehnung an die „Prager Beschlüsse“ als Grundlage dienen: Die vorgenannten Beschlüsse werden dahingehend abgeändert, dass nicht ein konstitutioneller, sondern ein konsultativer Rat mit zwei Dritteln Vertretern aus der Westzone und ein Drittel Vertretern aus der Ostzone gebildet wird. Das Ziel dieses Rates müsse sein, die Anerkennung beider deutschen Regierungen, allgemeine Wahlen unter einem neutralen Kommissar, Öffnung der Zonengrenzen, Zurückziehung aller alliierter Truppen, einschl. der [der] UdSSR, und damit die Neutralisierung Deutschlands4 durchzusetzen. Unter der Voraussetzung, dass in diesem Fall eine Wiederaufrüstung Westdeutschlands nicht durchgeführt wird, könne man von Seiten der UdSSR weitgehende Zugeständnisse erwarten (zur materiellen Unterstützung dieser Vorschläge weilt im übrigen eine chinesische Handelsmission in Berlin,5 die über große Vollmachten und erhebliche Dollarbeträge in bar

bildet werden, dessen Aufgabe es sein müsse, zwischen beiden Landesteilen einen neuen Handelsvertrag auszuarbeiten. Zugleich kann er eine engere Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Justiz und Polizei, unter anderem zu Bekämpfung der Kriminalität zustandebringen. Zu einem späteren Zeitpunkt kann dann versucht werden, die soziale und wirtschaftliche Struktur der beiden Republiken einander anzugleichen. Hauptsache bleibt jedoch, dass ost- und westdeutsche Vertreter zusammen am Konferenztisch sitzen.“ Die Äußerungen Dertingers erschienen am 12. Dezember 1950 im Amsterdamer Volkskrant (Übersetzung nach PA AA, B 2-VS, Bd. 105A). Adenauer beauftragte den Bevollmächtigten der Bundesrepublik in West-Berlin Vockel, mit Dertinger ein Telefongespräch zu führen, um festzustellen, ob die von Dertinger genannten Punkte für ein Ost-West-Gespräch (Handelsvertrag und Zusammenarbeit von Polizei und Justiz) eine authentische Interpretation des Grotewohl-Briefes seien. Dieses Gespräch kam am 21. Dezember unmittelbar nach Rückkehr des DDR-Außenministers aus Warschau zustande. Dertinger beteuerte gegenüber Vockel, dass sein Gespräch mit van den Berk nicht als Interview gedacht war und ihm von dessen Veröffentlichung nichts bekannt sei. Er bestätigte den Inhalt der Zeitungsmeldung, erklärte jedoch zugleich, seine Äußerungen seien nicht von der Regierung autorisiert worden (PA AA, B 2-VS, Bd. 105A). Seinen Regierungschef informierte Dertinger erst, als in der West-Berliner Tageszeitung Der Tag ein Bericht über sein Gespräch mit Vockel erschien (BAB-SAPMO, NY 4090/467, Bl. 32). Grotewohl erteilte ihm für sein unabgestimmtes Handeln eine Rüge (DzD II, 3, S. 1189). 4  Die hier und im Folgenden kursiv hervorgehobenen Wörter sind im Original unterstrichen. 5  Es konnte keine Bestätigung für den Aufenthalt einer chinesischen Handelsdelegation in Ost-Berlin in dieser Zeit ermittelt werden. Von Juli bis Oktober 1950 hielt sich eine Handelsdelegation der DDR in China auf, vgl. Dok. 15, Fn. 11. Ohne Erwähnung einer chinesischen Delegation berichtete Adenauer der Alliierten Hohen Kommission am 14. Dezember 1950, Geschäftsleute aus der DDR hätten westdeutsche Wirtschaftsvertreter informiert, „daß Rotchina bereit sei, für fünf Milliarden

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verfügt. – Die Demonstration für den erfolgversprechenden deutschen Aussenhandel mit China ist deutlich. Abwicklung über Firma Erben6, Berlin). Voraussichtliche Entwicklungen: Obwohl der Brief von Grotewohl7 an den Bundeskanzler die Ausgangsstellung für diese Vorschläge sehr erschwert hat, ist es nicht ausgeschlossen, dass die Ereignisse in Ostasien8 derartige Vorschläge nicht unwillkommen erscheinen lassen. Sie unterstützen zunächst die Verhandlungsbereitschaft von England und Frankreich, sodass sich Amerika bei bisher gegenteiliger Auffassung allein durchsetzen müsste. Hinzu kommt die unverantwortliche Wahlagitation von Schumacher (Adenauer = Krieg, Schumacher = Frieden), die praktisch eine moralische Unterstützung des Verhandlungsgedankens bedeutet (womit Schumacher dem deutschen Volk vermutlich einen sehr schlechten Dienst erwiesen hat). Auf jeden Fall muss mit einer durch die deutsche Presse vorgetäuschten verhandlungsbereiten Stimmung in Westdeutschland gerechnet werden, die eine energische Stellungnahme der amerikanischen Politik sehr erschweren wird und den anwachsenden Isolationisten bezüglich der Unzuverlässigkeit Westdeutschlands scheinbar recht gibt. Schlussfolgerung:

Dollar Einkäufe und Bestellungen in der Bundesrepublik zu machen“, vgl. AAPD, Hohe Kommissare 1, S. 302. 6  Es konnte nicht ermittelt werden, welche Firma gemeint ist. 7  Der Grotewohl-Brief (vgl. Dok. 54, Fn. 5) war am 1. Dezember in Bonn übergeben und am 5. Dezember 1950 durch das Neue Deutschland vollständig veröffentlicht worden. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hatte über die Kernpunkte dieses Schreibens bereits am Vortag berichtet und hinzugefügt: „In Bonner Regierungskreisen wich die erste Ueberraschung über den Schritt Grotewohls sehr bald einer nüchternen Betrachtung. Fast übereinstimmend wird die Auffassung vertreten, daß der Kanzler nicht auf das Schreiben Grotewohls eingehen dürfte.“ 8  Nachdem die Nordkoreaner die UNO-Truppen bis auf einen schmalen Brückenkopf bei Pusan ganz im Süden der koreanischen Halbinsel zurückgedrängt hatten (vgl. Dok. 41, Fn. 7), landeten US-Verbände am 15. September 1950 an der Westküste unmittelbar südlich des 38. Breitengrades und durchschnitten die Versorgungsund Rückzugswege der nordkoreanischen Streitkräfte. Am 19. September 1950 ergriffen amerikanische Truppen mit Unterstützung britischer Kampfflugzeuge sowie südkoreanischer Verbände von ihrem Brückenkopf bei Pusan die Offensive. Auf Drängen MacArthurs stimmte Truman am 7. Oktober zu, die Offensive mit der 8. US-Armee fortzuführen und die Demarkationslinie am 38. Breitengrad zu überschreiten. Um die Wiedervereinigung Koreas durch Ausschaltung Nordkoreas zu erreichen, näherten sich die vorstoßenden Truppen unter US-Kommando der chinesischen Grenze. Mao Tse-tung reagierte darauf seit Ende Oktober mit der Entsendung chinesischer „Freiwilligenverbände“, die die amerikanisch-südkoreanischen Truppen wieder zurückdrängten und am 5. Dezember Pjöngjang eroberten. Bis Ende des Jahres 1950 mussten sich die amerikanisch-südkoreanischen Truppen bis zum 38. Breitengrad zurückziehen.



Dokument 60: 7. Dezember 1950275

Die UdSSR hat mit Hilfe des Neutralitätsgedankens (von Dertinger bis Noack/Kogon) eine hervorragend gute Stunde gewählt, um die Wiederaufrüstung Europas, einschließlich Deutschlands, möglichst lange zu verzögern, wenn nicht überhaupt zu verhindern. Wesentlich ist auch hierbei die psychologische Erkenntnis, dass eine vielleicht erreichbare Verzögerung die Un­ sicherheit über den absoluten Verteidigungswillen der Bevölkerung Westdeutschlands (Europas) steigert, der späterhin kaum nochmals aktiviert werden kann, jedenfalls nur unter enormen propagandistischen Anstrengungen. Hallstein9 PA AA, B 2-VS, Bd. 105A.

60. Schreiben des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen Kaiser an Bundeskanzler Adenauer 

Bonn, 7. Dezember 19501

Betr.: Schreiben Grotewohl2 Sehr verehrter Herr Bundeskanzler, in der Anlage reiche ich Ihnen die Abschrift des Fernschreibens3 zu, das mir im Anschluß an meinen Anruf in Berlin gestern abend auf Veranlassung von Herrn Oberbürgermeister Reuter zuging. Das Fernschreiben enthält: 1. Text des Schreibens von Herrn Ebert an Oberbürgermeister Reuter,4 2. Text des Antwortschreibens von Oberbürgermeister Reuter an Herrn Ebert,5 3. Text eines voraufgegangenen Schreibens des Ausschusses der Nationalen Front an Oberbürgermeister Reuter.6 9  Paraphe.

1  Original.

Unter dem Datum ist gestempelt: „Dem Bundeskanzler vorzulegen“. ist das Schreiben Grotewohls an Adenauer vom 30. November 1950, vgl. Dok. 54, Fn. 5. 3  Das dem Dokument in Abschrift als Anlage beigegebene Fernschreiben vom 6.  Dezember 1950, das die drei genannten Briefe enthielt, war vom Chef der Stadtkanzlei von Broich-Oppert gezeichnet, vgl. PA AA, B 2-VS, Bd. 105A. 4  Hier nicht abgedruckt. Vgl. den Text des Schreibens von Ebert an Oberbürgermeister Reuter in: Neues Deutschland, 1. Dezember 1950. 5  Hier nicht abgedruckt. Vgl. PA AA, B 2-VS, Bd. 105A sowie die Darstellung der Reaktion Reuters auf das Schreiben von Ebert in: Neues Deutschland, 3. Dezember 1950, S. 1. 6  Hier nicht abgedruckt. Vgl. den Text eines vorangegangenen Schreibens des Ausschusses der Nationalen Front an Oberbürgermeister Reuter in: DzD II, 3, S. 448–449. 2  Gemeint

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Ich bitte, insbesondere auch die Schlußbemerkung des Fernschreibens zu beachten, derzufolge Herr Reuter zu einer zweckdienlich erscheinenden Rücksprache mit Ihnen, dem Herrn Bundeskanzler, gerne herüber kommt.7 Inzwischen hat der Vorsitzende des Ausschusses für gesamtdeutsche Fragen8 bei mir angefragt, ob aus Anlaß des Schreibens [von] Grotewohl, dessen Inhalt von Ostberlin aus mittlerweile publiziert wurde, nicht der Ausschuß zusammengerufen werden müsse.9 Ich antwortete, daß ich darüber mit dem Herrn Bundeskanzler sprechen würde. Ich selbst sprach über die Angelegenheit heute mit in Königswinter tagenden Vertretern der Exil-CDU.10 Die allgemeine Meinung dieser sehr besonnenen Unionsfreunde geht dahin, daß Bonn auf die Sache auf jeden Fall reagieren müsse, wobei wir über Inhalt und Form auch zu bestimmten Vorstellungen gekommen sind, wie das am besten erfolgen könne. Ich gebe dem Wunsche Ausdruck, daß ich baldmöglichst zu einer Aussprache über die Angelegenheit mit Ihnen, Herr Kanzler, kommen kann.11 7  Die Schlussbemerkung des Fernschreibens vom 6.  Dezember 1950 (vgl. Fn. 3) lautete: „Wir bitten darum, den vorstehend wiedergegebenen Schriftwechsel dem Herrn Bundeskanzler zur Information vorzulegen. Falls der Herr Bundeskanzler im Hinblick auf das inzwischen an ihn gerichtete Schreiben des Herrn Grotewohl es für erwünscht hält, steht Oberbürgermeister Reuter ihm zu einer Besprechung zur Verfügung …“. 8  Gemeint ist Herbert Wehner, der von 1949 bis 1966 den Ausschuss für gesamtdeutsche Fragen leitete. 9  Der Ausschuss für gesamtdeutsche Fragen des Deutschen Bundestages beriet erst in seinen Sitzungen am 10. Januar (zusammen mit dem Ausschuss für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten und im Beisein Adenauers) und am 11. Januar 1951 (im Beisein Minister Kaisers) ohne Beschlussfassung über den Brief Grotewohls und die geplante Reaktion darauf (vgl. Gesamtdeutscher Ausschuss, S. 104–110). Am 10. Januar stellte Adenauer den Entwurf einer Erklärung der Bundesregierung zum Brief Grotewohls vor und erhielt laut Protokoll die weitgehende Zustimmung beider Ausschüsse. Am 11. Januar berichtete Kaiser über Maßnahmen der Bundesregierung in dieser Angelegenheit. Kaiser versprach hier, im Ausschuss geäußerte Anregungen an die Bundesregierung weiterzuleiten. Zur öffentlichen Erklärung Adenauers am 15. Januar 1951 vgl. Dok. 65, Fn. 6. 10  Die Exil-CDU war von 1950 bis 1990 ein Landesverband der CDU. Sie vertrat CDU-Mitglieder, die aus der Sowjetischen Besatzungszone bzw. DDR geflüchtet oder vertrieben worden waren. Der 1. Parteitag der Exil-CDU fand am 24. und 25. September 1950 in Berlin statt. Zum Vorsitzenden wurde Jakob Kaiser gewählt, der diese Funktion bis 1961 ausübte. Sein Stellvertreter war Ernst Lemmer. Zum Führungskreis zählte auch Johann Baptist Gradl. 11  Eine „Rücksprache“ mit Reuter oder eine „Aussprache“ mit Kaiser sind weder in den Besucherlisten des Bundeskanzlers noch im Taschenkalender oder im Kalender der Sekretärin Adenauers, Elisabeth Zimmermann, vermerkt. Zu einer Sondersitzung des Kabinetts, die unter Einschluss der Fraktionsvorsitzenden von Brentano (CDU/ CSU), Hellwege (DP), Schäfer (FDP) und des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der SPD Ollenhauer am 11. Dezember stattfand, wurde Reuter nicht hinzugezogen.



Dokument 61: 8. Januar 1951277

Soeben werden mir weitere Belege über vergleichbare Aktionen zugereicht; die Industrie- und Handelskammer Sachsen und der Präsident der Industrie- und Handelskammer für das Land Brandenburg haben sich in eindringlichen Schreiben an die Kammern des Bundesgebietes gewandt.12 In verbindlicher Begrüßung Ihr Jakob Kaiser13 PA AA, B 2-VS, Bd. 105A.

61. Aufzeichnung aus der Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten 210-01/76

Bonn, 8. Januar 19511 Gedanken zur sowjetischen Deutschlandpolitik

Die sowjetische Politik hat sich in letzter Zeit mit zunehmender Schärfe auf Deutschland gerichtet. Sie lässt sich vielleicht in das folgende System fassen: 1. Bevorzugtes Ziel ist immer noch die Sowjetisierung von ganz Deutschland auf kaltem Wege ohne Krieg. Kaiser trat in dieser nicht protokollierten Sitzung laut dem Bericht eines Informanten der SED für die sofortige Ablehnung der in Grotewohls Schreiben enthaltenen Vorschläge ein, vgl. DzD II, 3, S. 1153, Anm. 5 (vgl. zu dieser Sitzung auch den Artikel „Adenauer bespricht mit Fraktionen Stellungnahme zum Brief Otto Grotewohls“, Die Neue Zeitung, 13. Dezember 1950, S. 3). Dagegen entwickelte Gradl, einer der engsten Vertrauten Kaisers, am 10. Dezember 1950 außerordentlich weitgehende und umfangreiche Überlegungen zu den Möglichkeiten des Grotewohl-Briefs. Sie kreisten um die Neutralisierung, die Wiedervereinigung und die Anerkennung der neuen Ostgrenze Deutschlands, vgl. DzD II, 3, S. 1156–1162. 12  Am 5. Dezember 1950 hatte das SED-Politbüro detaillierte „Maßnahmen zur Popularisierung des Briefes des Ministerpräsidenten Grotewohl an Adenauer“ beschlossen. Vorgesehen war auch: „Stellungnahmen von Betrieben, Massenorganisa­ tionen, Institutionen wie Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern usw. sind an gleichartige Betriebe oder Institutionen in Westdeutschland zu richten mit der Afforderung, die Stellungnahme ihrerseits zu unterstützen.“ Vgl. DzD II, 3, S. 1142– 1147, hier S. 1143. 13  Handschriftlich. 1  Original. Das Datum steht am Schluss des Dokuments. Von Etzdorf unterzeichnete das Begleitschreiben an Blankenhorn und trug damit die formale Verantwortung für die Denkschrift, deren tatsächliche Autorschaft jedoch aus dem Dokument nicht ersichtlich ist. Möglicher Autor ist Kossmann als Leiter des Referats „Sowjetunion und die Staaten des Ostblocks“.

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2. Sollte dabei die Anwendung von Gewalt nicht zu vermeiden sein, so wird offenbar angestrebt, den Konflikt nach Möglichkeit zu lokalisieren, zumindest aber die SU selbst herauszuhalten. 3. Für den Fall, dass dieses nicht möglich wäre, wird von der SU alles getan, um für die letzte grosse Auseinandersetzung vorbereitet zu sein. zu 1):2 Hierzu werden alle Register der sowjetischen Weltpropaganda gezogen. Hauptparolen sind Kriegsdrohungen einerseits und versöhnliche Verhandlungsbereitschaft andererseits. Man arbeitet dabei auf zwei Ebenen: der internationalen (z. B. Vorschlag auf Viererkonferenz3) und der nationalen (z. B. Grotewohl-Vorschlag4). Was auf der einen Ebene misslingen sollte, darf man auf der anderen immer noch zu erreichen hoffen. Dieser Propaganda müsste propagandistisch begegnet werden. Z. B. müsste der Grotewohl-Brief so beantwortet werden, dass auch die Volksmassen spüren, wo ihre echten Sprecher sitzen. Bei jedem Schriftverkehr mit dem Osten handelt es sich erst zu allerletzt um einen diplomatischen Notenverkehr alten Stiles. Was in Noten und Briefen aus dem Osten mitgeteilt wird, sind in erster Linie die Stichworte einer Massenpropaganda.

2  Die hier und im Folgenden kursiv hervorgehobenen Zeichen bzw. Wörter sind im Original unterstrichen. 3  Während die UdSSR und die USA lediglich am Beginn des Koreakrieges (vgl. Dok. 41, Fn. 7) Noten gewechselt hatten (vgl. Fn. 6 zu diesem Dokument), war der Notenwechsel der vier Mächte zu Deutschland nie abgebrochen und belebte sich im Herbst 1950. Auf die sowjetische Note vom 3. November 1950 (vgl. Dok. 56, Fn. 2) antworteten die Westmächte am 22. Dezember 1950 mit gleichlautenden Noten. Darin lehnten sie zwar den ursprünglichen sowjetischen Vorschlag ab, eine neue Tagung des Rats der Außenminister zur Beratung der Entmilitarisierung Deutschlands einzuberufen, erklärten sich aber bereit, ihre Vertreter zur Bestimmung der Tagesordnung eines Treffens der vier Mächte zu bestimmen und schlugen als Ort für ein vorbereitendes Treffen der Vertreter aller vier Mächte New York vor, vgl. DzD II, 3, S. 472– 474. Am 30. Dezember – die Lage in Korea hatte sich inzwischen dramatisch gewendet (vgl. Dok. 59, Fn. 8) – antwortete die sowjetische Regierung mit ebenfalls gleichlautenden Noten an die drei Westmächte. Darin erklärte sie sich zu einer vorbereitenden Konferenz bereit, schlug aber vor, „diese Konferenz nicht in New York, sondern in Moskau, Paris oder London durchzuführen, um abschließend die Besorgnis über die Aufstellung einer regulären Armee in Westdeutschland und deren Ausrüstung mit Panzern und schwerer Artillerie durch die drei Westmächte zu wiederholen, vgl. DzD  II, 3, S. 484–486. Schon am 15.  Dezember 1950 hatte sich die UdSSR in gleichlautenden Noten an die Regierungen Frankreichs und Großbritanniens gewandt, mit denen sie Verträge aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs über gegenseitigen Beistand verband, um vor der „Remilitarisierung“ (vgl. Dok. 42, Fn. 2) Westdeutschlands zu warnen, vgl. DzD II, 3, S. 466–468. 4  Gemeint ist das Schreiben Grotewohls an Adenauer vom 30. November 1950, vgl. Dok. 54, Fn. 5.



Dokument 61: 8. Januar 1951279

zu 2): Um eine etwaige Gewaltanwendung vorzubereiten, dürfte der Kreml zunächst propagandistisch mit besonderer Heftigkeit versuchen, zwischen Bonn und das Volk vor allem in der Frage der Remilitarisierung und der Einigung einen Keil zu treiben. Man kann damit rechnen, dass der von Grotewohl vorgeschlagene Konstituierende Rat auch ohne Beteiligung der Bonner Regierung gebildet wird.5 Seine Existenz würde den Sowjetdeutschen den Schein einer gesamtdeutschen Legalität geben, den sie mit ihrer gegenwär­ tigen Regierung nicht besitzen. Diese gesamtdeutsche Legitimation dürfte überhaupt ein Hauptziel der Grotewohl-Aktion sein, als deren nächste Schritte der Friedensvertrag mit der SU und die Anerkennung der vollen Souveränität der neuen „gesamtdeutschen“ Regierung zu erwarten sind. Die für den Konstituierenden Rat benötigten populären Persönlichkeiten wird man zu finden wissen. Die Bonner Regierung wird mehr und mehr in ihren Grundlagen angegriffen werden. Demgegenüber wird der legale Charakter Bonns als Sprecher des Volkes zu behaupten sein. Gleichzeitig wird der Kreml alles tun, um die Westmächte immer weiter zu entzweien, zur Politik des containment auf engerem Raum zu drängen, den Isolationismus in den USA zu verstärken. Die Entwicklung in dieser Hinsicht dürfte von erheblichem Einfluss darauf sein, ob und wann sich der Kreml entschliessen wird, das Startzeichen zu einer bewaffneten Deutschland-Aktion zu geben. Man ist vielleicht auf sowjetischer Seite heute noch im Zweifel darüber, zu welchen Massnahmen die Westmächte bei einem Gewaltakt gegen Westdeutschland greifen würden. Auf Grund der Sicherheitsgarantien wären die Westmächte an sich nur bereit und berechtigt, gegen einen etwaigen Angreifer vorzugehen. Da die SU selber nicht angreifen würde, mag sie immer noch die Hoffnung haben, aus dem Konflikt herauszubleiben und das Spiel von Korea6 mutatis mutandis zu führen. Im Hinblick auf diese Möglichkeit bereitet der Kreml alles dafür vor, dass nur Satelliten einzugreifen brauchen:

5  Der kursiv hervorgehobene Satz ist am Rande markiert und mit Fragezeichen versehen. 6  Gemeint ist der Koreakrieg, vgl. dazu Dok. 41, Fn. 7 und Dok. 59, Fn. 8. Stalin hatte den Angriff nordkoreanischer Truppen auf Südkorea gebilligt und zu dessen Unterstützung Militärberater entsandt. Seit November 1950 ließ er zudem die Nachschubwege der in den Krieg eingreifenden chinesischen Truppen mit Kampfflugzeugen absichern. Gleichzeitig vermied er es jedoch, die UdSSR als Kriegsbeteiligte erscheinen zu lassen. Schon am 30. Juni 1950 hatte es die Regierung der UdSSR in ihrer Antwort auf eine Note der US-Regierung vom 27. Juni abgelehnt, sich für die Beendigung dieses Krieges einzusetzen, und dabei auf ihren „traditionellen Grundsatz der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten“ verwiesen (vgl. FRUS 1950 I, S. 229).

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a) Angriff durch die Volkspolizei.7 Dieser mag in den Augen des Kreml durchaus Erfolgsaussichten haben. Angesichts der gegenwärtigen militärischen Gesamtlage mag der Kreml kaum annehmen, dass die Volkspolizei überlaufen werde. Dass die SU so heftig gegen die „Remilitarisierung“ der Bundesrepublik reagiert, dürfte nicht zuletzt aus der Erkenntnis stammen, dass selbst eine kleine deutsche Truppe für den vorgesehenen Gewaltakt der Volkspolizei, ja vielleicht für die evtl. eingreifenden Satellitenfreiwilligen einen beachtlichen Gegner darstellen könnte, womit unter Umständen das ganze sowjetische Konzept verdorben wird. b) Je nach den Erfolgen oder Misserfolgen der Volkspolizei und einer Fünften Kolonne8, wird die Einbeziehung der Satelliten, insbesondere Polens, vorgesehen sein. Man darf hierbei nicht vergessen, dass der Krieg gegen ein „neonazistisches“ Deutschland in Polen auf einen gewissen Widerhall treffen würde. Im Hinblick darauf, dass der Kreml die hier geschilderte Entwicklung gleichzeitig als eine Entwicklung zum grossen Krieg betrachten muss, gewinnt ein deutscher Kriegsgrund eine hervorragende Bedeutung in der sowjetischen Politik der jüngsten Gegenwart. Sie setzt schon deshalb gerade deutsche Fragen in den Brennpunkt der Konferenzen und ihrer Propaganda. Es wäre gewiss wichtig, dass der Westen darauf hinarbeite, die internationale Diskussion auf andere Themen zu verlagern, die für die SU nicht so günstig liegen wie das deutsche, nicht zuletzt auch aus Rücksicht auf den Zusammenhalt des westlichen Lages selbst. Für die sowjetische Diplomatie erscheint die deutsche Frage nämlich besonders geeignet als Sprengstoff gegen die Einheit des Westens („mourir pour les boches“). zu 3): Es ist aufgrund der sowjetischen Propaganda und der Erfahrungen aus dem Koreakonflikt nicht anzunehmen, dass sich die bisherige Absicht der SU, aus einem etwaigen bewaffneten Konflikt herauszubleiben, geändert habe. Man gewinnt aber den Eindruck, dass die Sowjets schon jetzt alles tun, um einen evtl. ausbrechenden deutschen Konflikt zu lokalisieren. Ihre Verhandlungsbereitschaft mit den Westmächten, die trotz des scharfen Tones aus den Noten um die Viererkonferenz und die Bewaffnung Westdeutschlands zu entnehmen ist,9 soll den Frieden „im Grossen“ halten, während sich gleichzeitig im möglichst engen Rahmen zwischen Rhein und Elbe der kalte Krieg 7  Zum Aufbau der kasernierten Einheiten der Volkspolizei vgl. UdF 4, S. XXIV– XXV sowie S. 36–37, 149–150, 227–228, 232–236 und 602, Anm. 203. Zu Reaktionen der Westmächte darauf vgl. Dok. 19, Fn. 26. Zu Befürchtungen hinsichtlich eines möglichen Angriffs der Volkspolizei in der Bundesrepublik vgl. Dok. 41 und dort Fn. 6. 8  Vgl. Dok. 41, Fn. 8. 9  Vgl. Fn. 3 zu diesem Dokument.



Dokument 61: 8. Januar 1951281

zu einem heissen zuspitzen mag. Ein offener Krieg kann die SU um alle die Früchte bringen, die es als „stiller Teilhaber“ von lokalen Konflikten vielleicht noch einzuheimsen hofft. Vor allem wird die SU vermeiden wollen, dass sich der Gegenangriff der Westmächte unmittelbar gegen das rote Zen­ trum mit seinen verschiedenen verwundbaren Stellen richtet. Das Spiel mit den Fünften Kolonnen und den verschiedenen Weltfriedensbewegungen und sonstigen Tarnorganisationen10 würde nicht mehr in der bisherigen Ungebundenheit weiterbetrieben werden können usw. Die SU müsste im Sinne dieser Ausführungen umso geschäftiger auf Frieden in der „Welt“, d. h. mit den Großmächten, und auf Verhandlungen mit denselben Grossmächten drängen, je näher der Zeitpunkt für den Ausbruch einer neuen Teilaktion herangerückt ist. Sie dürfte aber auch diese Teilaktion abzublasen geneigt sei, falls sie bei ihren Sondierungen der Weltlage zu der Überzeugung käme – oder gar schon gekommen ist –, dass eine solche Teilaktion zu wirklichem Zusammenschluss, zu wirksamen Gegenmassnahmen oder gar zum Gegenangriff der freien Welt gegen die SU selbst führen würde. Die deutsche Beteiligung an einer europäischen Armee mag von der SU als ein solches Menetekel empfunden werden, und es mag sein, dass die SU schon jetzt einer Lage entgegenarbeitet, die sie zwar selbst provoziert, nun aber doch aus der Welt schaffen möchte. Vielleicht könnte eine eindeutige offizielle Erklärung des Westens, er würde diesen oder jenen Angriff oder gar jeden weiteren Angriff aus der Sowjetsphäre als einen Angriff der SU selbst betrachten, dazu beitragen, den Kreml dazu zu veranlassen, das er seine Taktik vorübergehend mässigt oder ändert.11 Die gegenwärtige aktive Sowjetpolitik sieht freilich kaum danach aus, als ob die SU tatsächlich einlenken wolle. Es kann ebensowohl aus der gegenwärtigen Lage ein Handstreich gegen Westdeutschland resultieren, insbesondere dann, wenn der Westen es bei aller Verhandlungsbereitschaft an der notwendigen Einigkeit und Bestimmtheit in der Deutschlandfrage fehlen lassen sollte. PA AA, B 11, Bd. 286 Bl. 3–6.

10  Vgl. zu „Tarnorganisationen“ Dok. 40 und dort Fn. 25. Die „Organisation Gehlen“, der unter US-Kontrolle stehende Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes, berichtete spätestens seit 1952 monatlich u. a. über die „Tätigkeit der KPD und ihrer Tarn- und Hilfsorganisationen in Westdeutschland“, vgl. BND-Archiv Nr. 1459-OT, Bl. 147–155. 11  Der letzte Satz dieses Abschnitts ist am linken Rand rot angestrichen.

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62. Schreiben des Ministerpräsidenten Grotewohl an den Ministerrat der UdSSR Übersetzung aus dem Deutschen

Berlin-Ost, 8. Januar 19511

An den Ministerrat der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Moskau Da ein Teil des Importplans für Walzgut2 – es handelt sich um Importe aus kapitalistischen Ländern – nicht erfüllt werden konnte, haben sich die Vorräte in den wichtigsten Produktionsstätten der Deutschen Demokratischen Republik erheblich verringert. Zwecks Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Beginns der Erfüllung des Fünfjahrplans3 und einer fristgerechten Erfüllung unserer Reparations- und Exportverpflichtungen4 ist es erforderlich, dass den wichtigsten Betrieben das für den Beginn der Arbeiten notwendige Material zur Verfügung gestellt wird. Das ist besonders für die hauptsächlichen Betriebe des Schwermaschinenbaus von Bedeutung, die den Schwerpunkt unseres gesamten Maschinenbaus ausmachen. Es wäre sehr zu wünschen, folgenden Betrieben: der Vereinigung volkseigener Betriebe LOWA,5 der Vereinigung volkseigener Werften und den Werften für Hochseeschiffbau innerhalb von vier Wochen 24 049 Tonnen Schwarzmetalle als die für den Beginn der Arbeiten notwendigen Materialien zur Verfügung zu stellen, damit die Schwierigkeiten der Übergangsperiode überwunden werden können. Daher bitte ich, innerhalb kürzester Frist 24 049 [Tonnen] Schwarzmetalle gemäß der beigefügten detaillierten Beschreibung6 auf Rechnung des Han-

1  Kopie. Es konnte nicht festgestellt werden, wie viele Exemplare von dieser Übersetzung angefertigt und an wen sie verteilt wurden. Da sich das deutsche Original in deutschen Archiven nicht finden ließ, musste dieses Dokument aus dem Russischen ins Deutsche zurückübersetzt werden. 2  Zum Stahlembargo und dessen wechselvoller Anwendung vgl. Dok. 15, Fn. 12. 3  Zur Beschlussfassung und Verabschiedung des Fünfjahrplans vgl. Dok. 12, Fn. 11. 4  Erst am 19. April 1951 bestätigte der Ministerrat der DDR den am 2. November 1950 vom Ministerrat der UdSSR beschlossenen Reparationsplan für das Jahr 1951, vgl. Dok. 81, Fn. 3. 5  Gemeint ist VVB Lokomotiv- und Waggonbau (LOWA). 6  Eine solche Beschreibung konnte im AVP RF nicht ermittelt werden.



Dokument 63: 12. Januar 1951283

delsvertrags, der noch im Jahr 1951 geschlossen werden soll, zur Verfügung zu stellen.7 i. A. O. Grotewohl AVP RF, f. 7, op. 14, p. 2, d. 36, Bl. 5.

63. Schreiben des Bevollmächtigten der Bundesrepublik Deutschland in Berlin Vockel an Bundeskanzler Adenauer persönlich!

Berlin-West, 12. Januar 19511

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, aus einem mündlichen Bericht, den mir der Abgeordnete Herr Dr. Tillmanns heute gegeben hat, muss ich entnehmen, dass voraussichtlich die Entgegnung auf den Grotewohl-Brief so erfolgen wird, dass die Tür zu weiteren Verhandlungen geschlossen ist.2 So sehr ich Ihre aussenpolitischen Überlegungen würdige, so ist es doch durchaus möglich, folgendermassen zu argumentieren: Die Sowjetunion hat eine Note an die drei Grossmächte gerichtet und Verhandlungen über das Deutschland-Problem vorgeschlagen.3 Die Grossmächte haben solche Verhandlungen nicht unmittelbar abgelehnt, sondern haben sich 7  Die Anordnung Nr. 759-377s betr. Warenaustausch mit der DDR im Jahr 1951 wurde durch den Ministerrat der UdSSR am 8. März 1951 beschlossen, vgl. GA RF, f. R-5446, op. 106  sč, p. 759, d. 581. In der vertraulichen Liste 1 zum Abkommen über den Waren- und Zahlungsverkehr zwischen der DDR und der UdSSR vom 16.  März 1951 war die Lieferung von insgesamt 170 000 Tonnen Walzwerkserzeugnissen und mehreren Tausend Tonnen an sonstigen Metallerzeugnissen vorgesehen, vgl. PA AA, MfAA V SOW 013-24. 1  Original. Rechts am Kopf befindet sich der Eingangsstempel des Bundeskanzleramts vom 15. Januar und die Uhrzeit: 13:50, links davon der Eintrag vom 16. Januar 1951: „AA“. 2  Zum „Grotewohl-Brief“ vgl. Dok. 54, Fn. 5. Am 15. Januar 1951 wies Adenauer Grotewohls darin geäußerte Vorschläge zu deutsch-deutschen Verhandlungen zurück, ohne sich explizit auf den „Grotewohl-Brief“ zu beziehen, vgl. Dok. 65, Fn. 6. Einen von Blankenhorn verfassten Entwurf seiner Antwort hatte Adenauer am 10. Januar dem Bundestagsausschuss für gesamtdeutsche Fragen, dem Tillmanns als beratendes Mitglied angehörte, vorgestellt und dort weitgehende Zustimmung erhalten, vgl. Dok. 60, Fn. 9. Bereits am 9. Januar war ein Entwurf von Adenauers Antwort Vockel und Tillmanns vorgelegt worden. Vockel hatte dazu mündlich Vorschläge geäußert, die er in seinem Schreiben an Adenauer wiederholte, die jedoch teilweise darüber hinausgingen. Vgl. Aufzeichnung von Alexander Böker, 9. Januar 1951, PA AA, B 2-VS, Bd. 106A. 3  Gemeint ist die sowjetische Note vom 3. November 1950, vgl. Dok. 56, Fn. 2.

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zu einem Gespräch bereiterklärt, wobei sie eine Erweiterung der Tagesordnung vorgeschlagen haben. Die Sowjetunion hat diese Note wiederum beantwortet4 und es steht zu erwarten, dass eine weitere Antwort der drei Grossmächte folgen wird.5 Also: nicht ohne weiteres Nein, sondern Bereitschaft zu verhandeln, Bereitschaft die Tür offen zu halten. Analog der Grotewohl-Brief: Grotewohl schlägt Verhandlungen vor. Die Bundesregierung antwortet in irgendeiner Form auf diesen Vorschlag so, dass sie grundsätzlich zu Gesprächen bereit ist, dass sie aber in einem Vorgespräch, zu dem sie einen Unterhändler zu bestellen bereit ist, eine präzise Tagesordnung festgelegt wissen will. Dabei wird sofort in der ersten Antwort angedeutet, welche Fragen für dieses Vorgespräch zur Festsetzung der Tagesordnung behandelt werden sollen – das sind die Fragen, die auch in dem jetzigen Entwurf der Antwort aufgeworfen sind. Ich weiss, dass es schwer ist, die SPD-Opposition für ein solches Vorgehen zu gewinnen,6 ich bin aber trotzdem der Meinung und fühle mich verpflichtet, von dieser Meinung Kenntnis zu geben, dass aus Zeitgewinn eine Antwort gefunden werden muss, die die Tür möglichst lange offen lässt. Ich darf hinzufügen, dass ich mir materiell von Gesprächen bei der derzeitigen Lage nichts verspreche. Ich bin mit dem Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung Ihr sehr ergebener G. Vockel7 PA AA, B 2-VS, Bd. 106A.

4  Zu den Noten der Westmächte vom 22. Dezember 1950 und der darauffolgenden sowjetischen Antwortnote vgl. Dok. 61, Fn. 3. 5  Vgl. Dok. 66, Fn. 59. 6  Schumacher hatte in einem Grundsatzartikel für den Sozialdemokratischen Pressedienst am 27. Dezember 1950 erklärt: „Jedermann in Deutschland muss wissen, dass dieser Grotewohl-Brief kein Angebot andersdenkender Deutscher im Osten unseres Landes an die demokratischen Kräfte in der Deutschen Bundesrepublik ist. Der Grotewohlbrief ist erdacht und geschrieben in Moskau …“ Schumacher warnte davor, auf diesen Brief einzugehen und mit der DDR zu verhandeln: „Wer da glaubt, in diesem Falle mit Deutschen aus der Ostzone zu sprechen, verhandelt in Wirklichkeit mit den Sowjets. Das bedeutet praktisch, daß er einen Gesprächspartner hat, dem er kräftemäßig nicht gewachsen ist.“ Vgl. DzD II, 3, S. 479–481, hier S. 480. 7  Handschriftlich.



Dokument 64: 16. Januar 1951285

64. Schreiben von Außenminister Dertinger an Ministerpräsident Grotewohl 

Berlin-Ost, 16. Januar 19511

Hochverehrter Herr Ministerpräsident! Den Anlass des heutigen Besuches des Herrn Botschafter Puschkin benutzte ich dazu, auf die Frage zurückzukommen, die er selbst in unserer letzten Unterhaltung gestellt hatte, in welcher Weise die Regierung der UdSSR die Arbeit der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik gegenüber Westdeutschland erleichtern könnte.2 Ich hatte Ihnen über dieses Gespräch schon mündlich berichtet mit der Maßgabe, dass Sie mich beauftragten, die Aufmerksamkeit erneut auf das Problem der Kriegsgefangenen zu lenken. Ich konnte an ein Dankschreiben des Propstes Grüber anknüpfen, in dem dieser die ausserordentlich positive Wirkung der jüngsten Erleichterung betonte, die die Regierung der UdSSR für die in der Sowjetunion noch verbliebenen Kriegsgefangenen auf dem Gebiete des Schrift- und Paketverkehrs und dergl. getroffen hat.3 Von diesem Dankschreiben ausgehend, führten der Botschafter und ich das Gespräch unter dem Gesichtpunkt weiter, dass alle solche Erleichterungsmassnahmen von ausserordentlich positivem psychologischen Wert im Rahmen des Gesprächs für die Wiederherstellung der deutschen Einheit sind. Ich habe den Eindruck, dass Herr Botschafter Puschkin seinerseits alles tun wird, um auf diesem Gebiet der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik behilflich zu sein. Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr sehr ergebener Dertinger4 BAB-SAPMO, NY 4090/473, Bl. 19–20.

1  Original. Geyer hielt mit seinem Kurzzeichen den 16.  Januar, 18:00 Uhr als Eingangszeit fest. Grotewohl vermerkte am 17. Januar 1951 am Kopf „abl[egen].“ 2  Aufzeichnungen Puškins zu den beiden hier erwähnten Gesprächen sind im AVP RF nicht überliefert. 3  Ein Brief von Grüber zu den deutschen Kriegsgefangenen in der UdSSR aus dieser Zeit konnte nicht ermittelt werden. 4  Handschriftlich.

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65. Schreiben des Vorsitzenden des Rats der EKD Dibelius an Bundestagspräsident Ehlers 

Berlin-West, 1. Februar 19511

Mein lieber Bruder Ehlers!2 Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht gedrängt werde, in bezug auf die Anbahnung eines Gespräches zwischen West und Ost eine Initiative zu ergreifen. Ich habe mich immer zurückgehalten und möchte auch jetzt noch Zurückhaltung üben. Diejenigen, die mich drängen, sind alles kirchliche Leute, unter ihnen auch solche, die ein politisches Urteil haben.3 Herr Grotewohl4 ist bisher an mich nicht herangetreten.5 Ich würde auch einen Fühler von jener Seite abweisen, weil ich mich unmöglich vor einen kommunistischen Wagen spannen lassen kann. Bei den kirchlichen Leuten ist aber der Eindruck ziemlich gleichmässig der folgende: Die kommunistischen Gesprächsangebote gehen immerhin so weit, dass eine glatte Zurückweisung6 1  Abschrift. Das Anschreiben, mit dem Hermann Ehlers dieses Schreiben am 17. Februar 1951 an Adenauer übermittelte, ging im Bundeskanzleramt am 20. Februar ein und erhielt die Tgb. Nr. BK 481/51. Das Schreiben von Dibelius unterlag strengster Geheimhaltung. Es wurde zunächst Hallstein vorgelegt, der zahlreiche rote Anstreichungen vornahm und am 26.  Februar verfügte: „Dem Herrn Bundeskanzler vorzulegen“. 2  Das Schreiben hatte Dibelius an Ehlers mit dessen kirchlicher Rangbezeichnung „Oberkirchenrat“ gerichtet. 3  Bereits im Protokoll der EKD-Ratssitzung vom 11. und 12. Januar 1951 in Potsdam hieß es: „Der Rat nimmt einen Bericht zur allgemeinen Lage entgegen. Er begrüsst es, dass Bischof D. Dibelius sich zu Vermittlungsdiensten bereit erklärt hat, falls solche erforderlich sein sollten, um eine persönliche Begegnung des Westens und des Ostens zustande zu bringen.“ Vgl. Die Protokolle des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Band 5: 1951, bearbeitet von Dagmar Pöpping, hrsg. im Auftrag der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte von Carsten Nicolaisen und Harald Schultze, Göttingen 2005, S. 37. 4  Bereits am 29. Januar 1950 veröffentlichte der Presse- und Informationsdienst der Bundesregierung die Mitteilung, dass Mutmaßungen über ein Treffen des Bundeskanzlers mit „Herrn Grotewohl“ im Hause von Dibelius unbegründet seien, vgl. DzD II, 3, S. 482. 5  Diese und die nachfolgend kursiv hervorgehobenen Wörter sind handschriftlich unterstrichen. 6  Bundeskanzler Adenauer hatte am 15. Januar 1951 auf einer Pressekonferenz zum Schreiben des Ministerpräsidenten Grotewohl vom 30. November 1950 erklärt: „Die Bundesregierung ist sich mit allen Deutschen darin einig, daß nichts unversucht bleiben darf, die deutsche Einheit in Freiheit und Frieden wiederherzustellen. Die Bundesregierung kann aber nur mit denjenigen in Besprechungen über die deutsche Wiedervereinigung eintreten, die willens sind, eine rechtsstaatliche Ordnung, eine freiheitliche Regierungsform, den Schutz der Menschenrechte und die Wahrung des



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von der ostdeutschen Bevölkerung nicht mehr verstanden wird. Der heutige Entgegnungsartikel von Dr. Schumacher7 kann niemanden überzeugen. Er wird als das üble Nein empfunden, das Schumacher zu allem und jedem sagt. Grotewohl hat jetzt zum ersten Mal auch öffentlich sein Angebot in bezug auf gleiche und geheime Wahlen präzisiert.8 Dass solchen Wahlen irgendwelche Besprechungen vorhergehen müssen, ist klar; denn Wahlen können nicht vom Himmel fallen, sondern bedürfen einer gesetzlichen Grundlage und einer Garantie. Das kann nur in vorhergehenden Gesprächen ausgehandelt werden. Es ist nicht besonders wahrscheinlich, dass solche Gespräche zu einem Erfolg führen möchten. Aber man muss im Westen verstehen, dass die 20 Millionen Ostbewohner sich nach einer Änderung der Verhältnisse leidenschaftlich sehnen. Da im Osten nicht öffentlich diskutiert werden kann, macht sich der Mann auf der Strasse natürlich keine Vorstellung davon, wie ungeheuer kompliziert das Problem der Wiedervereinigung Deutschlands politisch und wirtschaftlich ist und wie unmöglich die Situation einer gesamtdeutschen Regierung wäre, die völlig machtlos allen kommunistischen Unruhen preisgegeben wäre – ganz abgesehen davon, dass die aussenpolitische Lage für irgendwelche Schritte zur Wiedervereinigung so ungünstig wie möglich ist. Aber man hält jedem, der im Gespräch auf diese Schwierigkeiten zu sprechen kommt, begreiflicherweise entgegen: Wie soll der Eiserne VorFriedens vorbehaltlos anzuerkennen und zu garantieren.“ Vgl. AdG 21 (1951), S. 2773. Möglicherweise wurde diese Erklärung, die in vielen westdeutschen und West-Berliner Zeitungen veröffenlicht wurde (vgl. u. a. Die Zeit 3/1951), von Dibelius nahestehenden kirchlichen Kreisen noch nicht als ablehnende Antwort an Grotewohl aufgefasst. 7  Am 31. Januar 1951 hatte Schumacher laut dpa ein Schreiben an den Bundeskanzler gerichtet, in dem er vorschlug, auf der bevorstehenden Viererkonferenz das dringende Anliegen von freien, allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlen zu einem Parlament für ganz Deutschland als Grundlage für die Wiedervereinigung zu unterbreiten. Der Bundeskanzler solle demnach baldmöglichst eine Regierungserklärung vornehmen, um dem Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, vgl. AdG 21 (1951), S. 2796. 8  Grotewohl hatte am 31. Januar 1951 vor der Volkskammer eine Regierungserklärung zur Antwort Adenauers vom 15. Januar (vgl. Fn. 6 zu diesem Dokument) auf sein Schreiben vom 30. November 1950 abgegeben und in diesem Zusammenhang die „Remilitarisierung“ Westdeutschlands attackiert, das Friedensschutzgesetz der DDR (vgl. Dok. 106, Fn. 19) verteidigt und Adenauer aufgefordert, er solle sich bezüglich der Durchführung gesamtdeutscher Wahlen nicht an die Besatzungsmächte wenden, sondern ohne Vorbedingungen in Verhandlungen mit der Regierung der DDR eintreten. Vom Wahlverfahren selbst war darin keine Rede, vielmehr betonte Grotewohl, es solle „ohne jede Festlegung auf bestimmte Verfahrensregeln und vorher zu schaffende Bedingungen“ verhandelt werden. Seine Rede gipfelte in der Forderung „Deutsche an einen Tisch“, vgl. Grotewohl, Bd. 2, S. 305–319 (zum Zitat vgl. S. 317).

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hang jemals fallen, wenn man jede Unterhaltung darüber von vornherein ablehnt? Dann bleibt eben nur der Krieg. Wollt Ihr den wirklich? Ich glaube daher, dass die Bundesregierung, die sich propagandistisch nun schon seit zwei Jahren in einer schlechten Lage befindet, der kommunistischen Propaganda auch die letzten Trümpfe in die Hand gibt, wenn sie einfach auf ihrem Nein beharrt. Wäre es nicht doch möglich, durch irgendwelche Mittelsmänner ein vertrauliches Gespräch führen zu lassen, um abzutasten, wie weit die Kommunisten zu gehen bereit wären? Ich wiederhole: ich glaube nicht daran, dass etwas Positives dabei herauskommen wird. Und ich sehe völlig die Schwierigkeiten ein, von solchen vertraulichen Gesprächen aus zu öffentlichen Feststellungen zu kommen,9 mit denen die Bundesregierung ihre Ablehnung begründen kann. Ich muss nur dabei verharren, dass man die Stimmung in Ostdeutschland nicht unterschätzen sollte. Die Bolschewisierung geht auf allen Gebieten weiter und verstärkt täglich den psychologischen Druck auf die Bevölkerung, damit aber auch die Sehnsucht nach einer Änderung der Lage. Ich füge abschliessend hinzu, dass, abgesehen von den politisch-imperialistischen Zielen, die bei den Russen wohl das Entscheidende sind, auch die sich ständig verschlechternde wirtschaftliche Lage in der Ostzone ein Motiv für die jetzigen Verständigungsangebote sind. Ich halte es aber nicht für wahrscheinlich, dass diese wirtschaftliche Lage in naher Zukunft zu kapitulationsartigen neuen Angeboten führen wird. Ich für mein Teil bleibe bereit für den Fall, dass ich irgend etwas nützen kann. Aber ich werde mich auf das eigentliche politische Gebiet nicht abdrängen lassen. Ich weiss noch nicht, ob ich auf einer der drei Synoden, die ich in den nächsten Wochen zu erledigen habe,10 irgendeine Andeutung machen werde, dass unsere evangelische Kirche um der Menschen willen, für die sie verantwortlich ist, eine menschliche Überbrückung der gegenwärtigen Kluft wünschen muss.11 Aber ich werde keinesfalls etwas tun, was mich in die Nähe von Herrn Professor Noack oder irgendwelchen anderen Vermittlungspolitikern bringen könnte. Ich schreibe daher auch nicht an den Bun-

9  Die Passage beginnend mit „Wäre es nicht doch möglich …“ bis hierher ist am linken Rand rot angestrichen. 10  Dibelius meinte vermutlich die Berlin-Brandenburgische Provinzialsynode vom 5. bis 8.  Februar 1951 in Berlin, die 3.  Tagung der 1. Synode der EKD vom 1.  bis 5. April 1951 in Hamburg und die 3. Tagung der der 1. Generalsynode der VELKD, die vom 17. bis 21. Mai in Rostock stattfand. Äußerungen von Dibelius mit tagespoli­ tischem Bezug ließen sich nicht ermitteln. 11  Der gesamte Satz ist am linken Rand rot angestrichen.



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deskanzler. Aber Ihnen wollte ich doch gesagt haben, wie hier gegenwärtig die Stimmung ist.12 Mit herzlichem Gruss Ihr getreuer gez. Dibelius [PS.] Der Grotewohl, von dem bisher niemand ein Stück Brot nahm, wird jetzt im Osten noch richtig populär!13 PA AA, B 2-VS, Bd. 105A.

66. Schreiben des Vorsitzenden der SPD Schumacher an Bundeskanzler Adenauer 

Bonn, 6. Februar 19511 I. [Zielsetzungen]2

Die Zielsetzungen sind massgebend für die Behandlung eines deutschen militärischen Beitrags. Dieser Beitrag kann nicht isoliert für sich betrachtet 12  Gegenüber AP erklärte Ehlers am 1. März 1951: „Wir dürfen nichts unversucht lassen, um die Einheit Deutschlands wiederherzustellen. Insbesondere dürfen wir im Westen unsere Landsleute im Osten nicht enttäuschen, für die die Wiedervereinigung vielleicht eine Frage von Leben und Tod ist.“ Ehlers fügte jedoch hinzu: „Wir sind uns alle darüber klar, daß der Brief Grotewohls und der Appell der Volkskammer Propaganda-Aktionen sind, deren Ursprung sicher nicht in Ost-Berlin liegt.“ Der Bundestagspräsident mahnte dabei aber: „Die gegenwärtigen Fragen der Weltpolitik und der deutschen Politik sind so vielgestaltig, daß wir uns eine wesentlich größere Fähigkeit, den Notwendigkeiten des Tages zu entsprechen, angewöhnen müssen.“ 13  Das Postskriptum ist am linken Rand rot angestrichen. 1  Original. Zu diesem nicht unterzeichneten und undatierten Papier, das der SPDVorsitzende mit einem Anschreiben übermittelt hatte, findet sich folgende Notiz: „Anlage eines Schreibens von Herrn Dr. Schumacher vom 6.  Februar 1951 (die Anlage wurde verkehrt abgeheftet!)“. Das Papier enthält Anstreichungen und Anmerkungen von Adenauer mit grünem Stift sowie mit weichem Bleistift und von unbekannter Hand mit hartem Bleistift. Schumacher antwortete damit auf die „Gedanken zur gegenwärtigen Lage“, die ihm Adenauer am 31. Januar 1951 mit einem persönlichen Anschreiben übermittelt und um deren vertrauliche Behandlung er gebeten hatte. Auch diese Aufzeichnungen waren nicht unterzeichnet. Adenauer druckte sie zusammen mit Auszügen aus Schumachers Erwiderung in seinen Erinnerungen ab, vgl. Adenauer, Erinnerungen 1945–1953, S. 416–422. Eine Kopie des Schreibens von Schumacher an Adenauer ist einschließlich des Anschreibens abgedruckt in: Kurt Schumacher. Reden – Schriften – Korrespondenzen 1945–1952, hrsg. von Willy Albrecht, Berlin/Bonn 1985, S. 883–894. Auf dieses „geheime Memorandum Schumachers an Adenauer vom Februar dieses Jahres“ bezog sich eine interne sowjetische

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werden. Er ist dem Gesamtkomplex der inneren und äusseren Politik eingeordnet. Bei der Erörterung der militärischen Frage kehren alle ungelösten Probleme der Politik wieder. Die Gesichtspunkte der Behandlung dieses Komplexes sollten sein: Die Erhaltung des Friedens Sinn und Aussicht eines militärischen Beitrags Soziale und politische Festigung und Immunisierung des deutschen Volkskörpers Eine starke funktionierende internationale Demokratie Die deutsche Einheit auf der Grundlage der persönlichen und staatsbürgerlichen Freiheit und Sicherheit.3 II. [Die gegenwärtigen Gefahren] Die gegenwärtigen Gefahren, wie sie aus dem Osten drohen, können durch einen deutschen militärischen Beitrag nicht aus der Welt geschafft oder auch nur gemildert werden.4 Jede deutsche Aufrüstung kann, wenn sie ungestört bleibt, erst zukünftigen Gefahren begegnen. Die Schaffung der Möglichkeiten des Beginns braucht eine Anzahl von Monaten. Die Ausbildung der ersten grösseren taktischen Formationen benötigt mindestens eineinhalb Jahre. Ein militärischer Beitrag von kriegswichtiger Bedeutung würde unter drei bis vier Jahren nicht zu leisten sein.5 In dieser Periode wäre6 Deutschland ungeschützt. Es könnte sich weder aus eigener Kraft verteidigen, noch durch die vorhandenen oder für die überEinschätzung

der SPD vom 11. Mai 1951. Dort wurde voreingenommen geschlussfolgert, dass das von Schumacher geteilte Ziel der Remilitarisierung in der Schaffung einer Lage bestehe, „die dem Westen die Führung eines Angriffskrieges gegen die Sowjetunion und gegen die Länder der Volksdemokratie“ ermögliche (Grigorʼjan an Molotov, 11. Mai 1951, in: Ruggenthaler, Stalins Bluff, S. 81–86, hier S. 82). Im Ergebnis des Austauschs ihrer Positionen kam es am 20. Februar 1951 zum ersten Mal seit Monaten wieder zu einer Aussprache zwischen Adenauer und Schumacher, vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21. Februar 1951, S. 3. 2  Zur besseren Übersichtlichkeit wurden die Überschriften der Abschnitte ergänzt. Im Original sind sie im Fließtext unterstrichen und die Abschnitte lediglich nummeriert. 3  Die Aufzählung wurde von Adenauer links angestrichen, daneben vermerkte er „ja“. 4  Die kursiv hervorgehobenen Wörter wurden handschriftlich unterstrichen und am linken Rand mit einem Fragezeichen versehen, daneben vermerkte Adenauer von Hand: „nicht richtig“. Darunter ist (nicht von Adenauer) vermerkt: „Sie werden bleiben, bis etwas anderes geschieht“. 5  Die letzten beiden Sätze bis hierher sind von Adenauer links angestrichen. 6  Mit Bleistift unterstrichen, am Rand ist dazu vermerkt (nicht von Adenauer): „bleibt“.



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blickbare Zukunft bisher versprochenen alliierten Kräfte vor einem eventuellen sowjetrussischen Eingriff erfolgreich bewahrt werden.7 Die deutsche Position in einer Periode der Aufrüstung ist entscheidend anders als die jedes anderen westlichen Volkes: a) Die geographische Lage Deutschlands ist nicht durch militärische Machtmittel der Alliierten ausgeglichen. b) Es gibt keine deutschen militärischen Verbände als Grundlage, sondern auch das Fundament müsste erst geschaffen werden. c) Das Verhältnis der Westmächte zu den Deutschen ist anders als zu jedem anderen Volk Westeuropas. III. [Die sowjetrussische Politik] Die sowjetrussische Politik gegenüber Deutschland ist seit drei Jahrzehnten auf seine politische Eroberung gerichtet. Die Konzentration der Mittel des Kalten Krieges, die Häufung der Gefühlsappelle, Drohungen, Beschwörungen und Argumente besagen nicht, dass die Sowjets von den politischen zu den militärischen Mitteln hinüberwechseln wollen. Bisher sind die Sowjets bei Gefahr bewaffneter Konflikte wie in Persien, Griechenland, Triest und Jugoslawien zurückhaltend gewesen.8 Dieses Stadium der kommunistischen Politik erfordert auf der deutschen Seite ein Maximum an sozialer Sicherheit, an demokratischer Festigkeit im Innern und an propagandistischer Offensivhaltung gegenüber den Zuständen in den totalitären Staaten. In der Bundesrepublik sind eine Klärung der gesetzlichen Möglichkeiten und eine stärkere und mutigere Haltung der Behörden gegenüber allen ungesetzlichen Aktionen und Gewalthandlungen nötig. Der bisherige Zustand ist in jeder Beziehung unbefriedigend und gefährlich.9 IV. [Auswirkungen eines deutschen militärischen Beitrags] Die Auswirkungen eines deutschen militärischen Beitrags auf die sowjetrussische Politik sind mit Sicherheit nicht zu überblicken. Die Meinung, dass auch bei einer deutschen Aufrüstung die Sowjetrussen in jedem Fall10 den heissen Krieg vermeiden werden, ist keine sichere Grundlage der Politik. Auch den Sowjetrussen ist bekannt, dass die Angelsachsen nicht gewillt sind, das Produktionspotential Deutschlands, im besonderen das Ruhrgebiet 7  Die Passage in Abschnitt II. beginnend mit „Jede deutsche Aufrüstung kann …“ bis hierher ist als Auszug in Adenauer, Erinnerungen 1945–1953, S. 420 veröffentlicht. 8  Diesen Satz strich Adenauer links an und notierte dazu: „zu II!“. 9  Diesen Satz strich Adenauer an und notierte dazu: „ja“. 10  Diesen Ausdruck unterstrich Adenauer und setzte am Rand ein Ausrufezeichen. Daneben findet sich eine unleserliche Notiz Adenauers.

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und die Energieerzeugung, unzerstört in die Hand ihres militärischen Gegners fallen zu lassen. Es ist möglich, dass eine deutsche Aufrüstung den Russen als eine Gefahr in Europa von bisher nicht gekannter Grösse erscheint. Ebenso möglich ist aber, dass, wenn aus irgendwelchen Gründen die Sowjets darauf verzichten, zu Beginn der Rüstung zuzugreifen, das Ergebnis unter den heutigen von den Alliierten gewollten Umständen und Gegebenheiten so dürftig ist, dass seine Geringfügigkeit einen Anreiz für den Osten darstellt. Halbe, unentschiedene und differenzierende Massnahmen, so wie sie heute betrieben werden, sind das Schlechteste, was getan werden kann.11 V. [Rückzug der USA aus Europa] Der Rückzug der USA aus Europa ist eine gefährliche Propagandaformel, die als Druckmittel gegenüber dem deutschen Volk versagt.12 Sie ist nur geeignet, Zweifel an der Verlässlichkeit und Bündnistreue einer Macht aufkommen zu lassen, die mit solchen Eventualitäten aus taktischen Gründen droht. Die politischen Kräfte in den USA, die den Isolationismus geschaffen haben, sind seit langem in einem Prozess der Umorientierung aus wohlver­ standenen ökonomischen und politischen Interessen begriffen. Es gibt keine amerikanische Politik, die in der Lage wäre, Europa aufzugeben.13 Die Welt­ geltung Amerikas und die Position gegenüber dem Kommunismus lassen das nicht zu. Heute sind die USA auch in ihren bisher isolationistischen Teilen an den subventionierten Exporten von Agrarprodukten interessiert. Von der Industrieseite her muss alles getan werden, um die Produktionsüberlegenheit der USA zu erhalten. Das kann man nicht mit einer Vabanquepolitik gegenüber den europäischen Industrieländern, die im Bereich des sowjetischen Zugriffs liegen [sic]. Selbst Hoover spricht nicht mehr die Sprache des alten Isolationismus.14 VI. [Isolationismus Tafts] Der sogenannte Isolationismus Tafts ist eine strategische Auffassung im Politischen und im Militärischen. Er will das Engagement der USA bei den blutigen und verlustreichen Erdkämpfen vermeiden und konzentriert die 11  Dieser

Satz ist von Adenauer mit grünem Stift links angestrichen. Satz strich Adenauer links an und vermerkte: „Antwort der USA dazu macht Auswirkungen bei uns“. 13  Diesen Satz strich Adenauer links an und setzte daneben ein Fragezeichen. 14  Die Passage in Abschnitt V. beginnend mit „Heute sind die USA …“ bis hierher ist unter Auslassung des vorletzten Satzes (über „Vabanquepolitik“) als Auszug in Adenauer, Erinnerungen 1945–1953, S. 422 veröffentlicht. 12  Diesen



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wirtschaftliche und militärische Kraft Amerikas auf die Luftwaffe und die Seewaffe. Sein aktives Interesse geht auf die Unterstützung der Küstenländer, Inseln und Verkehrswege. Tafts Auffassung kommt der der massgebenden Männer des amerikanischen Generalstabs wie Bradley sehr nahe. Sie hat in Europa das Interesse an gewaltigen Brückenköpfen, Küstenländern und Gebirgszügen in der Nähe der Meere. Sie steht der Idee einer entscheidenden Hilfeleistung für Deutschland im ersten Stadium der Auseinandersetzungen ablehnend gegenüber. Sie zielt auf eine spätere Wiedereroberung und Befreiung der Länder in den mitteleuropäischen Ebenen. Die Rolle, die dabei deutschen Kontingenten und dem ganzen deutschen Volke zugewiesen wird, ist mit der Erhaltung Deutschlands nicht vereinbar. VII. [Verlangen nach einem deutschen Bekenntnis] Das Verlangen nach einem deutschen Bekenntnis zum Westen wirkt ausserordentlich aufreizend.15 Die politischen Parteien in Deutschland haben durch Proklamationen und Taten ohne Rücksicht auf die möglichen Konsequenzen ein solches Bekenntnis zu einer Zeit abgelegt, als man eine eindeutige Ablehnung der Sowjets bei den westlichen Alliierten noch vermisst hat. Die dauernde Aufforderung, doch ja mit einem neuen Bekenntnis aufzuwarten, ist eine Nichtachtung des Geleisteten.16 Die „Bundesrepublik als sicheres Gebiet“ ist eine politische Realität.17 Dass plötzlich ein militärischer Beitrag der einzige Beweis für die Treue zur Demokratie sein soll, bezeugt nur die absolute Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal des deutschen Volkes. Hier offenbart sich ein schrankenloser Wille zur Verfügungsgewalt der Alliierten über die Deutschen als Objekt ohne Rücksicht auf die Folgen für das deutsche Volk.18 Politisch wirkt sich diese Forderung als Stärkung der sowjet-russischen Position aus. Im russischen Kalkül stand die Verbundenheit des deutschen Volkes zum Westen ausser Frage. Jetzt wird von alliierter Seite dieser bisher sichere Tatbestand angezweifelt. Seit 1945 hat der Kommunismus auf deutschem Boden keine grössere Ermutigung erfahren.19

15  Diesen

Satz strich Adenauer links an und setzte daneben ein Fragezeichen. Passage in Abschnitt VII. beginnend mit „Die politischen Parteien …“ bis hierher ist als Auszug in Adenauer, Erinnerungen 1945–1953, S. 421 veröffentlicht. 17  Neben diesen Satz setzte Adenauer links ein Fragezeichen. 18  Die Passage beginnend mit „die absolute Gleichgültigkeit …“ bis hierher strich Adenauer links an und setzte daneben ein Fragezeichen. 19  Die beiden letzten Sätze dieses Absatzes strich Adenauer links an und setzte daneben ein Fragezeichen. 16  Die

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VIII. [Entscheidung des Bundestags] Eine umgehende Entscheidung des Bundestags im Sinne eines militärischen Beitrags ohne Klärung der20 Voraussetzungen und Aussichten würde die bestehenden Gefahren vergrössern. Das deutsche Volk ist nicht bereit, ohne seine Mitwirkung über diese Schicksalsfrage entscheiden zu lassen. Die Sozialdemokratische Partei bestreitet mit allem Nachdruck dem gegenwärtigen unter anderen Verhältnissen gewählten Bundestag die Legitimation zu einer solchen Entscheidung.21 Unter den derzeitigen Gegebenheiten würde eine solche Entscheidung den Westmächten freie Hand in ihrer Verfügung über das deutsche Volk geben, ohne sie selbst zu binden.22 Für die Deutschen aber würde damit eine unzerreissbare Fessel geschaffen werden. Die Alliierten könnten sie jederzeit ohne Rücksicht auf die Interessen des deutschen Volkes benutzen. Eine vor Festlegung der Voraussetzungen mit deutscher Zustimmung erfolgte Bindung bedeutet den Verlust der Mitsprache und der Mitbestimmung des eigenen Schicksals.23 IX. [Festlegung der Voraussetzungen] Die Festlegung der Voraussetzungen muss in der zeitlichen Reihenfolge vor der Abgabe bindender Erklärungen stehen. Das Wesen der Voraussetzungen ist ihre Stabilität und Unverrückbarkeit.24 Ihr Wert liegt in ihrer Tatsächlichkeit. Voraussetzungen können nicht durch Versprechungen ersetzt werden. Sie sind grundsätzlich etwas anderes als aushandelbare Bedingungen oder Vorbehalte. Das tatsächliche Verhalten der Alliierten seit den Tagen des Petersberger Abkommens25 verbietet die Hoffnung, dass deutsche Vorleistungen26 die Voraussetzungen herstellen können. Das deutsche Volk verlangt von niemand etwas, was es nicht selbst leisten will. Umgekehrt darf es sich aber zu keiner 20  Die drei hier hervorgehobenen Wörter unterstrich Adenauer und notierte dazu links: „ja“. 21  Diesen Satz strich Adenauer zweimal links an und vermerkte daneben mit Bleistift: „Wer dann?“ 22  Neben diesen Satz setzte Adenauer am linken Rand ein Fragezeichen. 23  Diesen Satz strich Adenauer links an und notierte dazu: „daran denkt niemand“. 24  Diesen Satz strich Adenauer links an. 25  Vgl. Dok. 4, Fn. 11. In Punkt III des Petersberger Abkommens erklärte die Bundesregierung „ihre feste Entschlossenheit, die Entmilitarisierung des Bundesgebiets aufrechtzuerhalten und mit allen ihr zu Verfügung stehenden Mitteln die Neubildung irgendwelcher Streitkräfte zu verhindern“. 26  Diese beiden Worte unterstrich Adenauer und notierte dazu: „Von ‚Vorleistungen‘ ist niemals die Rede gewesen“.



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Leistung verpflichten, die die anderen nicht von sich selbst verlangen.27 Die heutige Situation ist dadurch gekennzeichnet, dass die westlichen Alliierten auf die Deutschen ein Mehr an Opfer und Risiko28 aufbürden, ihnen aber keine wirkliche Chance geben, sondern praktisch die Aufopferung des deutschen Volkes für die westliche Welt verlangen. Es sind die anderen, die die von uns erstrebte Zugehörigkeit zum Westen dem deutschen Volke versagen. X. [soziale Kräftigung] Die soziale Kräftigung der breiten Massen ist die entscheidende innere Voraussetzung. Die Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik in der Bundesrepublik haben eine verhängnisvolle Entwicklung genommen. Die Arbeitsmarktpolitik, die Behandlung der Fragen der Preise, Löhne und Renten, des Lastenausgleichs und der gesamten Verteilung des Sozialprodukts zeugen nicht davon, dass man in der Bundesrepublik begriffen hat, welche Rolle den Deutschen in der Auseinandersetzung zwischen Ost und West zugefallen ist.29 Die deutsche Position in der Abwehr des Kommunismus könnte noch beträchtlich stärker sein, wenn man in Deutschland besser die Notwendigkeit der sozialen Fundamentierung der Demokratie erkannt hätte. Die Lehren Asiens30 sind nicht gebührend zur Kenntnis genommen worden. Die Bundesrepublik muss sich darüber klar werden, welche Teile des Sozialprodukts sie für die einzelnen staatlichen Zwecke verwenden will.31 Es ist unmöglich, hier mit Improvisationen von Situation zu Situation durchkommen zu wollen. Man muss wissen, was sozial notwendig und was militärisch möglich ist. Eine Rüstungspolitik ohne Planung in der Verteilung des Sozialprodukts und ohne die Grundlage sozialer Gerechtigkeit würde mehr zerstörende als aufbauende Konsequenzen für die Demokratie haben.

27  Die Passage in Abschnitt IX. beginnend mit „Das Wesen der Voraussetzungen …“ bis hierher ist als Auszug in Adenauer, Erinnerungen 1945–1953, S. 420–421 veröffentlicht. 28  Diesen Teil des Satzes unterstrich Adenauer und setzte daneben ein großes Fragezeichen. 29  Diesen Satz strich Adenauer beginnend mit „zeugen nicht davon …“ am linken Rand doppelt an. 30  Wahrscheinlich spielte Schumacher hier auf den Koreakrieg an, wo zunächst (vgl. Dok. 41, Fn. 7) die Südkoreaner den Angriff der Nordkoreaner nur mit fremder Hilfe knapp abwehren konnten und danach (vgl. Dok. 59, Fn. 8) der Versuch scheiterte, Korea mit Hilfe der USA militärisch wiederzuvereinen. 31  Diesen Satz strich Adenauer am linken Rand an und notierte dazu: „Wer sagt das?“

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XI. [internationale Lastenverteilung32] Die internationale Lastenverteilung für die militärische Verteidigung der Demokratie ist eine andere unerlässliche Voraussetzung. Auch hier müsste die Initiative von der Bundesregierung ausgehen. Die Opposition hat im Herbst 1950 auf die verschiedene Bedeutung und das verschiedene Gewicht der Forderungen an die einzelnen Völker hingewiesen,33 wenn diese Forderungen auch scheinbar gleichmässig an alle Völker gerichtet sind. Zu den Unterschieden in den realen Einkommen, dem Lebensstandard und der Beschäftigungslage treten in Deutschland erschwerend noch die zusätzlichen Lasten für die Vertriebenen, die Opfer des Krieges und den Wiederaufbau. Diese Lasten kennt man in den anderen Ländern nicht oder in einem viel geringeren Umfang. Hier wären eine deutsche Aufklärungskampagne und ein geplantes Vorgehen auf dem diplomatischen Verhandlungswege in jedem Falle nötig. Schon die soziale Widerstandskraft der Demokratie würde das Bemühen um einen internationalen Ausgleich innerhalb einer solidarischen demokratischen Welt dringend machen. Ein militärischer Beitrag aber ohne die Klärung dieser Voraussetzungen kann gar nicht ernstlich diskutiert werden.34 Das Anwachsen der Besatzungskosten,35 das geringe Verständnis für die Unmöglichkeit der alliierten Politik auf diesem Gebiete und das zögernde und unzulängliche Abstellen von Mißständen zeigt die finanzielle und moralische Unmöglichkeit in dem bisherigen oder einem nur wenig geänderten Stil fortzufahren. Nicht die Bekämpfung von Einzelauswüchsen, sondern die Änderung des Systems stehen hier zur Entscheidung. XII. [militärische Kräftekonzentration] Die militärische Kräftekonzentration der westlichen Demokratien, das heisst vor allem der Angelsachsen, ist die entscheidende machtpolitische Voraussetzung eines deutschen militärischen Beitrags.36 Ohne eine solche stählerne Mauer ist das Verlangen nach einem militärischen Beitrag der Deutschen nicht zumutbar und bedeutet die Aufforderung zur Selbstaufopfe32  Diese Abschnittsnummer unterstrich Adenauer dick doppelt. Den nachfolgenden Satz strich er links an und notierte „ja“. 33  Auf einer Pressekonferenz zur Haltung der Sozialdemokratischen Partei zu deutschen Kontingenten hatte Schumacher am 24. Oktober 1950 an die Kosten der „Remilitarisierung“ erinnert und davor gewarnt, durch eine zu hohe Steuerbelastung der Westdeutschen „das soziale Fundament der Demokratie“ zu schwächen. In diesem Zusammenhang forderte er einen stärkeren Beitrag der Westmächte, vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25. Oktober 1950, S. 1. 34  Dieser Satz ist links mit hartem Bleistift (vgl. Fn. 1) angestrichen. 35  Vgl. dazu Dok. 41, Fn. 13. 36  Dieser Satz ist links mit hartem Bleistift (vgl. Fn. 1) angestrichen.



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rung. Das Ziel jeder deutschen Politik muss sein, die Zerstörung des Landes und die Vernichtung seiner Menschen und Wirtschaftskräfte zu verhindern. Man hat zu bejahen, was diesem Ziel mit Aussicht auf Erfolg dient. Man muss verneinen, was nur negative Ergebnisse zeitigen muss. Dieses Ziel zu erreichen ist objektiv möglich, wenn der Wunsch des ganzen Volkes sich einheitlich und unverrückbar darauf richtet. Die militärischen Kräfte der Alliierten, wie sie heute auf deutschem Boden vorhanden sind und die versprochene Verstärkung sind nicht ausreichend.37 Die Umgruppierung und Verstärkung der militärischen Machtmittel des Westens, wie sie notwendig wären, um einem russischen Angriff offensiv zu38 antworten, hätte zur Voraussetzung eine Veränderung der militärischen Kräftegruppierung in der Welt. Um die Schwerpunktbildung an der entscheidenden Stelle zu sichern,39 wäre sehr viel in dem System der Weltpolitik der westlichen Mächte zu ändern. Der Kampf um diese Änderung muss aufgenommen werden. Die entscheidende Waffe ist die Festigkeit und Einmütigkeit in der Behauptung gerade dieser Voraussetzung, ohne deren Erfüllung die deutsche Entscheidung negativ sein muss. XIII. [Gemeinsamkeit ist Gleichheit] Gemeinsamkeit ist Gleichheit in den Bedingungen und Voraussetzungen innerhalb der westlichen Welt.40 Von dieser Gemeinsamkeit wird viel gesprochen, aber jeder versteht etwas anderes darunter. Die Deutschen werden aufgefordert, ihre Gleichberechtigung als etwas gegenwärtig bereits Vorhandenes41 zu betrachten und sich danach einzurichten. Tatsächlich aber halten die Alliierten selbst die deutsche Gleichberechtigung nur für eine Möglichkeit der Zukunft. Jede Politik ist zu Scheitern verurteilt, die sich bemüht, die Gleichberechtigung mit militärischen Beiträgen zu erkaufen.42 Das Ergebnis ist immer die tatsächliche Ungleichheit zu Gunsten des anderen Teils. Die politische Gleichberechtigung ist die Voraussetzung eines militärischen Beitrags und nicht sein Ergebnis.43 37  Diesen

Satz strich Adenauer links mit Bleistift an. beiden Wörter unterstrich Adenauer. 39  Dieser Teil des Satzes ist mit hartem Bleistift (vgl. Fn. 1) unterstrichen. Am linken Rand ist dazu (nicht von Adenauer) vermerkt: „Die ist aber voraussichtlich nicht Westeuropa“. 40  Diesen Satz strich Adenauer links an und notierte dazu: „ja“. 41  Diese Wörter unterstrich Adenauer und notierte dazu: „Wo denn?“ 42  Diese Wörter unterstrich Adenauer und notierte dazu: „ja“. 43  Dieser Satz ist mit hartem Bleistift (vgl. Fn. 1) links angestrichen. Die Passage in Abschnitt XIII. beginnend mit „Gemeinsamkeit ist Gleichheit …“ bis hierher ist als Auszug in Adenauer, Erinnerungen 1945–1953, S. 421 veröffentlicht. 38  Diese

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Man weiss auf alliierter Seite nicht, was man mit dem deutschen Volk politisch beginnen will. Trotzdem versucht man die Deutschen militärisch zu beanspruchen. Damit hat man ein verhängnisvolles Durcheinander geschaffen. Man verlangt Vorleistungen, die machtmässig und moralisch nicht getragen werden können. Man wickelt das in eine Theorie von der „Parallelität der Leistungen“ ein, die es nicht geben kann unter so ausserordentlich verschiedenen Bedingungen, Ausgangspunkten und Gefahrensmomenten. XIV. [Politische Ungleichheit] Die politische Ungleichheit kann nur durch eine grundlegende Änderung der Beziehungen der Mächte zu Deutschland beseitigt werden. Die neuen Beziehungen dürfen weder nach Form noch nach Inhalt die von besetzenden Mächten und besetztem Lande sein. Bis heute wird jede Erleichterung von der Erfüllung zahlreicher Voraussetzungen abhängig gemacht. Die Beschlüsse der New Yorker Aussenministerkonferenz,44 die zur Zeit ihrer Verkündung schon überholt waren, sind heute noch nicht durchgeführt. Man sucht vor Zustandekommen der Gleichheit noch möglichst viel Sondervorteile zu erreichen und scheut dabei nicht vor Schwächungen eines Volkes zurück, von dem man auf anderen Gebieten die Leistungen eines Starken verlangt. Man will nicht einsehen, dass die Verhinderung eines lebenskräftigen Deutschland45 tatsächlich die Verhinderung eines starken Europa ist. Man propagiert Europa, aber man versucht, ein Kleinsteuropa zu schaffen, das militärisch, ökonomisch und politisch ein Instrument französischer Hegemoniebestrebungen wäre. Das Petersberger Abkommen, die Behandlung der Saarfrage, die Ungleichheit im Europäischen Rat von Strassburg, die Ruhrbehörde46 und der Schumanplan sind Beispiele,47 wie sehr man Gemeinsamkeit zum Deckmantel für Egoismus benutzt und wie fern man der tatsächlichen Gleichheit der euro­ päischen Völker ist.48 44  Vgl.

Dok. 48, Fn. 3. „lebenskräftigen Deutschland“ ist maschinenschriftlich durchgestrichen „starken Europa“. 46  Mit „Ruhrbehörde“ ist die durch das am 28. April 1949 geschlossene Abkommen zwischen Großbritannien, Frankreich, den USA und den Beneluxstaaten – auch als „Ruhrstatut“ bezeichnet – errichtete Internationale Ruhrbehörde gemeint, die Aufsichtsrechte dieser Staaten über die westdeutsche Schwerindustrie im Ruhrstatut wahrnahm. Durch das Petersberger Abkommen (vgl. Dok. 4, Fn. 11) akzeptierte die Bundesregierung das Ruhrstatut. Zur Saarfrage vgl. Dok. 18, Fn. 11; Zum Europarat Dok. 17, Fn. 2. Zum Schuman-Plan vgl. Dok. 39, Fn. 25. 47  Dieser Teil des Satzes ist mit hartem Bleistift (vgl. Fn. 1) links angestrichen. 48  Die Passage in Abschnitt XIV. beginnend mit „Das Petersberger Abkommen …“ bis hierher ist als Auszug in Adenauer, Erinnerungen 1945–1953, S. 421 veröffentlicht. 45  Vor



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XV. [Militärische Ungleichheit] Die militärische Ungleichheit steht jetzt im Vordergrund der internationalen Praxis gegenüber Deutschland. Die angekündigte Konferenz in Paris geht von den Ergebnissen der Brüsseler Konferenz vom Dezember 1950 als der Grundlage der Beratungen aus.49 Alle deutschen Stellen gegenüber abgelegten Beteuerungen, dass „Deutschland wichtiger sei als Frankreich“ helfen nicht darüber hinweg, dass die Brüsseler Konferenz weitgehend die Durchsetzung der französischen Wünsche bedeutet. Die Brüsseler Beschlüsse zeigen den festen Willen, die Grundlagen des Plevenplans50 aufrechtzuerhalten. Die offizielle Darstellung der Franzosen über den Besuch ihres Ministerpräsidenten in Washington gibt die Zustimmung des amerikanischen Präsidenten zu den Grundlinien dieser Politik bekannt. Brüssel51 aber bedeutet eine privilegierte Stellung der Alliierten, das heisst praktisch der Franzosen,52 in der Kontrolle, das heisst tatsächlich der Verfügung und Gestaltung der Einheiten eines deutschen militärischen Beitrags. Brüssel bedeutet weiter, dass die Deutschen in der Qualität ihrer Verbände und deren Bewaffnung sich zu ihren Ungunsten von anderen Verbänden unterscheiden sollen. Man verweigert auch die militärische Mitwirkung bei der Verfügung über die gemeinsame Streitmacht.53 Man will den Deutschen kämpfen lassen und rüstet ihn nicht ausreichend gegenüber einem solchen Gegner wie der „Roten Armee“ aus. Man drängt ihn in die Partisanenrolle und weist ihm die Funktionen des hinhaltenden Widerstandes zu. 49  Die angekündigte Konferenz in Paris begann am 15. Februar 1951 und befasste sich auf der Grundlage des Pleven-Plans (vgl. Fn. 50) mit der Organisation einer europäischen Armee. In Brüssel hatten sich am 18. und 19. Dezember 1950 die Verteidigungs- und Außenminister der NATO-Staaten getroffen und einen Kompromiss für einen deutschen Verteidigungsbeitrag gefunden, der zusammen mit den übrigen Beschlüssen in einem Kommuniqué veröffentlicht wurde, vgl. AdG 20 (1950), S. 2723. Vgl. auch Schumachers unmittelbare Stellungnahme vom 19. Dezember 1950, ebenda, S. 2724. 50  Gemeint ist der am 24. Oktober 1950 durch den französischen Ministerpräsidenten René Pleven in der Pariser Nationalversammlung vorgestellte Plan für eine europäische Armee, in die „auf Basis der kleinstmöglichen Einheit“ auch deutsche Truppenkontingente integriert werden sollten. Diese Armee sollte einem gemeinsamen europäischen Verteidigungsministerium unterstehen und unter europäischem Befehl „gemäß den Verpflichtungen des Atlantikpaktes operieren“, vgl. DzD II, 3, S. 392– 396 (zu den Zitaten vgl. S. 394 und 395). Spätere Verhandlungen über die angestrebte Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) mündeten in den am 27. Mai 1952 unterzeichneten EVG-Vertrag, vgl. Dok. 131, Fn. 6. 51  Dieses Wort unterstrich Adenauer und setzte daneben ein großes Fragezeichen. 52  Diese Wörter sind mit hartem Bleistift (vgl. Fn. 1) unterstrichen. 53  Die beiden vorangegangenen Sätze sind mit hartem Bleistift (vgl. Fn. 1) links angestrichen.

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Die ganze Konzeption geht davon aus, dass man Deutschland als weniger verteidigungswert und verteidigungswürdig betrachtet als die anderen Länder. Hier wird Deutschland eindeutig die Rolle des Vorfeldes zugewiesen. XVI. [heutige Bedingungen] Unter den heutigen Bedingungen geschaffene militärische Einheiten sind kostspielig, gefährlich und zwecklos. Die Aussicht auf den Erfolg begründet das moralische Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergebenen. Man wird also die geistig und moralisch besten Elemente bei solchen Gegeben­ heiten nur abschrecken. Nach Moral, Gliederung und Ausrüstung wäre eine solche Truppe nicht in der Lage, ihr Land zu schützen. Dagegen ist sie gegenüber dem demokratischen Staatsaufbau eine Gefahr.54 Das führt zu neuen Entfremdungen zwischen Demokratie und Militär, zwischen den arbeitenden Massen und den Soldaten. Der militärische Beruf darf nicht ein privilegierter Broterwerb werden, sondern muss Ausdruck und Bekenntnis des demokratischen Staates sein. Bei einem Angriff aus dem Osten wäre diese Truppe weder willens noch in der Lage, Entscheidungskämpfe zu bestehen. Sie steht vor der Frage, sich schleunigst zurückzuziehen oder zu den Sowjets überzugehen und deren militärisches Potential zu verstärken. Ein Tauroggenmythos55 stellt sich dann schon zur rechten Zeit als Rechtfertigung ein. XVII. [kommende Konferenz der vier Aussenminister] Die kommende Konferenz der vier Aussenminister56 trägt nicht ausschliesslich oder auch nur überwiegend57 „die denkbar grösste Gefahr für 54  Dieser

Satz wurde von Adenauer unterstrichen. ist der durch die Konvention von Tauroggen geschlossene preußischrussische Waffenstillstand vom 30. Dezember 1812, durch den Preußen aus dem Feldzug Napoleons ausschied und eine Periode preußisch-russischer Waffenbrüderschaft im Kampf gegen den französischen Kaiser begründete. 56  Die drei Westmächte hatten am 23. Januar 1951 auf die an sie gerichteten Noten der UdSSR vom 30. Dezember 1950 zur Einberufung einer vorbereitenden Beratung von Vertretern für eine neue Konferenz der vier Siegermächte des Zweiten Weltkrieges geantwortet (vgl. zum vorangegangenen Notenwechsel Dok. 61, Fn. 3). Sie hatten dem Tagungsort Paris zugestimmt, aber von der UdSSR verlangt, neben Deutschland auch andere internationale Probleme in die Tagesordnung aufzunehmen (vgl. AdG 21 [1951], S. 2785–2786). Daraufhin hatte sich die UdSSR in ihrer Antwortnote vom 5. Februar 1951 damit einverstanden erklärt, neben Deutschland auch andere Probleme auf die Tagesordnung zuzulassen und die Vorbesprechung auf deren Abstimmung zu beschränken (vgl. DDS  1, S. 264–267). Darauf antworteten die Westmächte mit einer am 19. Februar 1951 in Moskau überreichten Note, die davon ausging, „daß die Sowjetregierung nichts dagegen einzuwenden hat, daß die Vertreter der vier Regierungen in Vorbesprechungen eine Tagesordnung vorbereiten, die alle Ursa55  Gemeint



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das deutsche Volk und für Europa“ in sich. Selbst bei einer sehr zurückhaltenden Beurteilung ihrer Möglichkeiten kann sie im Negativen kaum mehr bringen als ihr Scheitern. Das bedeutet das Verbleiben auf dem bisherigen Stand. In jedem Fall schafft die Viererkonferenz grössere Klarheiten. Das kann sich auch auf die Frage des deutschen militärischen Beitrags, seine Notwendigkeit oder seine Zwecklosigkeit auswirken. Eine deutsche Bereitschaftserklärung vor der Viererkonferenz ist zwecklos,58 denn sie ändert an der Machtverteilung zwischen Ost und West nichts und die Alliierten würden sich dadurch gegenüber den Deutschen zu nichts verpflichtet fühlen.59 Eine Viererkonferenz, die, wie anzunehmen ist, keine letzte Entscheidung bringt, ist auch nicht die letzte Viererkonferenz. Die Sorge, dass „Deutschland dadurch dem Ostblock ausgeliefert würde“, findet in nichts seine Begründung. Am allerwenigsten wären die Angelsachsen geneigt, die Bundesrepublik in ein östliches System übergehen zu lassen. Es gibt keinen Fall, in dem sie die Wirtschaftskräfte Westdeutschlands den Sowjets überlassen würden. Das deutsche Volk selbst hat wie die ganze demokratische Welt auch ein positives Interesse an der Klärung der politischen Lage durch die Viererkonferenz. XVIII. [deutsche Einheit] Die deutsche Einheit bedeutet keine Vergrösserung der russischen Chancen, wenn die Einheit auf demokratischer Grundlage entsteht.60 Es kommt alles darauf an, dass diese Einheit das Ergebnis einer demokratischen Willensbildung ist. Eine deutsche Nationalversammlung müsste also nicht nur eine verfassunggebende sondern auch eine regierungsbildende Nationalversammlung sein. Die Voraussetzungen dieser deutschen Einheit sind nicht nur die Angleichung des privaten und öffentlichen Rechts an die Prinzipien der westlichen Freiheit. Sie gehen vor allem davon aus, dass diese Freiheit zuerst unrevidierbar tatsächlich geschaffen wird. Die Machtmittel des Staates müssen in allen Teilen Deutschlands auf denselben Stand gebracht werden. Hierin und in der Gleichheit der Voraussetzungen für die Alliierten selbst liegen die chen der Spannungen in Europa umfaßt, darin eingeschlossen der jetzige Stand der Rüstungen, die Probleme Deutschlands und der Staatsvertrag mit Österreich“, vgl. AdG 21 (1951), S. 2825. Vgl. zu diesem Notenwechsel auch FRUS 1951 III, S. 1048–1085. 57  Von Adenauer unterstrichen. 58  Von Adenauer unterstrichen, links angestrichen und mit zwei Ausrufezeichen gekennzeichnet. 59  Der Satz ist beginnend mit „und die Alliierten …“ von Adenauer links angestrichen und mit einem Ausrufezeichen versehen. 60  Von Adenauer unterstrichen.

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Bedingungen, unter denen allein entscheidende Schritte zur Einheit gemacht werden können.61 Die Erfahrungen der letzten drei Jahre düften die letzten Illusionen bei den Angelsachsen zerstört haben. Deutschland ist für sie etwas anderes im Frieden als im Krieg. Eine bevorrechtete Chance in Deutschland für die Sowjets wäre der Verlust Europas ohne Kampf. Das weiss man in Washington und in London ebenso gut wie in der Bundesrepublik. Im übrigen kann man wohl nicht gut die Besorgnisse vor den Gefahren, die aus den Begleitumständen der deutschen Einheit erwachsen könnten, stark in den Vordergrund stellen und zur gleichen Zeit meinen Brief vom 31.  Januar  5162 bejahen, in dem ich von der Viererkonferenz verlange, die Voraussetzungen für die freien Wahlen als der Grundlage der deutschen Einheit zu schaffen.63 XIX. [Folgen einer Beteiligung] Die Folgen einer Beteiligung an der militärischen Aufrüstung der westlichen Welt müssen unter den heutigen64 Gegebenheiten und Bedingungen eindeutig negativ gesehen werden. Im Gegensatz zu weitverbreiteten Illusionen kann in keinem Fall ein deutscher militärischer Beitrag im Rahmen des jetzt Möglichen und von den westlichen Alliierten Gewollten Deutschland vor dem Schicksal bewahren, „Kriegsgebiet“ zu werden. Es gibt auch kein verbindliches und bindendes Versprechen irgendeines verantwortlichen Alliierten, der den Deutschen die Vermeidung dieses Schicksals verspricht. Leider gibt es in Deutschland Kräfte, die von sich aus im eigenen Volke Vorstellungen nähren, die die Alliierten selbst zu erwecken sich nicht unterfangen. Die heutigen Möglichkeiten eines deutschen militärischen Beitrags gehen von einer defensiven Auffassung aus. Wenn nicht der Wunsch durchgesetzt wird, dass eine solche Konzentration der militärischen Kräfte der westlichen Alliierten in Mitteleuropa erfolgt, dass sie zusammen mit den Deutschen einen russischen Angriff offensiv im Bewegungskrieg beantworten können, dann ist im Kriegsfall die Ostzone aufgegeben und Berlin den Sowjets ausgeliefert. Die deutsche Aufrüstung unter heutigen Voraussetzungen verstärkt die aktuellen Gefahren gerade für Berlin. Es gibt nichts, was Berlin mehr

61  Diesen

Absatz strich Adenauer links an und notierte dazu: „ja“. Dok. 65, Fn. 7. 63  Diesen Absatz strich Adenauer links an und versah ihn mit einem großen Fragezeichen. 64  Die hier und im Folgenden kursiv hervorgehobenen Wörter und Sätze sind von Adenauer ohne weitere Randbemerkungen unterstrichen. 62  Vgl.



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bedroht als das Entgegenkommen gegenüber Aufrüstungswünschen unter den heutigen Verhältnissen. XX. [Folgen einer deutschen Nichtbeteiligung] Die Folgen einer deutschen Nichtbeteiligung können nicht negativ und im Sinne alliierter Pressionen gesehen werden. Die deutsche Nichtbeteiligung unter den heutigen Voraussetzungen heisst nicht die Nichtbeteiligung unter Voraussetzungen, die dem deutschen Volk die Aussicht auf Erhaltung seines Lebens geben. Eine Bejahung unter den jetzt uns angebotenen Gegebenheiten schafft nur neue Gefahren. Eine Verneinung bis zur Erfüllung der notwendigen Voraussetzungen ist besonders bei sozialer Kräftigung des Volkskörpers und politischem Selbstbewusstsein gegenüber dem Totalitarismus mindestens keine Verschlechterung gegenüber dem bisherigen Zustand. Auch die Bundesregierung hat durch ihre Erklärung vom 8. November 1950 vor dem Deutschen Bundestag65 von Voraussetzungen gesprochen. Die Welt aber hat nur ein Ja zur vorbehaltlosen deutschen Bereitwilligkeit herausgehört und so gehandelt, als ob von Voraussetzungen überhaut nicht die Rede gewesen sei.66 Eine eventuelle neue Erklärung der Bundesregierung in diesem Sinne wäre entscheidend in ihrem Wert gemindert, wenn sie in dieser inneren und äusseren Situation abgegeben würde. Die Welt und das deutsche Volk würden daraus nur ein vorbehaltloses Bekenntnis zu den gegenwärtigen Vorstellungen der Alliierten herauslesen. Das Nichtvorhandensein der notwendigen Voraussetzungen schliesst eine solche Erklärung des Bundestags und der Bundesregierung aus. Es besteht genügend Anlass zur Befürchtung, dass bei der heutigen Machtverteilung in der Welt die Erklärung auch ohne Erfüllung der Voraussetzungen wirksam werden würde. PA AA, B 2-VS, Bd. 199A. 65  Vgl. Dok. 50, Fn. 5. Zur Leistung eines westdeutschen Verteidigungsbeitrags hatte Adenauer bei dieser Gelegenheit erklärt: „Es ist ganz klar, daß Voraussetzung für jeden Widerstand Deutschlands gegen irgendeine Aggression die Herbeiführung möglichst guter und ausgeglichener sozialer Verhältnisse im Innern ist. Bei der Beantwortung der Frage, ob Deutschland, wenn es darum gefragt wird, sich beteiligen soll, ist davon auszugehen, daß es sich bei dieser Aktion darum handelt, den Frieden zu retten, und daß die Bildung einer solchen Schutzfront für den Frieden die einzige Möglichkeit ist, den Krieg zu verhüten … Voraussetzung für die Leistung eines solchen Beitrags ist die völlige Gleichberechtigung Deutschlands in dieser Abwehrfront mit den übrigen an ihr teilnehmenden Mächten und ferner eine Stärke dieser Abwehrfront, die genügt, um jede russische Aggression unmöglich zu machen.“ Vgl. BT Stenographische Berichte, 98. Sitzung, 8. November 1950, S. 3565 und 3567. 66  Diesen Absatz strich Adenauer links an.

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67. Schreiben des Generalkonsuls I. Klasse Du Mont an Ministerialdirektor Blankenhorn 

Den Haag, 8. Februar 19511

Sehr geehrter, lieber Herr Blankenhorn, wie ich von einem holländischen Politiker höre, haben dieser Tage2 in dem im amerikanischen Sektor gelegenen Hause des Probstes Grüber3 Besprechungen zwischen dem stellvertretenden Ministerpräsidenten des Ostzonenregimes, Herrn Nuschke und den Herren Gereke,4 Heinemann und Niemöller stattgefunden. Zweck dieser Zusammenkunft soll die Orientierung der Ostzonenregierung über die neuen Vorschläge gewesen sein, die nach der Ablehnung der östlichen Wiedervereinigungsangebote5 durch den Herrn Bundeskanzler gemacht werden müssten, um einen möglichst starken Widerhall in der Bundesrepublik zu finden.6 Ich nehme an, dass Sie über diese Vorgänge bereits unterrichtet sind, habe aber auf alle Fälle meinen Freund Lemmer gebeten, mir mitzuteilen, ob er Näheres hierüber wisse. Mit herzlichen Grüssen Ihr sehr ergebener Du Mont7 PA AA, B 2-VS, Bd. 105A.

1  Original. Am linken Rand notierte Blankenhorn am 10. Februar 1951 dazu: „Der Herr Bundeskanzler hat Kenntnis“. Darunter: „zu den Akten“ mit Paraphe Blankenhorns und Datum vom 10. Februar 1951. Daneben der Vermerk: „GrotewohlBrief“ mit unleserlichen Kurzzeichen. „G[rotewohl]. Br[ief].“ ist auch unter dem Datum vermerkt. 2  Diese und die nachfolgend kursiv hervorgehobenen Wörter sind handschriftlich unterstrichen. 3  Für ein solches Treffen konnten keine weiteren Belege ermittelt werden. Bereits am 10. Januar 1951 hatte im Haus von Propst Grüber ein Treffen Heinemanns mit den SED-Politikern Axen und Dahlem stattgefunden, vgl. dazu Dok. 53, Fn. 9. 4  Im Original irrtümlich: Gerike. Zu Gerekes früheren Ostkontakten und seinem Ausschluss aus der CDU vgl. Dok. 8 und dort Fn. 4 sowie Dok. 39, Fn. 19. Der ehemalige niedersächsische Landwirtschaftsminister siedelte im Juli 1952 in die DDR über. 5  Zur Verunsicherung der niederländischen Regierung betr. eine deutsche Wiedervereinigung und den Erklärungen Du Monts dazu vgl. das Fernschreiben Nr. 19 des bundesdeutschen Vertreters in Amsterdam Du Mont, z. Z. Den Haag, an die Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten vom 6.  Februar 1951, AAPD (1951), S. 94–95.



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68. Schreiben des Generalkonsuls I. Klasse Krekeler an Ministerialdirektor Blankenhorn Vertraulich, persönlich, geheim

New York, 19. Februar 19511

Lieber Herr Blankenhorn! Soeben habe ich die Aufzeichnung mit den Gedankengängen des Herrn Bundeskanzler zur gegenwärtigen Lage erhalten.2 Ich verstehe ganz besonders die Besorgnis, welche daraus in Bezug auf die möglichen Verwicklungen hervorgeht, welche die Viermächtekonferenz3 herbeiführen kann. Schon die Schatten dieser Konferenz haben überall Verwirrung hervorgerufen. Ich schreibe Ihnen nun heute, um an einige Gedankengänge anzuknüpfen, die ich Herrn Böker bereits mit auf den Weg gegeben habe. Sie haben ihren Niederschlag in meinem Bericht Nr. 278/51 vom 19. Februar gefunden,4 den zu lesen ich Sie bitten möchte.5 Ich glaube, dass wir nicht nur die russische Position, sondern auch die französische Haltung zu dieser Konferenz schon vor ihrem Beginn in gewis6  Möglicherweise diente dieses Treffen der Vorbereitung einer gesamtdeutschen Parteigründung, wie sie laut einer Aktennotiz des Amts für Informationen der DDR vom 11. Januar 1951 auf Initiative von Nuschke, Niemöller, Heinemann und Dibelius und mit der Unterstützung von Gereke und anderen zwischen der Ost-CDU und der CSU im Gespräch gewesen sei. Diese Initiative führte zu keinem Ergebnis, vgl. Amos, Westpolitik, S. 110 und dort Anm. 65. 7  Handschriftlich. 1  Original. Rechts unter dem Datum findet sich der Vermerk Dittmanns vom 25. Februar 1951: „Herrn Limbourg, mit der Bitte um Beiziehung des Berichts Nr. 278/51“. Darüber setzte Hallstein ohne Datum seine Paraphe. Daneben: „erledigt“ mit unleserlichen Kurzzeichen und Datum vom 14. März 1951. Am äußeren linken Rand: „Zu den Akten“ mit unleserlichem Kurzzeichen und Datum vom 27. März 1951. 2  Gemeint sind offensichtlich Adenauers ursprünglich für den SPD-Vorsitzenden Schumacher bestimmte Aufzeichnungen „Gedanken zur gegenwärtigen Lage“ vom 31. Januar 1951. Adenauer druckte sie in seinen Erinnerungen 1949–1953 ab. Adenauer legte darin eingangs seine Befürchtungen dar, dass der „aggressive Imperialismus Sowjetrußlands … nicht an der Elbe haltmacht“ und die UdSSR auf einer von ihm als bevorstehend angenommenen „Viererkonferenz … die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands, seine Neutralisierung und Demilitarisierung und Räumung beantragen“ werde. Darin erblickte Adenauer „die denkbar größte Gefahr für das deutsche Volk und für Europa“, vgl. Adenauer, Erinnerungen 1949–1953, S. 416–419. 3  Gemeint ist die geplante Ratssitzung der Außenminister der vier Mächte, deren Tagesordnung in am 5. März 1951 beginnenden Vorerhandlungen festgelegt werden sollte, vgl. Dok. 66, Fn. 56. Die Vorverhandlungen scheiterten, die Viererkonferenz fand nicht statt. 4  Dieser Bericht konnte im PA AA nicht ermittelt werden. 5  Die letzten zwei Zeilen dieses Absatzes sind links doppelt angestrichen.

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ser Beziehung beeinflussen können, wenn wir neben der Abhaltung freier Wahlen, der vorherigen Entlassung aller Insassen der Sowjetzonen-Konzen­ trationslager auch die völlige Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit in der Ostzone mit allen ihren Konsequenzen als ein schlechthin unabdingbares Postulat erklären. Wir sollten uns dabei bewusst auf diejenigen Delikte beschränken, die in den Bereich des Strafrechts fallen, weil es schwer sein wird hinsichtlich der wirtschaftspolitischen Massnahmen, welche die Kommunisten in der Ostzone getroffen haben, in Westdeutschland eine gemeinsame Basis zu finden. Ich bin aber der Überzeugung, dass mit Ausnahme der Kommunisten alle Parteien in Westdeutschland bereit sein werden, eine Forderung zu unterstützen, die auf Sühne von Verbrechen wie Nötigung, Freiheitsberaubung und ähnliches abzielt. Ich möchte auch in diesem Schreiben nicht unerwähnt lassen, dass ich mir natürlich bewusst bin, wieviel mir an Informationen und Kenntnis der Zusammenhänge fehlt, um einen solchen Vorschlag nach jeder Richtung hin begründen zu können. Es mag Zusammenhänge geben, von denen ich keine Kenntnis habe, welche gegen ihn sprechen. Von meinem Gesichtswinkel hier aus gesehen ist er aber, so glaube ich, richtig. Mit herzlichen Grüssen, Ihr Krekeler6 PA AA, B 130, Bd. 3215A.

69. Schreiben des Leiters der Dritten Europäischen Abteilung Gribanov an den stellvertretenden Außenminister Gromyko Geheim

24. Februar 19511

An Gen. A. A. Gromyko In der deutschen Presse sind einige Mitteilungen erschienen, dass die ­ ohen Kommissare der USA, Englands und Frankreichs in WestdeutschH land offiziell die Bonner Regierung von Ihrer Absicht unterrichtet hätten, sie über den Verlauf der bevorstehenden Konferenz der vier Außenminister

6  Handschriftlich.

1  Original an Gromyko. Das Dokument hat die Ausgangsnummer der Dritten Europäischen Abteilung 3851/3eo und erhielt am 24. Februar 1951 die Eingangsnummer 1305 des Sekretariats Gromykos.



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und über die Vorkonferenz der Vertreter der vier Mächte in Paris zu informieren.2 Dieser Schritt der Hohen Kommissare ist eindeutig auf eine propagandistische Wirkung angelegt, und mit ihm soll auch versucht werden, in der öffentlichen Meinung die in der letzten Zeit ins Wanken geratene Autorität Adenauers wieder zu heben.3 Bei einer der Unterredungen mit Gen. Puškin hat Dertinger einmal vorgefühlt, ob nicht die sowjetische Regierung beabsichtigt, in irgendeiner Form Vertreter der DDR in die Arbeit der bevorstehenden Tagung des Rates der Außenminister miteinzubeziehen (Telegramm des Gen. Puškin Nr. 110–111).4 In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, von sowjetischer Seite irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen, analog zu denen, welche die Hohen Kommissare der drei Mächte umgesetzt haben. Es wäre für unsere Seite angebracht, in dieser Frage die folgende Position einzunehmen: 1. Die Genossen Semenov und Puškin sollten beauftragt werden, Pieck, Grotewohl oder Ulbricht bei dem nächsten Treffen davon zu unterrichten, dass sie die Regierung der DDR sowohl über die Vorkonferenz der Vertreter der vier Mächte in Paris als auch über die Tagung des Rates der Außenminister informieren werden. 2.  Die Frage, ob die Regierung der DDR sich an die Tagung des Rates der Außenminister wenden soll, um ihren Standpunkt zum deutschen Problem zu erläutern, sollte so lange in der Schwebe gehalten werden, bis die Haltung des Bonner Bundestages gegenüber dem Vorschlag der DDR-Volkskammer,5 gemeinsam an die vier Mächte die Bitte zu richten, den Punkt „Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland im Jahre 1951“ in die Tagesordnung

2  Etwas abweichend hieß es in einer Meldung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 23. Februar 1951 auf S. 3: „Bundeskanzler Dr. Adenauer hat am Donnerstag den Beschluß der Oberkommissare, die Bundesregierung in weitestgehendem Umfang über den Verlauf einer Viererkonferenz zu unterrichten, begrüßt. Es werde jedoch notwendig sein, die Bundesregierung ebenso über den vollen Umfang der kommenden Pariser Vorverhandlungen in Kenntnis zu setzen. Das deutsche Volk habe ein Anrecht darauf, über den Verlauf einer Konferenz zu erfahren, die unter Umständen über sein zukünftiges Schicksal entscheide.“ 3  Zum ersten Absatz vermerkte Gromyko: „Zu der Frage später zurückkehren“. 4  Dieses Telegramm von Puškin konnte im AVP RF nicht ermittelt werden. 5  Die Vorsitzenden der Fraktionen aller in der Volksammer vertretenen Parteien und Organisationen appellierten am 2. März 1951 an den Bundestag, „unverzüglich“ vorzuschlagen, die „Vorbereitung … eines Friedensvertrages mit Deutschland noch im Jahre 1951“ auf die Tagesordnung einer zukünftigen Sitzung des Rats der Außenminister zu setzen. Erbeten wurde eine Antwort innerhalb von zwei Tagen, vgl. Neues Deutschland, 3. März 1951, S. 1.

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der Tagung des Rates der Außenminister aufzunehmen, geklärt ist.6 Sollte der Bonner Bundestag diesen Vorschlag abschlägig bescheiden, wird die Regierung der DDR diesen Vorschlag an die vier Mächte richten.7 3.  Aufgrund politischer Erwägungen würde ich es als sinnvoll betrachten, wenn auf der Tagung des Rates der Außenminister der sowjetische Vertreter den Vorschlag vorbrächte, zur Tagung eine deutsche Delegation, die zu gleichen Teilen aus ostdeutschen und westdeutschen Mitgliedern bestünde, einzuladen, die ihren Standpunkt zu deutschen Fragen zu Gehör bringen könnte. Den gleichen Vorschlag hatte die sowjetische Delegation auf der fünften Tagung des Rates der Außenminister eingebracht;8 dieser war jedoch von den Vertretern der drei anderen Mächte zurückgewiesen worden. Um zu den oben aufgeführten drei Vorschlägen eine Beschlussfassung herbeizuführen, erschiene mir die folgende Vorgehensweise als sinnvoll: Der erste Punkt sollte dem Gen. V.M. Molotov und, falls notwendig, auch der Instanz vorgestellt werden, zusammen mit dem Entwurf der Weisungen an den sowjetischen Vertreter auf der Vorkonferenz in Paris.9 Zum zweiten Punkt haben wir einen separaten Bericht an die Instanz zum Telegramm der Gen. Čujkov und Semenov vorbereitet.10 6  Der Bundestag reagierte in seiner Sitzung vom 9. März 1951 (auf der Adenauer eine Regierungserklärung zur Außenministerkonferenz und zur deutschen Frage abgab) nur indirekt auf den Vorschlag der Volkskammer. Lediglich der Vertreter der KPD-Fraktion bezog sich in seinem Redebeitrag ausührlich auf den Volkskammerappell, vgl. BT Stenographische Berichte, 125. Sitzung, 9. März 1951 (vgl. dazu auch die Berichterstattung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 10. März 1951, S. 1 und 3). 7  Am 5. März 1951 wandte sich nicht die Regierung der DDR, sondern Volkskammerpräsident Dieckmann mit einem Appell gleichen Inhalts wie der vorangegangene Volkskammerappell vom 2. März in gleichlautenden Schreiben an die Regierungschefs der vier Mächte, vgl. BDU 1, S. 272–273. 8  Auf der fünften Sitzung des Rats der Außenminister in London (25. November bis 15. Dezember 1947) hatte Molotov den Vorschlag unterbreitet, eine Delegation des Deutschen Volkskongresses zu empfangen. Dieses von der SED dominierte Gremium, das gegen den Widerstand der damaligen ostdeutschen CDU-Führung gebildet worden war, hatte eine entsprechende Delegation bereits nach London entsandt. Sie erhielt jedoch keine Gelegenheit, ihren Standpunkt vor dem Rat der Außenminister darzulegen. 9  „Instanz“ war eine Umschreibung für die oberste Entscheidungsebene in der UdSSR; gemeint war Stalin selbst, je nach Kontext zusätzlich auch das Politbüro. 23  Außer einer knappen und nebulösen Notiz von Pieck vom 12. März 1951 („Hinzuziehen zur Pariser Konferenz zusagen“, vgl. Badstübner/Loth, S. 362) wurde die Pariser Vorkonferenz weder in Piecks Notizen noch in den hier vorliegenden Protokollen von SKK-SED-Gesprächen während der Dauer der Konferenz weiter thematisiert. 10  Am gleichen Tag ging ein Vermerk von Gromyko an Stalin, der sich auf das Telegramm Nr. 7/363 von Čujkov und Semenov bezog. Diese hätten darin „mitgeteilt,



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Die im dritten Punkt erhobene Frage sollte bei der Ausarbeitung der Direktiven11 für die sowjetische Delegation auf der Tagung des Rates der Außenminister diskutiert werden. Ich bitte um Ihre Weisungen.12

M. Gribanov

AVP RF, f. 082, op. 38, p. 233, d. 74, Bl. 16–17.

70. Runderlass der Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten im Bundeskanzleramt IV-916/51, Geheim

Bonn, 1. März 19511

Betr.: West-Ost-Handel Seit Oktober 1949 besteht zwischen den Staaten der atlantischen Gemeinschaft eine enge Zusammenarbeit mit dem Ziel, die Lieferung von Kriegsmaterial und strategischen Gütern nach den Ländern des Sowjet-Blocks zu kontrollieren und nach Möglichkeit zu verhindern. Damit soll das wehrwirt-

dass Pieck, Grotewohl und Ulbricht es für zielführend halten, dass die Volkskammer … dem Bonner Bundestag vorschlägt, sich gemeinsam an die vier Großmächte mit der Bitte, die Frage über den Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland im Jahr 1951 in die Tagesordnung der Konferenz des Rates der Außenminister aufzunehmen, zu wenden“. Im Falle einer Ablehnung des Bundestages solle sich die Volkskammer „selbständig mit diesem Vorschlag an die vier [Groß]mächte wenden“. Das Telegramm selbst konnte im AVP RF nicht ermittelt werden. Der Vermerk, der auch die Zustimmung von Čujkov und Semenov sowie des Außenministeriums der UdSSR zu diesem Vorschlag bestätigte und einen entsprechenden Beschlussentwurf für das ZK der VKP  (b) enthielt, ist veröffentlicht in Ruggenthaler, Stalins Bluff, S. 67–68, zum Zitat vgl. dort S. 67. 11  Dieser Vorschlag wurde in die am 1. März 1951 vom Politbüro der VKP (b) bestätigten „Direktiven für den sowjetischen Vertreter auf der vorbereitenden Konferenz der Vertreter der UdSSR, der USA, Großbritanniens und Frankreichs in Paris am 5. März 1951“ nicht aufgenommen, vgl. Foitzik, Interessenpolitik, S. 542–544. Auch in weiteren Direktiven aus dem März 1951 war von einer deutschen Delegation nicht die Rede, vgl. ebenda, S. 544–549. 12  An der Seite des Dokuments findet sich ein auf der vorliegenden Kopie unleserlicher Vermerk, dieser konnte nicht anhand des Originals ausgewertet werden. 1  Abschrift. Der Erlass ging an die Generalkonsulate der Bundesrepublik Deutschland in Amsterdam, Athen, Brüssel, Chicago, Istanbul, Kopenhagen, London, New York, Ottawa, Paris, Pretoria, Rom und Stockholm. Bei dem hier abgedruckten Dokument handelt es sich um eine Abschrift des nach New York gesandten Exemplars. Sie wurde am 22. März in Umlauf gebracht und von v. Nostitz, Feihl, Velhagen, Kossmann, Steg sowie Jaenicke abgezeichnet.

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schaftliche Potential des Sowjet-Blocks geschwächt und eine Aufrüstung verlangsamt werden. Die Bundesrepublik ist an dieser Zusammenarbeit durch einen ständigen Delegierten bei den in Paris dafür bestehenden Ausschüssen auf gleichberechtigter Grundlage beteiligt. Über Umfang, bisherige Ergebnisse und weitere Perspektiven dieser Aktion wird den deutschen Auslandsvertretungen demnächst ein vertraulicher Erlass zugehen.2 Die weitgehenden politischen und wirtschaftlichen Rückwirkungen der deutschen Haltung zu dieser Frage auf die Einstellung der übrigen beteiligen Staaten in ihren Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland machen es erforderlich, dass die Generalkonsulate über diesen Fragenkomplex und über die in den einzelnen Ländern getroffenen Massnahmen laufend berichten. Insbesondere sind Äusserungen massgebender Persönlichkeiten und führender Zeitungen und Zeitschriften – möglichst unter Einsendung des Wortlautes – zu melden. Falls dabei im Ausland die korrekte Mitarbeit der deutschen Wirtschaft an diesen Zielsetzungen in Zweifel gezogen wird, ist solchen Äusserungen in geeigneter Weise mit Bestimmtheit entgegenzutreten. Unter Umständen wäre auch telegrafisch zurückzufragen, falls besondere Argumente oder sonstiges Material als Unterlage für die Zurückweisung derartiger Äusserungen benötigt werden sollten. Über die Einschaltung der deutschen Generalkonsulate in das sogenannte „end-use-check“-Verfahren3 sind die Wirtschaftsreferenten der meisten Auslandsvertretungen bei ihrer Anwesenheit in Deutschland unterrichtet worden. Auch hierüber ergeht noch ein besonderer Runderlass.4 2  Der Delegierte Kroll verfasste im Frühjahr 1951 mehrere Aufzeichnungen zum Stand der Verhandlungen im Pariser Ausschuss (vgl. PA AA, B 10, Bd. 1785). Ein Erlass dazu konnte im PA AA nicht ermittelt werden. Vgl. jedoch das „Memorandum über die von der Bundesregierung getroffenen oder eingeleiteten Maßnahmen zur Durchführung der Embargo-Politik“ vom 5. Juni 1951 nach einem Entwurf vom 23. Mai (ebenda, vgl. dazu auch AAPD [1951], S. 306–307 und Anm. 4). 3  Handschriftlich unterstrichen. Gemeint waren Endverbleibskontrollen. 4  Ein solcher Runderlass konnte im PA AA nicht ermittelt werden. Es erscheint zweifelhaft, ob und inwieweit die damals wenigen und personell erst im Aufbau befindlichen Generalkonsulate eine solche Bestimmung überhaupt umsetzen konnten. Mit der Revision des Besatzungstatuts am 6.  März 1951 hoben die Alliierten die Kontrolle des deutschen Auslandshandels mit Ausnahme des Osthandels auf, für den die USA von der Bundesrepublik verbesserte Genehmigungs- und Überwachungsverfahren forderten. Darüber verhandelte Kroll im Frühjahr mit der AHK, vgl. Kühlem, Kroll, S. 144–145. Erst ein Jahr später übertrug die AHK der Bundesrepublik die Zuständigkeit für Liefergenehmigungen. So berichtete Kroll am 11. März 1952: „Die alliierten Stellen verzichten ferner auf die Vorlage von Anträgen zu den Endverbleibskontrollen, wobei sie die Erwartung aussprechen, daß die zuständigen deutschen Stellen die entsprechenden Maßnahmen von sich aus gewissenhaft durchführen werden.“ Vgl. PA AA, B 10, Bd. 1785.



Dokument 70: 1. März 1951311

Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sämtliche mit der EmbargoPolitik der Westmächte zusammenhängenden Fragen, insbesondere auch die Existenz der Pariser Ausschüsse, ihre Zusammensetzung, die Namen ihrer Delegierten, die Vorbehaltslisten usw. streng geheimzuhalten sind.5 Zur Bearbeitung dieser Fragen einschliesslich der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zu den Ländern des Ostblocks und des Interzonenhandels ist im Rahmen des Bundesministeriums für Wirtschaft, Abteilung V, eine besondere Stelle, die Gruppe West-Ost, gebildet worden, die von Dr. Kroll geleitet wird. Den Leitern und Wirtschaftsreferenten der Konsularbehörden wird empfohlen, bei ihrer Anwesenheit in Deutschland bei dieser Stelle vorzusprechen, um sich im einzelnen über die mit diesem Problem zusammenhängenden Fragen zu unterrichten. Im Auftrag gez. Becker PA AA, B 130, Bd. 4656A.

5  Eine vertraglich vereinbarte Geheimhaltungspflicht konnte nicht ermittelt werden, jedoch gab es offensichtlich zumindest eine informelle Regelung. Die westeuropäischen Staaten verabschiedeten keine eigenen Embargogesetze, sondern schlossen sich z. T. mit Einschränkungen den Embargobestimmungen der USA an. Darüber und über die Pariser Ausschüsse (das in Paris tagende transatlantische Koordinationsgremium für die Überwachung und Einhaltung der Embargopolitik) wurde bis 1953 Stillschweigen bewahrt, vgl. Rolf Hasse, Theorie und Politik des Embargos, Köln 1973, S. 165. So hieß es noch in einem Bericht von Laurie C. Battle (Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten im US-Repräsentantenhaus) über „Fortschritte bei der Kontrolle strategischer Ausfuhren nach dem Sowjetblock“ vom 29. Januar 1953: „Zu der Zeit, als die Studiengruppe Europa besuchte, verbot es die Sprachregelung, den Namen des internationalen Koordinationskomitees zu nennen oder darauf hinzuweisen, an welchen Orten des Kontinents das Komitee Büros unterhielt oder ständig Arbeitssitzungen abhielt, oder auch nur die Länder zu nennen, die ihm angehörten. Noch weniger war es zulässig, bestimmte Beispiele der von ihm erzeugten Erfolge anzuführen.“ Vgl. Lambers, Das Ost-Embargo, S. 26–27, hier S. 27.

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71. Schreiben des Ersten Rats der Mission der DDR in Moskau Wolf an Staatssekretär Ackermann Panzerschranksache

Moskau, 12. März 19511

Werter Herr Staatssekretär! Ich möchte Sie über folgendes in Kenntnis setzen: Die Verhandlungen der Handelsdelegation sind in diesem Jahr bedeutend schneller vor sich gegangen, als im vorigen.2 Während unsere Delegation erst am 31. Januar in Moskau ankam (die polnische und ungarische sind bereits seit Anfang Dezember hier), hätte unser Abkommen gleichzeitig mit dem polnischen und dem ungarischen unterschrieben werden können. Die Ergebnisse scheinen, soweit ich das den Gesprächen mit Minister Handke entnehmen konnte, unseren Erwartungen zu entsprechen. Am 9. März kam Minister Handke von der Leipziger Messe zurück und teilte mir mit, daß er von Walter Ulbricht den Auftrag habe, Roheisen und Walzgut sowie die zusätzliche Lieferung von 10 000 Tonnen Fleisch zu erreichen. Wenn er dies nicht erreiche, müsse er vor der Unterzeichnung wieder nach Berlin zurückfahren. Am selben Tage wurde Handke zum Stellvertretenden Außenhandelsminister Loschakow gebeten. Bei dem Besuch, an dem ich teilnahm, stellte sich heraus, daß das Abkommen und die entsprechenden Warenlisten bereits fix und fertig und von der Sowjetregierung bestätigt zur Unterschrift bereitlagen. Loschakow teilte mit, die Sowjetregierung habe die Lieferung der wichtigsten Waren in einem weit größeren Umfang für möglich befunden, als dies im Entwurf des sowjetischen Außenhandelsministe­ riums vorgesehen war. (Dies bezieht sich vor allem auf Getreide und Buntmetalle). Dadurch habe sich der Umfang des Abkommens, das jetzt sofort unterzeichnet werden könne, bedeutend erhöht. Es wurde vereinbart, alle technischen Voraussetzungen zur Unterzeichnung am 12. März zu treffen.3 Bei der Überprüfung der Listen durch die Handelsdelegation ergab sich, daß auf der Importseite nicht die Mengen enthalten waren, über die Handke mit Ulbricht gesprochen hatte. Auf der Exportseite gab es noch in einigen Punkten Zweifel, ob wir die gewünschten Mengen liefern könnten. Handke

1  Original. Das Dokument wurde in zwei Exemplaren ausgefertigt. Hier handelt es sich um das erste Exemplar. 2  Zu den Handelsvertragsverhandlungen 1950 vgl. Dok. 24. 3  Das „Abkommen über den Waren- und Zahlungsverkehr zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken“ wurde am 16. März 1951 durch die Außenhandelsminister der UdSSR und der DDR unterzeichnet, vgl. PA AA, MfAA V SOW 013-24.



Dokument 71: 12. März 1951313

beschloß, vor der Unterzeichnung doch noch nach Berlin zu fahren,4 um dort eine Entscheidung herbeizuführen. Am 10. März begleitete ich Handke wiederum zu Loschakow, wo er die Gründe vortrug, die eine Verschiebung der Unterzeichnung erforderlich machen. Was die Importseite anbelangt, so sagte Loschakow, daß dabei kaum in diesem Abkommen eine Änderung zu erreichen sei, da alle Positionen unter Berücksichtigung unserer Wünsche durch die Sowjetregierung geprüft und zum Teil erhöht worden seien. Zusätzliche Lieferungen könnten nicht mehr auf dieser Ebene und im Zusammenhang mit diesem Abkommen erreicht werden. Was unsere Bedenken auf der Exportseite anbelangt, so wurden sie Punkt für Punkt durchgegangen und zum Teil geklärt. Es verblieben nur drei oder vier mehr oder weniger wichtige Positionen, die noch geklärt werden mußten. Loschakow sagte im Gespräch wiederholt, er verstehe nicht, weshalb dadurch die Unterzeichnung des Abkommens verschoben werden müßte. Diese Fragen könnten doch telefonisch oder [unter] Umständen nach der Unterzeichnung geklärt werden. (Das Abkommen sieht in einem Artikel die Möglichkeit von Änderungen der Warenlisten vor5). Handke berief sich zum Schluß nur noch auf den Wunsch Walter Ulbrichts und auf die Notwendigkeit eventueller Planänderungen. Auch danach sagte Loschakow, er sehe immer noch keinen Grund, die Unterzeichnung des Abkommens hinauszuschieben. Loschakow machte darauf aufmerksam, daß jede von uns gewünschte Änderung große Schwierigkeiten bereiten werde, da das Abkommen bereits durch die Sowjetregierung bestätigt sei. Ich kann von hier aus nicht beurteilen, ob die Reise Handkes nach Berlin wirklich erforderlich war. Offensichtlich war jedoch, daß der sowjetischen Seite die Verschiebung der Unterzeichnung sehr unangenehm war. In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf die unhaltbare Lage im Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe6 aufmerksam machen. Herr Henke ist bereits seit anderthalb Monaten krank, so daß ich praktisch den Kontakt zum Rat übernommen habe. Abgesehen davon, daß mir dies bei meiner Funktion als Diplomat nicht ganz für angebracht erscheint, ergaben sich daraus die peinlichsten Situationen. Hier nur zwei Beispiele:

4  Das Neue Deutschland berichtete am 7. März 1951 auf S. 4 von einer Pressekonferenz Handkes auf der Leipziger Messe, in der er das Handelsabkommen mit der UdSSR ankündigte. Ein Aufenthalt in Berlin, der in den Tagen danach stattgefunden haben muss, ist in der DDR-Presse nicht überliefert. 5  Im Artikel 2 des Abkommens heißt es: „Die in Artikel 1 dieses Abkommens vorgesehenen Listen können im Einverständnis der Parteien geändert und ergänzt werden“, vgl. PA AA, MfAA V SOW 013-24. 6  Die DDR war am 29. September 1950 in den RGW aufgenommen worden, vgl. Dok. 37, Fn. 5.

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Am 13. Februar wurde im Rat (Kommission zur Koordinierung des Handels mit dem kapitalistischen Ausland) im Beisein von Minister Handke beschlossen, am 5. März eine Tagung von Zuckerexperten und am 15. März eine Tagung der Experten für Rohhäute durchzuführen. Am 1. März, als Handke in Leipzig war, wurde ich vom Rat angerufen und gefragt, wer zur Tagung am 5. März nach Moskau kommt. Auf meine entsprechende Anfrage erhielt ich von Berlin die Antwort mit den Personalien von Herrn Richter, die ich am selben Tage an den Rat weitergegeben habe. Am 6. März erfahre ich vom Rat, daß in Berlin ein Visum für Richter überhaupt nicht angesucht worden ist und daß man hier auf die Ankunft unseres Vertreters wartet. Da ich keine Antwort bekomme und vom Rat ständig angerufen werde, frage ich am 9. März in Berlin noch einmal an. Am selben Tag kommt Handke in Moskau an und teilt mit, daß man in Berlin die Angelegenheit bereits für erledigt betrachte. Nachdem also vier Tage seit dem angesetzten Termin vergangen waren und die Vertreter der anderen Länder auf unseren gewartet hatten, konnte ich schließlich mitteilen, daß wir auf Teilnahme an der Tagung verzichten. Heute stellt sich nun heraus, daß Richter an der Tagung doch teilnehmen soll und also abfahren muß. Die anderen Vertreter sind demnach überflüssigerweise eine Woche länger in Moskau herumgesessen. Am 27. Februar wurde ich vom Sekretär des Ratsbüros angerufen und gefragt, wer von uns an der Bürositzung am 28. Februar teilnehmen wird. Ich teilte ihm mit, daß Henke krank und Handke abwesend sei. Er sagte, von uns müsse aber jemand teilnehmen, da eine wichtige Frage zur Diskussion stehe. (Information des tschechoslow. Vertreters über die wissenschaftlichtechnische Zusammenarbeit). Die Information lag schon seit einiger Zeit bei Herrn Henke, wovon mir allerdings nichts bekannt war. Ich ging also am 28. zu dieser Tagung, die wirklich interessant und von grundsätzlicher Bedeutung war. Alle anderen Vertreter hatten durch Tatsachenmaterial fundierte Stellungnahmen zu der Information. Da ich mich nicht zu Wort meldete, wurde ich am Schluß durch den Vorsitzenden zur Stellungnahme aufgefordert. Mir blieb nichts übrig, als mitzuteilen, daß ich leider über keine Information über den Stand der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit zwischen der DDR und der Tschechoslowakei verfüge.7 Ich gab natürlich einige allgemeine Erklärungen über unseren Wunsch ab, die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit mit den Teilnehmerländern des Rates zu verbessern und zu vertiefen. 7  Das Informationsblatt konnte nicht ermittelt werden. Zur Regelung der „technischen und wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit“ war am 23. Juni 1950 ein Abkommen zwischen der DDR und der Tschechoslowakei geschlossen worden, das Zielvorgaben formulierte und zur Ausführung dieser Bestimmungen die Bildung einer ständigen Kommission vorsah, vgl. DAPDDR 4, S. 248–250 und (allgemeiner) Dok. 20, Fn. 3.



Dokument 72: 14. März 1951315

Ich glaube, daß diese zwei Beispiele genügen, um zu zeigen, welch unhaltbarer Zustand für die DDR auf diesem Gebiet besteht. Es ist natürlich ein Unding, daß die Krankheit eines Vertreters die ganze Arbeit lahmlegt. Ich möchte schon gar nicht davon reden, daß bei der gegenwärtigen Besetzung unserer Mission eine solche zusätzliche Arbeit von uns gar nicht getragen werden kann (und auch nicht getragen werden soll). Zur Zeit besteht im Rat wieder folgende Situation: schon seit längerer Zeit ist unser Bericht über den Außenhandel vor dem Büro angesetzt. Der Bericht befindet sich bereits in den Händen der einzelnen Vertreter. Nun soll die Bürositzung, auf der unser Vertreter bzw. Minister Handke zusätzliche Informationen geben und Fragen beantworten soll, bereits seit zwei Wochen stattfinden. Im Zusammenhang mit der Reise Handkes war sie zuerst auf den 9. März und dann auf den 14. März verschoben worden. Im Zusammenhang mit der neuen Reise Handkes habe ich sie nach Rücksprache mit Handke wieder auf den 19. [März] verschieben lassen. Jetzt erfuhr ich, daß Handke an der Sitzung überhaupt nicht teilnehmen will und nach Unterzeichnung des Abkommens bereits am 17. März von Moskau abzufliegen beabsichtigt. Auch hier entsteht wieder eine für uns äußerst peinliche Situation. M. Wolf8 PA AA, MfAA A, Bd. 15523, Bl. 38–40.

72. Aufzeichnung des Leiters der Hauptabteilung Grundsatzfragen im MfAA Reintanz 

Berlin-Ost, 14. März 19511 Thesen zu einem deutschen Friedensvertrag!

I. Deutsche Einheit a) Deutschland besteht als völkerrechtliche und staatsrechtliche Einheit weiter. b) Spätestens mit dem Inkrafttreten des Friedensvertrages verpflichten sich die Alliierten und Deutschland, gegenseitig normale diplomatische Beziehungen wieder aufzunehmen. c) Die staatsrechtliche Struktur Deutschlands wird vom deutschen Volk bestimmt und ist nicht Gegenstand des Friedensvertrages.

8  Handschriftlich. 1  Durchdruck.

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II. Deutsche Neutralität a) Deutschland verpflichtet sich bei internationalen Streitigkeiten zu neutraler Haltung. b) Die Alliierten verpflichten sich, mit Deutschland keinerlei völkerrechtliche Vereinbarungen, die sich direkt oder indirekt gegen einen anderen Staat richten, einzugehen. c) Die Alliierten verpflichten sich, einen Antrag Deutschlands auf Aufnahme in die UNO zu unterstützen. Sanktionsmaßnahmen der UNO sind für Deutschland nur soweit verpflichtend, als sie nicht Deutschlands Verpflichtung zu neutraler Haltung berühren. III. Deutsches Gebiet a) Die deutsche Staatsgrenze verläuft in Osten nach dem Vertrag von Zgorzelec [Görlitz] vom 6. Juli 19502, im übrigen nach dem Stande vom 31. Dezember 1937. b) Die Integrität dieses Gebietsbestandes wird garantiert von: Frankreich, Großbritannien, UdSSR, USA (als Großmächte und Signatarstaaten des Potsdamer Abkommens3) [und von] Luxemburg, Belgien, Niederlande, Dänemark, Polen, ČSR, Österreich (als benachbarte Staaten). IV. Deutsche Staatsangehörigkeit a) Die aufgrund des Potsdamer Abkommens aus den abgetretenen Gebieten ausgesiedelten Deutschen sind deutsche Staatsangehörige und werden von den Alliierten und den deutschen Behörden als solche behandelt. b) Die noch in den abgetretenen Gebieten befindlichen Deutschen können innerhalb von … Monaten nach Inkrafttreten des Friedensvertrages optieren. Soweit sie jedoch inzwischen die Staatsangehörigkeit des Aufenthaltslandes erworben haben, verbleibt es dabei. V. Entmilitarisierung a) Deutschland unterhält, außer zu Polizeizwecken, keine bewaffneten Streitkräfte zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Das Ausmaß der Polizeikräfte, der Ersatz und ihre Bewaffnung und Ausrüstung regeln sich nach Anlage … des Friedensvertrages. b) Deutschland wird die Fabrikation nachstehender Rüstungsgüter und Kriegsmaterialien untersagt: 1. .........., 2. .......... 3. .......... usw. c) Deutschland wird die Forschung auf dem Gebiet der Atomspaltung untersagt. 2  Vgl. 3  Vgl.

Dok. 20, Fn. 6. Dok. 5, Fn. 13.



Dokument 72: 14. März 1951317

VI. Nazi- und Kriegsverbrecher a) Deutschland wird die Verfolgung, Verurteilung und Strafvollstreckung von Nazi- und Kriegsverbrechern in eigener Zuständigkeit und Verantwortung übertragen. b) Soweit die Alliierten bereits derartige Urteile ausgesprochen haben, geht die Strafvollstreckung auf Deutschland über. VII. Besatzungstruppen Die Besatzungstruppen werden innerhalb von 12 Monaten nach Inkrafttreten des Friedensvertrages aus Deutschland zurückgezogen. VIII. Kontrollmaßnahmen a) Die Ausführung des Friedensvertrages durch Deutschland wird durch den nach dem Potsdamer Abkommen eingesetzten Rat der Aussenminister überwacht. Das Kontrollverfahren wird durch den Rat der Aussenminister selbst bestimmt. b) Der Rat der Aussenminister entscheidet über Streitfragen aus dem Friedensvertrag. IX. Wirtschafts-, Verkehrs- und Finanzfragen a) Um die Bildung neuer deutscher Industriemonopole zu verhindern und die Versorgung Europas mit Kohle zu gewährleisten, wird aus den Vertretern der vier Großmächte eine Internationale Ruhr- und Saar-Kontrollkommission gebildet. Aufgaben und Arbeitsweise dieser Kommission ergeben sich aus Anlage … des Friedensvertrages. Deutschland garantiert die jährliche Kohlenlieferung zum Weltmarktpreis an ……… in Höhe von … Tonnen ……… in Höhe von … Tonnen usw. b) Die Alliierten teilen Deutschland innerhalb von … Monaten nach Inkrafttreten des Friedensvertrages mit, welche zweiseitigen früheren Verträge mit Deutschland sie als wieder in Kraft befindlich ansehen. c) Die Abwicklung von Verpflichtungen, die durch den Krieg unterbrochen wurde, wird durch zweiseitige Abkommen zwischen den Alliierten und Deutschland geregelt. Über Streitigkeiten aus diesen Abkommen entscheidet der Internationale Gerichtshof. Alle nach dem 8. Mai 1945 in Deutschland entstandenen Urheberrechte, Patente und andere Erzeugnisse des Geisteslebens geniessen internationalen Schutz nach den Regeln der entsprechenden internationalen Konventionen. Soweit von den Alliierten im Zuge der Reparationsleistungen Urheberrechte, Patent und andere Erzeugnisse des Geisteslebens erfaßt und verwertet wur-

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den, können diese im Wege zweiseitiger Verträge von Deutschland zurückerworben werden. d) Für die deutschen Wasserstrassen, mit Ausnahme der Oder und Donau, gelten die am 31. Dezember 1932 in Kraft befindlichen internationalen Vorschriften. Für die Oder und Neiße gelten die mit der Republik Polen getroffenen Vereinbarungen. Für die Donau gilt: ……… e) Deutschland ist die zivile Luftfahrt gestattet. f) Die äußeren Vorkriegsschulden des ehemaligen Deutschen Reiches, der deutschen Länder und der deutschen Gemeinden werden annulliert. g) Die nach dem 8. Mai 1945 eingegangenen Schuldverpflichtungen Deutschlands werden in langfristige Anleihen umgewandelt; Einzelheiten enthält Anlage … des Friedensvertrages. Das im Ausland gemäß Kontrollratsgesetz Nr. 54 beschlagnahmte Vermögen wird angerechnet. h) Deutschland gewährt den Alliierten für Handelsverträge und Verkehrsabkommen das Meistbegünstigungsrecht. Der ČSR wird eine Freihafenzone in Hamburg gewährt.5 X. Wiedergutmachungsverpflichtungen a) Deutschland erkennt an, zum Ersatz der Kriegsschäden verpflichtet zu sein. b) Deutschland verpflichtet sich zur Erfüllung der mit der UdSSR 1950 getroffenen Vereinbarung über die Leistung der Reparationen.6 c) Es erklären sich infolge der bisher erhaltenen Reparationsleistungen für entschädigt 1. .........., 2. .........., 3. .......... usw.

4  Gemeint ist das Kontrollratsgesetz Nr. 5 vom 30. Oktober 1945 betr. Übernahme und Erfassung des deutschen Vermögens im Ausland. 5  Bereits im Versailler Vertrag war der Tschechoslowakei eine freie Hafenzone in Hamburg zugesprochen worden. Ein 1929 darüber abgeschlossenes Pachtabkommen zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei wurde auch nach dem Krieg durch die Hamburger Hafenbehörde anerkannt, und die Tschechoslowakische Elbeschifffahrt (ČSPL) konnte den Freihafen seit 1947 wieder nutzen. Seit 1950 wurde über Ausbau und Erweiterung der Anlagen verhandelt. Sowohl die Hansestadt Hamburg als auch die ČSR hatten Interesse an einer Ausweitung des Warenumschlags, der Hamburger Senat geriet damit teilweise in Konflikt mit der von Adenauer vertretenen Embargo-Politik. Vgl. Ivan Jakubec, Schlupflöcher im „Eisernen Vorhang“. Tschechoslowakisch-deutsche Verkehrspolitik im Kalten Krieg. Die Eisenbahn und die Elbeschiffahrt 1945–1989, Stuttgart 2006, S. 189–197. 6  Vgl. Dok. 29, Fn. 3 und Dok. 30, Fn. 4.



Dokument 72: 14. März 1951319

d) Deutschland verpflichtet sich zur Rückerstattung alles geraubten ausländischen Eigentums. Soweit dieses nicht mehr möglich ist und für die weitere Befriedigung von Ansprüchen ausländischer Opfer des Naziregimes stellt Deutschland für die Befriedigung dieser Ansprüche Waren im Werte von 500 Millionen Dollar für eine Zeit von 5 Jahren bereit. Eine internationale Kommission übernimmt die Verteilung auf die einzelnen Länder, die Ansprüche stellen. Die einzelnen Länder befriedigen damit die Ansprüche ihrer Antragsteller. Zusammensetzung und Verfahrensweise dieser Kommission regelt Anlage … des Friedensvertrages. Ansprüche, die von ausländischen Staatsangehörigen wegen der Durchführung der demokratischen Reformen nach 1945 gestellt werden, gehören nicht in den Friedensvertrag. Die Befriedigung derartiger Ansprüche muß von Fall zu Fall auf diplomatischem Wege geprüft werden. e) Deutschland verpflichtet sich, die deutschen Opfer des Naziregimes angemessen zu entschädigen. XI. Schlußbestimmungen a) Der Friedensvertrag wird außer von deutschen Vertretern von Vertretern aller am Kriege mit Deutschland beteiligten Staaten unterzeichnet. An der Ausarbeitung des Vertrages sind jedoch ausser deutschen Vertretern nur die Vertreter derjenigen Staaten zu beteiligen, die Molotow in der Aussenministerratssitzung vom 27. November 19477 vorschlug – vergl. Blatt 7 der Panzerschranksache v. 20. 12. 1950.8

7  Vgl. SMID/47/L/9 vom 27. November 1947: Fragen betreffend Deutschland: Über die Vorbereitung eines Friedensvertrags mit Deutschland, in: SMID, 5. Sessija, London, 1947 g. (25. November–15. Dezember) Dokumenty, Moskau 1948, S. 27–29. In diesem Papier wurden die von der UdSSR in Anlehnung an einen französischen Vorschlag akzeptierten Teilnehmerstaaten einer zukünftigen Friedenskonferenz zu Deutschland genannt: Neben den vier Mitgliedern des Außenministerrats waren das Albanien, Australien, Belgien, die Belorussische SSR, Brasilien, Kanada, Dänemark, Griechenland, Indien, Luxemburg, die Niederlande, Neuseeland, Norwegen, Polen, die Tschechoslowakei, die Ukrainische SSR, die Südafrikanische Union und Jugoslawien. Im Entwurf einer ursprünglichen Direktive für die Moskauer Sitzung des Rats der Außenminister wollte die UdSSR ursprünglich nur folgende Staaten außer den vier Mitgliedern des Außenministerrats akzeptieren: die Belorussische SSR, Griechenland, Dänemark, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Polen, die Ukrainische SSR, die Tschechoslowakei und Jugoslawien, vgl. UdF 3, S. 207–209: Molotov an Stalin, 13. März 1947. 8  Vgl. PA AA, MfAA A, Bd. 280, Bl. 1–19.

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b) Deutschland erkennt die Friedensverträge von 1947 mit Bulgarien, Finnland, Rumänien und Ungarn an.9 c) Der Friedensvertrag unterliegt der Ratifizierung. d) Der Friedensvertrag tritt in Kraft, nachdem die vier Großmächte den Vetrag ratifiziert und die Ratifikationsurkunde bei der Regierung in .......... hinterlegt haben. [Reintanz]10 PA AA, MfAA A, Bd. 280, Bl. 32–37.

73. Aufzeichnung des Botschafters a. D. Nadolny 

Rhöndorf, 5. April 19511 Die russische Auffassung Entgegnung auf die im „Schnelldienst“ der Deutschen Politik Nr. 122 gebrachte Auslassung über die russischen Ansichten zur Weltlage3

Die russischen Ansichten, wenn sie tatsächlich so sind, wie in der Meldung unseres Berliner Büros angegeben, entsprechen meines Erachtens nicht den Tatsachen. Das einzige, worin sie sich der Wahrheit nähern, ist ihr Interesse an Deutschland, das ihnen gefährlich werden könnte. Sie haben die von ihnen besetzte Zone bolschewisiert und im Widerspruch zu der von ihnen unterschriebenen Atlantik-Charta4 vier Provinzen geraubt, aus denen sie und die Polen die

9  Zu den Entwürfen der Friedensverträge von 1947 mit Bulgarien, Finnland, Rumänien und Ungarn vgl. FRUS 1946 IV. 10  Paraphe. 1  Abschrift. Am Kopf ist handschriftlich eingetragen: „Aus Deutsche Politik 5.4.1951“. Seit 1949 wohnte Nadolny in Rhöndorf. Deutsche Politik hieß ein 1950 und 1951 erschienenes Nachrichtenblatt der von Rudolf Nadolny mitgegründeten „Gesellschaft für die Wiedervereinigung Deutschlands“, das wöchentlich Berichte v. a. zu Themen der DDR, der deutsch-deutschen Beziehungen und der deutschen Frage in der internationalen Politik veröffentlichte. Nadolnys Beitrag war ohne Seitenzahl der Ausgabe Nr. 13 vom 5. April 1951 beigefügt. 2  Bei dem „Schnell-Dienst“ der Deutschen Politik Nr.  12 (im Folgenden „Schnell-Dienst“) handelte es sich um eine Kurzausgabe des Nachrichtenblattes vom 24. März 1951 ohne Seitenzahlen, die nur diejenige „Sonder-Information neuesten Datums über die russischen Ansichten zur Weltlage“ aus dem „Berliner Büro“ enthielt, auf die sich Nadolnys Replik bezog. 3  Die kursiv hervorgehobenen Wörter sind unterstrichen.



Dokument 73: 5. April 1951321

Deutschen ausgetrieben haben. Deutschland muß wieder einheitlich und die vier Provinzen, ohne die es gar nicht bestehen kann, müssen ihm wieder zurückgegeben werden. Anders kann keine Ruhe in der Welt eintreten.5 Rußland ist sozial und wirtschaftlich noch lange nicht so weit wie der Westen Europas. Es irrt sich, wenn es meint, den Westen sowjetisieren zu können. Es irrt sich ebenfalls, wenn es der Ansicht ist, daß die Franzosen und Italiener nicht gegen sie kämpfen und durch Sabotage und Streiks weitgehend lahmgelegt werden. Sowohl in Frankreich wie auch in Italien hat man bereits erkannt und erkennt täglich immer mehr, daß die Sowjetisierung nicht das Ideal der sozialen Entwicklung ist, man will keinen Sowjetstaat haben, sondern eine Evolution, die dem Arbeiter die Stellung eines Bürgers gibt.6 Die Eifersucht der Franzosen und Engländer auf Deutschland aber nimmt von Tag zu Tag ab. Sie erkennen allmählich, daß ein Volk von 70 Millionen Menschen, das einen einheitlichen Staat gebildet hat, nicht ohne weiteres geteilt oder zerstückelt werden kann – besonders, wenn es den Westen vor der Sowjetisierung schützen soll. Sie sehen, daß sie dieses Volk falsch behandelt haben, daß sie, indem sie es bekriegten, selbst die größten Verluste erlitten und es doch nicht zu Boden gedrückt haben. Sie erkennen, daß es anders behandelt werden muß, wenn man seine friedlichen Impulse wecken und es dem Westen geneigt machen will.7 Daß die Sowjets glaubten, Westdeutschland werde in kurzem seine volle Freiheit erlangen und deshalb mit ihm in Fühlung kommen wollten, mag 4  Der englische und deutsche Text der gemeinsamen Erklärung von Roosevelt und Churchill vom 14. August 1941 über die gemeinsamen Kriegsziele (Atlantik-Charta) ist abgedruckt in: DzD I, 2, S. 9–12. 5  Nadolnys Überlegungen bezogen sich hier auf den ersten Absatz des Berichts im „Schnell-Dienst“ (vgl. Fn. 2), in dem es hieß: „Nach Ansicht russischer Diplomaten in Berlin besteht für Europa z. Zt. überhaupt keine unmittelbare Kriegsgefahr. Die Russen seien, so äußern diese Diplomaten, an Europa überhaupt nur begrenzt interessiert. Überdies beschränke sich ihr Interesse vornehmlich auf Deutschland, das sie als einzigen Faktor ansehen, der ihnen irgendwie einmal gefährlich werden könnte. Diese Gefahr sei durch die augenblickliche Politik der Westmächte gegenüber der Bundesrepublik in weite Ferne gerückt.“ 6  Der zweite Absatz des „Schnell-Dienstes“ (vgl. Fn. 2) lautete: „Der Kreml sei weiter der festen Überzeugung, daß die Franzosen und Italiener im Ernstfalle nicht gegen die Russen kämpfen würden. Außerdem würden sie durch Sabotage und Streiks weitgehend lahmgelegt werden.“ 7  Nadolny bezog sich hier auf die folgende Passage im „Schnell-Dienst“ (vgl. Fn. 2): „Die Eifersucht und das Mißtrauen der Franzosen und Engländer auf Deutschland seien so nachhaltig, daß sie vielleicht nicht einmal an der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands interessiert seien. Auf keinen Fall wollten die beiden Westmächte, daß Deutschland etwa jemals wieder eine starke mitteleuropäische Stellung einnehmen werde.“

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sein. Es mag auch sein, daß sie die SED dieserhalb opfern wollten.8 Sie sehen augenscheinlich ein, daß der Westen nicht zu sowjetisieren geht, daß Deutschland wieder zusammenkommen und die Atlantic-Charta eingehalten werden muß. Ob es von Adenauer richtig gewesen ist, Grotewohl sieben Wochen auf eine Antwort warten zu lassen und ihn dann derart abzuweisen,9 ist fraglich. Meiner Ansicht nach hätte man mit dem Osten – vielleicht unter Änderung des Konstituierenden Rates – verhandeln sollen. Man hätte dann gesehen, wozu der Osten bereit ist.10 Aber es war augenscheinlich noch nicht der Zeitpunkt gekommen, wo die Verhältnisse dazu reif waren. Nun warten wir einen neuen Zeitpunkt ab.11 Daß die Russen die Gefahr in Asien sehen, ist falsch von ihnen – wenn sie den Frieden wollen. Sie haben Nordkorea veranlaßt, in Südkorea einzufallen, und dann, als McArthur bis zum Jalu vorrückte, Rotchina unter dem Hinweis, daß es von zwei Seiten, von Korea und von Formosa aus, in die Zange genommen werde, zum Eingreifen bewogen und mit Material unterstützt.12 8  Laut Angaben des „Schnell-Dienstes“ (vgl. Fn. 2) sei in der UdSSR Mitte 1950 befürchtet worden, die USA wollten der Bundesrepublik „sofort“ die volle Souveränität geben und ihre Wiederbewaffnung betreiben. Dies sei nun vorbei, weswegen vielleicht das Interesse an einer Viermächtekonferenz (vgl. Dok. 56 und dort Fn. 2 und 4 sowie Dok. 61, Fn. 3) nicht mehr so groß sei wie im Vorjahr. Zur Zeit des „ersten Grotewohl-Briefes“ (vom 30. November 1950, vgl. Dok. 54, Fn. 5) habe die Regierung der UdSSR gegen den Willen der SED „tatsächlich mit Bonn in ein ernsthaftes Gespräch kommen“ wollen, um „die volle Wiederbewaffnung im Rahmen des Atlantik-Paktes verhindern“ zu können. „Dafür wäre der Kreml sogar bereit gewesen, die jetzige Stellung der SED weitgehend zu opfern.“ 9  Adenauer antwortete auf die Vorschläge Grotewohls am 15. Januar 1951, vgl. Dok. 65, Fn. 6. 10  Der „Schnell-Dienst“ (vgl. Fn. 2) berichtete über Reaktionen auf die Erklärung Adenauers: „Gegen den radikal-sowjetischen Kurs der SED eingestellte politische Kreise der Sowjetzone sind der Ansicht, daß der Grotewohl-Brief und die Viererkonferenz … für lange Zeit, vielleicht für immer, die letzte Gelegenheit waren und sind, die deutsche Einheit auf friedlichem Wege wiederherzustellen. Die jetzige Entwicklung … werde dazu führen, die Ostzone völlig kommunistisch-sowjetisch zu machen und auch die letzten Reste bürgerlicher Ansatzpunkte politisch wie wirtschaftlich völlig auszumerzen.“ Nuschke, der bisher von der UdSSR „als letzter eventueller Verbindungsmann mit dem Westen“ betrachtet worden sei (und auf dessen Einfluss, so der Bericht, „zahlreiche Begnadigungen der letzten Zeit von Waldheim- und KZGefangenen“ zurückgingen), erwarte nun seinen Fall. „Nicht die Art der Bedingungen, die Adenauer als Antwort auf Grotewohl gestellt habe, sei schädlich, sondern die anscheinend offenkundige Tatsache, daß die Bundesrepublik nicht einmal den Versuch der Fühlungnahme mit den Russen über Pankow mache … das stimme in Moskau bedenklich.“ 11  Der gesamte Absatz ist am linken Rand handschriftlich markiert. 12  Zu den den entgegengesetzten Phasen des Koreakrieges vgl. Dok. 41, Fn. 7 und Dok. 59, Fn. 8. Laut Bericht des „Schnell-Dienstes“ der Deutschen Politik befürch-



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Jetzt können sie ihm augenscheinlich kein Material mehr liefern. Sie sollten Mao Tse Tung zum Frieden zureden, zu einem Frieden, der ihm die Sicherheit gibt und ihn nicht von Tschiang Kaischek angreifen läßt. In Persien aber liegt nichts ihnen Abträgliches vor. Die Perser haben die Petroleumquellen zum Staatseigentum erklärt. Entweder einigen sie sich mit den Engländern, oder sie beuten sie selbst aus. In keinem Falle aber sind die Russen daran beteiligt. Und sonst liegt in Persien keine Gefahr vor, wenn die Russen sie nicht selbst hervorrufen.13 PA AA, B 11, Bd. 286, Bl. 89–90.

74. Unterredung zwischen dem stellvertretenden Leiter der GUSIMZ Kobulov und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht Geheim

11. April 19511

Aufzeichnung einer Unterredung vom 11. April 1951 zwischen B.Z. Kobulov und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten der Deutschen Demokratischen Republik, Walter Ulbricht, in der Wohnung W. Ulbrichts in Berlin. Teilnehmer: auf sowjetischer Seite B. Kobulov und der Dolmetscher der SKK, Gen. Deržavin; auf deutscher Seite W. Ulbricht. Beginn der Unterredung um 21:00 Uhr, Ende der Unterredung um 22:15 Uhr. 1. Ulbricht, auf dessen Initiative die Zusammenkunft stattfand, erklärte, die in der jüngsten Zeit gehäuft auftretenden Fälle der Flucht von Fachleuten aus volkseigenen Industriebetrieben und sowjetischen Aktiengesellschaften zeugten von unzureichender Beschäftigung mit den Angehörigen der technischen Intelligenz der DDR. Hierbei gab Ulbricht zu, dass er die Verantwortung für teten sowjetische Diplomaten, die UdSSR könne infolge des Koreakrieges in einen offenen Krieg der USA mit China hineingezogen werden. 13  Zur Entstehung der sogenannten Iran-Frage vgl. UdF 3, S. 457. Im „SchnellDienst“ (vgl. Fn. 2) hieß es dazu, die UdSSR arbeite zwar „dort wie überall mit der ‚fünften Kolonne‘ “, wolle aber keinen offenen Zusammenstoß mit den USA. „Die Verträge aber zwischen Rußland, England und den USA über Persien, die das Prestige aller Seiten stark engagieren, könnten sehr leicht einen solchen Zusammenstoß auslösen. Das ostzonale Aussenministerium soll von dieser Gefahr wegen der Folgen für Deutschland stark beeindruckt sein.“ 1  Kopie. Das Dokument wurde ausgefertigt am 13. April 1951.

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diesen Zustand der Beschäftigung mit den Angehörigen der technischen Intelligenz voll und ganz sich selbst, d. h. den zuständigen Organen der DDR, zuschreibe. „Laut den mir vorliegenden Angaben“, so Ulbricht, „wird die Flucht von Fachleuten durch drei Fehler begünstigt, die von uns begangen werden: 1) Verzögerungen bei Neuabschlüssen von Einzelverträgen, wobei sich in sowjetischen Betrieben in dieser Hinsicht schon etwas bewegt, in volkseigenen Industriebetrieben jedoch ist es um diese Sache schlecht bestellt. 2) Unzureichende Umsetzung des Beschlusses der DDR-Regierung über die Rentenversorgung von Fachkräften.2 Wir haben einen durchaus ansprechenden Beschluss gefasst, konnten diesen jedoch nicht umsetzen. 3) Unzureichende Prämierung von Fachleuten für Erfindungen und Rationalisierungsvorschläge in der gesamten DDR. Die Gewerkschaften haben diese Arbeit aus Rücksicht auf sparsame Verwendung der Mittel nicht richtig erledigen können.“ Hierbei äußerte Ulbricht sich missbilligend über Minister Selbmann und kritisierte dessen mangelhafte Flexibilität. Des Weiteren berichtete Ulbricht, die Regierung der DDR habe für die einzelnen Industriezweige neue Rahmen-Kollektivverträge und neue Tarife ausgearbeitet.3 Die nächste Aufgabe bestehe darin, diese Rahmenverträge und Tarife für jeden Produktionsbereich konkret einzuordnen und die Kampagne zum Neuabschluss der Kollektivverträge richtig zu organisieren. Es sei eine Kommission gegründet worden, die im Verlaufe der nächsten zehn Tage diese Arbeit zu Ende bringen solle. Abschließend unterbreitete Ulbricht Kobulov folgende Vorschläge: a) Er bat, den stellvertretenden Vorsitzenden des Bundesvorstands der Freien Deutschen Gewerkschaften, Kirchner, und den Abteilungsleiter im Bundesvorstand, Lehmann, zu empfangen und mit diesen gemeinsam Maßnahmen für die Durchführung einer Kampagne zum Neuabschluss von Kollektivverträgen in den sowjetischen Betrieben festzulegen. b) Um den Zentralorganen der SED und den Gewerkschaften die Möglichkeit zu geben, auf Mängel in der Arbeit deutscher gesellschaftspolitischer Organisationen in sowjetischen Betrieben rechtzeitig zu reagieren, sollte die Verwaltung für sowjetisches Eigentum in Deutschland verpflichtet werden, 2  Bereits auf ihrer 37. Sitzung am 17. August 1950 hatte die Provisorische Regierung der DDR die „Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben“ beschlossen, vgl. BAB, DC 20-I/3/27. 3  Am 15. Februar 1951 verabschiedete der Ministerrat die „Verordnung über den Neuabschluß der Kollektivverträge in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben für das Jahr 1951“. In § 1 dieser Verordnung wurde das „Lohngefüge für das Jahr 1951“ bestimmt. Zusätzlich bestätigte der Ministerrat das Muster für einen Rahmenkollektivvertrag, vgl. BAB, DC 20-I/3/44.



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in gewissen zeitlichen Abständen die Organisations- und Instruktionsabteilung des ZK der SED über diese Mängel in Kenntnis zu setzen, und bei wichtigeren Themen sollte Kobulov diese Fragen vor dem Politbüro des ZK der SED aufrollen. Kobulov machte deutlich, dass die Verwaltung für sowjetisches Eigentum in Deutschland die Frage der Ursachen für die Flucht von Fachkräften nach den Westzonen Deutschlands unter die Lupe genommen habe und die Beseitigung von Mängeln in der Beschäftigung mit den Angehörigen der technischen Intelligenz fortwährend mit großer Aufmerksamkeit vorantreibe. Das vorhandene Material zeuge davon, dass nicht nur die von Ulbricht genannten drei Gründe und Fehler zur Flucht der Fachkräfte in den Westen führen. Die Hauptursache bestehe darin, dass die deutschen Konzerne I. G. Farbenindustrie, Krupp, AEG, Siemens usw., welche durch die anglo-amerikanischen Besatzungsmächte in den Westzonen Deutschlands wiederaufgebaut worden seien und nach deren Pfeife tanzen, gegenüber der DDR insgesamt und besonders gegenüber den sowjetischen Aktiengesellschaften Zersetzungsarbeit leisten, um die Pläne zum Wiederaufbau und zur Entwicklung der DDRWirtschaft zum Scheitern zu bringen, während den Aktivitäten der westdeutschen Konzerne keine entsprechende politische und organisatorische Arbeit der DDR-Organe entgegenstehe. Ulbricht stimmte dieser Argumentation zu und fragte nach, ob Kobulov Maßnahmen empfehlen könnte, die in die Tat umzusetzen wären. Kobulov erklärte, man müsse, seiner persönlichen Meinung nach, folgende Maßnahmen ergreifen: 1. Intensivierung der politischen und erzieherischen Arbeit der SED und der Gewerkschaften bei den Angehörigen der technischen Intelligenz, Verstärkung des Parteiapparates der SED in den Betrieben. 2. Stärkung der Rolle der demokratischen Presse der DDR im Kampf gegen die Fluchtbewegungen nach Westen durch systematische Fokussierung der Presse auf die privilegierte wirtschaftliche und politische Lage der Fachkräfte in der Deutschen Demokratischen Republik.4 3. Popularisierende Darstellung der Errungenschaften des zukunftsorientierten, fortschrittlichen Teils der Intelligenz5 in der deutschen Presse, mit besonderem Augenmerk auf die Betriebe, die früher den Konzernen I. G. Farbenindustrie, AEG, Siemens, Krupp usw. gehört haben. 4  Es konnte für die Folgezeit keine auffällige Kampagne zur „privilegierten wirtschaftlichen und politischen Lage“ der Fachkräfte in der DDR-Presse ermittelt werden. 5  Zu Fördermaßnahmen für die „Intelligenz“ vgl. Fn. 2 und 7 zu diesem Dokument. Auch nach dem Bau der Berliner Mauer blieb die Lage der Intelligenz in der DDR und deren Beziehungen nach Westdeutschland ein zentrales Thema, vgl. dazu die spätere DDR-Fernsehserie in fünf Teilen „Dr. Schlüter“ von 1965.

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4.  Aufbau einer speziellen Überwachung der Organe der Staatlichen Kontrolle der DDR im Hinblick auf die rechtzeitige Ausführung des Gesetzes zur Festsetzung von Alters- und Invaliditätsrenten für Fachkräfte durch die jeweiligen Ministerien und Betriebe. 5.  Organisatorische Vorbereitung und Durchführung von gesamtdeutschen wissenschaftlich-technischen Tagungen, Konferenzen, Bildung von Sonderkommissionen, Ausrichtung von Ausstellungen auf dem Gebiet der DDR, um den gesellschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Aktivitäten der Fachkräfte Auftrieb zu verschaffen. 6.  Abänderung der derzeitigen Praxis der Ausstellung von InterzonenPassierscheinen für Fachkräfte und deren Familienmitglieder, wenn Verwandte in Westdeutschland vorhanden sind, und Einführung einer Regelung, nach welcher Fachkräfte in dringenden Familienangelegenheiten ohne zeitliche Verzögerung einen Passierschein für die Reise nach Westdeutschland ausgestellt bekommen können. 7.  Über die entsprechenden Finanzorgane der DDR Abgabe von Westwährung an die Betriebe als Gehaltszahlungen für leitende deutsche Fachkräfte zur materiellen Unterstützung von Familienmitgliedern und nahen Angehörigen, die ihren Wohnsitz in Westdeutschland oder den Westsektoren Berlins haben. 8. Kurskorrektur in der Frage der Aufnahme von Kindern spezialisierter Arbeitskräfte in die Hochschulen der DDR durch erweiterte Auslegung der vorhandenen Richtlinien und Vereinfachung der Aufnahmeverfahren. 9. Aufhebung der vorhandenen sicherheitstechnischen Vorschriften und Schaffung eines DDR-Gesetzes über Arbeitsschutz und Unfallverhütungs­ technik,6 in welchem für sichere Arbeitsbedingungen gesorgt ist und die Verantwortung von Personen geregelt wird, die sich des Verstoßes gegen die Vorschriften der Sicherheitstechnik schuldig machen. Ulbricht stimmte allen Punkten zu, mit Ausnahme von Punkt 6, und machte Folgendes klar: „Ich halte es nicht für zweckmäßig, die derzeitig geltende Verfahrensregelung für die Erteilung von Interzonen-Passierscheinen zu lockern, denn es ist für mich unvorstellbar, dass anglo-amerikanische Geheimdienste unsere Fachkräfte in die DDR zurückfahren lassen, ohne diese vorher für Arbeiten zu ihren Gunsten angeworben zu haben.“ Und er fügte sogleich hinzu: „Wir sind bereit, denjenigen Fachkräften, die Angehörige in Westzonen Deutschlands haben, Westmark zu zahlen, damit sie diese Angehörigen materiell unterstützen können, aber wir können nicht akzeptie6  Der Ministerrat der DDR beschloss am 25. Oktober 1951 eine „Verordnung zum Schutz der Arbeitskraft“. Sie fasste die bestehenden Bestimmungen über Fragen des Arbeitsschutzes zusammen und sah die Bildung von Arbeitsschutzkommissionen (Arbeitsschutz-Obleuten) in den Betrieben und Verwaltungen vor, vgl. BAB, DC 20I/3/74.



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ren, dass Fachkräfte, die in der Industrie und in Einrichtungen der DDR im demokratischen Sektor Berlins arbeiten, in westlichen Sektoren wohnen.“ In diesem Zusammenhang richtete Ulbricht an Kobulov die Bitte, ihm eine Auflistung der in sowjetischen Betrieben arbeitenden deutschen Fachkräfte zukommen zu lassen, denen zur Unterstützung von in Westzonen lebenden Angehörigen Westmark zu zahlen sei, außerdem bat er um eine Auflistung der in den westlichen Sektoren Berlins wohnenden Fachkräfte, mit Angabe der Wohnfläche, die für deren Übersiedlung in den demokratischen Sektor Berlins bereitgestellt werden müsse. Auf den Einwand Kobulovs, es handele sich hier um mehrere Hundert solcher Fachkräfte, antwortete Ulbricht, dass die Lösung dieser Fragen kein Problem darstelle. Abschließend machte Kobulov deutlich, dass man bei der Beschäftigung mit den Angehörigen der technischen Intelligenz sich nicht damit begnügen dürfe, nur diese Maßnahmen durchzuführen. Man müsse bei den Fachkräften das Interesse für die Aktivitäten aller gesellschaftspolitischen Organisationen der DDR wecken. Ulbricht sagte dazu, er denke daran, dieses Thema in den entsprechenden Einrichtungen der DDR erörtern zu lassen, und die erforderlichen Maßnahmen würden durch das Politbüro der SED und die DDR-Regierung beschlossen und geregelt.7 2. Im Anschluss daran fragte Ulbricht Kobulov, ob er noch einige weitere Punkte zur Diskussion bringen könne. Nachdem Kobulov diese Frage bejaht hatte, äußerte Ulbricht folgendes Anliegen: „Bei den Verhandlungen über das Handelsabkommen zwischen der UdSSR und der DDR in Moskau war darum gebeten worden, die Liefermengen synthetischen Kautschuks („Buna“) zu erhöhen.8 Die DDR befindet sich bei 7  Am 24. Mai 1951 bestätigte der Ministerrat der DDR die „Notwendigkeit der weiteren Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen für die technische Intelligenz“. Zu diesem Zweck wurde eine Reihe von Maßnahmen beschlossen, so die „Durchführungsbestimmung zur Verordnung … zur weiteren Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Intelligenz“ (darunter fand sich u. a. die Einführung und Verleihung des Ehrentitels „Verdienter Wissenschaftler und Techniker“) und die „Zweite Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz …“ (zur Verordnung selbst vgl. Fn. 2 zu diesem Dokument). Auf Vorschlag von Finanzminister Loch beschloss die Regierung außerdem eine „Verordnung zur Änderung der Besteuerung der Lohnempfänger und der freischaffenden Intelligenz“, vgl. BAB, DC 20-I/3/53. 8  Zu dem am 16. März 1951 in Moskau unterzeichneten Abkommen zwischen den Regierungen der DDR und der UdSSR über den Waren- und Zahlungsverkehr 1951

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diesem Produkt in ernsthaften Schwierigkeiten, denn neben den Lieferungen in die UdSSR muss auch die wachsende Nachfrage nach Gebrauchsgütern in der DDR gedeckt werden, außerdem müsste, und sei es nur ein bisschen, der Tschechoslowakei und Polen geholfen werden, die ebenfalls einen dringenden Bedarf an Buna haben.“ Ulbricht bat Kobulov, den Produktionsplan 1951 für synthetischen Kautschuk so abzuändern, damit so viel Buna wie irgend möglich hergestellt wird; fernerhin sollte für das folgende Jahr bei den Investitionsaufwendungen eine Steigerung der Produktion synthetischen Kautschuks eingeplant werden. Kobulov meinte dazu, er werde diese Frage prüfen und Ulbricht über die Ergebnisse informieren.9 3. Des Weiteren brachte Ulbricht zum Ausdruck, er würde gerne das Thema der Reparationsaufträge anschneiden, bitte aber zur Kenntnis zu nehmen, dass er in keiner Weise daran denke, die Reparationsfrage als solche anzu­ tasten, sondern lediglich einige wirtschaftliche Gesichtspunkte zur Sprache bringen wolle [und zwar:] a) Die Konventionalstrafe für DDR-Außenhandelseinrichtungen10 „Es war richtig“, sagte Ulbricht, „dass man Konventionalstrafen eingeführt hat. Allerdings finden diese Strafen auch bei Außenhandelseinrichtungen Anwendung, welche für ausgefallene Lieferungen von Waren an die Industrie belangt werden. Diese verfügen nicht immer über die Möglichkeit, schwer zu beschaffende Güter auszuliefern; sie funktionieren schlecht, sind isoliert von den Industrieministerien, und das nur deswegen, weil die Struktur per se marode ist. Wir haben vor, die jeweiligen Außenhandelseinrichtungen den Industrieministerien anzugliedern, die dann auch für die Erledigung der Reparationsaufträge in vollem Umfange verantwortlich sein werden.“11 b) Die Preise für die Reparationsproduktion Der Leiter der Reparationsabteilung, Weinberger, habe dem Politbüro gemeldet, die Preise (der Wertbetrag) für die Reparationsaufträge in Deutscher Mark [der DDR] seien zu hoch.12 vgl. PA AA, MfAA V SOW 013-24. Dieses Abkommen sah in der vertraulichen „Liste 2“, die auf neun Seiten hunderte von konkreten Erzeugnissen aufführte, die Lieferung von 21 000 Tonnen synthetischen Kautschuks „Buna“ vor. 9  Eine Antwort von Kobulov konnte nicht ermittelt werden. 10  Im Original hier und im Folgenden: „Handelszentralen“. 11  Ein Beschluss über eine derartige Regelung konnte nicht ermittelt werden. 12  So im Original. Wahrscheinlich hatte Ulbricht aber erklärt, die Preise seien nicht hoch genug.



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„Mir ist bekannt“, merkte Ulbricht an, „dass in Moskau dieselbe Äußerung gefallen ist.“ Es gebe einen Beschluss des Politbüros zur Preisregulierung.13 Es sei eine Sonderkommission ins Leben gerufen worden. Diese aber lasse sich Zeit mit der Arbeit und sei nicht in der Lage, irgendeinen konkreten Vorschlag zu präsentieren. Und Ulbricht fügte hinzu: „Ich bitte, mich nicht so zu verstehen, als dächte ich daran, die Preise für Reparationsaufträge zu revidieren. Ich möchte einfach zur Kenntnis geben, dass wir in unserer Entwicklung noch nicht so weit vorangekommen sind, um in einer so wichtigen Angelegenheit wie der Preisbildung klare Verhältnisse schaffen zu können. Ich denke nur, dass wir, wenn die Kommission ihre Arbeit beendet, an die Regierung der UdSSR das Thema einer Festlegung des Kurses der Mark zum Rubel14 herantragen wollen.“ Kobulov erwiderte: „Wie Sie wissen, bin ich nur für Fragen zuständig, die sich um die sowjetischen Betriebe in Deutschland drehen. Die von Ihnen angerissene Problematik liegt außerhalb meines Kompetenzbereiches.“ Ulbricht machte deutlich, dass ihm das bekannt sei; er wolle aber dennoch Kobulov auf diese Angelegenheit hinweisen, da den sowjetischen Betrieben die wichtigste Rolle bei der Erfüllung der Reparationsaufträge zukomme. Hierbei muss erwähnt werden, dass während der Erörterung dieses Themas Ulbricht anzumerken war, dass ihm peinlich zumute wurde: er rutschte im Sessel hin und her und zeigte deutliche Symptome von Nervosität. Nach dem Einwand von Kobulov wechselte Ulbricht zum nächsten Thema über: 4. Technische Hilfe für die volkseigene Industrie der DDR durch die sowjetischen Betriebe Ulbricht bemerkte, die sowjetischen Betriebe seien in der Lage, die volkseigene Industrie der DDR mit technischer Hilfe zu unterstützen, täten dies aber leider nicht. Als konkretes Beispiel nannte er den Betrieb Buckau13  Bei der Bestätigung des Staatshaushalts für 1951 hatte das Politbüro des ZK der SED am 28. März 1951 beschlossen: „Die Genossen des Amtes für Reparationen und des Finanzministeriums werden beauftragt, dem Politbüro Vorschläge zur Realisierung der Kosten der Reparationslieferungen zu machen.“ Vgl. BAB-SAPMO, DY 30/ IV 2/2/140. Bereits in der Anordnung des Ministerrats der UdSSR Nr. 4490-1917e vom 2. November 1950 zum Reparationslieferplan für das Jahr 1951 hatte es jedoch unter Punkt 7 geheißen, das Außenhandelsministerium der UdSSR und die SKK sollten bis zum 1. März 1951 mit der Regierung der DDR die Preise für die in die UdSSR gelieferten Reparationsgüter abstimmen, vgl. GA  RF, f. R-5446, op. 106  sč, d. 516, Bl. 218–222, hier Bl. 219. 14  Die Festlegung eines Wechselkurses der DDR-Währung zum Rubel stand seit Langem auf der Tagesordnung der DDR-Führung, vgl. Dok. 52 und dort Fn. 2.

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Wolf15, der sich weigere, dem VEB Dieselmotorenwerk Rostock, in welchem insbesondere Dieselmotoren mit einer Leistung von 1000 PS hergestellt werden, technische Hilfe zu leisten. Buckau-Wolf habe die Möglichkeit, dem oben genannten volkseigenen Betrieb zwei Ingenieure zu überlassen, ohne dadurch eigene Interessen zu beeinträchtigen, allerdings stelle sich die Werksleitung dem entgegen. Ulbricht bat Kobulov, den Minister für Maschinenbau, Ziller, zu empfangen und seinen Bitten entsprechende Entscheidungen in dieser Angelegenheit zu treffen. Kobulov versprach, Ziller zu empfangen.16 5. Ulbricht merkte an, die sowjetischen Aktiengesellschaften in Deutschland errichteten Wohnhäuser und Siedlungen für deutsche Arbeiter und Angestellte sowie verschiedene öffentliche Einrichtungen der Gesundheitsfürsorge wie z. B. Sanatorien, Erholungsheime, Krankenhäuser, Entbindungsheime usw., ohne dabei immer die Bauentwürfe mit den entsprechenden Organen der DDR abzusprechen. Dies führe in einer Reihe von Fällen zu Verstößen gegen die deutschen Architekturvorschriften und Baupläne des Ministeriums für Aufbau der DDR. Ulbricht bat Kobulov, die Verwaltung für sowjetisches Vermögen in Deutschland (USIG) anzuweisen, die Bauentwürfe für die erwähnten Einrichtungen mit dem Ministerium für Aufbau der DDR und Minister Bolz persönlich abzustimmen. Kobulov war bereit, dieser Bitte Ulbrichts nachzukommen.17 6. Ulbricht gab bekannt, dass das Politbüro der SED damit beginne, die gesellschaftliche Arbeit in den Betrieben nach sowjetischem Vorbild zu gestalten und zu diesem Zwecke beschlossen habe, in diesem Jahr in den volkseigenen Betrieben Pionierlager18 einzurichten. Ulbricht bat Kobulov, den Ge15  Gemeint

ist die Maschinenfabrik Buckau R. Wolf AG, vgl. Dok. 36, Fn. 13. Treffen Kobulovs mit dem Minister für Maschinenbau Ziller konnte im AVP RF nicht belegt werden. 17  Eine Unterredung von Kobulov mit Bolz konnte im AVP RF nicht nachgewiesen werden. 18  Gemeint sind hier offensichtlich Betriebsferienlager. Die Einrichtung von Pionierlagern erfolgte dagegen in Zusammenarbeit mit den Schulen durch die Pionierorganisation „Ernst Thälmann“. Eine erste „Pionierrepublik“ war bereits 1950 in der Berliner Wuhlheide eingerichtet worden. 16  Ein



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neraldirektoren der sowjetischen Betriebe die erforderlichen Anweisungen zu erteilen. Kobulov erwiderte, er könne diesem Vorschlag nichts entgegenhalten, zumal eine solche Regelung für die gesamte Industrie der DDR Geltung haben werde, merkte allerdings an, dass die Kosten für den Aufbau der Pionierlager den Rahmen entsprechender Ausgabenposten des Direktorenfonds nicht überschreiten dürften. 7. Ferner ließ Ulbricht wissen, dass er es für notwendig erachte, nach sowjetischem Vorbild freiwillige Sportvereinigungen zu gründen, d. h. sportliche Organisationen wie Torpedo, Traktor, Dynamo u. a. Die Hauptabsicht bei diesem Vorhaben bestehe darin, die Jugend zusammenzuschweißen und sie von reaktionären Sportgruppierungen und -organisationen fernzuhalten. Ulbricht bat Kobulov, die Generaldirektoren der Aktiengesellschaften und sowjetischen Betriebe anzuweisen, der Erledigung dieser Aufgabe die volle Aufmerksamkeit zu widmen. Kobulov machte deutlich, dass sportliche Betätigung in sowjetischen Betrieben eine sehr wichtige Rolle spiele. Ulbricht bestätigte dies und teilte mit, dass er keine Fragen mehr habe. Zum Abschluss der Unterredung berichtete Kobulov Ulbricht, dass die Wismut AG seit 1949 einen zweiten Eisenbahnschienenstrang von 32 km Länge zwischen Aue und Johanngeorgenstadt baue. Die Arbeit werde im Mai des laufenden Jahres abgeschlossen. Die Strecke sei für die DDR von gesamtstaatlicher Bedeutung und müsse laut einer Stellungnahme des Verkehrsministers der DDR, Reingruber, in den Zuständigkeitsbereich des Verkehrsministeriums überführt werden.19 „Wir haben keine Einwände gegen eine Übergabe dieser Strecke an die DDR“, teilte Kobulov mit, „allerdings unter der Prämisse, dass die Regie19  Der zweigleisige Ausbau der Strecke zwischen Aue und Johanngeorgenstadt mit teilweise neuer Trassenführung war von der Reichsbahndirektion Dresden 1949 projektiert und seit März 1950 von einem sowjetischen Baustab unter teilweiser Verlegung des Flussbettes der Schwarzwasser, mit einem Tunnelbau und 70 Brückenbauten realisiert worden. Der Abschluss der Arbeiten war laut einem internen Schreiben der Generaldirektion der Deutschen Reichsbahn vom 18. April 1951 am 24. März auf den 15. Mai festgesetzt worden (vgl. BAB, DM 1/1964). In späteren Schreiben war dann vom 15. Juli als Abschlusstermin die Rede (vgl. BAB, DM 1/3412). Laut Schreiben der Reichsbahndirektion Dresden an die Generaldirektion der Deutschen Reichsbahn vom 22. September 1951 sollten die Arbeiten dagegen zum 1. Oktober von der Reichsbahn übernommen werden. Tatsächlich zogen sich die Arbeiten bis in den Oktober hinein. Die verbleibenden Spezialarbeiten führte der sowjetische Baustab zu Ende (vgl. BAB, DM 1/1964).

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rung der DDR die entstandenen Kosten in Höhe von 120 Millionen Mark zurückerstattet.“20 Hierbei bat er Ulbricht, den Regierungsbevollmächtigten der DDR zu nennen, der die Verhandlungen mit dem Vertreter der Verwaltung für sowjetisches Vermögen in Deutschland (USIG) führen wird. Ulbricht erklärte, er habe nichts gegen eine Erörterung dieser Frage einzuwenden und nannte als Bevollmächtigten den Staatssekretär im Ministerium für Verkehr, Wollweber. Gleichzeitig meinte er, man müsse sich im Anschluss an die Verhandlungen noch einmal zur Beschlussfassung treffen. Damit war die Unterredung beendet.

B. Kobulov

AVP RF, f. 0457a, op. 11, p. 59, d. 1, Bl. 2–9.

20  Laut einem Schreiben der Reichsbahndirektion Dresden an die Generaldirektion der Deutschen Reichsbahn vom 10. September 1951 wurde am 19. Juli 1951 (gemäß einem am 5. Juli in Berlin abgeschlossenen Vertrag) „ein Übergabeakt von den Vertretern der sowj[etischen] Vermögensverwaltung Berlin der HV Wismut … und den Vertretern der Reichsbahndirektion Dresden“ unterzeichnet. Dazu hieß es: „Der Umfang und Wert der geleisteten Arbeit bis 15.7.1951 beträgt nach dem vom sowj[etischen] Baustab vorgelegten Zwischenakt etwas über 110 Mill DM.“ Vgl. BAB, DM  1/1964. Darüber hinaus sei über Kosten für Anschlussgleise in Höhe von 10 Mio. DM diskutiert worden. Auseinandersetzungen zwischen den sowjetischen Stellen und der Reichsbahn ließen sich bis ins Frühjahr 1952 nicht lösen, Forderungen von sowjetischer Seite wurden von Vertretern der Reichsbahn zurückgewiesen. Aus Sicht der Reichsbahn lief das Bauvorhaben offiziell bis zum 15. Juli 1951 „unter der Leitung des sowjetischen Baustabes und galt als Bauvorhaben der Wismut. Es wurde durch diesen Auftraggeber finanziert.“ In der Zeit vom 15. Juli bis 31. Oktober seien jedoch die Bauarbeiten „aufgrund eines vorliegenden Kostenvoranschlages weiter durch den sowjetischen Baustab unter Einhaltung der vorliegenden Vertragsgestaltung durchgeführt und mit den Auftraggebern verrechnet worden“, vgl. BAB, DM 1/3412. Erst am 10. April 1952 wurde ein „Schlussprotokoll über die Abrechnung der Leistungen beim Bau des 2. Gleises Johanngeorgenstadt – Aue mit dem sowjetischen Baustab“ abgeschlossen. In einem Begleitschreiben der Reichsbahndirektion Dresden vom 19. April 1952 an die Generaldirektion der Deutschen Reichsbahn hieß es dazu: „Die fast gleichlautende Höhe der gegenseitigen Forderungen ist auf folgenden Umstand zurückzuführen. Der sowjetische Baustab hat weitere Kosten in Rechnung gestellt, die aber bei der Überprüfung der Unterlagen als unbegründet abgelehnt wurden. Er hat sich jedoch bereit erklärt, seine Forderung in Höhe der Forderung der Reichsbahn aufzurechnen.“ Vgl. BAB, DM 1/1964.



Dokument 75: 28. Juni 1951333

75. Unterredung zwischen dem stellvertretenden Vorsitzenden der SKK Semičastnov und Ministerpräsident Grotewohl 

28. Juni 19511

Aufzeichnung einer Unterredung zwischen dem stellvertretenden Vorsitzenden der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland, Gen. I.F. Semi­ častnov, und dem Ministerpräsidenten der DDR, Otto Grotewohl2 Grotewohl teilte mit, er habe aus mehreren Gründen gebeten, ihn zu empfangen: erstens, um sich aus dem Urlaub zurückzumelden,3 und zweitens, um über die derzeitigen Ereignisse sowohl auf internationaler Ebene als auch innerhalb des Landes Gedanken auszutauschen. Er wollte außerdem hören, welche Wünsche die SKK in Bezug auf seine weitere Arbeit habe. Die Gen. Semičastnov und Il’ičev führten mit Grotewohl einen Meinungsaustausch über die Maßnahmen, welche die Regierung der DDR umgesetzt hatte, während Grotewohl in Urlaub war (Ergebnisse der Volksbefragung4, 1  Original. Es wurde am 16.  Juli 1951 im Sekretariat der SKK mit der Nummer 04222 und in der Verwaltung des Politischen Beraters einen Tag später unter der Nummer 02403 registriert. 2  Der hier nicht genannte Il’ičev war offensichtlich ebenfalls Gesprächsteilnehmer und bestand nachträglich auf seiner Nennung im Protokoll (vgl. Fn. 13). 3  Grotewohl hatte im Politbüro für sich und seine Frau am 20. März 1951 einen Kuraufenthalt in der UdSSR beantragt, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/139. Seit 2. Mai 1951 fehlte er wegen Urlaubs bei den Politbürositzungen. Über die Abwesenheit Grotewohls wurde in der Presse der DDR nichts mitgeteilt. 4  Die Durchführung einer „Volksbefragung gegen die Remilitarisierung Deutschlands und für den Abschluß eines Friedensvertrages“ forderte die SED – wohl nicht ohne vorherige Abstimmung mit der SKK –, als sich in Westdeutschland bei den Gegnern der Wiederbewaffung die Stimmen für Neuwahlen bzw. einen Volksentscheid mehrten. Bereits bei seinem Rücktritt hatte Bundesinnenminister Heinemann eine Volksbefragung über eine Teilnahme der Bundesrepublik an der westeuropäischen Verteidigung nahegelegt, was von Adenauer mit der Bemerkung „Das Grundgesetz kennt keine Volksbefragung“ öffentlich zurückgewiesen worden war, vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. Oktober 1950, S. 1. Seit dem Beginn der Pariser Vorkonferenz am 5. März 1951 (vgl. Dok. 66, Fn. 56) steigerten die SED im Osten und die KPD im Westen diese zunächst sporadischen Forderungen zu einer großangelegten Kampagne und richteten sie nach ihren Wünschen aus. Dies löste bei den antikommunistischen Parteien und der Bundesregierung die Befürchtung aus, den Kommunisten könne es gelingen, sich eine Massenbasis zu schaffen. Der Bundestag unternahm niemals den Versuch, den kommunistischen Forderungen eine bundesweite Volksbefragung über die Wiederbewaffnung entgegenzustellen, wie es Heinemann und Niemöller forderten, vielmehr verbot die Bundesregierung am 26.  April 1951 diese generell. Nach längerem Abwarten stimmte der Ministerrat der DDR am 4. Mai 1951 „dem Ersuchen des Hauptausschusses für Volksbefragung in Düsseldorf“ zu, eine Volksbefragung auf dem gesamten Gebiet der Deutschen Demokratischen Repu-

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eine Reihe wichtiger von der Regierung der DDR verabschiedeter Beschlüsse, insbesondere zur Einkommensteuersenkung für die Intelligenz,5 zum Abschluss von Verträgen mit Angehörigen ingenieurtechnischer Berufe und deren Alterssicherung,6 außerdem eine Reihe anderer Gesetze). Gen. Semičastnov machte Grotewohl darauf aufmerksam, dass die Arbeiten bei der Erstellung7 des Fünfjahrplanes zur Entwicklung der Volkswirtschaft in der DDR sowie des Planes für 1952 intensiviert werden müssten; diese seien wichtig, um die Fragen der Wirtschaftspolitik der DDR genau zu bestimmen. Es wurde auf die Notwendigkeit hingewiesen, einen Schwenk zu vollziehen hin zu einer umfassenderen Vorbereitung der Weltfestspiele der Jugend8, wobei man im Auge behalten müsse, dass die anglo-amerikanischen und westdeutschen Behörden bereits Propagandaaktionen sowie Diversionsaktivitäten in die Wege geleitet haben, die sich gegen die Jugendfestspiele richten. Ebenso wurde Grotewohl auf die Notwendigkeit aufmerksam gemacht, sich mit den Fragen der Landwirtschaft auseinanderzusetzen, insbesondere mit dem Thema freier Fleischkäufe.9 In diesem Zusammenhang erhielt die blik durchzuführen. Am 7. Juni 1951 veröffentlichte das Neue Deutschland auf S. 1 das vorläufige Gesamtergebnis der Volksbefragung: Danach hatten sich in der DDR (einschließlich Ost-Berlin) insgesamt 13 687 549 Personen beteiligt, von denen nur 95,88 Prozent für die Forderung der Organisatoren stimmten. Durch die Nummerierung der Wahlzettel und ihre Registrierung in den Wahllokalen war das Wahlgeheimnis faktisch aufgehoben worden. Auf besondere Anordnung der DDR-Regierung nahmen an der Abstimmung auch Jugendliche im Alter von 16 bis 19 Jahren teil (vgl. BAB, DC 20-I/3/56). 5  Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hatte schon am 26.  Mai 1951 auf S. 3 die Steuersenkung in der DDR für die „technische Intelligenz“ (vgl. Dok. 74, Fn. 7) mit deren verstärkter Abwanderung nach West-Berlin in Verbindung gebracht und festgestellt: „Während der Lohnsteuerbetrag bei Einkommen bis zu 665 Ostmark nur um durchschnittlich zehn Prozent gesenkt wird, bedeutet die neue Verordnung für die hohen Einkommen der Intelligenz eine Senkung bis zu fünfzig Prozent, da in Zukunft bei den Gehältern über 665 Ostmark nicht mehr fünfzig oder mehr Prozent für Lohnsteuer abgezogen werden, sondern nur noch zwanzig Prozent.“ 6  Vgl. Dok. 74, Fn. 7. 7  So im Original. Da der Fünfjahrplan bereits 1950 beschlossen worden war (vgl. Dok. 12, Fn. 11), ist hier wahrscheinlich dessen „Erfüllung“ gemeint. 8  Die III. Weltfestspiele der Jugend und Studenten fanden vom 5. bis zum 19. August 1951 in Ost-Berlin statt. 9  Die Versorgung mit Fleisch und Fetten war ein Dauerthema in den Unterredungen mit der SKK-Führung, vgl. Dok. 18, Dok. 27 und dort Fn. 10 sowie Dok. 31, Fn. 13. Zur Lieferung von Fleisch aus der UdSSR vgl. Dok. 43. Am 5. April 1951 hatte der Ministerrat der DDR die „Verordnung über die Bildung von Übergangsbeständen im Handelsnetz“ bestätigt (BAB, DC 20-I/3/54, TOP 4, Anlage 4), die auch die „ungestörte Versorgung der Bevölkerung mit Fleisch, Fisch und Eiern im 2. Halbjahr 1951“ vorsah, sich jedoch als nicht wirksam erwies. Am 21. Juni 1951 musste der Ministerrat unter Grotewohls Leitung feststellen, dass im Herbst 1950 ein Absin-



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Arbeit des Staatssekretärs für Fleischaufkauf10 eine negative Bewertung. Grote­wohl stimmte diesen Aussagen zu. Anschließend wurden Meinungen über die Entwicklung bei der Erfüllung der Reparationslieferungen und den Verlauf der Verhandlungen zum innerdeutschen Handel ausgetauscht. Grotewohl sagte, er werde bei seiner Arbeit erneut, wie schon vor dem Urlaub, ein besonderes Augenmerk auf die Erfüllung des Reparationsplanes richten. Im Hinblick auf die Situation in Westdeutschland erklärte Grotewohl, dass der Zustand der kommunistischen Partei in Westdeutschland nicht zufriedenstellend sei. Man müsse offenbar, wie er meinte, sich noch einmal bemühen und eine Gruppe guter Leute zusammenstellen, die man dann zur aktiven Unterstützung der KPD dorthin entsenden könne. Als Schlussfolgerung aus der in Greifswald stattgefundenen wissenschaftlichen Ärztetagung,11 an der in beachtlicher Anzahl Ärzte aus Westdeutschland teilgenommen hatten, kamen die Teilnehmer der Unterredung zu der einmütigen Auffassung, dass es notwendig sei, in der DDR wissenschaftliche Konferenzen jeglicher Art durchzuführen und auf diese Weise die DDR zu einem wissenschaftlichen Zentrum zu machen, um Vertreter der Wissenschaft aus Westdeutschland auf die Seite der Republik zu ziehen.12 Solche Maßnahmen könnten dazu dienen, nicht nur Möglichkeiten für den Austausch über wissenschaftliche Errungenschaften zu schaffen, sondern seien auch geeignet, unter den Vertretern der Wissenschaft in Westdeutschland eine bessere Arbeit zu leisten. Zum Abschluss brachte Grotewohl seine uneingeschränkte Zufriedenheit mit dem in der UdSSR verbrachten Urlaub, dem Kuraufenthalt, den hoch-

ken von 60 000 t Lebendgewicht bei Schlachtvieh eingetreten sei. Der Staatssekretär für Erfassung und Aufkauf wurde beauftragt, für das Jahr 1951 „mindestens 21 000 t Schweine-Lebendgewicht … zusätzlich zu erreichen“; außerdem sollte der Importplan für 1951 von 70 000 t auf 92 000 t Fleisch erhöht werden (BAB, DC 20-I/3/56). Zur weiteren Behandlung dieser Frage vgl. Dok. 79 und dort Fn. 11. 10  Gemeint war der Staatssekretär für Erfassung und Aufkauf landwirtschaftlicher Erzeugnisse im Ministerium für Handel und Versorgung Hermann Streit. Dessen Arbeit war bereits im „Beschluß zur Sicherung der Versorgung mit Fleisch“ auf der Ministerratssitzung vom 21. Juni (vgl. Fn. 9) kritisiert worden. Am 13. November 1951 beschloss das Politbüro eine Neuregelung des Fleischaufkaufs, in der auch Aufgabenbereiche des Staatssekretärs neu festgelegt wurden, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/ IV 2/2/176, TOP 7 und Anlage 5. 11  Die Berliner Zeitung berichtete am 16., 17. und 19. Juni 1951 über die vom 15. bis 17. Juni in Greifswald abgehaltene 37. Tagung der Nordwestdeutschen Gesellschaft für innere Medizin und hob dabei die Teilnahme von 250 westdeutschen Vertretern hervor. 12  Vgl. dazu bereits Punkt 5 des von Kobulov in Dok. 74 vorgeschlagenen Maßnahmenkatalogs.

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qualifizierten Ärzten sowie seine Begeisterung über die Atmosphäre, in der er seinen Urlaub verbringen konnte, zum Ausdruck. An der Unterredung nahmen der Stellvertreter des politischen Beraters der UdSSR, Gen. I.I. Il’ičev, und der Dolmetscher, Gen. A.Ja. Bogomolov, teil. Die Unterredung fand von 18:00 Uhr bis 19:30 Uhr statt.13 Aufzeichnung der Unterredung durch Dolmetscher Bogomolov AVP RF, f. 0457a, op. 11, p. 59, d. 1, Bl. 37–38.

76. Schreiben des stellvertretenden Außenministers Gromyko an den Vorsitzenden des Ministerrats Stalin Streng geheim

Moskau, 13. Juli 19511

An Gen. I.V. Stalin Die deutschen Freunde haben der Sowjetischen Kontrollkommission (Tel. aus Berlin Nr. 8/10272) berichtet, dass im Zusammenhang mit dem Beschluss der Regierungen der USA, Großbritanniens und Frankreichs über die Aufhebung des Kriegszustandes mit Deutschland3 die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik beabsichtigt, eine Erklärung abzugeben, mit der dieses Manöver der Westmächte demaskiert werden soll. In der Erklärung wird auf Folgendes hingewiesen:4 1. Die Westmächte führen das deutsche Volk mit der heuchlerischen Erklärung über eine Beendigung des Kriegszustandes mit Deutschland in die Irre, um durch Schaffung des Anscheins einer Gleichberechtigung die Remilitari-

13  Dazu die handschriftliche Anmerkung vom 18. Juli von Matveev: „An Gen. Bogomolov wurde die Anweisung des Gen.  Il’ičev weitergeleitet, die Gesprächsaufzeichnung richtig auszufertigen (Gen. Il’ičev war nicht [nur] anwesend, sondern führte das Gespräch zusammen mit Gen. Semičastnov).“ 1  Kopie. Das Original ging an Stalin. Kopien erhielten Molotov, Malenkov, Berija, Mikojan, Kaganovič, Bulganin, Chruščev und Vyšinskij. Das Dokument erhielt am 13. Juli 1951 die Registraturnummer 50-Gi. 2  Dieses Telegramm konnte im AVP RF nicht ermittelt werden. 3  Zur Aufhebung des Kriegszustands durch die Westmächte vgl. Dok. 20, Fn. 12. 4  Bereits vor diesem Bericht an Stalin hatte Dertinger am 12. Juli 1951 im Ministerrat „über die Frage der Beendigung des Kriegszustands mit Deutschland nach der Erklärung der westlichen Alliierten“ berichtet und war dort beauftragt worden „einen Entwurf über die Stellungnahme der Regierung zur Veröffentlichung vorzubereiten“, vgl. BAB, DC 20-I/3/59, TOP 11. Die Erklärung wurde am 17. Juli auf S. 1 im Neuen Deutschland veröffentlicht, vgl. auch DAPDDR 1, S. 70–73.



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sierung Westdeutschlands zu beschleunigen und die Einreihung des Landes in den aggressiven Nordatlantikblock zu erleichtern. 2. Das deutsche Volk hat sechs Jahre nach Beendigung des Krieges in der Tat ein Recht auf Frieden. Dieses elementare Recht auf Frieden entziehen die Westmächte dem deutschen Volk auf unbestimmte Zeit. 3. Die Deklaration über die „Beendigung des Kriegszustandes mit Deutschland“ ändert nichts an der gegenwärtigen Lage in Westdeutschland, da das Besatzungsstatut in Kraft bleibt, und was die Besatzungstruppen anbelangt, so wird deren Anzahl erhöht. 4. Mit diesem Schritt begehen die Westmächte erneut einen groben Verstoß gegen das Potsdamer Abkommen und sorgen für die Beibehaltung der Spaltung Deutschlands, was im Widerspruch zu den vitalen Interessen des deutschen Volkes steht. 5. Verantwortlich für dieses Tun sind auch die deutschen Monopolisten, die im Komplott mit den amerikanischen und westeuropäischen Imperialisten gegen einen Frieden in Europa zu Felde ziehen. 6. Der einzig annehmbare Weg für das deutsche Volk zur Lösung der deutschen Frage besteht im Abschluss eines Friedensvertrages mit einem geeinten Deutschland und dem Abzug der Besatzungstruppen, wie dies mehr als einmal von der Sowjetunion in Übereinstimmung mit dem Beschluss von Potsdam vorgeschlagen worden ist. Die deutschen Freunde erwarten eine Antwort von der SKK, ob Einwände gegen den Erklärungsentwurf der DDR-Regierung bestehen. Die Gen. Semičastnov, Ilʼičev und Puškin sind der Auffassung, dass die Abgabe einer solchen Erklärung durch die Regierung der DDR sinnvoll ist. Das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR unterstützt diesen Vorschlag ebenfalls. Entwurf eines Beschlusses des ZK der VKP (b) liegt bei. Ich bitte um Prüfung.5

i. A.: A. Gromyko

AVP RF, f. 07, op. 24, p. 14, d. 156, Bl. 75–76.

5  Dazu der Vermerk: „Erledigt durch P[olitbürobeschluss] 82/473 vom 14. Juli 1951.“ Das Politbüro des ZK der VKP (b) bestätigte an diesem Tag eine telegrafische Weisung an Semičastnov, Il’ičev und Puškin betr. die Erklärung der Regierung der DDR zur Entscheidung der drei Westmäche, den Kriegszustand mit Deutschland zu beenden: „Sagen sie den deutschen Freunden, dass ihr vorgeschlagener Entwurf betr. eine Erklärung der DDR-Regierung keine Einwände hervorruft.“ Vgl. RGASPI, f. 17, op. 162, d. 46, Bl. 22 und Bl. 38.

