Die Aussperrung im System von Arbeitsverfassung und kollektivem Arbeitsrecht [1 ed.] 9783428446063, 9783428046065

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Die Aussperrung im System von Arbeitsverfassung und kollektivem Arbeitsrecht [1 ed.]
 9783428446063, 9783428046065

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Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 49

Die Aussperrung im System von Arbeitsverfassung und kollektivem Arbeitsrecht Von

Rupert Scholz Horst Konzen

Duncker & Humblot · Berlin

RUPERT SCHOLZ , HORST KONZEN

Die Aussperrung im System von Arbeitsverfassung und kollektivem Arbeitsrecht

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 49

Die Aussperrung im System von Arbeits­ verfassung und kollektivem Arbeitsrecht

Von

Prof. Dr. Rupert Scholz Prof. Dr. Horst Konzen

DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN

Alle Rechte vorbehalten © 1980 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1980 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed In Germany ISBN 3 428 04606 4

Vorwort Eugen Lederer, der Erste Vorsitzende der Industriegewerkschaft Metall, konstatiert im Vorwort einer gewerkschaftlichen Informations­ schrift für Funktionäre, Mitglieder und Arbeitnehmer über ein „Verbot der Aussperrung", diese gewerkschaftliche Forderung sei in den Mittel­ punkt der innenpolitischen Diskussion gerückt. Er erblickt darin den Erfolg jahrelanger, angestrengter Bemühungen zur Aufklärung und Diskussion über die Aussperrung und erinnert an eine Parole, die er auf der wissenschaftlichen Veranstaltung der IG Metall im Jahre 1973 ausgegeben hat und die inzwischen erfüllt sei. Auf dieser Veranstaltung hatte er gefordert, daß die Probleme des Arbeitskampfs aus den Stu­ dierstuben und Gerichtssälen heraus in eine Diskussion eines größeren Kreises der Hauptbetroffenen überführt werden müßten. Aus einer akademischen müsse wieder eine politische Diskussion werden. Die Zwischenbilanz des Gewerkschaftsvorsitzenden ist sicher realistisch. Die IG Metall und die IG Druck und Papier haben nicht nur nach den Aussperrungen in der Druck- und Metallindustrie des Jahres 1978 im Wege von Massenklagen das Arbeitskampfrecht erneut vor die Gerichte gebracht und mit dieser Prozeßflut auch politisches Aufsehen erregt. Daneben wird der Kampf gegen die Aussperrung auf anderen Ebenen geführt, durch Appelle an die verantwortlichen Politiker, Sensibilisie­ rung der Öffentlichkeit und Mobilisierung der Arbeitnehmerschaft, wie sie die Solidaritätskundgebungen anläßlich des Arbeitskampfs in der Stahlbranche um die Jahreswende 1978/79 dokumentiert haben. Den­ noch bleiben die politischen Appelle von der Einschätzung geprägt, daß die gegenwärtigen parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse ein Verbot der Aussperrung nicht ermöglichen. Daher liegt der Schwerpunkt des Kampfs gegen die Aussperrung vorerst doch wieder in den Gerichts­ sälen, nach dem Abschluß von zwei Instanzen inzwischen konkreter beim Bundesarbeitsgericht, das - so Eugen Lederer - aufgerufen sei, das Problem aus der Welt zu schaffen, das es selbst erst mit seiner Rechtsprechung geschaffen habe. Der Kampf im Gerichtssaal wird nicht nur von der Geräuschkulisse politischer Polemik begleitet, die mit divergenten Darlegungen bereits die Erfassung der Fakten erschwert. Auch die Argumentationsmuster vor den Arbeitsgerichten enthalten eine bunte Mischung von sozialwissenschaftlichen, ideologisch-politi­ schen und juristischen Komponenten, denen nicht selten verzerrende Wertungen oder normative Irrelevanz zu attestieren ist. Die damit neu