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77. Unterredung zwischen dem stellvertretenden Vorsitzenden der SKK Semičastnov, dem Stellvertreter des Politischen Beraters Il’ičev, Präsident Pieck und Ministerpräsident Grotewohl Geheim

19. Juli 19511

Aufzeichnung einer Unterredung vom 19. Juli 1951 zwischen dem stellvertretenden Vorsitzenden der SKK, I.F.  Semičastnov, dem stellvertretenden Politischen Berater der SKK, I.I. Il’ičev, dem Präsidenten der DDR, W. ­Pieck, und dem Ministerpräsidenten der DDR, O. Grotewohl Die Unterredung fand am 19. Juli 1951 von 20:00 Uhr bis 21:15 Uhr in der Wohnung W. Piecks statt. Gen. Semičastnov informierte Pieck und Grotewohl über die Stellungnahme der SKK zum Entwurf des Fünfjahrplans, den Ulbricht Ende Mai 1951 übersandt hatte.2 Die Stellungnahme wurde in schriftlicher Form übergeben. Gen. Semičastnov sicherte zu, die Stellungnahme zum Plan für das Jahr 1952 noch in der kommenden Woche zu übermitteln. Zur Frage der Stromsperre für Westberlin, welche gemäß Beschluss des Politbüros des ZK der SED3 am 20. Juli 1951 um 24 Uhr erfolgen sollte, da die Bonner Regierung keine Bereitschaft zur Unterzeichnung eines Handelsabkommens4 erkennen lässt, gab Gen. Semičastnov zu verstehen, dass es 1  Es handelt sich vermutlich um das Original. Es wurde nur ein Durchdruck angefertigt. Das Dokument wurde im Sekretariat der SKK am 25. Juli 1951 unter der Eingangsnummer 04405 registriert und erhielt am gleichen Tag in der Verwaltung des Politischen Beraters die Eingangsnummer 02525. Auf der ersten Seite vermerkte Matveev: „Zweite Ausfertigung geht an das MID“. Pieck fertigte während oder nach der Unterredung ein Stichwortprotokoll zu dieser Unterredung an, vgl. Badstübner/Loth, S. 369–370. 2  Zur Ausarbeitung des Fünfjahrplans im Jahr 1950 vgl. Dok. 12, Fn. 11. 3  Schon Anfang Juli 1950 hatte die DDR die Strom- und Wasserlieferungen nach West-Berlin zeitweilig unterbrochen (vgl. Kaumann an Orlopp, 6.  Juli 1950, in: DzD  II, 3, S. 860–863). Am 17.  Juli 1951 beauftragte das SED-Politbüro Josef Orlopp, dem Bonner Vertreter am folgenden Tag mitzuteilen: „Daß durch den vertragslosen Zustand [gemeint war die ausstehende Unterzeichnung des innerdeutschen Handelsvertrags, vgl. Fn. 4], da alle Verträge abgelaufen sind, es nicht mehr möglich ist, ab 20. Juli 1951 Strom für Westberlin zu liefern. Die Stromlieferung wird ab 19.7.1951, 24:00 Uhr eingestellt.“ Vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/157. 4  Gemeint ist der Abschluss eines neuen Abkommens über den Handel zwischen den Währungsgebieten der DM-West (Bundesrepublik) und den Währungsgebieten der DM-Ost (DDR), das an die Stelle des Frankfurter Abkommens (vgl. Dok. 17, Fn. 18) treten sollte. Die Verhandlungen dazu hatten bereits am 6.  Juli 1950 begonnen, doch erst nach Bestätigung durch die Bundesregierung am 3. Juli 1951 (vgl.



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wünschenswert wäre, wenn dieser Beschluss vorerst nicht in die Tat umgesetzt würde. Vorerst sei es sinnvoll, zu diesem Thema entsprechende Pressearbeit zu leisten und vor einer Unterbrechung der Stromversorgung zu warnen.5 Pieck und Grotewohl stimmten dieser Stellungnahme zu.

Kabinettsprotokolle, Bd. 4 [1951], S. 502–503) konnten die Unterhändler Orlopp und Kaumann drei Tage später den neuen Vertragstext paraphieren. Er wurde dort bereits als „Berliner Abkommen“ bezeichnet. Nachdem das Politbüro des ZK der SED der Unterzeichnung dieses Abkommens am 10. Juli zugestimmt hatte (BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/156), verzögerte sich der Vertragsabschluss, da die westdeutsche Seite ihn vom Abbau der Behinderung im Warenverkehr zwischen West-Berlin und dem Bundesgebiet abhängig machte. Obwohl das Politbüro Orlopp beauftragt hatte, mit einer Abschaltung der Stromlieferungen für West-Berlin zu drohen (vgl. Fn. 3), machte Kaumann nun die Unterzeichnung des Abkommens von einem zusätzlichen Briefwechsel abhängig, mit dem beide Seiten ihr Interesse an einem ungehinderten „Warenverkehr über die Demarkationslinien“ ausdrücken sollten. Der vorgeschlagene Briefwechsel richtete sich gegen die seit Mitte Mai 1951 von der sowjetischen Transitgenehmigungsstelle verlangten „Herkunftsnachweise“ für die Genehmigung der Ausfuhr von „Vorbehaltsgütern“ aus West-Berlin in die Bundesrepublik (vgl. den Bericht Orlopps „über den Stand der Verhandlungen für ein neues Warenabkommen mit Westdeutschland“ vom 16.  August, BAB-SAPMO, NY 4090/376, Bl. 187–194, sowie Berlin 1951–1954, S. 105, Nr. 21; vgl. auch die Schilderung in Der Spiegel 34/1951 vom 22. August auf S. 8–9). Am 28. August 1951 nahm das Politbüro „den Bericht über den Stand der Verhandlungen zum Innerdeutschen Warenabkommen zur Kenntnis“ und stimmte dem „Entwurf eines Briefwechsels, der gleichzeitig mit dem Abkommen unterzeichnet werden soll“ unter der Bedingung der Streichung einzelner Textpassagen zu (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/163, TOP 11, Anlage 6). Obwohl eine gegenseitige Regelung dieses Problems zunächst nicht gefunden wurde, kam es am 20. September 1951 zum Vertragsabschluss. Für den Wortlaut des Berliner Abkommens vom 20. September 1951 vgl. Bundesanzeiger Nr. 186 vom 26.  September 1951. 5  Das Neue Deutschland hatte schon am 6.  Juli 1951 gemutmaßt, dass die Verzögerung der Paraphierung des bereits ausgehandelten innerdeutschen Handelsabkommens auf US-Weisung erfolge, und gewarnt, dass mit dem Auslaufen des alten Abkommens auch alle Sonderabkommen des Vertrages entfallen, darunter der Energievertrag, der die Stromlieferungen vom „demokratischen Sektor“ nach West-Berlin festlegte. „Diese Sonderabkommen können nur wirksam sein, wenn ein gültiger Vertrag für den innerdeutschen Handel wieder in Kraft ist.“ (S. 1). Am 29. Juli betonte die Berliner Zeitung, dass sich die Regierung der DDR in allen Fragen entgegenkommend und korrekt verhalten habe und „sogar – trotz des vertraglosen Zustandes – noch Stromlieferungen nach Westberlin“ zuließe (S. 2). Über die Ausführung des DDR-Beauftragten für den innerdeutschen Handel auf einer Pressekonferenz berichtete nicht das Neue Deutschland, sondern am 4. August das zentrale Organ der Ost-CDU, die Neue Zeit. Der Artikel auf S. 1 hob ebenfalls hervor, dass die DDR ungeachtet des abgelaufenen Vertrages die Stromlieferungen nach West-Berlin fortgesetzt habe.

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Gen. Semičastnov teilte Pieck und Grotewohl den Standpunkt der SKK zu Absperrungsmaßnahmen an der Demarkationslinie mit.6 Gen. Semičastnov machte deutlich, dass auf Anweisung von Armeegeneral V.I. Čujkov früher bereits ähnliche und sogar schärfere Maßnahmen ergriffen worden seien; aus diesem Grunde erscheine es nicht sinnvoll, noch vor dem Ende des internationalen Festivals7 irgendein weiteres Gesetz zu verabschieden. Grotewohl teilte die Auffassung des Gen. Semičastnov und meinte, bis zum Ende des Festivals bleibe noch Zeit, um diese Frage weiter zu erörtern.8 Des Weiteren beantwortete Gen. Semičastnov die Bitte Ulbrichts, die Mitarbeiter des Amtes für Kontrolle des Warenverkehrs (AKW)9 mit Waffen auszustatten. Gen. Semičastnov äußerte sich dahingehend, dass die Mitarbeiter dieses Amtes Waffen tragen dürften, allerdings nur während der Arbeitszeit. Am Ende der Dienstschicht müssten diese wieder abgegeben werden.10 Gen. Semičastnov teilte mit, dass in Entsprechung der Bitte Ulbrichts für die Versorgung des Festivals 150 Feldküchen und ein Fesselballon bereitgestellt würden, und bei Grünau werde eine Pontonbrücke errichtet. Gen. Semičastnov erklärte sich auch damit einverstanden, für die Zeit des Festivals das Schloss Cecilienhof in Potsdam, in welchem die Potsdamer Konferenz stattgefunden hatte, für Besucher zu öffnen. Gen. Semičastnov sagte, das Gebäude müsse ein wenig renoviert werden. Die entsprechenden Kosten, die sich auf ca. 20 000–30 000 Mark belaufen würden, müssten von der DDR-Regierung getragen werden.11 6  Es konnte nicht geklärt werden, welche konkreten Absperrungsmaßnahmen an der innerdeutschen Grenze gemeint waren und wer dazu Vorschläge unterbreitet hatte. Zu den im Frühjahr und Sommer 1952 vorbereiteten und durchgeführten Sperrmaßnahmen an der innerdeutschen Grenze vgl. Dok. 107, 111, 115 und 117. Sofern hier von der Berliner Sektorengrenze die Rede war, konnten die Unterbrechungen der Stromzufuhr gemeint sein (vgl. Fn. 3), oder es handelte sich um Planspiele, denn zeitgleich entstanden Berichte, wie für den Fall einer Trennung der Energie- und Wasserversorgung sowie der Verkehrsbetriebe West- und Ost-Berlins Abhängigkeiten von West-Berlin beseitigt werden konnten (vgl. Dok. 118, Fn. 10). 7  Gemeint sind die III. Weltfestspiele der Jugend und Studenten vom 5. bis 19. August 1951 in Ost-Berlin. Zu deren Vorbereitung vgl. auch Dok. 75. 8  Im AVP RF konnten keine weiteren schriftlichen Erörterungen zu dieser Frage ermittelt werden. 9  Dieses Amt war auf Grundlage des „Gesetzes zum Schutz des innerdeutschen Handels“ vom 20. April 1950 beim Ministerium für Innerdeutschen Handel, Außenhandel und Materialversorgung gebildet worden, vgl. Dok. 16, Fn. 4. 10  Am 26.  Juli 1951 erfolgte durch die „Verordnung zum Schutz des innerdeutschen Warenverkehrs“ die Ausdehnung der Zuständigkeit des AKW auf die Demarkationslinie. Dazu wurden durch Befehl Nr. 154/9 des Chefs der Volkspolizei 333 Angehörige der Grenzpolizei dem AKW unterstellt, vgl. Manfred Suwalski, Die Entwicklung der Zollverwaltung der DDR (1945–1990), in: Diedrich/Ehlert/Wenzke, Im Dienste der Partei, S. 577–592, hier S. 578. 11  Eine entsprechende Bitte der DDR-Regierung konnte nicht ermittelt werden.



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Pieck und Grotewohl erwiderten, die erforderliche Renovierung werde erledigt, und dankten Gen. Semičastnov für die Unterstützung. Gen. Semičastnov brachte außerdem zum Ausdruck, dass er keinerlei Beanstandungen oder Einwände gegenüber Maßnahmen habe, die der Lenkung des Verkehrs während der internationalen Jugendfestspiele durch die Volkspolizei dienen. Gen. Semičastnov bat darum, dieses Thema im Einzelnen durch den Chef der Volkspolizei, Maron, und Gen. Stroganov gemeinsam regeln zu lassen. Gen. Semičastnov reagierte positiv auf die Bitte Ulbrichts, auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald eine Stätte der Erinnerung an Ernst Thälmann und die dort im Konzentrationslager Ermordeten einzurichten.12 Gen. Semičastnov bat darum, vorher den Entwurf des Mahnmals vorgestellt zu bekommen. Pieck und Grotewohl teilten mit, dass dieser Bitte entsprochen werde. Des Weiteren übermittelte Gen. Semičastnov Pieck und Grotewohl die Antwort auf die Bitte Ulbrichts, über die Kurzwelle des Rundfunksenders Leipzig Sendungen in italienischer Sprache auszustrahlen. Gen. Semičastnov ließ wissen, dass solche Sendungen durchgeführt werden können, bat jedoch darum, die Zeit, zu der die Sendungen gebracht werden sollen, mit der Abteilung für Transport und Nachrichtenwesen der Sowjetischen Kontrollkommission abzustimmen. Grotewohl antwortete, man werde die Sendezeit mit dem entsprechenden Organ der SKK koordinieren. Auf die schriftliche Anfrage Ulbrichts,13 ob es zweckdienlich sei, die Aktion, welche von der Leitung der westdeutschen Eisenbahnen vorgenommen wurde, indem diese die Erkennungszeichen an den Eisenbahnwaggons von „DR“ („Deutsche Reichsbahn“14) in „DB“15 („Deutsche Bundesbahn“) abändern ließ,16 als Provokation zu desavouieren und ob eventuell ein Protest 12  Die Bitte Ulbrichts konnte nicht ermittelt werden. Im SED-Politbüro wurden erst am 18. Juli 1953 Maßnahmen zur „Gestaltung der Todesstätte Ernst Thälmanns“ im KZ Buchenwald beschlossen (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/J IV 2/2/307, TOP 11). Vor allem wegen der ungeklärten Finanzierungsfrage verzögerte sich die Ausarbeitung eines Gedenkstättenkonzepts. Die „Nationale Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald“ wurde am 14. September 1958 eröffnet. 13  Die Anfrage Ulbrichts konnte im AVP RF nicht ermittelt werden. 14  Im russischen Original: „Deutsches Reich“. 15  Im russischen Original fälschlich: „VD“. 16  Vgl. dagegen die Darstellung im Tagesspiegel vom 16.  Oktober 1951, S. 2: „Der Vertreter der Bundesbahn in Berlin teilte am Montag mit, daß 360 Wagen der Bundesbahn, die durch Westberliner Firmen generalüberholt wurden, in Berlin blockiert sind, da von der Sowjetzonenbahn der Rücktransport der Wagen ins Bundesgebiet verweigert wurde. Angeblich soll das Amt für Warenkontrolle der ‚DDR‘ für die Abfertigung der Wagen zuständig sein. Gründe für die vorläufige Weigerung der Sowjetzonenbehörden sind nicht bekannt. Man vermutet aber, daß die Beschriftung der

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vonseiten der SKK angebracht sei, antwortete Gen. Semičastnov, dass diese Aktion durchaus gebrandmarkt werden müsste. Was allerdings die Protesterklärung der SKK an die westlichen Besatzungsmächte anbelange, so werde die SKK erst dann einen entsprechenden Beschluss fassen, wenn sie nähere Einsichtnahme in den Sachverhalt genommen haben werde.17 Gen. Semičastnov äußerte den Wunsch, im Politbüro die Frage des Zustands von Bau und Planung des Hüttenkombinates „Ost“ zur Sprache bringen zu lassen und dabei Selbmann anzuhören.18 Wie aus den der SKK vorliegenden Meldungen hervorgehe, sei auf dem Bau eine schlechte Organisation der Arbeiten zu beobachten, und dies führe zu verschiedenen Betriebsstörungen, produktionstechnischen Fehlentwicklungen und Mehrkosten. Gen. Semičastnov wies Pieck und Grotewohl auf den Ernst der entstandenen Lage hin, und diese teilten seine Auffassung vollinhaltlich. Gen. Semičastnov machte Pieck und Grotewohl darauf aufmerksam, dass die dem Ministerium für Schwerindustrie der DDR unterstellten Werke, u. a. die Maxhütte19 und insbesondere das Werk Brandenburg20, den Maschinenbaubetrieben der DDR und der Verwaltung für sowjetisches Vermögen in Deutschland (USIG) fehlerhafte, für die Blechproduktion nicht verwendbare Stahlbrammen liefern. Gen. Semičastnov bat darum, unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Fertigung von Ausschussbrammen und -walzgut zu unterbinden. Grotewohl gab zu, dass der Prozentsatz der Ausschussproduktion hoch sei (50 Prozent) und ließ wissen, er habe die Absicht, in den kommenden Tagen eine Sitzung mit Vertretern des Ministeriums für Schwermaschinen- und Anlagenbau sowie mit Vertretern der Werke anzuberaumen, um diese Themen zu besprechen und Material vorzubereiten, welches auf der am 27. Juli stattfindenden Konferenz zu Fragen der Reparationslieferungen zur Sprache kommen solle. Wagen (DB = Deutsche Bundesbahn, an Stelle von DR = Deutsche Reichsbahn) den Vorwand bietet.“ 17  In der Täglichen Rundschau wurde dazu keine Erklärung veröffentlicht. 18  Zu den Anfängen des Eisenhüttenkombinats Ost vgl. Dok. 31, Fn. 24. Probleme beim Bau dieses Großvorhabens (vgl. Dok. 83, Fn. 19) wurden im SED-Politbüro zu dieser Zeit nicht behandelt. Erst auf seiner Sitzung am 11. Dezember 1951 hielt das Politbüro bei der Diskussion des „Wirtschaftsplan[s] I. Quartal 1952“ fest: „Genosse Selbmann soll seine Aufmerksamkeit darauf konzentrieren, die Produktion der Hüttenwerke Ost und West in Ordnung zu bringen.“ Vgl. BAB-SAPMO, DY 30/ IV 2/2/182, TOP 8. Zur wenig später folgenden Maßregelung Selbmanns vgl. Dok. 98, Fn. 13. 19  Gemeint ist der VEB Bergbau- und Hüttenkombinat Maxhütte in Unterwellenborn (Thüringen), bis 1950 das einzige Stahlwerk in der SBZ/DDR. 20  Gemeint ist der VEB Stahl- und Walzwerk Brandenburg, dessen Wiederaufbau 1950 begann.



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Grotewohl vertritt die Auffassung, ein großer Prozentsatz der Ausschussproduktion lasse sich durch den Mangel an Kadern mit guter technischer Ausbildung erklären. Die gleiche Situation habe es früher im Werk Riesa21 gegeben, wo durch das Einschreiten sowjetischer Fachleute dann beträchtliche Erfolge erreicht werden konnten. Grotewohl bat darum, erforderlichenfalls zur Verbesserung der Lage in den oben genannten Werken einige sowjetische Fachleute zur Verfügung zu stellen. Gen. Semičastnov wies Pieck und Grotewohl auf die Explosion einer Gasleitung im Hüttenwerk Brandenburg22 hin und meinte, die Betriebsstörungen im Werk, die Ausschussproduktion und jetzt dieses Ereignis ließen den Gedanken an Sabotage aufkommen. Grotewohl erwiderte, eine Untersuchung des Störfalls mit dem Schwerpunkt auf diesen Aspekt sei bereits durch das Ministerium für Staatssicherheit eingeleitet worden. Gen. Semičastnov teilte seine Überlegungen mit, wie man der Deutschen Notenbank eine solidere Stellung verschaffen könnte, als dies heute der Fall ist, und zwar durch Angleichung ihres Status an den eines Staatssekretariats, unmittelbar der Regierung unterstellt.23 Grotewohl schloss sich den Worten des Gen. Semičastnov an und vermeldete, er sei darüber informiert, dass Georgino und die Abteilung für Finanzen der SKK kooperieren. Gen. Semičastnov gab weiterhin zu verstehen, dass es sinnvoll wäre, ein spezielles Bankgeheimnisgesetz zu beschließen und Auskünfte über die Höhe von Einlagen nur nach Gerichtsbeschluss zuzulassen. Diese Maßnahme hätte 21  Gemeint

ist der VEB Stahl- und Walzwerk Riesa. Angaben zu einer Explosion im VEB Stahl- und Walzwerk Brandenburg konnten nicht ermittelt werden. In der Darstellung von Friedhelm Stresow, Betriebsgeschichte des VEB Stahl- und Walzwerk Brandenburg, Teil 1: 1949–1955, Brandenburg 1987, ist von einer (angeblichen) Ofenexplosion am 2. August 1951 die Rede, die hier jedoch als ein am folgenden Tag ausgestreutes Gerücht des „Klassenfeindes“ mit dem Ziel, Verwirrung zu stiften, bezeichnet wird. 23  Laut dem am 2. Oktober 1951 im Politbüro des ZK der SED beschlossenen „Gesetzentwurf über die staatsrechtliche Stellung der Notenbank“ erhielt die Deutsche Notenbank als Staatsbank der DDR das „ausschliessliche Recht, Geldzeichen (Noten und Münzen) auszugeben“, eine Neuemission von Geldzeichen musste jedoch durch die Regierung beschlossen werden. Die Deutsche Notenbank sollte die Kassengeschäfte des Staatshaushalts erledigen und erhielt die Befugnis, zur Durchführung ihrer Aufgaben allgemein verbindliche Anordnungen zu erlassen. Ihr Haushaltsplan war vom Ministerium für Finanzen zu bestätigen. Unter § 6 hieß es weiter: „(1) Die Deutsche Notenbank wird von dem Präsidenten der Bank verantwortlich geleitet. Er ist zugleich Vorsitzender des Direktoriums der Deutschen Notenbank … (2) Der Präsident der Deutschen Notenbank hat Sitz und Stimme im Ministerrat. (3) Der Präsident der Bank wird vom Ministerpräsidenten vorgeschlagen und vom Ministerrat bestätigt.“ (Vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/169, TOP 7, Anlage 3). Das Gesetz wurde am 31. Oktober in der Volkskammer verabschiedet und am 2. November im Neuen Deutschland auf S. 6 abgedruckt. 22  Verifizierbare

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eine bedeutsame Aufwärtsentwicklung bei den Bankeinlagen zur Folge. Ein solches Gesetz müsste in starkem Maße propagiert werden. Pieck und Grotewohl stimmten den Vorschlägen des Gen. Semičastnov zu.24 24  Bereits im Februar 1951 war ein erster Entwurf zu einem Gesetz über das Bankgeheimnis ausgearbeitet worden. Die auf dieses Gespräch folgenden weiteren Entwürfe und Diskussionen darüber sind in BAB, DN 1/34052 unvollständig überliefert. Am 25. Juli bat Ulbricht den Staatssekretär im Ministerium für Finanzen Rumpf „um Ausarbeitung einer Vorlage für das Politbüro betreffend Regierungsbeschluß über die streng vertrauliche Behandlung der Sparkassenkonten“. Nachdem ein daraufhin erstellter Entwurf am 11. August an das MfS und die ZKK sowie am 17. August an die SKK gegangen war, richtete der Leiter der ZKK der DWK, Fritz Lange, ein ausführliches Schreiben an Rumpf, in dem er grundsätzliche Bedenken gegen ein Bankgeheimnisgesetz äußerte. In der DDR herrsche ein „heftiger Klassenkampf“, in dem die Privatunternehmer ihre „überlegenen Kenntnisse auf dem Gebiet des Finanzwesens“ ausspielten. § 2 des Entwurfs (Verschwiegenheitspflicht der Beschäftigten über sämtliche Geschäftsvorgänge „gegenüber jedermann“) würde diese stärken und könne das MfS und die ZKK in ihrer Arbeit lahmlegen: „Unsere Erfahrung bei der Überprüfung grösserer Privatunternehmen hat uns gelehrt, daß gerade das sogenannte Bankgeheimnis eine der wichtigsten Waffen des Klassengegners im Kampf gegen unsere antifaschistisch-demokratische Ordnung darstellt und Angestellte im Bankwesen gemeinsam mit den Unternehmern diese Waffe zu gebrauchen wissen.“ Auch § 3 (der Ausnahmen von der Verschwiegenheitspflicht nur bei Vorliegen eines Gerichtsbeschlusses vorsah) wurde hier grundsätzlich kritisiert, da ein Gerichtsprozess zu lange dauere und ausreichend Zeit für Verschleierungen sei. Lange schloss damit, „daß es nicht zweckmässig ist, sich selbst zu entwaffnen“. Einen am 21. August im Ministerium für Finanzen erarbeiteten dritten Entwurf schickte Rumpf erst am 25. September an das ZK der SED, z. Hd. Franz Ulbrieg, mit dem Vermerk: „Nach Rücksprache mit der Finanzabteilung in Karlshorst werden zu dem beiliegenden Entwurf des Gesetzes über das Bankengeheimnis von der Leitung der Finanzabeilung keine Einwändungen gemacht. Ich bitte daher, den Entwurf dem Politbüro zur Beschlussfassung zuzuleiten.“ Ulbrieg lehnte am 31. Oktober diesen Gesetzentwurf u. a. wegen fehlender Absprachen zur steuerlichen Behandlung von Spareinlagen und zu Änderungen im Entwurf ab und schlug die Ausarbeitung eines neuen Entwurfs vor. Am 1. bzw. am 18. Dezember wurden der vierte und fünfte Entwurf des Finanzministeriums beim ZK der SED eingereicht, am 19. Dezember ging der fünfte Entwurf an die SKK mit Bitte um Stellungnahme. Zum fünften Entwurf hieß es in einer internen Hausmitteilung an Rumpf vom 17. Dezember: „Ich halte die Forderung der Deutschen Notenbank für berechtigt und habe dementsprechend den Entwurf des Gesetzes ‚Bankgeheimnis‘ sehr eng gehalten. Ich bin dazu auch durch eine Unterhaltung mit unseren Freunden veranlaßt, die beanstandeten, daß wir noch weitere Berechtigten von dem Bankgeheimnis ausnehmen wollten: Staatssicherheit, ZKK und Warenkon­ trolle.“ Stellungnahmen der SKK und der Deutschen Notenbank aus dieser Phase der Diskussion sind nicht in der Akte enthalten. Am 24. Januar erklärte jedoch die Deutsche Notenbank in einem Schreiben an die ZKK, sie halte „[i]m Interesse der weiteren Festigung des Vertrauens der Wirtschaft und der Bevölkerung zu den volkseigenen und genossenschaftlichen Kreditinstituten“ den Entwurf für zweckmäßig mit dem Einwand, dass wegen der Spaltung Deutschlands und Berlins eine „strenge Kontrolle durch die Banken hinsichtlich aller illegalen Kapital- und Geldbewegungen“ erforderlich sei. In solchen Fällen sei es notwendig, „schnellstens und völlig unbürokratisch



Dokument 77: 19. Juli 1951345

Gen. Il’ičev wies Pieck und Grotewohl darauf hin, dass mit zunehmender Häufigkeit Aktionen stattfänden, die auf Initiativen der westlichen Besatzungsmächte und der Bonner „Regierung“ zurückzuführen seien und sich gegen die Vorbereitung der Weltfestspiele der Jugend richten, unter anderem auch in Form von Diversionsakten. Gen. Il’ičev berichtete von einem Fall, der sich im Dorf Lanke (Land Brandenburg) abgespielt habe, wo eine Schule in Brand gesteckt worden sei, in der ca. 200 Festivalteilnehmer untergebracht werden sollten. Der Saboteur sei dingfest gemacht worden. Er habe zugegeben, die Schule im Auftrag eines Mitarbeiters der „Kampfgruppe [gegen Unmenschlichkeit]“ angezündet und dafür 350 Mark erhalten zu haben.25 Gen. Il’ičev war der Auffassung, es sei in diesem Falle angebracht, gegen den Saboteur einen öffentlichen Prozess zu führen und in der Presse eine Kampagne zur Demaskierung der subversiven Aktionen in die Wege zu leiten. Gleichzeitig sollte, wie Gen. Il’ičev weiter ausführte, die Kampagne bestimmte Grenzen nicht überschreiten, um die Teilnehmer des Festivals nicht zu verschrecken. Gegen Ende der Unterredung berichtete Pieck, er habe vor kurzem mit Vertretern des Nationalen Olympischen Komitees gesprochen.26 Die Mitglieder des Komitees seien optimistisch gestimmt und nähmen nicht an, dass es während des Jugendfestivals an den Grenzen zu irgendwelchen außergewöhnlichen Maßnahmen kommt. Außerdem eröffnete Pieck, er hege angesichts der Erklärungen, die im Rahmen des Evangelischen Kirchentages27 abgegeben wurden, keinerlei IlluBankkonten zu sperren bezw. den verantwortlichen Stellen unserer Staatlichen Verwaltung Auskünfte über derartige Konten zu geben“. Um den Bedenken Rechnung zu tragen, schlage die Deutsche Notenbank daher die Einsetzung von Schnellrichtern in den Großstädten vor, die „unbürokratisch innerhalb weniger Stunden den nach § 2 des Entwurfs für die Sperrung des betreffenden Kontos erforderlichen Gerichtsbeschluss verwirklichen“, anderenfalls sei die Formulierung des § 2 bedenklich. In der Folge war von „grundsätzlichen Unterschiede[n]“ zwischen den Entwürfen des Finanzministeriums und der Deutschen Notenbank die Rede; am 20. Februar 1952 bat Ulbrieg das Finanzministerium, „die Bearbeitung des Gesetzes über das Bankgeheimnis vorläufig auszusetzen“. In der DDR wurde kein Gesetz über das Bankgeheimnis mehr verabschiedet. 25  Zur „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ (KgU) vgl. Dok. 117. Der hier geschilderte Fall konnte nicht belegt werden, er findet sich nicht in Heitzer, Kampfgruppe. 26  Pieck vermerkte in seinen Vormerkkalender für den 19. Juli 1951 den Empfang des Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees. Diese Funktion übte zu diesem Zeitpunkt der frühere Leichtathlet Kurt Edel aus. Vgl. BAB-SAPMO, NY 4036/ 27, Bl. 72. 27  Der 3. Deutsche Evangelische Kirchentag fand unter dem Motto „Wir sind doch Brüder“ vom 11. bis 17. Juli 1951 in Berlin statt und hatte eine ungewöhlich hohe Zahl von mehr als 69 000 Besuchern. Pieck hatte am Eröffnungstag eine Botschaft gesandt und gefordert: „Treten Sie als Deutsche und Christen ein für Frieden und

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sionen. Die Reden hätten gezeigt, dass die Kirche nicht für den Frieden, für die Einheit Deutschlands und gegen die Wiederbewaffnung Westdeutschlands kämpft. Keinen Bitten und Gesuchen der Kirche werde stattgegeben, so fuhr Pieck fort, solange diese nicht den Kampf gegen die Bonner „Regierung“ aufnehme. Die Aufzeichnung der Unterredung erfolgte durch den Dolmetscher Bogomolov. AVP RF, f. 0457a, op. 11, p. 59, d. 1, Bl. 56–60.

78. Schreiben des stellvertretenden Außenministers Gromyko an den Vorsitzenden des Ministerrats Stalin Geheim

30. Juli 19511

An Gen. I.V. Stalin Mit Gesetz vom 11. November 1949 hielt die Regierung der DDR die Beschränkungen für ehemalige Mitglieder der Organisationen „Hitlerjugend“ und „Bund deutscher Mädel“ bezüglich des Dienstes in den Innen- und Justizverwaltungen aufrecht.2 Im Hinblick auf die aktive Beteiligung eines erheblichen Teils der ehemaligen Mitglieder der Organisationen „Hitlerjugend“ und „Bund deutscher Mädel“ am demokratischen Aufbau der Republik hat das ZK der SED den Entwurf zu einer Regierungsdirektive gebilligt, laut Einheit.“ Die Eröffnungsgottesdienste hielten Bischof Dibelius in der Werner-Seelenbinder-Halle, Kirchenpräsident Niemöller in der Marienkirche, Landesbischof Hahn (Dresden) in der Zehlendorfer Pauluskirche sowie Landesbischof Lilje (Hannover) und Generalsuperintendent Lic. Jacob (Cottbus) in den Messehallen am Funkturm, vgl. Neue Zeit, 11. und 12. Juli 1951. 1  Kopie. Das Original ging an Stalin. Kopien erhielten Molotov, Malenkov, Berija, Mikojan, Kaganovič, Bulganin, Chruščev, Vyšinskij. Das Dokument enthält keine Registraturnummer. 2  Gemeint ist das „Gesetz über den Erlaß von Sühnemaßnahmen und die Gewährung staatsbürgerlicher Rechte für ehemalige Mitglieder und Anhänger der Nazipartei und Offiziere der faschistischen Wehrmacht“ vom 11. November 1949, dessen § 2 (1) lautete: „Personen, die der ehemaligen NSDAP oder deren Gliederungen oder als Offiziere der faschistischen Wehrmacht angehörten, können entsprechend ihrer fachlichen Eignung im öffentlichen Dienst, in allen Betrieben, in Handwerk, Handel und Gewerbe, in den freien Berufen sowie in den demokratischen Organisationen tätig sein. Ausgenommen hiervon ist die Betätigung in der inneren Verwaltung und ihren Organen, soweit nicht durch Ausführungsbestimmungen Ausnahmen zugelassen werden. Dasselbe gilt auf dem Gebiete der Justiz.“ Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik, Jahrgang 1949 [Nr. 7], S. 59–60, vgl. UdF 4, S. 677, Anm. 395.



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welcher ehemaligen Mitgliedern der Organisationen „Hitlerjugend“ und „Bund deutscher Mädel“ der Dienst in den Innen- und Justizverwaltungen gestattet ist.3 Ulbricht hat sich an die Gen. Semičastnov und Il’ičev mit der Bitte gewandt, ihm die Meinung der SKK zu dieser Frage mitzuteilen (Telegramm aus Berlin Nr. 8/1005)4. Die Gen. Semičastnov und Il’ičev erheben keine Einwände gegen den Erlass einer solchen Direktive durch die Regierung der DDR. Das MID der UdSSR unterstützt diesen Vorschlag der SKK in Deutschland. Ein Beschlussentwurf ist beigefügt. Ich bitte um Prüfung.5 i. A. (A. Gromyko) AVP RF, f. 07, op. 24, p. 14, d. 156, Bl. 84.

3  Ein entsprechender Beschluss des Politbüros des ZK der SED konnte nicht ermittelt werden. In der DDR-Presse wurde über einen entsprechenden Regierungsbeschluss nichts veröffentlicht. 4  Es konnte nicht ermittelt werden, ob sich dieses Telegramm im AVP RF befindet. 5  Der beigefügte Beschlussentwurf wurde am 30. Juli 1951 unter dem Tagesordnungpunkt 582 auf der 82. Sitzung des Politbüros des ZK der VKP (b) bestätigt. Er hatte folgenden Wortlaut: „Der SKK ist es zu gestatten, Ulbricht mitzuteilen, dass gegen die Herausgabe einer diesbezügliche Regierungsdirektive keine Einwände erhoben werden, die es ehemaligen Mitgliedern der ‚Hitlerjugend‘ und des ‚Bundes deutscher Mädel‘ gestatten, Dienst in den Innen- und Justizverwaltungen zu leisten.“ Vgl. RGASPI, f. 17, op. 163, d. 1591, Bl. 178.

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79.  Unterredung zwischen dem Vorsitzenden der SKK Čujkov, dem Stellvertreter des Politischen Beraters Il’ičev, Präsident Pieck, Ministerpräsident Grotewohl und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht Geheim

21. August 19511

Aufzeichnung einer Unterredung zwischen dem Vorsitzenden der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland, Armeegeneral V.I. Čujkov, dem stellvertretenden Politischen Berater der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland, I.I. Il’ičev, dem Präsidenten der DDR, W. Pieck, dem Ministerpräsidenten der DDR, O. Grotewohl, und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten der DDR, W. Ulbricht Die Unterredung fand am 21. August 1951 von 20:00 Uhr bis 21:35 Uhr im Dienstzimmer des Armeegenerals V.I. Čujkov statt. Gen. Čujkov fragte Ulbricht, wie er die zum gegenwärtigen Zeitpunkt in den Verhandlungen über den Interzonenhandel2 entstandene Situation bewerte. Ulbricht erwiderte, seiner Ansicht nach tauschten beide Seiten im Verlauf der Verhandlungen weiterhin Schriftstücke aus. Was den Beschluss des Politbüros zum Interzonenhandel3 anbelange, setzte Gen. Čujkov fort, so 1  Das 1. Exemplar ging an Čujkov und befindet sich vermutlich im Zentralen Archiv des Verteidigungsministeriums in Podol’sk. Dort befinden sich in diesem Fall auch die hier fehlenden Anlagen, vgl. die abschließende Bemerkung in diesem Dokument: „Die aus 5 Seiten bestehenden Anlagen werden nur dem für Gen. Čujkov bestimmten Exemplar beigefügt.“ Weitere Exemplare erhielten Semičastnov, Il’ičev und das MID. Das Dokument ist vom Protokollanten Bogomolov handschriftlich unterzeichnet. Es wurde im Sekretariat der SKK am 5. September 1951 unter der Eingangsnummer 05102 registriert und erhielt am folgenden Tag in der Verwaltung des Politischen Beraters die Eingangsnummer 03037. Auf der ersten Seite vermerkte Matveev: „2. Ausfertigung geht an das MID“. Pieck fertigte während oder nach der Unterredung ein Stichwortprotokoll zu dieser Unterredung an, vgl. Badstübner/Loth, S. 373. 2  Gemeint sind die Verhandlungen über ein neues Interzonenhandelsabkommen, die seit dem 6. Juli 1950 geführt wurden (vgl. Dok. 77, Fn. 4). Der Interzonenhandel erwies sich durch das wirtschaftliche Ungleichgewicht der beiden Partner und die Einwirkung widerstreitender politischer Interessen in Ost und West als außerordentlich störanfällig. Mindestens drei Faktoren wirkten auf ihn ein: Die von den OEECStaaten auf Initiative der USA verfolgte Politik der Handelsbeschränkungen gegenüber der UdSSR und allen Staaten in ihrem Einflussbereich, das Bestreben der UdSSR und der DDR, den Warenverkehr von und nach West-Berlin unter ihre Kon­ trolle zu bringen, und die Abhängigkeit West-Berlins von Strom- und Kohlelieferungen aus der DDR. 3  Offensichtlich bezog sich Čujkov auf zwei Beschlüsse des Politbüros, die den Weg zum Abschluss des neuen Handelsvertrags mit der Bundesrepublik (vgl. Dok. 77,



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gebe es aufseiten der SKK-Organe gegen diesen Beschluss keine Einwände, obwohl schwer einzuschätzen sei, ob eine solche Antwort die Situation zum Besseren führen wird. Wann auch immer die Unterzeichnung des Handelsabkommens stattfinde, – der Westen werde mit allen Mitteln versuchen, dieses Abkommen zu sabotieren. Anschließend, unter Hinweis auf die recht gute Planerfüllung bei den Reparationslieferungen im ersten Halbjahr, machte Gen. Čujkov Pieck, Grotewohl und Ulbricht darauf aufmerksam, dass im zweiten Halbjahr bei der Erfüllung des Reparations-Lieferplanes4 ein Rückstand zu beobachten sei, was seine Ursache darin habe, dass weder breites Grobblech noch ganzgezogene Metallrohre, weder Babbitmetall noch Ferromangan in genügenden Mengen verfügbar sei, außerdem würden im Werk Brandenburg in großem Umfange fehlerhafte Brammen produziert.5 Darauf anspielend, dass bei der Planerfüllung die letzten Monate immer besonders spannungsgeladen sind, bat Gen. Čujkov Grotewohl, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Erfüllung des Jahresplanes für die Reparaturlieferungen zu gewährleisten. Die Kritikpunkte zur Erfüllung des Reparationsplanes übergab Gen. Čujkov in schriftlicher Form (siehe Anlage).6

Fn. 4) freimachen sollten, denn auf westlicher Seite hatte sich die Bundesregierung mit den Hohen Kommissaren am 19. Juli 1951 darauf geeinigt, das neue Interzonenhandelsabkommen gleichzeitig mit der Normalisierung „der Westberliner Lieferungen nach Westdeutschland“ zu unterzeichnen (vgl. AAPD, Hohe Kommissare 1, S. 371). Zunächst hatte das Politbüro am 24. Juli 1951 den von westdeutscher Seite geforderten Briefwechsel zum Abbau von Einschränkungen für den Warenverkehr zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik (vgl. Dok. 77, Fn. 4) zugestimmt, dann aber den Beschluss im Protokoll korrigiert, dass zuvor die SKK befragt werden müsse (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/158). Drei Wochen später wollte das Politbüro dem Briefwechsel unter der Bedingung zustimmen, „daß gemäß Kontrollratsbeschluß vom 16. Januar 1946 die Ausfuhr von Vorbehaltsgütern aus Westberlin nur mit dem Kon­ trollstempel der SKK“ geschieht (vgl. ebenda, DY 30/IV 2/2/161). Am 25. August, also vier Tage nach dem Gespräch mit Čujkov, bestätigte das Politbüro den Briefwechsel in der von der SKK zusammengestrichenen Form (vgl. ebenda, DY 30/IV 2/2/163). 4  Zu dem in der Anordnung des Ministerrates der UdSSR Nr. 4490-1917s vom 2. November 1950 beschlossenen Reparationslieferplan für das Jahr 1951 vgl. GA RF, f. R-5446, op. 106 sč, d. 516, Bl. 218–222. Ein gesonderter Beschluss für das zweite Halbjahr konnte nicht ermittelt werden. 5  Vgl. bereits die Bemerkung von Semičastnov in Dok. 77. Gemeint war der VEB Stahl- und Walzwerk Brandenburg bzw. die VVB Stahl- und Walzwerke Brandenburg. 6  Zu den Anlagen vgl. Fn. 1 zu diesem Dokument.

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Grotewohl merkte an, dass das Politbüro sich gegenwärtig mit diesem Thema auseinandersetze und eine Reihe von Beschlüssen verabschieden werde, um den besagten Mängeln ein Ende zu bereiten.7 Ulbricht erläuterte, dass ein Großteil der Ausschussproduktion im Werk Brandenburg daran liege, dass es an Mangan fehle und dadurch kein Qualitätsstahl erschmolzen werden könne, außerdem würden beim Produktionsprozess Fehler begangen. Ulbricht bat, eine gewisse Menge dieses Metalls aus Lagern von SAG-Betrieben dem Werk Brandenburg zur Verfügung zu stellen. Es sei eine Sonderkommission gegründet worden, die bereits ihre Arbeit aufgenommen habe, sich mit der Aufklärung der beim Produktionsprozess begangenen Fehler befasse und Maßnahmen entwickele, um diese zu beheben. Gen. Čujkov stellte in diesem Zusammenhang fest, dass die Produktion von Ausschuss im Werk Brandenburg damit zu tun habe, dass das Werk keine Geschäftsführung besitze,8 und dies sei auch der Grund für die Fehlanwendungen im produktionstechnischen Prozess und die Erzeugung von fehlerbehafteten Produkten gewesen. Pieck, Grotewohl und Ulbricht schlossen sich den Ausführungen des Gen. Čujkov an. Ulbricht ließ wissen, dass geplant sei, Ende September das Ministerium für Schwerindustrie umzustrukturieren, d.  h. aus dem Ministerium für Schwer­industrie zwei selbständige Staatssekretariate auszulagern: das Staatssekretariat für Kohle und Energie (Staatssekretär Fritsch) und das Staats­ sekretariat für Chemie, Steine und Erden (Staatssekretär van Rickelen). Zum Leiter des Ministeriums für Hüttenwesen und Erzbergbau solle Selbmann 7  Eine „Reihe von Beschlüssen“ ließ sich für diese Zeit nicht nachweisen, lediglich ein Beschluss über die Reparationsleistungen für das Jahr 1952 vom 11. September 1951, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/165, TOP 6. 8  Laut Friedhelm Stresow, Betriebsgeschichte des VEB Stahl- und Walzwerk Brandenburg, Teil 1: 1949–1955, Brandenburg 1987, S. 13, trug bis zur Ernennung von Hauptleiter Herbert Greif der Technische Leiter Friedrich Franz die Gesamtverantwortung für das Werk. Anfang Januar 1950 war für das Stahlwerk eine Aufbauleitung aus fünf Mitarbeitern mit verteilten Aufgaben gebildet worden, unter denen Franz neben seiner technischen Verantwortlichkeit gleichzeitig auch als kommissarischer Leiter des Werkes fungierte. Bereits im zweiten Halbjahr 1950 ist in den Quellen des Ministeriums für Schwerindustrie jedoch Greif als Hauptdirektor erwähnt, vgl. BAB, DG 2/2453. Nachdem am 17. Februar 1951 im Neuen Deutschland unter der Überschrift „Zur Verbesserung der Arbeit im Stahl- und Walzwerk Brandenburg“ eine ausführliche Kritik u. a. an der Arbeit der Werksleitung veröffentlicht worden war (S. 1 und 3), wurde im August 1951 der bis dahin als Parteisekretär im VEB Bergbau- und Hüttenkombinat Maxhütte (Unterwellenborn) tätige Eduard Götzl zum Werkdirektor ernannt, der jedoch seinerseits über keine metallurgische Berufsausbildung verfügte, vgl. Helmut Kinne, Geschichte der Stahlindustrie der Deutschen Demokratischen Republik, hrsg. vom Verein Deutscher Eisenhüttenleute, Düsseldorf 2002, S. 99.



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ernannt werden. Außerdem sei vorgesehen, aus eben diesem Ministerium die Hauptverwaltung Bauwesen auszulagern, sie mit dem Ministerium für Aufbau zu verschmelzen und die Bezeichnung des Ministeriums in „Ministerium für Bauwesen“ abzuändern. Ulbricht versprach, über die neue Struktur des Ministeriums schriftlich zu informieren.9 Gen. Čujkov bat des Weiteren um Informationen über die Möglichkeiten, in der DDR Fluss- und Binnenseeschiffe für die Sowjetunion zu bauen. Sowjetische Fachleute seien der Meinung, sagte er, für den Bau solcher Schiffe könnten am besten die Werften in Stralsund geeignet sein. Ulbricht entgegnete, dass diese Werften zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit dem Bau von Schiffen für die DDR und die UdSSR ausgelastet seien und auf zwei Hellingen Logger gebaut würden, die im Reparations-Lieferplan vorgesehen seien. Ulbricht meinte abschließend, man müsse darüber nachdenken, wie der Bau am besten organisiert werden könnte.10 Ferner wies Gen. Čujkov Pieck, Grotewohl und Ulbricht auf den schlechten Erfüllungsverlauf beim Plan für freie Fleischankäufe hin, der zum 1. Au9  Genau diese Umstrukturierung hatte das Politbüro am selben Tag (dem 21. August 1951) bereits beschlossen, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/162, TOP 9. Der Ministerrat fasste den Beschluss zur „Neuorganisation der Geschäftsbereiche der Ministerien für Schwerindustrie und für Aufbau“ jedoch erst am 2. November. Darin hieß es geringfügig abweichend: „Die Hauptverwaltungen Kohle, Energie, Chemie, Steine und Erden sowie Bauindustrie werden aus dem Ministerium für Schwerindustrie ausgegliedert. Das Ministerium führt danach die Bezeichnung Ministerium für Hüttenwesen und Erzbergbau. 2.) Gemäß § 5 des Gesetzes vom 8.11.1950 über die Regierung … werden folgende zwei Staatssekretariate mit eigenem Geschäftsbereich errichtet: a) das Staatssekretariat für Kohle und Energie … b) das Staatssekretariat für Chemie, Steine und Erden … 3.) Im Ministerium für Aufbau wird ein Staatssekretariat für Bauwirtschaft gebildet, dem die Bauverwaltung Bauindustrie eingegliedert wird … 7.) Dieser Beschluß tritt am 5. November 1951 in Kraft.“ Vgl. BAB, DC 20-I/3/76, TOP 9, Anlage 4. 10  In der UdSSR bestand ein bleibendes Interesse an dieser Frage, vgl. die auf Anraten der Staatlichen Plankommission beschlossene Anordnung Nr. 270-101s des Ministerrats der UdSSR vom 18. Januar 1952 („Über den Bau von Fluss- und Binnenseeschiffen in der Deutschen Demokratischen Republik“): „1. Die Sowjetische Kontrollkommission in Deutschland wird angewiesen, mit der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik den Bau von 84 Fluss- und Binnensee-Motor­ schiffen … auf Rechnung der Reparationen im Rahmen der technischen Projekte des Ministeriums für Binnenschifffahrt zu vereinbaren … 2. Die Hauptverwaltung für sowjetisches Vermögen im Ausland beim Ministerrat der UdSSR wird verpflichtet, bei sowjetischen Betrieben in der Deutschen Demokratischen Republik 26 FlussPassagierschiffe mit einer Leistung von 300 PS im Rahmen der technischen Projekte des Ministeriums für Binnenschifffahrt der UdSSR auf Rechnung der Reparationen entsprechend Punkt 1 dieser Anordnung … bauen zu lassen …“ Die entsprechenden technischen Projekte sollte das Ministerium für Binnenschifffahrt an die GUSIMZ bzw. an das Ministerium für Außenhandel übergeben, vgl. GA RF, f. R-5446, op. 86a, d. 961, Bl. 23.

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gust erst zu 13 Prozent erfüllt gewesen sei. Zudem machte er auf die unbefriedigende Sachlage beim Abschluss von Schweinemastverträgen aufmerksam. Die schriftlich festgehaltenen Beanstandungen zu diesem Thema leitete Gen. Čujkov an Grotewohl weiter (siehe Anlage).11 Gen. Čujkov erwähnte ebenfalls die unbefriedigende Lage beim Bau von Schweineställen und er­ innerte an die Notwendigkeit, den wachsenden Viehbestand mit Futter zu versorgen. Ulbricht sagte, er pflichte den Ausführungen des Gen. Čujkov in vollem Umfang bei. Das für Erfassung12 zuständige Ministerium beabsichtige, staatliche Getreide-Sonderreserven einzurichten, von denen ein Teil später als Viehfutter verwendet werden könnte. Auf die Frage Ulbrichts, zu welchen Preisen das Fleisch beschafft werden solle, antwortete Gen. Čujkov, die erforderlichen Preise sollten die DDR-Organe selbst festlegen. Gen. Čujkov übergab Grotewohl einen schriftlich formulierten Vorschlag zur Einberufung von Wirtschaftsfunktionären aus den Fachorganen der staatlichen Verwaltung und aus den Ministerien zu einer Zusammenkunft, welche der Erörterung von Fragen der praktischen Umsetzung der Beschlüsse des 6.  Plenums des ZK der SED13 im Hinblick auf die Ausarbeitung des Plans 11  Zu den Anlagen vgl. Fn. 1 zu diesem Dokument. In einem undatierten Merkblatt der SKK aus dieser Zeit, das sich im Nachlass Otto Grotewohl befindet, hieß es: „Wenn der Plan für Fleischerfassung zufriedenstellend verläuft, und zum 1. August der Siebenmonatplan mit 40 Tausend to. übererfüllt ist, so wird der Plan für freien Fleischaufkauf nicht zufriedenstellend durchgeführt: bis zum 1. August sind nur 26  Tausend to. aufgekauft bei einem Jahresplan von 200 Tausend to., was nur 13 % beträgt. Berücksichtigend, daß auch der Importplan für Fleisch nicht erfüllt wird, werden Anfang September Massenstockungen in der Versorgung der Bevölkerung mit Fleisch entstehen, wenn nicht genügend wirkungsvolle Maßnahmen getroffen werden, um die sich ergebende Situation zu regeln. Die unbefriedigende Erfüllung des Fleischaufkaufplanes erfolgte deswegen, weil weder das Staatssekretariat für Erfassung und Aufkauf, noch die örtlichen Landesbehörden die Aufkaufsarbeiten ordnungsgemäß durchführen und auch deswegen, weil eine große Spanne zwischen den geltenden Aufkaufspreisen, durchschnittlichen Marktpreisen und den Verkaufspreisen der HO vorhanden ist. Ebenso unbefriedigend ist der Stand des Abschlusses der Schweinemastverträge und, wenn die Lage nicht geklärt wird, so wird die Fleischerfassung lt. Schweinemastverträge zum Ende des Jahres nicht mehr als 50 % des Planes betragen … Dringend müssen Maßnahmen ausgearbeitet werden zur Erhöhung des Fleischaufkaufs und zum erhöhten Abschluß der Schweinemastverträge, insbesondere ist es zweckmäßig, die Frage über die Erhöhung der Aufkaufspreise für Rindfleisch und für Fleisch aus Schweinemastverträgen zu überprüfen …“ Vgl. BAB-SAPMO, NY 4090/315, Bl. 305–312, hier Bl. 305. Vgl. dazu auch Dok. 75 und dort Fn. 9 und 10. 12  Der Protokollant verwendete hier – analog zur Bezeichnung des damaligen sowjetischen Ministeriums – den Ausdruck „ministerstvo zagotovok“. Gemeint war das damalige Staatssekretariat für Erfassung und Aufkauf landwirtschaftlicher Erzeugnisse im Ministerium für Handel und Versorgung (vgl. Dok. 75, Fn. 10). 13  Auf der Tagung des ZK der SED vom 13. bis 15. Juni 1951 wurden unter Punkt 4 („Die Erfahrungen der Wirtschaftsplanung und die neuen Arbeitsmethoden“)



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für 1952 dienen sollte (siehe Anlage).14 Ulbricht und Grotewohl waren mit dem Vorschlag des Gen. Čujkov einverstanden.15 Gen. Čujkov machte Pieck, Grotewohl und Ulbricht darauf aufmerksam, dass der Kampf gegen den Kartoffelkäfer, der 90 Prozent der Fläche mehr oder weniger stark befallen habe, fast völlig zum Erliegen gekommen sei.16 Das für den Kampf gegen den Kartoffelkäfer eingesetzte chemische Spezialpräparat werde längst nicht in den erforderlichen Mengen hergestellt. Gen. Čujkov bat Grotewohl, Sofortmaßnahmen zu ergreifen, um das Zentralinstitut für Biologie zu größerer Aktivität zu bewegen. Ulbricht und Grotewohl stimmten den Ausführungen des Gen. Čujkov zu. Bezug nehmend auf den Beschluss des Politbüros des ZK der SED, der zu der Erklärung der KPD über die Überführung der Bergbaubetriebe und Hützwei Entschließungen „als Grundlage angenommen und der vom Zentralkomitee gewählten Kommission zur endgültigen Formulierung überwiesen“: „Die Ergebnisse der ersten Monate des Fünfjahrplanes“, vorgetragen von Rau, und „Die neuen Methoden zur Erhöhung der Arbeitsproduktivität“, vorgetragen von Ziller, vgl. BABSAPMO, DY 30/40622, Bl. 3, 7 und 24–31 (Anlagen). Vgl. auch das ausführliche Sitzungsprotokoll, BAB-SAPMO, DY 30/40621, Bl. 176–400. 14  Vgl. Fn. 1 zu diesem Dokument. 15  Möglicherweise war hier die Finanzpolitische Konferenz vom 17. bis 19. September 1951 gemeint (vgl. Dok. 81, Fn. 27), in der es u. a. um die Planaufstellung für das Jahr 1952 ging, vgl. die Entschließung der Konferenz (ebenda). Über eine andere größere Wirtschaftskonferenz wurde in der Folgezeit weder im Neuen Deutschland noch in der Täglichen Rundschau berichtet. 16  Zu den Reaktionen in der DDR auf das Problem des Kartoffelkäfers vgl. Dok. 35, Fn. 4. Pieck notierte zu diesem Punkt in der Unterredung, vermutlich bezogen auf die vorangegangene Kampagne: „Koloradokäfer – in diesem Jahre schweigen wir“. Vgl. Badstübner/Loth, S. 373. Der Ministerrat der DDR nahm am 2. August 1951 den von Leuschner am 24. Juli eingereichten Beschlussentwurf an, „[z]ur Einrichtung einer Forschungsstation für Kartoffelkäferbekämpfung dem Ministerium für Land- und Forstwirtschaft … aus der Investitionsreserve 265 000 DM zur Verfügung zu stellen“, vgl. BAB, DC 20-I/3/63. In einem nicht genau datierten Aktenvermerk der SKK für Grotewohl von Anfang August 1951 wurde angesichts der Ausweitung des Käferbefalls ein Bericht des Ministers für Land- und Forstwirtschaft und die Produktion von zusätzlich 3 500 t des zur Bekämpfung des Kartoffelkäfers eingesetzten Präparates Gesarol gefordert. Die zuständige Abteilung Pflanzenschutz des Ministe­ riums für Land- und Forstwirtschaft sei nicht vollständig besetzt. „Das Zentrale biologische Institut stellt noch nicht ein führendes wissenschaftliches Zentrum im Kampf gegen den Koloradokäfer dar, verbindet nicht seine wissenschaftliche Arbeit mit der Praxis. Es ist erforderlich, die Arbeit des Zentralen biologischen Instituts zu überprüfen, die besondere Aufmerksamkeit der Verbesserung der wissenschaftlichen Forschungsarbeiten zuzuwenden, sowie Maßnahmen zur Verstärkung des Instituts mit den notwendigen Kadern zu treffen.“ Vgl. BAB-SAPMO, NY 4090/315, Bl. 297–304. Der Ministerrat beauftragte das Ministerium für Land- und Forstwirtschaft am 30. August, „umfassende Maßnahmen zur Schädlingsbekämpfung im Jahre 1952“ auszuarbeiten, vgl. BAB, DC 20-I/3/66, TOP 6.

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tenwerke Westdeutschlands in Volkseigentum gefasst wurde,17 erklärte Gen. Čujkov, dass es aufseiten der SKK nichts an diesem Beschluss zu beanstanden gebe. Gen. Čujkov ließ wissen, dass seitens der SKK keine Einwände gegen Verhandlungen zwischen der DDR-Regierung und Polen über den Wiederaufbau und die Instandhaltung von Eisenbahn- und Straßenbrücken über die Oder und die Neiße18 bestünden. Ulbricht teilte mit, dass auf deutscher Seite die Verhandlungen durch den Staatssekretär im Verkehrsministerium, Wollweber, geleitet würden. Auf die Bitte Ulbrichts, über die durch die Wismut AG geführten bergbaulichen Erschließungsarbeiten geologische Unterlagen ausgehändigt zu bekommen, antwortete Gen. Čujkov, dass über Regionen, in denen Erze entdeckt wurden und abgebaut werden, keine Daten ausgehändigt werden könnten. In Zukunft würden nur Daten über andere Bodenschätze ausgehändigt, die durch geologische Bodenerkundungen entdeckt worden seien.19 Gen. Il’ičev berichtete, dass Niemöller beabsichtige, an einer jugoslawischen Konferenz20 teilzunehmen, und er fragte Ulbricht, inwieweit es möglich wäre, Niemöller von seiner Reise nach Jugoslawien und der Teilnahme an der Konferenz abzuhalten. Ulbricht erwiderte, es werde gegenwärtig daran gearbeitet, Niemöllers Reise zu verhindern.21 17  Am selben Tag (dem 21. August 1951) hatte das Politbüro einen Offenen Brief des ZK der SED „an die Mitglieder und Funktionäre der Sozialdemokratischen und der Kommunistischen Partei Westdeutschlands“ angenommen, der zum „entschlossenen und bedingungslosen Kampf“ gegen den Schuman-Plan aufrief und in diesem Zusammenhang forderte, „dass die Zechen und Hütten an Rhein und Ruhr in die Hand seines einzig rechtmässigen Eigentümers, in den Besitz des Volkes gegeben werden. Das allein wird eine wirkliche Gewähr sein, dass die Kohleförderung und die Stahlerzeugung dem Frieden und dem Wohlstand des deutschen Volkes und der europäischen Völker dient.“ Vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/162, Anlage 7, hier Bl. 9. Der Brief wurde am 1. September 1951 im Neuen Deutschland auf S. 3 veröffentlicht. 18  Schon am 24. Juli 1951 hatte Ulbricht im Politbüro über die Reise einer SEDDelegation nach Warschau berichtet und dabei mitgeteilt, dass der „Brückenbau in Frankfurt/Oder … beschleunigt werden“ solle, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/158. 19  Zu Ulbrichts Erwartungen an geologische Forschungen zum Vorkommen von Bodenschätzen in der DDR vgl. Dok. 31, Fn. 17. Zur eingeschränkten Informationsweitergabe an die DDR über Funde von Bodenschätzen (die Einschränkung betraf in diesem Fall Uranerz) vgl. auch die Äußerungen Čujkovs in Dok. 98 (zweiter Abschnitt) und Kobulovs in Dok. 103. 20  Schon am 18. Juli 1951 hatte die Frankfurter Allgemeine Zeitung gemeldet, dass der Leiter des Wirtschaftswissenschaftlichen Institutes der Gewerkschaften, Agartz, Kirchenpräsident Niemöller und der Schriftsteller Theodor Plievier ihre grundsätzliche Bereitschaft zur Teilnahme an dem Friedenskongress vom 23. bis zum 28. Oktober in Zagreb erklärt hätten (S. 3). 21  Die Teilnahme Niemöllers an der Konferenz in Jugoslawien konnte weder durch die SED noch die SKK verhindert werden. Niemöller wurde in den Tagungs-



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Ulbricht gab bekannt, dass anscheinend aufgrund eines fehlenden Übereinkommens zwischen den deutschen und sowjetischen Organen Arbeiter nicht die ihnen versprochenen Wohnungen in den neu gebauten Häusern erhielten und stattdessen einige Gebäude hätten räumen müssen. Gen. Čujkov erwiderte, eine Anweisung zur Räumung sei von seiner Seite aus nicht erteilt worden. Er versprach, die Gründe für die Räumung zu klären und die Auszugsaktionen, wenn diese schon im Gange seien, sofort zu stoppen. Gen. Il’ičev fragte Grotewohl, wie sehr der sowjetische Mitarbeiter Čekin bei der DEFA benötigt werde. Grotewohl bat darum, Čekin noch ungefähr sechs Monate bei der DEFA zu belassen, da dieser zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Einzige sei, der die Arbeit bei der DEFA in geregelte Bahnen bringen könne. Die Gen. Čujkov und Il’ičev erklärten, sie müssten sich in dieser Frage mit Moskau ins Benehmen setzen. Sie selbst hätten gegen einen vorläufigen Verbleib Čekins bei der DEFA nichts einzuwenden. Zum Abschluss der Unterredung teilte Grotewohl mit, dass nach dem kürzlich verstorbenen Ministerpräsidenten des Landes Mecklenburg22 nun der bisherige Landwirtschaftsminister des Landes Mecklenburg, Quandt, das Amt des Ministerpräsidenten wahrnehme. Gen. Čujkov erwiderte, vonseiten der SKK gebe es gegen diese Kandidatur keine Einwände. Anlagen: Die aus 5 Seiten bestehenden Anlagen werden nur dem für Gen. Čujkov bestimmten Exemplar beigefügt. Die Aufzeichnung der Unterredung erfolgte durch den Dolmetscher Bogomolov. AVP RF, f. 0457a, op. 11, p. 59, d. 1, Bl. 69–73.

vorstand dieser Konferenz gewählt und schlug vor, die Konferenz möge an die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten appellieren, Maßnahmen zur Verhinderung eines dritten Weltkrieges zu ergreifen (vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. Oktober 1951, S. 3). 22  Gemeint war Kurt Bürger (Pseudonym für Karl Ganz), der am 19.  Juli 1951 zum Ministerpräsidenten von Mecklenburg ernannt wurde und bereits am 28. Juli verstarb.

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80. Unterredung zwischen Außenminister Vyšinskij und Präsident Pieck Streng geheim

Barvicha, 9. September 19511

Aus dem Tagebuch2 von A.Ja. Vyšinskij Unterredung mit Wilhelm Pieck Am 9. September war ich im Auftrag des ZK3 bei Wilhelm Pieck im Sanatorium „Barvicha“4 und erläuterte ihm den vom ZK der VKP (b) gebilligten Plan bezüglich des Appells der Volkskammer der DDR an den Bundestag zur Frage der Einberufung einer gesamtdeutschen Beratung sowie auch bezüglich der Einbringung eines Entwurfs der sowjetischen Regierung zu den Grundlinien eines Friedensvertrags mit Deutschland.5 1  Original an Stalin. Kopien gingen an: Molotov, Malenkov, Berija, Mikojan, Kaganovič, Bulganin, Chruščev und zu den Akten. Das Dokument enthält keine Registraturnummern. 2  „Tagebuch“ ist ein aus der russischen Kanzleisprache übernommener Begriff des Auswärtigen Dienstes der UdSSR für Gesprächsaufzeichnungen. 3  Der Auftrag, die Meinung von Pieck und Ulbricht zu erfragen, die sich beide zu dieser Zeit in verschiedenen Sanatorien der UdSSR aufhielten, war Teil des Politbürobeschlusses des ZK der VKP (b) vom 8. September 1951, vgl. Foitzik, Interessenpolitik, S. 550. 4  Zu Barvicha vgl. Dok. 12, Fn. 4. Pieck war am 25. August 1951 mit dem Zug aus Berlin abgereist. Die Kur begann zwei Tage später. In seinem Vormerk-Kalender hielt Pieck entgegen seinen Gewohnheiten das Zusammentreffen mit dem sowjetischen Außenminister nicht fest. Laut seiner Kalenderplanung dauerte die Kur bis zum 29. September. Am 1. Oktober wollte er erneut mit der Bahn die Rückreise aus Moskau antreten (BAB-SAPMO, NY 4036/27). Offensichtlich musste Pieck jedoch seine Planung ändern, denn schon am 12. September nahm er in Ost-Berlin an einer Sitzung des SED-Politbüros teil, vgl. Dok. 80, Fn. 7. 5  Am 8. September hatte das Politbüro des ZK der VKP (b) in Form einer Weisung an Čujkov und Semenov ein ebenso detailliertes wie weitgehendes Aktionsprogramm für ein gemeinsames Vorgehen mit der DDR-Führung in der deutschen Frage beschlossen, das die Politik der DDR und der UdSSR in den nächsten 19 Monaten bestimmte. Diese Weisung hatte folgenden Wortlaut: „Im Zusammenhang mit Ihrem Gespräch mit Pieck, Grotewohl und Ulbricht vom 30. Juli haben Sie sich mit Grotewohl zu treffen und ihm mitzuteilen, daß die sowjetische Regierung die Vorschläge Piecks, Grotewohls und Ulbrichts zur Frage des Friedensvertrages mit Deutschland und auch die vom Politbüro des ZK der SED beabsichtigten Maßnahmen zur Verstärkung der Kampagne gegen die Remilitarisierung, für den Abschluß eines Friedensvertrages u. a. in Westdeutschland für richtig hält. Dabei würden wir es als zweckmäßiger erachten, die Frage des Friedensvertrages mit der Durchführung von Maßnahmen zu verbinden, die der weiteren Entlarvung der antidemokratischen Bonner Regierung Westdeutschlands dienen, wozu wir folgenden Aktionsplan vorschlagen: 1. Der Volkskammer der DDR ist zu empfehlen, sich an das Bonner Parlament (den Bundes-



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Pieck stimmte dem von mir dargelegten Plan voll und ganz zu und betonte insbesondere, dass es zweckmäßig sei, auf der Beratung die Frage eines beschleunigten Abschlusses eines Friedensvertrags mit Deutschland auf die Tagesordnung zu setzen. Ich merkte noch einmal an, dass es nach unserer Ansicht wünschenswert wäre, auf der gesamtdeutschen Beratung zwei Fragen aufzuwerfen, und zwar die Frage der Abhaltung gesamtdeutscher Wahlen zwecks Schaffung eines einheitlichen, demokratischen und friedliebenden Deutschlands und die Frage eines beschleunigten Abschlusses eines Friedensvertrags mit Deutschland.6 tag) mit dem Vorschlag zur Einberufung einer Konferenz von Vertretern der DDR und Westdeutschlands zur Erörterung zweier Fragen zu wenden: a) über die Durchführung gesamtdeutscher freier Wahlen zu einer Nationalversammlung mit dem Ziel der Schaffung eines einheitlichen, demokratischen [und] friedliebenden Deutschlands; b) über die Beschleunigung des Abschlusses eines Friedensvertrages mit Deutschland …“ Die Wahlen sollten demnach „in ganz Deutschland zu den gleichen Bedingungen“ und unter Gewährleistung der „volle[n] persönliche[n] und staatsbürgerliche[n] Freiheit und Gleichberechtigung“ aller „Personen, demokratischen Parteien und gesellschaftlichen Organisationen“ durchgeführt werden. Den „demokratischen Organisationen“ sei „das Recht einzuräumen, eigene Kandidaten aufzustellen und Wählervereinigungen und Blöcke zu bilden“. Ferner sei die „Nichtzulassung einer Remilitarisierung Deutschlands“ zu begründen. Zur Unterstützung des Appells sei „eine breite politische Kampagne“ zu entfalten. Gegenüber früheren Initiativen solle auf die Forderungen nach einem Gesamtdeutschen Konstituierenden Rat und nach der Parität der Vertreter der DDR und Westdeutschlands als Vorbedingungen für die Einberufung der Konferenz verzichtet werden, da ohnehin beide Seiten vertreten wären und „die quantitative Zusammensetzung ihrer Delegationen … nicht von Bedeutung“ sein müsse. Für den Fall einer Annahme der Vorschläge durch den Bundestag sah das Papier vor, im Verlauf der Beratung Forderungen zu stellen, die einerseits die Durchführung der Wahlen und andererseits die „Nichtzulassung der Remilitarisierung Deutschlands und zu dessen Nichtteilnahme an militärpolitischen Gruppierungen aller Art“ betrafen. Im Fall einer Ablehnung des Vorschlags zur Einberufung einer gesamtdeutschen Konferenz oder eines Scheiterns derselben „könnte sich die Regierung der DDR selbst an die Regierungen der Vier Mächte mit der Bitte um Beschleunigung des Abschlusses eines Friedensvertrages … und dem nachfolgenden Abzug der Besatzungstruppen aus Deutschland wenden. Als Antwort darauf würde die sowjetische Regierung … diesen Vorschlag der Regierung der DDR unterstützen und ihrerseits einen Entwurf der grundlegenden Bestimmungen eines Friedensvertrages mit Deutschland vorlegen.“ Vgl. Foitzik, Interessenpolitik, S. 551–552. 6  Auf die Frage nach der Haltung der SKK in Deutschland zum Volkskammer­ appell an den Bundestag erklärte deren Vorsitzender – faktisch im Namen der sowjetischen Regierung – am 20. September 1951: „Wir sind der Ansicht, daß das deutsche Volk und die von ihm gewählten Körperschaften berechtigt sind, das Werk der Wiederherstellung der deutschen Einheit auf demokratischen und friedlichen Grundlagen selbst in die Hand zu nehmen, wie sie auch berechtigt sind, ihre Meinung zur Notwendigkeit des beschleunigten Abschlusses eines Friedensvertrages mit Deutschland zu äußern … Die bestehende Spaltung Deutschlands kann und darf nicht mehr lange andauern … In dem Vorschlag der Volkskammer über die Einberufung einer gesamtdeutschen Beratung zur Frage der Durchführung gesamtdeutscher freier Wahlen für

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Zur ersten Frage bemerkte Pieck, die Vertreter Westdeutschlands könnten verlangen, dass die Schumacherleute im Zusammenhang mit den Wahlen dieselbe Handlungsfreiheit in Ostdeutschland erhalten wie die Kommunisten in Westdeutschland. Nach seiner Meinung werde man darauf eingehen müssen, und daran sei auch nichts Schlimmes.7 Für am wahrscheinlichsten hält Pieck eine Ablehnung des Vorschlags der Volkskammer der DDR durch den Bundestag,8 was nach seiner Ansicht die Bonner Regierung und die amerikaeine Nationalversammlung zwecks Schaffung eines einheitlichen, demokratischen, friedliebenden Deutschlands wie auch in dem außerordentlich nachhaltigen Echo, das dieser Vorschlag unter der Bevölkerung sowohl Ost- als auch Westdeutschlands gefunden hat, widerspiegelt sich das wachsende nationale Selbstbewußtsein der erstarkenden demokratischen Kräfte Deutschlands … Hierbei ist zu berücksichtigen, daß die Mächte, welche Westdeutschland okkupieren und zur Zeit versuchen, an die Stelle des Abschlusses eines Friedensvertrages mit Deutschland nichtssagende Deklarationen über die sogenannte ‚Einstellung des Kriegszustandes‘ zu setzen, nicht umhin können werden, mit der Meinung des deutschen Volkes zu rechnen …“ Vgl. DDS 1, S. 278–279. 7  Bereits am 12. September nahm Pieck in Berlin an einer Sitzung des Politbüros des ZK der SED teil, das lediglich „die Mitteilung des Genossen Grotewohl“ über Maßnahmen anlässlich der Konferenz der Westmächte in Washington „zur Kenntnis“ nahm und dem Vorschlag zustimmte, die Volkskammer zusammenzurufen (BABSAPMO, DY 30/IV 2/2/166). Dies geschah (nachdem am 14.  September auch der Ministerrat in einer außerordentlichen Sitzung mit dem Präsidium des Nationalrates und dem „Block der antifaschistisch-demokratischen Parteien“ getagt hatte, vgl. BAB, DC 20-I/3/67) bereits drei Tage später: Am Sonnabend, dem 15.  September, trat die Volkskammer um 10 Uhr zusammen. Grotewohl hielt eine außerordentlich umfangreiche programmatische Rede zu den nationalen Aufgaben, die alle Deutschen vereinen müssten. Wie vom Politbüro des ZK der VKP (b) in Moskau eine Woche zuvor bestätigt (vgl. Fn. 4 zu diesem Dokument), richtete die Volkskammer einen Appell an den Bundestag, „eine gemeinsame gesamtdeutsche Beratung der Vertreter Ost- und Westdeutschlands durchzuführen“, die lediglich über zwei Aufgaben einig werden solle: „Erstens über die Abhaltung freier gesamtdeutscher Wahlen mit dem Ziel der Bildung eines einheitlichen demokratischen und friedliebenden Deutschland, und zweitens über die Beschleunigung des Abschlusses eines Friedensvertrages mit Deutschland.“ Noch während Grotewohl sprach und die Volkskammer ihren Appell verabschiedete, erschien bereits eine Sonderausgabe des Neuen Deutschland, das den vollen Wortlaut der Rede Grotewohls und den noch nicht beschlossenen Appell in leicht abweichender Formulierung als Aufruf „An alle Deutschen! An alle deutschen demokratischen Parteien und Organisationen!“ veröffentlichte. Wie von Pieck im Gespräch mit Vyšinskij angedacht, garantierte der Volkskammerappell in allen Teilen Deutschlands „für alle demokratischen Parteien und Organisationen die gleiche Betätigungsfreiheit“. 8  Die Zurückweisung des Volkskammerappells durch den Bundeskanzler wurde am 17. September auf einer Sondersitzung des Bundeskabinetts abgesprochen, auf der Adenauer feststellte, die neueste Aktion Grotewohls erfolge „auf sowjet-russischen Befehl“ und verfolge „lediglich den Zweck, die Verhandlungen mit den WestAlliierten zu stören“. Dennoch bestand das Kabinett auf einer unverzüglichen Stellungnahme (vgl. Kabinettsprotokolle, Bd. 4 [1951], Sondersitzung am 17. September



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nischen Behörden in eine sehr unvorteilhafte Lage bringen und zum Anwachsen der Friedensbewegung und zur Verstärkung des Kampfes gegen die Remilitarisierung in Westdeutschland beitragen werde. Pieck erkundigte sich, welche Fragen in den Grundlinienentwurf des Friedensvertrags eingehen könnten, den die sowjetische Regierung nach dem entsprechenden Appell der Regierung der DDR zu veröffentlichen beabsichtige. Ich erläuterte, dass, wie mir scheine, im Entwurf für die Grundlinien des Friedensvertrags9 von der Wiederherstellung der Souveränität Deutschlands, von der Unabhängigkeit und Einheit Deutschlands, von seiner künftigen staatlichen Ordnung, von territorialen Fragen, von Entmilitarisierung, vom Abzug der Besatzungstruppen und einigen anderen Fragen die Rede sein sollte. Pieck fragte, ob die bisherige Bestimmung über die Frist von einem Jahr für den Abzug der Besatzungstruppen nach Abschluss des Friedensvertrags mit Deutschland in Kraft bleibe.

1951, S. 648). Diese erfolgte am 18.  September in einer Radioansprache Adenauers (vgl. Dok. 84, Fn. 4) sowie nach weiteren Beratungen im Bundeskabinett und in einer Bundestagsdebatte am 27. September, in der außer der KPD keine der Parteien und Abgeordneten bereit war, auf Grundlage der Volkskammervorschläge zu verhandeln. Immerhin erklärte Adenauer dabei, dass die Bundesregierung den Vorschlag sorgfältig geprüft habe, und räumte ein, dass sich Grotewohls Erklärungen „den Vorschlägen der Bundesregierung zu nähern scheinen“. Er wandte jedoch sogleich ein, dass im Osten die Voraussetzungen für freie Wahlen nicht gegeben seien, und stellte seinen Vorschlag einer Wahlordnung in 14 Punkten vor. Auf dieser Sitzung wurde außerdem die Ausarbeitung eines Wahlgesetzes beschlossen, vgl. BT Stenographische Berichte, 165.  Sitzung, 27.  September 1951, S. 6700–6712 (darin Adenauers Erklärung auf S. 6700–6702). 9  Bereits für die Moskauer Tagung des Rats der Außenminister im März 1947 hatte die UdSSR „Grundlinien zur Vorbereitung des Friedensvertrags mit Deutschland“ vorbereitet (vgl. UdF 3, S. 219–225), die jedoch nicht offiziell eingebracht, sondern als zur sofortigen Veröffentlichung bestimmte Erklärung vorgetragen wurden (vgl. DDS  1, S. 70–77 und 86–90). Auf der Londoner Tagung dieses Rates im Dezember des gleichen Jahres unterbreitete Molotov den Vorschlag, die Grundlinien für einen deutschen Friedensvertrag innerhalb von zwei Monaten durch alle beteiligten Mächte darzulegen (UdF 3, S. 707, Anm. 342). Genau diesen Vorschlag, der zu keinem Ergebnis führte, wiederholte Vyšinskij, der die Nachfolge Molotovs als Außenminister angetreten hatte, Anfang Juni 1949 auf der Pariser Tagung des Außenministerrats (UdF  4, S. 386). Erneut folgte diesem Vorschlag keine Konkretisierung in Form von vertraulichen Verhandlungspapieren. Dennoch wurde nach Gründung der DDR sowohl im Ost-Berliner als auch im Moskauer Außenministerium an Entwürfen für diesen Vertrag gearbeitet (vgl. Dok. 72 und Loth, Die Entstehung der „StalinNote“, S. 80–87 und 97–100), die nicht über die öffentlichen Erklärungen von Molotov und Vyšinskij zu diesem Thema hinausgingen, welche auch Pieck bekannt gewesen sein dürften.

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Ich antwortete, nach meiner Meinung könnte die Frist für den Abzug der Besatzungstruppen auch abgekürzt werden, aber genauer könne das später bestimmt werden. Nachdem er noch einmal betont hatte, dass er den vorgesehenen Aktionsplan für völlig richtig halte und damit rechne, dass die Durchführung dieses Plans der Politik der USA in Deutschland einen empfindlichen Schlag versetzen werde, stellte Pieck die Frage, ob es zweckmäßig sei, zum gegenwärtigen Zeitpunkt in Deutschland eine Unterschriftensammlung zur Forderung nach einem Fünfmächtepakt10 zu organisieren. Nach Piecks Meinung sollte die Unterschriftensammlung in Deutschland noch etwas aufgeschoben werden, da die Kampagne zur Frage der Einberufung einer gesamtdeutschen Beratung die Konzentration der gesamten Aufmerksamkeit der demokratischen Organisationen erfordere und in Westdeutschland die Unterschriftensammlung gegen die Remilitarisierung und für den beschleunigten Abschluss eines Friedensvertrags noch andauere. Ich sagte, zwar würden die Unterschriftensammlung zur Forderung nach einem Friedenspakt und das Betreiben einer politischen Kampagne um den Appell der Volkskammer der DDR an den Bundestag nicht im Widerspruch zueinander stehen, da beide Maßnahmen auf die Stärkung des Friedenskampfes gerichtet seien, dennoch würden mir Piecks Überlegungen zur Zweckmäßigkeit, die Unterschriftensammlung in Deutschland zur Forderung nach einem Friedenspakt etwas aufzuschieben, damit die Energien nicht verpuffen und später eine noch energischere Kampagne zur Unterschriftensammlung organisiert werden könne, plausibel erscheinen. Ich bemerkte, dies sei nur meine persönliche Meinung und es werde zweckmäßig sein, etwas später auf diese Frage zurückzukommen. Zum Schluss fragte ich, ob Pieck es nicht für angebracht halte, dass Semenov Ulbricht, der sich in Kislovodsk11 aufhält, über den oben genannten Plan informiert.

10  Gemeint ist der auf der Sitzung des Weltfriedensrats in Ost-Berlin (21. bis 26. Februar 1951) beschlossene Appell zum Abschluss eines Friedenspaktes zwischen den USA, der UdSSR, Großbritannien, Frankreich und der VR China (vgl. Neues Deutschland, 27. Februar 1951, S. 1). Schon am 23. September 1949 hatte der sowjetische Außenminister Vyšinskij vor der UNO-Vollversammlung den Abschluss eines „Fünfmächte-Pakts zur Festigung des Friedens“ zwischen den oben genannten Staaten vorgeschlagen (vgl. Neues Deutschland, 24. September 1949, S. 1). Dieser Vorschlag führte zur Formierung der „Weltfriedensbewegung“, die sich zum größten Teil freiwillig der sowjetischen Politik unterordnete (vgl. Dok. 21, Fn. 12). 11  Gemeint ist das Sanatorium in Kislovodsk, einer russischen Stadt im nördlichen Kaukasus, in der seit dem 19. Jahrhundert Kureinrichtungen entstanden, die Mineralquellen nutzten.



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Pieck bedankte sich für die Aufmerksamkeit und stimmte dem ebenfalls voll und ganz zu.12 Pieck fragte, wann Semenov nach Berlin abfliegen werde. Ich antwortete, er gedenke am 11. September in Berlin zu sein. Pieck nahm diese Mitteilung mit sichtlicher Befriedigung auf und bemerkte, im Zusammenhang mit der vorgesehenen Arbeit werde Grotewohl unsere Hilfe benötigen. Des Weiteren informierte ich Pieck darüber, dass der parlamentarische Stellvertreter Nehrus für das Außenministerium, Keskar, am 1. September im indischen Parlament im Zusammenhang mit der Entsendung einer indischen Mission nach Bonn erklärt habe, die DDR habe zu keiner Zeit versucht, mit Indien diplomatische Missionen auszutauschen, weshalb Indien mit der DDR keine diplomatischen Beziehungen unterhalte.13 Die Äußerung Keskars könne man als Wink verstehen, dass die Inder in der Frage der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der DDR und Indien eine Initiative seitens der DDR erwarten. Ich fragte Pieck, ob er es nicht für zweckmäßig halte, diese Gelegenheit wahrzunehmen, um die Absichten der Regierung Indiens in Bezug auf die DDR zu klären. Pieck antwortete, seiner Ansicht nach sollte man eine solche Gelegenheit zur Herstellung eines Kontakts mit Indien nicht versäumen. Er fragte um Rat, wie das am besten zu bewerkstelligen sei. Ich antwortete, eine direkte Ansprache der Regierung Indiens ohne vorherige Sondierung scheine mir unpassend. Man könne aber so vorgehen, dass der Leiter der diplomatischen Mission der DDR in einem der Länder der Volksdemokratie, etwa in China, diese Frage mit dem dortigen diplomatischen Vertreter Indiens sondiert. Im Falle einer positiven Reaktion seitens der indischen Regierung auf diese Sondierung könnte sich die Regierung der DDR an die Regierung Indiens mit dem Vorschlag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen und des Austausches von Missionen wenden. Pieck stimmte diesem Plan zu und bemerkte, er halte eine solche Vorgehensweise für durchaus geeignet.14 12  So im Original. Offensichtlich stimmte Pieck erst dem Vorschlag zu und bedankte sich anschließend. 13  Diese Äußerung Keskars ist in einer Aktennotiz des Ersten Rates der DDRMission in China, Alexander Grüttner, vom 29. Oktober 1951 für den 21. Mai 1951 überliefert. Demnach hatte Keskar auf eine Anfrage im indischen Unterhaus anlässlich der am 12. Mai 1951 erfolgten Eröffnung des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschland in Bombay wörtlich erklärt: „The Government of the GDR has never tried to exchange diplomatic representatives with India. This is the only reason why India has no relations with the GDR.“ Vgl. Johannes H. Voigt, Die Indienpolitik der DDR. Von den Anfängen bis zur Anerkennung (1952–1972), Köln/Weimar/Wien 2008, S. 9. 14  Am 5. November 1951 informierte DDR-Außenminister Dertinger Puškin über einen Bericht des DDR-Missionsleiters König aus Peking über Informationen des

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Ich betonte, ich hätte in diesem Falle Pieck nur über die Rede Keskars informieren und seine Meinung erkunden wollen, um die Position des MID der UdSSR in dieser Frage festzulegen. Pieck bedankte sich für unseren Besuch und die Aufmerksamkeit seitens des ZK. Das Gespräch dauerte ungefähr eine Stunde. Anwesend und als Dolmetscher tätig war Gen. V.S. Semenov. A. Vyšinskij15 AVP RF, f. 07, op. 26, p. 45, d. 90, Bl. 2–5.

81.  Unterredung zwischen dem Vorsitzenden der SKK Čujkov, dem Stellvertreter des Politischen Beraters Il’ičev und Ministerpräsident Grotewohl Geheim

Berlin-Ost, 10. September 19511

Aufzeichnung einer Unterredung zwischen dem Vorsitzenden der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland, Armeegeneral V.I.  Čujkov, dem stellvertretenden politischen Berater der SKKD I.I. Il’ičev und dem Ministerpräsidenten der DDR O. Grotewohl, das am 10. September 1951 im Dienstzimmer von Armeegeneral V.I. Čujkov stattfand und von 20:00 bis 23:10 Uhr dauerte. Gen. Čujkov bat Grotewohl, ihm seine Meinung zum Plan der Repara­ tionslieferungen für das Jahr 1952 und zu seinem Brief mitzuteilen. Beide Dokumente waren ihm zuvor von Oberst Gromov übergeben worden.2 dortigen indischen Vertreters betr. die „Erklärungen im indischen Parlament über die Frage der diplomatischen Beziehungen zur Bonner Bundesrepublik und zur DDR“. Die Auskunft gehe dahin, „daß mit Rücksicht auf die speziellen wirtschaftlichen Verbindungen Indiens mit Westdeutschland, Indien dort eine diplomatische Mission unterhalten und politische Komplikationen im Falle einer entsprechenden diplomatischen Verbindung mit der DDR befürchten müsse“ (vgl. PA AA, MfAA A, Bd. 15522, Bl. 1). Damit war für die DDR, aber auch für die UdSSR dieses Thema für 1951 beendet. 15  Handschriftlich. 1  Durchdruck. Das Original ging an Čujkov, Kopien gingen an Semičastnov, Ilʼičev und an das MID. Das Dokument erhielt am 22. September 1951 die Ausgangsnummer 05396 und in der Dritten Europäischen Abteilung des MID am 29. September die Eingangsnummer 2766. 2  Der Plan der Reparationslieferungen für das Jahr 1952 wurde im GA RF nicht ermittelt. Ein Brief von Čujkov zu dieser Frage konnte ebenfalls nicht ermittelt werden.



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Grotewohl sagte, der neue Plan unterscheide sich nach seiner Ansicht insgesamt nicht von dem Plan für 19513 und enthalte nichts Neues. Gen. Čujkov sagte, im Plan für 1952 gebe es neue Bestimmungen, aber es seien nur wenige und sie seien geringfügig. Sodann fragte Gen. Čujkov Grotewohl, was er vom Umtausch von 88,9 Millionen amerikanischen Dollar in 600  Millionen deutsche Mark halte.4 Grotewohl antwortete, er habe keine Einwände gegen einen solchen Umtausch, und das Geld werde auf das Konto der Wismut AG überwiesen. Grotewohl wertete den Umstand, dass der Plan der Reparationslieferungen in diesem Jahr im Unterschied zum vergangenen Jahr zwei Monate früher eingegangen sei, als positiv, denn das ermögliche es, die Aufträge für die erforderlichen Rohstoffe rechtzeitig zuzuteilen. Des Weiteren fragte Gen. Čujkov Grotewohl, ob nicht Firmen, die den Plan erfüllt haben und keine Aufträge haben, an der Planerfüllung auf Rechnung des kommenden Jahres arbeiten können, wobei davon ausgegangen werde, dass in diesen Fällen die für die Produktion erforderlichen Rohstoffe vorhanden seien. Grotewohl antwortete, er sehe, sofern die Rohstoffe vorhanden seien, keinerlei Gründe für Einwände gegen die Nutzung freier Kapazitäten für die Erfüllung des Plans für 1952.

3  Am 19. April 1951 hatte der Ministerrat der DDR den Reparationsplan für 1951 (vgl. die entsprechende Anordnung des Ministerrates der UdSSR Nr. 4490-1917s vom 2. November 1950, GA RF, f. R-5446, op. 106 sč, d. 516, Bl. 218–222) bestätigt und rituell erklärt: „Die Höhe der Reparationsverpflichtungen im Jahre 1951 beträgt 211,4 Mill. amerik. Dollar, gerechnet in Weltmarktpreisen des Jahres 1938. Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik betrachtet die Reparationslieferungen an die Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken als die wichtigste internationale Verpflichtung der Deutschen Demokratischen Republik und sieht … die pünkt­ liche Erfüllung aller Reparationsaufträge in hoher Qualität als ihre vornehmste politische Aufgabe an.“ Vgl. BAB, DC 20-I/3/50, TOP 1. 4  Inwieweit diese Frage im Jahr 1952 anders gehandhabt wurde, konnte nicht ermittelt werden. In der Anordnung des Ministerrats der UdSSR Nr. 4490-1917s vom 2. November 1950 betr. den Reparationsplan für 1951 (vgl. Fn. 3) hieß es unter Punkt 10: „Die Sowjetische Kontrollkommission in Deutschland wird beauftragt, mit der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik die Aufnahme von Deutschen Mark in Höhe von 88,9 Mio. US-Dollar im Jahr 1951 zu vereinbaren, die laut Reparationsplan für 1951 für die Bezahlung der Produkte der Aktiengesellschaft Wismut vorgesehen sind, wobei die Umrechnung der Preise von 1938 auf die heute in der Deutschen Demokratischen Republik geltenden Preise zugrundezulegen ist.“ Vgl. GA  RF, f. R-5446, op. 106  sč, d. 516, Bl. 218–222, hier Bl. 219. Vom 24.  Juli 1948 bis 31. Juli 1964 hieß die auf dem Territorium der Sowjetischen Besatzungszone bzw. der DDR gültige Währung „Deutsche Mark der Deutschen Notenbank (DM)“.

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Gen. Čujkov bat sodann Grotewohl, bei der Rekrutierung von Arbeitern für die Betriebe der Wismut AG behilflich zu sein.5 Gen. Čujkov bemerkte dabei, die Frist der geschlossenen Arbeitsverträge laufe aus, und die Direktion der Wismut habe kein formelles Recht, die Arbeiter über die im Vertrag vorgesehene Frist hinaus in den Betrieben zu behalten. Nach den Berechnungen sowjetischer Spezialisten werden in den Betrieben der Wismut bis zum Ende des Jahres monatlich ca. 15 0006 Arbeiter als Ersatz benötigt. Die Anwerbung von Arbeitskräften müsse organisiert durchgeführt werden. Grotewohl sagte, dieser Bitte werde stattgegeben werden, und er werde dem Minister für Arbeit Chwalek die nötigen Anweisungen erteilen.7 Seitens der SKK, sagte Gen. Čujkov, würden wiederum die nötigen Anweisungen an den Generaldirektor der Wismut, Gen. Bogatov, ergehen. Chwalek und Gen. Bogatov könnten einander treffen und die Gesamtzahl der für die Betriebe der Wismut erforderlichen Arbeiter genau bestimmen. Auf die Umsiedlung aus Oberschlema und anderen Regionen eingehend,8 sagte Grotewohl, diese werde in zwei Abschnitten durchgeführt werden: der 5  Die Rekrutierung von Arbeitskräften war ein Dauerthema in den Kontakten sowjetischer Stellen mit dem Verantwortlichen der DDR für die Wismut AG Walter ­Ulbricht. Vgl. zu einer der vorangegangenen Anfragen das Schreiben von Generaloberst Kobulov an Ulbricht vom 14. Februar 1951: „Im Jahre 1951 läuft ein bedeutender Teil der Verträge ab, die die SAG Wismuth [sic] mit den Arbeitern abgeschlossen hat. Gleichzeitig aber erhöht die SAG Wismuth … weiter ihren Produktionsplan, was die Heranziehung von zusätzlichen Arbeitskräften erfordert. Zusätzlich zu unserem Schreiben Nr.: 2/186 vom 1.XII.1950 bitte ich um Ihre Anweisung an den Minister für Arbeit über die Organisierung einer weiteren Einstellung von Arbeitskräften … in Höhe von 95 000 Menschen, unter folgender Aufteilung: April – 15 000 Menschen, Mai – 10 000, Juni – 10 000, Juli – 10 000, August – 10 000, September – 10 000, Oktober – 10 000, November – 10 000, Dezember – 10 000“ (Wismut Dokumente, S. 104). 6  Im russischen Original ist die Zahl irrtümlich mit „15 000 Tausend“ angegeben. 7  Dazu konnten keine Weisungen Grotewohls ermittelt werden. 8  Nach einem Gespräch mit Kobulov hatte Ulbricht dazu am 26. April 1951 vermerkt: „7. Umsiedlung der Bevölkerung aus der Zone der Bergarbeiten, die von der AG Wismuth in den Städten Oberschlema und Johanngeorgenstadt durchgeführt werden, in andere Gebiete im Zusammenhang mit der Möglichkeit einer Deformation der Oberfläche der Erdschichten über den Schichten und der Notwendigkeit der Ausnutzung einiger Strecken im Gebiete dieser Städte für den Bedarf der Bergwerke … Die Deformation der Oberfläche wird eine Fläche von 94 ha erfassen, auf der sich 535 Wohngebäude und Industriegebäude befinden, davon in Oberschlema – 45 ha und 197 Gebäude und in Johanngeorgenstadt – 50 ha und 338 Gebäude. 39 000 Einwohner, darunter 22 000 in den Betrieben der AG Wismuth Beschäftigte, müssen umgesiedelt werden.“ Vgl. Wismut Dokumente, S. 160–161. Die Aussiedlungen in Schlema begannen im November 1951 und endeten im Mai 1952. Johanngeorgenstadt war etwas später von Aussiedlungen betroffen, dort begann die Räumung der Altstadt im Juli 1953. Da die Planungen mehrfach den Erkenntnissen über die noch zu erschließenden Erzvorkommen angepasst wurden, änderten sich die veranschlag-



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erste 1951–1952, in dem 200 Gebäude bereitgestellt werden, und der zweite 1952–1953, in dem die Bereitstellung von 436 Gebäuden vorgesehen sei. Grotewohl sagte, ihm liege schon eine genaue Karte des Umsiedlungsgebiets mit Angabe der Gebäude vor. Da die Umsiedlung ungefähr 10 000 Menschen betreffen werde, sei es notwendig, eine breit angelegte Aufklärungskampagne durchzuführen, um das Aufkommen von Unmut zu vermeiden. Um die Durchführung der Kampagne werde sich die Partei sowie die Organisation der Nationalen Front und die Massenorganisationen kümmern. Grotewohl schlug vor, dass diese gesamte Arbeit von Walter Kirsten geleitet werden solle, der, wie er sagte, ein zuverlässiger und erfahrener Mitarbeiter sei. Gegenwärtig sei Kirsten beim Bau der Talsperre Sosa-Cranzahl9 in Sachsen eingesetzt. (Grotewohl übergab eine Kurzcharakteristik Kirstens in schriftlicher Form).10 Alle Kosten für die Umsiedlung übernehme die Regierung der DDR. Grotewohl sagte, er werde, wenn seitens der SKK keine Einwände gegen die Kandidatur Kirstens bestünden, diesem die entsprechenden Vollmachten erteilen.11 Gen. Čujkov stimmte zu, dass eine Aufklärungskampagne helfen werde, die Umsiedlung ruhiger durchzuführen. Was die Kandidatur Kirstens betreffe, so Gen. Čujkov, müsse er sich erst mit der Übersetzung der von Grotewohl übergebenen Charakteristik vertraut machen und werde in zwei bis drei Tagen eine endgültige Antwort geben. Auf die Aufteilung des Ministeriums für Schwerindustrie in drei Ministerien eingehend,12 sagte Gen. Čujkov, die Frage der Aufteilung sei tatsächlich akut, und die SKK habe keinerlei Einwände gegen die Aufteilung dieses Ministeriums in kleinere Einheiten. Gen. Čujkov bat Grotewohl jedoch, die Kandidatur Rickelens13 für den Posten des Staatssekretärs für chemische Inten Zahlen. Von den Aussiedlungen waren schließlich deutlich weniger Menschen betroffen als zunächst vorgesehen. Vgl. ebenda, S. 161, Anm. 34–37. 9  Im russischen Original wird irrtümlich davon ausgegangen, es handle sich hier um eine Talsperre mit Doppelnamen. Tatsächlich sind es zwei: die Talsperre Sosa und die Talsperre Cranzahl (im Russischen falsch als „Granzaal“ transkribiert) im westlichen Erzgebirge. 10  Das hier vorliegende vierte Exemplar des Dokuments enthält keine Anlagen. Die Anlagen sind dem Original beigefügt, das sich im Zentralarchiv des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation in Podol’sk befindet. 11  Am 11. September setzte das SED-Politbüro Walter Kirsten als Sonderbeauftragten der Regierung „[f]ür die Durchführung der Umsiedlung bei der Wismut“ ein, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/165, TOP 7. 12  Zur Aufteilung des Ministeriums für Schwerindustrie in ein Ministerium für Hüttenwesen und Erzbergbau und zwei Staatssekretariate vgl. Dok. 79, Fn. 9. 13  Zur Vakanz des Staatssekretariates und zur Frage der Ernennung van Rickelens vgl. auch Dok. 83. Im Ministerratsbeschluss vom 2. November 1951 (vgl. Dok. 79, Fn. 9) wurde van Rickelen als Staatssekretär für Chemie, Steine und Erden bestätigt.

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dustrie im Zusammenhang mit der Flucht von dessen Bruder nach Westdeutschland noch einmal zu prüfen. Grotewohl antwortete, eine solche zusätzliche Prüfung werde vorgenommen werden. Im Zusammenhang mit dieser Frage bat Grotewohl den Gen. Čujkov um seine Meinung zur Zweckmäßigkeit einer Aufteilung auch des Ministeriums für Maschinenbau, dessen Apparat angesichts des großen Arbeitsvolumens überlastet sei und nicht intensiv genug arbeite. Es wäre zweckmäßig, fuhr Grotewohl fort, den Schiffbau und das rollende Material der Eisenbahn aus dem Ministerium für Maschinenbau auszugliedern.14 Gen. Čujkov bat Grotewohl, seine Meinung zu dieser Frage in schriftlicher Form einzuschicken, damit sowjetische Spezialisten ihr Gutachten abgeben könnten,15 womit Grotewohl einverstanden war. Grotewohl äußerte seine Meinung zum schlechten Fortgang der Nutzung von Mitteln für den Investitionsbau 1951. So seien für den Investitionsbau lediglich 40 Prozent der vom Plan vorgesehenen Mittel verausgabt worden und bei verschiedenen Maßnahmen im Kulturbereich und beim Gesundheitsministerium sogar noch weniger, nämlich 20 Prozent. Nach Meinung Grotewohls müssten diesbezüglich entschlossene Maßnahmen getroffen werden, es müsse eine strenge Weisung an alle Minister erteilt werden, die die persönliche Verantwortung für die Verwendung der Investitionsmittel trügen. Grotewohl merkte dabei an, dass er beabsichtige, im Oktober eine Kontrolle der Erfüllung des Investitionsplans vorzunehmen. Sollte im Oktober keine einschneidende Verbesserung erreicht 14  Strukturumbildungen im Ministerium für Maschinenbau zogen sich über einen längeren Zeitraum hin. Am 19. Februar 1952 beschloss das Politbüro des ZK der SED die Bildung eines Staatssekretariates für Schwermaschinenbau und eines Staatssekretariates für Schiffsbau (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/194, TOP 10). Dieser Beschluss wurde am 15. April dahingehend geändert, dass der zuvor für den Schwermaschinenbau vorgesehene Staatssekretär Ernst Wolf nun für die HV Schwermaschinenbau und die HV Schiffsbau und ein noch nicht benannter Staatssekretär für die HV Allgemeiner Maschinenbau, die HV Fahrzeugbau, die HV Elektrotechnik und die HV Feinmechanik und Optik des Ministeriums verantwortlich sein sollten (vgl. ebenda, DY 30/IV 2/2/207, TOP  6; zum entsprechenden Regierungsbeschluss vom 9. Mai 1952 vgl. BAB, DC 20-I/3/106, TOP 7, Anlage 7). Am 9. Dezember des Jahres beschloss das Politbüro, das Ministerium für Maschinenbau gänzlich aufzulösen und drei neue Ministerien zu bilden: für Schwermaschinenbau, für Transportmittelund Landmaschinenbau und für allgemeinen Maschinenbau. Dem Ministerium für Transportmittel- und Landmaschinenbau sollten fünf Hauptverwaltungen unterstellt werden, darunter die HV Schiffsbau und die HV Lokomotiv- und Waggonbau (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/252, TOP 4, Anlagen 3 und 5). Auf Beschluss vom 3. November 1953 wurden die drei Ministerien jedoch erneut zusammengelegt (vgl. ebenda, DY 30/J IV 2/2/330, TOP 7 und Anlage 3). 15  In deutschen Archiven konnte kein solches Gutachten nachgewiesen werden.



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sein, werden die Minister neben der persönlichen Verantwortung auch die politische Verantwortung dafür zu tragen haben. Grotewohl sagte weiter, die zum Teil schlechten Resultate würden sich durch schlechte Kooperation erklären und im Wesentlichen dadurch, dass die Minister ihre direkten Aufgaben nicht erfüllen. Möglicherweise werde man, wenn keine Verbesserungen erreicht werden, die Rechenschaftsberichte einiger Minister in der Volkskammer zur offenen Debatte stellen müssen. Gen. Čujkov billigte ein solches Vorgehen im Prinzip, merkte aber an, dass die offene Debatte einer solchen Frage auf einer Sitzung der Volkskammer nach vorheriger Vorbereitung im Politbüro zu führen sei, womit Grotewohl einverstanden war.16 Sodann informierte Grotewohl die Gen. Čujkov und Il’ičev über Veränderungen in der Regierung des Landes Sachsen, aus der der Gesundheitsminister Thürmer entlassen worden sei als jemand, der seinen Amtspflichten in keiner Weise gerecht werde. Dabei, so Grotewohl, wolle Herr Dieckmann17 das Ausscheiden Thürmers aus der Regierung möglichst unauffällig vollziehen und ihn als seinen Mann in der politischen Arbeit in Sachsen belassen. Wir meinen, sagte Grotewohl, dass die Ablösung Thürmers nicht im Eilverfahren entschieden werden sollte.18 16  Im Politbüro des ZK der SED wurde diese Frage in der Folgezeit nicht aufgegriffen. 17  In der russischen Transkription „Dikman“. Der Name ist schwer lesbar, jedoch ergibt sich auch aus dem Kontext (vgl. Fn. 18), dass es hier um den Volkskammerpräsidenten Johannes Dieckmann ging, der zugleich Justizminister und stellvertretender Ministerpräsident des Landes Sachsen war. 18  Der Landesvorsitzende der LDP Sachsen Schlesinger berichtete am 12. September 1951 vor dem Politischen Ausschuss des Zentralvorstands der LDP Sachsen, dass – nach einer bereits im Februar/März erfolgten Überprüfung der Amtsführung von Gesundheitsminister Thürmer und daran anschließender wiederholter Kritik im sächsischen Kabinett  – in der Kabinettssitzung vom 6.  September erneut massive Vorwürfe „durch sämtliche Minister“ erhoben worden seien. Nach einer internen Besprechung unter Vorstandsmitgliedern der LDP Sachsen am 7. September erklärte Thürmer daraufhin in einem Schreiben an Ministerpräsident Seydewitz seinen Rücktritt (vgl. ADL, L2-1, Bl. 78). Schlesinger, der Seydewitz das Schreiben persönlich übermitteln sollte, bat diesen laut seinem Bericht, „von einer öffentlichen Behandlung dieses Falles abzusehen“. Seydewitz habe jedoch auf einer Behandlung des Falles im Landesblock bestanden und auch eine Berichterstattung im Landtag für notwendig gehalten. Am 10. September habe der Landesblock einstimmig beschlossen, dem Kabinettsbeschluss zuzustimmen, „wonach die Prüfung ergeben habe, daß Herr Dr. Thürmer seinen Aufgaben als Minister politisch und fachlich nicht gewachsen und daher abzuberufen sei“. In der Blocksitzung sei eine Bekanntgabe im Landtag für notwendig gehalten worden (vgl. ebenda, Bl. 60–61). In der darauffolgenden Diskussion und Beschlussfassung wandte sich Dieckmann (dessen Schwager Thürmer war) als einziger dagegen, dass die LDP-Vertreter im Landesblock nicht auf einer Anhörung Thürmers bestanden, sondern in dessen Abwesenheit dem Beschluss des Blocks zugestimmt hätten, vgl. ebenda, Bl. 62 und 65. Zu den (zumeist fachlich begründeten)

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Danach sagte Gen. Čujkov zu Grotewohl, nach seiner Meinung müsse ein besonderes Augenmerk auf eine so gewichtige Frage wie die Arbeit der Maschinen-Ausleih-Stationen (MAS) und der volkseigenen Güter gerichtet werden. Sowjetische Experten hätten festgestellt, dass es zwar einige Verbesserungen in der Arbeit der volkseigenen Güter und der MAS gebe, diese aber sehr unbedeutend seien. Die Schwäche der Arbeit der volkseigenen Güter bestehe im Fehlen einer Rechnungsführung und in der Senkung des Vieh­ bestands. In den MAS habe sich der Stundenlohn an den Leistungslohn angeglichen. Das Ergebnis sei eine niedrige Arbeitsproduktivität. Ein Traktorist bearbeite etwa nur ein Drittel bis ein Fünftel des in der Sowjetunion bearbeiteten Bodens. Die Regierung sei daher genötigt, den MAS größere Zuschüsse zu gewähren. Gen. Čujkov bat Grotewohl, über Maßnahmen nachzudenken, die zwecks Beseitigung all dieser Mängel getroffen werden können, und übergab seine Bemerkungen in schriftlicher Form.19 Grotewohl antwortete, diese Frage sei ihm schon bekannt, und sie werde im Ministerrat diskutiert.20 Die langsame Steigerung des Viehbestands erklärt sich nach Meinung Grotewohls durch das Fehlen der erforderlichen Menge an Ställen, für deren Bau jetzt die notwendigen Mittel freigegeben worden seien. Das Landwirtschaftsministerium bereite gegenwärtig zu dieser Frage eine Mitteilung vor, wobei sich an der Arbeit Experten und Vertreter der Partei beteiligen. Gen. Čujkov bat Grotewohl des Weiteren, auf die persönlichen Beziehungen zwischen Ebert einerseits und Neumann und Jendretzky andererseits zu Vorwürfen gegen Thürmer vgl. ausführlich die Regierungserklärung von Seydewitz auf der 13. Sitzung des Sächsischen Landtages am 21. September 1951 (Sächsischer Landtag [Zeitschriftenband N.S. 2. Wahlper. 1950/52,1/14], S. 410–413), über die auch in der sächsischen Presse berichtet wurde, sowie ein Schreiben Schlesingers vom 7. September 1951, gemäß dem Thürmer „die neuen Angriffe als in ihrer erdrückenden Mehrzahl für nicht oder nicht ausreichend begründet“ erklärt habe (vgl. ADL, L2-1, Bl. 79–82). Zu Thürmers Nachfolger wurde Schlesinger ernannt. 19  Vgl. Fn. 10 zu diesem Dokument. 20  Der Ministerrat der DDR fasste am 8. November 1951 dazu folgenden Beschluss: „1. Die im Gesetz über den Staatshaushaltplan 1951 festgelegten Zuführungen an Finanzmitteln für die MAS werden um weitere 56 072 Mill. DM erhöht …“ Vgl. BAB, DC 20-I/3/24, TOP 8, Anlage 2. Am 20. Dezember 1951 beschloss der Ministerrat erneut eine Bereitstellung von Mitteln für die MAS: „1. Zur Überbrückung der finanziellen Schwierigkeiten, die infolge der Außenstände bei den werktätigen Bauern entstanden sind, wird den Maschinenausleihstationen für die Begleichung ihrer dringendsten Verbindlichkeiten an Treibstoff- und Ersatzteillieferaten ein Kredit mit Haushaltsdeckung von 25 Millionen DM zur Verfügung gestellt … 2. Das Ministerium für Land- und Forstwirtschaft wird beauftragt, durch ein differenziertes System von Verwaltungs-, Aufklärungs- und Erziehungsmaßnahmen dafür zu sorgen, daß Rückstände in solchem Umfange nicht wieder aufkommen.“ Vgl. BAB, DC 20I/3/86, TOP 12.



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achten. Die Beziehungen zwischen ihnen hätten sich dermaßen verschlechtert, dass Ebert anscheinend an Rücktritt denke.21 Grotewohl versprach in diesem Zusammenhang, mit Ebert zu sprechen und Neumann und Jendretzky nach deren Rückkehr aus dem Urlaub entsprechende Anweisungen zu geben. Im weiteren Verlauf der Unterredung übergab Gen. Čujkov Grotewohl in schriftlicher Form Anmerkungen zur Frage des Fortgangs von Wissenschaftlern aus der DDR nach Westdeutschland. Dabei machte Gen. Čujkov darauf aufmerksam, dass in der DDR äußerst wenig wissenschaftlich-theoretische Konferenzen stattfinden, und er führte die Tatsache an, dass 1951 in der DDR lediglich zwei wissenschaftliche Konferenzen stattgefunden hätten, in Westdeutschland hingegen 35.22 Man müsse darüber nachdenken, die mate­ 21  Am 2. August 1951 hatte Ebert einen vom Vortag datierten 12-seitigen Bericht mit der Überschrift „Die Lage im Magistrat von Gross-Berlin“ an Jendretzky geschickt. Darin beklagte Ebert vor allem die Arbeitsüberlastung des Oberbürgermeisters aufgrund der mangelnden Umsetzung von Beschlüssen zur Verbesserung der Arbeit des Magistrats (vgl. zu den Entschließungen Berliner Zeitung, 24. Februar 1950, S. 1, und 19. April 1951, S. 5) und der unzureichenden Stellenbesetzung in zahlreichen Abteilungen einschließlich von Leitungspositionen. Wesentliche Forderungen Eberts seien nicht erfüllt worden, und auch die fünf Bürgermeister seien ihren Verpflichtungen nicht nachgekommen. Zu Neumann merkte Ebert an: „Ohne Zweifel spielt dabei die längere Krankheit des … Genossen Neumann eine gewisse Rolle. Nicht unwesentlich ist daneben die Tatsache, die Genosse Hans Jendretzky mir gegenüber … mit der Bemerkung richtig charakterisierte, dass wir jetzt eigentlich ‚zwei Oberbürgermeister‘ hätten … Aus dieser Entwicklung hat sich ein nicht ganz befriedigendes Verhältnis zwischen dem Genossen Neumann und mir ergeben, das leicht zu einem Nebeneinander und … sogar zu einem Gegeneinander führte.“ In einem Gespräch mit Fritz Reuter habe Ebert daher seine eigene Ablösung nahegelegt. „Man muss sehen, dass wir auf vielen Gebieten in der Verwaltung ‚schwimmen‘, uns gerade noch so über Wasser halten. Ich selbst bin nicht in der Lage, dieser Dinge aus eigener Kraft Herr zu werden.“ Am 11. August notierte Ebert in einem handschriftlichen Vermerk: „Dieser Vorgang wurde nach einer Auseinandersetzung mit dem Gen. Neumann (8.8.51) am 9.8.51 mit dem Genossen Jendretzky besprochen. Vereinbart wurde, daß die Frage meiner Ablösung von mir aus nicht mehr vor Ende Oktober 1951 aufgeworfen und das Dokument deshalb auch nicht dem Sekretariat des ZK zugeleitet wird. Die Partei wird sich verstärkt bemühen, die offenen Kaderfragen umgehend zu lösen.“ Vgl. BAB-SAPMO, NY 4192/15. 22  Oelßner führte dazu in seiner Ausarbeitung „über die Situation der Wissenschaftler in der DDR“ vom 11. September 1951 aus: „Das Fehlen von wissenschaftlichen Gesellschaften und die Unterschätzung der Durchführung wissenschaftlicher Konferenzen in der DDR haben dahin geführt, daß Hunderte von Gelehrten der DDR Mitglieder wissenschaftlicher Organisationen in Westdeutschland geworden sind und jedes Jahr zu zahlreichen Konferenzen dorthin fahren. Im ersten Halbjahr 1951 sind in der DDR nur zwei Konferenzen durchgeführt worden, und in Westdeutschland 35. Vom 1. Februar bis 1. Mai sind 205 Professoren der DDR zu Konferenzen nach Westdeutschland gefahren.“ Oelßner schlug u. a. folgende Maßnahmen vor: „… 2. Organisierung von wissenschaftlichen und technisch-wissenschaftlichen Gesellschaften …

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rielle Situation der Wissenschaftler in der DDR grundlegend zu verbessern und Ausgaben zu tätigen, die sich letzten Endes in vollem Umfang bezahlt machen.23 Gen. Il’ičev merkte dabei an, es wäre zweckmäßig, wenn der Ministerpräsident die Leitung der Akademie der Wissenschaften empfinge, denn dort gebe es viele ungelöste Fragen.24 Grotewohl stimmte den von Gen. Čujkov gemachten Bemerkungen voll und ganz zu und sagte, ein unsensibles Verhalten gegenüber Wissenschaftlern leite Wasser auf die Mühlen der Feinde. Unsere Leute, sagte er, müssen noch umerzogen werden. Zur Frage der Veranstaltung wissenschaftlicher Konferenzen sagte Grotewohl, gegenwärtig werde ein Plan zur Abhaltung von Konferenzen vom Staatssekretariat für Hochschulfragen erarbeitet. Eine große Hilfe bei der Arbeit, sagte er, seien auch die Anmerkungen, die ihm Gen. Čujkov in einem Aide-mémoire übergeben habe.25 4. Die Durchführung innerrepublikanischer und gesamtdeutscher Konferenzen und Gelehrtentagungen organisieren, hierzu Wissenschaftler der UdSSR, der Länder der Volksdemokratie und aus Westdeutschland einladen.“ Vgl. Geplante Wissenschaft, S. 389–390. 23  Zu den im Frühjahr 1952 beschlossenen „Maßnahmen zur Verbesserung der materiellen Lage der Intelligenz“ vgl. Dok. 102, Fn. 6. 24  Ein Empfang der Leitung der Akademie der Wissenschaften durch Grotewohl kam am 28. November 1951 zustande. Die dort besprochenen Fragen hingen im Wesentlichen mit einem Konflikt zwischen der Akademie der Wissenschaften und dem Ende 1950 gegründeten Zentralamt für Forschung und Technik (bei der Staatlichen Plankommission) zusammen. Das Zentralamt hatte demnach die Aufgabenfelder der Akademie auf Grundlagenforschung festlegen wollen, die angewandte Forschung sollte dagegen Industrieinstituten übertragen werden. Vertreter der Akademie wehrten sich gegen eine Beschneidung ihrer Forschungsfelder. Bereits zuvor waren nach Ausgliederung entsprechender Institute aus der Akademie der Wissenschaften die Bauakademie und die Landwirtschaftsakademie gegründet worden. Grotewohl schlug vor, der Akademie den Schwerpunkt der Grundlagenforschung und dem ZFT den Schwerpunkt der Industrieforschung zuzuweisen. Die Zahl der bei der Akademie angesiedelten Institute solle jedoch unangetastet bleiben, ebenso habe sie „das Recht, Gebiete der wissenschaftlichen Forschung für sich in Anspruch zu nehmen“. Vgl. Geplante Wissenschaft, S. 395–403, hier S. 403. In den von Grotewohl präzisierten und dem Akademiepräsidenten am 30. November zugeschickten „vereinbarten Grundsätzen“ hieß es dazu weiter: „Erfolgt hiergegen im Einzelfalle ein Einspruch der Staatlichen Plankommission, so entscheidet, falls keine Verständigung zustande kommt, auf Antrag des Ministerpräsidenten der Ministerrat.“ Nach diesen Grundsätzen blieb die Akademie der Wissenschaften die „höchste wissenschaftliche Institution, die sich den Plangrundlagen des Staates eingliedern muß“. Sie war „hinsichtlich der Plandisziplin der Zuständigkeit der Staatlichen Plankommission wie jede andere staatliche Stelle unterstellt“. Vgl. Werner Hartkopf, Gert Wangermann, Dokumente zur Geschichte der Berliner Akademie der Wissenschaften von 1700 bis 1990, Berlin/Heidelberg/New York 1991, S. 491–492. 25  Zur Überlieferung der Anlagen vgl. Fn. 10. Ein Aide-mémoire von Čujkov für Grotewohl konnte auch im BAB nicht ermittelt werden.



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Gen. Čujkov bat Grotewohl, sich persönlich um eine Lösung dieser wichtigen Frage zu kümmern. Gen. Čujkov übergab Grotewohl in schriftlicher Form Anmerkungen zur unbefriedigenden Vorbereitung von Beschlüssen zur Einhaltung des Haushalts der DDR im ersten Halbjahr 1951. Bei den Sparkassen und in den Händen der Regierung habe sich in letzter Zeit die Geldmenge erheblich verringert, während die Regierung kurzfristig große Summen für die Tätigung von Warenankäufen benötige. Die entstandene Situation könne die Gefahr einer Inflation heraufbeschwören. Unbefriedigend verlaufe das Eintreiben von Steuern, wodurch sich zum 1. August die ausstehenden Einnahmen auf über 800 Millionen Mark beliefen, davon im volkseigenen Sektor 280 Millionen und im privaten Sektor 570 Millionen Mark. Grotewohl räumte ein, dass in der Steuerpolitik nicht die gebotene Härte zur Geltung komme, was auch diese Situation herbeigeführt habe.26 Am Donnerstag beabsichtige er eine Finanzkonferenz abzuhalten, auf der er eine Rede zum Thema Grundlagen der Finanzpolitik halten wolle.27 Nach seiner Rede sei vorgesehen, dass einzelne Experten Referate zu Detailfragen halten. Auf dieser Konferenz, so Grotewohl, können auch Fragen der Steuerpolitik diskutiert werden. Zum Abschluss der Arbeit solle ein Beschluss mit Kritik an den Unzulänglichkeiten der Finanzpolitik der DDR gefasst werden. Grote­ wohl dankte Gen. Čujkov für die Übergabe seiner Anmerkungen und sagte, diese werden zweifellos sehr hilfreich bei der Arbeit sein. Gen. Čujkov teilte weiter mit, dass die Regierung der Sowjetunion keine Einwände gegen eine Teilnahme der Regierung der DDR an der internationalen Post- und Fernmeldekonferenz28 habe. Gen. Čujkov bat sodann Grotewohl um seine Meinung zur vorgesehenen Erhöhung der Anzahl von Vertretern der christlichen orthodoxen Kirche, die in der DDR durch den Bischof Boris vertreten sei und nicht nur in der DDR, sondern auch in Westberlin und Westdeutschland Kirchen habe. 26  Gleichzeitig deutete nach Meinung der SKK „eine Analyse der Umsetzung des Haushalts darauf hin, dass in der Volkswirtschaft der DDR große Reserven vorhanden sind. Noch unzulänglich wird der Kampf um strengste Haushaltsdisziplin geführt. Das System der Besteuerung weist erhebliche Mängel auf: Volkseigene Betriebe werden genauso veranlagt wie private, die Vielzahl von Besteuerungsarten erschwert die Kontrolle der rechtzeitigen Erhebung und verteuert den Apparat der Steuerbehörden.“ Vgl. AVP RF, f. 082, op. 40, p. 261, d. 51, Bl. 117. 27  Die von Grotewohl angesprochene dreitägige „finanzpolitische Konferenz der DDR“ begann erst am 17. September 1951. Grotewohls Rede wurde im Neuen Deutschland am 21. September auf S. 5 in Auszügen abgedruckt, die Beschlüsse der Konferenz am 22. September auf S. 6. 28  Gemeint war vermutlich die Außerordentliche Funkverwaltungskonferenz der Internationalen Fernmeldeunion (ITU), die vom August bis Dezember 1951 in Genf stattfand, vgl. Dok. 83 und dort Fn. 8–11. Die DDR war kein Mitglied der ITU und nahm an der Konferenz nicht teil.

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Grotewohl antwortete, seinerseits bestünden keinerlei Einwände. Gen. Il’ičev bat Grotewohl, der SKK im Zusammenhang mit seinem Brief über die Entsendung von Planexperten in die UdSSR mitzuteilen, welche Fragen sie haben, und die personelle Zusammensetzung der Gruppe aufzulisten. Grotewohl antwortete, sie möchten die Ausbildung von Planspezialisten kennenlernen, und versprach, die Namen mitzuteilen.29 Grotewohl bat sodann Gen. Čujkov, seine Meinung zu den von ihm gemachten Vorschlägen30 zum Nationalfeiertag am 7. Oktober31 mitzuteilen. Gen. Čujkov antwortete, er werde seine Meinung später mitteilen. Zum Abschluss der Unterredung sagte Grotewohl, auf die Frage der Reorganisation der Akademie der Künste eingehend – eine Frage, die auf der nächsten Sitzung des Politbüros besprochen werden solle32 – es scheine gegenwärtig geboten, sich aufmerksamer gegenüber Arnold Zweig zu verhalten. Grotewohl teilte mit, er habe darüber schon mit Becher gesprochen, der ihm gesagt habe, Zweig sei noch kein einziges Mal in der UdSSR gewesen. In diesem Zusammenhang fragte Grotewohl Gen. Čujkov, ob es möglich sei, Zweig eine Möglichkeit zu bieten, gemeinsam mit seiner Frau eine Reise in die Sowjetunion zu machen. Eine solche Reise würde es Zweig ermöglichen, die benötigte Beratung bei sowjetischen Augenspezialisten zu erhalten und die Sowjetunion kennenzulernen, was einen wohltuenden Einfluss auf ihn haben würde33 und es ermöglichen würde, die Reorganisation der Akademie34 leichter durchzuführen. 29  Ein

Schreiben Grotewohls dazu konnte nicht ermittelt werden. Vorschläge Čujkovs zum Nationalfeiertag am 7. Oktober sind in der Akte nicht überliefert, vgl. Fn. 10 zu diesem Dokument. 31  Vgl. Dok. 21, Fn. 21. 32  Umfangreiche Maßnahmen zur Neuordnung der Akademie der Künste wurden im Politbüro erst am 17. Juni 1952 beschlossen, vgl. Fn. 34. 33  Bereits am nächsten Tag beschloss das Politbüro zum „Aufenthalt von Arnold Zweig in der Sowjetunion“: „Das ZK der KPdSU (B) wird gebeten, dem Schriftsteller Arnold Zweig und Frau einen Aufenthalt in der Sowjetunion zu gewähren und ihm dabei die Möglichkeit zu geben einen Augenspezialisten zu konsultieren.“ Zweig flog nach eigenen Angaben am 26.  Februar 1952 nach Moskau und hielt sich vom 22. März bis zum 16. April in einem Sanatorium in Jalta auf. Sowohl in Moskau als auch auf der Krim wurde Zweig von verschiedenen Ärzten betreut. Offizieller Anlass für seine Einladung war die Gogol’-Feier in Moskau am 4.  März, auf der eine Ansprache von Zweig verlesen wurde (vgl. Pravda, 5. März 1952, S. 2 und – knapper – Neues Deutschland am selben Tag auf S. 6). Am 23.  April reiste er nach Berlin zurück. Vgl. sein anlässlich der Reise verfasstes „Sowjetisches Tagebuch 1952“, veröffentlicht in Sinn und Form, hrsg. von der Akademie der Künste, Sonderheft Arnold Zweig, Berlin 1952, S. 220–266. 34  Nach längerer interner Vorbereitung wurden am 27. März 1952 erste Struktur­ umbildungen der Akademie der Künste durch das ZK der SED beschlossen, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/J IV 2/3/278, TOP 51. Am 17. Juni 1952 beschloss das Politbüro auf Vorschlag der Kulturabteilung vom 31. Mai (vgl. BAB-SAPMO, NY 30  Schriftliche



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Gen. Čujkov versprach, Grotewohls Bitte zu unterstützen. Gen. Il’ičev fragte Grotewohl nach seiner Meinung zur Organisation einer Gesellschaft des Roten Kreuzes in der DDR. Grotewohl versprach, diese Frage zu überlegen und seine Meinung mitzuteilen.35 Das Gespräch wurde aufgezeichnet von Dolmetscher Bogomolov36 AVP RF, f. 082, op. 38, p. 22, d. 15, Bl. 66–73.

4090/536, Bl. 209) die „Wahl“ Johannes R. Bechers zum Präsidenten der Akademie und die Ernennung Zweigs zu ihrem Ehrenpräsidenten, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/216, TOP 4, Anlagen 2–5. Am 27.  Juli 1952 erschien im Neuen Deutschland auf S. 6 eine am selben Tag beschlossene Resolution des Politbüros zur „fortschrittlichen deutschen Filmkunst“. Sie enthielt eine scharfe Kritik an der bereits im Vorjahr abgesetzten DEFA-Verfilmung von Zweigs Roman „Das Beil von Wandsbek“, die damals auch als Kritik an der Person Zweigs verstanden wurde. Nach internen Aus­ einandersetzungen in der Akademie zwischen Zweig und Becher, der eine aktivere Kulturpolitik der Akademie forderte, ließ sich Zweig zunächst nicht von einem Rücktritt überzeugen (vgl. Matthias Braun, Kulturinsel und Machtinstrument. Die Akademie der Künste, die Partei und die Staatssicherheit, Göttingen 2007, S. 58). Erst nach den Feierlichkeiten zu seinem 65. Geburtstag am 10. November 1952 bat er die Akademie am 9. Dezember um Beurlaubung. Becher übernahm als Vizepräsident die Geschäfte, bis er am 23. April 1953 im Plenum der Akademie nach einer intensiven Debatte ohne Gegenkandidaten zum Präsidenten gewählt wurde, vgl. ebenda, S. 60– 62. 35  Die Gründung des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) der DDR war bereits am 6. Mai 1952 in ein entscheidendes Stadium getreten, als das Politbüro fertig ausgearbeitete Entwürfe zu einer diesbezüglichen Verordnung des Ministerrats und „Kadervorschlägen“ zur Besetzung der Leitungsfunktionen dieser Organisation zustimmte (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/210). Mit Namensgebung und Wahrzeichen bezog sich die neu gegründete Organisation auf frühere Traditionen der Rotkreuzgesellschaften auf dem Gebiet der DDR und auf das DRK der Weimarer Republik, zugleich aber sollte sie zu einer Massenorganisation der DDR ausgebaut werden. So übernahm das DRK vom FDGB 28 000 „Gesundheitshelfer“ und verpflichtete sich sofort zur Ausbildung von weiteren 30 000 Helfern. Mit Gehemigung des MdI leistete seit Juni 1952 ein Zentrales Organisationskomitee Vorarbeiten für die Bildung der Organisation des DRK. Aber erst am 23. Oktober fasste der Ministerrat der DDR den formellen Gründungsbeschluss (vgl. BAB, DC 20-I/3/145). Zwei Jahre später wurde das DRK in die Organisation des Internationalen Roten Kreuzes aufgenommen. 36  Handschriftlich.

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82. Unterredung zwischen Außenminister Vyšinskij und dem Leiter der Diplomatischen Mission der DDR in Moskau Appelt Geheim

28. September 19511

Aus dem Tagebuch2 von A.Ja. Vyšinskij Aufzeichnung einer Unterredung mit dem Leiter der diplomatischen Mission der DDR in Moskau, R. Appelt. Habe Appelt auf seine Bitte empfangen. Auf die Rede Grotewohls und den Appell der Volkskammer an das deutsche Volk und an den Bundestag Westdeutschlands3 eingehend, sagte Appelt, die Kampagne werde dieses Mal in größerem Maßstab als früher betrieben. Größere Aktivität würden die westdeutschen Arbeiter entwickeln, die von der Bonner Regierung die Annahme der Vorschläge der Volkskammer fordern. Besonders aktiv seien die Betriebsräte. Die Aktivität der Arbeitermassen in Westdeutschland sei so groß, dass die Bosse der bürgerlichen Parteien sich nicht trauen, sich gegenwärtig offen gegen die Vorschläge der Volkskammer auszusprechen. In der Deutschen Demokratischen Republik habe sich eine gewaltige Volksbewegung zur Unterstützung der Vorschläge Grotewohls entfaltet. Dabei merkte Appelt an, der Zeitpunkt für die Rede Grotewohls sei außerordentlich glücklich gewählt worden.4 Adenauer werde es dieses Mal nicht gelingen, mit den Erklärungen, die er zu Grotewohls Rede schon ge-

1  Original. Der Hauptadressat des Dokuments war Stalin. Kopien gingen an Molotov, Malenkov, Berija, Mikojan, Kaganovič, Bulganin, Chruščev und Suslov. Das Dokument enthält keine Registraturnummern. Am Fuß der ersten Seite ist die Nummer „419-V“ vermerkt. Ausschnitte dieses Dokuments sind anhand einer Kopie veröffentlicht in Filitov, Die Note vom 10. März 1952, S. 162–163. 2  „Tagebuch“ ist ein aus der russischen Kanzleisprache übernommener Begriff des Auswärtigen Dienstes der UdSSR für Gesprächsaufzeichnungen. 3  Gemeint ist die Regierungserklärung von Otto Grotewohl am 15. September 1951, vgl. Dok. 80, Fn. 7. 4  Appelt stützte sich bei dieser Aussage auf die Berichterstattung des Neuen Deutschland. Seit dem 18. September 1951 bis zur Bundestagsdebatte zum Volkskammerappell am 27. September (vgl. Dok. 80, Fn. 8) berichtete das SED-Zentral­ organ bei jedem Erscheinen auf mehreren Seiten über Aktivitäten zur Unterstützung dieses Aufrufs. Dabei wurden zahlreiche Einzelmeinungen von Betriebsratsmitgliedern, Politikern und anderen Persönlichkeiten zu einer Massenbewegung gegen die Politik Adenauers und zur Unterstützung der Volkskammer-Initiative stilisiert, zum Beispiel am 19. September unter der Schlagzeile: „Begeisterte Zustimmung aus allen Schichten Westdeutschlands. Für gesamtdeutsche Beratungen“ (S. 1).



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macht habe, davonzukommen. Die Kampagne für die Annahme der Vorschläge der Volkskammer werde sich mit jedem Tag ausweiten.5 Danach ging Appelt zur Darlegung der Fragen über, die Zweck seines Besuchs bei mir waren. 1. Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik bitte die Regierung der UdSSR, 348 deutschen Kriegsgefangenen6 aus der französischen Fremdenlegion, die sich gegenwärtig in Gefangenschaft in Vietnam befinden, die Durchreise über das Hoheitsgebiet der UdSSR zu gestatten.7 Dabei wies Appelt darauf hin, dass die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik sämtliche Kosten, die der Regierung der UdSSR bei der Durchreise der genannten deutschen Kriegsgefangenen durch das Territorium der UdSSR entstehen, übernehmen werde. Appelt übergab mir eine Note der Mission zu dieser Frage (ist beigefügt).8 Ich versprach, die Frage zu klären und für eine baldige Antwort zu sorgen.9 5  In diesen Tagen schrieb Rudolf Augstein unter dem Pseudonym Jens Daniel: „Wenn nun die deutsche Einheit in Freiheit wirklich hergestellt werden kann, sofern Ost und West auf deutsche Streitkräfte verzichten, dann wäre es eine geschichtsmächtige Torheit, von deutscher Seite auf diesen ‚friedlichen Weg‘ und auf diese ‚friedliche Wiederherstellung‘ zu verzichten … Wie anders soll die Sowjetzone denn zurückgewonnen werden, wenn nicht durch einen Kuhhandel mit den Sowjets? Durch einen Weltkrieg? Durch einen freiwilligen Rückzug der Sowjets unter dem Druck der friedliebenden freien Völker? Das würde selbst der Bundeskanzler nicht mehr erleben, der die Idee, das vereinigte demokratische Deutschland zu neutralisieren, den ‚Dummköpfen und Verrätern‘ zugewiesen hat.“ Vgl. Der Spiegel 39/1951, S. 3–5, hier S. 3. 6  Zu einem früheren Rücktransport deutscher Kriegsgefangener aus Vietnam vgl. Dok. 18 und dort Fn. 25. 7  Die kursiv hervorgehobenen Wörter sind hier und im Folgenden im Original von Vyšinskij unterstrichen. Der gesamte Absatz ist am linken Rand handschriftlich angestrichen. 8  Zur Note der DDR-Mission vgl. AVP RF, f. 07, op. 26, p. 45, d. 90, Bl. 12. 9  Laut einem Aktenvermerk über den Besuch von Appelt und Wolf bei Gribanov am 3. Oktober 1951 äußerte dieser zu der Note betr. „Heimführung von 348 ehemaligen deutschen Fremdenlegionären aus Vietnam“ mündlich, „die Sache laufe und werde genau so gehandhabt werden wie das letzte Mal. Botschafter Appelt erwähnte in diesem Zusammenhang die politische Bedeutung der zurzeit starken Kampagne in Deutschland gegen die Verurteilung von 4 heimgekehrten Fremdenlegionären.“ Vgl. PA AA, MfAA A, Bd. 144, Bl. 91–92. Laut einem Vermerk Appelts vom 8. Februar 1952 antwortete Gribanov am 6. Februar während eines Besuches Appelts auf dessen erneute Frage bezüglich der Rückführung von verbleibenden 140 „ehem. franz. Fremdenlegionäre[n] deutscher Nationalität aus Vietnam“, dass es „wegen des Transportes keine Schwierigkeiten geben“ werde, auch Visa für das Begleitpersonal würden erteilt. Der Leiter der Diplomatischen Mission der DDR in China, König, müsse jedoch dem dortigen sowjetischen Botschafter ein Namensverzeichnis der Kriegsgefangenen zustellen, vgl. ebenda, Bd. 15611, Bl. 11–13.

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2. Die Regierung der DDR (Grotewohl) habe an die sowjetische Regierung einen Brief geschickt mit der Bitte, 188 Studenten der DDR die Erlaubnis zur Anreise zwecks Studiums an Hochschulen der Sowjetunion zu erteilen,10 aber bis jetzt noch keine Antwort auf diesen Brief erhalten. Appelt räumte dabei ein, dass die deutschen Behörden sich darüber im Klaren seien, dass sie in dieser Frage zu spät (am 18. August d. J.) an die sowjetische Regierung herangetreten seien, dennoch würde er gern wissen, wie der Stand der Dinge in dieser Frage sei, damit die entsprechenden Stellen der DDR alle erforderlichen Vorbereitungsmaßnahmen treffen könnten. Ich antwortete, ich werde diese Frage klären und in den nächsten Tagen eine Antwort geben.11 3. Die Frage der deutschen Spezialisten in der UdSSR.12 Appelt erklärte, dies sei seiner Meinung nach jetzt schon eine brennende Frage. Er erhalte eine große Anzahl von Briefen deutscher Spezialisten. Einige von ihnen be10  Mit dieser Frage hatte sich das SED-Politbüro am 14. August beschäftigt, 179 Studenten namentlich für das Studium in der UdSSR bestätigt und das MfAA beauftragt, diese Frage auf diplomatischem Wege zu erledigen, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/ IV 2/2/161. Am 18. August 1951 hatte sich Grotewohl in dieser Frage an den Ministerrat der UdSSR gewandt: „Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik bittet die Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, zu prüfen, ob die Möglichkeit besteht, Studenten aus der Deutschen Demokratischen Republik an den Hochschulen der UdSSR studieren zu lassen. Nach prinzipieller Zustimmung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken könnte die Regelung aller Einzelheiten über das Studium sowie der Abschluß eines entsprechenden Vertrages zwischen dem Ministerium für Hochschulbildung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und dem Staatssekretariat für Hochschulwesen der Deutschen Demokratischen Republik über die diplomatischen Missionen der beiden Länder erfolgen. Für das kommende Semester wäre die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik daran interessiert, 200 Absolventen der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät und Studenten der Universitäten und Hochschulen der Deutschen Demokratischen Republik zum Studium in die Sowjetunion zu entsenden.“ Ohne Quellenangabe veröffentlicht in: BDU 1, S. 300. 11  Die Antwort Vyšinskijs erfolgte am 29.  September indirekt durch ein Telegramm an Čujkov und Semenov: „Es ist beschlossen, der Bitte der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik um Aufnahme von 188 Studenten der DDR für das Studienjahr 1951/1952 an Hochschulen der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken zu entsprechen. Über das Studium der Studenten der DDR in der Sowjetunion muß ein besonderes Abkommen zwischen der Regierung der UdSSR und der Regierung der DDR abgeschlossen werden. Informieren Sie Grotewohl über diesen Beschluß … A. Wyschinski“ (vgl. BDU 1, S. 304–305). Das hier geforderte Abkommen wurde erst am 12.  Mai 1952 geschlossen, vgl. dazu Dok. 110, Fn. 2. Čujkov informierte Grotewohl am 12. Oktober 1951, vgl. Dok. 83. Das Telegramm bezog sich auf eine Anordnung des Ministerrates Nr. 3584-1669s vom 22.  September 1951 über die Aufnahme von 188 Studenten aus der DDR im Studienjahr 1951–1952, vgl. GA RF, f. R-5446, op. 106 sč, d. 625, Bl. 307–314. Diese enthielt den Entwurf eines entsprechenden Abkommens mit der DDR. 12  Zu den deutschen Spezialisten in der UdSSR vgl. Dok. 15, Fn. 5 und 7.



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fänden sich seit über fünf Jahren in der Sowjetunion, und ihnen scheine, dass sie keinerlei Aussicht auf Rückkehr in die Heimat haben. Appelt bemerkte, er persönlich meine, dass es politisch günstiger wäre, wenn eine größere Zahl deutscher Spezialisten nach Deutschland zurückkehren würde. Ich versprach, mich in dieser Frage kundig zu machen.13 4. Appelt sprach die Frage der Übertragung des Rechts auf Visaerteilung14 an Ausländer, die die DDR besuchen wollen, an die entsprechenden Behör13  Bereits am 25. August 1951 hatte der Ministerrat der UdSSR vier Anordnungen über die Rückkehr von insgesamt 1007 deutschen Spezialisten und ihren Familien erlassen. Das Ministerium für Luftfahrtindustrie sollte demnach bis zum 20. November 1951 344 Spezialisten mit Familien sowie 180 Familienmitglieder von in der UdSSR verbleibenden Spezialisten abkommandieren; das Rüstungsministerium sollte bis zum 1.  Mai 1952 469 deutsche Spezialisten mit ihren Familien nach Hause entlassen; das Schiffbauministerium bis zum 15. Oktober 1951 75 Spezialisten mit Familien; das Ministerium für Fernmeldeindustrie bis zum 1. April 1952 119 Spezialisten mit Familien. Es war geplant, die übrigen Spezialisten weiter für einen Zeitraum von bis zu zwei Jahren zu halten. So lautete die Anordnung Nr. 3140-1479ss vom 25. August 1951 („Über die Überführung von im Ministerium für Fernmeldeindustrie beschäftigten deutschen Spezialisten und ihren Familienangehörigen nach Deutschland“): „1. Das Ministerium für Fernmeldeindustrie wird verpflichtet, bis zum 1. ­April 1952 119 im System des Ministeriums beschäftigte deutsche Spezialisten zusammen mit ihren Familien nach Deutschland (Sowjetische Besatzungszone) zu überführen. 2. Das Ministerium für Fernmeldeindustrie wird verpflichtet, mit dem Ministerium für Staatssicherheit der UdSSR die personelle Zusammenstellung der entsprechend Punkt 1 dieser Anordnung nach Deutschland zu überführenden deutschen Spezialisten und ihrer Familienangehörigen abzustimmen. Die im Ergebnis der Abstimmung abgelehnten deutschen Spezialisten sind für die Dauer von bis zu zwei Jahren in der UdSSR zu belassen und in Betriebe zu versetzen, die nicht im Zusammenhang mit dem Ausstoß militärischer Produkte stehen. 3. Auf die entsprechend dieser Anordnung nach Deutschland ausreisenden deutschen Spezialisten und ihre Familienangehörigen ist die Gültigkeit der Anordnung des Ministerrats der UdSSR vom 13. August 1950 Nr. 3456-1446 in dem Abschnitt zu erstrecken, der die Organisation und Bedingungen der Überführung und des Transports der aus der UdSSR ausreisenden deutschen Spezialisten betrifft.“ Vgl. GA RF, f. R-5446, op. 106 sč, d. 622, Bl. 91. 14  Zur früheren Diskussion dieser Frage vgl. Dok. 3 und dort Fn. 9 und 10. Appelt verfasste am 30. September 1951 einen Bericht zu diesem Gespräch (vgl. PA AA, MfAA A, Bd. 144, Bl. 86). Am 18. Oktober 1951 erteilte Dertinger in seiner Antwort auf Appelts Bericht diesem eine Rüge, da er „eigenmächtig, ohne einen Auftrag seiner Regierung erhalten zu haben“, an Vyšinskij Fragen herangetragen habe, „die man dem sowjetischen Außenminister nicht stellen kann. Ich denke dabei an die Frage der ‚Erteilung der Einreisevisen bald in deutsche Hände zu legen und in diesem Zusammenhang ein Passgesetz für die DDR zu erstellen‘. Der Erlass eines Passgesetzes ist eine innerdeutsche Angelegenheit, an der eventuell die SKK, aber niemals das Auswärtige Amt der UdSSR interessiert ist. Ihre Frage ist eine direkte Aufforderung zur Einmischung in innerdeutsche Angelegenheiten, durch die Sie den sowjetischen Aussenminister in Verlegenheit brachten.“ Vgl. PA AA, MfAA A, Bd. 608, Bl. 149 (vgl. dazu auch Dertingers Frage nach den Zuständigkeiten in Dok. 3). Appelt rechtfertigte sich am 10. Dezember 1951, indem er die oben zitierte Formulierung seines Berichts

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den der DDR an. Appelt bemerkte, die deutsche Führung halte die gegenwärtige Situation, bei der Visa an Ausländer, die die DDR besuchen, nicht durch die diplomatischen Missionen der DDR in den Ländern der Volksdemokratie, sondern durch die Botschaften und Missionen der UdSSR in diesen Ländern erteilt werden, für nicht ganz normal. Wobei es, so Appelt, Fälle gebe, in denen die SKK die Frage der Einreise des einen oder anderen Ausländers auf das Hoheitsgebiet der DDR nicht vorher mit den deutschen Behörden abstimme. Appelt wies auch darauf hin, dass das Aufrechterhalten eines solchen Zustands weder für die UdSSR noch für die DDR politisch von Vorteil sei, zumal die Bonner Regierung schon vor einigen Monaten das Recht erhalten habe, Pässe auszustellen und Visa für die Einreise nach und Ausreise aus Westdeutschland zu erteilen.15 Ich antwortete, ich würde mich in dieser Frage kundig machen.16 Zur Bemerkung Appelts über die Bonner Regierung sagte ich, Bonn habe zwar das als ungenau korrigierte und sich auf den Staatssekretär (Ackermann) als Auftraggeber seiner Anfrage berief, von deren Angemessenheit er und der Staatssekretär nach wie vor überzeugt seien (vgl. ebenda, Bl. 150–151). Am selben Tag erhielt Dertinger von Čebotarev eine vorläufige mündliche Antwort auf die Bitte der DDR-Regierung (vgl. Dok. 88). Vom 10. Dezember 1951 war auch eine Mitteilung der Regierung der UdSSR datiert, die der Regierung der DDR das Recht auf Visaerteilung an deutsche Staatsbürger sowie „Staatsangehörige volksdemokratischer Länder“ übertrug, vgl. ebenda, Fn. 4. 15  Zwei Tage zuvor hatte im Bundestag die erste Beratung über den „Entwurf eines Gesetzes über das Paßwesen“ vom 17. Juli 1951 stattgefunden. Der Bundes­ minister des Innern Lehr hatte dabei beklagt, die deutsche Verwaltung sei „bei ­Wiederaufnahme der Paßfunktion nicht ganz frei gewesen. Es liegen noch alliierte Vorbehalte vor, und zwar in Gestalt der sogenannten Schwarzen Listen und der Bezeichnung von Personen, denen im Einzelfall ein Paß nicht oder nicht ohne Zustimmung von alliierter Seite ausgehändigt werden darf. Es handelt sich hier um eine Einschränkung unserer Souveränität, die sich auf die Dauer mit gleichberechtigter Partnerschaft nicht vereinbaren läßt.“ Vgl. BT Stenographische Berichte, 164.  Sitzung, 26.  September 1951, S. 6650–6651. Vorausgegangen war die Übertragung der Passhoheit an die Bundesbehörden zum 1. Februar 1951, vgl. Frankfurter All­ gemeine Zeitung, 26.  Januar 1951, S. 3. Das Gesetz vom 4.  März 1952 (vgl. BGBl. 1952, Teil I, S. 290–292), gemäß dem der Bundesminister des Innern durch Rechtsverordnung anordnen konnte, „daß Ausländer zum Betreten oder Verlassen des Gebietes des Geltungsbereiches des Grundgesetzes … eines Sichtvermerks der zuständigen Behörde bedürfen“, trat am 17. Mai des Jahres in Vorgriff auf die Rückübertragung der Reiseverkehrskontrolle auf die Bundesbehörden in Kraft. Das Reisekontrollamt der Alliierten Hohen Kommission stellte seine Tätigkeit zum 1. September ein, vgl. AdG 22 (1952), S. 3632. 16  Der mit der Ausarbeitung einer Antwort auf Appelts Anfragen beauftragte Leiter der Dritten Europäischen Abteilung des MID Gribanov teilte am 1. Oktober 1951 mit, dass die Frage der Visaerteilung Ende März 1950 „zur Beurteilung der Instanz vorgelegt“ und dort abgelehnt worden sei (vgl. Filitov, Die Note vom 10. März 1952, S. 163–164). Nach dieser Unterredung fasste das MID den Beschluss, Čujkov und Semenov nach ihrer Meinung zu befragen. Diese befürworteten die Änderungen



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formelle Recht bekommen, diese Fragen zu entscheiden, aber eigentlich liege die Sache völlig in den Händen der anglo-amerikanisch-französischen Besatzungsbehörden. Appelt bestätigte dies. 5. Appelt sagte, heute habe im Gebäude der diplomatischen Mission der DDR in Moskau eine Funkstelle den Betrieb aufgenommen, und damit werde die Mission eine bessere Möglichkeit erhalten, ihre Regierung zu informieren. In einem bis eineinhalb Monaten werde das Gebäude an der Stanislavskij-Straße fertig renoviert sein,17 und dann werde die Mission alle notwendigen Bedingungen für eine normale Arbeit haben. Appelt erinnerte daran, dass am 7. Oktober der zweite Jahrestag der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik begangen wird, und lud mich ein, den Empfang, den die Mission am 7. Oktober aus diesem Anlass veranstalte, zu besuchen. Ich sagte, ich würde mich bemühen, zu dem Empfang zu kommen, sofern mein Gesundheitszustand es gestatte.18 6.19 Bevor er auf die nächste Frage zu sprechen kam, machte Appelt eine einschränkende Bemerkung, indem er erklärte, er werde zu dieser Frage nur inoffiziell sprechen und bitte mich, ihn nur freundschaftlich zu verstehen. Der Kern der Frage läuft auf Folgendes hinaus: In einem Gespräch mit Appelt habe Grotewohl gesagt,20 Appelt solle bei Gelegenheit inoffiziell mit mir darüber sprechen, ob es möglich sei, einige Werke der deutschen Kunst, die in den Jahren 1944–1945 von Einheiten der Sowjetarmee aus Deutschland abtransportiert wurden,21 aus der UdSSR in die DDR zurückzubringen. bei den Regeln zur Visaerteilung, sofern sie Bürger der sozialistischen Staaten betrafen. Zu dem mit Einschränkungen zustimmenden Beschluss der sowjetischen Regierung, über den der Geschäftsträger der diplomatischen Mission der UdSSR in der DDR Čebotarev Dertinger am 10. Dezember 1951 informierte, vgl. Dok. 88 und dort Fn. 4. 17  In dem 1896 gebauten Haus Nr. 10 des Leont’evskij pereulok (von 1938 bis 1993 Stanislavskij-Straße, seit 1994 wieder unter dem historischen Namen) war von 1920 bis 1941 die Deutsche Botschaft, dann während des Krieges das Sovinformbjuro untergebracht. 1950 wurde die Übergabe des Gebäudes an die neu eingerichtete Mission der DDR beschlossen, vgl. Dok. 30, Fn. 10. 18  Vyšinskij erschien zu diesem Empfang und hielt dort ebenso wie Appelt eine Ansprache, vgl. Neues Deutschland, 10. Oktober 1951, S. 3. 19  Die Zahl ist handschriftlich eingekringelt. 20  Weder das Gespräch Grotewohls mit Appelt noch eine entsprechende Bitte Grotewohls konnten in deutschen Archiven belegt werden. 21  Der Abtransport deutscher Kulturgüter in die Sowjetunion erfolgte im Wesentlichen im Zeitraum zwischen dem Frühjahr 1945 und dem Sommer 1946 durch Militärzüge und z. T. Frachtflüge und betraf ca. 2,5 Mio. Artefakte. Er war bereits während des Krieges durch das Staatliche Komitee für Verteidigung und die im November 1942 gegründete „Staatliche Sonderkommission zur Registrierung und Untersuchung von Verbrechen und Zerstörungen durch die faschistische Besatzungsmacht und deren

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Appelt verwies darauf, dass er nicht befugt und nicht in der Lage sei, diese Frage auf offiziellem Wege zu stellen, und er spreche deshalb im Auftrag Grotewohls nur den Wunsch aus, dass, wenn es irgendeine Möglichkeit gebe, die entsprechenden sowjetischen Behörden die Frage einer Rückführung einiger Werke der deutschen Kunst aus der UdSSR in die DDR prüfen möchten. Appelt fügte dabei hinzu, dass die Amerikaner einige früher von ihnen verschleppte Bilder nach Westdeutschland zurückgegeben hätten22 und dass Verbündete, begangen an Bürgern, Kolchosen, öffentlichen Einrichtungen, Staatsbetrieben und Organen der UdSSR“ unter Leitung von Švernik geplant worden. Die Sowjetunion sah sich durch die massiven Zerstörungen sowie den Kunstraub durch nationalsozialistische Organisationen (vgl. Fn. 23) legitimiert, ihrerseits in großem Umfang Kulturgüter aus Deutschland abzutransportieren. Dieses Vorgehen hatte der Kunsthistoriker Igor’ Grabar’ bereits 1943 der Sonderkommission vorgeschlagen, welche daraufhin am 8. September 1943 eine Expertenkommission unter der Leitung von Grabar’ selbst, Viktor Lazarev und Sergej Trojnickij ins Leben rief. Diese Kommission stellte Ziellisten für den Abtransport von Kulturgütern vor allem aus deutschen Museen zusammen. Eine Grundlage für die Planung war die Erfassung und Bewertung der zerstörten und verlorenen Kunstschätze in der Sowjetunion; diese sollten nach dem Konzept der „kompensatorischen Restitution“ durch „Äquivalente“ aus Museen in Deutschland und seinen verbündeten Staaten ersetzt werden, wobei die Kriterien für die Werteinschätzung der einzelnen Objekte umstritten blieben. Demontagen und Abtransporte wurden durch Trophäenbrigaden und später die SMAD durchgeführt, die beide der Kontrolle eines am 25. Februar 1945 geschaffenen Sonderkomitees des Staatlichen Komitees für Verteidigung unterlagen. Nachdem anfängliche Pläne eines „Supermuseums“ der Weltkunst in Moskau nicht verwirklicht werden konnten, wurden für die erbeuteten Kunstschätze geheime Sonderdepots eingerichtet. Vgl. Konstantin Akinscha, Grigori Koslow, Clemens Toussant, Operation Beutekunst. Die Verlagerung deutscher Kulturgüter in die Sowjetunion nach 1945. Zusammengestellt nach bisher unveröffentlichten Dokumenten aus Archiven der russischen Föderation, Nürnberg 1995, S. 13–40. Zugleich knüpfte der Kulturgütertransfer aus der SBZ an die Konfiskationspraxis innerhalb der UdSSR während der 1920er und 1930er Jahre an und sollte Lücken, die der Export von Kulturgütern in die eigenen Sammlungen gerissen hatte, schließen bzw. frühere Wertverluste kompensieren. Vgl. Frank Grelka, Beutekunst und Kunstraub. Sowjetische Restitutionspraxis in der SBZ, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jg. 67 (2019) 1, S. 71–103. 22  Im Vorfeld der Invasion in der Normandie 1944 war die britisch-amerikanische „Monuments, Fine Arts, and Archives Section“ (MFA&A) geschaffen worden, deren Mitarbeiter Offiziersrang erhielten und der Civil-Affairs-Abteilung der „Allied Military Government for Occupied Terrritories“ unterstellt wurden. Diese Kunstschutzoffiziere der MFA&A wurden einzelnen britischen und amerikanischen Armeeeinheiten zugeordnet. Ihnen fiel die Aufgabe zu, in Zusammenarbeit mit der bereits 1943 gegründeten „American Commission for the Protection and Salvage of Artistic and Historic Monuments in Europe“ Kunst- und Kulturschätze vor Diebstahl, Beschädigung und Zerstörung zu schützen sowie geraubte Kulturgüter (vgl. Fn. 23) zu sammeln, zu identifizieren und für die Rückgabe bereitzustellen. In der amerikanischen Besatzungszone wurden dafür „deposit stores“ (später: „collecting points“) eingerichtet mit „Central Collecting Points“ in München, Wiesbaden und Offenbach. Die darin gesammelten Kulturgüter wurden kategorisiert: Während Kulturgüter aus ausländi-



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in diesem Zusammenhang in Westdeutschland eine regelrechte Kampagne gegen die Sowjetunion veranstaltet worden sei. Unter der Bevölkerung der DDR, so Appelt, würden in diesem Zusammenhang verschiedenerlei provokative Gerüchte verbreitet. Die Bevölkerung wolle wissen, ob es nicht möglich sei, einige Werke der deutschen Kunst aus der UdSSR in die DDR zurückzubringen. Während er diese Bitte vortrug, unterstrich Appelt mehrfach, dass er diese Frage auf inoffiziellem Wege stelle und dass Grotewohl ihn gebeten habe, mit mir zu dieser Frage in der allertaktischsten und vorsichtigsten Form zu sprechen und dabei zu betonen, dass die Regierung der DDR natürlich bestens verstehe, dass sie keinerlei Recht habe und nicht in der Lage sei, diese Frage offiziell zu stellen. In meiner Antwort an Appelt bemerkte ich, dass ich nicht darüber Bescheid wisse, welche Kunstwerke aus der DDR in die Sowjetunion verbracht worden seien. Was das Reden in der Bevölkerung betreffe, bemerkte ich, so sollte der Bevölkerung die Situation in angemessener Weise erklärt werden, und die verleumderischen Behauptungen amerikanischer und sonstiger Provokateure müssten entlarvt werden. Man dürfe auch nicht vergessen, welch gewaltigen Schaden die Hitlertruppen der Sowjetunion zugefügt haben, indem sie großartigste Denkmäler der russischen Kunst und Kultur plünderten und vernichteten.23 schem Eigentum im Regelfall zurückerstattet werden sollten, blieb der Verbleib von Kulturgütern aus deutschem Eigentum, die in der amerikanischen Besatzungszone gelagert waren, vorläufig ungeklärt. Am 14. November 1945 wurde auf Vorschlag von Clay und auf Beschluss von Truman eine Sammlung von 202 Bildern dieser Kategorie in die National Gallery of Art in Washington überführt, mit der Begründung, die Sicherung und angemessene Lagerung der Kunstwerke könne nur dort gewährleistet werden. Diese Aktion war in den USA selbst umstritten, einem Protest von Kunstschutzoffizieren am 7. November 1945 (dem „Wiesbaden Manifesto“) folgte eine Resolution öffentlicher Persönlichkeiten am 7.  Mai 1946. Die Gemälde wurden im März 1948 zunächst in der National Gallery of Art ausgestellt, nach heftigen Diskussionen jedoch bis zum Mai 1949 nach Deutschland zurückgebracht. Vgl. Thomas Armbruster, Rückerstattung der Nazi-Beute. Die Suche, Bergung und Restitution von Kulturgütern durch die westlichen Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg, Berlin 2008, S. 360–366. 23  Neben kriegsbedingten Zerstörungen und spontanen Plünderungen wurde in den besetzten Teilen der Sowjetunion durch mehrere, teilweise miteinander konkurrierende Reichsbehörden und ihnen unterstellte Organisationen sowie Organisationen der SS und der Wehrmacht systematisch Kulturgutraub durchgeführt. Dieser zielte in der Sowjetunion nicht nur auf Kunstwerke, sondern oftmals auch auf Archivakten, Bibliotheken, wissenschaftliche Sammlungen (zur „politischen Gegnerforschung“) sowie, ideologisch motiviert, prähistorische Objekte (u. a. zum Zweck einer rasse­ theoretischen Rechtfertigung des Angriffskrieges). Der „Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg“ (ERR), 1940 für die Beschlagnahme von jüdischem und freimaureri­ schem Besitz gegründet, weitete seine „Sammelgebiete“ aus und wurde zur größten

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Verlegen wiederholte Appelt erneut, er habe diese Frage nur ganz inoffi­ ziell und freundschaftlich angesprochen und vor allem in dem Wunsch, die sowjetfeindliche Propaganda zu entkräften.24 Ich antwortete, nicht anders könnte ich dies auch verstehen. Das Gespräch dauerte 25 Minuten. Anwesend war Gen. Lun’kov. A. Vyšinskij25 AVP RF, f. 07, op. 26, p. 45, d. 90, Bl. 6–10.

Kunstraub­organisation in den besetzten Territorien. Die 1942 von Rosenberg gegründete „Zentralstelle zur Erfassung und Bergung von Kulturgütern in den besetzten Ostgebieten“ entfernte für die von Rosenberg geplante „Hohe Schule“ der NSDAP „feindliches Schrifttum“ und anderes Material aus Bibliotheken, Archiven und Museen der Sowjetunion und verbrachte sie „für die Erforschung der Tätigkeit der Gegner des Nationalsozialismus“ nach Deutschland. Der ERR weitete sein „Sammel­ gebiet“ auch auf vorgeschichtliche Fundstätten sowie auf Kunstsammlungen aus. So war die Abteilung Bildende Kunst verantwortlich u. a. für die Entwendung von knapp 900 Ikonen aus Novgorod und Pskov. Das Amt „Ahnenerbe“ der SS, 1935 von Himmler gegründet, sollte nach Spuren der „nordisch-indogermanischen Rasse“ ­suchen und raubte solche, wenn sie sie gefunden zu haben meinte. Der Vor- und Frühhistoriker Herbert Jankuhn („Sonderkommando Jankuhn“ bei der SS-Division ­Wiking) ließ auf diese Weise archäologische Sammlungen der Krim und Schätze der Skythen abtransportieren. Das „Sonderkommando Künsberg“ des Auswärtigen Amtes und der Waffen-SS (1942 umbenannt in „Bataillon der Waffen-SS z. b. V.“) operierte in Frontnähe und sollte außenpolitische Akten beschlagnahmen, weitete diesen ursprünglichen Auftrag Ribbentrops jedoch auf die Konfiszierung großer Bibliotheksbestände aus. Des Weiteren wurden militärische, aber auch zivile Akten und Bibliotheksbestände von Organisationen der Wehrmacht sowie der Abteilung VI G des Reichssicherheitshauptamtes geraubt. Zur Tätigkeit der NS-Kunstrauborganisationen vgl. Ulrike Hartung (Hrsg.), Verschleppt und verschollen. Eine Dokumentation deutscher, sowjetischer und amerikanischer Akten zum NS-Kunstraub in der Sowjetunion (1941–1948), Bremen 2000. Zum sogenannten militärischen Kunstschutz der Wehrmacht sowie zu privatem Kunstraub vgl. Corinna Kuhr-Korolev/Ulrike SchmiegeltRietig/Elena Zubkova in Zusammenarbeit mit Wolfgang Eichwede, Raub und Rettung. Russische Museen im Zweiten Weltkrieg, Wien/Köln/Weimar 2019. 24  Eine öffentlichkeitswirksame Teillösung dieser Frage erreichte die DDR im März 1955 mit dem Beschluss des Ministerrates der UdSSR, die nach Moskau verbrachten Gemälde aus der Dresdner Galerie der Regierung der DDR zu übergeben, vgl. BDU 2, S. 847–850. Zur öffentlichen Darstellung dieses Vorgangs in der DDR vgl. ebenda, S. 850–854. Bis 1960 war eine endgültige Regelung zur Rückgabe von Kulturgütern an Museen im Besitz der DDR geplant, diese erfolgte jedoch nicht vollständig. Bestände aus Institutionen der Bundesrepublik und West-Berlins sowie deutsches Privateigentum wurden durch die UdSSR nicht zurückerstattet. 25  Handschriftlich.



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83.  Unterredung zwischen dem Vorsitzenden der SKK Čujkov, dem Politischen Berater Semenov, Präsident Pieck, Ministerpräsident Grotewohl und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht Geheim

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Aufzeichnung einer Unterredung zwischen dem Vorsitzenden der SKK, Armeegeneral V.I. Čujkov, dem Politischen Berater der SKK, V.S. Semenov, dem Präsidenten der DDR, W. Pieck, dem Ministerpräsidenten der DDR, O. Grotewohl und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten der DDR und Generalsekretär der SED, W. Ulbricht. Die Unterredung fand am 12. Oktober 1951 im Dienstzimmer von Armeegeneral Čujkov statt und dauerte von 20:00 bis 22:00 Uhr. Gen. Čujkov machte W. Pieck, O. Grotewohl und W. Ulbricht darauf aufmerksam, dass das kürzlich ratifizierte Interzonenhandelsabkommen2 von der westlichen Seite nicht eingehalten wird und nur auf dem Papier existiert. Es gebe bei der Erfüllung des Abkommens keinerlei Bewegung seitens der Bundesregierung. Die westlichen Vertreter würden versuchen, den Vertrag in Einzelteile zu zerlegen und diese zum Unterhalt Berlins zu nutzen. So wollten sie einen separaten Vertrag über die Lieferung von 500 000 Tonnen Brikett schließen, die sie für die Versorgung der [West-]Sektoren von Berlin im bevorstehenden Winter dringend benötigen. Außerdem wollten sie, dass die Stromlieferungen für Westberlin verdoppelt werden. Im Gegenzug versprächen sie lediglich, die Menge der Stromlieferungen im Raum Schwerin zu erhöhen, wo ein zusätzlicher Bedarf an Strom nicht besonders zu spüren sei. Gleichzeitig würden sie mit allen Mitteln versuchen, die gegenseitigen Lieferungen von Gütern, die die Republik benötige – Steinkohle, Koks, Phosphate und Metall – zu bremsen. Bekanntlich sei der Kohlemangel in Westberlin sehr groß, deshalb halte die SKK an ihrer Meinung fest, diesen Mangel als Hebel zu benutzen, mithilfe dessen sie [die westlichen Vertreter] gezwungen werden können, das Handelsabkommen als Ganzes zu erfüllen.

1  Original an Semenov. Ein Durchdruck ging an das MID. Das Dokument wurde im Sekretariat der SKK am 5. Januar 1951 unter der Eingangsnummer 076 registriert und erhielt am gleichen Tag in der Verwaltung des Politischen Beraters die Eingangsnummer 046. Auf der ersten Seite wurde es von Semenov abgezeichnet. Pieck fertigte während oder nach der Unterredung ein Stichwortprotokoll zu dieser Unterredung an, vgl. Badstübner/Loth, S. 374–375. 2  Zum Interzonenhandelsabkommen vom 20. September 1951 (Berliner Abkom­ men) vgl. Dok. 77, Fn. 4.

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Einige Mitarbeiter des Handelsministeriums seien der Meinung, dass ein separater Vertrag über Kohlelieferungen für Westberlin geschlossen werden müsse.3 Die SKK, fuhr Gen. Čujkov fort, halte es für notwendig, auf die Einhaltung des gesamten Abkommens und nicht nur einzelner Teile davon hinzuwirken, denn wenn ihre Forderung nach den Kohlelieferungen erfüllt werde, dann werde das Handelsabkommen insgesamt auf die lange Bank geschoben. Gen. Čujkov sagte, ihm sei der Entwurf eines solchen separaten Vertrages bekannt, dessen Bedingungen die genaue Angabe der Kosten für die Briketts verlangen, während für die von ihrer Seite zu liefernden Güter wie Steinkohle, Phosphate, Koks u. a. die Preise nicht angegeben würden.4 Die westliche Seite wolle sich das Recht vorbehalten, die Kosten für ihre Güter je nach den Umständen festzusetzen, was natürlich nicht zugelassen werden dürfe. Gen. Čujkov bat in diesem Zusammenhang die Genossen Grotewohl und Ulbricht, diese Frage zu besprechen und die erforderliche Kontrolle durchzuführen, um zu vermeiden, dass solche Fehler möglich werden, zumal Orlopp sich derzeit im Urlaub befinde. Grotewohl sagte, ihre [seine, Piecks und Ulbrichts] Meinung in dieser Frage unterscheide sich nicht von der Meinung des Genossen Čujkov. Nach Meinung Grotewohls soll die gesamte Aufmerksamkeit auf zwei laut dem Handelsabkommen an die DDR zu liefernde Positionen von Gütern konzentriert werden, und zwar auf nahtlose Metallrohre und Maschinen zum Walzen solcher Rohre. Ein Abschluss irgendwelcher separaten einseitigen Verträge komme nicht in Frage. Zur Frage der Kontrolle sagte Grotewohl, er werde dem Stellvertreter Orlopps entsprechende Weisungen erteilen.5 Gen. Čujkov äußerte des Weiteren den Wunsch, dass in der Presse Artikel veröffentlicht werden, die in Form eines Winks die entsprechenden westdeutschen Stellen an ihre Verpflichtungen zur Einhaltung des Handelsabkommens

3  Nach den Aufzeichnungen Piecks (vgl. Fn.  1) lag den Ausführungen von Čujkov ein schriftlicher Bericht von Orlopp zugrunde. 4  In der Akte B 10, Bd. 1785 des PA AA finden sich Entwürfe für separate Vereinbarungen über Lieferungen von Kohle nach West-Berlin und von Metallerzeugnissen aus der Bundesrepublik in die DDR, die als Anlagen zum Berliner Abkommen ausgewiesen waren und einem Vermerk Kaumanns vom 13. Februar 1952 beilagen. Der „Vereinbarung über den Austausch von festen Brennstoffen“ lag wiederum eine Anlage bei, die die Preise spezifizierte. Das „Lieferprogramm für Roheisen, Walz­ werk­erzeugnisse und Gießereierzeugnisse“ legte dagegen lediglich die Liefermengen fest. Das laut diesem Entwurf am 5. Februar 1952 zwischen den Unterhändlern beider Seiten vereinbarte „Lieferprogramm“ bezog sich explizit auf vorausgegangene „Düsseldorfer Verhandlungen am 23. Oktober 1951“. Es ist daher anzunehmen, dass ähnliche Entwürfe bereits im Herbst 1951 vorlagen. 5  Weisungen von Grotewohl an Orlopp oder dessen Stellvertreter konnten für den Herbst 1951 im BAB nicht ermittelt werden.



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erinnern sollen.6 In diesem Zusammenhang merkte Gen. Čujkov an, die Mitarbeiter des Handelsministeriums würden die Bedeutung der Presse unterschätzen. Grotewohl stimmte den Bemerkungen des Genossen Čujkov zu. * Des Weiteren berichtete Gen. Čujkov, dass in Genf gegenwärtig eine internationale Funkkonferenz7 stattfindet. Nach vorliegenden Kenntnissen seien in den Berner Funkfrequenzlisten für das Jahr 19518 für Vorkriegsdeutschland 823 Frequenzen registriert. In Westdeutschland hätten die Bonner Behörden für ihre Rundfunksender widerrechtlich 98 Frequenzen in der Berner Liste registrieren lassen. Wir halten es für zweckmäßig, sagte Gen. Čujkov, dass das zuständige Amt der DDR eine Erklärung verfasst mit der Forderung, die widerrechtlich erlangten Frequenzen für die DDR zu reservieren und die Verteilung der Frequenzen insgesamt zu revidieren, und dass es diese Erklärung an das Generalsekretariat der Internationalen Fernmeldeunion9 schickt. 6  Eine auffällige Kampagne ließ sich in der DDR-Presse in der Folgezeit nicht ausmachen, es erschienen jedoch einzelne kleinere Artikel, in denen in Bezug auf die Umsetzung des Handelsabkommens Kritik an der westdeutschen Seite geübt wurde, etwa in der Täglichen Rundschau am 21. Oktober auf S. 4 („Neue Verzögerungen im innerdeutschen Handel“). 7  Vgl. Dok. 81, Fn. 28. 8  Im Internationalen Fernmeldevertrag von Atlantic City (1947) wurde die Übereinkunft einer kompletten Revision der bisherigen, durch die ITU in kumulativen, in regelmäßigen Abständen veröffentlichten Listen geführten Rundfunkfrequenzverteilung getroffen, nachdem es durch das Anwachsen der Zahl an Rundfunkstationen vermehrt zu Interferenzen im Sendebetrieb gekommen war. In der Folgezeit wandten sich die UdSSR, die Volksdemokratien und einzelne weitere Länder jedoch gegen die angestrebte Komplettrevision und traten für eine Revision auf Grundlage der seit der Vorkriegszeit bestehenden Frequenzlisten ein („Berner Liste“). In ihren am 9. Mai 1951 im Generalsekretariat eingereichten „Vorschlägen für Änderungen des Internationalen Fernmeldevertrages Atlantic City 1947 und der angefügten allgemeinen Geschäftsordnung“ schlug die UdSSR die Streichung des internationalen Ausschusses für Frequenzregistrierung vor, die Überarbeitung und Veröffentlichung der Frequenzlisten sollte Aufgabe des Generalsekretärs sein (vgl. BAB, DM 3/9193). Auf der Genfer Konferenz wurde ein Kompromiss gesucht, die Mehrzahl der Länder strebte jedoch längerfristig die Komplettrevision an (vgl. George A. Codding jr., Broadcasting Without Barriers, Paris 1959, S. 104–106). Zu den Entschließungen der Außerordentlichen Funkverwaltungskonferenz in Genf vgl. Abkommen über die Aufstellung und Annahme der neuen Internationalen Frequenzliste für die verschiedenen Funkdienste in den Frequenzbereichen zwischen 14 und 27 500 kHz zwecks Inkraftsetzung des Frequenzverteilungsplans von Atlantic City. Übersetzt und herausgegeben vom Bundesministerium für das Postund Fernmeldewesen, Frankfurt (Main), August 1952. 9  Gemeint ist die International Telecommunication Union (ITU) mit Sitz in Genf (vgl. Dok. 81, Fn. 28). Pieck (vgl. Fn. 1) notierte in diesem Zusammenhang irrtümlich „Weltpostverein“.

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Es wäre wünschenswert, eine solche Erklärung vor dem 15. Oktober zu verschicken, da sie anderenfalls zu spät kommen könnte. Gen. Čujkov übergab Grotewohl die Bemerkungen der SKK zu dieser Frage in schriftlicher Form.10 Grotewohl bemerkte dazu, dass die DDR bislang nicht Mitglied der Internationalen Fernmeldeunion sei, während die Bonner Republik dort Mitglied sei. Mit Unterstützung der Behörden der westlichen Alliierten sei es ihnen gelungen, sich die oben genannten Frequenzen widerrechtlich anzueignen. Jetzt sei im Namen der Regierung der DDR ein Antrag an die Union geschickt worden mit der Bitte, die DDR als Mitglied in die Internationale Fernmeldeunion aufzunehmen.11 Bezüglich der Erklärung zur Revision der 10  Die schriftliche Bemerkung der SKK entsprach annähernd wortgleich den Ausführungen Čujkovs im Dokument. Dazu wurde angemerkt, das Generalsekretariat der ITU habe diese „Aneignungen [der 98 Frequenzen durch die Bundesregierung] ohne Korrektur und ohne Bemerkungen“ veröffentlicht. Der Vorschlag der SKK lautete hier: „1. Dass das entsprechende Amt der DDR sich an das Generalsekretariat des Internationalen Verbandes für Fernverbindungen … wendet mit der Forderung, die bei der Notifizierung der Frequenzen durch die Bonner Machthaber zugelassenen Verstöße in der Rubrik ‚3a‘ der Berner Liste zu korrigieren; 2. Eine vollkommene Umregistrierung der Radio-Frequenzen des Vorkriegsdeutschlands zu beginnen, um sie für die DDR zu registrieren. Zu diesem Zwecke ist es wünschenswert eine Liste aller Frequenzen Deutschlands unter und über 26 500 KHz aufzustellen und dieselbe dem General-Sekretariat des Internationalen Verbandes der Fernverbindungen … zwecks Registrierung und Veröffentlichung in der Berner Liste für die DDR vorzulegen.“ Laut handschriftlicher Anmerkung wurde das Schreiben am 13. Oktober an den Minister für Post- und Fernmeldewesen weitergeleitet, vgl. BAB-SAPMO, NY 4090/315, Bl. 322–323 (deutsche Übersetzung: Bl. 323). Ein entsprechendes Schreiben des Ministeriums an den Generalsekretär der ITU aus dieser Zeit ist im BAB nicht überliefert. 11  In einem vom 3. Oktober 1951 datierten Schreiben an den Generalsekretär der ITU Mulatier hatte Grotewohl erklärt: „Unter Bezugnahme auf die Bestimmungen des Zusatzprotokolls II zum Weltnachrichtenvertrag – Convention Internationale des Télécommunications  – (Atlantic City 1947) erkläre ich hiermit, dass die Deutsche Demokratische Republik dem Weltnachrichtenverein beitritt.“ Das Schreiben wurde am 21. November von der polnischen Gesandtschaft an die Regierung der Schweiz weitergeleitet. In der ablehnenden Antwort Mulatiers vom 18. Januar 1952 hieß es: „Als Antwort auf die folgende Frage des Präsidenten des Rates: ‚Ist der Rat der Ansicht, daß die Behörden, die der UIT das Beitrittsgesuch der Bundesrepublik Deutschland übermittelt haben, die im Zusatzvertrag II zum Internationalen Fernmeldevertrag vorgesehenen Behörden sind?‘ hat der Verwaltungsrat im Laufe seiner 22. Sitzung entschieden: ‚daß der Generalsekretär abwarten wird, bis die Bundesrepublik Deutschland ihm ihre Beitrittserklärung zusendet; nach Erhalt dieser Erklärung wird er prüfen, ob sie in der vorgeschriebenen Form deponiert worden ist, und, wenn dies der Fall ist, wird die Bundesrepublik Deutschland Mitglied der Union werden.‘ “ Vgl. BAB, DM 3/12782. Die Bundesrepublik trat der ITU am 31. März 1952 bei. In der Folgezeit bemühte sich die Regierung der DDR mit sowjetischer Unterstützung weiterhin erfolglos, ihren Anspruch gegenüber der ITU geltend zu machen, vgl. u. a. die



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Frequenzen stimmte Grotewohl zu, dass eine solche Erklärung abgeschickt werden müsse, bevor die Frage der Mitgliedschaft der DDR in der Internatio­ nalen Fernmeldeunion entschieden werde.12 Gen. Čujkov unterrichtete Grotewohl und Ulbricht auch über die Arbeiten (siehe Anlage)13, die während der ersten Jahre der Erfüllung des Fünfjahrplans zur Verbesserung des Rundfunkwesens der DDR durchgeführt werden sollten.14 Grotewohl sagte, ein Beschluss über die Ausführung von Arbeiten zur Erhöhung der Leistung bestehender und zum Bau neuer Sendeanlagen sei schon gefasst.15 Erklärung der Delegation der UdSSR bei der Unterzeichnung des Fernmeldevertrages auf der Regierungsbevollmächtigtenkonferenz der ITU in Buenos Aires am 22. Dezember 1952: „Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik ist dem Fernmeldevertrag (Atlantic City 1947) in Übereinstimmung mit dem im Zusatzprotokoll II zu diesem Vertrag vorgesehenen Verfahren beigetreten. Die Deutsche Demokratische Republik ist daher Teilnehmer des Fernmeldevertrages von 1947 und vollberechtigtes Mitglied der ITU. Die Bonner Behörden können nicht Gesamtdeutschland vertreten. Infolgedessen ist die Unterschrift der Vertreter dieser Behörden unter dem auf der Bevollmächtigtenkonferenz in Buenos Aires angenommenen Fernmeldevertrag rechtswidrig.“ (Zitiert nach: BDU 1, S. 412). Die DDR trat erst 1973 der ITU bei. 12  Eine solche Erklärung ist in der Akte nicht überliefert. 13  Die hier und im Folgenden kursiv hervorgehobenen Wörter sind im Original handschriftlich gestrichen. Im AVP RF ist keine Anlage überliefert. 14  Zu dieser Frage hatte der Ministerrat der UdSSR am 18. September 1951 in der Anordnung Nr. 3537-1644ss („Über die Verbesserung des Rundfunks in der Deutschen Demokratischen Republik“) beschlossen: „Den folgenden Vorschlägen des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR und des Ministeriums für Fernmeldewesen wird zugestimmt: 1. Es wird als unzweckmäßig erachtet, die Radiowelle 1435 Meter, auf der der Rundfunksender Kiew sendet, an den Berliner Sender Königswusterhausen zu übergeben. 2. Gen. V.I. Čujkov wird beauftragt, den deutschen Freunden zu empfehlen, zwecks Sicherstellung der Hörbarkeit des Rundfunks der DDR in Westdeutschland mit der Regierung der DDR die Frage des Einsatzes effektiver Richtantennen an neu in der DDR zu errichtenden leistungsstarken Rundfunksendern für das Senden nach Westdeutschland zu erörtern. Bis zur Inbetriebnahme des neuen Rundfunksenders wird es als zweckmäßig erachtet, dass die DDR, die nicht Teilnehmer des Kopenhagener Plans ist, die Welle 1620 Meter benutzt, auf der gegenwärtig die Türkei, Island und Schweden senden. 3. Das Fernmeldeministerium wird verpflichtet, im Falle einer Anfrage der Regierung der DDR die erforderliche technische Hilfe beim Bau effektiver Richtantennen und bei der Erhöhung der Leistung des Berliner Rundfunksenders auf 200 kW zu leisten.“ Vgl. GA RF, f. R-5446, op. 106 sč, d. 625, Bl. 188. 15  Möglicherweise meinte Grotewohl einen DDR-Ministerratsbeschluss „über die Bereitstellung zusätzlicher Investitionsmittel für das Ministerium für Post- und Fernmeldewesen“ vom 2. August 1951, in dem es hieß: „Dem Ministerium für Post und Fernmeldewesen werden aus der Reserve des Investitionsplanes 1951 zusätzlich 3 435 TDM zur Verfügung gestellt. Diese Mittel sind für die Fertigstellung folgender Vorhaben zu verwenden: 1. Sender Berlin … 2. Rundfunkstrahlmast Leipzig …

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* Gen. Čujkov machte sodann Pieck, Grotewohl und Ulbricht auf die unbefriedigende Situation aufmerksam, die sich im Ministerium für Schwerindustrie wegen fehlender Leitung ergeben habe. Minister Selbmann befinde sich im Urlaub, und einen Staatssekretär habe er überhaupt nicht. Der Leiter der Hauptabteilung für Metallurgie sei ebenfalls im Urlaub, und sein Stellvertreter sei abwesend,16 was zur Folge habe, dass im Eisenhüttenkombinat Ost der Abstich von Gusseisen verzögert werde und die Hebemechanismen für die Beschickung des Ofens noch nicht fertig seien, was bei einigen Arbeitern zu einer Vergiftung geführt habe. Es wäre zu wünschen, sagte Gen. Čujkov, dass das Ministerium für Schwermaschinenbau durch Staatssekretäre verstärkt wird.17 Auf die Bemerkungen des Genossen Čujkov antwortete Grotewohl, dass van Rickelen noch nicht zum Staatssekretär ernannt worden sei, da seine Kandidatur weiter geprüft werden müsse.18 Bei der Ernennung eines Staatssekretärs in diesem Ministerium könnten die gleichen Schwierigkeiten auftreten wie auch im Bauministerium, da die Einrichtung neuer Staatssekretärsstellen Differenzen zwischen den Koalitionsparteien auslösen könne. Grote3. UKW-Sender Brocken und Königswusterhausen …“ Minister Burmeister wurde angewiesen, „die erforderlichen Maßnahmen sofort einzuleiten, um die Durchführung der genannten Vorhaben im Jahre 1951 sicherzustellen“, vgl. BAB, DC 20-I/3/63, Anlage 3. 16  In einer Aktennotiz der SKK für Grotewohl wurde noch am 4. November 1951 kritisiert: „… während der Krankheit des Ministers, während seiner dienstlichen Reisen ins Ausland und jetzt, während seines Urlaubs, bleibt das Ministerium längere Zeit ohne Leitung, da Minister Selbmann, unbeachtet einer Reihe unserer Empfehlungen, bis jetzt keine Staatssekretäre besitzt. Dieses führt zu einer Lockerung im Apparat der Hauptverwaltungen des Ministeriums, zum Beispiel, die Hauptverwaltung Metallurgie ist seit dem 7. Oktober bis jetzt ohne Leitung, da der Leiter der Hauptverwaltung Metallurgie sich in Urlaub befindet, und sein Stellvertreter zu einer Tagung der Freiberger Akademie gefahren ist. Eine Reihe von Betrieben, zum Beispiel das Kombinat Ost, hat in der letzten Zeit nicht die nötige Hilfe erhalten, weder von Seiten des Ministeriums, noch von Seiten der Hauptverwaltung Metallurgie.“ Vgl. BAB-SAPMO, NY 4090/315, Bl. 313–315. 17  Zu den Problemen im Eisenhüttenkombinat Ost vgl. Fn. 19. Zur Aufteilung des Ministeriums für Schwerindustrie und zur Schaffung zweier Staatssekretariate vgl. Dok. 79 und dort Fn. 9. Die Neuorganisation des Ministeriums wurde vom Ministerrat am 2. November 1951 beschlossen. Čujkov selbst hatte bereits am 10. September die Aufteilung des Ministeriums als dringlich bezeichnet, vgl. Dok. 81. 18  Vgl. die Bemerkung Čujkovs in Dok. 81, die Kandidatur van Rickelens solle im Zusammenhang mit der Flucht von dessen Bruder nach Westdeutschland noch einmal geprüft werden. Mit Ministerratsbeschluss vom 2. November 1951 (vgl. Dok. 79, Fn. 9) wurde van Rickelen zum Staatssekretär für Chemie, Steine und Erden ernannt.



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wohl sagte auch, dass diese Frage in den nächsten zwei Wochen entschieden werden könne und teilte mit, dass der erste Abstich von Gusseisen heute Morgen (12. Oktober 1951) erfolgt sei.19 Gen. Čujkov bemerkte, dass es in der Republik überhaupt schlecht um die Ausbildung von Kadern stehe und dass man bei der Suche nach einem benötigten Mitarbeiter keinerlei Auswahl habe. Die Frage der Ausbildung von Kadern müsse grundlegend entschieden werden. Um aus der entstandenen Situation herauszukommen, sei es eventuell notwendig, die Kader nicht nur an Hochschulen, sondern auch in Kurzlehrgängen auszubilden. Seine Bemerkungen zu dieser Frage übergab Gen. Čujkov Grotewohl in schriftlicher Form.20 Gen. Semenov bemerkte, dass sich Selbmann tatsächlich nur ungern mit Fragen der Kaderausbildung befasse. Wenig Beachtung werde dieser Frage auch in der Presse und in der Partei geschenkt. Dabei bat Gen. Čujkov Pieck, Ulbricht und Grotewohl, diese Bemerkungen nicht als Vorwurf aufzufassen,

19  Das Neue Deutschland meldete am 13. Oktober 1951 auf S. 1, dass am Vortag der Hochofen I des Eisenhüttenkombinats Ost das erste Roheisen geliefert habe. Ein von für das Eisenhüttenkombinat Ost verantwortlichen Ingenieuren erstelltes „Gutachten über den Zustand des Hochofens I und über die Möglichkeit seines weiteren Betriebes“ vom 6.  Januar 1952 berichtete allerdings nichts von einem Abstich am 12. Oktober, am folgenden Tag sei der Ofen stattdessen vorübergehend gedämpft worden (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/3696, Bl. 9–12). Der Festakt der Einweihung des Hochofens I hatte ursprünglich am 1. Oktober stattfinden sollen, war jedoch in Abwesenheit Selbmanns auf den 19. September vorverlegt worden. Da zu diesem bereits in der Presse angekündigten Termin (vgl. Tägliche Rundschau am 14., Berliner Zeitung am 14., 16. und 19.  September 1951)  – Selbmann hatte am 11. September selbst noch zur Verbreitung in der Presse aufgerufen (vgl. BABSAPMO, NY 4090/351, Bl. 13–14) – der Ofen noch nicht fertig war, wurde im Anschluss an Reden Selbmanns und Grotewohls ein Anblasen des Ofens simuliert (vgl. Selbmanns eigene Darstellung in ders., Acht Jahre und ein Tag. Bilder aus den Gründerjahren der DDR, Berlin 1999, S. 250–252). Das eigentliche Anblasen des Ofens wurde daraufhin für den 3. Oktober angesetzt und fand am 5. Oktober statt. Dabei konnte jedoch nur eine geringe Menge Eisen in ungenügender Qualität erzeugt werden, zudem waren wichtige Bauteile wie der Schrägaufzug nach wie vor nicht fertig. Laut dem Gutachten vom 6.  Januar 1952 konnte erst ab Anfang November nach erneutem Anblasen Eisen produziert werden (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/3696, Bl. 9–12). Nach dem detaillierten „Bericht über das Hüttenkombinat Ost Fürstenberg“ des MfS vom 12. Dezember 1951 erfolgte dies am 10. November (nachdem es am 7. November noch eine Explosion im Abgaskanal und in der Esse gegeben hatte), vgl. BStU AS 161/58, Bl. 3–11, hier Bl. 8–10. Die Menge des produzierten Eisens blieb jedoch aufgrund weiterer technischer Schwierigkeiten zunächst hinter den Planvor­ gaben zurück. Zur darauffolgenden Kritik an Selbmann vgl. Dok. 77, Fn. 18 und Dok. 98, Fn. 13. 20  Schriftliche Bemerkungen Čujkovs zur Kaderausbildung über Kurzlehrgänge konnten im BAB nicht ermittelt werden.

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sondern als Ausdruck des Wunsches, einen gemeinsamen Ausweg aus der entstandenen Situation zu finden. Grotewohl sagte, ihm sei die unbefriedigende Situation mit den Kadern bekannt, und er stimme allen hier gemachten Bemerkungen voll und ganz zu. * Gen. Čujkov sagte des Weiteren, er habe von der Sowjetregierung die Weisung erhalten, der Regierung der DDR vorzuschlagen, den Bau von etwa acht bis zehn Schiffen in der DDR im Zeitraum 1953–1955 zu organisieren und diese in die Sowjetunion zu liefern, davon fünf bis sechs Schiffe mit einer Wasserverdrängung von 1300 Tonnen, zwei bis drei Schiffe mit einer Wasserverdrängung von 3100 Tonnen und ein bis zwei Schiffe mit einer Wasserverdrängung von 6150 Tonnen.21 Gen. Čujkov sagte, er wüsste gern, ob die Genossen prinzipiell einverstanden seien. Gen. Čujkov erläuterte, dass er jetzt auf der Stelle keinerlei bestimmte positive oder negative Antwort verlange, sondern dass er lediglich bitte, die Voraussetzungen für die Erfüllung dieses Auftrags vorab zu klären. Auf Grotewohls Frage, ob es sich hier um Schiffe handele, deren Bau schon in den Plan einbezogen sei, antwortete Gen. Čujkov, es sei vorgesehen, die Lieferung dieser acht bis zehn Schiffe über den Plan hinaus zu leisten. Möglich sei auch eine Variante, bei der ein Teil der Schiffe in den Plan der Reparationslieferungen eingeht und der andere Teil im Rahmen des Handelsabkommens realisiert wird. Ulbricht äußerte seine Meinung indem er sagte, es werde sehr schwierig sein, diese Schiffe über den Plan hinaus zu bauen, denn dafür werde es wohl notwendig sein, neue Werften zu bauen. Außerdem seien für den Bau solcher neuen Schiffe überhaupt kein Stahl und andere Baumaterialien vorgesehen. Gen. Čujkov bemerkte dazu, dass er eben deshalb diese Frage hier aufwerfe, denn er wisse, dass seine Entscheidung mit einigen Schwierigkeiten verbunden sei. Dabei merkte Gen. Čujkov an, dass die Republik unter dem Gesichtspunkt der Entwicklung des Exports und der gesamten Volkswirtschaft im Weiteren einen Ausbau des Fluss- und Seeschiffbaus benötige, was nicht nur im Interesse der DDR, sondern auch der Länder der Volksdemokratie und der Sowjetunion sei. Gen. Čujkov bat Ulbricht und Grotewohl, eine Suche nach Möglichkeiten zur Ausführung des Baus der Schiffe anzuordnen, damit diese Frage diskutiert und von sowjetischen Spezialisten geprüft werden kann. Gen. Čujkov sagte des Weiteren, seiner Meinung nach seien für eine solche Vorarbeit zwei 21  Diese Weisung an Čujkov war vom Ministerrat der UdSSR am 24.  September 1951 als Punkt 3 der Anordnung Nr. 3612-1678s beschlossen worden, vgl. GA  RF, f. R-5446, op. 106 sč, d. 626, Bl. 17–30.



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Monate ausreichend. Seine Bitte übergab Gen. Čujkov Grotewohl in schriftlicher Form.22 * Gen. Čujkov teilte sodann Grotewohl und Ulbricht die Entscheidung der Sowjetregierung mit, dass die Bitte der Regierung der DDR um Aufnahme von 188 Studenten mit Staatsangehörigkeit der DDR an Hochschulen der UdSSR23 und Grotewohls Bitte, dass Rosa Schütz gestattet werde, ihr Studium in Moskau fortzusetzen, erfüllt werden (siehe Anlage).24 * Im weiteren Verlauf des Gesprächs teilte Gen. Čujkov Pieck, Grotewohl und Ulbricht mit, dass laut Angaben, die Matern vorliegen, Vertreter einiger Länder der Volksdemokratie auf dem Territorium der DDR Spionage betreiben. Die Meinung der SKK zu dieser Frage übergab Gen. Čujkov Ulbricht in schriftlicher Form (siehe Anlage).25 * Sodann machte Gen. Čujkov Grotewohl und Ulbricht darauf aufmerksam, dass die Organe der Staatssicherheit nur zu 48 Prozent [ihrer Sollstärke] besetzt sind. Die Unterbesetzung der Organe erkläre sich daraus, dass der bekannte Beschluss des Politbüros der SED über die Mobilisierung von Kadern 22  Ein solches Schriftstück konnte im BAB nicht ermittelt werden. Am 27. Oktober schlug Čujkov dem Ministerrat der UdSSR vor, die Zahl der geforderten Schiffe auf 38 zu erhöhen. Dies wurde dort offensichtlich nicht unterstützt. Grotewohl stimmte Mitte November 1951 lediglich der Bitte um die Lieferung von 8–10 Handelsschiffen schriftlich zu, vgl. Dierk Hoffmann/Andreas Malycha (Hrsg.), Erdöl, Mais und Devisen. Die ostdeutsch-sowjetischen Wirtschaftsbeziehungen 1951–1967. Eine Dokumentation, Berlin/Boston 2016, S. 23–24. 23  Zur Bitte der DDR-Regierung vom 18.  August und zur Antwort Vyšinskijs vom 29. September 1951 vgl. Dok. 82, Fn. 10 und 11. Im darauffolgenden Jahr wurde eine vergleichbare Zahl von Studenten aus der DDR zum Studium in die UdSSR geschickt, vgl. Dok. 110 und Fn. 2 dazu. 24  Die Anlage ist im AVP RF nicht überliefert. Am 18. September 1951 hatte das Politbüro des ZK der SED beschlossen: „Das ZK der KPdSU (B) [sic] wird gebeten, der Übersiedlung der Genossin Rosa Schütz zu ihren Eltern nach Moskau zuzustimmen und ihr zu ermöglichen, ihr Studium in Moskau zu beendigen.“ Vgl. BABSAPMO, DY 30/IV 2/2/167, TOP 16. Am 30. Oktober hob das Politbüro seinen eigenen Beschluss vom 18. September aus nicht genannten Gründen wieder auf, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/173, TOP 24. 25  Die Anlage ist im AVP RF nicht überliefert.

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aus den Reihen der SED und der FDJ für die Arbeit in den Staatssicherheitsorganen26 nicht ausgeführt wird. Dadurch seien von 123 Kreisorganen der Staatssicherheit viele Kreisleitungen unterbesetzt. So habe sich beispielsweise in vier Kreisen herausgestellt, dass es überhaupt keine Leitung gab, in elf Kreisorganen habe es nur einen bis drei Mitarbeiter gegeben und in 77 Kreisen zwei bis fünf Mitarbeiter. Das alles führe dazu, dass die Arbeit der Staatssicherheitsorgane stark lahmt. Gen. Čujkov erinnerte daran, welch große Wühltätigkeit die Feinde in der DDR betreiben, und er äußerte den Wunsch, dass der Arbeit der Staatssicherheitsorgane mehr Beachtung geschenkt wird. Ulbricht sagte darauf, er wisse nicht, wie man die Kader für die Arbeit in den Staatssicherheitsorganen auswählen solle. Ältere SED-Mitglieder würden sich für eine derartige Arbeit nicht eignen, da man in die Organe keine Personen aufnehmen könne, die in Westdeutschland oder in Westberlin Verwandte haben, und seien es auch entfernte Verwandte, und Verwandte im Westen hätten fast alle Funktionäre der SED. Es bleibe nur ein enger Kreis junger Leute, die man auf Schulen schicken und dort ausbilden und überprüfen könne. Die hauptsächliche Frage ist nach Ulbrichts Meinung die Frage der Auswahl und Ausbildung der Mitarbeiter. Man habe mehrere Tausend Personen überprüft, und von 1 000 Personen würden sich nur etwa 50 für die Arbeit in den Organen eignen.27 Ulbricht fragte zum Schluss, ob es vielleicht eine Alternative zur Komplettierung der Kader gebe. Gen. Čujkov bemerkte ironisch, dass es wohl nicht gelingen werde, die benötigten Mitarbeiter durch Import zu erhalten, und führte das positive Beispiel der Ausbildung von Kadern für die Polizei durch Hoffmann an. Während es vor zwei Jahren bei der Polizei fast keine Offiziere gegeben habe, werde die Polizei im November–Dezember einen großen Zuwachs an Offizieren und Unteroffizieren bekommen. Eine solche Anzahl an Führungskräften (Gen. Čujkov nannte Zahlen) sei nicht nur für den Unterhalt der

26  Bereits am 11. Juli 1950 hatte das Politbüro des ZK der SED beschlossen: „Die Landesvorstände der Partei werden angewiesen, den Organen des Ministeriums für Staatssicherheit behilflich zu sein bei der Gewinnung neuer Mitarbeiter. Die in Frage kommenden Kandidaten müssen mindestens die Kreisparteischule erfolgreich besucht haben. Die auf die Länder anfallende Anzahl wird durch das Sekretariat bekanntgegeben.“ Vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/97, TOP 17. 27  Das hier genannte Verhältnis von 1 000 zu 50 entspricht der Äußerung Ulbrichts vom 9. Februar 1952, man müsse, „um die benötigten 5 000 Personen auszuwählen, 100 000 SED-Mitglieder überprüfen“ (vgl. Dok. 96). Möglicherweise war die Zahl von 100 000 zu überprüfenden Personen bei entsprechender Quote der Kaderauswahl für das MfS zugrundegelegt worden, denn auch Pieck notierte zu dem Gespräch vom 12. Oktober 1951: „7) Kader Staatssicherheit – 123 Kreisleitungen – 48 % 100 000 Plan“ (vgl. Badstübner/Loth, S. 375).



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­ olizei von Hoffmann,28 sondern auch für Hilfeleistung für Maron ausreiP chend. Ulbricht sagte, die Partei schicke ihre Funktionäre an viele Stellen. Das führe dazu, dass z. B. einige Kreisparteiorganisationen acht Mal pro Jahr ihre Zusammensetzung ändern, wodurch die Führungsarbeit der Partei außerordentlich erschwert werde. Ulbricht sagte weiter, er kämpfe schon seit Langem mit Zaisser um die Einrichtung einer Schule, und das Fehlen von Kadern in den Staatssicherheitsorganen erkläre sich durch29 die nicht rechtzeitige Ausführung von Parteibeschlüssen. Dabei stimmte er den Bemerkungen des Genossen Čujkov zu. [*] Zur Frage der Kaderausbildung übergab Gen. Semenov Grotewohl ein Aide-mémoire30 und machte Ulbricht und Grotewohl darauf aufmerksam, dass der Jahresplan für die Aufnahme eines Kontingents von Studenten an die Hochschulen der DDR nur zu 67 Prozent erfüllt sei, was für eine unzureichende Beachtung der Frage der Auswahl von Studierenden spreche. Es seien Fälle bekannt, in denen die Aufnahme an eine Hochschule abgelehnt worden sei, weil sich die betreffende Person „passiv im gesellschaftlichen Leben gezeigt“ habe. Um den Mangel auszugleichen, müsse man vielleicht in der ersten Zeit einen größeren Prozentsatz Jugendlicher aus Kreisen der Intelligenz aufnehmen. 28  Gemeint war die 1949 gegründete HV Ausbildung (als Vorläuferin der Kasernierten Volkspolizei), seit dem 26. April 1950 unter der Leitung von Heinz Hoffmann (vgl. Dok. 18, Fn. 20). In den ihr unterstehenden Bereitschaften und Schulen der Volkspolizei wurden seit 1949 Führungskräfte der zu schaffenden militärischen Einheiten ausgebildet. Die formelle Eingliederung in die dem Ministerium des Innern unterstehenden Polizeikräfte diente der Geheimhaltung der Aufrüstung. Weltanschauliche Schulung nahm einen relativ großen Teil der Ausbildung ein, Führungspositionen sollten durch Kader aus der Arbeiterschaft besetzt werden. Die Bereitschaften dienten der Ausbildung von Unteroffizieren. Sie wurden 1950–1951 in Anlehnung an die Regimentsstruktur der sowjetischen Streitkräfte reorganisiert. Die Offiziersausbildung fand in den Schulen der Volkspolizei bzw. – für Spitzenkader – in Lehrgängen in der Sowjetunion statt. Trotz erheblicher Schwierigkeiten mit unzulänglicher Ausrüstung und bei der Rekrutierung (vgl. Dok. 12, Fn. 6) gelang es bis Ende des Jahres 1951, die Sollstärken an ausgebildeten Offizieren für die kasernierten Einheiten weitgehend zu erreichen (zu Zahlen vgl. Rüdiger Wenzke, Auf dem Wege zur Kader­ armee. Aspekte der Rekrutierung, Sozialstruktur und personellen Entwicklung des entstehenden Militärs in der SBZ/DDR bis 1952/53, in: Thoß, Volksarmee schaffen, S. 205–272, hier S. 248). Zur Entstehung der kasernierten Einheiten vgl. Dok. 61, Fn. 7, zur weiteren Diskussion um Mängel vgl. Dok. 102. 29  Die hier kursiv hervorgehobenen Wörter sind handschriftlich korrigiert, die ursprüngliche Fassung lautet: „sei …“. 30  Dieses Aide-mémoire ist im AVP RF nicht überliefert.

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Grotewohl und Ulbricht stimmten den Bemerkungen des Genossen Semenov zu. [*] Sodann teilte Gen. Semenov mit, dass in jüngster Zeit vom Informationsamt der DDR 6 Millionen Exemplare einer Broschüre mit der Erklärung Grotewohls in der Volkskammer verbreitet worden seien. Die Broschüre sei schlampig, in Traueraufmachung, editiert. Verantwortlich für die Herausgabe der Broschüre sei der Mitarbeiter des Informationsamts Nelke.31 In diesem Zusammenhang äußerte Gen. Semenov die Meinung, dass die Arbeit des Informationsamts im Politbüro diskutiert werden müsse.32 Ulbricht und Grotewohl stimmten der Meinung des Gen. Semenov zu. [*] Gen. Semenov bat des Weiteren Grotewohl und Ulbricht, für den Bau des Planetariums in Stalingrad33 zwei Ingenieure abzustellen. Grotewohl antwortete, diese Bitte werde erfüllt. [*] Des Weiteren fragte Gen. Semenov Grotewohl und Ulbricht nach ihrer Meinung zur Organisation einer Gesellschaft des Roten Kreuzes in der DDR. Ulbricht antwortete, dass heute (am 12.10.1951) auf der Sitzung des Politbüros das Projekt der Gründung einer solchen Gesellschaft schon besprochen worden sei und dass die Frage positiv entschieden worden sei.34 31  So im Original. Vermutlich war Peter Nelken gemeint, der Leiter der Hauptabteilung Friedens- und Planpropaganda im Amt für Information der Regierung der DDR. 32  Die Arbeit des Informationsamtes stand in der Folgezeit nicht auf der Tagesordnung des Politbüros. Vermutlich ging es hier um die von diesem Amt herausgegebene Broschüre „Der Weg zur Einheit und zum Frieden. Regierungserklärung des Ministerpräsidenten der Deutschen Demokratischen Republik, Otto Grotewohl, vor der Volkskammer, Entschließung und Aufruf der Volkskammer vom 15. September 1951“. 33  Zum Bau des Planetariums in Stalingrad vgl. Dok. 15, Fn. 8. 34  Am 12. Oktober 1951 tagte das Politbüro des ZK der SED nicht. Erst am 6. Mai 1952 stimmte dieses Gremium der „Verordnung über die Bildung der Organisation Deutsches Rotes Kreuz“, der „Durchführungsbestimmung zur Verordnung über die Bildung der Organisation Deutsches Rotes Kreuz“, den „Satzungen des Deutschen Roten Kreuzes in der DDR“ und dem „Organisationsaufbau des Deutschen Roten Kreuzes in der DDR“ zu und bestätigte die „Kadervorschläge für den Zentralausschuß des Deutschen Roten Kreuzes … vorbehaltlich der Zustimmung der zuständi-



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[*] Gen. Semenov bat außerdem Ulbricht, aufmerksamer gegenüber den französischen Vertreterinnen in der Internationalen Frauenföderation35 zu sein, die, wie N.M. Parfenova und die ständige Vertreterin der UdSSR in der IDFF, G.N. Gorškova, berichteten, wegen der Verlegung der Leitung der IDFF von Paris nach Berlin etwas verstimmt seien. Man müsse bedenken, so Gen. Semenov, dass es unter den französischen Vertreterinnen hier nicht nur Kommunistinnen, sondern auch Vertreterinnen bürgerlicher Kreise gebe. Ulbricht antwortete, er werde die Sache klären und die Bitte des Genossen Semenov berücksichtigen. [*] Gen. Čujkov äußerte den Wunsch, dass auf dem Territorium der DDR die über die demokratische Zone verstreuten, zu den Westsektoren Berlins gehörenden Enklaven36 beseitigt werden. Auf dem Territorium dieser Areale sei die West-Mark im Umlauf, es blühe die Spekulation, und es herrschten überhaupt westliche Zustände. Gen. Čujkov bat Grotewohl, dass vor allem eines dieser Areale, das sich in unmittelbarer Nähe seines Stabes befinde,37 beseitigt wird. gen Organe“ (BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/210, TOP  5, Anlagen  3–6). Auf seiner Sitzung vom 15. Oktober 1952 stellte der DDR-Ministerrat seine Beratungen über die „Verordnung zur Bildung der Organisation ‚Deutsches Rotes Kreuz‘ “ mit der Auflage zur nochmaligen Bearbeitung zurück (BAB, DC 20-I/3/145, TOP 7, Anlage), am 23. Oktober 1952 wurde die Verordnung dann beschlossen (BAB, DC 20-I/3/147, TOP 7, Anlage 3). 35  Gemeint ist die Internationale Demokratische Frauenföderation (IDFF), gegründet 1945 in Paris unter maßgeblicher Beteiligung französischer und sowjetischer Frauenorganisationen. 36  Folgende En- bzw. Exklaven auf dem Gebiet Ost-Berlins gehörten noch 1969 verwaltungstechnisch zu West-Berlin: Falkenhagener Wiese (Bezirk Spandau, 45,44 ha), Wüste Mark (Bezirk Zehlendorf, 21,83 ha), Laszins-Wiesen (Bezirk Spandau, 13,49 ha), Steinstücken (Bezirk Zehlendorf, 12,67 ha), Große Kuhlake (Bezirk Spandau, 8,03 ha), Nuthewiesen (Bezirk Zehlendorf, 3,64 ha), Fichtenwiesen (Bezirk Spandau, 3,51 ha), Finkenkrug (Bezirk Spandau, 3,45 ha), Erlengrund (Bezirk Spandau, 0,51 ha) und Böttcherberg (Bezirk Zehlendorf, 0,30 ha), vgl. Walter Krumholz, Berlin-ABC. Geschichte. Politik. Wirtschaft. Kultur, unter Mitarbeit von Wilhelm Lutze, Oskar Kruß, Richard Höpfner u. a., Berlin und München 1969, S. 217. 37  Gemeint ist hier Steinstücken: „Am 18. Oktober 1951 besetzte die Volkspolizei der DDR in Abstimmung mit der sowjetischen Besatzungsmacht widerrechtlich Steinstücken, und die DDR verkündete eiligst die Eingemeindung Steinstückens, unweit der Babelsberger Filmstudios gelegen, in das Stadtgebiet von Potsdam. Damit eroberte – so gesehen – der Ostblock einen Teil des US-amerikanischen Sektors von Berlin. Die USA protestierten gegen diesen willkürlichen Schritt, und schon vier Tage

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Grotewohl antwortete, er stimme zu, dass die Enklaven beseitigt werden müssen, und sagte, er werde die Bitte des Genossen Čujkov berücksichtigen. Zum Abschluss des Gesprächs teilte Ulbricht mit, dass er es für erforderlich halte, in Klein-Machnow, wo sich die Parteihochschule befinde und wo in letzter Zeit Banditen verstärkt aktiv geworden seien, durch Polizeikräfte Ordnung zu schaffen.38 Gen. Čujkov antwortete, er habe dagegen keinerlei Einwände. Das Gespräch wurde aufgezeichnet von Oberdolmetscher Bogomolov39. AVP RF, f. 0457a, op. 12, p. 65, d. 3, Bl. 13–21.

84. Unterredung zwischen dem Leiter der Mission der UdSSR in der DDR Puškin und Außenminister Dertinger Geheim

Berlin-Ost, 13. Oktober 19511

Aufzeichnung einer Unterredung mit dem Außenminister der DDR Georg Dertinger Dertinger informierte mich auf eigene Initiative über sein Gespräch mit dem führenden [Vertreter] der Christlich-Demokratischen Union (CDU) Westberlins, Ernst Lemmer.2 Daneben ist Lemmer auch Chefredakteur der in Westberlin in französischer Lizenz erscheinenden Zeitung Der Kurier. Lemmer charakterisiert die Politik Adenauers als offen proamerikanisch. Adenauer teile die amerikanische Politik der Kriegsvorbereitung gegen die später erfolgte der Widerruf. Die Volkspolizei zog sich als Reaktion auf den Protest der US-Amerikaner wieder aus der Exklave zurück.“ Vgl. Bernhard Meyer, Das kleine Steinstücken und die große Politik, in: Berlinische Monatsschrift, Heft 6/2001, S. 116–119. 38  Gemeint ist die seit 1948 in der Hakeburg in Klein-Machnow untergebrachte SED-Parteihochschule „Karl Marx“. Die hier beschriebenen Vorfälle konnten nicht belegt werden. 39  Handschriftlich. 1  Original an Vyšinskij. Kopien gingen an Gromyko, Gribanov und in die Akten. Das Dokument, das nicht vor dem 18. Oktober 1951 entstanden sein kann, erhielt am 19. Oktober die Ausgangsnummer 0241 und am 22. Oktober im Sekretariat Vyšinskijs die Eingangsnummer 7319-v. 2  Der Name wird im russischen Dokument durchgängig „Lemer“ geschrieben. Zum Gesprächsverlauf übermittelte Dertinger eine spezielle, in der Übersetzung auf den 13. Oktober datierte Aufzeichnung, vgl. Dok. 85. In den Memoiren von Lemmer wird dieses Gespräch nicht erwähnt, es wurde aber im Westen sofort bekannt, vgl. Fn. 16 zu diesem Dokument sowie Dok. 136 und dort Fn. 7.



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Sowjetunion und hoffe, Deutschland mit Hilfe der USA zu vereinigen und die Ostgebiete jenseits der Oder-Neiße-Linie zurückzubekommen. In der CDU wachse die Unzufriedenheit mit dieser politischen Linie Adenauers, die Westdeutschland in einen Krieg verwickeln könne. Aber Adenauer nehme keine Rücksicht auf die unzufriedene Stimmung in seiner Partei und betreibe stur seinen politischen Kurs. Er habe sogar einen seiner außenpolitischen Berater, Twardowski, der Adenauer geraten habe, vorsichtig gegenüber der Sowjetunion zu sein, unter Beobachtung stellen lassen (Twardowski war lange Zeit Botschaftsrat an der deutschen Botschaft in Moskau, was Adenauer einen Grund lieferte, ihn der Verbindungen zur Sowjetunion zu verdächtigen).3 Adenauer wende sich entschieden gegen eine Vereinigung Deutschlands auf dem Wege von Verhandlungen von Vertretern Westdeutschlands mit Vertretern der DDR. Das habe seine erste Rundfunkrede vom 18. September aus Anlass des Appells der Volkskammer an den Bundestag vom 15. September d. J. bezeugt.4 Unter dem Einfluss von Mitgliedern seiner 3  Eine Beschattung von Twardowskis auf Veranlassung von Adenauer konnte nicht belegt werden. Sie kann jedoch auch nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Lemmer selbst wurde zeitweilig von der Organisation Gehlen verdächtigt, ein sowjetischer Agent gewesen zu sein, vgl. Sälter, Phantome des Kalten Krieges, S. 128, 393, 416, 446. Es erscheint jedoch unwahrscheinlich, dass Lemmer noch zur Amtszeit von Twardowskis als Bundespressechef von einem solchen Vorgang erfahren haben könnte, selbst wenn die ihm hier in den Mund gelegte Behauptung zuträfe. Laut Angaben von Otto Lenz war Lemmer zu dieser Zeit als Nachfolger von Twardowskis im Gespräch. Später habe Adenauer ihn neben anderem auch wegen der öffentlichen Kritik an seinem Treffen mit Dertinger (vgl. Dok. 136, Fn. 7) fallengelassen, vgl. Lenz, Im Zentrum der Macht, S. 149–150 und 159. 4  In seiner Rundfunkansprache am 18. September 1951 warb Adenauer für die schnellstmögliche und festeste Integration der Bundesrepublik in die EVG und deren Zusammenarbeit mit den USA. In diesem Zusammenhang umriss er aus seiner Sicht die Ziele der Westpolitik der UdSSR: Diese wolle „den politischen und militärischen Schwebezustand Deutschlands verewigen, weil damit eine Integration Westeuropas unmöglich gemacht wird … Sowjetrussland rechnet damit, dass die Vereinigten Staaten an einem schwachen Europa kein Interesse mehr haben und sich aus Europa zurückziehen würden. Sowjetrussland würde dann nicht nur die Bundesrepublik, sondern auch die übrigen westeuropäischen Länder ohne Krieg in seine Einflusssphäre ziehen …“ Die Frage nach einer erhöhten Kriegsgefahr bei einem Beitritt der Bundesrepublik zur EVG und zur NATO verneinte er: „Sowjetrussland ist zwar konsequent und zielbewusst in seiner Außenpolitik, aber auch vorsichtig … Wenn aber Europa und die Vereinigten Staaten sich zur Verteidigung zusammenschließen, würde es für Sowjetrussland mehr als gefährlich sein, einen Krieg mit dieser Macht zu beginnen.“ Erst am Schluss seiner Rede ging Adenauer auf die Initiative der Vokskammer ein: „Herr Grotewohl hat schon früher, und zwar wiederholt, dasselbe Sprüchlein gesagt. Die Bundesregierung und der Bundestag haben sich zu der gleichen Frage wiederholt, und zwar sehr präzise, sehr genau, sehr entschieden geäußert, und zwar am 22. März 1950, am 14. April 1950, am 15. Januar 1951 und am 9. März 1951. Am 26. Mai 1950 und am 9. Oktober 1950 haben die drei Hohen Kommissare der Westmächte auf Antrag der Bundesregierung Schreiben an den Vorsitzenden der sowjeti-

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Regierung und seiner Umgebung habe Adenauer von seiner Erklärung Abstand genommen und im Bundestag in mehr oder weniger korrekter Form gesprochen,5 aber dann sei er am 6.  Oktober in Westberlin, entgegen dem Rat seiner Freunde, in Bezug auf die von Deutschland abgetrennten Ostgebiete als Revanchist aufgetreten. Diese Rede sei provokativ gegenüber der Sowjetunion und Polen gewesen.6 schen Kontrollkommission gerichtet, in denen sie die Forderungen der Bundesrepu­ blik Deutschland unterstützen. Auf die Erklärungen der Bundesregierung ist die Sowjetzonenregierung niemals eingegangen. Die Sowjetische Kontrollkommission ­ hat nicht geantwortet. Wir stehen zu den bisherigen Erklärungen der Bundesregierung und des Bundestages … Wir wollen Deutschland nicht zum Schlachtfeld werden lassen. Wir wollen als gleichberechtigtes Volk wieder in den Kreis der Nationen eintreten. Darum wollen wir die Integration Europas. Nur durch sie kann der Friede gerettet werden. Auf diesem Wege, diesem friedlichen Wege, werden wir auch wieder zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands kommen.“ Vgl. Mitteilung an die Presse Nr. 821/51, Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Pressearchiv F 25, und AdG 21 (1951), S. 3122–3124, hier S. 3123. 5  Zu Adenauers Erklärung vor dem Bundestag am 27. September 1951 vgl. Dok. 80, Fn. 8. 6  In seiner ca. zwanzigminütigen Rede zur Eröffnung der Industrieaustellung in West-Berlin erklärte Adenauer an die „Deutschen in Berlin und in der Bundesrepublik, die Deutschen in der Sowjetzone und die Deutschen jenseits der Oder-Neiße-­ Linie“ gewandt: „Die Politik der Bundesregierung geht mit ganzer Kraft darauf aus, die volle Einheit Deutschlands wiederherzustellen … Die Siegermächte sind die ­feierliche Verpflichtung eingegangen, keinen Teil Deutschlands zu annektieren, und die feierliche Verpflichtung, die Einheit Deutschlands auf demokratischer Grundlage wiederherzustellen … Wir erwarten, dass auch Sowjetrussland zu seinem feierlich gegebenen Wort … steht … Eine Neutralisierung des waffenlosen Deutschland würde nicht nur keine Lösung des Problems sein, sondern eine Erhöhung und Verschärfung der politischen Gefahren für uns, für Europa und für die Welt. Man kann nicht mitten in Europa ein politisches Vakuum schaffen … Wer ehrlich den Frieden will, muss dafür eintreten, dass Europa eine neue, feste Form gewinnt … Wir wollen die Integration Deutschlands in Europa, nicht nur die Integration der Bundesrepublik … Vor einiger Zeit hat Herr Grotewohl zwei Reden gehalten, die Volkskammer hat sich an den Bundestag gewandt. In der ersten Rede hat Herr Grotewohl die Aufnahme gesamtdeutscher Gespräche verlangt, mit dem Ziele, die Einheit Deutschlands wiederherzustellen, in der gleichen Richtung geht der Beschluss der Volkskammer. Es scheint, dass Herr Grotewohl und die Volkskammer mit der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands eine andere Vorstellung verbinden als wir. Denn in seiner zweiten Rede hat Herr Grotewohl das Gebiet jenseits der Oder-Neiße-Linie ausdrücklich von der Wiedervereinigung ausgenommen. Lassen Sie mich in letzter Klarheit sagen: das Land jenseits der Oder-Neiße-Linie gehört für uns zu Deutschland … Wir wollen aber versuchen, festzustellen, ob auf der anderen Seite wirklich der ernste und ehrliche Wille ist, durch Wiederherstellung der Freiheit und der Menschenrechte im Gebiet der Sowjetzone und im Ostsektor Berlins die Atmosphäre zu schaffen, die die notwendige Voraussetzung zur Abhaltung freier Wahlen ist, und dann diese freien gesamtdeutschen Wahlen durchführen … Der Weg zur Wiederherstellung der Einheit Deutschlands – eines Deutschlands, das nicht an der Oder-Neiße-Linie aufhört – ist



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Diese Rede Adenauers habe sogar französische Kreise hellhörig gemacht. Lemmer habe Dertinger gesagt, François-Poncet und sein Apparat seien empört über Adenauers Auftritt. Ein führender Vertreter der französischen Besatzungsbehörden solle zu dieser Rede gesagt haben, Adenauer wolle Frankreich in einen Krieg um die Rückgabe Posens und Schlesiens an die Deutschen hineinziehen.7 Lemmer befürchte, dass, wenn Adenauer auch weiter in dieser Richtung agieren werde, das französische Parlament seiner [d. h. der französischen] Regierung das Misstrauen aussprechen und die Ratifizierung des Abkommens über den Schuman-Plan verweigern könne und sich jeglichem Abkommen zwischen Frankreich und Westdeutschland widersetzen werde. Des Weiteren habe Lemmer mitgeteilt, er erhalte eine große Zahl von Briefen von Parteimitgliedern der CDU aus West- wie auch aus Ostdeutschland, in denen der politische Kurs Adenauers verurteilt und die Linie Nuschkes8 in der Frage der Vereinigung Deutschlands unterstützt werde. Als seine persönliche Ansicht merkte Dertinger an, die Sturheit Adenauers könne, wie das Wahlergebnis von Bremen zeige,9 die CDU als Partei in den Untergang führen. Nachdem ich Dertinger angehört hatte, fragte ich ihn, welchen Zweck Lemmer damit verfolge, sich mit ihm, Dertinger, zu treffen und ihn eingelang und mühsam. Das deutsche Volk wird ihn gehen, und es wird sein Ziel erreichen … Den Brüdern und Schwestern im Berliner Ostsektor, in der Sowjetzone, jenseits der Oder-Neiße-Linie rufe ich zu: harret aus. Wir lassen Euch nicht im Stich. Auf friedlichem Wege wird ein freies Deutschland erstehen in einem freien geeinten Europa.“ Vgl. Mitteilung an die Presse Nr. 896/51, Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Pressearchiv F 25. 7  François-Poncet meldete in seinem Monatsbericht vom November 1951 nach Paris, Adenauer habe auf einer Sitzung der AHK „zu erkennen gegeben, daß er die europäische Integration als ein Mittel verstehe, die westlichen Demokratien zur Rückeroberung der verlorenen deutschen Territorien einzuspannen“. Hier habe das sonst in Adenauer gesetzte Vertrauen seine Grenzen gehabt und sei „Nationalismus“ befürchtet worden, vgl. Hans Manfred Bock, Zur Perzeption der frühen Bundesrepublik Deutschland in der französischen Diplomatie. Die Bonner Monatsberichte des Hochkommissars André François-Poncet 1949 bis 1955, in: Francia 15 (1987), S. 579–658, hier S. 647–648. 8  Otto Nuschke galt als sowjetfreundlich und – darin in Konkurrenz zur SED – als eine gesamtdeutsche Option der UdSSR im Falle einer Wiedervereinigung durch Neutralität. Während in einem solchen Fall der SED geringe Chancen bei Wahlen eingeräumt wurden, wurde eine Verbindung Nuschkes, der seit 1950 vermehrt um westdeutsche CDU-Mitglieder warb, die Adenauers Kurs ablehnten, mit Kreisen um Niemöller, Heinemann oder Gereke möglicherweise als aussichtsreicher eingeschätzt (vgl. auch Dok. 55, 59 und 67). 9  In der Bürgerschaftswahl in Bremen am 7. Oktober 1951 kam die CDU lediglich auf 9 Prozent der Stimmen; sie verlor damit im Vergleich zur vorangegangenen Bürgerschaftswahl vom 12. Oktober 1947 13 Prozent der Stimmen.

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hend über die Lage in der CDU Westdeutschlands zu informieren. Meine Frage brachte Dertinger in Verlegenheit. Zuerst sagte er, er nehme an, dass das Kommen Lemmers mit dem Interview des Genossen Stalin zusammenhänge.10 Die von dem Genossen Stalin an die USA gerichtete Warnung habe, so Dertinger, Leute wie Lemmer, die verstünden, dass diese Warnung auch an Westdeutschland gerichtet sei, alarmiert. Sodann bemerkte Dertinger, Lemmer habe sich offenbar nicht ohne französische Einflussnahme mit ihm getroffen. Zum Schluss musste Dertinger aber zugeben, dass Lemmer versucht habe, von ihm Klarheit darüber zu erhalten, ob der Vorschlag der Volkskammer zur Abhaltung allgemeiner Wahlen in Deutschland ernst zu nehmen sei. Sodann fragte ich Dertinger, was er über die bevorstehende Sitzung des Bonner Bundestags im Zusammenhang mit dem neuen Appell der Volkskammer vom 10. Oktober d. J.11 denke. Dertinger sagte, der Bundestag werde 10  Die Antworten Stalins auf die Fragen eines Korrespondenten der Pravda waren in dieser Zeitung am 6.  Oktober 1951 veröffentlicht und sofort weltweit verbreitet worden. Dabei bestätigte der Generalsekretär der VKP (b) die Durchführung sowjetischer Atomwaffentests. Auf die Frage, ob diese die Sicherheit der USA bedrohten, erklärte er: „Zu einer solchen Beunruhigung besteht keinerlei Grund. Den Politikern der USA kann es nicht unbekannt sein, daß die Sowjetunion nicht nur gegen die Anwendung der Atomwaffe eintritt, sondern auch für ihr Verbot, für die Einstellung ihrer Produktion. Bekanntlich hat die Sowjetunion wiederholt das Verbot der Atomwaffe gefordert. Doch jedesmal stieß sie auf Ablehnung bei den Mächten des Atlantikblocks. Das bedeutet, daß im Falle eines Überfalles der USA auf unser Land die herrschenden Kreise der USA die Atombombe anwenden werden. Eben dieser Umstand zwang die Sowjetunion, die Atomwaffe zu besitzen, um den Aggressoren wohlgerüstet zu begegnen.“ Sofern die USA nicht die Absicht hätten, die Sowjetunion zu überfallen, sei die Beunruhigung der US-Politiker gegenstandslos, denn die Sowjetunion denke nicht daran, die USA oder irgendein anderes Land jemals zu überfallen. „Die Politiker der USA … möchten … daß die USA die uneingeschränkte Möglichkeit hätten, anderen Ländern Furcht einzuflößen und sie zu erpressen … Ich denke, daß die Anhänger der Atombombe dem Verbot der Atomwaffe nur in dem Falle zustimmen werden, wenn sie sehen, daß sie nicht mehr das Monopol besitzen.“ Vgl. Neues Deutschland, 7. Oktober 1951, S. 1. 11  Der zweite Appell der Volkskammer an den Bundestag vom 10. Oktober 1951 setzte sich mit den Reaktionen auf den ersten Volkskammerappell auseinander, wie sie in der Bundestagsdebatte vom 27. September geäußert wurden (vgl. dazu Dok. 80, Fn. 8). Er warf dem Bundestag vor, den Vorschlägen der Volkskammer nicht nur nicht zugestimmt, sondern nur indirekt oder gar nicht darauf geantwortet zu haben, und wiederholte sodann die Forderung des ersten Appells nach Einberufung einer gesamtdeutschen Beratung aus Vertretern West- und Ostdeutschlands, die die „Abhaltung freier, gesamtdeutscher Wahlen“ und die „Frage der Beschleunigung des Abschlusses eines Friedensvertrages mit Deutschland“ erörtern sollte. Die „Mehrzahl“ der am 27. September in Adenauers Vorschlag einer Wahlordnung formulierten Grundsätze für die Durchführung gesamtdeutscher Wahlen bezeichnete Grotewohl hier als „annehmbar“. Darauf folgte ein „Protest gegen Adenauers Kriegsgespräche“, d. h. seine Verhandlungen mit den drei Hohen Kommissaren über einen westdeutschen Beitrag



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wohl den schon ausgearbeiteten Entwurf zu einem Wahlgesetz verabschieden und ihn der Volkskammer vorschlagen.12 Weiter vermutet er, dass der Bundestag auf der Bestätigung der Internationalen Kommission bestehen werde, die bestimmen solle, ob in der DDR und in Westdeutschland die Bedingungen für die Abhaltung freier Wahlen zur Nationalversammlung gegeben sind. Nach Meinung Dertingers wird der Bundestag letzten Endes genötigt sein, den Vorschlag der Volkskammer zur Einberufung einer gesamtdeutschen Beratung anzunehmen. Er stelle sich die Sache so vor, dass die Volkskammer in Beantwortung des Vorschlags des Bundestags, das Wahlgesetz als Vorbedingung zu verabschieden, einen Gegenentwurf für ein Wahlgesetz vorlegen werde,13 und dann werde der Bundestag wohl oder übel der Einberufung einer Beratung zur Erörterung der beiden Wahlgesetze zustimmen müssen. Ich halte es für notwendig, zu dem Treffen Dertingers mit Lemmer einige Bemerkungen zu machen. Wie die westdeutsche Presse mitteilte, nahm Lemmer am 14.–15. Oktober, d. h. zwei Tage nach seinem Gespräch mit Dertinger, an einer Konferenz von aus der DDR geflüchteten CDU-Mitgliedern teil. Diese Konferenz fand in Bonn statt. Lemmer hielt auf der Konferenz im Anschluss an Kaiser eine antisowjetische Rede.14 Am 16. Oktober veröffentlichte die Westberliner Zeitung Tagesspiegel eine Notiz über das Treffen Lemmers mit Dertinger.15 zu einem westlichen Verteidigungsbündnis (vgl. Neues Deutschland, 11. Oktober 1951, S. 1). 12  Zum Beschluss des Bundestages vom 27. September 1951, ein Wahlgesetz auszuarbeiten, vgl. Dok. 80, Fn. 8. In den Sitzungen vom 16. und 17.  Oktober wurde über die Regierungserklärung Adenauers zu „bei den Alliierten unternommenen Schritten betr. Wiederherstellung der deutschen Einheit und gesamtdeutsche Wahlen“ debattiert (vgl. Dok. 86, Fn. 2), jedoch noch nicht über einen Wahlgesetzentwurf. Am 30. Oktober wurde im Kabinett der Entwurf eines Wahlgesetzes beschlossen, vgl. AdG 21 (1951), S. 3184. Erst am 6. Februar 1952 nahm der Bundestag das „Gesetz über die Grundsätze für die freie Wahl einer Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung“ an. Grundlage dafür war eine Überarbeitung des Gesetzentwurfes, bei der, wie Jakob Kaiser erklärte, „die in der öffentlichen Diskussion hervorgetretenen Gesichtspunkte berücksichtigt worden sind“ (vgl. BT Stenographische Berichte, 189. Sitzung, 6. Februar 1952, S. 8031–8054, hier S. 8036). 13  Am 9. Januar stimmte die Volkskammer nach einer Regierungserklärung Grotewohls einem Gesetzentwurf „für die Durchführung gesamtdeutscher Wahlen zur Nationalversammlung“ zu (vgl. Neues Deutschland, 10. Januar 1952, S. 1–2). 14  Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete am 15. Oktober 1951 auf S. 1 von dem Parteitag der Ost-CDU in Bonn, auf dem Adenauer und Kaiser vor 190 nach Westen geflüchteten Funktionären der Ost-CDU sprachen. Eine auf dem Parteitag verlesene Erklärung sprach der derzeitigen Parteiführung der Ost-CDU das Recht ab, für die Partei zu sprechen und zu handeln. Ernst Lemmer wurde zum Vorsitzenden des Exil-Parteitags gewählt und – neben Kaiser als erstem Vorsitzenden – als zweiter Vorsitzender der „Exil-CDU“ bestätigt. Der Kurier ging sowohl am 15. als auch am 16.  Oktober auch auf Lemmers Ansprache(n) ein. Dieser habe

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Dertinger, der offenbar wegen des Verhaltens Lemmers und der entlarvenden Notiz des Tagesspiegel beunruhigt war, schickte mir am 18. Oktober eine Aufzeichnung seines Gesprächs mit Lemmer, um mich, wie er angab, mit dem Inhalt des Gesprächs „genau bekannt zu machen“.16 Die Gesprächsaufzeichnung Dertingers unterscheidet sich von seiner mündlichen Darlegung. Offensichtlich hat Dertinger uns gegenüber den wahren Inhalt seines Gesprächs mit Lemmer sowohl in der Unterredung mit mir am 12. Oktober als auch in seiner schriftlichen Darlegung verheimlicht. Es ist anzunehmen, dass er mich über sein Treffen mit Lemmer nur deshalb informiert hat, weil er befürchtete, dass wir von diesem Treffen aus anderen Quellen erfahren und ihn der Unaufrichtigkeit verdächtigen könnten.17 Dertinger hat über seine Begegnung mit Lemmer, wie mir Ackermann sagte, auch Grotewohl informiert.18 „versichert, daß die Exil-CDU nicht Gefahr laufe, einer Emigrantenpsychose zu verfallen. Die Bundesregierung sei zwar nicht identisch mit Deutschland, auf den Kanzler jedoch blickten alle Deutschen auch jenseits der Zonengrenze in der Hoffnung, daß es ihm gelingen möge, die Freiheit auch für den Osten Deutschlands wiederzugewinnen.“ (vgl. ebenda, 15. Oktober 1951, S. 1). Lemmer habe die Delegierten aufgefordert, „Kaiser in seiner Tätigkeit im Bundeskabinett vorbehaltlos zu unterstützen“, und, an die Machthaber der Ostzone gerichtet, gerufen: „Heraus mit den politischen Gefangenen!“ Weiter habe er geäußert, die „Oeffnung der Gefängnistore sei eine Voraussetzung für die deutsche Wiedervereinigung“ (ebenda, 16.  Oktober 1951, S. 2). Zu Redebeiträgen und Entschließungen auf diesem Parteitag vgl. ACDP, 3-013-019/6. 15  Die Notiz im Tagesspiegel über das Treffen Lemmers mit Dertinger erschien nicht am 16., sondern am 17. Oktober 1951 auf S. 2. Zum Inhalt vgl. Dok. 136, Fn. 7. 16  Vgl. Fn. 2 zu diesem Dokument. Die Aufzeichnung Dertingers (vgl. Dok. 85) ist in der Übersetzung auf den 13. Oktober datiert. Puškin unterstellte hier, Dertinger habe ihm seine (bei Puškin am 18. Oktober eingegangene) Aufzeichnung vom 13. Oktober in Reaktion auf Lemmers Ansprachen auf dem Parteitag der Ost-CDU und die Meldung im Tagesspiegel vom 16. (tatsächlich 17.) Oktober zugeschickt. 17  Zu Verdächtigungen gegenüber Dertinger und seiner Überwachung vgl. Dok. 32 und dort Fn. 8 und 10. Zur Verhaftung Eberhard Plewes, der das Treffen mit Lemmer vermittelt hatte, vgl. Dok. 136, Fn. 3. In den Vernehmungsprotokollen Dertingers spielte das Treffen mit Lemmer nur am Rande eine Rolle. Laut den Erinnerungen Maria Dertingers war es mit Semenov abgesprochen, vgl. ebenda. So stellte es auch der westdeutsche Journalist Hermann Zolling in einer UP-Meldung vom 16. Oktober dar, in der er sich auf eine nicht genannte Quelle im MfAA berief, vgl. PA AA, B 2-VS, Bd. 107A. Am 29. Oktober 1951 berichtete Lemmer einem US-amerikanischen Repräsentanten der Hohen Kommission, Dertinger habe ihm im Wissen und sogar im Auftrag von Semenov und Grotewohl erläutert, dass die UdSSR die Wiedervereinigung Deutschlands durch Neutralität anstrebe, vgl. Herbert Graml, Die Legende von der verpaßten Gelegenheit. Zur sowjetischen Notenkampagne des Jahres 1952, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jg. 29 (1981) 3, S. 307–341, hier S. 311–312. 18  Ein Bericht Dertingers an Grotewohl konnte in deutschen Archiven nicht ermittelt werden.



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Ich füge hier eine Übersetzung der Aufzeichnung dieses Gesprächs in der Darlegung von Dertinger selbst bei.19 Leiter der diplomatischen Mission in der DDR G. Puškin20 AVP RF, f. 07, op. 26, p. 45, d. 91, Bl. 27–30.

85. Aufzeichnung von Außenminister Dertinger 

Berlin-Ost, 13. Oktober 19511

Der ehemalige stellvertretende Vorsitzende der CDU der Ostzone, Mitglied des Bundesvorstands der CDU der Bonner Bundesrepublik, Vorsitzender der CDU-Fraktion der Stadtverordnetenversammlung von Westberlin und Chefredakteur der in französischer Lizenz erscheinenden Zeitung Der Kurier, Ernst Lemmer2, hatte über einen Mittelsmann um ein Treffen mit dem Unterzeichneten gebeten. Das Treffen fand am 12. Oktober 1951 im Bezirk Charlottenburg (Westberlin – G. P.3) statt. Ernst Lemmer erklärte, er würde gern zwei Fragen geklärt haben: 1. Ob der Appell der Regierung der DDR bezüglich einer gesamtdeutschen Beratung ein ehrlicher Vorschlag sei; 2. Ob die Erklärung von Generalissimus Stalin in der Pravda zur Atombombe4 als ernsthafte Warnung vor der militärischen Stärke der Sowjetunion zu verstehen sei. Er begründete die Wichtigkeit dieser Fragen damit, dass sie in den Regierungskreisen Bonns und in der westdeutschen Öffentlichkeit aktiv diskutiert werden und dass eine positive Antwort darauf es Adenauer erschweren 19  Vgl.

Fn. 2 zu diesem Dokument bzw. Dok. 85.

20  Handschriftlich.

1  Das Original der Übersetzung erhielt Vyšinskij. Kopien gingen an Gromyko, Gribanov und in die Akten. Das Dokument erhielt keine Registraturnummern. Die Gesprächsaufzeichung hatte Dertinger vermutlich am 12. Oktober angefertigt, die Übersetzung ins Russische ist vom 13. Oktober datiert. Da sich Dertingers Aufzeichnung in deutschen Archiven nicht findet und sie auch im AVP RF nicht im Original überliefert ist, wurde deren Übersetzung ins Russische zurück ins Deutsche übersetzt. Ursprung und Verlauf dieses Gesprächs wurden in westdeutschen bzw. West-Berliner Quellen unterschiedlich dargestellt, vgl. Dok. 136, Fn. 7. Puškin zweifelte seinerseits den Wahrheitsgehalt dieses Berichts an, vgl. Dok. 84. 2  Ebenso wie in der Gesprächsaufzeichnung Puškins (Dok. 84) wird der Name in der zugrundeliegenden russischen Fassung durchgehend als „Lemer“ geschrieben. Lemmer gehörte zu dieser Zeit noch nicht dem Bundesvorstand der CDU an. 3  Vermutlich: Georgij Puškin, vgl. Dok. 84. 4  Vgl. Dok. 84, Fn. 10.

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würde, seinen politischen Kurs, der die Remilitarisierung und die Organisation eines Kreuzzugs gemeinsam mit den Amerikanern gegen die Sowjetunion zum Ziel habe, zu verfolgen. Ich beantwortete diese Fragen in entschiedener Form bejahend und verwies dabei auf die entsprechenden Erklärungen und Beschlüsse in der Volkskammer.5 Lemmer unterstrich die außerordentliche Wichtigkeit dieser Bestätigung und bemerkte, die aufrichtige Gewissheit des Unterzeichneten in dieser Frage gebe ihm Grund, auf beide Fragen sowohl in den Kreisen der CDU Westdeutschlands als auch bei den französischen Behörden positiv zu antworten.6 Im Gespräch gab Lemmer die folgende Analyse der Lage: 1. Herr Adenauer sei nicht im Geringsten an der Wiederherstellung der deutschen Einheit interessiert, und er sei innerlich überzeugt, dass die Wiederherstellung der Einheit nur mit einem Krieg gegen die Sowjetunion möglich sei, die er von seiner ultraklerikalen Warte aus als den Hauptfeind ansehe. Zwei Umstände sprächen dafür, dass Adenauer an eben diesen Ansichten festhalte: Am Vorabend seiner Rede in Berlin am 6.  Oktober7 sei Adenauer von seinen Beratern (den Staatssekretären Hallstein, Blankenhorn und Lenz) ermahnt worden, die Frage der Oder-Neiße-Grenze nicht in den Vordergrund zu stellen,8 da das die Abhaltung gesamtdeutscher Wahlen erschwe5  Gemeint waren offensichtlich die beiden „Volkskammerappelle“ vom 15. September (vgl. Dok. 80, Fn. 5 und 7) und vom 10. Oktober 1951 (vgl. Dok. 84, Fn. 11). 6  Die Deutung der Äußerungen Stalins und Dertingers als Drohung auch an die Bundesrepublik findet sich auch in westlichen Quellen zu diesem Treffen. So notierte Otto Lenz in seinem Tagebuch, Lemmer habe ihm am 14. Oktober 1951 berichtet, „daß er bei Plewe in Berlin unseren alten Freund Dertinger getroffen habe. Dieser habe ihm vorgestellt, daß Rußland unter keinen Umständen eine Wiederaufrüstung zulassen werde und ggf. die äußersten Konsequenzen ziehe.“ Vgl. Lenz, Im Zentrum der Macht, S. 150. Der westdeutsche Journalist Hermann Zolling meldete am 16. Oktober über United Press: „Wie aus dem Ost-Aussenministerium zu erfahren ist, hat Dertinger Lemmer versichert, die Sowjetregierung wünsche die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands unter Beachtung aller demokratischen Spielregeln. Falls die Bundesorgane auf die Einladung zu gesamtdeutschen Gesprächen nicht eingingen, würde dies schwerwiegende Folgen namentlich für Westberlin haben, ‚dessen Hahn die Sowjets zu jeder Zeit abdrehen können‘.“ Lemmer habe nach einem Gespräch mit Adenauer behauptet, dieser bewege sich nun „auf ein offizielles, aber unverbindliches Zusammentreffen mit Vertretern der Sowjetzone“ zu. Vgl. PA AA, B 2-VS, Bd. 107A. 7  Zu Adenauers Rede in Berlin am 6. Oktober vgl. Dok. 84, Fn. 6. 8  Ein Gespräch dieses Inhalts konnte nicht nachgewiesen werden. Im Tagebuch von Otto Lenz findet sich zum 5. Oktober betreffend die Rede Adenauers am 6. Oktober der folgende Eintrag: „Der BK hielt eine hochpolitische Ansprache, zu der ich ihm noch während des Flugs eine Reihe von Stichworten gegeben hatte. Sie war darauf abgestellt, daß ein enger Zusammenschluß mit den Westmächten die einzige Möglichkeit zum Frieden und zur Wiedervereinigung Deutschlands sei. Er erklärte im übrigen, daß eine Anerkennung der Oder- und Neiße-Grenze nicht in Frage komme,



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ren und die Schuld für ihr Scheitern dem Bundeskanzler auferlegen würde. Er habe diese Warnung mit der Begründung zurückgewiesen: „Mit diesem Osten will ich keine Verständigung, und deshalb muss ich Klartext sprechen.“ Twardowski, der Pressechef Adenauers, habe ihn bezüglich der Absichten der Amerikaner gewarnt.9 Adenauer aber habe Twardowski beschatten lassen, weil dieser in den zwanziger Jahren Mitarbeiter der Botschaft in Moskau gewesen sei.10 Adenauer beabsichtige herauszufinden, ob Twardowski etwa im Dienste des Kreml steht. Ernst Lemmer ist der Ansicht, dass Adenauer völlig isoliert sei, aber jeglichen Widerstand mit diktatorischen Mitteln unterdrücke. Seine unmittelbare Umgebung sei in Korruption verstrickt. Unterstützt werde er nur von zweitrangigen Funktionären, die in ihm einen unfehlbaren Heiligen sehen. Er habe selbst in weiten Kreisen seiner eigenen Partei keinen Einfluss, was besonders durch den Ausgang der Wahl in Bremen11 bestätigt werde. Nach Meinung Ernst Lemmers ist es nicht möglich, Adenauer zu überzeugen, seine Position zu ändern, aber seine Umgebung werde sich von ihm abwenden, je mehr sie sich davon überzeugen werde, dass der Appell der Regierung der DDR von ernsthaften Absichten diktiert sei und dass ein eventueller Krieg für die Amerikaner kein leichter Spaziergang sein werde. 2. Ernst Lemmer unterhält enge Beziehungen zu den französischen Besatzungsbehörden (Der Kurier erscheint in französischer Lizenz) und kann deshalb auf Wunsch der Franzosen über die politischen Absichten des Außenministeriums von Frankreich informiert werden. Während die Pariser Regierung gewaltigem Druck seitens der Amerikaner wegen des Atlantikpakts, der [West]Europäischen Union und der Remilitarisierung Westdeutschlands ausgesetzt gewesen sei, sei von ihm (Lemmer) die Verstärkung der Kampagne gegen die Sowjetunion und insbesondere gegen die DDR verlangt worden. Nach der Rückkehr des französischen Außenministers aus Washington, als die ablehnende Haltung der französischen Bevölkerung zu seiner Politik klar geworden sei, habe sich diese Tendenz geändert. Jetzt trete stärker das Bestreben zutage, noch einen letzten Versuch zu unternehmen, eine deutsche Remilitarisierung und, wenn möglich, den [Beitritt der Bundesrepublik zum] Atlantikpakt zu vermeiden. Die provokative Rede Adenauers zur Oder-Neiße-Grenze, die er am 6. Oktober in Berlin gehalten habe,12 verstärke diese Entwicklung und befeuere die Franzosen in ihrem Bestreben, gesamtwas in der Presse am nächsten Tag vielfach beanstandet wurde.“ Vgl. Lenz, Im Zentrum der Macht, S. 144. 9  Eine solche Warnung von Twardowskis an Adenauer konnte nicht belegt werden. 10  Vgl. Dok. 84, Fn. 3. 11  Zum Ausgang der Bürgerschaftswahl in Bremen vgl. Dok. 84, Fn. 9. 12  In seiner Rede vom 6. Oktober auf der Berliner Industriemesse hatte Adenauer den Volkskammerappell (vgl. Dok. 80, Fn. 7) und die Vorschläge Grotewohls u. a.

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deutsche Verhandlungen zu unterstützen, um die Remilitarisierung zu verhindern. Der Stellvertreter von François-Poncet und General Ganeval hätten diese Frage erneut persönlich mit Lemmer besprochen. Gestern sei Lemmer zu Verhandlungen mit François-Poncet nach Westdeutschland einbestellt worden. Lemmer ist der Meinung, dass, wenn die französische Regierung davon überzeugt wäre, dass dem Appell der Regierung der DDR ehrliche Absichten zugrunde liegen, und wenn sie ebenso von der Friedensbereitschaft der Sowjetunion, insbesondere im Zusammenhang mit der Argumentation bezüglich der Stärke der Sowjetunion, überzeugt wäre, das Außenministerium Frankreichs allmählich seine Position revidieren und den Amerikanern Widerstand leisten könnte. 3. Bezüglich der Position der SPD vermutet Lemmer, dass Schumacher mit der Frage gesamtdeutscher Wahlen die Möglichkeit erhalten habe, scharf gegen Adenauer zu opponieren, weil die Politik Adenauers – erst europäische Vereinigung und Klarheit in der Frage der Oder-Neiße-Grenze, und danach schon Wahlen in ganz Deutschland – die SPD daran hindere, durch neue Wahlen, wie Schumacher meint, zur stärksten Partei auch in der DDR zu werden. Das erzeuge gegenwärtig starke Opposition gegen Adenauer im Sinne eines positiven Interesses an der Abhaltung einer gesamtdeutschen Beratung und im Sinne einer Absage an die Losung von der Schlacht an der Weichsel. 4. Lemmer teilte mit, er habe aus der DDR eine große Zahl von Briefen aus Kreisen der friedlichen13 Opposition erhalten, die heftig gegen das Prinzip Adenauers – erst Europa, dann Deutschland – protestiere. Die Verfasser der Briefe würden diese Politik der Politik Otto Nuschkes gegenüberstellen, die sie für richtig halten. Sie würden eine Revision der Außenpolitik Bonns, den Rücktritt Adenauers und die Wiedervereinigung Deutschlands fordern. Lemmer betonte, dass ihn diese Erklärungen in außerordentlich großer Zahl erreichen und dass sie klar die tatsächliche Stimmung ausdrücken. 5. Konkrete Parlamentsbeschlüsse sollen im Zusammenhang mit dem Wahlgesetz gefasst werden. Der Bonner Bundestag werde ein Wahlgesetz für gesamtdeutsche Wahlen verabschieden und seine Annahme durch die DDR verlangen.14 Lemmer verwies darauf, dass die Tatsache der prinzipiellen Annahme der bekannten 14 Punkte durch die Volkskammer,15 einschließlich der Bereitschaft zur Diskussion der Frage der Wahlkontrolle, in Westdeutschland einen starken und positiven Eindruck gemacht habe und denjenigen auch mit dem Argument abgelehnt, die Oder-Neiße-Linie könne nicht als Grenze eines vereinigten Deutschlands anerkannt werden, vgl. Dok. 84, Fn. 6. 13  So in der russischen Übersetzung, möglicherweise stand in der deutschen Vorlage von Dertinger „kirchlichen“. 14  Vgl. Dok. 84, Fn. 12. 15  Vgl. Dok. 84, Fn. 11.



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Kräften, die meinen, man solle versuchen, sich mit dem Osten zu einigen, den Rücken gestärkt habe. Er meint, eine Fortsetzung dieser Politik hätte positive Folgen. Deshalb würde er empfehlen, auch in Bezug auf das vorgeschlagene Wahlgesetz zu erklären, dass es im Prinzip annehmbar sei. Er hoffe, dass von unserer Seite auch ein entsprechender Gegenvorschlag zu einem Wahlgesetz gemacht werde sowie ein Vorschlag zur Diskussion beider Gesetze am runden Tisch durch Vertreter des Ostens und des Westens Deutschlands. Er glaube daran, dass sich bei einer Erörterung solcher Vorschläge diejenigen Kräfte, die sich für gesamtdeutsche Verhandlungen einsetzen, durchsetzen werden. 6. Er ist überzeugt, dass, wenn solche Verhandlungen geführt würden, der Bundestag nicht in der Lage wäre, Abkommen zu ratifizieren, die das Ergebnis von Verhandlungen über Remilitarisierung, über eine [West]Europäische Union, über den Schuman-Plan16 usw. wären, und auf jeden Fall aber Zeit gewonnen wäre. Er meint, dass in diesem Stadium die Erörterung des Problems im Rahmen der vier Großmächte stattfinden könnte, da sich die Frage des Friedensvertrags nicht allein auf die Diskussion zwischen den Deutschen beschränken könne. In diesem Zusammenhang verwies er noch einmal auf die Notwendigkeit, ehrliche Absichten zu bestätigen, und erklärte, er halte es für nützlich, wenn von östlicher Seite eine Perspektive hinsichtlich des Wesens eines Friedens für ganz Deutschland aufgetan würde. Ich nahm diese Äußerungen Lemmers zur Kenntnis und beschränkte mich lediglich darauf, ihm die Ehrlichkeit unserer Absichten und der Absichten der Sowjetunion zu erklären, ich warnte vor der Stärke der Sowjetunion im Falle eines neuen Krieges und machte auf die günstigen Entwicklungsper­ spektiven einer gesamtdeutschen Wirtschaft aufmerksam, die sich nach dem Abschluss eines Friedensvertrags durch die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den Völkern des Friedenslagers eröffnen würden. Eine Fortsetzung des Gesprächs wurde nicht vereinbart. Dertinger AVP RF, f. 07, op. 26, p. 45, d. 91, Bl. 31–37.

16  Vgl.

Dok. 39, Fn. 25.

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86. Beschluss des Politbüros des ZK der VKP (b) Streng geheim 

31. Oktober 19511

Entwurf von Weisungen an die Gen. Čujkov, Semenov und Puškin 1. Wir erheben keine Einwände dagegen, dass Grotewohl auf der nächsten Sitzung der Volkskammer der DDR am 31. Oktober–1. November eine Regierungserklärung zur Sitzung des Bonner Parlaments vom 16.–17. Oktober2 abgibt und die von Adenauer und seinen Anhängern vorgebrachten Argumente gegen die Vorschläge der Volkskammer zur Einberufung einer gesamtdeutschen Beratung der Kritik unterzieht.3 2. Wir halten es für verfrüht, im gegenwärtigen Stadium den von Ihnen vorgeschlagenen4 Appell der Volkskammer an das deutsche Volk zu verabschieden. Ein solcher Appell kann in einem späteren Stadium verabschiedet werden. Jetzt aber sollte sich der Präsident der DDR mit einer speziellen Botschaft an den Präsidenten Westdeutschlands wenden und darin vorschla-

1  Am

Kopf ist vermerkt: Zur Mappe 203 (op) pr.PB Nr. 84. die Erklärung der Bundesregierung zu „bei den Alliierten unternommenen Schritten betr. Wiederherstellung der deutschen Einheit und gesamtdeutsche Wahlen“ (BT Stenographische Berichte, 168.  Sitzung, 16.  Oktober 1951, S. 6892–6893) und die Besprechung dazu (ebenda, 169.  Sitzung, 17.  Oktober 1951, S. 6976–6995). In seiner Regierungserklärung berichtete Adenauer von der Note der Bundesregierung an die westalliierten Regierungen vom 4. Oktober (mit der Aufforderung, freie Wahlen zu einer Nationalversamlung zu ermöglichen, und dem Vorschlag, dass eine „neutrale internationale Kommission unter der Kontrolle der Vereinten Nationen“ in beiden deutschen Staaten die Voraussetzungen für die Abhaltung freier Wahlen unter­ suchen solle, vgl. Bemühungen der Bundesrepublik, S. 43–44) und die Note der Regierungen der drei Westmächte vom 15. Oktober, die diesen Antrag (einschließlich des Vorschlags der Einsetzung einer UN-Kommission) unterstützte (ebenda, S. 51– 52). Zu Grotewohls Erklärung vom 10. Oktober (vgl. Dok. 84, Fn. 11) merkte Adenauer an: „Was die Erklärung des Herrn Grotewohl vom 10. Oktober 1951 angeht, so hat Herr Grotewohl zu keinem einzelnen Punkt der Erklärung der Bundesregierung und des Beschlusses des Bundestages positiv Stellung genommen. Von den 14 Punkten sagte er, daß eine Mehrzahl annehmbar sei. Mit welchen Punkten er sich einverstanden erklärt und mit welchen nicht, hat er nicht gesagt. Zu dem Verlangen nach einem Untersuchungsausschuß der Vereinten Nationen hat er geschwiegen.“ Vgl. BT Stenographische Berichte, 168. Sitzung, 16. Oktober 1951, S. 6893. 3  Grotewohls am 2. November 1951 vor der Volkskammer gehaltene Regierungserklärung wurde am 3. November auf S. 1 und 2 im Neuen Deutschland abgedruckt. Grotewohl setzte sich hier mit einzelnen Punkten aus Adenauers Regierungserklärung vom 16.  Oktober sowie mit der Bundestagsdebatte darüber am 17. Oktober (vgl. Fn. 2) auseinander. 4  Der Vorschlag der SKK konnte im AVP RF nicht ermittelt werden. 2  Vgl.



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gen, eine gesamtdeutsche Beratung zur Diskussion der Fragen der Wahlen5 und des beschleunigten Abschlusses eines Friedensvertrags einzuberufen, und er sollte vorschlagen, sich mit ihm zur Vorbesprechung der Fragen im Zusammenhang mit der Einberufung der gesamtdeutschen Beratung zu treffen. In der Botschaft des Präsidenten der DDR sollte auch eine Aussage darüber enthalten sein, dass die Regierung der DDR einverstanden ist, in allen Zonen Deutschlands zu prüfen, ob die Bedingungen für die Abhaltung freier Wahlen gegeben sind, und dass eine solche Prüfung am besten von den Deutschen selbst über Kommissionen aus Vertretern Ost- und Westdeutschlands unter Viermächtekontrolle durch Vertreter der UdSSR, der USA, Englands und Frankreichs durchgeführt werden könnte.6 5  Der Vorschlag zur Einberufung einer gesamtdeutschen Beratung von Vertretern der DDR und Westdeutschlands „über die Durchführung gesamtdeutscher freier Wahlen zu einer Nationalversammlung mit dem Ziel der Schaffung eines einheitlichen, demokratischen [und] friedliebenden Deutschlands“ und „über die Beschleunigung des Abschlusses eines Friedensvertrages mit Deutschland“ war am 8. September vom ZK der VKP (b) als in der Folgezeit für die DDR-Regierung maßgebliche Weisung beschlossen worden (vgl. Dok. 80, Fn. 5). Dieser Vorschlag ging in den Volkskammerappell vom 15. September ein (vgl. Dok. 80, Fn. 7) und wurde in einem zweiten Volkskammerbeschluss vom 10. Oktober wiederholt (vgl. Dok. 84, Fn. 11). 6  Das Neue Deutschland veröffentlichte am 4. November 1951 auf S. 1 den vom 2. November datierten Brief Piecks, in dem dieser zunächst die wachsende Gefahr eines „unvorstellbaren verheerenden Krieges“ infolge der „durch die Washingtoner Beschlüsse beabsichtigten Eingliederung der Bundesrepublik in den aggressiven Atlantikpakt und der Remilitarisierung“ beschwor, daraufhin den Vorschlag der Volkskammer nach Einberufung einer gesamtdeutschen Beratung wiederholte und, da dieser durch die Regierung Adenauer abgelehnt worden sei (was die Absicht erkennen lasse, „jede Verständigung zwischen Ost- und Westdeutschland zu verhindern“), an die Verantwortung Heuss’ als Präsidenten appellierte und diesem ein baldiges persönliches Treffen in Berlin vorschlug, um zu „erörtern, wie der Weg gebahnt werden kann zur Einberufung einer gesamtdeutschen Beratung“. Die im Dokument angewiesene Einverständniserklärung der DDR mit einer Überprüfung der Voraussetzungen für freie Wahlen lautete in dem Schreiben Piecks fast wortgleich: „Was die Überprüfung der Voraussetzungen für die Durchführung freier Wahlen betrifft, so teile ich Ihnen mit, daß die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik mit der Überprüfung in allen Teilen Deutschlands einverstanden ist. Sie ist aber der Meinung, daß eine solche Überprüfung am besten von den Deutschen selbst durchgeführt werden könnte durch eine aus Vertretern Ost- und Westdeutschlands zusammengesetzte Kommission unter der Viermächtekontrolle von Vertretern der UdSSR, der USA, Englands und Frankreichs.“ In seiner ablehnenden Antwort vom 7. November bezog sich Heuss u. a. auch auf den Sprachgebrauch des Vorschlags: „Ihre Beurteilung der gegenwärtigen Situation und die Tonlage, in der diese durch Ihre Worte zum Ausdruck gebracht wird, muß die Möglichkeit des von Ihnen angeregten Gesprächs von Anbeginn fragwürdig machen. Ihre Polemik gegen Bundestag und Bundesrat ist von der Art, die die Ernsthaftigkeit Ihres Vorschlages erschüttert. Auf dieser Ebene ist eine Aussprache im Elementaren nutzlos … Ich fürchte auch, daß die Bemühung scheitern müßte, etwa

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3. Was Ihren Vorschlag zur Bildung einer deutschen Kommission für die Vorbereitung eines Wahlgesetzentwurfs angeht, so kann eine solche Kommission von der Regierung der DDR gebildet werden. Der von ihr vorbereitete Gesetzentwurf kann dann auf der gesamtdeutschen Beratung zur Diskussion gestellt werden. Eine Veröffentlichung des Entwurfs zur Diskussion im gesamten Volk kann der Bonner Regierung einen Anlass liefern, den Vorschlag der DDR zur Einberufung der gesamtdeutschen Konferenz unter dem Vorwand, dass die einen oder anderen Bestimmungen in dem Entwurf unannehmbar seien, abzulehnen. 4. Auf die Frage der Verabschiedung eines Appells an das deutsche Volk kann man später zurückkommen, nachdem die Reaktion der Bonner Regierung auf die Botschaft Piecks und auf seine Vorschläge klar geworden ist, zumal die Volkskammer einen Appell an das deutsche Volk am 15. September schon verabschiedet hat.7 RGASPI, f. 17, op. 162, d. 47, Bl. 91–92.

87.  Unterredung zwischen dem Vorsitzenden der SKK Čujkov, dem Politischen Berater Semenov und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht Geheim

Berlin-Ost, 23. November 19511

Aufzeichnung einer Unterredung des Vorsitzenden der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland, Armeegeneral Čujkov, und des politischen Beraters bei der Sowjetischen Kontrollkommission, Semenov, mit dem Generalsekretär der SED Walter Ulbricht. Zu Beginn der Unterredung ging Ulbricht auf den Verlauf der Verhandlungen zwischen Vertretern der DDR und der Bonner Republik über den innerdeutschen Handel ein.2 Er erklärte, die Verhandlungen seien faktisch bereits für das von Ihnen gebrauchte Tagesschlagwort ‚Remilitarisierung‘ oder für den Begriff des ‚Demokratischen‘ die gemeinsame Basis des Umgrenzten zu finden.“ Vgl. Bemühungen der Bundesrepublik, S. 57–58. 7  Zum Volkskammerappell vom 15. September 1951 vgl. Dok. 80, Fn. 7. 1  Original an Vyšinskij. Kopien gingen an Grigorjan, Čujkov und Semenov. Das Dokument erhielt im Sekretariat der SKK am 15. Dezember 1951 die Ausgangsnummer 07834 und im Sekretariat Vyšinskijs am 27.  Dezember die Eingangsnummer 8169-v. 2  Mit Abschluss des Berliner Abkommens am 20. September 1951 (vgl. Dok. 77, Fn. 4) war der im Vorfeld verhandelte Konflikt über Behinderungen des Verkehrs, des Warenhandels und der Postlieferungen zwischen der Bundesrepublik und West-Berlin nicht gelöst worden. Vor allem auf Druck der Alliierten Hohen Kommission ließ die Bundesregierung durch die Treuhandstelle für den Interzonenhandel (vgl. Dok. 98,



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gescheitert. Auf die Frage, was denn der Grund für dieses Scheitern der Verhandlungen sei, antwortete Ulbricht, die Vertreter der Bonner Regierung würden nach wie vor auf zwei Forderungen bestehen: Abschaffung der Kennzeichnung der Warenherkunft und der Liste verbotener Waren. Die Vertreter der Bonner Regierung hätten erklärt, auf der Erfüllung dieser Forderungen würden die Amerikaner bestehen. Des Weiteren teilte Ulbricht mit, während der Verhandlungen sei die Frage nach dem Recht der DDR, die Kontrolle über den Postverkehr zwischen Berlin und Westdeutschland auszuüben, aufgekommen. Zu Beginn der Verhandlungen hätten die Vertreter der Bonner Regierung zugestimmt, dass die DDR das Recht habe, die Kontrolle auszuüben, und sie würden die Vertreter der DDR lediglich bitten, bei der Wahrnehmung dieses Rechts nicht zu streng zu sein, später aber hätten sie aus Bonn eine Weisung erhalten, der zufolge Bonn der DDR dieses Recht nicht zugestehe.3 Damit hätten sie sich selbst in eine unangenehme Lage gebracht. Während der Verhandlungen über den innerdeutschen Handel hätten die Vertreter der DDR Fn. 6) erneut Forderungen nach deren Lösung stellen. Vor allem wurde die verzögerte Erteilung von Warenbegleitscheinen für Lieferungen von West-Berlin in die Bundesrepublik moniert (vgl. Peter E. Fäßler, Durch den „Eisernen Vorhang“. Die deutschdeutschen Wirtschaftsbeziehungen 1949–1969, Köln 2006, S. 131–135). Bei Verhandlungen Ende Oktober drohte der Vertreter der Treuhandstelle Leopold anderenfalls mit der Aussetzung des Abkommens zum 1. November (vgl. BAB-SAPMO, NY 4090/376, Bl. 198). Als der Verhandlungsleiter der DDR Orlopp sich am 30. Oktober weigerte, „über Warenbegleitscheine und Transportfragen … mit der Westseite zu verhandeln“, brach diese die Verhandlungen bis auf Weiteres ab (ebenda, Bl. 201–204). Am 16. und 22. November führten Willi Stoph und Hans Kroll erneut (informelle) Verhandlungen. Stoph betonte in seinem Bericht vom 16. November das beidseitige Interesse an einer Lösung (ebenda, Bl. 211–218). Auf seiner Sitzung vom 20. November 1951 nahm das Politbüro des ZK der SED Stophs Bericht über die „Durchführung des innerdeutschen Handelsvertrages“ zur Kenntnis und stimmte „[d]er Weiterführung der Verhandlungen“ zu, die nun auch wieder die Frage der Warenbegleitscheine umfassen sollten (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/178, TOP 7). Ulbrichts Darstellung entsprach damit nicht dem Stand der Verhandlungen, sie griff eher deren nachfolgendem Scheitern vor. Im Februar 1952 forderte Čujkov erneut, die Frage der Warenbegleitscheine von den Verhandlungen auszunehmen (vgl. Dok. 98). 3  Laut Adenauers Mitteilung an den Geschäftsführenden Vorsitzenden der Alliierten Hohen Kommission François-Poncet vom 21. September 1951 über den Abschluss des Handelsabkommens mit der DDR am Vortag hatte der Vertreter der Bundesregierung Kaumann in einer mündlichen Erklärung als Bedingung für die Unterzeichnung die Gültigkeit der Zusicherung genannt, „daß Beschränkungen des Verkehrs zwischen Westberlin und Westdeutschland mit der Unterzeichnung des Handelsabkommens aufgehoben werden und daß sich dies gleichfalls auf … Beschlagnahme und Eingriffe beim Postverkehr bezieht“, vgl. AAPD (1951), S. 501–503, hier S. 502; zu weiteren Beschwerden wegen der Beschlagnahme von Postlieferungen seitens der DDR vgl. ebenda, Anm. 8 sowie S. 572.

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besonders die nationale Seite dieser Frage betont. Sie hätten erklärt, dass es sehr schwer sei, Verhandlungen mit Vertretern der Bonner Regierung zu führen, da sich in diese ausschließlich innerdeutsche Angelegenheit ständig die Amerikaner einmischen würden. Das Scheitern der Verhandlungen über den Interzonenhandel spreche dafür, dass die westlichen Besatzungsbehörden beabsichtigen, erneut eine Luftbrücke4 zu organisieren, obwohl dafür keinerlei Notwendigkeit bestehe. Auf die Frage des Gen. Semenov, ob das bedeute, dass sie den Schienenverkehr einstellen, antwortete Ulbricht, der Schienen- und Straßenverkehr werde von ihnen in vollem Umfang genutzt und es bestehe kein Grund zu der Annahme, dass sie ihn aufgeben. Armeegeneral Genosse Čujkov bemerkte dabei, man dürfe nicht den Vertrag über den Interzonenhandel vergessen, man müsse die westlichen Behörden ständig an ihn erinnern und der Öffentlichkeit zeigen, dass sie es sind, die die Verantwortung für das Scheitern dieses Vertrags tragen. Gen. Semenov betonte, das Scheitern der Verhandlungen sei eine Folge des auf eine Zuspitzung der Beziehungen gerichteten politischen Kurses der westlichen Besatzungsbehörden. Armeegeneral Gen. Čujkov erklärte, als Gegenmaßnahme könnte man die Stromzufuhr in die Westsektoren von Berlin einstellen5 oder die Steuern auf den Straßenverkehr erhöhen.6 Gegenwärtig sei die Durchführung derartiger Maßnahmen jedoch nicht zweckmäßig. Als Fazit aus der Erörterung dieser Frage erklärte Gen. Semenov, die gemeinsame Taktik in dieser Angelegenheit solle darin bestehen, ständig zu zeigen, dass die Vertreter des Westens am Scheitern der Verhandlungen schuld seien. 4  Die sogenannte „Kleine“ oder kommerzielle Luftbrücke war bereits Anfang August 1951 aufgrund von Unterbrechungen der Verkehrswege zwischen West-Berlin und dem Bundesgebiet aufgenommen worden, um den Güterverkehr sicherzustellen, vgl. Kabinettsprotokolle, Bd. 5 (1952), S. 158, Anm. 32. Die Störungen der Verkehrswege hatten auch zu Verzögerungen beim Abschluss des Berliner Abkommens geführt (vgl. Dok. 77, Fn. 4) und belasteten dessen Umsetzung. Bereits am 3. August 1951 hatte Gribanov Vyšinskij dazu mitgeteilt: „Ungeachtet der Drohungen der Besatzungsbehörden der Westmächte, eine sogenannte ‚kleine‘ oder kommerzielle Luftbrücke einzurichten, halten es die Gen. Čujkov und Il’ičev für zweckmäßig, am bestehenden Verfahren der Ausfertigung von Warenbegleitscheinen festzuhalten, da dies in völligem Einklang mit den Viermächtebeschlüssen steht. Nach ihrer Auffassung ist es gegenwärtig nicht angebracht, irgendwelche Maßnahmen unsererseits zu ergreifen, sollten die Besatzungsbehörden der Westmächte die Anzahl der Flüge über Berlin und Westdeutschland erhöhen. Ich meinerseits halte die Meinung der Gen. Čujkov und Il’ičev für richtig.“ Vgl. AVP  RF, f. 082, op. 38, p. 235, d. 83, Bl. 62. Zur weiteren Entwicklung vgl. Dok. 98, Fn. 9. 5  Zur Abschaltung der Stromlieferungen an West-Berlin als Druckmittel vgl. Dok. 77, Fn. 3. 6  Zur Verordnung über die Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren für Kraftfahrzeuge vgl. Dok. 98, Fn. 8.



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Im weiteren Verlauf des Gesprächs erklärte Armeegeneral Čujkov, nach Informationen, die er aus verdeckten Quellen Westdeutschlands erhalten habe, werde klar, dass in der Bonner Republik ein großer Mangel an Kohle zu spüren sei. Das wiederum behindere die maximale Nutzung der westdeutschen Industrie für die Herstellung von Produkten für militärische Zwecke, weshalb sich die westlichen Besatzungsbehörden auf den Kauf von Kohle und Brikett nicht nur für Westberlin, sondern auch für Westdeutschland einlassen könnten. Ein solcher Handel sei aber kaum zweckmäßig, da die von uns bezogenen Brennstoffe und der Strom für militärische Zwecke benutzt werden würden. Des Weiteren fragte Armeegeneral Čujkov Ulbricht nach seiner Meinung zum Beschluss der westlichen Besatzungsmächte, das Besatzungsstatut aufzuheben und einen Generalvertrag mit Deutschland abzuschließen.7 Ulbricht antwortete, diese Frage sei noch nicht erörtert worden, ihm sei nur das in der Presse veröffentlichte Kommuniqué über Adenauers Verhandlungen mit den Außenministern der Westmächte bekannt.8 Armeegeneral Čujkov erklärte, dieser Schritt der westlichen Besatzungsmächte bezeuge, dass diese bestrebt seien, mit allen Mitteln die Spaltung Deutschlands zu vertiefen. Daher könne man die Frage eines Verbots der KPD schon jetzt als vorentschieden ansehen.9 In diesem Zusammenhang stellte Armeegeneral Čujkov gegenüber Ulbricht die Frage nach der Ausarbeitung eines Maßnahmenplans zur Arbeit der Partei in der Illegalität.10

7  Zum Besatzungsstatut vgl. Dok.  18, Fn.  13. Zum „Generalvertrag“ oder „Deutschlandvertrag“ (Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten) vgl. Dok. 20, Fn. 12. 8  Am 23. November 1951 brachte die Frankfurter Allgemeine Zeitung auf S. 3 unter der Überschrift „Eine Friedensregelung für ganz Deutschland“ den Wortlaut des tags zuvor „[n]ach der Konferenz der drei Westaußenminister mit Bundeskanzler Dr. Adenauer“ veröffentlichten Kommuniqués: „Die Außenminister Frankreichs, Groß­britanniens und der Vereinigten Staaten sind heute mit Dr. Adenauer zusammengetroffen. Diese Sitzung war die erste Gelegenheit, bei der der Kanzler und Außenminister der Deutschen Bundesrepublik gemeinsam mit den Außenministern der drei Westmächte verhandelt hat. Sie stellte für sich schon einen bemerkenswerten Fortschritt in der fortschreitenden Angliederung der Bundesrepublik an den Westen auf der Basis einer gleichberechtigten Partnerschaft dar. Alle Teilnehmer haben die Gelegenheit begrüßt, die sich dabei für eine allgemeine Ueberprüfung der beide Seiten angehenden Probleme ergab.“ 9  Am 16.  November 1951 hatte die Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der SRP und der KPD beantragt. Am 23.  November 1954 begann die Verhandlung gegen die KPD, am 17.  August 1956 wurde sie verboten. 10  Ein Maßnahmenplan zur Arbeit der KPD in der Illegalität ist in den Protokollen des Politbüros des ZK der SED nicht überliefert.

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Zu den vorgesehenen Maßnahmen im Zusammenhang mit dem bevorstehenden KPD-Verbot erklärte Ulbricht, auf der Sitzung des Politbüros des ZK der SED sei ein Maßnahmenplan für das Entfachen von Protesten bestätigt worden,11 was aber die Arbeit der Partei in der Illegalität betreffe, so sei diese Frage nur mündlich besprochen worden. Das ZK der SED habe diesen Plan und den Aufruf der Kommunistischen Partei an den Zentralvorstand der KPD geschickt. In den nächsten Tagen solle Max Reimann auf einer Pressekonferenz eine Erklärung abgeben,12 in der besonders die nationale Seite dieser Frage hervorgehoben werden solle. In diesem Zusammenhang empfahl Armeegeneral Čujkov dem Gen. Ulbricht, auch die Frage zu erörtern, wer von den führenden Funktionären der KPD auf der Sitzung des Verfassungsgerichts sprechen und einen Text für diese Rede vorbereiten soll. Ulbricht antwortete, diese Frage sei noch nicht entschieden. Gegenwärtig werde im ZK der SED der Entwurf zu einer Erklärung der KPD im Verfassungsgericht vorbereitet, in der das Hauptaugenmerk auf die juristische Seite der Frage gelegt werde. Auf die Frage des Gen. Semenov, ob die Kommunistische Partei ein Verbot durch das Verfassungsgericht anerkennen und sich dieser Entscheidung beugen werde, antwortete Ulbricht, schon in der Erklärung des Zentralvorstands der KPD heiße es, dass die KPD eine solche Entscheidung nicht anerkenne und ihre Tätigkeit nicht einstellen werde. Ulbricht betonte auch, dass alle Maßnahmen im Zusammenhang mit dem KPD-Verbot sich nicht negativ auf den Kampf um die Einheit Deutschlands auswirken dürfen. 11  Auf seiner Sitzung vom 20. November 1951 stimmte das Politbüro des ZK der SED unter dem Punkt „Protestkampagne gegen das geplante Verbot der KPD“ den „Vorschlägen des Sekretariats des ZK … mit einigen Ergänzungen“ zu (vgl. BABSAPMO, DY 30/IV 2/2/178, TOP 3, Anlage 1). Am 8. Januar 1952 wurden „die vorgeschlagenen Maßnahmen“ im Rahmen der „Kampagne gegen das Verbot der KPD“ gebilligt (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/186, TOP 5). 12  Unter der Überschrift „Nicht verfassungswidrig“ berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 27. November 1951 auf S. 3, Reimann habe einen Tag zuvor in Bonn „die Begründung der Bundesregierung zu ihrer Verfassungsklage gegen die Kommunistische Partei als haltlos und lächerlich bezeichnet. Die Kommunistische Partei glaube nicht an ein Verbot durch das Verfassungsgericht. Die Partei bereite bereits umfangreiche Unterlagen für die Verhandlungen in Karlsruhe vor. Die Ziele der Partei seien nicht verfassungswidrig. Die Kommunistische Partei trete im übrigen vorbehaltlos für freie, geheime und allgemeine Wahlen nach dem Verhältniswahlrecht auf Grund des Vorbildes des Weimarer Wahlgesetzes ein.“ Am gleichen Tag brachte das Neue Deutschland unter der Überschrift „Pressekonferenz Max Reimanns“ ebenfalls einen kurzen Bericht (S. 1) und verwies auf die Ausgabe des nächsten Tages, in der dann eine halbe Seite der „Stellungnahme der KPD zur verfassungswidrigen Verbotsklage der Bonner Regierung“ gewidmet war, in der wiederholt vom „deutschen Volk“ die Rede ist (S. 4).



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Gegenwärtig werde im ZK der SED ein Wahlprogramm der Kommunistischen Partei Deutschlands für gesamtdeutsche Wahlen vorbereitet.13 Die Veröffentlichung dieses Programms werde als Demonstration dafür dienen, dass die KPD nicht beabsichtige, ihre Tätigkeit einzustellen, sondern im Gegenteil sich auf die Abhaltung gesamtdeutscher Wahlen vorbereite. Falls gesamtdeutsche Wahlen in diesem Zeitraum nicht stattfinden sollten, werde dieses Wahlprogramm auch für die Wahlen zum westdeutschen Bundestag gelten, die 1952 stattfinden sollen.14 Gerade im Hinblick auf diese Forderungen werde das Wahlprogramm auch ausgearbeitet. Sodann erklärte Ulbricht, dass bislang noch keine völlige Klarheit darüber herrsche, welche Maßnahmen die SED im Falle eines Verbots der Kommunistischen Partei treffen solle. Bis jetzt habe die SED ihren Standpunkt geäußert, indem sie erklärt habe, ein Verbot der KPD habe das Scheitern des Kampfes um die Einheit Deutschlands zum Ziel. Das reiche aber nicht aus. 13  Erst am 3. Juni 1952 wurde vom Politbüro des ZK der SED „eine Kommission [bestehend] aus den Genossen Ulbricht, Verner und Herrnstadt“ mit dem Auftrag eingesetzt, den Entwurf eines Programms der KPD „durchzuarbeiten und dem Politbüro mit ihren Vorschlägen zu unterbreiten“ (BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/214, TOP 5). Am 1. Juli 1952 wurde dann „[d]as Programm der Kommunistischen Partei Deutschlands … als Grundlage angenommen“ (BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/218, TOP 5). Das Neue Deutschland veröffentlichte am 13. November 1952 das „Programm der nationalen Wiedervereinigung Deutschlands. Beschlossen vom Parteivorstand der Kommunistischen Partei Deutschlands am 2. November 1952“ (S. 1–2). Gesamtdeutsche Wahlen wurden darin mehrfach gefordert: „Der Sturz des Adenauer-Regimes macht den Weg frei für eine Regierung der nationalen Wiedervereinigung, die sich auf alle patriotischen Kräfte in Westdeutschland stützt. Eine solche Regierung würde alle Voraussetzungen besitzen, um die Feinde der nationalen Wiedervereinigung zu zügeln und unser Volk aus der bedrohlichen Lage herauszuführen. Eine solche Regierung der nationalen Wiedervereinigung hätte Maßnahmen zur Durchführung freier gesamtdeutscher Wahlen zu ergreifen. Sie hätte die Durchführung gesamtdeutscher Schritte bei den vier Großmächten mit dem Ziel des beschleunigten Abschlusses eines Friedensvertrages mit Deutschland und des Abzuges aller Besatzungstruppen zu sichern“ (ebenda, S. 1). „Die nächsten Ziele, auf die das deutsche Volk seine Energie konzentrieren muß, sind daher der Abschluß eines Friedensvertrages, die Durchführung gesamtdeutscher Wahlen mit dem Ziel der Vereinigung Deutschlands und der Abzug der Besatzungstruppen“ (S. 2). „Sofortige Herbeiführung der Verständigung zwischen West- und Ostdeutschland mit dem Ziel der unverzüglichen Durchführung freier, gesamtdeutscher Wahlen zur Nationalversammlung und des gemeinsamen Auftretens West- und Ostdeutschlands mit der Forderung auf beschleunigten Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland und Abzug aller Besatzungstruppen. Schaffung einer Kommission aus Vertretern Ost- und Westdeutschlands zur Prüfung der Voraussetzungen für die Durchführung freier gesamtdeutscher Wahlen in ganz Deutschland, zur Ausarbeitung eines Wahlgesetzes und zur Sicherung der Durchführung dieser Wahlen“ (S. 2). Zur weiteren Diskussion des Parteiprogramms vgl. Dok. 118 und dort Fn. 4. 14  Der 2.  Deutsche Bundestag wurde am 6.  September 1953 gewählt. Die Wahl fand laut Grundgesetz alle vier Jahre statt, war also turnusgemäß angesetzt.

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Auf das KPD-Verbot werde Terror gegen die Funktionäre der Kommunistischen Partei folgen, und hier sei Hilfe15 notwendig. Aber welche Gegenmaßnahmen man16 unternehmen und wie weit man dabei gehen könne, sei bislang noch nicht klar. Auf die Frage des Gen. Semenov, an welche Gegenmaßnahmen Ulbricht denke, antwortete dieser, wenn im Westen Kommunisten verhaftet würden, dann könne man in der DDR auch so manchen verhaften. In seiner Antwort darauf bemerkte Gen. Semenov, dies sei eine außerordentlich schwierige und heikle Frage, die unmittelbar mit Moskau abgestimmt werden müsse.17 Auf die Frage des Gen. Semenov, ob Ulbricht eine Skizze zu einem Plan für diese Gegenmaßnahmen habe, antwortete letzterer verneinend und erklärte, diese Frage müsse noch ernsthaft durchdacht werden. In jedem Falle, so Ulbricht, wird der Kampf der Kommunisten Westdeutschlands außerordentlich schwer sein, und sie werden Hilfe aus der DDR benötigen. Anderenfalls könne ein Teil der Kommunisten von der aktiven Arbeit in der Partei Abstand nehmen oder ihre Arbeit in den Massenorganisationen einschränken. Noch einmal auf die Arbeit der KPD nach einem möglichen Verbot eingehend, betonte Gen. Semenov, hier seien zwei Seiten der Arbeit zu unterscheiden: auf der einen Seite die halblegale Arbeit und auf der anderen Seite die illegale. Die halblegale Arbeit der KPD, erklärte Ulbricht, müsse in den Massenorganisationen und vor allem in den Gewerkschaften konzentriert sein. Dabei sollen sich die führenden Funktionäre der KPD in illegaler Lage befinden und die Funktionäre der unteren Ebene in halblegaler. Des Weiteren legte Ulbricht seine Überlegungen zu praktischen Fragen der Arbeit der KPD im Falle ihres Verbots dar. Oberleutnant Jablokov18 AVP RF, f. 07, op. 26, p. 45, d. 91, Bl. 45–49.

15  Im russischen Original steht hier „unsere Hilfe“. Offenbar hatte Ulbricht sinngemäß erklärt: „Auf das KPD-Verbot wird Terror gegen die Funktionäre der Kommunistischen Partei folgen, da müssen wir helfen.“ Wahrscheinlich wollte er damit bewusst die SKK einbeziehen. 16  Im russischen Original heißt es hier „wir“. Im Deutschen lässt sich in der indirekten Rede dieses „wir“ nur als „man“ wiedergegeben. 17  Dazu konnten im AVP RF keine Telegramme ermittelt werden. 18  Handschriftlich.



Dokument 88: 10. Dezember 1951417

88. Unterredung zwischen dem Rat der diplomatischen Mission der UdSSR in der DDR Čebotarev und Außenminister Dertinger Geheim

Berlin-Ost, 10. Dezember 19511

Aus dem Tagebuch2 von G.E. Čebotarev Aufzeichnung einer Unterredung beim Außenminister der DDR, Dertinger, am 10. Dezember 1951 Heute um 14 Uhr suchte ich Dertinger auf. Auf Weisung aus Moskau (Gen. Gromyko)3 teilte ich Dertinger mit, dass die sowjetische Regierung es für möglich erachtet habe, der Bitte der Regierung der DDR nachzukommen und den diplomatischen Missionen der DDR in den Ländern der Volksdemokratie das Recht zu erteilen, Bürgern der Länder der Volksdemokratie Visa zur Ein- und Ausreise sowie zur Durchreise durch das Hoheitsgebiet der DDR auszustellen.4 Ich fügte des Weiteren 1  Original an Vyšinskij. Kopien gingen an Gribanov und in die Akten. Das Dokument erhielt am 12. Dezember 1951 die Ausgangsnummer 0267 und am 13. Dezember im Sekretariat Vyšinskijs die Eingangsnummer 8060-v. 2  „Tagebuch“ ist ein aus der russischen Kanzleisprache übernommener Begriff des Auswärtigen Dienstes der UdSSR für Gesprächsaufzeichnungen. 3  Diese Weisung konnte im AVP RF nicht ermittelt werden. 4  Zu den Bemühungen der DDR-Regierung vgl. Dok. 3 und dort Fn. 9 sowie Dok. 82 und dort Fn. 14. In der am 8. Januar 1952 vom Politbüro des ZK der SED beschlossenen „Übergangsregelung für den Auslandsreiseverkehr bis zum Inkrafttreten der Paßverordnung“ hieß es unter Punkt 1): „Das Politbüro nimmt Kenntnis von der … Mitteilung der Regierung der UdSSR … über die Erteilung von Sichtvermerken. (Anlage Nr. 2)“ Das Ministerium des Innern und das Ministerium für auswärtige Angelegenheiten wurden unter Punkt 2) mit der Ausarbeitung einer Passverordnung beauftragt. Weitere Bestimmungen betrafen die Vollmacht zur Erteilung von Sichtvermerken sowie den Verfahrensweg und die Gebühren für die Erlangung von Sichtvermerken. In der Anlage 2 wurde als Begründung zur Übergangsregelung eine Mitteilung der Regierung der UdSSR vom 10. Dezember 1951 zitiert: „Entsprechend dem Wunsche der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik erhält diese die Berechtigung, für Durch-, Ein- und Ausreisen für das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik Sichtvermerke an Deutsche sowie Staatsangehörige volksdemokratischer Länder zu erteilen.“ Gemäß einer Aussprache mit der Visa-Abteilung der SKK am 14. Dezember sollte sich die Genehmigung, Sichtvermerke zu erteilen, auf folgende Personengruppen erstrecken: „a) Alle Personen, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen und ihren Wohnsitz in Deutschland oder in den Gebieten der volksdemokratischen Länder und der Sowjetunion haben; b) alle Staatsbürger der volksdemokratischen Länder.“ In der Verordnung (Anlage 3) wurde festgelegt, dass alle deutschen Staatsangehörigen sowie alle „Staatsangehörigen der volksdemokratischen Länder, die die Deutsche Demokratische Republik verlassen oder aus der Sowjetunion und den volksdemokratischen Ländern betreten“, für den Grenzübertritt einen Sichtvermerk der DDR benötigen. Unter Punkt 2) hieß es: „Für alle übrigen Personen

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hinzu, dass das bisherige Verfahren der Visaerteilung an sowjetische Staatsangehörige, die in die DDR einreisen, bestehen bleibe. Ebenfalls unverändert bleibe das Verfahren der Visaerteilung zur Einreise in die DDR an Bürger anderer Staaten, in denen die DDR keine eigenen diplomatischen Vertretungen hat.5 Dertinger bedankte sich für diese Entscheidung der sowjetischen Regierung und sagte, er werde die Regierung der DDR umgehend davon unterrichten. 2. Im Hinblick darauf, dass die DDR keine unmittelbaren Beziehungen mit Paris unterhält, bat Dertinger, dabei behilflich zu sein, die Erklärung der Delegation der DDR (in deutscher Sprache), die sie am 11. Dezember im Zweiten Politischen Ausschuss der UNO abgeben werde, schnellstens über Moskau nach Berlin weiterzuleiten, damit die Presse der DDR sie rechtzeitig veröffentlichen könne.6 gelten die Bestimmungen des Alliierten Kontrollrates. Desgleichen bleiben die Bestimmungen über den Interzonenverkehr gemäß den Direktiven des Alliierten Kontrollrates Nr. 43 und 49 unberührt.“ Die Erteilung der Sichtvermerke sollte am 15. Januar 1952 „durch die Organe der DDR übernommen“ werden und am 16.  Januar in Kraft treten (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/186, TOP  10 und Anlagen 2–5). In den Unterlagen des MfAA findet sich ein undatiertes Dokument frühestens aus der zweiten Jahreshälfte 1952, das die diesbezüglichen Kompetenzen zwischen den dem Ministerium des Innern unterstehenden Meldestellen der Volkspolizei und dem MfAA abgrenzte und die „Formalitäten der Antragstellung und Visabeschaffung“ bei Ausund Einreisen aus den bzw. in die Volksdemokratien regelte. Vgl. PA AA, MfAA A, Bd. 6206, Bl. 40–46. Erst am 31. August 1954 stimmte das Politbüro dem Entwurf eines Paßgesetzes zu (BAB-SAPMO, DY 30/J IV 2/2/379, TOP 15, Anlage 4), am 3. September der Ministerrat (BAB, DC 20-I/3/235, TOP 9, Anlage F). Die Einschränkung des Personenkreises entfiel mit diesem Gesetz. Am 3. Dezember 1957 beschloss das Politbüro eine Verschärfung des Passgesetzes, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/J IV 2/2/569, TOP 11, Anlage 4. 5  Laut dem undatierten Dokument des MfAA betr. „Formalitäten der Antragstellung und Visabeschaffung“ (vgl. Fn. 4) war für „Einreisen aus dem kapitalistischen Ausland“ folgendes Verfahren vorgesehen: „Nach Eingang der Genehmigung [durch die HV Paß- und Meldewesen der DVP] bei uns [dem MfAA], wird die Visaabteilung der SKK … von uns schriftlich gebeten, das entsprechende Konsulat der UdSSR in dem Lande, aus dem der Betreffende einreisen soll, oder das Visum in Empfang nehmen will, telegrafisch oder schriftlich zu ermächtigen, dem Betreffenden das Einreisevisum in die DDR zu erteilen.“ Vgl. PA AA, MfAA A, Bd. 6206, Bl. 40–46, hier Bl. 42. 6  Am 8. Dezember 1951 hatte der Ministerrat der DDR die Delegation zur Teilnahme an der UN-Vollversammlung in Paris bestätigt. Als Leiter der Delegation war Lothar Bolz, als Mitglieder waren Otto Nuschke, Friedrich Ebert und Anton Ackermann bestimmt worden. Gleichzeitig bestimmte die DDR-Regierung die Aufgabenstellung dieser Delegation: „Die Entsendung einer Kommission der Vereinten Nationen zur Überprüfung der Möglichkeiten für die freien Wahlen in Deutschland wäre eine Einmischung in die inneren friedlichen Angelegenheiten des deutschen Volkes, was den Grundsätzen der Vereinten Nationen, insbesondere dem Grundrecht der Na-



Dokument 89: 19. Dezember 1951419

Ich versprach, die Möglichkeit zu klären, diese Weiterleitung zu organisieren. Geschäftsträger a. i. der Diplomatischen Mission der UdSSR in der DDR Čebotarev7 AVP RF, f. 07, op. 26, p. 45, d. 91, Bl. 52.

89. Schreiben des Leiters der Dritten Europäischen Abteilung Gribanov an den stellvertretenden Außenminister Gromyko Geheim

19. Dezember 19511

An Gen. A. A. Gromyko Die Gen. Čujkov und Semenov haben bis jetzt keine eigenen Vorschläge zur Verbesserung des Interzonenhandels unterbreitet. Ich übersende Ihnen den Entwurf eines Berichtes an die Instanz2. Der Entwurf der Verordnung wurde in Übereinstimmung mit den Anweisungen, wie sie auf der Sitzung vom 13. Dezember erteilt wurden,3 ausgearbeitet. Ich bitte um Prüfung.4

i. A. M. Gribanov5

tionen auf Selbstbestimmung, widerspricht“ (BAB, DC 20-I/3/84). Am 11. Dezember 1951 nahm das Politbüro des ZK der SED den Bericht Grotewohls „über die Entsendung einer Regierungsdelegation zur Vollversammlung der UN nach Paris … zustimmend zur Kenntnis“ (BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/182). Am 14. Dezember wurden dann auch die Berichte von Ackermann und Ebert „zur Kenntnis genommen“ sowie der „vom Sekretariat beschlossene Kampagnenplan zur Auswertung … gebilligt“ (BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/183, Anlage 1). 7  Handschriftlich. 1  Das Original erhielt Gromyko. Die einzige Kopie ging in die Akten. Das Dokument (Exemplar Nr. 2) erhielt am 19. Dezember 1951 in der Dritten Europäischen Abteilung die Ausgangsnummer 2458/3eo. 2  „Instanz“ umschreibt die oberste Entscheidungsebene in der UdSSR, die zumeist identisch ist mit Stalin bzw. dem Politbüro des ZK der VKP (b). 3  Diese Anweisungen konnten im AVP RF nicht ermittelt werden. 4  Gribanov vermerkte am 19. Januar handschriftlich: „Frage hat sich erledigt (Telegramm aus Berlin)“. 5  Weiter notierte Gromyko handschriftlich: „P[unkte] des Potsdamer Abk. nicht form[ell] aufheben, aber an fakt[ische] Aufhebung und an Stärk[ung] der Rechte der Deutschen denken“.

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[Anlage 1] Streng geheim

____. Dezember 1951

An Gen. I.V. Stalin Die Gen. Čujkov und Semenov teilten mit,6 dass Ulbricht sich mit folgendem Vorschlag an sie gewandt habe: die Regierung der DDR soll sich mit der Bonner Regierung in Verbindung setzen und vorschlagen, ein gemeinsames Schreiben zum Thema Interzonenhandel an die Regierungen der UdSSR, der USA, Großbritanniens und Frankreichs zu richten.7 Der von Ulbricht vorgestellte Entwurf eines gemeinsamen Schreibens der Regierungen der DDR und Westdeutschlands an die vier Mächte rührt im Grunde genommen an die Frage einer Beseitigung der Kontrolle des Interzonenhandels durch die Besatzungsbehörden, unter anderem auch die sowjetischen, obwohl laut Anordnung Nr. 5159-1967ss des Ministerrates der UdSSR vom 5. November 19498 die Sowjetische Kontrollkommission verpflichtet ist, den Außenhandel der DDR und insbesondere die Ausfuhr strategischer Rohstoffe und Werkstoffe aus Ostdeutschland zu überwachen. Außerdem wird im Entwurf Ulbrichts eine Abschaffung des Artikels 15c des Potsdamer Abkommens vorgeschlagen, in welchem es heißt: „Es ist eine alliierte Kontrolle über das deutsche Wirtschaftsleben zu errichten, jedoch nur in den Grenzen, die notwendig sind: … zur Sicherung – in der Reihenfolge, die der Kontrollrat festsetzt – einer gleichmäßigen Verteilung der wesentlichsten Waren unter den verschiedenen Zonen, um ein ausgeglichenes Wirtschaftsleben in ganz Deutschland zu schaffen und die Einfuhrnotwendigkeit einzuschränken“.9

6  Diese

Mitteilung konnte im AVP RF nicht ermittelt werden. Ulbrichts hier verhandeltem Entwurf für ein gemeinsames Schreiben der DDR und der Bundesrepublik gab es keinen Politbürobeschluss. Die Initiative wurde nicht umgesetzt. 8  In der Anordnung Nr. 5159-1967ss vom 5.  November 1949 hieß es dazu unter Punkt 9: „Die Sowjetische Kontrollkommission hat sicherzustellen, dass zwischen der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik und anderen Ländern abgeschlossene Abkommen nicht den gemeinsamen Beschlüssen der Vier Mächte in der deutschen Frage und den daraus resultierenden Verpflichtungen Deutschlands widersprechen. Bei der Kontrolle des Außenhandels hat die Sowjetische Kontrollkommission von der Notwendigkeit der Sicherung der Reparationsverpflichtungen Deutschlands auszugehen und die Ausfuhr strategischer Rohstoffe in dritte Länder ohne ihre Genehmigung nicht zuzulassen.“ Vgl. Foitzik, Interessenpolitik, S. 496–503, hier S. 498 (vgl. auch UdF 4, S. 517–518). 9  Zum Potsdamer Abkommen vgl. Dok. 5, Fn. 13. 7  Zu



Dokument 89: 19. Dezember 1951421

Im Entwurf Ulbrichts ist vorgesehen, dass die Regelung der Fragen einer Transportverbindung zwischen den verschiedenen Teilen Deutschlands in den Zuständigkeitsbereich deutscher Organe fällt. So muss die durch die sowjetischen Besatzungstruppen ausgeübte Kontrolle der Verbindungswege zwischen Westberlin und Westdeutschland beendet werden. Dem kann ebenfalls nicht zugestimmt werden, da sich in Berlin Truppen der Westmächte befinden. Die Gen. Čujkov und Semenov vertreten die Auffassung, dass das von Ulbricht vorgelegte Schreiben zu keinem realistischen Ergebnis führen und keine Akzeptanz seitens der Bonner Regierung finden wird. Falls wir aber unsere Zustimmung zur Übersendung eines solchen Schreibens geben, werden die Organe der DDR meinen, sie seien in diesem Bereich frei von der Kontrolle durch die sowjetischen Behörden. Die Gen. Čujkov und Semenov sind der Meinung, man solle den deutschen Freunden mitteilen, dass die SKK zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Versendung eines solchen Schreibens an die Bonner Regierung nicht für sinnvoll hält. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Regierung der DDR momentan große Anstrengungen unternimmt, um eine gesamtdeutsche Beratung einzuberufen10 und angesichts dessen, dass der Vorschlag zum gemeinsamen Appell der DDR-Regierung und der Bonner Regierung an die vier Mächte bezüglich der Frage des Interzonenhandels dem gemeinsamen Kampf der deutschen demokratischen Kräfte für eine Einheit Deutschlands entspricht, ist das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR der Meinung, dass so ein Appell sinnvoll ist. Dabei wird davon ausgegangen, dass in dem durch die DDR-Regierung auszuarbeitenden Entwurf eines solchen gemeinsamen Schreibens keine Aussage enthalten sein darf, die auf die Beseitigung des einen oder anderen Punktes aus den Beschlüssen der Konferenz von Potsdam abzielt; außerdem dürfen keine Formulierungen enthalten sein, welche geeignet wären, die durch die sowjetischen Truppen ausgeübte Kontrolle der Verbindungswege zwischen Berlin und Westdeutschland sowie die Kontrolle der Ausfuhr von Rohstoffen und Werkstoffen aus Ostdeutschland nach Westdeutschland in Frage zu stellen. Der Entwurf des gemeinsamen Schreibens muss die Bitte der DDR-Regierung und der Bonner Regierung an die vier Mächte enthalten, der Entwicklung des Interzonenhandels und der Erweiterung der finanziellen und wirtschaftlichen Verbindungen zwischen der DDR und Westdeutschland keine Hindernisse entgegenzustellen.

10  Dies war die Forderung der beiden Volkskammerappelle vom 15. September und 10. Oktober 1951, vgl. dazu und zur vorausgegangenen sowjetischen Weisung Dok. 80, Fn. 5 und 7 und Dok. 84, Fn. 11.

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In der Anlage ist der Entwurf einer Anordnung beigefügt, der in Übereinstimmung mit den Anweisungen, wie sie auf der Sitzung vom 13.11 Dezember erteilt wurden, ausgearbeitet worden ist. Ich bitte um Prüfung.

A. Gromyko

[Anlage 2] [Entwurf] streng geheim 

____.Dezember 1951

Anordnung des ZK der VKP (b) Betr. „Antwort an Ulbricht bezüglich des von ihm vorgeschlagenen Schreibens der DDR-Regierung an die Bonner Regierung zu Fragen des Interzonenhandels Der durch das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR vorgelegte Entwurf der Weisungen an die Gen. Čujkov und Semenov (siehe Anlage12) ist zu genehmigen. AVP RF, f. 082, op. 38, p. 235, d. 84, Bl. 119–122.

11  Handschriftlich

eingefügt. dem Entwurf hieß es: „Teilen Sie Ulbricht mit, dass die Sowjetische Kon­ trollkommission es prinzipiell für sinnvoll erachtet, dass sich die Regierung der DDR an die Bonner Regierung mit dem Vorschlag wendet, einen gemeinsamen Appell an die UdSSR, die USA, England und Frankreich zur Frage des Interzonenhandels zu richten. Der Inhalt eines solchen Appells muss allerdings darauf beschränkt sein, dass die Regierungen der vier Mächte gebeten werden, die bestehenden Hindernisse für den Ausbau des Interzonenhandels zu beseitigen, da man der Auffassung sei, dass eine Ausweitung der finanziellen und wirtschaftlichen Verbindungen zwischen Ostund Westdeutschland den Interessen des deutschen Volkes entspricht. Sie haben dafür zu sorgen, dass in dem genannten gemeinsamen Appell der Regierung der DDR und der Bonner Regierung keine Bestimmungen enthalten wären, die auf die Abschaffung des einen oder anderen Punktes aus den Beschlüssen der Potsdamer Konferenz abzielen oder die sowjetische Kontrolle über die Verbindungswege zwischen Berlin und Westdeutschland sowie über die Ausfuhr von Rohstoffen und Materialien aus der DDR nach Westdeutschland aufweichen würden.“ Vgl. AVP RF, f. 082, op. 38, p. 235, d. 84, Bl. 123. 12  In



Dokument 90: 19. Dezember 1951423

90. Unterredung zwischen dem Vorsitzenden der SKK Čujkov, dem Politischen Berater Semenov und dem Reichskanzler a. D. Wirth Geheim

19. Dezember 19511

Unterredung des Vorsitzenden der SKKD, V.I.  Čujkov, und des Politischen Beraters des Vorsitzenden der SKKD, V.S. Semenov, mit Minister2 Wirth Die Unterredung fand am 19.  Dezember 1951 von 15:00 bis 16:15 Uhr im Dienstzimmer des Armeegenerals V.I. Čujkov statt Zu Beginn der Unterredung3 führte Herr Wirth aus, er sei ein politischer Gegner Adenauers und habe sich daher erkühnt, hierher zu fahren, um mit den obersten Repräsentanten der Sowjetunion und Regierungsmitgliedern der Ostzone zu sprechen. Wirth erklärte, er habe schon mit den Herren Pieck und Grotewohl sowie einigen Ministern4 Gespräche geführt. Auf der Grundlage 1  Das Original ging an Čujkov. Bei dem hier vorliegenden Dokument handelt es sich vermutlich um einen Durchdruck für Semenov. Weitere Kopien gingen an Semičastnov und das MID. Am Kopf des Dokuments sind zwei auf der Kopie nicht leserliche Aus- und Eingangsstempel, beide vom 4. Januar 1952. 2  So im Original. Gemeint ist der ehemalige Reichskanzler und Reichsinnenminister Joseph Wirth. 3  Wirth selbst äußerte sich am 3. Januar 1952 gegenüber einem Vertreter der dpa zu diesem Gespräch. Die Badische Zeitung berichtete darüber am 4. Januar auf S. 1: „Er habe bei dieser Gelegenheit die Frage des Schicksals der politischen Gefangenen in der Sowjetzone angeschnitten und eine Wunschliste für Freilassungen überreicht; deren wohlwollende Behandlung sei ihm zugesichert. Botschafter Semjonow habe betont, es sei an der Zeit, gegenüber politischen Vergehen während der ersten Nachkriegsjahre jetzt Milde walten zu lassen. Tschuikow und Semjonow hätten beide versichert, daß gesamtdeutsche Wahlen von der sowjetischen Seite ernsthaft gewünscht würden. Über seine Einstellung zum Schuman-Plan sagte Dr. Wirth, er sei während seiner Kanzlerschaft gemeinsam mit Stresemann für gute Beziehungen zu Frankreich eingetreten und er sei auch jetzt kein grundsätzlicher Gegner des Schuman-Planes. Er sei aber dafür, daß der Bundestag eine Revisionsklausel fordere, die ähnliche Erfahrungen, wie mit dem Dawes-Plan und dem Young-Plan ausschließe. Vor seiner Reise nach Ostberlin, die er schon seit langer Zeit beabsichtigt habe, habe er sich schriftlich an Bundesminister Jakob Kaiser gewandt, auf sein Schreiben aber niemals eine Antwort bekommen. Die Einladung des Oberbürgermeisters von Ostberlin, Friedrich Ebert, der ihn mit dem Auto habe abholen lassen, sei seinem Wunsche entgegengekommen, in Berlin nach Mobiliar und Akten aus seiner zerbombten Wohnung zu suchen.“ 4  Am 12. Dezember, dem Tag seiner Ankunft, war Wirth mit Grotewohl, Franz Dahlem und Wilhelm Koenen zusammengetroffen. An den folgenden Tagen traf er u. a. Ulbricht, Pieck, Dieckmann, Ebert und Nuschke. Diese waren keine Minister der DDR-Regierung, vgl. aber zur unpräzisen Verwendung der Ämterbezeichnungen in diesem Dokument auch Fn. 2 sowie 12.

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dessen, was er während seines Aufenthaltes in der Ostzone gesehen und gehört habe, möchte er einen Bericht schreiben,5 aus dem ersichtlich würde, dass die Regierung der Ostzone sich für den Frieden einsetzt. Adenauer habe gesagt, fuhr Herr Wirth fort, dass „der Osten keinen Frieden will“, er dagegen behaupte, dass „der Osten Frieden will“. Nach seiner Rückkehr in den Westen werde er wegen seines Aufenthaltes und seiner Aktivitäten in der Ostzone Schwierigkeiten bekommen.6 Von den Personen, die ihre Unterschrift unter den Vertrag von Rapallo7 gesetzt haben, seien nur noch wenige am Leben, und er könne von diesen nur noch Herrn Litvinov nennen. Čičerin, Krasin und andere weilten schon nicht mehr unter den Lebenden.8 Ungeachtet seines Alters – er zähle schon 73 Jahre, sagte Herr Wirth – wolle er sich erneut um den Aufbau von freundschaftlichen Beziehungen und Freundschaft mit der Sowjetunion bemühen. 5  Entsprechend einem im Vorfeld von Franz Dahlem entwickelten Plan sollte Wirth zunächst mit einem offenen Brief an die Mitglieder des Bundesrates und Bundestages am Neujahrstag 1952 an die Öffentlichkeit treten, auf dessen Inhalt (u. a. die Ablehnung des Schuman-Planes, der am 8. und 9. Januar im Bundestag zur Abstimmung anstand, und die Forderung nach einem Volksentscheid darüber) die SED Einfluss nahm (veröffentlicht wurde eine zuletzt von Grotewohl überarbeitete Fassung, vgl. BAB-SAPMO, NY 4090/665, Bl. 93–102) und der als „Mahn- und Kampfruf“ durch die Zeitungen ging, vgl. Neues Deutschland, 3. Januar 1952, S. 2. Ebenfalls seit Ende 1951 wurden ein (eher allgemein gehaltener) „Bericht“ sowie ein daran angeschlossenes programmatisches „Memorandum“ Wirths vorbereitet, wiederum unter maßgeblicher Beteiligung der SED (Ulbricht und Grotewohl selbst waren an der Abfassung beteiligt, vgl. Hörster-Philipps, Wirth, S. 750–755). Im Februar 1952 veröffentlichte Wirth den Bericht unter dem Titel „Die Reise hinter den Eisernen Vorhang. Der gemeinsame Weg der Deutschen zur Einheit – oder zum Krieg“, Freiburg o. J., vgl. BA Koblenz, N 1342/107. Dieser Bericht ist auch enhalten im Nachlass Dahlems, welcher im Auftrag der SED das öffentliche Auftreten Wirths maßgeblich beeinflusste, vgl. BAB-SAPMO, NY 4072/41. Zu weiteren Entwürfen von Bericht und Memorandum vgl. BAB-SAPMO, NY 4090/665, Bl. 103–200. 6  Wirth könnte damit die Weigerung bundesdeutscher Behörden gemeint haben, ihm für seine Dienstjahre als Reichkanzler und Minister eine Pension zu zahlen. Dieses Problem bestand bereits zum Zeitpunkt seiner Reise. Aber auch danach wies das Bundesinnenministerium seine Pensionsansprüche ab. 7  Zum Vertrag von Rapallo vgl. RGBl. 1922, Teil  II, S. 677–678. Zum Schriftwechsel vor und nach Vertragsabschluss vgl. ADAP A VI sowie Deutsch-sowjetische Beziehungen von den Verhandlungen in Brest-Litowsk bis zum Abschluß des Rapallovertrages, Bd. 2, Berlin (Ost) 1971. 8  Krasin, der an den Verhandlungen in Genua und Rapallo als Volkskommissar für Außenhandel beteiligt war (er war gleichzeitig Leiter der sowjetischen Handelsvertretung in Großbritannien), starb am 24.  November 1926 als sowjetischer Botschafter in London. Čičerin, seinerzeit Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten, starb am 7.  Juli 1936 nach längerer Krankheit in Moskau. Litvinov, in Rapallo stellvertretender Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten, starb kurz nach diesem Gespräch, am 31. Dezember 1951, infolge eines Herzinfarktes. Unterzeichner des Abkommens waren lediglich Čičerin und Rathenau.



Dokument 90: 19. Dezember 1951425

Er würde gerne, wie Wirth weiterhin sagte, von Herrn Armeegeneral einige Worte hören, welche auf die Wahrung des Friedens abzielten. Gen. Čujkov sagte, er könne als Militärangehöriger erneut bestätigen, dass die Sowjetunion und ihre Armee sich allzeit für die Wahrung des Friedens eingesetzt hätten und weiterhin einsetzten. Dies entspreche der Lehre des Führers und Lehrmeisters Generalissimus Stalin, der selber erster Vorkämpfer für die Sache des Friedens sei. Die Repräsentanten der sowjetischen Regierung hätten auf vielen internationalen Konferenzen wiederholt vorgeschlagen, alle Probleme auf friedlichem Wege beizulegen.9 Niemand anders als ein sowjetischer Repräsentant habe als erster das Thema der Herbeiführung der Einheit Deutschlands, des Abschlusses eines Friedensvertrages und des Abzugs aller Besatzungsstreitkräfte zur Sprache gebracht. Gen. Čujkov äußerte darüber hinaus, er hoffe, dass Herr Wirth von seiner Erklärung über die Einberufung einer gesamtdeutschen Beratung und die Durchführung gesamtdeutscher freier, demokratischer Wahlen Kenntnis habe.10 9  Malenkov hatte in der Pravda vom 21. Dezember 1949 den offiziellen sowjetischen Standpunkt zu einer friedlichen Koexistenz von Staaten verschiedener Systeme wie folgt dargelegt: „Unterdessen hat Gen. Stalin viele Male mit aller Deutlichkeit erklärt, dass die Sowjetunion von der Tatsache einer für einen langen Zeitraum unausweichlichen Koexistenz zweier Systeme ausgeht  – des Sozialismus und des Kapitalismus  – und sich fest an einen Kurs der loyalen, friedliebenden Beziehungen mit all denjenigen Staaten hält, die den Wunsch nach freundschaftlicher Zusammenarbeit unter der Bedingung, dass die Prinzipien der Gegenseitigkeit und der Erfüllung von auf sich genommenen Verpflichtungen eingehalten werden, äußern.“ Wo aus seiner Sicht die Gefährder einer solchen Koexistenz zu verorten waren, hatte Stalin in seinem Interview für die Pravda am 17. Februar 1951 (auf die Frage hin, ob ein neuer Weltkrieg unvermeidlich sei) erklärt: „Natürlich gibt es in den Vereinigten Staaten von Amerika, in England ebenso wie auch in Frankreich aggressive Kräfte, die nach einem neuen Krieg lechzen … Sie, die aggressiven Kräfte, halten in ihren Händen die reaktionären Regierungen und lenken sie … Eben deshalb durchkreuzten sie die Vorschläge der Sowjetunion über den Abschluss eines Friedenspaktes, über die Beschränkung der Rüstungen und über das Verbot der Atomwaffe, denn sie befürchten, die Annahme dieser Vorschläge würde die aggressiven Maßnahmen der reaktionären Regierungen vereiteln und das Wettrüsten unnötig machen.“ Vgl. Für dauerhaften Frieden, für Volksdemokratien Nr. 8, 23. Februar bis 1. März 1951. 10  Čujkov spielte hier auf seine in Form eines Interviews mit einem ADN-Vertreter abgegebene Erklärung zum Appell der Volkskammer (vgl. Dok. 80, Fn. 7) an, in der er unter Bezugnahme auf die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz dem deutschen Volk und den „von ihm gewählten Organe[n]“ das Recht bescheinigte, „die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands auf demokratischer und friedlicher Grundlage selbst in die Hand zu nehmen“. Der „Vorschlag der Volkskammer zur Einberufung einer Gesamtdeutschen Beratung für die Frage der Durchführung gesamtdeutscher freier Wahlen“ und das „außerordentlich große Echo“ darauf seien „Ausdruck des wachsenden nationalen Selbstbewußtseins der erstarkenden demokratischen Kräfte Deutschlands“. Des Weiteren sprach er sich für den „beschleunigten Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland mit nachfolgendem Abzug aller Besatzungstruppen“ aus, vgl. DDS 1, S. 277–279.

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Wirth versicherte, er habe die Erklärung des Armeegenerals gelesen und große Genugtuung darüber empfunden, dass in dieser Erklärung streng die in Potsdam verabschiedeten Beschlüsse eingehalten würden und die sowjetische Regierung, indem sie diese Beschlüsse einhalte, sich in der Tat für die Wahrung des Friedens einsetze. All dies vermittle Glauben und Hoffnung, da dieser Weg der einzige sei, über den Frieden erreicht werden könne. Gen. Semenov merkte an, der Abschluss des Vertrages von Rapallo sei ein großes Ereignis im Leben des deutschen Volkes gewesen. Man wisse den Mut und die Beherztheit, welche Herr Wirth als Reichskanzler beim Abschluss des Vertrages von Rapallo in einer für Deutschland äußerst schwierigen Zeit an den Tag gelegt habe, sehr zu schätzen. Die Feinde eines geeinten Deutschlands hingegen betrachteten den Vertrag von Rapallo und den sogenannten Geist von Rapallo mit Furcht.11 Wirth erklärte, er habe unlängst ein Gespräch mit einem der Minister, Herrn Schuster,12 führen müssen, der kundgetan habe: „Äh, nein, Herr Doktor, alles was recht ist, bloß nicht Rapallo.“ Er persönlich, setzte Herr Wirth fort, stehe zu diesem Vertrag, und daher ergebe sich jetzt die Frage, was für ihn zu tun sei. Er habe vor, einen schriftlichen Rapport über seine Reise zu verfassen und diesen in Westdeutschland an führende Politiker zu verteilen.13 Er wolle dort um sich herum einen Kreis von Personen organisieren: einen Kreis, dessen Zusammenstellung zu einem gewissen Grade schon festgelegt sei, der aber noch keine endgültige Gestalt angenommen habe. Diese Personen müssten eine Politik der Freundschaft mit dem Osten betreiben und für gutnachbarliche Beziehungen zur Sowjetunion eintreten, aus denen sich späterhin Freundschaft entwickeln solle.14

11  Zum Vertrag von Rapallo vgl. Fn. 7 zu diesem Dokument. Zu dessen gegensätzlicher Rezeptionsgeschichte in Ost und West in der Nachkriegszeit und zur Diskursgeschichte des Ausdrucks „Geist von Rapallo“ vgl. Walter Grottian, Genua und Rapallo 1922. Entstehung und Wirkung eines Vertrages, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 12 (1962), S. 305–328. 12  Wirth könnte hier den Ministieraldirigenten im Bundesministerium für Postund Fernmeldewesen Fritz Schuster gemeint haben, oder er (oder der Protokollant) verwechselte dessen Namen mit dem des Bundespostministers Hans Schuberth. Zur Ungenauigkeit in der Zuordnung von Personen und Funktionen in diesem Dokument vgl. Fn. 2 und 4. 13  Vgl. Fn. 5 zu diesem Dokument. 14  Zu den engeren politischen Kontakten Wirths in der Bundesrepublik vgl. Hörster-Philipps, Wirth, S. 734–735. Die mögliche Zusammensetzung des hier angesprochenen „Kreises“ wurde auch im Politbüro diskutiert, vgl. ebenda, S. 742–743. Nach den Vorstellungen der SED sollte Wirth vor allem Heinemann, Wessel und Niemöller und deren Anhänger ansprechen, kirchliche Kreise beider Konfessionen, ggf. auch Vertriebenenverbände und Einzelpersönlichkeiten wie Andreas Hermes, vgl. Amos, Westpolitik, S. 102.



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Wirth berichtete, er sei am Vortage mit Bischof Dibelius zusammen­ gekommen,15 der sich vernünftig und verständnisvoll über den Osten geäußert und auf die Intentionen des Herrn Wirth positiv reagiert habe. Hier, so fuhr Wirth fort, habe er sich bereits mit Pieck und Grotewohl getroffen und ihnen geraten, etwaige Komplikationen in der Kirchenpolitik zu meiden. Es wäre zu wünschen, wie er sich weiterhin äußerte, dass diese Differenzen gerade jetzt, in der Übergangsphase, umgangen werden könnten. Auf die Frage des Gen. Semenov, welche Position die Kirche vertrete, antwortete Wirth, dass Bischof Dibelius sehr vorsichtig agiere. Wirth sagte weiter, mit einem katholischen Bischof16 sei er noch nicht zusammengekommen, da sich ihm hierfür noch keine Gelegenheit geboten habe. Bekanntlich hätten, wie Gen. Čujkov anmerkte, dank der Energie, die beim Abschluss des Vertrages von Rapallo an den Tag gelegt wurde, Deutschland und die Sowjetunion 20 Jahre lang freundschaftliche Beziehungen zueinander pflegen können. Auch jetzt, trotz des von Hitler angezettelten Krieges, hege das sowjetische Volk gegenüber dem deutschen Volk keine Rachegefühle, was am Beispiel der freundschaftlichen Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Deutschen Demokratischen Republik deutlich zu beobachten sei. Wirth stellte fest, er habe sich im Verlaufe seiner Reise selbst davon überzeugen können, dass die Regierung der DDR frei handeln könne, und er habe, entgegen den im Westen verbreiteten Behauptungen, es gebe hier an15  Gegenüber einem „upd-Berichterstatter“ (UPD Nr.  1 [1952], S. 8) sprach Wirth über seine (in der sonstigen Presseberichterstattung selten erwähnten) Kontakte mit Vertretern der Kirche: „Abschließend erwähnte Dr. Wirth, daß es ihm ein besonderes Bedürfnis gewesen ist, mit kirchlichen Stellen in Verbindung zu treten. So habe er Gespräche mit Herrn Bischof D. Dr. Dibelius und mit dem Dekan der evangelischen theologischen Universität der Berliner Humboldt-Universität, Prof. Dr. Rost, geführt.“ Vgl. BA Koblenz, N 1342/107. Ähnlich äußerte er sich in seinem Schreiben an Heuss, vgl. Fn. 24 zu diesem Dokument. 16  Ein Treffen Wirths mit dem katholischen Bischof von Berlin, Wilhelm Weskamm, konnte im Diözesanarchiv Berlin nicht nachgewiesen werden. Laut einem Schreiben des Leiters der Bischöflichen Pressestelle Berlins, Walter Adolph, an den Beauftragten des deutschen Episkopats bei der Bundesregierung Wilhelm Böhler vom 12. Januar 1952 kam jedoch ein Treffen mit Heinrich Wienken zustande, der am 29. November 1951 als Bischof von Meißen mit Sitz in Bautzen inthronisiert worden war, zuvor jedoch in Berlin im Auftrag der katholischen Kirche mit der SMAD und später der DDR-Regierung Verhandlungen geführt hatte. Adolph schrieb dazu: „Hier bei uns in Berlin wirbelt der Besuch von Dr. Wirth viel Staub auf. Wie ich zuverlässig erfahren habe, ist er am Sonntag, dem 6.1., hier auch von Exzellenz Wienken empfangen worden.“ Vgl. Historisches Archiv des Erzbistums Köln, K[atholisches] B[üro] Zugang 683, K.  264. Wir danken Christoph Kösters für diesen Hinweis. Weder Wirth noch Wienken trugen dieses Treffen nach außen, in Wirths öffentlichen Äußerungen über seine Kontakte mit Kirchenvertretern (vgl. Fn. 15) war keine Rede von einem Treffen mit einem katholischen Geistlichen.

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geblich keinen unabhängigen Staat, selbst sehen können, dass ein solcher Staat hier existiere. Wohl habe dieser Staat, wie Wirth zu verstehen gab, sozialistische Tendenzen, doch das, so Wirth, schrecke ihn keineswegs ab. Man möchte wünschen, wie Gen. Čujkov anmerkte, dass die Bonner Regierung genau so frei wäre wie die Regierung der DDR. Wirth stimmte zu, dass die Regierung Adenauer am Gängelband Washingtons geführt werde und sagte, der Kampf gegen diese Abhängigkeit sei die Grundlage für seinen Kampf gegen Adenauer, welcher verleumderisch behaupte, dass „Russland keinen Frieden will“.17 Im Kampf gegen Adenauer, so Wirth weiter, müsse eine klare Antwort gegeben werden, und daher wolle er den Armeegeneral und den Politischen Berater bitten, im Zusammenhang mit dieser Aussage Adenauers einige Worte zu äußern. Gen. Čujkov stellte fest, dass Wirth zu Recht diese Aussage Adenauers als verleumderisch bezeichne. Er sagte, Adenauer lasse Tatsachen und Geschichte völlig außer Acht und fragte, ob der Abschluss des Vertrages von Rapallo etwa nicht der Stärkung der friedlichen Beziehungen zwischen der 17  In allen Erklärungen zur Notwendigkeit der Einbeziehung der Bundesrepublik in die westeuropäische Verteidigungsgemeinschaft bzw. in die NATO, also zu einem westdeutschen Verteidigungsbeitrag, argumentierte Adenauer mit von der UdSSR ausgehenden Gefahren: „Für Sowjetrussland muss die Einbeziehung der Bundesrepublik in seine Machtsphäre das oberste Ziel sein, und zwar aus folgenden Gründen: Die Bundesrepublik ist Nachbar von Sowjetrussland, sie hat Bodenschätze, industrielle Unternehmungen und ein qualitativ hochstehendes Menschenmaterial, so daß die Einbeziehung der Bundesrepublik in die sowjetrussische Sphäre eine sehr starke Erhöhung des sowjetrussischen Kriegspotentials mit sich bringen wird. Wenn die Bundesrepublik Deutschland in die sowjetrussische Sphäre gebracht würde, würde damit die Integration Westeuropas illusorisch werden. Dadurch würde die Schaffung eines Dammes gegenüber Sowjetrussland verhindert werden, da ein solcher Damm nur auf der Basis einer Integration Westeuropas einschliesslich Deutschlands geschaffen werden könnte. Die kommunistischen Parteien in Frankreich und Italien würden, wenn die Bundesrepublik unter kommunistischen Einfluss gerät, einen erheblichen Auftrieb erhalten. Möglicherweise würde dann ganz Westeuropa unter sowjetrussischen Einfluss geraten.“ (Rede Adenauers vor dem Ministerkomitee des Europarates in Straßburg am 3.8.1951, Redemanuskript, S. 14–15, vertraulich, StBKAH 02.09.). Einen Monat später erklärte er. „Es wäre ein verhängnisvoller Irrtum, wenn einzelne europäische Länder glauben würden, Sowjetrußland würde sich damit begnügen, den jetzigen Status seiner Macht zu halten oder lediglich noch die Bundesrepublik Deutschland in seinen Machtbereich hineinzuziehen. Das politische Ziel Sowjetrußlands ist m. E. sehr klar, sehr logisch und sehr folgerichtig. Sowjetrußland will unter allen Umständen die Demilitarisierung Deutschlands festhalten. Es will dann den Rückzug der westalliierten Truppen aus einem demilitarisierten und durch papierne Verträge neutralisierten Deutschland erreichen, und es will das, weil es weiß, daß dann – und, meine Damen und Herren, ich sage diese Worte in vollem Bewußtsein ihrer Tragweite – weil es weiß, daß dann die Bundesrepublik sehr schnell in die russische Machtsphäre kommen wird.“ (Rede Adenauers vor den NEI in Bad Ems am 14. September 1951, st. N., S. 11, StBKAH 16.08.).



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Sowjetunion und Deutschland gedient habe. Gen. Čujkov fragte weiter, ob denn die Umsetzung der Potsdamer Beschlüsse nicht der Sache des Friedens diene. Es finde sich wohl kaum ein Mensch mit gesundem Urteilsvermögen, welcher der Sowjetunion vorwerfen würde, sie halte sich nicht an die Potsdamer Beschlüsse. Er könne nur wiederholen, sagte Gen. Čujkov, dass die sowjetische Diplomatie und die Repräsentanten der sowjetischen Regierung sich immer für die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands, für den Abschluss eines Friedensvertrages und den Abzug aller Besatzungstruppen eingesetzt hätten und in Zukunft einsetzen würden. Wirth erklärte, er teile die Ausführungen des Gen. Čujkov vollumfänglich und bekundete, dass eine solche Politik der Sowjetunion bei ihm und seinen Gefolgsleuten Glauben und Hoffnung in die Zukunft entfache. Gen. Semenov wandte sich an Wirth und sagte, dass er den Darlegungen des Armeegenerals noch einige Worte hinzufügen möchte. Die Grundlagen sowjetischer Politik, führte Gen. Semenov aus, bestünden darin, dass die gewaltigen Ressourcen und Möglichkeiten, die in seinem Lande verborgen seien, schnell zur Entfaltung kommen könnten. Die Sowjetunion verfüge über riesige Naturreichtümer, das sowjetische Volk sei großartig und talentiert. Im Sowjetlande werde mit Enthusiasmus die friedliche Aufbauarbeit vorangetrieben. Man gehe davon aus, dass man in ungefähr zehn Jahren Amerika überholt haben werde, und zwar nicht nur beim Produktionsvolumen, sondern auch bei der Pro-Kopf-Produktion.18 Im Laufe der kommenden vier bis fünf Jahre wür18  Am 27. September 1959, unmittelbar vor seiner Abreise aus den USA, erklärte Chruščev in einer bis in den Satzbau hinein ähnlichen Formulierung im amerikanischen Fernsehen: „Bedenkt, dass das durchschnittliche jährliche Wachstum der Industrie in der Sowjetunion um 3–5 mal höher ist als bei euch. Deshalb werden wir in den nächsten 10–12 Jahren die Vereinigten Staaten sowohl nach dem absoluten Umfang der Industrie als auch nach der Produktion pro Kopf der Bevölkerung übertreffen. Und in der Landwirtschaft wird diese Aufgabe schon erheblich früher gelöst sein.“ Vgl. ­Pravda, 28. September 1959, S. 1–2, hier S. 2; zur veröffentlichten englischsprachigen Übersetzung vgl. Khrushchev in America, S. 203–204. Offensichtlich hatte Chruščev seine bekannte Losung nicht aus dem Nichts erfunden, sie scheint schon länger ein Bestandteil des internen Diskurses der sowjetischen Parteielite gewesen zu sein. Das Bild des „Einholens und Überholens“ in Bezug auf „kapitalistische“ Länder im Allgemeinen und die USA im Besonderen war bereits von Lenin, Stalin und anderen verwendet worden, wurde jedoch vor allem von Chruščev öffentlich mit konkreten Zahlen aufgeladen. So verwendete er diese Losung am 22. Mai 1957 vor Landarbeitern in Leningrad, hier bezogen auf die Produktion von Fleisch- und Milchprodukten: „Die in der Landwirtschaft erzielten Erfolge und die guten Aussichten für deren Entwicklung gestatten uns, eine Aufgabe von großer staatlicher Bedeutung zu stellen und zu lösen: die Vereinigten Staaten von Amerika in den nächsten Jahren bei der Produktion von Fleisch, Milch und Butter pro Kopf der Bevölkerung einzuholen.“ Vgl. Pravda, 24. Mai 1957, S. 1, vgl. auch Neues Deutschland, 25. Mai 1957, S. 5. Während seines Besuchs in den USA im September 1959 weitete er diese Ankündigung auf die

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den in unserem Lande eine Vielzahl gewaltiger Kraftwerke errichtet. Man wolle ganze Wüsten in fruchtbare Landstriche verwandeln. Die sowjetische Regierung habe bereits Projekte weiterer Baumaßnahmen in der Schublade, die eine Umkehrung der Fließrichtung gigantischer Ströme vorsähen, damit diese nicht nach Norden, sondern nach Süden flössen und riesige Regionen bewässerten. All dieses sei erforderlich, um im Sowjetlande den Kommunismus zu errichten, also eine Gesellschaft, die auf dem Prinzip „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“ beruhe. Man senke die Preise,19 um in Zukunft Brot und andere Lebensmittel gratis zu verteilen, damit die Menschen bei uns zu diesen einen genauso freien Zugang hätten wie zu Wasser und Luft. Man wolle jedem Menschen in unserem Land die Möglichkeit geben, eine Hochschulausbildung zu absolvieren. Noch vor gar nicht langer Zeit hätten die Adligen davon gesprochen, dass es nicht möglich sei, eine Mittelschulausbildung für alle einzuführen, jedoch sei dies in einigen Ländern, einschließlich der Sowjetunion, schon geschehen. Um näher an die Einführung einer Hochschulausbildung für alle, die auch in der Zukunft realisierbar wäre, heranzukommen und um das Bildungsniveau des ganzen Volkes anzuheben, sei eine Entwicklung der gesamten materiellen und geistigen Kultur des Landes notwendig. Bei dieser Entwicklung hätten die Sowjetmenschen bereits große Erfolge erzielt. Wir glaubten fest an die Umsetzbarkeit unserer Pläne und setzten unsere friedliche Aufbauarbeit fort, obwohl wir sähen, wie gegen uns ein Krieg angebahnt werde, denn wir seien uns dessen gewiss, dass wir, falls notwendig, in der Lage seien, den Aggressoren Einhalt zu gebieten. Dies seien die tief verwurzelten Gründe für den überaus friedlichen Charakter des Standpunktes und der Außenpolitik der UdSSR. gesamte Industrieproduktion aus. So erklärte er am 24. September in Pittsburgh: „Jetzt holen wir euer Land in manchem ein. Bildlich gesprochen wetteifern unsere Zugsirenen miteinander. Unseren Pfiff hört ihr immer lauter und näher. Mit jedem Jahr wird er deutlicher hörbar. Und der Tag ist nicht mehr fern, an dem wir euch auf derselben Station einholen, euch grüßen und weiterfahren. Aber voraus werden schon wir sein und nicht ihr … In unserem Land ist jetzt die Losung sehr populär: ‚Die Vereinigten Staaten einholen und überholen‘. Einige von euren Landsleuten hat diese Losung sogar erschreckt, sie haben darin eine Bedrohung für Amerika erkannt. Aber wo ist hier für euch Amerikaner die ‚Bedrohung‘? Unsere Wirtschaftsinteressen kollidieren nirgends … Wir wollen euch einholen und überholen durch Aufbietung unserer körper­ lichen und geistigen Anstrengungen, um mehr materielle Mittel zu schaffen als ihr schafft …“ Vgl. Pravda, 26. September 1959, S. 1–2. 19  Nachdem 1946 noch die Preise für die (rationierten) Lebensmittel drastisch heraufgesetzt werden mussten, konnten sie nach einer Währungsreform 1947 ab 1948 nach und nach gesenkt werden. Das Neue Deutschland sprach am 23. Mai 1951 in einer „Bilanz des friedlichen Aufbaus“ in der UdSSR etwas vereinfachend von „vier großen Preissenkungen“ (im Dezember 1947, März 1949, März 1950 und März 1951). Die letzte Preissenkung vom 1. März 1951 wurde in der gleichen Zeitung am 3. März ausführlich gefeiert (S. 1–2).



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Wirth bemerkte, es sei ihm beschieden gewesen, sich in den Jahren 1923– 1925 in Sowjetrussland aufzuhalten,20 und bereits damals habe er gesehen, mit welcher Energie man die große Aufgabe der friedlichen Aufbauarbeit angepackt habe. Gen. Semenov stellte im Anschluss daran fest, dass die Amerikaner nicht ernsthaft über eine tatsächliche Durchführung von Wahlen nachdächten21 und versuchten, diese zu verschieben, weil sie auf Krieg aus seien und nicht die Vereinigung Deutschlands, sondern den Krieg wollten, da sie befürchteten, die Bevölkerung eines vereinigten Deutschlands könne sich ihren eigenen friedlichen Dingen zuwenden und nicht über die Vorbereitung eines Krieges nachdenken. Gen. Čujkov merkte in diesem Zusammenhang an, die Amerikaner in Westdeutschland müssten Divisionen zusammenstellen, um ihre eigennützigen Interessen zu verteidigen. Sie wüssten, dass die DDR ihnen solche Divisionen nicht zur Verfügung stellen werde; daher wollten sie diese in Westdeutschland aufstellen und auf diese Weise seine Bevölkerung zu Kanonenfutter umfunktionieren. Gen. Semenov fragte Herrn Wirth, ob es in Westdeutschland Menschen gebe, die an die Vereinigung Deutschlands glaubten, und bemerkte, er verstünde nicht, warum bürgerliche Kreise gegen eine Vereinigung aufträten.

20  Wirth hielt sich erstmals 1923 in der UdSSR auf, um die Gründung der deutsch-russischen Konzession Mologa-Holzindustrie-AG vorzubereiten (deren Aufsichtsratsvorsitzender er wurde), einer von zahlreichen in der Folge des RapalloVertrages gegründeten deutsch-russischen Konzessionen. Im Zuge der Verhandlungen begegnete er erneut Čičerin und Krasin. 1924 und 1926 reiste er zwei weitere Male im Zusammenhang mit der Mologa-Konzession in die UdSSR, bevor das Unternehmen 1927 scheiterte. Vgl. die Belege in Hörster-Philipps, Wirth, S. 285–289. 21  McCloy hatte am 28.  Februar 1950 freie gesamtdeutsche Wahlen zum Ziel US-amerikanischer Politik erklärt (vgl. Dok. 18, Fn. 9). In der dem Besuch Wirths in Berlin unmittelbar vorausgegangenen Zeit hatte die Regierung der USA keine neue Initiative zur Abhaltung gesamtdeutscher Wahlen entwickelt, jedoch – zusammen mit den Regierungen Großbritanniens und Frankreichs – die Vorschläge der Bundesregierung vom 4.  Oktober 1951 (vgl. Dok. 86, Fn. 2) begrüßt. Trotz anfänglicher Bedenken unterstützten die USA auch den darin enthaltenen Vorschlag der Einsetzung einer UN-Kommission (vgl. FRUS 1951 III, S. 1793–1795) und brachten gemeinsam mit Großbritannien und Frankreich einen entsprechenden Antrag bei der UNO ein. Der Kontext von Semenovs Äußerung könnten hier die Beratungen des Politischen Sonderausschusses der Vollversammlung der Vereinten Nationen in Paris vom 4.–19. Dezember über diesen Antrag gewesen sein (vgl. dazu Kabinettsprotokolle, Bd. 4 [1951], S. 819, Anm. 1). Am 20. Dezember beschloss die Vollversammlung, eine Untersuchungskommission einzusetzen und in die Bundesrepublik und die DDR zu entsenden (vgl. Bemühungen der Bundesrepublik, S. 61–62, und Dok. 101, Fn. 2). In diesem Fall sah Semenov die Forderungen nach Einsetzung der UN-Kommission offensichtlich als eine nicht ernstzunehmende Initiative an.

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Herr Wirth gab zur Antwort, Vertreter bürgerlicher Kreise seien deswegen gegen eine Vereinigung, weil sie sich ängstigten, ihr Vermögen zu verlieren, was ja geschehen werde, wenn im vereinigten Deutschland dieselben Reformen vollzogen würden wie sie in der Ostzone vollzogen worden seien, und er verwies auf die Durchführung der Bodenreform in der DDR22. Was jedoch diejenigen anbelange, welche an eine Vereinigung Deutschlands glaubten, so seien, wie Herr Wirth anmerkte, solche Menschen vorhanden, und ihre Bewegung wachse und erweitere sich. Gen. Semenov brachte zum Ausdruck, dass nach der Durchführung der Bodenreform in der DDR Grundstücke bis zu 100 Hektar geblieben seien,23 dass absolut keine Verpflichtung bestehe, sich in Westdeutschland an die Regeln der DDR-Bodenreform zu halten, und dass eine Reform noch besser abgewickelt werden könne. Gen. Čujkov merkte an, er als Militärangehöriger könne sagen, dass ein Krieg, wie ihn die Westmächte zu schüren versuchten, für Deutschland den größten Schaden mit sich bringen werde, und dass die Bomben und Geschosse, die auf sein Territorium niedergehen würden, weder die Habschaften von Großgrundbesitzern noch die von Unternehmern oder Landwirten verschonen würden. Deutschland werde, und dies gäben die Westmächte selbst 22  Vgl. zur Bodenreform grundlegend Arnd Bauerkämper (Hrsg.), „Junkerland in Bauernhand“? Durchführung, Auswirkungen und Stellenwert der Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone, Stuttgart 1996. Parallel zur Bodenreform wurden in der SBZ zwischen 1946 und 1948 ca. 9 300 Industrieunternehmen, Handwerks-, Gewerbe- und andere privat geführte Betriebe verstaatlicht. Seit März 1946 wurden durch die Zentrale Deutsche Kommission für Sequestrierung und Beschlagnahme zum einen von der SMAD auf Grundlage der Befehle Nr. 124 und Nr. 126 als „Entnazifizierungsmaßnahme“ bereits beschlagnahmte Betriebe enteignet und zum anderen weitere Betriebe zur Enteignung ausgewählt. Formaler Anlass war zumeist die vermeintliche oder wirkliche NS-Vergangenheit der Eigentümer, die Kriterien für die Enteignung waren jedoch in erster Linie wirtschaftlicher Art. Bei fehlender politischer Belastung der Unternehmer wurde anhand des Umsatzes des Betriebes über die Enteignung entschieden. Die Enteignungen betrafen alle größeren Betriebe bis in den Mittelstand hinein, Kleinstbetriebe waren in geringerem Maße betroffen. Vgl. dazu Rüdiger Schmidt, Vom ‚autoritären Korporatismus‘ zur Planökonomie: Der gewerbliche Mittelstand in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, in: Das letzte Jahr der SBZ. Politische Weichenstellungen und Kontinuitäten im Prozeß der Gründung der DDR, hrsg. von Dierk Hoffmann und Hermann Wentker, München 2000, S. 221– 244, hier v. a. S. 221–228. Vgl. auch UdF  2, S. 108–111, 160 sowie Anm. 120 und 121. Zu der am 30. Juni 1946 in Sachsen durchgeführten Volksbefragung und Reaktionen darauf vgl. ebenda, S. 466–467, 516–520, 524, 544–547 und Anm. 401. 23  Zur Beteiligung von Semenov an der Bodenreform vgl. Jochen Laufer, Die UdSSR und die Einleitung der Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone, in: Arnd Bauerkämper (Hrsg.), „Junkerland in Bauernhand“? Durchführung, Auswirkungen und Stellenwert der Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone, Stuttgart 1996, S. 21–35, hier S. 23–27 und 31–33. Vgl. dazu auch UdF  2, S. 118–125 und 256–258.



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zu, der Hauptschauplatz der Kampfhandlungen sein. Vor diesem Hintergrund sei überhaupt nicht zu verstehen, wie sich die bürgerlichen Kreise unter natio­nalem Gesichtspunkt einen zukünftigen Krieg vorstellten. Wirth antwortete, ihm sei vollkommen bewusst, dass ein neuer Krieg für Deutschland das vollkommene Verderben bedeuten werde. Nach seiner Rückkehr, so setzte Wirth fort, werde er ein Schreiben an den Bundespräsidenten richten, in welchem er ihn bitten werde, die leere Polemik mit Adenauer zu beenden. In Beantwortung der Frage des Gen. Čujkov, ob Herr Wirth glaube, dass bei Heuss noch irgendwelche demokratischen Tendenzen erhalten geblieben seien, sagte Wirth, dass er seit langer Zeit mit Heuss bekannt sei, zu ihm immer freundschaftliche Beziehungen unterhalten und daher das Recht habe, frei und offen mit ihm zu reden. In einem oder zwei Tagen, so Wirth, werde er ein Schreiben an Heuss verfassen mit der Bitte, die leere Polemik zu stoppen, außerdem werde er darauf hinweisen, dass nicht nur mit Pieck und Grotewohl, sondern auch mit namhaften Repräsentanten der Sowjetunion Kontakt aufgenommen werden müsse.24 Abschließend gab Wirth zu verstehen, dass er im Anschluss an seine Rückkehr nach Westdeutschland alles daransetzen werde, um für alle Menschen einen Weg zur friedlichen Lösung der Fragen aufzutun. Er sehe darin seine Mission, wobei, wie Wirth sich ausdrückte, er nicht auf Geheiß von wem auch immer, sondern auf eigene Initiative und aus eigener Überzeugung heraus handele und ihm, einem friedliebenden Deutschen, hier niemand Anweisungen erteilen könne.25 24  In seinem vom 21. Dezember datierten Brief an Bundespräsident Heuss bezeichnete Wirth die „Frage der Ernsthaftigkeit ostzonaler Politiker“ als seine Motivation für die Reise und beantwortete sie wie folgt: „Die hiesigen namhaften Politiker fußen fest auf dem Boden der Potsdamer Beschlüsse, die zweifelsfrei gesamtdeutsche Wahlen und die Einheit Deutschlands fordern. Von dieser politischen Linie werden die die hier verantwortlichen Politiker nicht abweichen. Es war für mich ein Gebot politischer Klugheit, auch verantwortliche Russen in Karlshorst klar und deutlich zu fragen, ob sie heute noch und in Zukunft ebenso zu den Potsdamer Beschlüssen stehen, wie das bisher der Fall war. Ich bin nun überzeugt davon und behalte mir vor, darüber Näheres zu berichten. Aus dieser meiner erneut gewonnenen und bestätigten Auffassung widerspreche ich deshalb allen nur polemischen Ausführungen deutscher Politiker gegen den Osten.“ Vgl. BAB, DC 20/23387, Bl. 91–93. 25  Der Spiegel berichtete über die Aktivitäten von Wirth: „Des alten Joseph Wirths Einladung zu seinem Besuch in Ostberlin geht schon auf Fühlungnahmen nach Otto Grotewohls erster gesamtdeutscher Initiative im November 1950 zurück.“ Wirth sei überzeugt: „,Eine Wiedervereinigungspolitik zwischen Osten und Westen ist nur ohne Adenauers Person durchzuführen.‘ Wenn man ihn auf die Gründe für seine Berlin-Reise anspricht, sagt Joseph Wirth ehrlich: ‚Ich wollte mal wissen, ob man nach so langem Untertauchen noch eine Stimme hat.‘ Und der stellvertretende politische Sowjetberater Iljitschow versicherte vor SED-Funktionären: ‚Wirths Anwesenheit in Ostberlin wird auf die bürgerlichen Kreise in Westdeutschland starken Eindruck machen.‘ “ Vgl. Der Spiegel 2/1952, S. 6–7.

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Danach wandte Wirth sich an Gen. Čujkov und sagte, er habe eine Bitte. Er wolle sich insbesondere für einige Häftlinge einsetzen, die im WaldheimProzess schuldig gesprochen worden seien.26 Wirth legte dar, unter den Verhafteten befänden sich einige seiner persönlichen Bekannten, und er habe über diese Angelegenheit bereits mit Pieck und Grotewohl gesprochen,27 denen er eröffnet habe, dass diese Leute keine Straftäter seien, sondern eher als charakterlos bezeichnet werden könnten. Herr Wirth gab zu verstehen, dass es sich in diesem Falle um drei Personen handele, und er nannte dabei deren Familiennamen: Dr. Scharp, der sein eigener Journalist gewesen sei,28 Herrn Herle und Dr. Stumpf. Für ihn und seine Aktivitäten wäre es wichtig, dass seine Fürsprache zugunsten dieser Häftlinge im Westen bekannt werde. Gen. Čujkov und Gen. Semenov antworteten ihm, sie wollten sich dieses Themas annehmen. Aufzeichnung des Gespräches durch den Chefdolmetscher Bogomolov AVP RF, f. 0457a, op. 12, p. 65, d. 3, Bl. 6–12.

26  Gemeint sind die sogenannten „Waldheimer Prozesse“, die in Westdeutschland bereits damals zu einem Synonym für DDR-Unrecht wurden. Die Prozesse fanden im Zeitraum vom 21. April bis zum 29. Juni 1950 im Zuchthaus der sächsischen Kleinstadt Waldheim statt. Mehrere Strafkammern des Landgerichts Chemnitz verhandelten dort gegen 3442 Personen, denen vorgeworfen wurde, Kriegs- bzw. nationalsozialistische Verbrechen begangen zu haben. 3324 Angeklagte wurden verurteilt, überwiegend zu Freiheitsstrafen von 15 bis 25 Jahren, aber es wurden auch 32 Todesurteile gefällt, von denen 24 am 4. November 1950 vollstreckt wurden. Die Masse der Prozesse verlief im Schnelldurchgang – die einzelnen Verfahren dauerten häufig nur wenige Minuten. Lediglich in zehn Fällen wurden öffentliche Prozessen geführt. Nach massiven Protesten im Westen wurden ab 1952 zahlreiche Verurteilte freigelassen oder das Strafmaß reduziert. 27  Im Bericht des Spiegel (vgl. Fn. 25) hieß es dazu: „,Es gab keine Unterhaltung, bei der ich nicht die Frage der politischen Gefangenen in der DDR angeschnitten hätte‘, sagt Dr. Wirth. Auf einer Liste von politischen Gefangenen, die er Semjonow übergab, damit sie freigelassen würden, steht an prominenter Stelle Werner Pünder, der Bruder des ehemaligen bizonalen Oberdirektors und Kölner Oberbürgermeisters MdB Hermann Pünder, den die Amerikaner 1946 den Russen auslieferten, die ihn ins sächsische Zuchthaus Waldheim setzten.“ Vgl. Der Spiegel 2/1952, S. 6–7, hier S. 6. Zum Engagement Wirths für Verurteilte v. a. der „Waldheimer Prozesse“ während seines Aufenthaltes in Berlin vgl. zusammenhängend Hörster-Philipps, Wirth, S. 844–849. Am 30. Dezember 1952 teilte Grotewohl Wirth mit, dass seine Gnadengesuche in 40 Fällen zu einem Straferlass und in 21 Fällen zu einer Strafmilderung geführt hätten, in 123 Fällen jedoch nicht hätten berücksichtigt werden können, vgl. ebenda, S. 849. 28  Scharp war Ende der 1920er Jahre Redakteur der von Wirth mitherausgegebenen Wochenschrift Deutsche Republik gewesen.



Dokument 91: 4. Januar 1952435

91. Aufzeichnung aus dem Auswärtigen Amt 

Bonn, 4. Januar 19521

Betrifft: Lückenlosere Beobachtung der UdSSR Bezug: Wunsch von Herrn Dr. T. Kordt (3.1.52 um 10 Uhr). Die laufende Beobachtung der Vorgänge in der UdSSR, die im Dienste der Bundesregierung stattfindet, kann das in zahlreichen wichtigen Fragen herrschende Dunkel nicht2 in einem solchen Masse aufhellen, wie es das deutsche Interesse verlangt. Das ist so, obwohl nicht nur eine, sondern mehrere Stellen Sowjetforschung betreiben. (Bundeskanzleramt/Amt für Presse- und Informationswesen – Rundfunk und Presse –; unser Haus – Presse –; Bundesministerium des Inneren/Bundesamt für Verfassungsschutz – Rundfunk und Presse –; Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen/Ostforschungsorgan – Presse, Rundfunk und Berichte von Personen –; Freie Universität Berlin/Osteuropainstitut – Presse und Fachliteratur –; Nachrichteninstitute der Presse – Presse und Funk – usw. usw.) Der Grund dafür besteht darin, dass jede einzelne der Stellen in der Regel ohne jegliche Koordination ihrer Arbeit mit der Arbeit der anderen Stellen ihre Tätigkeit ausübt. Eine wirklich gründliche Beobachtung verlangt einen personell und technisch grossen Apparat, da die Einzelheiten, aus denen das Bild von der Gesamtlage der UdSSR zusammengetragen werden muss, nur zum Teil von den zentralen Sendern und der geringen Zahl der ausgewerteten wichtigsten Zeitungen und Zeitschriften geliefert werden. Allein die sorgfältige Aufzeichnung der Meldungsinhalte aller, also auch der peripherialen Sender und die Auswertung einer möglichst grossen Anzahl von Zeitungen und Zeitschriften (auch zweitrangiger) vermag die Zahl der Kenntnislücken in die Nähe des möglichen Mindestmasses hinunterzubringen. Da die geringen Haushaltsmittel den einzelnen Stellen der Bundesregierung die Errichtung und Erhaltung so umfangreicher und kostspieliger Beobachtungsapparate nicht gestattet, bleibt ihre Unterrichtung auf diesem wichtigen Fachgebiet fragmentarisch. Es wäre am zweckmässigsten, ein einziges Forschungsorgan zu errichten, dem sämtliche – bisher für die einzelnen Stellen gesondert und damit zersplittert angewandten – Mittel zur Verfügung stünden. Ein solches Organ 1  Durchdruck. Die Datierung ergibt sich aus einer Eintragung am Schluss des Dokuments „Th. 4/1“. Auf der ersten Seite zeichnete Kossmann am 5. Januar 1952 ab. Auf der gleichen Seite findet sich auch der Eingangsstempel der Abteilung 3 des Auswärtigen Amtes vom 2. Mai 1952. Am linken Rand findet sich ein unleserlicher Vermerk von Kordt. 2  Alle hier und im Folgenden hervorgehobenen Wörter sind im Original maschinenschriftlich unerstrichen.

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könnte mit seiner zweifellos weit ausreichenderen personellen und technischen Ausstattung allen Bundesministerien laufend ein nach dem Rahmen der Möglichkeiten vollständiges Material im Urtext zufliessen lassen. Die Referenten der Ministerien hätten die Aufgabe, dieses Material nach den Gesichtspunkten ihrer Häuser auszuwerten. Aber vorderhand ist mit einer solchen Lösung kaum zu rechnen, da ihr zu viele subjektive und objektive Hindernisse im Wege sehen. Diese Schwierigkeiten kennzeichnen nicht nur Deutschland; auch in den USA und England arbeiten zahlreiche Stellen unkoordiniert – allerdings mit grösseren Mitteln – auf dem Gebiete der Sowjetforschung und führen so verständlicherweise zu unfruchtbaren Parallelismen. Von diesen ausländischen Stellen ist z. B. bekannt, dass sie ihre Informationsquellen vor einander streng geheim halten und ihre freien Mitarbeiter verpflichten, keiner anderen Stelle des eigenen Landes irgendwelche Nachrichten über die UdSSR zu liefern. Dieser ausgesprochene Ungeist der Konkurrenz unter den Bediensteten eines Landes auf der Jagd nach sensationellen Aktualitäten ist in der Bundesrepublik sicher nicht in diesem hohen Masse vorhanden. Das Wenige aber, das vorhanden ist, genügt, um unter den Mitarbeitern der verschiedenen Stellen der staatlichen Ostforschung eine Atmosphäre der Zurückhaltung zu schaffen, die weit über den Grad der vorgeschriebenen Schweigepflicht hinausgeht. Da aber auch die Kenntnis von einem anderen Lande Wissenschaft ist und um so lückenloser sein wird, je mehr einwandfrei beobachtete Tatsachen ihre Grundlage bilden und je mehr Fachleute ihre Erkenntnisse zusammentragen, muss diese Zurückhaltung zu dem erwähnten fragmentarischen Charakter dieses Wissensgebietes führen. Es ist möglich, diese hinderliche Zurückhaltung mitsamt ihren Folgen auf die Weise zu beseitigen, dass von oberster Stelle ein Erfahrungsaustausch der Fachleute für Sowjetfragen in festen kürzeren Zeitabständen unter gleichzeitiger Aufhebung der Schweigepflicht innerhalb dieses Gremiums angeordnet wird. Das würde führen: 1) zu einem kollegialen Vertrauensverhältnis der Teilnehmer untereinander, zumal wenn sie erkennen, dass niemand ihre kollegiale Aufgeschlossenheit missbraucht, 2) zur gegenseitigen geistigen Anregung, 3) zu einer weniger lückenhaften und einseitigen Behandlung der Probleme und schliesslich 4) automatisch zu einer sinnvollen Koordination dieses Forschungswesens. PA AA, B 11, Bd. 287, Bl. 252–254.



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92. Vermerk von Botschafter Appelt 

Moskau, 4. Januar 19521

Für Herrn Staatssekretär Ackermann Am 3. Januar wurde die Mission vom Moskauer Patriarchat aus angerufen und ihr mitgeteilt, daß Pastor Niemöller mit seiner Tochter in Moskau sei2 und daß der Genannte den Wunsch habe, den Chef der Mission aufzusuchen. Das Patriarchat fragte an, wann der Besuch Niemöller erwünscht sei. Der Botschafter ließ antworten, daß er Herrn Niemöller am 4. Januar um 11 Uhr erwarte.3 Dr. Martin Niemöller erschien zur genannten Zeit mit seiner Tochter. Die Unterredung, die er mit Botschafter Appelt führte, dauerte genau eine Stunde. Ihr wesentlicher Inhalt ist nachfolgend wiedergegeben: Nach der gegenseitigen Begrüßung, wobei es Pastor Niemöller für ganz selbstverständlich hielt, daß er die Mission der DDR besucht, begann er sofort darüber zu sprechen, daß er die Meinung des Botschafters über zwei Fragen hören möchte: a) über die in der SU arbeitenden deutschen Spezialisten4 b) über die noch hier zurückgehaltenen Kriegsgefangenen, bezw. Kriegsverbrecher.5

1  Original.

2  Zu den Diskussionen im Vorfeld von Niemöllers Moskaureise vgl. AdG 21 (1951), S. 3260 und AdG  22 (1952), S. 3281 und 3282. Zu Niemöllers eigener Darstellung im Spiegel 3/1952 vom 16.  Januar („Meine Reise nach Moskau“) vgl. Dok. 100, Fn. 3. 3  Im Bestand MfAA des PA AA konnte nicht festgestellt werden, ob Appelt bereits aus Berlin über den Besuch Niemöllers informiert und dazu instruiert wurde. 4  Zu den deutschen Spezialisten in der UdSSR vgl. Dok. 15, Fn. 5 und 7. 5  Gegen die meisten der bis dahin zurückbehaltenen Kriegsgefangenen waren in den Jahren 1949 und 1950 Verfahren wegen Kriegsverbrechen durchgeführt worden, die großenteils nicht damaligen internationalen Rechtsvorstellungen entsprachen, insofern die Angeklagten zumeist in schematisierten Massenverfahren etwa wegen der Zugehörigkeit zu einer als verbrecherisch eingestuften Organisation oder Einheit verurteilt wurden (vgl. zu dieser Diskussion auch Dok. 93; zu den Rechtsgrundlagen der Urteile vgl. Friedrich-Christian Schroeder, Das Sowjetrecht als Grundlage der Prozesse gegen deutsche Kriegsgefangene, in: Sowjetische Militärtribunale, Bd. 1: Die Verurteilung deutscher Kriegsgefangener 1941–1953, hrsg. von Andreas Hilger, Ute Schmidt und Günther Wagenlehner, Köln/Weimar/Wien 2001, S. 69–92). Am 4.  Mai 1950 hatte die TASS daraufhin den Abschluss der Rückführung aller deutschen Kriegsgefangenen gemeldet mit Ausnahme von 13 532 Personen, die als Kriegsverbrecher verurteilt worden seien oder deren Verfahren noch liefen (vgl. Dok. 28, Fn. 6).

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Zur ersten Frage erklärte Niemöller, daß er in Deutschland mit mehreren Spezialisten, die aus der SU zurückgekehrt sind, gesprochen habe und daß er sich für das Schicksal der noch hier gebliebenen sehr interessiere. Besonders sprach er über eine Gruppe von Spezialisten, die in Monino bei Moskau beschäftigt sind und er fragte den Botschafter, ob er diese Spezialisten besuchen könnte. Er sprach dabei von evangelischer Betreuung der Spezialisten. Botschafter Appelt erklärte daraufhin, daß er Herrn Niemöller in bezug auf die deutschen Spezialisten in der SU vollkommen beruhigen könne; der Rücktransport der Spezialisten sei in vollem Gange; im Monat Januar werden einige Tausend von ihnen zurückfahren und die ganze Frage würde in kürzester Zeit nicht mehr existieren.6 Ein Besuch in Monino sei bei der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht empfehlenswert und auch nicht notwendig. Den Spezialisten in Monino gehe es sehr gut, wie es überhaupt allen deutschen Spezialisten gut gehe. Ihre Kinder studieren hier an den Hochschulen, die Spezialisten schicken Geld nach Hause und die Mission habe mit den einzelnen Kollektiven Verbindung, stehe mit ihnen in Korrespondenz und alles vollziehe sich absolut normal. Botschafter Appelt könne Herrn Niemöller, ohne ein Geheimnis zu verraten, sagen, daß die sowjetische Regierung daran interessiert sei, die Frage der Spezialisten so rasch wie möglich zu liquidieren und zeigt in dieser Richtung auch das größte Entgegenkommen. Wenn die Rücktransporte nicht schneller gehen, so sei das mit produktionstechnischen Gründen zu erklären. Pastor Niemöller war über diese Antwort des Botschafters sichtlich beruhigt und kam in weiteren Verlauf der Unterredung auf seine Absicht, Spezialisten in Monino zu besuchen, auch nicht mehr zurück. Die Tochter des Herrn Niemöller behauptete, daß sie kürzlich davon gehört habe, daß noch im vorigen Jahr ein größerer Transport von deutschen Spezialisten nach der SU abgefertigt worden wäre. Der Botschafter erklärte diese Meldung als ein falsches Gerücht,7 denn nach 1947 seien keine deutschen Spezialisten mehr nach der SU gefahren. Dann kam Pastor Niemöller auf die Frage der sich noch in der SU befindenden Kriegsgefangenen bezw. Kriegsverbrecher zu sprechen. Er begann damit, daß er schilderte, welche Hetze in Westdeutschland in dieser Frage getrieben werde und wie schwer er es haben würde, wenn er nach seiner Rückkehr aus der SU zu dieser Frage nichts sagen könne. Er sprach hier auch von der humanen Seite der Frage, von der Notwendigkeit eines sowjetischen Entgegenkommens usw. Wichtig war jedoch, daß Niemöller die Frage der Kriegsverbrecher keineswegs im Sinne der westlichen Propaganda auf6  Vgl. dazu Dok. 15, Fn. 7. Im Verlauf des Jahres 1952 kehrte ca. ein Drittel der Spezialisten nach Deutschland zurück. 7  Nach 1947 gab es keine größeren Transporte von deutschen Spezialisten in die UdSSR.



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warf, sondern daß er erklärte, daß er die sowjetische Ziffer von rund 13 000 Kriegsverbrechern für richtig halte.8 Höhere Ziffern über Kriegsgefangene erklärte er ausdrücklich als Irreführung der Öffentlichkeit und sprach davon, daß seit 1943 Hunderttausende deutscher Soldaten unbekannt umgekommen seien. Niemöller bewies im ganzen genommen in dieser Frage Objektivität und deshalb konnte der Botschafter mit ihm auch darüber diskutieren. Niemöller fragte den Botschafter ausdrücklich, ob dieser es für richtig halten würde, wenn Niemöller bei seien Besprechungen die Frage der verurteilten Kriegsgefangenen aufwerfen würde, bezw. den Wunsch aussprechen würde, mit einer bevollmächtigten Persönlichkeit der SU über diese Frage zu sprechen. Er wolle dies nicht aus Feindseligkeit tun, sondern aus dem Gefühl der Freundschaft heraus, damit er nach seiner Rückkehr aus der SU in Westdeutschland darüber etwas sagen kann. Er fragte den Botschafter, ob es in der SU eine ähnliche Organisation gäbe wie das „Rote Kreuz“, ob man die Namen von verurteilten Kriegsgefangenen erfahren könne, und ob es überhaupt Aufzeichnungen über die verurteilten Kriegsgefangenen gäbe. Der Botschafter erklärte ungefähr folgendes: Die SU habe in der genannten Frage absolut nichts zu verbergen. Die Ziffer, welche von der Sowjetregierung offiziell angegeben wurde, sei richtig und er könne auf Grund seiner Erfahrungen die Richtigkeit dieser Ziffer nur bestätigen. Alle anderen Behauptungen seien von Feinden der SU ausgestreut und jeder, der sich der feindlichen Argumentation bemächtige, begehe am deutschen Volke einen sehr schlechten Dienst. Der Botschafter begreife, daß Pfarrer Niemöller die Frage der ehemaligen Kriegsgefangenen am Herzen liege und seiner Meinung nach werden dafür auch die sowjetischen Stellen Verständnis haben, wenn Pastor Niemöller diese Frage aufwirft. In der SU gibt es die Organisation des „Roten Kreuzes und des Roten Halbmondes“ und diese verfügen sicherlich in bezug auf die verurteilten Kriegsgefangenen über genaue Aufzeichnungen. Behauptungen, daß die SU keine Aufzeichnungen über die Kriegsgefangenen geführt habe, seien nichts anderes als feindliche Verleumdungen.9 Niemöller 8  Zu den offiziell verlautbarten Zahlen der deutschen Kriegsgefangenen in der UdSSR vgl. Fn. 5 zu diesem Dokument sowie Dok. 28, Fn. 6. Die tatsächliche Zahl der Kriegsgefangenen zu dieser Zeit lag höher. Erich Maschke gab in diesem Zusammenhang eine Zahl von über 27 000 für das Jahresende 1951 an, vgl. Erich Maschke (Hrsg.), Zur Geschichte der deutschen Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkrieges, Bd. 15: Die deutschen Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkrieges. Eine Zusammenfassung, Bielefeld 1974, S. 192–193. Möglicherweise bestätigte Niemöller hier aus taktischen Gründen die 1950 veröffentlichte Zahl. 9  Die Kriegsgefangenen wurden in der UdSSR im Regelfall bei der Aufnahme in die Lager der GUPVI durch den NKVD aktenmäßig erfasst. Missverhältnisse zwischen den in der UdSSR bekanntgegebenen Zahlen und westlichen Schätzungen und Vermisstenzahlen ergaben sich zu einem Teil auch durch die sehr große Zahl derer, die noch vor der Registrierung verstarben.

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erklärte daraufhin daß es wichtig wäre, wenn erreicht werden könnte, daß die Namen der rund 13 000 Verurteilten veröffentlicht würden, weil dann alle jene Familien, die von der gegnerischen Propaganda angesteckt noch auf die Rückkehr ihrer Angehörigen warten, mit einem Schlage Klarheit erhalten würden. Pastor Niemöller hatte bei der Aufwerfung der Frage der Kriegsgefangenen sicherlich erwartet, daß der Botschafter ihm abraten würde, die Frage in seinen Gesprächen aufzuwerfen und er war sichtlich erstaunt, als der Botschafter dies nicht tat und ihm im Gegenteil erklärte, daß die SU in dieser Beziehung überhaupt nichts zu verheimlichen habe. Der Botschafter fragte dann Pastor Niemöller, ob bereits ein Besichtigungsprogramm für ihn festgelegt sei. Niemöller verneinte und erklärte, daß er in dieser Hinsicht etwas unzufrieden sei, da er die wenigen Tage seines Hierseins auf äußerste ausnutzen möchte. Nach seinen Wünschen gefragt erklärte er, daß er gern einen Betrieb und einen Kolchos besichtigen und mit dem sowjetischen Friedenskomitee gern eine Besprechung führen möchte. Sein Rückflug müßte bereits Dienstag früh erfolgen, da er unaufschiebbare Arbeiten zu erledigen habe, die mit der Festsetzung seines Arbeitsprogramms für das ganze Jahr zusammenhängen. Seine Gastgeber haben die Notwendigkeit seiner Rückkehr auch anerkannt, außerdem sei er, wenn er eine neuerliche Einladung erhalten würde, gerne bereit, im Sommer dieses Jahres noch mal nach der SU zu kommen. Der Botschafter beruhigte Niemöller wegen des Besichtigungsprogramms und erklärte es als eine Höflichkeit des Gastgebers, wenn nicht gleich am ersten Tage ein genauer Organisationsplan festgelegt worden sei. Der Botschafter brachte dann das Gespräch auf die deutsch-sowjetische Freundschaft und informierte Niemöller über die Einstellung der Sowjet­ regierung und des sowjetischen Volkes überhaupt zu dieser Frage. Pastor Niemöller erklärte, daß er ein unbedingter Anhänger der deutsch-sowjetischen Freundschaft sei und daß das deutsche Volk ohne ein gutes Verhältnis zur Sowjetunion nicht existieren könne. Er berief sich dabei u. a. auf Bismarck. Er sagte auch, daß der Gedanke einer deutsch-sowjetischen Verständigung in Westdeutschland in den letzten zwei Jahren bedeutend an Raum gewonnen habe. Über seine Eindrücke in Moskau befragt erklärte er wörtlich folgendes: „Ich habe an einem Tage auf der Straße schon so viel gesehen, daß ich im Westen tausende Behauptungen widerlegen kann.“ Er betrachte es als seine Aufgabe, nach seiner Rückkehr im Sinne der Herstellung eines freundlichen Verhältnisses zwischen beiden Völkern zu wirken. In der Diskussion zur Frage der Aufstellung einer deutschen Armee meinte er, daß es viel darauf ankäme, die Bildung einer Armee bis zu den Bundestagswahlen 1953 herauszuschieben. Jede Partei, die für die Aufstellung einer Armee in Westdeutschland eintritt, wird bei den kommenden Parlamentswahlen eine vernichtende Niederlage erleiden. Dies wisse auch die jetzige Regie-



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rungskoalition. Für die nächsten Parlamentswahlen sagte Niemöller eine sozialdemokratische Mehrheit im Bundestag voraus, falls die CDU ihre Remilitarisierungspolitik fortsetze.10 Über sein Verhältnis zu Schumacher befragt sagte er folgendes: „Ich lehne die politische Konzeption von Schumacher ab, schätze ihn jedoch als Mensch.“ Schumacher sei eine imponierende Persönlichkeit, er verfüge über ein sehr großes Wissen, sei schlagfertig und energisch. Über Schumachers Politik befragt erklärte er, daß die SPD-Mitglieder durchaus nicht alle der Meinung von Schumacher seien und daß es auch in der Führung der SPD verschiedene Strömungen gibt. Er sprach dabei von Carlo Schmid11 u. a. Zum Schluß der Unterredung bedankte sich Pastor Niemöller beim Botschafter für den guten Empfang und für die Informationen. Appelt12 PA AA, MfAA A, Bd. 608, Bl. 341–343.

10  Die nächste Bundestagswahl fand am 6.  September 1953 statt, dabei konnte die CDU/CSU 45,2 Prozent der abgegebenen Stimmen erzielen. Daraufhin bildete sie zunächst mit vier DP- und zwei BHE-Abgeordneten die Regierung. 11  Im Original fälschlich „Karlo Schmidt“. 12  Handschriftlich.

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93. Unterredung zwischen dem stellvertretenden Außenminister Zorin und dem stellvertretenden Vorsitzenden des Rats der EKD Niemöller Geheim

7. Januar 19521

Aus dem Tagebuch2 von V.A. Zorin Empfang von Martin Niemöller Heute empfing ich das Mitglied der Leitung der Evangelischen Kirche Westdeutschlands3, Pastor Martin Niemöller. Niemöller, der sich begeistert über seinen Empfang in der UdSSR äußerte, sagte, er habe nicht vorgehabt, um ein Treffen mit einem Repräsentanten des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR zu bitten, da er kein Politiker sei. Seine Freunde und er sähen es nur als ihre Pflicht an, alles zu tun, was einer Wiederbewaffnung Westdeutschlands entgegenwirken und der Knüpfung freundschaftlicher Beziehungen zwischen Deutschland und der UdSSR förderlich sein könnte. Es gebe allerdings eine Frage, die ihn veranlasse, sich an offizielle Vertreter der UdSSR zu wenden. Unter den Argumenten der gegnerischen Propaganda, mit denen sich die Friedensanhänger in Westdeutschland auseinandersetzen müssen, gebe es ein äußerst schlagkräftiges Argument, das da laute: „Wenn die UdSSR mit Deutschland Frieden und Freundschaft will, warum hält sie dann immer noch mehr als 13 000 deutsche Kriegsge­ fangene, die schon seit 6–10 Jahren fern ihrer Heimat sind, bei sich fest?“4 1  Das Original ging an Vyšinskij. Kopien gingen an Gromyko, Bogomolov, Gusev, Podcerob, Gribanov, Puškin, Semenov und zu den Akten. Diese Aufzeichnung wurde am 8. Januar 1952 in neun Exemplaren im Sekretariat von Zorin ausgefertigt, die die Ausgangsnummer 6/VZ erhielten. Bei dem vorliegenden Dokument handelt es sich um die für Semenov bestimmte Ausfertigung Nr. 8. Sie ging am 10. Januar ein erhielt die Eingangsnummer 0147 der Verwaltung des Politischen Beraters der SKK in Deutschland und einen Stempel der Abteilung für gesamtdeutsche Fragen mit der Eingangsnummer 021 vom 15. Januar sowie den handschriftlichen Vermerk „für Gen. Semenov“. Am linken Rand gibt es auf der ersten und zweiten Seite weitere unleserliche Vermerke. 2  „Tagebuch“ ist ein aus der russischen Kanzleisprache übernommener Begriff des Auswärtigen Dienstes der UdSSR für Gesprächsaufzeichnungen. 3  So im Original. Die evangelischen Kirchen in Deutschland sind keine einheitliche Kirche, sondern bilden seit 1945 als EKD eine Körperschaft öffentlichen Rechts, bestehend aus der Gemeinschaft von 20 lutherischen, unierten und reformierten Kirchen in Deutschland. Niemöller gehörte als Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau dem Rat der EKD, ihrem Leitungsgremium an. 4  Zu den Zahlen der in der UdSSR verbliebenen deutschen Kriegsgefangenen vgl. Dok. 28, Fn. 6, Dok. 30, Fn. 6 und Dok. 92, Fn. 8.



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­ iemöller gab zu verstehen, er sei überzeugt, dass es genügend Gründe für die N Aburteilung dieser zurückgehaltenen 13 000 Kriegsgefangenen gegeben habe, fragte aber, ob nicht diejenigen unter ihnen, die wegen ihrer Zugehörigkeit zu verbrecherischen Organisationen verurteilt wurden, jedoch selbst keine Morde und andere Verbrechen begangen haben, freigelassen und nach Hause geschickt werden könnten. Man sei dafür, so fuhr Niemöller fort, dass Verbrecher bestraft werden, allerdings hätten die Westmächte in den vergangenen drei Jahren alle diejenigen freigelassen, die unter Annahme der Kollektivschuld abgeurteilt worden waren.5 Niemöller sagte, er persönlich sei, wie auch die Mitglieder der DDR-Regierung, davon überzeugt, dass beim Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland die abgeurteilten Kriegsgefangenen, die sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt in der UdSSR befänden, nach Deutschland zurückgeführt werden. Ob es denn sinnvoll wäre und nicht etwa mehr Schaden als Nutzen bringe, wenn diese Menschen bis zu einem Friedensvertrag, dessen Abschluss in vorerst noch ungewisser Zukunft liege, festgehalten werden. Vielleicht wäre es sinnvoller, sie zum jetzigen Zeitpunkt freizulassen. Wenn aber ein solcher Schritt aufgrund irgendwelcher politischer Erwägungen derzeit nicht machbar sei, so wäre es doch vielleicht möglich, dass 1) die sowjetischen Staatsorgane etwas für die Frauen und die betagteren Angehörigen (etwa ab 60 Jahre) der abgeurteilten Kriegsgefangenen tun und 2) eine Aufstellung über alle in der UdSSR befindlichen Kriegsgefangenen veröffentlichen oder den Deutschen übergeben, damit deren Angehörige wissen, in welcher Lage jene sind. Dies würde die Situation Niemöllers und aller Friedensaktivisten erleichtern, denn gegenwärtig würden nicht nur Angehörige der Kriegsgefangen, sondern auch Angehörige der Soldaten und Offiziere der Wehrmacht, die während des Krieges in der UdSSR umgekommen 5  Zur Frage der Rechtmäßigkeit der Urteile vgl. Dok. 92, Fn. 5. In Westeuropa und den USA waren in der vorangegangenen Zeit Gnadengesuche der Bundesregierung überprüft worden. In der Praxis ging man vermehrt dazu über, zu Freiheitsstrafen Verurteilte nach Verbüßung eines Teils der Haftzeit freizulassen, auch wurden Todesurteile in Einzelfällen in Haftstrafen umgewandelt. Eine allgemeine Amnestie gab es jedoch nicht (vgl. Dok. 41, Fn. 16). Zu den Diskussionen darüber und zu Zahlen aus dem Jahr 1951 vgl. AAPD (1951), S. 410–419, 475–476, 649–650. In einer Veröffentlichung der Bundesregierung vom 23. Februar 1952 war laut der amerikanischen Nachrichtenagentur UP von „etwa 1240“ Deutschen die Rede, „die in Gefängnissen der Westmächte und Jugoslawiens immer noch festgehalten würden. Mehr als die Hälfte davon, nämlich 685, befänden sich in alliierten Gefängnissen in Deutschland, vor allem in Landsberg, Werl und Wittlich. In Landsberg in der amerikanischen Zone seien noch 375 Kriegsverbrecher in Haft … In Frankreich sollen sich noch 340 ehemalige Wehrmachtsangehörige, von denen zahlreiche bisher noch nicht vor Gericht gestellt wurden, befinden. Im Gefängnis von Werl in der britischen Zone befänden sich noch 152 Kriegsverbrecher … In Wittlich in der französischen Zone würden 152 Kriegsverbrecher festgehalten.“ Vgl. AdG 22 (1952), S. 3357.

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seien, eine leichte Beute der feindlichen Propaganda. Es gehe hier um 750 000 bis 1 Million Angehörige, die immer noch auf ihre Verwandten warten und annehmen, dass diese in sowjetischer Gefangenschaft sind. Niemöller sagte, als Pastor berühre ihn diese Angelegenheit auch persönlich, er wolle sich mit diesem Thema aber vor allem deshalb auseinandersetzen, weil es um die Interessen des Friedenskampfes in Westdeutschland gehe. Ich entgegnete Niemöller, dass ich die unzutreffende Vorstellung, die offenbar in Westdeutschland herrsche, etwas zurechtrücken müsse. Allem Anschein nach sei man dort in Westdeutschland der Auffassung, dass es unter den in der UdSSR befindlichen 13 000 abgeurteilten Kriegsgefangenen solche gebe, die nur wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer verbrecherischen Organisation verurteilt worden seien, obwohl sie selbst keinerlei Verbrechen begangen hätten, also unter Annahme der sogenannten Kollektivschuld. Diese Meinung sei absolut falsch. Alle diese Kriegsgefangenen seien ausschließlich für von ihnen persönlich auf dem Gebiet der UdSSR begangene Verbrechen abgeurteilt worden, wobei nur schwerwiegende Verbrechen in Betracht gezogen und aus diesem Grunde die schweren Strafen verhängt worden seien. Kleinere Vergehen, die eigentlich mit Gefängnisstrafen von einem bis zwei Jahren hätten geahndet werden müssen, seien in der Regel unbestraft geblieben. Es verstehe sich von selbst, dass unter den 2 Millionen von der UdSSR entlassenen deutschen Kriegsgefangenen mehrere hunderttausend Mann waren, die wegen der Zugehörigkeit zu verbrecherischen Organisationen und wegen einer Vielzahl von begangenen Verbrechen hätten bestraft werden können. Sie seien jedoch, wie bekannt, nach Hause geschickt worden, ohne zur Verantwortung gezogen worden zu sein. Wenn man von einer Freundschaft zwischen dem deutschen und dem sowjetischen Volk spreche, so müsse man auch den Umstand berücksichtigen, dass das sowjetische Volk im Falle einer Freilassung der abgeurteilten deutschen Kriegsgefangenen keinerlei Verständnis dafür aufbringe, dass solche Verbrechen, begangen auf dem Gebiet der UdSSR, ungesühnt bleiben. Dies schließe natürlich einzelne Fälle der Begnadigung verurteilter Deutscher nicht aus. Vor kurzem seien 11 abgeurteilte Deutsche begnadigt und den DDR-Behörden übergeben worden.6 Solche Fälle seien auch in Zukunft denkbar. Die Frage einer Generalamnestie erfordere jedoch gründliche Abwägung. 6  Von der zeitlichen Koinzidenz her erscheint es denkbar, dass Zorin hier den Fall der elf (tatsächlich zehn) Jugendlichen aus Jena meinte, die kurz zuvor durch den Obersten Sowjet begnadigt und in den Tagen um Zorins Unterredung mit Niemöller den Behörden der DDR übergeben wurden (vgl. Dok. 96 und dort Fn. 18). In diesem Fall vermischte Zorin Kriegsverbrechen aus dem Zweiten Weltkrieg mit Provokationen Jugendlicher gegen die Besatzungsmacht aus dem Jahr 1950.



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Niemöller machte deutlich, dass er diese Frage nicht unter dem Gesichtspunkt der Rechtsprechung verstanden wissen möchte, da er absolut überzeugt davon sei, dass die Urteile gerecht und begründet seien. Für ihn gehe es nicht um eine Frage des Rechts, sondern um eine Frage der Erfahrung, und zwar unter dem Aspekt ihrer Auswirkung auf die allgemeine Lage in Westdeutschland. Die von ihm dargestellte Stimmungslage der Bevölkerung werde in hohem Maße von dem Umstand bestimmt, dass in England und den USA nur noch einige Dutzend deutsche Kriegsgefangene festgehalten werden, in Frankreich seien es einige hundert, doch in der UdSSR mehr als 13 000. Und er wolle persönlich darauf aufmerksam machen, dass es seiner Auffassung nach politisch sinnvoll wäre, so zu handeln, um die feindliche Propaganda auszuschalten. Er bat darum, die Frage einer Begnadigung der Verurteilten einer Betrachtung zu unterziehen. Im Hinblick auf die Veröffentlichung einer Liste der in der UdSSR festgehaltenen deutschen Kriegsgefangenen oder einer Übergabe einer solchen Liste an die Deutschen machte ich Niemöller deutlich, dass dies meiner Ansicht nach kaum einen Erfolg im Kampf mit der feindlichen Propaganda bringen würde. Alle Kriegsgefangenen hätten ein Recht, nach Hause zu schreiben, ihre Verwandten wüssten, wo sie sind und in welcher Situation sie sich befinden. Hierbei sei nicht ausgeschlossen, dass diejenigen, deren Angehörige umgekommen sind, nach wie vor hoffen, dass diese am Leben sind. Würde eine solche Liste veröffentlicht, sei es durchaus möglich, dass die feindliche Propaganda nicht aufhört, sondern dass sie zu beweisen sucht, dass es in der UdSSR Kriegsgefangene gibt, die nicht in der Liste stehen. Niemöller entgegnete, dass anhand einer solchen Liste leicht zu beweisen sein werde, dass in ihr die Namen aller in der UdSSR befindlichen Kriegsgefangenen aufgeführt sind, da von niemandem anders Nachrichten nach Deutschland gelangen. Jetzt gebe es viele, die nach Deutschland schreiben, aber niemand wisse, wie viele es tatsächlich sind, und die feindliche Propaganda nenne gewaltige Zahlen. Abschließend sagte Niemöller, er habe die ganze Angelegenheit vom Standpunkt eines Menschen aus dargestellt, dessen Interesse darauf gerichtet ist, dass Geschehnisse, wie sie sich in der Vergangenheit im Namen des deutschen Volkes zugetragen haben, niemals wieder vorkommen und unsere Völker nie wieder die Schrecken eines Krieges über sich ergehen lassen müssen. Ich brachte zum Ausdruck, dass uns, wie Herrn Niemöller und seinen Freunden, an der Wahrung des Friedens sehr gelegen sei, und ich wünschte ihm Erfolg bei der großen Sache des Kampfes für den Frieden. Die Unterredung dauerte 40 Minuten.

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Teilnehmer der Unterredung: Gen. I.M.  Spičkin vom Rat für Angelegenheiten der Russisch-Orthodoxen Kirche beim Ministerrat der UdSSR und Gen. S.I. Dorofeev, Dritter Sekretär in der Dritten Europäischen Abteilung. Der stellvertretende Minister für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR V. Zorin7 AVP RF, f. 0457a, op. 12, p. 65, d. 3, Bl. 22–25.

94. Schreiben des Bevollmächtigten der Bundesrepublik Deutschland in Berlin Vockel an Bundeskanzler Adenauer 

9. Januar 19521

Sehr verehrter Herr Bundeskanzler, auf Grund des mir mündlich erteilten Auftrages habe ich mich heute mit Herrn Bischof D. Dr. Dibelius über die Moskau-Reise des Herrn Niemöller2 unterhalten. Die Besprechung dauerte eine ganze Stunde, so dass alle mit dem Problem Niemöllers zusammenhängenden Fragen erörtert worden sind. Ich habe einleitend auseinandergesetzt, dass die Reise Niemöllers nach Moskau zu diesem Zeitpunkte für den Bundeskanzler politisch sehr unerwünscht sei und dass der Bundeskanzler deshalb sehr bedaure, dass diese Reise nicht verhindert worden sei. Bischof Dibelius hat dann in sehr langen Ausführungen alle Tatbestände dargelegt, die es ihm als Vorsitzenden des Evangelischen Kirchenrates unmöglich gemacht hätten, das Vorhaben Niemöllers zu unterbinden. Dibelius setzte auseinander, dass seit Jahren andere massgebliche Persönlichkeiten der Evang. Kirche um eine Reisemöglichkeit nach Moskau sich bemüht hätten, um die mit den Kriegsgefangenen zusammenhängenden Fragen zu erörtern, vor allem aber, um eine Aussprache mit der russisch-orthodoxen Kirche zu pflegen. Bischof Dibelius erklärte, dass er sich dessen bewusst sei, dass er die Gründe kenne, warum gerade Niemöller eine solche Reisegenehmigung erteilt worden sei. Dibelius gab aber immer wieder zu verstehen, dass er persönlich und mit ihm die überwiegende Mehrheit des Evang. Kirchenrates die politischen Auffassungen Niemöllers ablehnten3 und dass er selbst die 7  Handschriftlich. 1  Durchdruck

an Lenz. Moskau-Reise Niemöllers vgl. Dok. 92, Dok. 93 sowie Dok. 100, Fn. 3. 3  Zu vorangegangenen Auseinandersetzungen innerhalb der evangelischen Kirche um die Position Niemöllers zur Frage der Wiederbewaffnung vgl. Dok. 55, Fn. 5. 2  Zur



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Reise Niemöllers zu diesem Zeitpunkte sehr bedaure. Dibelius gab zu erkennen, dass Herr Niemöller sich in Moskau scheinbar sehr zurückgehalten habe und dass er hoffe, dass er das auch nach der Rückkehr nach Deutschland tun würde. Die Erklärungen des Bischofs Dibelius ergeben sich im Wesentlichen aus der Antwort, die Bischof Dibelius auf den Brief des Univ.Prof. Dr. Thielicke gegeben hat. Ich füge den Wortlaut der beiden Briefe in der Anlage bei.4 Als Antwort auf diese längeren Ausführungen des Bischofs Dibelius habe ich vor allem darum gebeten, dass er selbst auf Niemöller bei seiner Rückkehr aus Moskau dahin einwirken möge, dass er sich in der Presse und in der Öffentlichkeit allen politischen Äusserungen enthalte, vor allem auch, dass er unter keinen Umständen mit Dr. Joseph Wirth in Berlin oder sonstwo zusammenkommen möge. Bischof Dibelius hat mir das zugesagt. Er erwarte Herrn Niemöller sofort nach meinem Weggang.5 4  Die Anlagen sind in der Akte nicht überliefert. Der Briefwechsel ist veröffentlicht in: Kirchliches Jahrbuch 1952, S. 7–9. Der Tübinger Theologe und Vorsitzende der Westdeutschen Rektorenkonferenz Helmut Thielicke hatte in einem offenen Brief an Dibelius der Kirchenleitung vorgeworfen, keinen öffentlichen Einspruch gegen die Reise Niemöllers erhoben zu haben. Gegen das Argument, dieser sei „persönlich“ und nicht in einer Amtsfunktion eingeladen worden, wandte er ein, es sei eine „unsachgemäße Argumentation … [d]aß ein Mann in dieser Stellung überhaupt als Privatmann öffentlich handeln dürfe“. Thielicke beklagte die „Identifizierung, die man unwillkürlich oder willkürlich – auf jeden Fall aber de facto – zwischen dem, was Niemöller sagt und tut, und dem, was die Evangelische Kirche zwar nicht sagt, aber duldet, vollzieht“. Er begrüße „jede Möglichkeit … die den Ost-West-Konflikt entschärft und unseren Gefangenen in Rußland Hilfe bringt. Aber daß man einen Mann mit der Behandlung dieses heikelsten aller Probleme befaßt, der in den letzten Jahren immer wieder verwirrt und verwirrend gehandelt hat und der schon lange nicht mehr eine einst von uns so geachtete Linie verfolgt, das ist Schuld und Unglück zugleich.“ Vgl. ebenda, S. 7–8. Dibelius hatte in diesem Fall Niemöller in einem offenen Brief verteidigt, in dem er sich dagegen verwahrte, die EKD habe Niemöller mit einer Aufgabe „befaßt“, und diesem einerseits das Recht auf politische Betätigung (in den durch den Ratsbeschluss der EKD vom 17. November 1950 gesetzten Grenzen, vgl. Dok. 55, Fn. 5) zusprach, andererseits aber die ökumenische Zielrichtung der Reise hervorhob. „Seine Reise sollte mitnichten ein politischer Schritt sein. Erst seine Gegner haben sie dazu gemacht … Daß ich selbst in den politischen Fragen, die jetzt zur Entscheidung stehen, anderer Meinung bin als D. Niemöller, habe ich nie verhehlt … Gerade deshalb aber halte ich mich für verpflichtet, D. Niemöller an die Seite zu treten, wenn er in einer Weise angegriffen wird, die ich nicht für richtig halten kann.“ Vgl. Kirchliches Jahrbuch 1952, S. 9. 5  Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete am 10. Januar 1952, Niemöller habe am Vortag nach seiner Ankunft aus Moskau Dibelius einen „vorläufigen Bericht über seine Erfahrungen in Moskau“ erstattet. Dabei sei es um Auseinandersetzungen über die Kriegsgefangenenfrage und um die „Stärkung der kirchlichen Beziehungen“ gegangen, „denen zu dienen der einzige Zweck seiner Reise gewesen sei“ (S. 1). Zu Berichten Niemöllers über seine Reise vgl. auch Dok. 100, Fn. 3. Ein weiterer Bericht Niemöllers, der nur von seinen Gesprächen mit Kirchenvertretern und der Lage der Russisch-Orthodoxen Kirche handelte, ist veröffentlicht in: Kirch­

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Das Gespräch wurde dann fortgesetzt mit dem, was in den nächsten Monaten sich – soweit es die politische Tätigkeit des Herrn Niemöller betrifft – ereignen könne. Dibelius meinte, dass Niemöller in der Frage der Verteidigungsgemeinschaft aufs Schärfste zum politischen Kampf aufrufen und dabei auch versuchen würde, die kirchlichen Instanzen zu benutzen. Dibelius nimmt an, dass Niemöller die Synode Hessens für seine politischen Auffassungen gewinnen würde. Er befürchtet, dass evtl. noch eine andere Synode, vielleicht die Rheinische, zu einem ähnlichen Entschluss kommen könne. Dibelius vermutet weiter, dass Niemöller die Einberufung einer Gesamt­ synode der Evang. Kirche Deutschlands beantragen würde, um auch diese für die von ihm propagierte politische Haltung zu gewinnen.6 Dibelius erklärte, dass bei einer Gesamtsynode Niemöller eine völlig klare kleine Minderheit haben würde. Es sei möglich und vielleicht auch erwünscht, dass die durch Niemöller angeregten politischen Probleme einmal in einer klaren Auseinandersetzung innerhalb der Evang. Kirche zu einer Klärung gebracht würden. Auf meine Frage, ob es nicht möglich sei, ähnlich wie in der Kath. liches Jahrbuch 1952, S. 10–14. Joseph Wirth (dessen Kontaktaufnahme mit der SKK am 4. Januar bekannt geworden war) hielt sich zu dieser Zeit noch in Berlin auf, vgl. Dok. 90 und dort Fn. 3. Dieser Aufenthalt fiel zeitlich mit Niemöllers Moskau-Reise zusammen, und beide wurden in der Öffentlichkeit auch in einem Zusammenhang diskutiert. Offensichtlich befürchtete die Bundesregierung eine gemeinsame Kam­ pagne dieser beiden prominenten Persönlichkeiten. 6  Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete am 5. Februar 1952 auf S. 3, Niemöller habe in einem Brief, den er als Vorsitzender des Reichsbruderrates der Bekennenden Kirche an Dibelius gerichtet habe, „um eine möglichst baldige Einberufung der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland“ gebeten. In dem Brief habe Niemöller argumentiert: „Wie selten zuvor bedürften die Menschen unseres Volkes einer Wegweisung für ihr Verhalten in einer Entscheidung, die auf Leben und Tod gehen könne und die in die Tiefe des Gewissens greife. Auch die Regierungen unseres Volkes bedürften wie selten zuvor der Gewissensschärfung für ihr Vorgehen unter dem Einfluß der Besatzungsmächte in Ost und West. Der Reichsbruderrat sei der Meinung, daß angesichts dieser drängenden Fragen der Rat der Evangelischen Kirche sich nicht von der Sorge leiten lassen dürfe, wie die Evangelische Kirche in Deutschland am besten ihr Leben erhalte, sondern daß er auf Gottes Erbarmen vertrauen und um Jesu Christi Willen etwas Tapferes tun sollte.“ Auf einer Tagung des Rates der EKD in Berlin-Spandau am 13. März 1952 wurde einem „Antrag der Rheinischen Landeskirche auf eine vorzeitige Einberufung der gesamtdeutschen Synode nicht zugestimmt“, vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. März 1952, S. 3. Der Antrag der Rheinischen Landeskirche ist abgedruckt in: Kirchliches Jahrbuch 1952, S. 23–24. Die ebenfalls am 12. und 13. März in Berlin-Spandau tagende Kirchenleitung und Bischofskonferenz der EKD erklärte in einem Kommuniqué: „Die Versuche einiger Gruppen und Einzelpersönlichkeiten, die Evangelischen Kirche und ihre Synode auf den Weg des politischen Kampfes zu führen, machen sie in ihrem eigentlichen geistlichen Amt unglaubwürdig und verhindern geradezu den rechten Dienst der Kirche am öffentlichen Leben des Volkes.“ Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. März 1952, S. 3.



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Kirche, die entscheidenden politischen Fragen aus der Diskussion zu halten, beantwortete Dibelius damit, wenn nicht Herr Niemöller und – in kleinem Masse – Herr Heinemann diese Aktivität forderten. Zum Abschluss der sehr eingehenden Diskussion habe ich Bischof Dibelius gebeten, doch für die allernächste Zeit Gelegenheit zu nehmen, mit Ihnen, Herr Bundeskanzler, diese Frage persönlich zu erörtern. Herr Bischof Dibelius erklärte sich dazu gern bereit.7 Ich bin mit dem Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung Ihr sehr ergebener Vockel8 ACDP, 01-172-69/2.

95. Aufzeichnung des Legationsrats I. Klasse Kossmann 210-00/III 20/52 Geheim

Bonn, 24. Januar 19521

betr.: Deutsche Ostpolitik 1. Allgemeine Grundlinien der deutschen Ostpolitik:2 Auch die neue deutsche Ostpolitik ist im Gesamtrahmen der neuen EuropaPolitik der Bundesregierung zu sehen. Aber selbst im Falle einer europäi-

7  Ein Treffen zwischen Dibelius und Adenauer konnte für die nächste Zeit nicht belegt werden. 8  Handschriftlich. 1  Durchdruck. Die Autorschaft von Kossmann ergibt sich aus dessen Eintrag vom 24. Januar 1952 „Entwurf als Diskussionsgrundlage“. Von Etzdorf zeichnete sie am 26. Januar ab. Darüber vermerkte Kordt am 29. Januar: „Ich wäre für eine Dienstbesprechung zu Grundsatzfragen dankbar“. Mit Rotstift ist von Hallstein oder einem Mitarbeiter seines Büros die Zuschreibung „Dg“ auf den Ministerialdirigenten von Etzdorf vermerkt. Unter dem Datum vermerkte Kordt am 31. Januar: „Nur nach Durchsicht in den Umlauf“. Am unteren Ende des Dokumentenkopfes trug Kordt am 25. November 1953 ein: „Zu den Akten“. Von Kossmann stammten auch frühere Entwürfe, vgl. PA AA, B 130, Bd. 6871A. Zur Weiterentwicklung der hier aufgezeichneten Überlegungen vgl. die vermutlich ebenfalls von Kossmann verfasste Aufzeichnung zur Ostpolitik vom 24. April 1952, AAPD (1952), S. 307–309. 2  Die hier und im Folgenden kursiv gesetzten Wörter sind im Original typografisch hervorgehoben. Die kursiv gesetzten Wörter in den Zwischenüberschriften unter Punkt 2 sind durch Sperrstellung hervorgehoben, alle anderen sind maschinenschriftlich unterstrichen.

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schen Lösung im Osten werden die ostdeutschen Probleme3 sachlich weitgehend dieselben bleiben, wie wir sie aus der historischen Entwicklung kennen. Wir dürfen freilich hoffen, dass ihre Behandlung dann – nach Massgabe der Entwicklung des europäischen Gedankens – in milderen Formen erfolgen wird als bisher. Auch kann für eine spätere Phase angenommen werden, dass die nationalen Fragen gegenüber den grossen Fragen Gesamteuropas allmählich, wenn auch langsam, an Bedeutung verlieren werden. 2. Ziele der deutschen Ostpolitik: a) Integration im Westen zur Verteidigung des Bestandes Dies ist die Basis für jede weitere Politik gegenüber dem Osten. Was die Bundesregierung nach Westen hin bezüglich der Integration tut, dient in diesem Sinne gleichzeitig unseren Interessen im Osten. Während sich jedoch die westlichen Länder im allgemeinen auf die Verteidigung ihres heutigen Bestandes beschränken können, steht die Bundesregierung darüber hinaus vor der Aufgabe, die Befreiung der östlichen Hälfte Deutschlands früher oder später mit friedlichen Mitteln vorbereiten zu müssen. Das wird uns mehr und mehr zwingen, dem Osten gegenüber aktiver zu sein, als es anderen Völkern Westeuropas angenehm4 ist. Damit aber beginnt das Dilemma unserer Ostpolitik. Alles was wir dem Osten gegenüber an zusätzlicher Aktivität aufbringen, erschwert unsere Einbeziehung in die westliche Welt, belastet unser Partnerverhältnis, stärkt die Stellung Moskaus bei den Satelliten, weckt den heftigen Widerspruch der Emigranten. Das Endergebnis sind Rückschläge für unsere Gesamtpolitik im Westen und damit auch für unsere Interessen im Osten. b) Wiedervereinigung mit der Sowjetzone Diese Aufgabe ist bereits aktiviert und wird federführend vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen bearbeitet. Hierzu braucht an dieser Stelle wohl nichts Näheres gesagt zu werden. c) Deutsche Ostgebiete jenseits der Oder-Neisse-Linie Die bisherige Zurückhaltung aus den unter a) angedeuteten Gründen hat den Kanzler und die Regierung nicht gehindert, die Rechte des deutschen Volkes im Osten immer wieder anzumelden; jedoch ist davon abgesehen 3  Hier sind jene Probleme gemeint, die Kossmann im Nachfolgenden als Zwischenüberschriften aufführte. 4  Handschriftlich an Stelle von „lieb“ eingefügt.



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worden, sie schon jetzt mit allen Mitteln zu verfechten. Wir sind vor allem bedacht, Boden im Westen zu gewinnen. Eine regelrechte Aktivierung in dieser Frage erscheint also aus Rücksicht auf a) immer noch verfrüht. Jedoch wird die Aufklärung im Auslande angebahnt, die Koordinierung der sonst auf diesem Gebiet tätigen Stellen verstärkt, insbesondere wird Fühlung zu den Landsmannschaften5 hinsichtlich deren „heimatpolitischer Tätigkeit“ aufgenommen. Was in der Oder-Neisse-Frage einmal an Unterlagen notwendig werden könnte, wird gesammelt, gesichtet und bereitgestellt. Das Osthandbuch6 des Deutschen Büros für Friedensfragen wird fortgesetzt, desgleichen der OstAtlas und anderes mehr. d) Satellitenvölker Diese gehören natürlich mit in das europäische Gesamtkonzept. An diesem Problem werden wir jedoch – unter Vermeidung eines prononcierten Hervortretens der Bundesrepublik – nur gemeinschaftlich mit dem Westen arbeiten können. Es wird uns bei dieser Zusammenarbeit ganz besonders daran gelegen sein, im Rahmen der westlichen Planungen und Vorbereitungen auch die deutschen Interessen zunehmend zur Geltung zu bringen. – Solange im Osten die jetzigen Regierungen an der Macht sind, werden im Sinne einer allgemeinen politischen Gleichberechtigung Deutschlands direkte Beziehungen zu diesen Staaten anzustreben sein, zumindest zu Ungarn, Rumänien, Bulgarien und Albanien. e) Sowjetunion Hier werden wir noch mehr auf die Anlehnung an die Grossmächte angewiesen sein. In der Frage der zukünftigen Neuordnung des sowjetischen 5  Zu einem Treffen zwischen Hallstein und dem Vorsitzenden des Verbandes Deutscher Landsmannschaften und Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Rudolf Lodgman von Auen, sowie dessen außenpolitischem Referenten, Albert Simon, kam es am 15. September 1952, vgl. AAPD (1952), S. 608–610. Zu den Landsmannschaften der Vertriebenen vgl. auch Dok. 122, Fn. 3. 6  Zum Deutschen Büro für Friedensfragen vgl. AAPD (1949/50), S. 43, Anm. 13. Das „Handbuch über Ostfragen“, bekannt als „Ost-Handbuch“, sollte Grundlagen für Verhandlungen deutscher Vertreter mit den Alliierten über einen Friedensvertrag und eine gesamtdeutsche Regierung bereitstellen. Es wurde im März 1948 auf einer Sachverständigen-Besprechung im Friedensbüro in die Wege geleitet und sollte über einen vom Friedensbüro geleiteten Koordinierungsausschuss Arbeiten zu Fragen sowohl der SBZ als auch der deutschen Ostgebiete unter polnischer Verwaltung in Instituten, Arbeitskreisen und Einzelaufträgen bündeln und koordinieren. Die erste Ausgabe lieferte eine Zusammenstellung „Ausländische Dokumente zur Oder-Neiße-Linie“. Ein wichtiger Teil der Arbeit bestand in der Übersetzung polnischer Dokumente.

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Raumes ist Zurückhaltung angebracht. Jedoch sollte die nichtrussische Emigration aus der Sowjetunion bei uns eine gewisse Unterstützung auf kulturellem Gebiet finden. Zu einem späteren Zeitpunkt wird es anzustreben sein, gleich den Westmächten direkte Beziehungen mit der Sowjetunion zu pflegen. 3. Für die Durchführung einer solchen Ostpolitik ergeben sich Arbeiten, die in vier Gruppen gegliedert werden können: a)  Innerhalb Deutschlands. Stärkung des eigenen politischen Gewichts, Pflege der östlichen Traditionen. b)  Im westlichen Bereich. Frankreich gegenüber ist besondere Zurückhaltung angebracht. Da jedoch die USA in ihren europäischen Entscheidungen sich oft nach französischen Gesichtspunkten richten, wird es auf die Dauer nicht zu vermeiden sein, auch in Frankreich mehr und mehr über unsere Ostbelange aufzuklären. Aus der künftigen Zusammenarbeit mit Frankreich und mit den anderen westeuropäischen Ländern werden sich voraussichtlich von selbst bald die geeigneten Gelegenheiten ergeben. In den USA und anderen von der Sowjetunion weiter entfernten Ländern kann die deutsche Aufklärung schon jetzt offener sprechen. In den USA selbst scheint der Zeitpunkt jetzt besonders günstig zu sein. Im allgemeinen wird im Westen zunächst die Aufklärungsarbeit den Vortritt vor der diplomatischen Arbeit haben. c)  Im östlichen Bereich. Hier kann zurzeit nicht viel geschehen. Durchführbar und nützlich für unsere Lage wäre jedoch eine spürbare Verstärkung unserer Bemühungen, die noch bestehenden Ressentiments und Gegensätze der östlichen Völker gegenüber Deutschland auszuräumen. Die Handelsbeziehungen sind nach Möglichkeit aufrecht zu erhalten. d)  Hinsichtlich der Emigration.7 Die USA haben heute das absolute Übergewicht auf dem Gebiet der Emigrantenpolitik. Neben den Amerikanern kann allenfalls noch die weitgehend englisch inspirierte Gruppe der EuropaBewegung genannt werden. Was zu uns kommt, pflegen in der Regel jene Gruppen zu sein, die vom Westen aus diesem oder jenem Grund abgestossen werden. Grundsätzlich darf dabei nicht verkannt werden, dass auch in Zukunft die Grossmächte über die Neugestaltung des europäischen Ostens entscheiden werden. Im Sinne einer deutschen Ostpolitik dürften hinsichtlich der Emigranten etwa die folgenden Gesichtspunkte zu beachten sein: 7  Vgl. zu diesem Abschnitt Kossmanns detailliertere Aufzeichnung betr. „Verhältnis zu den osteuropäischen Exilgruppen“ vom 15. August 1952 (Dok. 122).