Vorwort

6

eröffnete Diskussion verlangt nicht nur ein überdenken zahlreicher Detailfragen der Aussperrung und damit - veranlaßt durch die juri­ stischen Systemzusammenhänge der Arbeitskampfordnung oder die Faktizität der Kämpfe des Jahres 1978 - auch des Streiks. Wünschens­ wert erscheint zugleich auch eine stärkere Fundierung der Judikatur im Normengefüge der Verfassung und des kollektiven Arbeitsrechts, die verdeutlicht, daß das Arbeitskampfsystem keine judikative Belie­ bigkeit und daher auch nicht beliebig abschaffbar ist. Aus diesen Grün­ den mußten die Probleme der Aussperrung und des Arbeitskampf­ systems im Vorfeld der erneuten Entscheidungsrunde im Gerichtssaal auch wieder in die Studierstuben geraten. Die Studie über „Die Aussperrung im System von Arbeitsverfassung und kollektivem Arbeitsrecht" versucht, die aktuelle Diskussion und die Grundlegung des Arbeitskampfsystems zu verbinden. Sie beruht auf einem Rechtsgutachten für die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Ihr liegt ein Konsens über alle erörterten Pro­ bleme des Arbeitskampfsystems zugrunde, der beiden Verfassern die wissenschaftliche Gesamtverantwortung für die Studie zuweist. Im juristischen Disput in einer Teildisziplin der Rechtsordnung, die eine nicht selten vom politischen und gesellschaftlichen Verständnis ge­ prägte beträchtliche Bandbreite aufweist, läßt sich mehr oder weniger nur deutlich Position beziehen; eine allgemeine Konsensfähigkeit muß, um noch einmal Eugen Lederer zu zitieren, ,,in einer innenpolitischen Frage höchster Brisanz, die aus dem politisch-parlamentarischen Be­ reich wie ein glühendes Stück Eisen weggeschoben wird", eine Illusion bleiben. Das Schicksal der Aussperrung mit allen politischen, gesell­ schaftlichen und ökonomischen Folgen läßt sich heute nicht mehr an einem breiten Grundkonsens ausrichten, sondern obliegt vorerst allein der Umsicht und Autorität unserer Gerichte. Berlin, im Oktober 1979 Horst Konzen

Rupert Scholz

Inhaltsverzeichnis Erster Teil Grundlagen und Problemstand § I Aussperrung und tatsächliche Entwicklung des Arbeitskampfes . . . . A. Die Arbeitskämpfe in der Druck- und Metallindustrie im Jahre 1978 . ..... . . . .... .. .. . .... . .. . .. . . ..... . .. . ..... ...... . . ... . .. 1. Streik und Aussperrung in der Druckindustrie .. . ... .. .. . . . II. Arbeitskämpfe in der baden-württembergischen Metallindustrie ... . . . . ... . .. . . ... .. .. . ... . . .. . . . . ... . .. .... .. . . . . III. Arbeitskampf in der Stahlindustrie .. . . . . . ... . .. . .. .. . . . . . .

13 13 13 14 17 18

B. Tatsächliche zusammenhänge und Korrespondenzen von Streik und Aussperrung .. . .. . . .. . ..... .... ... . .. . . ... . . . ..... . . .. . . . 19 1. Streik und Funktionen der Aussperrung . . .. . .... .... .. . .. . 19 II. Verbandskampf, Aussperrung und Interessen der Kampfbetroffenen . . ... ... ........ ..... . . . . . .. .. ... .... . .. . . .. . . . 26 C. Rechtliche und politische Kontroversen um Aussperrung und Arbeitskampfrecht ..... . ... .... . ..... . . .. . . . . ... . ... . .. . ... . . . 28 § 2 Realformen und Wirkungen der typischen Arbeitskampfmittel . . . .

36

A. Der Streik . .. .. . . . . ..... . .. . . .. . . ........ ... . . .. .. ... . . . ..... . 1. Begriff und Arten .... ... ... .............. ... .. ... .. . ..... . II. Haupt- und Sympathiestreik . ... . . .. . ..... .. .. .. .. .. . . .. .. III. Erzwingungsstreik und Warnstreik .. . . .. . ..... . ..... ...... IV. Kampf- und Demonstrationsstreik . . . .. .. ........ . ..... .. .. V. Voll-, Teil- und Schwerpunktstreik ... . . . ...... ... . ... . .... VI. Typische Wirkungen des Streiks . ..... .. .... ... .. . ... .. .. ..

38 38 39 44 46 47 47

B. Die Aussperrung . .. . . . ... . .. . . .. .. . . . . .... ... . ... .. ... . .... . . . I. Begriff und Arten . . ... . . ... .. .. ... .. . . .. . ... . . .. . ... . . .. . II. Angriffs- und Abwehraussperrung .. ..... ..... . .. . ..... ... III. Haupt- und Sympathieaussperrung . ... ..... ... .... ... .. ... IV. Warnaussperrung . . .... . . ... . . .. . . . ... ... . .. . ... . . . ..... . . V. Voll-, Teil-, Sukzessiv- und Selektivaussperrung . . ..... .. . VI. Typische Wirkungen der Aussperrung . ........ . . . .. .. . . .. .