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aa) Die nach Osten gerichtete Tätigkeit der Emigranten kann mit der notwendigen Zurückhaltung unterstützt werden. bb) Die Einflüsse der Emigranten auf die westlichen Regierungen sind in bestimmten Punkten zu korrigieren. Dies gilt vor allem für zwei Fragen: die deutschen Ostgrenzen und die ostmitteleuropäische Union. cc) Zusammenarbeit, mindestens enge Fühlung mit Emigranten-Dachorganisationen, wie Komitee Freies Europa, Ostmitteleuropäische Kommission der Europa-Bewegung usw. ist anzustreben. dd) Eine unauffällige Unterstützung der deutsch-freundlichen Exilanten gegenüber den ausgesprochen deutschfeindlichen Gruppen (d. i. Polen und Tschechen) dürfte sich, schon wie die bisherige Erfahrung gezeigt hat, empfehlen. ee) Die Schaffung einer neuen Atmosphäre zwischen dem deutschen Volk und den osteuropäischen Völkern und ihren Exilanten ist eine der wesentlichsten Aufgaben auf diesem Gebiet, nicht zuletzt wegen der Optik nach Westen. Dies kann vor allem auf dem Gebiet der kulturellen Zusammenarbeit mit den Emigranten angestrebt werden. 4. Chatham-Haus8 für den Osten Die Mittel zur Durchführung der deutschen Ostpolitik sind sehr komplexer Art. Unsere Ostarbeit wird grossenteils nicht über die üblichen amtlichen Kanäle laufen. Sie wird ausserdem weitgehend in der Form einer geistigen Auseinandersetzung erfolgen. Neben den bestehenden und neu entstehenden wissenschaftlichen deutschen Ostinstituten, neben den Vertriebenenorganisationen, deren aussenpolitische Wirksamkeit in geeigneter Weise zu steuern wäre neben manchen anderen Sondereinrichtungen, würde daher eine politisch-wissenschaftliche Institution, die sich den deutschen politischen Ost­ interessen widmet, eine Art Chatham-Haus für den Osten, sehr nützlich sein. PA AA, B 130, Bd. 6871A.

8  Das Chatham-Haus ist der Gründungssitz des 1920 gegründeten Royal Institute of International Affairs am St. James’s Square 10 in London. Diese Adresse diente selbst als Bezeichnung dieser einflussreichen Einrichtung.

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96.  Unterredung zwischen dem Vorsitzenden der SKK Čujkov, dem Politischen Berater Semenov, Präsident Pieck, Ministerpräsident Grotewohl und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht Streng geheim

Ost-Berlin, 9. Februar 19521

1. Zu Beginn des Gesprächs stellte Gen. Čujkov die Frage nach den Schritten, die zu unternehmen wären, um baldmöglichst einen Friedensvertrag mit Deutschland entsprechend den Weisungen des MID2 abzuschließen. Pieck sagte, ein Bekenntnis der Sowjetregierung zur Unterstützung des Appells der DDR-Regierung an die vier Besatzungsmächte3 mit der Bitte um den möglichst baldigen Abschluss eines Friedensvertrags werde helfen, die verlogenen Erklärungen Adenauers4 zu entlarven und dem Generalvertrag5 einen Friedensvertrag entgegenzusetzen. Grotewohl sagte, nach seiner Meinung sollte ihnen (Grotewohl, Pieck, Ulbricht) der Teil der Mitteilung, der die genaue Formulierung der Maßnahmen seitens der DDR-Regierung enthalte,6 in schriftlicher Form gegeben 1  Das Original ging an Čujkov. Kopien gingen an Semičastnov, Semenov, Bykov, Kaverznev und an das MID. Es handelt sich um das Exemplar für Semenov. Die Aufzeichung erhielt am 6.  März 1952 im Sekretariat der SKK die Ausgangsnummer 01620 und am gleichen Tag in der Verwaltung des Politischen Beraters die Eingangsnummer 001185. 2  Gemeint waren die Weisung des Außenministeriums der UdSSR an Čujkov und Semenov „zur Frage des Friedensvertrages mit Deutschland“ vom 8. September 1951 (vgl. Dok. 80, Fn. 5) und die Weisung „betreffend Maßnahmen zur Beschleunigung des Abschlusses eines Friedensvertrages mit Deutschland“ vom 8. Februar 1952 (vgl. Foitzik, Interessenpolitik, S. 565–567). 3  Am 13. Februar 1952 stimmte das Politbüro des ZK der SED „[d]en Entwürfen eines Schreibens an die vier Großmächte sowie eines Begleitschreibens an die Bundesrepublik in Bonn“ zu (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/193, TOP 1, Anlagen 1–2). Noch am gleichen Tag nahm der DDR-Ministerrat die beiden Entwürfe an (vgl. BAB, DC 20-I/3/92, TOP 1, Anlagen 1–2). Die Schreiben sind veröffentlicht in DAPDDR 1, S. 73–76. 4  Der Bezug ist unklar und vermutlich eher allgemein. Zu Adenauers vorangegangenen Äußerungen mit Bezug auf die deutsche Frage und den Generalvertrag vgl. Dok. 80, Fn. 8, Dok. 84, Fn. 4 und 6 und Dok. 86, Fn. 2. 5  Zum „Generalvertrag“ (oder „Deutschlandvertrag“) vgl. Dok. 20, Fn. 12. 6  Grotewohl bezog sich offensichtlich auf die Weisung vom 8. Februar, vgl. Fn. 2. Mit den „Maßnahmen seitens der DDR-Regierung“ war in diesem Fall das Schreiben an die vier Besatzungsmächte und dessen hier geforderte Inhalte gemeint. In der Weisung wurde auch eine Unterstützungserklärung der sowjetischen Regierung nach Erhalt des Schreibens angekündigt (vgl. Foitzik, Interessenpolitik, S. 566). Grundsätzlich war dieses Vorgehen bereits in der Weisung vom 8. September 1951 geplant, vgl. dazu Dok. 80, Fn. 5.



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werden, und er bat, den Teil der Mitteilung, in dem von der Unterstützung des Appells der DDR-Regierung durch die Sowjetregierung die Rede sei, zu erläutern, und zwar in welcher Form diese stattfinden solle. Gen. Čujkov antwortete, die Form der Unterstützung sei ihm bislang nicht bekannt, sie werde aber offenbar solide sein. Ulbricht sagte, diese Mitteilung sei sehr wichtig und fragte, wie weit sie in ihren Formulierungen bei dem Appell an die vier Mächte gehen können und wie weit in der Presse nach dessen Veröffentlichung. Inwieweit könne man die in Moskau und London abgegebenen Erklärungen der sowjetischen Regierung zu Deutschland verwenden (Ulbricht sagte, er denke an die Erklärungen der Gen. Molotov und Vyšinskij7). Gen. Čujkov antwortete, nach seiner Meinung sollte die politische Kampagne erst nach der Veröffentlichung des Appells der DDR-Regierung an die vier Mächte begonnen werden: die erste Etappe als Aufklärungskampagne, und dann, nach der Befürwortung dieses Vorschlags durch die Sowjetunion, die zweite Etappe der Kampagne. Dabei sei besonders darauf zu achten, dass der Schlag unerwartet kommt und dass die Westmächte und die Bonner Regierung keine Zeit haben, das Volk in die Irre zu führen und zu täuschen. Was die Äußerungen der sowjetischen Regierung in Moskau und London betreffe, so Gen. Čujkov, sei es nach seiner Meinung nicht zweckmäßig, sie zu verwenden. Grotewohl sagte darauf, ihm sei völlig klar, dass der Appell der DDRRegierung an die Alliierten ein ausschließlich deutscher Schritt ist. Ihm sei auch der Zweck eines solchen Schrittes klar: dem Generalvertrag einen Friedensvertrag mit Deutschland entgegenzusetzen. In der Mitteilung werde vorgeschlagen, eine Kopie des an die vier Mächte gerichteten Appells an die Bonner Regierung zu schicken, in dem diese seinem Verständnis nach aufzufordern sei, zum Appell der DDR-Regierung Stellung zu beziehen, d. h. sie solle erklären, ob sie diesen Appell unterstützt oder ablehnt.8 Aller Wahrscheinlichkeit nach werde die Bonner Regierung es aber ablehnen, den Appell zu unterstützen, und dann werde man alle politischen Mittel einsetzen müssen, um sie zu isolieren. In dem Brief an die Bonner Regierung, dem die Kopie des Appells beigelegt werde, sollten, fuhr Grotewohl fort, wohl keine 7  Gemeint waren offensichtlich die Erklärungen Molotovs auf der Moskauer Außenministerkonferenz vom 13. März 1947 (Neues Deutschland, 15. März 1947, S. 1) und der Londoner Außenministerkonferenz vom 26.  November 1947 (DDS  1, S. 121–128), vgl. Dok. 80, Fn. 9. Mit Vyšinskijs Erklärung war vermutlich dessen Rede vor der Pariser Außenministerkonferenz am 25. Mai 1949 gemeint, vgl. Neues Deutschland, 26. Mai 1949, S. 1–2. 8  In der Weisung vom 8. Februar 1952 (vgl. Fn. 2) hieß es dazu: „Eine Kopie dieses Ersuchens sollte nach Ansicht der sowjetischen Regierung der Bonner Regierung übermittelt werden, mit dem Ausdruck des Wunsches nach Unterstützung der in dem Ersuchen enthaltenen Vorschläge.“ Vgl. Foitzik, Interessenpolitik, S. 566.

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offenen Angriffe gegen Bonn enthalten sein. In diesem Zusammenhang bat Grotewohl, den Ton und den wesentlichen Inhalt dieses Briefes mit den so­ wjetischen Genossen zu besprechen.9 Gen. Čujkov bemerkte dazu, dass für die Westmächte und für die Bonner Regierung der Generalvertrag zweifellos eine hochwichtige Angelegenheit sei. Die Ergebnisse der Vorbereitung zu seiner Unterzeichnung seien allerdings nicht sonderlich günstig für die Westmächte. Für die Westmächte und die Bonner Regierung werde es sehr schwer sein, die Bitte der DDR-Regierung abzulehnen, denn die westdeutsche Bevölkerung werde sofort den Unterschied zwischen dem Vorschlag zum Abschluss eines Friedensvertrages und zur Erlangung der Einheit Deutschlands und dem Vorschlag zur Annahme eines Generalvertrages sehen, der an die Stelle des Besatzungsstatuts treten soll. Polemik gegen Adenauer und die Bonner Regierung sei offensichtlich nicht zweckmäßig. Er persönlich, fuhr Gen. Čujkov fort, stimme dem Gen. Grotewohl zu, der vorgeschlagen habe, „in dem Brief politische Mittel zu nutzen“. Der Appell der DDR-Regierung an die vier Mächte müsse, wie ihm [Čujkov] scheine, konkret, sachlich und höflich gehalten sein. Dabei sei ernsthaft zu betonen, dass das Volk nicht den Abschluss eines Generalvertrages wünscht, sondern dass es Frieden und den Abschluss eines Friedensvertrages erreichen will. Diese Frage müsse die wesentliche sein. Ulbricht, Grotewohl und Pieck stimmten den Bemerkungen des Gen. Čujkov zu. Ulbricht sagte auch, dass die wesentliche Frage jetzt die Fest­ legung der Position der DDR-Regierung sei, alle übrigen Fragen, die mit dem Führen der politischen Kampagne zusammenhängen, könne man später entscheiden. Gen. Semenov kam noch einmal auf die wesentlichen Aspekte der Mitteilung10 zurück und machte die deutschen Genossen darauf aufmerksam, dass der Appell der DDR-Regierung an die vier Mächte zum Friedensvertrag 9  Eine weitere Aufzeichnung zu einer Besprechung konnte nicht ermittelt werden. Die nächste Weisung des Politbüros des ZK der VKP (b) an Čujkov und Semenov zu dieser Frage vom 12. Februar 1952 enthielt jedoch Korrekturen zu einzelnen Formulierungen des (in der Weisung vom 8. Februar geforderten) Entwurfes von Grotewohl (den sie ansonsten als „völlig akzeptabel“ bezeichnete). Das Schreiben an die Bundesregierung sollte demnach die folgende Formulierung enthalten: „Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik erwartet, daß die Regierung … die Bitte um die Beschleunigung des Abschlusses eines Friedensvertrages mit Deutschland beachten und ihr entgegenkommen wird.“ (Vgl. Foitzik, Interessenpolitik, S. 567–568). Veröffentlicht wurde jedoch die Formulierung: „Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik erwartet, dass die Regierung der Bundesrepublik diesen den Wünschen und Interessen des Deutschen Volkes entsprechenden Vorschlägen beitritt.“ Vgl. DAPDDR 1, S. 76. 10  Gemeint war die Weisung vom 8. Februar 1952, vgl. Fn. 2 zu diesem Dokument.



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nicht mehr einfach die Fortsetzung früherer Maßnahmen ist. Dieser Schritt sei von historischer Bedeutung und werde eine neue Etappe im Kampf um den Frieden und die Einheit Deutschlands sein. Während die Streitfragen früher hauptsächlich die Fragen der Abhaltung gesamtdeutscher Wahlen und die Verabschiedung eines Wahlgesetzes gewesen seien, so stehen heute die Fragen des Friedensvertrages und der Erreichung von Frieden an erster Stelle. Die Frage des Abschlusses eines Friedensvertrages müsse für lange Zeit die einzige und wesentliche Frage werden. Es sei völlig klar, dass der Abschluss eines Friedensvertrages ohne die Erreichung der Einheit Deutschlands undenkbar ist, aber dennoch müsse an erster Stelle die Frage des Friedensvertrages stehen. Das Dokument der DDR-Regierung müsse kompakt und energisch sein. Ulbricht stimmte den Bemerkungen des Gen. Semenov zu und sagte, dass die politische Kampagne um den Appell der DDR-Regierung offensiv geführt werden müsse. Sie müsse dem Feind unsere Initiative aufzwingen. Die gesamte Argumentation müsse auf den baldmöglichsten Abschluss eines Friedensvertrages konzentriert sein. Gen. Semenov bemerkte, dass es nicht richtig wäre, die Frage nach den Grundlagen des Friedensvertrages in den Appell der DDR-Regierung einzubeziehen, denn das würde den Westmächten einen Vorwand liefern zu sagen, die DDR zwinge ihnen ihre Bedingungen des Friedensvertrages auf. Die Grundlinie der Propaganda müsse darauf gerichtet sein, die Politik der Westmächte zu entlarven, die das Fehlen eines Friedensvertrages und die Spaltung Deutschlands für ihre imperialistischen Interessen nutzen wollen, um Deutschland in einen Bruderkrieg zwischen Deutschen und Deutschen hineinzuziehen. Dabei bemerkte Gen. Semenov, dass dieser letzte Gedanke, auch wenn er schon früher erwähnt worden sei, im Wesentlichen neu sei, denn er werde hier besonders akut geäußert, und dass dieser Gedanke danach sorgfältig ausgearbeitet werden müsse.11 Mit Bezug darauf, wie frühere Äußerungen der Gen. Molotov12 und Vyšinskij zum Friedensvertrag zu zitieren seien, sagte Gen. Semenov, was und wie zu zitieren sei, werde klar sein, wenn die Sowjetunion ihr Dokument präsentiere, denn jetzt sei noch schwer zu sagen, welche Gedanken dort geäußert werden. Vorerst müsse man sich nicht an die Leitsätze halten, die in

11  Die hier kursiv hervorgehobenen Wörter sind möglicherweise nachträglich mit Schreibmaschine am Seitenende in das Dokument eingefügt worden. Die Zeile verläuft nicht parallel zum übrigen Text, und die Qualität des Durchschlags ist deutlich schlechter. 12  Dieser Name ist nicht mit letzter Sicherheit zu entziffern, ergibt sich aber aus dem Kontext.

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den verlesenen Sätzen formuliert seien. Gen. Semenov sagte weiter, nach seiner Meinung solle man sich direkter Angriffe gegen Bonn enthalten. Auf die Frage Piecks: „Wird der Friedensvertrag mit einer gesamtdeutschen Regierung geschlossen werden?“ antworteten die Gen. Čujkov und Semenov bejahend. Auf Grotewohls Frage, wie man sich die zeitliche Entwicklung der Ereignisse vorstelle, antwortete Gen. Semenov, es wäre gut, wenn man es schaffte, das Dokument13 schon am Montag anzusehen und es am Mittwoch oder Donnerstag an die deutschen Genossen zurückzugeben. Auf Ulbrichts Bemerkung, dass am Dienstag eine Sitzung des Politbüros stattfinde, sagte Gen. Čujkov, wenn das Dokument am Mittwoch fertig sei, dann könne man eine außerordentliche Sitzung des Politbüros einberufen.14 Ulbricht fragte, ob er den Mitgliedern des Politbüros vor der Sitzung über die ins Auge gefassten Aktionen berichten dürfe, worauf Gen. Čujkov antwortete, dies sei nach seiner Meinung nicht zweckmäßig, da Informationen an Stellen durchsickern könnten, an die sie nicht gelangen sollen. Ulbricht bemerkte darauf, dass von Seiten der Mitglieder des Politbüros15 Äußerungen des Inhalts zu vernehmen seien, dass einige Fragen ohne ihr Wissen entschieden werden und er dadurch in eine unangenehme Lage gerate. Wenn es irgendwie möglich sei, dann wäre es sehr gut, wenn die Mitglieder des Politbüros vor der Regierungssitzung davon erführen. Gen. Čujkov stimmte zu, dass die Frage der beabsichtigten Maßnahmen vor der Regierungssitzung auf einer Sitzung des Politbüros besprochen werden sollte. Ulbricht teilte sodann mit, dass das Politbüro im Namen der SED einen offenen Brief an die SPD zur gegenwärtigen politischen Lage schicken wolle, und er würde in diesem Zusammenhang gern die Meinung der Gen. Čujkov und Semenov dazu wissen, wann ein solcher Brief am besten zu schicken sei. Gen. Semenov antwortete, seiner Meinung nach sollte ein solcher Brief lieber später (d. h. nach dem Appell der DDR-Regierung und der Antwort der Sowjetunion) geschickt werden.16 13  Hier ist offensichtlich der von Grotewohl einzureichende Entwurf für das Schreiben der DDR-Regierung an die Besatzungsmächte gemeint, vgl. Fn. 3 und 9 zu diesem Dokument. 14  Die nächste Sitzung des Politbüros des ZK der SED fiel auf Dienstag, den 12. Februar 1952 (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/192). Einen Tag darauf, am Mittwoch, dem 13. Februar 1952, fand eine außerordentliche Sitzung statt, auf der das Schreiben an die Besatzungsmächte verabschiedet wurde (vgl. Fn. 3 zu diesem Dokument). 15  Zu dieser Zeit (außer Pieck, Grotewohl und Ulbricht): Franz Dahlem, Friedrich Ebert, Hermann Matern, Fred Oelßner, Heinrich Rau und Wilhelm Zaisser. 16  Auf seiner Sitzung vom 20. März 1952 nahm das Politbüro des ZK der SED den Entwurf eines Briefes an den Parteivorstand der SPD in Bonn an und beauftragte



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Gen. Čujkov sagte, dass man in einem solchen Schreiben dem Generalvertrag den Friedensvertrag mit Deutschland entgegenstellen und so die Lüge der Bonner Regierung entlarven könnte. Möglicherweise müsse man auch den Umstand nutzen, dass 136 Abgeordnete des Bundestages gegen einen militärischen Beitrag Deutschlands zur Verteidigung gestimmt haben.17 Zwar sei diese Opposition nur eine Scheinopposition, aber sie mache auch deutlich, dass die Westmächte im Bundestag keine überwältigende Mehrheit haben. * 2. Gen. Semenov teilte sodann mit, dass elf junge Kriminelle im Zusammenhang mit Verbrechen gegen die sowjetischen Besatzungsbehörden durch den Obersten Sowjet der UdSSR begnadigt worden seien.18 Ackermann mit der Schlussredaktion (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/203, TOP 4, Anlage 2). Am 27. März stimmte es zudem einem „Brief an den Landesvorstand und Landesausschuss der SPD Groß-Berlin“ zu (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/204, TOP 7, Anlage 2). Der Brief des ZK der SED an den Parteivorstand der SPD wurde am 24. März in Bonn übergeben (vgl. Berliner Zeitung, 29. März 1952, S. 1). Zu dem an den „Landesvorstand und Landesausschuß der SPD in Berlin“ gerichteten Schreiben vgl. Neues Deutschland, 30. März 1952, S. 1. 17  Am 8. Februar 1952 stimmte der Bundestag über den „Antrag Drucksache Nr. 3077“ ab, bei dem es sich „um den finanziellen Verteidigungsbeitrag“ handelte. Als Resultat der Abstimmung verkündete Bundestagspräsident Ehlers: „Bei wenigen Enthaltungen ebenfalls mit Mehrheit angenommen.“ Vgl. BT Stenographische Berichte, 191. Sitzung, 8. Februar 1952, S. 8242. Eine namentliche Abstimmung erfolgte nicht, die Zahl von 136 Abgeordneten konnte nicht eruiert werden. 18  Bereits einen Monat zuvor hieß es im Protokoll der Politbürositzung vom 8. Januar 1952 unter TOP 8 („Verfahren gegen 11 Jugendliche in Jena“) lapidar dazu: „Die 11 Jugendlichen werden durch die deutschen Organe übernommen.“ Vgl. BABSAPMO, DY 30/IV 2/2/186. Noch ohne Kenntnis ihrer Begnadigung wurde am 24. April 1952 im Bundestag über diesen Fall berichtet: „In Jena wurden im März 1951 durch ein sowjetisches Tribunal 10 Jugendliche zu je 25 Jahren Zwangsarbeit wegen „antidemokratischer und antisowjetischer Propaganda“ verurteilt … Die Jugendlichen nahmen an einer Feier anläßlich des Geburtstages von Wilhelm Pieck am 3.1.1951 im Volkshaussaal in Jena teil. Einer von ihnen soll eine Stinkbombe zum Platzen gebracht haben. Aus dem Vorfall wurde durch den SSD ein hochpolitisches Vergehen konstruiert. Die erste Verhandlung vor einem sowjetzonalen Gericht erbrachte Strafen in Höhe von einigen Monaten. Das Strafmaß erschien der sowjetischen Kontrollkommission jedoch zu niedrig. Sie übergab den Fall einem sowjetischen Militärtribunal. In dem am 22. und 23. März durchgeführten Prozeß wurden die Jugendlichen zu insgesamt 250 Jahren Strafarbeitslager verurteilt.“ Vgl. den Bericht des Ausschusses für gesamtdeutsche Fragen „über den Antrag der Zentrumsfraktion betr. Bemühungen zur Freilassung von in der sowjetischen Besatzungeszone aus politischen Gründen inhaftierten Jugendlichen (Nrn. 3256, 2019 der Drucksachen)“, BT Stenographische Berichte, 206. Sitzung, 24. April 1952, S. 8952–8955, hier S. 8953– 8954. Die Jugendlichen waren Anfang Januar 1951 verhaftet worden. Laut Verneh-

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Pieck bemerkte, für die deutschen Gerichtsbehörden werde es schwierig sein, die Kriminellen nach ihrer Begnadigung durch den Obersten Sowjet für Verbrechen gegen die DDR zu verurteilen. Aber im Hinblick darauf, dass man sie auch nicht freilassen könne, da sie sofort flüchten würden, sollte eine Erklärung abgegeben werden, laut der die früher verurteilten jungen Leute für etwa ein Jahr in einen Jugendwerkhof eingewiesen werden, um sie im demokratischen Geist zu erziehen. Ulbricht schlug vor, eine Erklärung abzugeben, dass das Gericht der DDR die jungen Leute für ihre Verbrechen gegen die Regierung der DDR nicht verurteile, sie aber mit Rücksicht auf ihr jugendliches Alter zur Umerziehung in einen Jugendwerkhof einweise.19 Gen. Semenov stimmte dem Vorschlag Ulbrichts zu und sagte, dass es nach der Begnadigung der Kriminellen durch die Sowjetunion nicht zweckmäßig sei, die Sache erneut aufzurollen. Gen. Čujkov bemerkte, das Gericht habe nicht nur das Recht, die Strafdauer festzusetzen, sondern auch den Inhalt der Strafe, so dass ein solcher Vorschlag völlig akzeptabel sei. mungsprotokollen und Berichten des MfS sollen sich einzelne der im Bundestag namentlich genannten Jugendlichen während des Deutschlandtreffens der Jugend (vgl. Dok. 25, Fn. 19) in West-Berlin aufgehalten haben, in Kontakt zum RIAS und zur Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU) gekommen sein und von letzterer Schriften zur Verbreitung, Malerwalzen für Flugblätter und Stinkbomben erhalten haben (vgl. BStU, BV Gera AOP 28/52, Bd. 1, Bl. 3–5, 13–60, 145–290). Die übrigen verhafteten Jugendlichen hatten entweder an der Störungsaktion der offiziellen Geburtstagsfeier für Pieck teilgenommen, Flugblätter oder Schriften weitergegeben und/oder der geheimen Jugendgruppe „Freie Gemeinschaft“ mitangehört. Die Eltern der Jugendlichen wurden nicht oder nur vage informiert (vgl. ebenda, Bl. 9–10, und ebenda, Bd. 2, Bl. 205–236). Es handelte sich um zehn Jugendliche; die genannte Zahl elf kann dadurch zustande gekommen sein, dass der zeitgleich mit den Jugendlichen verhaftete und am 10. Januar 1951 „wegen Spionagetätigkeit zu 25 Jahren Freiheitsentzug“ verurteilte Paul Lehmann (geb. 1893) in der gleichen MfS-Akte wie die Jugendlichen geführt wurde. Lehmann wurde jedoch erst am 17. Januar 1954 entlassen (vgl. BStU, BV Gera AOP 28/52, Bd. 1, Bl. 4, 293, und ebenda, Bd. 2, Bl. 238, 290). 19  Eine diesbezügliche Erklärung ist nicht veröffentlicht worden. Im russischsprachigen Original verwendete der Protokollant hier wörtlich den Ausdruck „Besserungsarbeitskolonie“. Jugendwerkhöfe sollten der Umerziehung von als sozial auffällig geltenden Jugendlichen dienen. Die Einweisung erfolgte nicht notwendigerweise, aber oft im Zusammenhang mit „kriminellen Strafdelikten“. Bis 1952 waren sie in der DDR nicht einheitlich organisiert und variierten je nach Land, nach dem „Grad der Erziehungsschwierigkeit“ und den Ausbildungsmöglichkeiten, vgl. Verena Zimmermann, „Den neuen Menschen schaffen“. Die Umerziehung von schwererziehbaren und straffälligen Jugendlichen in der DDR (1945–1990), Köln/Weimar/Wien 2004, S. 234, 257–258, 261–269. Nach dem am 15. Mai 1952 vom DDR-Ministerrat beschlossenen Jugendgerichtsgesetz waren sie als schwerstwiegende Erziehungsmaßnahme vorgesehen (vgl. BAB, DC 20-I/3/107, TOP 18, Anlage 15, § 14).



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3. Gen. Semenov teilte mit, dass im März 1951 der Sohn von Max Reimann, Josef, von den Organen des MfS der DDR verhaftet worden sei. Der Verhaftete habe ausgesagt, im Auftrag der englischen Aufklärung gegen die sowjetischen Besatzungsbehörden in der DDR gearbeitet zu haben (zunächst in Westdeutschland; dann sei er in die DDR geschleust worden). Er müsse offenbar vor Gericht gestellt und isoliert werden. Pieck bemerkte dazu, er werde „in einem deutschen Gefängnis nicht erzogen werden, deshalb sollte er besser in ein sowjetisches Gefängnis geschickt werden. Max Reimann wird damit sicher auch einverstanden sein“. Gen. Čujkov warnte die deutschen Genossen, dass diese Tatsache nicht an die Öffentlichkeit gelangen dürfe.20 * 4. Zum Abschluss des Gesprächs teilte Ulbricht mit, dass die Organe des MfS derzeit die Anwerbung von Personen zur Auffüllung ihres Apparats betreiben, wobei sie, um die benötigten 5 000 Personen auszuwählen, etwa 100 000 SED-Mitglieder überprüfen müssen. Eine solche Maßnahme, sagte Ulbricht, sei derzeit politisch nicht zweckdienlich. Außerdem sollte nach Ulbrichts Meinung die Rekrutierung bis zur Abhaltung der Kreisparteikonferenzen ausgesetzt werden. Gleichzeitig werde die Auswahl von Personen von den Vertretern Keßlers betrieben.21 Die gleiche Situation herrsche auch bei 20  Josef Reimann, der Sohn des KPD-Vorsitzenden Max Reimann, war auf Wunsch und durch Vermittlung seines Vaters nach der Entlassung aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft im März 1949 auf die Polizeischule in Torgau aufgenommen worden, desertierte aber bereits Anfang September desselben Jahres in den Westen, von wo aus er in den Wochen unmittelbar danach Rundfunk- und Presseinterviews gab. Nach seiner eigenen Aussage versuchte er am 10. März 1951 auf eigenen Wunsch, in die DDR zurückzukehren und wurde dabei verhaftet. Das MfS vernahm ihn sofort und legte einen „Gruppenvorgang“ an. Erich Mielke berichtete dazu am 12. März des Jahres. Noch im April des Jahres begann die Vorbereitung eines Prozesses. Erst im Januar des folgenden Jahres gelangten Informationen über seine Verhaftung in den Westen, vgl. Der Spiegel 3/1952. Am 7. Februar 1952 – zwei Tage bevor Semenov die SED-Führung informierte – begannen neue Vernehmungen durch das MfS, die sich bis 1953 hinzogen. Erst am 1. Oktober 1953 fand in einer öffentlichen Sitzung in Rostock der Prozess gegen Josef Reimann statt, in dem dieser unter Anrechnung seiner Untersuchungshaft zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Nachdem 1955 ein Gnadengesuch abgelehnt worden war, wurde seine Strafe ein Jahr später ausgesetzt. MfS-Nachforschungen zu seinem Verbleib führten 1958 zu einer Fehlmeldung. Seine Spuren verloren sich. Vgl. BStU, MfS AU, Bd. 39/51, Teil 1–4. 21  Heinz Keßler war zu diesem Zeitpunkt Leiter der für den Aufbau der zukünftigen Luftstreitkräfte zuständigen „Zweigstelle Johannisthal“ der HV Ausbildung (ab 1. Juli 1952: Volkspolizei-Luft). Nachdem der Ministerrat der Sowjetunion am 15. November 1951 beschlossen hatte, ab 1952 in der Sowjetunion 220 deutsche Jagdflugzeugpiloten auszubilden (vgl. Foitzik, Interessenpolitik, S. 554–556), suchte

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der Auswahl von Mitgliedern der FDJ. Ulbricht sagte, seiner Ansicht nach sollte in dieser Frage Ordnung geschaffen werden. Auf Ulbrichts Bemerkung antwortete Gen. Čujkov, eine solche Situation bezeuge, dass die Kaderabteilungen der SED ihre Leute nicht kennen, denn anderenfalls müssten die Vertreter des MfS ihre Mitarbeiter nicht aus 100 000, sondern aus, sagen wir, 10 000 Parteimitgliedern auswählen, da die Kaderabteilungen ihnen behilflich sein könnten. Die politische Lage sei aber derzeit so, dass sie es nicht gestatte, die Situation mit den Kadern des MfS zu dulden, die nur zu 50 Prozent besetzt sind.22 Der Feind weite seine ­Tätigkeit aus und aktiviere sie. Für den Kampf gegen ihn sei die Schaffung eines breiten Agentennetzes erforderlich. Ulbricht sagte, die Organe des MfS würden sich nicht mit den Kaderabteilungen der SED beraten. Gen. Semenov äußerte die Meinung, dass jetzt entsprechende Instruktionen vorbereitet werden müssen, die die Situation in Ordnung bringen und dass mit der Rekrutierung der Kader begonnen werden müsse. Gen. Čujkov bemerkte zum Schluss, die Auswahl der Kader sei eine Angelegenheit der SED, und eine Einmischung der SKK in diese Fragen sei nicht erforderlich. Klar sei eins – die Organe des MfS befinden sich in einer schwierigen Lage. Das Gespräch wurde gedolmetscht und aufgezeichnet von Bogomolov23 AVP RF, f. 0457a, op. 12, p. 65, d. 3, Bl. 62–67.

der Stab in Johannisthal ab Anfang 1952 intensiv nach geeignetem Personal aus Mitgliedern der SED und der FDJ, um bis zum 15. März die Teilnehmer vorschlagen zu können (vgl. Diedrich/Wenzke, Die getarnte Armee, S. 134–152). Während des ganzen Jahres 1952 wuchs das Gesamtpersonal der Zweigstelle/der VP-Luft von 123 auf 4954 Personen (vgl. Hans Ehlert, Die Hauptverwaltung für Ausbildung [1949–1952], in: Diedrich/Ehlert/Wenzke, Im Dienste der Partei, S. 253–280, hier S. 275). Offensichtlich kam es zu einer Konkurrenzsituation mit dem MfS bei der Anwerbung von „Kadern“ aus SED und FDJ. 22  Auf seiner Sitzung vom 4. März 1952 nahm das Politbüro des ZK der SED den Bericht Zaissers über „Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeit des Apparates der Staatssicherheit“ zur Kenntnis und beauftragte ihn, „zur nächsten Sitzung eine Beschluß-Vorlage einzureichen“ (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/198, TOP 5). Am 18. März 1952 verabschiedete es dann eine Entschließung „über die Arbeit des Ministeriums für Staatssicherheit“ (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/202, TOP 12, Anlage 8). 23  Handschriftlich.



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97. Schreiben von Botschafter Appelt an Staatssekretär Ackermann Streng vertraulich

Moskau, 13. Februar 19521

Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Heute traf bereits die telegrafische Antwort des Herrn Ministerpräsidenten auf das Angebot der Sowjetregierung über 20 000 Güterwagen ein.2 Dieses rasche Reagieren ist sehr erfreulich und wird bei den sowjetischen Stellen sicher einen guten Eindruck machen. Bei dieser Gelegenheit möchte ich jedoch Kritik üben an der Haltung der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik gegenüber dem Beschluß der Sowjetregierung auf Überlassung der elektrischen Lokomotiven und der Kraftwerke. Wie Ihnen bekannt ist, wandte sich Ministerpräsident Otto Grotewohl im Namen der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik an die Sowjetregierung mit der Bitte, uns elektrische Ausrüstungen und Kraftwerke zur Elektrifizierung des Berufsverkehrs im mitteldeutschen Industriegebiet zu überlassen.3 Die Sowjetregierung zögerte einige Monate mit der Antwort (wahrscheinlich deshalb, weil die Entscheidung der Frage nicht ganz leicht war), was den Herrn Ministerpräsidenten veranlaßte an den Vor1  Durchdruck.

2  Grotewohl hatte am 10. Oktober 1950 zur Lösung von Transportproblemen um die Lieferung von 15 000 bis 20 000 Güterwagen gebeten, die nach Kriegsende von der Roten Armee konfisziert worden waren, um Mängel an Transportkapazitäten zu beheben. Bulganin hatte am 31. Oktober dem Rückkauf von 20 000 Güterwagen zugestimmt, vgl. Dierk Hoffmann, Otto Grotewohl (1894–1964). Eine politische Biographie, München 2009, S. 476 (vgl. dazu auch Lemke, Einheit oder Sozialismus, S. 243–244, Anm. 13). Am 14. April 1951 war im Ministerium für Verkehrswesen der UdSSR ein erstes Abkommen über den Verkauf der Waggons geschlossen worden (vgl. PA AA, MfAA A, Bd. 10054, Bl. 20 und 34). In der Folge kam es offensichtlich bei den Verhandlungen über die Durchführung der Lieferung zu Verzögerungen, u. a. da 6000 der Waggons defekt waren und zunächst Radsätze sowie Bremswagen aus der DDR geliefert werden mussten (ebenda, Bl. 17–19, 25–29). Zum zweiten Abkommen über den Verkauf der Güterwagen vgl. Fn. 9 zu diesem Dokument. Das Telegramm Grotewohls vom 13. Februar konnte nicht ermittelt werden. 3  Am 10. Januar 1951 hatte sich Grotewohl an die Regierung der UdSSR gewandt mit der Bitte, „zu prüfen, ob sie in der Lage ist, uns elektrische Triebwagenzüge, elektrische Lokomotiven und die Ausrüstung für ein Bahnkraftwerk mit den dazugehörigen Unterwerken im Austausch gegen anderes Eisenbahnmaterial zur Verfügung zu stellen“, und dies mit Schwierigkeiten bei der zur Durchführung des Fünfjahrplanes notwendigen „Steigerung der Verkehrsleistungen im mitteldeutschen Industriegebiet und im großstädtischen Berufsverkehr“ begründet, „weil die für die Verbesserung der Verkehrsanlagen erforderliche Ausrüstung in der Deutschen Demokratischen Republik noch nicht erzeugt und auch durch Einfuhren nicht beschafft werden kann“, vgl. BAB, DC 20/15468, Bl. 7.

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sitzenden des Ministerrates der UdSSR einen zweiten Brief zu richten.4 Aufgrund dieser neuerlich vorgetragenen Bitte faßte die Sowjetregierung den Beschluß, eine zustimmende Antwort zu erteilen und den Bedürfnissen der Deutschen Demokratischen Republik weitgehendst entgegenzukommen.5 Als jedoch dieser Beschluß in Berlin vorlag, wurde er monatelang ignoriert bzw. es wurde nichts für seine Durchführung getan. Es dauerte einige Monate bis Generaldirektor Kramer zu den Verhandlungen über den Vertragsabschluß in Moskau eintraf. Wie ich von ihm erfuhr, hat das Ministerium für Planung6 die lange Verzögerung verursacht, weil es mit der Erwerbung der elektrischen Ausrüstung nicht einverstanden war. Das ist jedoch ein völlig unmögliches Verhalten gegenüber einem Beschluß der Sowjetregierung, der auf 4  Am 13. Juli 1951 bat Grotewohl unter Bezugnahme auf sein Schreiben vom 10. Januar (vgl. Fn. 3) erneut um die Prüfung der darin gestellten Bitte, „[d]a die Gewährung einer solchen Hilfe für die Deutsche Demokratische Republik bei der Verwirklichung ihrer Wirtschaftspläne von großer Bedeutung wäre“. Vgl. BAB, DC 20/15468, Bl. 6. 5  Am 8. Oktober 1951 teilte Puškin Grotewohl den Beschluss der Regierung der UdSSR mit, entsprechend seiner Bitte „der Deutschen Demokratischen Republik die Einrichtung eines Kraftwerkes mit den dazugehörigen Unterwerken und dem rollenden Material für elektrifizierte Bahnen im Tausch gegen Personenwagen aus Ganz­ metall zu verkaufen. Es wird vorgeschlagen, Verhandlungen zur Frage des Verkaufs in Moskau im Oktober/November 1951 zwischen den entsprechenden Vertretern der Deutschen Demokratischen Republik und dem Ministerium für Außenhandel der UdSSR zu führen.“ Vgl. BAB, DC 20/15468, Bl. 2 und 4. Nach einem weiteren Beschluss des Ministerrates der UdSSR über die gegenseitige Lieferung kam von Seiten der GUSIMZ die Forderung nach einer Verkürzung der Lieferfristen für die DDR auf, begründet in einem Schreiben von Pautin, Gundobin und Zorin an Mikojan vom 7.  März 1952: „Laut Anordnung des Ministerrats der UdSSR Nr. 1113-366 vom 28.2.1952 ist die Übergabe von Elektrozügen und Ausrüstungen für Kraftwerke und Bahnunterwerke an die Deutsche Demokratische Republik im Tausch gegen Personenzugwaggons vorgesehen: im Jahr 1952 25 Stück, 1953 180 Stück und im ersten Quartal 1954 150 Stück. Gemäß Vereinbarung mit der Hauptverwaltung für sowjetisches Vermögen im Ausland beim Ministerrat der UdSSR (Gen. Sergeev) besteht 1952 die Möglichkeit, nicht 25, sondern 225 Vollmetall-Personenzugwaggons zweiter Klasse zusätzlich in die Sowjetunion zu liefern, davon 125 Stück durch Steigerung des Produktionsplans. Im Zusammenhang mit Ihrem Auftrag ist von uns zusätzlich die Frage der Lieferung von Personenzugwaggons aus der Deutschen Demokratischen Republik im Jahr 1952 geprüft worden. Wir sind der Meinung, dass 1952 225 Waggons zusätzlich in die Sowjetunion geliefert werden können und schlagen vor, in der Anordnung des Ministerrats der UdSSR Nr. 1113-366 vom 28.2.1952 eine teilweise Änderung vorzunehmen.“ Vgl. GA RF, f. R-5446, op. 86a, d. 1028, Bl. 5. Diese Forderung wurde in die Verfügung des Ministerrats der UdSSR Nr. 5991-rs vom 20. März 1952 „Über die Lieferfristen für Passagierwaggons der DDR“ übernommen, gemäß der im Jahr 1952 225 Passagierwaggons geliefert werden sollten und 1953 die restlichen 180, vgl. ebenda, Bl. 16. 6  Gemeint war die im November 1950 aus dem Ministerium für Planung hervorgegangene Staatliche Plankommission (SPK) unter Leitung von Heinrich Rau.



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Wunsch der Regierung der DDR gefaßt wurde. Wenn das Ministerium für Planung Bedenken hatte, dann hätte es dieselben vorbringen müssen, bevor der Herr Ministerpräsident seine zwei Briefe an die Sowjetregierung gerichtet hat. Nachdem das letztere jedoch geschehen war und ein Beschluß der Sowjetregierung vorlag, war ein solches Verhalten von seiten der Planung nicht mehr zulässig. Ich weiß durch zwei Gespräche mit Verkehrsminister Beschtschew, daß man sich hier das Ausbleiben von Generaldirektor Kramer nicht erklären konnte und über die deutsche Reagenz7 auf den Beschluß der Sowjetregierung befremdet8 war. Ich konnte nicht einmal beruhigend eingreifen, weil ich von Berlin aus ohne Information gelassen und nicht darüber unterrichtet wurde, weshalb die Verzögerung eingetreten ist. Meiner Meinung nach soll sich so etwas nicht mehr wiederholen. Wenn man uns das bei den gegenwärtigen Verhandlungen nicht nachgetragen hat, so beweist das nur von neuem, daß man uns gegenüber außerordentlich viel guten Willen aufbringt. Der gute Wille darf jedoch nicht auf die Dauer mißbraucht werden. Auch unter Freunden muß man sich an die Regeln im außenpolitischen Verkehr halten, die allgemein üblich sind. Zu Ihrer Information kann ich Ihnen mitteilen, daß der Vertrag über die elektrische Ausrüstung und die Kraftwerke wahrscheinlich zusammen mit dem zweiten Vertrag über die Güterwagen im Laufe der nächsten Woche zur Unterzeichnung gelangen wird.9 Wir werden die elektrische Ausrüstung zu 7  So

im Original, wahrscheinlich ist „Reaktion“ gemeint. „verwundert“. 9  Zu früheren Verhandlungen und zu einem ersten Abkommen über den Verkauf der Güterwagen vgl. Fn. 2 zu diesem Dokument. Zu dem hier von Appelt angekündigten zweiten Abkommen erging am 4. April 1952 die Anordnung des Ministerrats der UdSSR Nr. 1658-602s, in der es hieß: „2. Das Ministerium für Verkehr wird verpflichtet, im Jahr 1952 20 000 im Fuhrpark der Eisenbahnen der UdSSR befindliche zweiachsige Güterwaggons deutscher Bauart aus dem Bestand der erbeuteten Waggons in die Deutsche Demokratische Republik zu verschicken … Das Verkehrsministerium (Gen. Krasnobaev) wird beauftragt, sowjetischerseits ein Abkommen mit der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik über den Verkauf von 20 000 Güterwaggons entsprechend dieser Anordnung zu unterzeichnen.“ Vgl. GA RF, f. R-5446, op. 86а, d. 1240, Bl. 29–30. Am 9.  April übergab Gribanov Appelt den Vertragsentwurf. Appelt berichtete dazu am 10. April an das MfAA: „Über diese Frage wurde von Generaldirektor Kramer in Moskau verhandelt, die Verhandlungen wurden jedoch damals nicht zum Abschluss gebracht. Jetzt liegt sowjetischerseits der Vertragsentwurf vor und wir sollten uns dazu baldigst äußern.“ Vgl. PA AA, MfAA, A 143, Bl. 456. Der Vertrag über den Verkauf der Güterwagen sollte laut Aktenvermerk von Schütz über seine Unterredungen in der Dritten Europäischen Abteilung des MID vom 22. Mai am 10. Mai 1952 im Ministerium für Verkehrswesen der UdSSR in Anwesenheit von Appelt, Banaschak und Kramer unterzeichnet werden, vgl. ebenda, Bl. 441. Wann der Vertrag über die elektrische Ausrüstung und die Kraftwerke unterzeichnet wurde, konnte nicht ermittelt werden. Dieser war mit der Liefe8  Ursprünglich:

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Bedingungen erhalten, die keinesfalls als „kommerzielle“ Bedingungen bezeichnet werden können. Es ist offensichtlich, daß uns die Sowjetregierung eine große politische Hilfe mit der elektrischen Ausrüstung und mit den Güterwagen geben will, und es ist notwendig, daß das deutscherseits auch richtig eingeschätzt wird. Mit den besten Grüßen! Appelt10 PA AA, MfAA A, Bd. 608, Bl. 323–324.

98.  Unterredung zwischen dem Vorsitzenden der SKK Čujkov, dem Politischen Berater Semenov und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht Streng geheim

15. Februar 19521

Aufzeichnung einer Unterredung des Vorsitzenden der Sowjetischen Kon­ trollkommission in Deutschland, Armeegeneral V.I.  Čujkov, und des Politischen Beraters beim Vorsitzenden der SKK, V.S. Semenov, mit dem stell­ vertretenden Ministerpräsidenten der DDR und Generalsekretär der SED W. Ulbricht Die Unterredung fand im Arbeitszimmer von Gen. V.I. Čujkov statt und dauerte von 21:00 bis 22:30 Uhr. Zu Beginn der Unterredung ging Gen. Čujkov auf den von Ulbricht zugesandten Entwurf einer Erklärung Orlopps zum Interzonenhandel ein und bemerkte, der Text der Erklärung sei defensiv gehalten.2 Kaumann und Leopold rung von Passagierwaggons durch die DDR verbunden worden, vgl. Fn. 5 zu diesem Dokument. 10  Handschriftlich eingetragen. 1  Das Original ging an Čujkov. Kopien dieses Dokuments gingen an: Semičastnov, Semenov, Bykov, Kaverznev und das MID. Es handelt sich um das Exemplar für Semenov. Das Dokument erhielt im Sekretariat der SKK am 5. März 1952 die Ausgangsnummer 001591. Bei der Verwaltung des Politischen Beraters wurde es am selben Tag unter der Eingangsnummer 01159 registriert. 2  Der Entwurf einer Erklärung Orlopps zum Interzonenhandel konnte nicht belegt werden. Nachverhandlungen zum Interzonenhandelsabkommen vom 20. Juli 1951 („Berliner Abkommen“, vgl. Dok. 77, Fn. 4) waren im November 1951 gescheitert, sollten jedoch in beiderseitigem Einvernehmen wieder aufgenommen werden (vgl. zu diesem Konflikt Dok. 87, Fn. 2). Aus Vermerken Kaumanns vom Januar und Februar 1952 geht hervor, dass in Besprechungen mit Orlopp am 7. und 8. Januar die Wiederaufnahme von Verhandlungen zu den Liefermengen von Kohle, Eisen und Stahl sowie zur Frage der Warenbegleitscheine für Lieferungen aus West-Berlin in die Bun-



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würden ihre Vorschläge durchziehen. Wenn sie an Lieferungen der von ihnen benötigten Materialien interessiert seien, würden sie schlichtweg frech. Orlopp jedoch führe die Verhandlungen nicht hart genug und mache Konzes­ sionen. „Uns ist bekannt“, sagte Gen. Čujkov, „dass in Westberlin die jähr­ liche Fehlmenge an Kohle um die 30–40 000 Tonnen beträgt.“3 Diese Fehlmenge könne nur durch Ausfuhr4 von Kohle aus den USA abgedeckt werden, aber da deren Transport aus den USA um etwa das Doppelte teurer sei, wollten die Westler die Kohle aus der DDR beziehen. Dieser Hebel werde ebenso wie die Fehlmenge an Kies in den Verhandlungen nicht ausreichend genutzt. In diesem Zusammenhang halte es die Sowjetische Kontrollkommission für angebracht, Folgendes zu empfehlen: 1. Orlopp soll die Verhandlungen weiter führen und die Ausführung der schon teilweise oder ganz bezahlten Aufträge, insbesondere des Auftrags zur Lieferung eines Walzwerks, verlangen. 2.  Der Lieferung von Briketts ist nicht zuzustimmen, wenn die schon fertiggestellten Ausrüstungen nicht geliefert werden. 3.  Der Lieferung von Briketts für Westberlin im Tausch gegen Superphosphat ist zuzustimmen unter der Bedingung, dass das Superphosphat in der erforderlichen Menge zur Frühjahrsaussaat geliefert wird. 4. Es werden keinerlei Erklärungen bezüglich der Warenbegleitdokumente5 abgegeben, da diese Frage absolut nichts mit dem Handelsabkommen zu tun hat. Aus den Verhandlungen ergebe sich aber, bemerkte Gen. Čujkov an dieser Stelle, dass sich Orlopp schon indirekt mit dem Übersenden der Warenbegleitdesrepublik vereinbart worden war. In dem „Entwurf einer Vereinbarung“ vom 13. Februar 1952 hieß es betr. Anlagen zum Berliner Abkommen: „In der Zeit vom 28. Januar bis 7. Februar haben die Sonderverhandlungen zur Spezifikation der Kohle- und Eisenlieferungen und über das Verfahren in der Behandlung der Westberliner Warenbegleitscheine stattgefunden. Die Verhandlungen waren kompliziert und nahmen daher einen längeren Zeitraum in Anspruch … Als Stichtag für die Ingangsetzung des Berliner Abkommens wurde unter der Voraussetzung einer Einigung über die noch offenen Verhandlungsgegenstände vorab der 15. Februar bestimmt.“ Vgl. PA AA, B 10, Bd. 1785. 3  Die Daten für die Kohlenfehlmenge konnten nicht belegt werden. 4  So im Original, gemeint ist die Einfuhr von Kohle aus den USA. 5  Im Frühjahr 1951 hatte die SKK für Vorbehaltsgüter, die aus West-Berlin in die Bundesrepublik geliefert wurden, Ursprungsnachweise gefordert, um die illegale Ausfuhr entsprechender Waren aus der DDR zu unterbinden. Die schleppende Erteilung von Warenbegleitscheinen durch die SKK hemmte in der Folge den Warenverkehr. Die AHK sowie die westdeutschen Unterhändler machten wiederholt die Wiederaufnahme von Verhandlungen über das „Berliner Abkommen“ (vgl. Dok. 77, Fn. 4) von der Lösung dieses Problems sowie vom Abbau der Verkehrsbehinderungen abhängig, vgl. Peter E. Fäßler: Durch den „Eisernen Vorhang“. Die deutsch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen 1949–1969, Köln/Weimar/Wien 2006, S. 123–132.

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dokumente über den Treuhandrat6 einverstanden erklärt habe, womit er sich Funktionen angemaßt habe, die ein Vorrecht der Besatzungsbehörden seien. 5.  Da das allgemeine Handelsabkommen faktisch nicht eingehalten wird, könnte man teilweise, ohne Vorwarnung, die Abgabe von Strom für Westberlin abschalten. Nach Meinung von Spezialisten der SKK könnte man, so Gen. Čujkov, den Strom, der nach Westberlin abgegeben wird, gegebenenfalls von Berlin nach Mecklenburg umleiten. Ulbricht bemerkte, in diesem Falle würde laut den Erklärungen deutscher Spezialisten die Spannung nur für Beleuchtung ausreichen, während der Bedarf der großen Werften7 nicht gedeckt würde. Gen. Čujkov sagte, man könne die Erklärung der Spezialisten der SKK prüfen. Bezüglich der Straßenbenutzungsgebühren8 sagte Gen. Čujkov, es wäre zweckmäßig, dieses Mittel vorerst nicht anlaufen zu lassen. Ulbricht stimmte den Bemerkungen des Gen. Čujkov zu und sagte, im Falle einer Erhöhung der Straßenbenutzungsgebühren könnten die westlichen Besatzungsmächte erneut eine Luftbrücke9 eröffnen. 6  Hier ist die „Treuhandstelle für den Interzonenhandel“ gemeint, die am 2. November 1949 zur Durchführung des Frankfurter Abkommens vom 8. Oktober 1949 über den Interzonenhandel 1949/50 (vgl. Dok. 17, Fn. 18) mit Unterstützung des Bundesministeriums für Wirtschaft als Organ des Deutschen Industrie- und Handelstages mit Sitz in Frankfurt am Main gegründet wurde und für die bundesrepublikanische Seite alle Verhandlungen mit Bezug zum neuen Interzonenhandelsabkommen (Berliner Abkommen) führte. Anfang 1950 wurde sie nach West-Berlin verlegt. Vgl. dazu DzD II, 2, S. 126, Anm. 2, und Dok. 12, Fn. 8. 7  So im Original. Offensichtlich sind hier die Werften der DDR gemeint. 8  Am 6. September 1951 hatte sich der DDR-Ministerrat „[n]ach Berichterstattung durch Ministerpräsident Grotewohl … mit der vom Ministerpräsidenten verfügten Zurückziehung der am 30. August 1951 beschlossenen Verordnung über die Erhebung von Gebühren für Kraftfahrzeuge, die nicht in der Deutschen Demokratischen Republik registriert sind“, einverstanden erklärt und die „Verordnung über die Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren für Kraftfahrzeuge“ beschlossen, die keine Gebühren vorsah für: „1. Kraftfahrzeuge der Besatzungsmächte und der Militärmissionen; 2. Kraftfahrzeuge der Diplomatischen Missionen; 3. Kraftfahrzeuge, die Kennzeichen der Deutschen Demokratischen Republik oder des Demokratischen Sektors von Berlin führen; 4. de[n] Berufsverkehr von Arbeitern und Angestellten nach Maßgabe der dazu ergehenden Sonderbestimmungen“. Vgl. BAB, DC 20-I/3/67, TOP 10, Anlage 4. 9  Zur Einrichtung der „Kleinen“ oder kommerziellen Luftbrücke Anfang August 1951 vgl. Dok. 87, Fn. 4. Da sie die Störungen des Transitverkehrs als nunmehr beendet ansah, schlug die Alliierte Hohe Kommission am 1. Februar 1952 der Bundesregierung die baldige Einstellung der Luftbrücke vor. Die Bundesregierung sprach sich für ihre Fortführung aus, die Alliierte Hohe Kommission forderte daraufhin, sie müsse in diesem Fall deren Finanzierung selbst übernehmen. Zu dieser Diskussion notierte Kroll am 10. März 1952: „1. Bei der im Bundeskanzleramt unter Vorsitz von Staatssekretär Dr. Lenz am 7. März abgehaltenen Besprechung mit den Economic



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Gen. Čujkov machte Ulbricht darauf aufmerksam, dass es erforderlich sei, in der Presse die Kampagne zu verstärken, mit der die Tätigkeit der Adenauer-Regierung und der Amerikaner, die die Realisierung des Handelsabkommens behindern, entlarvt werden solle.10 Irgendwelche Maßnahmen an der Brücke bei Magdeburg vorzunehmen (ein Vorschlag Ulbrichts) sei unAdvisers über das weitere Vorgehen auf dem Gebiet des Interzonenhandels haben die alliierten Vertreter erklärt, daß sie nach Empfang der offiziellen Stellungnahme auf die Note vom 1. Februar ihre Antwort in den ersten Tagen der laufenden Woche geben würden. Sie wiesen dabei darauf hin, daß sie eine eventuelle Zustimmung auf jeden Fall an die Bedingung knüpfen würden, daß die Bundesregierung künftig die finanzielle Verantwortung für die Aufrechterhaltung der bisherigen Handelsluftbrücke mit Berlin übernimmt … 2. … Die zivile Luftbrücke ist seinerzeit als Ergebnis einer Besprechung zwischen Vertretern der AHK und der Bundesregierung im Juli v. Js. beschlossen worden, um solche Güter von Berlin nach dem Westen zu transportieren, für die Warenbegleitscheine von den sowjetischen Behörden verweigert wurden. Zur Bestreitung der Kosten wurden auf Grund eines Schriftwechsels zwischen der AHK und dem Bundeswirtschaftsministerium im November 1951 aus JEIA-Fonds $ 4 523.810,– (etwa 20 Mill. DM) bereitgestellt.“ (Vgl. PA AA, B 10, Bd. 1785). Lenz notierte dazu anlässlich einer Kabinettssitzung am 11. März: „Kurzer Bericht von mir über den Stand der Interzonenvereinbarungen. Ich weise darauf hin, daß es für uns ganz überraschend gewesen wäre, daß die Westalliierten plötzlich nicht mehr an einer Regelung der Warenbegleitscheine interessiert gewesen wären, dafür aber die Übernahme der Kosten für die Luftbrücke verlangten.“ (Vgl. Lenz, Im Zentrum der Macht, S. 274). Zur Fortführung der „Kleinen“ Luftbrücke und ihrer Finanzierung vgl. Kabinettsprotokolle, Bd. 5 (1952), S. 158–159, Anm. 33. 10  Eine Pressekampagne direkt im Anschluss an diese Unterredung fand nicht statt. Bereits einen Monat zuvor, am 15. Januar 1952, hatte das Politbüro des ZK der SED beschlossen: „In einer Pressemitteilung des Amtes für Information soll bekanntgemacht werden, wie durch die Bonner Regierung nach Abschluß des Handelsabkommens der innerdeutsche Handel sabotiert worden ist. Ferner soll das Entgegenkommen der Deutschen Demokratischen Republik aufgezeigt werden. Der Text der Veröffentlichungen soll mit Genossen Ulbricht vereinbart werden.“ Vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/187, TOP 12. Drei Tage später, am 18. Januar 1952, erschien im Neuen Deutschland auf S. 5 ein Artikel unter der Überschrift „Amerikanische Okkupa­ tionsbehörden sabotieren innerdeutschen Handel“, in dem es unter anderem hieß: „Obwohl das innerdeutsche Handelsabkommen bereits am 20. September 1951 in Berlin unterzeichnet wurde, wird von westdeutscher Seite die Aufnahme des Handels verweigert, wie von unterrichteter Seite bekannt wird. Die Bonner Vertreter haben zwar auf Druck westdeutscher Wirtschaftskreise ihre Unterschriften geleistet, aber die amerikanischen Besatzungsbehörden und die Regierung Adenauer verhindern systematisch den Handel zwischen Ost- und Westdeutschland … Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik hat … in den vergangenen Monaten bewiesen, daß sie den innerdeutschen Handel fördert. Obwohl auf Befehl der amerikanischen Okkupationsbehörden das Handelsabkommen von westdeutscher Seite gebrochen wurde, hat die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik bisher alle Zusagen und Nebenabkommen erfüllt. Die Autobahngebühr wurde herabgesetzt, die Stromlieferung nach Westberlin erfolgte weiter. Nach Fertigstellung der Reparatur wurde die Schleuse in Rothensee für den Verkehr wieder freigegeben.“

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zweckmäßig, sagte Gen. Čujkov, denn das könne zu unerwünschten Konsequenzen führen. * Sodann teilte Gen. Čujkov Ulbricht mit, dass künftig die Ergebnisse der geologischen Erkundungen in den Kreisen, in denen bei den Arbeiten keine Materialien gefunden worden seien, die von den Betrieben der Wismut [AG] verwendet werden, der Regierung der DDR übergeben werden. Ebenfalls werden an die Regierung der DDR Informationen über an einzelnen Orten befindliche Bodenschätze weitergegeben, die von der Wirtschaft der Repu­ blik genutzt werden können. Zu diesem Zweck werde vorgeschlagen, eine gemeinsame Kommission zu bilden. Gen. Čujkov merkte an, dass es zweckmäßig sei, eine endgültige Entscheidung dieser Frage bis zur Ankunft des Gen. Kobulov zu vertagen, der dazu Rau kontaktieren werde, in dessen Geschäftsbereich die Arbeit der Geologischen Kommission der DDR liege.11 Ulbricht nahm die Mitteilung des Gen. Čujkov zur Kenntnis und stimmte dessen Vorschlag zu. * Danach übergab Gen. Čujkov Ulbricht ein Aide-mémoire zur Bildung von Kollegien bei den Industrieministerien. Diesen Kollegien sollten die Minister (als Vorsitzender des Kollegiums des jeweiligen Ministeriums), die Staatssekretäre sowie die Hauptverwaltungs- und Abteilungsleiter angehören – insgesamt etwa sieben Personen. Zu den regulären Sitzungen der Kollegien könnten auch Minister, Staatssekretäre, Hauptverwaltungs- und Abteilungsleiter und Betriebsdirektoren, die nicht Mitglied des Kollegiums sind, eingeladen werden. Die Bildung solcher Kollegien nach dem Vorbild sowjetischer Behörden steigere, so Gen. Čujkov, die Verantwortlichkeit und helfe, die Leitung zu verbessern und die Arbeit der Industrieministerien zu aktivieren.12 11  Die Geologische Kommission beim Ministerrat der DDR war auf Beschluss der Regierung vom 19.  Oktober 1950 gebildet worden (vgl. Dok. 31, Fn. 16). Die Bildung einer „gemeinsamen Kommission“ im Jahr 1952 konnte nicht belegt werden. Čujkov spezifizierte hier seine vorangegangene Äußerung zu einer eingeschränkten Informationsweitergabe über Bodenschätze (vgl. Dok. 79). Zur weiteren Diskussion dieser Frage vgl. Dok. 103. 12  Das Aide-mémoire konnte nicht ermittelt werden. Schon am Tag zuvor, dem 14. Februar 1952, hatte jedoch der DDR-Ministerrat Staatssekretär Geyer beauftragt, „dem Ministerrat bis zum 1. März eine Verordnung über die Bildung von Kollegien und wissenschaftlich-technischen Räten bei den Fachministerien vorzulegen“. Bereits in diesem Auftrag hieß es: „Dem Kollegium des jeweiligen Fachministers gehören die Staatssekretäre und andere leitende Kräfte aus dem Bereich seines Fachministe­



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Ulbricht stimmte den Ausführungen des Gen. Čujkov zu und sagte, aufgrund einer Überprüfung des Selbmann-Ministeriums und nach der Besprechung der Ergebnisse im Politbüro sei gestern (am 14. Februar 1952) auf der Sitzung der Regierung ein Beschluss zu dieser Frage gefasst worden.13 Solche Maßnahmen seien schon vor einem Jahr mit den sowjetischen Genossen diskutiert worden,14 und sie hätten von uns schon wesentlich früher getroffen werden können, sagte Ulbricht. Im Zusammenhang mit der Schaffung der Kollegien stelle sich die Frage einer tiefgreifenden Veränderung der Arbeitsmethode der Ministerien und der richtigen Koordination ihrer Arbeit. Die gegenwärtig herrschenden Arbeitsmethoden könnten nicht länger geduldet werden. Ulbricht bat in diesem Zusammenhang die Gen. Čujkov und Semenov, dass die sowjetischen Genossen bei der Lösung dieser Probleme massive Hilfe leisten. Dabei verwies Ulbricht auf die Ministerien für Hüttenwesen, für Außenhandel und Innerdeutschen Handel, das Ministerium des Innern und die Staatliche Plankommission. Allein werde er diese Fragen nicht bewältigen können, fügte Ulbricht hinzu. Gen. Čujkov sagte, die notwendige Hilfe seitens der SKK könne geleistet werden, merkte aber an, dass die Organisation der Arbeit der Ministerien und riums an, mit denen sich der Minister über alle Fragen kollektiv berät. Die letzte Entscheidung hat der Minister.“ (BAB, DC 20-I/3/93, Anlage  6). Erst am 17.  Juli 1952 beschloss der DDR-Ministerrat die „Verordnung über die Bildung von Kollegien“ in Ministerien und Staatssekretariaten (BAB, DC 20-I/3/117, TOP 2, Anlage 2). 13  Nach vorangegangener Kritik von Semičastnov (vgl. Dok. 77 und dort Fn. 18) hatte Ulbricht am 5. Februar 1952 im SED-Politbüro „Fragen des Eisenhüttenkombinats Ost“ thematisiert. Dazu hieß es in einem Auszug aus den von Ulbricht vor­ getragenen „Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeit des Ministeriums für Hüttenwesen und Erzbergbau, der Industriegewerkschaft Metallurgie sowie der Industrie­ gewerkschaft Bau-Holz beim Aufbau des Eisenhüttenkombinats Ost“: „Genosse Selbmann hat die vielen Hinweise und wertvollen Anregungen, aber auch die Warnung, die ihm der Vorsitzende unserer Partei, Genosse Wilhelm Pieck, auf dem III. Parteitag der SED erteilte, nicht beherzigt und sich auch in seinem Verhalten nicht geändert. Deshalb erteilt das Politbüro dem Genossen Fritz Selbmann eine Rüge.“ (BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/191, TOP 4, Anlage 1.) Gleichzeitig stimmte das ­Politbüro einer Direktive zu, die praktische Maßnahmen zur Mängelbeseitigung im Eisenhüttenkombinat Ost vorsah (vgl. ebenda, Anlage 2). Im Beschluss des Ministerrats vom 14. Februar 1952 war von der Kritik an Selbmann nicht mehr die Rede, vielmehr wurde unter der Leitung von Selbmann eine Spezialisten-Kommission mit einem Globalprogamm von Einzelaufgaben zur Beschleunigung und Verbesserung des Aufbaus des Eisenüttenkombinats Ost beschlossen, vgl. BAB, DC 20-I/3/93, TOP 1, Anlage 1–5. Eine Selbstkritik Selbmanns wurde am 28. März im Neuen Deutschland veröffentlicht, die auf eine am 14. März von Selbmann gehaltene Rede zurückging (zum Manuskript vgl. BAB-SAPMO, NY 4090/351, Bl. 21–36). Diese wurde am 22. März von Ulbricht zur Veröffentlichung redigiert, vgl. BAB, DY 30/3696, Bl. 53–69. Zur weiteren Diskussion um das Eisenhüttenkombinat Ost vgl. Dok. 99 und dort Fn. 18. 14  Dafür konnte kein Beleg ermittelt werden.

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Verwaltungen nach dem Muster der Behörden der Sowjetunion nicht immer für die spezifischen Bedingungen der DDR geeignet sein könne, deshalb müssten solche Fragen im Voraus gründlich durchdacht werden. Ulbricht bemerkte sodann, dass es zweckmäßig wäre, die Arbeit der Organe des MfS von der Arbeit der Polizei zu trennen, womit Gen. Čujkov ein­verstanden war. * Sodann teilte Gen. Semenov Ulbricht mit, dass Reingruber beabsichtige zurückzutreten, da ihm angeblich nicht das volle Vertrauen entgegengebracht werde.15 Nach unserer Meinung, bemerkte Gen. Semenov, sollte diese Angelegenheit geregelt werden. Ulbricht nahm die Bemerkung des Gen. Semenov zur Kenntnis. * Gen. Čujkov machte Ulbricht unter Bezug auf einen Beschluss der Regierung der DDR darauf aufmerksam, dass zur Bekämpfung von Wildschweinen die örtliche Bevölkerung mit Jagdgewehren ausgerüstet werden solle,16 was aber nicht erwünscht sei, da sich damit die Volkspolizei und die kasernierte Polizei befassen sollen und können. Ulbricht sagte, ihm sei von einem solchen Beschluss nichts bekannt. Der Bemerkung des Gen. Čujkov stimmte Ulbricht zu. * Ulbricht teilte mit, dass am 16. Februar Direktiven über die Änderung der Taktik gegenüber der SPD nach Westdeutschland geschickt werden sollen.17 In letzter Zeit nehme der Druck der Massen immer stärker zu. Auf einer Gewerkschaftsversammlung habe einer der Redner die Ausarbeitung eines nationalen Gewerkschaftsprogramms gefordert, eine Forderung, die wir für vollkommen richtig halten, bemerkte Ulbricht. Unter den sozialdemokrati15  Ein Rücktrittswunsch von Verkehrsminister Reingruber konnte nicht belegt werden. Unter dem Punkt „Massnahmen zur Verbesserung der Arbeit der Reichsbahn“ beschloss das Politbüro des ZK der SED erst auf seiner Sitzung am 10. Februar 1953: „Professor Reingruber wird pensioniert. Er arbeitet weiter als Professor an der Technischen Hochschule in Dresden.“ Vgl. BAB-SAPMO, DY 30/J IV 2/2/261, TOP 3. 16  Ein Beschluss des DDR-Ministerrats zur Bekämpfung von Wildschweinen konnte nicht nachgewiesen werden. Die am 14. Februar 1952 vom DDR-Ministerrat verabschiedete „Verordnung über die Bildung von Staatlichen Forstwirtschaftsbetrieben“ enthielt keine solche Klausel, vgl. BAB, DC 20-I/3/93, TOP 12, Anlage 11. 17  Zur Wahltaktik der KPD und ihrer Positionierung gegenüber der SPD vgl. Fn. 18.



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schen Mitgliedern seien schon etliche Personen zu erkennen, die gegen die Remilitarisierungspolitik Widerstand leisteten. Jetzt bestehe die ganze Kunst darin, diese Leute weiter zu führen. Notwendig sei auch, so Ulbricht, dass die KPD den Kampf gegen das Sektierertum verstärkt, was besonders im Verhältnis zur SPD zum Ausdruck komme. Bezüglich der Vorbereitung auf die Wahlen in Bayern und Hessen sagte Ulbricht, in den großen Städten würden die Kommunisten eigene Listen aufstellen, in den Provinzstädten und -kreisen aber sogenannte Volkslisten oder gemischte Listen. Ulbricht teilte mit, dass die Wahlen Ende März stattfinden sollen und fragte unter Verweis auf die Wichtigkeit dieser Frage, ob man in dieser Sache Moskau befragen müsse oder ob sie vor Ort entschieden werden könne.18 Gen. Semenov sagte, es falle ihm im Moment schwer, sich zu dieser Frage zu äußern. Das Gespräch wurde gedolmetscht und aufgezeichnet von Bogomolov19 AVP RF, f. 0457a, op. 12, p. 65, d. 3, Bl. 52–55.

18  Ein Telegramm nach Moskau zu dieser Frage konnte im AVP RF nicht ermittelt werden. Am 30. März 1952 fanden in Bayern und Hessen Gemeinde-, Kreistags- und Bürgermeisterwahlen statt. Auf seiner Sitzung vom 19. Februar 1952 nahm das Politbüro des ZK der SED „[d]ie Vorschläge zur Taktik der KPD bei der Aufstellung von Kandidaten“ an. Diese beinhalteten die von Ulbricht angesprochene Unterteilung in Gemeinden und Kreisen mit eigener KPD-Liste und solchen, in denen eine parteiübergreifende Liste gebildet werden sollte. Sie enthielten damit auch Aussagen zur Positionierung gegenüber der SPD. So sollte z. B. „je ein Landesausschuss für die Aufstellung von Friedenslisten für Frieden, Einheit, Freiheit und demokratische Selbstverwaltung gebildet“ werden, in denen die Vertreter der KPD „mit Sozialdemokraten, werktätigen Bauern, Frauen, Jugendlichen und anderen Friedensfreunden die Organisierung einer breiten Bewegung für die Aufstellung solcher Friedenslisten für die Gemeinde- und Kreistage“ vereinbaren sollten. Die KPD sollte erklären, „dass dort, wo Friedenslisten aufgestellt werden, die KPD zu Gunsten der Einheit keine eigenen Kandidatenlisten aufstellt“. Wo jedoch „die Voraussetzungen für das geschlossene Auftreten in einer gemeinsamen Kandidatenliste“ noch fehlten, „schlägt die KPD den sozialdemokratischen Parteiorganisationen … und den sozialdemokratischen Wählern vor, auf der Grundlage eines gemeinsamen Aktionsprogramms eine Einheitsliste der Kandidaten der SPD und KPD aufzustellen, um damit das notwendige Übergewicht über die reaktionären bürgerlichen Parteien … zu schaffen.“ Zudem sollte die KPD „den SPD-Parteiorganisationen vor[schlagen], gemeinsame Mitgliederversammlungen einzuberufen“. Auch für Bürgermeisterwahlen sei die KPD bereit, „mit den Sozialdemokraten und auch mit den national gesinnten Bürgern eine Verständigung über die Aufstellung gemeinsamer Kandidaten … herbeizuführen“, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/194, TOP 20, Anlage 8. 19  Handschriftlich.

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99. Unterredung zwischen dem Politischen Berater Semenov und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht Streng geheim

8. März 19521

Aus dem Tagebuch2 von V.S. Semenov Am 8. März empfing ich Ulbricht auf dessen Bitte. Auf Ulbrichts Initiative fand zunächst ein Meinungsaustausch über den Entwurf eines Beschlusses des Politbüros zur Verbesserung der Arbeit des Politbüros und des Sekretariats des ZK der SED statt (siehe in der Anlage Ulbrichts Brief vom 4. März 19523). Im Verlauf der Unterredung machte ich einige Anmerkungen, die zuvor mit Gen. Semičastnov abgesprochen waren. Nachdem ich betont hatte, dass ich nur meine persönliche Meinung äußere, von der Ulbricht halten könne, was er wolle, äußerte ich Bedenken bezüglich der Formulierung: „Beschlüsse über neue Gesetze und Verordnungen werden entweder vom Politbüro oder vom Sekretariat des ZK gefasst“.4 Eine solche 1  Original. Von dieser Aufzeichnung wurden zehn Ausfertigungen angefertigt. Die ersten vier Empfänger konnten nicht ermittelt werden. Weitere Exemplare gingen an Čujkov, Semičastnov, Bykov, Kaverznev, Kobulov und in die Akten. Das hier vorliegende, von Semenov unterschriebene 6. Exemplar erhielt am 12. März 1952 die Registraturnummer AP/00115. Es war maschinenschriftlich als „Geheim“ klassifiziert, davor ist der handschriftliche Zusatz „Streng“ ergänzt. 2  „Tagebuch“ ist ein aus der russischen Kanzleisprache übernommener Begriff des Auswärtigen Dienstes der UdSSR für Gesprächsaufzeichnungen. 3  Tatsächlich ist der Brief auf den 3. März 1952 datiert. Es ging darin um die Verbesserung der Arbeitsmethoden des Politbüros der SED. Zu diesem Zweck war vorgesehen, vierteljährlich einen Beschluss über den Arbeitsplan zu fassen und klare Verfahrensweisen für das Setzen von Fragen auf die Tagesordnung und für die Vorbereitung von Beschlussentwürfen sowie für die Besprechung und öffentliche Bekanntmachung gesellschaftspolitisch bedeutsamer Fragen zu bestätigen (AVP RF, f. 0457а, op. 12, p. 65, d. 3, Bl. 85–86). Eine deutsche Fassung des Briefes ist im AVP  RF nicht überliefert. Am 4. März 1952 trug Ulbricht die von einer Kommission (Ulbricht, Zaisser, Oelßner und Herrnstadt) ausgearbeitete „Stellungnahme zu den Ergebnissen des 8. Plenums des Zentralkomitees und zur Verbesserung der Arbeit des Politbüros“ vor. Der Vorlage wurde „mit Ausnahme des Punktes 3“ zugestimmt. Punkt 3 sollte von der Kommission überarbeitet werden. Die Vorlage ist dem Protokoll nicht beigefügt, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/198, TOP 2. 4  Ein erst am 11. November 1952 beschlossener erneuter Vorschlag Ulbrichts enthielt keine derartige Formulierung mehr. Beschlüsse des Politbüros sollten demnach durch Vorlagen des Sekretariates vorbereitet werden können, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/244, TOP 6, Anlage 3. Zur Diskussion um die Arbeitsweise des Politbüros und zur Rollenverteilung von Politbüro und Sekretariat des ZK vgl. Heike Amos, Politik und Organisation der SED-Zentrale 1949–1963. Struktur und Arbeitsweise von Politbüro, Sekretariat, Zentralkomitee und ZK-Apparat, Münster 2002, S. 155–160.



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Formulierung sei nicht konkret und stelle das Politbüro und das Sekretariat auf die gleiche Stufe, was von den Mitgliedern des Politbüros als Schmälerung ihrer Rechte empfunden werden könne. Ulbricht sagte, dass alle Gesetzesvorhaben unbedingt im Politbüro erörtert werden und dass es hier um weniger bedeutende Anordnungen gehe, die in die Zuständigkeit des Sekretariats fallen. Da bei der Auslegung dieser Formulierung Zweifel aufkommen könnten, äußerte Ulbricht die Absicht, sie zu präzisieren. Ich sagte, der Beschlussentwurf berühre nicht die wichtige Frage nach der Verantwortung der Politbüromitglieder für bestimmte Arbeitsbereiche und nach der Organisation des Apparats des Ministerrats der DDR. Gegenwärtig hätten Ministerpräsident Grotewohl und sein Stellvertreter für Wirtschaftsfragen, Rau, keinen ihnen zuarbeitenden Apparat und seien genötigt, die Dinge durch die Brille der Ministerien zu sehen, die ihre eigenen Fragen vorlegen und ein amtliches Interesse an ihnen haben. Der Apparat des ZK der SED müsse faktisch die Funktionen des Apparats des Ministerrats erfüllen, d. h. Gutachten für eingehende Entwürfe der Ministerien abgeben, Fragen zwischen den Apparaten der Ämter im Voraus aufeinander abstimmen und zum Teil die Kontrolle über die Ausführung gefasster Beschlüsse übernehmen. Alle diese Funktionen sollten in der Regel vom Apparat des Ministerrats der DDR ausgeübt werden, wodurch es dem Apparat des ZK der SED ermöglicht würde, sich gründlicher mit Fragen der Partei zu befassen und, gestützt insbesondere auf die Materialien der unteren Parteiorganisationen und Partei­ gremien, zugleich darüber zu wachen, dass die Dinge in den verschiedenen Gliederungen des Staatsapparats richtig laufen. Ulbricht sagte, er sei auf diesen Gedanken auch schon gekommen, und zwar schlage er vor, Rau von seinen Pflichten als Vorsitzender der Staatlichen Plankommission der DDR zu entbinden, ihn dabei aber im Amt des stellvertretenden Ministerpräsidenten für Wirtschaftsfragen zu belassen und ihm alle entsprechenden wirtschaftlichen Ministerien und Ämter zu unterstellen. Außerdem solle Wandel zum stellvertretenden Ministerpräsidenten für Volksbildung, Hochschulen, Kultur, Kunst u. a. ernannt und von den Pflichten des Ministers für Volksbildung entbunden werden. Für die Leitung der Staatsorgane der unteren Ebene werde ein spezielles Staatssekretariat beim Ministerpräsidenten geschaffen, und alle diese Fragen sollen aus dem Geschäftsbereich des Innenministe­ riums ausgegliedert werden. Ulbricht klagte darüber, dass gegenwärtig einige Mitglieder des Politbüros des ZK der SED es vorzögen, sich vor der Verantwortung in drängenden Fragen zu drücken. So habe sich z. B. Ulbricht selbst um die Beseitigung von Störungen bei der Fleischversorgung in einzelnen Teilen der Republik kümmern müssen, da Rau erklärt habe, dass diese Fragen nicht in seinen Aufgabenbereich als Vorsitzender der Staatlichen Plankommission der DDR fallen. Ulbricht sagte, auf der letzten Sitzung des Politbüros hätten Rau, dem die Verantwortung für die Wirtschaft der DDR ob-

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liege, und Zaisser als der Verantwortliche für die Staatssicherheit und die Arbeit aller Arten der Polizei einer Präzisierung ihrer Funktionen im obengenannten Sinne zustimmen müssen, hätten aber den Anspruch gestellt, dass ihnen auch die entsprechenden Abteilungen des Apparats des ZK der SED unterstellt werden. Ulbricht hält das für nicht richtig, da die ZK-Abteilungen frei von Einflüssen des Staatsapparats sein müssen und sich mit den Fragen unter dem Gesichtspunkt der Arbeit der Parteiorganisationen der jeweiligen Branchen befassen sollen. Ich sagte, ich würde die Meinung Ulbrichts voll und ganz teilen. Ich merkte an, nach mir vorliegenden Kenntnissen herrsche bei den SEDMitgliedern unter den Ministern und Staatssekretären Unmut darüber, dass sie nicht immer zu den Sitzungen des Politbüros und des Sekretariats des ZK der SED eingeladen werden, wenn Fragen erörtert werden, die sie betreffen. Zudem würden einige Fragen von den Abteilungen des ZK der SED zur Prüfung durch das Politbüro eingebracht, so dass nicht einmal die genannten Minister und Staatssekretäre davon wissen. Ich berichtete Ulbricht in groben Zügen über das bei uns bestehende Verfahren und betonte die Notwendigkeit, bei den der SED angehörenden Ministern und Staatssekretären das Verantwortungsgefühl zu stärken. Ulbricht antwortete, man habe in letzter Zeit damit begonnen, Minister und Staatssekretäre zu den Sitzungen des Politbüros und des ZK-Sekretariats einzuladen, wenn deren Fragen besprochen werden. Er erkundigte sich nach dem bei uns eingeführten Verfahren zur Vorbereitung und Nachbearbeitung von Beschlussentwürfen, wozu ich ihm entsprechende allgemeine Erläuterungen gab. Ich bemerkte des Weiteren, dass es bei der neuen Arbeitsordnung nicht möglich sein werde, sich auf eine Politbürositzung pro Woche zu beschränken, da viele Fragen eine schnelle und operative Entscheidung verlangen. Sodann wurde die Frage des Parteienblocks5 angesprochen. Ulbricht musste zugeben, dass die Minister der bürgerlichen Parteien faktisch keinerlei Einfluss auf die vom Ministerrat der DDR getroffenen Entscheidungen haben, da in allen wichtigen Fällen die Texte dieser Entscheidungen im Voraus vom Politbüro des ZK der SED gebilligt werden. Deshalb können die bürgerlichen Minister, wie Ulbricht sich ausdrückte, auf den Sitzungen der Regierung lediglich ihr Redebedürfnis befriedigen, indem sie Reden halten, die sich durch Inhaltsleere und Unkenntnis der zur Debatte stehenden Fragen auszeichnen. Dabei leite Grotewohl die Sitzungen des Ministerrats nicht selten in einer recht groben Form, die sogar die persönliche Würde der bürger5  Gemeint ist hier der 1945 in der SBZ gebildete „Block der antifaschistischen Parteien“, der 1948 um zwei Parteien, die NDPD und die DBD, und die Massenorganisationen FDGB, DFD, FDJ und Kulturbund erweitert wurde, deren Vertreter bei den nächsten Wahlen in der DDR 1950 auch in die Ostdeutschen Volksvertretungen einzogen.



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lichen Kabinettsmitglieder berühre. Ulbricht sagte, Grotewohl habe in der ersten Zeit auf diese Weise die Parteibeschlüsse in der Regierung durchsetzen müssen, aber jetzt hätten sich die bürgerlichen Minister schon an die führende Rolle der SED gewöhnt und man könne den auf sie ausgeübten Druck etwas mildern. Ich bemerkte, jeder Block bedeute eine gewisse Übereinkunft, bei der die Beteiligten einen tatsächlichen oder auch scheinbaren Kompromiss in Einzelfragen eingehen, und es könnte in der praktischen Arbeit der Regierung der DDR zweckmäßig sein, einige Fragen zuerst in der Regierung zur Diskussion zu stellen und sie danach zur Entscheidung an das Politbüro zu leiten mit dem Kalkül, dass die endgültige Regierungsverordnung nach ihrer Erörterung im Politbüro und nach der zweiten Lesung des Verordnungsentwurfs in der Regierung eingebracht wird. In einzelnen Fällen könnte es bei Einwänden oder Änderungen seitens der bürgerlichen Minister möglicherweise zweckmäßig sein, die Frage erneut im Politbüro des ZK der SED erörtern zu lassen, um zu entscheiden, ob man in dieser Frage den bürgerlichen Vertretern entgegenkommen sollte. Ich sagte, selbstverständlich gebe es eine Vielzahl von Fragen, bei denen ein solches Vorgehen nicht möglich und Kompromisse nicht zweckmäßig seien, und dass in diesen Fällen die jetzt bestehende Praxis angewandt werden könnte. Ulbricht sagte, er werde über diese Fragen nachdenken. Ulbricht sagte, er halte die Regelung der Arbeit im zentralen Apparat der DDR für sehr wichtig, denn die Aufgaben bezüglich der staatlichen Stellen und Organe vor Ort seien mehr oder weniger klar, und für ihre Umsetzung brauche es eine entsprechende Umgestaltung an der Spitze. Ulbricht betonte, er habe schon jetzt das Gefühl, dass der von der Partei eingeschlagene Kurs auf die Entwicklung von Kritik und Selbstkritik und auf die Erhöhung der Verantwortung der leitenden Mitarbeiter im Zentrum und vor Ort positive Resultate zeitige. Er betonte, dass es allerdings bislang noch schwierig sei, die richtige Verknüpfung von Kritik und Selbstkritik mit der Popularisierung der positiven Erfahrungen zu erreichen. Ich bemerkte, dass man natürlich nicht alles auf einmal erreichen könne. Zum Abschluss dieser Frage vereinbarten wir, dass Ulbricht uns zu Fragen, die mit der Umgestaltung des Staatsapparats zusammenhängen, schriftliche Vorschläge schickt.6 6  Schriftliche Vorschläge von Ulbricht zu diesen Fragen konnten nicht ermittelt werden. Dem am 9. Mai 1952 im Ministerrat beschlossenen „Entwurf eines Gesetzes über die Regierung der DDR“ waren weitere Beschlussentwürfe beigefügt, darunter der „Beschluss über die Ernennung einiger Staatssekretäre“. Darin wurden mit Wirkung vom 16.  Mai Eggerath und Strampfer als Staatssekretäre beim Ministerpräsidenten und Leuschner zum Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission ernannt. Des Weiteren wurden Koordinierungs- und Kontrollstellen beim Ministerrat der DDR eingerichtet, die für die Bereiche Industrie und Verkehr, Land- Forst- und Wasserwirtschaft, Innen- und Außenandel, Unterricht, Wissenschaft und Kunst und die

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2.  Im Verlauf der Unterredung kam Ulbricht mehrfach auf die Frage der Arbeit der Staatssicherheitsorgane zurück. Er habe persönlich an einer Versammlung des SED-Aktivs des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR unter Beteiligung von Mitarbeitern aus den Kreisen teilgenommen.7 Es habe sich herausgestellt, dass die Kreisdienststellen der Staatssicherheit ausschließlich nach Vorgaben der zentralen Organe arbeiten und dass sie ihre Kreise und die dort tätigen feindlichen Gruppen nicht erkunden. Auf U ­ lbrichts Frage an einen der Kreismitarbeiter des MfS, ob ihm bekannt sei, dass auf dem Territorium des Kreises ein feindlicher Funksender tätig ist, habe dieser Mitarbeiter verneinend geantwortet und sei sehr verwundert gewesen, dass er sich auch dann für derartige Dinge interessieren solle, wenn es keine Weisungen aus der Zentrale gebe. Ulbricht sagte, auch sowjetische Mitarbeiter der Staatssicherheit8 hätten in dieser Hinsicht schwere Fehler begangen, und es sei notwendig, sich selbstkritisch mit der gesamten Arbeit des MfS der DDR auseinanderzusetzen und sie einschneidend zu verbessern. Laut Ulbricht wird gegenwärtig im ZK der SED ein Brief an die SKK zu Fragen der Arbeit der Staatssicherheitsorgane und des Innenministeriums der DDR vorbereitet, den er zu prüfen bitte,9 wobei die massive Verstärkung der feind­ lichen Tätigkeit westlicher Spionagedienste auf dem Territorium der DDR zu bedenken sei. Ulbricht betonte, dass laut allen vorliegenden Angaben die feindliche Arbeit in den Kreisen sehr systematisch betrieben werde. In der Stadt Freiberg sei es ihnen sogar gelungen, eine Sonderdelegiertenversamm-

Arbeit der Verwaltungorgane zuständig sein sollten und denen jeweils die in diesen Bereichen tätigen Ministerien und Staatssekretariate zugewiesen wurden. Die Leitung der Koordinierungs- und Kontrollstelle für Innen- und Außenandel wurde dem Staatssekretär beim Ministerpräsidenten Strampfer übertragen, für Unterricht, Wissenschaft und Kunst sollte der bisherige Minister für Volksbildung Wandel verantwortlich sein und für die Arbeit der Verwaltungsorgane der Staatssekretär beim ­Ministerpräsidenten Eggerath. Vgl. DC 20-I/3/106, TOP 2, Anlagen 5–8. Das Gesetz ist (ohne die beigefügten Beschlüsse) veröffentlicht in: Neues Deutschland, 24. Mai 1952, S. 2. 7  Diese Versammlung konnte nicht belegt werden. 8  Vermutlich waren sowjetische Instrukteure gemeint, die als Berater bei den Kreisdienststellen des MfS tätig waren und diese anleiteten und kontrollierten. Diese Berater, die in den deutschen Stellenplänen geführt und aus dem Staatshaushalt der DDR bezahlt wurden, waren insbesondere für Fälle von „Spionage“ zuständig, vgl. Foitzik/Petrow, Geheimdienste, S. 58. 9  Dieses Schreiben konnte im AVP RF nicht ermittelt werden. Ulbrichts hier anhand von konkreten Beispielen geäußerte Kritik ging den am 18. März 1952 im Politbüro des ZK der SED beschlossenen „Vorschläge[n] zur Verbesserung der Arbeit im Ministerium für Staatssicherheit“ voraus, in denen in abstrakterer Form (und ohne Erwähnung der sowjetischen Berater) ähnliche „Missstände“ adressiert wurden, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/202, TOP 12 und Anlage 8.



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lung von Arbeitern an den Gewerkschaften vorbei einzuberufen,10 was es in der Geschichte der Sowjetischen Besatzungszone noch nie gegeben habe. Auf meine Frage, ob ihm der Fall des Mordes an einem sowjetischen Militärangehörigen im Kreis Genthin11 bekannt sei, antwortete Ulbricht, er wisse davon und messe dieser Tatsache große politische Bedeutung bei. Ulbricht erklärte, in diesem Falle sei der Umstand, dass sich der ermordete sowjetische Militärangehörige ungebührlich verhalten habe, ohne jede Bedeutung. Die verhafteten Organisatoren des Mordes seien eine echte Bande, die jederzeit zum aktiven Kampf gegen die demokratische Ordnung bereit gewesen sei. Dass auf dem Territorium der DDR solche Gruppierungen gebildet würden, sei ein gewichtiges Signal. Ungeachtet der Überlegungen der „hohen Politik“ sei es absolut notwendig, dass in der DDR die Urteile in einigen Prozessen gegen subversive Elemente auf breiter Basis popularisiert werden. Ulbricht sagte, er beabsichtige, diese Fragen bei seiner Reise nach Moskau12 anzusprechen.

10  Möglicherweise bezog sich Ulbricht hier auf die Vorgänge in Freiberg, die er selbst in seiner Rede „Die Entfaltung der Kritik und Selbstkritik als Hebel für die Überwindung von Rückständigkeit und Bürokratismus“ auf der 8. Tagung des ZK der SED wie folgt gekennzeichnet hatte: „In den Bleierzgruben Albert Funk in Freiburg [sic] hatte die Werkleitung die Arbeitsnormen durch Anordnung geändert, ohne den Arbeitern die Maßnahmen zu erklären. Mit Recht haben die Arbeiter dagegen protestiert. Schon oft hatten sie gefordert, daß die Duschen in Ordnung gebracht werden, damit sie sich richtig waschen können. Weder die Werkleitung noch die Gewerkschaftsleitung haben die Mißstände beseitigt. Mit Recht haben die Arbeiter energisch eine Änderung dieses Zustandes gefordert. Charakteristisch ist, daß, als es zu einem offenen Konflikt kam, weder der Direktor, Mitglied der SED, noch der Kreissekretär der Partei in die Grube einfuhren, um unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen, damit die Mißstände beseitigt werden. Es ist bezeichnend, daß in diesem Falle nach der Beendigung des Konfliktes ein Sabotageakt an der Wasserleitung durchgeführt wurde. Das zeugt von organisierter feindlicher Tätigkeit. Diese Arbeit des Feindes wurde aber begünstigt durch die Fehler unserer eigenen Genossen.“ Vgl. Die ideologischpolitisch-organisatorische Arbeit der Partei und die Vorbereitung der II. Parteikonferenz. Rede des Generalsekretärs der SED Walter Ulbricht, Diskussionsreden und Beschlüsse der 8. Tagung des Zentralkomitees, [Berlin (Ost) 1952], S. 43–72, hier S. 47; Neues Deutschland, 27. Februar 1952, S. 3–5, hier S. 3, darin war korrekterweise von „Freiberg“ die Rede. 11  Dieser Vorfall konnte nicht belegt werden. 12  Zur Moskaureise der SED-Führung Anfang April 1952 vgl. Dok. 107, Fn. 2. Nachdem Pieck im Gespräch mit Stalin am 1. April eine „verstärkte Tätigkeit von Feinden“ angemerkt und „einige öffentliche Prozesse“ gefordert hatte, kam Ulbricht gegen Ende dieser Unterredung „zu der von Gen. Pieck aufgeworfenen Frage zurück, öffentliche Gerichtsverfahren gegen Saboteure und Agenten der westlichen Geheimdienste durchzuführen, die Brandstiftung, Sabotage und Attentate gegen Parteiarbeiter der DDR verüben“, und erhielt dafür die Zustimmung Stalins. Vgl. Treffen mit Stalin 1952, S. 189–190 und 197.

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Ich bemerkte, dass auch auf die Arbeit feindlicher Elemente im Staats- und Parteiapparat geachtet werden müsse, insbesondere auf das Eindringen trotzkistischer und brandleristischer13 Elemente. Ulbricht stimmte diesen Bemerkungen beiläufig zu und ging über zu Anzeichen von Untergrundarbeit ehemaliger Sozialdemokraten und jetziger SED-Mitglieder, die gegenwärtig keine führenden Posten in Partei oder Staat innehaben und abseits der aktiven Arbeit stehen. Unter diesen Leuten gebe es reale Organisatoren von Untergrundarbeit in der DDR, wobei sie die früheren kameradschaftlichen Beziehungen zu Sozialdemokraten, die im Staatsapparat arbeiten, aufrechterhalten, aber unabhängig von ihnen subversive Arbeit im Auftrag des Ost­ büros der Schumacher-SPD betreiben, das Ulbricht als den hauptsächlichen Organisator aller Spionage- und Diversionstätigkeit in der DDR ansieht. 3.  Ich informierte Ulbricht darüber, dass von den Dienststellen der SKK in Potsdam eine Erklärung eingegangen sei, in der der Vorsitzende des Landesvorstands der CDU Brandenburgs, Gerigk, der gleichgeschlechtlichen Unzucht beschuldigt werde. Ulbricht bat, diese Materialien an Maron weiterzugeben zwecks Einleitung von Ermittlungen durch die Kriminalpolizei. Sollten sich diese Materialien bewahrheiten, werde Maron Nuschke informieren, und Gerigk werde verhaftet.14 4. Ich fragte Ulbricht nach seiner Meinung, ob es zweckmäßig sei, im April oder März15 an der Elbe ein Treffen von Veteranen des Zweiten Welt13  Der Begriff „Brandlerismus“ wurde von der KPD-Führung um Ernst Thälmann am Ende der zwanziger Jahre beim Kampf gegen Heinrich Brandler, der sich der Stalinisierung der KPD widersetzte, geprägt und seit 1946 bei der Formierung der SED zu einer „Partei neuen Typs“ wiederbelebt. Nach seiner Rückkehr aus dem Exil nach Hamburg engagierte sich Brandler in der „Gruppe Arbeiterpolitik“, die mit Kritik an der SED eine linke Opposition in der DDR zu entwickeln versuchte. 14  Knapp drei Wochen nach diesem Gespräch musste sich Hermann Gerigk am 28. März 1952 dem Untersuchungsausschuss des zentralen CDU-Vorstands stellen. Erst am 9. April 1952 übergab der CDU-Vorsitzende Nuschke das vorliegende Belastungsmaterial an den Landesstaatsanwalt von Brandenburg. Doch trotz staatsanwaltlicher Untersuchung erhob in der DDR niemand Anklage. Während eines Besuchs in West-Berlin kam es dort am 24. August 1952 zur Verhaftung von Gerigk, den man jedoch nach sechsmonatiger Untersuchungshaft wieder entließ. Er kehrte in die DDR zurück, setzte sich aber wenige Monate später in die Bundesrepublik ab (vgl. BStU, A-Pdm AP 2505/54, Bd. 1–2). Von dort kehrte er im Herbst 1957 nach Ost-Berlin zurück, wo 1960 eine Anzeige zu einem Haftbefehl führte, dem sich Gerigk durch Flucht nach Italien zu entziehen versuchte. Nach deren Scheitern beging er in WestBerlin Selbstmord (vgl. BStU, A-SkS, Bd. 30079). Gerigk, der mutmaßlich im Auftrag des MGB arbeitete, war im Frühjahr 1950 auf Betreiben der SKK im Alter von 26 Jahren als Landesvorsitzender der CDU in Brandenburg und als Potsdamer Bürgermeister durchgesetzt worden. Er war für zahlreiche Entlassungen, Ausschlüsse und Verhaftungen von CDU-Funktionären auf lokaler und Landesebene verantwortlich, vgl. Richter, Ost-CDU, S. 240–241, 257–258, 307–308. 15  So im Original. Wahrscheinlich ist Mai gemeint.



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kriegs zu veranstalten und eine demokratische Organisation für die Leitung der Arbeit der Veteranen zu gründen. Ulbricht sagte, diese Frage sei ihm nicht ausreichend klar und bat um weitere genauere Angaben zum Programm des Treffens, zur Zusammensetzung der Teilnehmer und von wem und auf wessen Initiative das Treffen veranstaltet werden solle. Ulbricht meint, die Veranstaltung eines solchen Treffens ohne die Beteiligung von Deutschen wäre ungut. Andererseits erscheine ihm die Einbeziehung unversehrter Veteranen des letzten Krieges aus der HitlerArmee politisch fragwürdig. Ulbricht meint, die Deutschen könnten zu einem solchen Treffen nur Kriegsinvaliden schicken, als Demonstration gegen den Krieg. Ich sagte, ich würde mich um die aufgeworfenen Fragen kümmern und über die Ergebnisse später informieren.16 5. Auf die Erfüllung des Volkswirtschaftsplans der DDR für 1951 eingehend, sagte Ulbricht, die Wirtschaftsbehörden der DDR seien ihren Aufgaben nicht gerecht geworden,17 und 1952 müsse, wenn die Grundinvestitionen getätigt werden sollen, eine entscheidende Verbesserung der Arbeit der Wirtschaftsministerien und der Staatlichen Plankommission der DDR erreicht werden. Das gehe aus den Ergebnissen einer Untersuchung des Baus des Eisenhüttenkombinats Ost hervor, wo von einer Kommission der SED unter Ulbrichts Leitung schwere Schlampereien festgestellt worden seien.18 Ulbricht sagte, die nicht zufriedenstellende Arbeit der Ministerien führe zum 16  Ein offizielles Veteranentreffen oder andere gedenkpolitische Aktivitäten zur Begegnung in Torgau konnten für das Jahr 1952 nicht nachgewiesen werden. 17  Vgl. dazu allgemein den „Bericht der Staatlichen Plankommission über die Erfüllung des Volkswirtschaftsplanes 1951“, der am 20. Februar 1952 dem Ministerrat der DDR vorgetragen wurde (BAB, DC 20-I/3/94, TOP 2, Anlage 1). Hier wurden auch nicht erreichte Planziele (u. a. im Zuständigkeitsbereich des Ministeriums für Hüttenwesen und Erzbergbau) benannt. Nachdem im Politbüro bereits am 18. Februar der Veröffentlichung des Berichtes zugestimmt worden war (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/194, TOP 12), erschien er am 21. Februar im Neuen Deutschland auf S. 1. 18  Zu den Ergebnissen der seit Herbst 1951 laufenden Untersuchungen vgl. Dok. 98, Fn. 13. Auf seiner Sitzung am 25. März 1952 nahm das SED-Politbüro den „Bericht der EKO-Kommission über Durchführung des Beschlusses über Eisenhüttenkombinat Ost“ zur Kenntnis und wies an: „Genosse Rau wird beauftragt, einen Genossen mit besonderen Vollmachten für die Frage der Zulieferung von Material und Aggregaten für das Eisenhüttenkombinat Ost vorzuschlagen. Dieser Sonderbevollmächtigte soll durch Regierungsbeschluß eingesetzt werden … Genosse Selbmann wird beauftragt, dem Politbüro Vorschläge zu machen über die Änderung im zentralen Konstruktionsbüro des Ministeriums für Erzbergbau und Hüttenwesen … Die sowjetischen Organe werden gebeten zu gestatten, daß die sowjetischen Inge­ nieure, die zur Zeit im Eisenhüttenkombinat Ost eingesetzt werden, noch für weitere 4 Wochen im Eisenhüttenkombinat Ost bleiben können … Im Eisenhüttenwerk Ost ist unter Verantwortung eines Mitarbeiters des Ministeriums für Staatssicherheit und eines führenden Funktionärs der Volkspolizei eine strenge Sicherheitsordnung für

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Aufkommen von Unmut unter den Arbeitern des Schiffbaus, der metallverarbeitenden Industrie und zum Teil der Textilindustrie sowie auf den Baustellen. Infolge des nicht rechtzeitigen Eintreffens von Bestellungen und Zeichnungen und der ungleichmäßigen Verteilung von Rohstoffen und Halbfabrikaten und teilweise auch des Mangels an Rohstoffen könnten die Arbeiter nicht immer mit voller Kraft arbeiten. Dadurch würden sie nur die Minimallöhne erhalten und hätten teilweise Leerlauf. In diesem Zusammenhang würden sich die Arbeiter in einigen Betrieben der Entwicklung der Hennecke-Bewegung19 widersetzen mit der Begründung, dass sie, wenn sie schneller arbeiten würden, nach zwei Wochen nichts mehr zu tun hätten. V. Semenov20 AVP RF, f. 0457a, op. 12, p. 65, d. 3, Bl. 78–84.

jeden einzelnen Abschnitt des Werkes durchzuführen.“ Vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/204. 19  Die Hennecke-Bewegung war eine von der SED und dem FDGB nach dem Vorbild der sowjetischen Stachanov-Bewegung initiierte und nach dem Bergarbeiter Adolf Hennecke (der am 13. Oktober 1948 in einer sorgfältig inszenierten Sonderschicht 387 Prozent seiner Norm erfüllte) benannte Aktivistenbewegung zur Arbeitsmobilisierung, die auf eine Überbietung der Schichtnormen zielte. 20  Handschriftlich.



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100. Schreiben von Botschafter Appelt an Staatssekretär Ackermann Vertraulich

Moskau, 14. März 19521

Sehr geehrter Herr Staatssekretär! Am 3. März 1952 schrieb mir Herr Florin,2 daß beim Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten erneut zahlreiche Anfragen und Begnadigungsgesuche einlaufen im Zusammenhang mit den Äußerungen, die Pastor Niemöller nach seiner Rückkehr aus Moskau bezüglich der verurteilten deutschen Kriegsgefangenen in der UdSSR gemacht hat.3 Anläßlich des Empfanges für die Eisenbahner, am 7. März, habe ich diese Mitteilung an Herrn Gribanow weitergeleitet und ihn dabei gefragt, ob er nicht davon Kenntnis habe, daß in nächster Zeit eine Erklärung der Sowjetunion zu der genannten Frage zu erwarten sei. Herr Gribanow gab mir daraufhin vertraulich bekannt, daß sich die sowjetischen Instanzen gegenwärtig mit der Frage der verurteilten Kriegsgefangenen beschäftigen und daß in absehbarer Zeit ein wichtiger Beschluß darüber herauskommen werde.4 Herr 1  Durchdruck. 2  Das

Schreiben von Florin konnte im PA AA nicht ermittelt werden. Reise Niemöllers nach Moskau vgl. Dok. 92 und Dok. 93. Nach seiner Rückkehr aus Moskau erklärte Niemöller zur Frage der Kriegsgefangenen, ihm sei sowohl eine Begegnung als auch eine längerfristige seelsorgerische Tätigkeit unter ihnen verweigert worden. Er habe jedoch in einem ausführlichen Gespräch mit dem stellvertretenden Außenminister Zorin (vgl. Dok. 93) über diese Angelegenheit trotz dessen Forderung nach Sühne den Eindruck einer „Auflockerung des Willens“ und des Wunsches nach Verständigung gewonnen, vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.  Januar 1952, S. 1. In seinem am 16.  Januar 1952 im Spiegel 3/1952 auf S. 13–15 veröffentlichten Bericht „Meine Reise nach Moskau“ schrieb Niemöller über dieses Gespräch, er habe Zorin vorgeschlagen, um des Friedens unter den Völkern willen die Kriegsgefangenenfrage noch vor Abschluss eines formellen Friedensvertrages zu lösen. Niemöller überlieferte keine konkrete Antwort, äußerte aber hier die Überzeugung, diese Frage werde nun in Regierungskreisen in der Sowjetunion behandelt. In der DDR-Presse wurde über die Reise Niemöllers breit berichtet, jedoch unter Auslassung des Kriegsgefangenen-Themas (vgl. die Auszüge aus dem SpiegelBericht im Neuen Deutschland vom 17. Januar 1952 auf S. 2). 4  Am 2. April 1952 beschloss der Ministerrat der UdSSR mit der Anordnung Nr. 1616-576ss die Repatriierung von 653 „ehemaligen Kriegsgefangenen und internierten Staatsbürgern Deutschlands“. Diese sollten bis zum 1. Juni des Jahres in Frankfurt (Oder) den Behörden der DDR übergeben werden. Weitere zehn ehemalige Kriegsgefangene, deren Angehörige in Polen lebten, sollten dorthin entlassen werden. 36 verurteilte ehemalige Kriegsgefangene, deren Haftzeit nach dem 1.  Juni ablaufe, sollten entsprechend dem Ablauf ihrer Haftzeit entlassen werden. Die Repatriierung weiterer 36 Personen, bei denen es sich hauptsächlich um Offiziere der ehemaligen deutschen Armee handele, sei „zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zweckmäßig“. 3  Zur

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Gribanow deutete an, daß es zu einer Lösung kommen dürfte, die auf deutscher Seite Befriedigung auslösen werde. Nähere Einzelheiten gab er mir jedoch nicht bekannt, obwohl ich den Eindruck hatte, daß er bereits konkretere Informationen besitzt. Ich gebe Ihnen diese Mitteilung zur Kenntnis und bitte Sie gleichzeitig, auch die Hauptabteilung I darüber zu informieren, damit Gesuche aus den Kreisen der Bevölkerung betreffend verurteilter Kriegsgefangener vorläufig nicht nach hier geschickt werden, sondern bis zu der zu erwartenden Entscheidung im Ministerium zurückgehalten werden. Mit besten Grüßen! Appelt5 PA AA, MfAA A, Bd. 608 Bl. 316.

101. Schreiben von Außenminister Vyšinskij an den Vorsitzenden des Ministerrats Stalin Streng geheim

Moskau, 17. März 19521

An Gen. I.V. Stalin Bei Gen. Čujkov ist ein Telegramm von der UNO-Kommission zur Prüfung der Voraussetzungen für die Durchführung gesamtdeutscher Wahlen2 eingegangen. In dem Telegramm ist die Bitte enthalten, die deutschen Behörden der sowjetischen Zone davon in Kenntnis zu setzen, dass die Kommission wünsche, mit ihnen und mit Vertretern des Ostsektors von Berlin „vor-

Vgl. GA RF, f. R-5446, op. 106 sč, d. 736, Bl. 245–246. Diesem Beschluss ging ein Bericht des Innenministers an den stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrates der UdSSR über die Anzahl verurteilter und nicht verurteilter Kriegsgefangener und Internierter in Lagern des Innenministeriums der UdSSR vom 30. März 1952 voraus, demzufolge am 1. März die Zahl der nicht verurteilten Kriegsgefangenen und Internierten zusammen bei 1 284, die Zahl der verurteilten Kriegsgefangenen und Internierten zusammen bei 15 120 lag, vgl. Foitzik, Interessenpolitik, S. 580–582. 5  Paraphe. 1  Kopie. Das Original ging an Stalin. Kopien gingen an Molotov, Malenkov, Berija, Mikojan, Kaganovič, Bulganin und Chruščev. Das Dokument erhielt am 17. März 1952 die Ausgangsnummer 63-VK. 2  Die Vollversammlung der UNO beschloss am 20. Dezember 1951 die Resolution Nr. 510 zur Einsetzung einer Kommission, die die Voraussetzungen für die Durchführung freier gesamtdeutscher Wahlen prüfen sollte (zur Resolution vgl. AdG 21 [1951], S. 3256–3257). Die in Genf ansässige Kommission bestand aus Vertretern Brasiliens, Islands, der Niederlande und Pakistans und nahm im Februar 1952 ihre Arbeit auf.



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bereitende Maßnahmen“ zu besprechen, welche „die Kommission als notwendig für die Durchführung ihrer Arbeit betrachtet“.3 Gen. Čujkov und Gen. Semenov sind der Ansicht,4 dass der Leiter der Protokoll- und Kommunikationsabteilung der Sowjetischen Kontrollkommission dem Vorsitzenden der UNO-Kommission, Albertson, ein Antwortschreiben folgenden Inhaltes zukommen lassen sollte: 1. Die von der UNO-Kommission erhaltenen Schreiben und ein Telegramm der Sowjetischen Kontrollkommission sind zeitgerecht der DDR-Regierung überstellt worden. 2. Wie der Protokoll- und Kommunikationsabteilung der Sowjetischen Kontrollkommission bekannt ist, wurde der Standpunkt der DDR-Regierung bezüglich der UNO-Kommission und deren mutmaßlicher Aktivitäten auf dem Territorium Deutschlands in den Presseorganen der DDR zur allgemeinen Kenntnisnahme publiziert.5 Das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR ist der Auffassung, dass mit der UNO-Kommission kein Schriftkontakt aufgenommen werden sollte, da wir ansonsten Anlass für Äußerungen gäben, dass wir angeblich diese Kommission anerkennen und ihr Rechnung tragen, wohingegen die sowjetische Delegation auf der VI. Sitzung der Generalversammlung gegen die Konstituierung dieser Kommission gestimmt und erklärt hat, die Anregung zur Gründung der Kommission stehe im Widerspruch zu Artikel 107 der UN-Charta.6 3  Am 22. Februar hatte die UN-Kommission gleichlautende Telegramme an den Vorsitzenden der Alliierten Hohen Kommission McCloy und an Čujkov geschickt und um einleitende Gespräche mit beiden Seiten gebeten, vgl. dazu AAPD (1952), S. 183–184. Diese Tatsache wurde sofort in Ost und West bekannt. 4  Ein entsprechendes Telegramm von Čujkov und Semenov konnte im AVP  RF nicht ermittelt werden. 5  Das Neue Deutschland berichtete am 12. Dezember 1951 auf S. 1 über die Rede des stellvertretenden Ministerpräsidenten der DDR Bolz vor dem Politischen Ausschuss der UN-Vollversammlung am 11. Dezember in Paris. Die Rede wurde am nächsten Tag auf S. 1 und 3 vollständig abgedruckt (vgl. auch DAPDDR 1, S. 200– 215). Die UN-Kommission lehnte Bolz hier ab, indem er sich auf das in der Charta der Vereinten Nationen garantierte „Recht der Nationen auf Selbstbestimmung und Nichteinmischung in die inneren friedlichen Angelegenheiten eines Volkes“ berief (namentlich Artikel I und Artikel II, Satz 7). Dies müsse auch Anwendung auf eine Frage wie die der „Durchführung von demokratischen Wahlen“ finden. Die Regierung der DDR stelle daher fest, „daß es auch keinerlei rechtliche Grundlage für eine Einmischung in die Durchführung deutscher Wahlen für eine Nationalversammlung gibt“. Diese Position wurde in der Folgezeit in öffentlichen Erklärungen mehrfach bekräftigt. 6  In seiner Rede auf der Plenarsitzung der 6.  UNO-Vollversammlung am 13.  November 1951 hatte Vyšinskij eine Einbeziehung der UNO in die Erörterung der deutschen Frage grundsätzlich abgelehnt, indem er Artikel 107 der Charta der Vereinten Nationen als eine diese Möglichkeit ausschließende Bestimmung deutete: „Wir wol-

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Außerdem muss in Betracht gezogen werden, dass die Regierung der DDR am 28. Februar und Grotewohl am 14. März erneut bekräftigt haben, dass die UNO-Kommission nicht nötig ist, „dass diese Kommission jeglicher Rechtsgrundlage entbehrt und ihre Tätigkeit einer ungesetzlichen Einmischung in die inneren Angelegenheiten des deutschen Volkes gleichkommt“.7 Somit hat die Regierung der DDR der UNO-Kommission faktisch eine Antwort gegeben und diese Antwort zur allgemeinen Kenntnisnahme veröffentlicht. Daher besteht für die SKK zu irgendeiner Antwort keinerlei Notwendigkeit. Entwurf des Beschlusses des ZK der VKP (b) liegt bei.8 len daran erinnern, daß Artikel 107 genau die Grenzen der Kompetenz der Organisation der Vereinten Nationen festlegt. Er verbietet die Einmischung der Organisation in Fragen, welche im Zusammenhang stehen mit Aktionen, die als Folge des zweiten Weltkrieges von den Regierungen unternommen oder sanktioniert worden sind, die die Verantwortung für derartige Aktionen tragen, soweit dies einen beliebigen von den Staaten betrifft, die während des zweiten Weltkrieges der Feind irgendeines Signatarstaates der vorliegenden Satzung waren. Artikel 107 sagt direkt, daß die Satzung keiner solchen Aktion die Rechtskraft nimmt und keinen solchen Aktionen im Wege steht. Deshalb wäre es eine grobe Verletzung des Artikels 107 der Satzung und folglich auch eine Verletzung der in dem internationalen Vertrag, den die Satzung darstellt, übernommenen Verpflichtungen, wenn die Deutschlandfrage in irgendeiner Form in die Tagesordnung aufgenommen würde.“ Vgl. DDS 1, S. 280–288, hier S. 282–283. 7  Der Ministerrat der DDR hatte am 28. Februar eine Dankeserklärung an die Regierung der UdSSR verabschiedet, welche erklärt habe, dass sie die Beschleunigung des Abschlusses eines Friedensvertrages mit Deutschland und die Wiederherstellung der Einheit des deutschen Staates unterstütze, wobei Deutschland am Abschluss eines Friedensvertrages beteiligt sein müsse (vgl. Neues Deutschland, 29. Februar 1952, S. 1). Die UNO-Kommission wurde hier allerdings nicht explizit erwähnt. In seiner Regierungserklärung vom 14. März hatte Grotewohl dazu bemerkt: „Es wird von interessierter Seite auch versucht, die Vorschläge der Sowjetregierung mit dem Hinweis auf die von den UN eingesetzte Kommission zur Überprüfung der Möglichkeit freier Wahlen in ganz Deutschland abzutun. Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik erklärt noch einmal mit Nachdruck, daß es einer solchen Kommission nicht bedarf, daß diese Kommission keinerlei Rechtsgrundlage besitzt und ihre Tätigkeit eine ungerechtfertigte Einmischung in die inneren Angelegenheiten des deutschen Volkes darstellen würde. (Beifall.) Nach dem Potsdamer Abkommen sind nur die vier Großmächte befugt, Kontrollfunktionen auszuüben. Die Sowjetregierung stellt in ihrer Note an die Westmächte fest, ‚daß die UdSSR, die USA, Großbritannien und Frankreich, die in Deutschland Kontrollfunktionen ausüben, auch die Frage der Bedingungen prüfen müssen, die die schleunigste Bildung einer gesamtdeutschen, den Willen des deutschen Volkes ausdrückenden Regierung fördern‘.“ (vgl. Neues Deutschland, 15. März 1952, S. 3–4, hier S. 4). Am 7. März 1952 hatten das Neue Deutschland und die Neue Zeit unterstützend das Gerücht lanciert, der isländische Vertreter der UNO-Kommission, Kristjan Albertson, sei ein Agent der Nazis gewesen. 8  In dem Entwurf wurde vorgeschlagen, die in einem chiffrierten Telegramm übermittelten Weisungen an Čujkov und Semenov zu bestätigen. In dem Telegramm hieß



Dokument 102: 17. März 1952487

Ich bitte um Prüfung.

A. Vyšinskij

AVP RF, f. 07, op. 25, p. 13, d. 146, Bl. 15–16.

102. Unterredung zwischen dem Politischen Berater Semenov und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht Geheim

17. März 19521

Aus dem Tagebuch2 von V.S. Semenov Am 17. März war ich bei Ulbricht in folgenden Angelegenheiten: 1. Ich übergab ihm ein Aide-mémoire zu Fragen der Arbeit mit Wissenschaftlern und der ingenieur-technischen Intelligenz in der DDR, das im Zusammenhang mit einer Untersuchung der SKK zur Lage der Intelligenz erstellt wurde (Anlage Nr. 1).3 es entsprechend der Mitteilung Vyšinskijs: „Sie sollten mit der UNO-Kommission keinen Schriftkontakt aufnehmen, da wir ansonsten Anlass für Äußerungen gäben, dass wir angeblich diese Kommission anerkennen und ihr Rechnung tragen, wohingegen die sowjetische Delegation auf der VI. Sitzung der Generalversammlung gegen die Konstituierung dieser Kommission gestimmt und erklärt hat, die Anregung der drei Mächte zur Gründung der Kommission stehe im Widerspruch zu Artikel 107 der UN-Charta. Außerdem muss in Betracht gezogen werden, dass im Wesentlichen eine Antwort an die Kommission am 28. Februar durch die Regierung der DDR und am 14. März durch Grotewohl gegeben und zur allgemeinen Kenntnisnahme veröffentlicht worden ist.“ Vgl. AVP  RF, f. 07, op. 25, p. 13, d. 146, Bl. 18. Am 27.  März schickte die UN-Kommission ein weiteres Telegramm mit der Bitte um ein Gespräch mit der Regierung der DDR an Čujkov, vgl. dazu Ruggenthaler, Stalins Bluff, S. 182, Dokument 87. 1  Original. Hauptadressat des Dokuments war Čujkov. Weitere Exemplare gingen an Grigorʼjan, Gribanov und Bykov und in die Akten. Das hier vorliegende 5. Exemplar für die Akten erhielt am 21. März 1952 die Ausgangsnummer AP/0126. 2  „Tagebuch“ ist ein aus der russischen Kanzleisprache übernommener Begriff des Auswärtigen Dienstes der UdSSR für Gesprächsaufzeichnungen. 3  In der Anlage werden die Ursachen für das Abwandern von Vertretern der Intelligenz in den Westen analysiert. Zu den Ursachen zählten die Verfasser des Dokuments neben den im Folgenden von Ulbricht aufgegriffenen Punkten: das im Vergleich zu „Altdeutschland“ und Westdeutschland niedrigere Niveau der materiellen Versorgung der „qualifizierten ingenieur-technischen und wissenschaftlichen Mitarbeiter in der DDR“; Probleme mit dem „Abschluss individueller Verträge mit Spezialisten, aufgrund derer sie persönliche Gehälter und andere Anreize erhalten“; Verschleppung der Prüfung von Anträgen auf Patentierung von Erfindungen; das Fehlen eines interessanten wissenschaftlichen Lebens und ausreichender Möglichkeiten zur Höherqualifizierung usw. In diesem Zusammenhang war geplant, den Lohn für diese

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Ulbricht hörte den Inhalt des Aide-mémoires aufmerksam an und sprach seinen Dank für die große Hilfe aus, die dem ZK der SED in dieser Frage von uns geleistet worden sei. Zur Frage des ungünstigen Einflusses von Verhaftungen4 auf die Stimmung der Intelligenz bemerkte er, dass es in jedem Falle notwendig sei, in den Betrieben, in denen Verhaftungen stattgefunden hätten, mehr oder weniger plausible Haftgründe anzugeben. Bezüglich der Zuteilung zusätzlicher Rationen für wissenschaftlich-technische Beschäftigte sagte Ulbricht, das Politbüro habe diesen Vorschlag angesichts des gravierenden Fleischmangels in der DDR abgelehnt.5 Ulbricht sagte, vom Politbüro des ZK der SED solle eine Kommission zur Erarbeitung eines Entwurfs einer Regierungsverordnung zu den im Aidemémoire angesprochenen Fragen gebildet werden.6 Kategorie von Beschäftigten zu erhöhen und die Arbeit des Patentamtes zu verbessern. Vgl. AVP RF, f. 0457а, op. 12, p. 65, d. 3, Bl. 103–109. 4  Zu Verhaftungen von „Angehörigen der Intelligenz“ in den Betrieben bis zum März 1952 konnten keine Zahlen ermittelt werden. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete nicht über Festnahmen in Betrieben, veröffentlichte aber am 3. März 1952 auf S. 3 eine Meldung über die Zahl von insgesamt 303 verhafteten Professoren und Studenten der Universitäten. 5  Details zur Ablehnung zusätzlicher Fleischrationen für wissenschaftlich-technische Beschäftigte konnten nicht ermittelt werden. In den vom Politbüro des ZK der SED am 12. Februar 1952 beschlossenen „[w]eitere[n] Maßnahmen zur Förderung der Intelligenz“ finden sich dazu keine Angaben (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/192, TOP 4, Anlage 1). Am 10. April 1952 beschloss der DDR-Ministerrat jedoch eine „Erhöhung des In-Schein-Kontingents für hervorragende Angehörige der Intelligenz“ (BAB, DC 20-I/3/102, TOP 9, Anlage 10). Wahrscheinlich waren damit zusätzliche Rationen gemeint. 6  Am 22. April 1952 stimmte das SED-Politbüro laut Protokoll „Maßnahmen zur Verbesserung der materiellen Lage der Intelligenz“ zu und beschloss, nach der folgenden Politbürositzung ein Kommuniqué über einen zu fassenden „Beschluß über die Verbesserung der Lage der Intelligenz“ zu veröffentlichen (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/208). Dieses Kommuniqué enthielt u. a. Vorschläge zu Gehaltserhöhungen für Angehörige der „technisch-wissenschaftlichen Intelligenz … entsprechend den Leistungen … wobei die technisch-wissenschaftliche und kaufmännische Intelligenz der volkseigenen Industrie, der MAS, der volkseigenen Güter, des Verkehrs, des Post- und Fernmeldewesens sowie der Banken einzubeziehen ist. Es wird vorgeschlagen, dabei auch die Meister wie die technische Intelligenz zu behandeln.“ Außerdem wurden „weitgehende Maßnahmen zur Bereitstellung von Ferienplätzen“ angekündigt (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/209). Erst am 24. Juni 1952 beschloss das Politbüro eine „Verordnung zur Verbesserung der Lage der Intelligenz“, bildete jedoch zusätzlich eine Kommission bestehend aus Roman Chwalek, Gerda Wachowius, Herbert Warnke, Otto Lehmann und einem Vertreter des Ministeriums für Finanzen zur Überarbeitung der „Vorschläge“ (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/217). Am 28. Juni 1952 verabschiedete der DDR-Ministerrat die „Verordnung über die Erhöhung der Gehälter für Wissenschaftler, Ingenieure und Techniker in der DDR“ sowie den „Beschluß zur Verordnung über die Erhöhung der Gehälter für Wissenschaftler, Inge­ nieure und Techniker in der DDR“ (vgl. BAB, DC 20-I/3/116, TOP 1, Anlagen 3–4).



Dokument 102: 17. März 1952489

2. Ich bat Ulbricht, zu beachten, dass es bislang noch keine feste Liste der Delegation westdeutscher Industrieller und Handelsleute bei der Internationalen Wirtschaftskonferenz in Moskau gibt.7 Nach vorliegenden Angaben übe die Bonner Regierung auf diese Personen starken Druck aus, um die Reise zu verhindern.8 Ulbricht sagte, diese Frage sei heute auf der Sitzung des Sekretariats des ZK der SED besprochen worden und es sei beschlossen worden, einige weitere Maßnahmen zu treffen.9 Insbesondere werde dafür gesorgt, dass Wirth, dem die Franzosen bis jetzt die Reiseerlaubnis nach Berlin verweigern, nach Berlin gebracht wird, koste es was es wolle.10 Am Folgetag wurden die Beschlüsse in der DDR-Presse veröffentlicht. Zu vorangegangenen Fördermaßnahmen vgl. Dok. 74, Fn. 2 und 7. 7  Die Internationale Wirtschaftskonferenz in Moskau fand vom 3. bis zum 12. ­April statt. Vertreter von 49 Staaten nahmen an ihr teil. Im Rahmen der Konferenz wurden über 60 Verträge über Handel, Zusammenarbeit in der Wissenschaft und Technik und Investitionen abgeschlossen. Die UdSSR unterschrieb 19 Abkommen. Zum vorsichtigen Auftreten westdeutscher Vertreter auf der Konferenz vgl. die Darstellung in Der Spiegel 17/1952, S. 11–14. 8  Die Bundesregierung lehnte eine Beteiligung deutscher Wirtschaftsvertreter an der Moskauer Wirtschaftskonferenz ab, konnte jedoch (private) Reisen von Firmenvertretern rechtlich nicht unterbinden, „da diese auf dem Umweg über Sowjetzone ohne Kontrolle der Bundesbehörden jederzeit möglich“ seien (so Blankenhorn in einem Telegramm vom 15. März 1952, vgl. PA AA, B 10, Bd. 1781), und versuchte informell, Firmen und Verbände dahingehend zu beeinflussen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung meldete am 19. März auf S. 1, der Bundesverband der Deutschen Industrie habe in einer offiziellen Erklärung eine Teilnahme an der Moskauer Wirtschaftskonferenz abgelehnt. Am 19. Februar hatte Kroll in einem Vermerk (Tgb. Nr. 10334/52) die Konferenz als eine „vorwiegend von politischen und propagandistischen Motiven diktierte Aktion“ bezeichnet, die das Ziel habe, „durch ver­ lockende Angebote … die immer lästiger werdende westliche Embargo-Politik zu unterminieren“. Die Teilnahme einer westdeutschen Delegation würde „von den Propagandisten des Kreml mit Sicherheit stark aufgebauscht“ werden, sie wäre „zweifellos im Augenblick politisch höchst inopportun“ (diesen Ausdruck verwendete auch Blankenhorn) und könne daher nicht von der Bundesregierung „empfohlen oder gar gefördert“ werden (vgl. PA AA, B 10, Bd. 1781). 9  Im Protokoll der Sitzung des Sekretariats des ZK der SED am 17. März 1952 ist unter TOP 7 („Weltwirtschaftskonferenz“) lediglich vermerkt: „Die Berichte der Genossen Stoph und Kling werden zur Kenntnis genommen. Mit der Delegation der Deutschen Demokratischen Republik, die zur Weltwirtschaftskonferenz fährt, ist rechtzeitig vor der Konferenz eine Beratung durchzuführen, um mit den Delegierten festzulegen, auf welche Fragen sich jeder speziell vorbereiten soll.“ Vgl. BABSAPMO, DY 30/55947, Bl. 5. Weder die erwähnten Berichte noch Details zu den Aufgaben der Delegierten sind im Protokoll überliefert. 10  Zur Reise von Wirth nach Berlin Ende 1951 und seinen vorangegangenen Kontakten zur DDR und zur SKK vgl. Dok. 90. Nach Wirths Ankündigung im Jahr 1951, Gespräche in Ost-Berlin führen zu wollen, hatten es die Sûreté und die badische Landesregierung vorübergehend abgelehnt, ihm einen Interzonenpass auszustellen, vgl. Hörster-Philipps, Wirth, S. 732. Dass Wirth nach seinem ersten Besuch in Ost-

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3. Ich übergab Ulbricht ein Aide-mémoire zu Versuchen, die Betätigung der neofaschistischen Organisation „Stahlhelm“ in Westdeutschland und der DDR wiederzubeleben (Anlage Nr. 2).11 Ulbricht sagte, er werde das beobachten und er halte es für notwendig, vor allem die Inhaber der Gaststätten, in denen an einigen Orten Versammlungen ehemaliger „Stahlhelm“-Anhänger jetzt beinahe legal stattfänden, zur Verantwortung zu ziehen. Ulbricht sagte, man müsse in diesen Fällen Repressionen ausüben, da man es mit direkten Feinden der Republik zu tun habe. Es sei jetzt unbedingt erforderlich, den reaktionären Elementen, die ihr Haupt erheben, Schläge zu versetzen und gleichzeitig einige Schritte zur Amnestierung inhaftierter ehemaliger Nazis zu unternehmen. In diesem Zusammenhang riet ich Ulbricht, er solle das Innenministerium der DDR beauftragen, die Akten der in den Waldheimer Prozessen12 verurteilten ehemaligen Nazis zu prüfen, um genaue Kenntnisse zu erlangen, wer von den Verurteilten keine konkreten Verbrechen verübt hat, sowie festzustellen, wer wegen fortgeschrittenen Alters oder schlechten Gesundheitszustands freigelassen werden könnte. Ulbricht sagte, er halte die Erarbeitung solcher Materialien für erforderlich und werde dem Innenministerium der DDR eine entsprechende Weisung erteilen.13 Berlin erneut eine Reiseerlaubnis verweigert wurde, konnte nicht nachgewiesen werden. 11  In der Anlage ist von der Gefahr der Bildung von Untergrundgruppen die Rede. Zur Veteranenorganisation „Stahlhelm“ – die 1951 in Köln neu gegründet worden war – hieß es darin: „Es ist festgestellt worden, dass die gesamte Tätigkeit der ‚Stahlhelm‘-Gruppen von einem der Führer der westdeutschen ‚Stahlhelm‘-Organisationen, Haufe Martin [der Name konnte nicht verifiziert werden], gelenkt wird, zu dem einige Teilnehmer der illegalen Gruppen Verbindungen unterhalten“, vgl. AVP  RF, f. 0457а, op. 12, p. 65, d. 3, Bl. 110. In den offiziellen Protokollen des SED-Politbüros und des Ministerrats der DDR taucht das Thema „Stahlhelm“ 1952 nicht auf. 12  Vgl. Dok. 90, Fn. 26. 13  Im Frühjahr 1952 sollten Gerichtsverfahren für die Überlebenden unter denjenigen Untersuchungshäftlingen vorbereitet werden, die 1950 als nicht verhandlungs­ fähig eingestuft worden waren. Die Verfahren sollten – unter dem Tarnnamen „Strafverfahren ‚Gera‘ “ nach den gleichen Richtlinien durchgeführt werden wie 1950. Eine Vorbesprechung dazu fand am selben Tag wie diese Unterredung, dem 17. März statt (eine Niederschrift dazu ist veröffentlicht in Eberhard Wendel, Ulbricht als Richter und Henker, Berlin 1996, S. 74–75). Plenikowski informierte Ulbricht am 20.  Mai davon (vgl. Wolfgang Eisert, Die Waldheimer Prozesse. Der stalinistische Terror 1950. Ein dunkles Kapitel der DDR-Justiz, Esslingen/München 1993, S. 275). Darin wurden 28 Personen als weiterhin nicht verhandlungsfähig eingestuft. Erst am 27. Juli beauftragte Ulbricht Plenikowski, mit Blick auf den dritten Jahrestag der Gründung der DDR Vorschläge zur Haftbefreiung und Strafminderung von Waldheim-Verurteilten zu erarbeiten, da dies „zweckmäßig und in politischer Hinsicht … vorteilhaft“ sei (vgl. ebenda, S. 276). Laut Eisert ging das Schreiben auf eine „Anregung“ aus Karls-



Dokument 102: 17. März 1952491

4. Ich übergab Ulbricht ein Aide-mémoire zu den antidemokratischen Ausfällen der Sekretärin eines Kreisvorstands der FDJ, Ingeborg Rakita (Anlage Nr. 3)14 und bat Ulbricht, sich zu erkundigen, welche Maßnahmen im Zusammenhang mit diesem Fall vom Zentralrat der FDJ unternommen worden sind.15 5. Ich übergab Ulbricht ein Aide-mémoire über die Übergabe der Archive in Merseburg an das MfS der DDR (Anlage Nr. 4).16 Ulbricht sagte, dass Zaisser mit der Entgegennahme des Archivs beauftragt werde.17 horst zurück, vgl. ebenda. Am 5. August 1952 beschloss das Politbüro der SED unter TOP 15 („Überprüfung der in Waldheim verurteilten Nazi- und Kriegsverbrecher an Hand der Akten zwecks Entlassung aus der Haft oder Verminderung der Strafen für einzelne Kategorien“) die Bildung einer Kommission aus Vertretern des MfS, der Obersten Staatsanwaltschaft, des Justizministeriums und der HV der Deutschen Polizei unter Leitung des MfS, die die Akten sämtlicher in Waldheim Verurteilter überprüfen sollte, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/224. Am 11. September lag der Vorschlag der Kommission vor, 993 Urteile unverändert zu lassen, 1024 Strafen abzumildern und 997 Verurteilte zu entlassen, vgl. Wolfgang Eisert, Die Waldheimer Prozesse. Der stalinistische Terror 1950. Ein dunkles Kapitel der DDR-Justiz, Esslingen/München 1993, S. 278. 14  Dieses lautete: „Es ist festgestellt worden, dass die Sekretärin der Chemnitzer Kreisleitung der FDJ, Ingeborg Rakita, geboren 1925, in der Nacht zum 4. Februar d. J. im Klub der Chemnitzer Kreisorganisation der FDJ zurückblieb, dort vier Portraits der Führer der Regierung der UdSSR und der Deutschen Demokratischen Republik von den Wänden riss und auf einem davon ein faschistisches Hakenkreuz malte. Danach verstreute sie auf dem Boden die im Klub befindlichen Broschüren und zuvor von ihr zerrissene Sitzungsprotokolle der Kreisleitung der FDJ sowie weitere Dokumente. Am 4. Februar 1952 zeigte Rakita die angeblich von Unbekannten im Gebäude des FDJ-Klubs begangene Randale bei den Organen der Volkspolizei an.“ Vgl. AVP  RF, f. 0457а, op. 12, p. 65, d. 3, Bl. 111. In den offiziellen Protokollen des SED-Politbüros wurde diese Frage nicht behandelt. 15  Ob der Zentralrat der FDJ besondere Maßnahmen in Bezug auf Ingeborg Rakita unternahm, konnte im BAB nicht ermittelt werden. In den Sitzungsprotokollen des Sekretariats des Zentralrats der FDJ vom Februar und März 1952 ist dieser Fall nicht erwähnt. 16  Unter Bezug auf eine Bitte Ulbrichts vom 5. Dezember 1951 wurde ein Beschluss über das Verfahren der Übergabe von Archivalien bis zum 25. März 1952 gefasst. Dieser befindet sich in: AVP  RF, f. 0457а, op. 12, p. 65, d. 3, Bl. 113. Am 12.  März wurde der Beschluss in einem Telegramm von Gromyko an Čujkov und Semenov übermittelt, vgl. BDU 1, S. 347. 17  Es ging dabei um Archivbestände vor allem aus dem ehemaligen Preußischen Geheimen Staatsarchiv, die während des Zweiten Weltkriegs in Salzschächte in Staßfurt und Schönebeck ausgelagert, 1945 von der SMAD beschlagnahmt und in der Folgezeit in Lagerhallen untergebracht worden waren. Teile dieser Sammlungen wurden noch nach der Ende 1948 beschlossenen Freigabe des Großteils dieser Bestände im Zuge ihrer Überführung nach Merseburg während des Jahres 1949 ausgesondert und in einem Zwischenlager in Halle-Trotha deponiert (vgl. Rita Klauschenz, Verschleppt, zurückgeführt oder noch verborgen? Von der Sowjetunion beschlagnahmte Archivalien des Geheimen Staatsarchivs PK, in: Kulturgüter im Zweiten Weltkrieg.

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6.  Ich übergab Ulbricht ein Aide-mémoire darüber, dass in der Presse der DDR die Materialien, die den Einsatz bakteriologischer Kriegswaffen durch die amerikanischen Aggressoren in Korea betreffen, nicht ausreichend thematisiert werden (Anlage Nr. 5).18 Ulbricht sagte, er werde die notwendigen Maßnahmen unternehmen.19 Verlagerung – Auffindung – Rückführung. Hrsg. von der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste Magdeburg. Bearb. von Uwe Hartmann, Magdeburg 2007, S. 143– 170, hier S. 146–151). Die bereits in Merseburg gelagerten Bestände wurden seit dem 1. Januar 1950 in das Deutsche Zentralarchiv Potsdam, Abteilung II in Merseburg eingegliedert. Am 17. März wurden auch die bisher in Halle-Trotha gelagerten Teilbestände der Zweigstelle Merseburg zur Verwahrung übergeben, diese blieben jedoch versiegelt. In der Folgezeit bemühte sich der Archivleiter der Merseburger Abteilung, Walter Nissen, um die Freigabe der versiegelten Archivalien. Nach Berichten Nissens an das Ministerium des Innern, HA Archivwesen, wurden am 25. Mai 1951 457 Kisten, 699 Kartons sowie einzelne Ordner ohne Inventar in einen Aufbewahrungsraum des Archivs verbracht, sie blieben jedoch weiterhin versiegelt. Am 4. Februar 1952 berichtete Nissen, eine Kommission aus Moskau habe 20 Tage lang die bisher nicht freigegebenen Materialien gesichtet, danach jedoch die Räume erneut versiegelt, „nachdem vorher 27 Kisten auf einem Lkw, offenbar nach Halle zur dortigen SKK, geschafft worden sind“. Die im Dokument angekündigte Übergabe der versiegelten Bestände an Zaisser vollzog sich laut einem weiteren Bericht Nissens vom 22. März wie folgt: „Am 21. März besuchte Minister Zaisser in Begleitung mehrerer Offiziere aus Karlshorst die Zweigstelle Merseburg des Deutschen Zentralarchivs. Zweck des Besuches war die Übernahme des Depositums in deutsche Hand. Zunächst hatte der Minister den Plan ein Verzeichnis Aktenstück für Aktenstück durch Beauftragte seines Ministeriums anfertigen zu lassen … Da größte Eile geboten ist … übertrug er auf meinen Vorschlag die Sichtung, Grob- und Feinsortierung, sowohl die Anfertigung von Listen in deutscher Sprache dem Deutschen Zentralarchiv, Zweigstelle Merseburg und setzte als Termin Freitag, den 4. April 1952.“ Am 3. April berichtete Nissen vom vorzeitigen Abschluss der listenmäßigen Erfassung des Archivguts (mit Ausnahme der fehlenden 27 Kisten) und beklagte die „unsystematisch[e] und willkürlich[e]“ Auswahl der sekretierten Teilbestände. Das Protokoll der Übergabeverhandlung über 25 089 Akten und Dokumente wurde von Zaisser am 2. April unterzeichnet, der Verschlussraum wurde daraufhin jedoch erneut versiegelt. Nissen bemühte sich weiterhin um dessen Öffnung. Erst am 8. August 1953 konnte ein Übernahmeprotokoll unterzeichnet werden. Die Berichte, Protokolle und Inventarlisten befinden sich in: GStA PK, I. HA Rep. 178 E, Nr. 155. 18  Darin hieß es: „Die Zeitung Neues Deutschland schenkt den Protesten der Weltöffentlichkeit gegen die Anwendung bakteriologischer Kriegswaffen durch die amerikanischen Aggressoren nicht die gebührende Beachtung. Dokumente wie das Telegramm von Guo Moruo und Joliot-Curie und auch den Protest des Weltbunds der Demokratischen Jugend hat die Zeitung nicht veröffentlicht. Die Erklärungen des Komitees für Korea-Hilfe bei der Nationalen Front des demokratischen Deutschlands und des Deutschen Friedenskomitees wurden von ihr ebenfalls nicht veröffentlicht; der Inhalt dieser Erklärungen ist von der Zeitung in Kurzmitteilungen dargelegt. Zur Charakterisierung der Einstellung der Öffentlichkeit der DDR zu den bestialischen Verbrechen der Amerikaner brachte die Zeitung eine einzige Erklärung, die der Dresdner Arzt Ganse am 7. März machte. Seit der letzten Woche bringt die Zeitung Proteste gegen die bakteriologische Kriegführung der Amerikaner auf Seite 3 unter



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7.  Ich übergab Ulbricht die auf seine Bitte erstellten Vorschläge von Experten der SKK zur Frage der Aufgabenverteilung unter den Staatssekretären des Ministeriums für Maschinenbau der DDR (Anlage Nr. 6).20 Ulbricht sprach den Experten seinen Dank für ihre Hilfe aus.

Überschriften, die keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Von den anderen demokratischen Zeitungen Berlins wird dieses Thema noch schwächer beleuchtet.“ Vgl. AVP  RF, f. 0457а, op. 12, p. 65, d. 3, Bl. 114. Zur Erklärung Ganses vgl. Neues Deutschland, 7. März 1952, S. 1. 19  Bereits in den Wochen zuvor war eine Reihe von Artikeln in der Presse der DDR erschienen, die den USA die Verwendung biologischer Kampfstoffe in Nordkorea unterstellten, so erstmals am 24. Februar 1952 im Neuen Deutschland unter der Überschrift „Pak Hen Jen protestiert gegen Bakterienkrieg der USA“ (S. 4), dann am 27. Februar („Tschu En-lai ruft die Völker zu Maßnahmen gegen Bakterienkrieg der USA in Korea auf“), am 2. März („Schutzmaßnahmen gegen USA-Bakterienkrieg“) und am 5. März („Nationalrat der Nationalen Front protestiert gegen USA-Bakterienkrieg in Korea“), jeweils auf S. 2. Am 18. März erschien dann an gleicher Stelle eine Meldung mit dem Titel „Internationale Juristenkommission prangert USA-Verbrechen in Korea an“, einen Tag darauf folgte ein ausführlicherer Bericht hierzu: „USA des Bakterienverbrechens überführt. Von der Pressekonferenz internationaler Juristen in Korea“ (S. 2). Am 20. März publizierte das Neue Deutschland auf der Titelseite die Beiträge „Pestkrieg durch USA von langer Hand vorbereitet“ sowie „Weltprotest gegen USA-Pestkrieg“, einen Tag später an gleicher Stelle: „Empörung deutscher Ärzte über USA-Pestkrieg“ und: „USA verschärfen Bakterien- und Gaskrieg“. Der Artikel „Malik fordert in den UN Maßnahmen gegen USA-Bakterienverbrechen“ am 22. März erschien dann auf S. 2, der Text „Flammender Protest der Heiligen Synode gegen USA-Bakterienkrieg in Korea und China“ am 23. März wiederum auf S. 1. Das Thema war auch in der Folgezeit regelmäßig in der DDR-Presse präsent. Nach Stalins Tod wurde diese Kampagne eingestellt. Den Nachfolgern Stalins war bekannt, dass es sich bei dieser bereits im Frühjahr 1951 von der VR China, dann auch von Nordkorea propagierten und ab Februar 1952 massiv erneuerten und auch von der UdSSR unterstützten Kampagne um eine falsche Anschuldigung handelte, vgl. Kathryn Weathersby, Deceiving the Deceivers: Moscow, Beijing, Pyongyang, and the Allegations of Bacteriological Weapons Use in Korea, in: Cold War International History Project Bulletin 11 (1998), S. 176–185, und Milton Leitenberg, New Russian Evidence on the Korean War Biological Warfare Allegations: Background and Analysis, ebenda, S. 185–199. Die Weisung der SKK an Ulbricht (vgl. Fn. 18) ging der auch im Neuen Deutschland wiedergegebenen Erklärung Jakov Maliks vom 19. März vor der UN-Abrüstungskommission unmittelbar voraus, die hier möglicherweise propagandistisch flankiert werden sollte. 20  Darin hieß es: „Vermerke über die Bestätigung zweier zusätzlicher Staatssekretäre im Ministerium für Maschinenbau sind bei uns nicht vorhanden.“ Es wurde jedoch vorgeschlagen, die Aufgabenverteilung unter den Staatssekretären dahingehend zu verändern, dass der Minister „mehr Möglichkeiten, sich um die großen Fragen der Arbeit des Ministeriums zu kümmern“, erhielte. Dem Minister sollte in diesem Zusammenhang „die Leitung der zentralen Abteilungen des Ministeriums überlassen werden: der Abteilungen für Planung, Produktion, Materialversorgung und Führungskader“. Vgl. AVP RF, f. 0457а, op. 12, p. 65, d. 3, Bl. 115.

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8. Ich informierte Ulbricht über mein Gespräch mit Hamann am 13. März,21 in dem Hamann über den Versuch Ollenhauers und Wehners22 berichtete, über den jungen Külz einen Kontakt zu Hamann herzustellen. Ulbricht erklärte, man dürfe Hamann keinerlei Verhandlungen mit Vertretern der Sozialdemokraten Westdeutschlands anvertrauen, denn er werde die DDR bei jeder sich bietenden Gelegenheit verkaufen.23 Külz eigne sich auch nicht für die Rolle eines Vermittlers bei solchen Verhandlungen, denn er sei ein verdeckter Agent der Amerikaner. Nach Ulbrichts Meinung sind die Versuche Ollenhauers, Verhandlungen mit Hamann einzuleiten, ein Wahlkampftrick der Sozialdemokraten, mit dem versucht werden solle, einige Vertreter der bürgerlichen Parteien der DDR von uns zu trennen und dabei so zu tun, als sei die SPD-Führung für die Vereinigung Deutschlands. Wenn die Sozialdemokraten tatsächlich Verhandlungen über die Vereinigung Deutschlands wollen, dann müssen sie diese mit der SED oder mit Vertretern der SED in der Regierung der DDR führen. Dazu würden schon Vorschläge des ZK der SED an die Adresse der SPD-Führung vorbereitet. Was Wehner betreffe, so kämen irgendwelche Verhandlungen mit ihm nicht in Frage, denn Wehner habe 1938 eine Gruppe führender Kommunisten an die Gestapo ausgelie21  Ein Treffen Semenovs mit Hamann am 13. März 1952 konnte im ADL nicht belegt werden. 22  Im Russischen wird in diesem Dokument der Name Wehner „Venner“ geschrieben. 23  Dem Gespräch mit Semenov (vgl. Fn. 21) war eine gescheiterte deutschlandpolitische Initiative von Hamann selbst vorausgegangen, der vom 14. Januar bis zu seiner Ausweisung durch den hessischen Innenminister Heinrich Zinnkann am 21. Januar 1952 als „Privatmann“ (wahrscheinlich mit Wissen Semenovs) die Bundesrepublik bereist hatte, um über persönliche Kontakte Möglichkeiten einer deutsch-deutschen Annäherung zu sondieren. Die ausführliche Berichterstattung Hamanns und seines Begleiters über den Verlauf dieser Reise war Grotewohl zugegangen (vgl. BAB-SAPMO, NY 4090/656, Bl. 128–183), darunter befanden sich die Protokolle zweier Gespräche mit dem bayerischen Justizminister Josef Müller (Bl. 141–151 und 152–164). Offensichtlich als Anlage zu einem Schreiben an Zinnkann (dieser hatte Hamann in der Folge einer Unfallkontrolle ausgewiesen mit der Begründung, er habe sich auf seinem Interzonenpass als Landwirt statt als Minister eingetragen) vom 24. Januar führte Hamann eine Liste seiner (angeblich) geplanten Gespräche auf, die infolge der Ausweisung nicht mehr hätten stattfinden können. Darin waren als fest vereinbarte Gesprächspartner u. a. Thomas Dehler, Andreas Hermes und Helmut Külz vermerkt, unter „Gespräche[n], deren Zustandekommen durch Vermittlung gesichert war“ u. a. Theodor Heuss, Gebhard Müller, Karl Arnold, Herbert Wehner und Helene Wessel, unter „Gespräche[n], die in Aussicht genommen waren“ u. a. Franz Blücher und Erich Ollenhauer. Vgl. BAB-SAPMO, NY 4090/656, Bl. 128–183, hier Bl. 183. Eine zweite Reise kam nicht zustande, der Versuch einer Kontaktaufnahme Hamanns mit Blücher wurde von diesem nicht beantwortet, vgl. dazu und zu Hamanns Initiative Bernard Bode, Liberal-Demokraten und „deutsche Frage“. Zum politischen Wandel einer Partei in der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR zwischen 1945 und 1961, Frankfurt am Main 1997, S. 171–184.



Dokument 102: 17. März 1952495

fert.24 Von Kommunisten sei Wehner schon gesagt worden, dass er, sobald er uns in die Hände falle, umgehend verhaftet und vor Gericht gestellt werde. 24  In der Kaderabteilung der KPD bzw. SED waren seit 1942 (Wehners Verhaftung in Schweden und sein anschließender Parteiausschluss in Abwesenheit), vor allem aber seit seiner Rückkehr nach Deutschland und dem Beitritt zur SPD 1946 Informationen über Wehner gesammelt worden, um diese bei Bedarf gegen ihn verwenden zu können (vgl. Michael F. Scholz, Herbert Wehner in Schweden 1941–1946, München 1995, S. 155–156). In wiederkehrenden Kampagnen wurden Wehner vor allem seine Aussagen gegenüber der schwedischen Polizei und eine angebliche Zusammenarbeit mit „einem englischen Geheimdienst“ vorgeworfen, so in einem Artikel im Neuen Deutschland vom 12. Oktober 1950 unter dem Titel „Der Lakai McCloys – Herbert Wehner“ (S. 4). Zugleich wurde hier jedoch auch insinuiert, Wehner habe mit umfangreichen Geständnissen nach seiner Verhaftung durch die schwedische Polizei „im Frühjahr 1942, also zu einer Zeit, als die schwedische Polizei noch ungeteilt mit der Gestapo zusammenarbeitete“, von Schweden aus in Deutschland agierende Kommunisten unmittelbar gefährdet. Eine erneute Kampagne der SED gegen Wehner Anfang 1964 griff diese vermeintlichen Zusammenhänge unter Zuhilfenahme schwedischer Prozessakten und (falscher) Zeugenaussagen auf, so in der Berliner Zeitung vom 24. Januar des Jahres auf S. 3 und 4, hier gipfelnd in der These: „Wehner hat deutsche Antifaschisten durch Preisgabe ihrer Namen und ihrer Tätigkeit an die Gestapo verraten“ (S. 4). Obwohl das MfS selbst in einem „Informationsbericht über die bisherige Arbeit am Komplex Wehner“ vom 12. August 1966 den „kausale[n] Zusammenhang zwischen dem von Wehner begangenen Verrat und den nach etwa einem Jahr darauf erfolgten Verhaftungen“ anzweifelte (vgl. Staadt, Versuche der Einflußnahme, S. 2423 bzw. 2482–2483), wurde die Kampagne in diesem Sinne weitergeführt und beeinflusste auch westdeutsche Publikationen wie die Wehner-Darstellung des mit dem MfS in Verbindung stehenden Hans Frederik (Gezeichnet vom Zwielicht seiner Zeit, München 1969). Eine Verbindung der Anschuldigungen gegen Wehner mit der im Dokument genannten Jahreszahl 1938 (als Wehner – wie Ulbricht – in Moskau beim Exekutivkomitee der Komintern tätig war) ließ sich nicht ermitteln. Michael F. Scholz vermutet hier eine falsche Jahresangabe etwa durch einen Fehler des Protokollanten. In der Kaderabteilung des Exekutivkomitees waren zwar bereits am 17. Mai 1937 in einem Dossier über Wehner auf Anfrage des NKVD „Verdachtsmomente“ gegen diesen geäußert worden, die u. a. Verbindungen zu vermeintlichen „Gestapo-Agenten“ nahelegten (vgl. Reinhard Müller, Die Akte Wehner. Moskau 1937 bis 1941, Berlin 1993, S. 231–237 [hier S. 237] und 243). Auch warf man Wehner in dieser Zeit vor, durch Aufbewahrung streng geheimer Parteidokumente, Briefe und Materialien in seiner früheren Pariser Wohnung gegen Konspirationsregeln verstoßen zu haben (vgl. ebenda, S. 238–242). Diese Vorwürfe wurden jedoch ebenso wie die anderen „Verdachtsmomente“ noch im gleichen Jahr formal fallengelassen (vgl. ebenda, S. 398–399, und Reinhard Müller, Herbert Wehner – Moskau 1937, Hamburg 2004, S. 157–160). Die späteren Kampagnen gegen Wehner bezogen sich nicht mehr auf diese Zeit, erst recht wurde Wehners damalige Tätigkeit als Informant für den NKVD gegen andere KPD-Mitglieder nicht gegen ihn verwendet. Wahrscheinlich ist daher, dass Ulbricht das Jahr 1942 meinte, und dass er in dieser Unterredung Wehner aus möglichen deutsch-deutschen Gesprächen, die sich aus der kurz zuvor veröffentlichten „Stalin-Note“ ergeben könnten, heraushalten wollte. Sofern die Angaben in Markus Wolfs Erinnerungen zutreffen, stand Wehner bereits seit 1951 über einen Mittelsmann in Gesprächskontakt mit der SED-Führung (vgl. Markus

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9.  Ich fragte Ulbricht nach der Stimmung in der DDR hinsichtlich der militärischen Leitsätze im sowjetischen Entwurf zu den Grundlagen für einen Friedensvertrag mit Deutschland. Ulbricht sagte, ein sehr großer Teil der Menschen in der DDR sei gegen die militärischen Leitsätze des Entwurfs.25 Der Grund sei der, dass man die Menschen im Verlauf einer langen Friedenskampagne im pazifistischen Geist erzogen habe. Die sowjetischen Vorschläge zu den militärischen Artikeln würden in Richtung auf ein richtigeres Verständnis der Fragen zu wirken beginnen, aber eine Änderung sei nicht sofort zu erreichen. Ulbricht meint, die Stimmung gegen die militärischen Leitsätze des Entwurfs der Vertragsgrundlagen spiele gegenwärtig in der DDR keine große Rolle und man sollte in dieser Frage nicht übereilt handeln. In Westdeutschland würden die militärischen Leitsätze gute Wirkung zeigen und hätten unter deutschen Militärs, bei ehemaligen Nazis und in anderen derartigen Kreisen, die sich jetzt kritischer zum Generalvertrag verhalten, große Befriedigung ausgelöst. Die Frage weiterer Maßnahmen in der DDR sollte besser bis zur Moskaureise aufgeschoben werden.26 Ulbricht bemerkte, man habe noch eine sehr große Arbeit in der Volkspolizei vor sich, und bei den sowjetischen Menschen bestünden zu optimistische Vorstellungen vom Erfolg der Kaderausbildung der kasernierten Polizei. Nach Ulbrichts Eindruck erhalten die Polizeikräfte dort nur eine professionelle Ausbildung, aber in einer schwierigen Situation Truppen anzuführen würden sie nicht in der Lage sein. Jedoch gerade darauf müsste die militärische Ausbildung in den Einheiten der kasernierten Polizei ausgerichtet sein. Außerdem müsse dort die politische Arbeit verbessert werden, denn die werde ziemlich schematisch betrieben.27 Wolf,

Spionagechef im geheimen Krieg. Erinnerungen, München 1997, S. 196; Wolf kolportierte hier allerdings erneut die These von Wehners „Verrat“ 1942, vgl. ebenda, S. 202). Wehner vermutete seinerseits, dass eine Mitarbeiterin der sowjetischen Gesandtschaft in Stockholm (an der Semenov 1942 als Erster Legationsrat tätig war) der schwedischen Polizei Hinweise zu seiner Verhaftung gegeben hatte (in diesem Fall vermutlich die Agentin des NKVD Zoja Rybkina, vgl. Michael F. Scholz, Herbert Wehner in Schweden 1941–1946, München 1995, S. 51–53). 25  Die „Militärischen Leitsätze“ in dem Entwurf über die „Grundlagen eines Friedensvertrages mit Deutschland“, der der sowjetischen Note an die Westmächte vom 10. März 1952 beigefügt war, enthielten zwei Punkte: „1. Es wird Deutschland gestattet sein, eigene nationale Streitkräfte (Land-, Luft- und Seestreitkräfte) zu besitzen, die für die Verteidigung des Landes notwendig sind. 2. Deutschland wird die Erzeugung von Kriegsmaterial und -ausrüstung gestattet werden, deren Menge oder Typen nicht über die Grenzen dessen hinausgehen dürfen, was für die Streitkräfte erforderlich ist, die für Deutschland durch den Friedensvertrag festgesetzt sind.“ Vgl. DDS 1, S. 292–293. 26  Gemeint ist die Reise der SED-Führung nach Moskau Ende März/Anfang April 1952, vgl. Dok. 107, Fn. 2. 27  Zu Aufbau und Entwicklung der kasernierten Einheiten der Volkspolizei vgl. Dok. 61, Fn. 7, zu früheren Schwierigkeiten bezüglich der Personalstärke, der militärischen Eignung, der Ausrüstung und der Ausbildung vgl. Dok. 12, Fn. 6.



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10.  Nach Meinung Ulbrichts wird die Bonner Regierung in den nächsten Monaten noch nicht offen eine Armee aufstellen. 2000 westdeutsche Offiziere sollen für etwa sechs Monate zur Ausbildung in die USA geschickt werden. Währenddessen werde man sich hier28 auf die Einziehung von Rekruten vorbereiten, die wahrscheinlich in der zweiten Jahreshälfte 1952 stattfinden werde. Möglicherweise werde die Bonner Regierung im Mai–Juni mit der Einziehung von Freiwilligen und [ehemaligen] Unteroffizieren beginnen, was zur Ausbildung von [neuen] Unteroffizieren genutzt werde. Ende 1953 werden Truppen in Westdeutschland verfügbar sein. Ulbricht merkte an, die westdeutschen Imperialisten würden nichtsdestoweniger eine intensive und zielstrebige Vorbereitung zur Remilitarisierung Westdeutschlands betreiben,29 wobei sie weitgehend auf die Erfahrungen des 28  Es ist nicht ganz klar, ob das deiktische „hier“ in diesem Fall (West-)Deutschland im Gegensatz zu den USA meint oder die DDR im Gegensatz zur Bundesrepublik. Ein Aufbau westdeutscher Streitkräfte war in der UdSSR bereits 1951 für die nähere Zukunft erwartet worden, vgl. Ruggenthaler, Stalins Bluff, S. 90, Dok. 23. Die Erwartungen verschoben sich mit der Zeit. Hier könnte Ulbricht angenommen haben, die Bundesrepublik werde unmittelbar nach der Unterzeichnung des EVG-Vertrages (vgl. Dok. 131, Fn. 6) mit der Rekrutierung beginnen. Nach dessen Unterzeichnung verlegte Ulbricht seine Erwartungen auf den Januar 1953 (vgl. Dok. 112 und dort Fn. 7). Sofern Ulbricht auf eigene Pläne zum Aufbau einer regulären Armee anspielte (die in der SED-Führung bereits vor dem Treffen mit Stalin diskutiert wurden, vgl. Diedrich/Wenzke, Die getarnte Armee, S. 85–86), so betonte er hier den zeitlichen Zusammenhang mit der erwarteten westdeutschen Aufrüstung, möglicherweise um die Schaffung eigener Streitkräfte als Reaktion auf diese darstellen zu können. 29  Mehrere interne sowjetische Quellen kolportierten nach der Unterzeichnung des EVG-Vertrages (vgl. Dok. 131, Fn. 6) am 27.  Mai 1952 Gerüchte über eine bereits begonnene westdeutsche Rüstungsproduktion. Die westdeutsche Industrie unterlag jedoch nach wie vor den interalliierten Rüstungsverbotsbestimmungen, die auch später noch durch die Westmächte bekräftigt worden waren. Eine von der Abteilung für gesamtdeutsche Fragen der SKK zusammengestellte und am 5. Juni 1952 an Grigor’jan übermittelte Liste von insgesamt 273 rüstungsrelevanten Firmen und ihrer Produktion im Zweiten Weltkrieg sowie in der Gegenwart – z. T. für den Bedarf der Besatzungmächte – mit Angaben auf dem Stand vom 1. April 1952 findet sich in RGASPI, f. 17, op. 137, d. 911,  Bl. 131–156. Sie suggerierte eine Wiederaufnahme der Waffenproduktion durch frühere Rüstungsbetriebe und enthielt etwa das Gerücht, in den ehemaligen Bochumer Krupp-Werken werde die Produktion von Panzern des Typs „Panther“ geplant (vgl. ebenda, Bl. 139). In der Mitteilung „Über die Produktion von militärischem Material und Waffen in Firmen Westdeutschlands und WestBerlins“ vom 20. Juni 1952 zeichnete Gribanov gar das Bild einer auf Hochtouren laufenden westdeutschen Rüstungsindustrie, gipfelnd in den (als ungesichert bezeichneten) Meldungen, die Firma Krupp plane die Produktion von „Panther“-Panzern, die Firma MAN baue in Nürnberg Panzer des Typs „Tiger“, weitere Firmen stellten chemische Kampfstoffe her, und eine Hefefabrik in Hamburg-Wandsbek erzeuge Sprit für V2-Raketen. „Auf diese Weise entwickeln die Besatzungsmächte mit voller Kraft die Waffenproduktion für eine westdeutsche Armee.“ Vgl. AVP  RF, f. 07, op. 27а, p. 72, d. 42, Bl. 107–109.

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Generals von Seeckt zurückgreifen.30 So baue z. B. Messerschmitt gegenwärtig in Spanien Flugzeugfabriken. Diese werden nach dem Verständnis amerikanischer Generäle in ziemlicher Entfernung von der Frontlinie gelegen sein, und da werde es möglich sein, neue Flugzeuge zu konstruieren, deren Herstellung erforderlichenfalls leicht auch in Westdeutschland zu bewerkstelligen sei. In Nordafrika entwickele der Bonner Minister Seebohm eine rege Aktivität: Es würden Rohstoffe erkundet und deren Ausbeutung vorbereitet, deutsche Spezialisten arbeiteten beim Bau amerikanischer Stützpunkte mit den Amerikanern zusammen. Schon seit langer Zeit werde in dieser Angelegenheit eine sehr große Aktivität entwickelt.31 V. Semenov32 AVP RF, f. 0457a, op. 12, p. 65, d. 3, Bl. 98–102.

30  General von Seeckt war als Chef der Heeresleitung von 1920 bis 1926 maßgeblich verantwortlich für die Aufnahme von Beziehungen zwischen der Reichswehr und der Roten Armee und für die Beteiligung deutscher Firmen beim Aufbau der sowjetischen Rüstungsindustrie, die seit 1921 verhandelt und nach Abschluss des RapalloVertrages (vgl. Dok. 90, Fn. 7) in die Wege geleitet wurden. Diese Zusammenarbeit führte u. a. zum Flugzeugbau der Firma Junker in Moskau und zur Schaffung eines gemeinsamen Militärflugplatzes in Lipeck als Ausbildungsstätte deutscher und sowjetischer Piloten. In der Konsequenz bedeutete dies einen Ausbau des deutschen Heeres und dessen heimliche Aufrüstung mithilfe der sowjetischen Rüstungsindustrie unter Umgehung der Versailler Vertragsbestimmungen. 31  In der Planungszeit der EVG (vgl. Dok. 131, Fn. 6) gab es  – auf einen französischen Vorschlag von 1951 hin – Überlegungen hinsichtlich eines gemeinsamen deutsch-französischen Flugzeugwerkes in Marokko, die u. a. mit der dortigen Rohstofflage begründet wurden. Bei Politikern wie bei Industriellen der Bundesrepublik überwog schließlich jedoch die Skepsis, so auch bei Seebohm, der einen Versuch der Franzosen vermutete, das Know-how deutscher Ingenieure auszunutzen (vgl. Florian Seiller, Rüstungsintegration. Frankreich, die Bundesrepublik und die Europäische Verteidigungsgemeinschaft 1950–1954, Berlin/München/Boston 2015, S. 285). Das auch von amerikanischer Seite geäußerte Interesse an deutscher Luftfahrttechnologie führte nicht zu Aktivitäten in Nordafrika. Speziell gegenüber der Person Seebohm bestand bei den Alliierten teilweise erhebliches Misstrauen, vgl. das Schreiben des britischen Hohen Kommissars Robertson an Adenauer, in dem er sich über Seebohms gegen die alliierte Besatzung gerichtete Reden beschwerte (DzD II, 3 [1950], S. 788– 789). Der Hinweis auf Aktivitäten von Messerschmitt in Spanien entbehrte hingegen nicht der Grundlage. Die spanische Luftfahrtindustrie produzierte seit Anfang der 1950er Jahre lizensierte Nachbauten der Me 109, und im Januar 1952 hatte Messerschmitt im Auftrag des spanischen Luftfahrtministeriums ein Büro in Sevilla eingerichtet, das an der Entwicklung neuer Jagdflugzeuge beteiligt war. 32  Handschriftlich.



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103. Unterredung zwischen dem stellvertretenden Leiter der GUSIMZ Kobulov und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht Streng geheim

Berlin-Ost, 24. März 19521

Die Unterredung fand auf Weisung des Vorsitzenden der SKK in Deutschland, Gen.V.I. Čujkov, in Berlin in der Wohnung von B. Kobulov statt. Beginn der Unterredung um 19:50 Uhr, Ende der Unterredung um 21:30 Uhr, Teilnehmer: auf sowjetischer Seite B. Kobulov und der Dolmetscher der SKK, Bogomolov, auf deutscher Seite W. Ulbricht Kobulov erklärte, Ulbricht habe während der letzten Zusammenkunft mit Gen. Čujkov von der Notwendigkeit gesprochen, einige Fragen zur Arbeit der sowjetischen Betriebe in Deutschland zu erörtern, und er möchte gerne wissen, worin konkret die Forderungen bestünden, um diese zu prüfen und einen entsprechenden Beschluss fassen zu können. Ulbricht bestätigte dies und sagte, er möchte gerne wissen, ob nicht Kobulov Fragen habe, die gemeinsam besprochen werden müssten; danach würde er seine zur Erörterung anstehenden Fragen vorbringen. Kobulov gab kund, dass er zu einigen Themen eigentlich Gen. Čujkov hätte hinzuziehen müssen und nur, weil dieser erkrankt sei, das Gespräch alleine führen müsse, und legte anschließend seine Kernpunkte dar. 1. Der Produktionsplan der Wismut AG2 für 1952 Um eine erfolgreiche Erfüllung des Produktionsplans für das Jahr 1952 zu gewährleisten, bitte man, den entsprechenden Organen der DDR folgende Weisungen zu erteilen: a) die Wismut AG Deutschland ist vorrangig mit Werkstoffen und Gerät aus Ressourcen der DDR in den von der Verwaltung für sowjetisches Vermögen in Deutschland angemeldeten Mengen zu beliefern; b) die in den Betrieben der Wismut AG tätigen Personen sind bei der Versorgung mit Ernährungs- und Industriegütern vorzuziehen; c) der Wismut AG sind das Bergbaurevier Kleinnaundorf mit einer Fläche von 1,2 qkm sowie die Schachtanlage Nr. 270 für die Durchführung von 1  Original. Hauptadressat war vermutlich Čujkov. Es wurden insgesamt sieben Exemplare angefertigt. Bei dem russischen Dokument, das dieser Übersetzung zugrunde lag, handelt es sich um das Exemplar Nr. 3. Ein Verteiler konnte nicht ermittelt werden. 2  So hier und im Folgenden im Original. Gemeint ist die SAG Wismut.

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Erkundungs- und bergbaulichen Erschließungsarbeiten durch die Wismut AG zu übereignen; d) der Wismut AG ist bei der Anwerbung von Arbeitskräften aus der örtlichen Bevölkerung im Jahre 1952 sowie zur erfolgreichen Bewältigung anderer Fragen im Zusammenhang mit der Gewährleistung einer reibungslosen Produktionstätigkeit in den Objekten der Wismut AG Unterstützung zu gewähren. Hierbei könne die Wismut AG, wie Kobulov erläuterte, die den Behörden der DDR im Zusammenhang mit der [Übergabe der] oben genannten Schachtanlage entstandenen Kosten, welche sich insgesamt auf bis zu 1,5 Millionen Deutsche Mark3 belaufen, in Form von Industrieanlagen, Wohnhäusern, Wohnheimen und anderen Dienst- und Produktionsgebäuden, die der Wismut AG in ihren Arbeitsrevieren gehörten, erstatten. Ulbricht erklärte, er werde zu allen Fragen die erforderlichen Weisungen erteilen. Was allerdings die Bedingungen für die Übereignung des Bergbauinteressengebietes Kleinnaundorf anbelange, so werde er einen der bevollmächtigten Instrukteure aus dem Zentralkomitee der SED mit der Untersuchung dieser Frage und der Entwicklung von Vorschlägen beauftragen und Kobulov später seine Vorschläge unterbreiten. Den Namen dieses Instrukteurs werde er in den kommenden Tagen bekannt geben. 2. Übereignung geologischer Materialien der Wismut AG an die Regierung der DDR Die Leitung der SKK erwäge, wie Kobulov deutlich machte, die Möglichkeit, einige geologische [Untersuchungs-]Materialien der Wismut  AG aus Arealen und Explorationen, bei denen geologische Erkundungen nicht zu positiven Ergebnissen zu den Bodenschätzen führten, die von der Wismut AG abgebaut werden, der Regierung der DDR zur Verfügung zu stellen. Ulbricht ließ wissen, dass er darüber schon von Gen. Čujkov informiert worden sei.4 Kobulov schlug vor, eine gemischte Kommission aus zuständigen Vertretern der Seiten zu gründen, welche damit beauftragt werden müsste, die praktischen Maßnahmen zur Umsetzung dieses Beschlusses der SKK-Führung zu untersuchen. Auf sowjetischer Seite würden der Generaldirektor der Wismut AG, Gen. Bogatov, und dessen Stellvertreter, Gen. Šafranov, nominiert. 3  Vom 24.  Juli 1948 bis 31.  Juli 1964 hieß die auf dem Territorium der Sowjetischen Besatzungszone bzw. der DDR gültige Währung „Deutsche Mark der Deutschen Notenbank (DM)“. 4  Vgl. Dok. 98 und dort Fn.  11. Zur früheren Diskussion dieser Frage vgl. Dok. 79.



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Ulbricht stimmte diesem Vorschlag zu und erklärte, er werde Kobulov die Namen der Vertreter der deutschen Seite in den kommenden Tagen bekannt geben. Es wurde vereinbart, dass die durch die Kommission entwickelten Vorschläge endgültig mit Kobulov und Ulbricht abgestimmt werden müssen. Kobulov erinnerte Ulbricht daran, dass in Punkt 8 des Protokolls über die Tätigkeit der Wismut  AG vom 5. Mai 19505 und in der darauffolgenden Übereinkunft die Regierung der DDR die Vollmacht zu[r Regelung von] Fragen betreffs der Wismut AG an Ulbricht übertragen habe. Allerdings träfen ungeachtet dessen im Verlaufe des Jahres 1951 und der vergangenen Monate d. J. bei der Wismut AG und der USIG weiterhin Anträge verschiedener Regierungsorgane und Ämter der DDR auf Durchführung von geologischen Untersuchungen in Arbeitsrevieren der Wismut AG oder auf Erteilung von Informationen über einzelne Lagerstätten und Aushändigung anderer Materialien ein. Vor diesem Hintergrund meinte Kobulov, es sei notwendig, sich an das festgelegte Verfahren zu halten, und, falls die Regierung der DDR diese oder jene Angaben benötige, dann könne er, Kobulov, diese nur an Ulbricht persönlich übermitteln. Ulbricht bat darum, Beispiele solcher Gesuche zu nennen. Kobulov nannte ihm fünf konkrete Beispiele. Ulbricht zeigte sich erstaunt und erklärte, ihm sei davon nichts bekannt, er unterstreiche aber die Notwendigkeit von geologischen Erkundungen in Arbeitsrevieren der Wismut AG in Sachsen, an der Grenze zur Tschechoslowakei, zur Überprüfung vorliegender Angaben über dort vorhandene ManganLagerstätten. Ulbricht stimmte zu, dass er bei solchen Fragen nicht übergangen werden dürfe und machte deutlich, dass er die erforderlichen Maßnahmen ergreifen werde. 3. Arbeit der Bauverwaltung beim Ministerium für Bauwesen und Aufbau der DDR im Revier der Wismut AG Kobulov gab Ulbricht bekannt, dass die einem gemeinsamen Abkommen gemäß gegründete oben genannte Bauverwaltung laut Auskunft der Generaldirektion der Wismut  AG mangelhaft funktioniere, da sie nicht über eine ausreichende Produktionsbasis, Fahrzeuge, Arbeitskräfte, Maschinen und sonstige Mittel in den Mengen verfüge, die erforderlich seien, um die Erfüllung des Bauprogramms für das Jahr 1952 zu gewährleisten. 5  Gemeint ist das geheime „Protokoll über die Tätigkeit der Zweigstelle der Sowjetischen Staatlichen Aktiengesellschaft Wismut in Deutschland“, unterzeichnet von Merkulov und Ulbricht am 5.  Mai 1950 (vgl. Dok. 6, Fn. 4). Zu dem dortigen Punkt 8 und zur Funktion Ulbrichts vgl. Dok. 7, Fn. 6.

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Ulbricht zeigte sich befremdet und erklärte, dass seinem Kenntnisstande nach genau das Gegenteil der Fall sei. Nach ausführlicherem Austausch über die vorliegenden Daten wurde beschlossen, den stellvertretenden Minister für Bauwesen und Aufbau der DDR, Meier, zwecks Überprüfung der Arbeit der Bauverwaltung zur Wismut AG zu entsenden; anschließend sollten die Ergebnisse des Einsatzes von Herrn Meier zwischen Kobulov und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten der DDR, Bolz, besprochen werden, um entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. 4. Abstimmung der Vorschläge zu Fragen der praktischen Arbeit der sowjetischen Betriebe in Deutschland Kobulov erinnerte Ulbricht daran, dass gemäß Punkt 15 des Protokolls über die Arbeit der sowjetischen Betriebe in Deutschland vom 5. Mai 19506 eine gemischte Kommission Vorschläge zu Fragen der praktischen Arbeit der sowjetischen Betriebe ausgearbeitet habe.7 Diese Vorschläge seien etwas sinnentstellt, da in ihnen die Fragen, die gemäß dem oben genannten Protokoll vom 5. Mai 1950 hätten erledigt werden sollen und von der Regierung der UdSSR bewilligt worden waren, ausgeklammert worden seien. Hierbei überreichte Kobulov Ulbricht ein Exemplar des Dokuments mit deutscher Übersetzung und bat Ulbricht, die Richtigkeit der Übersetzung zu überprüfen.8 Im Anschluss daran solle das Dokument in entsprechender Weise ausgefertigt und zur Unterschrift vorgelegt werden.9 Nachdem Kobulov die Namen derjenigen Personen genannt hatte, welche seitens der Verwaltung für sowjetisches Vermögen in Deutschland als Unterzeichner der Vorschläge vorgesehen seien, bat er Ulbricht, die Vertreter der deutschen Seite zu benennen. Ulbricht stimmte diesem Vorschlag zu und erklärte, er werde Kobulov die Ergebnisse der Überprüfung des Dokuments sowie die Namen der ausgewählten Vertreter der DDR-Organe mitteilen. 5. Senkung der Abgabepreise für Erzeugnisse der sowjetischen Betriebe in Deutschland Kobulov teilte Ulbricht mit, die sowjetischen Betriebe würden sich gegenwärtig und in Zukunft damit befassen, die Abgabepreise für Industrieerzeug6  Vgl.

Dok. 4, Fn. 16. Vorschläge der gemischten Kommission sind im AVP RF nicht überliefert. 8  Gemeint war vermutlich: überprüfen zu lassen. 9  Der Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung konnte im AVP RF nicht ermittelt werden. 7  Die



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nisse zu senken. Gemäß dem Arbeitsplan für 1952 sei beabsichtigt, im laufenden Jahr die Abgabepreise für Industrieerzeugnisse sowjetischer Betriebe um 100 Millionen Mark zu reduzieren. Zur Abstimmung der Termine für die Durchführung dieser Maßnahme bat Kobulov, einen Vertreter der deutschen Seite zu bestimmen und gab gleichzeitig bekannt, dass vonseiten der Verwaltung für sowjetisches Vermögen in Deutschland Gen. Bebenin und Gen. Sergeev dafür abgestellt worden seien. Ulbricht begrüßte diesen Vorschlag und ließ wissen, dass er Vertreter der Staatlichen Plankommission und des Ministeriums der Finanzen der DDR bestimmen werde, deren Namen Kobulov zugehen. 6. Technische Unterstützung der Deutschen Demokratischen Republik durch sowjetische Betriebe in Deutschland bei der Gestaltung des Fernsehwesens Unter Bezugnahme auf das Schreiben Ulbrichts vom 5. Januar d. J. gab Kobulov bekannt, dass beschlossen worden sei, der darin geäußerten Bitte nachzukommen,10 und er bat Ulbricht, die entsprechenden Mitarbeiter zu benennen, die in Verhandlungen mit der USIG treten und diesen Beschluss in die Praxis umsetzen sollten. Ulbricht gab zu erkennen, dass eine solche Unterstützung nicht mehr vonnöten sei, da die Industrie der DDR in der Zwischenzeit die Fragen im Zusammenhang mit der Gestaltung des Fernsehwesens in der Republik selbständig geregelt habe. In diesem Zusammenhang meinte Ulbricht, es sei notwendig, darauf hinzuweisen, dass die Fernsehempfänger des Typs „T-2 Leningrad“ von ihrer Konstruktion her unausgereift seien und dass man wegen der Mängel dieses Empfängers nun die Produktion qualitativ und funktionell besserer Fernsehempfänger in die Hand nehmen werde. 7. Fluktuation der Funktionärskader deutscher gesellschaftspolitischer Organisationen in sowjetischen Betrieben Kobulov stellte Ulbricht Zahlen und einzelne Fakten vor, die von großer Fluktuation unter den Funktionären deutscher gesellschaftspolitischer Or­ ganisationen in sowjetischen Betrieben sowie von der Verunreinigung der Funktionärskader durch fragwürdige, schwach qualifizierte Kräfte zeugten, und er bat Ulbricht, gebotene Maßnahmen zu ergreifen.

10  Das Schreiben Ulbrichts vom 5. Januar 1952 konnte nicht ermittelt werden. Die Antwort war am 15. Februar 1952 erfolgt, vgl. BDU 1, S. 340.

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Ulbricht pflichtete bei, dass diese Erscheinungen bekämpft werden müssten und versprach, dem Apparat des ZK der SED und dem Dachverband der Gewerkschaften die erforderlichen Weisungen zu erteilen.11 8. Der Mangel an Konstrukteurskadern und Fälle der Abwerbung von Konstrukteuren aus den sowjetischen Bleichert-Werken durch volkseigene Betriebe Kobulov erinnerte Ulbricht an den Umfang an Aufträgen, die von den sowjetischen Betrieben in Deutschland im Rahmen der Reparationsverpflichtungen und für den Export zu erledigen seien, schilderte die Schwierigkeiten, mit denen die sowjetischen Betriebe im Hinblick auf die Konstrukteurskader zu kämpfen haben, und bat Ulbricht um Auslotung der Möglichkeit, der USIG 150 Konstrukteure zur Verfügung zu stellen.12 Ulbricht legte dar, dass er keine Möglichkeit habe, dieser Bitte nachzukommen, da der Bedarf an Konstrukteuren in der DDR insgesamt groß sei und viele volkseigene Industriebetriebe aufgrund des akuten Mangels an Konstrukteuren das Produktionsprogramm nicht bewältigen könnten. In Beantwortung einer entsprechenden Bemerkung Kobulovs erklärte ­Ulbricht, er werde den Apparat des ZK der SED beauftragen, notwendige Vorschläge für die Schaffung erweiterter Möglichkeiten der Ausbildung von Konstrukteurskadern auszuarbeiten. Kobulov machte Ulbricht auf Fälle aufmerksam, in denen bei sowjetischen Betrieben beschäftigte Konstrukteure durch einige volkseigene Betriebe ab11  Entsprechende

Weisungen von Ulbricht konnten nicht ermittelt werden. 9. April 1952 forderte der Leiter der USIG, Bebenin, in einem Schreiben an den 2. Stellvertreter des Vorsitzenden der Staatlichen Plankommission, Straßenberger, mehrere Maßnahmen „[z]ur Sicherung der rechtzeitigen Lieferung der von den Sowj. Betrieben in Deutschland auf Reparationsaufträge und auf Konto Handelsabkommen … herzustellenden Ausrüstungen“, darunter u. a. die vorübergehende Abkommandierung von 150 Konstrukteuren aus VEB der DDR in sowjetische Betriebe „[z]ur schnellen Beendigung der Ausarbeitung der technischen Dokumente“. In der beigefügten „Liste der Anzahl der Konstrukteure, die den Sowj. Maschinenbaubetrieben für 3–5 Monate notwendig sind zur Erfüllung der Reparationsaufträge und [der] Aufträge für das Handelsabkommen 1952“ waren drei SAG-Betriebe genannt (das Thälmann-Werk, das Werk Bleichert und das Fürstenberger Schiffsreparaturwerk) sowie die VEB, die die Konstrukteure entsenden sollten, und die jeweilige Zahl der Konstrukteure. Das Werk Bleichert sollte demnach von 10 verschiedenen VEB insgesamt 40 Fachkräfte erhalten, darunter sechs von der „ehemaligen AbusEberswalde“ (VEB ABUS Kranbau Eberswalde) und vier vom „Abus-Konstruk.Büro Leipzig, E. Zeigner-allee“. Straßenberger schickte am 17. April dieses Schreiben von Bebenin in Übersetzung an Ziller mit dem Vermerk im Begleitschreiben, dass dieses in einer Besprechung am 10. April bereits behandelt worden sei. Vgl. BAB, DG 3/3349. 12  Am



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geworben wurden, und erwähnte hierbei den Umstand, dass im Januar d. J. aus den Bleichert-Werken drei Konstrukteure, G. Kretzschmar, W. Buschmann und W. Greichen, zum Konstruktionsbüro der ABUS gewechselt haben, welches ihnen wesentlich höhere Dienstbezüge in Aussicht stellte als sie bei den Bleichert-Werken erhielten. Ulbricht eröffnete, dass ihm von diesen Sachverhalten nichts bekannt sei. Er werde den Minister für Maschinenbau, Ziller, mit der Untersuchung der Angelegenheit betrauen und die gebotenen Maßnahmen ergreifen.13 Allerdings, so Ulbricht, könne man seiner Meinung nach den Fortgang der Konstrukteure nicht nur mit den durch Kobulov angeführten Beweggründen erklären; im Werk treibe zweifelsfrei eine feindliche Gruppe ihr Unwesen, die auf Zersetzung aus sei. Die Bleichert-Werke seien ihm schon seit langer Zeit ein Begriff. Noch nicht einmal die Arbeiter dieses Unternehmens hätten sich jemals durch einen revolutionären Geist ausgezeichnet. Die Lieferung eines qualitativ ungenügenden Kippgefäßaufzuges an das Eisenhüttenkombinat Ost sei, wie er vermutet, einzig und allein auf Sabotage durch die deutsche Leitung der Bleichert-Werke zurückzuführen. Ulbricht schlug vor, die Aktivitäten der Bleichert-Werksleitung einer sorgfältigen Überprüfung zu unterziehen und in vollem Umfange Ordnung zu schaffen. Ulbricht versprach, er wolle seinerseits Maßnahmen ergreifen, um die Arbeit der SED-Organisation und der deutschen Werksleitung zu überprüfen. 9. Herstellung von Elektromotoren in den volkseigenen Betrieben der DDR zur Vervollständigung der Reparationsaufträge sowie Ausarbeitung des technischen Projektes und Erstellung von Bauzeichnungen für Schwimmkräne Kobulov erinnerte Ulbricht daran, dass seit 1952 alle im Rahmen der Reparationsleistungen in die Sowjetunion zu liefernden Maschinen mit kompletter Elektrik ausgestattet sein müssen, wies auf die Schwierigkeiten hin, mit denen die sowjetischen Unternehmen in diesem Zusammenhang konfrontiert seien, und bat Ulbricht, die Industrie der DDR anzuweisen, in den volkseigenen Betrieben Elektromotoren für die Lieferung an sowjetische Unternehmen herzustellen. Außerdem bat Kobulov, eine Beschleunigung bei der Ausarbeitung des technischen Projektes und der Erstellung von Bauzeichnungen für Schwimmkräne zu veranlassen.

13  Eine Weisung von Ulbricht an Ziller zu dieser Frage konnte nicht ermittelt werden.

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Man einigte sich darauf, dass Ulbricht dem Minister für Maschinenbau der DDR, Ziller, die erforderlichen Weisungen erteilen wird und der Leiter der USIG, Gen. Bebenin, beauftragt werden soll, mit diesem die praktische Aufarbeitung dieser Fragen voranzutreiben.14 10. Versorgung der sowjetischen Kabelwerke und des Akkumulatorenwerkes mit Blei und Kupfer Kobulov berichtete Ulbricht von den ernsthaften Schwierigkeiten, denen sowjetische Betriebe infolge ihrer unzureichenden Versorgung mit Blei und Kupfer ausgesetzt seien, und dass daher einer Reihe von Werken die Gefahr drohe, das Produktionsprogramm und die Pflichtlieferungen in die Sowjetunion nicht einhalten zu können, und er bat Ulbricht, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Ulbricht legte dar, dass diese Frage in der jüngsten Zeit sowohl in der Regierung der DDR als auch im Politbüro des ZK der SED mehrfach zur Sprache gekommen sei. Allerdings bleibe der Mangel an Blei und Kupfer,15 14  Eine Weisung von Ulbricht konnte nicht ermittelt werden. Bebenin forderte in seinem Schreiben vom 9. April 1952 (vgl. Fn. 12) neben der Abkommandierung von Konstrukteuren: „Die Ausarbeitung der technischen Projekte und Arbeitszeichnungen durch das Konstruktionsbüro der Hauptverwaltung Schiffbau des Ministeriums für Maschinenbau der DDR für den 50-to-Schwimmkran ist bis zum 1. Mai zu beenden, und für den 150-to-Schwimmkran bis zum 1. Sept. 1952.“ Die Herstellung von Pontons für die Schwimmkräne sollten volkseigene Werften der DDR übernehmen. Ziller bestätigte am 23. April, die Thälmannwerft Brandenburg sei angewiesen worden, „im Unterauftrag der SAG Bleichert den Bau der ‚50 t Schwimmkranpontons‘ ausführen“ (vgl. BAB, DG 3/3349). In einem zweiten Schreiben von Bebenin an Straßenberger, ebenfalls vom 9. April 1952, wies der Leiter der USIG auf Schwierigkeiten bei der „Durchführung des Planes 1952 für Reparationslieferungen technologischer Ausrüstungen komplett mit Elektroausrüstungen“ hin und bat um die fristgerechte Lieferung verschiedener Elektromotoren durch volkseigene Betriebe der DDR, da bisherige Lieferungen unter der Planzahl oder in schlechter Qualität erfolgt seien (vgl. ebenda). 15  Die Kupfer- und Bleiknappheit der sowjetischen Betriebe in Deutschland hinterließ in den Protokollen der Regierung der DDR und im SED-Politbüro keine Spuren. Der DDR-Ministerrat hatte schon am 12. April 1951 einen „Beschluß zur Sicherung der planmäßigen Steigerung der Kupfererzförderung der VVB Mansfeld“ gefasst. Am 9. August 1951 und am 14. August 1952 beschloss er die „Bereitstellung zusätzlicher Investmittel“ für diverse Betriebe, darunter das Kupfer- und Blechwalzwerk Michael Niederkirchner (vgl. BAB, DC 20-I/3/64, TOP 4, Anlage 26; BAB, DC 20-I/3/124, TOP 21c, Anlage 11). Am 14. August 1952 nahm der DDR-Ministerrat zudem einen „Bericht über Maßnahmen zur Sicherung der Produktion von Roh­ eisen und Kupfer“ zur Kenntnis (vgl. BAB, DC 20-I/3/124, TOP  6b) und beschloss am 11. September 1952, „[d]em Ministerium für Maschinenbau … zur Verwendung in der Kabelindustrie 100 to Blei aus den überplanmässig eingelagerten Beständen der Staatsreserve“ freizugeben (vgl. BAB, DC 20-I/3/131, TOP 18, Anlage Bl. 82).



Dokument 103: 24. März 1952507

ebenso an Schiffs- und an Kesselblechen, erheblich, und die einzige Hoffnung zur Lösung dieser Frage bestehe für die DDR in Lieferungen aus der UdSSR. Kobulov merkte an, dass es nicht richtig wäre, ausschließlich auf Lieferungen aus der Sowjetunion zu hoffen, und dass es notwendig sei, die Arbeit des Ministeriums für Außenhandel und der zentralen DDR-Organe zur Versorgungslenkung,16 denen die Beschaffung von defizitären Werkstoffen auf den Außenmärkten und die Versorgung der DDR-Industrie mit diesen Gütern obliegt, zu verbessern. Ulbricht machte deutlich, dass das Ministerium für Außenhandel der DDR und das Staatssekretariat für Materialversorgung der DDR in der Tat schlecht funktionieren. Nachdem Kobulov erklärt hatte, er habe keine Fragen mehr, brachte Ulbricht folgende Beanstandungen bezüglich der sowjetischen Betriebe in Deutschland vor: 1. Einige sowjetische Betriebe stellen, wie Ulbricht darlegte, in großen Mengen Produkte her, deren Absatz nicht gesichert sei (Rechenmaschinen, Schreibmaschinen, Jagdgewehre). Es werde ein nutzloser Aufwand an Werkstoffen betrieben und die Kapazitäten dieser Unternehmen würden nicht ra­ tionell genutzt, wohingegen eine Änderung ihres Fertigungsprofils der Volkswirtschaft der DDR einen großen Nutzen bringen könnte. Zum Beispiel könnte die volkseigene Industrie der DDR im Falle unzureichender Produktionskapazitäten diesen sowjetischen Betrieben Aufträge zur Fertigung verschiedener Teile für die Spezialtechnik der Volkspolizei erteilen. Heute habe er, wie Ulbricht erwähnte, in diesem Zusammenhang ein ausführliches ­Schreiben an Gen. Čujkov übersandt. Er bat Kobulov, sich mit dem Inhalt des Schreibens vertraut zu machen und ihn über den getroffenen Beschluss zu unterrichten.17 2. In einigen Industriebranchen ist es dringend erforderlich geworden, eine enge geschäftliche Zusammenarbeit zwischen sowjetischen Betrieben und Betrieben der volkseigenen Industrie der DDR zu realisieren. So findet z. B. im Horch-Werk eine Umstellung auf die Entwicklung und Produktion von Schwerlastkraftwagen statt. Die Regierung der DDR ist der Auffassung, dass die Fertigung von Personenkraftwagen nicht mehr in diesem Werk stattfinden, sondern im BMW-Werk18 konzentriert werden soll. Hierbei müsse 16  Gemeint sind hier die Staatliche Plankommission, die Zentrale Kommission für Staatliche Kontrolle, die Staatliche Verwaltung für Materialversorgung sowie die Koordinierungs- und Kontrollstelle für Binnenhandel. 17  Ein solches Schreiben von Ulbricht und eine Antwort darauf von Kobulov konnten nicht ermittelt werden. 18  Gemeint ist das Automobilwerk in Eisenach, das von 1928 bis zur Enteignung durch die SMAD 1945 BMW gehört hatte und in dem seit 1946 unter der Verwaltung

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man so schnell wie möglich zur Produktion von Autos besserer Konstruktion übergehen, um im BMW-Werk Autos vom Typ „ZIM“ und „Pobeda“ aus dem Automobilwerk Gorki zu produzieren und die Volkspolizei mit ihnen auszurüsten. Das existierende BMW-Modell sei für diese Zwecke nicht geeignet. Der Absatz der BMW-Kraftfahrzeuge sei ebenfalls nicht gewährleistet, da sie nicht konkurrenzfähig seien. Sogar die Polen würden bald bessere Kraftfahrzeuge haben als diejenigen aus der DDR-Produktion. Des Weiteren wäre es zweckmäßig, im BMW-Werk auf der Grundlage von Personenkraftwagen die Produktion von Sanitäts- und Postfahrzeugen sowie anderen Sonderfahrzeugen für die Volkspolizei aufzubauen. Die BMW-Motorräder sind schwach und eignen sich nicht für die speziellen Bedürfnisse der Volkspolizei. Die Regierung der DDR betrachte es als sinnvoll, deren Produktion einzustellen und die Herstellung qualitativ hochwertiger Motorräder auszuweiten. Auf den Einwand von Kobulov, dass es sich hier vielleicht um Sport-Motorräder aus dem Simson-Werk handele, da die BMW-Motorräder einen positiven Ruf erworben hätten und für Spezialzwecke geeignet seien, antwortete Ulbricht, ihm sei nicht bekannt, dass es zwei Motorradtypen gibt. Alles in allem, so Ulbricht, fände er es zweckmäßig, sich speziell mit Fragen einer koordinierten Arbeit zwischen sowjetischen Betrieben und der volkseigenen Industrie der DDR zu befassen und deren Kräfte zu vereinen, um die Aufgaben, vor denen die DDR stehe, erfolgreich meistern zu können. Auf die Anmerkung Kobulovs, dass die USIG mit dem Amt für Wissenschaft und Technik der DDR (Lange) Verhandlungen über den Abschluss eines Abkommens über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit führe, erklärte Ulbricht, dass er nicht über Zusammenarbeit im Allgemeinen spreche, sondern über besonders wichtige Angelegenheiten und bat Kobulov, er möge Gen. Stoph, den Bevollmächtigten des ZK der SED für diese Fragen, zu einem Gespräch empfangen. Kobulov stimmte dem zu. 3.  Ulbricht fragte nach, ob Kobulov das Schreiben von Professor Bertsch erhalten habe, in dem es um die Möglichkeit gehe, in den Aufbereitungsanlagen der Wismut AG den Verbrauch an Schwefelsäure und kaustischer Soda zu reduzieren.19

des Produktionsverbundes SAG Avtovelo (zu dem auch die frühere Suhler Fahrradfabrik Simson & Co gehörte) weiterhin auf BMW-Modellen basierende Autos und Motorräder hergestellt wurden. Das ehemalige BMW-Werk wurde im April 1952 zusammen mit 65 weiteren SAG-Betrieben an die DDR übergeben (vgl. Dok. 104 und dort Fn. 2), es firmierte daraufhin als Eisenacher Motorenwerk, seit 1953 als VEB Automobilwerk Eisenach. 19  Dieses Schreiben von Bertsch konnte nicht ermittelt werden.



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Kobulov bestätigte dies und teilte mit, er habe eine technische Sonderkommission zusammengestellt, welche diese Vorschläge prüfen werde. Über die Ergebnisse werde man Ulbricht unterrichten. 4.  Des Weiteren fragte Ulbricht nach, ob Kobulov auch das Schreiben von Professor Bertsch zum Thema einer besseren Ausnutzung der Kapazitäten der sowjetischen Chemieindustriebetriebe20 erhalten habe. Nachdem Kobulov verneinte, tat Ulbricht kund, er werde ihm dieses Schreiben zukommen lassen, bat um sorgfältige Prüfung desselben und Mitteilung über den getroffenen Beschluss an ihn. 5.  Anschließend teilte Ulbricht Folgendes mit: Wie bekannt, habe seinerzeit (im Jahre 1951) die technische Leitung der sowjetischen Leuna-Werke den Vorschlag von Professor Bertsch, in den Leuna-Werken kalzinierte Soda nach der verhältnismäßig preiswerteren Methode der I. G. Farbenindustrie herzustellen, abschlägig beschieden. Der Vorsitzende der Kommission für Staatliche Kontrolle der DDR, Lange, habe sich bei Ulbricht über diesen Beschluss beschwert und fordere eine Überprüfung dieser Frage. Ulbricht ist der Meinung, dass der Vorschlag von Professor Bertsch daher abgelehnt worden sein könnte, weil wahrscheinlich durch Fachkräfte der Leuna-Werke, die früher bei der I. G. Farbenindustrie beschäftigt gewesen waren, Sabotage betrieben worden sei. Ulbricht erklärte, dass diese Frage schnellstens einer Lösung zugeführt werden müsse, da die Volkswirtschaft der DDR sich in großen Schwierigkeiten befinde und infolgedessen der Bedarf der Wismut AG an kaustischer Soda nicht voll gedeckt werden könne. Die für diesen Zweck erforderlichen Ausgaben, circa 15–20 Millionen Mark, sollten bei der Lösung der Aufgabe kein Hindernis darstellen. Man werde, wie Ulbricht darlegte, diese Frage in Moskau zur Sprache bringen und darum bitten, sie durch eine Kommission aus kompetenten sowjetischen Chemikern überprüfen zu lassen. Ulbricht bat Kobulov, die Unterlagen, die er an Gen. Čujkov gesandt hatte, bei Erhalt zu prüfen und einen entsprechenden Beschluss zu fassen. Trotz des Einwandes Kobulovs, dass die seitens der technischen Leitung der Leuna-Werke gezogenen Schlüsse seinerzeit durch Professor Bertsch selbst für richtig erklärt worden waren, erklärte Ulbricht, es sei dennoch sinnvoll, diese Frage einer Nachprüfung zu unterziehen. Kobulov antwortete, er sei einverstanden, diese Frage unter Berücksichtigung der Anmerkungen Ulbrichts erneut überprüfen zu lassen.21 6.  Ulbricht bekundete, die Industrie der DDR stecke wegen der materielltechnischen Versorgung in ernsthaften Schwierigkeiten und arbeite daher im ersten Quartal des laufenden Jahres nicht zufriedenstellend. Den sowjetischen 20  Weder das Schreiben von Bertsch noch eine Mitteilung von Kobulov dazu konnten ermittelt werden. 21  Dieser Vorgang und die genannten Schriftstücke konnten nicht belegt werden.

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Betrieben hingegen gehe es, wie er sagte, vergleichsweise besser. So können beispielsweise die volkseigenen Schiffswerften in Stralsund und Wismar ihr Produktionsprogramm nicht erfüllen, während die sowjetische Schiffswerft Neptun Werkstoffe in ausreichenden Mengen habe. Eine solche Situation rufe nicht nur bei den Arbeitern und Betriebsangestellten der Werften, sondern auch im Regierungsapparat der DDR Unzufriedenheit hervor. Diese Unzufriedenheit schlage letztlich in antisowjetische Propaganda um. Der Grund für diese Situation liege jedoch darin, dass der Staatssekretär für Materialversorgung, Kerber, einen großen Fehler begangen habe, indem er den Beschluss fasste, 78 Prozent des aus der UdSSR eingeführten Metalls direkt an die sowjetischen Betriebe weiterzuleiten. Dieser Beschluss habe die Arbeit einer Reihe von volkseigenen Betrieben durcheinandergebracht und die Lage erschwert. Auf die Erläuterung Kobulovs, dass die Sowjetunion der DDR defizitäres Metall und andere Werkstoffe hauptsächlich dafür zur Verfügung stelle, damit die Erledigung von Aufträgen über Industrieanlagen, die als Reparationsleistungen und im Rahmen des Handelsabkommens an die Sowjetunion zu liefern seien, gewährleistet werden könne, und dass man angesichts des Umstandes, dass mehr als 80 Prozent dieser Aufträge von den sowjetischen Betrieben in Deutschland erledigt würden, eine Situation, wie sie sich bei der Verteilung des aus der UdSSR eintreffenden Metalls ergeben habe, nicht als unnormal betrachten dürfe, erwiderte Ulbricht, man müsse einen Weg zur Lösung des Problems finden, ohne diese Angelegenheit zu einer politischen Kampagne zu machen. Für Wirtschaftsfragen sei in der Regierung der DDR [Heinrich] Rau zuständig, da aber die Versorgung der Industrie zu einem politischen Fall geworden sei, könne das ZK der SED sich aus dieser Angelegenheit nicht heraushalten. In der jüngsten Vergangenheit habe der Gegner seine feindseligen Aktivitäten in der DDR mobilisiert und nutze solche Sachlagen zu seinen Zwecken aus, während im Regierungsapparat der DDR große Aufregung herrsche und jeder dem anderen die Schuld in die Schuhe schiebe. Auf die nochmalige Äußerung Kobulovs, dass die schlechte Versorgung der Industrie ihren Hauptgrund in der unbefriedigenden Arbeit des Ministeriums für Außenhandel und des Staatssekretariates für Materialversorgung habe, wies Ulbricht darauf hin, dass erst heute die Arbeit des Ministers für Außenhandel, Handke, scharfer Kritik unterzogen worden sei, und der Staatssekretär für Materialversorgung, Kerber, de facto seines Amtes enthoben sei.22 Die Regierung der DDR plane, die Arbeit dieses Staatssekretariates 22  Worauf Ulbricht sich hier bezieht, ist unklar. Am 24. März 1952 tagten weder das Politbüro des ZK der SED noch der DDR-Ministerrat. Zur Ablösung von Handke vgl. Dok. 124, Fn. 13. Kerber wurde am 22. April 1952 vom Politbüro des ZK der SED als neuer „Leiter des Zentralamtes für Forschung und Technik … bestätigt“, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/208, TOP 31.



Dokument 104: 31. März 1952511

nach dem Vorbild des Gossnab23 zu organisieren. Jedoch bleibe die Situation angespannt, da die Versorgungslücke recht groß sei und die DDR nicht über die Möglichkeit verfüge, auf den Außenmärkten die erforderlichen Materialien in den gebotenen Mengen zu erwerben. Zum Abschluss bat Ulbricht Kobulov, den stellvertretenden Ministerpräsidenten, Rau, und den stellvertretenden Vorsitzenden der Gosplan,24 Leuschner, zu empfangen, mit ihnen die entstandene Lage zu erörtern und Maßnahmen zur Zusammenarbeit und gegenseitigen Hilfe in Fragen der materielltechnischen Versorgung von Betrieben der SAG und der volkseigenen Industrie der DDR in Aussicht zu nehmen. Kobulov war bereit, sich mit Rau und Leuschner zu treffen und die von Ulbricht vorgebrachten Fragen zu besprechen. Damit war die Unterredung beendet. Aufzeichnung der Unterredung durch B. Kobulov25 AVP RF, f. 0457a, op. 12, p. 65, d. 3, Bl. 334–346.

104. Schreiben der stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrats Molotov und Mikojan an den Vorsitzenden des Ministerrats Stalin 

Moskau, 31. März 19521

An Gen. I.V. Stalin In Erfüllung des uns erteilten Auftrages unterbreiten wir Vorschläge zur Übergabe eines Teils der sowjetischen Betriebe in Deutschland an die Deutsche Demokratische Republik. Wir schlagen vor, von den in der Deutschen Demokratischen Republik vorhandenen 97 sowjetischen Betrieben 51 Betriebe den Deutschen zu übergeben; hierunter 48 Betriebe, die im Rahmen von Reparationsleistungen in den Besitz der UdSSR übergegangen sind, zwei Betriebe, die über Kaufver23  Gemeint ist das Staatskomitee für materiell-technische Versorgung der Volkswirtschaft beim Ministerrat der UdSSR. 24  So im Original. Gemeint ist hier die Staatliche Plankommission der DDR. 25  Handschriftlich. 1  Kopie. Das Original erhielt Stalin. Kopien gingen an Bulganin, Berija, Malenkov, Kaganovič, Chruščev, Vyšinskij. Fünf weitere Exemplare wurden im Sekretariat von Mikojan angefertigt und verteilt. Das Dokument erhielt am 31. März 1952 die Ausgangsnummer 98-AM.

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träge erworben wurden, sowie ein gemieteter Betrieb.2 46 Betriebe in der Deutschen Demokratischen Republik verbleiben im Besitz der UdSSR. In den Betrieben, welche an die Deutsche Demokratische Republik übergeben werden sollen, sind 89 000 Arbeiter und Angestellte beschäftigt, bei den in sowjetischem Besitz verbleibenden Betrieben 228 000. Hinsichtlich des Warenproduktionsvolumens sieht der Plan der zur Übergabe vorgesehenen Betriebe für 1952 einen Betrag von 1 264 Millionen Mark vor, und das Planprogramm für die in sowjetischem Besitz verbleibenden Betriebe setzt 4 536 Millionen Mark fest. Der Ertragsplan der zur Übergabe bestimmten sowjetischen Betriebe sieht für das Jahr 1952 die Summe von 200 Millionen Mark vor, für die in sowjetischem Besitz verbleibenden Betriebe sind 688 Millionen Mark eingeplant; der Gesamtplan gibt 888 Millionen Mark vor. In den zur Übergabe vorgesehenen Betrieben sind 28 Prozent der in allen sowjetischen Betrieben in Deutschland beschäftigten Arbeiter und Angestellten tätig, das Warenproduktionsvolumen beläuft sich auf 21,8 Prozent. Der Rentabilitätsgrad der zur Übergabe vorgesehenen Betriebe entspricht ungefähr demjenigen der in sowjetischem Besitz verbleibenden Betriebe: im Durchschnitt beträgt die Rentabilität der zur Übergabe vorgesehenen Betriebe 14,2 Prozent, für die in sowjetischem Besitz verbleibenden Betriebe beträgt dieser Parameter 14 Prozent. Der Gesamtwert der zur Übergabe vorgesehenen Betriebe beläuft sich in aktuellen Preisen auf eine Summe von 700 Millionen Mark; dieser Betrag muss anhand der Bilanz zum Stand 1. April 1952 genauer bestimmt werden. Es wird vorgeschlagen, den Deutschen alle Betriebe der Kaliindustrie, alle Betriebe der Baustoffbranche und die Schifffahrt auf der Oder zusammen mit den Schiffsreparaturwerften zu übergeben. 2  In den Protokollen des Politbüros des ZK der SED vom 15. und 29. April 1952 wird die Übernahme von SAG-Betrieben erwähnt, es werden jedoch keine Zahlen genannt. Am 29. April gab die DDR-Regierung im Neuen Deutschland auf S. 1 den „Beschluß der Regierung der UdSSR vom April 1952 bezüglich Übergabe von Betrieben der Sowjetischen Aktiengesellschaft (SAG) an die DDR“ bekannt. Hier ist von 66 Betrieben die Rede, die an die DDR übergeben wurden, diese sind im Anhang einzeln aufgeführt, vgl. BDU 1, S. 354–357. Offensichtlich wurde der Stalin vorgelegte Entwurf in der Folge noch überarbeitet. Unter den in Abänderung des Entwurfs (vgl. Fn. 4 und 5) zusätzlich an die DDR übergebenen Betrieben befanden sich u. a. die Schiffswerft Neptun, drei Waggonbaufabriken, zwei Kabelwerke, das Walzwerk Kloecknerwerke, das Kombinat für flüssige Brennstoffe Böhlen und das Elektrochemische Kombinat Bitterfeld. Der Ministerrat der UdSSR bestätigte erst 3. Mai 1952 in seiner Anordnung Nr. 2508-955s das von der GUSIMZ vorgelegte und „mit der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik abgestimmte“ Abkommen mit Protokoll über den Verkauf der sowjetischen Betriebe in Deutschland an die Regierung der DDR und übertrug Kobulov die Vollmacht zur Unterschrift, vgl. GARF, f. R-5446, op. 106 sč, d. 747, Bl. 165–177.



Dokument 104: 31. März 1952513

Von den existierenden 15 Kohlekombinaten sollen 10 Kombinate übergeben werden, wohingegen 5 Kombinate in sowjetischem Besitz verbleiben, da sie Direktversorger der in sowjetischem Besitz verbleibenden chemischen und anderen Betriebe sind. In der Maschinenbauindustrie sind 17 von 31 Betrieben zur Übergabe bestimmt, wobei hauptsächlich Werke übergeben werden sollen, die dem Mittel- und Leichtmaschinenbau zuzuordnen sind und sich insbesondere mit der Produktion von Kraftfahrzeugen, Motorrädern, Fahrrädern, Schreib- und Rechenmaschinen sowie Uhren befassen. Von drei Kugellagerfabriken sollen zwei übergeben werden; in sowjetischem Besitz verbleibt eine Fabrik, welche die Versorgung der in sowjetischem Besitz verbleibenden Betriebe mit Zubehör sichert. Von sechs Hüttenwerken sind zwei kleinere Betriebe zur Übergabe vorgesehen, die hauptsächlich Gussteile herstellen. Von den 11 Betrieben der Elektroindustrie sind 4 Betriebe zur Übergabe vorgesehen. Es wird vorgeschlagen, die Neptun-Werft für Hochseeschiffbau in sowjetischem Besitz zu belassen. Somit verbleibt bei den sowjetischen Betrieben hauptsächlich die Produktion von synthetischem Brennstoff, Synthesekautschuk, Stickstoff, Zellstoff, Kunstfasern, Rohfilmen, Aluminium, Stahl, Schiffen, Waggons, Kränen, Anlagen für die Erdölindustrie, Hüttenausrüstungen, Kabelerzeugnissen, großen Elektromotoren sowie Funkausrüstungen. Es wird vorgeschlagen, dass der Wert der zur Übergabe vorgesehenen Betriebe durch die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik im Verlaufe von drei Jahren in gleichen Vierteljahresraten beglichen wird, und zwar die erste Hälfte in Form von Warenlieferungen an die Sowjetunion und die zweite Hälfte in Deutscher Mark3 für den Kostenaufwand innerhalb des Landes zur Deckung unseres Bedarfs (d. h. Kostenaufwand für die Wismut AG).4

3  Vom 24.  Juli 1948 bis 31.  Juli 1964 hieß die auf dem Territorium der Sowjetischen Besatzungszone bzw. der DDR gültige Währung „Deutsche Mark der Deutschen Notenbank (DM)“. 4  Das hier vorgeschlagene Verfahren der Abzahlung durch die Regierung der DDR ging in das vom Ministerrat der UdSSR am 3. Mai bestätigte Abkommen über den Verkauf der 66 Betriebe ein (allerdings ohne Nennung der SAG Wismut, vgl. Fn. 2 zu diesem Dokument und dort Bl. 167–169); der Gesamtwert der verkauften Betriebe wurde darin unter Punkt  6 mit 1 550 385 045 Deutschen Mark beziffert. Mit Anordnung Nr. 2303-876s vom 16.  Mai 1952 bestätigte der Ministerrat der UdSSR auch eine Liste der zu liefernden Waren in Höhe des halben Wertes der Betriebe und beauftragte Kobulov, diese Liste mit der Regierung der DDR „abzustimmen“, vgl. GARF, f. R-5446, op. 106 sč, d. 743, Bl. 348.

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Der Entwurf einer Anordnung des Ministerrats der UdSSR zusammen mit einer Aufstellung der zur Übergabe vorgesehenen Betriebe wird beigefügt.5 Zur Information wird ebenfalls eine Aufstellung der Betriebe beigefügt, welche in sowjetischem Besitz verbleiben sollen.6 V. Molotov A. Mikojan AVP RF, f. 07, op. 25, p. 14, d. 153, Bl. 1–3.

105. Unterredung zwischen dem Politischen Berater Semenov und Außenminister Dertinger Streng geheim

17. April 19521

Aus dem Tagebuch2 von V.S. Semenov Aufzeichnung einer Unterredung mit dem Minister für Auswärtige Angelegenheiten der DDR, Georg Dertinger Am 17. April empfing ich Dertinger auf dessen Bitte. Er wollte über drei Angelegenheiten mit mir sprechen: 1. Am 8. April hatte sich der persönliche Referent Dertingers, Rummler, nach Westberlin abgesetzt. Wie Dertinger verlautbaren ließ, hatte Rummler vor drei Monaten Dertinger berichtet, sowjetische Spezialorgane hätten ihn, 5  Der Entwurf der Anordnung konnte nicht ausgewertet werden. Die beiliegende Aufstellung der zur Übergabe vorgesehenen Betriebe (vgl. Fn. 2) enthielt für jeden Betrieb Angaben zur Zahl der Beschäftigten, zum „Bilanzwert der Basismittel per 1.1.1952“ und zum „Ausstoß an Warenproduktion laut Plan für 1952“. Die darunter angegebenen Gesamtzahlen beliefen sich auf 89 241 Beschäftigte, einen „Bilanzwert der Basismittel per 1.1.1952 (in tsd. Mark)“ von 586 365 und einen „Ausstoß an Warenproduktion laut Plan für 1952 (in tsd. Mark)“ von 1 264 400. Vgl. AVP  RF, f. 07, op. 25, p. 14, d. 153, Bl. 7–8. 6  In der Liste waren 46 Betriebe mit einer Gesamtzahl von 228 472 Beschäftigten aufgeführt. Unter den Betrieben befanden sich Stahlwerke, Maschinenbau- und Waggonbaufabriken, die im Dokument erwähnte Neptun-Werft und mehrere Chemiefabriken. Diese kamen zusammen auf einen „Bilanzwert der Basismittel per 1.1.1952 (in tsd. Mark)“ von 1 654 969 und auf einen „Ausstoß an Warenproduktion laut Plan für  1952 (in tsd. Mark)“ von 4 535 600. Vgl. AVP  RF, f. 07, op. 25, p. 14, d. 153, Bl. 9–11. 1  Original. Hauptadressat des Dokuments war Čujkov. Weitere Exemplare gingen an Vyšinskij, Kaverznev und in die Akten. Das Dokument erhielt am 24.  April die Ausgangsnummer AP/0184. Der Übersetzung lag Exemplar Nr. 4 zugrunde, das die Unterschrift von Semenov trägt. 2  „Tagebuch“ ist ein aus der russischen Kanzleisprache übernommener Begriff des Auswärtigen Dienstes der UdSSR für Gesprächsaufzeichnungen.



Dokument 105: 17. April 1952 515

Rummler, angeblich gebeten, sie über die Situation im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten und speziell über den Minister zu informieren. Dertinger habe angeblich Rummler geantwortet, er finde es vollkommen verständlich, dass die sowjetischen Organe sich für die Angelegenheiten des Ministeriums interessieren, und Rummler solle zu den Themen, für welche sich die sowjetischen Staatsorgane interessieren, wahrheitsgetreu Auskunft geben. Danach sei Rummler zwei oder drei Male mit Mitarbeitern der sowjetischen Spezialorgane in Karlshorst zusammengekommen. Vor ungefähr einem Monat habe Rummler bei Dertinger vorgesprochen und erklärt, er werde von „Gewissensbissen“ heimgesucht, und die sowjetischen Funktionäre würden angeblich Dertinger mit Clementis3 vergleichen. Dertinger habe Rummler ausgelacht und betont, er, Dertinger, sehe keinerlei Anhaltspunkte für derartige Vergleiche. Am 8. März4 habe Rummler gesagt, er fahre wieder nach Karlshorst, sei dann aber am darauffolgenden Tag nicht an seinem Arbeitsplatz im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten erschienen. Gegen Abend habe er Dertinger aus Westberlin angerufen und mitgeteilt, er werde nicht zurückkehren, weil er merke, dass er in Gefahr sei. Dertinger hat angeblich versucht, Rummler zu überreden, nach Ostberlin zurückzukehren, und will sich bemüht haben, den Beweis zu erbringen, dass die Mutmaßungen Rummlers unbegründet sind. Diese Versuche blieben jedoch erfolglos. Am folgenden Tage ließ Rummler Dertinger einen Brief zukommen, in welchem er die Gründe für seinen Weggang erläuterte.5 Hierbei hat Rummler angeblich versucht, Dertinger dazu zu treiben, nach Westdeutschland überzuwechseln, wo er, wie Rummler sich äußerte, jetzt noch Asyl bekommen könnte; diese Möglichkeit habe er jedoch später nicht mehr. In diesem Zusammenhang hatte Rummler wieder den Vergleich zwischen Dertinger und Clementis angebracht. Dertinger machte deutlich, dass er aus diesen Worten Rummlers den Schluss ziehe, dass Rummler auch schon früher Verbindungen zu ausländi3  Das war offenbar eine Anspielung auf eine mögliche Verhaftung Dertingers nach dem Beispiel des Ende Januar 1951 verhafteten tschechoslowakischen Außenministers Vladimír Clementis. 4  So im Original. Richtig ist April. 5  Dieser Brief Rummlers an Dertinger konnte nicht ermittelt werden. Bei der Verhaftung Dertingers (vgl. Dok. 135 und 136) wurden durch das MfS eine Leibesvisitation und eine Hausdurchsuchung durchgeführt. Das danach verfertigte „Besichtigungsprotokoll über die Durchsicht von beschlagnahmten Gegenständen und Unterlagen“ enthielt zu Akte 32, Punkt 4 die Inhaltsbeschreibung: „Vermerk betr. Gerold Rummler (Lawrenz) im Anhang ein Brief des Rummler an Dertinger mit hetzerischem Inhalt.“ Der Inhalt der Akte 32 wurde laut handschriftlichem Vermerk vernichtet, vgl. BStU, MfS AP, Bd. 63880/92, 1 von 2, Bl. 303–321 (vgl. auch das „Protokoll über die Vernichtung beschlagnahmter Gegenstände“ Dertingers, ebenda, 2 von 2, Bl. 325–328).

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schen Spionagediensten hatte, denn wenn dies nicht so wäre, hätte er ihm, Dertinger, kaum am zweiten Tag nach seinem Abgang nach Westberlin einen solchen Vorschlag präsentieren können. Für Dertinger ist nicht ausgeschlossen, dass Rummler überhaupt keine Kontakte zu den sowjetischen Organen hatte; er nimmt aber dennoch an, dass es solche Kontakte gab. Aus diesem Grunde wollte er gerne reinen Tisch machen. Dertingers Überzeugung nach impliziert eine Zusammenarbeit mit den sowjetischen Organen auch eine Unterstützung der sowjetischen Staatssicherheitsorgane beim Kampf gegen die Feinde des Staates. Er wisse, dass viele CDU-Mitglieder sowohl im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten als auch in der Provinz mit den sowjetischen Sicherheitsorganen zusammenarbeiten. Aber die Gewinnung von Erkenntnissen über ihn persönlich untergrabe seine Autorität als Minister. Ich entgegnete Dertinger, ich hätte in den Zeitungen gelesen, dass Rummler sich nach Westberlin abgesetzt habe und welche Version in diesem Zusammenhang durch die Amerikaner verbreitet werde.6 Ich hätte bei den entsprechenden Organen nachgefragt und könne mit absoluter Bestimmtheit bezeugen, dass Rummler keinerlei Verbindungen mit irgendwelchen sowjetischen Kreisen oder Organen hatte. Es gebe Anhaltspunkte, welche die Vermutung nahelegen, dass er mit dem amerikanischen Geheimdienst unter einer Decke steckte. Aller Wahrscheinlichkeit nach habe Rummler mit seinen Erzählungen über seine angeblichen Verbindungen zu den sowjetischen Staatssicherheitsorganen Dertinger unter Druck setzen wollen. Dies setze Rummler auch jetzt nach seinem Abgang nach Westberlin fort, indem er versuche, Dertinger dazu zu drängen, nach Westdeutschland überzuwechseln. Ich wies nachdrücklich darauf hin, dass Dertinger einen Fehler begangen habe, indem er uns nicht unverzüglich über die Ausführungen Rummlers zu angeblichen Weisungen in Verbindung mit dem Minister informierte. So hätte man die anschließenden Vorkommnisse mit Rummler vermeiden können. Ich gab Dertinger den Rat, er solle in Zukunft seine persönlichen Mitarbeiter mit größerer Sorgfalt aussuchen und im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR mit entsprechender Geheimhaltung arbeiten. Dertinger sagte, er habe bei Rummler nie etwas Schlechtes erkennen können und sei über dessen Abgang in den Westen sehr überrascht. Ich gab Dertinger zu verstehen, dass die Versuche Rummlers, ihn unter Druck zu setzen, ihn von Anfang an hätten misstrauisch machen und dazu bewegen 6  Der Tagesspiegel druckte am 16. April 1952 auf S. 2 unter der Rubrik „Jenseits der Schlagzeilen“ eine dpa-Meldung über die Flucht Rummlers, in der es hieß: „Der persönliche Pressereferent des Sowjetzonen-Außenministers Dertinger, Georg [sic] Rummler (Sowjet-CDU), ist während der Osterfeiertage nach Westberlin geflüchtet. Er gab an, daß er sich Aufträgen einer sowjetischen Dienststelle zur Bespitzelung Dertingers nicht habe entziehen können.“



Dokument 105: 17. April 1952 517

müssen, das Gespräch mit Zaisser oder Grotewohl zu suchen. Der Fall Rummler, fügte ich hinzu, sei eine offensichtliche Lehre sowohl für Dertinger als auch für uns alle.7 Abschließend stellte Dertinger fest, dieser offene Austausch von Meinungen habe ihm gutgetan. 2. Dertinger teilte mit, er habe am 16. April eine Unterredung mit Grotewohl gehabt8 und diesem vorgeschlagen, die Regierung der DDR solle mit der Bonner Regierung in Verbindung treten, um für einen bestimmten Tag Mitte September gesamtdeutsche Wahlen anzuberaumen. Dertinger ist der Auffassung, ein solcher Appell bringe Adenauer und die Amerikaner in arge Bedrängnis und könnte nicht nur in Westdeutschland, sondern in der ganzen Welt ein starkes Echo hervorrufen. Die Wahlen könnten nach dem Weimarer Wahlgesetz durchgeführt werden. Ich fragte, was Grotewohl darauf geantwortet habe. Dertinger ließ erkennen, dass Grotewohl sich nicht abschließend geäußert, sondern seinen Zweifel an der Durchführbarkeit und Zweckdienlichkeit eines solchen Unterfangens artikuliert habe. Ich sagte, man könne abwarten, bis Grotewohl in dieser Frage mit sich selbst zu Rate gegangen sein wird, und umging so eine Antwort auf den Meinungstest Dertingers. 3. Dertinger vertrat die Auffassung, man müsse eine gemischte deutschtschechoslowakische Grenzkommission einrichten oder den Polizeibehörden im Grenzbereich mit der Tschechoslowakei eine Vollmacht zur Schlichtung von geringfügigen Fällen im Zusammenhang mit dem Leben an der Grenze (Nutzung von Brunnen usw.) geben. Ich fragte, ob Dertinger Kenntnis davon habe, wie die Regierung der DDR zu dieser Frage steht. Dertinger verneinte. Ich deutete an, dass mir ein solcher Gedanke generell nachdenkenswert erscheine, diese Frage jedoch zunächst in der Regierung behandelt werden müsse, um dann eine fundierte Aussage zu diesem Thema machen zu können. V. Semenov9 AVP RF, f. 0457а, op. 12, p. 65, d. 3, Bl. 130–133.

7  Vgl.

die Darstellung Rummlers in Dok. 106. Unterredung Dertingers mit Grotewohl am 16.  April 1952 konnte nicht nachgewiesen werden. 9  Handschriftlich. 8  Eine

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106. Aufzeichnung des ehemaligen Referenten im MfAA Rummler 

18. April 19511

Das Führungsgremium des Ostzonenaussenministeriums ist die kleine Kommission, die einmal wöchentlich, meist freitags, einige Stunden tagt. Dieser Kommission gehören an: Dertinger, Ackermann, Frau Berner, Florin, Kohrt, Dr. Reintanz, Prenzel, Busse und bis zu meiner Flucht ich. In dieser Kommission werden unter Vorsitz Dertingers sämtliche politischen wie auch diplomatischen und konsularischen Fragen durchgesprochen, die von besonderer Bedeutung sind. So wurden hier die Abkommen betreffs Familienzusammenführung der Deutschen aus den ehemaligen Ostgebieten mit Polen besprochen,2 die Arbeit der einzelnen diplomatischen Missionen im Ausland 1  Kopie. Thedieck übermittelte am 30. April 1952 die handschriftlich mit „Niederschrift Rummler“ überschriebene Ablichtung von Rummlers Aufzeichnung an das Auswärtige Amt. In seinem Begleitschreiben heißt es: „Der geflohene persönliche Pressereferent des Außenministers der Sowjetzone Dertinger, Herr Gerold Rummler, hat in Ergänzung zu seiner Berichterstattung im Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen schriftliche Ausführungen über das Außenministerium der Sowjetzone und dessen Einstellung zu den aktuellen politischen Fragen gemacht, von denen ich Ihnen eine Fotokopie mit der Bitte um Kenntnisnahme übersende.“ Das Schreiben ging am 2. Mai im Auswärtigen Amt und am 3. Mai in dessen Abteilung III ein. Dort erhielt es die Tgb.  Nr. 06104, darunter wurde handschriftlich vermerkt: „jetzt III 150/52 g“. Kossmann zeichnete am 5. Mai ab. Kordt vermerkte am 5. Mai mit blauem Stift: „Über H. Blankenhorn H. St[aats]s[ekretär] v[or]z[u]l[e]g[en]“. Kossmann notierte für von Etzdorf am 20. Mai: „Wäre Runderlaß angebracht? Ev. nur für Mis­ sionschefs?“ Dazu vermerkte von Etzdorf am 23. Mai seine Zustimmung. Am 6. Mai legte Blankenhorn eine Abschrift der Aufzeichnung Rummlers Adenauer vor, der auf der Begleitnotiz Blankenhorns handschriftlich „ges. A[denauer]“ vermerkte. Eine Abschrift wurde am 9. Juni 1952 auch als geheimer Erlass 001-13 III 150/52 g an die Auslandsvertretungen in den westeuropäischen Staaten und in den USA verschickt (vgl. Dok. 113). Die erste Fassung der Aufzeichnung untergliedert sich nach der Seitenzählung in drei Berichte, die Seitenzählung setzt auf dem zweiten und dem vierten Blatt jeweils neu an. In der Abschrift sind die ersten drei Blätter durchlaufend paginiert, die Seitenzählung beginnt erst mit der Überschrift „Das Schreiben der Ost­ zonenregierung vom 13.2.1952“ neu. 2  Die DDR verhandelte wiederholt mit Polen über „Familienzusammenführung“. Gemeint war die Ausreise von nach 1948 auf polnischem Staatsterritorium verbliebenen Deutschen in die DDR. Nachdem im Januar 1950 ein erstes Abkommen geschlossen worden war (vgl. DzD II, 3, S. 575–579), wurde am 24. Januar 1952 (mit Schlussprotokoll vom 1. Februar) in einem weiteren Abkommen in Warschau vereinbart, dass die „Rückführungen“ über Anforderungslisten der DDR erfolgen sollten. Außerdem wurden die zur Ausreise aus Polen vorgesehenen Personen (im Hinblick auf das polnische Staatsbürgerschaftsgesetz vom 8. Januar 1951, das den in Polen verbliebenen Deutschen im Regelfall die polnische Staatsbürgerschaft zusprach) definiert und Richtlinien zur „Zusammenführung der sich in Polen aufhaltenden Deut-



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werden laufend betrachtet, Verträge mit den der Ostzone befreundeten Staaten werden vorher in ihren Entwürfen bearbeitet, sowie Einschätzungen zu politisch bedeutungsvollen Schritten des Westens gegeben. Mitunter traten dabei Meinungsverschiedenheiten zwischen Dertinger und Ackermann auf, die aber in sehr kollegialer Form ausgetragen werden und wobei meistens letzten Endes Ackermann sich durchsetzte. Die Frage der Besetzung der diplomatischen Vertretungen im Ausland werden etwa wie folgt grundsätzlich geregelt: Die Chefs der Missionen (Botschafter, Gesandte) werden durch das Politbüro der SED dem Präsidenten Pieck zur Ernennung vorgeschlagen nach vorheriger Rücksprache mit Karlshorst. Die übrigen leitenden Mitarbeiter in den Missionen werden ebenfalls vom ZK ausersehen und nur die unteren Dienstgrade werden von Ackermann in seiner Eigenschaft als Staats­ sekretär ernannt. Die Botschafter und Gesandten waren vor ihrer Ernennung nicht Angehörige des Aussenministeriums. Die anderen stammen zum grössten Teil aus dem Hause. Ins Ausland wird grundsätzlich nur jemand geschickt, der Mitglied der Partei ist und in den meisten Fällen auch noch VVN. Unbesetzt ist der Posten des Gesandten in Rumänien.3 In Albanien wird voraussichtlich im Laufe des Monats Mai die diplomatische Mission errichtet schen mit ihren in der DDR wohnhaften Familienangehörigen“ beschlossen. Vgl. Heike Amos, Die Vertriebenenpolitik der SED 1949 bis 1990, München 2009, S. 87– 89. Rummler selbst führte in seinem in der Juni-Ausgabe des SBZ-Archivs veröffentlichten Bericht „Der außenpolitische Apparat der Sowjetzone“ aus seiner Sicht aus, was er hier andeutete: „Ein besonders schwieriges Problem sind die Deutschen in der ‚Volksrepublik Polen‘. Dort leben heute noch mehr als 1 Million Deutsche. Ueber 80 000 sind – ohne je befragt zu werden – in den polnischen Staatsverband aufgenommen worden. Diese Deutschen sind dem Einfluß der ‚DDR‘ völlig entzogen. Es besteht keine Möglichkeit, sie ihrem Wunsch gemäß unzusiedeln. Ein weiterer Teil ist staatenlos. Die Zahl der deutschen Staatsangehörigen in Polen beträgt etwa 150 000. Ihnen sind eigene Schulen zugestanden, die mit Schulbüchern aus der Sowjetzone versorgt werden. Die Zusammenführung von Familien war bisher eine Angelegenheit des Außenministeriums, seit dem Februar 1952 werden diese Fälle jedoch vom sowjetzonalen Innenministerium bearbeitet. Die polnische Regierung steht den eingehenden Umsiedlungsanträgen nach Deutschland sehr ablehnend gegenüber. Sowohl Dertinger als auch Ackermann befürchten nicht zu Unrecht, daß diese Haltung Warschaus sehr ungünstige Auswirkungen auf die deutsch-polnischen „Freundschaftsbemühungen“ haben muß. Es ist zwar über die Sowjetunion versucht worden, Warschau nachdenklicher zu stimmen, aber Moskau hat in dieser Angelegenheit nichts getan, was eine Aenderung der gegenwärtigen Situation herbeiführen könnte. Die Leidtragenden sind Hunderttausende von Deutschen, die lieber heute als morgen Polen verlassen und sich in Deutschland eine neue Heimat suchen würden. Noch immer treffen täglich zahlreiche Rückführungsanträge im sowjetzonalen Außenministerium ein, ohne daß eine Hilfe möglich wäre.“ Vgl. SBZ-Archiv. Dokumente – Berichte – Kommentare zu gesamtdeutschen Fragen Nr. 12, 20. Juni 1952, S. 183–184, hier S. 183. 3  Zur Ernennung Handkes zum Leiter der Diplomatischen Mission der DDR in Rumänien vgl. die Erklärung Piecks in Dok. 124 und Fn. 13 dazu.

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werden, nachdem Albanien im Februar eine ständige Vertretung errichtet hat.4 Nach der Veröffentlichung der westlichen Antwortnoten vom 25. März5 hatten am 26. März die Botschafter Semjonow und Puschkin eine ausführliche Unterredung über die Bedeutung dieser Note. Dertinger bat am 27. März Puschkin ins Aussenministerium und hatte mit diesem eine fast zweistündige Unterredung6 in Anwesenheit einer sowjetischen Dolmetscherin. Nachdem Puschkin Dertinger verlassen hatte, sass dieser noch zwei Stunden mit mir zusammen, um die Unterredung mit Puschkin zu skizzieren. Dertinger war über diese Aussprache höchst unbefriedigt und sehr erregt. Er selbst hatte nämlich in den westlichen Noten verschiedene Chancen gesehen, um eine Verständigung des Ostens mit dem Westen in der Deutschlandfrage zu erreichen, während Puschkin ihm dagegen diese Hoffnungen ziemlich zerschlug. Puschkin hatte vor allem auf die in den westlichen Noten enthaltene Formulierung des Festhaltens an der europäischen Integration hingewiesen7 und erklärt, dann gäbe es eben keine Verständigung, sondern das Schwergewicht der politischen Arbeit der DDR sei auf eine machtvolle Widerstandsbewe4  Am 22. Januar 1952 beschloss das Politbüro des ZK der SED zum TOP „Gesandtschaft der Volksrepublik Albanien“: „Die Genossen in der Regierung werden beauftragt, dafür zu sorgen, daß die Einrichtung der diplomatischen Mission auf Kosten der Regierung erfolgen und ein Kraftwagen kostenlos übergeben werden soll. Vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/188, TOP 19. Am 5. Februar meldete das Neue Deutschland in einer Notiz auf S. 1 die Ankunft des neuernannten Chefs der diplomatischen Mission der Volksrepublik Albanien, Halim Budo. Dieser wurde am 6. Februar von Pieck empfangen, vgl. Berliner Zeitung, 7. Februar 1952, S. 1. 5  Vgl. AdG 22 (1952), S. 3404. 6  Dazu konnte keine Aufzeichnung ermittelt werden. 7  Puškin meinte hier vermutlich vor allem die militärische Komponente der europäischen Integration. So bezog sich Punkt 6 der gleichlautenden westlichen Antwortnoten vom 25. März 1952 (vgl. Fn. 5), hier der amerikanischen Note, auf den in der sowjetischen Note vom 10. März geäußerten Vorschlag zur Aufstellung einer Nationalarmee, „während gleichzeitig die Freiheit Deutschlands, Bündnisse mit anderen Ländern abzuschließen, eingeschränkt wird. Die amerikanische Regierung ist der Ansicht, daß derartige Bestimmungen einen Schritt zurück bedeuten und den Anbruch einer neuen Epoche in Europa gefährden könnten, in der sich internationale Beziehungen in Europa auf Zusammenarbeit und nicht auf Rivalität und Mißtrauen aufbauen. Von der Notwendigkeit einer Politik der europäischen Einheit überzeugt, gibt die amerikanische Regierung Plänen ihre volle Unterstützung, die die Beteiligung Deutschlands an einer rein defensiven europäischen Gemeinschaft sichern, die Freiheit wahren, eine Aggression verhüten und das Wiederaufleben des Militarismus’ ausschließen sollen. Die amerikanische Regierung ist der Auffassung, daß der Vorschlag der sowjetischen Regierung zur Aufstellung nationaler deutscher Streitkräfte mit der Erreichung dieser Ziele nicht zu vereinbaren ist. Die amerikanische Regierung ist weiterhin überzeugt, daß diese Politik der europäischen Einheit die Interessen irgendeines anderen Landes nicht bedrohen kann und den wahren Weg zum Frieden darstellt.“ Vgl. AdG 22 (1952), S. 3404.



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gung in Westdeutschland zu legen, um durch diese die Adenauerregierung zu Fall zu bringen. Durch den Generalvertrag8, der von Bonn abgeschlossen werden will, so sagte Puschkin, sei jetzt unwiderruflich klar, dass man mit dieser gegenwärtigen Regierung in Bonn nicht mehr zu einer Verständigung in der deutschen Frage käme. Dertinger hielt Puschkin entgegen, dass selbst mit Abschluss des Generalvertrages und mit der Annahme des Pleven-Planes9 durchaus noch nicht alle Verständigungsmöglichkeiten zerschlagen seien, da alle an der Europaarmee beteiligten Staaten ja zunächst in ihren Parlamenten diesen Vertrag ratifizieren müssen. Dadurch wäre noch zumindest für ein Jahr Zeit gewonnen und vorher sei ja in Westdeutschland nicht an die Aufstellung einer Armee zu denken. Diesem Gedankengang Dertingers setzte Puschkin ein schroffes Njet entgegen und beharrte auf seiner Forderung, alle Massnahmen zu ergreifen, um die gegenwärtige Regierung in Bonn durch Nationale Front usw. in Westdeutschland selbst zu stürzen. Dertinger war bei dem Gespräch mit mir sehr nachdenklich und sagte, wenn Moskau diese Verständigung nicht mehr herbeiführen wolle, dann sei seine ganze politische Perspektive, die er bisher vertreten habe, falsch und dann wolle er auch nicht mehr in diesem Sessel sitzen, dann solle man sich einen anderen Aussenminister holen.10 Das Schreiben der Ostzonenregierung vom 13. Februar 195211 Dieses Schreiben basiert auf einem Vorschlag, den Dertinger Anfang Oktober 1951 Botschafter Semjonow unterbreitete.12 Ohne dass in der Zwi8  Vgl.

Dok. 20, Fn. 12. ist die bevorstehende Unterzeichnung des EVG-Vertrages (vgl. Dok. 131, Fn. 6), der auf den Pleven-Plan vom 24.  Oktober 1950 zur Bildung einer europäischen Armee zurückging (vgl. Dok. 66, Fn. 50). 10  Der Abschnitt von „Nach der Veröffentlichung der westlichen Antwortnoten vom 25. März …“ bis hierher entspricht inhaltlich weitgehend Rummlers Aussage in einem kürzeren Bericht, der in amerikanischer Übersetzung in Rupieper, Stalin – Nenni, S. 556–557, veröffentlicht ist. 11  Vgl. Dok. 96, Fn. 3. 12  Gemeint ist offensichtlich eine „Denkschrift“ Dertingers, die er im Anschluss an sein Treffen mit Lemmer am 13. Oktober 1951 ausarbeitete und Semenov übergab, vgl.  Lapp, Dertinger, S. 145, und Erinnerungen Maria Dertingers, ACDP, 01-526006/1, Bl. 111–111a. Laut Maria Dertingers Überlieferung waren die wichtigsten Punkte dieses Papiers: „Das wiedervereinigte Deutschland wird ein neutraler Staat auf demokratischer Grundlage; innerhalb eines Jahres ziehen alle 4 Besatzungsmächte ab. Wirklich freie Wahlen für ein Parlament und für eine gemeinsame Verfassung.“ Dertinger schrieb sich selbst in seinen „Erinnerungen und Gedanken“ zu, dass wesentliche Punkte des Schreibens vom 13. Februar wie auch der sowjetischen Note vom 10. März 1952 auf seine Vorgabe zurückgingen, vgl. Lapp, Dertinger, S. 148. Das Schreiben der DDR-Regierung war grundsätzlich bereits in einem langfristigen 9  Gemeint

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schenzeit auf diesen Vorschlag von Seiten der Sowjets eingegangen worden wäre, wurde am 13. Februar eine Ministerratssitzung der Ostzonenregierung einberufen. Grotewohl wusste am Vormittag selbst noch nicht, was am Nachmittag Gegenstand dieser Sitzung sein würde, da er erst mittags in Karlshorst von den Sowjets zu diesem Schreiben veranlasst wurde.13 Am Nachmittag verabschiedeten dann die Ostzonenminister einstimmig dieses Schreiben an die vier Mächte bezüglich der beschleunigten Herbeiführung eines Friedensvertrages mit Deutschland.14 Bundesbevollmächtigter Dr. Vockel erhielt das gleiche Schreiben mit dem bekannten Begleitwort.15 Den westberliner Stadtkommandanten wurden diese Schreiben durch Kuriere des Ostzonenaussenministeriums zugestellt, während Dertinger Botschafter Puschkin am Abend des Tages im Aussenministerium empfing und ihm das Schreiben für die Regierung der UdSSR überreichte. So war der Kreislauf Karlshorst – Pankow – Moskau geschlossen. Zur Note der Sowjetregierung vom 10. März 1952 Moskau beruft sich in der Präambel ausdrücklich auf das Schreiben der Ostzonenregierung vom 13. Februar und spricht weiter von einer „unmittelbaren Beteiligung Deutschlands an einer Friedenskonferenz“.16 Genau wie der Bundeskanzler17 hat auch Dertinger sofort an dieser Formulierung An­ Aktionsplan vorgesehen, den das Politbüro des ZK der VKP (b) am 8. September 1951 beschlossen hatte, vgl. Dok. 80, Fn. 5. 13  Die Darstellung Rummlers ist hier unzutreffend. Eine Vorbesprechung des Schreibens u. a. mit Grotewohl fand bereits am 9. Februar 1952 unter Geheimhaltung statt (vgl. Dok. 96). Die SKK erhielt am 12.  Februar die Weisung, den zuvor von Grotewohl eingegangenen Entwurf für dieses Schreiben mit einigen kleineren Änderungen zu bestätigen, vgl. ebenda, Fn. 9 und 14 bzw. Foitzik, Interessenpolitik, S. 567–568. 14  Vgl. Dok. 96, Fn. 3. 15  Vgl. Dok. 96, Fn. 9. 16  Im Wortlaut: „Es versteht sich, daß ein solcher Friedensvertrag unter unmittelbarer Beteiligung Deutschlands, vertreten durch eine gesamtdeutsche Regierung, ausgearbeitet werden muß.“ Vgl. DDS 1, S. 289. Bereits in der „Antwort der Regierung der UdSSR auf das Schreiben der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik vom 13. Februar 1952“ vom 20. Februar hatte es geheißen: „Die Regierung der UdSSR ist der Meinung, daß der unverzügliche Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland in Übereinstimmung mit den Potsdamer Beschlüssen und unter Teilnahme Deutschlands notwendig ist.“ Vgl. ebenda, S. 288. 17  Eine Äußerung Adenauers, die explizit auf diese Formulierung Bezug nahm, konnte nicht ermittelt werden. In der Bundestagsdebatte vom 3. April 1952 hob Adenauer jedoch unter Bezug auf die Antwortnote der Westmächte vom 25. März und die darin erwähnte Konsultation der Bundesregierung (vgl. Fn. 26 zu diesem Dokument) in einem allgemeinen Sinne hervor: „Wenn die drei Westalliierten sich auf Grund dieser Note Sowjetrußlands mit Sowjetrußland an den Verhandlungstisch gesetzt hät-



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stoss genommen und beanstandet, dass nicht von einer gleichberechtigten Beteiligung Deutschlands die Rede war. Unmittelbar, so sagte er, sei Deutschland ja auch in Versailles beteiligt gewesen. Von den politischen Leitsätzen, die in der Moskauer Note enthalten gewesen seien, sah Dertinger insbesondere im Punkt 5 (Verbot friedensfeindlicher Organisationen)18 eine Ausdehnung des Ostzonenfriedensschutzgesetzes19 ten, dann würden sie damit in gewissem Umfange diese Thesen als Grundlage der Verhandlungen angenommen haben … Das wäre … eine schwere Schädigung der gesamtdeutschen Interessen gewesen.“ Nach einer Zusammenfassung der entsprechenden Passage unter Punkt 1 der Note folgerte er: „Meine Damen und Herren, nicht nur die Tatsache dieser Konsultierung, sondern auch die Hervorhebung der Tatsache in der Antwort auf die Sowjetnote ist für uns Deutsche außerordentlich bedeutungsvoll. Sie entspricht dem, was im Generalvertrag, der Ihnen demnächst vorgelegt werden wird, niedergelegt ist … daß nämlich eine Konsultation stattfinden muß.“ Vgl. BT Stenographische Berichte, 204. Sitzung, 3. April 1952, S. 8759. Zum „Generalvertrag“ vgl. Dok. 20, Fn. 12. Darin hieß es etwa in Artikel 7 (4) der Fassung von 1952: „Die Drei Mächte werden die Bundesrepublik in allen anderen Angelegenheiten konsultieren, welche die Ausübung ihrer Rechte in bezug auf Deutschland als Ganzes berühren.“ Vgl. Auswärtiges Amt (Hrsg.), Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Dokumente von 1949–1994, Köln 1995, S. 194–198 (Auszug), hier S. 198. In der gleichen Debatte ergänzte Adenauer später, er stimme Ollenhauer darin zu, „daß die einzige Möglichkeit einer Wiedervereinigung Deutschlands im Zusammengehen der drei Westmächte mit der Sowjetunion bestünde, setze aber noch hinzu: und mit Deutschland.“ Vgl. BT Stenographische Berichte, 204. Sitzung, 3. April 1952, S. 8768. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung fasste am 4. April 1952 Adenauers Bemerkungen in diesem Sinne zusammen: „Der Westen habe in seiner Antwort ausdrücklich anerkannt, daß eine gesamtdeutsche Regierung vor und während der Verhandlungen über den Friedensvertrag hinzugezogen werden soll.“ (S. 3.) 18  Wörtlich: „Auf dem Territorium Deutschlands dürfen Organisationen, die der Demokratie und der Sache der Erhaltung des Friedens feindlich sind, nicht bestehen.“ Vgl. DDS 1, S. 292. 19  Das „Gesetz zum Schutz des Friedens“ war vom Politbüro am 12. Dezember 1950 beschlossen und am 16.  Dezember 1950 in Kraft gesetzt worden, vgl. BABSAPMO, DC 30/IV 2/2/122, TOP 10, Anlage 5. In der Präambel dazu hieß es: „Die aggressive Politik der imperialistischen Regierungen der USA, Großbritanniens und Frankreichs, die auf ein neues Weltgemetzel hinzielt, droht das deutsche Volk in einen mörderischen Bruderkrieg zu verstricken … Die Nation muß aus dieser Bedrohung befreit werden … Die Kriegspropaganda der anglo-amerikanischen Imperialisten und ihrer Helfershelfer stellt eine ernste Gefährdung für den europäischen Frieden und für die Freundschaft des deutschen Volkes mit allen friedliebenden Völkern dar. Die Kriegspropaganda, unter welchen Formen sie sich auch immer vollziehen möge, ist eines der schwersten Verbrechen gegen die Menschlichkeit.“ Bei Zuwiderhandlungen gegen die dann folgenden einzelnen Bestimmungen waren Gefängnis- oder Zuchthausstrafen, bei „besonders schweren Fällen von Verstößen … Zuchthaus nicht unter 5 Jahren oder lebenslängliches Zuchthaus“ vorgesehen. Die Todesstrafe war möglich, „wenn die Tat in direktem Auftrag von Staaten, deren Dienststellen oder Agenturen begangen wird, welche Kriegshetze oder eine aggressive Politik gegen friedliche Völker betreiben“. Das Gesetz ist abgedruckt in: DzD II, 3, S. 464–466.

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auf ganz Deutschland. Vom Punkt 7 der politischen Leitsätze, der Deutschland die Bündnisfreiheit verwehrt, wird noch im folgenden die Rede sein.20 Zur Frage des Territoriums Deutschlands hat es auf Seiten der Ostzonen­ regierung reichliche Verwirrung gegeben. Die Moskauer Note spricht ausdrücklich davon, dass die Grenzen Deutschlands bestimmt wären durch die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz.21 Es herrschte bei der SED und auch bei den anderen Parteien Verwirrung über die Auslegung dieser Formulierung. Selbst Dertinger war sich nicht im klaren, ob dadurch Warschau das Opfer sowjetischer Revisionspolitik der Oder-Neisse-Grenze werden könnte. In seiner Volkskammererklärung am 14. März interpretierte Grotewohl diese Formulierung dahingehend, dass damit die Oder-Neisse-Grenze endgültig festgelegt sei.22 Als ich anlässlich einer Hauptvorstandssitzung der CDU am 17. März in einer Redaktionskommission mit Nuschke, Götting, August Bach und Dr. Toeplitz in einer Entschliessung diese Grotewohlauslegung der OderNeisse verwenden wollte, wandte sich Nuschke scharf dagegen. Er betonte, Grotewohl habe für diese seine Interpretation von Karlshorst eine Rüge erhalten und man möge sich an die Formulierung der Moskauer Note selbst halten.23 Da Dertinger in dieser Woche krank war, wandte sich August Bach als Fraktionsvorsitzender der Ost-CDU in der Volkskammer an mich und schlug vor, sich an einem der nächsten Tage mit Dr. von Brentano in Westberlin zu treffen, um auf der Basis der gesamtdeutschen CDU eine Bereit20  Vgl.

Fn. 33 zu diesem Dokument. Dok. 5, Fn. 13. In der sowjetischen Note vom 10. März heißt es dazu wörtlich: „Das Territorium Deutschlands ist durch die Grenzen bestimmt, die durch die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz der Großmächte festgelegt wurden.“ (vgl. DDS 1, S. 292). Die UdSSR vertrat offensichtlich die Auffassung, die Oder-NeißeGrenze sei als Ostgrenze Deutschlands auf der Potsdamer Konferenz festgelegt worden, vgl. UdF 2, S. 82–83. 22  Grotewohl verknüpfte hier die Potsdamer Beschlüsse mit dem am 6.  Juli 1950 unterzeichneten Grenzvertrag der DDR mit Polen (vgl. Dok. 20, Fn. 6): „Die in dem Entwurf der Sowjetregierung vorgeschlagene Regelung der territorialen Fragen auf der Grundlage der Potsdamer Beschlüsse stellt die einzige reale Lösung dieser Frage dar. Die Großmächte haben sich im Potsdamer Abkommen über die Grenzen Deutschlands geeinigt. In enger Zusammenarbeit mit der Regierung Polens ist die OderNeiße-Grenze zu einer wirklichen Friedensgrenze zwischen Deutschland und Polen geworden … Im ureigensten Interesse des deutschen Volkes werden wir alles tun, um zu verhindern, daß diese von den vier Großmächten festgelegte Grenze der Anlaß zu einem Dritten Weltkriege wird.“ Vgl. Neues Deutschland, 15. März 1952, S. 3. 23  In der „Entschließung des Hauptvorstandes der CDU vom 17. März“ hieß es zu dieser Frage etwas uneindeutig: „In der Erkenntnis der unserem Volke nach dem Hitlerkrieg durch das Potsdamer Abkommen auferlegten Verpflichtungen setzen wir uns in Uebereinstimmung mit der sowjetischen Note für die in Potsdam getroffenen Grenzregelungen des deutschen Territoriums ein, für die sich unsere CDU bereits klar ausgesprochen hat.“ Vgl. Union teilt mit, 6. Jahrgang/Nr. 4, April 1952, S. 15–17, hier S. 16. 21  Vgl.



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schaft der Bonner Regierung für die Moskauer Note zu wecken. Er gedachte dabei einmal mit der Frage einer Oder-Neisse-Revision zu winken, zum anderen auf einen absoluten Wahlsieg der nichtkommunistischen Kräfte bei einer gesamtdeutschen Wahl hinweisen zu können. Dadurch, so meinte er, sei es möglich, die in der Moskauer Note geforderte Neutralität Deutschlands und vorläufigen Verzicht auf Bündnisfreiheit anzunehmen, um dann von einer nichtkommunistischen gesamtdeutschen Regierung schliesslich doch geeignete Bündnisse eingehen zu können. Bach wollte in dieser Angelegenheit jedoch nichts unternehmen, bevor er nicht das Einverständnis von Dertinger hätte. Ich sprach daraufhin mit Dertinger in seiner Wohnung in Klein-Machnow über diesen Plan Bachs. Dertinger war der Ansicht, dass man Bonn nicht durch zweifelhafte Hoffnungen, sondern nur durch reale Tatsachen überzeugen könne. Solange man solche jedoch nicht an der Hand habe, sei auch ein Gespräch Bach – Brentano ergebnislos. Ausserdem meinte er, dass man Herrn von Brentano überhaupt nur zu einer solchen Unterredung bewegen könne, wenn man ihm von vornherein zusichern könnte, dass eine solche Fühlungnahme wirklich neue Situationen ergäbe. Dertingers grösste Befürchtungen waren die, dass, wenn ein Treffen Brentano – Bach durchgeführt werden würde, die Sowjets den Eindruck bekäme, dass die „reaktionäre OstCDU Morgenluft wittere“. Nach einer neuen Rücksprache Bachs mit mir verzichtete dieser auf Grund dieser Argumente, ein Treffen mit Dr. von Brentano zu versuchen. Die militärischen Leitsätze24 der Moskauer Note vom 10. März waren bereits in dem Entwurf enthalten, den Dertinger Anfang Oktober 1951 Semjonow überreichte. Seit dieser Zeit hatten keinerlei Rücksprachen mit der Ostzonenregierung stattgefunden, aber eine Reihe der Dertingerschen Vorschläge tauchten in der Note, vielfach verändert, wieder auf. Die mili­ tärischen Leitsätze im Moskauer Entwurf stellten für die eingeweihten Ost­ ­ zonenpolitiker nicht unbedingt eine Sensation dar. Bereits in dem so­ wjetischen Entwurf für einen Friedensvertrag mit Japan25 waren diese mili24  Vgl.

Dok. 102, Fn. 25. war der Vertrag von San Francisco, der Japan die volle Souveränität zurückgab. Er wurde am 8. September 1951 von den Vertretern von 49 Staaten unterzeichnet (nicht jedoch von der UdSSR) und trat am 28. April 1952 in Kraft. Im Vorfeld hatte die UdSSR an den US-amerikanischen Vertragsentwürfen eine fehlende Größenbegrenzung der japanischen Streitkräfte und fehlende „Garantien gegen das Wiedererstehen des japanischen Militarismus“ kritisiert (so am 29. März 1951) und den USA in einer Note vom 10. Juni 1951 die „Remilitarisierung“ Japans vorgeworfen, dabei jedoch eine Frist für den vollständigen Abzug aller Besatzungstruppen gefordert (vgl. Sovetsko-amerikanskie otnošenija, S. 355–360 und 368–377). Bei den Friedensvertragsverhandlungen in San Francisco brachte Gromyko dann am 5.  September 1951 einen Abänderungsvorschlag zum westlichen Friedensvertragsvorschlag ein, laut dem Japan darauf verpflichtet werden sollte, „keine Koalitionen oder Mili25  Gemeint

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tärischen Leitsätze enthalten. Ausserdem hatten auch die Staaten, die unter faschistischer Führung an der Seite Hitlers mit am zweiten Weltkrieg teilgenommen hatten (Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Italien) ebenfalls eigene nationale Streitkräfte zugestanden bekommen. Dertinger hatte in seinem ­ Entwurf vom Oktober 1951 allerdings nationale Streitkräfte mit begrenzter Stärke ähnlich denen der Weimarer Zeit – zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung und Sicherheit – vorgesehen. Zur westlichen Antwortnote vom 25. März Dertinger empfand die ausdrückliche Feststellung, dass Bonn vor der Abfassung der Antwortnote von den Westmächten konsultiert wurde, als einen Schlag ins Gesicht. Er selbst liest Noten Moskaus erst nach der Veröffent­ lichung in der Presse. Der Hinweis der Westmächte, dass die Bonner Regierung und sogar Vertreter Berlins konsultiert worden waren,26 hat seine Eitelkeit als Aussenminister schwer verletzt. Er hat auch Botschafter Puschkin auf diese ins Auge fallende Behandlung Bonns durch die westlichen Alliierten hingewiesen, ohne jedoch von ihm die erhoffte Zusage zu erhalten, dass Moskau in seinen künftigen Deutschlandnoten ebenfalls der Ostzonenregierung eine solche bevorzugte Behandlung zuteil werden lässt.27 tärbündnisse einzugehen, die gegen irgendeine Macht gerichtet sind, die mit ihren Streitkräften am Krieg gegen Japan teilgenommen hat“, der es jedoch gestatten sollte, zur Selbstverteidigung „Streitkräfte, einschließlich Grenzschutz und Gendarmerie, zu unterhalten, die nicht stärker sind als: a. Landheer, einschließlich Flakartillerie, mit einer Gesamtstärke von 150 000 Mann; b. Kriegsflotte mit einer Stärke von 25 000 Mann und einer Gesamttonnage von 75 000 Tonnen; c. Luftstreitkräfte … mit 200 Jagd- und Aufklärungsflugzeugen sowie 150 Transport-, Seerettungs-, Übungsund Verbindungsflugzeugen, einschließlich der Reserveflugzeuge, mit einer Gesamtmannschaftsstärke von 20 000 Mann“ (vgl. AdG 21 [1951], S. 3102). Anlässlich der Überreichung der westalliierten Deutschlandnote vom 25. März 1952 (vgl. Fn. 5) erklärte Vyšinskij: „Deutschland darf bezüglich der Rüstung nicht schlechter behandelt werden als Japan im Vertrag von San Francisco, der von der Sowjetunion als illegal betrachtet wird.“ Vgl. AdG 22 (1952), S. 3405. 26  Die gleichlautenden Antwortnoten der Westmächte vom 25. März 1952, hier die amerikanische Note, begannen mit den Worten: „Die Regierung der Vereinigten Staaten hat die Note der Sowjetregierung vom 10. März, in der der Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland vorgeschlagen wurde, in Beratung mit den Regierungen Großbritanniens und Frankreichs auf das sorgfältigste erwogen. Die Regierungen der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Frankreichs haben ferner die Regierung der Bundesrepublik und Vertreter Berlins zu Rate gezogen.“ Vgl. AdG 22 (1952), S. 3404. 27  Die folgenden sowjetischen Deutschlandnoten des Jahres 1952 enthielten keine vergleichbare Formulierung zu einer Konsultation der DDR-Regierung. In seinem im Juni 1952 veröffentlichten Bericht „Der außenpolitische Apparat der Sowjetzone“ (vgl. Fn. 2) verwendete Rummler diese Situation als Beleg für seine zuvor ausgeführte These, das DDR-Außenministerium sei nicht „in der Lage, eine eigene Außenpolitik



Dokument 106: 18. April 1951527

In der Note ist die Rede von freien Wahlen in der Bundesrepublik, in der Ostzone und in Berlin.28 Diese Formulierung hat im Ostzonenaussenministerium, besonders bei Dertinger selbst, zu dem Gedankengang geführt, dass man doch eigentlich in jedem der beiden Deutschland getrennt Wahlen durchführen könnte. Dertinger ist der Ansicht, dass sich auf einem solchen Weg am ehesten eine Übergangsregierung bis zum Friedensvertrag bilden liesse. Dadurch würde sich zwar in der Ostzonenvolkskammer nach einer Neuwahl ein völlig verändertes Bild der Fraktionen ergeben, aber das System als solches würde nicht verändert, da die bürgerlichen Abgeordneten genauso linientreu wären, wie die der SED. Obwohl ich ihm diese absurde Idee auszureden versuchte, hat er auch in seinen Gesprächen mit Puschkin diesen Gedanken anklingen lassen und zumindest die Zusicherung einer wohlwollenden Prüfung dieses Vorschlags erhalten.29 Wichtig erschien Dertinger, dass die Westmächte in ihrer Note die Frage nach der internationalen Stellung einer gesamtdeutschen Regierung vor Abschluss eines Friedensvertrages stellen würden, da er sich selbst noch nicht völlig im klaren darüber ist, wie man sich eine solche Stellung denkt. Die Tatsache, dass die Westmächte in ihrer Note darauf hinwiesen, dass über das Territorium Deutschlands noch nichts Endgültiges in den Potsdamer Beschlüssen gesagt worden ist,30 wurde von der Ostzonenregierung erwartet. Es wäre meines Erachtens besser gewesen, wenn die Westmächte in ihrer betreiben zu können“, und malte sie wie folgt aus: „Als Dertinger nach der Veröffentlichung der Deutschlandnote der Westmächte vom 25. März 1952 den sowjetischen Botschafter Puschkin bat, auch sowjetischerseits künftig bei Deutschlandfragen das Außenministerium zu Rate zu ziehen und dies in den Noten zum Ausdruck zu bringen, fragte ihn Puschkin offensichtlich erstaunt: ‚Wozu?‘ – Allein diese Antwort ist so bezeichnend, daß jeder weitere Kommentar zur Frage der Selbständigkeit sowjetzonaler Außenpolitik überflüssig wird.“ Vgl. SBZ-Archiv. Dokumente – Berichte – Kommentare zu gesamtdeutschen Fragen Nr. 12, 20. Juni 1952, S. 183–184, hier S. 183. 28  In ihren gleichlautenden Antwortnoten auf die sowjetische Note vom 10. März 1952 hatten die Regierungen der Westmächte am 25. März unter Punkt 2 erklärt: „Der Abschluß eines derartigen Friedensvertrages macht, wie die Sowjetregierung selbst anerkennt, die Bildung einer gesamtdeutschen Regierung erforderlich, die den Willen des deutschen Volkes zum Ausdruck bringt. Eine derartige Regierung kann nur auf der Grundlage freier Wahlen in der Bundesrepublik, der sowjetischen Besatzungszone und Berlins geschaffen werden.“ Vgl. AdG 22 (1952), S. 3404. 29  Eine Prüfung dieses Vorschlags durch Puškin konnte nicht belegt werden. 30  In den Noten der Westmächte vom 25. März 1952, hier der amerikanischen Note, hieß es zu dieser Frage unter Punkt 5: „So stellt die amerikanische Regierung fest, daß die sowjetische Regierung erklärt, das deutsche Hoheitsgebiet werde durch die Grenzen bestimmt, die durch die Entscheidungen der Potsdamer Konferenz festgelegt wurden. Die amerikanische Regierung möchte daran erinnern, daß in Wirklichkeit keine endgültigen deutschen Grenzen in den Entscheidungen festgelegt wurden, die eindeutig vorsehen, daß die endgültige Entscheidung territorialer Fragen einer Friedensregelung vorbehalten bleiben muß.“ Vgl. AdG 22 (1952), S. 3404.

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Antwortnote vom 25. März, sich an den Wortlaut der sowjetischen Formulierung vom 10. März haltend, etwa folgend eingegangen wären: „Die Westmächte begrüssen die Tatsache, dass die sowjetische Regierung in ihrer Note vom 10. März die Frage des Territoriums Deutschlands auf der Grundlage der Beschlüsse der Potsdamer Konferenz bestimmen wollen, d. h. Festlegung der Grenze auf einer Friedenskonferenz.“ Durch eine solche oder ähnliche Formulierung wäre die in der westlichen Note enthaltene Anfrage vermieden worden und Moskau auf seine immer wieder zitierten Potsdamer Beschlüsse genagelt worden. Die in der westlichen Note vom 25. März erwähnte Bündnisfreiheit für Deutschland31 hat im Ostzonenaussenministerium zu einer ganzen Reihe von Mutmassungen Anlass gegeben. In der ersten sowjetischen Note war die Rede davon, dass keine Koalitionen eingegangen werden sollen, die sich gegen32 einen Staat richten,33 d. h. dass man durchaus Bündnisse zur Verteidigung friedliebender Staaten, etwa Prag – Berlin, eingehen könne. Dertinger, der das genau wissen wollte, schrieb einen Artikel für die Tägliche Rundschau, der am 9. April erschien. Am Tage zuvor erschien Herr Wülcknitz34 im Auftrage des sowjetischen Chefredakteurs und teilte Dertinger verschiedene Änderungen seines Artikels mit. Die wichtigste dieser Änderungen war folgende: Dertinger hatte bei einer Analyse der westlichen Noten vom 25. März zur Frage der Bündnisfreiheit u. a. geschrieben: „Im Gegensatz zur westlichen Antwort geht aus der sowjetischen Note hervor, dass die Sowjetunion nicht daran denkt, Deutschland in ein östliches Bündnissystem einzugliedern oder das deutsche Potential für sich nutzbar zu machen. Das entspricht der konsequenten Friedenspolitik der Sowjetunion.“35

31  Unter Punkt 3 der Note der Westmächte vom 25. März 1952, hier der amerikanischen Note, hieß es: „Die Vorschläge der sowjetischen Regierung geben keinen Hinweis auf die internationale Stellung einer gesamtdeutschen Regierung vor dem Abschluß eines deutschen Friedensvertrages. Die amerikanische Regierung ist der Ansicht, daß es der gesamtdeutschen Regierung sowohl vor wie nach Abschluß eines Friedensvertrages freistehen sollte, Bündnisse einzugehen, die mit den Grundsätzen und Zielen der Vereinten Nationen in Einklang stehen.“ Vgl. AdG 22 (1952), S. 3404. 32  Dieses Wort ist im Original in Sperrstellung gedruckt. 33  Unter Punkt 7 der in der sowjetischen Note vom 10. März 1952 formulierten „Politische[n] Leitsätze“ heißt es: „Deutschland verpflichtet sich, keinerlei Koalitionen oder Militärbündnisse einzugehen, die sich gegen irgendeinen Staat richten, der mit seinen Streitkräften am Krieg gegen Deutschland teilgenommen hat.“ Vgl. DDS 1, S. 292. Adenauer sah darin die Neutralisierung Deutschlands, vgl. BT Stenographische Berichte, 204. Sitzung, 3. und 4. April 1952, S. 8758. 34  Karl Adalbert von Wülcknitz, im Dokument fälschlich „Wölknitz“. 35  Die in Rupieper, Stalin  – Nenni, S. 556–557 (vgl. Fn. 10) veröffentlichte amerikanische Übersetzung eines Berichtes von Rummler enthält eine inhaltlich ähnliche Passage über die Kürzung des Dertinger-Artikels durch von Wülcknitz.



Dokument 106: 18. April 1951529

Dieser ganze Absatz war vom Chefredakteur der Täglichen Rundschau herausgenommen worden. Nachdem dieser Besucher gegangen war, wies Dertinger auf diese Stelle und schaute mich vielsagend an. Zur Note der sowjetischen Regierung vom 9. April36 Die Veröffentlichung dieser Note erfolgte bereits nach meinem Weggang aus der Ostzone. Zweifellos liegt, wie bei der ersten Moskauer Note, das Schwergewicht auf der Frage des Friedensvertrages, während die westlichen Noten und die Bonner Bundestagsdebatte vom 3. April die Frage der Wahl mit Vorrang behandelte[n].37 Zwar spricht die sowjetische Note diesmal von der Durchführung freier gesamtdeutscher Wahlen, wobei Moskau aber auf jeden Fall den Pankower Wahlgesetzentwurf im Auge hat. Es müsste sich ferner in der Haltung Moskaus sehr viel geändert haben, wenn die Sowjetunion von ihrer – wie ich weiss festen – Absicht abgegangen sein sollte, Viermächtekontrolle nur mit Vetorecht durchzuführen. Bemerkenswert ist, dass Moskau auch am 9. April die Oder-Neisse nicht ausdrücklich erwähnt und auch nicht von der Saar spricht. Die Saarfrage38 ist zurzeit zweifellos ein sehr zweischneidiges Schwert der ganzen Moskauer Politik. Es wurde Dertinger von Puschkin immer wieder versichert, dass die Saar unbedingt als deutsches Territorium betrachtet wird, aber dass man im Hinblick auf die Gewinnung einer moskaufreundlichen Atmosphäre in Frankreich nicht ständig davon reden, aber ruhig immer daran denken könne.39 36  Vgl.

DDS 1, S. 293–297. den westlichen Antwortnoten vom 25. März 1952 in Bezug auf die Wahlfrage vgl. Fn. 28 zu diesem Dokument. In der Bundestagsdebatte vom 3. April sprach zunächst Wehner zum Antrag der Fraktion der SPD betr. Einheit Deutschlands. Von dem sowjetischen Friedensvertragsvorschlag ausgehend ging er in seinem Redebeitrag zunächst zu einer retrospektiven Betrachtung der vorangegangenen Diskussionen um die Wahlfrage und die Einsetzung einer UNO-Kommission über. Dabei schloss er sich der westlichen Forderung an, freie Wahlen und die Bildung einer Regierung müssten Friedensvertragsverhandlungen vorausgehen, kritisierte jedoch die aus seiner Sicht einseitige Festlegung auf die Einsetzung einer UNO-Kommission (vgl. Dok. 86, Fn. 2). Später kam er auf verschiedene Punkte eines möglichen Friedensvertrages zu sprechen, vor allem auf die Frage der Oder-Neiße-Linie. Vgl. BT Stenographische Berichte, 204. Sitzung, 3. April 1952, S. 8753–8758. Adenauer ging in seiner Antwort eher kurz auf die Wahlfrage ein, vgl. ebenda, S. 8759–8762. In der folgenden Debatte standen Fragen des Verhältnisses zu den Besatzungsmächten, der Verteidigung, Neutralität und Bündnisfreiheit sowie die Grenzfrage im Vordergrund, vgl. ebenda, S. 8764–8799. 38  Vgl. Dok. 18, Fn. 11. Zu Dertingers früheren Äußerungen zu dieser Frage vgl. Dok. 10, Fn. 6. 39  Diese Puškin zugeschriebene Äußerung konnte nicht belegt werden. 37  Zu

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Wenn es abschließend in der Moskauer Note vom 9. April heißt, dass Besprechungen über die Bildung einer gesamtdeutschen Regierung aufgenommen werden sollten, so muss darauf hingewiesen werden, dass Moskau für eine solche Regierung ganz bestimmt nicht SED-Leute, sondern linientreue Bürgerliche abstellen wird. PA AA, B 130, Bd. 6868A.

107. Schreiben des Leiters der Dritten Europäischen Abteilung Gribanov an Außenminister Vyšinskij Streng geheim

18. April 19521

An Gen. A.Ja. Vyšinskij Im Rahmen des Moskau-Aufenthaltes von Pieck, Grotewohl und Ulbricht Anfang April2 erfolgte als Ergebnis zweier Treffen mit ihnen im Zentralkomitee der VKP (b) die Annahme einiger Anordnungen des Ministerrates der UdSSR, um das gesamte System der sowjetischen Behörden in Deutschland zu konsolidieren und ihre Arbeit zu verbessern. So sollen laut Anordnung Nr. 1787-670ss vom 14. April in der sowjetischen Zone 140 Kommandanturen eingerichtet werden, die den Standortkommandanten unterstellt sind. Anordnung Nr. 1788-671ss vom 14.  April sieht eine Umstrukturierung des gesamten Sicherungs- und Überwachungssystems an der Demarkationslinie und andere Maßnahmen vor.3 Im Rahmen dieses Gesamtplanes zur Konsolidierung der sowjetischen Behörden in Deutschland und der Verbesserung ihrer Arbeit wurde auf Anweisung der Instanz4 auch der Entwurf einer Anordnung des Ministerrates 1  Original an Vyšinskij. Insgesamt wurden drei Exemplare angefertigt. Es ist kein Verteiler angegeben. Das Dokument erhielt am 18. April 1952 von der Dritten Europäischen Abteilung die Ausgangsnummer 835/3eo und im Sekretariat von Vyšinskij die Eingangsnummer 3347-v. 2  Vom 31. März bis zum 8. April 1952 hielten sich Pieck, Grotewohl, Ulbricht und Oelßner in Moskau auf. Sie führten am 1. April von 21:00 bis 23:10 Uhr ein Gespräch mit Stalin, Molotov, Malenkov, Bulganin, Mikojan und Semenov, vgl. LPS, S. 546. Ein zweites Treffen mit Stalin fand am 7. April von 22:05 bis 23:20 statt, vgl. Badstübner/Loth, S. 396. 3  Die Anordnungen Nr. 1787-670ss und 1788-671ss des Ministerrates der UdSSR vom 14. April 1952 sind im GA RF nicht deklassifiziert. Vgl. jedoch Piecks Notizen zu einer Besprechung mit Čujkov und Semenov vom Abend des gleichen Tages in Badstübner/Loth, S. 400–401. 4  „Instanz“ umschreibt die oberste Entscheidungsebene in der UdSSR, die zumeist identisch ist mit Stalin bzw. dem Politbüro des ZK der VKP (b).



Dokument 107: 18. April 1952531

der UdSSR über Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeit der Sowjetischen Kontrollkommission vorbereitet. Dieser Entwurf sieht eine Vergrößerung des Personalbestandes der SKK um 50 Mitarbeiter vor (zum gegenwärtigen Zeitpunkt arbeiten dort insgesamt 1 700 Mitarbeiter), die Einrichtung einer Abteilung für Staatsaufbau mit 30 Mitarbeitern und einer Abteilung für Landwirtschaft mit 20 Mitarbeitern; außerdem sollen Ressorts für zwei neue Stellvertreter des Vorsitzenden der SKK geschaffen werden: für Staatsaufbau und für Industrie. Ich meinerseits halte die oben aufgeführten Maßnahmen aus folgenden Erwägungen für sinnvoll: 1. Fragen des Staatsaufbaus in der DDR lagen bis zuletzt praktisch außerhalb der Kontrolle der SKK. Inzwischen jedoch gewinnen diese Fragen von Monat zu Monat mehr an Bedeutung. Besonders gilt hier zu berücksichtigen, dass die Führung der DDR nach der Moskaureise und den in der Instanz geführten Unterredungen die Notwendigkeit anerkannt hat, in greifbarer Zukunft eine grundlegende Reform des gesamten administrativ-territorialen Systems der DDR durchzuführen. Bis zum heutigen Tage hat sich in Deutschland das alte territoriale Verwaltungssystem gehalten, welches bereits im Feudalzeitalter eingeführt worden ist. Die Regierung der DDR beabsichtigt jetzt, die in der DDR bestehenden 5 Länder in 15 Bezirke umzugestalten, die Kreise in kleinere Verwaltungseinheiten aufzugliedern, in den großen Industriezentren neue Kreise zu schaffen, um die Arbeit des Staatsapparates zu verbessern und diesen den Volksmassen näherzubringen.5 5  Im Juli 1952 wurden die Landesbehörden aufgelöst, die DDR wurde in 14 Bezirke aufgeteilt. Für Berlin existierte ein eigener Magistrat. Die Vorbereitung der Länderauflösung begann unmittelbar nach der Moskaureise Piecks, Ulbrichts und Grotewohls (vgl. Fn. 2 zu diesem Dokument) und im Kontext des nun geplanten „Aufbaus des Sozialismus“. So beschloss das Politbüro am 11. April 1952 in einer ähnlichen Formulierung: „Zur Beseitigung der noch aus feudaler Zeit überlieferten Gliederung der Länder und Kreise und im Interesse einer besseren Anleitung und Kontrolle der unteren staatlichen Organe werden anstelle der fünf Länder etwa fünfzehn demokratische Gebietsorgane geschaffen, die großen Kreise in zwei oder mehrere Kreise aufgeteilt und die Grenzen der Gebiete und Kreise entsprechend der politischen, wirtschaftlichen, verkehrstechnischen und militärischen Zweckmäßigkeit festgelegt.“ (Vgl. Henning Mielke, Die Auflösung der Länder in der SBZ/DDR. Von der deutschen Selbstverwaltung zum sozialistisch-zentralistischen Einheitsstaat nach sowjetischem Modell 1945–1952, Stuttgart 1995, S. 70). Eine entsprechende Direktive aus der Sowjetunion ist nicht bekannt (vgl. ebenda), auch wenn die Formulierung Gribanovs eine dahingehende Äußerung Stalins nahezulegen scheint. Sofern die Initiative bei der SED lag, musste diese ihre Beschlüsse in jedem Fall eng mit der SKK abstimmen. Am 7. Mai 1952 notierte Pieck anlässlich seiner Besprechung mit Čujkov: „1) Einteilung der DDR keine Einwände …“ (vgl. Badstübner/Loth, S. 403). Die SKK reagierte darauf mit einem weiteren Strukturumbau. So schrieb Čujkov am 30. Juli an das Präsidium des Ministerrats der Sowjetunion: „In diesem Zusammenhang ist es dringend notwendig geworden, die Organisationsstruktur und das Stamm-

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Unter diesen Umständen ist es erforderlich, dass die SKK über eine Abteilung für Fragen des Staatsaufbaus verfügt, welche unter der Leitung des stellvertretenden Vorsitzenden der SKK für Fragen des Staatsaufbaus stehen wird. 2. Im Anschluss an die Moskaureise der Führung hat das ZK der SED die Durchführung eines ganzen Systems von Maßnahmen im Bereich der Landwirtschaft in die Wege geleitet: Umgestaltung der Arbeit in den MaschinenAusleih-Stationen (in der DDR gibt es 540 MAS), Verbesserung der Arbeit in den Vereinigungen der gegenseitigen Bauernhilfe, zu denen mehr als 600 Tausend bäuerliche Betriebe gehören, Erweiterung des Netzes von Kulturhäusern in den Dörfern, Ausbau der Lehranstalten zur Ausbildung von Agronomen usw.6 Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt hat sich die SKK wenig um die Lage auf dem Lande in der DDR gekümmert. Jetzt, nachdem die Instanz7 die Anweisung erteilt hat, den Fragen der Landwirtschaft der DDR mehr Aufmerkpersonal der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland in Übereinstimmung mit der neuen administrativen Gliederung in der DDR zu bringen: und zwar 14 Vertretungen für die Bezirke [das deutsche Wort „Bezirke“ ist in kyrillischer Schrift in Klammern angefügt] anstelle der bisherigen fünf Vertretungen in den Ländern und zwei Vertretungen in Städten. Die Dringlichkeit einer Entscheidung dieser Frage ergibt sich auch daraus, dass die Sowjetische Kontrollkommission in Deutschland im Zuge der Verwaltungsreform in der DDR eine größere Möglichkeit zur Hilfeleistung für die Regierung der DDR bei der Durchführung der Reform sowie bei der Auswahl und Positionierung der Verwaltungs- und Parteikader in den neu zu schaffenden Bezirken und Kreisen haben soll. Die Schaffung von 14 Vertretungen nach Bezirken erfordert eine Erhöhung der Personalstärke der SKK in Deutschland um 138 Personen. Als Personal der Vertretungen in den Bezirken sind 26 bis 32 Personen vorgesehen, je nach der Wirtschaft und der Bevölkerungszahl im Bezirk. Die Stärke des Stammpersonals in den bisherigen Vertretungen in den Ländern beträgt 52 Personen.“ Vgl. GA  RF, f.  R-5446, op.  86a, d.  857, Bl.  4–5. Im August wurden entsprechende Beschlüsse gefasst, die am 1. September in Kraft traten, vgl. SKK-Statut, S. 90. 6  Nach ihrer Rückkehr beschloss das SED-Politbüro am 15. April 1952 zunächst als Sondermaßnahmen für die Landwirtschaft die Einladung eines sowjetischen Instrukteurs an das ZK der SED und die Entsendung jeweils einer Delegation nach Polen und Ungarn „[z]um Studium der Erfahrungen bei der Schaffung von Produktionsgenossenschaften“ (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/207, TOP 5), am 13. Mai dann einen „Plan für die Entwicklung der Maschinen-Ausleih-Stationen“ sowie einen „Plan zur Ausbildung von Agronomen“ (vgl. ebenda, DY 30/IV 2/2/211, TOP 11, Anlagen 11 und 12) und am 3. Juni 1952 „Maßnahmen zur Förderung von Produktionsgenossenschaften in der Landwirtschaft“ (vgl. ebenda, DY 30/IV 2/2/214, TOP  6, Anlage 4). Am 30. September 1952 wurde in Moskau ein Protokoll über die Lieferungen von landwirtschaftlichen Maschinen u. a. Ausrüstungen im Wert von bis zu 27 Millionen Rubel unterzeichnet. Vgl. PA AA, MfAA V SOW 029-57, veröffentlicht in: BDU 1, S. 398–399. 7  Vgl. Fn. 4 zu diesem Dokument.



Dokument 108: 22. April 1952533

samkeit zu widmen, haben die Gen. Čujkov und Semenov beantragt, in der SKK eine Abteilung für Landwirtschaft (20 Mitarbeiter) einzurichten, was völlig begründet ist. Daher ist der von den Gen. Čujkov und Semenov präsentierte Entwurf einer Anordnung des Ministerrates über Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeit der Sowjetischen Kontrollkommission annehmbar. Was die Frage der im Entwurf für die Besetzung bestimmter Funktionen in der SKK vorgeschlagenen Personen betrifft, so haben die Gen. Čujkov und Semenov bereits mit Gen. Baranenkov verhandelt. Zwei der im Entwurf genannten Personen (Gen. Korbut, ausersehen als Leiter der Landwirtschafts­ abteilung,8 und Gen. Sitnin, ausersehen als Leiter der Finanzabteilung) haben vorher in Deutschland im System der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) gewirkt und kennen die Arbeitsbedingungen in der DDR gut. Entwurf des Beschlusses liegt bei. Ich bitte um Prüfung.9

M. Gribanov

AVP RF, f. 07, op. 27, p. 42, d. 162, Bl. 2–4.

108. Schreiben des Sekretärs des ZK der VKP (b) Ponomarenko und des Außenministers Vyšinskij an den stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrats Molotov Streng geheim 

Moskau, 22. April 19521

An Gen. V.M. Molotov In der Anlage übersenden wir Ihnen zur Überprüfung den konkretisierten Entwurf der Anordnung des Ministerrates der UdSSR zu Maßnahmen, mit denen die Arbeit der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland verbessert werden soll.

8  Zum Leiter der Abteilung für Landwirtschaft wurde nicht L.A. Korbut, sondern A.D. Stupov ernannt, vgl. Dok. 108. 9  Vgl. den nachfolgend „konkretisierten“ Entwurf in Dok. 108. 1  Original an Molotov. Anzahl der Kopien und Verteiler sind nicht bekannt. Das Dokument erhielt am 22. April 1952 die Ausgangsnummer 267-VK.

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Wir bitten um Prüfung.2

i. A.3 P. Ponomarenko

A. Vyšinskij4

Anlage Entwurf, Streng geheim Ministerrat der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Anordnung Nr. _____ vom ____ April 1952

Moskau, Kreml

Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeit der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland Der Ministerrat der UdSSR ordnet an: 1.  In Abänderung der Anordnung des Ministerrates der UdSSR Nr. 84-38s vom 10. Januar 19515 sind im Stellenplan der Sowjetischen Kontrollkommis2  Vgl. die annähernd gleichlautende Anordnung des Ministerrates der UdSSR Nr. 1998-765ss vom 24. April 1952 (GA RF, f. R-5446, op. 106 sč, d. 741, Bl. 263– 264), in der jedoch abweichend unter Punkt 3. c) zum stellvertretenden Vorsitzenden der SKK für Wirtschaftsfragen nicht P.S. Ivanov, sondern A.F. Maširin ernannt wird (der entsprechend auch unter Punkt 5. anstelle von Ivanov genannt ist). 3  Handschriftlich hinzugefügt. 4  Handschriftlich. 5  In der Anordnung Nr. 84-38s vom 10. Januar 1951 („Über die Struktur der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland“) hatte es geheißen: „1. In Abänderung der Anordnung des Ministerrats der UdSSR vom 5.  November 1949 Nr. 5159-1967 wird folgende Struktur der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland bestätigt: 1. Personal der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland: Vorsitzender der Kommission; erster stellvertretender Vorsitzender; politischer Berater beim Vorsitzenden; stellvertretender Vorsitzender für Wirtschaftsfragen; stellvertretender Vorsitzender für Angelegenheiten der sowjetischen Aktiengesellschaften in Deutschland; stellvertretender Vorsitzender für die Inspektion der SKK. 2. Die Sowjetische Kontrollkommission hat folgende Organisationsstruktur: Verwaltung für Reparationen; Abteilung für administrative Fragen; Inspektion der SKK; Apparat des politischen Beraters; Abteilung für Wirtschaftsfragen; Abteilung für Finanzen; Abteilung für Industrie; Abteilung für Verkehr und Fernmeldewesen; Abteilung für Information; Politische Abteilung; Sekretariat der SKK; administrativ-wirtschaftliche Abteilung; Kaderabteilung; Redaktion und Verlag der Zeitung Tägliche Rundschau; Redaktion der Zeitung Sovetskoe Slovo [Das sowjetische Wort]. 3. In den Ländern und Großstädten hat die Sowjetische Kontrollkommission in Deutschland folgende Vertretungen: Vertretung der SKK im Land Mecklenburg; Vertretung der SKK im Land Sachsen; Vertretung der SKK im Land Sachsen-Anhalt; Vertretung der SKK im Land Thüringen; Vertretung der SKK in der Stadt Berlin; Vertretung der SKK in der Stadt Leipzig; Vertretung der SKK in der Stadt Rostock. 4. Serviceeinrichtungen: Lager Nr. 226 (für Repatrianten); Wohnungsbetriebsabteilung; Kindergarten, Kinderkrippe.



Dokument 108: 22. April 1952535

sion in Deutschland folgende Posten zusätzlich einzurichten: stellvertretender Vorsitzender der Sowjetischen Kontrollkommission für Fragen des Staatsaufbaus und stellvertretender Vorsitzender der Sowjetischen Kontrollkommission für Industrie. 2.  In der Sowjetischen Kontrollkommission sind eine Abteilung für Staatsaufbau mit 30 Mitarbeitern und eine Abteilung für Landwirtschaft mit 20 Mitarbeitern einzurichten. 3. Ernennungen a)  zum stellvertretenden Vorsitzenden der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland sowie zum Leiter der Abteilung für Staatsaufbau wird Gen. A.M. Petrov ernannt, der von seinem Posten als Vorsitzender des Exekutivkomitees des Gebiets Astrachan entbunden wurde;6 b)  zum stellvertretenden Vorsitzenden der Sowjetischen Kontrollkommission sowie zum Leiter der Abteilung für Industrie wird Gen. M.I. Perelivčenko ernannt; c)  zum stellvertretenden Vorsitzenden der Sowjetischen Kontrollkommission für Wirtschaftsfragen wird Gen. P.S. Ivanov ernannt, nachdem Gen. G.S. Bykov von diesem Posten entbunden und zum Staatlichen Plankomitee der UdSSR abkommandiert wurde; d) zum Leiter der Abteilung für Landwirtschaft wird Gen. A.D. Stupov ernannt; e)  zum Leiter der Abteilung für Finanzen wird Gen. V.K. Sitnin ernannt; f) zum Leiter der Informationsabteilung wird Gen. A.L. Orlov ernannt, der von seiner Arbeit im Apparat der VKP (b) entbunden wurde; g) zum Leiter der Abteilung für gesamtdeutsche Information wird Gen. M.M. Kijatkin ernannt, der von seinem Posten als Leiter der Informationsabteilung der Sowjetischen Kontrollkommission entbunden wurde. 4.  Gen. V.I. Čujkov wird beauftragt, für die Abteilung für Staatsaufbau und die Abteilung für Landwirtschaft in der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland binnen Monatsfrist einen Stellenplan auszuarbeiten, der von der Staatlichen Planstellenkommission beim Ministerrat der UdSSR (Gen. M.G. Kuzin) zu überprüfen und zu genehmigen ist. 2. Entsprechend Punkt 1 dieser Anordnung des Ministerrats der UdSSR werden: a) die Funktionen der stellvertretenden Vorsitzenden der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland für Industrie und für Verwaltungsangelegenheiten abgeschafft; b) folgende Einrichtungen der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland aufgelöst: Geschäftsführung, Abteilung für Materialbilanzen und Außenhandel, Abteilung für Kontrolle der Wissenschafts- und Forschungstätigkeit; Vertretungen der SKK in den Städten: Chemnitz, Magdeburg, Brandenburg, Dessau, Zwickau, Erfurt, Bitterfeld, Wismar, Frankfurt an der Oder, Cottbus, Eisleben und Merseburg; Militärpoststation.“ Vgl. GA RF, f. R-5446, op. 106 sč, d. 565, Bl. 74–75. 6  Diese Besetzung entsprach nicht dem Vorschlag von Čujkov und Semenov, vgl. SKK-Statut, S. 86.

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5.  Die derzeit den Genossen A.M. Petrov, M.I. Perelivčenko, P.S. Ivanov, A.D. Stupov und A.L. Orlov gewährten Versorgungsbezüge und materiellen Vergünstigungen bleiben in Kraft. AVP RF, f. 07, op. 27, p. 42, d. 162, Bl. 13–15.

109. Schreiben von Außenminister Vyšinskij und Finanzminister Zverev an den Vorsitzenden des Ministerrats Stalin Streng geheim

Moskau, 23. April 19521

An Gen. I.V. Stalin Die Notenbank der DDR führt Korrespondenzkonten in drei amerikanischen Banken über die Gesamtsumme von 1 555 000 Dollar. Am 11. März ließ das Finanzministerium der USA mit dem Argument, die Deutsche Notenbank wickele angeblich über die USA finanzielle Transaktionen zugunsten der Volksrepublik China ab, diese Konten sperren.2 In diesem Zusammenhang forderte die Federal Reserve Bank der USA die Deutsche Notenbank auf, zu allen Bankgeschäften, die seit Dezember 1950 (das heißt, ab dem Zeitpunkt der Verordnung des Finanzministeriums der USA über die Sperrung der chinesischen und nordkoreanischen Guthaben3) bis heute getätigt worden sind, ausführliche Angaben vorzulegen. 1  Kopie. Es wurden insgesamt drei Exemplare angefertigt. Zwei gingen an Vyšinskij, eines in die Akten. Das Dokument erhielt am 23.  April die Registratur­ nummer am-3. Am Kopf des Dokuments vermerkte Gribanov: „Abgeschickt am 23. April“. 2  Die New York Herald Tribune meldete am 17. März auf S. 3 unter der Überschrift „3 Alien Banks’ Dollar Funds Frozen by U. S.“ die Sperrung der Dollarguthaben der Deutschen Notenbank der DDR sowie einer Schweizer und einer niederländischen Bank durch das amerikanische Finanzministerium aufgrund deren finanzieller Transaktionen mit der Volksrepublik China (vgl. AAPD [1952], S. 471–473, hier S. 472 und Anm. 5 dazu). Zuvor hatten die USA seit dem Sieg der Kommunisten im Chinesischen Bürgerkrieg und verstärkt seit Beginn des Koreakrieges auf Grundlage des Export Control Act of 1949 vom 28. Februar 1949 (vgl. Lambers, Das OstEmbargo, S. 7–9) und, seit Anfang 1952, des Mutual Defense Assistance Control Act of 1951 (des sogenannten „Battle Act“, vgl. ebenda, S. 16–19) die Handelsbeziehungen mit China bis auf ein Minimum eingeschränkt und das Embargo auch international weitgehend durchgesetzt. Rechtsgrundlage für die Sperre der Guthaben war das Gesetz zu Foreign Assets Control Regulations vom 17. Dezember 1950, vgl. Fn. 3. 3  Gemeint waren die durch das Finanzministerium der USA verordneten Foreign Assets Control Regulations vom 17. Dezember 1950, vgl. Lambers, Das OstEmbargo, S. 9; vgl. dazu auch FRUS 1951 VII, S. 1888–1889.



Dokument 109: 23. April 1952537

Auf Anweisung der Regierung der DDR erhob die Deutsche Notenbank Einspruch sowohl gegenüber den amerikanischen Banken, bei denen die Konten gesperrt wurden, als auch gegenüber der Federal Reserve Bank der USA.4 Außerdem wurde Vertretern der amerikanischen Firmen, welche die DDR mit Waren beliefern, mitgeteilt, dass die nicht bezahlten Lieferungen in die DDR nur dann abgerechnet werden können, wenn die Konten der Deutschen Notenbank entsperrt werden. Gleichzeitig wurden auf Beschluss der Regierung der DDR weitere Warenlieferungen aus der DDR in die USA vorläufig eingestellt.5 Der Botschafter der UdSSR in den USA, Gen. Panjuškin, und die Sowjetische Kontrollkommission in Deutschland (die Gen. Čujkov und Semenov) sind der Auffassung, es sei angebracht, im Namen der SKK gegenüber den Vertretern des amerikanischen Staates in Deutschland Protest einzulegen und darauf zu bestehen, dass die Sperrungsverfügung für die Konten der Deutschen Notenbank bei den amerikanischen Banken aufgehoben wird.6 4  In einem Schreiben an das Büro für Außenhandel der SKK vom 17. Februar 1953 betr. „Maßnahmen zur Freigabe der bei amerikanischen Banken blockierten Guthaben in US-$“ beschrieb der Leiter der HA Finanzen und Valuta des Ministeriums für Außenhandel und Innerdeutschen Handel Renneisen diesen Vorgang wie folgt: „Nach Erhalt der ersten Mitteilung über die mit Wirkung vom 10.3.1952 durch das amerikanische Schatzamt gesperrten Konten in US-$ hat die Deutsche Notenbank einen offiziellen Protest an die Federal Reserve Bank of New York am 4.4.1952 erhoben.“ Darauf sei eine Einladung der Federal Reserve Bank erfolgt, im Hinblick auf das Gesetz über die Kontrolle ausländischer Bankguthaben (vgl. Fn. 3) nachzuweisen, dass keine Geschäfte mit China oder Nordkorea erfolgt seien. „Nach der in der Presse veröffentlichten vorausgegangenen Erklärung der Pressestelle des MAI [vgl. Neues Deutschland, 16.  März 1952, S. 1] konnte eine solche ‚Diskussion‘ von der Deutschen Notenbank nicht angenommen werden.“ Es werde „unter Anwendung legaler Mittel“ schwierig sein, die Guthaben freizubekommen, „weil sehr wahrscheinlich über ungetreue Angestellte der exportierenden und importierenden nicht staatlichen Gesellschaften Mitteilungen über Westberlin in die USA gelangt seien“. Vgl. BAB, DL  2/3780, Bl. 26–28. Am 11.  Oktober 1952 hatte das Ministerium Semenov darüberhinaus um seinen „Rat“ in Bezug auf mögliche „Gegenmaßnahmen“ in Form einer Beschlagnahmung US-amerikanischen Vermögens in der DDR gebeten, vgl. ebenda, Bl. 44. 5  Ein Beschluss des Ministerrats der DDR zur Einstellung der Warenlieferungen aus der DDR in die USA konnte für das Frühjahr 1952 nicht ermittelt werden. 6  Am 23.  Mai 1952 richtete Čujkov folgendes Schreiben an seinen amerikanischen Amtskollegen McCloy: „Der Sowjetischen Kontrollkommission wurde bekannt, daß am 11. März d. J. auf Anweisung des Ministeriums für Finanzen der USA die Verrechnungskonten der Deutschen Emissionsbank bei den amerikanischen Banken ‚New York City Bank‘, ‚Mantrust New York‘ und ‚Chase National Bank‘ widerrechtlich gesperrt wurden. Die erwähnten Maßnahmen der amerikanischen Behörden stellen eine grobe Verletzung der elementaren völkerrechtlichen Regeln für die gegenseitigen Bankbeziehungen dar und verursachen der Deutschen Demokratischen Republik einen materiellen Schaden. Die Sowjetische Kontrollkommission protestiert gegen

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Das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR und das Ministerium für Finanzen der UdSSR befürworten diesen Vorschlag. Obgleich diese Aktion voraussichtlich zu keinen realen Ergebnissen führen wird, so könnte dennoch ein solcher Schritt für uns bei den Forderungen der US-Regierung hinsichtlich des auf dem Territorium der DDR befindlichen Eigentums amerikanischer Bürger von Nutzen sein. Der Entwurf einer Anordnung des ZK der VKP (b) liegt bei. Wir bitten um Prüfung.7 (A. Vyšinskij)

(A. Zverev)

Anlage: Entwurf, Streng geheim Anordnung des ZK der VKP (b) Einspruch der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland gegenüber dem Hohen Kommissar der USA in Westdeutschland im Zusammenhang mit der Sperrung der Konten der Deutschen Notenbank in den USA 1.  Der durch das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR und das Ministerium für Finanzen der UdSSR vorgestellte Entwurf des Schreibens von Gen. Čujkov an den Hohen Kommissar der USA in Westdeutschland, McCloy, im Zusammenhang mit der Sperrung der Konten der Deutschen Notenbank in den USA (siehe Anlage8) ist zu genehmigen. 2.  Das Schreiben des Genossen Čujkov ist in der deutschen Presse zu veröffentlichen.9 AVP RF, f. 07, op. 25, p. 14, d. 154, Bl. 7–9.

derartige Willkürakte der amerikanischen Behörden und erwartet, daß der Hohe Kommissar der USA von seiner Seite aus die erforderlichen Maßnahmen ergreift, die zu einer Aufhebung der oben erwähnten rechtswidrigen Anweisung des Ministeriums für Finanzen der USA über die Sperrung der Konten der Deutschen Emissionsbank führen. Die Sowjetische Kontrollkommission hofft in möglichst kurzer Frist eine Antwort zu erhalten.“ Vgl. BDU 1, S. 365–366. 7  Ein Beschluss zu dieser Frage konnte nicht ermittelt werden. Sie stand in der Folgezeit nicht auf der Tagesordnung des Politbüros des ZK der VKP (b). 8  Die Anlage (AVP RF, f. 07, op. 25, p. 14, d. 154, Bl. 10) entspricht wortgleich dem Schreiben von Čujkov (vgl. Fn. 6). 9  Das Schreiben von Čujkov wurde in der Folgezeit weder im Neuen Deutschland noch in der Täglichen Rundschau veröffentlicht.



Dokument 110: 24. April 1952539

110. Schreiben des stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht an den stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrats Malenkov 

Berlin-Ost, 24. April 19521

An das Zentralkomitee der Kommunistischen Allunions-Partei (Bolschewiki) zu Händen Gen. G.M. Malenkov Sehr geehrter Genosse Malenkov! Das Politbüro des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands bittet das Zentralkomitee der Kommunistischen AllunionsPartei (Bolschewiki) um die Erlaubnis, auch in diesem Jahr zweihundert deutsche Studenten zum Studium in Hochschulen der Sowjetunion zu entsenden.2 1  Kopie der Übersetzung ins Russische ohne Registraturnummer und ohne Angabe weiterer Empfänger. 2  Die Frage der Entsendung von DDR-Studenten in die UdSSR war am 8. April 1952 im SED-Politbüro behandelt worden (BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/205, TOP 15). Am 12. Mai 1952 wurde zu dieser Frage eine Regierungsvereinbarung geschlossen, dort wurde geregelt: „… Die Anzahl der Studenten und Aspiranten, die zur Ausbildung zugelassen werden, sowie die Lehrfächer, in denen sie ausgebildet werden sollen, werden durch Vereinbarung zwischen dem Staatssekretariat für Hochschulwesen der Deutschen Demokratischen Republik und dem Ministerium für Hochschulbildung der UdSSR spätestens vier Monate vor Beginn des Studienjahres festgelegt. Das Staatssekretariat für Hochschulwesen der Deutschen Demokratischen Republik legt dem Ministerium für Hochschulbildung der UdSSR spätestens zwei Monate vor Beginn des Studienjahres die namentlichen Listen der Bürger der Deutschen Demokratischen Republik vor, die für das Studium an höheren zivilen Lehranstalten der UdSSR vorgesehen sind …“ (Artikel 1.) „… Für Personen, die auf Grund des vorliegenden Abkommens zu den höheren zivilen Lehranstalten zugelassen sind, gelten alle Bestimmungen, die für die Studenten und Aspiranten der entsprechenden Lehranstalten der UdSSR festgelegt sind …“ (Artikel 3.) „Die Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken trägt die Ausgaben, die mit dem Unterhalt und der Ausbildung der Bürger der Deutschen Demokratischen Republik an höheren Lehranstalten der UdSSR verbunden sind. Diese Ausgaben umfassen: a) Auszahlung eines monatlichen Stipendiums von 500,– Rubel für jeden Studenten; b) Auszahlung eines monatlichen Stipendiums von 900,– Rubel für jeden Aspiranten; c) Bezahlung des Gehaltes für Professoren und Lehrer, Ausgaben für Lehrmittel, wirtschaftliche und kommunale Zwecke sowie für die Fahrtkosten der Studenten und Aspiranten zum Studienplatz.“ (Artikel 5.) „Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik erstattet der Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken 50 Prozent der in Artikel 5 des vorliegenden Abkommens aufgeführten Ausgaben zurück.“ (Artikel 6.) Vgl. BDU  1, S. 360–363. Zur erstmaligen Behandlung dieser Frage vgl. Dok. 82, Fn. 10 und 11.

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Wir übersenden Ihnen in der Anlage eine Auflistung mit Vorschlägen zur Verteilung dieser Studenten auf verschiedene wissenschaftliche Bereiche.

Mit freundschaftlichem Gruß W. Ulbricht

Anlage Verteilung der Studenten auf verschiedene wissenschaftliche Bereiche Medizin Augenkrankheiten 2 Kinderkrankheiten 2 Neurologie 3 Physiologie 2 Chirurgie 4 Physiologische Chemie 2 Veterinärmedizin Physiologie 4 Mikrobiologie 4 Parasitologie 2 Naturwissenschaften Angewandte Mathematik 4 Tierphysiologie 2 Pflanzenphysiologie 2 Systematische Zoologie 2 Systematische Botanik 2 Zytologie 3 Evolutionslehre (einschließlich 4 kreativer Darwinismus) Atomkernphysik 3 Festkörperphysik 3 Biochemie 2 Anorganische Chemie 2 Organische Chemie 4 Physikalische Chemie 2 Allgemeine Geologie 4 Technik und Bergbau Eisenhüttenkunde 6 Gießereikunde 5 Bergbaukunde 5



Dokument 110: 24. April 1952541

Aufbereitungs- und Markscheidekunde 4 Hochfrequenztechnik 2 Aerodynamik 5 Hydrodynamik 5 Automobilbau 4 Werkzeugmaschinenbau 4 Schwermaschinenbau 5 Bauwesen 2 Hochbau 2 Motorenbau 2 Architektur 4 Schiffbau 5 Landwirtschaft Tierproduktion 2 Pflanzen- und Früchteproduktion 3 Landmaschinenbau 4 Forstwirtschaft 1 Philosophie Dialektischer und historischer Materialismus 4 Logik 2 Geschichte der Philosophie 2 Psychologie 2 Geschichte Geschichte der Völker der UdSSR Allgemeine Geschichte der Urgesellschaft Allgemeine Geschichte der Sklavenhalter- gesellschaft Allgemeine Geschichte des Feudalismus Allgemeine Geschichte des Kapitalismus

2 1 1 1 3

Slawistik Slawische Sprachen 4 Literaturwissenschaft 4 Rechtswissenschaft Staats- und Rechtstheorie 2 Staats- und Rechtsgeschichte 2 Völkerrecht 4 Wirtschaftswissenschaften Planung 3 Arbeitsökonomik 3

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Außenhandel 4 Finanzwesen 3 Pädagogik System der Pädagogik Praktische Pädagogik Geschichte der Pädagogik

2 2 1

Kunst Kunstgeschichte 1 Musikgeschichte 1 Theaterwissenschaft 1 Filmregie 2 Filmdramaturgie 3 Bildhauerei 1 Tanz 1 Körpererziehung und Sport Leibeserzieher für Sportverbände Trainer (Gymnastik, Schwimmen, Leichtathletik) Gesamt:

1 3 200 Personen.

AVP RF, f. 0457a, op. 13, p. 66, d. 1, Bl. 37–40.

111. Unterredung zwischen dem Politischen Berater Semenov und dem Minister für Staatssicherheit Zaisser Streng geheim

Berlin-Ost, 29. Mai 19521

Aus dem Tagebuch2 von V.S. Semenov Am 15. Mai empfing ich den Minister für Staatssicherheit der DDR W. Zaisser. Im Verlauf der Unterredung teilte Zaisser mit, dass das Politbüro des ZK der SED am 13. Mai Maßnahmen im Zusammenhang mit der Einführung eines Grenzregimes erörtert und beschlossen habe, eine Regierungskommis1  Hauptadressat des Dokuments war Čujkov. Kopien gingen an Semičastnov, Vyšinskij und in die Akten. Das Dokument erhielt am 29. Mai 1952 die Ausgangsummer AP/00219. Es wurden insgesamt vier Exemplare angefertigt. Am Schluss des Dokuments wurde am 29. Mai 1952 vermerkt, dass der Entwurf (5 Blatt) vernichtet wurde. Unter dem hier vorliegenden, von Semenov unterzeichneten 4. Exemplar für die Akten ist nachträglich maschinenschriftlich ergänzt: „Anlage auf 13 Blatt“. 2  „Tagebuch“ ist ein aus der russischen Kanzleisprache übernommener Begriff des Auswärtigen Dienstes der UdSSR für Gesprächsaufzeichnungen.



Dokument 111: 29. Mai 1952543

sion unter dem Vorsitz Zaissers zur Durchführung von Maßnahmen zur Errichtung eines Grenzregimes an den Grenzen der DDR zu den Westzonen Deutschlands zu bilden.3 Die Regierungskommission habe schon ihre Arbeit aufgenommen. Die Regierungskommission habe Unterkommissionen für Wirtschafts-, Verwaltungs- und andere Fragen gebildet. In den grenznahen Kreisen sollen außerdem spezielle lokale Kommissionen aus drei Mitgliedern gebildet werden, die sich mit Angelegenheiten der Einsatzgebiete der Grenzbereitschaften4 befassen. Zaisser sagte des Weiteren, man halte den von uns übergebenen Entwurf einer Regierungsverordnung über die Einführung eines besonderen Regimes im Grenzstreifen sowie den Entwurf einer Verhaltensinstruktion für die ­Bevölkerung im Grenzstreifen für akzeptabel.5 Es müssten nur noch einige Präzisierungen des Wortlauts vorgenommen werden. Zaisser hält es für 3  Am 13. Mai 1952 hatte das Politbüro des ZK der SED auf Weisung der SKK (vgl. Fn. 5 zu diesem Dokument) den Ministerpräsidenten Grotewohl damit beauftragt, eine besondere Regierungskommission zur Durchführung von „Maßnahmen zur Errichtung eines besonderen Regimes an der Demarkationslinie zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und Westdeutschland und im Küstengebiet“ einzusetzen. Ihr gehörten an: Willy Zaisser (Vorsitzender), Anton Plenikowski, Hans Warnke, Bruno Leuschner, Kurt Siegmund, Werner Eggerath, Hermann Gartmann und Richard Smolorz. Zu den Aufgaben der Kommission gehörten: „a) Festlegung der territorialen Punkte, b) Prüfung und Regelung der Eigentumsfragen, insbesondere der landwirtschaftlichen Nutzflächen, c) Regelung der Energieversorgung, der industriellen und gewerblichen Betriebe, des Verkehrs, des Post- und Fernmeldewesens, d) Überprüfung der örtlichen Organe des Staates und der Wirtschaft … Ausarbeitung … besonderer Stellenpläne bei Verstärkung der Leitungen durch zuverlässige, erfahrene und politisch klare Kräfte. f) Aufklärung der Bevölkerung …“ Der Beschluss enthielt außerdem die folgenden Punkte: „8) Es sind unmittelbare Maßnahmen zur Überprüfung der Parteikader und ihrer Tätigkeit in den bezeichneten Gebieten durchzuführen … 10) Die Genossen im Ministerium für Landwirtschaft werden beauftragt, sofort einen Plan für die Umsiedlung der landwirtschaftlichen Betriebe auszuarbeiten …“ Vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/211, TOP 4, Anlage 7. Dem war ein Beschluss des Ministerrats der UdSSR vom 14. April 1952 vorausgegangen, vgl. Dok. 107 und dort Fn. 3. Zur Tätigkeit der Kommission vgl. Dok. 115 und dort Fn. 5 und 6, zum Regierungsbeschluss über „Maßnahmen an der Demarkationslinie“ vom 26. Mai 1952 vgl. Dok. 117, Fn. 22. 4  Das deutsche Wort „Bereitschaften“ ist in kyrillischer Schrift in Klammern hinter die russische Übersetzung gesetzt. 5  Von der SKK übergebene Entwürfe einer Regierungsverordnung und einer Verhaltensinstruktion konnten nicht nachgewiesen werden. Die in einer Aktennotiz überlieferten Weisungen der SKK an das ZK der SED für ein neues Regime an der Demarkationslinie finden sich größtenteils bereits in den am 13. Mai 1952 im Politbüro beschlossenen „Maßnahmen zur Errichtung eines besonderen Regimes an der Demarkationslinie zwischen der DDR und Westdeutschland und im Küstengebiet“ wieder, vgl. Fn. 3 zu diesem Dokument sowie Bennewitz/Potratz, Zwangsaussiedlungen, S. 224–230. Zu der in den Sitzungsprotokollen des Ministerrats der DDR überlieferten (späteren) Entwurfsfassung für die Regierungsverordnung vgl. Fn. 6.

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zweckmäßig, im Entwurf der Regierungsverordnung die Fassung von Punkt 2 des Beschlussteils zu ändern, in dem es heißt: „Die Grenzbehörden der DDR werden beauftragt, eine Instruktion über das in der Sperrzone zu errichtende Regime zu erarbeiten und einzuführen“.6 Zaisser erklärte, es sei nicht ganz günstig, in die Regierungsverordnung einen Auftrag an die Grenzbehörden hineinzuschreiben. Richtiger wäre es, einen solchen Auftrag dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR zu erteilen, zumal in der Verordnung vom Kampf gegen Diversanten, Spione u. ä. die Rede sei. Dabei merkte Zaisser an, dass die Erwähnung des MfS der DDR natürlich in Westdeutschland großes Geschrei verursachen werde. Es wäre aber nicht richtig, das Innenministerium damit zu beauftragen, da die Grenzpolizei dem MfS der DDR unterstellt sei.7 In der Instruktion für die Bevölkerung des Grenzstreifens ist nach Zaissers Meinung die wichtige Frage der Regelung des Zugangs zur Fünf-Kilometer-Sperrzone für Bürger der DDR, die in dieser Zone arbeiten, aber außerhalb davon wohnen, nicht berücksichtigt. Für diese Personen schlägt Zaisser vor, eine Regelung zu treffen analog derjenigen, die für die im 500-Meter-Streifen arbeitenden Bewohner des Fünf-Kilometer-Streifens vorgesehen ist. Es sei wichtig, solche Personen zu verpflichten, sich bei der Polizei registrieren zu lassen, die diesen Bürgern dann provisorische (z. B. monatliche) Passierscheine ausstellen könnte.

6  Die Entwurfsfassung der am 26.  Mai 1952 beschlossenen Regierungsverordnung (vgl. Dok. 117, Fn. 22) enthielt einen dort durchgestrichenen Beschlussteil in drei Punkten über die Errichtung einer 5 km breiten Sperrzone, „in der eine besondere Ordnung eingeführt wird“. Punkt 2 dieses Beschlussteils (der in der offiziellen Verordnung nicht enthalten war, jedoch umgesetzt wurde) lautete in dieser Fassung: „Die zur Durchführung dieser besonderen Ordnung erforderlichen Polizei-Verordnungen, Bestimmungen und Anweisungen, erlässt das Ministerium für Staatssicherheit.“ Vgl. BAB, DC-I/3/109, Materialien zur 84. a.o. Sitzung der Regierung der DDR, Bl. 83–85, hier Bl. 84. In einem offiziellen Beschlussteil dieser Verordnung hieß es dann allgemeiner unter § 1: „Das Ministerium für Staatssicherheit wird beauftragt, unverzüglich strenge Maßnahmen zu treffen für die Verstärkung der Bewachung der Demarkationslinie zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und den westlichen Besatzungszonen, um ein weiteres Eindringen von Diversanten, Spionen, Terroristen, und Schädlingen in das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik zu verhindern.“ Vgl. ebenda, Dokumente zur 84. a.o. Sitzung der Regierung der DDR, Bl. 78–79, hier Bl. 79. Zur Rolle Zaissers bei der Durchführung dieser Maßnahmen vgl. Dok. 115 und dort Fn. 5 und 6. 7  Die Grenzpolizei war am 12.  Mai 1952 (mit Wirkung vom 16.  Mai) aus dem Ministerium des Innern herausgelöst und dem MfS unterstellt worden, vgl. Monika Tantzscher, Hauptabteilung VI: Grenzkontrollen, Reise- und Touristenverkehr (Anatomie der Staatssicherheit. Geschichte, Struktur und Methoden – MfS-Handbuch), Berlin 2005, S. 43.



Dokument 111: 29. Mai 1952545

Später schickte Zaisser einen Entwurf der Anordnung mit den eingefügten Änderungen (s. Anlage Nr. 3)8. Außerdem legte Zaisser mir die folgenden praktischen Fragen vor: 1. Im Zusammenhang mit einem Ende Mai nach Leipzig einberufenen Jugendtreffen9 beabsichtige der Zentralrat der FDJ zwei- bis dreitausend Personen aus der Jugend Westdeutschlands einzuladen, die nur durch illegalen Grenzübertritt in die DDR gelangen können. Es sei vorgesehen, den Grenzübertritt ab dem 22. Mai zu organisieren. An Zaisser habe sich Honecker mit der Bitte gewandt,10 für die Jugendlichen irgendeine Regelung des Grenzübertritts festzulegen, um Unfälle und Ausschreitungen zu vermeiden. Zaisser stellte mir die Frage, wie man in dieser Sache dem Jugendverband entgegenkommen könnte. Dabei äußerte er Bedenken hinsichtlich der Möglichkeit, in Zukunft derartige Veranstaltungen zu planen, die mit einem massenhaften illegalen Grenzübertritt aus Westdeutschland in die DDR verbunden seien. 2.  Zaisser sagte, dass sich die Bevölkerung der inneren Kreise11 der DDR gemäß der vom Stab der GSVG12 erarbeiteten Instruktion für Passierscheine zur Einreise in die Sperrzone an die deutsche Polizei zu wenden habe, dass aber die Genehmigung zur Einreise in diese Zone ausschließlich vom sowjetischen Militärbefehlshaber ausgestellt werde. Zaisser hält eine solche Regelung für problematisch für die deutschen Behörden und schlägt vor, dass auf dem Passierschein zwei Unterschriften stehen sollen: die des sowjetischen Militärbefehlshabers sowie auch die des Chefs der deutschen Polizei. Anderenfalls werde bei der deutschen Bevölkerung der Eindruck entstehen, dass die deutschen Behörden in dieser Frage ignoriert werden. 3.  Zaisser bemerkte des Weiteren, dass es gemäß der Instruktion für die Bevölkerung des Grenzstreifens verboten sei, sich im 500-Meter-Streifen mit Einbruch der Dunkelheit auf der Straße aufzuhalten. Um der Bevölkerung die Instruktion zu erläutern, brauche es einige Zeit. Nun sei aber am 22. Mai „Himmelfahrt“, und die gesamte Bevölkerung werde auf der Straße sein. 8  Diese Anlage konnte nicht ausgewertet werden. Es ging darin um die Regelung eines „Zehn-Meter-Streifen[s] in unmittelbarer Nähe zur Demarkationslinie und um den folgenden 500-Meter-Schutzstreifen und die Fünf-Kilometer-Sperrzone“ sowie um die Regeln ihres Betretens und des Aufenthalts. Vgl. AVP  RF, f. 0457а, op. 12, p. 65, d. 3, Bl. 151–155. 9  Auf der Sitzung des Politbüros des ZK der SED vom 20. Mai 1952 erstattete Honecker „Bericht über die Vorbereitung des IV. Parlaments der FDJ“ (BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/212, TOP 5, Anlagen 4–5). Das Parlament tagte vom 27.–30. Mai 1952 in Leipzig; über den Verlauf wurde dem Politbüro nicht Bericht erstattet. 10  Eine solche Bitte Honeckers an Zaisser konnte nicht belegt werden. 11  So im Original. Gemeint war damit die gesamte DDR außerhalb des Grenzgebiets. 12  Abkürzung für „Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland“.

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Dadurch könnten Konflikte auftreten, was zu ungünstigen Reaktionen der Bevölkerung führen werde. Zaisser schlug vor, den Grenzbehörden eine gewisse Zeit zu lassen mit dem Ziel, diese Regelung nach und nach einzuführen. In diesem Falle könne sich die Bevölkerung im Laufe weniger Tage ohne unnötige Exzesse an die neue Lebensordnung gewöhnen. 4.  Zaisser bemerkte sodann, dass es bei der Grenzpolizei wegen der Notwendigkeit, sie von zweifelhaften Elementen zu säubern, zu einer Unterbesetzung von bis zu 8 000 Personen (einschließlich des Bedarfs für die Außengrenzen um Berlin) komme. Zaisser habe gegenüber Ulbricht die Frage sofortiger zusätzlicher Rekrutierungsmaßnahmen für die Grenzpolizei aufgeworfen. Ulbricht habe diesen Vorschlag abgelehnt unter Hinweis darauf, dass gegenwärtig eine Rekrutierung für die kasernierte Polizei Hoffmanns stattfinde, bis zu deren (der Rekrutierung) Abschluss irgendwelche derartigen Maßnahmen nicht in Frage kämen. Ulbricht habe vorgeschlagen, zur Bewachung Berlins 1 50013 Polizisten von Maron abzustellen. Zaisser allerdings hält diesen Vorschlag für nicht realistisch, da bei Maron ebenfalls ein großer Personalmangel zu spüren sei und dieser, wenn auf ihn Druck ausgeübt werde, die am wenigsten geeigneten Leute abstellen werde. Zaisser hält die Überlegung Ulbrichts zur Notwendigkeit, die Rekrutierung für die Polizei Hoffmanns abzuschließen, für richtig. In diesem Zusammenhang schlägt er vor, Maßnahmen zur baldmöglichsten Beendigung dieser Rekrutierung (bis spätestens 10.–15. Juni) zu treffen und danach eine Rekrutierung für die Grenzpolizei und nicht für irgendwelche anderen Organe durchzuführen. Sonst werde es schwer, die erforderliche Komplettierung der Grenzpolizei zu bewerkstelligen. Zaisser bat außerdem, die sowjetischen Militärdienststellen anzuweisen, jetzt keinen Druck auf die Verwaltung der deutschen Grenzpolizei auszuüben und an sie keine momentan unerfüllbaren Forderungen nach vollständiger Komplettierung der Grenzpolizei zu stellen. Die Verwaltung der Grenzpolizei habe keine Möglichkeit, irgendetwas ohne einen entsprechenden Beschluss des ZK der SED zu tun.14 5. Im Zusammenhang mit der Unterstellung der Grenzpolizei unter das Ministerium für Staatssicherheit hält Zaisser es für erforderlich, anstelle der Hauptabteilung für die Grenzpolizei eine Verwaltung für die Grenzpolizei einzurichten, die im Rahmen des Ministeriums eine etwas größere Selbständigkeit hätte. 6.  Zaisser bat, in der Frage der territorialen Stationierung des deutschen Stabes der Grenzpolizei, der sich gegenwärtig in Pankow (Berlin) in erhebli13  Die Zahl ist auf der Kopie des Dokuments nicht eindeutig lesbar und nicht gesichert. Das Original konnte nicht eingesehen werden. 14  Das Politbüro des ZK der SED beauftragte Zaisser erst am 12. August 1952 mit der Anwerbung von „10 000 bis 11 000 Mann“ für die Grenzpolizei, vgl. BABSAPMO, DY 30/IV 2/2/225, TOP 3.



Dokument 111: 29. Mai 1952547

cher Entfernung vom Stab der sowjetischen Grenztruppen in Babelsberg befinde, eine Entscheidung zu treffen. Im Interesse einer besseren Zusammenarbeit des deutschen Stabes mit dem sowjetischen Stab wäre es vielleicht besser, den deutschen Stab nach Potsdam zu verlegen, aber dann wäre er vom MfS der DDR abgesondert. Zaisser äußerte die Annahme, dass es zweckmäßig sei, nur den operativen Stab der deutschen Grenzpolizei nach Potsdam zu verlegen oder aber ständige Verbindungsoffiziere beider Seiten zu ernennen.15 Ich sagte, dass ich die Fragen Zaissers im Moment nicht beantworten könne, da ich erst mit unseren militärischen Dienststellen sprechen müsse. Danach übergab ich Zaisser gemäß Absprache mit Gen. Čujkov einen Maßnahmeplan zur Sicherstellung der Errichtung eines Grenzregimes (Anlage Nr. 116) und ein Aide-mémoire zur Frage der Säuberung des Fünf-­ Kilometer-Grenzstreifens von feindlichen und dubiosen Elementen (Anlage Nr. 217). Ich äußerte auch den Wunsch, dass den Landes- und Kreisleitungen 15  Es konnte nicht sicher ermittelt werden, wie diese Frage gelöst wurde. Gerhard Sälter hält die Verlegung des operativen Stabs der zur Hauptverwaltung aufgewerteten Grenzpolizei nach Potsdam nicht für wahrscheinlich, da zum 1. Juni 1952 die direkte Unterstellung unter sowjetische Kommandeure aufgehoben und diese durch Berater ersetzt wurden. Vgl. dazu auch Gerhard Sälter, Grenzpolizisten. Konformität, Verweigerung und Repression in der Grenzpolizei und den Grenztruppen der DDR (1952–1961), Berlin 2009, S. 70–75. 16  Es handelt sich um die „Anordnung über die Einführung eines Sonderregimes an der Demarkationslinie der DDR zu den Westzonen Deutschlands“. Zur Begründung für den Erlass dieser Anordnung hieß es darin: „… die Bonner Regierung und die Besatzungsbehörden der Westmächte haben an der Demarkationslinie einen strikten Grenz- und Zolldienst errichtet im Bestreben, sich von der Deutschen Demokratischen Republik abzugrenzen und so die Spaltung Deutschlands zu vertiefen … die Westmächte schleusen in großem Stil Spione, Diversanten, Terroristen und Schmuggler über die Demarkationslinie auf das Territorium der DDR …“ Diese Formulierungen gingen in die Regierungsverordnung der DDR-Regierung vom 26. Mai 1952 ein (vgl. Fn. 6 zu diesem Dokument und Dok. 117, Fn. 21). Inwieweit auch der Beschlussteil der Regierungsverordnung dem Maßnahmeplan entsprach, konnte nicht ermittelt werden. Vgl. AVP RF, f. 0457а, op. 12, p. 65, d. 3, Bl. 149–150. 17  Anlage 2 lautete: „1. Bis zum 25. Mai 1952 haben die Organe der Grenzpolizei und der Volkspolizei die Dokumente und die Wohnberechtigung der gesamten Bevölkerung in der Fünf-Kilometer-Zone zu prüfen. 2. Für die in der Fünf-KilometerZone wohnenden Bürger ist ein strenges Passregime entsprechend den Instruktionen einzuführen. 3. Alle Ausländer, Staatenlosen, nicht mit Wohnsitz Gemeldeten, zeitweilig Wohnenden, sowie alle feindlichen, kriminellen und verdächtigen Personen sind in die inneren [d. h. grenzfernen] Kreise der DDR umzusiedeln. Es ist eine spezielle Instruktion zu erarbeiten, in der die Kategorien der auszusiedelnden Personen, das Verfahren und die Termine der Aussiedlung, das Ausmaß der Entschädigung für Vermögensschäden usw. festgelegt werden. Der Entwurf zu der Instruktion ist zur Koordinierung vorzulegen. 4. Die Kreise für die Neuansiedlung der in Punkt 2 genannten Personen sind festzulegen, und es sind Weisungen an die örtlichen Behörden

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der SED in nächster Zeit entsprechende Weisungen des ZK der SED erteilt werden. Nachdem Zaisser sich mit den oben genannten Materialien bekannt gemacht hatte, sagte er, er danke18 und werde Ulbricht davon berichten.19 V. Semenov20 AVP RF, f. 0457a, op. 12, p. 65, d. 3, Bl. 143–147.

112. Unterredung zwischen dem Politischen Berater Semenov und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht Geheim

Berlin-Ost, 10. Juni 19521

Aus dem Tagebuch2 von V.S. Semenov Am 10. Juni war ich bei Ulbricht in laufenden Angelegenheiten. Im Verlauf der Unterredung teilte mir Ulbricht seine Überlegungen zur Beurteilung der politischen Lage in Deutschland mit, die er im Zusammenhang mit der Vorbereitung einer Rede auf der bevorstehenden Parteikonferenz der SED angestellt hat. 1. Zur Situation in Westdeutschland sagte Ulbricht, er halte Westdeutschland nach der Unterzeichnung des „Generalvertrages“3 für die hauptsächliche Basis der amerikanischen Aggression in Europa. Der westdeutsche Imperialismus sei zwar abhängig von den USA, kämpfe aber nichts desto weniger um die führende Rolle in Europa, was ihn in einen Gegensatz zu den nationalen Interessen Frankreichs, Italiens, Belgiens und Hollands bringe. In seiner Rede auf der Parteikonferenz beabsichtigt Ulbricht, das Verhältnis der SED zum Friedensvertrag aus der Sicht des deutschen Volkes darzulegen und seine Zustimmung zu den im sowjetischen Entwurf der Grundlinien des Friedensvertrages enthaltenen Bestimmungen auszusprechen.

der Neuansiedlungskreise zur Notwendigkeit der Aufnahme der Umzusiedelnden und ihrer Eingliederung ins Arbeitsleben vorzubereiten.“ Vgl. AVP  RF, f. 0457а, op. 12, p. 65, d. 3, Bl. 148. 18  Handschriftlich gestrichen: „für die Hilfe“. 19  Ein Bericht Zaissers an Ulbricht konnte nicht ermittelt werden. 20  Handschriftlich. 1  Kopie. Es wurde nur eine Kopie angefertigt. An wen das Original ging, konnte nicht ermittelt werden. Das Dokument wurde unter der Nummer AP/0264 registriert. 2  „Tagebuch“ ist ein aus der russischen Kanzleisprache übernommener Begriff des Auswärtigen Dienstes der UdSSR für Gesprächsaufzeichnungen. 3  Vgl. Dok. 20, Fn. 12.



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Nach Ulbrichts Meinung kann die Frage des Friedensvertrages in der DDR nicht nur eine Forderung der Propaganda sein. Es stelle sich die Frage, inwieweit die Bestimmungen des Friedensvertrages in der DDR realisiert werden. Wie er es verstehe, so Ulbricht, sei die Sowjetregierung anscheinend der Meinung, dass im Falle einer nachsichtigen Haltung feindliche Elemente in der Deutschen Demokratischen Republik ihr dreistes Haupt erheben könnten. Aber es gebe hier auch eine Kehrseite: Die Arbeiterklasse der DDR werde sich weniger verantwortlich fühlen, wenn sie annehme, alles werde von der Sowjetarmee erledigt. In der Rede auf der Parteikonferenz werde die Verantwortung der Arbeiterklasse und der Werktätigen für den Aufbau der DDR schärfer formuliert werden müssen.4 In diesem Teil des Gesprächs gebrauchte Ulbricht einige nicht ganz eindeutige Formulierungen, wobei er anscheinend seine Gedanken nicht bis zu Ende ausformulierte. Ulbricht hat vor, in seiner Rede von nationalen5 Streitkräften der DDR zu sprechen und sie den Söldnertruppen, die in Westdeutschland aufgestellt werden, gegenüberzustellen.6 4  Vgl. dazu das mehrstündige Referat Walter Ulbrichts am 9. Juli 1952. Es ist unter der Überschrift „Die gegenwärtige Lage und die neuen Aufgaben der SED“ vollständig veröffentlicht in: Protokoll der II. Parteikonferenz der SED, Berlin 1952, S. 20–123 und S. 124–161. 5  Maschinenschriftlich unterstrichen. 6  Dieser Punkt war bereits in dem Gespräch der SED-Führung mit Stalin am 1. April 1952 angesprochen worden: „Die dritte Gruppe von Fragen, fuhr Gen. Pieck fort, bezieht sich darauf, welche militärische Verteidigung die Deutsche Demokratische Republik im Hinblick auf die Bedrohung vom Westen schaffen soll. Gegenwärtig gibt es in der DDR die Volkspolizei, doch das ist kein [militärischer] Schutz … Ulbricht sagt, daß die Polizei mit alten deutschen Waffen ausgerüstet ist, für die es nicht die nötige Menge von Patronen gibt, und daß die DDR selbst keine Waffen für die Volkspolizei herstellen darf, weil dies durch Viermächte-Beschlüsse verboten ist. Gen. Stalin bemerkt: … Sie haben sehr wohl das Recht, Ihre Polizei gut ausgerüstet und ausgebildet zu unterhalten. Gen. Molotov bemerkt: Und die für sie nötige Bewaffnung herzustellen … Pieck fragt, ob es nötig ist, Schritte zur Schaffung deutscher Streitkräfte in der Deutschen Demokratischen Republik zu unternehmen. Gen. Stalin sagt: Sie sollen nicht Schritte unternehmen, sondern Streitkräfte schaffen. Was heißt hier Schritte? Gen. Pieck sagt, daß man dafür Waffen herstellen muß. Gen. Stalin bemerkt, daß die Westmächte in Westdeutschland gegen alle [Kontrollrats-]Beschlüsse verstoßen und tun, was ihnen gefällt. Gen. Pieck sagt, daß sie für den Fall des Aufbaus einer Armee eine entsprechende Propaganda organisieren und auf den Unterschied zwischen der Armee, die sie in Westdeutschland gründen, und der nationalen Armee in Ostdeutschland hinweisen müssen. Gen. Stalin sagt, daß man die Armee ohne Lärm und Propagandaagitation aufbauen muß. Wenn sie [erst einmal] gegründet ist, dann kann man Geschrei veranstalten. Gen. Pieck sagt, daß sie für die Demilitarisierung Deutschlands und gegen jegliche Art von Streitkräften Propaganda gemacht hätten. Daher aber sei eine verbreitete pazifistische Haltung entstanden, mit deren Vorhandensein man rechnen muß. Gen. Stalin bemerkt, daß das zu seiner Zeit nötig

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Nach Ulbrichts Meinung wird die Wehrpflicht in Westdeutschland ab Januar 1953 eingeführt werden. Die DDR werde die Wehrpflicht sofort danach einführen.7 Schwierigkeiten bereiten laut Ulbricht die Formulierungen, die die Bewertung der Verträge betreffen, die sich aus dem „Generalvertrag“ ergeben werden. Wie scharf sollte die Frage eines Militärbündnisses der USA, Englands und Frankreichs mit Westdeutschland gestellt werden? Nach dem Abschluss des „Generalvertrages“ würden die amerikanischen Truppen zu Interventionstruppen. Diese Definition müsse gut begründet sein. Ulbricht hält es für angebracht, von der Tribüne der Parteikonferenz einen Appell an die Bevölkerung Westdeutschlands zu richten, dass kein Deutscher irgendetwas mit Amerikanern zu tun haben sollte, dass deutsche Mädchen nicht mit amerikanischen Soldaten ausgehen sollten und dass Deutsche amerikanischen Militärangehörigen keine Wohnungen zur Verfügung stellen sollten. Für die Popularisierung dieser Losungen brauche es ein halbes Jahr, aber sie werden unter den patriotisch gesinnten Deutschen in Westdeutschland, darunter auch in bürgerlichen Kreisen, Resonanz finden. Auf diese Weise werde auch das Vertrauen in die amerikanische Armee und ihr Offizierkorps untergraben.

war. Jetzt ist das nicht [mehr] nötig.“ Vgl. Treffen mit Stalin 1952, S. 188–189. In seiner Rede auf der II. Parteikonferenz führte Ulbricht aus: „Nachdem durch den Separatpakt Westdeutschland in die Hauptkriegsaufmarschbasis der USA in Europa verwandelt werden soll, muß die Friedenspolitik der Deutschen Demokratischen Republik durch die Schaffung nationaler Streitkräfte zur Verteidigung der Heimat ergänzt werden. (Lang anhaltender Beifall.)“ Zur Rede Ulbrichts vgl. Fn. 4 zu diesem Dokument, die hier zitierte Passage findet sich auf S. 49–50 (Hervorhebung wie im Original). 7  Erst am 8. Februar 1956 billigte das Kabinett der Bundesregierung den „Entwurf eines Wehrpflichtgesetzes“ (vgl. Kabinettsprotokolle, Bd. 9 [1956], S. 172), der nach einer ersten Beratung am 4. Mai und einer zweiten Beratung am 4. Juli nach der dritten Beratung am 7. Juli vom Bundestag beschlossen wurde (BT Stenographische Berichte, 143.  Sitzung, 4.  Mai; 157.  Sitzung, 4.  Juli; 159.  Sitzung, 6. und 7.  Juli 1956). Erst am 18.  Januar 1962 nahm der DDR-Ministerrat den „vom Staatsrat beschlossene[n] und dem Ministerrat zur Stellungnahme übermittelte[n] Entwurf des Gesetzes über die allgemeine Wehrpflicht … einschließlich der vom Minister für Nationale Verteidigung abgegebenen Begründung zustimmend zur Kenntnis“ und fasste den „Beschluss zur Durchführung des Wehrpflichtgesetzes“. Zudem wurden „[d]er Erlass des Staatsrates über den aktiven Wehrdienst in der nationalen Volksarmee (Dienstlaufbahnordnung)“ sowie mehrere „vom Nationalen Verteidigungsrat beschlossene Anordnungen … zur Kenntnis genommen“ und weitere damit zusammenhängende Verordnungen beschlossen, vgl. BAB, DC 20-I/3/353, Beschlussprotokoll, Bl. 1–2 (TOP 1–6), hier Bl. 1 (vgl. auch die Anlagen A–H).



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Ulbricht betonte, dass jetzt in Westdeutschland die Möglichkeit bestehe, die patriotischen Kräfte von Helene Wessel bis Max Reimann zu vereinen. In Kürze werde dort ein „nationaler Kongress“ abgehalten.8 Sodann stellte Ulbricht die Frage, ob nach der Ratifizierung des „Generalvertrages“9 irgendwelche Schritte seitens der Sowjetregierung zu erwarten seien. Ich sagte, es falle mir schwer, diese Frage im Moment zu beantworten. 2. Den Teil seiner Rede, der der DDR gewidmet ist, will Ulbricht mit einer Erklärung über die Schaffung der Grundlagen des Sozialismus in der DDR beginnen. Dabei müsse erklärt werden, warum die Partei erst jetzt eine solche Festlegung trifft. Ulbricht gedenkt dies mit der Erfüllung und Übererfüllung der Volkswirtschaftspläne zu begründen, was dazu geführt habe, dass schon 1952 80 Prozent der gesamten Industrieproduktion aus volkseigenen Betrieben kommen werde, wodurch ein Niveau erreicht werde, dass im Fünfjahrplan für das Jahr 1955 vorgesehen sei. Nach Ulbrichts Meinung ist es jetzt nicht möglich, den Aufbau des Sozialismus in der DDR zu verschweigen, denn es sei die Bildung von Produktionsgenossenschaften auf dem Land in Angriff genommen worden, und alle würden sofort verstehen, in welche Richtung die Entwicklung laufe.10 Außer8  Am 29. Juni 1952 fand in Dortmund eine Konferenz der „Deutschen Sammlung – Bewegung für Einheit, Frieden und Freiheit!“ statt, die sich gegen den Generalvertrag wandte und einen Friedensvertrag forderte. An ihr nahmen ca. 200 Persönlichkeiten teil, darunter Altreichskanzler Wirth. Die von Wessel mitbegründete „Notgemeinschaft zur Rettung des Friedens in Europa“ war ebenfalls vertreten. Einen Tag darauf rief der „Arbeitskreis für deutsche Verständigung“ zu einer Kundgebung in der Dortmunder Westfalenhalle auf, zu der 15 000 Menschen kamen. Neben Wirth hielten auch der KPD-Vorsitzende Reimann sowie die 2. CSU-Bezirksverbandsvorsitzende von München, Fleischmann, und der sozialdemokratische Vorsitzende des DGBOrtsausschusses Wermelskirchen, Baehr, Reden gegen den Generalvertrag, vgl. Neues Deutschland, 2. Juli 1952, S. 1–2. 9  Der am 26.  Mai 1952 unterzeichnete „Generalvertrag“ oder „Deutschlandvertrag“ (vgl. dazu Dok. 20, Fn. 12) wurde am 19. März 1953 im Deutschen Bundestag ratifiziert (vgl. Dok. 123, Fn. 8). Seine Ratifizierung wurde zur Zeit dieser Unter­ redung jedoch bereits für den September oder Oktober 1952 erwartet, vgl. Dok. 118 und dort Fn. 9. 10  Die Bildung von Produktionsgenossenschaften hatte Stalin im Gespräch mit der SED-Führung am 7. April 1952 angeregt: „Gen. Stalin sagt, daß sie über die Kulaken klagten. Aber was ist das für eine Taktik, [bloß] zu klagen?! Den Kulaken muß man umzingeln und um ihn herum Kolchosen gründen. Bei uns ging die Bildung der Kolchosen gleichzeitig mit der Entkulakisierung vor sich. Für Sie taugt dieser Weg nicht. Soll der Kulak bei sich zu Hause sitzen. Rühren Sie ihn nicht an. Aber außer den Kulaken gibt es bei Ihnen im Dorf die [Dorf-]Armut, die Seite an Seite mit dem Kulaken lebt. Sie muß man in eine Produktionsgenossenschaft einbeziehen … Wenn Sie … kleine Kolchosen gründen und Ihnen helfen, die Wirtschaft in Gang zu bringen, dann denken die Bauern darüber nach, ob es besser ist, in eine Kolchose einzutreten oder allein, ohne Hilfe anderer dazusitzen. In Ungarn hat man gute Erfahrungen

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dem sei es nicht möglich, die Sozialdemokratie im Westen zu spalten, wenn nicht die Frage des Sozialismus in der DDR gestellt werde. Schon die Losung von der Bewaffnung der DDR mache linken Sozialdemokraten Mut, wie aus Nachrichten aus Westdeutschland verlaute. Allerdings gedenkt Ulbricht sich in seiner Rede nicht ausführlich bei der These vom Aufbau des Sozialismus aufzuhalten.11 Eine wichtige Stelle in der Rede werde die Frage des Verhältnisses zur Sowjetunion einnehmen.12 Eine der schwierigen Fragen für die nächste Zeit sieht Ulbricht in der Frage der bürgerlichen Intelligenz. Es müsse gefordert werden, das Untergemacht … Gen. Ulbricht sagt, daß das Konsequenzen haben wird. Bisher haben wir in der DDR davon gesprochen, daß wir für ein demokratisches Deutschland eintreten, und haben eine Reihe von Maßnahmen nicht durchgeführt, die man bei einer Entwicklung in Richtung auf den Sozialismus durchführen muß: Wir haben auch niemals davon gesprochen, daß wir auf den Sozialismus zugehen. Gen. Stalin sagt, daß das richtig war. Gen. Ulbricht fragt, ob wir diese frühere Taktik fortsetzen sollen, nachdem sich in Deutschland eine so tiefe Spaltung ergeben hat. Gen. Stalin sagt, daß man auch jetzt kein Geschrei um den Sozialismus zu machen braucht. Aber Produktionsgenossenschaften, das ist ein Stückchen Sozialismus, und Volkseigene Unternehmen sind ebenfalls Sozialismus. Gen. Ulbricht sagt, daß wir bisher [so] nicht darüber gesprochen und nicht darauf hingewiesen haben, daß die Volkseigenen Betriebe sozialistische Betriebe sind. Wir haben die in der DDR entstandenen gesellschaftlichen Verhältnisse etwas getarnt. Gen. Stalin sagt, daß diese Tarnung Ihnen geholfen hat, die Mittelschichten Westdeutschlands nicht zu verschrecken … Auch wenn in Deutschland [gegenwärtig] zwei Staaten entstehen, braucht man den Sozialismus noch nicht groß anzukündigen …“ Vgl. Treffen mit Stalin 1952, S. 202–204. 11  In seinem Referat auf der II. Parteikonferenz erklärte Ulbricht im ersten Drittel seiner sehr langen Rede unvermittelt, nachdem er die bisherigen Erfolge der SED in vier Punkten benannt hatte: „Die demokratische und wirtschaftliche Entwicklung sowie das Bewußtsein der Arbeiterklasse und der Mehrheit der Werkätigen sind … jetzt so weit entwickelt, daß der Aufbau des Sozialismus zur grundlegenden Aufgabe geworden ist. (Die Delegierten und Gäste erheben sich von den Plätzen und spenden lang anhaltenden Beifall.) Auf dem Weg der sozialistischen Entwicklung werden wir alle bei uns vorhandenen Schwierigkeiten überwinden können. In Übereinstimmung mit den Vorschlägen aus der Arbeiterklasse, aus der werktätigen Bauernschaft und aus anderen Kreisen der Werktätigen hat das Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands beschlossen, der II. Parteikonferenz vorzuschlagen, daß in der Deutschen Demokratischen Republik der Sozialismus aufgebaut wird.“ Vgl. Fn. 4 zu diesem Dokument, dort S. 58. 12  In einer für die Öffentlichkeit aufbereiteten Fassung seiner Rede auf dieser Konferenz wurden Zwischenüberschriften eingefügt, darunter „Das Lager des Friedens, der Demokratie und des Sozialismus und die Rolle der Sowjetunion“ für das zweite Kapitel und „Der demokratische Fortschritt seit der Befreiung Ostdeutschlands durch die Sowjetarmee“ für das sechste Kapitel, vgl. Walter Ulbricht, Die gegenwärtige Lage und die neuen Aufgaben der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Referat auf der II. Parteikonferenz der SED. Berlin, 9. bis 12. Juli 1952, Berlin 1952, S. 8 und 41, sowie Neues Deutschland, 10. Juli 1952, S. 3 und 5.



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richtsniveau an höheren und mittleren Schulen zu verbessern und die marxistisch-leninistische Wissenschaft zu studieren. Außerdem stelle die deutlichere Auseinanderentwicklung von Ost- und Westdeutschland wegen des Abschlusses des „Generalvertrages“ den nach Westen orientierten Teil der technischen Intelligenz vor die Notwendigkeit, zwischen dem Westen und dem Osten zu wählen. Bis jetzt habe dieser Teil der Ingenieure, zu dem Ulbricht die Leitungen der Unternehmen Buna, Zeiss u. a. zählt, darauf gerechnet, dass es bei gesamtdeutschen Wahlen gelingen werde, die Vereinigung Deutschlands auf der Basis des Westens herbeizuführen. Jetzt entfalle diese Frage auf lange Zeit, und Ulbricht äußert die Befürchtung, dass dieser Teil der Intelligenz in den Westen flüchtet, trotz der allerbesten Bedingungen, die ihnen die DDR bieten werde. Deshalb macht sich Ulbricht für eine verlässliche Schließung der Grenze stark. Ihm scheine sogar, so Ulbricht, dass geprüft werden müsse, ob an der Grenze zwischen den West- und den Ostsektoren Berlins eine Bewachung eingeführt13 oder ob spezielle Passierstellen für DDR-Bürger bei Reisen nach Berlin eingerichtet werden müssen. Ich bemerkte, das Letztere sei ziemlich schwer zu machen, da sich in Berlin die Regierungseinrichtungen der DDR befänden. Ulbricht stimmte dieser Bemerkung zu, fügte aber hinzu, die Berlinfrage sei eine der schwierigsten Fragen für die Republik. Eine sehr schwierige Frage der Innenpolitik der DDR betrifft nach Ulbrichts Meinung die Situation auf dem Land. Insbesondere müsse bald genau definiert werden, wer Kleinbauer, mittlerer Bauer oder Großbauer ist. Nach Ulbrichts Meinung teilt sich die Landbevölkerung der DDR in vier Kategorien auf: Kleinbauern, mittlere Bauern und Großbauern sowie Großgrundbesitzer14 mit mehr als 50 Hektar Land. Die soziale Differenzierung auf dem Land lasse sich am besten anhand von Menge und Wert des Landbesitzes vornehmen. Im Schnitt könne man zu den Kleinbauern diejenigen zählen, die bis zu fünf Hektar Land mittlerer Qualität oder bis zu acht Hektar niederer Qualität (z. B. im Land Brandenburg) besitzen; als mittlerer Bauer könne jemand gelten, der bis zu 15 Hektar Land mittlerer Qualität oder bis zu 18–20 Hektar niederer Qualität besitzt; als Kulaken15 seien Bauern anzusehen, die 13  Bereits am 3. Juni 1952 hatte das Politbüro des ZK der SED den Minister des Innern beauftragt, „mit dem Stellvertreter des Oberbürgermeisters von Groß-Berlin, Alfred Neumann, und dem Chef der Berliner Volkspolizei eine Verordnung folgenden Inhalts auszuarbeiten: Westberliner Kraftfahrzeuge bedürfen für die Fahrt in den demokratischen Sektor von Berlin eines besonderen Ausweises, der von der Volkspolizei Berlin ausgestellt wird. Fahrzeugen mit Nummern der DDR ist von den Organen der Volkspolizei an der Sektorengrenze die Einfahrt nach Westberlin zu untersagen.“ Vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/214, TOP 8. 14  Das deutsche Wort „Großgrundbesitzer“ ist in erklärender Absicht in kyrillischer Schrift in Klammern hinter dessen russische Übersetzung gesetzt. 15  Zu Ulbrichts Versuch, hier den (aus dem sowjetischen Sprachgebrauch übernommenen) Begriff des „Kulaken“ für die DDR zu definieren, vgl. Čujkovs Äuße-

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18–20 Hektar und mehr besitzen; als Großgrundbesitzer oder Gutsherren gelten Besitzer von mehr als 50 Hektar Land. Ulbricht bemerkte, er habe sich bisher aus den Streitigkeiten über die Prinzipien der Differenzierung auf dem Land herausgehalten, da er diese Frage für praktisch nicht aktuell halte. Auf der Parteikonferenz müsse aber dazu etwas gesagt werden.16 Ulbricht betonte, diese Frage sei kompliziert und müsse noch weiter diskutiert werden. 3. In seiner Rede auf der Parteikonferenz beabsichtigt Ulbricht auch, Fragen der deutschen Geschichte anzusprechen und diese kritisch zu beleuchten. So solle z. B. die unrichtige Bewertung des Befreiungskriegs von 1813 durch die Historiker kritisiert werden. Außerdem sollten die Fragen der Bewertung der Ereignisse von 1918, des Kapp-Putsches und der Bildung der roten Armee im Ruhrgebiet 1920 sowie die Frage der Ereignisse von 1923 in Hamburg und Sachsen angesprochen werden.17 rung in Dok. 115 (zehn Tage später), es gebe keine Definition des Kulaken. Diese Frage beschäftigte die SED auch weiterhin, vgl. Badstübner/Loth, S. 413. 16  In seiner Rede auf der II. Parteikonferenz lieferte Ulbricht eine Definition des „Großbauern“ (angelehnt an den Begriff des „Kulaken“, vgl. Fn. 15), in der er den Landbesitz mit den Kriterien der Bodenqualität und der Beschäftigung von Lohnarbeitern verknüpfte und damit die Kategorie auch auf kleinere Betriebe ausdehnte: „Als Großbauernwirtschaften sind solche Wirtschaften zu betrachten, die mehr als 20 Hektar Land mittlerer Bodenqualität besitzen und Lohnarbeiter beschäftigen … Wir sprechen von mittlerer Bodenqualität. Das bedeutet, daß es Bauern mit besonders gutem Boden gibt und große Gartenbaubetriebe, die auch bei geringerer Hektarzahl als Großbauernbetriebe oder als kapitalistische Betriebe in der Landwirtschaft angesehen werden müssen.“ Im Folgenden versuchte er mit den Kategorien zu operieren. So griff er im Duktus des Klassenkampfes, jedoch inhaltlich vage „die feindliche Tätigkeit mancher Großbauern“ an und erklärte eher unspezifisch: „Wenn die Zusammenarbeit mit ihnen [mit Landarbeitern und werktätigen Bauern] entwickelt wird, dann werden die Großbauern nicht imstande sein, Mittelbauern für ihre egoistischen Zwecke auszunutzen, sondern es wird ein festes Bündnis der Arbeiter, der Klein­ bauern und Mittelbauern entstehen, gegen das die Großbauern nicht aufkommen können.“ Vgl. Fn. 4 zu diesem Dokument, dort S. 107–108 und 114, bzw. Neues Deutschland, 11. Juli 1952, S. 7–8. 17  Seine Vorstellungen zum Umgang mit der deutschen Geschichte führte Ulbricht auf der II. Parteikonferenz im letzten Drittel seiner Rede aus: „Jeder versteht, welch große Bedeutung das wissenschaftliche Studium der deutschen Geschichte für den Kampf um die nationale Einheit Deutschlands und für die Pflege aller großen Traditionen des deutschen Volkes hat, besonders gegenüber dem Bestreben der amerikanischen Okkupanten, die großen Leistungen unseres Volkes vergessen zu machen.“ In diesem Sinne forderte er, sich „kritisch mit den Entstellungen der Geschichte des deutschen Volkes auseinanderzusetzen“ und dabei – entgegen der verbreiteten „Neigung, sich mit der Geschichte des Altertums und des Mittelalters zu befassen“ – die Geschichte der Neuzeit in den Blick zu nehmen. Insbesondere erwähnte er „die Kämpfe gegen den Kapp-Putsch, die Bildung der Roten Armee im Ruhrgebiet, die Vorbereitung des bewaffneten Aufstandes und die Kämpfe des Jahres 1923 … Fragen, für die sich heute nicht nur unsere Jugend, sondern auch die erwachsenen Werktäti-



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Ulbricht hat auch vor, beiläufig anzusprechen, dass es erforderlich sei, in der deutschen Geschichtswissenschaft die Ansichten von Engels zur progressiven Bedeutung der alten Germanen und ihrer Kriege gegen das Rom der Sklavenhalter wieder aufzunehmen.18 gen interessieren“ (vgl. Fn. 4 zu diesem Dokument, dort S. 120–122, bzw. Neues Deutschland, 11. Juli 1952, S. 8–9). Des Weiteren forderte er eine Neudeutung des Befreiungskrieges von 1813 in einem nationalen Sinne, die sich zugleich von der „monarchistischen oder weimarischen Geschichtsschreibung“ absetzen solle. Diese geschichtspolitische Initiative war vorbereitet und flankiert durch eine ganze Reihe von Artikeln und Kommentaren zum Krieg von 1813, die seit Anfang 1952 – parallel zu der aktuellen deutschlandpolitischen Initiative der UdSSR – in der DDR-Presse erschienen, so im Neuen Deutschland am 29. Januar 1952 auf S. 3, am 6. April auf S. 1, am 1. und 18.  Juni jeweils auf S. 3 und am 25.  Juni auf S. 6. Darin wurde der Wille zur nationalen Einheit und Unabhängigkeit betont, der sich nicht nur gegen Napoleon, sondern auch „gegen den Willen der regierenden deutschen Fürsten“ gerichtet habe, „die mehr oder weniger Kreaturen Napeoleons waren …“ (ebenda). 18  Wörtlich sagte Ulbricht dazu in seinem Referat – im Kontext des Befreiungskrieges von 1813 (vgl. Fn. 16), zugleich aber offensichtlich in Anspielung auf die aktuelle deutschlandpolitische Konstellation: „Unsere Geschichtsprofessoren schweigen über die Schlacht am Teutoburger Wald, wo die Germanen, wie Engels in seinem Werk ‚Der Ursprung der Familie …‘ sagte, die Römer geschlagen haben, weil die Germanen freie Menschen waren … Sie kämpften um die Befreiung ihres Landes.“ Vgl. Fn. 4 zu diesem Dokument, dort S. 122, bzw. Neues Deutschland, 11. Juli 1952, S. 9. Bereits in seiner 1881/1882 verfassten Schrift „Zur Urgeschichte der Deutschen“ hatte Engels das den Germanen zugeschriebene Kommunaleigentum an Grund und Boden positiv gegenüber den römischen Recht „mit seiner klassischen Zergliederung der Privateigenthumsverhältnisse“ hervorgehoben. Dieses römische Recht habe Varus den Germanen aufzwingen wollen: „Und nun sollten die Deutschen ihr freies Ding, wo Genossen den Genossen gerichtet, aufgeben und sich unterwerfen dem Machtanspruch eines einzelnen Mannes, der in fremder Sprache verhandelte … Der freie Germane … sollte sich jetzt den Ruthen und dem Richt-Beil des Liktors unterwerfen … Aber Varus hatte sich verrechnet.“ Vgl. MEGA 1, Bd. 25, Berlin 1985, S. 308–351, hier S. 324. Auch in seiner Schrift „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats“ von 1884 bzw. 1892 (in der 4., erweiterten Auflage) lobte Engels die „gemeinsame Bebauung des Ackerlands durch die Gens und später durch kommunistische Familiengemeinden“ bei den Germanen (MEGA 1, Bd. 29, Friedrich Engels: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats, Berlin 1990, S. 239). Dagegen zeichnete er ein düsteres Bild des römischen Staates als einer „Maschine … zur Aussaugung der Unterthanen“ (ebenda, S. 245–246). Noch im Mittelalter sah er Elemente der von ihm positiv gewerteten Stammesverfassung erhalten, die ihren „naturwüchsig demokratischen Charakter“ beibehalten habe, „eine Waffe in den Händen der Unterdrückten, lebendig bis in die neueste Zeit“ (ebenda, S. 248). Daraus folgte: „… während in der That die Leibeigenen des Mittelalters nach und nach ihre Befreiung als Klasse durchsetzten – wem verdanken wir das, wenn nicht der Barbarei, kraft deren sie es noch nicht zur ausgebildeten Sklaverei gebracht hatten …?“ (Ebenda, S. 252). Da Engels in dieser von Ulbricht erwähnten Schrift nicht eigens auf die Varusschlacht einging, mag es sein, dass Ulbricht beide hier zitierten Schriften miteinander verwechselte.

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Zu den oben genannten allgemeinen Fragen äußerte ich keine eigene Meinung und sagte, über diese Fragen müsse nachgedacht werden. V. Semenov AVP RF, f. 0457a, op. 12, p. 65, d. 3, Bl. 347–351.

113. Bericht des Gesandten der Bundesrepublik Deutschland in Norwegen von Broich-Oppert an das Auswärtige Amt 001-13-Norwegen-1165/52, Geheim

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Betr.: Das Aussenministerium der Sowjetzone Auf Erlass vom 9. Juni 1952 001-13 III 150/52 g Von dem vorbezeichneten Erlass2 habe ich Kenntnis genommen und möchte zur Person des Herrn Dertinger ergänzend folgendes berichten: Aussenminister Dertinger ist mir aus gemeinsamer politischer Arbeit bis zur Spaltung Berlins genau bekannt. Als der Leiter des Untersuchungsausschusses freiheitlicher Juristen3 sich am 26. v. Mts. in Oslo befand, wurde in einem Gespräch über die Verhältnisse im Führungsapparat der Sowjetzone auch Herr Dertinger erwähnt. Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich, dass seine Frau vor einigen Wochen mit Dr. Friedenau die Frage eines Übertritts in das Gebiet der Bundesrepublik besprochen hat. Dies sei in einer vorsichtigen und mehr vorfühlenden Form geschehen. Frau Dertinger habe gemeint, dass es zu einem solchen Schritt jetzt vielleicht schon zu spät sei, schien aber doch auf eine Antwort zu hoffen, die diesen Weg offen lässt. Dr. Friedenau hat – wie 1  Original. Das Dokument ging am 24. Juni in der Abteilung III des Auswärtigen Amts ein. Von Etzdorf zeichnete am 25. Juni ab, Kossmann und Kordt am 2. Juli. Kordt vermerkte am linken Rand: „Über H[errn] Blankenhorn H[errn] St[aats] s[ekretär] v[or]z[u]l[e]g[en]“. Ersterer sah das Dokument am 5. Juli und ließ am Kopf stempeln: „Herrn Bundeskanzler vorzulegen“. Adenauer zeichnete mit grünem Stift ab. Am linken Rand notierte Kossmann am 15. Juli: „1) U.R. dem Herrn Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen über Herrn v. Zahn“ und am 19. Juli: „2) zu den Akten“. 2  Gemeint ist die Aufzeichnung des in den Westen geflohenen ehemaligen Pressereferenten Dertingers Gerold Rummler, die als Runderlass an Auslandsvertretungen der Bundesrepublik verschickt wurde (vgl. Dok. 106 und Fn. 1 dazu). Zu Rummler vgl. auch Dok. 105 und dort Fn. 5 und 6 sowie Dok. 136 und dort Fn. 9. 3  Leiter des 1949 gegründeten und von der CIA unterstützten „Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen“ war bis zu seiner Enttarnung als Hochstapler im Jahr 1958 Horst Erdmann (unter dem Decknamen „Dr. Theo Friedenau“), vgl. auch Dok. 117 und dort Fn. 4.



Dokument 114: 20. Juni 1952557

er mir sagte – sich zwar nicht festgelegt, liess aber doch durchblicken, dass auch s. E. die Möglichkeit der Aufnahme von Herrn Dertinger als politischer Flüchtling in Westdeutschland heute wohl kaum mehr gegeben sei. Ich nehme an, dass der Inhalt des vorstehend wiedergegebenen Gesprächs auch für den Herrn Bundesminister für Gesamtdeutsche Fragen von erheb­ lichem Interesse sein dürfte, zumal auch er den jetzigen Aussenminister der Sowjetzonen-Regierung persönlich genau kennt.4 Broich5 PA AA, B 130, Bd. 6868A.

114. Entwurf für die Arbeitsordnung des Politischen Beraters der SKK Streng geheim, Entwurf

20. Juni 19521

Arbeitsordnung für den Politischen Berater beim Vorsitzenden der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland 1. Der Politische Berater hat die Aufgabe eines Beraters für innen- und außenpolitische Fragen beim Vorsitzenden der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland. 2. Neben dem Vorsitzenden der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland ist der Politische Berater für die richtige Umsetzung der Direktiven des ZK der VKP (b) und der sowjetischen Regierung in Bezug auf Deutschland verantwortlich. 3. Der Politische Berater ist verpflichtet, Maßnahmen zu Fragen auszu­ arbeiten, welche die Politik der Sowjetunion in Deutschland betreffen, außer4  Dertinger war 1946 und 1947 als Generalsekretär der Ost-CDU  – trotz zunehmender Spannungen – ein enger Mitarbeiter des Parteivorsitzenden Jakob Kaiser bis zu dessen durch die SMAD erzwungener Entlassung im Dezember 1947. In dem Konflikt, der zu Kaisers Entlassung führte, stellte sich Dertinger nicht auf dessen Seite, sondern half die Forderungen der SED bzw. SMAD in der CDU-Führung durchzusetzen. 5  Kossmann leitete diesen Bericht an Friedrich von Zahn ins Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen „zur gefl. Kenntnis mit dem Anheimstellen der Vorlage bei Ihrem Herrn Minister“ weiter. 1  Kopie. Hauptadressat des Dokuments war Molotov. Kopien gingen an Vyšinskij, Sokolovskij und an das Sekretariat Molotovs. Das Dokument trägt die Registraturnummer Vch. Nr. 2200 so vom 20. Juni 1952 des ersten stellvertretenden Kriegs­ ministers der UdSSR (Sokolovskij).

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dem ist er beauftragt, an der Ausarbeitung von Maßnahmen der Sowjetischen Kontrollkommission zu allen anderen Fragen mitzuwirken, die in den Zuständigkeitsbereich der Sowjetischen Kontrollkommission fallen. 4.  Der Politische Berater muss enge Beziehungen zur Führung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands sowie den demokratischen Organisa­ tionen der Werktätigen pflegen und über deren Arbeit systematisch die Sowjetische Kontrollkommission auf dem Laufenden halten, um erforderlichenfalls diesen Organisationen Unterstützung zukommen lassen zu können. Der Politische Berater muss über die Aktivitäten der Kommunistischen Partei Deutschlands informiert sein und gegebenenfalls der Führung der SED in Fragen, welche die Arbeit der Kommunistischen Partei Deutschlands betreffen, Hilfe geben. 5.  Der Politische Berater beteiligt sich aktiv an der Leitung der Arbeit der Sowjetischen Kontrollkommission zur Beobachtung und Kontrolle der Aktivitäten der bürgerlichen politischen Parteien, um der Tätigkeit feindlicher Elemente rechtzeitig Einhalt bieten zu können. 6.  Der Politische Berater stellt sicher, dass die Sowjetische Kontrollkommission sowohl in Bezug auf Fragen im Zusammenhang mit der Politik der Westmächte in Deutschland und der Bonner Regierung als auch bei Fragen, die sich aus den Rechten der Sowjetunion hinsichtlich Deutschlands als Ganzem ergeben, rechtzeitig Maßnahmen vorbereitet. 7. Der Politische Berater ist verpflichtet, an der Vorbereitung von Vorschlägen für den Oberbefehlshaber und Vorsitzenden der Sowjetischen Kontrollkommission zu Fragen der Beziehungen der [Ober-]kommandos der Gruppe der sowjetischen Besatzungstruppen und der Sowjetischen Kontrollkommission zu den Besatzungstruppen der Westmächte mitzuwirken; er trägt die politische Verantwortung für die Umsetzung der zu diesen Fragen getroffenen Beschlüsse. 8. Der Politische Berater sorgt für rechtzeitige Unterrichtung über die politische und wirtschaftliche Lage in der Deutschen Demokratischen Re­ publik sowie in Westdeutschland; diese Information wird durch den Vor­ sitzenden der Sowjetischen Kontrollkommission und den Politberater an die sowjetische Regierung sowie gegebenenfalls an das Zentralkomitee der VKP (b) übermittelt. 9.  Neben dem Vorsitzenden der Sowjetischen Kontrollkommission ist der Politische Berater für die politisch-moralische Verfassung des Mitarbeiterstabes der Sowjetischen Kontrollkommission und anderer sowjetischer Organisationen in Deutschland zuständig, er trägt die Verantwortung für die unbedingte Wahrung der Geheimhaltung bei der Arbeit, sorgt für rechtzeitige Unterrichtung des ZK der VKP (b) über jegliche Regelabweichungen in diesem Bereich und stellt sicher, dass entsprechende Maßnahmen zur systematischen Hebung des politisch-ideologischen Niveaus beim Mitarbeiterstab



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der Sowjetischen Kontrollkommission und anderer sowjetischer Organisationen in Deutschland durchgeführt werden. AVP RF, f. 07, op. 25, p. 13, d. 146, Bl. 32–33.

115.  Unterredung zwischen dem Vorsitzenden der SKK Čujkov, dem stellvertretenden Vorsitzenden der SKK Semičastnov, dem Politischen Berater Semenov, Ministerpräsident Grotewohl und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht Streng geheim

Berlin-Ost, 20. Juni 19521

Die Unterredung fand im Dienstzimmer von V.I.  Čujkov statt und dauerte von 20:00 bis 23:00 Uhr. Gen. Čujkov teilte den deutschen Freunden die Entscheidungen in einigen Fragen mit, welche die Maßnahmen in den Aufgabenbereichen von Stoph, Hoffmann, Verner und Keßler betreffen, sowie, im Zusammenhang mit diesen Entscheidungen, die Maßnahmen in der Industrie.2 Gen. Čujkov informierte Grotewohl und Ulbricht über Klagen der bürgerlichen Parteien darüber, dass deren Mitglieder nicht in die Volkspolizei aufgenommen werden.3 Mitglieder bürgerlicher Parteien, so Gen. Čujkov, könne man anwerben, jedoch sei es angebracht, sie nicht in die maßgebenden Einheiten zu schicken, sondern beispielsweise in Bau-, Pionier-, Sanitäts- und andere Einheiten. Ulbricht sagte, er habe über diese Frage schon mit Vertretern der bürgerlichen Parteien gesprochen.4 Aufgrund der Verbreitung von Gerüchten, dass Mitglieder der bürgerlichen Parteien nicht in die Volkspolizei aufgenommen werden, sei ein Teil der Jugendlichen in die CDU eingetreten. Ulbricht sagte, 1  Original an Čujkov. Es wurden keine Kopien angefertigt. Das Dokument erhielt am 28. Juni 1952 die Registraturnummer Vch. Nr. 004359 des Sekretariats der SKK und am gleichen Tag die Eingangsnummer 003396 der Verwaltung des Politischen Beraters. Das Dokument lag Semenov vor. 2  Die hier erwähnten Entscheidungen und Maßnahmen betr. die Aufgabenbereiche von Stoph (Ministerium des Innern), Hoffmann (HV Ausbildung), Verner (HV Seepolizei), Keßler („Zweigstelle Johannisthal“ der HV Ausbildung, vgl. Dok. 96, Fn. 21) und die Industrie konnten im AVP RF nicht belegt werden. Offensichtlich ging es dabei u. a. um die Umbildung der genannten Hauptverwaltungen zur Kasernierten Volkspolizei, zur VP-See bzw. zur VP-Luft am 1. Juli 1952 (vgl. Dok. 112, Fn. 6 und Dok. 117, Fn. 28). 3  Im AVP RF konnten solche Klagen nicht nachgewiesen werden. 4  Gespräche Ulbrichts mit Vertretern der bürgerlichen Parteien zu dieser Frage konnten im BAB nicht belegt werden.

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nach seiner Meinung dürfe kein einziger Religiöser in die Polizei aufgenommen werden. Auf Ulbrichts Bitte, eine zumindest annähernde Zahl für den Bau von Kasernen im Jahr 1953 zu nennen, antwortete Gen. Čujkov, es sei im Moment schwierig, eine solche Zahl zu nennen, denn es sei nicht bekannt, was im laufenden Jahr gebaut werde. Gen. Čujkov machte Ulbricht darauf aufmerksam, dass bei Hoffmann, Verner und Keßler zu freigiebig Räumlichkeiten für die Einrichtung von Sanatorien zugeteilt werden, was Ulbricht bestätigte. Gen. Čujkov verwies auf die Notwendigkeit, vorbereitende Arbeiten zur Unterbringung des Personals durchzuführen. Entsprechende Vorschläge würden auch von Stoph erarbeitet. Gen. Čujkov machte Ulbricht und Grotewohl darauf aufmerksam, dass seit dem Parlament der FDJ das Tempo der Anwerbung [für das MfS] stark nachgelassen habe. Bei dem Tempo werde es Zaisser auf lange Zeit nicht gelingen, die erforderliche Anzahl von Personal zusammenzubringen. Ulbricht bemerkte, bei der Rekrutierung würden Fehler von den medizinischen Kommissionen gemacht, die völlig geeignete und gesunde Leute aussortieren. Ulbricht sagte, er werde noch einmal mit den für Fragen der Anwerbung verantwortlichen Leuten sprechen. Auf die Maßnahmen zur Grenzsicherung eingehend, sagte Gen. Čujkov, Moskau habe die schlechte Ausführung der Politbürobeschlüsse moniert. Gen. Čujkov führte einige Zahlen an, die die schlechte Ausführung der Maßnahmen belegen (s. Anlage5) und sagte, diese Fakten zeugten von einer schwachen politischen und administrativen Arbeit. In den Grenzregionen, vor 5  In dem Merkblatt „Über die Ergebnisse der Arbeit zur Stärkung des Grenzregimes an der Demarkationslinie“ hieß es: „Die Arbeit zur Festigung der Demarkationslinie wird mit großen Fehlern und Mängeln betrieben. Die von Staatssicherheitsminister Zaisser geleitete Regierungskommission ist den ihr auferlegten Aufgaben nicht gerecht geworden. Von den 2 964 zur Umsiedlung vorgesehenen Familien sind tatsächlich 2 371 in die zentralen Kreise der DDR umgesiedelt worden, aber 579 Familien, die umgesiedelt werden sollten, sind in den Westen geflüchtet … Infolge fehlender Führung und Kontrolle seitens Zaissers ist es in einigen Kreisen zu schweren Abirrungen gekommen, so wurden z. B. im Land Thüringen von 350 Bauern­ familien 330 Familien ausgesiedelt, die über höchstens 10 ha Land verfügten. Aus Gründen angeblich vorhandener verdächtiger Westverbindungen wurden 245 Personen ausgesiedelt … [Wir] halten es für angebracht, folgende Maßnahmen durchzuführen: 1. Fortan ist die Umsiedlung aus der Fünf-Kilometer-Zone einzustellen und unter der Bevölkerung dieser Zone die feste Gewissheit herzustellen, dass sie rechtmäßig in dieser Zone wohnt. 2. Die Arbeit der Kreis- und Landeskommissionen für Umsiedlung ist zu kontrollieren und ihre Berichte an die Regierungskommission sind zu überprüfen, auf dieser Basis ist ein Abschlussbericht für das Politbüro des ZK der SED und die Regierung der DDR zu erstellen.“ Zusätzlich zu dem oben Angeführten war vorgesehen, in jeder Ortschaft der Fünf-Kilometer-Zone Polizeiposten einzurichten und die Partei- und Kommunaldienststellen durch erfahrenes Personal zu stärken. Vgl. AVP  RF, f.  0457а, op.  12, p.  65, d.  3, Bl.  196–197. Der



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allem in Thüringen, seien viele schwere Fehler gemacht worden. Keine Grenzpolizei könne die ihr auferlegten Aufgaben bewältigen, wenn sie nicht von der örtlichen Bevölkerung unterstützt werde und wenn nicht die gesamte Bevölkerung auf unserer Seite stehe. Infolge der entstandenen Situation sei die Demarkationslinie das reinste Sieb. Gen. Čujkov machte Ulbricht darauf aufmerksam, dass Zaisser als Leiter der Regierungskommission6 mit den ihm gestellten Aufgaben nicht fertig werde. Gen. Čujkov empfahl, Zaissers Bericht auf der Sitzung der Regierung anzuhören und ihm eine strenge Rüge zu erteilen. Gen. Čujkov empfahl, zur Verstärkung der Grenzpolizei Polizisten von der polnischen, der tschechoslowakischen und der Ostseegrenze abzuziehen sowie Offiziere aus den Polizeischulen zum Praktikum zu schicken. Die Bemerkungen und Empfehlungen zu den Maßnahmen an der Grenze übergab Gen. Čujkov Ulbricht in schriftlicher Form (s. Anlage7). Grotewohl räumte ein, dass ganz zu Beginn der Maßnahmen an der Grenze schwere Fehler gemacht worden seien. Man habe nur schwach auf die ersten Fälle der Abwanderung von Bevölkerung nach Westen reagiert und rätselhaft geschwiegen, als die westliche Polizei auf die Volkspolizei geschossen habe. Jetzt müssten zur Verbesserung der Situation die besten Leute eingesetzt und an die Grenze geschickt werden. Die ihm zugegangenen Informationen, so Grotewohl, würden besagen, dass die Lage an der Grenze besser sei als von uns erwartet. Tatsächlich aber zeige sich, dass die Situation völlig gegenteilig ist. Die Tatsache, dass von den in den Westen geflüchteten Personen 40 Prozent gar nicht ausgesiedelt werden sollten, zeuge von schweren Fehlern. Grotewohl stimmte allen Bemerkungen des Gen. Čujkov zu und sagte, die Vorschläge würden eingehend diskutiert werden. Über weitere Maßnahmen und den Bericht Zaissers werde auf der Sitzung des Politbüros am Dienstag gesprochen werden. Auf die Bemerkung des Gen. Čujkov, dass eine Erklärung über die Einstellung aller Aussiedlungsmaßnahmen abgegeben werden müsse, antwortete

Verbleib von 14 der „zur Umsiedlung vorgesehenen“ Familien bleibt nach dieser Rechnung unerklärt. 6  Zum Politbürobeschluss vom 13. Mai 1952 über Maßnahmen zum Grenzregime vgl. Dok. 111, Fn. 3. Zur Durchführung der Maßnahmen war eine „besondere Regierungskommission“ unter Vorsitz von Zaisser berufen worden. Am 24. Juni 1952 erstattete Zaisser dem Politbüro des ZK der SED „Bericht über die Lage im Sperrgebiet“, dabei wurden auch die Probleme an der thüringischen Grenze angesprochen, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/217, TOP 2. Auf der folgenden Sitzung vom 1. Juli 1952 stellte das Politbüro des ZK der SED fest, „daß bei der Durchführung der Aktion ernste Mängel aufgetreten sind. Die Verantwortung für diese Mängel trägt die zentrale Kommission unter der Leitung des Genossen Zaisser.“ Vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/218, TOP 6; vgl. auch Dok. 117, Fn. 22. 7  Diese Anlage konnte im AVP RF nicht ermittelt werden.

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Ulbricht, eine solche Erklärung sei bereits abgegeben und veröffentlicht worden.8 Auf die Bemerkungen des Gen. Čujkov bezüglich der Schaffung einer für Fragen des Genossenschaftswesens in der landwirtschaftlichen Produktion zuständigen Hauptverwaltung beim Ministerium für Landwirtschaft und bezüglich der Leitung der Arbeit der neu geschaffenen Genossenschaften sagte Ulbricht, in dieser Frage sei schon ein Beschluss gefasst worden, der im Wesentlichen den dargelegten Empfehlungen gleiche (s. Anlage9). 8  Am 17. Juni 1952 veröffentlichte das Neue Deutschland auf S. 2 unter der Überschrift „Zu den Schutzmaßnahmen an der Demarkationslinie“ den folgenden Text: „Die Bevölkerung der an der Demarkationslinie mit Westdeutschland liegenden Kreise hat allerorts den Beschluß der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik vom 26.  Mai 1952 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verteidigung der demokratischen Errungenschaften des Volkes vor den Anschlägen feindlicher Elemente, die in das Gebiet der Republik aus Westdeutschland eingeschleust werden, mit großer Genugtuung aufgenommen. Die Bevölkerung dieser Kreise bringt ihre Befriedigung über die Regierungsverordnung zum Ausdruck, auf Grund derer ihr bedeutende steuerliche Vergünstigungen, die Erhöhung der Löhne und Gehälter für Arbeiter und Angestellte, Erhöhung der Renten sowie eine bessere Versorgung gewährt werden. In der letzten Zeit werden jedoch durch feindliche Elemente verleumderische Gerüchte in Umlauf gesetzt, wonach aus den Ortschaften, die in dem FünfKilometer-Streifen an der Demarkationslinie liegen, eine Massenaussiedlung von Einwohnern durchgeführt werden soll. Die Haltlosigkeit und der feindselige Charakter dieser Gerüchte sind offensichtlich. Wie aus wohlunterrichteten Kreisen verlautet, sind keinerlei Aussiedlungen aus den Ortschaften, die im Fünf-Kilometer-Gürtel oder in dem 500-Meter-Streifen an der Demarkationslinie liegen, vorgesehen.“ Auf der Sitzung des Politbüros des ZK der SED vom 24. Juni 1952 (vgl. Fn. 7) wurde zudem beschlossen: „Die Aussiedlung aus der 5-km-Zone ist einzustellen, um der Bevölkerung dieser Zone die Gewißheit zu geben, daß sie auf rechtmäßiger Grundlage dort wohnt.“ Vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/217, TOP 2. Zum letzten Punkt vgl. Fn. 5 zu diesem Dokument. 9  In der Anlage hieß es: „Für die Schaffung einer für Fragen des Genossenschaftswesens in der landwirtschaftlichen Produktion und für die Leitung der Arbeit der neu geschaffenen Genossenschaften zuständigen Hauptverwaltung beim Ministerium für Landwirtschaft ist es noch zu früh, deshalb: a) wird die Durchführung von Maßnahmen zur genossenschaftlichen Produktion der bäuerlichen Betriebe und die Leitung von Fragen der Organisation der Genossenschaftswirtschaft … dem Staatssekretär des Ministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Kurt Siegmund, aufgetragen; b) wird dem Ministerium für Land- und Forstwirtschaft gestattet, im Rahmen des bestehenden Personals eine Gruppe von Inspektoren zu bilden, die sich mit Fragen der genossenschaftlichen Produktion befassen soll; c) werden innerhalb der Landwirtschaftsabteilung des ZK der SED und bei den Bezirkskomitees der SED Gruppen zu Fragen der genossenschaftlichen Produktion der Bauern gebildet … Die vorgesehene Fusion der landwirtschaftlichen Genossenschaften (BHG) mit der Verbrauchergenossenschaft ‚Konsum‘ ist nicht zweckmäßig. Im Gegenteil, es müssen Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeit aller Arten von Genossenschaften und Staatshandel auf dem Land getroffen werden … Das ZK der SED schlägt vor, die Leitungen der VdgB (BHG) von den Kulaken zu säubern, bringt dabei aber in die Definition, welche



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Auf die vorgesehene Fusion der landwirtschaftlichen Genossenschaften mit der Verbrauchergenossenschaft „Konsum“ eingehend, sagte Gen. Čujkov, eine solche Fusion erscheine nicht zweckmäßig.10 Sie werde die Situation nur verkomplizieren. Gen. Čujkov empfahl, Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeit aller Arten von Genossenschaften und staatlichen Handelseinrichtungen sowie Sofortmaßnahmen zur weiteren umfassenden Entwicklung und Stärkung der Verbrauchergenossenschaft („Konsum“) auf dem Lande, der Bäuerlichen Handelsgenossenschaft (BHG) sowie zur Verbesserung der Arbeit der staatlichen Handelsorganisation (HO) zu treffen. Ulbricht widersprach zunächst der Meinung des Gen. Čujkov und verteidigte die Notwendigkeit einer Fusion von BHG und Verbrauchergenossenschaft. Am Schluss der Diskussion dieser Frage war Ulbricht aber doch insoweit einverstanden, dass, wenn es nach Meinung der sowjetischen Genossen in den nächsten zwei Monaten noch zu früh sei, eine solche Fusion vorzunehmen, sie doch später unbedingt vollzogen werden müsse. Zum Vorschlag des ZK der SED, die Führung der Bäuerlichen Handelsgenossenschaften von Kulaken zu säubern, bemerkte Gen. Čujkov, ein solcher Beschluss sollte vorerst nicht gefasst werden, denn es gebe keine Definition des Kulaken.11 Gen. Semenov bemerkte, diese Frage sei sehr kompliziert, und man müsse möglicherweise zu ihrer Entscheidung Moskau zu Rate ziehen. Gen. Čujkov schlug vor, diese Frage zusammen mit den sowjetischen Genossen weiter zu diskutieren, womit Ulbricht einverstanden war. Auf die Frage des Gen. Čujkov, in wessen Zuständigkeit aufgegebene Grundstücke fallen, sagte Ulbricht, diese würden an volkseigene Güter oder an Treuhandgremien übergeben. Gen. Čujkov bemerkte, in diesem Falle bleibe das Land formell das Eigentum seiner ehemaligen Besitzer. Ulbricht sagte, die Frage, an wen diese Grundstücke übergehen, müsse noch juristisch Schichten der Bauernschaft zu den Kulaken zählen, keine Klarheit in Form einer allgemein gültigen Formulierung, – ein solcher Beschluss sollte nicht gefasst werden …“. Vgl. AVP RF, f. 0457а, op. 12, p. 65, d. 3, Bl. 198–199. Mit dem Memorandum widersprach die SKK einer Reihe von Maßnahmen, die am 3. Juni 1952 vom Politbüro des ZK der SED beschlossen worden waren, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/214, TOP 6, Anlage 4. 10  Vgl. auch Fn. 9. Im Beschluss des Politbüros des ZK der SED über „Maßnahmen zur Förderung von Produktionsgenossenschaften in der Landwirtschaft“ vom 3. Juni 1952 hatte es dazu geheißen: „Die Konsumgenossenschaften in den Dörfern sind mit den landwirtschaftlichen Genossenschaften zu verschmelzen.“ Vgl. BABSAPMO, DY 30/IV 2/2/214, TOP 6, Anlage 4. 11  Vgl. auch Fn. 9. Im Beschluss des Politbüros des ZK der SED vom 3. Juni 1952 (vgl. Fn. 10) hatte es geheißen: „Aus den Leitungen der VdgB (BHG) sind die Grossbauern zu entfernen.“ Zu Čujkovs und Semenovs Einwand vgl. auch Stalins Bemerkung am 7. April 1952, man müsse den „Kulaken … umzingeln und um ihn herum Kolchosen gründen“, ihn aber nicht „anrühren“ (Dok. 112, Fn. 10).

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begründet werden. Im Beschluss der Regierung12 gebe es auch eine Bestimmung, laut welcher der Staat auch das Recht auf Grundstücke erhält, die früher von Großgrundbesitzern verpachtet oder gepachtet wurden. Solche Grundstücke sollen den Genossenschaften zur Verfügung gestellt werden. Gen. Čujkov bemerkte, es sei zweckdienlich, eine Mustersatzung für die [landwirtschaftlichen] Produktionsgenossenschaften des zweiten und dritten Typs zu erarbeiten. Ulbricht antwortete, die Organisation dreier verschiedener Typen von Produktionsgenossenschaften gleichzeitig verkompliziere die Sache. Unter dem Aspekt der Einbeziehung landarmer, kleiner und mittlerer Bauern sei es zweckmäßig und günstig, mit der Organisation von Produktionsgenossenschaften der ersten Stufe zu beginnen. Die Organisation von Produktionsgenossenschaften werde eine große Diskussion auslösen, die am besten auf der Basis von Produktionsgenossenschaften der ersten Stufe geführt werden sollte, da hier noch nicht die Fragen der Vergesellschaftung des Viehs angesprochen werden.13 12  Vermutlich war hier nicht ein Regierungsbeschluss, sondern der Politbürobeschluss vom 3. Juni gemeint (vgl. Fn. 10), in dem es hieß: „In den Dörfern, wo landwirtschaftlicher Boden als sogenannte herrenlose Flächen von volkseigenen Gütern oder von den Gemeindeorganen mit bearbeitet wird, oder wo Grossbauern Boden hinzugepachtet haben, soll dieser Boden solchen Landarbeitern, Kleinbauern oder arbeitsfähigen Umsiedlern zur Verfügung gestellt werden, die die Absicht haben, eine Produktionsgenossenschaft zu gründen. Der Landwirtschaftsminister wird beauftragt, gemeinsam mit dem Minister des Innern eine Regierungsverordnung über die Inanspruchnahme von Pachtland zu erlassen.“ Vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/214, TOP 6, Anlage 4. 13  Auf seiner Sitzung vom 1. Juli 1952 stimmte das Politbüro des ZK der SED den „Musterstatuten für Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften Typ  I und Typ  II“ zu (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/218, TOP  4, Anlagen  1 und  2). Typ  I sah lediglich eine gemeinsame Bewirtschaftung des Bodens vor, Typ II zusätzlich die Vergemeinschaftung von Maschinen, Geräten und Zugtieren. Am 21. Oktober bestätigte das Politbüro das Musterstatut für Typ  III (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/240, TOP 5 und Anlage 4). Hier war auch eine gemeinschaftliche Viehhaltung vorgesehen. Im Protokoll hieß es dazu: „Genosse Siegmund wird beauftragt, dafür zu sorgen, dass dieses Statut in einer Produktionsgenossenschaft mit genossenschaftlicher Viehhaltung beschlossen wird. Anschließend wird dieses Statut in den Zeitungen Freier Bauer und Neues Deutschland veröffentlicht … Die Abteilung Landwirtschaft des ZK und die Genossen des Landwirtschaftsministeriums werden beauftragt, eine Direktive auszuarbeiten für die Leitungen der Bezirke und Kreise der Partei sowie für die staatlichen Organe in den Bezirken und Kreisen, mit welchen Maßnahmen die Produktionsgenossenschaften des Typ 3 zu unterstützen sind. Erst nachdem diese Direktive beschlossen ist, ist das Statut Typ 3 zu veröffentlichen.“ (vgl. ebenda, TOP 5). Am 19. Dezember 1952 beschloss die Regierung der DDR, „[d]ie Statuten der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften Typ  I, II und III … entsprechend den Vorschlägen der 1. Konferenz der Vorsitzenden der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften in der dem Originalprotokoll als Anlage A beigefügten



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Die Erörterung dieser Frage wurde auf die nächste Unterredung (Montag 23.6.) vertagt, da die von Ulbricht eingeschickte Mustersatzung für die Produktionsgenossenschaft von den sowjetischen Genossen noch nicht geprüft war (die Satzung war erst am Tag der Unterredung eingegangen). Sodann übergab Gen. Čujkov Grotewohl ein Aide-mémoire zur Zuweisung zusätzlicher Geldmittel an einzelne Ministerien der Republik über die im Haushalt vorgesehenen Mittel hinaus (s. Anlage14). Gen. Čujkov übergab ein Aide-mémoire zur Reserve an Banknoten, die der Deutschen Notenbank zur Verfügung stehen (s. Anlage15). Ulbricht bemerkte, dass, sobald in der Druckerei begonnen werde, Geld zu drucken, sofort Gerüchte über die Vorbereitung einer Währungsreform verbreitet würden. Gen. Čujkov bemerkte, es müssten alle Vorsichtsmaßnahmen getroffen und die Geheimhaltung sichergestellt werden. Gen. Čujkov übergab ein Aide-mémoire mit Anmerkungen zum Haushaltsentwurf für 1952 (s. Anlage16). Fassung als Musterstatuten“ zu bestätigen (vgl. BAB, DC 20-I/3/161, TOP  1, Anlage A). 14  Darin hieß es: „Vom 24. April bis zum 20. Juni d. J. hat der Ministerrat der DDR auf seinen Sitzungen 16 Beschlüsse über die Zuweisung zusätzlicher Geldmittel an einzelne Ministerien der Republik über die im Haushalt vorgesehenen Summen hinaus gefasst … Im Hinblick auf die angespannte Haushaltslage wäre es zweck­ mäßig: 1. die Zuweisung jeglicher zusätzlicher Geldmittel über die in den Haushalten der jeweiligen Ministerien bzw. Behörden vorgesehenen Summen hinaus einzustellen; 2. falls erforderlich, die Finanzierung zusätzlicher Maßnahmen durch Umverteilung von Mitteln innerhalb eines Ministeriums, und in Ausnahmefällen zwischen den Ministerien bei obligatorischer Stellungnahme des Finanzministeriums der DDR vorzunehmen.“ Vgl. AVP RF, f. 0457а, op. 12, p. 65, d. 3, Bl. 200. 15  Darin hieß es: „1. Das Programm zum Druck von Banknoten für einen Sonderfonds in Höhe von 3 Milliarden Mark wird bestätigt, wobei die Frist für die Herstellung auf spätestens den 1. Juni 1953 festgesetzt wird. Die Verausgabung des Sonderfonds darf nur beim Eintritt besonderer Umstände und mit Sondergenehmigung der Regierung der DDR erfolgen. Der Plan des Drucks für den laufenden Bedarf kann gekürzt werden. 2. Es sind Maßnahmen zur Erweiterung der Druckerei zu treffen, durch welche die Ausführung des Programms zum Druck von Banknoten für den Sonderfonds sowie für den laufenden Bedarf sichergestellt wird. 3. Es sind Maßnahmen zu treffen, dass in der Druckerei ein Regelwerk geschaffen wird, das die Geheimhaltung der Arbeit garantiert.“ Vgl. AVP  RF, f. 0457а, op. 12, p. 65, d. 3, Bl. 201. 16  Darin hieß es: „Die SKK machte sich mit dem vom Finanzministerium der DDR erstellten Haushaltsentwurf der DDR für 1952 bekannt und hat zu dem Entwurf keine Anmerkungen zu machen.“ Dabei wird auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Finanzkontrolle zu verstärken und „besondere Maßnahmen zum Abbau des Verwaltungsapparats in Wirtschaftsorganisationen, einschließlich Industriebetriebe und Handelsorganisationen, zu treffen.“ Vgl. AVP  RF, f. 0457а, op. 12, p. 65, d. 3, Bl. 202– 203.

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Grotewohl sagte, in den letzten Wochen seien mehrfach Haushaltsfragen erörtert worden, wobei die Arbeit des Finanzministeriums auf den Sitzungen des Politbüros17 und der Regierung18 kritisiert worden sei. Von allen Maß17  Kritik an der Arbeit des Finanzministeriums ist in den Protokollen des Politbüros des ZK der SED bis zu diesem Zeitpunkt nicht explizit nachweisbar. Am 3. Juni 1952 nahm das Politbüro des ZK der SED zwar „[d]as vorgelegte Gesetz über den Staatshaushaltplan und die Beschlußvorlage über den Staatshaushaltsplan … als Grundlage“ an, setzte jedoch gleichzeitig „eine Kommission … aus den Genossen Dahlem, Rumpf, Leuschner, Ziller und Sandig [ein], die das Gesetz und die Beschlußvorlage entsprechend der Diskussion im Sekretariat zu überarbeiten hat“ (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/214, TOP 3). Am 10. Juni 1952 wurde beschlossen: „1) Die Kontrollziffern für den Volkswirtschaftsplan 1953 werden der Regierung nicht vorgelegt. Genosse Grotewohl wird beauftragt, in geeigneter Form den einzelnen Ministerien Anweisungen zur ersten Stellungnahme zu den Kontrollziffern zu geben. 2) Die Genossen der staatlichen Plankommission und die Abteilung Planung und Finanzen beim ZK werden beauftragt, die Kontrollziffern für die 2. Vorlage im Politbüro zu überarbeiten.“ Vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/215, TOP 3. Am 17. Juni 1952 stimmte das Politbüro „[d]en Änderungen zu den von der Staatlichen Plankommission vorgelegten Kontrollziffern zum Volkswirtschaftsplan 1953 und den daraus folgenden Maßnahmen“ zu (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/216, TOP 5). Die am 19. August vom Politbüro beschlossenen „Maßnahmen zum Bericht über die Erfüllung des Staatshaushaltsplanes im 1. Halbjahr 1952“ enthielten allerdings umfangreiche Anweisungen zur „Verbesserung der Arbeit des Finanzapparates und Festigung der Finanzdisziplin“, was vorausgegangene interne Kritik vermuten lässt (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/227, TOP 8, Anlage 2). 18  Auch in den Protokollen des Ministerrats der DDR lässt sich auf Kritik an der Arbeit des Finanzministeriums bis zu diesem Zeitpunkt eher indirekt aus den verschiedenen Maßnahmenbeschlüssen schließen. Im Protokoll der Sitzung vom 5. Juni 1952 hieß es unter TOP 2: „Nach Vortrag von Stellvertreter des Ministerpräsidenten Dr. Loch und Aussprache wurde der Entwurf des Gesetzes über den Staatshaushaltsplan 1952 in der aus Anlage 2 ersichtlichen Fassung beschlossen. Außerdem wurde folgender Beschluß gefasst: Jedes Ministerium und jedes wirtschaftliche Verwaltungsorgan ist verpflichtet, dem Ministerium der Finanzen bis zum 30. Juni 1952 Vorschläge über Maßnahmen zur Einsparung von Haushaltsmitteln einzureichen.“ Vgl. BAB, DC 20-I/3/111. Am 12. Juni 1952 wurde dann „[n]ach ausführlicher Berichterstattung durch Staatssekretär Rumpf und eingehender Aussprache … der aus Anlage 1 ersichtliche Beschluß über Maßnahmen zur Sicherung der Durchführung des Staatshaushaltsplanes 1952 und zur Festigung der Finanzdisziplin gefaßt. Außerdem wurde folgendes beschlossen: Das Ministerium für Finanzen hat bis zum 26. Juni 1952 dem Ministerrat einen Beschlußentwurf vorzulegen über die Maßnahmen, durch die bei Aufstellung des Haushaltsplanes die maßgebliche Mitarbeit aller beteiligten Haushaltsorganisationen und eine bessere Hilfe des Ministeriums der Finanzen bei der Führung der gesamten Finanzwirtschaft gewährleistet wird.“ Vgl. BAB, DC 20I/3/112, TOP 2, Anlage 1. Der am 21. August vom Ministerrat gefasste „Beschluss über die Erfüllung des Staatshaushaltsplanes im 1. Halbjahr 1952“ enthielt dann in seinen Anweisungen zur „Verbesserung der Arbeit des Finanzapparates und Festigung der Finanzdisziplin“ verschiedene Kritikpunkte an der Arbeit des Finanzministeriums und anderer relevanter Ministerien, vgl. BAB, DC 20-I/3/126, Anlage  3 bzw. zum entsprechenden Politbürobeschluss Fn. 17 zu diesem Dokument.



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nahmen, so Grotewohl, sei das Hauptaugenmerk auf zwei zu richten: auf sparsamen Umgang aller Organisationen mit den Mitteln und auf Verbesserung der Arbeit des Finanzministeriums. Grotewohl bemerkte, für eine Lösung der zweiten Frage sei die Hilfe sowjetischer Finanzleute wünschenswert. Sodann übergab Gen. Čujkov Ulbricht ein Aide-mémoire zum Entwurf einer Anordnung „Über die Bildung eines staatlichen Komitees für Körperkultur und Sport beim Ministerrat der DDR“, zum Entwurf der Struktur der „Gesellschaft für Sport und Technik“, zum Entwurf der „4. Anordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Teilnahme der Jugend am Aufbau der Deutschen Demokratischen Republik und die Förderung der Jugend in Schule und Beruf, bei Sport und Erholung“19 sowie einen Vorschlag zur Prüfung der Frage des Weiterbestehens der zentralen Organisation und der Land- und Stadtorganisationen der „Deutschen Sportbewegung“ (s. Anlage20). Grotewohl und Ulbricht stimmten den im Aide-mémoire ausgeführten Bemerkungen zu.

19  Auf der Sitzung des Politbüros des ZK der SED vom 6.  Mai 1952 wurden „[d]er Strukturvorschlag für die Gesellschaft Sport und Technik … bestätigt“ sowie „Genosse Innenminister Stoph … beauftragt, eine Anordnung über die Genehmigung der Arbeit der Gesellschaft für Sport und Technik zu erlassen“ (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/210, TOP 3, zum Strukturvorschlag vgl. ebenda, Anlage 1). Am 13. Mai 1952 stimmte das Politbüro „[d]er Schaffung eines staatlichen Komitees für Körperkultur und Sport beim Ministerrat der DDR“ und einer entsprechenden Verordnung zu (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/211, TOP 5, zur Verordnung vgl. ebenda, Anlage 6). Am 20. Mai 1952 wurde „[d]er 4. Anordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Teilnahme der Jugend am Aufbau der Deutschen Demokratischen Republik und die Förderung der Jugend in Schule und Beruf, bei Sport und Erholung … zugestimmt“ (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/212, TOP 4, zur Anordnung vgl. ebenda, Anlage 3). Auf der Sitzung des DDR-Ministerrats wurden am 24. Juli 1952 „[n]ach Berichterstattung durch Stellvertreter des Ministerpräsidenten Ulbricht … die Verordnung über die Errichtung von Staatlichen Komitees für Körperkultur und Sport in der aus Anlage 2 ersichtlichen Fassung und der aus Anlage 3 ersichtliche Beschluß über die Zusammensetzung des Staatlichen Komitees für Körperkultur und Sport beim Ministerrat gefaßt“ (vgl. BAB, DC 20-I/3/119, TOP 2, Anlagen 2, 3). Am 7. August 1952 verabschiedete der Ministerrat der DDR „[n]ach Vortrag von Minister Stoph … die Verordnung über die Bildung der Gesellschaft ‚Sport und Technik‘ in der aus Anlage 13 ersichtlichen Fassung“ (vgl. BAB, DC 20-I/3/122, TOP 25, Anlage 13). 20  Darin wurde vermerkt, dass zu den eingesandten Entwürfen Anmerkungen fehlen, und empfohlen, „die Frage des Weiterbestehens der zentralen Organisation und der Landes- und Stadtorganisationen der ‚Deutschen Sportbewegung‘ “ zu prüfen, ebenso wie „die Frage nach der Zweckmäßigkeit einer Übergabe der bestehenden Sportvereine und -stätten der FDJ unter die Leitung des Staatskomitees für Körperkultur und Sport und der Gesellschaft ‚Sport und Technik‘ “. Vgl. AVP RF, f. 0457а, op. 12, p. 65, d. 3, Bl. 204–205.

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Gen. Semenov bat Ulbricht, die Einsendung der Materialien für die Parteikonferenz der SED zu beschleunigen und sie aufgeteilt, je nach Fertigstellung, zu schicken. Zum Schluss der Unterredung teilte Ulbricht mit, dass einige Abschnitte des Plans für 1953 im Politbüro eine heftige Diskussion ausgelöst hätten.21 Es würden einige sehr wichtige Positionen des Plans fehlen, was den Rückstand einiger Betriebe der metallurgischen Industrie und anderer Betriebe zur Folge habe. Vor allem fehle es an defizitären Gütern wie nahtlosen Rohren und dickem Kessel- und Schiffsblech. Besondere Schwierigkeit bereite das Fehlen nahtloser Rohre. Das Politbüro habe Notmaßnahmen getroffen und den Bau von zwei Rohrwalzanlagen und einer Blechwalzanlage beschlossen.22 Außerdem sei beschlossen worden, die Leistung der in Betrieb befindlichen Anlagen zu erhöhen. Auf dem Gebiet der Energetik sei beschlossen worden, Maßnahmen zur Erhöhung der bestehenden Kapazitäten zu treffen, jedoch sei das, so Ulbricht, nicht ausreichend, deshalb sei der Bau eines großen Kraftwerks erforderlich.23 Ulbricht äußerte auch die Bitte um Hilfeleistung bei der Vorbereitung des Plans. Grotewohl ging auf einen nach Moskau geschickten Brief zur Frage der Materiallieferungen ein24 und sagte, die Liefertermine für die Materialien 21  In den Protokollen des Politbüros der vorangegangenen Sitzungen ist eine „heftige Diskussion“ nicht überliefert, jedoch geht aus dem Protokoll der Sitzung vom 10. Juni 1952 Überarbeitungsbedarf bei den Kontrollziffern in mehreren Bereichen hervor, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/215, TOP 3 bzw. Fn. 17 zu diesem Dokument. 22  Ein Politbürobeschluss zu den genannten Anlagen konnte für die Wochen vor dem Gespräch nicht ermittelt werden. Am 20. Dezember 1952 wurde im Politbüro ein „Bericht der sowjetischen Metallurgen über den Zustand der Stahl- und Walzwerke der Deutschen Demokratischen Republik“ zum Anlass für die Bildung einer Kommission genommen, die auf Grundlage des Berichts ein Dokument über alle Fragen der Metallurgie ausarbeiten sollte, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/254, TOP 3. 23  Vgl. den Politbürobeschluss zur „Verbesserung der Lage in der Energieerzeugung“ vom 5. August 1952, der vor allem Maßnahmen zur Erhöhung bestehender Kapazitäten vorsah. Ein Perspektivplan für den Bau neuer Kraftwerke wurde im letzten Punkt angedacht, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/224, TOP 23 und Anlage 15. 24  Grotewohl bezog sich auf eine ADN-Meldung vom 15. April 1952 über ein von Handke und Kumykin unterzeichnetes Protokoll über zusätzliche gegenseitige Warenlieferungen zwischen der DDR und der UdSSR, in der es hieß: „Nach diesem Abkommen liefert die Deutsche Demokratische Republik zusätzlich nach der UdSSR Maschinen und Einrichtungen aller Art, elektrotechnische Erzeugnisse, feinmechanische und optische Instrumente und Geräte, Chemieerzeugnisse, Düngemittel und Waren des Massenbedarfs. Die UdSSR liefert weitere bedeutende Mengen von Buntmetall, Schwarzmetallen und Ferrolegierungen sowie Baumwolle und andere Textilrohstoffe, Erdöl und Erdölprodukte, Lebensmittel, darunter vor allem Hülsenfrüchte, Genußmittel, besonders Tabak, Futtermittel, chemische Erzeugnisse usw.“ Vgl. DAPDDR 1, S. 259; zum Text des Protokolls vgl. PA AA, MfAA V SOW 018a-33.



Dokument 116: 23. Juni 1952

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würden anscheinend infolge mangelnder Absprache der unteren Stellen erheblich hinausgezögert, was wiederum die Reparationslieferungen verzögere. Grotewohl bat, den zuständigen Stellen eine Weisung bezüglich schnellerer Liefertermine zu erteilen.25 Die Unterredung wurde gedolmetscht, aufgezeichnet und abgeschrieben von Referent Bogomolov26 23.6.52 AVP RF, f. 0457a, op. 12, p. 65, d. 3, Bl. 191–195.