48 48 49 50 52 52 53

8 § 3

Inhaltsverzeichnis Aussperrung und rechtliche Entwicklung des Arbeitskampfes

53

A. Bestehende Gesetzesgrundlagen ............................... I. Das Grundrecht der Koalitionsfreiheit aus Art.9 III GG . . . . II. Rechtsgrundlagen im Gesetzesrecht ............ . ..... . ..... III. Landesverfassungsrechtliche Grundlagen ... . .. . ..... . . .. . . IV. International- und europarechtliche Grundlagen .... . ......

54 54 56 59 61

B. Aussperrung und Richterrecht ................................. 65 I. Entwicklung der richterrechtlichen Grundlagen der Aussperrung .......................... ....................... 66 II._ Kompetenzrechtliche Aspekte zum Richterrecht ............ 74 C. Zwischenbilanz und Folgerungen ........................ . ..... I. Gesetzesrechtlich imperfekte, richterrechtlich geschlossene Struktur des geltenden Arbeitskampfrechts . . . . . ......... .. II. Verfassungsrechtliche Fragestellung .......... . ......... . .. III. Gültigkeit des Aussperrungsverbots aus Art.29 V Hess. Verf.? .................................................... § 4

76 76 77 78

Kritik der Aussperrung und neuerer Meinungsstand . . . ...... . . . .. 83

A. Kritik und Antikritik .... . .................................... I. Koalitionsfreiheit als alleiniges Arbeitnehmergrundrecht ? .. II. Aussperrung und Parität .................... , ............. III. Flächenaussperrung und Verhältnismäßigkeit .............. IV. Rechtsvergleichende Aspekte ....................... .......

83 84 85 99 99

B. Methodische Vorwertung von Argumenten .................... 102 zweiter Teil

Der Arbeitskampf in der grundgesetzlichen Arbeitsverfassung § ·5

106

Grundpositionen .......... ; .....·.....................; .... . ...... 106

A. Arbeitskampffreiheit und Koalitionsrecht ........_. ; ........... . 106 I. Prinzipielle Tatbestandsmäßigkeit der· Arbeitskampffreiheit 106 II. Entstehungsgeschichtliche Beziige ............< : , ........... 108 B. Weitere Verfassungsbezüge der Arbeitskampffreiheit ....• : .. . . I. Arbeitskampf und Sozialstaat ....................... ; ..... II. Arbeitskampf und das Hauptfreiheitsrecht des Art.2 I GG .. III. Arbeitskampf und die Eigentumsgarantie des Art.14 GG ...

112 112 115 118

C. Die grundgesetzliche Arbeitsverfassung .. . ............... . . . . .. 119 I. Grundsätzliche Ordnungsstrukturen ....................... 119 II. Legitimation und Systembildung des Arbeitskampfes ...... 121

Inhaltsverzeichnis § 6

9

Arbeitskampf und Koalitionsfreiheit .................. . . .. . .... . . 122 A. Die allgemeinen Gewährleistungskomponenten des Art.9 III GG 123 I. Die Koalitionsfreiheit als kontradiktorisches und paritäti­ sches Grundrecht von Arbeitnehmern und Arbeitgebern ... 123 II. Die Koalitionsfreiheit als individual- und kollektiv-rechtliche Gewährleistung ...................................... 124 HI. Die kollektiv-rechtlichen Gewährleistungen des Art.9 III GG 124 B. Arbeitskampffreiheit und kollektive Koalitionsfreiheit ......... 130 I. Arbeitskampffreiheit, Koalitionsverfahrensgarantie und Koalitionsmittelgarantie ..................... . ............ 130 II. Arbeitskampffreiheit, Koalitionszweckgarantie und Koali­ tionsbestandsgarantie ..................................... 133 III. Kriterium der funktionstypischen Bedeutung einzelner Koa­ litionsmittel, gegenseitiger Kampfmittelbezug und relative Verfassungsgarantie einzelner Kampfmittel ................ 133 IV. Schutz funktionstypischer Kampfmittel und Prinzip der Verhältnismäßigkeit .......................................... 137 V. Zusammenfassung ........................................ 141 C. Streik und Aussperrung im prinzipiellen Schutzbereich der kol­ lektiven Koalitionsfreiheit ......................... ........... 142 I. Streik, Aussperrung, allgemeine Arbeitskampffreiheit und relative Kampfmittelgarantie .............. . ........... . ... 142 II. Zur funktionstypischen Grundbedeutung des Streikrechts .. 143 III. Zur funktionstypischen Grundbedeutung des Aussperrungsrechts .................................................... 147 IV. Streik und Aussperrung im gegenseitigen Kampfmittelbezug 149