116. Schreiben des Bundestagsabgeordneten Gerstenmaier an Bundeskanzler Adenauer MB 886/52

23. Juni 19521

Sehr verehrter Herr Bundeskanzler! Auf einer am 20. Juni 1952 in Berlin abgehaltenen Pressekonferenz des Vorstandes der Bundestagsfraktion der CDU/CSU2 habe ich in Anwesenheit des Fraktionsvorsitzenden Dr. von Brentano, des Landesverbandesvorsitzenden der Berliner CDU, Dr. Tillmanns und des Vorsitzenden des Berlin-Ausschusses des Bundestages, Dr. Bucerius auf die wiederholten Fragen nach Verhandlungsmöglichkeiten mit der Regierung der Sowjetzone gesagt: Wenn ich darin eine Chance sehen würde, der Wiedervereinigung Deutschlands näher zu kommen, würde ich keine Angst vor dem Vorwurf haben, darüber das Gesicht zu verlieren. Ich habe hinzugefügt, daß ich nicht glaube, daß es zu solchen Verhandlungen kommen werde, aber wenn, würde ich darin keinen Prestigeverlust sehen. Auf verschiedene Fragen mehrerer Pressevertreter erklärte ich abschließend, daß man jede Chance, jedenfalls jede echte Chance ausnützen müsse, um die Wiedervereinigung Deutschlands zu erreichen und daß Fragen des Prestiges dabei keine Rolle spielen dürften. Dr. Tillmanns erinnerte mich daran, – was ich auch alsbald vor der Konferenz aufgriff – daß bei Beginn des Briefwechsels zwischen Bonn und Pankow die SPD scharfe Verwahrung dagegen eingelegt habe, mit Pankow zu verhandeln, während innerhalb der 25  Eine

solche Weisung konnte im AVP RF nicht nachgewiesen werden. Handschriftlicher Zusatz: „Anlage auf 10 Blatt“. 1  Original. Am Kopf des Dokuments ist gestempelt: „Herrn Bundeskanzler vorzulegen“, links daneben das Kurzzeichen von Blankenhorn, dazu die Weisung: „zu den Akten Viererkonferenz oder Wiedervereinigung“. 2  Vgl. das vom 21. Juni datierte Protokoll der Pressekonferenz am 20. Juni 1952 anlässlich der Tagung des Vorstandes der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in Berlin, ACDP, 08-001-1501/2. 26  Handschriftlich.

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Regierungskoalition z. B. durch Herrn von Rechenberg und mich dafür eingetreten wurde und vom Bundeskanzler auch entsprechende Erwägungen angestellt worden seien.3 Aus der am 21. Juni 1952 vom Bundespresseamt herausgegebenen Mitteilung muß ich ebenso wie aus einem Teil der Presse (z. B. Frankfurter Allgemeine vom 23. Juni 19524) entnehmen, daß darüber erhebliche Mißverständnisse entstanden sind. Die Mitteilung des Bundespresseamtes5 ist insofern von durchaus unrichtigen Voraussetzungen ausgegangen, als ich niemals erwähnt habe, daß Sie für Verhandlungen mit Pankow eingetreten seien. Mir kam es auf den nach seiner Überzeugung eindeutig feststehenden Tatbestand an, daß die SPD, die heute eine Art Monopol für eine Politik der Wiedervereinigung in Anspruch nimmt, damals jede positive Erwägung mit ihrer scharfen Ablehnung durchkreuzt hat. Ich bin auch heute der Meinung, daß nach Lage der Dinge von Verhandlungen mit Pankow nichts zu erwarten ist. Ich habe das in Berlin klar und deutlich gesagt. Aber wir sollten alle 3  Zu den Überlegungen Gerstenmaiers und von Rechenbergs Anfang des Jahres 1951 vgl. Lemke, Einheit oder Sozialismus, S. 140. Die abschließende Bemerkung Gerstenmaiers auf der Pressekonferenz wurde im Protokoll (vgl. Fn. 2) so wiedergegeben: „Auf verschiedene Fragen mehrerer Pressevertreter betont Dr. Gerstenmaier nochmals: man muss jede Chance ausnutzen, um die Wiedervereinigung Deutschlands zu erreichen. Denn das ist das Hauptziel. Und meine Meinung ist, dass Fragen des Prestiges dabei keine Rolle spielen dürfen. Im Zusammenhang damit erwähnte Dr. Gerstenmaier, dass bei Beginn des Notenwechsels zwischen Bonn und Pankow die SPD scharfe Verwahrung dagegen eingelegt hat, mit Pankow zu verhandeln, während bei der Bundesregierung (Adenauer) hierfür eine Neigung bestanden hat.“ Vgl. ACDP, 08-001-1501/2. Der letzte Satz wurde in einer am gleichen Tag offensichtlich auf Veranlassung Gerstenmaiers korrigierten Fassung geändert in: „… während innerhalb der Regierungskoalition (Gerstenmaier-Rechenberg) dafür eingetreten wurde und vom Bundeskanzler auch entsprechende Erwägungen angestellt worden seien.“ Vgl. ebenda. 4  Die Frankfurter Allgemeine Zeitung legte am 23. Juni 1952 auf S. 1 in ihrer Darstellung der Äußerungen Gerstenmaiers nahe, dieser habe sich zu direkten Verhandlungen mit der Grotewohl-Regierung bereit erklärt und sich dabei auf Adenauer bezogen. 5  In der Mitteilung Nr. 616/52 des Bundespresseamtes vom 21. Juni 1952 hieß es: „Auf einer Pressekonferenz, die aus Anlass einer Vorstandssitzung der CDU/CSUBundestagsfraktion am 20.6.1952 in Berlin stattfand, soll geäussert worden sein, der Bundeskanzler habe sich bereits bei Behandlung der Grotewohl-Angebote für direkte Verhandlungen mit der sowjetzonalen Regierung ausgesprochen, diesen Standpunkt jedoch auf Drängen der SPD und ihres Vorsitzenden, Dr. Schumacher, wieder aufgegeben. Demgegenüber wird festgestellt, dass der Bundeskanzler niemals für Verhandlungen mit den derzeitigen Machthabern in der sowjetischen Besatzungszone eingetreten ist, da diese zu einer selbständigen Meinungsäusserung wegen ihrer Abhängigkeit von einer ausländischen Macht gar nicht in der Lage sind. Es ist daher auch unrichtig, dass der Bundeskanzler seinen Standpunkt auf Drängen der SPD oder Dr. Schumachers geändert hat.“ Vgl. BA Koblenz, B 145/993.



Dokument 117: 23. Juli 1952571

bewußtermaßen darin übereinstimmen, daß es kein Prestigebedürfnis geben darf, das uns zu irgend einem Zeitpunkt davon abhalten könnte, jede, auch die geringste Chance für die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit ernsthaft zu prüfen. Ich bedaure, daß in der Mitteilung des Presseamts dieser Zielpunkt meiner Darlegungen prompt verfehlt wurde und damit die Klärung einer, wie ich meine, wichtigen Rangfrage in der Politik der Bundesrepublik nicht gerade gefördert worden ist. In aufrichtiger Verehrung bin ich Ihr sehr ergebener Gerstenmaier PA AA, B 2-VS, Bd. 109A.

117. Aufzeichnung des Leiters der Dritten Europäischen Abteilung Gribanov Geheim

23. Juli 19521

Über Maßnahmen der Regierung der DDR gegen das Einschleusen von Spionen, Diversanten, Saboteuren und anderen Agenten der amerikanisch-englischen Imperialisten in die DDR Je weiter sich die Deutsche Demokratische Republik entwickelt und festigt, desto mehr aktiviert die von englischen und amerikanischen Spionagediensten angeführte äußere und innere Reaktion ihre feindliche und subversive Tätigkeit. Die westlichen Besatzungsmächte in Deutschland und die Bonner Regierung haben mit ihrer Politik der Kriegsvorbereitung und der Umwandlung Westdeutschlands in ein militärisches Aufmarschgebiet in Westdeutschland und Westberlin ein weitverzweigtes Netz krimineller Organisationen geschaffen, deren Aufgabe es ist, Terror, Diversion, Spionage, Sabotage und andere gegen die DDR gerichtete subversive Tätigkeit auszuüben. Zu solchen Spionage- und Diversionsorganisationen und -zentren gehö­ ren:2 1  Original an Vyšinskij. Kopien gingen an Puškin, Gusev, Podcerob und in die Akten. Das Dokument erhielt in der Dritten Europäischen Abteilung am 23. Juli 1952 die Ausgangsnummer 1865/3eo und am folgenden Tag im Sekretariat Vyšinskijs die Eingangsnummer 9537-b. Vyšinskij vermerkte darauf am 25. Juli 1952: „Zur Akte der Sitzung der Generalversammlung“. 2  Vgl. dazu den Artikel „Die Spionage- und Terrorzentralen in Westberlin“ im Neuen Deutschland vom 22. Mai 1952, S. 1, in dem die ersten vier der im Bericht von Gribanov in gleicher Reihenfolge aufgeführten Organisationen beschrieben sind.

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1.  Ein Diversions- und Spionagezentrum in Westberlin unter dem Namen „VPO“ (Vereinigung politischer Ostflüchtlinge). Dieses Zentrum wurde in der zweiten Jahreshälfte 1949 auf Weisung des Bonner Ministers für gesamtdeutsche Fragen, Kaiser, eingerichtet. Geleitet wird die VPO von Werner Jöhren und Otto Kintzel3. Die Agentenarbeit leitet Horst Galuhn (Deckname „Deider“). Die Informationen, die die VPO aus der Spionagetätigkeit ihrer Agenten gewinnt, werden an den amerikanischen Geheimdienst und an Kaiser geleitet. 2. Die Spionage- und Diversionsgruppe „Vereinigung Freiheitlicher Juristen“4. Diese Gruppe wurde in der zweiten Jahreshälfte 1949 in Westberlin gegründet. Geleitet wird sie von dem langjährigen Agenten des amerikaZu einer (späteren) westdeutschen Einschätzung vgl. den geheimen Bericht des Leiters der Dienststelle Berlin-West des Auswärtigen Amts, Meynen, an das Auswärtige Amt vom 14. November 1953 (200-Tgb. Nr. 31/53 g, Ber. Nr. 325) betr. „Beschaffung von Informationsmaterial in Westberlin“, in dem es hieß: „Es gibt im ganzen 42 verschiedene private und halboffizielle deutsche Organisationen, die über die Vorgänge in der Sowjetzone und in den Satellitenstaaten berichten. Die Zusammenarbeit zwischen diesen Organisationen ist sehr mangelhaft. Nur selten kommt es nach Aussagen von Mitarbeitern solcher Informationsbüros vor, dass die Informationsbüros untereinander ihre Nachrichten austauschen und die Richtigkeit von Informationen, die über Mittelsmänner zugegangen sind, überprüfen. Häufiger ist es dagegen, dass einige der Informationsbüros gegeneinander arbeiten und bemüht sind, sich gegenseitig wichtige Nachrichten vorzuenthalten. Die wichtigsten Organisationen, die sich teilweise oder ausschließlich mit der Beschaffung von Informationsmaterial in der Sowjetzone befassen, sind: Die Organisation Gehlen, die Liga für Menschenrechte, die Liga für Bürgerrechte, der Bund der Verfolgten des Naziregimes, der Bund für Freiheit und Recht, der Volksbund für Frieden und Freiheit, die unabhängige FDJ, das Ostbüro der CDU, das Ostbüro der SPD, das Ostbüro der FDP, das Ostbüro der DP, das Ostbüro des BHE, der Untersuchungsausschuss freiheitlicher Juristen, die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit, die Vereinigung der Opfer des Stalinismus, die Vereinigung politischer Ostflüchtlinge, der Königsteiner Kreis, das Informationsbüro West. Von den genannten Organisationen sollen der Volksbund für Frieden und Freiheit und die Organisation Gehlen, die allerdings durch die kürzliche Affaire stark an Prestige verloren hat, am besten informiert sein. Das Informationsbüro West, von dem das Ministerium für gesamtdeutsche Fragen im wesentlichen seine Informationen bezieht, hat sich häufig als nicht besonders gut informiert erwiesen … Es darf bemerkt werden, dass die oben dargelegten Ansichten … lediglich die Wiedergabe der Meinung zahlreicher Westberliner Informanten sind, ohne dass die hiesige Dienststelle dazu in irgendeiner Weise Stellung nehmen möchte.“ Vgl. PA AA, B 130, Bd. 6046A, Bl. 122–125. 3  Im russischen Original falsch: „Ėren“ und „Kjuncel’“. 4  Gegründet Ende 1949 als „Vereinigung Freiheitlicher Juristen der Sowjetzone e. V.“ dokumentierte der „Untersuchungsausschuß Freiheitlicher Juristen“ von WestBerlin aus Rechtsverletzungen in der DDR und bot Opfern von Zwangsmaßnahmen in der DDR Rechtshilfe an. Er wurde von der CIA unterstützt und arbeitete mit dem Ministerium für gesamtdeutsche Fragen zusammen. Zu Horst Erdmann vgl. Dok. 113, Fn. 3.



Dokument 117: 23. Juli 1952573

nischen Geheimdienstes, Rechtsanwalt Horst Erdmann5 (Deckname „Theo Friedenau“). Diese feindliche Organisation setzt für das Betreiben von Spionage und Diversion in der DDR vor allem reaktionär gesinnte Mitarbeiter von Organen der ehemaligen Hitlerjustiz und der Gestapo ein. Zwecks Anwerbung von Agenten greifen die Anführer dieser Gruppe zu Erpressung, Bestechung und Drohungen. Die „Vereinigung Freiheitlicher Juristen“ arbeitet im Auftrag der amerikanischen Spionage. 3.  Eine der aktivsten in Westberlin tätigen Spionage- und Diversionsorganisationen ist die von dem amerikanischen Agenten Hildebrandt gegründete sogenannte „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“. Diese Organisation ist eng mit dem amerikanischen Geheimdienst CIC verbunden und wird von diesem finanziert. Im Januar 1952 erteilte einer der Leiter dieser Gruppe, Saalmann,6 den Agenten der Gruppe den Auftrag, zum Terror und zum Ausführen schwerer Diversionsakte überzugehen. 4.  Eine Spionage- und Diversionsorganisation namens „Informationsbüro West“, gegründet im Dezember 1950. Leiter des „Büros“ ist ein ehemaliger Mitarbeiter des Nachrichtendienstes des Hitlerregimes, der Kriegsverbrecher Helmut Bohlmann.7 Die Hauptaufgabe dieses „Büros“ ist die Koordination und Leitung der gegen die DDR gerichteten subversiven Tätigkeit deutscher Diversions- und Spionageorganisationen aus Westberlin. Alle Spionageinformationen, die das „Büro“ von seinen Agenturen erhält, werden an Adenauer und Kaiser geleitet, und die wichtigsten davon werden an die amerikanischen Dienste weitergegeben. 5.  Das Organisationszentrum für die gegen die DDR gerichtete Spionageund Diversionsarbeit der Schumacher-Führung der SPD ist das beim Zentralvorstand der SPD im Auftrag und mit Mitteln der anglo-amerikanischen Geheimdienste8 gegründete sogenannte „Ostbüro“ [der SPD]. Die Tätigkeit 5  Im

russischen Original falsch: „Ėdman“. russischen Original falsch: „Zel’man“. Im Neuen Deutschland vom 22. Mai 1952 auf S. 1 (vgl. Fn. 2) hieß es dazu analog zu Gribanovs Bericht: „Im Januar 1952 gab einer der Leiter dieser Gruppe, Saalmann, den Agenten den Auftrag, zum Terror und zur Durchführung folgenschwerer Sabotageakte überzugehen. Sie wurden angewiesen, Eisenbahnunfälle mit Todesopfern herbeizuführen und auf diese Weise Unzufriedenheit in der Bevölkerung hervorzurufen.“ Saalmann (Deckname für Günter Paray) gilt u. a. als Auftraggeber von Johann Burianek (vgl. dazu Fn. 19 zu diesem Dokument sowie Heitzer, Kampfgruppe, S. 375–376 und 381). 7  Vgl. den Artikel „Die Spionage- und Terrorzentralen in Westberlin“ im Neuen Deutschland vom 22. Mai 1952, S. 1. 8  Eine Finanzierung des Ostbüros der SPD durch britische oder US-Geheimdienste ist für die Aufbauphase nicht auszuschließen, konnte aber bis vor wenigen Jahren nicht eindeutig belegt werden, vgl. Wolfgang Buschfort, Das Ostbüro der SPD. Von der Gründung bis zur Berlin-Krise, München 1991, S. 57–64; ders., Parteien im Kalten Krieg. Die Ostbüros von SPD, CDU und FDP, Berlin 2000, S. 63. 6  Im

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dieses „Büros“ leitet Fritz Heine, der eine Schulung in den Organen des „Political Intelligence Department“ in London durchlaufen hat. Bei der Berliner SPD ist ein ebensolches „Ostbüro“ eingerichtet worden, dessen Leiter der SPD-Funktionär Stahl ist. Viele SPD-Führer sind während ihrer Emigration im Westen in den Dienst der amerikanisch-englischen Imperialisten getreten und sind als direkte Agenten der amerikanischen und englischen Nachrichtendienste nach Deutschland zurückgekehrt mit dem Ziel, in der DDR Spionage- und Diversionsorganisationen aufzubauen. 6.  „Befreiungskomitee für die Opfer totalitärer Willkür“9. Diese Spionageorganisation wurde im Oktober 1950 in Frankfurt am Main (Amerikanische Zone) gegründet. Das Komitee arbeitet eng mit der Spionageorganisation „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ zusammen.10 Leiterin des Komitees ist die in amerikanischem Sold stehende Agentin und Trotzkistin Margarete Faust (alias Buber-Neumann). Zum Auftrag des „Komitees“ gehört die Erstellung einer Kartei von Personen, die in der DDR aus politischen Gründen verurteilt sind, und der Kampf um die Befreiung dieser Verurteilten (Spione, Diversanten, Saboteure und andere Agenten der amerikanisch-englischen Dienste). 7.  Eine Terror- und Diversionsbande mit dem Namen „Bluthunde“ betrieb im Auftrag der amerikanischen Spionage Subversion und Diversion in der DDR. Diese Gruppe von Spionen und Diversanten hatte den Auftrag erhalten, den Hochofen im Eisenhüttenkombinat Ost und die Walzanlagen in Burg zu sprengen. 15 Mitglieder dieser Organisation mit ihrem Leiter Günther an der Spitze wurden vom Obersten Gericht der DDR verurteilt.11 8.  Spionage- und Sabotagegruppe „Anita“. Diese Gruppe betrieb ihre subversive Tätigkeit gegen die DDR unter Anleitung der „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“. Sie erhielt Mittel für die subversive Tätigkeit vom englischen Geheimdienst. Vier Mitglieder dieser Gruppe wurden im Mai 1952 in Dresden von einem Gericht der DDR verurteilt.12 9  Vgl.

Heitzer, Kampfgruppe, S. 196–197 und 303–306. Heitzer, Kampfgruppe, S. 303–306. 11  In einem Schauprozess vor dem Obersten Gericht der DDR vom 18. bis 20. Februar 1952 wurden 15 Personen verurteilt, denen man die Zugehörigkeit zu einer kriminellen Gruppe namens „Bluthunde“ vorwarf. Hermann Günther wurde beschuldigt, Kopf der Gruppe gewesen zu sein. Er erhielt eine lebenslängliche Haftstrafe, die anderen wurden zu Haftstrafen zwischen vier und zwölf Jahren verurteilt. Die „Bluthunde“ sollen eng mit der KgU und dem antikommunistischen „Bund deutscher Jugend“ (BDJ) zusammengearbeitet und diverse „Terror“- und Sabotageakte sowie Anschläge geplant und durchgeführt haben. Über den Prozess gab es eine intensive Berichterstattung in der DDR-Presse, vgl. Neues Deutschland, 8. Mai 1952, S. 2: „Hohe Zuchthausstrafe für bezahlte Saboteure“. 12  Über die Aburteilung der „Agenten der Spionagegruppe ‚Anita‘  “ berichtete das Neue Deutschland am 18. Mai 1952 auf S. 2. Die vier Angeklagten wurden 10  Vgl.



Dokument 117: 23. Juli 1952575

9. Außer den aufgezählten Organisationen benutzt die amerikanische und englische Spionage für das Betreiben von Subversion gegen die DDR auch weitere DDR-feindliche Gruppen und Organisationen wie die „Exil-LDP“13, der fast ausschließlich aus der DDR geflüchtete LDP-Mitglieder angehören, eine Gruppe unter dem Namen „Exil-CDU“14 u. a. Von den Spionagediensten werden auch Mitglieder zahlreicher faschistischer, militaristischer und sonstiger reaktionärer Organisationen in Westdeutschland und Westberlin eingesetzt, indem sie als Agenten zur Einschleusung in die DDR angeworben werden. In letzter Zeit haben diese Spionage- und Diversionsgruppen und -organisationen und ihre Agenten ihre subversive Tätigkeit gegen die DDR erheblich verstärkt. In diesem Zusammenhang sahen sich die Regierung der DDR und das ZK der SED genötigt, einige Maßnahmen zur Verstärkung des Kampfes gegen Terroristen, Spione, Diversanten, Saboteure und andere Agenten des amerikanisch-englischen Imperialismus zu ergreifen. Zu diesen Maßnahmen gehören: 1.  Maßnahmen zur Stärkung der Straforgane der DDR. Im Dezember 1951 beschloss das Politbüro des ZK der SED umfangreiche Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeit der Justizorgane der DDR, in welchen das Hauptaugenmerk auf die Verstärkung der Justizorgane durch bewährte und zuverlässige Kader, auf die Stärkung der demokratischen Gesetzlichkeit in der DDR, sowie auf die Ausarbeitung eines neuen Strafgesetzbuches und einer Strafprozessordnung der DDR usw. gelegt wird.15 Am 25. Mai 1952 verabschiedete die Volkskammer der DDR das „Gesetz über die Staatsanwaltschaft der DDR“. Mit diesem Gesetz wird die Staatsanwaltschaft der DDR beauftragt, die Aufsicht über die genaue Einhaltung der Gesetze und Verordnungen der Deutschen Demokratischen Republik und die Aufsicht über die Haftanstalten auszuüben.16 wegen versuchter Brandanschläge und anderer „Sabotageakte“ zu lebenslänglich bzw. 15 und 10 Jahren Zuchthaus verurteilt. 13  Im sowjetischen Original „LDPD“, eine Bezeichnung, die zu dieser Zeit noch zusammen mit „LDP“ für ein und dieselbe Partei in der SBZ/DDR gebraucht wurde. Gemeint ist hier jedoch offensichtlich das „Ostbüro der FDP“. 14  Gemeint ist das „Ostbüro der CDU“, vgl. Keith R. Allen: Befragung – Überprüfung – Kontrolle. Die Aufnahme von DDR-Flüchtlingen in West-Berlin bis 1961, Berlin 2013, S. 22. 15  Am 11. Dezember 1951 beschloss das Politbüro des ZK der SED „Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeit der Justiz“. Dazu zählten die Einsetzung einer Partei- und einer Regierungskommission, die Vorschläge zu den genannten Themen prüfen und dem Politbüro darüber berichten sollte, sowie die Gründung eines Instituts für Rechtswissenschaften beim Ministerium für Justiz, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/182, TOP 6. 16  Am 15. Mai 1952 hatte der Ministerrat der DDR nach Vortrag von Grotewohl ohne Diskussion den Entwurf dieses Gesetzes beschlossen, vgl. BAB, DC 20-I/3/107, TOP 17 und Anlage 14. Es wurde am 23. Mai zunächst durch die Volkskammer und

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Infolge dieser Maßnahmen haben die Straforgane den Kampf gegen feindliche Elemente verstärkt. Vom Obersten Gericht der DDR wurden mehrere Prozesse gegen Terroristen, Spione, Diversanten und Saboteure geführt. Am 13. Mai d. J. fand in Berlin ein Prozess gegen vier Anführer von zwei Westberliner Terrorgruppen, der sogenannten „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ und des sozialdemokratischen „Freiheitsbunds“, statt.17 Mitte Mai 1952 fand in Dresden ein Prozess gegen eine Spionage- und Sabotagegruppe, die sich „Anita“ nannte, statt.18 Am 23. Mai 1952 fand in Berlin im Obersten Gericht der DDR ein Prozess gegen eine Bande von Terroristen, Diversanten und Spionen statt, die sich in Ostberlin im Auftrag der sogenannten „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ und des amerikanischen Spionagedienstes CIC kriminell betätigt hatten.19 2.  Zwecks Stärkung des Grenzschutzes der DDR ist die Grenzpolizei aus dem Geschäftsbereich der Hauptverwaltung der Volkspolizei in den Geschäftsbereich des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR überführt wor­ den.20 am gleichen Tag durch die Länderkammer der DDR bestätigt, vgl. Neues Deutschland, 24. Mai 1952, S. 1. 17  Das Neue Deutschland gab am 15.  Mai 1952 auf S. 6 das am Vortag ergangene Urteil unter der Überschrift bekannt: „Das Urteil des Obersten Gerichts der DDR ist eine ernste Warnung an alle, die die friedliebende Bevölkerung Berlins bedrohen“. Vgl. auch die Berichterstattung in der gleichen Zeitung bereits am Tag der Urteilsverkündung (Neues Deutschland, 14. Mai 1952, S. 1 und 8). Der „Freiheitsbund Berlin e. V.“ war 1951 als sozialdemokratisch geprägter Schutzbund gegen kommunistische Einflussnahmen in West-Berlin gegründet worden. Nach Neugründung des in Berlin formal nicht zugelassenen „Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold“ wurde er dessen korporatives Mitglied. 18  Vgl. Fn. 11 zu diesem Dokument. 19  Es handelte sich um den Schauprozess gegen Johann Burianek u. a. vor dem Obersten Gericht der DDR vom 23. bis 24. Mai 1952. Burianek wurde zum Tode verurteilt und in der DDR hingerichtet. Seit Ende des Jahres 1951 hatten mit vergleichbaren Anklagen Prozesse gegen mehr als 185 Deutsche vor Sowjetischen Militärtribunalen (SMT) stattgefunden. Insgesamt wurden dabei etwa 70 Todesurteile ausgesprochen. Bevor und nachdem Gribanov seinen Bericht verfasste, wurde der größte Teil dieser Urteile im Moskau vollstreckt, vgl. Heitzer, Affäre Walter, S. 143– 145. Im Gegensatz zu dem Schauprozess gegen Burianek fanden die SMT-Prozesse unter strengster Geheimhaltung statt. Über keines dieser Urteile wurde in der DDRPresse berichtet. 20  Die Grenzpolizei war am 12.  Mai 1952 (mit Wirkung vom 16.  Mai) aus dem Ministerium des Innern herausgelöst und dem MfS unterstellt worden, vgl. Dok. 111, Fn. 7. Am 22. Juli 1952 beschloss das Politbüro des ZK der SED: „Die Hauptabteilung Deutsche Grenzpolizei wird in eine Hauptverwaltung Deutsche Grenzpolizei im Ministerium für Staatssicherheit umgebildet.“ Vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/222, TOP 15, Anlage 11.



Dokument 117: 23. Juli 1952577

3.  Die Regierung der DDR hat am 26.  Mai  1952 eine Verordnung verabschiedet, welche das Ministerium für Staatssicherheit der DDR verpflichtet, umgehend Maßnahmen zur Verstärkung der Bewachung der Demarkations­ linie zwischen der DDR und den westlichen Besatzungszonen zu treffen, um das weitere Eindringen von Diversanten, Spionen, Terroristen und Saboteuren in die DDR zu verhindern.21 Gleichzeitig hat die Regierung der DDR eine Anordnung über die Errichtung eines Grenzregimes entlang der Demarkationslinie zu Westdeutschland erlassen. Gemäß dieser Anordnung soll entlang der Demarkationslinie ein Zehnmeterstreifen mit Abzäunungen, ein 500-Meterstreifen mit einem Sonderregime sowie eine Sperrzone von fünf Kilometer Breite errichtet werden, zu welcher der Zugang vom Territorium der DDR nur mit besonderen Passierscheinen gestattet sein wird. Ähnliche Maßnahmen sollen auch an der Küste der Ostsee vorgenommen werden.22 4.  Seit dem 1. Juni d. J. ist an der äußeren Peripherie Berlins ebenfalls ein Grenzregime eingeführt. An allen Straßen, die aus Berlin in die sowjetische Zone führen, wurden Kontrollpunkte eingerichtet. 5. Seit dem 10. Juni sind spezielle Passierscheine für Autofahrten aus Westberlin in den Ostsektor von Berlin eingeführt worden, und es wurde die Frachtkontrolle verstärkt.23

21  In einer 35-minütigen Sitzung beschloss der Ministerrat nach Begründung durch Grotewohl und Eggerath und „eingehender Aussprache, an der sich [der] Stellvertreter des Ministerpräsidenten Nuschke und die Minister Zaisser, Dertinger, Dr. Hamann und Burmeister beteiligten“, die genannte Verordnung einstimmig, vgl. BAB, DC 20-I/3/109, Dokumente der 84. a.o. Sitzung der Regierung der DDR vom 26. Mai 1952, Bl. 75–79. 22  Auf seiner Sitzung vom 20. Mai 1952 stimmte das Politbüro des ZK der SED dem „Vorschlag für einen Regierungsbeschluß zur Einführung eines besonderen Regimes an der Demarkationslinie“ zu (BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/212, TOP 3, Anlage 2). Am 26. Mai 1952 beschloss der DDR-Ministerrat dann auf einer außerordentlichen Sitzung eine „Verordnung über Maßnahmen an der Demarkationslinie zwischen der DDR und den westlichen Besatzungszonen Deutschlands“, die jedoch keine spezifischen Ausführungen enthielt. Lediglich im Entwurf findet sich folgende einschlägige Passage, die dort zwar gestrichen, aber dennoch Wirklichkeit wurde: „Entlang der Demarkationslinie, die zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und Westdeutschland verläuft, wird eine etwa 5 km breite Sperrzone errichtet, in der eine besondere Ordnung eingeführt wird.“ Vgl. BAB, DC 20-I/3/109, Materialien zur 84. a.o. Sitzung der Regierung der DDR vom 26. Mai 1952, Bl. 84. Vgl. auch Robert Lebegern, Mauer, Zaun und Stacheldraht. Sperranlagen an der innerdeutschen Grenze 1945–1990, Weiden 2002. 23  Vgl. dazu Dok. 112, Fn. 13.

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6.  Am 26. Mai wurde die Telefonverbindung zwischen West- und Ostberlin und Westdeutschland über durch DDR-Territorium verlaufende Kabel (Berlin–Hannover und Berlin–Frankfurt am Main) gekappt.24 7. Seit dem 8. Mai ist auf der Autobahn Berlin–Helmstedt der Verkehr anglo-amerikanischer Militärpatrouillen verboten.25 8.  Schon vor der Anordnung der Regierung der DDR über die Einführung eines Grenzregimes an der Demarkationslinie und an der äußeren Peripherie Berlins wurde seitens der SKK in Deutschland eine Verringerung der Zahl der Grenzkontrollstellen an der Demarkationslinie vorgenommen.26 Die von der SKK und der Regierung der DDR vorgenommenen Maßnahmen haben zu heftigen Protesten seitens der westlichen Besatzungsmächte in Deutschland geführt, die versuchen, die sowjetischen Behörden des Verstoßes gegen die Viermächtebeschlüsse über Deutschland zu beschuldigen und sie für die entstandene Lage in Deutschland verantwortlich zu machen. Diese Versuche haben sich jedoch als gegenstandslos erwiesen und sind von der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland zurückgewiesen worden.27 24  Dies geschah laut Foitzik, Interessenpolitik, S. 105, Anm. 599, am 27. Mai (vgl. die Belege dort). West-Berliner Zeitungen berichteten am 30. Mai von der Unterbrechung des Berliner Fernsprechnetzes. Die Berliner Zeitung kam dieser Bericht­ erstattung am 28. Mai offensichtlich zuvor, bezeichnete die Darstellung, die Behörden der DDR hätten das Berliner Fernsprechnetz unterbrochen, als Lüge und warf ihrerseits der West-Berliner Post vor, die Leitungen abgeschaltet zu haben (S. 2). Vgl. Sperrmaßnahmen der Sowjetzonenregierung, S. 78–79. 25  Ein Verbot des Verkehrs anglo-amerikanischer Militärpatrouillen auf der Autobahn Berlin–Helmstedt konnte nicht belegt werden. 26  Nach Angaben des Bundesministeriums für gesamtdeutsche Fragen waren bis zum 28. Mai bereits 99 von insgesamt 277 Straßen gesperrt worden, „die von Westberlin in den Sowjetsektor und in die Sowjetzone führen“, vgl. Sperrmaßnahmen der Sowjetzonenregierung, S. 25. 27  Am 29. Mai 1952 richteten die Hohen Kommissare der Westmächte gleichlautende Schreiben an Čujkov, in denen sie gegen die Sperrung von grenzüberschreitenden Verkehrswegen, die Unterbrechung von Telefon- und Telegrafenverbindungen, die Änderung von Interzonenreisebestimmungen und die Errichtung der Sperrzone entlang der Demarkationslinie protestierten. Čujkov machte in seiner Entgegnung vom 19. Juni die Westmächte selbst für die „getroffenen Maßnahmen zur Verstärkung des Schutzes der Demarkationslinie“ verantwortlich, in dem er erklärte, diese seien „durch die terroristische Diversions- und Spionagetätigkeit und andere Umtriebe der Agenten ausländischer Spionagedienste hervorgerufen worden, die aus Westdeutschland und Westberlin in die Deutsche Demokratische Republik entsandt werden“. Gerichtsverhandlungen hätten ergeben, dass westliche „Diversions- und Spionagezentren in ihrer verbrecherischen Tätigkeit weitgehend das Fehlen eines … ausreichenden Schutzes der Demarkationslinie zwischen West- und Ostdeutschland und auch in Berlin ausgenutzt“ hätten. Auch seien die Grenzmaßnahmen eine Reaktion auf das Gesetz vom 16. März 1951 über den Grenzschutz der Bundesrepublik gewesen. In ihren gleichlautenden Antwortschreiben vom 30. Juni wiesen die westlichen Hohen Kommissare dies zurück und erklärten: „Alle diese Maßnahmen, die ihren Ursprung in der



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9. Ein hochwichtiger Schritt zum Schutz der DDR vor feindlichen Anschlägen von außen ist der Beschluss der Regierung der DDR über den Aufbau nationaler Streitkräfte der Republik.28 Diese Mitteilung dient der Information. M. Gribanov29 AVP RF, f. 07, op. 27, p. 73, d. 42, Bl. 120–126.

118. Unterredung zwischen dem Politischen Berater Semenov und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht Streng geheim, Ausgangs-Nr. AP/0291

Berlin-Ost, 26. Juli 19521

Aus dem Tagebuch2 von V.S. Semenov Am 26. Juni war ich bei Ulbricht auf dessen Bitte. Bei dem Gespräch ging es um Fragen des Arbeitsplans des ZK der SED für das zweite Halbjahr 1952. Ulbricht berichtete von seinen Überlegungen zu diesem Plan. Ich sprach zu Ulbricht von den nach unserer Ansicht anstehenden grundlegenden Aufgaben auf den Gebieten der Konsolidierung des Staates, des Regimes an bewußten Absicht haben, die beiden Teile Deutschlands zu trennen und jede Verbindung zwischen ihren Einwohnern zu verhindern, sind ein eindrucksvoller Beweis für die Widersprüche zwischen den Handlungen der Behörden der sowjetischen Zone und ihren häufigen Beteuerungen zugunsten der Einheit Deutschlands“. Der Notenwechsel ist veröffentlicht in: Sperrmaßnahmen der Sowjetzonenregierung, S. 67–69. Vgl. zum Schreiben Čujkovs auch Tägliche Rundschau, 21. Juni 1952, S. 1. Der Notenwechsel setzte sich fort. Noch am 30.  Dezember rechtfertigte Čujkov gegenüber dem amerikanischen Hohen Kommissar Reber die Grenzmaßnahmen, indem er erneut von terroristischen Akten, Diversion und Spionage sprach, die z. T. mit amerikanischer Unterstützung von West-Berlin aus in der DDR verübt worden seien (vgl. BDU 1, S. 413–417). 28  Auf der II. Parteikonferenz der SED im Juli 1952 war die Schaffung „Nationaler Streitkräfte“ beschlossen worden (vgl. Dok. 112, Fn. 6). Diese wurden mit Wirkung vom 1. Juli 1952 zunächst in Form der Kasernierten Volkspolizei institutionalisiert, 1956 dann als Nationale Volksarmee. Vgl. Torsten Diedrich, Die Kasernierte Volkspolizei (1952–1956), in: Diedrich/Ehlert/Wenzke, Im Dienste der Partei, S. 339– 369, hier S. 339–340. 29  Handschriftlich. 1  Hauptadressat war Vyšinskij. Weitere Exemplare gingen an Čujkov, Grigor’jan, Semičastnov und in die Akten. Hier liegt das von Semenov unterschriebene fünfte Exemplar für die Akten vor. Das Dokument erhielt am 6. August 1952 die Ausgangsnummer AP/0291. 2  „Tagebuch“ ist ein aus der russischen Kanzleisprache übernommener Begriff des Auswärtigen Dienstes der UdSSR für Gesprächsaufzeichnungen.

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der Grenze der DDR zu Westdeutschland, des Aufbaus der Streitkräfte der DDR, der Festigung der Rechtsordnung, der Verbesserung der Arbeit der Volkspolizei, der Verwaltungsreform und der Arbeit des Staatsapparats. Ulbricht sagte, er werde die von mir geäußerten Überlegungen bei der Erstellung des ZK-Plans berücksichtigen. Sodann stellte Ulbricht die Frage nach dem Entwurf für das Programm der KPD, der dieser Tage vom Politbüro des ZK der SED bestätigt worden sei.3 Ulbricht äußerte die Ansicht, dass es zweckmäßig wäre, das KPD-Programm zu veröffentlichen, bevor das Gerichtsverfahren gegen die KP Deutschlands abgehalten werde.4 Dabei wandte sich Ulbricht an mich mit der Frage, was wir zum Programmentwurf anzumerken hätten. Ich antwortete, dass wir die Absendung des Dokuments nach Moskau nicht aufhalten wollen. Sollten unsere Anmerkungen benötigt werden, so werden wir sie nach Moskau mitteilen.5 Des Weiteren warf Ulbricht die Frage nach der Lage in Berlin auf. Nach Ulbrichts Meinung ist es dringend notwendig, Maßnahmen zur Beendigung der massenhaften Lebensmittelkäufe durch Bewohner Westberlins in Ostberlin sowie zur Unterbindung der auf der Währungsdifferenz basierenden Spekulation zwischen Ost- und Westberlin zu treffen. Konkret schlägt Ulbricht vor, Lebensmittel und defizitäre Waren nur gegen Vorlage von Ausweisen der DDR zu verkaufen oder aber im äußersten Falle die Abgabe von Waren an einen einzelnen Käufer quantitativ zu begrenzen. Außerdem sprach sich Ulbricht erneut6 für die Einführung von Passierscheinen für Fahrten von Westberliner Autos in den demokratischen (sowjetischen) Sektor von Berlin aus. Ich antwortete, der Verkauf von Waren gegen DDR-Ausweise oder die Kürzung der Abgabemenge an eine Person bringe nach der Meinung sowjetischer Spezialisten nicht das gewünschte Ergebnis, da ein solches Verbot angesichts des breiten Netzes privater Geschäfte in Ostberlin praktisch schwer durchzusetzen sei und eine solche Maßnahme nur zu verstärkter Spekulation führen würde. Ulbricht erklärte, er sei mit diesem Befund der so­ 3  Das Programm der KPD war im SED-Politbüro am 01.07.1952 angenommen worden, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/218, TOP 5 (vgl. dazu auch Dok. 87, Fn. 13). 4  Das Neue Deutschland veröffentlichte am 13. November 1952 das „Programm der nationalen Wiedervereinigung Deutschlands. Beschlossen vom Parteivorstand der Kommunistischen Partei Deutschlands am 2. November 1952“, vgl. Dok. 87, Fn. 13. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete nicht über die Tagung des KPDParteivorstandes. Bereits am 16.  November 1951 hatte die Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der SRP und der KPD beantragt. Am 23. November 1954 begann die Verhandlung gegen die KPD, am 17. August 1956 wurde sie verboten. Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17. November 1951, S. 1; 26. November 1954, S. 2; 18. August 1956, S. 1. 5  Ein entsprechendes Telegramm konnte im AVP RF nicht ermittelt werden. 6  Vgl. Dok. 112 und dort Fn. 13.



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wjetischen Spezialisten nicht ganz einverstanden und er werde die Frage ­restriktiver Maßnahmen im Handel und im sektorenüberschreitenden Autoverkehr in Berlin gegenüber der SKK erneut stellen. Sodann unterstrich Ulbricht die Notwendigkeit, die Frage der Einführung einer Bewachung der Sektorengrenze Ostberlins zu Westberlin zu prüfen. Gegenwärtig bestehe freier Verkehr zwischen beiden Teilen der Stadt. Das werde von westlichen Aufklärungsdiensten, Spekulanten und Schmugglern auf breiter Front für subversive Aktionen gegen die DDR ausgenutzt. Bei einem Beibehalten der bestehenden Lage in Berlin zeige die im Juni von der Regierung der DDR vorgenommene Schließung der DDR-Grenze7 nicht die erforderliche Wirkung, da die Einschleusung von Spionen und Terroristen hauptsächlich über Westberlin erfolge. Außerdem ermögliche das Fehlen einer Bewachung der Sektorengrenze allerlei Kriminellen, Veruntreuern, feindlichen Agenten, Deserteuren u. a., sich frei aus der DDR nach Westberlin und Westdeutschland „abzusetzen“, was den Kampf gegen Kriminalität und feindliche Elemente auf dem Territorium der DDR extrem erschwere. Fehlende Bewachung der Sektorengrenze in Berlin ermögliche es auch westlichen Aufklärungsdiensten, die ingenieurtechnische Intelligenz aus der DDR mit allen Mitteln hinüberzuziehen, um so den Fünfjahrplan zu sabotieren. Ulbricht betonte, die materiellen Fragen bezüglich der Intelligenz seien nach der Erhöhung der Löhne für Ingenieure, Techniker und Meister zwar geregelt, aber dennoch sei es unvermeidlich, dass die Verschärfung des Klassenkampfes in der DDR im Zusammenhang mit dem Aufbau des Sozialismus unter der bürgerlichen Intelligenz unweigerlich zu einer schwankenden Haltung und folglich zur Flucht eines Teils der Intelligenz in den Westen führe. Auch sei der Umstand zu berücksichtigen, dass bei den alten Kadern der hochqualifizierten technischen Intelligenz Verbindungen zu westdeutschen Konzernen bestehen und sogar inoffizielle Verbindungen zu verkappten Aufklärungsorganisationen, von denen es in Westberlin nur so wimmele.8 Dies 7  Gemeint ist die am 26.  Mai 1952 vom Ministerrat der DDR auf Weisung der SKK beschlossene und unmittelbar danach umgesetzte Grenzschließung zur Bundesrepublik, vgl. Dok. 111 und 115 sowie Dok. 117, Fn. 22. 8  Vgl. dazu Dok. 117. Nach der Niederschlagung des Volksaufstands in der DDR berichtete der Leiter der Dienststelle Berlin-West des Auswärtigen Amts, Meynen, am 14. November 1953 über die Beschaffung von Informationsmaterial (vgl. ebenda, Fn. 2). Es gebe in West-Berlin insgesamt 42 private und halboffizielle deutsche Organisationen, die über die SBZ und den Ostblock berichteten, aber nur sehr „mangelhaft“ zusammenarbeiteten. Häufiger sei, dass sie gegeneinander arbeiteten. Die wichtigsten seien die „Organisation Gehlen“, die „Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit“ und das „Informationsbüro West“, von dem das Ministerium für gesamtdeutsche Fragen seine Informationen beziehe. Die drei Geheimdienste der Westalliierten, Se­ cret Service, CIC und Sûreté, seien am besten informiert. „Es wird hier allgemein die Ansicht vertreten, dass von französischer Seite neben den offiziellen Verbindungen zu den Sowjets über die französische Verbindungsstelle [Militärmission] in Potsdam

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alles erfordere Maßnahmen zum Schutz der Sektorengrenzen zwischen Ostund Westberlin. Anderenfalls werde es sehr schwer sein, in der DDR einen gefestigten sozialistischen Staat aufzubauen. Die Frage sei, fuhr Ulbricht fort, wann diese Maßnahmen durchzuführen seien. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wäre dies verfrüht. Ulbricht ist aber der Meinung, dass die Bewachung der Sektorengrenze in Berlin sofort nach der Ratifizierung des Bonner Separatvertrages durch den Bundestag (Ende September – Anfang Oktober d. J.9) eingeführt werden muss. Sowohl außenpolitisch als auch innenpolitisch sei eine solche Maßnahme im Zusammenhang mit der Ratifizierung des Bonner Vertrages vollkommen gerechtfertigt und werde keine ernsthaften Schwierigkeiten verursachen. Ich bemerkte, die Bewachung der Sektorengrenze in Berlin sei mit erheblichen technischen Schwierigkeiten verbunden. Ich fragte, ob Ulbricht dazu konkrete Vorstellungen habe. Ulbricht antwortete, diese Schwierigkeiten seien zu meistern. Er führte dabei einige Überlegungen an, die der Präzisierung und Überprüfung bedürfen. Nach Ulbrichts Meinung ermöglicht es die Einführung eines Systems von Passierscheinen für Bürger Westberlins bei Bewachung der Sektorengrenze selbst im Falle eines Einsickerns aus Westberlin über diese [Grenze], einen effektiven Kampf gegen illegales Eindringen unerwünschter Elemente auf das Territorium Ostberlins und der DDR zu organisieren. Es würden auch solche Fragen entfallen wie die Frage der Währungsdifferenz und der damit verbundenen Spekulation, der Hamsterkäufe von Lebensmitteln in Ostberlin, der Flucht schwankender Elemente der Intelligenz, da solche Fluchten mit Gefahr verbunden seien, sowie die Frage der Verbreitung antidemokratischer Literatur aus Westberlin u. a. Ulbricht bemerkte, das Straßenbahnnetz und die U-Bahn-Linien in Ostberlin seien bereit für den alleinigen Betrieb auf Ostberliner Seite.10 Soweit beauch Kontakte diskreter Natur von der Sûreté zu sowjetischen Dienststellen bestehen sollen.“ Vgl. PA AA, B 130, Bd. 6046A, Bl. 122–125. 9  Gemeint ist der „Deutschlandvertrag“ (vgl. Dok. 20, Fn. 12), der am 26.  Mai 1952 unterzeichnet, aber erst am 19. März 1953 im Deutschen Bundestag ratifiziert wurde (vgl. Dok. 123, Fn. 8). Er trat mit leichten Abänderungen am 5. Mai 1955 in Kraft. 10  Bereits ein Jahr zuvor, am 21. Juli 1951, hatten die Berliner Verkehrsbetriebe ein Schreiben mit einer Auflistung von „Betriebsmaßnahmen im Falle einer Verkehrsspaltung“ eingereicht. Dieses war an die „Abteilung Verkehr u. Städtische Betriebe z. Hd. des Magistratsdirektor Franzel“ adressiert, ging aber laut handschriftlicher Notiz weiter an Heinrich Rau, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/3681, Bl. 1–3. Die Überlegungen fanden Eingang in ein Schreiben Raus an Ulbricht vom 10. August 1951, in dem bestehende Abhängigkeiten zwischen Ost- und West-Berlin in Bezug auf die Energie- und Wasserversorgung und die Verkehrsbetriebe sowie Pläne zu ihrer Überwindung dargelegt waren. Darin hieß es: „Die Aufstellung zeigt, dass mit relativ wenigen Mitteln und in verhältnismäßig kurzer Zeit jegliche Abhängigkeit von den



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kannt, seien in Westberlin ebenfalls ähnliche Vorbereitungen getroffen worden. Eine langfristige Beibehaltung der gegenwärtig in Berlin bestehenden Lage hält Ulbricht für unmöglich. Ich sagte, ich verstünde die Überlegungen Ulbrichts. Diese Frage sei jedoch sehr kompliziert und müsse gründlich durchdacht werden. Diese Frage könne nicht hier in Berlin entschieden werden, und wenn das ZK der SED es für zweckmäßig halte, dann müsse man sie Moskau vorlegen.11 Ulbricht erklärte, er werde darüber in Moskau sprechen.12 V. Semenov13 AVP RF, f. 0457a, op. 12, p. 65, d. 3, Bl. 219–222.

Westsektoren beseitigt werden kann. Andererseits ergibt sich, dass die Westsektoren sich ebenfalls vorbereiten auf Beseitigung der Abhängigkeiten von uns.“ Vgl. ebenda, Bl. 39–40, hier Bl. 39. Für den getrennten Betrieb der U-Bahnen, S-Bahnen und Straßenbahnen sowie der Schifffahrt waren hier bestimmte Baumaßnahmen vorgesehen, vgl. ebenda, Bl. 41–56, zum Verkehr insbesondere Bl. 42 und 49–56. 11  Eine entsprechende Vorlage für „Moskau“ (d. h. im Regelfall für das MID, das sie ggf. nach Prüfung an das ZK der KPdSU bzw. an Stalin weiterleiteten konnte) ließ sich nicht ermitteln. In Dok. 133 ist ein Vorschlag der „DDR-Führung“ erwähnt, der zu diesem Zeitpunkt von der SKK unterstützt wurde. Diese Initiative führte zu einem Beschlussentwurf für das Politbüro des ZK der KPdSU, der jedoch dort nicht auf die Tagesordnung gesetzt wurde, vgl. Dok. 133, Fn. 8. 12  Am 2. September beschloss das Politbüro des ZK der SED, eine Delegation zum XIX. Parteitag der KPdSU (5.–14. Oktober 1952) zu entsenden. Ihr gehörten Wilhelm Pieck, Otto Grotewohl, Walter Ulbricht, Elli Schmidt, Erich Honecker, Erich Wirth und Ernst Großmann an (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/229, TOP 12). Am 18. Oktober erstatteten Pieck, Grotewohl und Ulbricht dem Politbüro Bericht über den Parteitag (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/239, TOP 2). Welche Gespräche Ulbricht dort geführt hat oder ob er bereits vor dieser Reise in Moskau war, konnte nicht ermittelt werden. 13  Handschriftlich.

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119. Schreiben des stellvertretenden Vorsitzenden der SKK Maširin an den Vorsitzenden der SKK Čujkov Geheim

Berlin-Ost, 26. Juli 19521

An den Vorsitzenden der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland Armeegeneral Gen. V.I. Čujkov Über die Reorganisation der Abteilung für Wirtschaftsfragen2 Die Abteilung für Wirtschaftsfragen erfüllt gegenwärtig folgende Funktionen3: Aufsicht über die Arbeit der Staatlichen Plankommission der DDR und Hilfeleistung für die Deutschen bei der Organisation der Planung und Kontrolle der Erfüllung der staatlichen Pläne (Produktion, Investitionsbau und Einführung von Produktionskapazitäten, Warenverkehr, Arbeit, Löhne und Produktionskosten, Ausbildung und Verteilung von Arbeitskräften und ingenieur-technischen Kadern, sowie Finanzierung). Aufsicht über die Versorgungsorganisationen der DDR und über die Erstellung des Plans zur materiellen Versorgung und Hilfeleistung für die Deutschen bei der Organisation der materiellen Versorgung der Volkswirtschaft, sowie Kontrolle des materiellen Unterhalts der Gruppe der sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland. Kontrollfunktionen im Außenhandel und im innerdeutschen Handel: Hilfeleistung für die Deutschen bei der Erstellung des Außenhandelsplans, Kon­ trolle der Erfüllung dieses Plans und Beteiligung an der operativen Leitung des Außenhandels. Aufsicht über den Binnenhandel und Hilfeleistung für die Deutschen beim Regeln des staatlichen und genossenschaftlichen Handels, beim Erstellen des 1  Das Original ging an Čujkov. Weitere Exemplare gingen an Semičastnov, Semenov, Perelivčenko, Petrov und Maširin. Es handelt sich um das dritte Exemplar. Das Dokument erhielt im Sekretariat der SKK am 28. Juli 1952 die Registraturnummer Vch Nr. 06102 und am gleichen Tag in der Verwaltung des Politischen Beraters die Eingangsnummer 03946 sowie den Vermerk: „An Semenov“. Am linken Blattrand vermerkte Semičastnov: „An Gen. Semenov zur Beschlussfassung“. 2  Zu vorangegangenen Reorganisationen der SKK vgl. Dok. 108 und dort Fn. 2 und 5. 3  Zu einer früheren Definition der Zuständigkeiten vgl. SKK-Statut, S. 123–128. Die Funktionen sind hier nun breiter gefasst offensichtlich infolge der Abschaffung der Abteilung für Materialbilanzen und Außenhandel und der Abteilung für Kontrolle über wissenschaftlich-technische und Forschungstätigkeit am 10. Januar 1951, vgl. Dok. 108, Fn. 5.



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Warenverkehrsplans und der Kontrolle seiner Erfüllung, sowie Kontrolle der Lebensmittelversorgung der Gruppe der sowjetischen Besatzungstruppen. Kontrolle der Arbeit der Forschungsorganisationen in der DDR und Hilfeleistung für die Deutschen bei der Planung der wissenschaftlichen Forschungstätigkeit und bei der Regelung der Kontrolle der Planerfüllung bei Forschungsarbeiten. Hilfeleistung für die Deutschen bei der Entscheidung von Fragen im Zusammenhang mit der Organisation der Planung von Arbeit und Löhnen, der Ausbildung und des Einsatzes von Arbeitskräften sowie der Ausbildung und des Einsatzes ingenieur-technischer Kader. Kontrolle der Organisation der Statistik in der DDR, Regelung des statistischen Berichtswesens, Organisation staatlicher Volkszählungen und der Analysearbeit auf dem Gebiet der Statistik. Außerdem beteiligt sich die Abteilung für Wirtschaftsfragen an der Regelung von Wirtschafts-, Gewerbe- und Finanzfragen, die in die Zuständigkeit anderer Organe der SKKD fallen. Die Abteilung für Wirtschaftsfragen besteht aus acht selbständigen Büros und Bereichen und zählt 75 fest angestellte Mitarbeiter. Der Kreis der in die Zuständigkeit der Abteilung für Wirtschaftsfragen fallenden Fragen ist äußerst vielfältig, der Arbeitsumfang ist erheblich, und die Leitung einer solchen Abteilung ist für eine einzelne Person überaus schwierig. Die derzeit stattfindende Verwaltungsreform und die in letzter Zeit gegenüber der DDR aufgetretenen neuen Aufgaben werden ein tieferes und sorgfältigeres Studium aller Fragen erfordern und den Kreis der Aufgaben, die auf die Abteilung zukommen, erweitern. Zudem erfordert die gegenwärtige Lage neben der Lösung von Einzelaufgaben auch die Entscheidung komplexer Fragen, die eine große Anzahl von Branchen der Volkswirtschaft und Tätigkeitsfeldern der Regierungsorgane der DDR umfassen. So verlangte beispielsweise die Regelung der Frage der Ausweitung des Warenverkehrs im Zusammenhang mit der Erhöhung der Löhne die Organisation einer engen Zusammenarbeit einiger Mitarbeiter der Wirtschaftsabteilung, der Industrieabteilung, der Finanzabteilung und der Landwirtschaftsabteilung, um Fragen der Produktion, Fragen der Materialversorgung und Fragen der Planung, des Handels, der Preise und der Selbstkosten zu regeln. Die Prüfung und Analyse aller Fragen, die in die Zuständigkeit der Abteilung für Wirtschaftsfragen fallen, wird ihrer Natur nach für einen einzelnen Abteilungsleiter sehr schwierig. Daher ergibt sich praktisch die Notwendig­ keit,4 die Abteilung für Wirtschaftsfragen in zwei selbständige Abteilungen 4  Ab hier bis zum Ende des nächsten Absatzes linksseitig handschriftlich angestrichen.

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aufzuteilen und in einer dieser Abteilungen Fragen im Zusammenhang mit der Planung der Volkswirtschaft der DDR, der Planung der Materialversorgung, der Arbeit und der Löhne, der Kontrolle der Planerfüllung, des Rechnungs- und Berichtswesens (Statistik) und der Planung der Forschungstätigkeit sowie der Leitung der wirtschaftlichen Arbeit in den Bezirken der Republik zu konzentrieren und in der anderen Abteilung Fragen des Handels und des Warenverkehrs, der Leitung der Nahrungsmittel- und Leichtindustrie und der Leitung der lokalen und handwerklichen Industrie. Die Arbeitspraxis zeigt auch, dass das Büro für Außenhandel und Innerdeutschen Handel unmittelbar dem stellvertretenden Vorsitzenden der SKKD unterstellt sein sollte. Die Notwendigkeit, in der SKKD eine selbständige Abteilung für die Kontrolle des Warenverkehrs, für die Nahrungsmittel- und Leichtindustrie und für die Leitung dieser Branchen einzurichten, wird durch folgende Überlegungen untermauert: Der DDR stehen große Aufgaben im Bereich der Entwicklung der Energieversorgung, der Metallurgie, des Schwermaschinenbaus, der Chemie, des Erzbergbaus, der Militärindustrie und des Investitionsbaus bevor. Die Entwicklung dieser Branchen wird von einer erheblichen Zunahme der Zahl der Beschäftigten und des Lohnfonds begleitet sein, wobei besonders die Erhöhung der Löhne für ingenieur-technische Beschäftigte, Meister und Fach­ arbeiter zu berücksichtigen ist. Um den Volkswirtschaftsplan auszugleichen und ein systematisches Wachstum des materiellen Niveaus der Bevölkerung sicherzustellen, muss ein entsprechendes Wachstum des Warenverkehrs und dementsprechend ein Wachstum der Produktion von Nahrungsmitteln und Gütern des Massenbedarfs gewährleistet5 sein. Von hauptsächlicher Bedeutung im Warenverkehr sind die Nahrungsmittelund die Leichtindustrie. Alle übrigen Branchen, die Güter des Massenbedarfs herstellen, haben lediglich unterstützende Bedeutung und fallen im Warenverkehr anteilsmäßig nur unbedeutend ins Gewicht. Deshalb muss zur Lösung der Aufgaben, die der DDR zur Sicherstellung des Warenverkehrs gestellt sind, die Leitung dieser Fragen sowohl in der Regierung der DDR als auch in der SKKD in jeweils einer Hand konzentriert sein. Im Zusammenhang mit der Regelung dieser Frage steht auch die Überführung einer Gruppe von mit der Kontrolle der Arbeit der Leichtindustrie der DDR befassten Mitarbeitern aus der Industrieabteilung in die Abteilung für Nahrungsmittelindustrie, Leichtindustrie und Handel.6

5  Das

kursiv gesetzte Wort ist nachträglich handschriftlich eingefügt. Absatz ist linksseitig handschriftlich angestrichen.

6  Dieser



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Die Durchführung der genannten Maßnahmen wird dafür sorgen, dass eine eingehende und tiefe Analyse aller wirtschaftlichen Fragen und eine Verbesserung der Kontrolle und Leitung auf dem Gebiet des Wirtschaftslebens der DDR ermöglicht wird und sie wird die Möglichkeit schaffen, die von der Leitung der SKKD zu entscheidenden Fragen sorgfältiger im Voraus zu erarbeiten. Im Hinblick auf die Wichtigkeit dieser Frage bitte ich um Ihre Genehmigung, sie auf der Konferenz der Leitung der SKKD zu behandeln.7 A. Maširin8 AVP RF, f. 0457а, op. 12, p. 65, d. 2, Bl. 104–107.

120. Telegramm des stellvertretenden Außenministers Gromyko an den Vorsitzenden der SKK Čujkov und den Politischen Berater Semenov Streng geheim

30. Juli 19521

Chiffriertes Telegramm Außer der Reihe Nach Berlin An Čujkov, Semenov ADM/30. Der Vorschlag der SKK2 zur Aufhebung der rechtlichen Beschränkungen für ehemalige Offiziere der deutschen Armee sowie für ehemalige Mitglieder der Nazipartei und ihrer Untergliederungen ist angenommen, wodurch diesen die bürgerlichen und politischen Rechte gleichermaßen mit allen anderen deutschen Staatsbürgern zuerkannt sind. Die Aufhebung der rechtlichen Beschränkungen soll nicht für diejenigen ehemaligen Offiziere und ehemaligen Nazis gelten, die aufgrund eines Gerichtsurteils wegen während der Zeit ihrer Mitgliedschaft in der Nazipartei oder ihren Untergliederungen begangener Kriegs- und anderer Verbrechen eine Strafe in Haftanstalten verbüßen. 7  Belege

für diese Konferenz konnten im AVP RF nicht ermittelt werden.

8  Handschriftlich.

1  Original an die 10. Abteilung. Dort wurde es am 30. Juli 1952 abgelegt ohne Angabe zur Uhrzeit der Absendung. Ein weiteres Exemplar erhielt Vyšinskij. Ein Mitarbeiter der 10. Abteilung vermerkte: „Zur Kenntnis an Puškin, Podcerob, Gribanov“. Am Fuß gibt es eine Paraphe von Vyšinskij mit Datum vom 29. Juli. 2  Ein entsprechendes Telegramm konnte im AVP RF nicht ermittelt werden.

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Sie sind angewiesen, der Regierung der DDR zu empfehlen, die oben genannte Maßnahme durchzuführen.3 Teilen Sie den Vollzug telegraphisch mit.4 AVP RF, f. 059, op. 28, p. 3, d. 19, Bl. 81.

121. Aufzeichnung des Leiters der Gruppe West-Ost und Interzonenhandel im Bundesministerium für Wirtschaft Kroll Tgb. Nr. 49 344/52 vertraulich

Bonn, 31. Juli 19521

1.  Der Vorsitzende der Gruppe Walzstahl, Direktor Bruns, hat den Herrn Bundeswirtschaftsminister in der vergangenen Woche davon unterrichtet, daß Vertreter sowjetischer Außenhandelsstellen über einen Mittelsmann an ihn mit der Anregung herangetreten wären, in einem unverbindlichen, informellen Meinungsaustausch mit Vertretern westdeutscher, am Handel mit dem Osten interessierter Wirtschaftskreise die Möglichkeiten direkter Geschäftsbeziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion zu erörtern. Herr Bruns betonte, daß er und einige westdeutsche Industrievertreter zu einer solchen unverbindlichen Aussprache bereit wären, falls das Bundeswirt3  Am 16. September 1952 nahm das Politbüro des ZK der SED einen entsprechenden Gesetzentwurf an (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/232, TOP 7 und Anlage 4). Daraufhin beschloss die Regierung der DDR am 25. September 1952 das „Gesetz über die staatsbürgerlichen Rechte der ehemaligen Offiziere der faschistischen Wehrmacht und der ehemaligen Mitglieder und ‚Anhänger der Nazipartei‘ “ (vgl. BAB, DC 20-I/3/137, TOP 6, Anlage 4, Bl. 134–135). Darin hieß es: „§ 1: Alle im ‚Gesetz über den Erlaß von Sühnemaßnahmen …‘ vom 11. November 1949 [vgl. Dok. 78, Fn. 2] … festgelegten Einschränkungen der Rechte für frühere Offiziere der faschistischen Wehrmacht und für ehemalige Mitglieder der NSDAP oder deren Gliederungen werden aufgehoben. Diesen Personen werden die gleichen bürgerlichen und politischen Rechte gewährt wie allen anderen deutschen Staatsbürgern. § 2: Die im § 1 bestimmte Aufhebung der Beschränkungen der Rechte bezieht sich nicht auf die ehemaligen Mitglieder der NSDAP oder deren Gliederungen sowie auf frühere Offiziere der faschistischen Wehrmacht, die wegen Kriegsverbrechen oder anderer Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die sie als Mitglieder oder Anhänger der NSDAP oder ihrer Gliederungen begangen haben, gerichtlich verurteilt sind und ihre Freiheitsstrafen verbüßen.“ Die den Beschlüssen zugrundeliegende Herangehensweise war bereits in der sowjetischen Note vom 10.  März 1952 unter Punkt  6 formuliert, vgl. DDS 1, S. 292. 4  Eine Antwort von Čujkov und Semenov konnte im AVP RF nicht ermittelt werden. 1  Beglaubigte Abschrift. Sie ging am 7. September in der Abteilung II des Auswärtigen Amts ein. Am Kopf vermerkte Blankenhorn: „Ich habe seiner Zeit erhebliche Bedenken geäussert. Da ich nach Paris abreiste habe ich an der weiteren Behandlung der Frage nicht teilgenommen.“



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schaftsministerium sein Einverständnis dazu geben würde. Der Herr Bundeswirtschaftminister hat im Einklang mit dem Kabinettsbeschluß vom 24. Juni 1952 betr. Ost-Handel2 Herrn Bruns erklärt, daß er gegen ein solches Zusammentreffen grundsätzlich keine Bedenken hätte. Im Hinblick auf den politischen Charakter aller Ost-West-Gespräche und zwecks Vermeidung einer mißverständlichen Interpretation eines solchen Zusammentreffens im Inund Ausland halte er es jedoch für notwendig, vorher die Alliierten hierüber zu unterrichten und ihr Einverständnis hierzu herbeizuführen. Im Einklang mit dieser Weisung habe ich nach Absprache mit Staatssekretär Dr. Lenz und Min. Dir. Blankenhorn3 den Leiter der East West Trade Group der amerikanischen Hohen Kommission, Mr. Kiefer, sowie Col. Griffin von der britischen Hohen Kommission von der geplanten Besprechung unterrichtet und sie gefragt, ob sie gegen das Zusammentreffen Bedenken hätten. Beide Herren verneinten dies ausdrücklich und bedankten sich für die Unterrichtung, wobei Col. Griffin sogar ausdrücklich betonte, er hoffe, daß bei dieser Aussprache ein positives Ergebnis im Sinne der Wiederanknüpfung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion erzielt werde. 2.  Ich habe in diesem Sinne Herrn Bruns verständigt und dabei erneut mit Nachdruck betont, daß die Besprechungen selbstverständlich völlig privater Natur und für die Bundesregierung in keiner Weise verbindlich sein dürften. Herr Bruns hat dies ausdrücklich bestätigt. Die Gruppe – etwa sechs bis acht Herren – werden sich voraussichtlich zu Beginn der kommenden Woche in Kopenhagen treffen und nach Rückkehr das Bundeswirtschaftsministerium über den Verlauf der Besprechungen unterrichten.4 Herrn Staatssekretär erg. vorgelegt. 2  Auf der Grundlage eines von der SPD initiierten Bundestagsbeschlusses vom 6.  Mai 1952 für eine Ausweitung des Osthandels (BT Stenographische Berichte, 207. Sitzung, 6. Mai 1952, S. 8961–8967 und Anlage 1, S. 9011–9012) nach der Unterzeichnung des „Deutschlandvertrages“ (vgl. Dok. 20, Fn. 12) legte Bundeswirtschaftsminister Erhard dem Bundeskabinett einen Beschluss betr. Osthandel vor, vgl. Kabinettsprotokolle, Bd. 5 (1952), S. 403. Unter Rücksichtnahme auf amerikanische Empfindlichkeiten solle die Wiederanknüpfung von Wirtschaftsbeziehungen behutsam und unauffällig eingeleitet werden. Schrittweise sollten vertragliche Regelungen angestrebt werden; das Wirtschaftsministerium solle einen Zusammenschluss der beteiligten Wirtschaftskreise (Ostausschuss) organisieren. Der Stellvertreter des Bundeskanzlers Blücher setzte dazu eine öffentliche Erklärung zur Anbahnung von Wirtschaftskontakten durch (zur Verwirklichung dieses Vorschlags vgl. Mitteilung des Bundespresseamtes Nr. 664/52 vom 3. Juli 1952). Zur gleichgerichteten früheren Position Blüchers vgl. Dok. 31, Fn. 52. 3  Die hier und im Folgenden kursiv hervorgehobenen Wörter sind handschriftlich unterstrichen und am linken Rand markiert. 4  Vgl. zur Besprechung in Kopenhagen, die am 4. August stattfand, den Bericht des Gesandten Kaumann in AAPD (1952), S. 565–566.

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Ich darf im Einvernehmen mit Staatssekretär Dr. Lenz und Min. Dir. Blankenhorn vorschlagen, das Kabinett bei nächster Gelegenheit über die Angelegenheit zu informieren. gez. Dr. Kroll PA AA, B 130A, Bd. 3175A.

122. Aufzeichnung des Legationsrats I. Klasse Kossmann 212-14 III 193/52 g.

Bonn, 15. August 19521

betr.: Verhältnis zu den osteuropäischen Exilgruppen. I. Wirtschaftliche und kulturelle Fragen. A. Im Herbst v. J. wurde zur Ausarbeitung der allgemeinen Richtlinien hinsichtlich der wirtschaftlichen und kulturellen Betreuung2 der Exilanten ein interministerieller Ausschuss gebildet. Beschlüsse sind von diesem Ausschuss bisher nicht gefasst worden. In seinen Sitzungen standen sich im wesentlichen zwei Bestrebungen gegenüber: 1.  Möglichst rasche Integrierung der in der Bundesrepublik verbliebenen Exilanten in das deutsche Wirtschafts- und Kulturleben (ein Standpunkt, der hauptsächlich von den inneren Ressorts vertreten wird). 2.  Zurückhaltung in dieser Hinsicht aus Rücksichtnahme auf das Ausland. Da die Erfahrung gezeigt hat, dass die Integrierung von Minderheiten ohnehin dann am schnellsten verläuft, wenn sich die amtlichen Stellen hierbei zurückhalten, empfehlen sich grundsätzlich im Hinblick auf das Ausland die folgenden allgemeinen Richtlinien: 1. Verzicht auf jegliche Maßnahmen, die als Germanisierungsversuche ausgelegt werden könnten. 2.  Weitherzige Auslegung der Gesetze und Verordnungen bei der Behandlung von Exilantenangelegenheiten. 3. Beteiligung des Auswärtigen Amts bei Exilantenfragen von grösserer Tragweite.

1  Durchschlag.

2  Alle hier und im Folgenden hervorgehobenen Wörter sind, wenn nicht anders angegeben, im Original unterstrichen.



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B. Besonders zu behandeln ist die Frage des akademischen Studiums und der wissenschaftlichen und kulturellen Institutionen der Exilanten, da hierbei bereits das aussenpolitische Moment stärker hervortritt. Unabhängig davon, ob der Europarat seine diesbezüglichen Pläne realisieren kann, empfiehlt sich in dieser Angelegenheit eine positive Haltung. Die Vorarbeiten auf diesem Gebiet wären vom Auswärtigen Amt, Abt. VI, mit dem Bundesministerium des Innern in die Wege zu leiten. II. Aussenpolitische Fragen. A. Organisation. Um wenigstens auf dem behördlichen Gebiet die erwünschte Koordinierung der Exilantenpolitik zu gewährleisten, wäre diese Politik, soweit sie aussenpolitischen Charakter trägt, dem Auswärtigen Amt zur Steuerung zu überlassen. Die notwendige Zusammenarbeit mit anderen auf diesem Gebiete tätigen Behörden ist jedoch von Fall zu Fall herbeizuführen. Entsprechend den Einrichtungen der USA, Englands und Frankreichs wäre die praktische Tätigkeit auf dem Gebiete der Exilantenpolitik im Rahmen privater Institutionen durchzuführen. Als solche Zwischenstellen können in gewissen Fällen die Landsmannschaften der deutschen Vertriebenen3 eingeschaltet werden. Da jedoch unsere politische Betätigung im wesentlichen auf der Grundlage der europäischen Idee erfolgen wird, liegt es nahe, aus den Kreisen der deutschen Europa-Bewegung ein Komitee für politische Exilan3  Nachdem sich an der Herkunftsregion orientierte Landsmannschaften der Vertriebenen trotz alliierten Verbotes bereits informell gebildet hatten, gründeten sich Ende 1948/Anfang 1949 offiziell die ersten Landsmannschaften auf Bundesebene. Am 9. April 1949 wurde der überregional und zentralistisch organisierte und sozialpolitisch orientierte „Zentralverband vertriebener Deutscher“ (ZvD) gegründet, der sich 1951 unter Einschluss der Sudetendeutschen Landsmannschaft und der Landsmannschaft Schlesien in den „Bund der vertriebenen Deutschen“ (BvD) umbenannte. Zeitgleich gründeten sich die stärker partikularistisch ausgerichteten „Vereinigten Ostdeutschen Landsmannschaften“ (VOL), denen die Landsmannschaft Ostpreußen, die Pommersche Landsmannschaft, die Landsmannschaft Weichsel-Warthe und die Landsmannschaft Westpreußen angehörten. Nach Beitritt der Deutsch-Baltischen Landsmannschaft, der Landsmannschaft Berlin-Brandenburg, der Landsmannschaft der Deutschen aus Jugoslawien, der Landsmannschaft Schlesien – Nieder- und Oberschlesien sowie der Sudetendeutschen Landsmannschaft konstituierte sich aus den VOL der „Verband der Landsmannschaften“ (VdL) als eigentlicher Dachverband der Landsmannschaften. Beide Dachverbände zusammen erreichten Anfang der 1950er Jahre eine Mitgliederzahl von 3–4 Millionen. Am 27. Oktober 1957 (endgültig dann am 14. Dezember 1958) einigten sich BvD und VdL nach starkem Mitgliederschwund beim BvD auf die Gründung des „Bundes der Vertriebenen“ (BdV).

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tenangelegenheiten zu bilden. Dieses Komitee würde sich vornehmlich mit den Exilgruppen aus Ostmitteleuropa befassen. Für die Herstellung von Kontakten mit den Exilanten aus dem eigentlichen Osteuropa wäre zunächst die Hilfestellung einzelner wissenschaftlicher Institutionen, des Volksbundes für Frieden und Freiheit4 usw. heranzuziehen. Im Ganzen wird es im deutschen Interesse liegen, wenn diese Zwischenstellen nicht zu gross ausgebaut werden, dafür aber zahlreicher sind und von Fall zu Fall unabhängig von einander eingeschaltet werden. Neue Stellen sollten – mit Ausnahme des oben erwähnten Komitees – für diesen Zweck nicht geschaffen werden. Das Auswärtige Amt würde auf diese Zwischenstellen in gegebener Form Einfluss zu nehmen haben. B. Ziele. Die deutsche Exilantenpolitik würde sich nicht so sehr auf das primäre Ziel der Exilgruppen, d. h. die Befreiung der Heimatgebiete, als vielmehr auf gewisse Sonderziele richten: 1.  Die Schaffung einer freundlicheren Atmosphäre zwischen den osteuropäischen Völkern und dem deutschen Volk. 2. Auflockerung von Programmen, die den deutschen Interessen nicht entsprechen, besonders der Idee des Ostmitteleuropa-Blocks.5 Das deutsche Leitmotiv demgegenüber wäre: Zusammenarbeit Ostmitteleuropas mit Deutschland im Rahmen einer gesamteuropäischen Konstruktion. 3.  Einflußnahme auf die Fragen der territorialen Neuordnung des Ostens und der Rücksiedlung der Ausgetriebenen. 4.  Konsequente Verfechtung der Humanitätsideale, u. a. des Selbstbestimmungsrechts. 5.  Unterrichtung interessierter deutscher Stellen über die Vorgänge in Ostmittel- und Osteuropa aus Kreisen der Exilanten.

4  Der Volksbund für Frieden und Freiheit wurde am 29. August 1950 als antikommunistische Nachrichten- und Propagandaorganisation gegründet. Er wurde zeitweise von der US-Regierung wie auch von der Bundesregierung finanziell unterstützt und war Teil des internationalen antikommunistischen Netzwerks der CIAS (Comité international d’Information et d’Action Sociale). 5  Es gab seit den 1920er Jahren, vor allem aber während des Zweiten Weltkriegs, verschiedene Ideen für eine Föderation der (zwischen der Sowjetunion und Deutschland bzw. Österreich gelegenen) mitteleuropäischen Staaten, die in Exilkreisen bis in die Nachkriegszeit hinein verbreitet waren und sich z. T. in Vereinigungen und Manifesten wie dem „Ostmitteleuropäischen Föderalen Klub“ (gegründet 1945 in Rom) oder der „Charta des freien Intermare“ (ebenfalls 1945) äußerten. Vgl. dazu die Überlegungen Churchills und Edens vom Dezember 1941 und die ablehnende Reaktion Stalins in UdF 1, S. 20–29 und Anm. 53.



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In einer neuen europäischen Atmosphäre würden die ostmitteleuropäischen Probleme viel von ihrer Härte verlieren. Nicht nur die deutschen Fragen des Ostens, sondern auch die zahlreichen Streitfragen unter den östlichen Nachbarvölkern werden auf dem Boden der europäischen Idee leichter zu lösen sein. Deutschland sollte dabei die Chance ergreifen, für die europäische Idee im Osten einzutreten. C. Taktik. Einer deutschen Exilantenpolitik bieten sich bestimmte taktische Möglichkeiten an: 1.  Im Hinblick auf die deutschfreundlichen Exilgruppen mit dem Endziel einer eigenständigen deutschen Politik. 2. Im Hinblick auf jene Exil-Organisationen, die bereits mit anderen Mächten zusammenarbeiten und einen deutsch-feindlichen oder neutralen Kurs steuern. Zu 1.)  Durch zahlreiche Besprechungen mit Exponenten dieses politischen Sektors hat das Auswärtige Amt schon bisher Einfluss auf die Entwicklung genommen. Es hat sich hierbei gezeigt, dass es in der Tat einen Fonds deutsch-freundlicher Kräfte in Südosteuropa gibt, der einer vorsichtigen Zusammenfassung und Entwicklung zugänglich ist. Auf jeden Fall werden auch die ost- und südostdeutschen Landsmannschaften ihre Tätigkeit auf diesem Gebiet fortsetzen, ganz gleich, welche Stellung die Bundesregierung dazu einnimmt. Um unerwünschten Entwicklungen zuvorzukommen, ist es deshalb erforderlich, die „wilde“ Exilanten­ politik einzelner deutscher Organisationen und Personen zumindest zu kon­ trollieren und, soweit notwendig, unauffällig zu koordinieren. Das geschieht bis zu einem gewissen Grade schon jetzt durch diskreten Kontakt; eine wirksame Einflussnahme ist jedoch auf die Dauer nicht ohne finanzielle Mittel zu erreichen. Es wird zwar nicht möglich sein, auf diesem Gebiet mit den Amerikanern und Engländern zu konkurrieren, jedoch kann man aus unserem weiteren Eingreifen in wachsendem Maße eine positive Rückwirkung auf die Exilantenpolitik der Amerikaner und Engländer erwarten, insbesondere aber auf die Politik der Exilführer selbst. Zu 2.)  Die bisherige Praxis zeigt, dass die Exilantengruppen in [den] USA und England gegenüber den deutschen Fragen eine recht verschiedene Haltung einnehmen. Die polnischen und überwiegend auch die tschechischen Gruppen sind ausgesprochen antideutsch eingestellt, wobei in England bisher der polnische Einfluss, in [den] USA der tschechische Einfluss überwogen haben. Daneben stehen die baltischen, slowakischen, ungarischen, rumänischen, bulgarischen und jugoslawischen Exilgruppen, ferner die zahlreichen Grup-

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pen aus dem eigentlichen Osteuropa, die zum Teil eine neutrale Stellung gegenüber den ostdeutschen Fragen einnehmen, zum Teil offen zum deutschen Standpunkt hinneigen. Die deutsche Exilantenpolitik wird in Bezug auf diese Gruppen in erster Linie so anzulegen sein, dass der bisher überwiegende polnische und tschechische Einfluss mehr und mehr zurückgedrängt wird. Dies kann durch entsprechende Steuerung unserer Beziehungen zu den Exilanten und auch durch geeignete Fühlungnahme mit Amerikanern und Engländern angestrebt werden. Vor allem sollten wir bemüht sein, alle ungarischen, rumänischen etc. Sonderbestrebungen gegenüber der polnisch-tschechischen Hegemonie zu fördern. Einer Einflussnahme auf den Sender „Free Europe“6 in München wird besondere Aufmerksamkeit zu widmen sein. D. Exilvertretungen bei der Bundesregierung. Seit der Wiedererrichtung des Auswärtigen Amts bemühen sich einzelne Exilgruppen um nichtamtliche Vertretungen bei der Bundesregierung. In den letzten Monaten haben sich diese Bestrebungen verstärkt. Auch von amerikanischer Seite wurden in dieser Richtung Schritte bei der Bundesregierung unternommen, so in der Frage der baltischen Vertretungen.7 6  Der amerikanische Rundfunksender „Radio Free Europe“ (RFE) begann am 1. Mai 1951 von München aus die Ausstrahlung von Sendungen nach Ost- und Südosteuropa. Die Bundesregierung hatte anfangs keinen Einfluss auf Sendeinhalte oder mit dem RFE verbundene Aktivitäten wie die „Ballonaktionen“ (zur Versendung von Flugblättern in verschiedenen Sprachen kommunistisch regierter Länder). Wegen der Beteiligung polnischer und tschechoslowakischer Exilanten am Programm standen westdeutsche Politiker (parteiübergreifend), die Medien und die Öffentlichkeit dem Sender überwiegend ablehnend gegenüber; man warf ihm vor allem im Hinblick auf die Grenz- und Vertriebenenfrage die Verletzung deutscher Interessen vor (so Herbert Wehner am 3. April 1952 im Bundestag, vgl. BT Stenographische Berichte, 204. Sitzung, 3. und 4. April 1952, S. 8755). Adenauer bezeichnete am 21. April 1952 in einem Gespräch mit den Hohen Kommissaren die Arbeit des Senders als unerwünscht (vgl. AAPD, Hohe Kommissare 2, S. 84). In den nachfolgend geschlossenen Lizenzverträgen behielt sich die Bundesregierung das Recht auf Prüfung der Sendeinhalte und Einstellung von Sendungen vor, die nach ihrem Ermessen die nationalen Interessen der Deutschen verletzten. Trotz anhaltender Kritik vor allem aus Bayern fanden die Bundesregierung und das RFE im Antikommunismus eine gemeinsame Grundlage für die Fortführung der Rundfunktätigkeit am deutschen Standort. 7  Die Bundesregierung erkannte die Annexion der baltischen Staaten durch die UdSSR de jure nicht an und behandelte die baltischen Exilanten konsularisch als Angehörige ihrer alten Staaten, ließ aber die Einrichtung von Exilvertretungen, die die USA ihr nahelegten, nicht zu, sondern unterstützte auf nichtstaatlicher Ebene die Gründung von deutsch-baltischen Gesellschaften unter dem Dachverband der „Baltischen Gesellschaft“. Vgl. die Belege in Kristina Spohr Readman, West Germany and the Baltic Question during the Cold War, in: The Baltic Question during the Cold



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Bei der Behandlung dieser Frage wird vor allem zu berücksichtigen sein, dass noch bei keiner Exilgruppe eine Organisation vorhanden ist, die eine hinreichende Legitimation dafür besitzt, als alleinige Vertreterin ihrer staatlichen Interessen zu gelten. Sollten wir eine bestimmte Organisation bevorzugen, würden wir alsbald mit ihrer Konkurrenz in Schwierigkeiten geraten. Abgesehen hiervor ist unsere geographische Lage zu beachten. Deutschland wird sich weniger dem entschiedeneren amerikanischen Beispiel, als vielmehr dem vorsichtigeren Vorgehen der europäischen Länder anschliessen. Es wird unsererseits nach Möglichkeiten vermieden werden müssen, als Schrittmacher antisowjetischer Aktionen in Europa zu erscheinen. Man wird daher am besten an dem bisherigen Zustand festhalten, wonach Vertrauensleute der Exilorganisationen von Fall zu Fall empfangen werden, um gemeinsame Angelegenheiten zu besprechen. Dieses Verhältnis sollte formlos bleiben, und die betreffenden Vertrauensleute wären im Grunde so zu behandeln wie8 die Vertreter einer privaten Organisation ohne völkerrechtlichen Charakter. Damit bleiben wir auch in der Lage, mit Vertretern verschiedener Gruppierungen der gleichen Nation zu verkehren, was sich in der Praxis als für die deutschen Interessen recht nützlich erweisen kann. PA AA, B 130, Bd. 4652A.

123. Unterredung zwischen dem Politischen Berater Semenov und Außenminister Dertinger Streng geheim

Berlin-Ost, 20. August 19521

Aus dem Tagebuch2 von V.S. Semenov Aufzeichnung einer Unterredung mit dem Außenminister der DDR Georg Dertinger Am 20. August empfing ich Dertinger auf seine Bitte. Dertinger teilte mit, er habe von dem westdeutschen Journalisten Karl Gerst eine Information über dessen Gespräche mit dem Minister ohne Geschäftsbereich des Landes Nordrhein-Westfalen, Spiecker, erhalten. War, hrsg. von John Hiden, Vahur Made, Davis J. Smith, London/New York 2008, S. 100–133. 8  Ursprünglich stand hier: „als wären sie“. 1  Original. Hauptadressat des Dokuments war Vyšinskij. Weitere Exemplare gingen an Čujkov und in die Akten. Das Dokument erhielt am 8.  September 1952 die Ausgangsnummer 00325. 2  „Tagebuch“ ist ein aus der russischen Kanzleisprache übernommener Begriff des Auswärtigen Dienstes der UdSSR für Gesprächsaufzeichnungen.

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Laut Auskunft von Gerst werden die Ansichten Spieckers von einigen prominenten westdeutschen Politikern geteilt: vom Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Arnold, vom Ministerpräsidenten des Landes Hessen, Zinn, vom Ministerpräsidenten des Landes Württemberg-Baden, Maier, und möglicherweise vom Ministerpräsidenten von Bayern, Ehard. Diese Gruppe halte die Unterzeichnung des Bonner Vertrags3 durch Adenauer für einen Fehler und die Einbeziehung Westdeutschlands in den atlantischen Block für gefährlich, insbesondere weil die Amerikaner nach der Aufstellung einer atlantischen Armee angeblich gewillt seien, gegenüber der Sowjetunion ultimative Forderungen zu stellen. Spiecker habe diese Information von einem politischen Berater Achesons während des jüngsten Besuchs Achesons in Bonn4 erhalten. Die Gruppe um Spiecker halte es für notwendig, einer Realisierung des Bonner Vertrags dadurch zuvorzukommen, dass die sowjetische Regierung eine breit angelegte europäische Konzeption vorlege, in welcher die Idee einer freien allgemeinen europäischen Föderation auf der Linie einer Weiterentwicklung der Straßburger Vereinigung (Europarat) verfolgt werde. Spiecker schlage vor, darüber beispielsweise in der Schweiz mit einem der dortigen sowjetischen Diplomaten zu sprechen. Dertinger ist der Ansicht, dass diese Informationen aus dem Umkreis Achesons über die ultimativen Absichten der USA in Europa Beachtung verdiene. Zwar sei diese Information nicht neu, sagte er, aber die Position der Informanten verleihe ihr ein gewisses Gewicht. Dertinger sieht darin eine Bestätigung dafür, dass die regierenden Kreise der USA gegenwärtig keinerlei Zugeständnisse machen werden, um eine Übereinkunft mit der Sowjetunion zu erreichen. Dertinger sagte, er habe über den Vorschlag Spieckers bezüglich einer europäischen Föderation nachgedacht, sei aber noch zu keinem bestimmten Schluss gekommen. Gleichzeitig könnte man, wie Dertinger meint, die Frage prüfen, ob nicht der Punkt 7 des sowjetischen Entwurfs der Grundlagen eines Friedensvertrags mit Deutschland,5 der den Beitritt Deutschlands zu Bündnissen verbiete, ergänzt werden könnte durch Verpflichtungen der UdSSR, der USA, Frankreichs und Englands sowie aller Nachbarstaaten Deutschlands, die territoriale Integrität Deutschlands zu garantieren und dem Land im Falle der Verletzung dieser Integrität mit allen Mitteln Hilfe zu leisten. 3  Gemeint

ist der „Deutschlandvertrag“, vgl. Dok. 20, Fn. 12. hielt sich zur Unterzeichnung des „Deutschlandvertrages“ vom 23. bis zum 26. Mai 1952 in Bonn auf; ein Kurzbesuch am 28. und 29. Juni führte ihn nach West-Berlin. 5  Im Wortlaut: „Deutschland verpflichtet sich, keinerlei Koalitionen oder Militärbündnisse einzugehen, die sich gegen irgendeinen Staat richten, der mit seinen Streitkräften am Krieg gegen Deutschland teilgenommen hat.“ Vgl. DDS 1, S. 292. 4  Acheson



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Eine solche Ergänzung könnte nach Meinung Dertingers in den Friedensvertrag einbezogen werden oder durch einen gesonderten Vertrag ausgestaltet werden. Dertinger ist der Ansicht, die von ihm vorgeschlagene Ergänzung zum Entwurf der Grundlagen eines Friedensvertrags würde dem englischsowjetischen Vertrag von 1942 und dem französisch-sowjetischen Vertrag von 1944 erneut Bedeutung verleihen, würde den Sicherheitsinteressen Frankreichs entgegenkommen und die Behauptungen von einer angeblichen Gefahr für Deutschland durch die Sowjetunion gegenstandslos machen. Des Weiteren berichtete Dertinger von seinem Gespräch mit Krämer, einem Mitglied der Darmstädter Aktionsgruppe des Pastors Mochalski.6 Laut Auskunft von Krämer hätten Bodensteiner, Pfleiderer und einige andere Bundestagsabgeordnete der Parteien der Regierungskoalition, die sich früher gegen die Ratifizierung des Bonner Vertrags ausgesprochen hätten, jetzt ihre Position geändert. Teils sei auf sie Druck ausgeübt worden, teils seien ihnen lukrative Posten versprochen worden.7 Nach Krämers Meinung sei gegen6  Zur Aufzeichnung des Gesprächs Dertingers mit Krämer vgl. Fn. 13 zu diesem Dokument. Heinz Krämer war Präsidiumsmitglied der „Aktionsgruppe Darmstadt“, die unter der Leitung des Niemöller nahestehenden Studentenpfarrers Herbert Mochalski im Sommer 1951 gebildet worden war. Die Gruppe wandte sich gegen die „Remilitarisierung“ und engagierte sich während des Jahres 1952 mehrfach öffentlich gegen den „Deutschlandvertrag“ und für Verhandlungen über die Wiedervereinigung auf Basis der sowjetischen Vorschläge. Mochalski unterhielt regelmäßige Kontakte mit der SED, vgl. Lemke, Einheit und Sozialismus, S. 200. Anlässlich eines von der Darmstädter Aktionsgruppe organisierten „Westdeutschen Treffens der jungen Generation“ traf sich auch Krämer am 10., 11. und 12. Mai 1952 erstmals mit Vertretern der DDR, vgl. Neues Deutschland, 14. Mai 1952, S. 1. Krämer war zudem Mitglied der „Notgemeinschaft zur Rettung des Friedens in Europa“, Ende des Jahres 1952 trat er der Gesamtdeutschen Volkspartei (GVP) bei. 7  Die Auskunft Krämers, beide Abgeordnete hätten ihre Positionen geändert, war nicht zutreffend. Zwar hatten Hans Bodensteiner (CSU) und Karl Georg Pfleiderer (FDP) am 8. Februar 1952 im Bundestag zusammen mit ihren Fraktionen für einen bundesdeutschen Verteidigungsbeitrag im Rahmen der EVG gestimmt (vgl. BT Stenographische Berichte der 191. Sitzung, 8. Februar 1952, S. 8245 und 8247). Am 6. Juni 1952 aber, wenige Tage nach der Unterzeichnung des „Deutschlandvertrages“, vertrat Karl Georg Pfleiderer (FDP) in einer Rede in Waiblingen die Auffassung, dass die Sowjetunion eine uneingeschränkte Westbindung eines wiedervereinigten Deutschlands nicht akzeptieren werde und daher von der Forderung nach einer Wiedervereinigung vorausgehenden freien gesamtdeutschen Wahlen abgerückt werden müsse. Eine Wiedervereinigung könne unter Berücksichtigung der sowjetischen Sicherheitsinteressen durch das „Auseinanderrücken“ der Besatzungsmächte auf je­ weilige Brückenköpfe ermöglicht werden, wobei das wiedervereinigte Deutschland nationale Streitkräfte erhalten, aber neutral sein solle. Vgl. Pfleiderer, Politik, S. 83– 99; zu Reaktionen vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. Juni 1952, S. 2 und 30. Juni 1952, S. 1. Bodensteiner veröffentlichte im September 1952 in der katholischen Zeitschrift Die Besinnung einen Essay, in dem er seine Kritik am „Deutschlandvertrag“ und der Wiederbewaffnung darlegte (Deutschlands Aufgabe in der heutigen Weltpolitik. Meine Meinung zu EVG- und Deutschlandvertrag, in: Die Besin-

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wärtig nicht mit der Möglichkeit zu rechnen, dass eine auch nur einigermaßen nennenswerte Zahl von Abgeordneten aus dem Regierungslager gegen den Bonner Vertrag stimmen werde.8 Krämer habe den Wunsch geäußert, dass die Sowjetunion ihre Bemühungen um Viermächteverhandlungen ausschließlich auf die Frage gesamtdeutscher Wahlen konzentrieren solle, um die Westmächte zu zwingen, ihre wahre Position in dieser Frage offenzulegen und ihnen so die Möglichkeit zu nehmen, sich der Diskussion dieser Frage durch das Vorbringen aller möglichen Einwände gegen den Inhalt des Friedensvertrags zu entziehen. Dertinger sagte, er halte den Vorschlag Krämers für nicht akzeptabel, da er einer künftigen gesamtdeutschen Regierung unbegrenzte Vollmacht bei der Wahl der politischen Orientierung gebe. Aus Dertingers Äußerungen ergibt sich der Eindruck, dass er die Meinung Krämers, man solle nicht auf eine ernsthafte Opposition gegen die Ratifizierung des Bonner Vertrags im Bundestag rechnen, teilt. Dertinger sagte insbesondere, dass nach seiner Meinung die Bemühungen, es nicht zu einem Inkrafttreten des Bonner Vertrags kommen zu lassen, sich jetzt vor allem darauf richten müssen, seine Ratifizierung durch das französische Parlament zu behindern. Ich enthielt mich jeglicher Äußerungen zu den Darlegungen Dertingers. Im folgenden Gespräch versuchte Dertinger, den Charakter der Antwort der Sowjetunion9 auf die jüngste Note der drei Mächte zur Deutschlandfra­ nung, Sonderdruck Nr. 2, 15 S., September 1952). Bodensteiner trat im November 1952 aus der CSU aus und – ebenso wie Krämer selbst – der gerade gegründeten GVP bei. Er war damit fraktionslos. Auf der abschließenden Beratung des „Deutschlandvertrages“ am 19. März 1953 im Bundestag sprach er sich gegen dessen Ratifizierung aus, indem er die militärische Bedrohung durch die Sowjetunion für gering erklärte und eher den Zielen der USA misstraute, die nach einer Wiederbewaffnung Verfügung über die deutschen Truppen hätten (vgl. BT Stenographische Berichte der 255. Sitzung, 19. März 1953, S. 12352). Die Kritik der Abgeordneten Pfleiderer und Bodensteiner am Deutschlandvertrag hatte die DDR-Presse (vgl. Neues Deutschland vom 13. und 17. Juni 1952, S. 1 bzw. 1–2) mit der Tendenz wiedergegeben, dass die Zustimmung für Adenauers Politik in seiner eigenen Regierungskoalition schwinde. Insbesondere Bodensteiners Kritik an den Verträgen im Verlauf des Jahres 1952 war im Neuen Deutschland regelmäßig auf den ersten Seiten vertreten, v. a. vom 17. bis zum 19. September 1952. 8  Der „Bonner Vertrag“ oder „Deutschlandvertrag“ (vgl. Dok. 20, Fn. 12) wurde am 19. März 1953 im Bundestag mit 226 Jastimmen gegenüber 164 Neinstimmen bei zwei Enthaltungen angenommen. Bei der Abstimmung stimmten die Fraktionen der DP, der CDU/CSU mit Ausnahme des Abgeordneten Matthias Joseph Mehs und der FDP mit Ausnahme Pfleiderers (vgl. Fn. 7) geschlossen für die Ratifizierung, vgl. BT Stenographische Berichte, 255. Sitzung, 19. März 1953, S. 12363–12366. Der Abgeordnete Bodensteiner, der zum Regierungslager gehört hatte, war im November 1952 aus der CSU ausgetreten (vgl. Fn. 7). 9  Die sowjetische Note vom 23. August 1952 kritisierte die vorangegangene Note der drei Westmächte vom 10. Juli 1952 (vgl. Fn. 10 zu diesem Dokument). Sie warf



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ge10 und ihren voraussichtlichen Termin zu erkunden. Ich ließ Dertingers Frage unbeantwortet und lenkte das Gespräch auf ein anderes Thema. Nach der Unterredung übergab Dertinger mir die beigefügten Materialien: Anlage 1: Aufzeichnung Dertingers und sein Vorschlag zum sowjetischen Entwurf der Grundlagen eines Friedensvertrags mit Deutschland.11 Anlage 2: Aide-mémoire von Gerst für Dertinger.12 den Westmächten vor, sofortige Verhandlungen zur deutschen Frage gemieden und stattdessen der westdeutschen Bevölkerung den Deutschlandvertrag aufgezwungen zu haben. Erneut forderte die Note, Deutschland dürfe keiner Militärallianz beitreten, die sich gegen ein Land richte, dass am Krieg gegen Deutschland beteiligt gewesen sei. Sie verteidigte die Sicherheitsmaßnahmen der DDR (vgl. Dok. 61, Fn. 7), wies den wiederholten Vorschlag der Westmächte nach Vorbereitung gesamtdeutscher Wahlen unter internationaler Kontrolle zurück und bekräftigte die Position, dass vor einem Friedensvertrag eine gesamtdeutsche Regierung gebildet werden müsse. Vgl. DDS 1, S. 304–314. 10  In der Antwortnote der Westmächte vom 10. Juli 1952 (vgl. AdG 22 [1952], S. 3556  B–3557) erklärten die drei Westmächte erneut ihren Standpunkt, dass Verhandlungen über einen Friedensvertrag nur nach einer Vereinigung Deutschlands mit einer aus freien Wahlen hervorgegangenen gesamtdeutschen Regierung aufgenommen werden könnten; zur Prüfung der Voraussetzungen für die Durchführung freier Wahlen müsse eine unparteiische Untersuchungskommission gebildet werden. Die vorangegangene sowjetische Note vom 24. Mai 1952 hatte auf die Note der USA vom 13. Mai geantwortet. 11  Die Aufzeichnung Dertingers ist wahrscheinlich – wie die Anlagen 2 und 3 – in der Akte enthalten, konnte jedoch nicht ausgewertet werden. Möglicherweise war darin der in diesem Dokument geäußerte Vorschlag Dertingers zur Ergänzung von Punkt 7 des sowjetischen Friedensvertragsentwurfs vom 10. März 1952 ausgeführt. 12  Das vom 23. Juli 1952 datierte Aide-Mémoire von Gerst für Dertinger referierte im Wesentlichen die im Dokument erwähnten Positionen und Vorschläge des Ministers ohne Geschäftsbereich und ständigen Vertreters des Landes Nordrhein-Westfalen beim Bund in Bonn, Carl Spiecker, die zudem laut Angabe Spieckers vom Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Karl Arnold, vollständig geteilt und gutgeheißen würden. Spiecker und Arnold sowie eine Gruppe weiterer Ministerpräsidenten (Maier, Zinn und – unter Vorbehalt – Ehard) sähen Westeuropa in der Rolle eines „Vorpostens“ der USA und betrachteten die „durch den Bonner Vertrag geschaffene Abhängigkeit Westeuropas von Amerika … als unerträglich“. Aus dem Umfeld Achesons sei Spiecker bestätigt worden, dass die Regierung der USA nach Aufbau einer NATO-Armee planten, Druck auf die Regierung der UdSSR im Hinblick auf die Schaffung eines vereinigten Europas unter US-amerikanischem Einfluss auszuüben. Spiecker und Arnold verträten die Auffassung, „dass man die Realisierung der amerikanischen Pläne nur durch Präventivmaßnahmen seitens der sowjetischen Regierung unterbinden könne“, indem diese allen westeuropäischen Staaten die Gründung einer europäischen Föderation vorschlage. Man vertrete die Meinung, dass „in einer freien Föderation … einzelne Länder in hohem Maße ihre nationale und wirtschaftliche Selbständigkeit behalten“ könnten und dass „die Politik Amerikas den natürlichen politischen Entwicklungen der westeuropäischen Länder zuwiderlaufe. Denn die Tendenz zum Sozialismus sei, wie sie sagen, übermächtig. Man ist auch davon überzeugt,

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Anlage 3: Aufzeichnung des Gesprächs Dertingers mit Krämer.13 Der politische Berater beim Vorsitzenden der SKK in Deutschland V. Semenov14 AVP RF, f. 0457a, op. 12, p. 65, d. 3, Bl. 245–247.

dass sofort nach Beendigung des amerikanischen Drucks die Macht kapitalistischer Gruppen in einzelnen Ländern leicht gebrochen werden könne. Außerdem vertritt man den Standpunkt, dass Westeuropa und Westdeutschland für eine lange Zeitdauer in der Lage seien, wirtschaftlich zu existieren, wenn es nur einen Warenaustausch mit dem Osten gebe … Die Hauptidee dieses politischen Denkansatzes besteht nicht nur darin, die Schaffung einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft zu verhindern, sondern beinhaltet auch die Absicht, den Atlantikpakt aufzukündigen, gleichzeitig dessen Truppen abzuschaffen und Amerika als direkten Machtfaktor in Europa aus dem Wege zu räumen.“ Des Weiteren berichtete Gerst über Spieckers gute Kontakte zu maßgeblichen Politikern anderer europäischer Staaten sowie über seine frühere Tätigkeit unter Reichskanzler Wirth, an dessen „Rapallo-Politik“ er als Ministerialdirektor beteiligt gewesen sei. Spiecker schlage ein Treffen mit sowjetischen Diplomaten in der Schweiz vor, eine von Gerst angefragte Beteiligung Arnolds halte er jedoch für zu auffällig. Vgl. AVP RF, f. 0457a, op. 12, p. 65, d. 3, Bl. 252–254 (die Blattangabe ist schwer lesbar und konnte nicht verifiziert werden). 13  Darin notierte Dertinger: „Für das Führen von Verhandlungen zwischen Ostund Westdeutschland sieht Krämer drei Möglichkeiten: Zum Ersten, streng offizielle Verhandlungen zwischen Ministern der DDR und der Bundesrepublik … Die zweite Möglichkeit sei illegale Arbeit … sie werde keinen nennenswerten Einfluss auf die Herstellung von gegenseitigem Verständnis haben. Die dritte Möglichkeit könnten Verhandlungen zwischen Politikern des Ostens und des Westens, beispielsweise zwischen Abgeordneten der Volkskammer und des Bundestags, sein … es werde persönlicher Kontakt aufgebaut, und die Gefahr werde ausgeräumt, dass die Verbindungen abreißen … Jakob Kaiser sei gegen Adenauers Politik der Unterzeichnung der Verträge. Er habe gegenüber Krämer diesen Standpunkt in scharfer Form geäußert, denn er sehe in dieser Politik eine Gefahr für die gesamtdeutsche Entwicklung; andererseits jedoch sei Kaiser darüber beunruhigt, dass er, wenn er offen gegen Adenauer op­ poniere, sein Amt und seine Ministerpension verliere … Krämer vermutet, dass die CDU im kommenden Jahr nach der Wahl nicht mehr die Regierung bilden wird. Man müsse allerdings dafür sorgen, dass die SPD eine überwältigende Mehrheit erhält, eine Koalition mit der FDP sei eine reale Möglichkeit. Der Ministerpräsident des Südweststaates, Reinhold Maier, habe dabei gewisse Chancen, Adenauers Nachfolger zu werden.“ Vgl. AVP RF, f. 0457a, op. 12, p. 65, d. 3, Bl. 255–258. 14  Handschriftlich.



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124. Unterredung zwischen dem Politischen Berater Semenov und Präsident Pieck Streng geheim

Berlin-Ost, 26. August 19521

Aus dem Tagebuch2 von V.S. Semenov Am 26.  August war ich bei Wilhelm Pieck zu Hause auf dessen Bitte. ­Pieck stellte die folgenden Fragen: 1. Das Politbüro des ZK der SED und das Plenum des Zentralrats des Deutschen Gewerkschaftsbunds3 hätten beschlossen, die Löhne für Beschäftigte privater Betriebe der DDR zu erhöhen. Dieser Beschluss sei in der Presse der DDR verkündet worden. In dem Beschluss heiße es, der Lohn der Arbeiter privater Betriebe solle dem Lohn der Arbeiter volkseigener Betriebe angeglichen werden. Das Gleiche gelte für Tagelöhner auf dem Land.4 Pieck sei zugetragen worden, dass es seitens der SKK Einwände gegen die Lohnerhöhung für Arbeiter privater Betriebe gebe. Auf meine Frage, ob beabsichtigt sei, die Lohnerhöhung durch Senkung der von den privaten Betrieben erhobenen Steuern zu verwirklichen, antwortete Pieck verneinend. Nach seinen Worten schlagen die Gewerkschaften vor, die Löhne beim Abschluss neuer Kollektivverträge zu erhöhen. Die Steuersätze sollen nicht gesenkt werden. Allerdings würden bei der Lohnerhöhung die Einkommen der privaten Unternehmer teilweise gekürzt und folglich die Steuereinnahmen des 1  Original. Hauptadressat war Vyšinskij. Weitere Exemplare gingen an Čujkov, Grigor’jan, Gribanov und in die Akten. Das hier vorliegende 5. Exemplar für die Akten erhielt am 30. August 1952 die Ausgangsnummer AP 00319. In der Aufzeichnung von Semenov finden sich keine Angaben, wann das Gespräch am 26. August stattfand. In seinem Vormerk-Kalender notierte Pieck für diesen Dienstag: „10:00 Politbüro, 20:00 Uhr Semjonow zu Hause“. 2  „Tagebuch“ ist ein aus der russischen Kanzleisprache übernommener Begriff des Auswärtigen Dienstes der UdSSR für Gesprächsaufzeichnungen. 3  Gemeint ist der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund (FDGB) der DDR. 4  Am 12. August 1952 wurde auf einer Sitzung des Politbüros des ZK der SED der folgende Beschluss gefasst: „Wenn durch das Finanzministerium der Steuerausfall von den privatkapitalistischen Betrieben durch die neue Lohnregelung auf rund 10 Millionen DM errechnet wird, bestehen keine Bedenken, dass folgende Maßnahmen durchgeführt werden … Die Löhne in den privaten Betrieben werden auf die Löhne der entsprechenden Lohngruppen der volkseigenen Wirtschaft erhöht. Diese Erhöhung beträgt in den einzelnen Lohngruppen zwischen einem Pfennig und acht Pfennigen … Die Löhne bei Druck und Vervielfältigung und Schiffahrt bleiben unverändert.“ (Vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/225, TOP 4). Über Lohnerhöhungen in Privatbetrieben wurde in der DDR-Presse im August 1952 nicht berichtet, lediglich über die Umsetzung der am 28. Juni beschlossenen allgemeinen Lohnerhöhungen für qualifizierte Arbeiter, Meister, Wissenschaftler, Techniker und Ingenieure (vgl. BAB, DC 20-I/3/116, Anlagen 1–3, und Dok. 102, Fn. 6).

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Staates etwas verringert. Pieck sagte, seiner Meinung nach müsse eine Prüfung der Geschäftsbücher der privaten Betriebe vorgenommen werden, damit die Einkünfte, die von den Unternehmern vor der Besteuerung verborgen gehalten werden, aufgedeckt werden. Eine Lohnerhöhung für Landarbeiter auf dem Dorf hält Pieck für nicht zweckmäßig, da das den mittleren Bauern treffen würde. Ich sagte, ich werde mich in diesen Fragen kundig machen und Pieck unsere Meinung mitteilen.5 2.  Pieck äußerte sich hochzufrieden über die Note der Sowjetregierung an die drei Mächte zur Deutschlandfrage vom 23. August 1952.6 Auf Beschluss des ZK der SED solle zu dieser Note eine breite öffentliche politische Kampagne sowohl in der DDR als auch insbesondere in Westdeutschland entfaltet werden. Es sei vorgesehen, im Zusammenhang mit der Note Erklärungen des Politbüros des ZK der SED, der Regierung der DDR und einer Reihe gesellschaftlicher Organisationen zu veröffentlichen.7 Am 5. September werde die 5  In einem am 29. August 1952 eingegangenen Memorandum der SKK wurde die vom Politbüro des ZK der SED „in vorläufiger Ordnung“ gebilligte Lohnerhöhung für Beschäftigte privater Betriebe (vgl. Fn. 4) im Hinblick auf die „Notwendigkeit der Einführung eines Regimes der strengsten Sparsamkeit in der Arbeit der Wirtschaftsorganisationen und des Staatsapparates“, aber auch aus politischen Gründen abgelehnt. Zur Begründung hieß es: „a/ die Erhöhung der Arbeitslöhne in den Privatbetrieben bis zur gleichen Höhe der Sätze, die in den volkseigenen Betrieben ausgezahlt werden, befindet sich im Widerspruch mit der allgemeinen Aufgabe der Festigung des Volkssektors und der Festigung der Autorität der volkseigenen Betriebe in den Augen der Bevölkerung; b/ die Erhöhung des Arbeitslohnes eines wesentlichen Teils der Arbeiter, die in Privatbetrieben beschäftigt sind, zu Bedingungen wenn in der Mehrzahl der volkseigenen Betriebe der Arbeitslohn im Jahre 1952 ohne Veränderung bleibt, ist politisch nicht gerechtfertigt und kann unerwünschte Stimmungen unter den Arbeitern der volkseigenen Betriebe hervorrufen; c/ die Erhöhung des Arbeitslohnes bei der gültigen Steuergesetzgebung wird bedeuten, daß ein großer Teil der hiermit verbundenen zusätzlichen Ausgaben für große kapitalistische Unternehmen der Staat auf sich nimmt, aber die zusätzlichen Ausgaben der Handwerker und Bauern, die Lohnarbeiter haben, für Rechnung der Kürzung ihrer persönlichen Einnahmen vorgenommen wird [sic] … d/ in Anbetracht, daß ein bedeutender Teil der landwirtschaftlichen Arbeiter in mittleren Bauerwirtschaften [sic] beschäftigt sind, kann die vorgeschlagene Erhöhung des Arbeitslohnes bei diesen Wirtschaften Schwierigkeiten hervorrufen und bei den mittleren Bauern unerwünschte politische Stimmungen schaffen; e/ die vorgeschlagene große Erhöhung des Arbeitslohnes der landwirtschaftlichen Arbeiter, die in individuellen Bauernwirtschaften beschäftigt sind, befindet sich im Widerspruch mit der allgemeinen Aufgabe der Heranziehung dieser Arbeiter zu den landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften.“ Vgl. BABSAPMO, NY 4090/316, Bl. 112, 114–115. Zur früheren Behandlung dieser Frage vgl. Dok. 13, Fn. 3. 6  Vgl. Dok. 123, Fn. 9. 7  Auf seiner Sitzung am 26.  August 1952 stimmte das Politbüro des ZK der SED einem „Plan zur Auswertung der Note der Sowjetregierung an die Westmächte“



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Volkskammer der DDR einberufen werden, bei der Dertinger eine Regierungserklärung abgeben werde. Die Volkskammer werde einen Appell an das deutsche Volk und an den Bundestag verabschieden.8 In Westdeutschland sollen durch die KPD, die Nationale Front des demokra­tischen Deutschland und den Hauptausschuss gegen Remilitarisierung9 Massenversammlungen abgehalten werden. Das ZK der KPD werde sich mit einem offenen Brief an die Funktionäre und Mitglieder der sozialdemokratischen Partei und der Gewerkschaften wenden. Das Präsidium der Nationalen Front des demokratischen Deutschland werde Mitte September eine außerordentliche Tagung des Nationalrats der Nationalen Front des demokratischen Deutschland einberufen.10 Für den 10. September sei die Herausgabe eines gegen den Bonner und dem Entwurf der entsprechenden Erklärung des Ministerrates der DDR zu. Darüber hinaus wurde dem Präsidium der Volkskammer vorgeschlagen, für den 5. September 1952 eine außerordentliche Sitzung einzuberufen, um eine Regierungserklärung von Außenminister Dertinger entgegenzunehmen. Staatssekretär Ackermann wurde damit beauftragt, einen Beschluss aller Fraktionen der Volkskammer auszuarbeiten, zudem wurden eine außerordentliche Tagung des Nationalrats der Nationalen Front des demokratischen Deutschland einberufen und dem FDGB sowie dem Vorstand der KPD in der Bundesrepublik Empfehlungen für das weitere Vorgehen unterbreitet, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/228, TOP 2 und 3, Anlagen 1 und 2. Der Ministerrat der DDR stimmte auf seiner Sitzung vom 28. August 1952 dem ihm vorgelegten Entwurf zu, vgl. BAB, DC 20-I/3/128, TOP 2 und Anlage. Diese Erklärung des Ministerrats unterstützte alle Punkte der sowjetischen Note und erläuterte zusätzlich ihre Stellungnahme. Zum vollständigen Wortlaut dieser Erklärung vgl. BDU 1, S. 388–392. 8  Einen Tag nach der außerordentlichen Volkskammersitzung vom 5. September 1952 veröffentlichte das Neue Deutschland den dort verabschiedeten Aufruf „An das deutsche Volk!“, den Beschluss über die Wahl einer Delegation für Verhandlungen mit dem Bundestag (jeweils auf S. 1) sowie Auszüge aus Dertingers Rede „Die Note der Sowjetunion: der Weg zum Frieden“ (S. 3). 9  Gemeint ist vermutlich der auf einer von der KPD organisierten „Tagung gegen Remilitarisierung“ am 18. Januar 1951 in Essen gegründete „Hauptausschuß für Volksbefragung gegen Remilitarisierung und für den Abschluß eines Friedensvertrages“, der trotz Verbots durch die Bundesregierung versucht hatte, bis zum März 1952 eine solche Volksbefragung durchzuführen. 10  Der Entschluss des Politbüros vom 26. August 1952 zu einem „Plan zur Auswertung der Note der Sowjetregierung an die Westmächte“ (vgl. Fn. 7) beinhaltete für eine Kampagne in Westdeutschland u. a. die folgenden Empfehlungen: „4) Den Genossen im Vorstand der KPD wird empfohlen, eine Versammlungskampagne zur Note der Sowjetunion zu organisieren sowie durch die Bundestags-Fraktion bzw. in den Ländern und Kreisen durch die Fraktionen der Land- und Kreistage die unverzügliche Einberufung des Bundestages bzw. der Land- und Kreistage zur Behandlung der sowjetischen Note und zu den Vorschlägen der Volkskammer zu fordern. 5) Die Genossen im Parteivorstand werden ersucht, dafür zu sorgen, daß unverzüglich die verschiedenen Bewegungen … sowie Einzelpersönlichkeiten … gegen die Ratifizierung des Generalvertrages und für die Note der Sowjetregierung als den Weg der deutschen Frage Stellung nehmen und eine Erklärung abgeben … 7) Dem Sekretariat des Par-

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Vertrag gerichteten „Weißbuchs“ der Regierung der DDR vorgesehen,11 in welchem ausführlich auf die in der Note der Sowjetregierung erhobenen Forderungen nach einem Friedensvertrag, nach der Bildung einer gesamtdeutschen Regierung und nach dem Abzug der Besatzungstruppen aus Deutschland eingegangen werde. Die Leipziger Messe werde ebenfalls zur Propagierung der Note der Sowjetregierung genutzt werden.12 3. Pieck teilte außerdem mit, dass das Politbüro des ZK der SED am 26. August beschlossen habe, Handke vom Posten des Ministers für Außenhandel und Innerdeutschen Handel zu entbinden und ihn als Botschafter nach Rumänien zu entsenden.13 Für den Posten des Ministers für Außenhandel und Innerdeutschen Handel gebe es zwei Kandidaturen: die des ehemaligen Staatssekretärs im Ministerium für Außenhandel und Innerdeutschen Handel der DDR und jetzigen Leiters der Wirtschaftsabteilung des ZK der SED, Gregor, oder die des Staatssekretärs im Ministerium des Innern der DDR, teivorstandes der KPD wird empfohlen, auf der Grundlage der neuen Note einen Brief auf gemeinsame Verständigung und Aktion an die Funktionäre und die Mitglieder der SPD und des DGB zu richten. In diesem Brief sind sie aufzufordern, gegen die Ratifizierung des Generalvertrages und für die Vorschläge der Regierung der Sowjetunion einzutreten.“ Vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/228, Anlage 1. 11  Auf seiner Sitzung vom 19. August 1952 nahm das Politbüro des ZK der SED Stellung zum „Entwurf des Weißbuches über den Generalvertrag und den EuropaArmee-Vertrag“. Als Termin für die Fertigstellung wurde Ende August festgelegt; es sollte „auf einer großen Pressekonferenz durch das Amt für Information“ vorgestellt und „den diplomatischen Vertretern der befreundeten Nationen“ offiziell durch den Außenminister überreicht werden, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/227, TOP 6. Am 26. August 1952 wurden Axen und Eisler „beauftragt, die Herausgabe des Weißbuchs über den Generalvertrag mit der Popularisierung der neuen Note der Sowjetregierung zu verbinden und im Weißbuch selbst die neue Note zu behandeln“, vgl. BABSAPMO, DY 30/IV 2/2/228, Anlage 1. Der Öffentlichkeit vorgestellt wurde das Weißbuch am 12. September 1952 im Haus der Presse in Berlin, vgl. Neues Deutschland, 13. September, S. 1 und 3. 12  Der Entschluss des Politbüros vom 26. August 1952 (vgl. Fn. 7) enthielt unter Punkt 11 die folgende Anweisung: „Die Genossen Koenen und Eisler werden beauftragt, bei allen politischen Veranstaltungen während der Leipziger Messe, insbesondere auch in der Sichtagitation, ausführlich den Inhalt der neuen Note zu propagieren.“ Vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/228, Anlage 1. 13  Bereits am 15. August 1952 beauftragte das Politbüro des ZK der SED das Sekretariat „mit der Überprüfung der Ablösung des Genossen Handke und der Vorlage eines neuen Vorschlages für seine Funktion im Ministerium für Außenhandel“, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/226, TOP  3. Am 26.  August folgte der Auftrag, „dem Politbüro Vorschläge für die Besetzung der Funktion des Ministers für Außenhandel und zur Reorganisation des Ministeriums für Außenhandel und zur Verbesserung seiner Arbeit zu unterbreiten“, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/228, TOP 15. Auf der Sitzung vom 2. September wurden Gregor als neuer Minister für Außenhandel und Innerdeutschen Handel und Handke als Chef der Diplomatischen Mission der DDR in Rumänien bestätigt. Die Funktion Gregors im ZK der SED übernahm Adalbert Hengst, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/229, TOP 15.



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Weinberger. Ich bemerkte, Weinberger wäre derzeit schwer zu ersetzen, da er für die Materialversorgung der nationalen Streitkräfte und für Fragen der Rüstungsindustrie der DDR zuständig sei. Pieck sagte, man müsse wohl bei Gregor bleiben und zum Leiter der Wirtschaftsabteilung des ZK der SED Hengst ernennen, der jetzt als stellvertretender Leiter der Wirtschaftsabteilung des ZK arbeite. 4.  Pieck teilte des Weiteren mit, dass ein DDR-Besuch einer Regierungsdelegation Ungarns unter der Leitung von Rákosi für den 28.–30. Oktober vorgesehen sei.14 5.  Zur Erkundigung im Voraus stellte Pieck die Frage nach der Möglichkeit einer Reise einer Delegation des ZK der SED zum XIX. Parteitag der VKP (b).15 Pieck sagte, seiner Meinung nach wäre es wünschenswert, dass beide Vorsitzenden und der Generalsekretär der Partei sowie eventuell auch die Leiter des Zentralrats des Jugendverbands16 reisen. Allerdings müsse er, Wilhelm Pieck, am 7. Oktober auf der Jubiläumsfeier der DDR die Nationalpreise überreichen,17 und er wisse noch nicht, wie er aus dieser Situation herauskommen solle, obwohl er sehr gern beim XIX. Parteitag dabei sein würde, da das für ihn eine hohe Schule sein würde. Ich vermied es, mich zu dieser Frage zu äußern. Pieck sprach mit großer Begeisterung von den für den XIX. Parteitag veröffentlichten Materialien des ZK der VKP (b). Insbesondere sei für die SED 14  Auf seiner Sitzung vom 26.  August 1952 empfahl das Politbüro des ZK der SED dem Präsidium des DDR-Ministerrates, „eine Regierungsdelegation der Volks­ republik Ungarn für die Zeit vom 28. bis 31. Oktober 1952 in die Deutsche Demokratische Republik einzuladen“, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/228, TOP 16. Der Staatsbesuch fand vom 27. bis 29. Oktober statt, der Delegation gehörten neben Rákosi Staatsminister Gerö, Außenminister Kiss sowie der Chef der Diplomatischen Mission der DDR in Ungarn, Heymann, an. Am 28.  Oktober hielt Rákosi auf einer Kundgebung in der Deutschen Sporthalle in der Stalinallee eine Rede in deutscher Sprache, vgl. DAPDDR 1, S. 440–445; Neues Deutschland, 28. und 29. Oktober 1952, S. 1 und 3. 15  Das SED-Politbüro bestätigte am 2. September 1952 Pieck, Grotewohl, Ulbricht, Elli Schmidt und Erich Honecker sowie die Genossen Erich Wirth (Radeberg) und Ernst Großmann (Merxleben) als Delegation zum XIX. Parteitag der VKP (b), vgl. BAB-SAPMO, DY 30/J IV 2/2/229. Nach dem Ende der Feierlichkeiten zum 3. Jahrestag der DDR reiste die SED-Delegation am 10. Oktober auf dem Luftweg nach Moskau, wo sie laut Piecks Kalender um „19:19“ Uhr eintraf und noch die Abendsitzung des Parteitages besuchte, vgl. BAB-SAPMO, NY 4036/27, Bl. 105. 16  Gemeint ist hier die FDJ. 17  Auf seiner Sitzung vom 25. September 1952 beschloss der Ministerrat der DDR die Verleihung der Nationalpreise in den Bereichen „Wissenschaft und Technik“ sowie „Kunst und Literatur“, jeweils in drei Klassen, vgl. BAB, DC 20-I/3/136, TOP 3, Anlagen 1 und 2. Pieck verlieh diese Preise am Abend des 6. Oktober in der Deutschen Staatoper Berlin, einen Tag später übertrug der Rundfunk der DDR die Feier, vgl. Neues Deutschland, 7. Oktober 1952, S. 1, 6 und 7.

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der Entwurf einer neuen Satzung der VKP (b) von großer Bedeutung, und zwar in dem Teil, der die Pflichten der Parteimitglieder und die Aufgaben der Grundorganisationen der Partei betreffe.18 Pieck hält es für notwendig, in den Reihen der SED ein breit angelegtes Studium der für den Parteitag vorbereiteten Dokumente zu organisieren. Pieck bat um Hilfe bei der Ausarbeitung eines Plans zur Popularisierung dieser Materialien in der Partei. Ich versprach, eine solche Hilfe zu leisten.19 6.  Wie Pieck mitteilt, will die Leitung der Evangelischen Kirche nicht, dass die theologischen Fakultäten an den Universitäten der DDR geschlossen werden, erhebt allerdings auch keine Einwände gegen die Einrichtung einer theologischen Akademie.20 Ich riet, die Arbeit zur Herrichtung eines entsprechenden Gebäudes für die Akademie und zur Versorgung der Studenten der theologischen Fakultäten mit den erforderlichen Wohnheimen fortzusetzen. 18  Drei Tage vor der Unterredung von Pieck und Semenov druckte das Neue Deutschland den „Entwurf des Zentralkomitees der KPdSU (B)“ für das auf dem XIX. Parteitag abzustimmende geänderte Statut der Partei im Wortlaut (23. August 1952, S. 3–4). Die von Pieck angesprochenen Pflichten der Parteimitglieder und die Aufgaben der Grundorganisationen der Partei finden sich dort in den Abschnitten I und VIII. 19  Auf seiner Sitzung vom 2. September 1952 beschloss das Politbüro des ZK der SED einen „Plan der Abteilung Propaganda zur Auswertung des XIX. Parteitages der KPdSU (B)“ und einen „Plan zur Aufklärung über die Vorbereitung des XIX. Parteitages der KPdSU (B)“, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/229, TOP 11 und Anlagen 3–4. 20  Auf seiner Sitzung vom 5. August 1952 stimmte das Politbüro des ZK der SED zweierlei Maßnahmen in „Kirchenfragen“ zu. So sei zum einen „[a]uf der Grundlage der zur Zeit bestehenden evangelischen theologischen Fakultäten … eine theologische Akademie zu bilden. Das Kontingent der Studenten der neuen Akademie ist im Vergleich zu der Zahl der jetzt vorhandenen Studenten der Fakultäten etwas zu erhöhen … Die vom Staat bisher für die Unterhaltung der evangelischen theologischen Fakultäten an den Universitäten bereitgestellten Mittel sind der evangelischen Kirche für ihre Akademie zur Verfügung zu stellen … Die finanzielle Unterstützung für die bereits genehmigte Hochschule der katholischen Kirche wird vom Staat zusätzlich festgelegt … Es wird festgelegt, daß das Studienprogramm für die Hochschulen beider Kirchen von diesen selbst bestimmt wird … Genosse Grotewohl wird beauftragt, die Verhandlungen über die Einzelheiten zur Durchführung dieses Beschlusses mit den Leitungen beider Kirchen zu führen.“ Zum anderen wurde „[d]ie Tätigkeit der Studentenpfarrer an den Hochschulen und Universitäten der Deutschen Demokratischen Republik und des demokratischen Sektors Berlins … mit sofortiger Wirkung verboten“ (vgl. BABSAPMO, DY 30/IV 2/2/224, TOP 13, Anlage 12). Auf der Sitzung vom 18. November wurde Grotewohl dann „beauftragt in der Frage Schaffung einer Akademie der theologischen Fakultäten weiter zu verhandeln mit dem Ziel, daß die theologischen Fakul­ täten beseitigt werden“ (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/246, TOP 10). Die theologischen Fakultäten an den Universitäten der DDR wurden jedoch nicht geschlossen. Die staatliche Anerkennung der akademischen theologischen Ausbildungsstätten der Evangelischen Kirche beschloss der DDR-Ministerrat erst am 15. August und 12. September 1990 (vgl. BAB, DC 20-I/3/3047 und DC 20-I/3/3066).



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Gleichzeitig informierte ich Pieck über die von Patriarch Aleksij eingegangene Einladung an Dibelius nach Moskau.21 7.  Pieck erkundigte sich nach dem Fortgang der Aufstellung der nationalen Streitkräfte der DDR. Ich berichtete ihm kurz darüber, wobei ich besonders die Notwendigkeit betonte, beim Bau von Kasernen größtmögliche Hilfe zu leisten. Ich riet Pieck auch, das oberste Kommando der nationalen Streitkräfte zu empfangen und mit den Generälen persönlich über Fragen des Aufbaus der Streitkräfte zu sprechen.22 Pieck stimmte dem zu und bat, ihm bei der Vorbereitung der Materialien für das Treffen behilflich zu sein. Ich riet, Stoph zu der Angelegenheit hinzuzuziehen. 21  Die Einladung von Patriarch Aleksij I. an Dibelius konnte im AVP RF nicht belegt werden. Das Neue Deutschland druckte am 4. Oktober 1952 auf S. 2 ein bereits am Vortag in der Neuen Zeit und der Berliner Zeitung erschienenes Schreiben von Dibelius an Grotewohl ab, in dem dieser mitteilte, er habe „heute dem Patriarchen von Moskau mitgeteilt, daß ich nach Befragung des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland seine Einladung zu einem Besuch in Moskau annehme und daß ich dabei von einigen anderen Vertretern unserer Kirche begleitet sein werde. Ich möchte der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik davon in aller Form Mitteilung machen. Es handelt sich lediglich um eine Begegnung zwischen den obersten Repräsentanten unserer beiden Kirchen.“ Der Besuch kam aufgrund einer Erkrankung des Patriarchen nicht zustande, vgl. Neues Deutschland, 22. November 1952, S. 2. Zu den Zielen seiner Reise und möglicher öffentlicher Kritik daran äußerte sich Dibelius laut Der Spiegel 46/1952, S. 8, wie folgt: „Das fürchte ich nicht nur, sondern dessen bin ich sicher, daß meine Reise politisch verstanden und politisch mißbraucht werden wird. Ich werde tun, was in meinen Kräften steht, um auch hier zu beweisen, daß ich mich als Mann der Kirche keiner Politik dienstbar mache … Ohne die Hoffnung … die Freilassung von Kriegsgefangenen zu erwirken, würde ich nicht nach Rußland fahren.“ 22  Gemeint war die Generalität der Kasernierten Volkspolizei. Mit der Einführung militärischer Dienstgrade auf Befehl durch Innenminister Stoph im September 1952 bestand diese aus den Generalleutnants Vincenz Müller und Heinz Hoffmann, dem Vizeadmiral Waldemar Verner, den Generalmajoren Heinz Keßler, Rudolf Dölling, Bernd Weinberger, Bernhard Bechler, Kurt Wagner, Heinrich Heitsch, Arno von Lenski, Hans Wulz, Karl Walther, Ewald Munschke, Walter Allenstein, Karl Linke, Fritz Johne, Helmut Borufka, Hermann Rentzsch und Heinz-Bernhard Zorn sowie dem Konteradmiral Heinz Neukirchen, vgl. Torsten Diedrich, Die Kasernierte Volkspolizei (1952–1956), in: Diedrich/Ehlert/Wenzke, Im Dienste der Partei, S. 339–369, hier S. 341–342. Ein Treffen von Pieck mit der Generalität der KVP im Herbst 1952 kann bisher nicht belegt werden. Auf seiner Sitzung vom 9. September 1952 beschloss das Politbüro des ZK der SED „Maßnahmen zur Verbesserung der Werbung der Jugendlichen für die Volkspolizei“, einen „Plan zur patriotischen Erziehung der Angehörigen der Volkspolizei sowie der gesamten Bevölkerung“, eine „Verordnung zur Bildung von ‚Gruppen freiwilliger Helfer zur Unterstützung der Volkspolizei‘ “, einen Plan „über den Besuch von Einheiten der Volkspolizei durch Mitglieder des Politbüros und des Sekretariats“ sowie eine Beratung über die „Bereitstellung von ca. 1 000 Standardhäusern“ als „Unterkünfte für die Angehörigen der Volkspolizei“. Berichterstatter für den ersten und die letzten beiden genannten TOP war Stoph, vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/230, TOP 9–13, Anlagen 6–8.

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8. Im Zusammenhang mit dem Programm zur Jubiläumsfeier anlässlich des 70. Todestages von Karl Marx im März 1953 riet ich Pieck, darin Themen unterzubringen, die Marx’ Kampf um die Einheit Deutschlands betreffen. Pieck stimmte dieser Bemerkung zu.23 9.  Ich machte Pieck auf die von westdeutschen Zeitungen wegen des Beschlusses über den Aufbau des Sozialismus in der DDR betriebene hemmungslose Verleumdungskampagne gegen die DDR aufmerksam,24 und riet Pieck zu einigen praktischen Maßnahmen in Form von Gegenpropaganda und Organisation einer breiten und umfassenden Beleuchtung des Lebens in der DDR insbesondere für die Bevölkerung Westdeutschlands. Pieck stimmte diesen Vorschlägen zu.25 V. Semenov26 AVP RF, f. 0457a, op. 12, p. 65, d. 3, Bl. 232–235.

23  1953 jährten sich Karl Marxʼ Todestag zum 70. und sein Geburtstag zum 135. Mal. Das Politbüro des ZK der SED nahm auf seiner Sitzung vom 18. November 1952 den „Bericht über die Vorbereitungen zum Karl-Marx-Jahr zur Kenntnis“ und beauftragte weitere Vorbereitungen (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/246, TOP 3). Am 21. November stimmte das Politbüro dem „Aufruf zum Karl-Marx-Jahr … bis auf den letzten Abschnitt“ zu (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/247, TOP 1); einen Tag darauf wurde auch dem umformulierten letzten Abschnitt zugestimmt (vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/248, TOP 1). Am 25. November 1952 schließlich wurde der Aufruf bestätigt und zudem beschlossen, ihn „am 1. Januar auf der 1. Seite in der Presse zu veröffentlichen“. Der letzte Satz des Aufrufes lautete: „Möge das KarlMarx-Jahr dazu dienen, das deutsche Volk auf dem Wege rascher vorwärts zu führen, den ihm sein größter Sohn gewiesen hat.“ Vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/249, TOP 2, Anlage 1. Das Neue Deutschland brachte den Text am 1. Januar 1953 auf S. 1 unter der Überschrift: „Im Jahre 1953 gedenkt die deutsche Nation ihres größten Sohnes Karl Marx“. 24  Am 9. August 1952 berichtete beispielsweise die Frankfurter Allgemeine Zeitung, der FDP-Vorsitzende und Vizekanzler Blücher habe die Parteiführung der LDPD „des ‚einmaligen Verrates in der Geschichte der liberalen Bewegung‘ beschuldigt, weil sie nun doch dem Aufbau zum Sozialismus zugestimmt und sich damit zum Marxismus bekannt habe“ (S. 4). 25  Für die Jahre 1952 und 1953 konnten keine entsprechenden Beschlüsse der SED-Führung ermittelt werden. Bereits auf seiner Sitzung vom 28. November 1950 hatte das Politbüro des ZK der SED „mißbilligt, daß vom Amt für Information kein Material zur Information der anderen Völker über die DDR herausgegeben wurde. Die Abteilung Agitation des ZK wird beauftragt, einen genauen Plan über die Durchführung dieser Propaganda auszuarbeiten und vorzulegen. Der Titel der Zeitschrift Zeit im Bild muß umbenannt werden in Deutsche Demokratische Republik im Bild.“ Vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/120, TOP 3. Die Zeitschrift wurde in der folgenden Zeit jedoch nicht umbenannt. 26  Handschriftlich. Am Fuß ein Vermerk vom 30. August, dass der Entwurf (4 Blatt) vernichtet wurde.



Dokument 125: 27. August 1952

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125. Schreiben von Außenminister Vyšinskij an den stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrats Mikojan Geheim

Moskau, 27. August 19521

An den Genossen A.I. Mikojan Bezug: Nr. 25742 vom 27. August d. J. Im Zusammenhang mit dem Schreiben des Gen. Kumykin an das Büro des Präsidiums des Ministerrats der UdSSR vom 22. August d. J., in welchem es darum geht, dass die Deutsche Demokratische Republik im laufenden Jahr ihren laut dem Handelsabkommen bestehenden Verpflichtungen zu Warenlieferungen in die Sowjetunion nicht zufriedenstellend nachkommt,2 würde ich es für angebracht halten, im Namen der sowjetischen Regierung über unsere diplomatische Mission in der DDR beim geschäftsführenden Ministerpräsidenten der DDR, Heinrich Rau, in dieser Sache vorstellig zu werden. Daneben würde ich es für zweckmäßig halten, das Ministerium für Außenhandel der UdSSR anzuweisen, in den Text des Aide-mémoire die Angaben nicht mit Datum vom 1. August, sondern vom 25. August d. J. einzusetzen. i.A. A. Vyšinskij3 AVP RF, f. 07, op. 27, p. 42, d. 164, Bl. 45.

1  Kopie. Es konnte nicht ermittelt werden, ob das Dokument abgesandt wurde und wie viele Kopien angefertigt wurden. Das Dokument erhielt am 24. Juli die Registraturnummer Vch 11704-v. 2  Dieses Schreiben konnte nicht ausgewertet und der Fundort des Schreibens im AVP RF nicht sicher ermittelt werden. 3  Das Dokument ist nicht unterzeichnet.

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126. Sprachregelung aus dem Bundeskanzleramt 

Bonn, 29. August 19521

Die letzte Note der Sowjet-Regierung2 als Antwort auf die Note der Westmächte vom 10. Juli3 erfordert eine eingehende Prüfung. Es liegen nunmehr im ganzen zur Deutschlandfrage sieben Noten vor, und zwar vier Noten der Sowjetregierung und drei Noten der westlichen Mächte.4 Es ist selbstverständlich, dass ein abschliessendes Urteil über Inhalt und Bedeutung der letzten Sowjetnote nur gefunden werden kann nach einer sorgfältigen Analyse des gesamten bisherigen Notenwechsels und unter Berücksichtigung des ganzen Verhaltens Sowjetrusslands. Eine erste Stellungnahme zur Sowjetnote muss daher die Einschränkung erfahren, dass eine solche eingehende Prüfung und Analyse zur Zeit noch nicht abgeschlossen ist. Es muss auch wiederum darauf hingewiesen werden, dass nicht die deutsche Bundesrepublik Adressat dieser Note ist, sondern die Westmächte. Ihnen obliegt es daher, die Antwort auf die letzte Sowjetnote zu formulieren, wobei allerdings die deutsche Bundesregierung konsultiert worden ist.5 1  Kopie. Über dem Datum ist mit Rotstift handschriftlich vermerkt: „B’Kanzler“. Es handelte sich um eine Vorlage für die am selben Tag stattfindende Bundespressekonferenz z. Hd. Franz Blücher. In einer handschriftlichen Begleitnotiz an „Herrn Vizekanzler Blücher“ vermerkte Felix von Eckardt: „Die beigefügte Sprachregelung für die heutige Pressekonferenz ist soeben durch Kurier vom Herrn Bundeskanzler eingegangen.“ Links neben der Unterschrift von Eckardts sind mit Rotstift als Stichworte „Wiedervereinigung“ und „Viermächte“ vermerkt. Vgl. BA Koblenz, N 1080/80, Bl. 141. Blücher hatte am 28. August vor dem Kabinett eine Einschätzung zur sowjetischen Note vom 23. August vorgetragen, vgl. Kabinettsprotokolle, Bd. 5 (1952), S. 533–534. Auf der Bundespressekonferenz am 29. August trug von Eckardt die hier vorliegende Analyse der Sowjetnote annähernd wortgleich vor, vgl. das Wortprotokoll in: BA Koblenz, B 145-I/23. 2  Vgl. Dok. 123, Fn. 9. 3  Vgl. Dok. 123, Fn. 10. 4  Die sowjetische Note („Stalin-Note“) vom 10. März 1952 und die weiteren sowjetischen Noten zur Friedensvertragsfrage vom 9. April und 24. Mai 1952 sind veröffentlicht in: DDS 1, S. 289–304. Vgl. zur „Stalin-Note“ auch Dok. 102, Fn. 25. Zur Antwortnote der drei Westmächte vom 25. März vgl. AdG 22 (1952), S. 3404 (zu Reaktionen darauf vgl. auch Dok. 106 und dort Fn. 7), zur Note der Westmächte vom 12.  Mai 1952 vgl. AdG  22 (1952), S. 3465. Zur Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte der sowjetischen Noten sowie für eine breitere Kontextualisierung vgl. die Belege und Dokumente in Loth, Die Entstehung der „Stalin-Note“, und in Ruggenthaler, Stalins Bluff, S. 151–227. 5  Dass sie die Bundesregierung in der Frage des Notenwechsels konsultiert hatten, war in den vorangegangenen Antwortnoten der Westmächte eigens erwähnt worden, vgl. Dok. 106 und dort Fn. 26 und 27. Am 4.  September 1952 trafen sich die Hohen Kommissare mit Adenauer, um die sowjetische Note vom 23. August und die



Dokument 126: 29. August 1952

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Der erste Teil der Sowjetnote beschäftigt sich im Grossen und Ganzen mit einer Polemik gegenüber den in Bonn und Paris abgeschlossenen Verträgen, also mit dem Deutschlandvertrag und dem Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft.6 Obwohl beide Verträge deutlich ihren defensiven Charakter zum Ausdruck bringen7 und nach der Auffassung der westlichen Welt nach ihrer gesamten Konstruktion auch nur defensiv wirksam werden können, unterstellt die Sowjetnote diesen beiden Verträgen einen aggressiven Charakter und wiederholt damit die seit Monaten vertretenen Propagandathesen.8

geplante Antwort zu besprechen, vgl. FRUS 1952–1954 VII, S. 311–313. Zu den ersten Reaktionen der Regierungen der Westmächte auf die Note vom 23. August und der Diskussion über die Antwort vgl. ebenda, S. 298–326. Vor dem Treffen mit Adenauer hatte es eher informelle Aussprachen gegeben, vgl. AAPD 1952, S. 578–579. Die Antwortnote der Westmächte wurde am 23. September überreicht. Damit endete der Notenwechsel im Anschluss an den sowjetischen Friedensvertragsvorschlag vom 10. März 1952. 6  Zum „Deutschlandvertrag“ vgl. Dok.  20, Fn. 12, zum EVG-Vertrag vgl. Dok.  131, Fn. 6. 7  Im „Deutschlandvertrag“ hieß es in Artikel 3 (1): „Die Bundesrepublik wird ihre Politik im Einklang mit den Prinzipien der Satzung der Vereinten Nationen und mit den im Statut des Europarates aufgestellten Zielen halten“, in Artikel 4 (1): „Die Aufgabe der von den Drei Mächten im Bundesgebiet stationierten Streitkräfte wird die Verteidigung der freien Welt sein, zu der die Bundesrepublik und Berlin gehören“, in Artikel 4 (4): „Die Bundesrepublik wird sich an der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft beteiligen, um zur gemeinsamen Verteidigung der freien Welt beizutragen“ und in Artikel 7 (1): „Die Bundesrepublik und die drei Mächte sind darüber einig, daß ein wesentliches Ziel ihrer gemeinsamen Politik eine zwischen Deutschland und seinen ehemaligen Gegnern frei vereinbarte friedensvertragliche Regelung für ganz Deutschland ist, welche die Grundlage für einen dauerhaften Frieden bieten soll … (2) Bis zum Abschluß einer friedensvertraglichen Regelung werden die Bundesrepublik und die Drei Mächte zusammenwirken, um mit friedlichen Mitteln ihr gemeinsames Ziel zu verwirklichen: ein wiedervereinigtes Deutschland, das eine freiheitlich-demokratische Verfassung ähnlich wie die Bundesrepublik besitzt und das in die Europäische Gemeinschaft integriert ist.“ Vgl. Auswärtiges Amt (Hrsg.), Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Dokumente von 1949–1994, Köln 1995, S. 195–196. Im EVG-Vertrag war unter Artikel 2, § 1 festgeschrieben: „Die Gemeinschaft dient ausschließlich der Verteidigung.“ Vgl. Bundesgesetzblatt 1954, Teil II, Nr. 3, S. 343–379, hier S. 346. 8  In der Note hieß es: „Das separate Bonner ‚Abkommen‘ der USA, Großbritanniens und Frankreichs mit der Regierung Adenauer stellt eine offenes Militärbündnis dar, das unverkennbar aggressive Zwecke verfolgt. Dieses ‚Abkommen‘ legalisiert die Wiederbelebung des deutschen Militarismus und die Aufstellung einer westdeutschen Söldnerarmee unter faschistischen Hitlergeneralen.“ Vgl. DDS  1, S. 306–307. Diese Sichtweise zog sich durch zahlreiche öffentliche Verlautbarungen, der „Generalvertrag“ wurde beispielsweise in Zeitungsartikeln polemisch als „Generalkriegsvertrag“ bezeichnet.

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Von gewissem Interesse sind die Formulierungen, die die Sowjetnote in Bezug auf den bindenden Charakter des Potsdamer Abkommens findet. Die Sowjetnote unterscheidet bei diesem Punkt zwischen den Prinzipien des Potsdamer Abkommens und den Bestimmungen des Potsdamer Abkommens. Sie erklärt in ihrer letzten Note, auf den Prinzipien des Potsdamer Abkommens bestehen zu müssen, während sie die Bestimmungen des Potsdamer Abkommens, soweit sie eine Viermächtekontrolle über Gesamtdeutschland beinhalten, nicht unbedingt aufrechtzuerhalten scheint.9 Das Kernstück der Note bildet die Aufforderung an die Westmächte, sich spätestens im Oktober zu einer Viermächtekonferenz zusammenzufinden und die Aufstellung einer Tagesordnung für eine solche Konferenz. In diesem Kernstück der Note treten die Differenzen in der Auffassung zwischen dem Westen und dem Osten in der Deutschlandfrage am schärfsten hervor. Von westlicher Seite wurde in allen Noten ein Verfahrensweg zur Wiederherstellung der deutschen Einheit in Frieden und Freiheit aufgestellt, der folgende Reihenfolge festlegte: 1.  Einsetzung einer Kommission, die nicht aus den interessierten Mächten bestehen darf und die zu prüfen hat, ob in Gesamtdeutschland die Voraussetzungen für freie Wahlen gegeben sind. 2.  Abhaltung freier demokratischer Wahlen in Gesamtdeutschland. 3.  Bildung einer gesamtdeutschen Regierung auf Grund des Wahlresultats. 4.  Abschluss eines Friedensvertrages, der zwischen den ehemals kriegführenden Mächten und der gesamtdeutschen Regierung in freier Vereinbarung auszuhandeln ist. Diesem Verfahrensweg stellt die Sowjetunion ihre Verfahrensvorschläge gegenüber, die die genau umgekehrte Reihenfolge vorsieht. Die Sowjetunion verlangt in ihrer letzten Note, in der sie sich zwar bereit erklärt, über die Zusammensetzung und die Funktion einer Kommission zu beraten, die die Voraussetzungen für freie Wahlen in Deutschland prüfen soll, diesen Punkt als letzten zu behandeln. Die Tagesordnung, die von der Sowjetunion vorgeschlagen wird, beginnt mit Verhandlungen über den deutschen Friedensvertrag, setzt unter Punkt 2 9  Zum Potsdamer Abkommen vgl. Dok. 5, Fn. 13. Der Absatz bezieht sich offensichtlich auf folgende Passage in der sowjetischen Note vom 23. August 1952: „In diesem Zusammenhang erachtet es die Sowjetregierung für notwendig, zu konstatieren, daß die USA-Regierung den Hinweis der Sowjetregierung in der Note vom 24. Mai auf die Potsdamer Beschlüsse in fälschender Weise auslegt, indem sie die Sache so hinstellt, als sei in dieser Note die Wiederherstellung eines ‚Vier-MächteKontrollsystems‘ gemeint, obwohl in Wirklichkeit … die Rede ist nicht von einer Wiederherstellung des Vier-Mächte-Kontrollsystems, sondern von der Notwendigkeit, die Prinzipien des Potsdamer Abkommens über die Wiederherstellung Deutschlands als einheitlichen, unabhängigen, friedliebenden, demokratischen Staates einzuhalten.“ Vgl. DDS 1, S. 309.



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die Verhandlungen über Bildung der gesamtdeutschen Regierung fest, und für Punkt 3 und 4 die Durchführung freier gesamtdeutscher Wahlen und die Einsetzung einer Kommission zur Prüfung der Voraussetzungen für freie Wahlen in Gesamtdeutschland.10 Diese Differenzen in der Festlegung der Reihenfolge in der Behandlung der Fragen auf einer Viererkonferenz sind nicht etwa ein kleinlicher Streit um Formalien, sondern treffen den Kern der gesamtdeutschen Frage. Die Sowjetunion schlägt ihre Tagesordnung in der aufgezeigten Reihenfolge vor, um zu verhindern, dass durch freie Wahlen in Gesamtdeutschland bereits in Gesamtdeutschland eine politische Situation geschaffen wird, die es ihr unmöglich macht, ihre weitgesteckten Ziele in Deutschland zu verwirklichen, da mit einem für die Sowjetunion negativen Ausgang der Wahlen zu rechnen ist. Die Sowjetunion befürchtet, wenn der Weg zur Wiedervereinigung Deutschlands mit freien gesamtdeutschen Wahlen beginnt, ihre bisherige durch Machtmittel aufrechterhaltene Position in der Sowjetzone einzubüssen. Sie schlägt daher vor, dass die vier Mächte sich, ohne dass eine gesamtdeutsche Regierung existiert, zuerst einmal über einen Friedensvertrag über11 Deutschland einigen. Nach der Auffassung der Sowjetunion würde dieser Friedensvertrag den zukünftigen Status Gesamtdeutschlands festlegen, unabhängig von dem Ausgang später abzuhaltender Wahlen.12 In dem gesamten Notenwechsel ist von der Sowjetunion mehrfach zum Ausdruck gebracht worden, dass eine zu bildende gesamtdeutsche Regierung auf die Prinzipien des Potsdamer Abkommens und auf den unter den vier Mächten vereinbarten Friedensvertrag festzulegen sei.13 10  Vgl.

DDS 1, S. 314. gedruckte Wörter sind hier und im Folgenden im Dokument maschinenschriftlich unterstrichen. 12  In ihrer Note vom 23. August 1952 hatte die sowjetische Regierung die „Erklärung der USA-Regierung“ kritisiert, da diese es „für unmöglich [halte], einen deutschen Friedensvertrag vor der Bildung einer gesamtdeutschen Regierung auszuarbeiten, weswegen man sich jetzt darauf beschränken müsse, eine Kommission zur Untersuchung der Lage in Deutschland zu bilden“. Das Potsdamer Abkommen, so die Argumentation der sowjetischen Note, habe jedoch „den Außenministerrat betraut mit der ‚Vorbereitung einer Friedensregelung in Deutschland … damit das entsprechende Dokument durch die für diesen Zweck geeignete Regierung Deutschlands angenommen werden kann, nachdem eine solche Regierung gebildet sein wird‘. Die Sowjetregierung erachtet, daß die Weigerung der USA-Regierung wie auch der Regierungen Großbritanniens und Frankreichs, einen Friedensvertrag mit Deutschland vor Bildung einer gesamtdeutschen Regierung auszuarbeiten, jeder Begründung entbehrt.“ Vgl. DDS 1, S. 310–311. 13  In ihrer Note vom 23. August 1952 zitierte die sowjetische Regierung in diesem Zusammenhang ihre eigene Note vom 24. Mai: „Da die USA-Regierung in ihrer Note vom 10. Juli die Frage der Garantien für die freie Betätigung einer gesamtdeutschen Regierung aufwirft, was unmittelbar mit der Frage der Vollmachten einer sol11  Kursiv

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Auch die Bildung einer gesamtdeutschen Regierung, die als zweiter Punkt auf der sowjetischen Tagesordnung steht, soll vor Abhaltung der Wahlen Gegenstand der Beratungen der vier Mächte sein, damit auch da vollendete Tatsachen geschaffen werden, ehe die Bevölkerung Gesamtdeutschlands durch freie Wahlen ihren Willen bekundet hat. Dagegen haben die Westmächte zum wiederholten Male vorgeschlagen, Voraussetzungen in Gesamtdeutschland für gesamtdeutsche Wahlen zu schaffen, die Wahlen selbst abzuhalten, auf Grund des Wahlresultates eine gesamtdeutsche Regierung zu bilden und mit dieser gesamtdeutschen Regierung den Friedensvertrag für Gesamtdeutschland auszuhandeln. Auch im Deutschlandvertrag ist dieser Weg zur deutschen Einheit festgelegt worden und das Prinzip anerkannt worden, dass kein Frieden über Deutschland, sondern ein Frieden mit Deutschland als freiem Verhandlungspartner abgeschlossen werden soll.14

chen gesamtdeutschen Regierung zusammenhängt, hält es die Sowjetregierung für notwendig, daran zu erinnern, daß ihr Standpunkt zu dieser Frage in der Note der Sowjetregierung vom 24. Mai erschöpfend dargelegt worden ist. In dieser Note hieß es: ‚Was die gesamtdeutsche Regierung und ihre Vollmachten betrifft, so muß sich diese Regierung selbstverständlich ebenfalls von den Potsdamer Beschlüssen und nach dem Abschluß des Friedensvertrags von den Bestimmungen des Friedensvertrags leiten lassen, der der Herstellung eines festen Friedens in Europa dienen soll.‘ Das ergibt sich unmittelbar aus dem Potsdamer Abkommen, in welchem die Prinzipien festgelegt wurden, die dem Aufbau des deutschen Staates … zugrunde gelegt werden müssen.“ Vgl. DDS 1, S. 308–309. 14  Gemeint ist Artikel 7 des „Deutschlandvertrages“, vgl. Fn. 7 zu diesem Dokument. In ihren gleichlautenden Noten vom 13. Mai 1952 hatten die Westmächte gefordert: „6. Ein deutscher Friedensvertrag kann nur ausgearbeitet werden, wenn eine gesamtdeutsche Regierung besteht, die auf Grund freier Wahlen gebildet und in der Lage ist, in voller Freiheit an der Erörterung eines derartigen Vertrages teilzunehmen. Es ist daher nicht möglich, im gegenwärtigen Zeitpunkt Besprechungen über die Bestimmungen eines deutschen Friedensvertrages abzuhalten.“ Vgl. AdG 22 (1952), S. 3465. In ihren gleichlautenden Noten vom 10. Juli 1952 hatten sich die Regierungen der Westmächte (hier die der USA) ausführlich mit der Reihenfolge der Schritte hin zu einem Friedensvertrag und mit der sowjetischen Position dazu auseinandergesetzt. Unter Punkt 2 hieß es: „In ihrer Note schlägt die Sowjetregierung erneut gleichzeitige Verhandlungen über einen Friedensvertrag, die Vereinigung Deutschlands und die Bildung einer gesamtdeutschen Regierung vor. Die Regierung der Vereinigten Staaten ihrerseits beharrt auf ihrem Standpunkt in dieser Frage, nämlich, daß eine gesamtdeutsche Regierung an den Verhandlungen über einen Friedensvertrag teilnehmen und daß daher vor Einleitung solcher Verhandlungen Deutschland vereint und eine gesamtdeutsche Regierung gebildet sein muß. Die Einheit Deutschlands kann nur durch freie Wahlen erzielt werden. Es ist naheliegend, daß der erforderliche erste Schritt hierzu in der Feststellung liegt, daß die für solche freie Wahlen notwendigen Voraussetzungen gegeben sind. Der zweite Schritt wäre die Abhaltung solcher Wahlen.“ Vgl. ebenda, S. 3556.



Dokument 127: 7. September 1952

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Das von der Sowjetunion vorgeschlagene Verfahren zielt entweder dahin, die deutsche Frage ähnlich wie in Österreich durch Verhandlungen über einen Friedensvertrag ins Endlose zu verschleppen, um auf diese Weise die Ratifizierung des Deutschlandvertrages und des Vertrages über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft zu torpedieren oder aber Tatsachen zu schaffen, die die Abhaltung „ ‚freier‘ Wahlen“ zu einer Farce machen. Diese kurze und keineswegs vollständige Gegenüberstellung der westlichen und der östlichen Thesen spricht eigentlich für sich selbst. Gegenüber der völlig logischen These der Westmächte versucht die Sowjetregierung in ihrer Note durch propagandistische Einzelheiten die Schwäche ihrer Position im deutschen Volk zu verschleiern. Sie nimmt jede Gelegenheit wahr, um mit zu nichts verpflichtenden Worten dem Deutschen und dem deutschen Nationalgefühl zu schmeicheln, um dann in ihren tatsächlichen Vorschlägen alle Voraussetzungen aufrechtzuerhalten, durch die es ihr möglich wäre, ihre augenblickliche Machtposition in der Sowjetzone zu verewigen und wenn möglich, auf Gesamtdeutschland auszudehnen. BA Koblenz, N 1080/80, Bl. 142–145.

127. Schreiben von Außenminister Vyšinskij an den Vorsitzenden des Ministerrats Stalin Streng geheim, Kopie

Moskau, 7. September 19521

An den Genossen I.V. Stalin Im August d. J. beendete die von den Westmächten veranstaltete Londoner Konferenz zur Regelung der Auslandsschulden Deutschlands, an welcher Vertreter von 28 Gläubigerländern Deutschlands und eine westdeutsche Delegation teilnahmen, ihre Arbeit.2 Auf dieser Konferenz wurden die Vorkriegsschulden Deutschlands auf die Höhe von 6  Milliarden Mark und die Zinsen auf diese Schulden auf die Summe von 1,2 Milliarden Mark beziffert. Außerdem wurde die Nachkriegsverschuldung Westdeutschlands auf die Höhe von 6,8 Milliarden Mark bezif1  Das Original ging an Stalin. Kopien gingen an Molotov, Malenkov, Berija, Mikojan, Kaganovič, Bulganin, Chruščev und in die Akten. Das hier vorliegende zweite Exemplar erhielt am 7. September die Ausgangsnummer 940-VK. 2  Die Londoner Konferenz für die Regelung der deutschen Auslandsschulden nahm am 28. Februar 1952 ihre Arbeit auf und endete am 8. August 1952 mit der einstimmigen Annahme eines Schlussberichtes „an die interessierten Regierungen“ (Bericht der Konferenz über deutsche Auslandsschulden, London 1952; vgl. auch AdG 22 [1952], S. 3598–3600). Zur Vorgeschichte/den Vorverhandlungen vgl. AAPD (1952), S. 3–9, 53–55, 370–374.

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fert. Somit ist die Gesamthöhe der Verschuldung Deutschlands mit einer Summe von 14 Milliarden Mark festgesetzt. Ab 1953 wird Westdeutschland im Laufe von fünf Jahren den Gläubigerländern als Tilgung von Darlehen nach den Plänen von Young, Dawes und Marshall3 sowie auf Rechnung weiterer Darlehen und Kredite jährlich etwa 600 Millionen Mark zahlen. In den zehn darauf folgenden Jahren  – bis 1968  – wird die Zahlungssumme 750 Millionen Mark jährlich betragen. Im weiteren Verlauf wird die Summe der jährlichen Schuldenabzahlung verringert werden.4 Für die zweite Hälfte September d. J. sind zwischen den USA, England und Frankreich einerseits und Westdeutschland andererseits Verhandlungen über die Ausarbeitung von Verträgen über das Verfahren der Tilgung sowohl der Vorkriegs- als auch der Nachkriegsschulden durch Westdeutschland vorgesehen.5 3  Nachdem die Regierung Stresemann am 24. Oktober 1923 eine Überprüfung der Zahlungsfähigkeit Deutschlands beantragt hatte, legten am 9. April 1924 Finanzexperten der Reparationsgläubiger und der USA unter Vorsitz des amerikanischen Bankiers Charles G. Dawes ein Gutachten über die Höhe und die Modalitäten weiterer deutscher Reparationszahlungen vor. Dieser „Dawes-Plan“ wurde im Sommer 1924 in London von alliierten wie auch von deutschen Regierungsvertretern angenommen. Er verpflichtete die deutsche Regierung auf eine Steigerung der jährlichen Reparationszahlungen innerhalb von fünf Jahren auf 2,5 Mrd. Goldmark. Im Gegenzug erhielt das Deutsche Reich zur Deckung seiner Verpflichtungen in der Übergangszeit nach der Währungsstabilisierung eine internationale Anleihe von 800 Mio. Goldmark sowie eine Absicherung der Geldtransfers. Zeitgleich mit der Fälligkeit der vollen jährlichen Reparationszahlungen trat im Frühjahr 1929 erneut eine Expertenkommission der Gläubigerstaaten, diesmal unter Beteiligung Deutschlands, unter Vorsitz des amerikanischen Industriellen und Bankiers Owen D. Young in Paris zusammen, um die Reparationsfrage neu zu regeln. Der am 7. Juni 1929 vorgelegte „Young-Plan“ senkte die jährlichen Zahlungen zunächst auf 1,7 Mrd. Goldmark, diese sollten jährlich bis auf 2,4 Mrd. Goldmark im Jahr 1966 gesteigert und für die darauffolgenden 22 Jahre erneut gesenkt werden. Beide Pläne wurden von der politischen Rechten bekämpft, in Wirtschaftskreisen jedoch z. T. begrüßt, da sie die Kreditfähigkeit Deutschlands erhöhten. Die Reparationsregelung nach dem „Young-Plan“ scheiterte infolge der Weltwirtschaftskrise, als das Reich im Frühsommer 1931 an den Rand der Zahlungsun­ fähigkeit geriet. Ein am 9. Juli in Lausanne vereinbartes Abkommen sah einen internationalen Kredit für eine einmalige Abschlusszahlung Deutschlands von 3 Mrd. Goldmark vor, trat jedoch nie in Kraft. Vgl. zum „Young-Plan“ ausführlich Philipp Heyde, Das Ende der Reparationen. Deutschland, Frankreich und der Youngplan 1929–1932, Paderborn 1998. Zum Marshallplan vgl. Dok. 10, Fn. 7. 4  Das Abkommen vom 27. Februar 1953 über deutsche Auslandsschulden (Londoner Schuldenabkommen), Bundesgesetzblatt 1953, Teil II, S. 333–485. 5  In Folge der Londoner Schuldenkonferenz nahmen die Vertreter der drei Mächte (USA, Großbritannien, Frankreich) und der Bundesrepublik am 16.  September 1952 Verhandlungen zu einem Regierungsabkommen über die Nachkriegsschulden auf („Londoner Herbstbesprechungen 1952 über die Nachkriegsschulden-Abkommen“), die die Unterzeichnung des endgültigen Londoner Schuldenabkommens am 27. Februar 1953 vorbereiteten. Am 16. September legten die beteiligten Delega-



Dokument 127: 7. September 1952

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Separate Verhandlungen der Westmächte über die Frage der Auslandsverschuldung Deutschlands sind ein neuer Schritt, mit dem sie gegen die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz, die Deutschland als ein einheitliches wirtschaftliches Ganzes betrachten, verstoßen. Auch die Sowjetunion hat mit Deutschland offene Rechnungen. Die Gesamtverschuldung Deutschlands gegenüber der Sowjetunion in der Vorkriegszeit beträgt ungefähr 0,7 Milliarden Rubel (Vorkriegskurs: 1 Mark = 2,12 Rubel). Der hauptsächliche Teil dieser Schuld Deutschlands besteht aus Restguthaben auf Konten der Staatsbank der UdSSR bei ehemaligen deutschen Banken – 0,4 Milliarden Rubel – und aus unbeglichenen Rechnungen des Ministeriums für Außenhandel der UdSSR mit deutschen Firmen – 0,2 Milliarden Rubel. Die Verbindlichkeiten der Sowjetunion gegenüber Deutschland laut den Handels- und Kreditabkommen der Vorkriegszeit betragen etwa 1 Milliarde Rubel. Außerdem ist zu bedenken, dass die Frage, ob Deutschland für die von den Besatzungsmächten geleisteten Summen für die Zahlung der sogenannten äußeren Besatzungskosten aufkommen wird, bislang ungeklärt ist. Was die UdSSR betrifft, so setzen sich diese Ausgaben aus der Besoldung des Personals der sowjetischen Truppen in Deutschland, aus den Kosten für aus der UdSSR angelieferte Bekleidung, Verpflegung und Brennstoffe, sowie aus den Kosten für Transporte außerhalb des Territoriums von Deutschland und aus anderen Ausgaben zusammen. Die Gesamtsumme solcher Ausgaben der Sowjetunion seit Beginn der Besatzung Deutschlands bis einschließlich 1952 beträgt alles in allem 24 Milliarden 919,1 Millionen Rubel. Die Frage des Aufkommens Deutschlands für die äußeren Besatzungskosten ist im Kontrollrat behandelt worden, jedoch ist kein abgestimmter Beschluss gefasst worden.6 Die USA, England und Frankreich haben gegenüber der Bonner Regierung bislang keinerlei Forderung bezüglich der Zahlung der äußeren Besatzungskosten erhoben.

tionen dazu zunächst jeweils eigene Entwürfe für bilaterale Abkommen vor. Vgl. dazu AAPD (1953/I), S. 3–23. 6  In dem Entwurf einer Direktive des Kontrollrats zu den Besatzungskosten in Deutschland vom 11. Dezember 1947 wurden diese in innere und äußere aufgeteilt; die äußeren Besatzungskosten betrafen Ausgaben, die in einer nichtdeutschen Währung zum Unterhalt der in Deutschland stationierten Besatzungstruppen getätigt wurden. Nicht festgelegt wurde in dem Entwurf die Frage der Finanzierung der äußeren Besatzungskosten. Der Entwurf der Direktive bezog sich auf die Proklamation Nr. 2 vom 20. September 1945 bezüglich der zusätzlich an Deutschland gestellten Forderungen (vgl. Amtsblatt des Kontrollrats Nr. 1 vom 29. Oktober 1945, S. 8–19). Der Entwurf wurde nicht als Beschluss angenommen. Im Finanzministerium der UdSSR wurde später über eine zumindest teilweise Erstattung der äußeren Besatzungskosten durch die DDR nachgedacht, vgl. Foitzik, Interessenpolitik, S. 561–562.

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Bei einer Friedensregelung mit Deutschland kann auch die Frage der Begleichung der Gesamtsumme oder eines gewissen Teils der äußeren Besatzungskosten durch Deutschland unter Berücksichtigung der Situation, die sich bis dahin ergeben haben wird, geprüft werden. Die Frage der deutschen Auslandsschulden berührt die Interessen Deutschlands im Ganzen, aber die Verhandlungen mit den Westmächten über die Regelung dieser Schulden führt die Bonner Regierung hinter dem Rücken der Regierung der DDR. Im März 1951, als die Frage der Auslandsschulden Deutschlands gerade erst gestellt war und offizielle Verhandlungen mit den Westmächten über diese Frage noch nicht stattfanden, erklärte die Regierung der DDR ihre ablehnende Haltung zu dem Beschluss der Bonner Regierung über die Regelung der Auslandsschulden Deutschlands.7 Zum jetzigen Zeitpunkt, da die Verhandlungen der Bonner Regierung mit den Westmächten über die Auslandsschulden Deutschlands in ihr Abschlussstadium eingetreten sind, hält das MID der UdSSR es für zweckmäßig, der Regierung der DDR zu empfehlen, eine neue offizielle Erklärung abzugeben, in welcher darauf hingewiesen werden könnte, dass separate Verhandlungen und jegliche „Abkommen“ der Bonner Regierung mit den Westmächten über die Auslandsschulden Deutschlands unrechtmäßig sind und weder Rechtskraft erlangen noch internationale Anerkennung finden werden. In dieser Erklärung könnte auch dargelegt werden, dass die Verpflichtungen, welche die Bonner Regierung in der Frage der Auslandsschulden auf sich nimmt, den bestehenden internationalen Abkommen in Bezug auf Deutschland widersprechen und als solche vom deutschen Volk nicht anerkannt werden können.8

7  Erklärung des Ministerrats der Deutschen Demokratischen Republik vom 22. März 1951 zur Anerkennung der deutschen Auslandsschulden durch die Bonner Regierung, ADN-Meldung vom 22. März 1951, veröffentlicht in DAPDDR 1, S. 64– 66. Das Neue Deutschland berichtete unter der Überschrift „Anerkennung der deutschen Auslandsschulen durch Bonn ist rechtsungültig“ am 23. März 1951 auf S. 1 über die Erklärung und druckte sie auf S. 2 im Wortlaut ab. Grotewohl stellte in seiner Erklärung Adenauers Bestätigung der Haftung der Bundesrepublik für die Schulden des Deutschen Reiches vom 6.  März 1951 (vgl. AAPD [1951], S. 176–178) als Versuch dar, mithilfe in Aussicht gestellter amerikanischer Anleihen die „Remilitarisierung“ Westdeutschlands zu finanzieren (während die Last der Schuldentilgung bei der Bevölkerung liege), und zog eine Parallele zu den Dawes- und Young-Anleihen 1924 und 1929 (vgl. Fn. 3), die, so Grotewohl, die Machtübernahme der Nationalsozialisten vorbereitet hätten. 8  In mehreren Verlautbarungen im Neuen Deutschland wurde in der Folgezeit das Londoner Schuldenabkommen kritisiert, es findet sich jedoch keine Erklärung, die speziell die Unrechtmäßigkeit des Abkommens zu begründen versuchte.



Dokument 128: 15. September 1952

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Ein Entwurf zu einer Anordnung des ZK der VKP (b) ist beigefügt.9 Ich bitte um Prüfung. A. Vyšinskij AVP RF, f. 07, op. 25, p. 14, d. 153, Bl. 14–16.

128. Schreiben von Bundeskanzler Adenauer an Bundestagspräsident Ehlers 

Bonn, 15. September 19521

Sehr verehrter Herr Bundestagspräsident!2 Die Angelegenheit des Empfangs des Herrn Nuschke und vier Abgeordneter der Volkskammer durch das Präsidium des Bundestags hat eine sehr unerfreuliche Wendung genommen,3 und zwar durch folgende Umstände: 1.) Die Vertreter der Volkskammer sollen am Montag, d. 22. September durch das Präsidium des Bundestags empfangen werden. Am 21. abends trifft der Ministerpräsident de Gasperi zu einem dreitägigen offiziellen Be-

9  Der mit „streng geheim“ überschriebene Entwurf lautete: „Die Gen. Čujkov und Semenov werden beauftragt, der Führung der DDR zu empfehlen, dass die Regierung der DDR eine Erklärung zum unrechtmäßigen Charakter separater Verhandlungen und jeglicher Vereinbarungen der Bonner Regierung mit den Regierungen der Westmächte bezüglich der Auslandsschulden Deutschlands abgibt.“ Vgl. AVP RF, f. 07, op. 25, p. 14, d. 153, Bl. 17. 1  Durchdruck. Vermerkt ist: „ab am 15. September um 12:30 Uhr“. Am Kopf ist eingetragen: „zu II 484 BW/52“. 2  Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete am 17. September 1952 auf S. 1 von einem Schreiben Adenauers an Ehlers sowie einer Aussprache des Kanzlers mit Ehlers am Vortag, an der auch der Minister für gesamtdeutsche Fragen Kaiser und der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag von Brentano teilgenommen hatten. 3  Zur Reise der Volkskammerdelegation nach Bonn und Reaktionen darauf vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 20. und 22. September 1952. Die Delegation wurde am 19. September vom Bundestagspräsidenten Ehlers empfangen; am 20. September äußerte sie sich vor Pressevertretern zu ihren Vorschlägen bezüglich gesamtdeutscher Wahlen, Wiedervereinigung und Friedensverhandlungen der vier Besatzungsmächte (und Abschluss eines Friedensvertrages mit einer gesamtdeutschen Regierung) und reiste am selben Tag vorzeitig ab. Ein an den Bundestagspräsidenten Ehlers gerichtetes Schreiben Dieckmanns im Namen der Volkskammer mit Vorschlägen für die Wiedervereinigung druckte das Neue Deutschland am 20. September 1952 auf S. 1 ab. Von der Pressekonferenz in Bonn berichtete das Neue Deutschland am 21. September 1952 auf S. 1 und 3 (vgl. auch die Berichterstattung zur Delegationsreise insgesamt im Neuen Deutschland am 23. September 1952).

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such hier ein.4 Der Besuch de Gasperis muß von der deutschen Presse entsprechend gewürdigt und beachtet werden. Durch den gleichzeitigen Besuch der Vertreter der Volkskammer, die sicher einige Tage in Bonn bleiben werden, wird die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von dem Besuch des Ministerpräsidenten de Gasperi in höchst peinlicher Weise abgelenkt werden. Die Italiener werden sehr empfindlich hierfür sein. 2.)  Der sozialdemokratische Parteivorstand hat in sehr entschiedener Form den Vizepräsidenten des Bundestags, Professor Carlo Schmid, desavouiert,5 so daß anzunehmen ist, daß dieser sich nicht beteiligen wird. Dadurch geraten m. E., vom parteipolitischen Standpunkt aus gesehen, Sie Herr Präsident und auch Herr Vizepräsident Schäfer in eine sehr schwierige Situation. 3.)  Nach einer in der Westdeutschen Neuen Presse vom 15. September enthaltenen Mitteilung6 hat Herr Nuschke vor Funktionären seiner Partei erklärt, er und die anderen vier Mitglieder der Volkskammerdelegation würden unter allen Umständen versuchen, in Bonn mit Abgeordneten des Bundestags Verhandlungen aufzunehmen. Wenn Sie auch, sehr geehrter Herr Präsident, einem solchen Versuch des Herrn Nuschke bei dem Empfang durch Sie mit aller Entschiedenheit entgegentreten werden, so besteht doch für mich kein Zweifel daran, daß einige Abgeordnete des Bundestags – nicht Kommunisten und nicht Sozialisten – die Gelegenheit sich nicht entgehen lassen werden, um mit den SED-Vertretern zu verhandeln. Ich könnte Ihnen die Namen der in Frage kommenden Herren aufzählen. Herr Abg. Stegner hat, einer mir zugegangenen Nachricht zufolge, schon erklärt, daß er das tun wird. Es wird dann durch die ganze ausländische Presse die Mitteilung gehen, daß in Bonn Verhandlungen zwischen nichtkommunistischen Bundestagsabgeordneten

4  Zum Bonn-Besuch des italienischen Ministerpräsidenten und Außenministers Alcide de Gasperi vom 21. bis 24. September 1952 vgl. AdG 22 (1952), S. 3667 (dort auch der Wortlaut eines gemeinsamen Kommuniqués beider Seiten). 5  Am 14. September 1952 hatte sich der Parteivorstand der SPD gegen den vorgesehenen Empfang der Volkskammerdelegation durch das Bundestagspräsidium ausgesprochen – und damit auch gegen die Teilnahme des Bundestagsvizepräsidenten Carlo Schmid – mit der Begründung, dass in Fragen der deutschen Wiedervereinigung nur Verhandlungen zwischen den Westalliierten und der Sowjetunion sinnvoll seien, nicht aber mit den nicht legitimierten Vertretern der Sowjetzone. Vgl. AdG 22 (1952), S. 3653–3654. 6  Adenauer zitierte hier wörtlich die Einleitung des Berichts in der Westdeutschen Neuen Presse (15. September 1952, S. 1). Laut diesem Bericht habe Nuschke gesagt: „Wir werden Wege zur Verhandlung finden.“ Weiter berichtete die Zeitung von der Absicht der Delegation, „mit einer Reihe von Abgeordneten der bürgerlichen Parteien persönlich Kontakt aufzunehmen und auch mit Bonner Pressevertretern eine private Zusammenkunft herbeizuführen, wovon man sich eine starke propagandistische Wirkung verspricht.“ Vgl. auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16. September 1952, S. 3.



Dokument 129: 24. September 1952

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und Vertretern der SED stattgefunden hätten. Dadurch wird die deutsche Außenpolitik in der empfindlichsten Weise geschädigt. Ich bitte Sie daher auf das dringendste, den Empfang abzusagen. Nach meiner Meinung könnten Sie mit gutem Grund auf die Erklärung Nuschkes gegenüber den Funktionären seiner Partei hinweisen. Ich darf zum Schluß nochmals wiederholen, sehr geehrter Herr Präsident, daß die Angelegenheit eine Wendung genommen hat, die für unsere außenpolitischen Interessen und für die parteipolitischen Interessen außerordentlich schädigend ist. Mit vorzüglicher Hochachtung Ihr sehr ergebener Adenauer7 [PS] Ich bitte um umgehende Mitteilung, ob Sie in der Lage sind, aus eigenem Entschluß eine Änderung herbeizuführen, oder ob es richtig erscheint, wenn ich auch die Vorsitzenden der Fraktionen ins Bild setze. PA AA, B 130, Bd. 3185A.

129. Schreiben von Botschafter Appelt an Außenminister Dertinger Panzerschranksache, vertraulich

Moskau, 24. September 19521

Betr.: Sowjetische Beurteilung der Reise der Volkskammerdelegation nach Bonn In einem gesonderten Schreiben berichtet die Mission über den Widerhall, den die Reise der Volkskammerdelegation nach Bonn in der Sowjetpresse gefunden hat.2 Ich halte es jedoch außerdem für richtig, Sie darüber zu informieren, welches Urteil ich über die Delegation von zwei leitenden Mitarbeitern des hiesigen Außenministeriums gehört habe. Am 20. September 1952 fand ein vom Landwirtschaftsminister Benediktow veranstalteter Empfang für die zweite deutsche Bauerndelegation statt,3 7  Handschriftlich

eingetragen. Das Schreiben wurde am 25. September 1952 abgesandt. Angefertigt wurden drei Exemplare, das hier abgedruckte ist das zweite. 2  Das erwähnte Schreiben der Mission konnte im PA AA nicht ermittelt werden. Die Pravda berichtete am 21. September 1952 auf S. 4 und am 22. September auf S. 3 ausführlich aus sowjetischer Sicht über den Besuch der Delegation. 3  Die zweite Bauerndelegation der DDR hielt sich vom 9. bis zum 23. September 1952 zu einem Studienaufenthalt in der UdSSR auf. 1  Durchdruck.

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an dem als Vertreter des Außenministeriums Herr Gribanow, Leiter der 3. Europäischen Abteilung, teilnahm. Herr Gribanow brachte im Verlaufe des Essens einen Trinkspruch aus, wobei er über die große Bedeutung der Reise der Volkskammerdelegation nach Bonn sprach. Herr Gribanow sagte, daß dieser Reise eine außerordentlich große politische Bedeutung zukomme und daß die sowjetischen Stellen mit großem Interesse diese Aktion verfolgen. Die Bedeutung dieses Schrittes der Volkskammer für die Herstellung der Einheit Deutschlands und für die Sicherung des Friedens sei nicht hoch genug einzuschätzen. Vorher hatte mir Herr Gribanow privat mitgeteilt, daß er vor einigen Stunden zusammen mit Außenminister Wyschinski im Kreml war.4 Wenn also Herr Gribanow die Bedeutung der Volkskammerdelegation so stark unterstrich, so war das nicht nur seine eigene Meinung.5 Am 22. September 1952 besuchte ich den stellvertretenden Außenminister Puschkin, um ihm die Einladung des amtierenden Ministerpräsidenten Rau auf Entsendung einer sowjetischen Regierungsdelegation zum 7. Oktober zu überreichen.6 Bei dieser Gelegenheit hatte ich selbstverständlich mit Herrn Puschkin auch ein Gespräch über die Delegation der Volkskammer. Dabei sagte mir Herr Puschkin folgendes: Der Brief der Volkskammer, die Erklärung von Hermann Matern und das Auftreten der Delegation auf der Pressekonferenz in Bonn seien ausgezeichnet gewesen. Mit dem Ergebnis der Reise könne die Deutsche Demokratische Republik sehr zufrieden sein. Es konnte kein besserer Ausgang erwartet werden. Die von Seiten der Volkskammer gemachten Vorschläge werden noch lange Zeit eine tiefe Wirkung haben und eine große Rolle spielen. Besonders sei der zurückhaltende Ton im Brief und in der Erklärung von Hermann Matern wie auch beim Auftreten auf der Pressekonferenz hervorzuheben. Anstelle von Gepolter sei Zurückhaltung und Höflichkeit getreten7 und das gäbe 4  Vyšinskij wurde am 19. September 1952 zusammen mit einer chinesischen Delegation durch Stalin in seinem Arbeitsraum im Kreml empfangen. Gribanov wurde dort jedoch nicht als Besucher verzeichnet, vgl. LPS, S. 549. 5  Die hier kursiv hervorgehobenen Wörter sind im Original handschriftlich unterstrichen und am linken Rand angestrichen. 6  Weder das Einladungsschreiben von Rau noch eine Aufzeichnung des Gesprächs zwischen Puškin und Appelt konnten im AVP RF ermittelt werden. 7  Die gesamte Erklärung Materns auf der Pressekonferenz wurde am 21. September 1952 in der Pravda auf S. 4 und im Neuen Deutschland auf S. 3 im Wortlaut abgedruckt und (in der deutschen Fassung) mit Zwischenüberschriften versehen. Matern hatte die DDR-Position dargelegt, dabei auf persönliche Angriffe auf einzelne Politiker verzichtet und den Besuch der Volkskammerdelegation selbst als Zeichen für eine beginnende Annäherung zwischen Ost- und Westdeutschland gedeutet, vgl. Neues Deutschland, 21. September 1952, S. 3. Zum Besuch bei Ehlers befragt erklärte Matern: „Das Gespräch wurde in einer angenehmen Atmosphäre geführt. Dr. Ehlers erklärte, daß er den von uns überbrachten Brief den Abgeordneten und der Bundesregierung übermitteln wird. Der Bundestag muß sich dann entscheiden, ob



Dokument 130: 29. Oktober 1952

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dem Auftreten der Delegation eine besondere Note. Herr Puschkin sagte wörtlich: „In Berlin lernt man allmählich Diplomatie“. Ich halte es nicht für unwichtig, Ihnen die vorstehenden zwei Äußerungen mitzuteilen. Appelt8 PA AA, MfAA A, Bd. 15523, Bl. 65–66.

130. Unterredung zwischen dem Politischen Berater Semenov und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht Geheim

29. Oktober 19521

Aus dem Tagebuch von V. Semenov Unterredung mit Walter Ulbricht 29. Oktober 1952 […]2 Anlage Nr. 1 Seit dem Beginn der Genossenschaftsbewegung3 in der DDR haben sich schon wiederholte Fälle von feindseligen Ausfällen kulakischer Elemente gegen die Organisation der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften ereignet. Dabei wenden die Kulaken unterschiedliche Formen des Kamp­ fes an, angefangen von Verleumdung und antidemokratischer Propaganda bis hin zu direkten terroristischen Angriffen auf die Organisatoren und Mitglieder der landwirtschaftlichen Genossenschaften. und wie er antworten will. Wir haben auch erklärt, daß wir bereit sind, unsere Auffassungen dem Bundestag selbst vorzutragen und umgekehrt die Bereitschaft der Volkskammer mitgeteilt, Mitgliedern des Bundestages Gelegenheit zu geben, ihre Auffassungen oder die des gesamten Bundestags in einer Volkskammersitzung darzulegen. Damit wäre ein großer Fortschritt erreicht.“ Vgl. ebenda, S. 1. 8  Handschriftlich. 1  Hauptadressat des Dokuments war Čujkov. Kopien gingen an Semičastnov, Semenov, Vyšinskij und in die Akten. Das hier vorliegende, von Semenov unterschriebene 5. Exemplar für die Akten erhielt am 15. November 1952 die Ausgangsnummer AP/0415. Das Datum ist nicht eindeutig zu entziffern und nicht gesichert. 2  Wegen der Unlesbarkeit der Aufzeichnung Semenovs wird diese nicht abgedruckt. Genannt werden 5 Anlagen. Zunächst übergab Semenov Ulbricht eine Denkschrift und einen Entwurf zur Landwirtschaft. 3  Hier ist nicht die Genossenschaftsbewegung im ursprünglichen Sinne, sondern die Bewegung zur Bildung landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften (LPG) gemeint.

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Am 26.  September 1952 verprügelte in Bad Salzungen der Kulak Künkel während einer Bauernversammlung den Referenten, das SED-Mitglied Ernst Rücker.4 Fälle, dass die Organisatoren von Produktionsgenossenschaften tätlich angegriffen wurden, haben sich auch in den Kreisen Cottbus, Seelow, Zeulenroda u. a. ereignet. Am 20. September 1952 zündeten Kulaken das Getreide des Kleinbauern und SED-Mitglieds Hans Hobi (Kreis Güstrow) an. Die Staats- und Parteistellen vor Ort messen jedoch solchen Vorfällen häufig nicht die gebührende politische Bedeutung bei. Das hat sich besonders deutlich im Zusammenhang mit dem Verprügeln der Organisatoren einer landwirtschaftlichen Genossenschaft durch Kulaken in der Gemeinde Friedrichsaue (Kreis Seelow) gezeigt. Am 7. August d. J. machten Kulaken in einer Gaststätte eine 30–40 Mann starke Gruppe von Bauern der Gemeinde Friedrichsaue betrunken und provozierten sie, die Organisatoren der landwirtschaftlichen Genossenschaft, die nach der Abhaltung einer Organisationsversammlung zur Bildung der Genossenschaft in die Gaststätte gekommen waren, tätlich anzugreifen. Von diesem feindseligen Auftritt kulakischer Elemente wurden noch am selben Tag die Polizeidienststellen des Kreises in Kenntnis gesetzt. Die Bezirks- und Kreisleitungen der SED, die örtlichen Organe und die Staatsanwaltschaft wussten ebenfalls von diesem Vorfall, jedoch wurden keine Ermittlungen geführt und die Schuldigen nicht zur Verantwortung gezogen. Zudem erklärte der Sekretär der SED-Kreisleitung Hedt den Mitarbeitern der Polizei: „Die Genossenschaft haben nicht wir organisiert und wir werden sie nicht schützen“.5 Der ganze Fall wurde an die Kriminalpolizei des Kreises übergeben, an deren Spitze ein Mann steht, der in Verbindung mit den Kulaken steht und der versuchte, das Verprügeln der Vorkämpfer der Genossenschaftsbewegung als normalen Wirtshausstreit abzutun und unter diesem Vorwand die Angelegenheit zu vertuschen und die Kulaken in Schutz zu nehmen.

4  In der kyrillischen Schreibung „Kjumkel’“ bzw. „Rjuker“. Beide Namen konnten nicht identifiziert werden, im ersteren Fall ist ein Schreibfehler wahrscheinlich. Zum Begriff des „Kulaken“ vgl. Dok. 112 und dort Fn. 15 sowie Dok. 115 und dort Fn. 9 und 11. 5  Laut Beschluss des Politbüros des ZK der SED vom 31. Oktober 1952 „zu den Vorgängen bei der Gründung der Produktionsgenossenschaft im Kreis Seelow“ (vgl. Fn. 7) soll Hedt auf der Versammlung erklärt haben, „daß die Produktionsgenossenschaft nicht anerkannt werden könne und daher auch noch nicht bestehe“. Vgl. BABSAPMO, DY 30/IV 2/2/242, Anlage 1.



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In dieser Sache wird gegenwärtig eine Ermittlung durch die Oberste Staatsanwaltschaft der DDR geführt, und die Organisatoren des Angriffs – der Kulak Büttner, die Bauern Gläsing und Prust und der Polizist Ohl – wurden verhaftet.6 Es wäre zweckmäßig, diesen Fall zu erörtern und dazu einen besonderen Beschluss zu fassen. Insbesondere wäre zu wünschen: 1.  Die Bezirksleitungen der Partei sind anzuweisen, die bei einigen führenden Partei- und Staatsfunktionären verbreitete opportunistische und kleinbürgerliche Vorstellung von der Möglichkeit eines sozialistischen Aufbaus ohne Zügelung der Klassenfeinde, die ihre Opposition gegen das Volk verstärken und verschärfen, entschlossen zu bekämpfen. 2. Von den örtlichen Parteistellen, den Polizeiorganen, dem MfS, dem Gericht und der Staatsanwaltschaft ist zu verlangen, dass sie auf jeden Vorfall kulakischer Angriffe gegen die Genossenschaftsbewegung unverzüglich reagieren und die an solchen Angriffen Schuldigen zur strengsten gericht­ lichen Verantwortung ziehen. Über jeden derartigen Fall ist das ZK der SED unverzüglich zu informieren. 3.  Auf der Ebene der Partei und der örtlichen Organe ist unter der Bevölkerung systematisch eine breite Aufklärungsarbeit über die Notwendigkeit erhöhter Wachsamkeit und Geschlossenheit der Werktätigen zwecks gnadenloser Abwehr der Ausschreitungen der Volksfeinde zu betreiben. 4. Was die Verbrecher betrifft, die den Angriff gegen die Organisatoren der landwirtschaftlichen Genossenschaft in Friedrichsaue verübt haben, so ist die Sache in einem Schauprozess zu verhandeln, es ist eine angemessene Bestrafung der Schuldigen sicherzustellen und die Prozessmaterialien sind in der zentralen und lokalen Presse ausgiebig zu beleuchten.7 5.  Die Führungspersonen des Kreises Seelow sind vom Dienst zu entfernen, und die Parteikontrollkommission soll sie wegen politischer Kurzsich-

6  Bereits am 2. November 1952 berichtete das Neue Deutschland über zwei Seiten unter Bezugnahme auf Friedrichsaue über „Das opportunistische Verhalten von leitenden Parteifunktionären gegenüber feindlichen Elementen auf dem Dorf“ (S. 1 und 2). In diesem Artikel wurde der vorangegangene Beschluss des Politbüros zu Friedrichsaue erwähnt, vgl. Fn. 5 und 8. 7  Ein Schauprozess wurde möglicherweise gegen Bürgermeister Arndt geplant (vgl. die Verweise in Schöne, Frühling auf dem Lande, S. 84), gegen den in der Folgezeit im Neuen Deutschland massive Angriffe gerichtet wurden. So warf ihm Ulbricht in einer Rede am 5. Dezember vor, im Dienste westdeutscher Großgrundbesitzer gearbeitet zu haben (Neues Deutschland, 7. Dezember 1952, S. 5), und der am 4. Januar 1953 ebenda veröffentlichte Beschluss des ZK der SED zu „Lehren aus dem Prozeß gegen das Verschwörerzentrum Slansky“ bezeichnete ihn als „verkommenes Subjekt, der sich die Parteimitgliedschaft erschlich und sie für seine Schädlingsarbeit ausnutzte“ und warf ihm „Agententätigkeit“ und „Sabotage“ vor (S. 5).

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tigkeit, Wachsamkeitsverlust und Versöhnlertum gegenüber feindlichen Ausschreitungen zur Parteiverantwortung ziehen.8 AVP RF, f. 0457a, op. 12, p. 65, d. 3, Bl. 287–290.

131. Vermerk des Referenten im Auswärtigen Amt von Klewitz 

Bonn, 14. November 19521 [Stellungnahme] zu den „Bemerkungen“ von Herrn Prof. Dr. Grewe2 betr.: Neutralitätsabkommen der Bundesrepublik mit der UdSSR nach dem Vorbild des Berliner Vertrages von 19263 I. Die Prämisse

Es soll hier dahingestellt bleiben, ob die UdSSR gegen irgendeinen Preis4 bereit wäre, die Ostzone aus ihrer Einflußsphäre freizugeben. (Verf. ist der Ansicht, daß diese Prämisse nicht zutrifft). 8  Das Politbüro bestätigte in seiner Außerordentlichen Sitzung am 31. Oktober 1952 eine von Ulbricht unterzeichnete und vorgetragene „Stellungnahme … zu den Vorgängen bei der Gründung der Produktionsgenossenschaft in Friedrichsaue Krs. Seelow“. Der Beschluss sollte „allen Bezirksleitungen und Kreisleitungen der Partei“ zugestellt werden. Das Politbüro beschloss außerdem unter Punkt 2) die Veröffentlichung eines Leitartikels im Neuen Deutschland am 2. November (vgl. Fn. 6). Dieser entsprach inhaltlich weitgehend der Darstellung der Vorfälle und der zu ziehenden Konsequenzen aus dem Politbürobeschluss und schmückte diese erzählend aus. Der Politbürobeschluss wiederum entsprach in Teilen dem Forderungskatalog Semenovs, war aber sprachlich weniger scharf formuliert und enthielt detailliertere Anweisungen vor allem zur Kontrolle und Überprüfung von Verantwortlichen der Partei, der Verwaltung und der Polizei auf Kreis- und Bezirksebene im Allgemeinen. Beurlaubt bzw. abgesetzt wurden der 1. Kreissekretär der SED Hedt, der Leiter der Kriminaldienststelle im Kreispolizeiamt Jahn und der Bürgermeister von Friedrichsaue Arndt, vorläufig beurlaubt wurde die Kreisparteikontrollkommission, die die Parteimitgliedschaft Arndts wiederhergestellt hatte. Zum Umgang mit den Angeklagten hieß es: „Mit den Genossen in der Bezirksstaatsanwaltschaft ist die schnelle öffentliche Durchführung des Prozesses gegen die Täter … festzulegen.“ Von weiteren Veröffentlichungen dazu in der Presse war keine Rede. Das Politbüro sprach allgemein von einer „zunehmenden Verschärfung des Klassenkampfes“ und forderte die Kreis- und Bezirksleitungen der Partei zu „Wachsamkeit“ und unverzüglichen Reaktionen auf vergleichbare Vorfälle auf. Vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/242, TOP 3, Anlage 1. 1  Durchdruck. 2  Die „Bemerkungen“ von Grewe betr. Neutralitätsabkommen der Bundesrepublik mit der UdSSR konnten im PA AA nicht ermittelt werden. Möglicherweise ging es darin um die die Neutralisierung als Preis für die Wiedervereinigung. 3  Zum Freundschaftsvertrag zwischen Deutschland und der UdSSR vom 24. April 1926 (Berliner Vertrag) vgl. ADAP, B II/1, S. 402–406.



Dokument 131: 14. November 1952

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II. Der „Preis“ Unter dem Gesichtspunkt des „Preises“ in Gestalt einer Sicherheitsgarantie für die UdSSR würde das Abkommen insbesondere zum Inhalt haben: „Sollte die UdSSR trotz friedlichen Verhaltens von einer dritten Macht oder von mehreren dritten Mächten angegriffen werden, so wird die EVG während der ganzen Dauer des Konflikts Neutralität bewahren“ oder „Sollte die UdSSR trotz friedlichen Verhaltens von einer dritten Macht oder von mehreren dritten Mächten angegriffen werden, so wird die Bundesrepublik während der ganzen Dauer des Konfliktes Neutralität bewahren.“ Formell würde ein solches Abkommen weder mit der Kopplung der EVG mit NATO noch mit der Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der EVG kollidieren. NATO-Pakt5 und EVG-Vertrag6 sind Defensivabkommen. 4  In Bundestagsdebatten über den Deutschlandvertrag, den EVG-Vertrag und die Wiedervereinigung Deutschlands am 9. und 10. Juli 1952 diskutierten mehrere Redner (Gerstenmaier, Schmid, Decker und Adenauer) die möglichen Bedingungen, die Deutschland oder auch die Westalliierten für eine Wiedervereinigung gegenüber der Sowjetunion erfüllen müssten (oder auch nicht erfüllen sollten). Sie sprachen in diesem Zusammenhang von dem für die Einheit zu entrichtenden „Preis“ und nannten dabei die Neutralität eines wiedervereinigten Deutschlands und damit seine Loslösung aus dem westlichen Verteidigungsbündnis, z. T. aber auch den Verzicht auf die Teilnahme an der europäischen Föderation (BT Stenographische Berichte der 221. und 222. Sitzungen, 9. und 10. Juli 1952, S. 9805, 9816, 9882, 9909, 9921). Das Bild des „Preises“ hatte zuvor Paul Sethe gebraucht, der am 29. April in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf S. 1 unter dem Titel „Deutschland als Pufferstaat“ geschrieben hatte: „Was die Sowjets den Westmächten und uns vorschlagen, ist ein Tauschhandel. Wir sollen die Einheit, unsere mitteldeutschen Landsleute die Freiheit bekommen; dafür sollen wir und der Westen uns verpflichten, aus der politisch-militärischen Gemeinschaft mit dem Westen auszuscheiden … Ob wir diesen Preis in dem großen Geschäft bezahlen wollen oder nicht, darum geht gegenwärtig der Streit.“ Sethe griff das Bild des „Preises“ erneut am 1. September 1952 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im Zusammenhang mit der Diskussion um die Reihenfolge von freien gesamtdeutschen Wahlen und Friedensvertrag auf: Während für den Westen freie Wahlen so selbstverständlich seien, dass es ihm schwerfalle, zu verstehen, wie man mit ihnen überhaupt ein Tauschgeschäft machen könne, verlange die Sowjetunion den „Preis“ (Friedensvertrag mit Festschreibung der Neutralität) zuerst, bevor sie die „Ware“ (freie Wahlen bzw. die Freigabe der DDR) herausgebe (S. 1). Am 25. September führte er (in der Frankfurter Allgemeine Zeitung auf S. 1) diesen Gedanken weiter: Die Ablehnung dieser Reihenfolge durch den Westen bedeute für die Sowjetunion die Auslieferung ihrer Ware (Mitteldeutschlands), ohne sich des Preises sicher sein zu können, da eine gewählte gesamtdeutsche Regierung sich den Westmächten anschließen könne. 5  Zum Nordatlantikpakt vgl. Dok. 8, Fn. 5. 6  Vertrag über die Gründung einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft vom 27. Mai 1952 (Bundesgesetzblatt 1954, Teil II, Nr. 3, S. 343–379); er scheiterte an der Nichtratifizierung durch die Französische Nationalversammlung am 30. August 1954.

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Unproblematisch ist ferner der Fall, daß alle Mitglieder von NATO bezw. EVG der Ansicht sind, daß die UdSSR der angegriffene Teil in einem Konflikt ist. NATO und EVG wären zur Neutralität nicht nur berechtigt, sondern aus dem Geist der Verträge verpflichtet. Problematisch ist allein der Fall der Meinungsverschiedenheit unter den Mitgliedern von NATO bezw. EVG, ob die UdSSR Angreiferin oder Angegriffene ist.7 Im Hinblick auf das zur Erörterung stehende Neutralitätsabkommen sei der extreme Fall herausgegriffen: In einem bewaffneten Konflikt zwischen der UdSSR einerseits und einem dritten Staat oder mehreren dritten Staaten (etwa NATO-Mitgliedern) ist die Bundesrepublik im Gegensatz zu allen anderen NATO-Staaten (und somit im Gegensatz auch zu den übrigen fünf EVG-Staaten) der Ansicht, die UdSSR sei die Angegriffene. Kann die Bundesrepublik für diesen Fall die Verpflichtung eingehen, „während der ganzen Dauer des Konflikts Neutralität zu bewahren“? Die Frage ist zu bejahen: Der nach Art. 123 EVG-Vertrag8 notwendige Ratsbeschluß mit Einstimmigkeit käme nicht zustande. Der Notstand könnte also nicht erklärt werden. Was die Koppelung von EVG und NATO anlangt, so ist eine automatische Beistandspflicht hier ohnehin nicht gegeben. Wollte die EVG die nach Art. 5 des NATO-Paktes9 zu treffenden Maßnahmen beschließen, so wäre hierzu erforderlich, daß die EVG als solche der Ansicht ist, daß nicht die UdSSR die Angegriffene ist, sondern ein NATO-Staat. Dieser Beschluß müßte vom EVG-Rat ebenfalls mit Einstimmigkeit getroffen werden. Die Bundesrepublik könnte also in diesem Falle neutral bleiben und überdies verhindern, daß das Beistandsprotokoll zwischen EVG und NATO zum Zuge kommt. Sie könnte aber in diesem Falle nicht nur neutral bleiben, sondern sie wäre zur Neutralität verpflichtet, und zwar eben aus dem Geist der Defensivabkommen NATO und EVG. Ein Neutralitätsabkommen nach dem Vorbild von 1926 würde also nichts anderes zum Inhalt haben als eine Verpflichtung, der die Bundesrepublik ohnehin unterliegt (ebenso die EVG als solche). Die Richtigkeit der Prämisse 7  Die hier und im Folgenden kursiv hervorgehobenen Wörter sind im Original unterstrichen. 8  Nach Artikel 123 des EVG-Vertrages (vgl. Fn. 6) werden bei schwerem und dringendem Notstand alle dafür erforderlichen Befugnisse vom Rat übernommen oder auf andere Organe der Gemeinschaft übertragen. Der schwere und dringende Notstand ergibt sich entweder aus bestehenden Verträgen, oder er wird durch einstimmige Erklärung des Rates festgestellt (vgl. Bundesgesetzblatt 1954, Teil II, Nr. 3, S. 378). 9  Artikel 5 des Nordatlantikpaktes (vgl. Dok. 8, Fn. 5) regelt den sogenannten Bündnisfall: Die Vertragsstaaten vereinbaren, einen Angriff gegen einen oder mehrere von ihnen als Angriff auf alle anzusehen und Beistand zu leisten.



Dokument 132: 27. November 1952

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unterstellt (oben I) ist Verf. somit der Ansicht, daß die UdSSR in einem Neutralitätsabkommen der genannten Art einen „Preis“ nicht erblicken könnte. Klewitz10 PA AA, B 130, Bd. 5316A.

132. Unterredung zwischen dem stellvertretenden Außenminister Puškin und Botschafter Appelt Geheim 

Moskau, 27. November 19521

Aus dem Tagebuch2 von G.M. Puškin Aufzeichnung einer Unterredung mit dem Leiter der diplomatischen Mission der DDR in der UdSSR, Botschafter R. Appelt Heute empfing ich Appelt auf seine Bitte. Unter Bezug auf eine Anweisung von Ministerpräsident Grotewohl3 wandte er sich an uns mit der Bitte, die Lieferung von Butter in die DDR zu beschleunigen. 10  Handschriftlich.

1  Original an Vyšinskij. Datierung des Dokuments nach dem Inhalt. Kopien gingen an Malik, Podcerob, Gribanov, Kumykin und in die Akten. Das Dokument erhielt am 28. November 1951 die Ausgangsnummer 473/gp und am folgenden Tag die Eingangsnummer 14544-v des Sekretariats von Vyšinskij. 2  „Tagebuch“ ist ein aus der russischen Kanzleisprache übernommener Begriff des Auswärtigen Dienstes der UdSSR für Gesprächsaufzeichnungen. 3  Die Weisung Grotewohls an Appelt konnte im PA AA nicht ermittelt werden. Auch Appelt selbst vermerkte jedoch am 27. November, er habe seine Bitte im Auftrag Grotewohls gestellt (vgl. Fn. 5). Am 4. Dezember 1952 beschloss das Politbüro des ZK der SED: „Der Verkauf von Butter in der HO ist einzustellen und alles auf den Kartenverkauf zu konzentrieren. Ausgenommen hiervon ist die Belieferung der HO-Gaststätten. Bei der Belieferung von Butter für Backwaren werden die Höchstmengen noch festgelegt … 4) Für die offizielle Aufklärung der Bevölkerung werden Artikel über die Versorgungslage (Butterschwierigkeiten usw.) veröffentlicht. Verantwortlich: Genosse Grotewohl.“ Vgl. BAB-SAPMO, DY 30/IV 2/2/251, TOP 2. Mengenbegrenzungen wurden auch für weitere „Lebens- und Genußmittel sowie Indus­ triewaren im freien Verkauf von Groß-Berlin“ beschlossen, die „als interne Verkaufsanweisung dem Verkaufspersonal des Berliner Einzelhandels über die Leitungen der Handelsorganisation und die Abteilung Handel und Versorgung der Kreise“ dienen sollten und „nicht publiziert werden“ durften. Vgl. ebenda, TOP 1, Anlage 1. Die SED-Führung nahm die Versorgungsschwierigkeiten zum Anlass, auf derselben Sitzung die Absetzung des Ministers für Handel und Versorgung Karl Hamann (LDPD) zu beschließen, der kurz darauf vom MfS verhaftet und am 24. Mai 1954 zunächst zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Die Haftstrafe wurde wenig später auf zehn Jahre herabgesetzt. Am 12. Oktober 1956 wurde Hamann aus der Haft entlassen. Vgl. Kowalczuk, Stasi konkret, S. 99–117.

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Laut Appelt hatte die Regierung der DDR geplant, im Laufe des Jahres 1952 in den kapitalistischen Ländern 11 550 Tonnen Butter zu kaufen. Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt habe sie aber erst 2 000 Tonnen kaufen können.4 Appelt sagte, die Sowjetunion habe 1952 33 000 Tonnen Butter in die Deutsche Demokratische Republik zu liefern: 30 000 Tonnen als Lieferung für 1952 und 3 000 Tonnen aus den Lieferungen für 1951. Bis zum 10. November d. J. seien 25 532 Tonnen Butter in die DDR verladen worden. Wegen der schwierigen Lage der Lebensmittelversorgung in der DDR bitte die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, die in den Handelsabkommen vorgesehene Verladung von Butter in die DDR (ca. 8 000 Tonnen) bis zum 20. Dezember 1952 abzuschließen.5 Ich erklärte, das Außenhandelsministerium der UdSSR davon in Kenntnis zu setzen. 4  Diese Zahlen konnten nicht belegt werden. Am 15. Oktober 1952 führte Fritz Lange von der Zentralen Kommission für Staatliche Kontrolle in einem „Bericht an den Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik zu Händen des amtierenden Ministerpräsidenten Heinrich Rau“ aus: „Die Staatsreserve für Butter sollte 13 000 to betragen. Der Bestand betrug jedoch am 15. September 1952 erst 58,4 %.“ Eine „ernsthafte Gefährdung der Planerfüllung für die Staatsreserve“ gehe nunmehr von einem „Schreiben des Ministeriums für Handel und Versorgung (Hauptabteilung Handel, Abteilung Warenbilanzen)“ vom 9. Oktober 1952 aus, mit dem die DHZ Lebensmittel „angewiesen worden ist, ab sofort sämtliche Butter aus der Produktion und aus Importen der Versorgung der Bevölkerung zuzuführen und alle Lieferungen an den Kontingentträger 7700 (Staatsreserve) einzustellen“. Der unterzeichnende Abteilungsleiter Hantke sei „zur Verantwortung zu ziehen“ (vgl. BAB, DC 20-I/3/146, Anlage zu TOP 25). Auf seiner Sitzung vom 15. Oktober 1952 nahm der DDR-Ministerrat den „Bericht der Zentralen Kommission für Staatliche Kontrolle über Störungen der Planerfüllung für Butter und über Versorgungsschwierigkeiten bei Margarine“ zur Kenntnis und beauftragte den „Leiter der Koordinierungs- und Kontrollstelle für den Binnenhandel, Staatssekretär Strampfer … den Sachverhalt zu überprüfen“ (vgl. BAB, DC 20-I/3/145, TOP 25). Der für den 23. Oktober 1952 vorgesehene Tagesordnungspunkt „Bericht über das Ergebnis der Überprüfung der von der Zentralen Kommission für Staatliche Kontrolle aufgezeigten Planstörungen bei der Staatsreserve“ wurde zurückgestellt (vgl. BAB, DC 20-I/3/147, TOP 5). 5  In einem von Appelt am 27. November angefertigten Aktenvermerk zu demselben Gespräch berichtete dieser: „Der Botschafter trug Herrn Puschkin im Auftrage von Ministerpräsidenten Otto Grotewohl die Bitte der Deutschen Demokratischen Republik vor, daß die Sowjetunion die restlichen 8 000 Tonnen Butter bis zum 20. Dezember 1952 nach der DDR liefern möge. Der Botschafter informierte Herrn Puschkin bei dieser Gelegenheit über die Versorgungslage in der DDR und begründete die Bitte der Regierung der DDR an die Regierung der UdSSR. Herr Puschkin versprach, die Angelegenheit sofort an höhere Stelle [sic] weiterleiten zu wollen … Der Botschafter bat noch besonders um eine rasche Antwort, die ihm Herr Puschkin auch zusicherte.“ Auf Anfrage Appelts habe Puškin außerdem ein besonderes Schreiben Grotewohls in dieser Sache an den Ministerpräsidenten der UdSSR für unnötig erklärt (vgl. PA AA, MfAA, A 143, Bl. 362).



Dokument 133: [15.12.1952]

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Sodann bat Appelt, die Dauer des UdSSR-Aufenthalts einer deutschen Delegation von Mitarbeitern des Binnenhandels bis zum 3.–4. Dezember d. J. zu verlängern. Appelt sagte, er werde zu dieser Frage eine Note schicken.6 Ich antwortete, seine Bitte werde geprüft werden. Bei der Unterredung war der Dritte Sekretär der Dritten Europäischen Abteilung, Gen. V.M. Semenov zugegen. Der stellvertretende Außenminister der UdSSR G. Puškin7 AVP RF, f. 07, op. 25, p. 14, d. 153, Bl. 18–19.

133. Entwurf des Politischen Beraters Semenov Streng geheim

[15.12.1952]1

An Gen. I.V. Stalin Die Führung der Deutschen Demokratischen Republik (die Gen. Pieck, Ulbricht und Grotewohl) hat mit Unterstützung der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland an das ZK der KPdSU den Vorschlag gerichtet, an der Sektorengrenze zwischen Ostberlin und Westberlin eine Grenzsicherung einzurichten und für Kraftfahrzeuge und Fußgänger bei der Überquerung der Sektorengrenze Passierscheine einzuführen. Beweggrund für diesen Vorschlag ist die Notwendigkeit, die DDR als selbständigen volksdemokratischen Staat weiter zu konsolidieren. Die Westmächte haben Westberlin in einen Hauptstützpunkt für subversive Aktivitäten gegen die DDR umgestaltet und nutzen zu diesem Zweck auf vielerlei Weise den freien Verkehr zwischen dem östlichen und dem westlichen Berlin. Auf dem Gebiet Westberlins gibt es ungefähr 130 Zentren und Organisationen für Spionage, Subversion und terroristische Aktionen, die gegen die DDR und die sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland tätig sind und auf dem Territorium der DDR ein Netz ihrer Agenten unterhalten.2 Von Westberlin aus wird intensiv daran gearbeitet, Sabotageakte gegen Maßnahmen der DDR-Staatsorgane zu organisieren und Übertritte von wankelmütigen Elementen aus der DDR nach Westdeutschland zu arrangieren, was 6  Eine

solche Note von Appelt konnte nicht ermittelt werden.

7  Handschriftlich.

1  Original. Weitere Exemplare sind nicht nachgewiesen. Das Dokument erhielt keine Registraturnummern und wurde nur von Semenov, nicht auch von Vyšinskij unterzeichnet. 2  Auf welcher Grundlage die hier genannte Zahl beruht, ließ sich nicht ermitteln. Vgl. Dok. 117 und dort Fn. 2.

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dazu genutzt wird, um die DDR zu diskreditieren, und es wird in der DDR illegal antidemokratische Literatur verteilt etc. Klassenfeindliche Elemente innerhalb der DDR, die dem sozialistischen Aufbau verschärft Widerstand leisten, nutzen ebenfalls Westberlin als ihren Stützpunkt, und bei Gefahr der Verfolgung finden diese, genau wie Kriminelle und Personen, die Verbrechen im Amt begangen haben, ihren Unterschlupf in Westberlin. So wird ein Umfeld der Straffreiheit für kriminelle Aktivitäten gegen die DDR geschaffen, welches als Nährboden für die weitere Entfaltung dieser Aktivitäten dient. Die Notwendigkeit, Schutzeinrichtungen an der Sektorengrenze Ostberlins zu installieren, ist auch von wirtschaftlichen Erwägungen diktiert. Die Tat­ sache, dass es in Westberlin eine besondere Währung gibt, eröffnet den drei Westmächten und der Bonner Regierung die Möglichkeit, in Berlin breit angelegte Spekulation zum Schaden der DDR zu betreiben und durch Aufrechterhaltung eines künstlich hohen Wechselkurses der West-Mark gegenüber der DDR-Mark einen massenweisen Aufkauf von Lebensmitteln und Massenkonsumartikeln zu betreiben, die in der DDR zu einem niedrigen Preis zu haben sind (Mehl, Kartoffeln, Gemüse, Zucker, Fette u. a.). Über Westberlin entweichen auch große Mengen von Materialien, an denen ein starker Mangel herrscht und die von wichtiger strategischer Bedeutung sind (Kupfer, Blei, Altmetall u. a.), aus der DDR in Richtung Westdeutschland. Es ist bekannt, dass auf dem Gebiet von Ostberlin und in der DDR Mengen von Privatfirmen existieren, die eng mit Westberliner Handels- und Industrieunternehmen verbandelt sind oder gar als deren Niederlassungen fungieren. Fast alle privaten Großhandelsgeschäfte in der DDR haben in engem Kontakt mit Firmen in Westberlin gearbeitet und Defizitwaren aus der DDR dorthin geschleust. So ist festzustellen, dass die in Übereinstimmung mit der Anordnung Nr. 1788-671ss des Ministerrates der UdSSR vom 14.  April d. J.3 durchgeführten Maßnahmen zum Schutz der Grenzen der DDR mit Westdeutschland und der Ostseeküste der DDR angesichts des ungehinderten Verkehrs von Menschen und Verkehrsmitteln zwischen dem Ostsektor und den Westsektoren Berlins nicht in vollem Umfange wirksam sind, um die DDR gegen subversive Aktivitäten aus dem Westen zu schützen. Bei ihren Vorschlägen zum Schutz der Sektorengrenze Ostberlins geht die Führung der DDR auch von dem Umstand aus, dass die USA, England, Frankreich und die Bonner Regierung zu immer schärferen Maßnahmen greifen, um Westdeutschland von der DDR abzugrenzen und Westdeutschland und Westberlin in den aggressiven Nordatlantikblock hineinzuziehen (Bonn-

3  Vgl.

Dok. 107 und dort Fn. 3. Die Anordnung ist im GA RF nicht deklassifiziert.



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Paris-„Konventionen“4). Vor dem Hintergrund dieser Aktivitäten der Westmächte würden die von der DDR-Führung ins Auge gefassten Vorkehrungen zum Schutz der Sektorengrenze Ostberlins unter dem Aspekt internationaler Politik nach außen hin wie Verteidigungsmaßnahmen aussehen. Die Einführung von Schutzmaßnahmen an der Sektorengrenze Ostberlins würde nicht die Verhängung einer Blockade über Westberlin bedeuten, denn die Straßen-, Eisenbahn-, Wasser- und Luftverbindungswege zwischen Westberlin und Westdeutschland werden davon nicht betroffen. Es soll nur eine Abgrenzung zwischen der DDR und Westberlin vorgenommen werden. Wenn es von der DDR abgeschnitten ist, wird es zwangsläufig seine jetzige Bedeutung verlieren, nach und nach verkümmern, und die Westmächte werden dementsprechend ihre Position in Berlin verlieren. Technisch ist der Aufbau eines Schutzes für die Sektorengrenze Ostberlins durchaus machbar, und die Führung der DDR schlägt vor, wie folgt zu verfahren: Die Sektorengrenze zwischen Ost- und Westberlin hat eine Länge von 46,6 Kilometern. Größtenteils verläuft sie entlang einer Linie, die sich leicht bewachen lässt, und zwar 8,5 km über freies Feld, 4,3 km parallel zu Eisenbahntrassen, 15,6 km entlang der Spree und ihrer Kanäle, 6,0 km entlang innerstädtischer Steinwände, 2,7 km durch Ruinengrundstücke. Die größte Schwierigkeit für den Schutz der Grenze stellt ein Abschnitt von ca. 5 km Länge dar, wo die Fassaden von Ostberliner Wohnhäusern auf Straßen westlicher Stadtsektoren hinausgehen oder wo die Grenze in engen und dicht besiedelten Straßen verläuft, die zum östlichen Sektor gehören. In diesem Bereich soll eine abgestufte verstärkte Bewachung mit Ausweiskontrolle bei Bürgern eingerichtet werden, die in Häusern des Ostsektors wohnen, welche an der Sektorengrenze liegen. Es ist geplant, die Bewohner dieser Häuser (ca. 4 000 Personen) zu einem späteren Zeitpunkt in den inneren Bereich des Ostsektors von Berlin umzusiedeln. Die Bewachung der Sektorengrenze soll durch die deutsche Grenzpolizei erfolgen, die derzeit für die Bewachung des äußeren Ringes zwischen Ostberlin und der DDR sorgt (872 Mann). Zur zweiten Staffel werden Verbände der Ostberliner Stadtpolizei gehören, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit der Aufrechterhaltung der Ordnung und dem Kampf gegen Spekulanten an der Sektorengrenze befasst sind (1 080 Mann). Die Bewachung der Sektorengrenze wird mit stationären Posten und mobilen Patrouillen durchgeführt. Außerdem sollen in zehn an der Sektorengrenze gelegenen Kontroll- und Passierstellen sowie bei dem mobilen Wachdienst im Streifen an der Sekto4  Gemeint waren der am 26.  Mai 1952 in Bonn unterzeichnete „Generalvertrag“ (auch als „Deutschlandvertrag“ oder „Bonner Konvention“ bezeichnet, vgl. Dok. 20, Fn. 12) und der am folgenden Tag in Paris unterzeichnete EVG-Vertrag (vgl. Dok. 131, Fn. 6).

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rengrenze 422 Angehörige der sowjetischen Streifkräfte eingesetzt werden, die momentan mit der Bewachung des äußeren Ringes von Ostberlin befasst sind. Falls erforderlich, wird in der Stadt eine Reserveeinheit der sowjetischen Streitkräfte stationiert. Für die Überquerung der Sektorengrenze (zu Fuß oder mit einem Fahrzeug) in beide Richtungen werden zwei Arten Passierscheine eingeführt: für den einmaligen Übertritt sowie für den mehrmaligen Übertritt (mit dreimonatiger Gültigkeit). Die Passierscheine werden in speziellen Passierscheinämtern der DDR ausgegeben: für Bewohner Westberlins direkt an der Sektorengrenze und für Bewohner der DDR innerhalb des Berliner Ostsektors auf Antrag entsprechender Behörden der DDR. Vertreter der westlichen Besatzungstruppen und Militärangehörige der westlichen Besatzungstruppen werden mit Sonder-Passierscheinen ebenfalls nach Ostberlin einreisen können. Der S-Bahn- und U-Bahn-Verkehr zwischen den Sektoren Berlins soll eingestellt und im Ostsektor Berlins separat eingerichtet werden, unabhängig von den Westsektoren Berlins. Ein technisch getrennter Betrieb der städtischen Verkehrsmittel innerhalb Ostberlins ist bereits vorbereitet: Es gibt bei der Untergrundbahn Verbindungstunnel und Kopfgleise, es sind EisenbahnVerbindungsstrecken um Westberlin herum gebaut worden, auf denen alle Züge der DDR unter Umgehung Westberlins fahren können, es ist ein Umgehungs-Wasserkanal in Betrieb genommen worden usw. Entsprechende Vorbereitungen sind auch von den Behörden Westberlins getroffen worden. Der Autobus- und Oberleitungsbusverkehr sowie die Telefonkommunikation funktionieren auch jetzt schon getrennt innerhalb des Ost- und des Westteils von Berlin. Die Strom-, Wasser- und Gasversorgung funktioniert ebenfalls separat in beiden Teilen der Stadt. Mit Ausnahme von zwei Linien, die für Ostberlin von geringer Bedeutung sind, funktioniert im Großen und Ganzen auch das Straßenbahnnetz in Ost- und Westberlin getrennt.5 Das gemeinsame Kanalisationssystem bleibt für ganz Berlin auch nach Einführung der Schutzmaßnahmen für die Sektorengrenze erhalten. Interna­ tionale telefonische und telegrafische Verbindungen, die durch Westberlin verlaufen, werden ebenfalls nicht betroffen sein. Die Einrichtung eines Grenzschutzes an der Sektorengrenze zwischen Ostberlin und Westberlin macht es erforderlich, einige Maßnahmen zur Regelung der Arbeitsverhältnisse von Arbeitern und Angestellten zu treffen. In Unternehmen und Behörden Ostberlins sind ca. 28 000 Arbeiter und Angestellte beschäftigt, die in Westberlin wohnen, und in Westberlin sind ca. 39 000 Arbeiter und Angestellte beschäftigt, die in Ostberlin wohnen. Es ist voll und ganz möglich, für alle Bewohner Ostberlins einen Arbeitsplatz in 5  Vgl.

dazu Dok. 118 und dort Fn. 10.



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Ostberlin und den angrenzenden Bezirken der DDR zu finden. Für Bewohner der Westsektoren, die in Ostberlin arbeiten, werden Passierscheine mit dreimonatiger Gültigkeit ausgestellt. Um die Öffentlichkeit auf die Einführung eines Grenzschutzes an der Sektorengrenze zwischen Ostberlin und Westberlin vorzubereiten, beabsichtigt die DDR-Führung, eine breit angelegte Kampagne zur weiteren Enthüllung der aus Westberlin geführten und gegen die DDR gerichteten subversiven Aktivitäten der drei Westmächte und der Bonner Regierung sowie zur weiteren Entlarvung der Bonn-Paris-„Konventionen“, in denen Westberlin die Rolle eines „Brückenkopfes“ des aggressiven Nordatlantikblocks zugewiesen wird, in die Wege zu leiten. Im Dezember 1952 und im Januar 1953 sollen zwei oder drei Prozesse gegen Spione und Saboteure aus Westberlin geführt werden.6 In einer bestimmten Etappe dieser Kampagne soll durch gesellschaftliche Organisationen und Werktätige der DDR die Forderung erhoben werden, zwischen Ost- und Westberlin eine Trennlinie einzurichten, um den von Westberlin aus geführten subversiven Aktivitäten gegen die DDR ein Ende zu bereiten.7 Die Führung der DDR hält es für erforderlich, bei der Abtrennung Ostberlins als erste praktische Maßnahme den S-Bahn-Verkehr zwischen den Sektoren einzustellen, um zu verhindern, dass die Westberliner Behörden sich des Fahrzeugparks der S-Bahn, welcher der DDR gehört, bemächtigen. Als Anlass für die Umsetzung aller anderen oben erwähnten Maßnahmen zum Schutz der Ostberliner Sektorengrenze will die DDR-Führung die Ratifizierung der Bonn-Paris-„Konventionen“ durch den Bundestag nutzen (ungefähr 6  Das Neue Deutschland berichtete in der Zeit von Mitte Dezember 1952 bis Mitte Februar 1953 über drei Prozesse gegen westliche „Spione“, so am 23. Dezember 1952 auf S. 4 über ein Urteil des Bezirksgerichts Erfurt vom 20. November gegen sieben „Mitarbeiter des sogenannten ‚Ost-Büros der CDU‘ “, am 11. Februar 1953 auf S. 3 über einen Prozess „gegen neun USA-Agenten aus Klein-Machnow“, die „im Auftrag der USA-Imperialisten und ihrer westberliner Handlanger“ gehandelt hätten, und am 15. Februar auf S. 3 unter der Überschrift „Lebenslängliche Zuchthausstrafen für Spione und Terroristen“ über ein Urteil des Bezirksgerichts Dresden vom Vortag gegen weitere sechs Personen. 7  Bis ca. Mitte Januar 1953 war die Berichterstattung in der DDR-Presse über die Sektorengrenze in Berlin üblicherweise mit der formalen Forderung nach Beseitigung der Sektorengrenze im Zusammenhang mit der Forderung nach gesamtdeutschen Wahlen verbunden. Ab der zweiten Januarwoche erschienen vermehrt Meldungen über „Provokationen an den Sektorengrenzen“ (Neues Deutschland, 11. Januar, S. 8) und dann „Ständige Provokationen an den Sektorengrenzen“ (ebenda, 13. Januar, S. 1); am 15. Januar hieß es auf S. 2: „Bevölkerung der Berliner Randgebiete fordert Schutz gegen Provokationen“, am 16. Januar hieß es, die „West-BVG spaltet Straßenbahnverkehr“ (S. 6), und am 17.  Januar: „Schutz an Sektorengrenzen muß verstärkt werden“ (S. 6). Danach ebbte diese Kampagne ab, und es wiederholten sich erneut Forderungen nach einer Aufhebung der Sektorengrenze.

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Ende Januar/Februar 19538), womit gewährleistet sein wird, dass der deutschen Bevölkerung die Notwendigkeit der Durchführung dieser Maßnahmen plausibel gemacht wird. Es wird angenommen, dass die Einrichtung des Grenzschutzes an der Sektorengrenze Ostberlins auf der Grundlage eines Erlasses der DDR-Regierung erfolgen wird. In dem Erlass wird diese Maßnahme entsprechend begründet sein. Gleichzeitig soll erklärt werden, dass die in der Durchführung begriffenen Maßnahmen von der Not diktiert wurden und sofort rückgängig gemacht werden, sobald eine Verständigung über die Durchführung gesamtdeutscher Wahlen und die Wiederherstellung der Einheit Berlins erreicht wird. Die Umsetzung der oben beschriebenen Maßnahmen zur Einrichtung eines Schutzes für die Sektorengrenze Ostberlins hat aber auch negative Seiten. Die Westmächte können diese Maßnahmen für demagogische Anschuldigungen ausnutzen, indem gesagt wird, die DDR verstärke die Spaltung Berlins und errichte einen „eisernen Vorhang“ zwischen Ost- und Westberlin. Dies aufgreifend, kann eine entsprechende Gegenpropaganda auf den Weg gebracht werden, indem man unterstreicht, dass der Einsatz dieser Maßnahmen dazu dient, die Bevölkerung der DDR vor den von Westberlin aus organisierten subversiven Aktivitäten zu schützen, die wegen der Ratifizierung der Bonn-Paris-„Konventionen“ zweifellos eine Verstärkung erfahren werden. Die Schutzvorkehrungen für die Sektorengrenze können zu Anfang bei einem gewissen Teil der Bevölkerung der DDR und Ostberlins auf Missfallen stoßen, da freie Begegnungen mit Verwandten erschwert werden und auch die Möglichkeit des Einkaufs von einigen Mangelwaren und Luxusartikeln in Westberlin entfällt. Die drei westlichen Besatzungsmächte können als Gegenmaßnahme versuchen, sich des in Westberlin befindlichen und der DDR gehörenden Hauses des Rundfunks sowie verschiedener Einrichtungen der Bahn (Depots sowie zwei Reparaturwerkstätten für Lokomotiven) zu bemächtigen. Die Inbesitznahme dieser Objekte kann der DDR nicht nennenswert schaden. Es ist anzunehmen, dass die Westmächte gegen diese Maßnahmen Protest einlegen werden, da sie die Möglichkeit verlieren, Westberlin, wie dies jetzt der Fall ist, für subversive Aktivitäten gegen die DDR zu nutzen. Da jedoch die oben beschriebenen Maßnahmen die Verbindungswege zwischen Westberlin und Westdeutschland nicht betreffen und nur auf den Schutz des Territoriums von Ostberlin und der DDR ausgerichtet sind, können diese 8  Vgl. Fn. 4 zu diesem Dokument. Der „Deutschlandvertrag“ wurde am 19. März 1953 im Deutschen Bundestag ratifiziert. Bereits Ulbricht hatte die Einführung von Grenzmaßnahmen in Berlin zeitlich an die Ratifizierung im Bundestag koppeln wollen, diese jedoch seinerzeit für den September/Oktober 1952 erwartet, vgl. Dok. 118 und dort Fn. 9.



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Maßnahmen nicht als Verstoß gegen die Rolle oder die Rechte der Westmächte in Bezug auf Westberlin ausgelegt werden, insbesondere angesichts des Umstandes, dass die Viermächteverwaltung Berlins seit 1948 nicht mehr in Kraft ist. Mit dem oben dargelegten Vorschlag der DDR-Führung, der unter Teilnahme der SKK in Deutschland ausgearbeitet wurde, ist das MID einverstanden. Der Entwurf zu einer Anordnung ist beigefügt. Wir bitten um Prüfung.9 A. Vyšinskij V. Semenov10 AVP RF, f. 082, op. 40, p. 266, d. 98, Bl. 25–33.

9  Der Entwurf zu einer Anordnung für das ZK der KPdSU hatte folgenden Wortlaut: „Über die Vorschläge der Führung der Deutschen Demokratischen Republik hinsichtlich der Einrichtung eines Grenzschutzes für die Sektorengrenze zwischen Ost- und Westberlin. 1. Die Sowjetische Kontrollkommission in Deutschland (die Genossen Čujkov und Semenov) wird angewiesen, Pieck, Grotewohl und Ulbricht mitzuteilen, dass gegen die von der DDR-Führung beabsichtigten Maßnahmen zur Einführung eines Grenzschutzes für die Sektorengrenze zwischen Ost- und Westberlin und zum Aufbau eines Passierscheinsystems für Kraftfahrzeuge und Fußgänger bei der Überquerung der Sektorengrenze (zu Fuß oder mit einem Fahrzeug) keine Einwände bestehen. Hierbei ist davon auszugehen, dass die genannten Maßnahmen nach der Ratifizierung der Bonn-Paris-‚Konventionen‘ durch den Bundestag in die Tat umgesetzt werden. 2.  Die SKK (die Genossen Čujkov und Semenov) ist verpflichtet, den deutschen Organen bei ihrer Durchführung der in Punkt 1 der vorliegenden Anordnung aufgeführten Maßnahmen die notwendige Kontrolle und Hilfe zu gewährleisten. Hierbei ist der sorgfältigen Vorbereitung dieser Maßnahmen und der breit angelegten Aufklärung der deutschen Bevölkerung über die Notwendigkeit, Ostberlin von Westberlin abzugrenzen, besondere Aufmerksamkeit zu widmen.“ Vgl. AVP RF, f. 082, op. 40, p. 266, d. 98, Bl. 34. Ein solcher Beschluss wurde im ZK der KPdSU nicht gefasst. Überliefert ist jedoch der knapper gefasste Entwurf einer Anordnung, datiert vom 2. Januar 1953, die der Einrichtung eines Grenzschutzes und von Verkehrskontrollen zustimmen sollte. Nach Stalins Tod ließen dessen Nachfolger dieses Vorhaben fallen. Vgl. Christian F. Ostermann (Hrsg.), Uprising in East Germany 1953. The Cold War, the German Question, and the First Major Upheaval Behind the Iron Curtain, Budapest 2001, S. 43 und 50–51. 10  Handschriftlich nur von Semenov.

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134. Schreiben von Außenminister Vyšinskij an den stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrats Malenkov Streng geheim

Moskau, 30. Dezember 1952

An den Genossen G.M. Malenkov1 Ulbricht wandte sich an die Sowjetische Kontrollkommission mit einem Brief, in welchem er mitteilte, er halte es für notwendig, den Haushalt für Ostberlin für das Jahr 1953 in den Haushalt der DDR einzubeziehen. Zu diesem Zweck werde eine entsprechende Anordnung der Regierung der DDR und ein Beschluss des Magistrats von Ostberlin verabschiedet. Damit werde Ostberlin finanziell den Bezirken der DDR gleichgestellt. Bis jetzt habe der Haushalt der DDR den Haushalt Ostberlins nicht beinhaltet.2 Was Westberlin betreffe, so sei auf Beschluss der Bonner Regierung vom 4. Januar 1952 Westberlin finanziell den Ländern Westdeutschlands gleichgestellt worden.3 Das MID der UdSSR ist der Ansicht, dass die Frage der Einbeziehung des Haushalts von Ostberlin in den Haushalt der DDR für 1953 von der Regierung der DDR selbst entschieden werden sollte. Gleichzeitig könnte Gen. Čujkov beauftragt werden, Ulbricht mitzuteilen, dass seitens der SKK keine Einwände gegen die Einbeziehung des Haushalts von Ostberlin in den Haushalt der DDR für 1953 bestehen.

1  Das Original erhielt Malenkov. Vier Kopien gingen an Puškin, eine in die Akten. Der Übersetzung liegt das zweite Exemplar zugrunde. Das Dokument trägt keine Registraturnummer. Am Kopf des Briefes vermerkte Puškin am 30. Dezember: „An Gen. A.Ja. Vyšinskij, Bitte um Unterschrift. G. Puškin“. Darunter handschriftlich Vyšinskij: „Einv[erstanden]“. 2  Am 11. Dezember 1952 hatte der DDR-Ministerrat „dem Entwurf des Gesetzes über den Volkswirtschaftsplan 1953“ zugestimmt und „den Volkswirtschaftsplan 1953 und [den] Entwurf des Gesetzes über den Volkswirtschaftsplan 1953“ beschlossen. Von Berlin war darin nicht die Rede (vgl. BAB, DC 20-I/3/159, TOP 1, Anlage 1). Am 22. Januar 1953 fasste der DDR-Ministerrat dann einen „Beschluß über Maßnahmen zum Anlauf des Volkswirtschaftsplans 1953“ sowie einen „Beschluß zum Gesetz über den Staatshaushaltsplan 1953“, nachdem die Zustimmung zum „Gesetzentwurf über den Staatshaushaltsplan 1953“ erfolgt war. Erst in diesem wurde nach den 14 Bezirken der DDR auch „Gross-Berlin“ aufgeführt (vgl. BAB, DC 20I/3/169, TOP 4–5, Anlage C). 3  Bereits auf seiner Sitzung vom 13. Dezember 1951 war im Bundestag die „zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Regelung der finanziellen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und dem Land Berlin“ erfolgt. Zur Annahme dieses Gesetzes kam es mit wenigen Gegenstimmen, darunter jenen der KPD-Abgeordneten, vgl. BT Stenographische Berichte, 181. Sitzung, 13. Dezember 1951, S. 7567.



Dokument 135: 5. Januar 1953

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Ein Entwurf zu der Anordnung ist beigefügt.4 Ich bitte um Prüfung.5 AVP RF, f. 07, op. 25, p. 14, d. 154, Bl. 15.

135. Schreiben von Außenminister Vyšinskij an den stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrats Malenkov Streng geheim

5. Januar 19531

An Gen. G. M. Malenkov Die Kommission für auswärtige Angelegenheiten2 hat die Genossen Vyšinskij (Einberufer), Grigor’jan und Puškin angewiesen, die im Bericht Nr. 7733/0 des Ministeriums für Staatssicherheit der UdSSR (Gen. Ogol’cov)3 angesprochene Frage zu erörtern und ihre Vorschläge zu unterbreiten. Nach Untersuchung der Frage sind wir zu der Auffassung gekommen, dass es angesichts der entstandenen Situation erforderlich wäre, Gen. Čujkov anzuweisen, Gen. Ulbricht aufzusuchen und zu klären, welche Maßnahmen die Regierung der DDR und das ZK der SED in der Angelegenheit Dertinger4 für notwendig halten.5 Gen. Čujkov ist anzuweisen, Gen. Ulbricht im Verlaufe der Unterredung mitzuteilen, dass die SKK es für angebracht hält, Dertinger von seinen Pflichten zu entbinden und in Haft zu nehmen. 4  Der Entwurf lautete entsprechend: „Gen. Čujkov wird beauftragt: 1.  Ulbricht mitzuteilen, dass die Frage der Einbeziehung des Haushalts von Ostberlin in den Haushalt der DDR von der Regierung der DDR selbst entschieden werden sollte; 2. Ulbricht außerdem zu erklären, dass seitens der SKK keine Einwände gegen die Einbeziehung des Haushalts von Ostberlin in den Haushalt der DDR bestehen.“ Vgl. AVP RF, f. 07, op. 25, p. 14, d. 154, Bl. 16. 5  Eine Weisung an Čujkov konnte im AVP RF nicht ermittelt werden. 1  Original. Das Dokument trägt oben den Stempel „Sondermappe“, außerdem einen Stempel des ZK der KPdSU vom 6. Januar 1953 mit der Nr. 44 und der Weisung: „Ist an das Kommissionssekretariat zurückzuleiten“. Unten befindet sich die Registriernummer 156/A.V. 2  Gemeint ist die am 18. Oktober 1952 gebildete (bzw. aus der bisherigen Ständigen Kommission für auswärtige Angelegenheiten beim ZK der VKP [b] ausgegliederte) Ständige Kommission für auswärtige Angelegenheiten beim Präsidium des ZK der KPdSU unter Vorsitz von Malenkov, der Außenminister Vyšinskij selbst an­ gehörte. Vgl. Politbjuro CK VKP (b) i sovet ministrov SSSR 1945–1953, hrsg. von O.V. Chlevnjuk, Moskau 2002, S. 89–92. 3  Dieser Bericht konnte nicht ermittelt werden. 4  Der hier und im Folgenden kursiv gesetzte Name ist im Original nachträglich handschriftlich in dafür freigelassene Lücken eingetragen. 5  In den Unterlagen der SED gibt es zu den Absichten in Bezug auf Dertinger keine Angaben.

640 Dokumente

Unserer Meinung nach ist es anderenfalls durchaus möglich, dass Dertinger sich in den Westen absetzt. Der Entwurf eines Beschlusses des ZK der KPdSU liegt als Anlage bei. Abgestimmt mit dem Ministerium für Staatssicherheit der UdSSR (Gen. Ogol’cov).      A. Vyšinskij     V. Grigor’jan     G. Puškin6 [Anlage zum Schreiben Nr. 44] Sondermappe, Entwurf Streng geheim

[9. Januar 1953]7

Beschluss des ZK der KPdSU Der Vorschlag der Genossen Vyšinskij, Grigor’jan und Puškin, Gen. Čujkov anzuweisen, Gen. Ulbricht aufzusuchen und zu klären, welche Maßnahmen die Regierung der DDR und das ZK der SED in der Angelegenheit Dertinger für notwendig halten, ist anzunehmen. Gen. Čujkov ist anzuweisen, Gen. Ulbricht im Verlaufe der Unterredung mitzuteilen, dass die SKK es für angebracht hält, Dertinger von seinen Pflichten zu entbinden und in Haft zu nehmen.8 RGASPI, f. 17, op. 164, d. 629, Bl. 234–235. 6  Von

allen drei handschriftlich unterzeichnet. Fuß von Bl. 234 finden sich folgende Eintragungen, aus denen sich die Datierung ergibt: „Eilt. An Gen. V.N. Ponomarev“; daneben eine abgekürzte Anmerkung, die nicht sicher ermittelt werden konnte, aber wahrscheinlich „Zum Punkt der zusätzlichen Tagesordnung“ bedeutet (Russisch: „K punktu dopoln. pov.“); rechts darüber ist vermerkt: „Archiv des ZK. In der Kommissionssitzung am 9. Januar 1953 besprochen. Gen. Vyšinskij hat Anweisungen erhalten.“ Darunter eine unleserliche Unterschrift mit Datum vom 12. Januar 1953. 8  Am 10. Januar 1953 meldete Vyšinskij an Malenkov streng geheim, „dass heute, am 10. Januar, auf meine Aufforderung hin Gen. I.I. Il’ičev aus Berlin eingetroffen ist, den ich über die getroffene Entscheidung zu dem Schreiben Nr. 7733/o des Gen. Ogol’cov informiert habe. Am 13. Januar wird Gen. Il’ičev mit dem ersten Flugzeug nach Berlin zurückkehren, um in Verbindung mit der getroffenen Entscheidung Maßnahmen zu treffen.“ Diese Meldung trägt oben einen Stempel des ZK der KPdSU vom 12. Januar 1953 mit der Nr. 0175 und der Weisung: „Ist an das Kommissionssekretariat zurückzuleiten“. Am Fuß befinden sich die Registriernummer 59-VK sowie zwei handschriftliche Anmerkungen: „Zum Punkt der zusätzlichen Tagesordnung“ (vgl. Fn. 7), daneben „Archiv. Meldung erstattet“; neben einer unleserlichen Unterschrift (vgl. Fn. 7) steht das Datum „13. Januar 1953“. Vgl. RGASPI, f. 17, op. 164, d. 629, Bl. 236. Dertinger hatte keine Fluchtvorbereitungen getroffen und offensichtlich eine Flucht nicht in Erwägung gezogen. Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit verhafteten Dertinger am frühen Morgen des 15. Januar 1953 (vgl. Dok. 136). 7  Am



Dokument 136: 17. Januar 1953

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136. Schreiben des Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz John an das Auswärtige Amt 

Bonn, 17. Januar 19531

Betr.: Verhaftung Georg Dertingers 1) Verhaftung Die Verhaftung Dertingers erfolgte Donnerstag, den 15. Januar 53 in seinen Diensträumen durch den Staatssicherheitsdienst. Gleichzeitig mit ihm wurden verhaftet: Florin2, Peter, (SED), Leiter der Hauptabteilung Sowjetunion und Volksdemokratie, Keilson, Max, (SED), Leiter der Abteilung Sowjetunion und China. Acht weitere Angehörige des Außenministeriums wurden zunächst ihrer Stellung enthoben. Die Verhafteten wurden in das Zentralgefängnis des MfS eingewiesen. 2) Grund der Verhaftung „Feindliche Tätigkeit gegen die DDR, die er im Auftrage imperialistischer Spionagedienste durchführte“, angeblich auf Grund eines Geständnisses des am 29. November 52 verhafteten Dr. Plewe.3 1  Durchdruck. Adressiert an den Bundesminister des Innern z. Hd. v. Schmidt, an das Bundeskanzleramt z. Hd. v. Globke, an das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen z. Hd. v. Thedieck und an das Auswärtige Amt z. Hd. v. Hallstein. Das Dokument ging im Auswärtigen Amt im Büro des Staatssekretärs am 19. Januar ein und erhielt dort die Tagebuch-Nr. 214/53 g. Am gleichen Tag ging es in der III. Abteilung ein und wurde dort von Kossmann, Kordt und Blankenhorn abgezeichnet. 2  Im Original falsch: „Florian“. Eine mögliche (kurzzeitige) Verhaftung von Florin und Keilson wurde in der westdeutschen Presse kolportiert (vgl. Richter, OstCDU, S. 365), ist aber sonst nicht belegt und sehr unwahrscheinlich. Florin wurde im August 1953 zum Leiter der Abteilung für außenpolitische Fragen und internationale Verbindung beim ZK der SED ernannt, seine Stellvertreterin wurde Margarete Keilson, die Ehefrau Max Keilsons, vgl. Amos, Westpolitik, S. 183–184. 3  Gemeint ist Dr. Eberhard Plewe. Der Name ist in dem Dokument durchgängig maschinenschriftlich mit „v“ geschrieben, das handschriftlich an vielen Stellen – aber unvollständig – zu „w“ korrigiert wurde. Plewe, der Westkontakte Dertingers vermittelt hatte (so auch das Treffen mit Lemmer, vgl. Fn. 7), wurde am 29. November 1952 nach einem Treffen mit Dertinger verhaftet. In einer ersten Vernehmung am 30. November sprach er davon, Dertinger an diesem Tag von einem Gespräch mit zwei Amerikanern über eine mögliche Vier-Mächte-Konferenz berichtet zu haben, vgl.

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3) Stellungnahme des Bundesamtes für Verfassungsschutz Bereits Anfang 19514 hatte Dertinger bei einem V-Mann des BfV gewisse Möglichkeiten und Fragen sondiert, die sich für ihn bei einem etwa zu erwartenden Absetzen aus der Sowjetzone ergeben könnten. Es bestand damals beim BfV der Eindruck, daß er damals nicht ernsthaft ein Absetzen in den Westen erwog, sondern sich mehr für den Notfall eine Tür nach dem Westen offenhalten wollte.5 Er ist später nicht wieder darauf zurückgekommen, sondern hat seine Linientreue gegenüber Sowjetrußland und der sowjetzonalen Regierung durch Äußerungen und Handlungen nach außen betont hervorgehoben. Die Beziehungen brachen später völlig ab. Anfang Oktober 1951 fand in der Wohnung von Dr. Plewe in West-Berlin eine Unterredung zwischen Ernst Lemmer (CDU, Chefredakteur der Zeitung Kurier) und dem Außenminister der SBZ, Dertinger, statt.6 (Dr. Plewe hatte Verbindungen zwischen dem Hermes-Nadolny-Kreis zur Ost-CDU [hergestellt]). Diese Unterredung war durch Plewe arrangiert worden und wurde von beiden Seiten geheim gehalten. Der Inhalt dieser Besprechung ist nicht BStU, MfS, AU 449/54, Bd. 2, Bl. 24–32. In den folgenden Vernehmungen vor Dertingers Verhaftung sagte er aus, bis 1951 Informationen über die Ost-CDU an amerikanische Offiziere sowie den britischen Geheimdienst geliefert zu haben. Der Name Dertingers fiel dabei nicht, vgl. ebenda, Bl. 33–43. Erst bei Vernehmungen im Sommer 1953 behauptete er Dertingers Einverständnis mit seiner „Spionagetätigkeit“, vgl. ebenda, Bl. 44–81. Plewe wurde im Zusammenhang mit dem „Untersuchungsvorgang Dertinger … und andere“ zu 13 Jahren Zuchthaus verurteilt. Aus den Vernehmungsprotokollen geht jedoch nicht hervor, dass seine ersten Aussagen maßgeblich für die kurz darauf erfolgte Verhaftung Dertingers waren. Bereits ein Vernehmungsprotokoll des am 6.  September 1950 wegen „Spionageverdachts“ verhafteten ehemaligen Staatssekretärs im Justizministerium Helmut Brandt (CDU) vom 16. Juli 1951 enthielt die (unglaubwürdige) Aussage, Dertinger habe Brandt 1948 zur „Zersetzungsarbeit gegen die sowjetische Besatzungszone“ herangezogen, vgl. BStU, MfS, AU 449/54, Bd. 3, Bl. 247–262. Zur früheren Überwachung Dertingers vgl. Dok. 32, Fn. 8 und 10. Zu Helmut Brandt vgl. UdF 4, S. 587–588, Anm. 162. 4  Die hier und im Folgenden kursiv hervorgehobenen Wörter sind im Original handschriftlich unterstrichen und am linken Rand angestrichen. 5  Die MfS-Akte Maria Dertingers enthält einen Bericht vom 31. März 1953 über frühere Kontakte Georg Dertingers zum BfV, der die in Vernehmungen betr. Dertinger standardmäßige Konstruktion des Spionagevorwurfs behauptet. So hieß es darin: „Durch die Agentin Blesch hatte Dertinger eine verbrecherische Verbindung zum Amt für Verfassungsschutz in Köln. Die Auftragserteilung erfolgte über die Blesch von dem Leiter des Amtes Jons [sic] … Für die Spionageberichte, die die Blesch an das AVS lieferte, hat Dertinger ihr Spionageinformationen gegeben.“ Vgl. BStU, MfS, AU 4/55, Bd. 3, Bl. 35. In der Schriftgutverwaltung des BfV finden sich keine weiteren Belege für einen solchen Kontakt. Diejenigen Akten aus der Gründungsphase des BfV, die bereits in das Bundesarchiv Koblenz überführt worden sind, wurden hier nicht ausgewertet. 6  Vgl. Dok. 84 und 85.



Dokument 136: 17. Januar 1953

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bekannt geworden. Durch irgendeine Indiskretion wurde die zwischen Dertinger und Lemmer arrangierte Unterredung durch Veröffentlichung in Westberliner Zeitungen bekannt und Lemmer in aller Öffentlichkeit wegen dieser Unterredung angegriffen. Lemmer verteidigte sich in der Form, daß er erklärte, die Besprechung habe lediglich der Klärung von Fragen über die Möglichkeit einer Wiedervereinigung Deutschlands gedient.7 In der OstPresse wurde von der Unterredung nichts bekannt gegeben. Dertinger verteidigte sich nicht. Von diesem Zeitpunkt an wurde Dertinger durch das Ministerium für Staatssicherheit überwacht.8 Im Zuge dieser Überwachung wurden im Au7  Lemmer verteidigte sich laut Tagesspiegel nicht mit den hier wiedergegebenen Worten. Der Tagesspiegel hatte das Treffen Lemmers mit Dertinger am 17. Oktober 1952 gemeldet (vgl. Dok. 84, Fn. 15) und dabei die Frage gestellt: „Hat Lemmer nicht gemerkt oder nicht merken wollen, daß er zum Mittelsmann einer sowjetischen Intrige gemacht werden soll?“ (S. 2). Da Dertinger zudem für den Fall einer Ablehnung seiner Vorschläge Drohungen gegen West-Berlin geäußert haben solle, sei es notwendig, dass Lemmer sich zu dieser Meldung äußere. Am 18. Oktober zitierte der Tagesspiegel Lemmer mit den Worten, er habe von Dertingers Anwesenheit auf der Gesellschaft nichts gewusst und auf dessen „Monolog“ nicht geantwortet, und erneuerte die Kritik an Lemmers Verhalten (S. 1). Am 20. Oktober meldete der ­Tagesspiegel auf S. 2, Lemmer habe einem Redaktionsmitglied gegenüber erklärt: „… Als ich Dertinger traf, war ich überrascht, doch wäre es mir politisch albern erschienen, vor ihm davonzulaufen … Dertinger hat sich bemüht, mich von der Ernsthaftigkeit des Grotewohl-Vorschlages zu überzeugen und mich auf den Ernst der Konsequenzen hinzuweisen, die eine Ablehnung des Angebotes zur Folge haben müsste. Es wurden keinerlei Verabredungen zwischen uns getroffen … Hervorheben möchte ich, dass ich der Bundesregierung von dieser Begegnung Kenntnis gab, bevor darüber etwas in der Presse erschien.“ Maria Dertinger stellte in ihren Erinnerungen das Gespräch als „freundschaftlich und sachlich“ dar, Lemmer wie Dertinger hätten Möglichkeiten zur Wiedervereinigung ausloten wollen (vgl. ACDP, 01-526-006/1, Bl. 110a–111). 8  Zu Puškins Misstrauen gegenüber Dertingers Darstellung dieses Gesprächs vgl. seine abschließenden Bemerkungen in Dok. 84. Offensichtlich wurde dieses Misstrauen von Gribanov geteilt, vgl. A.M. Filitov, Germanija v sovetskom vnešnepolitičeskom planirovanii 1941–1990, Moskau 2009, S. 157–158. Das Treffen mit Lemmer spielte in den Vernehmungen Dertingers (und auch Plewes) durch das MfS jedoch nur am Rande eine Rolle. Die meisten Fragen bezogen sich auf weiter zurückliegende vermeintliche oder tatsächliche Westkontakte Dertingers. Nach den Erinnerungen Maria Dertingers hatte das Treffen im Einvernehmen mit Semenov stattgefunden, vgl. ACDP 01-526-006/1, Bl. 110a–111. Ebenso äußerte sich Lemmer gegenüber einem amerikanischen Verbindungsoffizier, vgl. FRUS 1951 III, S. 1804– 1805. Auch in einem Bericht des UP-Korrespondenten Hermann Zolling vom 16. Oktober (der Hallstein vorgelegt wurde) hieß es unter Berufung auf eine nicht genannte Quelle im MfAA, Dertinger habe „mit der ausdrücklichen Zustimmung“ von Semenov Lemmer „die sowjetischen und ostdeutschen Auffassungen über die vorgeschlagene ‚Gesamtdeutsche Beratung‘ “ erläutert, vgl. PA AA, B 2-VS, Bd. 107A. Zu der bereits früher einsetzenden Überwachung Dertingers vgl. Dok. 32, Fn. 10.

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ßenministerium eine Anzahl von Personen durch die Staatssicherheit mit der Überwachung Dertingers beauftragt. U. a. wurden diese Vorgänge dadurch bekannt, daß die ehm. Mitarbeiter Dertingers im Außenministerium, Gerold Rummler und Hanna Hermann im April 1952 nach West-Berlin flohen.9 Sie teilten hier mit, daß sie durch den Staatssicherheitsdienst verpflichtet worden sind, Dertinger zu bespitzeln. Erschwerend für Dertinger wirkte sich im Laufe des Jahres 1952 der Umstand aus, daß Dertinger eine gute Verbindung zum tschechischen Botschafter in Berlin, Fischl, besaß. Fischl war in den Slansky-Prozeß verwickelt und wurde bei Beginn dieses Prozesses verhaftet und zum Tode verurteilt.10 9  Der ehemalige Pressereferent Dertingers, Rummler, verfasste nach seiner Flucht Berichte über Interna des DDR-Außenministeriums, über Hintergründe der „Stalin-Note“ und unterschiedliche Einschätzungen und Reaktionen auf diese Note sowie auf die westlichen Antwortnoten vom 25. März in der DDR-Regierung, im Außenministerium und von Seiten Dertingers und Puškins (vgl. Dok. 106). Laut Vernehmungsprotokoll Dertingers vom 11. März 1953 soll Rummler zuvor auch für die Vermittlung von Auslandskontakten zuständig gewesen sein, vgl. BStU, MfS AU, 449/54, Bd. 1, Bl. 166–171 (hier allerdings wiederum in Verbindung mit der Konstruktion einer „Spionagetätigkeit“ Dertingers). Dertinger selbst soll demnach ausgesagt haben, Rummler habe ihn vorab über Nachfragen des MfS informiert und gewarnt, ihm eine gemeinsame Flucht vorgeschlagen und ihn auch nach seiner Flucht dazu überreden wollen, vgl. ebenda, Bl. 170–171. Nach Überlieferung von Semenov berichtete Dertinger diesem darüber bereits am 17. April 1952, vgl. Dok. 105. Laut einem Vermerk vom 21. August 1952 traf sich Maria Dertinger nach der Flucht Rummlers nach West-Berlin mit diesem in einem Café in Zehlendorf, „wo Rummler der Dertinger die Richtlinien des Dertinger für eine Flucht nach Westberlin im Auftrage von Jöhren gab“, vgl. BStU, MfS AP, Bd. 63880_92, 1 von 2, Bl. 143–144. Vgl. auch die Liste von „Personen im Ministerium, die entweder dienstlich oder privat enger mit D. oder mit den geflüchteten Rummler und Hermann verbunden waren“ vom 17. Januar 1953 (BStU, MfS AP, Bd. 63880_92, 1 von 2, Bl. 190–193). 10  In den Vernehmungen Dertingers wurde zu seiner Verbindung mit Otto Fischl ein Verschwörungszusammenhang konstruiert. So gab Dertinger am 16.  April 1953 (nach Aussagen über ein „Verschwörerzentrum“ in der Ost-CDU) an, Fischl habe versucht, ihn in Gespräche über die Koordination einer bürgerlichen Opposition zu ziehen. Dertinger habe sich bei Otto Lenz über Fischl erkundigen wollen, dieser sei aber vorzeitig abberufen worden. Laut einer weiteren Aussage Dertingers habe er im Dezember 1952 beim DDR-Botschafter Große versucht herauszufinden, ob beim Slánský-Prozess seine eigene Verschwörertätigkeit bekannt geworden sei, vgl. BStU, MfS AU, 449/54, Bd. 1, Bl. 248–299. Am 2. Juni widerrief Dertinger sämtliche Aussagen bezüglich seiner eigenen Spionage- und Verschwörertätigkeit, vgl. Lapp, Dertinger, S. 199–200. Laut Aussage von Bubner (vgl. Dok. 32, Fn. 8) soll Dertinger Verbindungen zwischen Fischl und Andreas Hermes vermittelt haben, vgl. BStU, MfS AU, 449/54, Bd. 7, Bl. 90–91. Maria Dertinger erwähnte Fischl laut Vernehmungsprotokoll auf die Frage nach Personen, die Dertinger bei seinem „Ziel, die DDR zu liquidieren“, unterstützt hätten, vgl. BStU, MfS AU, 4/55, Bd. 1, Bl. 385–391. In ihren Erinnerungen beschrieb sie Dertingers Zusammenarbeit mit Fischl als schwierig, vgl. ACDP 01-526-006/1, Bl. 112a–113. In der Anklageschrift gegen Dertinger wurde seine Verbindung zu Fischl nicht erwähnt.



Dokument 136: 17. Januar 1953

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Von diesem Zeitpunkt an wurde Dertinger noch schärfer bewacht. Während der gesamten Zeit unterhielt Dr. Plewe noch ständig Verbindung mit Dertinger. Für den 29. November 52 war Plewe abermals in den Ost-Sektor von Berlin bestellt worden. Die Bestellung Plewes soll durch den Hauptgeschäftsführer der Ost-CDU, Jentzsch11, vorgenommen worden sein. Angeblich wurde Plewe durch Jentzsch zum Thälmann-Platz bestellt, wo ihn der Kraftfahrer Dertingers mit dem Dienstwagen erwarten sollte. Von diesem Gang ist Dr. Plewe nicht mehr zurückgekehrt. Alle diese Umstände dürften letztenendes zu der Verhaftung Dertingers am 15. Januar 53 geführt haben. Es ist zu erwarten, daß Dertinger aus den oben genannten Gründen in einen ausgesprochenen Spionageprozeß verwickelt werden wird. Der Grund dürfte vor allem in den Säuberungsabsichten der SBZ-Regierung (Ausschaltung aller bürgerlichen Elemente aus der Staatsverwaltung) zu suchen sein.12 Otto John13 PA AA, B 130, Bd. 6868A.

11  Im Original fälschlich „Jentsch“. Fritz Jentzsch wurde im Zusammenhang mit der Verhaftung Dertingers am 23. Januar 1953 ebenfalls verhaftet und später zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt. Eberhard Plewe (vgl. Fn. 3) war in seiner ersten Vernehmung am 30. November 1952 zum Hergang seiner eigenen Verhaftung befragt worden. Seine Darstellung bestätigt im Wesentlichen den Bericht Johns über die Verhaftung Plewes: Jentzsch habe Plewe informiert, Dertinger werde ihn um 15:00 am Ernst-Thälmann-Platz mit seinem Dienstwagen abholen. Nach seiner Rückkehr von Dertinger wurde Plewe am selben Platz verhaftet, vgl. BStU, MfS AU, 449/54, Bd. 2, Bl. 24–32. 12  In den Unterlagen der SED gibt es zu den Absichten in Bezug auf Dertinger keine Angaben. 13  Handschriftlich.

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137. Schreiben des Ministerpräsidenten Grotewohl an den Vorsitzenden der SKK Čujkov Geheim Übersetzung aus dem Deutschen

Berlin-Ost, 2. Februar 19531

An den Vorsitzenden der Sowjetischen Kontrollkommission in Deutschland Armeegeneral Gen. V.I. Čujkov Berlin-Karlshorst Werter Genosse Armeegeneral! Die Reparationsverpflichtungen der Deutschen Demokratischen Republik für das Jahr 1952 im Werte von 122 500 000 US-Dollar wurden am 31. Dezem­ ber 1952 mit einem Betrag von 122 679 000 US-Dollar, d. h. zu 100,1 Prozent, erfüllt. Außerdem sind bei einigen Posten vorfristige Reparationslieferungen für das Jahr 1953 im Werte von 3 237 000 US-Dollar durchgeführt worden. Als Zusatzleistungen zum Reparationsplan für 1952 wurden folgende Lieferungen erbracht: im Werte von US-Dollar Kühlwaggons 541 000 Zementwerksausrüstungen 1 438 000 Nickeldrahtsiebgewebe 163 000 2 Logger 173 000 Gutschriften für den Zustand im Frachtschiffbau 702 000 Verschiedene Ausrüstungen zu Plangruppe 9 220 000 Allerdings wurden für das Jahr 1952 einige Programmpunkte aus dem Plan der Reparationslieferungen nicht vollständig erfüllt. Der Wert der er­ füllten Leistungen beläuft sich auf 122 147 000 US-Dollar, das entspricht 99,7 Prozent. 1  Kopie. Das deutsche Original dieses Schreibens übergab ein Kurier am 2. Fe­ bruar 1953 um 17.00 Uhr in Karlshorst. Es wurde noch am selben Tage durch Charlamov übersetzt und an Čujkov übermittelt. Das Dokument wurde in sieben Exemplaren ausgefertigt und erhielt am 2. Februar 1953 die Registraturnummer Vch. N-02. Kopien dieses Dokuments gingen an Ivanov, Maširin, Perelivčenko, das MID, Mel’nikov und in die Akten. Da sich die ursprüngliche Fassung in deutschen Archiven nicht findet, wurde deren Übersetzung ins Russische zurück ins Deutsche übersetzt. Der Rückübersetzung liegt das zweite Exemplar zugrunde. Auf der ersten Seite vermerkte Semičastnov am 4.  Februar 1953 für dessen Empfänger N.V. Ivanov: „Es scheint, dass darüber Moskau informiert werden muss“. Ivanov notierte dazu am 12. Februar für Semičastnov: „Habe mit Maširin gesprochen und auch Moskau informiert“, und: „Zu den Akten. Erledigt“.



Dokument 137: 2. Februar 1953

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Bei Betrachtung einzelner Plangruppen ist festzustellen, dass in erster Linie die Betriebe des Schwermaschinenbaus ihren Verpflichtungen nicht in vollem Umfange nachgekommen sind. Plangruppe

Erfüllt

Nicht erfüllt

US-Dollar

in %

1. Eisenbahnausrüstungen

27 066 000

100,0

2. Walzwerksausrüstungen

9 592 000

98,5

151 000

21 162 000

99,3

144 000

3 696 000

100,8

10 992 000

102,5

3 741 000

100,2

46 000

7. Neue Schiffe

14 314 000

100,8

12 000

8. Schiffsreparaturen

14 756 000

100,3

9. Lieferungen an die Republik Polen

15 850 000

100,0

1 510 000

100,0

122 679 000

100,1

3. Hub- und Transportausrüstungen 4. Pressen und Scheren 5. Ausrüstungen für Zementwerke 6.  Verschiedene Fabrikeinrichtungen und Produktionsanlagen

10. Übertragungen aus 1951 Gesamt

US-$ (gemäß Güterliste)

353 000

Außerdem wurde in Plangruppe 3 (Hub- und Transportausrüstungen) die Planerfüllung um 143 000 US-Dollar verfehlt, da infolge der Stornierung eines Auftrages über zwei 50-Tonnen-Schwimmpontons, für deren Herstellung in gewünschter Ausführung in der Deutschen Demokratischen Republik keine Produktionskapazitäten vorhanden waren, die Summe der ergangenen Aufträge im Vergleich zu dem für diese Gruppe entworfenen Plan um den oben angeführten Betrag geringer ausfiel. Dieser Betrag wurde durch andere Lieferungen aus dem Gesamtplan der Reparationsleistungen ausgeglichen. Infolgedessen ist für die Gruppe 3 der Plan hinsichtlich der ergangenen Aufträge zu 99,3 Prozent und hinsichtlich der vorgesehenen Summe zu 98,7 Prozent erfüllt worden. Unerledigte Posten: 1. 1  200 Tonnen Walzwerksausrüstungen aus dem Ernst-ThälmannWerk Magdeburg und aus volkseigenen Industriebetrieben, die als Unterlieferanten für das Ernst-Thälmann-Werk fungieren. Die Ausrüstungen waren Neukonstruktionen, deren Herstellung eine Reihe von mechanischen Bearbeitungsgängen auf schwer zu beschaffenden Werkzeugmaschinen erforderte.

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2. Zwei Eisenbahndrehkrane à 100 Tonnen Tragkraft aus dem S.-M.-­ Kirow-Werk Leipzig. Die Krane sind für das Werk Neukonstruktionen. Beide Krane wurden am 29. Dezember 1952 fertiggestellt. Bei den Belastungstests zeigte sich, dass die vom VEB Getriebefabrik Leipzig gelieferten Getriebe untauglich sind, da sie nicht die erforderliche Leistung aufbringen. Es wurden neue Getriebe entwickelt. Der erste Satz dieser Maschinen ist schon an das S.-M.-Kirow-Werk geliefert worden, der zweite Satz wird bis zum 25. Januar 1953 angeliefert. Der Anfang Januar durch Fahrlässigkeit entstandene Schaden an einem der Krane ist behoben worden. Darüber hinaus ist festzustellen, dass die von den Bleichert-Werken Leipzig zu liefernden Kabelkranstützen im Werte von 38 000 US-Dollar erst nach dem 31. Dezember 1952 die Grenze überquert haben. 3.  Die aus 36 Waggons bestehende mobile Funkanlage aus dem VEB Sachsenwerk Radeberg ist ebenfalls eine Neukonstruktion. Die gesamte Anlage ist bis zum 20. Dezember 1952 angefertigt worden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt erfolgt die Abnahme der Anlage durch eine Sonderkommission des Auftraggebers aus der UdSSR. 4. Ein Frachtschiff von 3 000 Tonnen Tragfähigkeit aus der NeptunWerft in Rostock. Es handelt sich hier um das erste Schiff dieses Typs, welches auf einer Werft der Deutschen Demokratischen Republik gebaut worden ist. Daher mussten gründliche Tests für alle Teile des Schiffs und der maschinellen Ausrüstungen durchgeführt werden. Mit diesem Schiff wurde eine Probefahrt unternommen. Die hierbei festgestellten Mängel wurden auf der Werft beseitigt. Die Untererfüllung des Reparationsplanes bei einigen Posten ist damit zu erklären, dass es sich bei fast allen diesen Posten um Fertigungsarbeiten handelt, für deren Erledigung die entsprechenden Fähigkeiten erst erworben werden mussten, außerdem sind Neukonstruktionen betroffen, für deren Herstellung in den Betrieben das erforderliche Erfahrungspotential gefehlt hat.2 Dessen ungeachtet hätten die Betriebe gleichwohl diese Schwierigkeiten rechtzeitig überwinden können, wenn sie im ersten Halbjahr 1952 in vollem Umfange mit Walzgut, Gussstahl und Schmiedestücken versorgt worden wären.3 Wegen dieser und anderer Missstände in den Lenkungsbehörden bei der 2  Das Schreiben Grotewohls entspricht inhaltlich bis hierher weitgehend einer Passage im Jahresbericht über die Erfüllung des Reparationsplanes 1952, wobei einzelne Textteile dort in anderer Reihenfolge angeordnet sind, vgl. BAB, DC 2/804, Bl. 34–37. 3  In internen Schreiben und Berichten zu dieser Frage kamen die hier erwähnten „entschuldigenden“ Beispiele nicht vor. In einer Disposition („Bericht über die Erfüllung des Reparationsplanes bis 1.11.1952“) vom 9. November 1952 befand der Leiter des Amtes für Reparationen König vielmehr, die Ursachen für die schlechte Plan-



Dokument 137: 2. Februar 1953

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Erfüllung des Reparations-Lieferplanes war der Plan im IV. Quartal in eine solch ernsthafte Gefahr des Scheiterns geraten, dass ich genötigt war, mich persönlich mit aller Entschiedenheit für die Erfüllung des Reparations-Lieferplanes einzusetzen. Des Weiteren habe ich am 12. November 1952 im Rahmen einer Konferenz von Vertretern aus Betrieben, denen bei der Erfüllung des Reparationsplanes eine Hauptrolle zukommt, mit aller Deutlichkeit Kritik geäußert und sah mich gezwungen, strenge Anordnungen zu treffen, um die Planerfüllung zu sichern.4 Nach Bewertung der Rückstände bei den verschiedenen Gütern aus der Liste komme ich zu dem Schluss, dass es für die Lieferung dieser Posten größtenteils solche Schwierigkeiten gegeben hat, die es trotz aller Anstrengungen unmöglich gemacht haben, den Lieferplan bis zum 31. Dezember 1952 zu erfüllen.5 Daher erlaube ich mir, Ihnen den Vorschlag zu unterbreiten, diese Posten, die im Laufe des Januars und zu einem kleinen Teil im Februar geliefert

erfüllung

seien „nicht objektiver Natur“, und er komme abschließend „zu dem Ergebnis, dass keine unüberwindlichen Schwierigkeiten vorhanden waren, die diesen schlechten Erfüllungsstand des Reparationsplanes rechtfertigen. In allen Fällen bestanden die Voraussetzungen zur Durchführung der Beschlüsse unserer Regierung und es bestehen auch jetzt noch die Möglichkeiten bei der Industrie der DDR den Reparationsplan zu erfüllen. Voraussetzung dazu ist jedoch, dass alle Kräfte verantwortungsbewußt an die Lösung der Aufgabenstellung herangehen.“ Vgl. BABSAPMO, NY 4090/339, Bl. 221–240, hier Bl. 232 und 238. König machte in den beiliegenden Beschlussvorschlägen vom 9. November (im Vorfeld der von Grotewohl im Folgenden erwähnten Konferenz, vgl. Fn. 3) vor allem den Minister für Maschinenbau Ziller und die Leiter der Hauptverwaltungen seines Ministeriums, den Leiter der Staatlichen Verwaltung für Materialversorgung Binz, die Werkleiter der betroffenen Betriebe, die Vorsitzenden der jeweiligen Bezirke sowie die Generaldirektion der Reichsbahn verantwortlich, vgl. ebenda, Bl. 254–260. 4  Zu Teilnehmerliste der Konferenz vom 12. November 1952 vgl. BAB-SAPMO, NY 4090/339, Bl. 264–267. Anwesend waren vor allem Vertreter der zuständigen Ministerien und der Bezirksleitungen sowie der SKK, dazu einzelne Betriebsleiter. 5  Im Jahresbericht über die Erfüllung des Reparationsplanes 1952 hieß es dazu abweichend: „Der Verlauf der Planerfüllung lässt erkennen, dass die schlechte Einhaltung der Liefertermine und die Zusammenballung der Fertigung im IV. Quartal nicht auf objektive unüberwindliche Schwierigkeiten zurückgeführt werden kann. Die in den vergangenen Jahren als wesentlichste Ursache für den Lieferrückstand geltenden Materialengpässe beeinflußten im Jahre 1952 nur einen Teil des Planes und im be­ sonderen hierbei die Vorlauffertigung des Schiffsneubaus insbesondere im I. und II. Quartal, waren aber nicht entscheidend für den Sektor Walzwerkausrüstungen, Hebe- und Transportausrüstungen sowie Schiffsreparaturen … Alle Untersuchungen zeigen eindeutig, dass eine Reihe verantwortlicher Funktionäre in den Verwaltungen und Betrieben in Fragen der Vorbereitung, der Versorgung und der Fertigung nachlässig gehandelt hat.“ Vgl. BAB, DC 2/804, Bl. 37–38.

650 Dokumente

werden, in die Liste der Güter des erfüllten Reparations-Lieferplanes 19526 einzugruppieren.7 Ich bitte Sie, diesen Vorschlag zu prüfen und mich über Ihre Entscheidung in Kenntnis zu setzen.8

Mit vorzüglicher Hochachtung O. Grotewohl

AVP RF, f. 0457a, op. 15, p. 77, d. 6, Bl. 183–186.

138. Schreiben des Ministerpräsidenten Grotewohl und des stellvertretenden Ministerpräsidenten Ulbricht an das ZK der KPdSU 

Berlin, den 27. Februar 19531

An das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Sowjetunion Moskau Werte Genossen! Beim Abschluss eines Handelsabkommens zwischen dem Ministerium für Außenhandel der Deutschen Demokratischen Republik und dem Ministerium für Außenhandel der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken haben sich Verzögerungen ergeben. Der Wunsch der sowjetischen Regierung, wichtige Positionen aus dem Außenhandelsabkommen auf Konto T und Konto 72 zu verlagern, bereitet zusätzliche Schwierigkeiten. Um weitere Verzögerungen beim Abschluss des Handelsabkommens zu vermeiden sowie einen reibungslosen Ablauf des gegenseitigen Warenverkehrs zu gewährleisten, haben wir den Minister für Außenhandel, Gen. Gregor, angewiesen, dieses Handelsabkommen zu unterzeichnen, ungeachtet des 6  Die

Jahreszahl ist von Hand unterstrichen. beiden hier kursiv hervorgehobenen letzten Absätze wurden von Hand am rechten Rand angestrichen. 8  Eine Antwort der SKK an Grotewohl konnte im AVP RF nicht ermittelt werden. 1  Kopie. Das Original ging an das ZK [Präsidium] der KPdSU. Eine Kopie ging an  Čujkov, durch ihn gingen weitere an Semičastnov, Semenov, Maširin, Kobulov, ­Petrov und Ilʼičev. Das Dokument erhielt keine Registraturnummer. Da sich die ursprüngliche Fassung in deutschen Archiven nicht findet, wurde deren Übersetzung ins Russische zurück ins Deutsche übersetzt. 2  Gemeint sind sowjetische Konten. „Konto 7“ betraf die SAG-Betriebe, „Konto T“ die Reparationen. 7  Die



Dokument 138: 27. Februar 1953

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Umstandes, dass seitens der DDR bei diesem Abkommen eine Ausgewogenheit nicht sichergestellt werden kann. Wir bitten Sie zu akzeptieren, dass dieses Thema auch nach der Unterzeichnung des Handelsabkommens im Rahmen einer Sitzung von Vertretern des ZK der SED und des ZK der KPdSU zur Sprache gebracht werden könnte.3 In der Anlage übersenden wir Ihnen Daten zu den Veränderungen im Handel zwischen der DDR und der UdSSR sowie eine Niederschrift der Wünsche, die während der Verhandlungen über das Außenhandelsabkommen von Vertretern der DDR-Regierung dem Ministerium für Außenhandel der UdSSR übermittelt worden sind.

Mit sozialistischem Gruß Otto Grotewohl Walter Ulbricht

[Anlage] Eckpunkte zu einem Schreiben an das Präsidium des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion Nach Maßgabe des durch die Deutsche Demokratische Republik und die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken in Kraft gesetzten Volkswirtschaftsplanes der DDR4 für das Jahr 1953 sind für den Außenhandel im Jahre 1953 folgende Mengen geplant: a) Einfuhren aus der UdSSR in die DDR im Werte von ca. 1 400 Millionen Rubel; b) Ausfuhren aus der DDR in die UdSSR im Werte von ca. 1 770 Millionen Rubel. Die Differenz zwischen dem Wert der geplanten Einfuhren aus der UdSSR und den geplanten Ausfuhren in die UdSSR ergibt sich aus der Verpflichtung der DDR, im Jahre 1953 verschiedene Sonderlieferungen, Lieferungen auf Kredit und Leistungen der UdSSR aus den Jahren 1952 und 1953 zu begleichen. Der Gesamtwert der aus der UdSSR stammenden Importlieferungen in die DDR entspricht im Jahre 1953 in etwa dem Wert der Importlieferungen des Jahres 1952. Obwohl der Gesamt-Importplan der DDR für das Jahr 1953 im Vergleich zu den tatsächlichen Importlieferungen des Jahres 1952 eine Steigerung auf 117 Prozent vorsieht, wurde beschlossen, diese Steigerung nicht auch auf die Importlieferungen aus der UdSSR auszuweiten. 3  Es

konnte kein Beleg für eine solche Sitzung ermittelt werden. dazu Dok. 14, in dem eine solche direkte Beteiligung der UdSSR noch abgelehnt wurde. 4  Vgl.

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Zusätzlich zu den für das Jahr 1953 geplanten Ausfuhren der DDR in die UdSSR in Höhe von ca. 1770 Millionen Rubel muss die DDR noch Exportrückstände aus dem Jahre 1952 in Höhe von ca. 383 Millionen Rubel begleichen. Damit müsste die DDR im Jahre 1953 gegenüber der UdSSR Exportverpflichtungen im Gesamtwert von ca. 2153 Millionen Rubel erfüllen. Da sich im Jahre 1952 die tatsächlichen Exportlieferungen der DDR in die UdSSR auf ca. 1220 Millionen Rubel beliefen, müsste im Jahre 1953 der Export der DDR in die UdSSR auf ca. 180 Prozent des tatsächlichen Exportes aus dem Jahre 1952 gesteigert werden. Eine solche Steigerung der Ausfuhren aus der DDR in die UdSSR im Jahre 1953 gegenüber dem tatsächlichen Export des Jahres 1952 sprengt den Rahmen der wirtschaftlichen Möglichkeiten der DDR im Jahre 1953. In den Verhandlungen über den Abschluss eines Handelsabkommens mit der UdSSR für das Jahr 1953 sind anstelle der vorgesehenen Ausfuhren der DDR im Werte von ca. 1770 Millionen Rubel bis zum gegenwärtigen ­Zeitpunkt vorläufig Exportlieferungen der DDR im Werte von lediglich ca. 1385 Millionen Rubel vereinbart worden. Da hier noch zusätzlich die Lieferungsrückstände aus dem Jahre 1952 zu berücksichtigen sind, welche im Jahre 1953 ausgeglichen werden müssen, würden die Exportverpflichtungen der DDR gegenüber der UdSSR ca. 1718 Millionen Rubel betragen. Diese Exportlieferungen aus der DDR in die UdSSR würden im Vergleich zu den 1952 getätigten tatsächlichen Ausfuhren im Jahre 1953 eine Steigerung auf ca. 141 Prozent ausmachen. Angesichts der Tatsache, dass es sich bei den Lieferungen der DDR um besondere Güter handelt, von denen ein großer Anteil auf Ausrüstungen der Schwerindustrie entfällt, würde eine solche innerhalb eines Jahres zu vollziehende Exportsteigerung ungewöhnlich starke Anstrengungen erforderlich machen. Obwohl bei den Ausfuhren der DDR in die UdSSR ein Anstieg zu verzeichnen war, steht im Jahre 1953 für den Ausgleich der Einfuhren aus der UdSSR in die DDR eine Fehlmenge an Exportgütern im Werte von 435 Millionen Rubel bevor. Ein weiterer Grund für die Schwierigkeiten bei der Ausgleichung des Handelsabkommens liegt darin, dass die DDR erst Mitte Januar davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass die UdSSR im Jahre 1953 Güter geliefert bekommen möchte, die im Exportplan der DDR für andere Lieferverpflichtungen der DDR vorgesehen waren. Die DDR wäre in der Lage, der UdSSR zur Verringerung der Unterbilanz im Jahre 1953 Exportgüter von sekundärer volkswirtschaftlicher Bedeutung im Werte von ca. 100 Millionen Rubel zu liefern. Die UdSSR hat hierzu bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch kein Einverständnis gegeben.



Dokument 138: 27. Februar 1953

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In den Verhandlungen über den Abschluss eines Handelsabkommens konnte keine Einigung in der Frage der Lieferung einiger Importgüter erzielt werden, welche die DDR dringend benötigt. Die DDR bittet, die in der beiliegenden Auflistung erwähnten Güter in das Handelsabkommen aufzunehmen. Um den Abschluss des Handelsabkommens nicht noch weiter zu verzögern und den erforderlichen reibungslosen Ablauf des gegenseitigen Warenverkehrs zu gewährleisten, bitten wir die UdSSR um ihr Einverständnis zur Unterzeichnung des seitens der DDR noch nicht ausgewogenen Abkommens. Die bestehende Unterbilanz wird nach Unterzeichnung des Abkommens beigelegt. Auflistung der Güter, welche die DDR 1953 unbedingt aus der Sowjetunion beziehen möchte A. Güter, welche die DDR zusätzlich zu den vorher bewilligten Mengen beziehen möchte: 1 a) Walzerzeugnisse Seitens der DDR erbeten 223 340 t Seitens der UdSSR in Aussicht gestellt 170 540 t Differenz   52 800 t 1 b) Nahtlosrohre Seitens der DDR erbeten 24 300 t Seitens der UdSSR in Aussicht gestellt 18 800 t Differenz   5 500 t 2) Pflanzenöl Seitens der DDR erbeten Seitens der UdSSR in Aussicht gestellt Differenz  

35 000 t 18 500 t 16 500 t

3) Quecksilber Seitens der DDR erbeten Seitens der UdSSR in Aussicht gestellt Differenz  

225 t 170 t 55 t

Im langfristigen Vertrag5 waren für 1953 Lieferungen über 225 Tonnen vereinbart worden. 4) Wolle Seitens der DDR erbeten 6 500 t Seitens der UdSSR in Aussicht gestellt 5 200 t Differenz   1 300 t 5  Vgl. PA AA, MfAA V SOW 018-32- Auszüge wurden am 16. Oktober 1951 in der Täglichen Rundschau veröffentlicht.

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5) Kautschuk Seitens der DDR erbeten 3 700 t Seitens der UdSSR in Aussicht gestellt 2 000 t Differenz   1 700 t 6) Ferrolegierungen 6 a) Ferrowolfram Seitens der DDR erbeten 150 t Seitens der UdSSR in Aussicht gestellt 87 t Differenz         63 t 6 b) Ferrovanadium Seitens der DDR erbeten Seitens der UdSSR in Aussicht gestellt Differenz  

150 t 100 t 50 t

6 c) Ferromolybdän Seitens der DDR erbeten Seitens der UdSSR in Aussicht gestellt Differenz  

130 t 45 t 85 t

7) Schmiedestücke Seitens der DDR erbeten, 968 St. 2 610 t Seitens der UdSSR in Aussicht gestellt 1 100 t Differenz   1 510 t 8) Mähdrescher „S-4“6 Seitens der DDR erbeten Seitens der UdSSR in Aussicht gestellt Differenz  

400 St. 275 St. 125 St.

9) Kadmium Seitens der DDR erbeten Seitens der UdSSR in Aussicht gestellt Differenz  

65 t 45 t 20 t

6  Sowjetischer Mähdreschertyp, gebaut seit 1947. Da der auch als „Stalinec 4“ bekannte Combine laut Gutachten sowjetischer Spezialisten für die Bedingungen in der DDR nicht geeignet war, hatte Grotewohl auf Bitte von Ziller bereits am 20. November 1952 Semičastnov um die Überlassung von technischen Unterlagen gebeten, um für die eigenen Bedürfnisse konstruierte Modelle herstellen bzw. die gelieferten Maschinen umbauen zu können. Diese Bitte wurde Anfang 1953 wiederholt, vgl. BAB-SAPMO, NY 4090/316, Bl. 170–177, 196–201. Am 4. März wurde ihr stattgegeben, vgl. BDU 1, S. 427.



Dokument 138: 27. Februar 1953

10) Blei Seitens der DDR erbeten Seitens der UdSSR in Aussicht gestellt Differenz  

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13 360 t 10 320 t 3 040 t

11) Anthrazit Seitens der DDR erbeten 120 000 t Seitens der UdSSR in Aussicht gestellt 60 000 t Differenz   60 000 t 12) Eisenerz (Krivoj Rog) Seitens der DDR erbeten 800 000 t Seitens der UdSSR in Aussicht gestellt 600 000 t Differenz   200 000 t B. Güter, für deren Lieferung seitens der UdSSR noch keine Zusage erteilt worden ist 1) Kupfer Seitens der DDR erbeten 12 265 t Dem Ministerium für Außenhandel der UdSSR ist zur Kenntnis gegeben worden, dass die erbetenen Kupfer- und Bleimengen erforderlich sind, um die zugesagten Kabel- und Batterielieferungen durchführen zu können. 2) Decksbeplankung Seitens der DDR erbeten 5 000 cbm 7 3) Kastenkipper Š-54 Seitens der DDR erbeten 300 St 4) Schreitbagger E.Š1 Seitens der DDR erbeten 2 St 5) Carbonyleisenpulver Seitens der DDR erbeten 100 t 6) Bleimennige Seitens der DDR erbeten 800 t Die Berechnungen über den Bedarf an diesen Gütern sind zum großen Teil bereits dem Ministerium für Außenhandel der UdSSR übermittelt worden. AVP RF, f. 0457a, op. 15, p. 77, d. 6, Bl. 176–181.

7  Der Buchstabe „Š“ ist handschriftlich durchgestrichen, darüber ist ergänzt „T“(-54). 

Anhang

Abkürzungsverzeichnis AA Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland Abg. Abgeordneter Abt. Abteilung ABUS Volkseigene Betriebe für Ausrüstung von Bergbau und Schwerindustrie ACDP Archiv für Christlich-Demokratische Politik a. D. außer Dienst AdG Archiv der Gegenwart ADL Archiv des Liberalismus ADN Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst (DDR) AG Aktiengesellschaft AHK Alliierte Hohe Kommission Akt. Z. Aktenzeichen AKW Amt für Kontrolle des Warenverkehrs Anm. Anmerkung a. o. außerordentlich AOP Archivierter Operativer Vorgang AP Associated Press APN Außenpolitischer Nachrichtendienst (DDR) Art. Artikel AVP RF Außenpolitisches Archiv der Russischen Föderation BA Koblenz Bundesarchiv Koblenz BAB Bundesarchiv Berlin BAB-SAPMO Bundesarchiv Berlin, Stiftung Archiv der Parteien und Massen­ organisationen der DDR Bd. Band BdD Bund der Deutschen BDI Bundesverband der Deutschen Industrie BDJ Bund Deutscher Jugend BDM Bund Deutscher Mädel BdV Bund der Vertriebenen Ber. Nr. Bericht-Nummer Betr./betr. Betreff/betreffend

660 Anhang BfV

Bundesamt für Verfassungsschutz

BHE

Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten

BHG

Bäuerliche Handelsgenossenschaft

Bl. Blatt BMG

Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen

BMVtg

Bundesministerium der Verteidigung

BMW

Bayerische Motorenwerke

BND Bundesnachrichtendienst BPA Bundespresseamt BStU

Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik

BV

Bezirksverwaltung (des MfS)

BvD

Bund der vertriebenen Deutschen

CDU

Christlich-Demokratische Union

CIA

Central Intelligence Agency

CIC

Counter Intelligence Corps

CNBL

Christlich-Nationale Bauern- und Landvolkpartei

Col. Colonel ČSPL

Tschechoslowakische Elbeschifffahrt

ČSR

Tschechoslowakische Republik

CSU

Christlich-Soziale Union

D.

Doctor theologiae honoris causa

d.

Akte (russ. delo)

DAB

Deutsches Arzneibuch

DAK

Deutsche Akademie der Künste (DDR)

DAW

Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin (DDR)

DB

Deutsche Bundesbahn

DBD

Demokratische Bauernpartei Deutschlands

DDP

Deutsche Demokratische Partei

DDR

Deutsche Demokratische Republik

DEFA

Deutsche Film AG

DFD

Demokratischer Frauenbund Deutschlands

DGB

Deutscher Gewerkschaftsbund

DHZ

Deutsche Handelszentrale

DIA

Deutscher Innen- und Außenhandel

d. J.

des Jahres

DM

Deutsche Mark

DNVP

Deutschnationale Volkspartei

Abkürzungsverzeichnis Dok. Dokument DP Deutsche Partei dpa Deutsche Presseagentur DR Deutsche Reichsbahn Dr. Doktor DRK Deutsches Rotes Kreuz DSF Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft DSP Deutsche Soziale Partei DStP Deutsche Staatspartei DVdI Deutsche Verwaltung des Innern DVP Deutsche Volkspartei; Demokratische Volkspartei; Deutsche Volkspolizei DWK Deutsche Wirtschaftskommission EA Europa-Archiv ECA Economic Cooperation Administration ECE Economic Cooperation for Europe EKD Evangelische Kirche Deutschlands EKO Eisenhüttenkombinat Ost ERP Europäisches Wiederaufbauprogramm (European Recovery ­Program) ERR Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg EVG Europäische Verteidigungsgemeinschaft EZA Evangelisches Zentralarchiv f. Bestand (russ. fond) FBI Federation of British Industries FDP Freie Demokratische Partei Fn. Fußnote GA RF Staatsarchiv der Russischen Föderation Garkrebo Garantie- und Kreditbank Geh./geh./g. Geheim/geheim Gen. Genosse GG Grundgesetz GKO Staatliches Komitee für Verteidigung Gosplan Staatliches Plankomitee Gossnab Staatliches Komitee für materiell-technische Versorgung der Volkswirtschaft GPU Vereinigte staatliche politische Verwaltung GRU Hauptverwaltung für Aufklärung (der Roten Armee) GStA PK Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz

661

662 Anhang GSVG

Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland

GUPVI

Hauptverwaltung für Angelegenheiten von Kriegsgefangenen und Internierten

GUSIMZ

Hauptverwaltung für sowjetisches Eigentum im Ausland

GVP

Gesamtdeutsche Volkspartei

ha Hektar HA Hauptabteilung HJ Hitlerjugend HO

Handelsorganisation

HV Hauptverwaltung HVDVP

Hauptverwaltung der Deutschen Volkspolizei

IDFF

Internationale Demokratische Frauenföderation

IG

Interessengemeinschaft; Industriegewerkschaft

ITU

International Telecommunication Union

JEIA

Joint Export Import Agency

Jg. Jahrgang kg Kilogramm KgU

Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit

KJVD

Kommunistischer Jugendverband Deutschlands

KP

Kommunistische Partei

KPD

Kommunistische Partei Deutschlands

KPdSU

Kommunistische Partei der Sowjetunion

KSČ

Kommunistische Partei der Tschechoslowakei

KVP

Kasernierte Volkspolizei

KZ Konzentrationslager LDP

Liberal-Demokratische Partei

LDPD

Liberal-Demokratische Partei Deutschlands

m Meter MAS Maschinen-Ausleih-Station MdB

Mitglied des Bundestags

MdI

Ministerium des Innern der DDR

MdL

Mitglied des Landtags

MfAA

Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR

MFA&A

Monuments, Fine Arts, and Archives Section

MfS

Ministerium für Staatssicherheit der DDR

MGB

Ministerium für Staatssicherheit der UdSSR

MID

Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR

Min. Dir.

Ministerial-Direktor

Abkürzungsverzeichnis

663

Mio. Millionen mm Millimeter Mr. Mister MVD

Innenministerium der UdSSR

MVT

Außenhandelsministerium der UdSSR

NATO

North Atlantic Treaty Organization

NDPD

National-Demokratische Partei Deutschlands

NEI

Nouvelles Equipes Internationales

NKFD

Nationalkomitee Freies Deutschland

NKID

Volkskommissariat für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR

NKVD

Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten der UdSSR

Nr. Nummer NSDAP

Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei

NWDR

Nordwestdeutscher Rundfunk

OEEC

Organisation for European Economic Co-operation

op.

Findbuch (russ. opis’)

p.

Mappe (russ. papka)

PA AA

Politisches Archiv des Auswärtigen Amts

PB Politbüro RFE

Radio Free Europe

RGASPI

Russisches Staatsarchiv für soziale und politische Geschichte

RGW

Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe

RIAS

Rundfunk im amerikanischen Sektor

RSFSR

Russische sozialistische föderative Sowjetrepublik

SA Sturmabteilung SAG

Sowjetische Aktiengesellschaft

SAPMO

Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv

SBZ

Sowjetische Besatzungszone

SDAG

Sowjetisch-deutsche Aktiengesellschaft

SED

Sozialistische Einheitspartei Deutschlands

SEF Sovexportfilm SKK

Sowjetische Kontrollkommission

SKKD

Sowjetische Kontrollkommission in Deutschland

SMA

Sowjetische Militäradministration

SMAD

Sowjetische Militäradministration in Deutschland

SMT

Sowjetisches Militärtribunal

SPD

Sozialdemokratische Partei Deutschlands

664 Anhang SPK Staatliche Plankommission SRP Sozialistische Reichspartei SS Schutzstaffel SSD Staatssicherheitsdienst (in Westdeutschland gebräuchliche Bezeich­nung für das MfS) SSSR Union der Sowjetischen sozialistischen Republiken StBKAH Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus Sts Staatssekretär SU Sowjetunion t/to. Tonne Tgb. Nr. Tagebuch-Nummer TH Technische Hochschule TOP Tagesordnungspunkt tsd. tausend UdSSR Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken UFJ Untersuchungsausschuss Freiheitlicher Juristen UN United Nations UNHCR United Nations High Commissioner for Refugees UNO United Nations Organization UP United Press UPD Union-Pressedienst u. R. unter Rückerbittung US United States USA United States of America USIG Verwaltung für sowjetisches Vermögen in Deutschland VdgB Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe VdL Verband der Landsmannschaften VEB Volkseigener Betrieb VELKD Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands Vgl./vgl. Vergleiche/vergleiche VKP (b) Allunionistische Kommunistische Partei der Sowjetunion (Bol’ševiki) VLKSM Allunionistischer Lenin’scher Kommunistischer Jugendverband (Komsomol) V-Mann Vertrauens-Mann im Dienst des BfV v. Mts. vorigen/vergangenen Monats VOKS Allunionsgesellschaft für kulturelle Verbindungen mit dem Ausland VOL Vereinigte Ostdeutsche Landsmannschaften

Abkürzungsverzeichnis VP Volkspolizei VPO Vereinigung politischer Ostflüchtlinge VR Volksrepublik VVB Vereinigung Volkseigener Betriebe VVN Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes z. b. V. zur besonderen Verwendung ZFT Zentralamt für Forschung und Technik (bei der Staatlichen ­Plankommission) z. Hd. zu Händen ZK Zentralkomitee ZKK Zentrale Kommission für Staatliche Kontrolle (der DWK) ZPKK Zentrale Parteikontrollkommission ZV Zentralvorstand (der SED) ZvD Zentralverband vertriebener Deutscher

665

Literatur- und Siglenverzeichnis Siglen oder Kurztitel wurden für Editionen und andere Publikationen vergeben, die wiederholt zur Kommentierung herangezogen wurden. Lediglich einmal zitierte Pu­ blikationen sind im Regelfall ohne Kurztitel oder Kurzformen aufgeführt. AAPD (1949/50)

Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland. 1949/50. September 1949 bis Dezember 1950, hrsg. im Auftrag des Auswärtigen Amts vom Institut für Zeitgeschichte, München 1997

AAPD (1951)

Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland. 1951. 1. Januar bis 31. Dezember 1951, hrsg. im Auftrag des Auswärtigen Amts vom Institut für Zeitgeschichte, München 1999

AAPD (1952)

Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, 1952. 1. Januar bis 31. Dezember 1952, hrsg. im Auftrag des Auswärtigen Amts vom Institut für Zeitgeschichte, München 2000

AAPD (1953/I)

Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland. 1953. Band I: 1. Januar bis 30. Juni 1953, hrsg. im Auftrag des Auswärtigen Amts vom Institut für Zeitgeschichte, München 2001

AAPD, Hohe Kommis­sare 1

Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. im Auftrag des Auswärtigen Amts von Hans-Peter Schwarz. Bd. 1: Adenauer und die Hohen Kommissare 1949–1951, München 1989

AAPD, Hohe Kommis­sare 2

Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. im Auftrag des Auswärtigen Amts von Hans-Peter Schwarz. Bd. 2: Adenauer und die Hohen Kommissare 1952, München 1990

ADAP, A VI

Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik. 1918–1945. Aus dem Archiv des Auswärtigen Amts. Serie A: 1918– 1925. Band VI, 1. März bis 31. Dezember 1922, Göttingen 1988

ADAP, B II/1

Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik. 1918–1945. Aus dem Archiv des Auswärtigen Amts. Serie B: 1925– 1933. Band  II, 1.  Dezember 1925 bis Juni 1926. Deutschlands Beziehungen zur Sowjet-Union, zu Polen, Danzig und den Baltischen Staaten, Göttingen 1967



Literatur- und Siglenverzeichnis

667

Adenauer, Erinnerungen 1945–1953

Konrad Adenauer: Erinnerungen 1945–1953, Stuttgart 1965

AdG 20 (1950)

Archiv der Gegenwart, Jahrgang 20 (1950)

AdG 21 (1951)

Archiv der Gegenwart, Jahrgang 21 (1951)

AdG 22 (1952)

Archiv der Gegenwart, Jahrgang 22 (1952) Konstantin Akinscha, Grigori Koslow, Clemens Toussant: Operation Beutekunst. Die Verlagerung deutscher Kulturgüter in die Sowjetunion nach 1945. Zusammengestellt nach bisher unveröffentlichten Dokumenten aus Archiven der russischen Föderation, Nürnberg 1995 Keith R. Allen: Befragung – Überprüfung – Kontrolle. Die Aufnahme von DDR-Flüchtlingen in West-Berlin bis 1961, Berlin 2013

Amos, Westpolitik

Heike Amos: Die Westpolitik der SED 1948/49–1961. „Arbeit nach Westdeutschland“ durch die Nationale Front, das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten und das Ministerium für Staatssicherheit, Berlin 1999 Heike Amos: Politik und Organisation der SED-Zentrale 1949–1963. Struktur und Arbeitsweise von Politbüro, Sekretariat, Zentralkomitee und ZK-Apparat, Münster 2002 Heike Amos: Die Vertriebenenpolitik der SED 1949 bis 1990, München 2009 Thomas Armbruster: Rückerstattung der Nazi-Beute. Die Suche, Bergung und Restitution von Kulturgütern durch die westlichen Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg, Berlin 2008 Auswärtiges Amt (Hrsg.): Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Dokumente von 1949–1994, Köln 1995

AWS 1

Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik 1945–1956. Band 1, hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt. Von der Kapitulation bis zum Pleven-Plan. Von Roland Förster, Christian Greiner, Georg Meyer, HansJürgen Rautenberg und Nobert Wiggershaus, München/ Wien 1982

Badstübner/Loth

Rolf Badstübner/Wilfried Loth (Hrsg.): Wilhelm Pieck. Aufzeichnungen zur Deutschlandpolitik 1945–1953, Berlin 1994

668 Anhang The Baltic Question during the Cold War, hrsg. von John Hiden, Vahur Made, Davis J. Smith, London/New York 2008 Arnulf Baring: Außenpolitik in Adenauers Kanzlerdemokratie. Bonns Beitrag zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, München 1969 Arnd Bauerkämper (Hrsg.): „Junkerland in Bauernhand“? Durchführung, Auswirkungen und Stellenwert der Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone, Stuttgart 1996 Bauerkämper, Ländliche Gesellschaft

Arnd Bauerkämper: Ländliche Gesellschaft in der kommunistischen Diktatur. Zwangsmodernisierung und Tradition in Brandenburg 1945–1963, Köln/Weimar/Wien 2002

BDU 1

Beziehungen DDR – UdSSR 1949–1955. Dokumentensammlung, 1. und 2. Halbband, hrsg. vom Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR und der UdSSR, Berlin 1974

BDU 2

Herbert Blankenhorn: Verständnis und Verständigung. Blätter eines politischen Tagebuchs 1949 bis 1979, Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1980 Beendigung des Kriegs­zustands

Die Beendigung des Kriegszustands mit Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, bearbeitet von Hermann Mosler und Karl Doehring, Köln/Berlin 1963

Bemühungen der Bundesrepublik

Die Bemühungen der Bundesrepublik um Wiederherstellung der Einheit Deutschlands durch gesamtdeutsche Wahlen. Dokumente und Akten. Teil 1: Oktober 1949– Oktober 1953, hrsg. vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen, 4. erweiterte Auflage, Bonn 1958

Bennewitz/Potratz, Zwangsaussiedlungen

Inge Bennewitz/Rainer Potratz: Zwangsaussiedlungen an der innerdeutschen Grenze. Analysen und Dokumente, Berlin 1994

Berichte der Schweizer Gesandtschaft

Anfangsjahre der Bundesrepublik Deutschland. Berichte der Schweizer Gesandtschaft in Bonn 1949–1955, hrsg. von Manfred Todt, München 1987

Berlin 1944–1966

Dokumente zur Berlin-Frage 1944–1966, hrsg. vom Forschungsinstitut der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e. V., Bonn in Zusammenarbeit mit dem Senat von Berlin, 3. durchgesehene und erweiterte Auflage, München 1967

Berlin 1951–1954

Literatur- und Siglenverzeichnis

669

Berlin. Chronik der Jahre 1951–1954, bearb. v. Hans Reichhardt, Berlin 1968 Die Berliner Akademien der Wissenschaften im geteilten Deutschland 1945–1990, hrsg. von Jürgen Kocka unter Mitarbeit von Peter Nötzoldt und Peter Th. Walther, Berlin 2002

Besier, SED-Staat und Kirche

Gerhard Besier: Der SED-Staat und die Kirche. Der Weg zur Anpassung, München 1993

Bloch, Hoffnung und Resignation

Peter Bloch: Zwischen Hoffnung und Resignation. Als CDU-Politiker in Brandenburg, 1945–1950, Köln 1986 Hans Manfred Bock: Zur Perzeption der frühen Bundesrepublik Deutschland in der französischen Diplomatie. Die Bonner Monatsberichte des Hochkommissars André François-Poncet 1949 bis 1955, in: Francia 15 (1987), S. 579–658 Bernard Bode: Liberal-Demokraten und „deutsche Frage“. Zum politischen Wandel einer Partei in der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR zwischen 1945 und 1961, Frankfurt am Main 1997

Bogomolow, Ohne Protokoll

Alexander Bogomolow: Ohne Protokoll. Amüsantes und Bitteres aus der Arbeit eines sowjetischen Diplomaten in Deutschland, Berlin 2000

Bösch, Die Adenauer-CDU

Frank Bösch: Die Adenauer-CDU. Gründung, Aufstieg und Krise einer Erfolgspartei 1945–1969, Stuttgart/München 2001

BQuD 1

Berlin. Quellen und Dokumente 1945–1951. 1. Halbband, hrsg. im Auftrag des Senats von Berlin, bearb. durch Hans J. Reichhardt, Hans U. Treutler, Albrecht Lampe. Landesarchiv Berlin, Abteilung Zeitgeschichte, Berlin 1964

BQuD 2

Berlin. Quellen und Dokumente 1945–1951. 2. Halbband, hrsg. im Auftrag des Senats von Berlin, bearb. durch Hans J. Reichhardt, Hans U. Treutler, Albrecht Lampe. Landesarchiv Berlin, Abteilung Zeitgeschichte, Berlin 1964 Matthias Braun: Kulturinsel und Machtinstrument. Die Akademie der Künste, die Partei und die Staatssicherheit, Göttingen 2007

BT Stenographische Berichte

Verhandlungen des Deutschen Bundestages. Stenographische Berichte, Bonn 1949 ff.

670 Anhang Hans Buchheim: Deutschlandpolitik 1949–1979. Der politisch-diplomatische Prozeß, Stuttgart 1984 Wolfgang Buschfort: Das Ostbüro der SPD. Von der Gründung bis zur Berlin-Krise, München 1991 Wolfgang Buschfort: Parteien im Kalten Krieg. Die Ostbüros von SPD, CDU und FDP, Berlin 2000 Burghard Ciesla: Partei in der Partei. Die SED-Gebietsorganisation Wismut (1947–1949), in: Wismut Studien, S. 228–270 George A. Codding jr.: Broadcasting Without Barriers, Paris 1959 Stefan Creuzberger: Abschirmungspolitik gegenüber dem westlichen Deutschland im Jahre 1952, in: Die sowjetische Deutschland-Politik in der Ära Adenauer, hrsg. von Gerhard Wettig, Bonn 1997, S. 12–36 Creuzberger, Kampf für die Einheit

Stefan Creuzberger: Kampf für die Einheit. Das gesamtdeutsche Ministerium und die politische Kultur des Kalten Krieges 1949–1969, Düsseldorf 2008 Peter Danylow/Ulrich S. Soénius (Hrsg.): Otto Wolff. Ein Unternehmer zwischen Wirtschaft und Politik, Berlin 2005 Dokumente des Friedens. Mitteilungen für die Freunde der Neutralisierung Deutschlands. Nauheimer Kreis, Würzburg o. J. [1949]

DAPDDR 1

Dokumente zur Außenpolitik der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, Band 1: Von der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik am 7. Oktober 1949 bis zur Souveränitätserklärung am 23. März 1954, Berlin 1954

DAPDDR 4

Dokumente zur Außenpolitik der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, Band 4: Verträge und Abkommen vom 7.  Oktober 1949 bis 30.  Juni 1956, Berlin 1957

DDS 1

Dokumente zur Deutschlandpolitik der Sowjetunion, Band 1: Vom Potsdamer Abkommen am 2. August 1945 bis zur Erklärung über die Herstellung der Souveränität der Deutschen Demokratischen Republik am 25. März 1954 Deutsch-sowjetische Beziehungen von den Verhandlungen in Brest-Litowsk bis zum Abschluß des Rapallovertrages, Bd. 2, Berlin (Ost) 1971



Literatur- und Siglenverzeichnis

671

Die sowjetische Deutschland-Politik in der Ära Adenauer, hrsg. von Gerhard Wettig, Bonn 1997 Diedrich/Ehlert/Wenzke, Im Dienste der Partei

Im Dienste der Partei. Handbuch der bewaffneten Organe der DDR, im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes hrsg. von Torsten Diedrich, Hans Ehlert und Rüdiger Wenzke, Berlin 1998

Diedrich/Wenzke, Die getarnte Armee

Torsten Diedrich/Rüdiger Wenzke: Die getarnte Armee. Geschichte der Kasernierten Volkspolizei der DDR 1952–1956, hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Berlin 2001 Torsten Diedrich: Die Grenzpolizei der DDR (1946– 1961), in: Diedrich/Ehlert/Wenzke, Im Dienste der Partei, S. 201–224 Torsten Diedrich: Die Kasernierte Volkspolizei (1952– 1956), in: Diedrich/Ehlert/Wenzke, Im Dienste der Partei, S. 339–369 Torsten Diedrich: Paulus. Das Trauma von Stalingrad. Eine Biographie, Paderborn 2008 Rainer Dohse: Der dritte Weg. Neutralitätsbestrebungen in Westdeutschland zwischen 1945 und 1955, Hamburg 1974 Dokumente zur deutschen Militärgeschichte 1945–1990. Bundesrepublik und DDR im Ost-West-Konflikt. Im Auftrag des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr hrsg. von Christoph Nübel, Berlin 2019

DSED 3

Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Beschlüsse und Erklärungen des Parteivorstandes, des Zentralkomitees sowie seines Politbüros und seines Sekretariats, Bd. 3: 28. März 1950 bis 23. Februar 1952, Berlin 1952

DSED 4

Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Beschlüsse und Erklärungen des Parteivorstandes, des Zentralkomitees sowie seines Politbüros und seines Sekretariats, Bd. 4: 3. März 1952 bis 24. November 1953, Berlin 1954

DzD II, 2

Dokumente zur Deutschlandpolitik, hrsg. vom Bundesministerium des Innern unter Mitwirkung des Bundes­ archivs, II. Reihe/Band 2: Die Konstituierung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik. 7. September bis 31. Dezember 1949. Veröffentlichte Dokumente, bearbeitet von Hanns Jürgen

672 Anhang Küsters, München 1996. Dokumente zur Deutschland­ politik, hrsg. vom Bundesministerium des Innern unter Mitwirkung des Bundesarchivs, II. Reihe/Band 2: Die Konstituierung der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik. 7. September bis 31. Dezember 1949. Unveröffentlichte Dokumente, bearbeitet von Hanns Jürgen Küsters unter Mitarbeit von Daniel Hofmann, München 1996 DzD II, 3

Dokumente zur Deutschlandpolitik, hrsg. vom Bundesministerium des Innern unter Mitwirkung des Bundesarchivs, II. Reihe/Band 3: 1. Januar bis 31. Dezember 1950. Veröffentlichte Dokumente, bearbeitet von Hanns Jürgen Küsters und Daniel Hofmann, München 1997. Dokumente zur Deutschlandpolitik, hrsg. vom Bundesministerium des Innern unter Mitwirkung des Bundes­ archivs, II. Reihe/Band 3: 1. Januar bis 31. Dezember 1950. Unveröffentlichte Dokumente, bearbeitet von Hanns Jürgen Küsters und Carsten Tessmer, München 1997 Hans Ehlert: Die Hauptverwaltung für Ausbildung (1949–1952), in: Diedrich/Ehlert/Wenzke, Im Dienste der Partei, S. 253–280 Wolfgang Eisert: Die Waldheimer Prozesse. Der stalinistische Terror 1950. Ein dunkles Kapitel der DDR-Justiz, Esslingen/München 1993 Wolfgang Eisert: Zu den Anfängen der Sicherheits- und Militärpolitik der SED-Führung 1948 bis 1952, in: Thoß, Volksarmee schaffen, S. 141–204

EA

Europa-Archiv

Elzer, Die SchmeisserAffäre

Herbert Elzer: Die Schmeisser-Affäre. Herbert Blankenhorn, der „Spiegel“ und die Umtriebe des französischen Geheimdienstes im Nachkriegsdeutschland (1946–1958), Stuttgart 2008 Ralf Engeln: Die industriellen Beziehungen im Uranbergbau der SAG Wismut, in: Rainer Karlsch/Harm Schröter (Hrsg.): „Strahlende Vergangenheit“. Studien zur Geschichte des Uranbergbaus der Wismut, St. Katha­ rinen 1996, S. 171–208 Ralf Engeln: Uransklaven oder Sonnensucher? Die Sowjetische AG Wismut in der SBZ/DDR 1946–1953, Essen 2001

Erschossen in Moskau

Literatur- und Siglenverzeichnis

673

„Erschossen in Moskau …“ Die deutschen Opfer des Stalinismus auf dem Moskauer Friedhof Donskoje 1950–1953, hrsg. von Arsenij Roginskij, Jörg Rudolph, Frank Drauschke und Anne Kaminsky, Berlin 2008 Peter E. Fäßler: Durch den „Eisernen Vorhang“. Die deutsch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen 1949–1969, Köln/Weimar/Wien 2006 Peter E. Fäßler: Bonn und das strategische Embargo gegen die Sowjetunion und ihre Verbündeten 1949–1958, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jg.  54 (2006)  4, S. 673–700 A.M. Filitov: Sovetskij sojuz i germanskij vopros v period pozdnego stalinizma (k voprosu o genezise „stalinskoj noty“ 10 marta 1952 goda), in: I.V. Gajduk/N.I. Ego­rova/ A.O. Čubar’jan (Hrsg.): Stalin i cholodnaja vojna, Moskau 1997, S. 315–349

Filitov, Die Note vom 10. März 1952

Aleksej Filitov: Die Note vom 10. März 1952: Eine Diskussion, die nicht endet, in: Stalin und die Deutschen. Neue Beiträge der Forschung, hrsg. von Jürgen Zarusky, München 2006, S. 159–172 A.M. Filitov: Germanija v sovetskom vnešnepolitičeskom planirovanii 1941–1990, Moskau 2009 Jan Foitzik: Die stalinistischen ‚Säuberungen‘ in den ostmitteleuropäischen Parteien. Ein vergleichender Überblick, in: Stalinistischer Terror und ‚Säuberungen‘ in den kommunistischen Parteien Europas seit den dreißiger Jahren, hrsg. von Hermann Weber und Dietrich Staritz in Verbindung mit Siegfried Bahne und Richard Lorenz, Berlin 1993, S. 401–415

Foitzik, Interessenpolitik

Jan Foitzik (Hrsg.): Sowjetische Interessenpolitik in Deutschland 1944–1954. Dokumente, hrsg. und eingeleitet von Jan Foitzik, München 2012

Foitzik/Petrow, Geheimdienste

Jan Foitzik/Nikita W. Petrow: Die sowjetischen Geheimdienste in der SBZ/DDR von 1945 bis 1953, Berlin/New York 2009 Josef Foschepoth: Überwachtes Deutschland. Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik, Göttingen 2012

FRUS 1946 IV

Foreign Relations of the United States, hrsg. vom US Department of State, 1946. Bd. IV: Paris Peace Conference: Documents, Washington 1970

674 Anhang FRUS 1950 I

Foreign Relations of the United States, hrsg. vom US Department of State, 1950. Bd. I: National Security Affairs; Foreign Economic Policy, Washington 1977

FRUS 1950 III

Foreign Relations of the United States, hrsg. vom US Department of State, 1950. Bd. III: Western Europe, Washington 1977

FRUS 1950 IV

Foreign Relations of the United States, hrsg. vom US Department of State, 1950, Bd. IV: Central and Eastern Europe; The Soviet Union, Washington 1980

FRUS 1951 III

Foreign Relations of the United States, hrsg. vom US Department of State, 1951. Bd. III: European Security and the German Question, Washington 1981

FRUS 1951 VII

Foreign Relations of the United States, hrsg. vom US Department of State, 1951. Bd. VII: Korea and China, Washington 1983 Hans Frederik: Gezeichnet vom Zwielicht seiner Zeit, München 1969 Karl Wilhelm Fricke: Politik und Justiz in der DDR. Zur Geschichte der politischen Verfolgung 1945–1968. Bericht und Dokumentation, Köln 1990 I.V. Gajduk/N.I. Egorova/A.O. Čubar’jan (Hrsg.): Stalin i cholodnaja vojna, Moskau 1997

Gallus, Die Neutralisten

Alexander Gallus: Die Neutralisten. Verfechter eines vereinten Deutschland zwischen Ost und West 1945– 1990, Düsseldorf 2001

Gayko, Standortpolitik

Axel Gayko: Investitions- und Standortpolitik der DDR an der Oder-Neiße-Grenze 1950–1970, Frankfurt am Main 2000

Geplante Wissenschaft

Geplante Wissenschaft. Eine Quellenedition zur DDRWissenschaftsgeschichte 1945–1961. Eingeleitet, kommentiert und herausgegeben von Andreas Malycha, Leipzig 2003 Wilhelm Karl Gerst: Die Bundesrepublik Deutschland unter Adenauer, Berlin 1957

Gesamtdeutscher Ausschuss

Der Gesamtdeutsche Ausschuß. Sitzungsprotokolle des Ausschusses für gesamtdeutsche Fragen des Deutschen Bundestages 1949–1953, bearbeitet von Andreas Biefang, Düsseldorf 1998

Gieseke, Die hauptamt­ lichen Mitarbeiter

Jens Gieseke: Die hauptamtlichen Mitarbeiter der Staatssicherheit. Personalstruktur und Lebenswelt 1950– 1989/90, Berlin 2000

Goerner, Kirche als Problem der SED

Literatur- und Siglenverzeichnis

675

Martin Georg Goerner: Die Kirche als Problem der SED. Strukturen kommunistischer Herrschaftsausübung gegenüber der evangelischen Kirche 1945 bis 1958, Berlin 1997 Herbert Graml: Die Legende von der verpaßten Gelegenheit. Zur sowjetischen Notenkampagne des Jahres 1952, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jg. 29 (1981) 3, S. 307–341 Christian Greiner: Die alliierten militärstrategischen Planungen zur Verteidigung Westeuropas 1947–1950, in: AWS 1, S. 119–323 Frank Grelka: Beutekunst und Kunstraub. Sowjetische Restitutionspraxis in der SBZ, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jg. 67 (2019) 1, S. 71–103

Grotewohl, Bd. 2

Otto Grotewohl: Im Kampf um die einige Deutsche Demokratische Republik. Reden und Aufsätze, Bd. 2: Auswahl aus den Jahren 1950–1951, Berlin-Ost 1959 Werner Hartkopf/Gert Wangermann: Dokumente zur Geschichte der Berliner Akademie der Wissenschaften von 1700 bis 1990, Berlin/Heidelberg/New York 1991 Ulrike Hartung (Hrsg.): Verschleppt und verschollen. Eine Dokumentation deutscher, sowjetischer und amerikanischer Akten zum NS-Kunstraub in der Sowjetunion (1941–1948), Bremen 2000 Rolf Hasse: Theorie und Politik des Embargos, Köln 1973 Ronny Heidenreich: Die DDR-Spionage des BND. Von den Anfängen bis zum Mauerbau, Berlin 2019

Heitzer, Affäre Walter

Enrico Heitzer: „Affäre Walter“. Die vergessene Verhaftungswelle, Berlin 2008

Heitzer, Kampfgruppe

Enrico Heitzer: Die Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU). Widerstand und Spionage im Kalten Krieg 1948–1959, Berlin 2015 Jeffrey Herf: Divided Memory. The Nazi Past and the Two Germanys, Cambridge, Mass./London 1997 Heuss – Adenauer. Unserem Vaterlande zugute. Der Briefwechsel 1948–1963, bearbeitet von Hans Peter Mensing, hrsg. von Rudolf Morsey und Hans-Peter Schwarz, Berlin 1989

676 Anhang Philipp Heyde: Das Ende der Reparationen. Deutschland, Frankreich und der Youngplan 1929–1932, Paderborn 1998 Friedrich von Heyl: Der innerdeutsche Handel mit Eisen und Stahl 1945–1972. Deutsch-deutsche Beziehungen im Kalten Krieg, Köln/Weimar/Wien 1997 Andreas Hilger: Faustpfand im Kalten Krieg? Die Massenverurteilungen deutscher Kriegsgefangener 1949/50 und die Repatriierung Verurteilter 1950 bis 1956, in: Sowjetische Militärtribunale, Bd. 1: Die Verurteilung deutscher Kriegsgefangener 1941–1953, hrsg. von An­ dreas Hilger, Ute Schmidt und Günther Wagenlehner, Köln/Weimar/Wien 2001, S. 211–271 Hilger, Strafjustiz im Verfolgungswahn

Andreas Hilger: Strafjustiz im Verfolgungswahn. Todesurteile sowjetischer Gerichte in Deutschland, in: Ders. (Hrsg.): „Tod den Spionen!“ Todesurteile sowjetischer Gerichte in der SBZ/DDR und in der Sowjetunion bis 1953, Göttingen 2006, S. 95–155 Andreas Hilger (Hrsg.): „Tod den Spionen!“ Todesurteile sowjetischer Gerichte in der SBZ/DDR und in der Sowjetunion bis 1953, Göttingen 2006 Andreas Hilger/Nikita Petrow: „Im Namen der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken“. Sowjetische Militärjustiz in der SBZ/DDR von 1945 bis 1955, in: Erschossen in Moskau, S. 19–35 Andreas Hilger: Sowjetische Justiz und Kriegsverbrechen. Dokumente zu den Verurteilungen deutscher Kriegsgefangener, 1941–1949, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jg. 54 (2006) 3, S. 461–516

Hilger/Schmeitzner/ Schmidt, Diktaturdurch­ setzung

Andreas Hilger/Mike Schmeitzner/Ute Schmidt (Hrsg.): Diktaturdurchsetzung. Instrumente und Methoden der kommunistischen Machtsicherung in der SBZ/DDR 1945–1955, Dresden 2001 Dierk Hoffmann: Otto Grotewohl (1894–1964). Eine politische Biographie, München 2009 Dierk Hoffmann/Andreas Malycha (Hrsg.): Erdöl, Mais und Devisen. Die ostdeutsch-sowjetischen Wirtschaftsbeziehungen 1951–1967. Eine Dokumentation, Berlin/ Boston 2016 Dierk Hoffmann (Hrsg.): Die zentrale Wirtschaftsverwaltung in der SBZ/DDR. Akteure, Strukturen, Verwaltungspraxis, Berlin/Boston 2016



Literatur- und Siglenverzeichnis

677

Emil Hoffmann: Die Zerstörung der deutschen Wirtschaftseinheit. Interzonenhandel und Wiedervereinigung, Hamburg 1964 Hoffmann, Mandat

Emil Hoffmann: Mandat für Deutschland. Staatsfeind aus Verantwortung, Koblenz 1992

Hörster-Philipps, Wirth

Ulrike Hörster-Philipps: Joseph Wirth 1879–1956. Eine politische Biographie, Paderborn/München/Wien/Zürich 1998 Detlev Hüwel: Karl Arnold. Eine politische Biographie, Wuppertal 1980 Ivan Jakubec: Schlupflöcher im „Eisernen Vorhang“. Tschechoslowakisch-deutsche Verkehrspolitik im Kalten Krieg. Die Eisenbahn und die Elbeschiffahrt 1945–1989, Stuttgart 2006

Kabinettsausschuss für Wirtschaft

Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung, hrsg. für das Bundesarchiv von Friedrich P. Kahlenberg. Kabinettsausschuß für Wirtschaft. Band 1: 1951–1953, bearbeitet von Ulrich Enders, München 1999

Kabinettsprotokolle, Bd. 1 (1949)

Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung. Bd.  1 (1949), hrsg. für das Bundesarchiv von Hans Booms, bearbeitet von Ulrich Enders und Konrad Reiser, Boppard am Rhein 1982

Kabinettsprotokolle, Bd. 2 (1950)

Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung. Bd.  2 (1950), hrsg. für das Bundesarchiv von Hans Booms, bearbeitet von Ulrich Enders und Konrad Reiser, Boppard am Rhein 1984

Kabinettsprotokolle, Bd. 3 (1950) Wortprotokolle

Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung. Bd.  3 (Wortprotokolle), hrsg. für das Bundesarchiv von Hans Booms, bearbeitet von Ulrich Enders und Konrad Reiser, Boppard am Rhein 1986

Kabinettsprotokolle, Bd. 4 (1951)

Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung. Bd.  4 (1951), hrsg. für das Bundesarchiv von Hans Booms, bearbeitet von Ursula Hüllbüsch, Boppard am Rhein 1988

Kabinettsprotokolle, Bd. 5 (1952)

Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung. Bd.  5 (1952), hrsg. für das Bundesarchiv von Hans Booms, bearbeitet von Kai von Jena, Boppard am Rhein 1989 Monika Kaiser: Wechsel von sowjetischer Besatzungspolitik zu sowjetischer Kontrolle? Sowjetische Einflußnahme und ostdeutsche Handlungsspielräume im Übergangsjahr von der SBZ zur DDR, in: Sowjetisierung und Eigenständigkeit, S. 187–231

678 Anhang Karlsch, Reparationsleistungen

Rainer Karlsch: Allein bezahlt? Die Reparationsleistungen der SBZ/DDR 1945–1953, Berlin 1993 Rainer Karlsch/Johannes Bähr: Die Sowjetischen Ak­ tiengesellschaften (SAG) in der SBZ/DDR. Bildung, Struktur und Probleme ihrer inneren Entwicklung, in: Karl Lauschke/Thomas Welskopp (Hrsg.): Mikropolitik im Unternehmen. Arbeitsbeziehungen und Machtstrukturen in industriellen Großbetrieben des 20. Jahrhunderts, Essen 1994, S. 214–255 Rainer Karlsch/Harm Schröter (Hrsg.): „Strahlende Vergangenheit“. Studien zur Geschichte des Uranbergbaus der Wismut, St. Katharinen 1996

Karlsch/Zeman, Uran­geheimnisse

Rainer Karlsch/Zbynek Zeman: Urangeheimnisse. Das Erzgebirge im Brennpunkt der Weltpolitik 1933–1960, Berlin 2002 Rainer Karlsch/Jochen Laufer (Hrsg.): Sowjetische Demontagen in Deutschland 1944–1949, Berlin 2002 Rainer Karlsch: Energie- und Rohstoffpolitik, in: Die zentrale Wirtschaftsverwaltung in der SBZ/DDR. Akteure, Strukturen, Verwaltungspraxis, hrsg. von Dierk Hoffmann, Berlin/Boston 2016, S. 249–362 Agilolf Keßelring: Die Organisation Gehlen und die Neuformierung des Militärs in der Bundesrepublik, Berlin 2017

Khrushchev in America

Khrushchev in America. Full texts of the speeches made by N.S. Krushchev, Chairman of the Council of Ministers of the USSR, on his tour of the United States, September 15–27, 1959. Translated from the book published in the USSR entitled In Peace and Friendship! New York 1960

Kiechle, Fritz Selbmann

Oliver Kiechle: Fritz Selbmann als Kommunist und SED-Funktionär. Individuelle Handlungsspielräume im System. Eine politische Biografie, Düsseldorf 2013

Kienle, Karl Spiecker

Claudius Kienle: Karl Spiecker, die Weimarer Rechte und der Nationalsozialismus. Eine andere Geschichte der christlichen Demokratie, Berlin 2020 Helmut Kinne: Geschichte der Stahlindustrie der Deutschen Demokratischen Republik, hrsg. vom Verein Deutscher Eisenhüttenleute, Düsseldorf 2002



Literatur- und Siglenverzeichnis

679

Kirche im Kampf der Zeit. Die Botschaften, Worte und Erklärungen der evangelischen Kirche in Deutschland und ihrer östlichen Gliedkirchen. Herausgegeben im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland – Kirchenkanzlei von Pfarrer Günter Heidtmann, Berlin 1954 Kirchliches Jahrbuch 1950 Kirchliches Jahrbuch für die Evangelische Kirche in Deutschland 1950. Begründet von Johannes Schneider. Hrsg. von Joachim Beckmann. 77. Jahrgang, Gütersloh 1951 Kirchliches Jahrbuch 1952 Kirchliches Jahrbuch für die Evangelische Kirche in Deutschland 1952. Begründet von Johannes Schneider. Hrsg. von Joachim Beckmann. 79. Jahrgang, Gütersloh 1953 Rita Klauschenz: Verschleppt, zurückgeführt oder noch verborgen? Von der Sowjetunion beschlagnahmte Archivalien des Geheimen Staatsarchivs PK, in: Kulturgüter im Zweiten Weltkrieg. Verlagerung – Auffindung – Rückführung. Hrsg. von der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste Magdeburg. Bearb. von Uwe Hartmann, Magdeburg 2007, S. 143–170 Dieter Koch: Heinemann und die Deutschlandfrage, München 1972 Kowalczuk, Stasi konkret

Ilko-Sascha Kowalczuk: Stasi konkret. Überwachung und Repression in der DDR, München 2013 Walter Krumholz: Berlin-ABC. Geschichte. Politik. Wirtschaft. Kultur, unter Mitarbeit von Wilhelm Lutze, Oskar Kruß, Richard Höpfner u. a., Berlin und München 1969 Michael Kubina: Ulbrichts Scheitern. Warum der SEDChef nicht die Absicht hatte, eine „Mauer“ zu errichten, sie aber dennoch bauen ließ, Berlin 2013

Kühlem, Kroll

Kordula Kühlem: Hans Kroll (1898–1967). Eine diplomatische Karriere im 20. Jahrhundert, Düsseldorf 2008 Kulturgüter im Zweiten Weltkrieg. Verlagerung – Auffindung – Rückführung. Hrsg. von der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste Magdeburg. Bearb. von Uwe Hartmann, Magdeburg 2007 Corinna Kuhr-Korolev/Ulrike Schmiegelt-Rietig/Elena Zubkova in Zusammenarbeit mit Wolfgang Eichwede: Raub und Rettung. Russische Museen im Zweiten Weltkrieg, Wien/Köln/Weimar 2019

680 Anhang Lambers, Das Ost-Embargo

Hans-Jürgen Lambers: Das Ost-Embargo. DokumentenSammlung, Frankfurt am Main/Berlin 1956 Landsberg. Ein dokumentarischer Bericht. Herausgegeben von Information Services Division Office of the U.S. High Commissioner for Germany, München 1951

Lapp, Dertinger

Peter-Joachim Lapp: Georg Dertinger. Journalist – Außenminister – Staatsfeind, Freiburg im Breisgau 2005 Jochen Laufer: Die UdSSR und die Einleitung der Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone, in: Arnd Bauerkämper (Hrsg.): „Junkerland in Bauernhand“? Durchführung, Auswirkungen und Stellenwert der Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone, Stuttgart 1996, S. 21–35

Laufer, Politik und Bilanz

Jochen Laufer: Politik und Bilanz der sowjetischen Demontagen in der SBZ/DDR 1945–1950, in: Rainer Karlsch/Jochen Laufer (Hrsg.): Sowjetische Demontagen in Deutschland 1944–1949, Berlin 2002, S. 31–75 Jochen P. Laufer: Die UdSSR, die ostdeutsche Staatsgründung und die Berlin-Krise 1948–1949. Einführung zu den Dokumenten, in: UdF 4, S. XV–LXVI Karl Lauschke/Thomas Welskopp (Hrsg.): Mikropolitik im Unternehmen. Arbeitsbeziehungen und Machtstrukturen in industriellen Großbetrieben des 20. Jahrhunderts, Essen 1994 Robert Lebegern: Mauer, Zaun und Stacheldraht. Sperranlagen an der innerdeutschen Grenze 1945–1990, Weiden 2002 Milton Leitenberg: New Russian Evidence on the Korean War Biological Warfare Allegations. Background and Analysis, in: Cold War International History Project Bulletin 11 (1998), S. 185–199 Michael Lemke: Die DDR und die deutsche Frage 1949–1955, in: Wilfried Loth (Hrsg.): Die deutsche Frage in der Nachkriegszeit, Berlin 1994, S. 136–171

Lemke, Die infiltrierte Sammlung

Michael Lemke: Die infiltrierte Sammlung. Ziele, Methoden und Instrumente der SED zur Formierung einer bürgerlichen Opposition in der Bundesrepublik 1949– 1957, in: Tilman Mayer (Hrsg.): „Macht das Tor auf“. Jakob-Kaiser-Studien, Berlin 1996, S. 171–234 Michael Lemke: Einleitung, in: Sowjetisierung und Eigenständigkeit, S. 11–30



Literatur- und Siglenverzeichnis

681

Michael Lemke: Prinzipien und Grundlagen der Außenbeziehungen der DDR in der Konstituierungsphase des DDR-Außenministeriums 1949–1951, in: Sowjetisierung und Eigenständigkeit, S. 233–274 Lemke, Einheit oder Sozialismus

Michael Lemke: Einheit oder Sozialismus? Die Deutschlandpolitik der SED 1949–1961, Berlin 2001 Michael Lemke: Vor der Mauer. Berlin in der Ost-WestKonkurrenz 1948 bis 1961, Köln/Weimar/Wien 2011

Lenz, Im Zentrum der Macht

Im Zentrum der Macht. Das Tagebuch von Staatssekretär Lenz 1951–1953, bearbeitet von Klaus Gotto, Hans-Otto Kleinmann und Reinhard Schreiner, Düsseldorf 1989 Das letzte Jahr der SBZ. Politische Weichenstellungen und Kontinuitäten im Prozeß der Gründung der DDR, hrsg. von Dierk Hoffmann und Hermann Wentker, München 2000 Kurt Liebknecht: Mein bewegtes Leben, Berlin 1986 Wilfried Loth (Hrsg.): Die deutsche Frage in der Nachkriegszeit, Berlin 1994

Loth, Die Entstehung der „Stalin-Note“

Wilfried Loth: Die Entstehung der „Stalin-Note“. Dokumente aus Moskauer Archiven, in: Die Stalin-Note vom 10.  März 1952. Neue Quellen und Analysen, hrsg. von Jürgen Zarusky, München 2002, S. 19–115

LPS

A.V. Korotkov/A.D. Černev/A.A. Černobaev: Na prieme u Stalina. Tetradi (žurnaly) zapisej lic, prinjatych I.V.  Stalinym [Stalins Besucher. Hefte (Journale) mit Einträgen zu den von I.V. Stalin empfangenen Personen] 1924–1953, Moskau 2008 Lubjanka. Stalin i MGB SSSR. Mart 1946–mart 1953, hrsg. von V.N. Chaustov, V.P. Naumov, N.S. Plotnikova, Moskau 2007

Magdeburger Kirchen­leitung

Berichte der Magdeburger Kirchenleitung zu den Tagungen der Provinzialsynode 1946–1989, hrsg. von Harald Schultze, Göttingen 2005 (=  Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte, Reihe A: Quellen, Band 10) Andreas Malycha/Peter Jochen Winters: Die SED. Geschichte einer deutschen Partei, München 2009 Erich Maschke (Hrsg.): Zur Geschichte der deutschen Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkrieges. Bd. 15: Die deutschen Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkrieges. Eine Zusammenfassung, Bielefeld u. a. 1974

682 Anhang Materialien der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ (12. Wahlperiode des Deutschen Bundestags), hrsg. vom Deutschen Bundestag, Band V/3: Deutschlandpolitik, innerdeutsche Beziehungen und internationale Rahmenbedingungen, Baden-Baden 1995 Tilman Mayer (Hrsg.): „Macht das Tor auf“. Jakob-Kaiser-Studien, Berlin 1996 MEGA 1

Karl Marx/Friedrich Engels: Gesamtausgabe (MEGA). Erste Abteilung, hrsg. vom Institut für Geschichte der Arbeiterbewegung Berlin und vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU, Berlin 1975–2010 Christoph Mick: Forschen für Stalin. Deutsche Fachleute in der sowjetischen Rüstungsindustrie 1945–1958, München 2000 Henning Mielke: Die Auflösung der Länder in der SBZ/ DDR. Von der deutschen Selbstverwaltung zum sozialistisch-zentralistischen Einheitsstaat nach sowjetischem Modell 1945–1952, Stuttgart 1995 Josef Müller: Die Gesamtdeutsche Volkspartei. Entstehung und Politik unter dem Primat nationaler Wiedervereinigung 1950–1957, Düsseldorf 1990 Reinhard Müller: Die Akte Wehner. Moskau 1937 bis 1941, Berlin 1993 Reinhard Müller: Herbert Wehner – Moskau 1937, Hamburg 2004

Nicolaus/Schmidt, Einblicke

Herbert Nicolaus/Lutz Schmidt: Einblicke. 50 Jahre EKO Stahl, hrsg. von der EKO Stahl GmbH, Eisenhüttenstadt 2000 Jan Niemöller: Erkundung gegen den Strom. 1952: Martin Niemöller reist nach Moskau. Eine Dokumentation, Stuttgart 1988 Peter Nötzoldt: Die Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin in Gesellschaft und Politik. Gelehrtengesellschaft und Großorganisation außeruniversitärer Forschung 1946–1972, in: Die Berliner Akademien der Wissenschaften im geteilten Deutschland 1945–1990, hrsg. von Jürgen Kocka unter Mitarbeit von Peter Nötzoldt und Peter Th. Walther, Berlin 2002, S. 39–80



Literatur- und Siglenverzeichnis

683

Christian F. Ostermann (Hrsg.): Uprising in East Germany 1953. The Cold War, the German Question, and the First Major Upheaval Behind the Iron Curtain, Budapest 2001 David Parma: Konsolidierung des Bundesgrenzschutzes 1949 bis 1972. Eine Untersuchung der Gesetzgebungsprozesse unter besonderer Betrachtung der inneradministrativen und politischen Vorgänge, Wiesbaden 2016 Nikita Petrov: Die sowjetischen Geheimdienstmitarbeiter in Deutschland. Der leitende Personalbestand der Staatssicherheitsorgane der UdSSR in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands und der DDR von 1945–1954. Biografisches Nachschlagewerk, hrsg. von Memorial International, Berlin 2010 Pfleiderer, Politik

Karl Georg Pfleiderer: Politik für Deutschland. Reden und Aufsätze 1948–1956, Stuttgart 1961 Politbjuro CK VKP (b) i sovet ministrov SSSR 1945– 1953, hrsg. von O.V. Chlevnjuk, Moskau 2002

Pontifex nicht Partisan

Pontifex nicht Partisan. Kirche und Staat in der DDR von 1949 bis 1958. Dokumente aus der Arbeit des Bevollmächtigten des Rates der EKD bei der Regierung der DDR Propst Heinrich D. Grüber, hrsg. von Günter Köhler, Stuttgart 1974 Andrew Port: Conflict and Stability in the German Democratic Republic, Cambridge 2007 Protokoll der II. Parteikonferenz der SED, Berlin 1952 Die Protokolle des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Band 5: 1951, bearbeitet von Dagmar Pöpping, hrsg. im Auftrag der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte von Carsten Nicolaisen und Harald Schultze, Göttingen 2005 „Provisorium für längstens ein Jahr“. Protokoll des Kolloquiums Die Gründung der DDR, hrsg. von Elke Scherstjanoi, Berlin 1993 Hans-Jürgen Rautenberg/Norbert Wiggershaus: Die „Himmeroder Denkschrift“ vom Oktober 1950. Politische und militärische Überlegungen für einen Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur westeuropäischen Verteidigung, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 21 (1977), S. 135–206

684 Anhang Richter, Ost-CDU

Michael Richter: Die Ost-CDU 1948–1952. Zwischen Widerstand und Gleichschaltung, Düsseldorf 1991 Dominik Rigoll: Staatsschutz in Westdeutschland. Von der Entnazifizierung zur Extremistenabwehr, Göttingen 2013 Frank Roggenbruch: Das Berliner Grenzgängerproblem. Verflechtung und Systemkonkurrenz vor dem Mauerbau, Berlin 2008

Ruggenthaler, Stalins Bluff

Peter Ruggenthaler (Hrsg.): Stalins großer Bluff. Die Geschichte der Stalin-Note in Dokumenten der sowjetischen Führung, München 2007

Rupieper, Stalin – Nenni

Hermann-Josef Rupieper: Zu den sowjetischen Deutschlandnoten 1952. Das Gespräch Stalin – Nenni, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jg. 33 (1985) 3, S. 547– 557

Rupieper, Der besetzte Verbündete

Hermann-Josef Rupieper: Der besetzte Verbündete. Die amerikanische Deutschlandpolitik 1949–1955, Opladen 1991 Gerhard Sälter: Grenzpolizisten. Konformität, Verweigerung und Repression in der Grenzpolizei und den Grenztruppen der DDR (1952–1961), Berlin 2009

Sälter, Phantome des Kalten Krieges

Gerhard Sälter: Phantome des Kalten Krieges. Die Organisation Gehlen und die Wiederbelebung des GestapoFeindbildes „Rote Kapelle“, Berlin 2016

SBZ-Handbuch

SBZ-Handbuch. Staatliche Verwaltungen, Parteien, gesellschaftliche Organisationen und ihre Führungskräfte in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1945–1949, im Auftrag des Arbeitsbereiches Geschichte und Politik der DDR an der Universität Mannheim und des Instituts für Zeitgeschichte München hrsg. von Martin Broszat und Hermann Weber, München 1993

Scherstjanoi, SED-Agrarpolitik

Elke Scherstjanoi: SED-Agrarpolitik unter sowjetischer Kontrolle 1949–1953, München 2007

Schöne, Frühling auf dem Lande

Jens Schöne: Frühling auf dem Lande? Die Kollektivierung der DDR-Landwirtschaft, Berlin 2005 Mike Schmeitzner: Zwischen simulierter Demokratie und offener Diktatur. Die Rolle der sächsischen Parteien und Gewerkschaften 1945–1950, in: Hilger/Schmeitzner/ Schmidt, Diktaturdurchsetzung, S. 139–154



Literatur- und Siglenverzeichnis

685

Rüdiger Schmidt: Vom ‚autoritären Korporatismus‘ zur Planökonomie. Der gewerbliche Mittelstand in der So­ wjetischen Besatzungszone Deutschlands, in: Das letzte Jahr der SBZ. Politische Weichenstellungen und Kontinuitäten im Prozeß der Gründung der DDR, hrsg. von Dierk Hoffmann und Hermann Wentker, München 2000, S. 221–244 Michael F. Scholz: Herbert Wehner in Schweden 1941– 1946, München 1995 Friedrich-Christian Schroeder: Das Sowjetrecht als Grundlage der Prozesse gegen deutsche Kriegsgefangene, in: Sowjetische Militärtribunale, Bd. 1: Die Verurteilung deutscher Kriegsgefangener 1941–1953, hrsg. von Andreas Hilger, Ute Schmidt und Günther Wagenlehner, Köln/Weimar/Wien 2001, S. 69–92 Kurt Schumacher. Reden – Schriften – Korrespondenzen 1945–1952, hrsg. von Willy Albrecht, Berlin/Bonn 1985 Jörn Schütrumpf: Der geplante „deutsche Industrieprozeß“. Eine Fußnote, in: Utopie Kreativ, Sonderheft 1997, S. 99–103 Alan Thomas Schwartz: Die Begnadigung deutscher Kriegsverbrecher. John J. McCloy und die Häftlinge von Landsberg, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jg. 38 (1990) 3, S. 375–414 Hans-Peter Schwarz: Adenauer. Der Aufstieg: 1876– 1952, Stuttgart 1991 Wolfgang Matthias Schwiedrzik: Träume der ersten Stunde. Die Gesellschaft Imshausen, Berlin 1991 Florian Seiller: Rüstungsintegration. Frankreich, die Bundesrepublik und die Europäische Verteidigungsgemeinschaft 1950–1954, Berlin/München/Boston 2015 Douglas Selvage: SA-CIA-HV A. Dr. Emil Hoffmann and the „Jungle of the Secret Services“ (1934–1985), in: Uwe Spiekerman (Hrsg.): The Stasi at Home and Abroad. Domestic Order and Foreign Intelligence. Bulletin of the German Historical Institute, Supplement 9 (2014), S. 115–138 Wladimir S. Semjonow: Von Stalin bis Gorbatschow. Ein halbes Jahrhundert in diplomatischer Mission, 1939– 1991, Berlin 1995

686 Anhang SKK-Statut

Das SKK-Statut. Zur Geschichte der Sowjetischen trollkommission in Deutschland 1949 bis 1953. Dokumentation. Im Auftrag des Instituts für geschichte zusammengestellt und eingeleitet von Scherstjanoi, München 1998

KonEine Zeit­ Elke

Sovetsko-amerikanskie otnošenija

Sovetsko-amerikanskie otnošenija 1949–1952 gg., Moskau 2006 Sowjetische Militärtribunale, Bd. 1: Die Verurteilung deutscher Kriegsgefangener 1941–1953, hrsg. von An­ dreas Hilger, Ute Schmidt und Günther Wagenlehner, Köln/Weimar/Wien 2001 Sowjetische Militärtribunale, Bd. 2: Die Verurteilung deutscher Zivilisten 1945–1955, hrsg. von Andreas Hilger, Mike Schmeitzner und Ute Schmidt, Köln/Weimar/ Wien 2003 Sowjetische Speziallager in Deutschland 1945 bis 1950, hrsg. von Sergej Mironenko, Lutz Niethammer, Alexander von Plato (Koordination) in Verbindung mit Volkhard Knigge und Günter Morsch, Bd. 2: Sowjetische Dokumente zur Lagerpolitik, eingeleitet und bearbeitet von Ralf Possekel, Berlin 1998

Sowjetisierung und Eigenständigkeit

Michael Lemke (Hrsg.): Sowjetisierung und Eigenständigkeit in der SBZ/DDR (1945–1953), Köln/Weimar/ Berlin 1999

Sperrmaßnahmen der Sowjetzonenregierung

Die Sperrmaßnahmen der Sowjetzonenregierung an der Zonengrenze und um Westberlin, hrsg. vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen, Bonn 1953 Kristina Spohr Readman: West Germany and the Baltic Question during the Cold War, in: The Baltic Question during the Cold War, hrsg. von John Hiden, Vahur Made, Davis J. Smith, London/New York 2008, S. 100–133

Staadt, Versuche der Einflußnahme

Jochen Staadt: Versuche der Einflußnahme der SED auf die politischen Parteien der Bundesrepublik nach dem Mauerbau, in: Materialien der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SEDDiktatur in Deutschland“ (12. Wahlperiode des Deutschen Bundestags), hrsg. vom Deutschen Bundestag, Band V/3: Deutschlandpolitik, innerdeutsche Beziehungen und internationale Rahmenbedingungen, Baden-­ Baden 1995, S. 2406–2600 Stalin und die Deutschen. Neue Beiträge der Forschung, hrsg. von Jürgen Zarusky, München 2006



Literatur- und Siglenverzeichnis

687

Stalinistischer Terror und ‚Säuberungen‘ in den kommunistischen Parteien Europas seit den dreißiger Jahren, hrsg. von Hermann Weber und Dietrich Staritz in Verbindung mit Siegfried Bahne und Richard Lorenz, Berlin 1993 Christian Stappenbeck: Öffentlichkeitsanspruch und „Wächteramt“ der evangelischen Kirche beim staatlichen Beginn der DDR, in: „Provisorium für längstens ein Jahr“. Protokoll des Kolloquiums Die Gründung der DDR, hrsg. von Elke Scherstjanoi, Berlin 1993, S. 353– 363 Dietrich Staritz: Die Gründung der DDR. Von der sowjetischen Besatzungsherrschaft zum sozialistischen Staat, 3. überarbeitete und erweiterte Neuauflage, München 1995 Statistisches Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik 1955, Jg. 1, Berlin 1956 André Steiner: Von Plan zu Plan. Eine Wirtschaftsgeschichte der DDR, München 2004 Friedhelm Stresow: Betriebsgeschichte des VEB Stahlund Walzwerk Brandenburg, Teil 1: 1949–1955, Brandenburg 1987 Siegfried Suckut: Blockpolitik in der SBZ/DDR 1945– 1949. Sitzungsprotokolle des Zentralen EinheitsfrontAusschusses. Quellenedition, Köln 1986 Siegfried Suckut: Die Entscheidung zur Gründung der DDR. Die Protokolle der Beratungen des SED-Parteivorstandes am 4. und 9. Oktober 1949, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jg. 39 (1991) 1, S. 125–175 Siegfried Suckut: Innenpolitische Aspekte der DDRGründung. Konzeptionelle Differenzen, Legitimationsund Akzeptanzprobleme, in: „Provisorium für längstens ein Jahr“. Protokoll des Kolloquiums Die Gründung der DDR, hrsg. von Elke Scherstjanoi, Berlin 1993, S. 84– 101 Manfred Suwalski: Die Entwicklung der Zollverwaltung der DDR (1945–1990), in: Diedrich/Ehlert/Wenzke, Im Dienste der Partei, S. 577–592 Monika Tantzscher: Hauptabteilung VI: Grenzkontrollen, Reise- und Touristenverkehr (Anatomie der Staats­ sicherheit. Geschichte, Struktur und Methoden – MfSHandbuch), Berlin 2005

688 Anhang Frank Teller: Umbruch – Aufbruch – Abbruch. Johanngeorgenstadt 1945–1961, Johanngeorgenstadt 2009 Jochen Thies: Otto Wolff von Amerongen. Kundschafter der Marktwirtschaft, in: Peter Danylow/Ulrich S. Soénius (Hrsg.): Otto Wolff. Ein Unternehmer zwischen Wirtschaft und Politik, Berlin 2005, S. 385–436 Oliver Titzmann: Uranbergbau contra Radiumbad. Die Auswirkungen des Uranbergbaus der SAG Wismut auf die Gemeinde Radiumbad Oberschlema (1946–1955), Schlema 2003 Thoß, Volksarmee schaffen Bruno Thoß (Hrsg.): Volksarmee schaffen – ohne Geschrei! Studien zu den Anfängen einer „verdeckten Aufrüstung“ in der SBZ/DDR 1947–1952, München 1994 Treffen mit Stalin 1950

Bernd Bonwetsch: Stalin und die Vorbereitung des 3. Parteitags der SED. Ein Treffen mit der SED-Führung am 4. Mai 1950, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jg. 51 (2003) 4, S. 575–607

Treffen mit Stalin 1952

Bernd Bonwetsch/Sergej Kudrjašov: Stalin und die II. Parteikonferenz der SED. Ein Besuch der SED-Führung in Moskau, 31. März–8. April 1952, und seine Folgen (Dokumentation), in: Stalin und die Deutschen. Neue Beiträge der Forschung, hrsg. von Jürgen Zarusky, München 2006, S. 173–206

UdF 1

Die UdSSR und die deutsche Frage 1941–1948. Dokumente aus dem Archiv für Außenpolitik der Russischen Föderation, bearbeitet und herausgegeben von Jochen P. Laufer und Georgij P. Kynin unter Mitarbeit von Viktor Knoll. Band 1: 22. Juni 1941 bis 8. Mai 1945, Berlin 2004

UdF 2

Die UdSSR und die deutsche Frage 1941–1948. Dokumente aus dem Archiv für Außenpolitik der Russischen Föderation, bearbeitet und herausgegeben von Jochen P. Laufer und Georgij P. Kynin unter Mitarbeit von Viktor Knoll. Band 2: 9. Mai 1945 bis 3. Oktober 1946, Berlin 2004

UdF 3

Die UdSSR und die deutsche Frage 1941–1948. Dokumente aus dem Archiv für Außenpolitik der Russischen Föderation, bearbeitet und herausgegeben von Jochen P. Laufer und Georgij P. Kynin unter Mitarbeit von Viktor Knoll. Band 3: 6. Oktober 1946 bis 15. Juni 1948, Berlin 2004

UdF 4

Literatur- und Siglenverzeichnis

689

Die UdSSR und die deutsche Frage 1941–1949. Dokumente aus dem Archiv für Außenpolitik der Russischen Föderation, bearbeitet von Jochen P. Laufer unter Mitarbeit von Kathrin König und Reinhard Preuß. Herausgegeben von Jochen P. Laufer und Georgij P. Kynin. Band 4: 18. Juni 1948 bis 5. November 1949, Berlin 2012 Voennoplennye v SSSR, 1939–1956. Dokumenty i materialy, hrsg. von M.M. Zagorul’ko, Moskau 2000 Johannes H. Voigt: Die Indienpolitik der DDR. Von den Anfängen bis zur Anerkennung (1952–1972), Köln/Weimar/Wien 2008 Armin Wagner/Matthias Uhl: BND contra Sowjetarmee. Westdeutsche Militärspionage in der DDR, hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Berlin 2007 Kathryn Weathersby: Deceiving the Deceivers. Moscow, Beijing, Pyongyang, and the Allegations of Bacteriological Weapons Use in Korea, in: Cold War International History Project Bulletin 11 (1998), S. 176–185 Petra Weber: Justiz und Diktatur. Justizverwaltung und politische Strafjustiz in Thüringen 1945–1961, München 2000 Annette Weinke: Die Verfolgung von NS-Tätern im geteilten Deutschland. Vergangenheitsbewältigungen 1949– 1969, oder: Eine deutsch-deutsche Beziehungsgeschichte im Kalten Krieg, Paderborn/Wien/München/Zürich 2002 Eberhard Wendel: Ulbricht als Richter und Henker, Berlin 1996

Wentker, Außenpolitik

Hermann Wentker: Außenpolitik in engen Grenzen. Die DDR im internationalen System 1949–1989, München 2007 Rüdiger Wenzke: Auf dem Wege zur Kaderarmee. Aspekte der Rekrutierung, Sozialstruktur und personellen Entwicklung des entstehenden Militärs in der SBZ/DDR bis 1952/53, in: Thoß, Volksarmee schaffen, S. 205–272 Falco Werkentin: Der totale soziale Krieg. Auswirkungen der 2. Parteikonferenz der SED im Juli 1952, in: Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung 2002, S. 23–54

690 Anhang Wettig, Einheit in Freiheit

Gerhard Wettig: Bereitschaft zu Einheit in Freiheit? Die sowjetische Deutschlandpolitik 1945–1955, München 1999

Wettig, Entmilitarisierung und Wiederbewaffnung

Gerhard Wettig: Entmilitarisierung und Wiederbewaffnung in Deutschland 1943–1955. Internationale Aus­ einandersetzungen um die Rolle der Deutschen in Europa, München 1967 Gerhard Wettig: Die Stalin-Note. Historische Kontroverse im Spiegel der Quellen, Berlin 2015 Gerhard Wettig: Aufrüstung, Grenzschließung und Besatzungsstatus der DDR. Sowjetische Deutschland-Politik im Umbruch 1951 bis 1954, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 76 (2017), S. 70–103

Widerstand und Willkür

Andreas Hilger, Mike Schmeitzner, Ute Schmidt: Widerstand und Willkür. Studien zur sowjetischen Strafverfolgung parteiloser Zivilisten in der SBZ/DDR 1945–1955, in: Sowjetische Militärtribunale, Bd. 2: Die Verurteilung deutscher Zivilisten 1945–1955, hrsg. von Andreas Hilger, Mike Schmeitzner und Ute Schmidt, Köln/Weimar/ Wien 2003, S. 193–264 Andreas Wiedemann: „Kommt mit uns das Grenzland aufbauen!“ Ansiedlung und neue Strukturen in den ehemaligen Sudetengebieten 1945–1952, Essen 2007 Norbert Wiggershaus: Die Entscheidung für einen westdeutschen Verteidigungsbeitrag 1950, in: AWS  1, S. 325–402 Manfred Wille: Die Vertriebenen in der SBZ/DDR. Dokumente, Bd. 3, Wiesbaden 2003

Winterhager, Gereke

Friedrich Winterhager: Günther Gereke. Ein Minister im Spannungsfeld des Kalten Krieges, Ludwigsfelde 2003

Wismut Dokumente

Rudolf Boch/Rainer Karlsch (Hrsg.): Uranbergbau im Kalten Krieg. Die Wismut im sowjetischen Atomkomplex, Band 2: Dokumente, Berlin 2011

Wismut Studien

Rudolf Boch/Rainer Karlsch (Hrsg.): Uranbergbau im Kalten Krieg. Die Wismut im sowjetischen Atomkomplex, Band 1: Studien, Berlin 2011 Markus Wolf: Spionagechef im geheimen Krieg. Erinnerungen, München 1997 Günther Wollstein: Rudolf Nadolny  – Außenminister ohne Verwendung, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, Jg. 28 (1980) 1, S. 47–93



Literatur- und Siglenverzeichnis

691

Benjamin Ziemann: Martin Niemöller. Ein Leben in Opposition, München 2019 Verena Zimmermann: „Den neuen Menschen schaffen“. Die Umerziehung von schwererziehbaren und straffälligen Jugendlichen in der DDR (1945–1990), Köln/Weimar/Wien 2004

Personenregister Hinweise zur Benutzung: – Das Personenregister bezieht sich ausschließlich auf die Dokumente sowie die dazugehörigen Fußnoten. Nicht berücksichtigt wird die Nennung von Personen, die nicht Hauptadressaten eines Dokuments sind, sondern lediglich als Empfänger von Kopien in einer Verteilerliste stehen. – Für die alphabetische Ordnung des Registers werden die russischen Buchstaben Č unter C, Ė unter E und Š unter S eingeordnet. –  Personen, deren Name oder Identität nicht eindeutig verifiziert werden konnte, werden in ihrer vermuteten Schreibweise wiedergegeben und durch ein Sternchen (*) gekennzeichnet. – In der Regel werden die maßgeblichen Funktionen der erfassten Personen in den Jahren zwischen 1949 und 1953 angegeben, bei Deutschen zudem auch die (früheren) Parteizugehörigkeiten, wichtige frühere Ämter sowie ihre Aktivitäten bzw. eventuelle Verfolgung in der Zeit des Nationalsozialismus. – Bei der Angabe der Fundstelle wird zwischen Dokumenten (Dok.) und einzelnen Seiten (S.) unterschieden. Die Nummer eines Dokuments wird anstelle der Seitenzahlen immer dann genannt, wenn dieses Dokument von der betreffenden Person (und anderen) verfasst oder abgesandt bzw. an sie (und andere) gerichtet wurde oder sich wesentlich auf diese Person bezieht. Abakumov, Viktor Semenovič (1908–1954), seit 1930 VKP (b), 1941–1943 Stellvertreter des Volkskommissars für innere Angelegenheiten, 1943–1946 Stellvertreter des Volkskommissars für Verteidigung und Leiter der Hauptverwaltung Gegenaufklärung beim Volkskommissariat für Verteidigung der UdSSR, seit 1945 Generaloberst, 1946–1951 Minister für Staatssicherheit der UdSSR und Mitglied der Kommission des Politbüros des ZK der VKP (b) für Justizfragen, 1951 verhaftet, 1954 hingerichtet  S. 249, 251 Acheson, Dean Gooderham (1893–1971), seit 1945 stellvertretender Außenminister, 1949–1953 Außenminister der USA  S. 9, 54, 246, 253, 261, 265, 596, 599 Ackermann, Anton (1905–1973), seit 1926 KPD, seit 1935 Mitglied des ZK der KPD, 1935–1937 Exil in der ČSR, 1937–1940 in Frankreich und 1940–1945 in der UdSSR, 1946–1954 Mitglied des Parteivorstands bzw. des ZK der SED, 1949–1953 Staatssekretär im MfAA, 1951–1952 zugleich Leiter des „Instituts für wirtschaftswissenschaftliche Forschung“ (Tarnbezeichnung des APN), 1953 kommissarischer Außenminister der DDR und Direktor des Marx-Engels-Lenin-Stalin-Instituts, danach stellvertretender Minister für Kultur, im selben Jahr wegen Unterstützung von Herrnstadt und Zaisser aller Funktionen enthoben  Dok. 22, 23, 32, 71, 92, 97, 100, S. 8, 10, 12, 47, 48, 58, 91, 105, 118, 124, 129, 157, 161, 180, 187, 247–248, 267, 378, 402, 418–419, 459, 518–519, 603

Personenregister

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Adenauer, Konrad (1876–1967), seit 1905 Zentrumspartei, 1917–1933 und erneut 1945 Oberbürgermeister von Köln, 1934 und 1944 zeitweilig inhaftiert, 1948–1949 Präsident des Parlamentarischen Rates, 1949–1963 Bundeskanzler, 1951–1955 zugleich Bundesaußenminister, 1950–1966 Bundesvorsitzender der CDU  Dok. 41, 44, 51, 60, 63, 65, 66, 94, 116, 126, 128, S. 6, 9, 16, 48, 79, 95, 109, 132–136, 139, 181–182, 189–190, 201–202, 204, 207, 210–212, 213, 220, 223, 232, 245, 247– 248, 252–253, 257–260, 263–264, 272, 274, 277–278, 305, 307–308, 318, 322– 333, 358–359, 374–375, 396–401, 403–406, 408, 409, 411, 413, 415, 423–424, 428, 433, 450, 454, 456, 469, 498, 517–518, 521–523, 528–529, 556, 573, 594, 596, 598, 600, 618, 627 Adolph, Walter (1902–1975), 1927 Priesterweihe, 1934–1936 Leiter der Fachschaft der katholisch-kirchlichen Presse in der Reichspressekammer, seit 1945 Ordinariatsrat und Domkapitular, seit 1947 Leiter der Bischöflichen Pressestelle in Berlin, seit 1950 Päpstlicher Hausprälat  S. 427 Afanas’ev*, Mitarbeiter von Sovexportfilm bzw. des Ministeriums für Kinematographie der UdSSR  S. 34 Agartz, Viktor (1897–1964), marxistischer Wirtschaftswissenschaftler und Gewerkschafter, seit 1915 SPD, 1925–1938 Tätigkeit bei der Rheinisch-Bergischen Konsumgenossenschaft „Hoffnung“, bis 1933 außerdem zeitweise Dozent am Seminar der Freien Gewerkschaften in Köln, 1939–1944 Wirtschaftsprüfer bei der Rheinisch-Westfälischen Revision Treuhand AG, seit 1946 im Vorstand der SPD, 1948–1955 Leiter des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts des DGB (WWI)  S. 354 Albertson, Kristjan (1897–1989), 1935–1943 Lektor für Isländisch an der Berliner Universität, 1946–1950 Botschaftssekretär, 1950–1967 Botschaftsrat an der isländischen Botschaft in Paris, 1951–1955 Mitglied der isländischen Delegation bei Generalversammlungen der UNO in New York  S. 485–486 Albertz, Heinrich (1915–1993), 1939–1941 evangelischer Vikar und Pastor in Breslau und Kreuzburg (Oberschlesien), als Pfarrer der Bekennenden Kirche kurzzeitig in Haft, 1941–1945 Kriegsdienst, 1943 erneute mehrmonatige Inhaftierung, seit 1946 SPD, 1947–1955 MdL Niedersachsen, 1948–1950 Minister für Flüchtlingsangelegenheiten, 1950–1951 Minister für Vertriebene, Sozial- und Gesundheitsangelegenheiten, 1951–1955 Sozialminister des Landes Niedersachsen, 1949–1965 Bundesvorsitzender der Arbeiterwohlfahrt  S. 90 Alder, Waldemar (1906–?), Architekt, 1928–1932 Studien am Bauhaus in Dessau, seit 1929 KPD, 1933 verhaftet, 1936–1943 Tätigkeiten als Architekt in Berlin und im Warthegau, 1943–1944 Kriegseinsatz im Strafbataillon 999, 1944–1947 englische Kriegsgefangenschaft, 1949–1950 Hauptreferent der HA Bauwesen der DWK, seit 1950 stellvertretender Leiter der HA Bauindustrie im Ministerium für Industrie und kommissarischer Leiter der VVB Industrie-Entwurf  S. 11 Allenstein, Walter (1906–1992), seit 1926 SPD, seit 1928 KPD, 1939–1940 und 1943–1945 Angehöriger der Wehrmacht, 1945 amerikanische Kriegsgefangenschaft, 1949–1952 Gruppenleiter bzw. HA-Leiter im Büro für Wirtschaft des Ministeriums des Innern, seit 1952 Generalmajor der KVP, 1952–1953 Leiter der Verwaltung Finanzen im Ministerium des Innern der DDR  S. 607 Amerongen, Otto Wolff von (1918–2007), Industrieller, seit 1938 Angehöriger der Wehrmacht, seit 1940 Teilhaber des Otto-Wolff-Konzerns, 1942–1946 zugleich

694 Anhang Repräsentant der Firma in Lissabon, 1946–1947 interniert, seit 1947 Leiter des ­Otto-Wolff-Konzerns, der 1952–1953 unter britischer Vermögenskontrolle stand  S. 136, 181 Anders, Josef (1909–1951), SPD, 1942–1945 Dienst in der Luftwaffe, danach Arbeiten als Schlosser und Grubenarbeiter, seit 1948 SED, 1950 verhaftet, 1951 wegen angeblicher Spionage durch ein SMT zum Tode verurteilt und in Moskau erschossen  S. 251 Andrievskij, Aleksandr Nikolaevič (1899–1983), Regisseur, 1949–1950 Generaldirektor, Vorsitzender des Aufsichtsrats und des „künstlerischen Beirats“ der DEFA, Vertreter von Sovexportfilm, 1950–1952 Leitender Redakteur des Filmstudios Mosfil’m, 1952–1953 Direktor des Filmstudios Venfil’m (Österreich)  S. 34 Antonov, Leonid Aleksandrovič (1909–1985), Regisseur, 1946–1949 Direktor des Filmstudios Mosfil’m, 1949–1950 Leiter der SAG Linsa, seit 1950 Mitarbeit am Kinojournal „Nachrichten aus der Landwirtschaft“  S. 34 Appelt, Rudolf (1900–1955), 1921 Mitbegründer der KSČ, seit 1931 im ZK der KSČ, 1938 Emigration in die UdSSR, 1945 Rückkehr in die ČSR, 1946 Übersiedlung in die SBZ, Mitglied des Zentralsekretariats der SED, seit 1948 Leiter der HV Interzonen- und Außenhandel der DWK, seit 1949 Leiter der Diplomatischen Mission der DDR in Moskau  Dok. 1, 12, 15, 30, 45, 58, 82, 92, 97, 100, 129, 132, S. 13, 47, 53, 57, 98, 128, 267 Arkad’ev, Georgij Petrovič (1905–1993), 1936–1944 Mitarbeiter des zentralen Apparats des NKID, 1944–1947 stellvertretender Leiter der Wirtschaftsabteilung des NKID bzw. MID, 1947–1949 stellvertretender politischer Berater der SMAD, 1949–1951 Mitarbeiter und zeitweilig amtierender Leiter der Diplomatischen Mission der UdSSR in der DDR, 1951–1952 Leiter der Vierten Europäischen Abteilung des MID, 1952–1953 Leiter der Amerika-Abteilung des MID  S. 10, 13, 22–23, 36, 39, 49, 66 Arndt, Paul, Bürgermeister von Friedrichsaue, Kreis Seelow  S. 625–626 Arnold, Karl (1901–1958), seit 1920 Zentrumspartei, seit 1934 Mitinhaber eines In­ stallationsgeschäfts in Düsseldorf, 1944 kurzzeitig inhaftiert, 1945 Mitbegründer der CDU in der britischen Besatzungszone, 1946–1958 MdL Nordrhein-Westfalen (CDU), 1947–1956 Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen, 1949–1950 Präsident des Bundesrates  S. 494, 596, 599, 600 Aue, Franz (1929–1951), Sachbearbeiter im Wirtschaftsministerium des Landes Thüringen, 1950 verhaftet und wegen angeblicher Spionage und Mitgliedschaft in einer konterrevolutionären Organisation durch ein SMT zum Tode verurteilt, 1951 in Moskau erschossen  S. 250 Augstein, Rudolf (Pseudonym Jens Daniel) (1923–2002), Verlweger und Journalist, seit 1947 Chefredakteur und Herausgeber des Spiegel  S. 375 Axen, Hermann (1916–1992), seit 1932 KJVD, 1934–1937 inhaftiert, danach ausgewiesen, 1938–1942 Exil in Frankreich, 1942–1945 KZ Auschwitz und Buchenwald, 1946 SED, Mitbegründer und bis 1949 Sekretär des Zentralrats der FDJ, 1949– 1953 Sekretär des ZK der SED, verantwortlich für Masswenagitation und Presse  S. 259, 304, 604 Bach, August (1897–1966), 1922–1944 Mitherausgeber der Berliner Monatshefte, seit 1927 Mitinhaber, 1937–1943 Inhaber des Quader-Verlages Berlin, 1945 Mit-

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begründer der CDU in Thüringen, seit 1946 Verlagsleiter, seit 1950 Chefredakteur des Thüringer Tageblattes, 1949–1952 1. Vizepräsident des Thüringer Landtages, seit 1949 Abgeordneter der (Provisorischen) Volkskammer und 1950–1955 Vorsitzender der CDU-Fraktion, 1950–1952 Vorsitzender des CDU-Landesverbandes Thüringen, seit 1950 Mitglied des Hauptvorstandes der CDU  S. 524–525 Bachem, Wilhelm (1903–1962), bis 1933 DDP bzw. DStP, 1933–1938 selbständiger Drogist, 1939–1940 Angehöriger der Wehrmacht, 1940 wegen Krankheit entlassen, danach Tätigkeiten in der Drogeriebranche und als Fuhrunternehmer, seit 1945 CDU, 1947–1949 Verkehrsminister in Thüringen, 1949–1951 Staatssekretär im Ministerium für Verkehr der DDR, 1951 Flucht über West-Berlin in die Bundesrepu­ blik  S. 6 Baehr*, Friedel, SPD, Vorsitzender des DGB-Ortsausschusses Wermelskirchen  S. 551 Baender, Paul (1906–1985), seit 1927 KPD, 1933–1937 Exil in der ČSR, nach Ausweisung 1938–1947 in Bolivien, 1949–1950 Hauptgeschäftsführer der HO, 1950– 1952 Staatssekretär im Ministerium für Handel und Versorgung, 1952 verhaftet wegen angeblicher Wirtschaftsspionage, Amtsenthebung und Parteiausschluss  S. 103, 151, 154 Bakker, Helmuth (1916–1951), 1938–1945 Angehöriger der Wehrmacht, nach dem Krieg Handelsvertreter der Druckerei Scheffel in Leipzig bzw. der Offizin Poeschel & Trepte Leipzig, 1950 verhaftet und wegen angeblicher Spionage durch ein SMT zum Tode verurteilt, 1951 in Moskau erschossen  S. 250 Bakulin, I. S., seit 1949 Mitarbeiter der Abteilung für Information der SKK, seit 1951 Stellvertreter des Politischen Beraters beim Vorsitzenden der SKK, 1951–1952 Leiter der Abteilung für gesamtdeutsche Fragen  S. 179 Banaschak, Wilhelm (1893–1977), seit 1945 KPD bzw. SED, 1945 1. Stellvertreter des Bürgermeisters von Berlin-Lichtenberg, seit 1946 Generaldirektor für Kraftverkehr und Straßenwesen, seit 1948 für Straßen- und Verkehrswesen der Deutschen Zentralverwaltung des Verkehrs, später Vorsitzender des Zentralvorstands der IG Transport der DDR, Handelsattaché an der Botschaft der DDR in Warschau und Handelsrat in Moskau  S. 465 Baranenkov, Fedor Il’ič (1903–1961), sowjetischer Diplomat, seit 1948 Leiter der Hochschulabteilung der Kaderverwaltung, danach bis 1955 Leiter der Kaderabteilung der diplomatischen und Außenhandelsorgane des ZK der VKP (b)  S. 533 Barbour, Walworth (1908–1982), US-amerikanischer Diplomat, seit 1931 im diplomatischen Dienst, 1949–1952 Botschaftsrat in Moskau, 1952–1954 Leiter der Abteilung Osteuropa im US-Außenministerium  S. 244 Barthel, Kurt Walter (Pseudonym KuBa) (1914–1967), Schriftsteller, 1933–1939 Exil (zumeist) in der ČSR, seit 1939 in Großbritannien, 1946 Rückkehr nach Deutschland, SED, 1950 Mitglied des Zentralrates der FDJ, 1950–1954 Kandidat des ZK der SED  S. 272 Battle, Laurie Calvin (1912–2000), US-amerikanischer Jurist und Politiker, 1947– 1955 Kongressabgeordneter der Demokratischen Partei  S. 311, 536 Bebenin, N. L., 1953 Leiter der USIG  S. 503–504, 506 Becher, Johannes Robert (1891–1958), Schriftsteller, seit 1919 KPD, 1933–1945 im Exil (seit 1935 in der UdSSR), seit 1946 Mitglied des Parteivorstands, seit 1950 des

696 Anhang ZK der SED, seit 1950 außerdem Abgeordneter der Volkskammer und Mitglied der Deutschen Akademie der Künste, 1953–1956 deren Präsident  S. 272, 372–373 Bechler, Bernhard (1911–2002), 1931 Eintritt in die Reichswehr, seit 1934 Offizier der Wehrmacht (zuletzt Major), 1943–1945 sowjetische Kriegsgefangenschaft, Mitglied des NKFD, seit 1945 KPD bzw. SED, 1946–1949 Minister des Innern in Brandenburg, 1949–1950 militärischer Sonderlehrgang in der UdSSR (Privol’sk), 1950–1952 Chef des Stabes der HV Ausbildung, Chefinspekteur, seit 1952 Generalmajor der KVP, 1952–1955 stellvertretender Chef des Hauptstabs der KVP  S. 607 Becker, Walther (1894–1973), seit 1921 im Auswärtigen Dienst, 1928–1937 Handelssachverständiger bzw. (seit 1934) Handelsattaché in New York, seit 1935 ­NSDAP, 1937–1939 und 1942–1943 Handelspolitische Abteilung des AA, 1943– 1945 Botschaftsrat in Madrid, seit 1951 erneut im Auswärtigen Dienst, 1951–1952 kommissarischer Leiter der Abteilung 4 (Handelspolitik)  Dok. 70 Beling, Walter (1899–1988), seit 1924 KPD, seit 1928 ZK der KPD, 1933–1936 inhaftiert, seit 1936 Exil in Frankreich, 1939–1940 und 1941–1942 dort inhaftiert, 1945 Rückkehr nach Deutschland, 1947–1950 Mitglied des Parteivorstands der SED, Leiter der Abteilung Finanzen und der Abteilung Verwaltung der Parteibetriebe im ZK der SED, 1950 Mitglied des Aufsichtsrats der DEFA, im gleichen Jahr aller Ämter enthoben, 1951–1955 Tätigkeiten im VEB Kranbau Eberswalde  S. 34 Benediktov, Ivan Aleksandrovič (1902–1983), 1938–1943 Volkskommissar für Landwirtschaft, seit 1946 erneut Minister für Landwirtschaft der UdSSR, 1952– 1971 Mitglied des ZK der KPdSU, 1953 kurzzeitig Botschafter in Indien  S. 621 Benediktow, vgl. Benediktov Berk, Lambertus van den, Korrespondent des Amsterdamer Volkskrant in Berlin, zugleich Tätigkeit für den niederländischen Geheimdienst und den UFJ  S. 272– 273 Berner, Helene (1904–1992), seit 1949 Leiterin der Abteilung Schulung im MfAA, seit 1952 persönliche Referentin Dertingers, den sie im Auftrag des MfS überwachte  S. 267, 518 Bertsch, Heinrich (1897–1981), Chemiker, 1932 Erfinder des ersten synthetischen Vollwaschmittels, seit 1941 Vorstandsmitglied des Henkel-Konzerns, seit 1945 KPD bzw. SED, seit 1949 Leiter der HV Chemie der DWK, seit 1950 des Ministeriums für Industrie der DDR, zugleich nebenamtlicher Professor für chemische Technologie der Humboldt-Universität zu Berlin  S. 508–509 Beščev, Boris Pavlovič (1903–1981), Eisenbahningenieur, 1948–1977 Minister für Verkehrswesen der UdSSR  S. 465 Beschtschew, vgl. Beščev Bevin, Ernest (1881–1951), britischer Gewerkschafter und Politiker, 1940–1945 Minister für Arbeit und Wehrdienst im Kriegskabinett Churchills, 1945–1951 Außenminister von Großbritannien  S. 9, 246 Binz, Alfred (1912–?), seit 1946 SED, 1948–1949 stellvertretender Leiter der HV Materialversorgung der DWK, seit 1950 Leiter des Staatssekretariats für Materialversorgung, seit 1952 Leiter der Staatlichen Verwaltung für Materialversorgung der SPK  S. 125, 649

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Bismarck, Otto Fürst von (1815–1898), 1859–1862 preußischer Gesandter in St. Petersburg, 1862 in Paris, seit 1962 preußischer Ministerpräsident und Minister des Auswärtigen, 1867–1871 Kanzler des Norddeutschen Bundes, 1870–1890 Reichskanzler des Deutschen Reiches  S. 440 Blank, Theodor (1905–1972), 1930–1933 Sekretär im Zentralverband Christlicher Fabrik- und Transportarbeiter, 1939–1945 Kriegsdienst als Oberleutnant einer Panzerjägereinheit, dann Kriegsgefangenschaft, seit 1945 CDU und DGB, 1948–1950 Vorstandsmitglied der IG Bergbau, 1949–1972 MdB, 1950–1955 Beauftragter des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen  S. 231, 259 Blankenhorn, Herbert (1904–1991), seit 1929 im Auswärtigen Dienst, seit 1938 NSDAP, 1932–1935 Mitarbeiter der Gesandtschaft in Athen, 1935–1939 der Botschaft in Washington, 1939–1940 der Gesandtschaft in Helsinki, 1940–1943 Gesandtschaftsrat in Bern, 1943–1945 Legationsrat 1. Klasse und Leiter der Protokollabteilung des Auswärtigen Amtes, 1948–1949 Generalsekretär der CDU in der britischen Zone, persönlicher Referent Adenauers, 1949–1950 Ministerialdirigent und Leiter der Verbindungsstelle zur AHK im Bundeskanzleramt, 1950–1951 Ministe­ rialdirektor und Leiter der Politischen Abteilung der Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten, 1951–1955 Leiter der Politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes  Dok. 61, 67, 68, S. 202, 224, 229, 283, 404, 489, 518, 556, 569, 588–590, 641 Blesch, Josephine (1886–1981), zeitweilig Privatsekretärin des Reichskanzlers a. D. Wirth, 1929–1930 Pressereferentin im Ministerium für die besetzten Gebiete, 1930–1937 Wissenschaftliche Hilfsarbeiterin im Auswärtigen Amt, 1940–1941 Mitarbeiterin der Informationsabteilung, 1941 der Archivkommission des Auswärtigen Amtes, 1941–1943 und 1944 erneut Wissenschaftliche Hilfsarbeiterin  S. 642 Bloch, Peter (1900–1984), Verlagsinhaber, seit 1945 CDU, 1946–1950 MdL Brandenburg, 1947–1950 stellvertretender Vorsitzender des CDU-Landesverbandes Brandenburg, 1950 Flucht nach West-Berlin  S. 100–101 Blötz, Ferdinand Eduard Carl August (1901–1967), 1924–1967 Landgerichtsdirektor in Hamburg, 1949–1961 Präsident der Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands  S. 262–263 Blücher, Franz (1896–1959), 1935–1938 Leiter der Vermögensverwaltung der Hochtief AG in Essen, 1938 Prokurist des Bankhauses J. H. Vogeler in Düsseldorf, 1943–1946 Direktor der National-Bank in Essen, 1945 Mitbegründer, seit 1946 Vorsitzender der FDP in der britischen Besatzungszone, 1949–1954 Bundesvorsitzender der FDP, 1949–1953 Bundesminister für die Angelegenheiten des Marshallplans, 1949–1957 Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland  Dok.  126, S. 62, 181–183, 189–190, 494, 589, 608 Bodensteiner, Hans (1912–1995), 1939 juristisches, 1940 volkswirtschaftliches Staatsexamen, seit 1941 Angehöriger der Wehrmacht, 1944–1945 in Untersuchungshaft, seit 1945 CSU, 1949–1952 MdB, 1952 Austritt aus der CSU, Mitbegründer und 1952–1953 Generalsekretär der GVP  S. 597–598 Böhler, Wilhelm (1891–1958), 1915 Priesterweihe, seit 1945 Domkapitular und kirchenpolitischer Berater des Kölner Erzbischofs, seit 1948 Päpstlicher Hausprälat, 1948–1949 Mitglied des Parlamentarischen Rates, seit 1949 Beauftragter des Vorsitzenden der Fuldaer Bischofskonferenz bei der Bundesregierung in Bonn, seit 1952 Apostolischer Pronotar  S. 427

698 Anhang Böker, Alexander (1912–1997), 1938 Emigration in die USA, Repatriierung 1948, seit 1949 Mitarbeiter der Verbindungsstelle zur AHK im Bundeskanzleramt, 1950– 1951 Mitarbeiter der Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten, 1951 der Politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes, Leiter des Referats Vereinte Nationen, seit 1951 Mitarbeiter an der Vertretung in Paris  S. 283, 305 Boes, Wilhelm, SED, seit 1948 stellvertretender Leiter der HV Finanzen der DWK, seit 1949 Vizepräsident der Deutschen Notenbank, bis 1955 Leiter der Abteilung Kredite und Auskünfte der Deutschen Notenbank  S. 97–98 Bogatov, Valentin Nikanorovič (1909–1980), Bergbauingenieur, seit 1950 stellvertretender Generaldirektor, 1951–1957 Generaldirektor der SAG Wismut  S. 364, 500 Bogomolov, Aleksandr Jakovlevič (1922–2001), 1951–1953 leitender Dolmetscher im Sekretariat des Vorsitzenden der SKK  Dok. 75, 77, 79, 81, 83, 90, 96, 98, 115, S. 499 Bohlmann, Helmut, 1951 Gründer und bis 1964 Leiter des Informationsbüros West  S. 573 Boldizsár, Iván (1912–1988), Journalist und Schriftsteller, 1947–1950 Staatssekretär im Außenministerium der VR Ungarn  S. 121 Bolz, Lothar (1903–1986), Jurist, seit 1929 KPD, 1933 Ausschluss aus der schlesischen Anwaltskammer und Emigration, 1934–1947 Exil in der UdSSR, 1948–1972 Vorsitzender der NDPD, 1949–1953 Minister für Aufbau, 1950–1967 stellvertretender Ministerpräsident, 1953–1965 Außenminister der DDR  S. 10–11, 89, 330, 418, 485, 502 Boris (Vik, Boris Ivanovič) (1906–1965), seit 1950 Bischof der Russisch-orthodoxen Kirche von Berlin und Deutschland, seit 1951 Erzbischof und zeitweiliger Bevollmächtigter für die Aufgaben des Exarchs des Moskauer Patriarchats in Westeuropa  S. 371 Borufka, Helmut (1918–2003), 1937–1938 Angehöriger der tschechoslowakischen Armee, 1939–1943 der Wehrmacht (Leutnant), 1943–1949 sowjetische Kriegsgefangenschaft, seit 1943 NKFD, seit 1949 SED, 1949–1951 Leiter der 1. Abteilung des Stabes der HV Ausbildung, 1951–1952 militärischer Sonderlehrgang in der UdSSR (Privol’sk), seit 1952 Generalmajor der KVP, Chef der Verwaltung Ausbildung und Inspekteur der KVP im MdI  S. 607 Bourne, Geoffrey Kemp (1902–1982), Generalmajor, 1949–1951 Kommandant des britischen Sektors von Berlin  S. 131 Bradley, Omar (1893–1981), US-amerikanischer General, führte bei der Landung in der Normandie 1944 die 1. US-Armee, 1948–1949 Generalstabschef, 1949–1950 Vorsitzender des Vereinigten Generalstabs, 1950–1953 Vorsitzender des NATO-­ Komitees  S. 293 Brandler, Heinrich (1881–1967), seit 1901 SPD, 1915 Ausschluss aus der SPD, 1917 Mitbegründer der Spartakusgruppe, 1921 Mitvorsitzender der KPD, Verhaftung und Flucht in die UdSSR, 1922 Rückkehr nach Deutschland, 1924–1928 erneut in der UdSSR, 1929 Ausschluss aus der KPdSU, 1933 Emigration nach Frankreich, 1941 nach Kuba, 1947 nach Großbritannien, 1949 Rückkehr nach Hamburg, dort Mitarbeiter und Mitorganisator der „Gruppe Arbeiterpolitik“  S. 480

Personenregister

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Brandt, Helmut (1911–1998), Jurist, seit 1931 Sekretär der Reichstagsfraktion der DVP, seit 1937 Syndikus der Deutschen Bank, 1939–1945 Angehöriger der Wehrmacht, 1945 Mitbegründer der CDU in Berlin, 1949–1950 Abgeordneter der Provisorischen Volkskammer und Staatssekretär im Justizministerium der DDR, 1950 nach Vorbereitung einer Regierungsvorlage zur Revision der Waldheimer Urteile verhaftet, 1950–1964 inhaftiert  S. 642 Braun, Walter (1892–1973), evangelischer Geistlicher, 1926–1947 Inspektor der Berliner Missionsgesellschaft, seit 1947 Generalsuperintendent der Kurmark in Potsdam  S. 113 Brecht, Bertolt (1898–1956), Dramatiker, seit 1924 Dramaturg am Deutschen Theater, seit 1933 Exil in Österreich, Dänemark, Schweden, Finnland, 1941 Übersiedlung in die USA, 1949 Übersiedlung nach Ost-Berlin und Gründung des Berliner Ensembles, 1950–1954 Vizepräsident der DAK, 1951 Nationalpreis der DDR  S. 217 Brentano di Tremezzo, Heinrich von (1904–1964), seit 1932 Rechtsanwalt, seit 1943 Staatsanwalt, 1945 Mitbegründer der CDU, 1949–1964 MdB, bis 1955 Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion, 1950–1955 Vizepräsident der Beratenden Versammlung des Europarates  S. 232, 276, 524, 525, 569, 619 Broich-Oppert, Georg von (1897–1979), Politiker und Diplomat, seit 1925 im Auswärtigen Dienst, 1935 Versetzung in den Ruhestand, 1939–1945 Sachbearbeiter, dann Abteilungsleiter in der Zentralverwaltung der I. G.-Farbenindustrie in Berlin, seit 1945 CDU, 1946–1950 Mitglied der Berliner Stadtverordnetenversammlung, 1949–1951 Chef der Stadtkanzlei von Groß-Berlin, 1951 Chef der Senatskanzlei von Berlin, 1951–1956 Gesandter der Bundesrepublik Deutschland in Norwegen (Oslo)  Dok. 113, S. 275 Brüning, Heinrich (1885–1970), seit 1919 Zentrumspartei, 1924–1933 Reichstagsabgeordneter, 1930–1932 Reichskanzler, 1934 Emigration in die USA, 1937–1951 Professor für Politische Wissenschaften an der Harvard-Universität, seit 1951 an der Universität Köln  S. 211 Brunotte, Heinz (1896–1984), seit 1927 Pfarrer in Hoyershausen, 1936–1946 Oberkonsistorialrat der Deutschen Evangelischen Kirchenkanzlei in Berlin (seit 1944 in Stolberg), seit 1946 Oberlandeskirchenrat in Hannover, 1949–1963 Präsident des Lutherischen Kirchenamts der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, 1949–1965 Präsident der Kirchenkanzlei der EKD  S. 262–263 Bruns, Gerhard (1889–?), Vorstandsmitglied der Hüttenwerke Oberhausen AG und Vorsitzender der Gruppe Walzstahl der Wirtschaftsvereinigung der Eisen- und Stahlindustrie Düsseldorf  Dok. 121 Bruschke, Werner (1898–1995), seit 1916 Mitglied der SPD, 1942–1945 inhaftiert in Dachau und Sachsenhausen, 1946–1948 Finanzminister, 1949–1952 Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, 1950–1954 Mitglied des ZK der SED  S. 111 Brust, Werner (1925–1951), 1942–1945 Dienst in der Kriegsmarine, nach dem Krieg Kommissar der Kriminalpolizei in Stendal, SED, 1950 verhaftet, 1951 wegen angeblicher Spionage durch ein SMT zum Tode verurteilt und in Moskau erschossen  S. 251 Buber-Neumann, Margarete (1901–1989), seit 1926 KPD, 1933–1935 Exil in Spanien, Schweiz, Saargebiet, Frankreich, 1935–1940 Exil in der UdSSR, 1938 in

700 Anhang Moskau verhaftet und zu 10 Jahren Lagerhaft verurteilt, 1940 Auslieferung an Deutschland, 1940–1945 KZ Ravensbrück, 1945 Flucht nach Stockholm, 1950 Rückkehr nach Frankfurt am Main, Mitbegründerin des Befreiungskomitees für die Opfer totalitärer Willkür, 1951 Mitbegründerin des Instituts für politische Erziehung, Herausgeberin von Die Aktion und freischaffende Publizistin  S. 185, 574 Bubner*, Vater von Ilse-Ruth Bubner  S. 185 Bubner, Ilse-Ruth (1913–1995), seit 1936 Exil in Schweden, Frankreich, England und Finnland, 1939 Zwangsdienstverpflichtung durch die Wehrmacht, dort bis 1944 tätig als Arztschreiberin in Lazaretten, 1944–1945 sowjetische Kriegsgefangenschaft, seit 1945 CDU, 1948–1951 Referentin für Frauen- und Jugendfragen beim Hauptvorstand der (Ost-)CDU, dort seit 1950 Leiterin des Sekretariates West, seit 1949 Mitglied des Zentralrates der FDJ, 1953 zusammen mit Dertinger verhaftet  S. 185, 644 Bucerius, Gerd (1906–1995), bis 1945 Tätigkeit als Rechtsanwalt, 1946 Mitbegründer der Zeit, seit 1946 CDU, Bausenator in Hamburg, 1949–1962 MdB, Vorsitzender des Ausschusses für Berlin, 1952–1957 Bundesbeauftragter für die Förderung der Berliner Wirtschaft  S. 569 Budennyj, Semen Michajlovič (1883–1973), Marschall der Sowjetunion, 1939–1952 Mitglied des ZK der VKP (b), 1940–1942 1. Stellvertreter des Volkskommissars für Verteidigung der UdSSR, 1943–1953 Kommandeur der Kavallerie der sowjetischen Streitkräfte, 1947–1953 Stellvertreter des Ministers für Landwirtschaft der UdSSR im Bereich Pferdezucht, 1953–1954 Inspekteur der Kavallerie der sowjetischen Streitkräfte  S. 4 Budjonnyj, vgl. Budennyj Budo, Halim, 1952–1953 Gesandter der VR Albanien in der DDR  S. 520 Bürger, Kurt (Karl Ganz) (1894–1951), seit 1919 KPD, Teilnahme an der Bayerischen Räterepublik, in der Weimarer Republik mehrfach in Haft, 1929–1933 Mitglied des ZK der KPD, 1933 Pseudonym Kurt Bürger und Emigration in die UdSSR, 1936–1937 Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg, 1945 Rückkehr nach Deutschland, seit 1946 im Parteivorstand bzw. im ZK der SED, seit 1948 Vorsitzender bzw. 1. Sekretär der SED in Mecklenburg, im Juli 1951 Ministerpräsident von Mecklenburg  S. 355 Büttner*, Landwirt in Friedrichsaue, Kreis Seelow  S. 625 Bulganin, Nikolaj Aleksandrovič (1895–1975), Marschall der Sowjetunion, 1947– 1949 Volkskommissar bzw. Minister für Verteidigung und Stellvertreter des Vorsitzenden des Rats der Volkskommissare bzw. des Ministerrats der UdSSR, 1948– 1958 Mitglied des Politbüros des ZK der VKP (b) bzw. des Präsidiums des ZK der KPdSU, 1950–1955 1. Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrats, 1953–1955 erneut Verteidigungsminister der UdSSR  S. 271, 463, 530 Burianek, Johann (1913–1952), Mitglied der KgU, 1952 verhaftet wegen der geplanten Sprengung einer Eisenbahnbrücke in Erkner, 1952 Schauprozess mit Todesurteil  S. 573, 576 Burmeister, Fritz (1888–1968), seit 1939 Oberpostinspektor, seit 1945 CDU, 1946– 1949 Minister für Arbeit und Sozialwesen in Mecklenburg, 1949–1963 Minister für Post und Fernmeldewesen der DDR  S. 4, 388, 577

Personenregister701 Buschmann*, W., Konstrukteur der Bleichert-Werke, wechselte 1952 zum Kon­ struktionsbüro der ABUS  S. 505 Busse*, Mitglied im „Führungsgremium“ des MfAA  S. 518 Butkov*, Mitarbeiter der SKK  S. 66 Bykov, Georgij Stepanovič (1908–?), seit 1931 beim Gosplan der UdSSR tätig, 1947–1950 Beauftragter des Gosplan für Deutschland, 1950–1952 stellvertretender Vorsitzender der SKK für Wirtschaftsfragen  Dok. 36, S. 535 Čebotarev, Georgij Evgen’evič (1911–?), 1941 und 1943–1944 Mitarbeiter des zentralen Apparates des NKID, 1945–1947 der Botschaft der UdSSR in der ČSR, seit 1951 Rat der diplomatischen Mission der UdSSR in der DDR  Dok. 88, S. 378–379 Čekin, Igor’ Vjačeslavovič (1908–1970), Drehbuchautor, Mitarbeiter des Mosfil’­mStudios, seit 1950 Mitglied des „künstlerischen Beirats“ der DEFA  S. 355 Černjak, Mefodij Kuz’mič (1904–?), seit 1947 Leiter der Abteilung für Außenhandel der SMAD, später Leiter der Abteilung für Materialbilanzen und Handel der SKK  S. 198–199 Charlamov*, Übersetzer der SKK  S. 646 Chomiakow, vgl. Chomjakov Chomjakov, B. A., seit 1949 Leiter der Planungsökonomischen Verwaltung bzw. der Abteilung für Wirtschaftsfragen der SKK  S. 66, 69 Chruščev, Nikita Sergeevič (1894–1971), seit 1934 Mitglied des ZK, seit 1939 des Politbüros des ZK der VKP (b) bzw. KPdSU, 1944–1949 Vorsitzender des Rats der Volkskommissare bzw. des Ministerrats der Ukrainischen SSR, 1949–1953 Sekretär des ZK der KPdSU, seit 1953 1. Sekretär des ZK der KPdSU  S. 429 Churchill, Sir Winston Leonard Spencer (1874–1965), 1940–1945 und erneut 1951–1955 britischer Premierminister, 1945–1951 Oppositionsführer im britischen Unterhaus  S. 321, 592 Chwalek, Roman (1898–1978), seit 1920 KPD, 1930–1933 Reichstagsabgeordneter, 1933–1939 inhaftiert, zuletzt im KZ Sachsenhausen, 1939–1945 Tätigkeit als Schlosser in Berlin, 1946–1955 Mitglied des Bundesvorstands des FDGB, 1949– 1950 Vorsitzender des Zentralvorstands der IG Eisenbahn, 1949–1954 Abgeordneter der (Provisorischen) Volkskammer, 1950–1953 Minister für Arbeit, 1953–1954 Minister für Eisenbahnwesen der DDR  S. 364, 488 Čičerin, Georgij Vasil’evič (1872–1936), 1918–1930 Volkskommissar für auswärtige Angelegenheiten der RSFSR bzw. der UdSSR, 1925–1930 Mitglied des ZK der VKP (b)  S. 424, 431 Clay, Lucius Dubignon (1897–1978), General, 1945–1947 Stellvertreter des Militärgouverneurs, 1947–1949 Militärgouverneur der amerikanischen Besatzungszone in Deutschland und Befehlshaber der US-Landstreitkräfte in Europa, 1948 Initiator der Luftbrücke nach West-Berlin, 1950–1951 Vorsitzender des zivilen Verteidigungsausschusses des Staates New York, seit 1950 Vorstandsvorsitzender der Firma Continental Can  S. 381 Clementis, Vladimír (1902–1952), 1942–1945 Mitglied der tschechoslowakischen Exilregierung in London, 1945–1948 Staatssekretär im Außenministerium der ČSR, 1948–1950 Außenminister der ČSR, 1949–1951 Mitglied des ZK der KSČ, 1951 Verhaftung, 1952 Todesurteil und Hinrichtung, 1963 rehabilitiert  S. 515

702 Anhang Collein, Edmund (1906–1992), Architekt, 1925–1927 Studium u. a. am Bauhaus Dessau, 1939–1945 Angehöriger der Wehrmacht, 1948–1951 Leiter für Hochbau im Hauptamt für Bau- und Wohnungswesen des Magistrats von Groß-Berlin, seit 1951 Vizepräsident der Deutschen Bauakademie  S. 11 Cox, T. H., Leiter des britischen Sekretariats der JEIA in Frankfurt am Main  S. 195 Čujkov, Vasilij Ivanovič (1900–1982), Armeegeneral, 1942–1943 Oberbefehlshaber der 62. Armee in Stalingrad, 1943–1945 der 8. Garde-Armee, 1945–1946 Chef der SMA Thüringen, 1949 Oberster Chef der SMAD, 1949–1953 Vorsitzender der SKK und Oberbefehlshaber der Gruppe der sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland  Dok. 13, 14, 17, 18, 19, 21, 25, 27, 31, 43, 47, 55, 79, 81, 83, 86, 87, 90, 96, 98, 115, 119, 120, 137, S. 7–8, 26, 80–81, 145–147, 159, 161, 187–188, 190–191, 196, 233, 249–250, 260–261, 308–309, 340, 356, 376, 378, 419–422, 484–487, 491, 499–500, 507, 509, 530–531, 533, 535, 537–538, 542, 547, 553, 578–579, 619, 637–640 Dahlem, Franz (1892–1981), seit 1913 SPD, seit 1920 KPD, 1933 Emigration nach Frankreich, dort Mitglied der KPD-Leitung und 1938–1939 Vorsitzender des Sekretariats des ZK der KPD, 1936–1938 Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg, 1939– 1942 in Frankreich interniert, 1942–1945 Gestapohaft, dann Haft im KZ Mauthausen, seit 1945 Mitglied des Parteivorstands bzw. des ZK der KPD bzw. SED, seit 1950 des Politbüros des ZK der SED, 1949–1951 Leiter der Westkommission im ZK der SED, 1949–1953 Abgeordneter der (Provisorischen) Volkskammer, 1953 Ausschluss aus dem ZK und Entbindung von allen Partei- und Staatsämtern  S. 178, 259, 304, 423–424, 458, 566 Dawes, Charles Gates (1865–1951), 1924 Vorsitzender der alliierten Sachverständigenkommission, Entwurf der Leitlinien des nach ihm benannten Dawes-Plans zur Regelung der deutschen Reparationsschulden, 1925 Friedensnobelpreis gemeinsam mit dem britischen Außenminister Joseph Chamberlain, 1925–1929 Vizepräsident der USA, 1929–1932 Botschafter der USA in Großbritannien  S. 423, 616, 618 De Gasperi, Alcide (1881–1954), 1919 Mitbegründer des Partito Populare Italiano, 1927–1928 Haftstrafe, 1944 Außenminister Italiens, 1945–1946 und erneut 1947– 1953 Ministerpräsident Italiens  S. 619–620 Dedek, Magnus (1917–1955), bis 1939 Apotheker, 1939–1944 Angehöriger der Wehrmacht, 1944–1946 britische Kriegsgefangenschaft, seit 1946 CDU, 1947– 1949 Bürgermeister von Schwarzenberg, 1950 stellvertretender Landrat von Aue und kurzzeitig 2. Bürgermeister von Chemnitz, seit 1950 Mitglied des Nationalrats der Nationalen Front, Abgeordneter der Volkskammer und des Sächsischen Landtags und stellvertretender Vorsitzender des CDU-Landesverbandes Sachsen, 1950– 1952 Präsident des Landesverwaltungsgerichts in Sachsen und Vorsitzender des CDU-Landesverbands Sachsen, 1952–1955 stellvertretender Vorsitzender des Rats des Bezirks Dresden  S. 83 Dehler, Thomas (1897–1967), seit 1920 DDP, seit 1924 Rechtsanwalt, 1938 und 1944 zeitweilig in Haft, 1946–1956 Vorsitzender des FDP-Landesverbandes Bayern, 1948–1949 Mitglied des Parlamentarischen Rates, 1949–1967 MdB, 1949– 1953 Bundesminister der Justiz  S. 220, 494 Den’gin, Sergej Alekseevič, Generalmajor, seit 1950 als Nachfolger von Kotikov Vertreter der SKK in Berlin  S. 163

Personenregister703 Dertinger, Georg (1902–1968), Journalist und Politiker, seit 1934 Mitarbeiter, seit 1938 Herausgeber der Korrespondenz „Dienst aus Deutschland“, 1935 Heirat mit Maria Freiin von Neuenstein-Rodeck, seit 1945 CDU, 1946–1949 Generalsekretär der CDU in der SBZ, 1949–1953 Außenminister der DDR, Abgeordneter der (Provisorischen) Volkskammer, Mitglied des Politischen Ausschusses des CDU-Hauptvorstandes, seit 1952 stellvertretender Vorsitzender der CDU, 1953 verhaftet, 1954 zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt  Dok. 2, 8, 10, 20, 28, 35, 48, 50, 53, 57, 64, 84, 85, 88, 105, 106, 113, 123, 129, 135, 136, S. 10–12, 14, 21, 50, 57, 65, 75, 100– 101, 122–123, 130, 161, 184–186, 232–233, 243–245, 264, 272–273, 275, 307, 336, 361, 377–379, 577, 603 Dertinger, Maria Oktavie Karolina (1904–2004), geb. Freiin von Neuenstein-Rodeck, Architektin, seit 1935 mit Georg Dertinger verheiratet, 1953 gleichzeitig mit diesem verhaftet, 1954 zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt  S. 185–186, 521, 556– 557, 642–644 Dertinger, Oktavie (geb. 1939), Tochter Georg und Maria Dertingers, nach dessen Verhaftung 1953 in den Jugendwerkhof Bräunsdorf eingeliefert  S. 186 Dertinger, Rudolf (geb. 1937), Sohn Georg und Maria Dertingers, nach dessen Verhaftung 1953 in den Jugendwerkhof Bräunsdorf eingeliefert, zu drei Jahren Haft verurteilt  S. 186 Dibelius, Otto (1880–1967), seit 1919 DNVP, 1925–1933 Generalsuperintendent der Kurmark, 1933 in den vorzeitigen Ruhestand versetzt, seit 1934 Bekennende Kirche (Berlin-Brandenburgischer Bruderrat), seit 1937 Mitglied des Kirchenrats der Altpreußischen Union, mehrmals verhaftet, seit 1945 CDU, 1945–1966 evangelischer Bischof von Berlin-Brandenburg, Vorsitzender der Ostkirchenkonferenz, 1945–1951 Präsident des Evangelischen Oberkirchenrats in Berlin, 1949–1961 Vorsitzender des Rats der EKD  Dok. 65, 94, S. 96–97, 112–113, 136–141, 263–264, 305, 346, 427, 607 Dieckmann, Johannes (1893–1969), seit 1918 DVP, 1929–1933 Landtagsabgeordneter in Sachsen, 1939–1941 Angehöriger der Wehrmacht, 1941–1945 Geschäftsleiter des Oberschlesischen Steinkohlensyndikats, seit 1945 LDP bzw. LDPD, 1948– 1950 Justizminister und stellvertretender Ministerpräsident in Sachsen, 1949–1969 Präsident der (Provisorischen) Volkskammer und stellvertretender Vorsitzender der LDPD, 1949 Mitbegründer der DSF  Dok. 55, S. 4, 7, 91, 259, 308, 367, 423, 619 Dilßner, Gerhard (1920–1951), seit 1939 NSDAP, 1940–1945 Angehöriger der Wehrmacht, nach dem Krieg Sachbearbeiter bei der Bauabteilung der Leipziger Stadtverwaltung, 1950 verhaftet und wegen angeblicher Spionage durch ein SMT zum Tode verurteilt, 1951 in Moskau erschossen  S. 250 Dittmann, Herbert (1904–1965), Diplomat, 1929 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, 1933–1936 Legationssekretär an der Deutschen Botschaft in Moskau, 1936–1939 stellvertretender Konsul in Jerusalem, 1940–1941 Gesandtschaftsrat in Teheran, 1943–1944 Generalkonsul in Izmir, 1944–1946 in Kriegsgefangenschaft, 1946– 1948 Richter am Landgericht Dortmund, 1949 Dienstantritt im Bundeskanzleramt, stellvertretende Leitung der Verbindungsstelle zur Alliierten Hohen Kommission (später Abt. II), seit 1951 kommissarische Leitung der Abt. I (Personal und Verwaltung), seit 1953 Generalkonsul in Hongkong  S. 305 Dölling, Rudolf (1902–1975), seit 1923 KSČ, 1935–1939 Abgeordneter im tschechoslowakischen Parlament, 1939 Emigration in die UdSSR, 1945 Rückkehr in die

704 Anhang ČSR, seit 1946 in der SBZ, Eintritt in die SED, seit 1949 stellvertretender Chef der HV Ausbildung und dort Leiter der HA Politkultur, Chefinspekteur in der HV Ausbildung im MdI, 1952–1955 stellvertretender Chef der KVP  S. 607 Dorofeev, S. I., Attaché der Dritten Europäischen Abteilung des MID  S. 56, 80, 164, 446 Du Mont, Karl (1884–1961), 1919–1938 und 1939–1944 im Auswärtigen Dienst, zuletzt Vortragender Legationsrat in der Wirtschaftspolitischen Abteilung, 1950–1951 Generalkonsul I. Klasse und Leiter des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschland in Amsterdam, 1951–1953 Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Den Haag  Dok. 67 Dubrovskij, Dmitrij Georgevič (1904–1963), Generalleutnant, 1947–1949 Leiter der Verwaltung der SMA Sachsen, 1949–1950 Vertreter der SKK in Sachsen, 1950– 1955 Mitglied des Kriegsrats und Stellvertreter des Befehlshabers des Militärbezirks Weißrussland  S. 66 Dudow, Slatan (1903–1963), Regisseur und Schriftsteller, 1933 Emigration nach Frankreich, anschließend in die Schweiz, 1948 Rückkehr nach Deutschland, Regisseur der DEFA  S. 272 Dymov*, Oberstleutnant, Sekretär der SKK  Dok. 13 Ebert, Friedrich (1871–1925), seit 1913 Vorsitzender der SPD, 1919–1925 deutscher Reichspräsident  S. 56, 65–66 Ebert, Friedrich (jun.) (1894–1979), seit 1913 SPD, 1928–1933 Reichstagsabge­ ordneter, 1933 KZ-Haft, 1939–1940 Angehöriger der Wehrmacht, 1940–1945 dienstverpflichtet im Reichsverlagsamt, 1945–1946 Landesvorsitzender der SPD in ­Brandenburg, seit 1946 Mitglied des Parteivorstands bzw. des ZK, seit 1947 des Zentralsekretariates, seit 1949 des Politbüros des ZK der SED, 1948–1967 Oberbürgermeister von Berlin (Ost), 1950–1958 Präsident der DSF  S. 53, 56, 65–66, 180, 275, 368–369, 418–419, 423, 458 Eckardt, Felix von (1903–1979), Journalist und Diplomat, 1929–1933 Presseattaché der deutschen Gesandtschaft in Brüssel, 1933–1945 Filmautor und Pferdezüchter, 1945–1951 Chefredakteur des Weser-Kurier, 1952–1955 Leiter des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung  Dok. 126 Edel, Kurt (1920–1987), Leichtathlet und Sportfunktionär, 1946 Deutscher Meister in 400m und 4 x 400m, seit 1947 Polizei Brandenburg bzw. VP Potsdam, 1951– 1955 Präsident des Nationalen Olympischen Komitees der DDR  S. 345 Eden, Robert Anthony (1897–1977), 1935–1938, 1940–1945 und 1951–1955 Außenminister von Großbritannien, 1945–1951 stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Konservativen Partei im britischen Unterhaus  S. 592 Eggerath, Werner (1900–1977), seit 1924 KPD, 1935–1945 inhaftiert, 1946–1947 SED-Landesvorsitzender in Thüringen, 1947–1952 Ministerpräsident von Thüringen, 1949–1954 Abgeordneter der (Provisorischen) Volkskammer, 1952–1954 Staatssekretär beim Ministerpräsidenten der DDR und Leiter der Koordinierungsund Kontrollstelle für die örtlichen Organe  S. 4, 110–111, 477–478, 543, 577 Ehard, Hans (1887–1980), seit 1919 BVP, bis 1933 Ministerialrat im bayerischen Justizministerium, 1933–1945 Senatspräsident am Oberlandesgericht München, seit 1945 CSU, 1945–1946 Staatssekretär im bayerischen Justizministerium, 1946–1954 Ministerpräsident von Bayern, 1950–1951 Präsident des Bundesrates, 1949–1955 Landesvorsitzender der CSU  S. 596, 599

Personenregister705 Ehlers, Hermann (1904–1954), Jurist, seit 1934 Bekennende Kirche, 1935–1937 Leiter des Bruderrates der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union, 1937 kurzzeitig inhaftiert, 1937–1939 Gerichtsassessor und Hilfsrichter beim Landgericht Berlin, 1940–1945 Angehöriger der Wehrmacht, 1945 Oberkirchenrat der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Oldenburg, seit 1946 CDU, 1949–1954 MdB, 1950–1954 Bundestagspräsident  Dok. 65, 128, S. 459, 622 Eisler, Gerhart (1897–1968), seit 1918 KPD, 1933–1935 Vertreter der Komintern in den USA, danach Mitglied der KPD-Auslandsleitung in Prag und Paris, 1936–1937 Aufenthalt in Spanien, 1937–1941 in Frankreich, dort seit 1939 interniert, 1941– 1949 Exil in den USA, 1949–1952 Leiter des Amts für Information der DDR, danach zeitweilig Funktionsverbot, 1953–1955 freischaffender Journalist  S. 116, 604 Eisler, Hanns (1898–1962), Komponist, 1933 Emigration, Aufenthalte in verschiedenen Ländern, seit 1938 Tätigkeit als Filmkomponist in New York und Los Angeles, 1948 Ausweisung aus den USA, seit 1950 Professor am Staatlichen Konservatorium in Ost-Berlin, Gründungsmitglied der DAK  S. 272 Eličev, Aleksej Ivanovič (1907–1959), 1947–1949 Leiter der Kaderabteilung der SMAD  S. 66 Elizarov, Aleksej Ivanovič (1906–?), 1945–1946 Stellvertreter für politische Fragen des Militärkommandanten und Leiter der Politischen Abteilung der Verwaltung der Militärkommandantur des sowjetischen Sektors von Berlin, 1946–1950 Stellvertreter für die Interalliierte Kommandantur des Militärkommandanten des sowjetischen Sektors von Berlin, 1950 zeitweise Vertreter der SKK in Berlin  S. 131, 147, 163 Engels, Friedrich (1820–1895), Unternehmer, Journalist und Publizist, Ko-Autor von Karl Marx und Herausgeber von dessen Schriften  S. 555 Erdmann, Horst (Deckname: Dr. Theo Friedenau) (1919–nach 1993), 1949–1958 Leiter des UFJ  S. 556, 572–573 Ėrenburg, Il’ja Grigor’evič (1891–1967), Schriftsteller und Journalist, seit 1950 Vizepräsident des Weltfriedensrates  S. 163 Erhard, Ludwig Wilhelm (1897–1977), 1928–1942 Mitarbeiter, zuletzt Stellvertreter des Leiters am Institut für Wirtschaftsbeobachtung der deutschen Fertigware in Nürnberg, 1942–1945 Gründer und Leiter des Instituts für Industrieforschung, 1945–1946 Wirtschaftsminister in Bayern, 1947–1948 Leiter der Sonderstelle Geld und Kredit bei der Verwaltung der Finanzen der britisch-amerikanischen Bizone zur Vorbereitung einer Währungsreform, 1948–1949 Direktor der Verwaltung für Wirtschaft des Vereinigten Wirtschaftsgebiets der britisch-amerikanischen Bizone, 1949–1963 Bundesminister für Wirtschaft, 1949–1977 MdB  Dok. 44, S. 189, 195, 589 Etzdorf, Hasso von (1900–1989), seit 1919 DNVP, seit 1928 im Auswärtigen Dienst, seit 1933 NSDAP, seit 1938 Tätigkeit in der Personalabteilung des Auswärtigen Amtes, 1939 Mitautor der Denkschrift „Das drohende Unheil“, 1945 Generalkonsul in Genua, 1945–1947 interniert, 1948–1950 stellvertretender Leiter des Deutschen Büros für Friedensfragen, 1950–1951 stellvertretender Leiter der Abteilung IIIb (Länder) in der Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten, 1951–1953 der Abteilung III (Länder) im Auswärtigen Amt  S. 235, 277, 449, 518, 556 Fascher, Erich (1897–1978), ev. Theologe, seit 1930 Professor für Neues Testament in Jena, 1936 Strafversetzung nach Halle, während des Zweiten Weltkrieges Laza-

706 Anhang rettseelsorger und Leiter des Sprachenkonvikts in Halle, seit 1945 CDU, 1948–1950 Vorsitzender des CDU-Landesverbandes Sachsen-Anhalt und Mitglied im Hauptvorstand der CDU, 1950 Entbindung von allen Parteiämtern, Strafversetzung nach Greifswald, seit 1954 Professor an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin  S. 6 Fechner, Max (1892–1973), seit 1910 und erneut seit 1922 SPD, 1917–1922 USPD, 1928–1933 Abgeordneter des Preußischen Landtags, 1933 verhaftet, 1934 KZ Oranienburg, seit 1934 Tätigkeit als Lebensmittelkaufmann, 1944 KZ Sachenhausen, 1946–1953 Mitglied des Parteivorstands bzw. des ZK der SED, 1948–1949 Mitglied des Präsidiums des Deutschen Volksrats, 1949–1953 Justizminister der DDR, 1953 Amtsenthebung, Parteiausschluss und Inhaftierung  S. 166 Feihl, Eugen (1889–1964), seit 1924 Korrespondent der Kölnischen Zeitung in Paris, seit 1933 NSDAP, 1934–1939 Pressebeirat an der Deutschen Botschaft Paris, 1939–1944 Gesandtschaftsrat, Sachbearbeiter für Presseaufgaben in Bern, 1940– 1944 in Paris, 1950 Referent beim Deutschen Büro für Friedensfragen (Stuttgart), seit 1950 Mitarbeiter der Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten bzw. des AA, Abteilung II (Politik), später Abteilung IIIb bzw. III (Länder), Leiter des Referats Frankreich, später Schweiz, 1952–1953 Mitarbeiter des Presse- und Informa­ tionsamts der Bundesregierung  S. 309 Fischl, Otto (1902–1952), seit 1928 KSČ, 1939 Emigration nach Großbritannien, 1946–1948 stellvertretender Finanzminister der Tschechoslowakei, 1949–1951 Leiter der tschechoslowakischen Mission in Ost-Berlin, 1952 Botschafter der ČSR in Ost-Berlin, im gleichen Jahr verhaftet, zum Tode verurteilt und hingerichtet  S. 119, 122, 644 Fleischmann*, 2. Vorsitzender des CSU-Bezirksverbands von München  S. 551 Florin, Peter (1921–2014), 1949–1950 stellvertretender Sekretär der außenpolitischen Kommission beim Politbüro des ZK der SED, seit 1949 stellvertretender Leiter des Büros bzw. der Abteilung Internationale Verbindungen im ZK der SED, 1950–1952 stellvertretender Leiter der HA II (Politische Angelegenheiten) im MfAA, zugleich Leiter der Abteilung UdSSR, 1953 Leiter der HA I Sowjetunion und Volksdemokratien, seit 1953 Leiter der Abteilung Internationale Verbindungen beim ZK der SED  S. 267, 483, 518, 641 François-Poncet, André (1887–1978), 1931–1938 Botschafter Frankreichs in Berlin, 1949–1955 Alliierter Hoher Kommissar Frankreichs, Geschäftsführender Vorsitzender der Alliierten Hohen Kommission  S. 16, 210, 253, 399, 406, 411 Franz, Friedrich (1889–1969), Ingenieur, seit 1932 DNVP, 1934–1945 NSDAP, seit 1945 SPD bzw. SED, seit 1947 Leitung der Planungs- und Wiederaufbauarbeiten für das Stahl- und Walzwerk Brandenburg, 1950–1956 Technischer Leiter, kurzzeitig auch kommissarischer Geschäftsführer der VVB Stahl- und Walzwerke Brandenburg  S. 350 Franzel*, Direktor der Abteilung Verkehr des Magistrats in der Magistratsverwaltung von Ost-Berlin  S. 582 Frederik, Hans (1906–?), Publizist, seit 1961 Leiter des Verlages Politisches ­Archiv  S. 495 Friedensburg, Ferdinand (1886–1972), seit 1919 DDP, 1927–1933 Regierungspräsident in Kassel, 1945 Mitbegründer der CDU in Berlin und der SBZ, seit 1945 Lei-

Personenregister707 ter, 1951–1968 Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin, 1946–1948 stellvertretender Oberbürgermeister von Groß-Berlin, danach bis 1951 von Berlin (West), 1948–1952 Mitglied der Berliner Stadtverordnetenversammlung bzw. des Berliner Abgeordnetenhauses, 1952–1965 MdB  S. 202 Friedl, Anton (1923–1951), Holzblasinstrumentenbauer, 1941–1945 Unterscharführer der Waffen-SS, Invalide, nach dem Krieg Lagerleiter bzw. kaufmännischer Angestellter in einem Textilunternehmen in Gera, 1950 verhaftet und wegen angeb­ licher Spionage durch ein SMT zum Tode verurteilt, 1951 in Moskau erschossen  S. 250 Fritsch, Max (1903–1962) Bergarbeiter und Politiker, seit 1923 KPD, seit 1931 Redakteur beim Ruhr-Echo, 1934–1936 in Haft, seit 1945 FDGB, 1945–1949 Vorsitzender IG Bergbau Sachsen-Anhalt, 1949–1953 FDGB-Bundesvorstand, 1950– 1954 Abgeordneter der Volkskammer, 1951 Leiter der HA Kohle im Ministerium für Schwerindustrie, danach Staatssekretär für Kohle und Energie  S. 350 Frölich, August (1877–1966), seit 1900 SPD, 1921–1924 Leitender Staatsminister in Thüringen, 1924–1933 Reichstagsabgeordneter, 1933, 1938 und 1944 jeweils kurzzeitig in Haft, seit 1946 SED, 1946–1952 Landtagspräsident in Thüringen und Mitglied des Sekretariats des SED-Landesverbandes Thüringen  S. 53 Galuhn, Horst (Deckname: Deider), Mitarbeiter der Vereinigung politischer Ostflüchtlinge in West-Berlin  S. 572 Ganeval, Jean (1894–1981), 1940 Militärattaché in Finnland, Mitglied der Résistance, 1943 Verhaftung durch die Gestapo, KZ Buchenwald, 1946–1950 Kommandant des französischen Sektors von Berlin, seit 1950 General und Abteilungsleiter für militärische Sicherheit im französischen Hochkommissariat für Deutschland  S. 131, 406 Ganse, Robert (1909–1972), seit 1931 KPD, 1933 kurzzeitig in Haft, seit 1936 Arzt, 1947 Übersiedlung in die SBZ und Eintritt in die SED, seit 1947 Chefarzt und Leiter der Frauenklinik in Dresden-Friedrichstadt  S. 492 Ganter-Gilmans, Hans-Paul (1917–1955), 1929–1933 SPD, 1939–1941 Angehöriger der Wehrmacht, 1941–1942 inhaftiert, 1945 Mitbegründer der CDU in Brandenburg, 1946–1950 dort Abgeordneter der CDU-Landtagsfraktion, 1948–1955 Mitglied des Zentralvorstandes der CDU der DDR, 1949–1955 Staatssekretär im Ministerium für Außenhandel und Innerdeutschen Handel, 1950–1954 Abgeordneter der Volkskammer  S. 89, 119–120 Gartmann, Hermann (1906–1972), seit 1927 KPD, vor und nach 1933 mehrfach in Haft, 1937–1939 Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg, 1948 Einstellung bei der Volkspolizei, seit 1949 Leiter der Verwaltung zum Schutz der Volkswirtschaft Brandenburg, seit 1950 der Länderverwaltung Brandenburg des MfS, 1951–1952 Stellvertreter des Ministers für Staatssicherheit der DDR, 1952–1953 Leiter der HV Deutsche Grenzpolizei im MfS  S. 543 Georgino, Willi (1914–?), vor 1945 NSDAP, 1943–1945 Wehrmacht und Kriegsgefangenschaft, seit 1945 KPD bzw. SED, 1948–1950 Leiter der HA Finanz- und Steuerwesen im Ministerium der Finanzen Brandenburg, 1950–1958 Staatssekretär im Finanzministerium der DDR  S. 343 Gerecke, vgl. Gereke Gereke, Günther (1893–1970), 1921–1928 DNVP, seit 1928 CNBL, 1924–1928 und 1930–1932 Mitglied des Reichstags und des Preußischen Staatsrates, 1932–1933

708 Anhang Reichskommissar für Arbeitsbeschaffung (kurzzeitig auch in der Regierung Hitler), 1933 verhaftet, danach mehrfach inhaftiert, 1946 Flucht aus der SBZ in die britische Zone, 1948–1950 Landwirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident in Niedersachsen, seit 1946 CDU, 1950 Parteiausschluss, seit 1950 BHE, seit 1951 DSP, 1952 Übersiedlung in die DDR  S. 48, 90–91, 133, 208, 259, 304–305, 399 Gerigk, Hermann (1924–1960), bis 1942 Stammführer der HJ in Lyck (Ostpreußen), 1945 Strafbataillon in der Wehrmacht, seit 1945 CDU, FDJ und DSF, 1949–1950 Abgeordneter der Provisorischen Volkskammer, 1950–1952 Vizepräsident des Landtags Brandenburg, 1950 Minister für Volksbildung in Brandenburg, 1950–1952 Landesvorsitzender der CDU in Brandenburg und Mitglied des Hauptvorstands der CDU, 1948–1952 Mitglied, 1951–1952 Sekretär des Zentralrats der FDJ, 1950– 1952 Bürgermeister von Potsdam, 1952 Amtsenthebung, 1952–1953 Festnahme und U-Haft in West-Berlin, 1953 Ausschluss aus der CDU, Übersiedlung in die Bundesrepublik  S. 480 Gerő, Ernő (1898–1980), Mitglied der KP Ungarns seit 1918, seit 1924 in der UdSSR, seit 1945 verschiedene Ministerposten in der Provisorischen Regierung Ungarns, seit 1948 Mitglied des Politbüros und Stellvertreter des Generalsekretärs der Partei der Ungarischen Werktätigen, 1952–1954 Innenminister und stellvertretender Ministerpräsident der VR Ungarn  S. 605 Gerst, Wilhelm Karl (1887–1968), bis 1933 Zentrumspartei, Katholischer Bühnenvolksbund, seit 1945 Mitherausgeber der Frankfurter Rundschau, 1946 Entzug der Lizenz, 1949 Kandidat der KPD zur Bundestagswahl, seit 1949 Korrespondent der DDR-Nachrichtenagentur ADN und der Berliner Zeitung in Bonn  S. 595– 596, 599–600 Gerstenmaier, Eugen (1906–1986), ev. Theologe, seit 1934 Bekennende Kirche, 1936–1937 und 1939–1944 Mitarbeiter im Außenamt der evangelischen Kirche, 1944–1945 inhaftiert wegen Teilnahme am Widerstand, 1945–1951 Leiter des Evangelischen Hilfswerks der EKD, seit 1946 Herausgeber der Wochenzeitung Christ und Welt, seit 1947 Oberkonsistorialrat der EKD, 1949–1969 MdB, 1949– 1953 stellvertretender Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses, 1949–1955 Vorstandsmitglied der CDU-CSU-Fraktion, 1950–1954 Mitglied der Beratenden Versammlung des Europarates und der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl  Dok. 116, S. 247, 627 Geyer, Friedrich (1888–1966), seit 1922 SPD, 1920–1933 Ministerialrat im sächsischen Justizministerium, 1933–1945 Gelegenheitsarbeiter, seit 1946 SED und Leiter des Büros des Ministerpräsidenten von Sachsen, 1949–1956 als Staatssekretär Chef der Regierungskanzlei bzw. Leiter des Büros des Präsidiums des Ministerrates der DDR unter Otto Grotewohl  S. 8, 10, 140, 191, 285, 470 Geyer, Gerhard (1927–1951), Elektriker, ansässig in Hamburg, 1950 in Dömnitz verhaftet, 1951 wegen angeblicher Spionage durch ein SMT zum Tode verurteilt und in Moskau erschossen  S. 250–251 Gillessen, Heinrich (1896–1979), Jurist, 1943–1944 Abteilungsleiter in der Wirtschaftsgruppe Bekleidungsindustrie in Berlin und Sonneberg (Thüringen), seit 1945 CDU und MdL in Thüringen, 1948–1950 Minister für Handel und Versorgung in Thüringen, 1950 Flucht in die Bundesrepublik Deutschland, Eintritt in die CSU  S. 101–102

Personenregister709 Gläsing*, Landwirt in Friedrichsaue, Kreis Seelow  S. 625 Globke, Hans (1898–1973), seit 1929 Regierungsrat im Preußischen Innenministe­ rium, 1932–1945 Ministerialrat und Referent im Reichsinnenministerium, dort seit 1935 amtlicher Kommentator der Nürnberger Rassegesetze, seit 1949 Ministerial­ dirigent im Bundeskanzleramt, 1950–1953 Ministerialdirektor und Leiter der HA innere Angelegenheiten, 1953–1963 Staatssekretär im Bundeskanzleramt  Dok. 136 Goebel, Georg (1900–1965), 1926 Priesterweihe in Breslau, 1931–1940 DiözesanDirektor im Bistum Jassy (Rumänien), 1941–1946 Pfarrer in Rosenthal (Schlesien), nach der Vertreibung seit 1947 Vorsitzender des „Hauptausschusses der Ostvertriebenen“ (Nordrhein-Westfalen), 1949 Mitbegründer der Tatgemeinschaft freier Deutscher, 1951–1953 Pfarrvikar in Kierspe  S. 205 Götzl, Eduard (1921–1986), Ausbildung zum Mechaniker in der ČSR, 1943 Angehöriger der Wehrmacht, 1943–1945 dienstverpflichtet im Flugzeugbau, seit 1945 KPD bzw. SED, seit 1946 Instrukteur, seit 1949 Mitglied der SED-Landesleitung Thüringen, 1950–1951 Sekretär der SED-Betriebsorganisation im VEB Bergbau- und Hüttenkombinat Maxhütte in Unterwellenborn, 1951–1954 Direktor des VEB Stahl- und Walzwerk Brandenburg, seit 1952 Mitglied der SED-Bezirksleitung Potsdam  S. 350 Golunskij, Sergej Aleksandrovič (1895–1962), Jurist und Diplomat, 1932–1939 Staatsanwalt der RSFSR, seit 1941 VKP (b), 1943–1952 Mitglied des Kollegiums und Leiter der Abteilung für Vertragsrecht des NKID bzw. MID, 1946–1948 sowjetischer Ankläger im Tokio-Prozess, 1951 Wahl zum Richter am Internationalen Gerichtshof in Den Haag (nicht angetreten)  Dok. 16 Gorškova, G. N., Ständige Vertreterin der UdSSR in der IDFF  S. 395 Grabar’, Igor’ Ėmmanuilovič (1871–1960), Maler, Restaurator und Kunsthistoriker, 1913–1925 Sachwalter der Tretjakow-Galerie in Moskau, 1918–1930 Leiter der Moskauer Restaurationsateliers, 1943–1945 Leiter einer Expertenkommission der Staatlichen Sonderkommission, die Kulturgutverluste im Zweiten Weltkrieg registrierte und die Requirierung deutscher Kulturgüter plante  S. 379–380 Gradl, Johann Baptist (1904–1988), bis 1933 Vorsitzender der Zentrumspartei in Berlin-Kreuzberg, 1931–1938 volkswirtschaftlicher Referent in der Geschäftsführung des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, 1938–1945 Mitglied der Geschäftsführung der Reichsgruppe Banken, 1945 Mitgründer der CDU in Berlin und Mitglied des Parteivorstands der CDU in Berlin und der SBZ, 1947 von der SMAD abgesetzt, Übersiedlung nach Westdeutschland, 1950 Mitbegründer der Exil-CDU, seit 1953 Mitglied des Bundesvorstands der CDU  S. 276–277 Gregor, Kurt (1907–1990), seit 1931 KPD, 1932–1938 Tätigkeiten als Techniker/ Technischer Direktor in sowjetischen, 1938–1945 als Technischer Leiter in deutschen Maschinenfabriken, 1946–1950 Leiter der HA Wirtschaftsplanung der Landesregierung Sachsen, 1950–1951 Staatssekretär im Ministerium für Schwerindus­ trie, 1951–1952 Staatssekretär im Ministerium für Außenhandel und Innerdeutschen Handel, 1952–1954 Minister für Außenhandel und Innerdeutschen Handel  S. 604– 605, 650 Greichen*, W., Konstrukteur der Bleichert-Werke, wechselte 1952 zum Konstruk­ tionsbüro ABUS  S. 505 Greif, Herbert, 1950–1951 Hauptdirektor des VEB Stahl- und Walzwerk Brandenburg  S. 350

710 Anhang Grewe, Wilhelm Georg (1911–2000), seit 1933 NSDAP, 1937–1939 Leiter der Abteilung Internationales Recht am Deutschen Institut für außenpolitische Forschung, seit 1939 Dozent für Völkerrecht und Staatsrecht an der Deutschen Hochschule für Politik, seit 1940 an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin, 1943 Ausschluss aus der NSDAP, seit 1943 Professor für öffentliches Recht und Völkerrecht in Berlin, seit 1945 in Göttingen, seit 1947 in Freiburg, seit 1951 Leiter der Delegation der Bundesrepublik Deutschland für die Ablösung des Besatzungsstatuts, 1953– 1955 Abteilungsleiter der Rechtsabteilung des Auswärtigen Amtes  S. 626 Gribanov, Michail Grigor’evič (1906–1987), 1941–1946 Mitarbeiter des zentralen Apparats des NKID der UdSSR, 1946–1947 Missionsrat in der Schweiz, 1947– 1949 Stellvertreter des Poltischen Beraters der SMAD, 1949–1953 Amtierender Leiter bzw. Leiter der Dritten Europäischen Abteilung des MID der UdSSR  Dok. 16, 39, 42, 46, 56, 69, 89, 107, 117, S. 76–77, 79, 98, 115, 119, 191–192, 243, 256, 375, 378, 412, 465, 483–484, 497, 536, 587, 622, 643 Gribanow, vgl. Gribanov Griffin*, Colonel, Mitarbeiter der britischen Hohen Kommission  S. 589 Grigor’jan, Vagan Grigor’evič (1902–1983), 1947–1949 stellvertretender Chefredakteur der Zeitung Für dauerhaften Frieden, für Volksdemokratie, 1949– 1953 Vorsitzender der außenpolitischen Kommission des ZK der VKP (b) bzw. der KPdSU (Ende 1952 umbenannt in: Kommission des ZK der KPdSU für Verbindungen mit ausländischen kommunistischen Parteien), 1952–1954 Kandidat des Politbüros des ZK der KPdSU  Dok. 29, 135, S. 497 Gröhl, August, 1950 Mitarbeiter im Ministerium für Innerdeutschen Handel, Außenhandel und Materialversorgung  S. 124–125 Gromov, S. A., Ingenieur-Oberst, seit 1951 Stellvertreter des Leiters der Verwaltung für Reparationen der SKK  S. 362 Gromyko, Andrej Andreevič (1909–1989), seit 1939 im diplomatischen Dienst, 1943–1946 Botschafter der UdSSR in den USA, 1946–1948 ständiger Vertreter der UdSSR im Sicherheitsrat der UNO, 1948–1952 stellvertretender Außenminister der UdSSR, 1952–1953 Botschafter der UdSSR in Großbritannien  Dok. 33, 34, 37, 43, 47, 54, 56, 69, 76, 78, 89, 120, S. 3–4, 77, 115, 249, 251, 270, 417, 491, 525– 526 Grosse, Hermann (1906–1986), seit 1926 KPD, 1933 KPD-Orgleiter des Bezirks Ruhrgebiet, 1933–1936 in Haft, 1937 Emigration in die ČSR, 1938 nach Großbritannien, 1946 Rückkehr nach Deutschland, 1948–1949 Leiter der HV Maschinenbau und Elektrotechnik der DWK, 1949–1950 der HA Maschinenbau im Ministe­ rium für Industrie  S. 124–125 Große, Fritz Willibald (1904–1957), 1920–1921 Aufenthalt in Sowjetrussland, Angehöriger der Roten Armee und der KP Russlands, seit 1921 KPD, 1932–1933 Reichstagsabgeordneter, 1933–1934 Exil u. a. in Frankreich, 1934 in Deutschland verhaftet, 1936–1945 Zuchthaus Brandenburg-Görden und KZ Mauthausen, 1946– 1949 MdL in Sachsen (SED), 1948–49 Leiter der Landesparteikontrollkommission, seit 1949 persönlicher Referent von Ackermann, 1949–1952 Leiter der DDR-Mis­ sion bzw. Botschafter in Prag und Vertreter Ackermanns im MfAA, 1953–1957 Leiter der HA I (Politische Angelegenheiten bzw. UdSSR und Volksdemokratien) im MfAA, Mitglied des Kollegiums im MfAA  S. 122, 267, 644

Personenregister711 Großmann, Ernst (1911–1997), 1931–1933 Angehöriger des tschechoslowakischen Heeres, seit 1938 Sudetendeutsches Freikorps, SS und NSDAP, 1944–1945 5. SSTotenkopf-Standarte, SS-Unterscharführer, 1945 Vertreibung der Familie in die SBZ, seit 1945 SPD bzw. SED, seit 1947 Neubauer in Merxleben und Tätigkeiten im VdgB, 1952 Mitbegründer und danach Vorsitzender der LPG „Walter Ulbricht“ in Merxleben, 1952 Mitglied der SED-Delegation zum XIX. Parteitag der KPdSU, seit 1952 Kandidat, seit 1954 Mitglied des ZK der SED, 1953 Held der Arbeit  S. 583, 605 Grotewohl, Otto (1894–1964), seit 1912 SPD, 1925–1933 Reichstagsabgeordneter, 1933–1945 kaufmännische Tätigkeiten in Hamburg und Berlin, 1938–1939 und 1939–1940 zeitweilig inhaftiert, 1946–1950 MdL in Sachsen, 1946–1954 mit Wilhelm Pieck Vorsitzender der SED, seit 1949 Mitglied der (Provisorischen) Volkskammer und des Politbüros des ZK der SED, 1949–1964 Vorsitzender des Ministerrats (Ministerpräsident) der DDR  Dok. 3, 4, 14, 17, 18, 19, 25, 27, 31, 62, 64, 75, 77, 79, 81, 83, 96, 115, 137, 138, S. 4, 7, 9, 23–25, 37–39, 61–62, 108, 115, 122– 123, 157, 159–162, 184, 189, 196, 200–201, 215–216, 233, 253, 255, 260–261, 272–279, 283–284, 286–287, 289, 304, 307, 309, 322, 356, 358–359, 361, 374, 376, 379–381, 397–398, 400–402, 405, 408, 419, 423–424, 427, 433–434, 463– 464, 468, 475–477, 486–487, 494, 517, 522, 524, 530–531, 543, 570, 575, 577, 583, 605–607, 618, 629–631, 637, 643 Grüber, Heinrich (1891–1975), seit 1934 Pfarrer in Berlin-Kaulsdorf, Bekennende Kirche, 1938–1940 Leiter der „Kirchlichen Hilfsstelle für evangelische Nichtarier“ („Büro Pfarrer Grüber“), 1940–1943 KZ Sachsenhausen und Dachau, seit 1945 Propst zu Berlin, CDU, stellvertretender Leiter des Beirats für kirchliche Angelegenheiten beim Magistrat von Groß-Berlin, Mitglied der Kirchenleitung von Berlin-Brandenburg, Leiter der Evangelischen Hilfsstelle für ehemals Rasseverfolgte, stellvertretender Vorsitzender der VVN, 1949–1955 Bevollmächtigter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der DDR-Regierung  S. 96–97, 113, 137, 259, 285, 304 Grüttner, Alexander, Erster Rat der Mission der DDR in China  S. 361 Günther, Hermann (1920–?), Schlosser aus Neukölln, 1952 vom Obersten Gericht der DDR zu lebenslanger Haft verurteilt  S. 574 Guljaev, Georgij Nikolaevič (1914–?), Oberst, seit 1948 stellvertretender Leiter der Informationsabteilung der SMAD, später der SKK  Dok. 39 Guo Moruo (1892–1978), chinesischer Schriftsteller und Politiker, seit 1949 stellvertretender Ministerpräsident der VR China und Vorsitzender der Akademie der Wissenschaften, seit 1950 Vorsitzender der chinesischen Sektion des Weltfriedensrates  S. 492 Hagert, Werner (1906–?), seit 1930 NSDAP, 1937–1939 Wirtschaftsgruppe Chemische Industrie, danach Tätigkeit in Hitlers Privatkanzlei, 1947 Zeuge auf dem Nürnberger Nachfolgeprozess gegen leitende Angestellte der I. G. Farbenindus­ trie  Dok. 39 Hahn, Hugo (1886–1957), 1930–1938 Pfarrer in Dresden, Mitglied in der Bekennenden Kirche, 1938 Ausweisung aus Sachsen, bis 1947 Vikar in Stuttgart, 1947–1953 Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Sachsen  S. 140, 346 Hajdú, József, 1949 Staatssekretär im ungarischen Justizministerium, 1950–1953 Leiter der ungarischen diplomatischen Mission in Berlin  S. 121

712 Anhang Hallstein, Walter Peter (1901–1982), 1930–1941 Professor für Privat- und Gesellschaftsrecht an der Universität Rostock, 1941–1945 Professor für Bürgerliches Recht an der Universität Frankfurt am Main, 1945 Gefangenschaft, 1950–1951 Staatssekretär im Bundeskanzleramt, 1951–1958 Staatssekretär im Auswärtigen Amt  Dok. 59, 136, S. 286, 305, 404, 449, 451 Hamann, Karl (1903–1973), seit 1931 SPD, seit 1935 Landwirt, 1945 Mitbegründer der LDP in Thüringen, 1946–1950 MdL, 1948–1952 Landesvorsitzender der LDP in Thüringen, 1949–1952 Ko-Vorsitzender der LDP, Abgeordneter der (Provisorischen) Volkskammer und Minister für Handel und Versorgung der DDR, 1952 vom MfS verhaftet  S. 83, 100, 165–166, 494, 577, 629 Handke, Emmi (1902–1994), geb. Christoph, seit 1925 KPD, 1925–1934 Tätigkeit im Apparat der KPD, Haftstrafe von acht Jahren (KZ, Zuchthaus), 1943 entlassen und dienstverpflichtet, 1945–1956 Tätigkeit im Parteivorstand bzw. im ZK der KPD bzw. SED, 1947 Heirat mit Georg Handke, seit 1948 Mitglied des Bezirksvorstands des DFD Berlin  S. 130 Handke, Georg Ulrich (1894–1962), seit 1919 KPD, 1934–1945 Zuchthaus, seit 1947 verheiratet mit Emmi Handke, 1947–1948 Präsident der Deutschen Zentralverwaltung für Handel und Versorgung, 1948–1949 stellvertretender Vorsitzender der DWK, 1949–1952 Präsident des Verbands Deutscher Konsumgenossenschaften, 1949–1950 Minister für Innerdeutschen Handel, Außenhandel und Materialversorgung, 1950–1952 für Außenhandel und Innerdeutschen Handel, 1951–1952 Leiter der Handelsdelegation der DDR in Moskau, 1952–1953 Botschafter in Rumänien  Dok. 36, S. 89, 105, 124–126, 128–130, 183, 189, 312–315, 510, 519, 568, 604 Hantke, Fritz, 1952 Leiter der Abteilung Warenbilanzen der HA Handel im Ministerium für Handel und Versorgung, Ende 1952 Flucht in den Westen  S. 630 Haußleiter, August (1905–1989), 1928–1940 Redakteur beim Fränkischen Kurier, 1940–1945 Angehöriger der Wehrmacht, seit 1946 CSU, 1948 deren stellvertretender Vorsitzender, 1949 Austritt aus der CSU und Gründung der „Deutschen Union“, dann der „Deutschen Gemeinschaft“ als Partei  S. 205 Hays, George Price (1892–1978), US-Armeegeneral, 1944 Kommandeur der 2. Infanterie-Division in der Normandie, 1947–1949 stellvertretender Militärgouverneur in Deutschland, 1949–1952 Stellvertreter des amerikanischen Hohen Kommissars für Deutschland, 1952–1953 Oberbefehlshaber der US-amerikanischen Streitkräfte in Österreich  S. 226–229 Hedt*, Erster Sekretär des SED-Kreisleitung Seelow  S. 624, 626 Heine, Fritz (1904–2002), seit 1922 SPD, 1928–1933 Leiter der Propagandaabteilung der SPD, 1933 Emigration in die ČSR, 1938 nach Frankreich, dort Verlagsleiter des Neuen Vorwärts und 1940 in Marseille Fluchthelfer, 1941 Emigration nach London, 1946–1957 Mitglied des Vorstands und Leiter des Pressedienstes der SPD, u. a. verantwortlich für das Ostbüro  S. 574 Heinemann, Gustav (1899–1976), 1928–1949 Justiziar bzw. (seit 1936) Vorstandsmitglied der Rheinischen Stahlwerke AG in Essen, seit 1934 Bekennende Kirche, 1945–1967 Mitglied des Rats, 1949–1955 Präses der Synode der EKD, 1946–1949 Oberbürgermeister von Essen, 1949–1950 Bundesminister des Innern, 1950 Rücktritt, 1951 Gründung der „Notgemeinschaft für den Frieden Europas“, 1952 Austritt aus der CDU und Gründung der GVP  S. 140, 201–202, 213–214, 219, 247, 259, 304–305, 333, 399, 426, 449

Personenregister713 Heitsch, Heinrich (1916–1986), 1935–1945 Angehöriger der Wehrmacht, zuletzt Major, 1945–1949 sowjetische und polnische Kriegsgefangenschaft, seit 1949 Chefinspekteur der Volkspolizei der DDR und stellvertretender Leiter der Abteilung Allgemein in der DVdI, seit 1949 Stabschef, seit 1950 Offizier z. b. V. im Stab der HV Ausbildung, 1951–1953 Leiter der Verwaltung Versorgung der HV Ausbildung bzw. KVP, seit 1952 SED und Generalmajor der KVP  S. 607 Hellwege, Heinrich (1908–1991), seit 1928 Deutsch-Hannoversche Partei, seit 1937 Bekennende Kirche, 1939–1945 Kriegsdienst bei der Luftwaffe, 1947–1961 Bundesvorsitzender der DP, 1949–1955 MdB und Bundesminister für Angelegenheiten des Bundesrates  S. 276 Hengst, Adalbert (1905–1989), seit 1928 KPD, 1933–1935 und 1939–1940 in Haft, danach Reklamezeichner, 1942–1945 „Frontbewährung“ in der Wehrmacht, 1948– 1950 Erster Sekretär der SED-Kreisleitung Dresden, seit 1951 stellvertretender Leiter, seit 1952 Leiter der Abteilung Planung und Finanzen des ZK, zugleich persönlicher Mitarbeiter im Büro Willi Stoph, seit 1952 Sekretär für Wirtschaftsfragen im Sekretariat des ZK, 1953 Enthebung aller Funktionen und Parteiausschluss  S. 604– 605 Henke, Georg (1908–1986), seit 1931 KPD, 1935 Emigration in die ČSR, 1938–1939 Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg, seit 1939 illegaler Aufenthalt in Schweden, dort 1942–1943 inhaftiert, 1946 Rückkehr nach Deutschland, 1946–1950 Chef­ redakteur der Zeitschrift Die Wirtschaft, 1950–1951 Handelsrat der DDR in der UdSSR, 1951–1955 Vertreter der DDR im ständigen Büro des RGW in Moskau  S. 9, 128, 201, 313–314 Hennecke, Adolf (1905–1975), Bergmann, seit 1946 SPD bzw. SED, 1948 auf Geheiß der SMAD Begründer einer Aktivistenbewegung nach Vorbild der sowjetischen „Stachanov-Bewegung“, 1948–1955 Mitglied des Bundesvorstands des FDGB, 1949–1967 Abgeordneter der (Provisorischen) Volkskammer, 1951–1953 Leiter der Abteilung für Rationalisierung im Ministerium für Schwerindustrie  S. 482 Herle, Jakob (1885–1957), 1919–1934 Syndicus, dann Hauptgeschäftsführer des Reichsverbands der deutschen Industrie, seit 1935 Leitung der Wirtschaftsstelle des Reichsverbandes der deutschen Zeitungsverleger, 1942 Mitglied des Vorstandes der Pulverfabriken Köln-Rottweil AG, 1943 zudem Vorstandsmitglied der Westfälisch-Anhaltischen Sprengstoff AG, 1945–1952 Haft in Posen, Landsberg/Warthe, Buchenwald und Waldheim, 1952 Freilassung auf Veranlassung Joseph Wirths, seit 1952 Mitglied im Geschäftsführenden Ausschuss, seit 1953 des Aufsichtsrates der Wasag-Chemie AG  S. 434 Hermann, vgl. Herrmann Hermes, Andreas (1878–1964), seit 1920 Zentrumspartei, 1920–1922 Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft, 1921–1923 der Finanzen, 1928–1933 Reichstagsabgeordneter, 1933 inhaftiert, 1936–1939 Wirtschaftsberater in Bogotá, 1944 verhaftet, 1945 wegen Teilnahme am Widerstand zum Tode verurteilt, 1945 stellvertretender Oberbürgermeister und Leiter des Ernährungsamtes in Berlin, Mitbegründer und Vorsitzender der CDU in der SBZ, im Dezember 1945 auf Druck der SMAD abgesetzt, Übersiedlung nach Westdeutschland, 1947–1949 Mitglied des Wirtschaftsrats des Vereinigten Wirtschaftsgebiets, 1948–1955 Präsident des Deutschen Bauernverbands, 1948–1961 des Deutschen Raiffeisenverbandes, 1950–1952

714 Anhang Vorsitzender der „Gesellschaft für die Wiedervereinigung Deutschlands“  S. 426, 494, 642, 644 Herrmann, Hanna, Mitarbeiterin im MfAA, 1952 Flucht nach West-Berlin  S. 644 Herrnstadt, Rudolf (1903–1966), seit 1930 als Journalist Mitarbeiter der GRU, Korrespondent in Prag, Warschau und Moskau, seit 1931 KPD, 1939 Emigration in die UdSSR, 1943–1945 Mitbegründer und Mitarbeiter des NKFD, Chefredakteur des Freien Deutschland, 1945–1949 Chefredakteur der Berliner Zeitung, 1949– 1953 Chefredakteur des Neuen Deutschland, 1949–1954 Abgeordneter der (Provisorischen) Volkskammer, seit 1950 Kandidat des Politbüros, 1953 aus dem ZK der SED und 1954 aus der SED ausgeschlossen  S. 415, 474 Heuss, Theodor (1884–1963), seit 1918 DDP, 1920–1933 Dozent an der Hochschule für Politik in Berlin, 1924–1928 und 1930–1933 Reichstagsabgeordneter, 1933– 1936 Herausgeber der Zeitschrift Die Hilfe, danach Verfasser von Biografien, 1941–1942 Mitarbeiter der Frankfurter Zeitung, 1945–1946 Kultusminister in Württemberg-Baden, 1946–1947 Vorsitzender der Demokratischen Volkspartei (DVP) in der amerikanischen Besatzungszone, 1948–1949 Vorsitzender der FDP, 1949–1959 erster Bundespräsident  S. 409, 427, 433, 494 Heymann, Stefan (1896–1967), 1948–1950 stellvertretender Leiter der Abteilung Parteischulung, Kultur und Erziehung des ZK der SED, 1950–1951 Mitarbeiter des MfAA, 1951–1953 Chef der Diplomatischen Mission in Ungarn  S. 179, 267, 605 Hickmann, Hugo (1877–1955), ev. Theologe, 1919–1933 DVP, 1926–1933 Vizepräsident des Sächsischen Landtags, 1933 Domherr des Hochstifts Meißen, im selben Jahr vorzeitiger Ruhestand und Berufsverbot, 1945–1950 1. Vorsitzender des CDULandesverbandes Sachsen, 1946–1950 Vizepräsident des Sächsischen Landtags, 1949–1950 Abgeordneter und Vizepräsident der Provisorischen Volkskammer, 1950 Rücktritt von allen öffentlichen Ämtern und Parteiausschluss aus der CDU  S. 6, 100 Hildebrandt, Rainer (1914–2004), 1943–1945 inhaftiert, 1948 Mitbegründer der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU), 1952 Austritt aus der KgU  S. 573 Himmler, Heinrich (1900–1945), seit 1923 bzw. 1925 NSDAP, 1929–1945 Reichsführer der SS, seit 1936 zugleich Chef der Deutschen Polizei, 1943–1945 Reichsinnenminister, 1944–1945 Befehlshaber des Ersatzheeres der Wehrmacht  S. 382 Hitler, Adolf (1889–1945), seit 1933 Reichskanzler, 1933–1945 „Führer und Reichskanzler“, seit 1938 zugleich Oberbefehlshaber der Wehrmacht  S. 245, 427, 526 Hobi*, Heinz, Landwirt, Kreis Güstrow  S. 624 Hodscha, Enver (1908–1985), seit 1943 Vorsitzender der Kommunistischen Partei Albaniens, 1944–1985 Vorsitzender des Ministerrats der Volksrepublik Albanien  S. 11 Hoffmann, Emil (1911–1995), Mitglied der SA und der „Schwarzen Front“, seit 1939 NSDAP, Referent im Reichsministerium für Propaganda und Aufklärung, 1941–1942 als Presseattaché in der Gesandtschaft Bukarest Propagandaberater der rumänischen Regierung, seit 1942 Kriegsberichter der Waffen-SS, 1945 kurzzeitig interniert, seit 1949 Tätigkeiten im Ost-West-Handel, als Außenhandelsberater und Wirtschaftspublizist  Dok. 39 Hoffmann, Karl-Heinz (1910–1985), seit 1930 KPD, 1935 Emigration über die Schweiz nach Moskau, 1937–1939 Interbrigadist im Spanischen Bürgerkrieg,

Personenregister715 1938–1939 Exil in Frankreich, dann in der UdSSR, 1941–1944 beim NKVD, 1946 Rückkehr nach Berlin, Mitarbeiter im ZK der KPD bzw. Parteivorstand der SED, persönlicher Mitarbeiter von Pieck, dann Ulbricht, 1950–1955 stellvertretender Minister des Innern, 1950–1952 Leiter der HV Ausbildung, 1952–1955 Chef der Kasernierten Volkspolizei  S. 73, 97, 103, 392–393, 546, 559–560, 607 Honecker, Erich (1912–1994), seit 1930 KPD, 1935 Verhaftung, seit 1937 im Zuchthaus Brandenburg-Görden, 1943–1945 Berliner Frauengefängnis, 1945–1946 Leiter der Abteilung Jugend des ZK der KPD, 1946–1955 1. Vorsitzender der FDJ, seit 1946 Mitglied des Parteivorstands bzw. seit 1949 des ZK der SED, 1950–1958 Kandidat des Politbüros  S. 116–117, 545, 583, 605 Hoover, Herbert Clark (1874–1964), 1921–1928 Handelsminister, 1929–1933 Präsident der USA, seit 1947 Vorsitzender der Commission on Organization of the Executive Branch of the Government („Hoover Commission“) im amerikanischen Kongress  S. 292 Hoppe, August (1918–1974), Journalist, seit 1948 Redakteur des NWDR, Agent der Organisation Gehlen, später des BND  S. 182 Il’ičev, Ivan Ivanovič (1905–1983), seit 1938 Chef der Politischen Abteilung der GRU, 1942–1943 Chef, 1943–1947 stellvertretender Chef der GRU, 1948–1949 stellvertretender Leiter der Dritten Europäischen Abteilung des MID, 1949–1952 Stellvertreter des Politischen Beraters beim Vorsitzenden der SKK, seit 1950 Resident des Informationskomitees beim MID in Deutschland, 1952–1953 Leiter der Diplomatischen Mission der UdSSR in der DDR  Dok. 21, 77, 79, 81, S. 66, 68, 82, 89–90, 92, 99, 104, 131, 212, 333, 336–337, 347, 412, 433, 640 Iljitschow, vgl. Il’ičev Ivanov, Nikolaj Vasil’evič (1905–1996), seit 1938 im diplomatischen Dienst, 1946– 1947 Stellvertreter des Politischen Beraters der SMAD, seit 1948 im zentralen Apparat des MID, 1950–1952 Stellvertreter des Generalsekretärs des MID, 1952–1953 Stellvertreter des Politischen Beraters beim Vorsitzenden der SKK  S. 646 Ivanov*, P. S., Mitarbeiter der SKK  S. 534–536 Izydorczyk, Jan (1899 oder 1900–1974), 1943–1944 KZ Auschwitz, 1944–1945 KZ Buchenwald, 1945–1948 Erster Sekretär der KW PPR (Poznań), 1948–1964 Mitglied des ZK der PZPR, Januar 1950–1954 Leiter der polnischen Mission in der DDR bzw. Botschafter der VR Polen in der DDR  S. 120 Jacob, Günter (1906–1993), 1932–1946 Pfarrer in Noßdorf bei Forst/Niederlausitz, Mitglied der Bekennenden Kirche, 1946–1972 Generalsuperintendent der Neumark und der Niederlausitz bzw. des Sprengels Cottbus  S. 346 Jaenicke*, Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes  S. 309 Jahn*, 1952 Leiter der Kriminaldienststelle im Kreispolizeiamt Seelow  S. 626 Jankuhn, Herbert (1905–1990), Vor- und Frühhistoriker, seit 1933 SA, seit 1937 NSDAP und SS, seit 1938 Mitglied im SS-Ahnenerbe, 1945–1948 Kriegsgefangenschaft, 1952 Gastprofessur an der Universität Kiel  S. 382 Jelisarow, vgl. Elizarov Jendretzky, Hans (1897–1992), seit 1919 USPD, seit 1920 KPD, 1934–1937 Zuchthaus, 1937–1938 KZ Sachsenhausen, 1944–1945 erneut Zuchthaus, 1946–1948 1.  Vorsitzender des FDGB, 1946–1953 Mitglied des Parteivorstands bzw. des ZK

716 Anhang der SED, 1948–1953 Vorsitzender der Landes- bzw. Bezirksleitung der SED Berlin  S. 368–369 Jentzsch, Fritz (1898–?), 1946–1953 Hauptgeschäftsführer der Ost-CDU und Leiter der Abteilung Innere Verwaltung, 1953 verhaftet  S. 645 Jöhren, Werner (1900–1959), seit 1933 Leiter des Ost-West-Verlages in Berlin bzw. Heringsdorf (Usedom), seit 1945 CDU, 1946–1948 MdL in Mecklenburg, 1947–1948 Landrat auf Usedom, 1948 Flucht nach West-Berlin, 1949–1959 Leiter des West-Berliner Büros von Jakob Kaiser bzw. des Ostbüros der CDU  S. 572, 644 John, Otto (1909–1997), Jurist, 1937–1944 Mitarbeiter des Syndikus bei der Lufthansa, 1944 Flucht nach Großbritannien, 1950–1954 Präsident des BfV, 1954 Übertritt in die DDR, 1955 Rückkehr in die Bundesrepublik, 1956 verurteilt zu vier Jahren Zuchthaus  Dok. 136 Johne, Fritz (1911–1989), 1933–1935 Militärdienst in der ČSR, seit 1936 KSČ, 1937–1939 Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg, 1939–1941 in Frankreich und 1941–1945 in Deutschland interniert, 1945 Rückkehr in die ČSR, 1946 Vertreibung nach Deutschland, seit 1947 SED, 1949–1950 militärischer Sonderlehrgang in der UdSSR (Privol’sk), 1950–1952 Leiter der Abteilung Ausbildung bzw. 2. Abteilung im Stab der HV Ausbildung, seit 1952 Generalmajor der KVP, 1952–1954 Chef der Verwaltung Lehranstalten im Stab der KVP  S. 607 Joliot-Curie, Jean Frédéric (1900–1958), Physiker, seit 1950 Präsident des Weltfriedensrates  S. 492 Juščenko*, Mitarbeiter der SKK  S. 66 Kabanov, Aleksandr Fedorovič (1899–1975), seit 1949 Generalmajor, 1949–1951 Stellvertreter des Obersten Chefs der SMAD bzw. des Vorsitzenden der SKK für Fragen der Zivilverwaltung, seit 1951 Leiter der Verwaltung beim Ministerrat der UdSSR  S. 66 Kaiser, Jakob (1888–1961), seit 1912 Zentrumspartei, 1924–1933 Landesgeschäftsführer der Christlichen Gewerkschaften für Rheinland und Westfalen, 1928–1933 Mitglied im Reichsvorstand der Zentrumspartei, 1936 und 1938 zeitweilig inhaftiert, 1945 Mitbegründer der CDU in Berlin und bis 1947 Vorsitzender der CDU in der SBZ, 1947 auf Druck der SMAD als Parteivorsitzender abgesetzt, 1946–1949 Abgeordneter des Magistrats von Groß-Berlin, 1949–1957 MdB und Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, 1950–1961 Vorsitzender der Exil-CDU, 1950–1958 stellvertretender Vorsitzender der CDU in der Bundesrepublik Deutschland  Dok. 60, S. 6, 220, 268, 401–402, 423, 557, 572–573, 600, 619 Kastner, Gertrude, zweite Ehefrau von Hermann Kastner  S. 166–167 Kastner, Hermann (1886–1957), seit 1918 DDP, 1933–1945 Rechtsanwalt in Dresden, 1945 Mitbegründer und bis 1947 Vorsitzender des LDP-Landesverbandes Sachsen, 1946–1948 Justizminister und stellvertretender Ministerpräsident von Sachsen, 1946–1950 MdL in Sachsen, 1949–1950 stellvertretender Ministerpräsident der DDR und Ko-Vorsitzender der LDP, 1950 aus der LDP ausgeschlossen, 1951 wiederaufgenommen und rehabilitiert, 1951–1956 Vorsitzender des Förderungsausschusses für die Intelligenz beim Vorsitzenden des Ministerrats, 1949– 1953 Tätigkeit für die Organisation Gehlen  S. 50, 83, 91, 99–100, 112, 114, 139– 140, 165–167

Personenregister717 Kaumann, Gottfried (1893–1954), 1933–1945 Reichsverband der deutschen Luftfahrtindustrie, 1949–1951 Leiter der Treuhandstelle für den Interzonenhandel in West-Berlin, 1951–1952 Leiter des Referats V A 10 (Interzonenhandel) im Bundesministerium für Wirtschaft, 1952 Referent im Auswärtigen Amt, 1952–1954 Gesandter der Bundesrepublik in Bangkok  S. 62–63, 338–339, 384, 411, 466–467, 589 Kegel, Gerhard (1907–1989), seit 1931 KPD, seit 1933 Korrespondent in Warschau und Agent der GRU, seit 1934 NSDAP, 1935–1939 Mitarbeiter der handelspolitischen Abteilung der deutschen Botschaft in Warschau, 1939–1941 stellvertretender Leiter der handelspolitischen Abteilung der deutschen Botschaft in Moskau, 1945– 1949 stellvertretender Chefredakteur der Berliner Zeitung, seit 1946 SED, 1949– 1950 Leiter der HA I (Politische Angelegenheiten) des MfAA, 1950–1951 stellvertretender Chefredakteur des Neuen Deutschland, 1951–1954 Direktor des Verlags Die Wirtschaft  Dok. 1, S. 57, 61 Keilson, Margarete (1905–1999), geb. Schnate, seit 1925 KPD, 1927 Heirat mit Max Keilson, zeitweilig Sekretärin von Georgi Dimitrov, seit 1933 Exil in Frankreich und der der ČSR, Sekretärin im ZK der KPD, 1939–1945 Exil in der UdSSR, dort Mitarbeiterin im Apparat der Komintern, seit 1943 im Büro Wilhelm Piecks, 1945 Rückkehr nach Deutschland, 1946–1948 Leiterin der Abteilung Kader beim ZK der SED, 1948–1952 Leiterin, 1952–1959 stellvertretende Leiterin der Abteilung Internationale Verbindungen beim ZK der SED  S. 641 Keilson, Max (1900–1953), Grafiker und Journalist, seit 1920 KPD, 1927 Heirat mit Margarete Schnate (Keilson), 1928–1933 Leiter der Abteilung Presse- und Plakatpropaganda im ZK der KPD, 1933 zeitweilig inhaftiert, seit 1935 Exil in der ČSR und in Frankreich, 1939–1945 in der UdSSR, dort Mitglied der inoffiziellen Leitung des NKFD und Rundfunkredakteur, 1945 Rückkehr nach Deutschland, 1946– 1949 Chefredakteur der SED-Zeitung Vorwärts, 1949–1950 Leiter der Abteilung Presse und Information im MfAA, 1950 Leiter der Abteilung UdSSR in der HA I (Politische Angelegenheiten), 1951–1953 Leiter der Abteilung UdSSR und Volksdemokratien im MfAA  S. 267, 641 Keller, Robert (1901–1972), seit 1920 SPD, 1938 Emigration nach Frankreich, 1942 in die USA, 1947 Rückkehr nach Deutschland, SED, 1947–1949 Chefredakteur des Vorwärts, 1949–1952 stellvertretender Chefrededakteur der Berliner Zeitung, 1953 Flucht in die Bundesrepublik  S. 103 Kerber, Erwin (1908–1983), seit 1927 KPD, nach 1933 zeitweilig inhaftiert, 1948– 1949 Leiter der HV Materialversorgung der DWK, 1949–1952 Staatssekretär für Materialversorgung, seit 1952 Stellvertreter des Vorsitzenden der SPK und Leiter des Zentralamtes für Forschung und Technik  S. 510 Keskar, Balakrishna Vishwanath (1903–1984), 1948–1952 stellvertretender Außenminister, 1952–1962 Minister für Information und Rundfunk in Indien  S. 361–362 Keßler, Heinz (1920–2017), 1934–1940 Ausbildung und Tätigkeit als Maschinenschlosser, 1940–1941 Angehöriger der Wehrmacht, 1941 Übertritt zur Roten Armee, Mitbegründer des NKFD, seit 1945 KPD bzw. SED, seit 1946 Mitglied des Parteivorstands bzw. ZK der SED, 1946 Mitbegründer, 1948–1950 Sekretär im Zentralrat der FDJ, 1950–1952 Generalinspekteur und Leiter der VP-Luft, seit 1952 Generalmajor, 1952–1955 Chef der VP-Luft/der Verwaltung des Aeroklubs der KVP, 1950–1989 Abgeordneter der Volkskammer  S. 89, 461, 559–560, 607

718 Anhang Kiefer, Alexander F., seit 1951 Leiter der East West Trade Group der amerikanischen Hohen Kommission  S. 589 Kijatkin, M. M., Oberst, Leiter der Informationsabteilung des Apparats des politischen Beraters, seit 1952 Leiter der Abteilung für gesamtdeutsche Information  S. 131, 535 Kim Il-sung (1912–1994), seit 1948 Ministerpräsident Nordkoreas, seit 1949 Vorsitzender des ZK der Partei der Arbeit Koreas  S. 226 Kingsbury-Smith, Joseph (1909–1999), US-amerikanischer Journalist, berichtete 1946 vom Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher, interviewte 1949 Stalin  S. 95 Kintzel, Otto, CDU, Bürgermeister von Liebenwalde, 1948 Flucht nach West-Berlin, seit 1949 Leiter der Vereinigung politischer Ostflüchtlinge (VPO)  S. 572 Kirchner, Rudolf (1919–1984), 1939–1945 Kriegsdienst in der Luftwaffe, 1945– 1949 sowjetische Kriegsgefangenschaft, Zentrale Antifa-Schule in Krasnogorsk, 1949 Rückkehr nach Deutschland, SED, 1949–1950 Abteilungsleiter, 1950–1968 Mitglied des Bundesvorstands, 1950–1952 Stellvertreter des Bundesvorsitzenden des FDGB, 1950–1971 Abgeordneter der Volkskammer  S. 324 Kirsten, Walter (1911–1994), Elektrotechniker, seit 1931 KPD, 1933–1937 und 1940–1945 inhaftiert, seit 1951 Sonderbeauftragter für die „Durchführung der Umsiedlung bei der Wismut“  S. 365 Kiss, Károly (1903–1983), seit 1923 Ungarische Kommunistische Partei, 1931–1932 Exil in Moskau, nach der Rückkehr 1932–1934 und 1941–1943 in Haft, 1949–1951 stellvertretender Staatspräsident, 1951–1952 Außenminister und stellvertretender Ministerpräsident der VR Ungarn  S. 605 Klewitz, Wilhelm Anton Herbert Ernst von (1912–1981), 1939–1945 Pilot der Luftwaffe, zuletzt Divisionsadjutant bei den Fallschirmjägern in Frankreich, seit 1952 Referent in der politischen Abteilung des Auswärtigen Amts, 1953 Heirat mit Hertha Niemöller  Dok. 131 Kobulov, Bogdan Zacharovič (1904–1953), seit 1936 in den sowjetischen Sicherheitsorganen tätig, 1943–1945 1. Stellvertreter des Volkskommissars für Staats­ sicherheit der UdSSR, seit 1945 Generaloberst, 1947–1949 stellvertretender Vorsitzender der SMAD, 1949–1952 der SKK für Angelegenheiten der SAG, 1947–1953 stellvertretender Leiter der GUSIMZ, 1953 im Zusammenhang mit dem Prozess gegen Berija verhaftet und erschossen  Dok. 4, 74, 103, S. 23, 31–32, 36, 39, 43, 46, 49, 51–52, 66, 169, 335, 354, 364, 470, 512–513 Koenen, Wilhelm (1886–1963), seit 1903 SPD, seit 1920 KPD, 1933–1945 Exil in Frankreich, der ČSR und Großbritannien (dort zeitweilig interniert), 1946–1948 Landesvorsitzender der SED in Sachsen, 1946–1963 Mitglied des Parteivorstands bzw. des ZK der SED, 1949–1963 Abgeordneter der (Provisorischen) Volkskammer, 1949–1958 Leiter des Sekretariats der Volks- und Länderkammer, seit 1950 Mitglied des Nationalrats der Nationalen Front  S. 423, 604 König, Feodor von, 1. Stellvertreter des Leiters, seit 1953 Leiter des Amts für Reparationen der DDR  S. 648–649 König, Johannes (1903–1966), seit 1919 KPD, seit 1925 Redakteur in verschiedenen kommunistischen Zeitungen, 1930–1931 und 1933–1939 in Haft, 1939–1947 Exil in China, 1950–1953 Leiter der Diplomatischen Mission der DDR in der VR China, 1953–1955 Botschafter in der VR China  S. 57, 361–362, 375

Personenregister719 Kogon, Eugen (1903–1987), Politikwissenschaftler, Soziologe und Publizist, 1933– 1938 Tätigkeit als Treuhänder bei der Coburgschen Privatbank, 1938 verhaftet, 1939–1945 KZ Buchenwald, 1945 Mitbegründer der CDU in Frankfurt am Main, 1946–1984 Mitherausgeber der Frankfurter Hefte, 1949–1953 Präsident der Europa-Union, 1951–1968 Professor für wissenschaftliche Politik an der TH Darmstadt  S. 275 Kohrt, Günter (1912–1982), 1930–1933 Mitglied der SPD, 1941–1945 Angehöriger der Wehrmacht, 1945/1946 KPD bzw. SED, 1949–1951 persönlicher Referent von Staatssekretär Ackermann im MfAA, 1951–1952 Leiter der Abteilung I, 1952–1953 der HA II, 1953 der HA III im MfAA  S. 267, 518 Kolesničenko, Ivan Sazonovič (1907–1984), Generalmajor, 1945–1949 Stellvertreter für Zivilangelegenheiten und Leiter der Verwaltung der SMA Thüringen, 1949– 1950 Vertreter der SKK in Thüringen, 1950–1953 Studium an der Höheren Militärakademie der Sowjetischen Streitkräfte „K. E. Vorošilov“  S. 66 Konzok, Willi-Peter (1902–1984), 1924–1932 DDP, 1931–1939 Tätigkeiten als Buchhändler und kaufmännischer Angestellter, 1940–1945 Angehöriger der Wehrmacht, seit 1945 LDP, 1949–1950 stellvertretender Vorsitzender des Landesverbandes Sachsen, seit 1951 stellvertretender Vorsitzender der LDPD, 1948–1950 Stadtrat in Dresden, seit 1950 Abgeordneter der Volkskammer  S. 83 Korbut, Leonid Alekseevič, seit 1946 Stellvertreter des Leiters, seit 1948 kommissarischer Leiter, 1949 Leiter der Verwaltung für Land-, später für Land- und Forstwirtschaft der SMAD, danach in die UdSSR abberufen, 1951 Tätigkeit als Berater in China  S. 533 Kordt, Theodor (1893–1962), seit 1922 im Auswärtigen Dienst, 1934–1938 Gesandtschaftsrat in Athen, seit 1938 NSDAP, 1938–1939 Botschaftsrat in London, 1939–1945 Gesandtschaftsrat in Bern, seit 1950 erneut im Auswärtigen Dienst (Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten bzw. AA), Leitung der Konsularabteilung, dann der Abteilung III (Länder), 1953 Ministerialdirektor  S. 435, 449, 518, 556, 641 Kossmann, Eugen Oskar (1904–1998), Geograph, Forscher und Schriftsteller, seit 1940 Mitarbeit bei der Dienststelle Rosenberg, Abteilung Referat Kontinentaleuropäische Forschung, 1947 vom US-Geheimdienst rekrutierter wissenschaftlicher Mitarbeiter im Lager Oberursel, 1949–1950 Leiter des Referats „Ostgebiete Europas“ im Deutschen Büro für Friedensfragen in Stuttgart bzw. ab 1. Dezember 1949 Hauptreferatsleiter des Ostreferats im Auswärtigen Amt Bonn, seit 1950 Leiter des Referats „Sowjetunion und die Staaten des Ostblocks“ in der Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten, seit 1952 Legationsrat I. Klasse, seit 1953 Leiter der Referate „Polen, Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien, Bulgarien“ sowie „Deutscher Osten, Sowjetzone und Berlin“ im Auswärtigen Amt  Dok. 95, 122, S. 277, 309, 435, 518, 556–557, 641 Kotikov, Aleksandr Georgievič (1902–1981), Generalmajor, 1943–1945 Chef der Politischen Abteilung der 61. Armee, 1945–1946 Stellvertreter für Zivilangelegenheiten der SMA Sachsen-Anhalt, 1946–1950 Militärkommandant des sowjetischen Sektors von Berlin, seit 1949–1950 zugleich Vertreter der SKK in Berlin, 1950– 1952 Studium an der Höheren Militärakademie der Sowjetischen Streitkräfte „­K. E. Vorošilov“, seit 1952 in der politischen Verwaltung der sowjetischen Luftstreitkräfte  S. 66, 131

720 Anhang Koval’, Konstantin Ivanovič (1908–2001), 1941–1945 Stellvertreter des Volkskommissars für Schwermaschinenbau der UdSSR, 1945 stellvertretender Bevollmächtigter des Sonderkomitees beim GKO für Deutschland, 1945–1949 Stellvertreter des Obersten Chefs der SMAD für Wirtschaftsfragen, 1949–1950 stellvertretender Vorsitzender der SKK für Wirtschaftsfragen, 1950 Stellvertreter des Ministers für Schwerindustrie, 1950–1954 Stellvertreter des Ministers für Außenhandel der UdSSR  S. 66, 68–70, 72, 88, 102, 143, 173–174 Kozlov*, Mitarbeiter der SKK  S. 66 Krämer, Heinz, seit 1951 Präsidiumsmitglied der „Aktionsgruppe Darmstadt“ des Pfarrers Mochalski und Mitglied der „Notgemeinschaft zur Rettung des Friedens in Europa“, seit 1952 GVP  S. 597–598, 600 Kraft, Waldemar Erich (1898–1977), 1921–1939 Direktor des Hauptvereins der deutschen Bauernvereine in Posen, 1940–1945 Geschäftsführer der Reichsgesellschaft für Landbewirtschaftung in Berlin, 1950 Mitbegründer des Blockes der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) und dessen Vorsitzender in SchleswigHolstein, 1950–1953 Finanzminister von Schleswig-Holstein, ab 1951 auch Justizminister, 1951–1955 Bundesvorsitzender des BHE (ab 1952 Gesamtdeutscher Block/BHE), seit 1953 Bundesminister für besondere Aufgaben  S. 207–208 Kramer, Erwin (1902–1979), 1932 Emigration in die UdSSR, 1937–1939 Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg, 1939 Internierung in Spanien, später Rückkehr in die UdSSR, 1945 Rückkehr nach Berlin, Vizepräsident der Reichsbahndirektion Berlin, 1949–1950 stellvertretender Generaldirektor der Deutschen Reichsbahn, 1949 „strenge Verwarnung“ durch die ZPKK, 1950–1954 Generaldirektor der Deutschen Reichsbahn, 1953 stellvertretender Minister für Eisenbahnwesen  S. 464–465 Krasin, Leonid Borisovič (1870–1926), 1920–1923 Volkskommissar für Außenhandel und Leiter der sowjetischen Handelsvertretung in London, 1924 Botschafter der UdSSR in Paris, 1925 in London  S. 424, 431 Krasnobaev, Nil Ivanovič (1910–2004), seit 1937 VKP (b), 1940–1941 und 1943– 1946 Direktor der Weißrussischen Eisenbahn, 1941–1942 Bevollmächtigter des Volkskommissariats für Verkehr an der Brjansker Front, 1946–1951 Direktor der Eisenbahnen des westlichen Gebiets, 1951–1953 Stellvertreter des Verkehrsministers der UdSSR, seit 1953 Direktor der Baltischen Eisenbahnen  S. 465 Kreikemeyer, Willi (1894–1950?), seit 1920 KPD, 1933 Emigration, Aufenthalte in mehreren Ländern, 1936–1938 Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg, seit 1939 in Frankreich, 1946 Rückkehr nach Deutschland, 1949–1950 Generaldirektor der Reichsbahn, 1950 aus der SED ausgeschlossen und vom MfS verhaftet, in Haft unter ungeklärten Umständen zu Tode gekommen  S. 174–175 Krekeler, Heinz (1906–2003), Chemiker und Diplomat, 1934–1945 Mitarbeiter der I. G.-Farbenindustrie, Werk Ludwigshafen-Oppau, seit 1945 FDP, 1947–1950 MdL in Nordrhein-Westfalen, 1950–1951 Generalkonsul I. Klasse und Leiter des Generalkonsulats der Bundesrepublik Deutschland in New York, 1951–1953 Geschäftsträger an der diplomatischen Vertretung in Washington  Dok. 68 Kretzschmar*, G., Konstrukteur der Bleichert-Werke, wechselte 1952 zum Kon­ struktionsbüro AVUS  S. 505 Kroll, Hans (1898–1967), seit 1920 im Auswärtigen Dienst, 1932–1936 Legationsrat im Auswärtigen Amt, 1936–1943 Botschaftsrat bzw. Gesandter in Ankara, 1943–

Personenregister721 1945 Generalkonsul in Barcelona, 1948–1950 Gutachter des Bundesministeriums für den Marshallplan, seit 1950 Ständiger Delegierter der Bundesregierung bei den Pariser Embargo-Ausschüssen, 1951–1953 Leiter der Gruppe West-Ost und Interzonenhandel im Bundesministerium für Wirtschaft, seit 1953 Botschafter in Belgrad  Dok. 121, S. 181–182, 195, 310–311, 411, 468–469, 489 Kruglov (Jakovlev), Sergej Nikiforovič (1907–1977), seit 1938 in den sowjetischen Sicherheitsorganen tätig, 1943–1945 1. Stellvertreter des Volkskommissars für ­innere Angelegenheiten, seit 1945 Generaloberst, 1945–1953 Volkskommissar für innere Angelegenheiten bzw. Innenminister der UdSSR, seit 1952 Mitglied des ZK der KPdSU  S. 156, 158 Krummacher, Friedrich-Wilhelm (1901–1974), ev. Theologe, seit 1933 NSDAP, 1934–1939 Oberkirchenrat bzw. Oberkonsistorialrat im kirchlichen Außenamt der Deutschen Evangelischen Kirche, seit 1939 Kriegsdienst als Lazarett- und Divi­ sionspfarrer, 1943–1945 sowjetische Kriegsgefangenschaft, Mitarbeit im NKFD, 1945 Rückkehr nach Deutschland im Gefolge der Gruppe „Walter Ulbricht“, 1946– 1955 Generalsuperintendent in Berlin  S. 112, 140–141 Kuckhoff, Greta (1902–1981), geb. Lorke, Volkswirtin und Soziologin, nach 1933 Tätigkeiten als freie Übersetzerin, seit 1935 KPD, Mitglied der Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“, 1942 verhaftet, 1943 zum Tode verurteilt, danach zu 10 Jahren Zuchthaus begnadigt, seit 1945 KPD bzw. SED, 1948–1949 Mitglied des Sekreta­ riats der DWK, 1949–1958 Abgeordnete der (Provisorischen) Volkskammer, 1949– 1950 Leiterin der HA II (Wirtschaftspolitische Angelegenheiten) des MfAA, 1950– 1958 Präsidentin der Deutschen Notenbank  Dok. 24, S. 78, 89, 256, 267 Kuczynski, Jürgen (1904–1997), seit 1930 KPD, 1936–1945 Exil in Großbritannien, 1946–1956 Professor für Wirtschaftsgeschichte, Leiter des Instituts für Wirtschaftsgeschichte an der Berliner Universität, 1945 Präsident der Zentralverwaltung für Finanzen in Berlin, 1947–1950 Präsident der Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion bzw. der DSF, 1950–1951 Vizepräsident der DSF, 1949–1958 Abgeordneter der (Provisorischen) Volkskammer, 1949–1952 nebenamtlicher Direktor des Deutschen Wirtschaftsinstituts  S. 180 Kudrjavcev, Sergej Michajlovič (1915–1998), bis 1941 Korrespondent der TASS in Berlin, seit 1941 im diplomatischen Dienst, 1941–1942 Mitarbeiter der Botschaft der UdSSR in der Türkei, 1942–1944 in Kanada, 1944–1945 in Großbritannien, 1946–1947 Stellvertreter des Politischen Beraters der SMAD, seit 1947 Mitarbeiter des zentralen Apparats des MID der UdSSR, 1950–1951 Stellvertreter des Leiters der Dritten Europäischen Abteilung des MID, 1952–1953 politischer Vertreter der UdSSR bei der Regierung Österreichs  S. 76 Kügler, Karl (1894–1951), NSDAP, nach dem Krieg Wirtschaftsprüfer in der Verwaltung der Handelsbetriebe des Landes Sachsen-Anhalt, 1950 verhaftet und wegen angeblicher Spionage und Mitgliedschaft in einer konterrevolutionären Organisa­ tion durch ein SMT zum Tode verurteilt, 1951 in Moskau erschossen  S. 250 Külz, Helmut Robert (1903–1984), seit 1926 DDP, seit 1934 Rechtsanwalt am Kammergericht Berlin, 1940–1945 Angehöriger der Wehrmacht, danach in amerika­ nischer Kriegsgefangenschaft, 1946–1949 LDP, 1946–1948 Landesdirektor und Justizminister in Thüringen, 1948 Flucht nach Westdeutschland, 1948–1950 Ministerialdirektor in der Wirtschaftsverwaltung der Bizone, 1951–1953 im Bundesministerium für Wirtschaft (im Wartestand), seit 1951 SPD  S. 494

722 Anhang Künkel*, Landwirt in Bad Salzungen  S. 624 Künsberg, Eberhard Max Paul Freiherr von (1909–?), Jurist und Diplomat, seit 1929 NSDAP und SS, 1937–1939 SS-Führer im Stab des SS-Hauptamts der Reichsführung-SS, seit 1939 im Auswärtigen Dienst, 1939–1941 Leiter des Sonderkommandos des Auswärtigen Amtes Künsberg, 1941–1942 des SS-Sonderkommandos Gruppe Künsberg, seit 1945 vermisst, 1949 für tot erklärt  S. 382 Kumykin, Pavel Nikolaevič (1901–1976), seit 1924 Mitarbeiter im Außenhandelsministerium der UdSSR, 1949–1951 1. Stellvertreter des Ministers, 1951–1953 Minister für Außenhandel der UdSSR, 1952–1953 Mitglied der ständigen Kommission für auswärtige Angelegenheiten beim Präsidium des ZK der KPdSU  S. 568, 609 Kuzin, M. G., Mitarbeiter der Staatlichen Planstellenkommission beim Ministerrat der UdSSR  S. 535 Lange, Fritz (1898–1981), 1919 USPD, seit 1920 KPD, 1925–1933 Stadtverordneter in Berlin, 1933 und 1942–1945 in Haft, 1948–1954 Leiter der Zentralen KontrollKommission bzw. der Kommission für Staatliche Kontrolle der DDR  S. 344, 508– 509, 630 Lavrent’ev, Anatolij Iosifovič (1904–1984), seit 1939 im diplomatischen Dienst, 1944–1946 Volkskommissar für auswärtige Angelegenheiten der RSFSR, 1946– 1949 Botschafter der UdSSR in Jugoslawien, 1949–1951 stellvertretender Außenminister der UdSSR, 1951–1952 Botschafter in der ČSR, 1952–1953 in Rumänien  S. 3–4, 243 Lawrentjew, vgl. Lavrent’ev Lay, James (1911–1987), 1947–1950 Assistant Executive Secretary of the National Security Council, 1950–1961 Executive Secretary of the National Security Council  S. 237 Lazarev, Viktor Nikitič (1897–1976), Kunsthistoriker und Byzantinist, 1924–1936 verschiedene leitende Tätigkeiten am Moskauer Puschkin-Museums, seit 1935 Professor für Kunstgeschichte an der Moskauer Lomonossow-Universität, 1945–1946 als Mitglied einer Expertenkommission der Staatlichen Sonderkommission, die Kulturgutverluste im Zweiten Weltkrieg registrierte und die Requirierung deutscher Kulturgüter plante, in Deutschland, 1946 Leiter der sowjetischen Delegation am Central Collecting Point München, seit 1947 Leiter der Restauration der Kiewer Sophienkathedrale  S. 380 Lebedev*, Mitarbeiter der SKK  S. 66 Lebedev*, Dolmetscher der SKK  S. 199 Lehmann, Helmut (1882–1959), seit 1903 SPD, 1914–1933 Vorsitzender des Hauptverbands deutscher Krankenkassen in Dresden bzw. Berlin, 1933 und 1935 zeitweilig inhaftiert, Leiter einer sozialdemokratischen Widerstandsgruppe in Berlin, 1944–1945 erneut inhaftiert, 1946–1959 Mitglied des Parteivorstands bzw. des ZK, seit 1946 zugleich des Zentralsekretariates bzw. 1949–1950 des Politbüros des ZK der SED, seit 1947 im Bundesvorstand des FDGB, 1949–1959 Abgeordneter der (Provisorischen) Volkskammer, 1946–1959 Präsident der Volkssolidarität, 1950– 1959 Vorsitzender des Zentralvorstands der Sozialversicherung  S. 324 Lehmann, Otto (1913–1991), seit 1932 KPD, 1934–1939 Elektroinstallateur bzw. Elektriker, 1939–1943 Angehöriger der Wehrmacht, 1943–1949 sowjetische Kriegsgefangenschaft, seit 1950 Sekretär, seit 1952 Mitglied des Präsidiums des FDGBBundesvorstands  S. 488

Personenregister723 Lehmann, Paul (1893–?), 1951 wegen angeblicher Spionagetätigkeit zu 25 Jahren Freiheitsentzug verurteilt, 1954 begnadigt  S. 460 Lehr, Robert (1883–1956), seit 1929 DNVP, 1924–1933 Oberbürgermeister von Düsseldorf, 1933 Amtsenthebung, kurzzeitige Haft und erzwungener Ruhestand, seit 1935 Mitglied eines Widerstandskreises um Karl Arnold in Düsseldorf, seit 1945 CDU, 1946–1950 MdL in Nordrhein-Westfalen, 1948–1949 Mitglied des Parlamentarischen Rates, 1949–1953 MdB, 1950–1953 Bundesminister des Innern  S. 247, 378 Lemmer, Ernst (1898–1970), seit 1918 DDP, 1924–1932 und 1933 Reichstagsabgeordneter (DDP und DStP), nach 1933 Tätigkeiten als Auslandskorrespondent, 1945 Mitbegründer der CDU in Berlin, 1946–1947 neben Jakob Kaiser 2.  Vorsitzender der CDU, auf Druck der SMAD abgesetzt, 1949 Übersiedlung nach West-Berlin, 1949–1956 Chefredakteur des Kurier, 1950–1956 stellvertretender Vorsitzender des CDU-Landesverbandes in Berlin, 1950–1961 stellvertretender Vorsitzender der Exil-CDU, 1950–1969 Mitglied, 1951–1956 Vorsitzender der CDU-Fraktion des Abgeordnetenhauses von West-Berlin, 1952–1970 Vertreter West-Berlins im Bundestag  Dok. 84, 85, S. 109, 276, 304, 521, 641–643 Lenin (Uljanov), Vladimir Il’ič (1870–1924), 1917–1924 Vorsitzender des Rates der Volkskommissare der RSFSR bzw. UdSSR  S. 429 Lenski, Arno von (1893–1986), Offizierslaufbahn in der Kavallerie der Reichswehr, 1939–1942 ehrenamtlicher Beisitzer in Spionageprozessen am Volksgerichtshof, seit 1942 Generalmajor der Wehrmacht, Kommandeur der 24. Panzerdivision bei Stalingrad, 1943–1949 sowjetische Kriegsgefangenschaft, seit 1944 Mitglied im NKFD, seit 1949 NDPD, 1949–1950 stellvertretender Vorsitzender des Landesvorstands der NDPD Berlin, 1950–1951 Politischer Mitarbeiter beim Hauptvorstand der NDPD, 1951–1952 Direktor des Berliner Stadtkontors (Bank von Groß-Berlin), 1951–1966 Mitglied des Zentralvorstands der DSF, seit 1952 Generalmajor der KVP, 1952–1953 Leiter der Verwaltung für Motorisierung  S. 607 Lenz, Otto (1903–1957), Jurist, 1928 Eintritt in den preußischen Staatsdienst und in die Zentrumspartei, 1932–1933 Pressereferent im preußischen Justizministerium, seit 1934 Landgerichtsdirektor, 1938 aus dem Justizdienst entlassen, danach Rechtsanwalt und Notar in Berlin, 1944 verhaftet und zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt, 1945 Mitbegründer der CDU in Berlin, 1949–1950 Rechtsanwalt in München, 1951–1953 als Staatssekretär Chef des Bundeskanzleramts  S. 108–109, 213, 397, 404–405, 468–469, 589–590, 644 Leopold, Kurt (1900–1973), 1923–1937 wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Industrie- und Handelskammer Berlin, seit 1937 Mitglied der Geschäftsführung der Reichswirtschaftskammer, seit 1949 stellvertretender Leiter, 1953–1964 Leiter der Treuhandstelle für den Interzonenhandel in West-Berlin  S. 411, 466–467 Leucht, Kurt Walter (1913–2001), seit 1933 NSDAP, 1934–1935 Angehöriger der Luftwaffe, 1935–1941 Mitarbeit in Architekturbüros, 1941–1945 Militärdienst als Regierungsbauinspekteur (Flughafenbau), seit 1945/1946 KPD bzw. SED, 1948– 1950 Leiter und Oberbaurat im Planungsamt Dresden, seit 1950 Leiter der Abteilung Städtebau im Ministerium für Aufbau, seit 1952 Direktor des Instituts für Städtebau und Siedlungswesen, 1952–1953 Generalprojektant Stalinstadt  S. 11 Leuschner, Bruno Max (1910–1965), seit 1931 KPD, seit 1936 Zuchthaus, 1942– 1945 KZ Sachsenhausen und Mauthausen, seit 1946 Leiter der Abteilung Wirtschaft

724 Anhang und Finanzen im Parteivorstand der SED, seit 1947 Leiter der Abteilung für Wirtschaftsfragen der DWK, 1949–1950 Staatssekretär im Planungsministerium der DDR, 1950–1952 erster Stellvertreter des Vorsitzenden und 1952–1961 Vorsitzender der Staatlichen Plankommission der DDR  S. 21, 69–70, 72, 183–184, 197, 353, 477, 511, 543, 566 Lie, Trygve Haldvan (1896–1968), seit 1935 Justizminister, seit 1939 Handelsminister bzw. Minister für Versorgung von Norwegen, 1941–1945 Außenminister der norwegischen Exilregierung, 1946–1952 erster Generalsekretär der Vereinten Nationen  S. 192 Liebknecht, Kurt (1905–1994), 1929–1931 Mitarbeiter im Architekturbüro Hans Poelzig, seit 1931 als „Spezialist“ in der UdSSR, dort Beteiligung an verschiedenen Bauprojekten, 1937 sowjetische Staatsbürgerschaft, 1938 vom NKVD verhaftet, 1948 Rückkehr nach Deutschland, 1949–1951 Direktor des Instituts für Städtebau und Hochbau, 1951–1961 Präsident der Deutschen Bauakademie der DDR  S. 10– 11 Lilje, Hanns (1899–1977), 1924 Ordination, 1935–1945 Generalsekretär des Lutherischen Weltkonvents, Mitglied der Bekennenden Kirche, 1944–1945 Gestapo-Haft, 1947–1971 Landesbischof von Hannover, 1949–1967 stellvertretender Ratsvorsitzender der EKD  S. 346 Limbourg, Peter (1915–2015), Jurist und Diplomat, 1939 Einberufung zur Wehrmacht, Kriegsgefangenschaft, seit März 1950 Mitarbeiter der Verbindungsstelle zur Alliierten Hohen Kommission, seit Juni 1950 der Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten der Bundesrepublik, 1952–1955 Legationsrat an der Deutschen Botschaft in Paris  S. 305 Linke, Karl (1900–1961), 1924–1930 KSČ, seit 1930 in der UdSSR und Mitglied der VKP  (b), 1941–1946 Dienst in der Roten Armee, 1949 Übersiedlung nach Berlin, 1950–1951 Übersetzer in der SKK, 1951–1952 Abteilungsleiter und Leiter des Sekretariats des Vorsitzenden der SPK, seit 1951 SED, seit 1952 Generalmajor der KVP, 1952–1955 Leiter der Verwaltung für allgemeine Fragen (Aufklärung)  S. 607 Litvinov (Wallach-Finkelstein), Maksim Maksimovič (1876–1951), seit 1918 im diplomatischen Dienst, 1930–1939 Volkskommissar für auswärtige Angelegenheiten, 1941–1946 Stellvertreter des Volkskommissars für auswärtige Angelegenheiten der UdSSR, zugleich 1941–1943 Botschafter in den USA und 1942–1943 Gesandter auf Kuba, seit 1946 im Ruhestand  S. 424 Loch, Hans (1898–1960), Jurist, 1919–1924 DDP, 1936–1938 Exil in den Niederlanden, 1939–1945 Angehöriger der Wehrmacht, 1945 Gründungsmitglied der LDP in Thüringen, 1946–1948 Oberbürgermeister von Gotha, 1947 Mitbegründer der DSF, 1948–1950 Minister für Justiz in Thüringen, 1949–1960 Abgeordneter der (Provisorischen) Volkskammer, seit 1949 stellvertretender Vorsitzender, 1951–1952 KoVorsitzender, seit 1952 Vorsitzender der LDPD, 1949–1955 Minister für Finanzen der DDR, seit 1950 stellvertretender Vorsitzender des Ministerrats  Dok. 52, S. 22, 53, 93, 155, 264, 327, 566 Lodgman von Auen, Rudolf (1877–1962), 1919 Mitbegründer, 1922–1926 Vorsitzender der Deutschen Nationalpartei Böhmens (DNP), 1945 Vertreibung nach Deutschland, 1950–1959 Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft, 1952– 1954 Vorsitzender des VdL  S. 451

Personenregister725 Löhr, Jonny (1899–1967), seit 1922 KPD, seit 1928 Mitarbeiter der GRU in Rumä­ nien, 1930–1940 dort inhaftiert, 1940–1945 Exil in der UdSSR, 1942–1944 Mitarbeiter des NKVD, 1948 Mitbegründer der NDPD, 1948–1950 Vorsitzender des Landesvorstands Mecklenburg der NDPD, 1949–1950 Vizepräsident der Provisorischen Volkskammer; 1950–1951 Leiter der Diplomatischen Mission der DDR in Rumänien, 1951 auf rumänischen Wunsch abberufen, 1951–1953 Direktor der DIA Transportmaschinen  S. 267 Lohagen, Ernst (1897–1971), seit 1919 KPD, 1933–1934 KZ, 1935 erneut verhaftet, 1938–1945 Zuchthaus, 1946–1950 MdL in Sachsen, 1946–1952 Mitglied des Parteivorstands bzw. ZK der SED, 1948–1952 Vorsitzender bzw. 1. Sekretär des SEDLandesverbandes in Sachsen, 1949–1954 Abgeordneter der (Provisorischen) Volkskammer, 1952 als 1. Sekretär der SED-Landesleitung Sachsen abgelöst und aus dem ZK der SED ausgeschlossen  S. 83–84, 101 Loščakov, Aleksandr Ivanovič (1910–2010), 1949–1954 Sekretär des RGW, stellvertretender Außenhandelsminister der UdSSR  S. 312–313 Loschakow, vgl. Loščakov Luetgens, vgl. Lütgens Lütgens, Edgar, Generaldirektor der Handelsgesellschaft Textil der DDR, stellvertretender Minister für Handel und Versorgung  S. 124–125 Lun’kov, Nikolaj Mitrofanovič (1919–?), 1943–1946 Mitarbeiter des zentralen Apparats des NKID, 1946–1949 1. Sekretär der Mission der UdSSR in der Schweiz, 1949–1952 Referent des Leiters der Dritten Europäischen Abteilung des MID, 1952–1954 Stellvertreter des Politischen Beraters beim Vorsitzenden der SKK bzw. Berater für Außenbeziehungen des Hohen Kommissars der UdSSR in Deutschland  S. 66, 382 MacArthur, Douglas (1880–1964), US-amerikanischer General, 1945–1951 Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte in Japan, 1950–1951 Oberbefehlshaber der internationalen UNO-Truppen in Korea, 1951 von Truman abgesetzt  S. 274, 322 Machalov, V., Oberleutnant, Dolmetscher der SKK  Dok. 14, 17, 18, 19, 21, 25, 27, 31, S. 13, 15, 23, 36, 39, 49 Maetzig, Kurt (1911–2012), Regisseur, 1934 Berufsverbot durch die Reichsfilmkammer, danach kaufmännische Tätigkeit im Betrieb des Vaters, seit 1944 KPD, 1946 Mitbegründer der DEFA, seit 1946 Direktor der DEFA-Wochenschau „Der Augenzeuge“, daneben Regie von Dokumentarfilmen, seit 1950 Mitglied der DAK  S. 272 Mahlow, Hedwig, Abteilungsleiterin im Büro des RGW in Moskau  S. 241 Maier, Reinhold (1889–1971), seit 1918 DDP, seit 1920 Rechtsanwalt, 1930–1933 Wirtschaftsminister von Württemberg, 1932–1933 Reichstagsabgeordneter, 1944 Berufsverbot, 1945 Mitbegründer der DVP, seit 1948 DVP/FDP, 1945–1953 Ministerpräsident von (Nord-)Württemberg-(Nord-)Baden bzw. Baden-Württemberg  S. 596, 599–600 Mal’cev, Michail Mitrofanovič (1904–1982), seit 1935 in den sowjetischen Sicherheitsorganen tätig, 1943–1946 Leiter der Verwaltung des Besserungsarbeitslagers Vorkuta-Pečera und des Kombinats Vorkutugol’ des NKVD, seit 1945 Generalmajor des NKVD, 1946–1947 Leiter der Sächsischen Bergbauverwaltung, 1947–

726 Anhang 1951 Generaldirektor der SAG Wismut, danach Rückkehr in die Arbeitslagerverwaltung des MVD der UdSSR  S. 22, 36, 39, 43, 45–46 Malenkov, Georgij Maksimilianovič (1902–1988), 1939–1953 Sekretär des ZK der VKP(b) bzw. KPdSU, 1941–1945 Mitglied des GKO, 1946–1953 stellvertretender Vorsitzender, 1953–1955 Vorsitzender des Ministerrats der UdSSR, 1946–1957 Mitglied des Politbüros bzw. Präsidiums des ZK der KPdSU, 1952–1953 Vorsitzender der Ständigen Kommission für auswärtige Angelegenheiten des Präsidiums des ZK der KPdSU  Dok. 110, 134, 135, S. 3–4, 425 Malenkow, vgl. Malenkov Malik, Jakov Aleksandrovič (1906–1980), seit 1937 im diplomatischen Dienst, 1939–1942 Botschaftsrat, 1942–1945 Botschafter der UdSSR in Japan, 1945–1946 Politischer Berater im Alliierten Kontrollrat für Japan, 1946–1953 stellvertretender Außenminister der UdSSR, gleichzeitig 1948–1952 ständiger Vertreter der UdSSR bei der UNO  S. 226, 493 Mao Tse-tung (1893–1976), 1921 Mitbegründer der KP Chinas, seit 1943 Vorsitzender des ZK der KP Chinas, seit 1949 Vorsitzender der Zentralen Volksregierung der VR China  S. 274, 323 Maron, Karl (1903–1975), seit 1926 KPD, seit 1934 Exil in Dänemark, 1935–1945 in der UdSSR, dort 1943–1945 stellvertretender Chefredakteur des Freien Deutsch­ land, 1945 Rückkehr nach Deutschland mit der „Gruppe Walter Ulbricht“, 1945– 1946 1.  Stellvertreter des Oberbürgermeisters von Berlin, 1948–1949 Stadtrat für Wirtschaft von Berlin, 1949–1950 stellvertretender Chefredakteur des Neuen Deutschland, 1950–1955 Chef der Deutschen Volkspolizei und stellvertretender Minister des Innern der DDR  S. 341, 393, 480, 546 Marshall, George Catlett (1880–1959), 1939–1945 Generalstabschef der US-Armee, 1945–1947 Sonderbotschafter der USA in China, 1947–1949 Außenminister der USA, in dieser Funktion 1947 Vorlage des ERP, 1950–1951 Verteidigungsminister der USA, 1953 Friedensnobelpreis  S. 55, 616 Martignac*, Leiter der Handelsgesellschaft Gross-Berlin  S. 199 Martinoff, vgl. Martynov Martynov*, 1950 sowjetischer Handelsvertreter in der DDR  S. 8, 127 Marx, Karl (1818–1883), Journalist, Philosoph und Ökonom, 1864–1872 Mitglied im Generalrat der Internationalen Arbeiter-Assoziation, 1867 Veröffentlichung von Band 1 seines Hauptwerks „Das Kapital“  S. 608 Maširin, A., seit 1952 stellvertretender Vorsitzender und Leiter der Abteilung für Wirtschaftsfragen der SKK  Dok. 119, S. 534, 646 Matern, Hermann (1893–1971), seit 1911 SPD, seit 1919 KPD, 1933–1934 inhaftiert, 1934 Flucht und Emigration, 1941–1945 Exil in der UdSSR und Tätigkeit im NKFD, 1946–1948 Vorsitzender des SED-Landesverbandes Groß-Berlin, 1946– 1950 Mitglied des Zentralsekretariats des Parteivorstands, seit 1950 des Politbüros des ZK der SED, seit 1948 Ko-Vorsitzender, seit 1950 Vorsitzender der ZPKK, seit 1949 Abgeordneter der (Provisorischen) Volkskammer, 1950–1954 Vizepräsident der Volkskammer  S. 181, 391, 458, 622 Matveev, A., Mitarbeiter im Apparat des Politischen Beraters beim Vorsitzenden der SKK  S. 336, 338, 348 McArthur, vgl. MacArthur

Personenregister727 McCloy, John Jay (1895–1985), US-amerikanischer Jurist und Politiker, 1947–1949 Präsident der Weltbank, 1949–1952 Hoher Kommissar der USA in Deutschland  S. 16, 94, 109, 133, 213, 224–226, 230, 235–236, 238–240, 253, 265, 431, 485, 495, 537–538 Mehs, Matthias Joseph (1893–1976), Gastwirt, 1929–1933 Stadtverordneter von Wittlich für die Zentrumspartei, 1944 vorübergehend in Haft, seit 1945 CDU, 1949–1953 MdB  S. 598 Meißner, Wilhelm (1899–?), seit 1922 SPD, 1939–1945 Angehöriger der Wehrmacht, seit 1946 SED, 1945–1950 persönlicher Referent von Otto Grotewohl, 1950–1954 Leiter der Abteilung Presse und Information im MfAA  S. 267 Mel’nikov*, Mitarbeiter der SKK  S. 66 Men’šikov, Michail Alekseevič (1902–1976), 1946–1949 Stellvertreter des Ministers für Außenhandel, 1949–1951 Minister für Außenhandel der UdSSR, 1952–1953 Stellvertreter des Bevollmächtigten des Ministerrats der UdSSR für die Angelegenheiten der sowjetisch-chinesischen Aktiengesellschaften Sojuzkitneft’ und Sojuzkitmetall  S. 81, 126, 128 Menschikoff, vgl. Men’šikov Merker, Paul (1894–1969), seit 1920 KPD, sei 1927 Mitglied des ZK, seit 1931 Aufenthalte in den USA, der UdSSR und Deutschland, 1937 Emigration nach Frankreich, dort 1940–1942 interniert, dann Flucht und 1942–1946 Exil in Mexiko, seit 1946 Mitglied des Parteivorstands, 1949–1950 des Politbüros des ZK der SED, Staatssekretär im Ministerium für Land- und Forstwirtschaft, 1950 Parteiausschluss, 1950–1952 Leiter einer HO-Gaststätte, 1952–1956 MfS-Untersuchungshaft bzw. Zuchthaus  S. 191 Merkulov, Vsevolod Nikolaevič (1895–1953), 1938–1941 und erneut 1941–1943 1. Stellvertreter des Volkskommissars für innere Angelegenheiten, 1941 und 1943– 1946 Volkskommissar für Staatssicherheit der UdSSR, 1939–1952 Mitglied des ZK der VKP (b), 1947–1950 Leiter der GUSIMZ, 1950–1953 Minister für Staatssicherheit der UdSSR, 1953 im Zusammenhang mit dem Prozess Berijas verhaftet und erschossen  Dok. 4, 5, 6, 7, 9, S. 501 Meynen, Erich Otto (1890–1954), seit 1920 im Auswärtigen Dienst, seit 1937 NSDAP, 1937–1942 Botschaftsrat in Buenos Aires, seit 1942 Gesandter und kommissarischer Leiter der Botschaft in Buenos Aires, 1945–1953 kaufmännische Tätigkeit in Lissabon, 1953–1954 Leiter der Dienststelle Berlin des Auswärtigen Amtes  S. 572, 581 Mikojan, Anastas Ivanovič (1895–1978), 1935–1952 Mitglied des Politbüros des ZK der VKP (b), 1952–1966 des Präsidiums des ZK der KPdSU, 1937–1953 Stellvertreter des Vorsitzenden des Rats der Volkskommissare bzw. des Ministerrats der UdSSR, 1938–1949 Volkskommissar bzw. Minister für Außenhandel der UdSSR  Dok. 104, 125, S. 15, 162, 464, 530 Mischulin, vgl. Mišulin Mišulin, Aleksandr Vasil’evič (1901–1948), Althistoriker, seit 1927 VKP (b), 1943 Promotion und Professur an der MGU, seit 1938 am Institut für Geschichte in der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, 1943–1945 stellvertretender Direktor des Instituts für die Geschichte der materiellen Kultur, 1946–1948 Rektor der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der VKP (b)  S. 138

728 Anhang Mitzenheim, Moritz (1891–1977), seit 1916 Pfarrer, seit 1936 Mitglied, 1943–1945 Leiter der Lutherischen Bekenntnisgemeinschaft Thüringen, 1945–1970 Landes­ bischof von Thüringen  S. 141 Mochalski, Herbert (1910–1992), seit 1937 Pfarrer, Bekennende Kirche, 1942–1945 Vertretung Niemöllers in dessen Pfarrstelle in Berlin-Dahlem, 1948–1951 Geschäftsführer des Bruderrates der EKD, seit 1949 Mitherausgeber der Zeitschrift Die Stimme der Gemeinde, 1951–1961 Studentenpfarrer in Darmstadt, 1951 Gründung der „Aktionsgruppe Darmstadt“ gegen die Wiederbewaffnung, Teilnahme am „Deutschen Kongress“, 1952 Mitbegründer der GVP  S. 597 Moiseev, Igor’ Aleksandrovič (1906–2007), 1924–1939 Solotänzer, seit 1930 Choreograf am Bolschoi-Theater, seit 1937 Leiter des Staatlichen Ensembles für Volkstanz der UdSSR  S. 11 Molotov (Skrjabin), Vjačeslav Michajlovič (1890–1986), 1926–1957 Mitglied des Politbüros des ZK der VKP (b) bzw. des Präsidiums des ZK der KPdSU, 1930– 1941 Vorsitzender, 1941–1953 Stellvertreter des Vorsitzenden des Rats der Volkskommissare bzw. des Ministerrats der UdSSR, 1939–1949 und 1953–1956 Volkskommissar bzw. Minister für auswärtige Angelegenheiten der UdSSR  Dok. 29, 104, 108, S. 13, 15, 23, 36, 39, 49, 162, 186, 244, 251, 257, 290, 308, 319, 359, 455, 457, 530, 549, 557 Molotow, vgl. Molotov Moltmann, Carl (1884–1960), seit 1902 SPD, 1932–1933 Reichstagsabgeordneter, 1934–1945 Tätigkeit als Tabakwarenhändler in Schwerin, 1944 kurzzeitig inhaftiert, 1945–1946 Vorsitzender des SPD-Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern, 1946–1948 Ko-Vorsitzender des Landesvorstands der SED in Mecklenburg (-Vorpommern), seit 1946 Mitglied des Parteivorstands bzw. ZK der SED, 1946– 1952 Präsident des Mecklenburger Landtages, seit 1952 Mitglied der SED-­ Bezirksleitung Schwerin  S. 53 Morrison, Herbert Stanley (1888–1965), britischer Politiker der Labour Party, 1940–1945 Innenminister in der Koalitionsregierung Churchills, 1945–1951 Vize­ premierminister, 1951 kurzzeitig Außenminister von Großbritannien  S. 53 Mückenberger, Erich (1910–1998), seit 1927 SPD, Tätigkeiten als Schlosser, 1935– 1936 KZ Sachsenburg, 1942–1945 Kriegsteilnahme im Strafbataillon der Wehrmacht, 1946–1948 Kreissekretär der SED und Stadtverordneter in Chemnitz, 1948– 1949 paritätischer 1. Sekretär des SED-Landesvorstands Sachsen, 1949–1952 1. Sekretär der SED-Landesleitung Thüringen, 1950–1989 Abgeordneter der Volkskammer  S. 103 Müller*, Mitglied der SED, Fahrer Georg Dertingers  S. 185 Müller, Gebhard (1900–1990), bis 1933 Zentrumspartei, seit 1934 Amtsgerichtsrat in Göppingen, Mitglied des Bundes Nationalsozialistischer Deutscher Juristen und der SS, jedoch nicht der NSDAP, seit 1939 Angehöriger der Wehrmacht, 1945 Oberstaatsanwalt, dann Ministerialrat im Tübinger Justizministerium, 1946 Mitbegründer und seit 1946 Landesvorsitzender der CDU in Württemberg-Hohenzollern, 1948–1952 Ministerpräsident von Württemberg-Hohenzollern, 1953–1958 von Baden-Württemberg  S. 494 Müller, Josef (1898–1979), seit 1927 Rechtsanwalt in München, 1943 verhaftet, 1944 Freispruch im Hochverratsprozess vor dem Reichskriegsgericht, 1945 KZ Buchen-

Personenregister729 wald, Flossenbürg, Dachau, 1946–1949 Vorsitzender der CSU, 1947–1950 stellvertretender Ministerpräsident von Bayern, 1947–1952 Bayerischer Justizminister, 1952–1960 Bezirksvorsitzender der CSU in München  S. 47–48, 63, 133–134, 494 Müller, Ludolf Hermann (1882–1959), seit 1927 Pfarrer und Superintendent in Heiligenstadt, 1934 Amtsenthebung und Strafversetzung, 1935 Rückkehr ins Amt, Provinzialvorsitzender der Bekennenden Kirche, 1937 zwei Monate in Haft, 1947– 1955 Bischof der Evangelischen Kirche Sachsen  S. 110–113, 136, 139 Müller, Vincenz (1894–1961), seit 1943 Generalleutnant der Wehrmacht, 1944–1948 sowjetische Kriegsgefangenschaft, Mitglied des NKFD, seit 1948 NDPD, 1949– 1952 deren stellvertretender Vorsitzender, 1950–1952 Vizepräsident der Volkskammer, 1953–1955 Chef des Stabes der Kasernierten Volkspolizei  S. 607 Mulatier, Léon (1887–?), 1939–1947 stellvertretender Direktor des ITU-Büros, 1950–1953 Generalsekretär der ITU  S. 386 Munschke, Ewald (1901–1981), seit 1930 KPD, 1933–1936 Exil in der UdSSR, 1936–1938 Politkommissar der 13. Internationalen Brigade in Spanien, 1938–1945 Exil in Frankreich, Belgien und den Niederlanden, 1949–1952 Hauptreferent und Leiter der Kaderabteilung beim ZK der SED, seit 1952 Generalmajor der KVP und Leiter der Verwaltung Kader im MdI  S. 607 Mutius, Bernhard Ludwig von (1913–1979), 1947 Sekretär des deutschen Volkskongresses, 1949 Volksrat in der Presse- und Informationsabteilung des DDR-Außenministeriums, 1949 kurzzeitig persönlicher Referent Dertingers und Leiter der Hauptabteilung IV (Rechtsangelegenheiten) des MfAA, 1950 wegen Spionageverdachts verhaftet, 1953 Verurteilung zur Zwangsarbeit, Verbannung nach Vorkuta  S. 57 Nadolny, Rudolf (1873–1953), seit 1902 im Auswärtigen Dienst, 1933–1934 Botschafter in der UdSSR, nach seinem Rücktritt Tätigkeiten als Gutsverwalter, 1939– 1942 Hauptmann und Major im Oberkommando der Wehrmacht (Stab des Admirals Canaris), seit 1945 Mitarbeiter des Kaiser-Wilhelm- bzw. Max-Planck-Institutes für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, bis 1947 regelmäßige Gespräche mit der SMAD, 1949 Umzug nach Rhöndorf, 1950 mit Andreas Hermes u. a. Gründungsmitglied und bis zu seinem Austritt 1951 stellvertretender Vorsitzender der „Gesellschaft für die Wiedervereinigung Deutschlands“  Dok. 73, S. 642 Nazarov, Prokofij Fedorovič (1903 oder 1905–?), Oberstleutnant, seit 1946 Leiter der Parteienabteilung der Propagandaverwaltung der SMAD  S. 6, 66 Nebelung, Ludwig (1905–1951), NSDAP, nach dem Krieg Lehrer in Leipzig, 1950 verhaftet und wegen angeblicher Spionage und Mitgliedschaft in einer konterrevolutionären Organisation durch ein SMT zum Tode verurteilt, 1951 in Moskau erschossen  S. 250 Nehru, Jawaharlal (1889–1964), 1947–1964 Ministerpräsident Indiens  S. 270–271, 361 Nelken, Peter (1919–1966), 1936 Emigration nach Österreich, 1938 nach England, danach Belgien, 1940 Rückkehr nach Deutschland, 1941 verhaftet, seit 1945 KPD bzw. SED, 1949–1950 Hauptreferent in der Abteilung Parteischulung des Zentralsekretariats der SED, 1950–1952 Leiter der HA Friedens- und Planpropaganda im Amt für Information, seit 1953 Chefredakteur beim Nationalrat der Nationalen Front  S. 394

730 Anhang Nero, vgl. Nehru Neukirchen, Heinz (1915–1986), seit 1935 Angehöriger der Kriegsmarine, seit 1943 Offizier, seit 1944 Oberleutnant zur See, 1945–1949 sowjetische Kriegsgefangenschaft, seit 1949 NDPD, 1949–1950 Politischer Geschäftsführer der NDPD in Mecklenburg, 1950–1951 stellvertretender Vorsitzender des NDPD-Landesvorstands in Berlin, 1950–1952 Abgeordneter der Volkskammer, 1951–1954 Chef des Stabes der Seepolizei bzw. VP-See, seit 1952 Konteradmiral der KVP  S. 607 Neumann, Alfred (1909–2001), seit 1929 KPD, 1934 Emigration nach Dänemark, dann in die UdSSR, 1938 Ausweisung aus der UdSSR und Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg, 1939–1941 in Frankreich und 1941–1945 in Deutschland inhaftiert, 1945–1947 sowjetische Kriegsgefangenschaft, 1949–1951 Sekretär für Propaganda in der SED-Landesleitung Berlin, 1951–1953 stellvertretender Oberbürgermeister von Berlin (Ost)  S. 368–369, 553 Niemöller, Emil Gustav Martin (1892–1984), seit 1923 Vikar u. a. in Berlin-Dahlem, seit 1934 Bekennende Kirche, 1937–1945 KZ Sachsenhausen und Dachau, seit 1945 stellvertretender Vorsitzender des Rats der EKD, 1947–1964 Kirchenpräsident der Ev. Kirche in Hessen und Nassau  Dok. 92, 93, 94, S. 248, 258–259, 263, 304– 305, 333, 346, 354–355, 399, 426, 483, 597 Niemöller, Hertha (1927–1986), Tochter Martin Niemöllers, 1953 Heirat mit Wilhelm von Klewitz  S. 437–438 Nissen, Walter (1908–1993), Archivar, nach Kriegsdienst und Kriegsgefangenschaft seit 1947 Tätigkeit am Landeshauptarchiv Magdeburg, seit 1950 Leiter der Abteilung II Merseburg des Deutschen Zentralarchivs der DDR, 1959 Übersiedlung in die Bundesrepublik  S. 492 Noack, Ulrich (1899–1974), Historiker, 1944 kurzzeitig in Haft, seit 1946 CSU, 1946–1964 Professor für Neuere Geschichte an der Universität Würzburg, 1948 Begründer des Nauheimer Kreises, 1951 Ausschluss aus der CSU, 1952–1967 Herausgeber der Zeitschrift Welt ohne Krieg, 1952 Mitbegründer der Wählergemeinschaft „Freie Mitte“, 1953 kurzzeitig GVP  S. 103–104, 201–202, 204–205, 253, 259, 275, 288 Norden, Albert (1904–1982), seit 1921 KPD, 1933–1946 Exil in Dänemark, Frankreich, der ČSR und den USA, seit 1946 SED, 1947–1948 Leiter des Pressedienstes der DWK, 1948–1949 Chefredakteur der Zeitung Deutschlands Stimme, 1949– 1950 Abgeordneter der Provisorischen Volkskammer, 1949–1952 Leiter der HA Presse des Amtes für Information der DDR, 1953–1954 Professor für Geschichte der Neuzeit an der Humboldt-Universität zu Berlin  S. 95 Nostitz, Siegfried von (1905–1993), seit 1933 NSDAP, 1933–1934 Hilfsarbeiter im Reichsjustizministerium und Mitglied der SA, seit 1934 im Auswärtigen Dienst, 1939–1945 Gesandtschaftsrat in Bern, seit 1951 erneut im Auswärtigen Dienst, 1952–1953 Leiter des Referats II der Abteilung V (Recht)  S. 309 Nuschke, Otto (1883–1957), seit 1918 DDP bzw. DStP, 1931–1933 deren Reichsgeschäftsführer, nach 1933 Landwirt, 1944–1945 in der Illegalität, 1945 Mitbegründer der CDU in Berlin und der SBZ, 1945–1948 Verlagsleiter der Neuen Zeit, seit 1946 Mitglied des Vorstands, seit 1947 kommissarischer Vorsitzender, seit 1948 Vorsitzender der CDU in der SBZ, 1949–1957 stellvertretender Ministerpräsident bzw. Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrats, bis 1953 Leiter der HA „Ver-

Personenregister731 bindung zu den Kirchen“ beim Ministerrat der DDR  S. 6, 50, 82–84, 91, 97, 100– 101, 110, 112, 114, 138–141, 259, 264, 272, 304–305, 322, 399, 406, 418, 423, 480, 524, 577, 619–621 Oelßner, Fred (1903–1977), seit 1920 KPD, seit 1934 Emigration in der UdSSR, 1947–1958 Mitglied des Parteivorstandes bzw. ZK der SED, 1949–1958 Abgeordneter der (Provisorischen) Volkskammer, 1949–1955 Mitglied des Kleinen Sekretariats bzw. Sekretariats und 1950–1958 des Politbüros des ZK der SED, 1950–1956 Chefredakteur der Einheit, seit 1951 nichthauptamtlicher Leiter des Lehrstuhls Politische Ökonomie am Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED  S. 17, 144, 159, 369–370, 458, 474, 530 Ogol’cov, Sergej Ivanovič (1900–1976), seit 1918 in den sowjetrussischen bzw. sowjetischen Sicherheitsorganen tätig, seit 1945 Generalleutnant, 1945–1946 1. Stellvertreter des Volkskommissars für Staatssicherheit, 1946–1951 Stellvertreter für allgemeine Angelegenheiten, 1951–1952 1. Stellvertreter des Ministers für Staatssicherheit der UdSSR, 1952 zwischenzeitlich Minister für Staatssicherheit der Kirgisischen SSR, 1952–1953 erneut 1. Stellvertreter des Ministers für Staatssicherheit der UdSSR, nach Stalins Tod vorübergehend inhaftiert  S. 639–640 Ohl*, Polizist, Kreis Seelow  S. 625 Ollenhauer, Erich (1901–1963), seit 1918 SPD, 1933–1946 Exil in der ČSR, Frankreich und Großbritannien, dort Mitglied des emigrierten Parteivorstands der SPD, seit 1946 stellvertretender Vorsitzender der SPD, 1949–1952 stellvertretender Fraktionsvorsitzender, 1952–1963 Fraktionsvorsitzender der SPD im Deutschen Bundestag und Bundesvorsitzender der SPD  S. 232, 276, 494, 523 Orlopp, Josef (1888–1960), seit 1910 SPD, 1933–1945 Tätigkeiten als Landwirt und Einzelhändler, seit 1946 Mitglied der Landes- bzw. Bezirksleitung der SED von Groß-Berlin, seit 1947 Vizepräsident der Deutschen Zentralverwaltung für Handel und Versorgung, danach Präsident der Deutschen Zentralverwaltung bzw. seit 1948 der HV für Interzonenhandel und Außenhandel der DWK, 1949–1950 Mitglied der Provisorischen Volkskammer, 1949–1951 HA-Leiter im Ministerium für Innerdeutschen Handel, Außenhandel und Materialversorgung, 1951–1953 Regierungsbevollmächtigter für Innerdeutschen Handel  S. 119–120, 189, 338–339, 384, 411, 466–468 Orlov, Aleksandr Leonidovič (1907–1969), 1949–1952 Mitglied der Außenpolitischen Kommission beim ZK der VKP (b), seit 1952 Leiter der Informationsabteilung der SKK  S. 535–536 Oster, Hans Karl Joachim (1914–1983), seit 1933 Angehöriger der Reichswehr bzw. Wehrmacht, bei Kriegsende Major im Generalstab, Kriegsgefangenschaft, 1946– 1949 Mitarbeiter der CSU-Landesgeschäftsstelle für Informationsbeschaffung, 1950 als „Sachbearbeiter und Organisator für den Nachrichtendienst“ Mitarbeiter des Bundeskanzleramtes und der „Zentrale für Heimatdienst“, 1950–1955 Leiter der Sicherheitsgruppe im Amt Blank (Vorläuferorganisation des Militärischen Abschirmdienstes)  Dok. 38 Pak Hen Jen, vgl. Pak Hon-yong Pak Hon-yong (1900–1955), 1925 Mitbegründer der Kommunistischen Partei Ko­ reas, 1946 Gründer und Vorsitzender der Südkoreanischen Arbeiterpartei, 1948– 1953 Außenminister Nordkoreas, 1953 verhaftet und zwei Jahre später zum Tode verurteilt  S. 493

732 Anhang Panjuškin, Aleksandr Semenovič (1905–1974), 1939–1944 Botschafter der UdSSR und Resident des NKVD bzw. NKGB in China, 1944–1947 1. Stellvertreter des Leiters der Abteilung für Außenpolitik des ZK der VKP (b), 1947–1952 Botschafter der UdSSR und Resident des MGB in den USA, 1952–1953 Botschafter in der VR China, seit 1952 Kandidat des ZK der KPdSU  S. 537 Panov*, Mitarbeiter der SKK  S. 66 Paray, Günter (Deckname: Saalmann), seit 1951 V-Mann-Leiter der KgU  S. 573 Paulus, Constance Elena (1889–1949), seit 1912 verheiratet mit Friedrich Paulus  S. 156 Paulus, Friedrich (1890–1957), Generalfeldmarschall, Oberbefehlshaber der 6. Armee bei Stalingrad, 1943–1953 sowjetische Kriegsgefangenschaft, seit 1944 Mitglied im „Bund deutscher Offiziere“ bzw. NKFD, 1953 Rückkehr nach Deutschland (DDR)  S. 156 Pautin, Nikolaj Aleksandrovič (1906–?), Wirtschaftsfunktionär, seit Anfang der 1950er Jahre stellvertretender Vorsitzender von Gosplan  S. 464 Perelivčenko, Michail Iosifovič (1900–1971), 1946–1948 Leiter der Planungsabteilung im Apparat des Stellvertreters des Obersten Chefs der SMAD für Wirtschaftsfragen, 1948–1949 Stellvertreter des Obersten Chefs der SMAD für Indus­ trie, 1949–1950 und 1952–1953 Stellvertreter des Vorsitzenden der SKK für Industrie  S. 66, 535–536 Petrov, A. M., seit 1952 stellvertretender Vorsitzender der SKK für Staatsaufbau  S. 535–536 Pfleiderer, Karl Georg (1899–1957), seit 1923 Tätigkeit im Auswärtigen Amt in Berlin, seit 1927 Legationssekretär in Peking, seit 1928 in Moskau, 1930–1933 Vizekonsul in Leningrad, 1941 Gesandtschaftsrat in Paris, 1941–1942 Vertreter des Auswärtigen Amtes beim Oberkommando der 17. Armee im Kaukasus, seit 1943 Gesandtschaftsrat, seit 1944 Generalkonsul in Stockholm, 1945–1946 interniert, 1949–1955 MdB (parteilos auf der Liste der FDP, seit 1952 FDP)  S. 597–598 Pieck, Arthur (1899–1970), Sohn Wilhelm Piecks, seit 1919 KPD, 1933 Emigration in die UdSSR, 1941–1945 Offizier in der politischen Hauptverwaltung der Roten Armee, 1945–1946 Stadtrat für Verwaltung und Personalfragen in Berlin, 1947– 1949 Leiter der Abteilung Verwaltung und Personal der DWK, 1949–1955 Leiter des Hauptamtes für Personalwesen und Schulung bei der Regierung der DDR  S. 166 Pieck, Friedrich Wilhelm Reinhold (1876–1960), 1895–1918 SPD, seit 1919 KPD, 1928–1933 Reichstagsabgeordneter, 1933 Emigration nach Frankreich, dann in die UdSSR, seit 1935 Vorsitzender der Exil-KPD, 1943 Mitbegründer des NKFD, 1946–1954 mit Otto Grotewohl Vorsitzender der SED, 1949–1960 Präsident der DDR  Dok. 4, 14, 17, 18, 19, 21, 77, 79, 80, 83, 96, 124, S. 3–5, 7–8, 40, 53, 123, 143, 156–160, 165, 168, 171, 189, 216, 242, 307–309, 409–410, 423, 427, 433– 434, 471, 479, 519–520, 530–531, 549, 583, 631, 637 Pisternik, Walter (1904–1990), Maurer und Gewerkschaftsfunktionär, seit 1920 SPD, 1936–1939 in Haft, seit 1946 SED, seit 1949 Leiter der HA Bauwesen, seit 1952 der HA Architektur im Ministerium für Aufbau der DDR  S. 10 Plenikowski, Anton (1899–1971), seit 1926 SPD, seit 1927 KPD, 1937–1946 Exil in Schweden, dort zeitweilig interniert, 1946–1954 Leiter der Abteilung Staatliche Verwaltung des ZK der SED  S. 490, 543

Personenregister733 Pleven, René (1901–1993), 1941–1944 Mitglied des französischen Nationalkomitees der Exilregierung, 1949–1950 und 1952–1954 Verteidigungsminister, 1950–1952 Ministerpräsident Frankreichs  S. 252, 299 Plewe, Eberhard (1905–1986), Jurist, seit 1929 Leiter des Deutschen Pfadfinderverbandes, 1944 verhaftet, 1945–1948 Justiziar in der Hauptgeschäftsstelle der OstCDU, 1948–1952 Verbindungsmann Dertingers in West-Berlin, 1952 in Ost-Berlin vom MfS verhaftet  S. 108, 402, 404, 641–643, 645 Plievier, Theodor (1892–1955), Schriftsteller, 1934–1945 Exil in der UdSSR, 1945 Veröffentlichung des Romans „Stalingrad“ und Übersiedlung in die SBZ, 1947 Flucht nach Westdeutschland, dort Tätigkeit als freier Schriftsteller  S. 354 Podcerob, Boris Fedorovič (1910–1983), seit 1937 im diplomatischen Dienst, 1943– 1949 Oberster Gehilfe des Volkskommissars bzw. Ministers für auswärtige Angelegenheiten, 1949–1952 Generalsekretär des MID der UdSSR, 1949–1954 Mitglied des Kollegiums des MID der UdSSR, 1952–1953 Stellvertreter des Ministers für auswärtige Angelegenheiten der UdSSR  Dok. 16, S. 587 Ponomarenko, Pantelejmon Kondrat’evič (1902–1984), Generalleutnant, 1938– 1947 Erster Sekretär des ZK der KP Weißrusslands, 1942–1944 Chef des Zentralstabs der Partisanenbewegung, 1948–1953 Sekretär des ZK der VKP (b) bzw. ­KPdSU, 1950–1952 Minister für Erfassung der UdSSR, 1952–1953 Mitglied des Präsidiums des ZK der KPdSU  Dok. 108 Popov*, Leutnant, Protokollant der SKK  Dok. 39 Prenzel, Kurt (1900–1976), seit 1923 KPD, 1933–1936 in Haft, 1937–1944 Exil in der UdSSR, 1944–1945 erneut in Deutschland und inhaftiert, 1946–1950 Oberbürgermeister von Görlitz, 1950–1956 Leiter der HA V (Konsularische Angelegenheiten), gleichzeitig 1951–1955 Leiter der HA II (übriges Ausland) im MfAA  S. 518 Prust*, Landwirt in Friedrichsaue, Kreis Seelow  S. 625 Pünder, Hermann (1888–1976), bis 1933 Zentrumspartei, 1926–1932 Staatssekretär und Chef der Reichskanzlei, 1932–1933 Regierungspräsident in Münster, 1944– 1945 in Haft, 1945 Mitbegründer der CDU in Westfalen, 1945–1948 Oberbürgermeister von Köln, 1949–1957 MdB, 1949–1953 Leiter des Bundestagsauschusses für Fragen des Europäischen Wiederaufbauprogramms (ERP), 1950–1957 Sprecher der deutschen Delegation beim Europarat in Straßburg, 1952–1956 Vizepräsident der Montanunion  S. 434 Pünder, Werner (1885–1973), Jurist, 1934 Schadensersatzklage gegen das Deutsche Reich, vertreten durch Adolf Hitler, 1935 Gestapo-Haft, 1940–1945 Offizier im Oberkommando der Wehrmacht, 1946–1953 Kriegsgefangenschaft im Zuchthaus Waldheim  S. 434 Pusch, Alfred (1908–1951), seit 1933 NSDAP, 1940–1945 Angehöriger der Wehrmacht, zuletzt Unteroffizier in der Funkaufklärung, nach dem Krieg Buchhalter in der Drahtspinnerei Heinrich Teubert in Sebnitz, 1950 verhaftet und wegen angeblicher Spionage durch ein SMT zum Tode verurteilt, 1951 in Moskau erschossen  S. 250 Puschkin, vgl. Puškin Puškin, Georgij Maksimovič (1909–1963), seit 1937 im diplomatischen Dienst, 1944–1945 Politischer Berater der Alliierten Kontrollkommission, seit 1945 Gesandter, 1948–1949 Botschafter der UdSSR in Ungarn, 1949–1952 Leiter der Mis-

734 Anhang sion der UdSSR in der DDR, 1952–1953 Stellvertreter des Ministers für auswärtige Angelegenheiten der UdSSR  Dok. 2, 3, 20, 22, 23, 28, 32, 35, 47, 48, 50, 53, 55, 84, 86, 132, 135, S. 14, 21, 23–24, 49, 58, 66, 161, 200, 285, 307, 337, 361–362, 403, 464, 520–522, 526–527, 529, 587, 622–623, 638, 643–644 Quandt, Bernhard (1903–1999), seit 1923 KPD, 1933–1935 und 1937 inhaftiert, 1939–1945 KZ Sachsenhausen und Dachau, 1948–1951 Minister für Landwirtschaft, 1951–1952 Ministerpräsident von Mecklenburg, 1952–1974 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Schwerin  S. 355 Rakita*, Ingeborg, Sekretärin der Chemnitzer Kreisleitung der FDJ  S. 491 Rákosi, Mátyás (1892–1971), 1919 Volkskommissar in der Ungarischen Räterepu­ blik, 1924–1940 in Haft, 1940–1944 Exil in der UdSSR, 1944–1948 Generalsekretär der Ungarischen Kommunistischen Partei, 1948–1956 der Partei der Ungarischen Werktätigen, 1952–1953 Ministerpräsident der Volksrepublik Ungarn  S. 605 Rambo, Josef (1898–?), Versicherungskaufmann, seit 1945 CDU, seit 1949 2. Bürgermeister von Leipzig, 1950 Landesvorsitzender der CDU Sachsen, MdL in Sachsen, Abgeordneter und Vizepräsident der Provisorischen Volkskammer sowie Präsident des Verwaltungsgerichts Sachsen, 1950 Flucht nach West-Berlin, Ablehnung einer Zusammenarbeit durch die West-CDU  S. 83 Rau, Heinrich (1899–1961), seit 1919 KPD, 1933–1935 in Haft, 1935 Emigration in die ČSR, 1937 in die UdSSR, 1937–1938 Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg, 1939 in Frankreich verhaftet, 1942 Übergabe an die Gestapo, 1943–1945 KZ Mauthausen, seit 1946 SED, 1948–1949 Vorsitzender der DWK, 1949–1950 Minister für Planung der Provisorischen Regierung der DDR, 1950–1952 Vorsitzender der Staatlichen Plankommission, seit 1950 Mitglied des Politbüros des ZK der SED und Stellvertretender Ministerpräsident, 1952–1953 Leiter der Koordinierungsstelle für Industrie und Verkehr beim Ministerrat der DDR  Dok. 5, 9, S. 14, 21–22, 37, 39, 64, 68–69, 72, 88, 92–93, 98, 102, 143, 256, 260, 353, 458, 464, 470, 475–476, 481, 510–511, 582, 609, 622, 630 Reber, Samuel (1903–1971), seit 1926 Diplomat, 1952–1953 Hoher Kommissar der USA in Deutschland  S. 579 Rechenberg, Hans Albrecht Freiherr von (1892–1953), seit 1928 Direktor, später Vorstandsvorsitzender der Kalker Trieurfabrik und Fabrik gelochter Bleche Mayer & Cie. in Heumar (Köln), seit 1947 stellvertretender Vorsitzender des FDPLandesverbandes Nordrhein-Westfalen, 1948–1949 Mitglied des Parlamentarischen Rates, 1949–1953 MdB, Mitglied in den Ausschüssen für auswärtige Angelegenheiten und für Wirtschaft  S. 570 Rehling, Luise (1896–1964), seit 1934 Bekennende Kirche, seit 1945 CDU, 1949– 1965 MdB, seit 1950 Vertreterin der Bundesrepublik in der Beratenden Versammlung des Europarats  S. 247 Reimann, Josef (1926–?), Sohn von Max Reimann, 1949 Flucht in den Westen, 1951 Rückkehr und Verhaftung, 1953 zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt, 1956 die Strafe ausgesetzt, verschollen  S. 461 Reimann, Max (1898–1977), seit 1919 KPD, seit 1934 Exil in Frankreich, 1935– 1939 in der ČSR, 1939–1945 inhaftiert (Zuchthaus und KZ), seit 1948 Vorsitzender der KPD in den drei Westzonen bzw. der Bundesrepublik, 1949–1953 MdB und Fraktionsvorsitzender der KPD im Deutschen Bundestag  S. 232, 414, 461, 551

Personenregister735 Reingruber, Hans (1888–1964), 1916–1933 Ministerialrat im Reichsverkehrsministerium, 1934–1945 und wieder 1953–1964 Professor für Eisenbahn- und Verkehrswesen an der TH bzw. TU Dresden, 1948–1949 Leiter der HV Verkehr der DWK, 1949–1950 Abgeordneter der Provisorischen Volkskammer, 1949–1953 Minister für Verkehr der DDR (parteilos)  S. 91, 174–175, 331, 472 Reintanz, Gerhard (1914–1997), seit 1940 NSDAP, 1942 1., 1944 2. Juristisches Staatsexamen, daraufhin Kriegsdienst als Zahlmeister, sowjetische Kriegsgefangenschaft, seit 1947 CDU, 1950–1953 im MfAA, zunächst als persönlicher Referent Dertingers, dann als Leiter der HA IV (Rechtsangelegenheiten), seit Februar 1951 der HA III (Grundsatzfragen)  Dok. 72, S. 193, 267, 518 Renneisen, Erich (1907–1970), seit 1942 NSDAP, 1942–1945 Kriegsdienst, seit 1946 SPD bzw. SED, danach leitende Tätigkeiten im Bankwesen, 1950–1951 Abteilungsleiter, 1952–1958 Leiter der HA Finanzen und Valuta des MAI  S. 537 Renner, Heinz (1892–1964), seit 1910 SPD, seit 1919 KPD, seit 1924 Mitglied des Rheinischen Provinziallandtages, 1933 Emigration ins Saargebiet, 1935 nach Frankreich, seit 1939 dort interniert, 1943 nach Deutschland ausgeliefert und bis 1945 in Gestapo-Haft, 1946 kurzzeitig Oberbürgermeister von Essen, bis 1949 MdL in Nordrhein-Westfalen, 1949–1953 MdB und 2. Vorsitzender der KPD-Bundestagsfraktion, 1949–1956 Mitglied des KPD-Parteivorstandes  S. 202 Rentzsch, Hermann (1913–1978), 1934–1943 Dienst in der Reichswehr bzw. Wehrmacht, 1943 in Stalingrad übergelaufen, 1945 Rückkehr nach Deutschland, seit 1946 KPD/SED, seit 1949 Leiter der HV Schulung der DVdI, 1949–1950 Studium an der sowjetischen Militärakademie in Privol’sk, 1952–1956 Generalmajor der KVP und Befehlshaber des Armeekorps Nord  S. 607 Reuter, Ernst (1889–1953), seit 1912 SPD, 1918–1922 KPD, danach erneut SPD, seit 1926 Stadtrat für das Verkehrswesen in Berlin, 1931–1933 Bürgermeister von Magdeburg, 1932–1933 Reichstagsabgeordneter, 1933–1934 inhaftiert, 1935–1946 Exil in der Türkei, seit 1946 Stadtrat für Verkehr im Berliner Magistrat, 1947 Wahl zum Oberbürgermeister von Groß-Berlin, jedoch erst 1948 Amtsantritt als Oberbürgermeister in den Westsektoren Berlins, seit 1950 Regierender Bürgermeister von West-Berlin  S. 131, 134–135, 139, 154, 162, 275–276 Reuter, Fritz (1911–2000), seit 1931 KPD, 1934–1938 und 1939–1944 inhaftiert, 1946–1954 Sekretär des SED-Landesvorstandes bzw. der SED-Bezirksleitung Berlin  S. 369 Ribbentrop, Joachim von (1893–1946), seit 1932 NSDAP, 1936–1938 deutscher Botschafter in London, 1938–1945 Reichsaußenminister, 1946 im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher zum Tode verurteilt  S. 382 Richter, Wilhelm (1904–1977), seit 1923 KSČ, 1929–1931 in Haft, 1933–1938 Verlagsleiter der Roten Fahne in Prag, 1939 Emigration in die UdSSR, 1946–1949 Mitbegründer und Verlagsleiter des Neuen Deutschland, 1949 Abteilungsleiter im Parteivorstand der SED, 1950/51 Direktor der Deutschen Ein- und Ausfuhrgesellschaft (DEAG), 1951–1956 Direktor der Deutschen Waren-Vertriebsgesellschaft (DWV)  S. 314 Richthofen, Hartmann Oswald Heinrich Ferdinand Freiherr von (1878–1953), 1902–1911 Diplomat, 1912–1918 Reichstagsabgeordneter der Nationalliberalen Partei, 1919 Mitbegründer und 1924–1928 Reichstagsabgeordneter der DDP, bei

736 Anhang Kriegsende Aufsichtsratsvorsitzender der Hermann C. Starck AG in Berlin  S. 108–109 Rickelen, Dirk van, 1951–1953 Staatssekretär für Chemie, Steine und Erden bzw. für Chemie  S. 350, 365–366, 388 Robertson, Brian Hubert (1896–1974), General der britischen Streitkräfte, 1945– 1946 Stellvertreter des britischen Militärgouverneurs in Deutschland, 1947–1949 Oberbefehlshaber der britischen Besatzungstruppen und Militärgouverneur der britischen Besatzungszone, 1949–1950 Hoher Kommissar Großbritanniens in Deutschland, 1950–1953 Oberbefehlshaber der britischen Streitkräfte im Mittleren Osten  S. 16, 498 Rodionov, Nikolaj Stefanovič (1902–?), Oberst, seit 1949 Stellvertreter des Leiters der Verwaltung der SMA für politische Fragen in Sachsen-Anhalt  S. 66 Rohner, Gerhard (1895–1971), 1925–1945 Handelsvertreter des Flick-Konzerns in Dresden, Chemnitz und Berlin, 1945 Mitbegründer der CDU in Dresden, 1947– 1950 Finanzminister in Sachsen, 1948–1950 Mitglied des Hauptvorstands bzw. geschäftsführender Hauptvorstand der (Ost-)CDU, 1949–1950 Vorsitzender der CDUFraktion in der Provisorischen Volkskammer, 1950 Flucht in die Bundesrepublik, dort Verkaufsdirektor der Eisenwerke Maximilianshütte in Sulzbach-Rosenberg (Flick-Konzern)  S. 6, 87, 100–101 Rokossovskij, Konstantin Konstantinovič (1896–1968), Marschall der Sowjet­ union, seit 1943 Kommandeur der Zentralfront bzw. der 1. Weißrussischen Front, später der 2. Weißrussischen Front der Roten Armee, 1945–1949 Oberbefehlshaber der Nordgruppe der Sowjetischen Armee, 1949–1956 Verteidigungsminister und stellvertretender Ministerpräsident der VR Polen  S. 90 Rokossowski, vgl. Rokossovskij Roosevelt, Franklin Delano (1882–1945), 1933–1945 Präsident der USA  S. 321 Rosenberg, Alfred (1893–1946), seit 1920 NSDAP, 1933–1945 Leiter des Außen­ politischen Amtes der NSDAP, 1941–1945 Reichsminister für die besetzten Ostgebiete, 1946 im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher zum Tode verurteilt  S. 381–382 Rost, Leonhard (1896–1979), Philologe und ev. Theologe, seit 1926 Privatdozent in Erlangen, dann in Berlin, seit 1934 Bekennende Kirche, seit 1935 außerordentlicher Professor für evangelische Theologie in Berlin, seit 1939 ordentlicher Professor für evangelische Theologie in Greifswald, 1945 entlassen, 1946–1956 Professor für evangelische Theologie und Leiter des Institutum Judaicum an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin  S. 427 Rücker*, Ernst, SED-Mitglied, Referent bei einer Bauernversammlung in Bad Salzungen 1952  S. 624 Rummler, Gerold (1924–1997), Pressereferent Georg Dertingers im MfAA, 1952 Flucht nach West-Berlin, seit 1953 Referent der CDU-Bundesgeschäftsstelle  Dok. 105, 106, S. 556, 644 Rumpf, Willy (1903–1982), seit 1925 KPD, 1933–1938 Zuchthaus und KZ, danach Tätigkeit als Angestellter, 1944–1945 erneut inhaftiert, 1945–1947 stellvertretender Leiter der Finanzabteilung des Magistrats von Groß-Berlin, 1947–1948 Leiter der Treuhandverwaltung Berlin, 1948–1949 Leiter der HV Finanzen der DWK, 1949– 1955 Staatssekretär im Ministerium für Finanzen der DDR  S. 151, 184, 344, 566

Personenregister737 Russov, Aleksandr Georgievič, Generalmajor, seit 1948 Leiter der Politischen Verwaltung der SMAD, seit 1949 der Politischen Abteilung der SKK  S. 66 Rybkina, Zoja Ivanovna (Voskresenskaja) (1907–1992), seit 1929 in den sowjetischen Sicherheitsorganen tätig, 1941–1944 stellvertretende Residentin bzw. Residentin der Auslandsaufklärung des NKVD in Schweden (offiziell Presseattaché an der sowjetischen Botschaft), später Leiterin der Deutschlandabteilung des NKVD  S. 496 Šafranov*, Stellvertreter des Generaldirektors der SAG Wismut Bogatov  S. 500 Sandig*, 1952 Mitglied einer Kommission für den Staatshaushaltsplan  S. 566 Šarov, Vasilij Michajlovič (1907–?), Generalmajor, 1945–1949 Leiter der Verwaltung der SMA in Brandenburg, 1949–1950 Vertreter der SKK in Brandenburg, seit 1950 im Dienst der Politischen Hauptverwaltung der Sowjetischen Streitkräfte in der UdSSR  S. 66 Schäfer, Hermann Rudolf (1892–1966), 1925–1933 Mitglied des Reichsvorstands der DDP und Stadtverordneter in Köln, 1933–1941 Angestellter der „Hanseatischen Ersatzkasse von 1826“, danach Soldat, seit 1945 FDP, 1948–1949 Mitglied des Parlamentarischen Rates, 1949–1957 MdB, 1949–1953 Zweiter Vizepräsident des Bundestags, 1949–1951 und 1952–1953 Vorsitzender der FDP-Fraktion im Bundestag  S. 276, 620 Scharp, Heinrich (1899–1977), 1933 in Gestapo-Haft, seit 1933 freier Journalist in Rom, seit 1936 Korrespondent der Frankfurter Zeitung in Prag und seit 1940 in Berlin, 1945–1950 Haft in Buchenwald, 1950 Verurteilung zu 18 Jahren Zuchthaus in Bautzen, 1952 Freilassung auf Vermittlung des ehemaligen Reichskanzlers Joseph Wirth, danach Tätigkeiten als Verlagslektor und Journalist  S. 434 Schauss, Horst, Neffe von Günther Gereke, zugleich dessen Referent und Berater  S. 90–91 Schenke, Wolf (1914–1989), seit 1931 SA, seit 1932 NSDAP, 1936 Bannführer der HJ-Reichsjugendführung und Leiter des Referats Auslandspresse der HJ, danach Austritt aus der SA, seit 1937 Korrespondent des Völkischen Beobachters in China, 1945–1947 amerikanische Kriegsgefangenschaft, 1951 Mitbegründer der „Dritten Front“ und Organisator des „Deutschen Kongresses“, den Schenke noch 1951 wieder verließ  S. 204 Schluckebier, Wilhelm (1899–1951), Landwirt, LDP, zuletzt Angestellter der landwirtschaftlichen Abteilung in der Kreisverwaltung Weimar, 1950 verhaftet und wegen angeblicher Spionage und Mitgliedschaft in einer konterrevolutionären Organisation durch ein SMT zum Tode verurteilt, 1951 in Moskau erschossen  S. 250 Schmid, Carlo (1896–1979), seit 1931 Landgerichtsrat in Tübingen, 1940–1944 Kriegsverwaltungsrat bei der Oberfeldkommandantur in Lille, 1946–1953 Professor für Öffentliches Recht in Tübingen, 1947–1950 stellvertretender Staatspräsident und Justizminister von Württemberg-Hohenzollern, seit 1947 Vorstandsmitglied der SPD, 1948–1949 Vorsitzender des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates, 1949–1953 Vorsitzender des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten, 1949–1966 Vizepräsident des Deutschen Bundestages  S. 441, 620, 627 Schmidt, Regierungsdirektor im Bundesministerium des Innern  S. 641

738 Anhang Schmidt, Elli (1908–1980), seit 1927 KPD, 1932–1934 Internationale Leninschule in Moskau, 1935–1946 Mitglied des ZK der KPD, 1937–1940 Exil in Frankreich, 1940–1945 in der UdSSR, seit 1946 Mitglied des Parteivorstands und des Zentralsekretariats der SED, 1949–1953 1. Vorsitzende des DFD, 1949–1954 Abgeordnete der (Provisorischen) Volkskammer, 1950–1954 Mitglied des ZK der SED, 1950– 1953 Kandidatin des Politbüros  S. 583, 605 Schmitt, Matthias (1913–1997), 1949–1950 Hilfsreferent im Referat I A 4 (Ein- und Ausfuhrplanung), 1950–1955 Leiter des Referats  I  A  5 (Wirtschaftspolitische Grundsatzfragen des Außenhandels) im Bundesministerium für Wirtschaft  Dok. 39 Schneider, Ruth, Sekretärin Dertingers, 1953 Flucht nach West-Berlin  S. 185 Schuberth, Hans (1897–1976), seit 1926 Tätigkeit in der Reichspost, seit 1933 Postrat, danach wegen Nichteintritts in die NSDAP nicht befördert, 1947–1949 Direktor der Verwaltung für Post- und Fernmeldewesen bei der bizonalen Verwaltung in Frankfurt am Main, 1949–1953 Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen (CSU)  S. 426 Schütz, Josef (1910–1989), 1939 Emigration in die UdSSR, September 1944 Einsatz im slowakischen Aufstand, nach dessen Niederwerfung Politkommissar einer Partisaneneinheit, 1946 Übersiedlung in die SBZ und Beitritt zur SED, Angehöriger der Deutschen Volkspolizei, Polizeikommissar in Merseburg, 1947–1949 Chefinspekteur der Grenzpolizei, 1949–1956 Leiter der Konsularabteilung der Diplomatischen Mission bzw. der Botschaft der DDR in Moskau, seit 1953 Botschaftsrat der DDR in Moskau  S. 391, 465 Schütz, Rosa, Tochter von Josef Schütz  S. 391 Schumacher, Kurt Ernst Karl (1895–1952), seit 1918 SPD, 1930–1933 Reichstagsabgeordneter, 1933–1943 und erneut 1944 KZ-Haft, 1946–1952 Vorsitzender der SPD in den Westzonen bzw. der Bundesrepublik, 1949–1952 Vorsitzender der SPDFraktion im Deutschen Bundestag  Dok.  66, S. 16, 90, 116, 162, 252, 258, 274, 284, 287, 305, 358, 406, 441, 480, 570, 573 Schuman, Robert (1886–1963), geboren als Reichsdeutscher in Luxemburg, 1919 Annahme der französischen Staatsbürgerschaft, 1919–1940 und 1945–1962 Ab­ geordneter der Nationalversammlung, 1940–1942 inhaftiert, 1946–1947 Finanzminister, 1947–1948 Ministerpräsident, 1948–1952 Außenminister von Frankreich  S. 210, 246 Schuster, Fritz (1897–?), 1928–1945 im Postdienst, 1942 Präsident einer Reichspostdirektion, seit 1946 Reichspost-Oberdirektion für die britische Zone bzw. Haupt­ verwaltung für Post- und Fernmeldewesen des amerikanischen und britischen Besatzungsgebietes, dort Leiter des Referats Z B (Postverfassungsrecht, posteigene Gesetzgebung, Verbindung zur Hohen Alliierten Kommission, Besatzungsstatut), 1951–1955 Ministerialdirigent im Bundesministerium für Post und Fernmeldewesen und Leiter der Abteilung Z (Zentralabteilung: politische und rechtliche Angelegenheiten), zugleich bis 1954 Leiter des Referats Z A (Staats- und Verfassungsrecht, federführende Bearbeitung der posteigenen Gesetzgebung, Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung, Grundsatzfragen des Rundfunkwesens)  S. 426 Schwab, Max Joseph (1897–1977), seit 1919 KPD, 1930–1945 Exil in der UdSSR, dort 1937–1945 Leiter der deutschsprachigen Redaktion des Moskauer Rundfunks, 1949–1952 Hauptdirektor der DEFA, 1952–1954 Leiter des Staatlichen Komitees für Filmwesen der DDR  S. 34

Personenregister739 Schwarze, Kurt (1888–?), 1913–1945 im höheren Schuldienst in Bernburg und Dessau, seit 1918 DDP, 1918–1926 Landtagsabgeordneter im Freistaat Anhalt, 1918– 1932 Mitglied im Landesvorstand der DDP in Anhalt, seit 1945 LDP, seit 1946 MdL in Sachsen-Anhalt, Landtagspräsident und seit 1949 Fraktionsvorsitzender der LDP, zugleich Mitglied des geschäftsführenden Zentralvorstandes der LDP, 1949– 1950 Abgeordneter der Provisorischen Volkskammer und stellvertretender Präsident der Länderkammer  S. 53 Schwensitzki, Georg (1924–1951), Reichsbahngehilfe, NSDAP, 1941–1945 Angehöriger der Waffen-SS, nach dem Krieg Rentner, 1950 verhaftet und wegen angeblicher Spionage und Mitgliedschaft in einer konterrevolutionären Organisation durch ein SMT zum Tode verurteilt, 1951 in Moskau erschossen  S. 250 Schwerin, Gerhard Helmut Detleff Graf von (1899–1980), seit 1923 Laufbahn in der Reichswehr, seit 1940 Kriegseinsätze an verschiedenen Fronten, 1945 General der Panzertruppe, seit Mai 1950 Berater der Bundesregierung für Militär- und Sicherheitsfragen, im Oktober 1950 Entlassung und Auflösung seiner Dienststelle, Tätigkeit als CIA-Agent, seit 1952 wehrpolitischer Berater der FDP im Bundestag  Dok. 41, S. 202, 258–259 Seebohm, Hans-Christoph (1903–1967), 1939–1945 leitende Tätigkeiten in mehreren Bergwerken und Unternehmen, seit 1945 DP, 1946–1950 MdL in Niedersachsen, 1948–1949 Mitglied des Parlamentarischen Rates, 1949–1966 MdB und Bundesminister für Verkehr  S. 498 Seidel, Herbert (1917–1951), 1939–1945 Angehöriger der Wehrmacht, zuletzt Unteroffizier in einer Funkaufklärungskompanie, seit 1946 SED, Berufsschullehrer, 1950 verhaftet und wegen angeblicher Spionage durch ein SMT zum Tode verurteilt, 1951 in Moskau erschossen  S. 250 Selbmann, Friedrich Wilhelm (Fritz) (1899–1975), seit 1922 KPD, 1932–1933 Reichstagsabgeordneter, 1933–1945 Zuchthaus und KZ, 1946–1948 Minister für Wirtschaft und Wirtschaftsplanung in Sachsen, 1948–1949 stellvertretender Vorsitzender der DWK und Leiter der HV Industrie, 1949–1950 Minister für Industrie, 1950–1951 für Schwerindustrie, 1951–1953 für Hüttenwesen und Erzbergbau, 1953–1955 für Schwerindustrie der DDR  Dok. 5, 6, 7, 9, S. 14, 22, 91, 123, 149, 197, 324, 342, 350–351, 388–389, 471, 481 Semenov, V. M., 3. Sekretär der Dritten Europäischen Abteilung des MID der UdSSR  S. 631 Semenov, Vladimir Semenovič (1911–1992), seit 1939 im diplomatischen Dienst, 1940–1941 Botschaftsrat der UdSSR in Deutschland, 1941–1942 Leiter der Dritten Europäischen Abteilung des NKID, 1942–1944 Missionsrat in Schweden, 1945– 1946 1.  Stellvertreter des Politischen Beraters, 1946–1949 Politischer Berater des Obersten Chefs der SMAD, 1949–1953 Politischer Berater beim Vorsitzenden der SKK  Dok. 4, 43, 47, 83, 86, 87, 90, 96, 98, 99, 102, 105, 111, 112, 115, 118, 120, 123, 124, 130, 133, S. 4, 7, 66, 68–70, 73, 80–81, 131, 140–142, 146–148, 155, 159–161, 164, 171, 176–182, 187–188, 190–191, 202, 204, 232–233, 249, 260– 261, 307–309, 356, 360–362, 376, 378–379, 402, 419–422, 424, 485–486, 520– 521, 525, 530, 533, 535, 537, 584, 619, 643–644 Semičastnov, Ivan Fedorovič (1905–1994), 1943–1949 Stellvertreter des Volkskommissars bzw. Ministers für Außenhandel der UdSSR, 1949–1953 1. Stellvertreter

740 Anhang des Vorsitzenden der SKK  Dok. 75, 77, 115, S. 66, 337, 347, 349, 471, 474, 584, 646, 654 Semjonow, vgl. Semenov Sergeev, Michail Grigor’evič (1903–1993), seit 1936 im diplomatischen Dienst, 1943–1945 Leiter der Ersten Europäischen Abteilung des NKID, 1945–1946 Botschafter der UdSSR in Belgien, zugleich Gesandter in Luxemburg, 1946–1948 Botschafter in Argentinien, 1948–1950 stellvertretender Leiter, 1950–1953 Leiter der Ersten Europäischen Abteilung des MID  S. 266 Sergeev, Vasilij Alekseevič (1905–1980), seit 1940 stellvertretender Volkskommissar bzw. Minister für Außenhandel, 1946–1947 zugleich Leiter der Hauptverwaltung für sowjetisches Vermögen im Ausland (GUSIMZ), nach deren Unterstellung unter den Ministerrat der UdSSR 1947 stellvertretender Leiter, seit 1951 erneut Leiter der GUSIMZ  S. 464, 503 Siegmund, Kurt (1910–1988), seit 1927 KJVD, seit 1931 KPD, 1939–1941 Aufenthalt in Schweden, 1941–1945 in den Niederlanden, 1948–1950 Leiter der MASLandesverwaltung Sachsen-Anhalt, seit 1950 Staatssekretär im Ministerium für Land- und Forstwirtschaft der DDR  S. 543, 562, 564 Simon, Albert Karl, Außenpolitischer Referent des Sprechers der Sudetendeutschen Landsmannschaft Lodgman von Auen  S. 451 Sindermann, Horst (1915–1990), seit 1929 KJVD, 1933–1934 inhaftiert, 1935–1941 Zuchthaus Waldheim, 1941–1945 KZ Sachsenhausen, Mauthausen und Ebensee, seit 1945 KPD bzw. SED, 1945–1947 Chefredakteur der Sächsischen Volkszeitung und der Volksstimme, 1949–1950 Mitglied des Kleinen Sekretariats beim Politbüro des ZK der SED für Organisations- und Kaderfragen, nach Überprüfung durch die ZPKK 1950–1955 Chefredakteur der Freiheit  S. 4, 144, 180–181 Sitnikov, Vasilij Romanovič (1918–?), seit 1939 in den sowjetischen Sicherheits­ organen tätig, 1946–1951 in der SBZ bzw. DDR (bis 1949 getarnt als Korrespondent und Leiter der TASS-Vertretung in Berlin-Weißensee, 1949–1951 als 1. Sekretär der Mission der UdSSR in Ost-Berlin), 1951–1953 Stellvertreter des Residenten des MGB in Wien und Leiter der operativen Gruppe der MGB-Residentur in Österreich (getarnt als stellvertretender Abteilungsleiter für Außenpolitik im Apparat des Hohen Kommissars der UdSSR in Österreich)  S. 264 Sitnin, Vladimir Ksenofontovič (1907–?), bis 1945 Leiter der Abteilung für Sonderfinanzierung der Staatsbank der UdSSR, 1945–1948 Stellvertreter des Leiters der Finanzabteilung bzw. (seit 1946) der Finanzverwaltung der SMAD, 1949 Leiter der Finanzverwaltung, 1949–1951 Leiter der Finanzabteilung der SKK, 1951–1952 ­Abteilungsleiter im Wissenschaftlichen Forschungsinstitut für Finanzen des Finanzministeriums der UdSSR, 1952–1953 erneut Leiter der Finanzabteilung der SKK  S. 150, 530, 535 Skopcov, V. I., Sowjetischer Bevollmächtigter für Verhandlungen über die SAG  S. 22–23, 36, 49 Slánský, Rudolf (1901–1952), seit 1928 Mitglied des ZK der KSČ, 1938–1945 Exil in der UdSSR, 1945–1951 Generalsekretär der KSČ, 1951 stellvertretender Ministerpräsident der ČSR, dann verhaftet und angeklagt, 1952 als Leiter eines „staatsfeindlichen Verschwörerzentrums“ verurteilt und hingerichtet  S. 104, 625, 644

Personenregister741 Smolorz, Richard (1913–?), Angehöriger der Wehrmacht, 1943–1945 sowjetische Kriegsgefangenschaft und Antifa-Schule, seit 1945 KPD bzw. SED, bis 1949 stellvertretender Polizeipräsident in Dresden, 1951 Chefinspekteur und Leiter der HA Grenzpolizei der HVDVP, 1952 der HV Deutsche Grenzpolizei im MfS, seit 1952 Oberst und Stabsschef der HV Deutsche Grenzpolizei im MfS  S. 543 Sobottka, Gustav (1886–1953), seit 1910 SPD, seit 1920 KPD, 1933 Emigration ins Saargebiet, 1935–1945 Exil in der UdSSR, 1946 SED, 1945–1947 Vizepräsident und 1947–1948 Präsident der Zentralverwaltung für Brennstoffindustrie, 1948– 1949 Leiter der HV Kohle bei der DWK, 1949–1951 Leiter der HA Kohle im Ministerium für Industrie bzw. Schwerindustrie der DDR, 1951 Pensionierung  S. 8–9 Sokolovskij, Vasilij Danilovič (1897–1968), Marschall der Sowjetunion, 1941–1943 Stabschef, 1943 Oberbefehlshaber der Westfront, 1944–1945 Oberbefehlshaber der 1. Ukrainischen Front, 1945 Stellvertreter des Oberbefehlshabers, 1946–1949 Oberbefehlshaber der Gruppe der sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland und Oberster Chef der SMAD, 1949–1960 Erster Stellvertreter des Ministers für Streitkräfte, seit 1950 des Kriegsministers bzw. seit 1953 des Verteidigungsministers der UdSSR, 1952–1960 zugleich Chef des Generalstabs der sowjetischen Armee  S. 4, 557 Sokolowskij, vgl. Sokolovskij Spičkin, I. M., Mitarbeiter beim Rat für Angelegenheiten der Russisch-Orthodoxen Kirche beim Ministerrat der UdSSR  S. 446 Spiecker, Carl (1888–1953), Zentrumspartei, 1923–1925 Ministerialdirektor und Pressechef der Reichsregierung, 1930–1931 Sonderbeauftragter im Reichsministerium des Innern für die Bekämpfung des Nationalsozialismus, seit 1933 Exil in Frankreich, Großbritannien, den USA und Kanada, Kontakte zur Volksfront sowie zur christlichen Opposition gegen Hitler, 1945 Rückkehr nach Deutschland, 1948– 1949 Vorsitzender der Zentrumspartei, 1949 Übertritt in die CDU, seit 1950 Minister für Bundesangelegenheiten in Nordrhein-Westfalen  S. 595–596, 599–600 Spindler, Gert Paul (1914–1997), seit 1939 Mitinhaber, seit 1949 alleiniger Inhaber und Geschäftsführer der Textilfabrik Kampf & Spindler (später Paul-SpindlerWerke-KG), 1939–1943 Wehrmachtsangehöriger, 1949 Mitbegründer der „Tatgemeinschaft freier Deutscher“, Herausgeber einer gleichnamigen Zeitung sowie der Wochenzeitung Der Fortschritt  S. 205, 209 Stahl, Arno, Mitarbeiter der Flüchtlingsbetreuungsstelle im Ostbüro der SPD in West-Berlin  S. 574 Staimer, Eleonore (1906–1998), Tochter von Wilhelm Pieck, seit 1920 KPD, 1932– 1945 verschiedene Tätigkeiten in Moskau, 1936–1949 sowjetische Staatsbürgerschaft, 1945 Rückkehr nach Deutschland, 1949–1953 Leiterin der HA Außenhandel und Materialversorgung im Ministerium für Außenhandel, Innerdeutschen Handel und Materialversorgung  S. 124–125, 130 Stalin (Džugašvili), Iosif Vissarionovič (1878–1953), 1922–1953 Generalsekretär des ZK der VKP (b) bzw. KPdSU, 1941–1953 Vorsitzender des Rates der Volkskommissare bzw. des Ministerrats der UdSSR  Dok. 26, 33, 34, 37, 49, 54, 55, 76, 78, 101, 104, 109, 127, 133, S. 3–4, 7, 10–11, 13, 16–17, 23, 26, 36, 39, 49, 53–54, 60, 65, 70–71, 75, 77, 90, 98, 106, 115, 123, 150, 156, 158–162, 169, 176, 180, 224–226, 234, 242, 269–270, 279, 308, 319, 356, 374, 400, 403–404, 419–420, 425, 429, 479, 493, 497, 530–531, 549, 551–552, 563, 583, 592, 622

742 Anhang Steel, Christopher Eden (1903–1973), britischer Diplomat, seit 1936 an der britischen Botschaft in Berlin, 1949–1950 stellvertretender Hoher Kommissar in der britischen Besatzungszone, 1950–1953 Minister an der britischen Botschaft in Washington  S. 227 Steg, Rudolf (1911–1982), seit 1937 NSDAP, 1938–1944 im Auswärtigen Dienst, 1948–1950 Referent im Deutschen Büro für Friedensfragen, seit 1950 Legationsrat in der Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten bzw. im Auswärtigen Amt, Abteilung III (Länder), seit 1952 Abteilung II (Politik)  S. 309 Stegner, Artur (1907–1986), seit 1937 Leiter einer chemisch-pharmazeutischen Fabrik in Berlin, 1939–1945 Kriegsdienst, seit 1949 Landesvorsitzender der FDP in Niedersachsen und MdB, u. a. Ordentliches Mitglied im Ausschuss für gesamtdeutsche Fragen  S. 620 Steidle, Luitpold (1898–1984), seit 1933 NSDAP, seit 1934 Offizier der Reichswehr bzw. der Wehrmacht, 1943–1945 sowjetische Kriegsgefangenschaft, Vizepräsident des Bundes Deutscher Offiziere, NKFD, 1945–1948 Vizepräsident der Deutschen Verwaltung für Land- und Forstwirtschaft, seit 1946 CDU, 1948–1949 stellvertretender Vorsitzender der DWK, seit 1949 Minister für Arbeit und Gesundheitswesen, 1950–1958 für Gesundheitswesen der DDR, 1949–1971 Abgeordneter der (Provisorischen) Volkskammer, 1950–1984 Mitglied des Politischen Ausschusses (später: Präsidiums) des Hauptvorstandes der Ost-CDU  S. 53 Steinfeld, Karl (Carl), bis 1948 SPD, 1949 Mitbegründer der Sammlung zur Tat, seit 1950 Vorsitzender der Deutschen Friedenspartei/Sammlung zur Tat  S. 205 Steinhoff, Karl (Carl) (1892–1981), seit 1923 SPD, 1929–1932 Vizeoberpräsident der Provinz Ostpreußen, 1933 aus dem Staatsdienst entlassen, 1940–1945 Tätigkeit als Syndikus einer Kartonagengroßhandlung in Berlin, seit 1946 SED, 1946–1949 Ministerpräsident von Brandenburg, 1949–1950 Mitglied des Parteivorstands der SED und Kandidat des Politbüros, 1949–1952 Minister des Innern der DDR, fristlose Kündigung durch Ulbricht, danach Professor für Verwaltungsrecht an der Humboldt-Universität zu Berlin, Mitglied des ZK der SED, 1949–1954 Abgeordneter der (Provisorischen) Volkskammer  S. 105, 112–113, 136–138, 242 Stenzer, Emma (Emmi) (geb. 1923), Tochter des 1933 ermordeten Reichtagsabgeordneten und ZK-Mitglieds der KPD Franz Stenzer, 1933 mit der Mutter Emma Stenzer Emigration nach Frankreich, 1934 in die UdSSR, 1944 Heirat mit Markus Wolf, 1950–1952 Studium der Literaturwissenschaft und Tätigkeit als Sekretärin in der DDR-Mission in Moskau  S. 241 Stenzer, Lilly (Lilli) (geb. 1927), Tochter des 1933 ermordeten Reichtagsabgeordneten und ZK-Mitglieds der KPD Franz Stenzer, 1933 mit der Mutter Emma Stenzer Emigration nach Frankreich, 1934 in die UdSSR, 1946 Rückkehr nach Deutschland, seit 1949 Sekretärin in der DDR-Mission in Moskau.  S. 58, 241 Stepura*, I. A., Protokollant der SKK  Dok. 5, 6, 7, 9 Stoltzenberg, Wilhelm Freiherr von (1895–1955), seit 1918 DDP, 1944–1945 KZ Sachsenhausen, nach 1945 Mitbegründer der LDP, 1946–1953 Mitglied des Zentralvorstandes der LDP/LDPD, seit 1951 stellvertretender Vorsitzender des LDPDLandesverbandes Sachsen, 1946–1952 MdL in Sachsen, 1948–1949 Mitglied der DWK, 1949–1953 Abgeordneter der (Provisorischen) Volkskammer, 1949–1950 Staatssekretär im Ministerium für Aufbau, 1951–1953 Präsident des Landesverwaltungsgerichts Thüringen, 1953 Übersiedlung in die Bundesrepublik  S. 155

Personenregister743 Stoph, Willi (1910–1999), seit 1931 KPD, bis 1934 Mitarbeiter des KPD-Nachrichtendienstes, 1935–1937 und 1940–1945 Angehöriger der Wehrmacht, 1948–1950 Leiter der Abteilung Wirtschaftspolitik beim Parteivorstand der SED, 1950–1953 Sekretär, 1950–1989 Mitglied des ZK der SED, 1953–1989 Mitglied des Polit­ büros, 1950–1989 Abgeordneter der Volkskammer, 1952–1955 Minister des Innern  S. 189–190, 411, 489, 508, 559–560, 567, 607 Strampfer, Herbert (1913–1995), Ingenieur, 1939–1943 Angehöriger der Wehrmacht, 1943–1945 sowjetische Kriegsgefangenschaft, NKFD, 1945 Rückkehr nach Deutschland, seit 1945 KPD bzw. SED, 1948–1950 Werkleiter der Kammgarn­ spinnerei Werra (Wernhausen), 1950–1952 Minister für Arbeit in Thüringen, 1953 Staatssekretär beim Ministerpräsidenten der DDR und Leiter der Kontrollstelle für Binnenhandel  S. 477–478, 630 Strassenberger (Straßenberger), Paul (1910–1956), seit 1933 KPD, 1933 KZ Dachau, 1934 laut Eigenaussage im Auftrag der KPD illegale Arbeit in der SA, seit 1934 Tätigkeiten als Konstrukteur und Ingenieur, seit 1945 KPD bzw. SED, 1948– 1950 Leiter der HA Zusammenfassende Planung der HV Wirtschaftsplanung in der DWK bzw. stellvertretender Leiter des Zentralen Planungsamts im Ministerium für Planung der DDR, 1951–1953 stellvertretender Vorsitzender der SPK  S. 124, 504, 506 Strasser, Otto (1897–1974), seit 1925 NSDAP, 1930 Austritt, 1931 Gründung der „Schwarzen Front“, 1934–1938 Exil in der Tschechoslowakei, danach in verschiedenen Ländern, 1941–1955 in Kanada, 1955 Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland  S. 208, 220 Strauß, Franz-Josef (1915–1988), 1936–1939 Studium in München, 1939–1945 Angehöriger der Wehrmacht, 1948–1953 Generalsekretär, 1952–1961 stellvertretender Vorsitzender der CSU, 1949–1978 MdB, 1953–1955 Bundesminister für besondere Aufgaben  S. 63 Streit, Hermann (1909–1996), seit 1927 KPD, 1930–1932 inhaftiert, 1934 Emigra­ tion in die UdSSR, 1936–1938 Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg, 1938–1941 Internierung in Spanien, 1941 Überstellung nach Deutschland, dort bis 1945 inhaftiert, zuletzt im KZ Mauthausen, 1949–1958 Leiter der HA bzw. Staatssekretär für Erfassung und Aufkauf landwirtschaftlicher Erzeugnisse im Ministerium für Handel und Versorgung der DDR  S. 335 Stroganov*, Mitarbeiter der SKK  S. 341 Stumpf*, Kriegsgefangener, um dessen Freilassung sich der Reichskanzler a. D. Joseph Wirth bemühte  S. 434 Stupov, A. D., Mitarbeiter im Landwirtschaftsministerium der UdSSR, seit 1952 Leiter der Abteilung für Landwirtschaft der SKK  S. 533, 535–536 Suhr, Otto (1894–1957), seit 1919 SPD, seit 1935 freier Mitarbeiter der Frankfurter Zeitung, 1946–1951 Vorsteher der Stadtverordnetenversammlung Berlins, 1948–1955 Direktor der Deutschen Hochschule für Politik, 1948–1949 Mitglied des Parlamentarischen Rates, 1949–1952 MdB, 1951–1954 Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses, 1955–1957 Regierender Bürgermeister von Berlin (West)  S. 131 Suslov, Michail Andreevič (1902–1982), seit 1941 Mitglied, seit 1947 Sekretär des ZK der VKP (b) bzw. KPdSU, 1949–1952 Leiter der Abteilung für Propaganda und

744 Anhang Agitation des ZK der VKP (b), 1949–1950 Chefredakteur der Pravda, 1952–1953 Mitglied des Präsidiums des ZK der KPdSU  S. 98, 123 Švernik, Nikolaj Michajlovič (1888–1970), seit 1925 Mitglied des ZK der VKP (b), 1930–1944 1. Sekretär des Zentralen Unionsrats der Gewerkschaften der UdSSR, 1944–1946 Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets der RSFSR, 1946– 1953 Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR, 1952–1953 Mitglied des Präsidiums des ZK der KPdSU  S. 3, 380 Swerjew, vgl. Zverev Taft, Robert Alphonso (1889–1953), seit 1938 Mitglied des US-Senats, 1951–1952 erfolglose Bewerbung um die Präsidentschaftskandidatur der Republikaner als Vertreter isolationistischer Ideen gegen Eisenhower, seit 1952 Fraktionsführer der Republikaner im US-Senat  S. 292–293 Taube, Hans, ev. Pfarrer, Neffe von Otto Dibelius, bis 1952 in sowjetischer Kriegsgefangenschaft  S. 140 Taylor, Maxwell Davenport (1901–1987), Generalleutnant, seit 1949 Stabschef der US-Streitkräfte in Europa, 1949–1951 Kommandant des US-Sektors und der alliierten Truppen in Berlin, seit 1951 stellvertretender Generalstabschef des Heeres  S. 131 Thälmann, Ernst (1886–1944), seit 1903 SPD, 1918–1920 USPD, seit 1920 KPD, 1924–1933 Reichstagsabgeordneter, 1925–1933 Vorsitzender der KPD, seit 1933 inhaftiert, 1944 im KZ Buchenwald ermordet  S. 341, 480 Thedieck, Franz (1900–1995), 1923–1930 stellvertretender Leiter der Preußischen Abwehrstelle für die besetzten Gebiete im Rheinland, 1931–1940 Dezernent bei der Bezirksregierung Köln, 1940–1943 Oberkriegsverwaltungsrat in Belgien und Nordfrankreich, seit 1945 CDU, 1946–1949 Oberregierungsrat beim Regierungspräsidenten in Köln, 1950–1964 Staatssekretär im Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen  Dok. 40, 106, 136, S. 189 Thielicke, Helmut (1908–1986), 1936–1940 Professor für Evangelische Theologie in Heidelberg, 1940–1942 nach Absetzung durch die Nationalsozialisten Gemeindepfarrer in Ravensburg, 1942–1945 Leiter des Theologischen Amtes der Württembergischen Landeskirche, 1945–1954 Professor für Evangelische Theologie in Tübingen, 1951–1952 Rektor der Universität Tübingen, 1952 Präsident der Westdeutschen Rektorenkonferenz  S. 447 Thürmer, Walter (1896–1971), 1945 Mitbegründer der LDP in Dresden, 1949–1951 Vorsitzender des LDP-Landesverbandes Sachsen, 1950–1951 Minister für Gesundheit und stellvertretender Ministerpräsident in Sachsen, seit 1952 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TH Dresden  S. 367–368 Tillmanns, Robert (1896–1955), seit 1930 Regierungsrat in der preußischen Unterrichtsverwaltung, 1933 aus dem Staatsdienst entlassen, 1933–1945 Tätigkeiten in der Industrieverwaltung, 1945 Mitbegründer der CDU in Berlin, 1945–1949 Leiter des Zentralbüros Ost des Hilfswerks der Evangelischen Kirche in Deutschland, 1947 Übersiedlung nach West-Berlin, 1949–1955 MdB, Mitglied des Ausschusses für gesamtdeutsche Fragen, 1949–1952 stellvertretender Vorsitzender, 1952–1955 Vorsitzender des CDU-Landesverbandes Berlin, seit 1950 Mitglied des CDU-Bundesvorstands, 1953–1955 Bundesminister für besondere Aufgaben  S. 283, 569

Personenregister745 Tjul’panov, Sergej Ivanovič (1901–1984) Oberst, seit 1927 VKP (b), seit 1937 Professor für politische Ökonomie, 1941–1945 Leiter jeweils der 7. Abteilung der politischen Verwaltungen an verschiedenen Frontabschnitten, 1945–1949 Leiter der Verwaltung für Propaganda bzw. (seit 1947) für Information der SMAD, 1950– 1956 Dozent für politische Ökonomie an der Marine-Akademie Leningrad  S. 180 Toeplitz, Heinrich (1914–1998), Jurist, nach 1937 „aus rassischen Gründen“ verfolgt, später Dienst in der Organisation Fritz Todt, 1944–1945 Zwangsarbeit in Frankreich und den Niederlanden, 1945 Rückkehr nach Deutschland, 1947–1950 Hauptreferent beim Stadtrat für Justiz im Magistrat von Groß-Berlin, 1949–1990 (Ost-)CDU, 1950 stellvertretender Generalsekretär, 1950–1960 Staatssekretär im Ministerium für Justiz, 1951–1990 Abgeordneter der Volkskammer, seit 1952 Mitglied des Politischen Ausschusses bzw. des Präsidiums des CDU-Hauptvorstandes  S. 524 Trojnickij, Sergej Nikolaevič (1882–1948), Kunsthistoriker, 1918–1927 Direktor der Staatlichen Eremitage in Petrograd bzw. Leningrad, 1931 Ausschluss aus der Eremitage, 1935–1938 in Verbannung in Ufa, danach in Moskau ansässig, seit 1945 Konservator und dann Leiter der Abteilung für angewandte Kunst im Moskauer Staatlichen Puschkin-Museum  S. 380 Truman, Harry Spencer (1884–1972), seit 1944 Vizepräsident, 1945–1953 Präsident der USA  S. 237, 274, 381 Tschiang Kai-schek (1887–1975), seit 1925 Vorsitzender der Kuomintang, 1928– 1949 Vorsitzender der Chinesischen Nationalregierung, 1950–1975 Präsident der Republik China (Taiwan)  S. 323 Tschu En-lai (1898–1976), seit 1921 KP Chinas, 1949–1958 Außenminister, 1949– 1976 Premierminister der VR China  S. 493 Tschuikow/Tschujkow, vgl. Čujkov Twardowski, Fritz von (1890–1970), 1922–1945 im Auswärtigen Dienst mit Stationen in Moskau (1929–1935 als Legationsrat I. Klasse) und Istanbul (1943–1945 als Generalkonsul), 1946–1950 stellvertretender Leiter des Evangelischen Hilfswerks, 1950–1951 kommissarischer Leiter des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, 1952–1956 Botschafter in Mexiko  S. 397, 405 Tzschorn, Hans (1904–?), seit 1923 SPD, 1930–1933 Oberregierungssekretär bei der Landesversicherungsanstalt Sachsen, 1933–1945 Tätigkeiten als Zeitschriftenagent und kaufmännischer Angestellter, seit 1945 KPD bzw. SED, 1949 als Ministerialdirektor im sächsischen Finanzministerium verantwortlich für Ermittlungen gegen Gerhard Rohner, 1949–1964 persönlicher Referent im Sekretariat von Ministerpräsident Grotewohl  S. 133 Ulbricht, Walter (1893–1973), seit 1912 SPD, seit 1919 KPD, 1928–1933 Reichstagsabgeordneter, seit 1933 Exil in Frankreich und der ČSR, 1938–1945 in der UdSSR, dort Vertreter des ZK der KPD beim Exekutivkomitee der Komintern, 1945 Rückkehr nach Deutschland als Leiter der Initiativgruppe des ZK der KPD, 1946–1950 stellvertretender Vorsitzender der SED, seit 1949 Mitglied des Polit­ büros des ZK der SED, Stellvertreter des Ministerpräsidenten der DDR, 1950–1953 Generalsekretär des ZK der SED  Dok. 4, 5, 6, 7, 9, 25, 27, 31, 45, 74, 79, 83, 87, 96, 98, 99, 102, 103, 110, 112, 115, 118, 130, 138, S. 7, 10–11, 48, 53–54, 64, 68– 70, 72, 103–105, 115, 123, 157, 159–161, 183–191, 196, 198–200, 203–204, 211,

746 Anhang 215, 234, 245, 255, 260, 264, 307, 309, 312–313, 338, 340–341, 344, 347, 356, 360, 364, 420–424, 530–531, 546, 548, 605, 631, 636–640 Ulbrieg, Franz, Mitarbeiter der Abteilung Planung und Finanzen des ZK der SED, dort zuständig für Finanzfragen  S. 344–345 Usol’cev-Garf, Aleksandr Georgievič (1901–1970), Regisseur, 1946–1950 Beauftragter von Sovexportfilm für die DDR, seit 1950 Regisseur des Filmstudios Mosnaučfil’m  S. 34 Usov, P. A., Generalmajor, seit 1949 Vertreter der SKK in Mecklenburg, seit 1951 in Sachsen-Anhalt  S. 66 Varus, Publius Quinctilius (47 oder 46 v. Chr.–9 n. Chr.), seit 7 n. Chr. römischer Statthalter am Rhein, beging nach der Niederlage und dem Verlust dreier Legionen gegen Verbände aufständischer Germanen Selbstmord  S. 555 Vasilevskij, Aleksandr Michajlovič (1895–1977), Marschall der Sowjetunion, seit 1942 Chef des Generalstabs der Roten Armee, 1945 Befehlshaber der 3. Weißrussischen Front, danach Oberbefehlshaber der sowjetischen Streitkräfte im Fernen ­Osten im Krieg gegen Japan, 1946–1949 Generalstabschef und Stellvertreter des Мinisters für Streitkräfte, 1949–1953 Kriegsminister der UdSSR, 1952–1961 Mitglied des ZK der KPdSU  S. 4 Velhagen, Adolf (1906–1964), Jurist, seit 1933 im Auswärtigen Dienst, seit 1938 ­NSDAP, 1938–1939 Leiter der Konsularabteilung in London, 1941–1945 Gesandtschaftsrat in Lissabon, 1945–1947 interniert, seit 1947 Referent für Großbritannien, seit 1949 Leiter der Presseabteilung im Deutschen Büro für Friedensfragen, seit 1950 Leiter des Referats LIII/Großbritannien, Amerika, Afrika, Atlantikpakt der Abteilung IIIb (Länder) im Bundeskanzleramt, Dienststelle für Auswärtige Angelegenheiten bzw. im Auswärtigen Amt, seit 1951 Leiter des Referats II/Großbritan­ nien, Dominien, Kronkolonien der Abteilung III (Länder) im Auswärtigen Amt  S. 309 Verner, Paul (1911–1986), seit 1929 KPD, 1932–1935 Tätigkeiten als Korrespondent in der UdSSR und Frankreich, danach Aufenthalte in den Niederlanden, Belgien, Spanien und Schweden, dort 1939–1942 inhaftiert, 1946 Rückkehr nach Deutschland, 1946–1949 Mitglied des Parteivorstands der SED und des Zentralrats der FDJ, 1949 Leiter der Organisationsabteilung, 1950–1953 Sekretär des ZK der SED für gesamtdeutsche Fragen  S. 415 Verner, Waldemar (1914–1982), seit 1930 KPD, 1933–1934 in Haft, 1935 Emigration nach Moskau, 1938 nach Kopenhagen, 1945 Rückkehr nach Deutschland, 1950 Leiter des Amts für Information, seit 1950 Chef der Seepolizei  S. 559–560, 607 Vlasov, S., Leiter der 1. Unterabteilung der SKK-Abteilung Verwaltungsangelegenheiten  S. 66 Vockel, Heinrich (1892–1968), 1922–1933 Generalsekretär der Deutschen Zentrumspartei, 1934–1950 Tätigkeiten bei der Hertie Waren und Kaufhaus GmbH in Berlin (zuletzt Vorstandsmitglied), 1944 kurzzeitig in Haft, 1945 Mitbegründer der CDU in Berlin, 1950–1962 Bevollmächtigter der Bundesrepublik Deutschland in Berlin  Dok. 51, 63, 94, S. 108, 273, 522 Voevudskij*, Leiter der Transportabteilung der SKK  S. 66, 135 Vorošilov, Kliment Efremovič (1881–1969), Marschall der Sowjetunion, 1926–1960 Mitglied des Politbüros des ZK der VKP (b) bzw. des Präsidiums des ZK der KPd-

Personenregister747 SU, 1934–1940 Volkskommissar für Verteidigung, 1940–1953 Stellvertreter des Vorsitzenden des Rates der Volkskommissare bzw. des Ministerrates der UdSSR, 1945–1947 Vorsitzender der Alliierten Kontrollkommission in Ungarn  S. 123 Vyšinskij, Andrej Januar’evič (1883–1954), 1935–1939 Generalstaatsanwalt der UdSSR, 1940–1946 1.  Stellvertreter des Volkskommissars für auswärtige Angelegenheiten, 1946–1949 Stellvertreter des Außenministers, 1949–1953 Außenminister der UdSSR  Dok.  8, 10, 12, 15, 16, 26, 30, 42, 80, 82, 101, 107, 108, 109, 125, 127, 134, 135, S. 5, 9–11, 66, 68, 82, 92, 99, 107, 110, 118–120, 130, 158, 164, 176, 183, 191, 194, 201, 242, 244–246, 251, 257, 391, 396, 403, 410, 412, 417, 442, 455, 457, 526, 571, 579, 587, 595, 601, 622, 629, 631, 637 Wachowius, Gerda (1908–1981), seit 1929 KPD, 1932–1933 in Moskau, seit 1935 in Frankreich, 1940 und 1943–1945 in Haft, 1948–1950 Mitarbeiterin im Büro Hermann Matern im ZK der SED, bis 1949 Mitglied der Landeskontrollkommission Thüringen, 1950–1954 Mitglied der ZKK  S. 488 Wagner*, Mitarbeiter der HA Chemie im Ministerium für Industrie  S. 124–125 Wagner, Kurt (1904–1989), seit 1932 KPD, 1935–1945 in Haft, 1946–1949 Vizepräsident der DVdI, 1949–1950 militärischer Lehrgang in der UdSSR (Privol’sk), 1950–1951 Leiter der VP-Bereitschaft Brandenburg (Havel), seit 1952 Generalmajor der KVP, 1952–1955 Leiter der Verwaltung Operativ im Stab der KVP und Chefinspekteur  S. 607 Walther, Karl (1895–1965), 1933–1939 Fachreferent für Hygiene und Heeressanitätsinspektor im Reichswehrministerium, 1939–1944 verschiedene leitende Tätigkeiten als Epidemiologe und Heeresarzt, 1945–1949 sowjetische Kriegsgefangenschaft, 1949–1952 Abteilungsleiter im Ministerium für Gesundheitswesen der DDR, seit 1952 Generalmajor der KVP und Leiter der Medizinischen Verwaltung im MdI bzw. der KVP  S. 607 Wandel, Paul (1905–1995), seit 1926 KPD, 1933–1945 Exil in der UdSSR, 1946– 1958 Mitglied des Zentralvorstands bzw. des ZK der SED, 1945–1949 Präsident der Zentralverwaltung für Volksbildung, 1949–1952 Minister für Volksbildung, 1949–1958 Abgeordneter der (Provisorischen) Volkskammer, seit 1951 nichthauptamtlicher Lehrstuhlleiter für Allgemeine Geschichte am Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED, 1952–1953 Leiter der Koordinierungsstelle für Kultur und Volksbildung  S. 53, 112, 140, 475, 478 Warnke, Herbert (1902–1975), seit 1923 KPD, 1932–1933 Reichstagsabgeordneter, 1933–1935 Sekretär der Roten Gewerkschaftsinternationale im Saargebiet und in Frankreich, seit 1936 Aufenthalt in Dänemark, seit 1938 in Schweden, dort 1939– 1943 interniert, 1945 Rückkehr nach Deutschland, seit 1946 Mitglied des Bundesvorstands, seit 1948 1. Vorsitzender des Bundesvorstands des FDGB, seit 1949 Abgeordneter der (Provisorischen) Volkskammer und Mitglied des Parteivorstands bzw. des ZK der SED  S. 77, 149, 488 Warnke, Johannes (Hans) (1896–1984), seit 1914 SPD, seit 1920 KPD, 1933–1935 und mehrfach danach inhaftiert, 1946–1949 Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern bzw. Mecklenburg, 1946–1981 Mitglied des Parteivorstands bzw. des ZK der SED, 1949–1952 Staatssekretär im MdI, 1949–1959 Abgeordneter der (Provisorischen) Volkskammer, 1952–1959 Vorsitzender des Rates des Bezirks Rostock, 1952–1974 Mitglied der SED-Bezirksleitung Rostock  S. 140–141, 543 Wassilewski, vgl. Vasilevskij

748 Anhang Wehner, Herbert (1906–1990), seit 1927 KPD, seit 1934 im Exil, 1936–1941 in der UdSSR, seit 1941 in Schweden, 1942–1944 dort inhaftiert, 1946 Übersiedlung nach Hamburg und Eintritt in die SPD, 1949–1983 MdB, 1949–1966 Vorsitzender des Ausschusses für Gesamtdeutsche Fragen, seit 1952 Mitglied des Bundesvorstands der SPD  S. 276, 494–496, 529, 594 Weinberger, Bernd (1904–1957), seit 1929 KPD, 1933–1947 Exil in der UdSSR, zwischendurch 1938–1939 in Deutschland inhaftiert, 1947–1950 HA-Leiter der DWK, Leiter des Büros beim Ministerpräsidenten und Leiter des Amtes für Reparationen, 1950–1952 Leiter der Verwaltung für Auftragsangelegenheiten im MdI, 1952 Leiter des Büros für Wirtschafts- und Rüstungsfragen, zugleich bis 1953 stellvertretender Minister des Innern für Wirtschaftsfragen, seit 1952 Generalmajor der KVP, 1953 zunächst Minister für Transportmittel- und Landmaschinenbau, im Oktober 1953 unter Aberkennung des Generalsranges aus dem Wehrdienst entlassen  S. 328, 604–605, 607 Welk, Ehm (1884–1966), Journalist und Schriftsteller, 1928–1934 Chefredakteur der Grünen Post, 1934 verhaftet und zeitweilig mit Schreibverbot belegt, seit 1945 KPD bzw. SED, seit 1950 freischaffender Schriftsteller  S. 272 Werner, Arthur (1877–1967), Bauingenieur, 1932 kurzzeitig NSDAP, sonst parteilos, 1942 Schließung der von ihm geleiteten privaten „Schinkel-Akademie“, danach Privatmann, 1945–1946 Oberbürgermeister von Groß-Berlin, 1950 Wiedereröffnung der privaten Bauschule in Berlin-Lichterfelde  S. 145 Weskamm, Wilhelm (1891–1956), seit 1932 Pfarrer in Merseburg, seit 1949 zweiter Weihbischof von Paderborn mit Sitz in Magdeburg, seit 1951 Bischof von Berlin  S. 141, 427 Wessel, Helene (1898–1969), seit 1919 Zentrumspartei, 1928–1933 Abgeordnete des Preußischen Landtags, 1930–1933 Mitglied des geschäftsführenden Vorstands der Zentrumspartei, 1946–1950 MdL in Nordrhein-Westfalen, 1948–1949 Mitglied des Parlamentarischen Rates, seit 1949 MdB und Vorsitzende der Zentrumspartei, 1951 mit Gustav Heinemann Gründung der „Notgemeinschaft zur Rettung des Friedens in Europa“ und 1952 der Gesamtdeutschen Volkspartei (GVP)  S. 426, 494, 551 Wienken, Heinrich (1883–1961), 1922–1937 Leiter der Hauptvertretung Berlin des Deutschen Caritasverbandes, seit 1937 Titularbischof, 1937–1951 Leiter des Commissariats der Fuldaer Bischofskonferenz in Berlin, in dieser Funktion Unterhändler der katholischen Kirche sowohl mit Dienststellen des NS-Staates als auch (seit 1945) mit der SMAD bzw. SKK, den SBZ-Behörden bzw. der DDR-Regierung und den Parteien, 1951–1957 Bischof von Meißen mit Sitz in Bautzen  S. 427 Wildermuth, Eberhard (1890–1952), seit 1919 DDP, seit 1926 Oberregierungsrat im Reichsarbeitsministerium, seit 1928 Direktor, seit 1930 zusätzlich Vorstandmitglied der Deutschen Bau- und Bodenbank AG, Präsident der Gesellschaft für Öffentliche Arbeiten, Teilnahme am Zweiten Weltkrieg als Regimentskommandeur und später Oberst der Wehrmacht, 1944–1946 britische Kriegsgefangenschaft, seit 1946 Mitglied des Landesvorstands der DVP/FDP, 1947–1949 Staatsminister für Wirtschaft in Württemberg-Hohenzollern, 1948–1952 Mitglied im Bundesvorstand der FDP, 1949–1952 Bundesminister für Wiederaufbau bzw. Wohnungsbau, bis 1950 zugleich informell Beauftragter für verteidigungspolitische Fragen  S. 223 Wilm, Ernst (1901–1989), 1931–1848 Pfarrer in Mennighüffen, seit 1934 Bekennende Kirche, 1942–1945 KZ Dachau, danach kurzzeitig Kriegsdienst und sowjetische

Personenregister749 Kriegsgefangenschaft, 1949–1968 Präses der Evangelischen Landeskirche von Westfalen  S. 247 Wirth, Erich (1904–1982), seit 1925 Tätigkeit als Dreher, seit 1928 KPD, nach 1933 mehrfach in Haft, 1942 Meisterqualifikation, 1946–1954 verschiedene Tätigkeiten in der SAG bzw. im VEB Sachsenwerke Radeberg, 1950 Auszeichnung als Aktivist mit dem Nationalpreis der DDR für die Methode des Schnelldrehens, 1950– 1954 Abgeordneter der Volkskammer, 1950–1952 Kandidat, 1952–1967 Mitglied des ZK der SED  S. 583, 605 Wirth, Joseph (1879–1956), 1921–1922 Reichskanzler, zeitweise zugleich Reichsaußenminister, 1929–1930 Reichsminister für die besetzten Gebiete, 1930–1931 Reichsminister des Innern, 1933 Emigration (Österreich, Frankreich, Schweiz), 1948 Rückkehr nach Deutschland, 1953 zusammen mit Wilhelm Elfes Vorsitzender des Bundes der Deutschen für Einheit, Frieden und Freiheit  Dok. 90, S. 447–448, 489, 551, 600 Wolf, Ernst (1907–1989), seit 1929 KPD, 1934–1945 Tätigkeiten als Werkmeister und Ingenieur, 1949–1952 HA-Leiter bzw. Staatssekretär im Ministerium für Maschinenbau, 1952–1953 Staatssekretär im Ministerium für Transportmittel- und Landmaschinenbau  S. 366 Wolf, Friedrich (1888–1953), Arzt und Schriftsteller, seit 1928 KPD, 1933–1945 Exil (größtenteils in der UdSSR), 1946 Mitbegründer der DEFA und des „Bundes deutscher Volksbühnen“, 1948 Mitbegründer des PEN-Zentrums Deutschland, 1950 Gründungsmitglied der Deutschen Akademie der Künste in Ost-Berlin, 1949–1951 Chef der Diplomatischen Mission bzw. Botschafter der DDR in der VR Polen  S. 272 Wolf, Konrad (1925–1982), Sohn von Friedrich Wolf, 1934–1945 mit den Eltern Exil in der UdSSR, seit 1936 sowjetische Staatsbürgerschaft, seit 1942 Dolmetscher in der Roten Armee, 1949–1955 Regiestudium am Staatlichen Allunionsinstitut für Kinematografie in Moskau, seit 1952 Staatsbürgerschaft der DDR und SEDMitgliedschaft  S. 45 Wolf (Wolff), Markus Johannes (1923–2006), Sohn von Friedrich Wolf, 1934–1945 mit den Eltern Exil in der UdSSR, seit 1936 sowjetische Staatsbürgerschaft, seit 1942 Exil-KPD, seit 1943 Redakteur und Sprecher beim Moskauer Deutschen Volkssender, 1945 Rückkehr nach Deutschland als Mitglied der „Gruppe Ulbricht“, 1945–1949 sowjetischer Kontrolloffizier und außenpolitischer Kommentator beim Berliner Rundfunk, 1949–1951 Erster Rat der DDR-Mission in Moskau, seit 1951 stellvertretender Leiter der HA III (Abwehr) am „Institut für wirtschaftswissenschaftliche Forschung“ (Tarnbezeichnung des APN), Leiter des APN, seit 1953 Leiter der HA XV (Auslandsaufklärung) des Staatssekretariats für Staatssicherheit  Dok. 11, 71, S. 3–4, 61, 76, 79, 128, 163–164, 193, 241, 256, 267, 375, 495–496 Wollweber, Ernst (1898–1967), seit 1919 KPD, 1932–1933 Reichstagsabgeordneter, seit 1933 als Sekretär der Internationale der Seeleute und Hafenarbeiter in Dänemark, 1940–1944 in Schweden inhaftiert, 1944–1946 Exil in der UdSSR, seit 1947 Generaldirektor für Schifffahrt, 1950–1953 Staatssekretär im Ministerium für Verkehrswesen, seit 1953 Staatssekretär für Staatssicherheit der DDR  S. 332, 354 Wülcknitz, Karl Adalbert von, ehemals Chefredakteur der Saale-Zeitung (Halle), 1945 von der amerikanischen Besatzungsbehörde als Chef vom Dienst beim Tages-

750 Anhang spiegel eingesetzt, 1946 Wechsel zur Täglichen Rundschau, 1953 Flucht nach Westdeutschland  S. 528 Wulz, Hans (1893–1975), seit 1920 Offizier der Reichswehr, seit 1939 Oberst, seit 1942 Generalmajor der Wehrmacht und Artilleriekommandeur, 1943–1948 sowjetische Kriegsgefangenschaft, 1948 Rückkehr nach Deutschland, 1949 Leiter der HA Schulung, dann Stabschef der HA Grenze und Bereitschaften der DVdI, 1949–1950 Stellvertreter des Leiters für Allgemeines der HV Ausbildung Berlin, 1950–1952 Leiter der Abteilung Inspektion beim Stab der HV Ausbildung, seit 1952 Generalmajor der KVP, 1952–1955 Leiter der Verwaltung Artillerie-Versorgung beim Stab der KVP  S. 607 Wyschinski/Wyschinskij, vgl. Vyšinskij Young, Owen D. (1874–1962), 1922–1939 Vorsitzender im Aufsichtsrat von General Electric, 1923–1940 Direktor der Federal Reserve Bank in New York, 1924 Mitglied des von Charles Dawes geleiteten Sachverständigenausschusses zur Neuregelung der Reparationsschulden, 1929 Leiter der erneuten Reparationskonferenz von Paris  S. 423, 616, 618 Zabrodin, Evgenij Grigor’evič (1907–1989), seit 1938 im diplomatischen Dienst, 1949–1950 Stellvertreter des Generalsekretärs des MID, 1950–1953 Leiter der Zweiten Fernostabteilung des MID  S. 266 Zahn, Friedrich von (1902–1993), 1929–1933 Tätigkeiten bei der Amtshauptmannschaft Zwickau, 1933–1943 bei der Amtshauptmannschaft Glauchau, 1943–1945 beim Regierungspräsidenten in Bromberg, 1939–1945 zeitweise Kriegsdienst und Gefangenschaft, seit 1949 Leiter des Referats I 4 (Kultur- und volkspolitische Fragen) im Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen  S. 556–557 Zaisser, Wilhelm (1893–1958), seit 1919 KPD, 1932–1947 Exil zumeist in der UdSSR, 1936–1938 Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg, 1948–1949 Innenminister von Sachsen, 1950–1953 Mitglied Politbüros des ZK der SED und Minister für Staatssicherheit der DDR, 1953 aller Ämter enthoben, 1954 Parteiausschluss  Dok. 111, S. 73–74, 97, 103, 140, 186, 393, 458, 462, 474, 476, 491–492, 517, 560– 561, 577 Zangen, Wilhelm (1891–1971), 1934–1957 Generaldirektor der Mannesmannröhren-Werke AG (seit 1955 Mannesmann AG), seit 1937 NSDAP und Wehrwirtschaftsführer, seit 1938 Leiter der „Reichsgruppe Industrie“, 1945 interniert  S. 181 Zehner, Paul (1909–1951), seit 1938 NSDAP, 1941–1945 Angehöriger der Wehrmacht (Funkaufklärungskompanie), nach dem Krieg LDP, Tätigkeit als Revolverdreher in der Maschinenschraubfabrik seines Vaters in Saalfeld, 1950 verhaftet und wegen angeblicher Spionage durch ein SMT zum Tode verurteilt, 1951 in Moskau erschossen  S. 250 Ziller, Gerhart (1912–1957), seit 1930 KPD, 1933–1935 inhaftiert, danach Tätigkeit als Ingenieur in Dresden, 1944–1945 erneut in Haft, 1945–1946 Ministerialrat in der Landesverwaltung, 1946–1948 Ministerialdirektor und Leiter der HA Brennstoffindustrie und Energiewirtschaft im Ministerium für Wirtschaft und Wirtschaftsplanung in Sachsen, 1949–1950 Minister für Industrie und Verkehr in Sachsen, 1950–1953 Minister für Maschinenbau, seit 1953 Minister für Schwermaschinenbau der DDR  S. 330, 353, 504–506, 566, 649, 654 Zimmermann, Elisabeth (1917–2010), 1948–1958 Sekretärin Konrad Adenauers  S. 276

Personenregister751 Zinn, Georg August (1901–1976), seit 1920 SPD, 1927–1933 Stadtverordneter in Kassel, seit 1931 Tätigkeit als Rechtsanwalt, 1933 kurzzeitig in Haft, 1939–1945 Angehöriger der Wehrmacht, 1945–1949 Justizminister in Hessen, 1947–1970 Landesvorsitzender der hessischen SPD, 1948–1949 Mitglied des Parlamentarischen Rates, 1949–1951 MdB, 1950–1969 Ministerpräsident, zugleich bis 1963 erneut Justizminister in Hessen  S. 596, 599 Zinnkann, Heinrich (1885–1973), seit 1906 SPD, seit 1928 Regierungsrat im hessischen Arbeits- und Wirtschaftsministerium, 1933 seiner Ämter enthoben, seit 1935 Vertreter einer Bausparkasse, seit 1945 stellvertretender Vorsitzender der SPD in Hessen, 1924–1933 und 1946–1962 Landtagsabgeordneter in Hessen, seit 1946 Minister des Innern, seit 1947 Minister für Inneres und Wiederaufbau, 1951–1954 erneut Minister des Innern und zugleich stellvertretender Ministerpräsident in Hessen  S. 494 Zinsser, Katharina (Käthe) (1908–?), Ost-CDU, seit 1949 Chefsekretärin Dertingers, danach Mitarbeiterin der Protokollabteilung im MfAA, 1953 (zeitgleich mit Dertinger) verhaftet, 1954 zu 4–5 Jahren, dann reduziert auf 3 Jahre Zuchthaus verurteilt  S. 185 Zolling, Hermann (1924–1971), westdeutscher Journalist, Korrespondent der United Press  S. 402, 404, 643 Zorin, Valerian Aleksandrovič (1902–1986), seit 1941 im diplomatischen Dienst, bis 1943 Gehilfe des Generalsekretärs des NKID, 1943–1945 Leiter der Vierten Europäischen Abteilung des NKID, 1945–1947 Botschafter der UdSSR in der ČSR, 1947–1955 Stellvertreter des Außenministers der UdSSR, 1949–1952 Vorsitzender des Informationskomitees beim MID der UdSSR, 1952–1953 ständiger Vertreter der UdSSR bei den Vereinten Nationen sowie im Sicherheitsrat der Vereinten Natio­ nen  Dok. 93, S. 66, 115, 183, 243, 266, 464, 483 Zorn, Heinz-Bernhard (1912–1993), seit 1930 Angehöriger der Reichswehr bzw. Wehrmacht, 1935–1941 Flugzeugführer, 1941–1944 Mitarbeit in den Generalstäben der Luftwaffe u. a. in Norwegen und Rumänien, 1944–1949 sowjetische Kriegsgefangenschaft nach Desertion, seit 1944 NKFD, 1949–1950 Leiter der HA Inspek­ tion im Stab der HV Ausbildung, 1950–1955 Chef des Stabes der VP-Luft/der Verwaltung des Aeroklubs der KVP, seit 1952 Generalmajor der KVP  S. 106, 607 Zverev, Arsenij Grigor’evič (1900–1969), 1938–1948 und erneut 1948–1960 Volkskommissar der Finanzen bzw. Finanzminister der UdSSR, 1939–1961 Mitglied des ZK der VKP (b) bzw. KPdSU, 1952–1953 Kandidat des Präsidiums des ZK der KPdSU  Dok. 52, 109, S. 4 Zweig, Arnold (1887–1968), Schriftsteller, 1933–1948 Exil in Palästina, 1948 Rückkehr nach Deutschland, 1949–1967 Abgeordneter der Volkskammer, 1950 Nationalpreis 1. Klasse der DDR, 1950–1953 Präsident der Deutschen Akademie der Künste, danach deren Ehrenpräsident  S. 372–373