§ 7

Arbeitskampf und Schranken der Koalitionsfreiheit ........... . .. 151 A. Das Prinzip der speziellen Grundrechtsschranken im GG ...... 151 B. Spezielle Schrankenvorbehalte zu Arto9 III GG ................ 152 I. Der Schrankenvorbehalt des Art.9 II GG ............ ...... 152 II. Der Schrankenvorbehalt grundrechtlicher Kollisionslösung 152 III. Der Schrankenvorbehalt des „allgemeinen Gesetzes" . . ..... 153 IV. Gesetzes-, Prägungs- und Organisationsvorbehalt .......... 153 V. Das Übermaßverbot als maßgebende „Schranken-Schranke" 155 C. Grundrechtsschranken und Arbeitskampfbeschränkung ........ 155 I. Generelles Arbeitskampfverbot - individuales·Kampfmittel­ verbot; allgemeine Kampfführungsschranke - konkrete Kampfführungsschranke .................................. II. Organisationsrechtliches Kampfmittelverbot? .............. III. Kampfmittelverbot kraft „allgemeinen Gesetzes" oder kraft Sozialstaatsprinzips? .............. . ........ . ........ . .. . .. IV. Kampfmittelverbot kraft grundrechtlicher Kollisionslösung?

155 157 157 158

10

Inhaltsverzeichnis V. Kampfmittelverbot kraft grundrechtlicher Drittwirkung gemäß Art.9 III 2 GG? ...................................... 160 VI. Weitere Folgerungen für Art.29 V Hess. Verf. .............. 160 D. System der typischen Kampfführungsschranken - rechtmäßige und rechtswidrige Arbeitskämpfe im geltenden Arbeitsrecht ... 161 I. Der strafrechtswidrige und deliktische Arbeitskampf ..... . 162 II. Der tarifvertragswidrige und der betriebsverfassungswidrige Arbeitskampf ............................................. 162 III. Der politische und amtswidrige Arbeitskampf ............. 162 IV. Berufsrechtliche Schranken des Arbeitskampfs .......... . . 163 V. Arbeitskampf und Verhältnismäßigkeit .................... 164 VI. Der ruinöse und schikanöse Arbeitskampf .................. 164 VII. Arbeitskampf und Gemeinwohlbindung .................... 165

§ 8

Arbeitskampf und Koalitionsparität .............................. 168

A. Die verfassungsrechtliche Garantie der Koalitionsparität ....... 168 I. Koalitionsparität als Funktionsvoraussetzung des Koalitionsverfahrens ................................................ 169 II. Insbesondere: Koalitionsparität und Tarifautonomie ........ 172 III. Verfassungsrechtliche Garantie der systeminternen oder systemgebundenen Koalitionsparität ....................... 173 B. Formen der Koalitionsparität ................................. I. Formelle und materielle Koalitionsparität ................. II. Abstrakte und konkrete Koalitionsparität .................. III. Koalitionsparität und Evidenzvorbehalt ... . ................

174 174 177 180

C. Koalitionsparität und Staatsneutralität ........................ 181 I. Das Prinzip der koalitionsrechtlichen und arbeitsverfassungs­ rechtlichen Staatsneutralität .............................. 181 II. Staatsneutralität, Koalitionsparität und sozialstaatliches Verbot einzelner Kampfmittel ................................ \84 Dritter Teil Schutz und Grenzen der Aussperrung § 9

186

Aussperrung und Koalitionsparität . . ............................ 186

A. Die differenten Dimensionen der Koalitionsparität im Verhältnis zu Streik und Aussperrung ........... . ....... . ... . ... . ....... I. Streik und Aussperrung zwischen „formeller" und „materieller" Koalitionsparität ............•........................ II. Streik und Aussperrung zwischen „systeminterner" und „systemexterner" Koalitionsparität ....... . ................ III. Aussperrung und konkrete Koalitionsparität ..............

186 186 187 193

Inhaltsverzeichnis

11

B. Tarifpolitische Paritätsaspekte und funktionales Differenzierungserfordernis ........ . ..................................... 194 I. Aussperrung und tarifpolitische Parität .................... 194 II. Erfordernis der differenzierenden Anwendung auf Einzelfor­ men der Aussperrung ..................................... 202 § 10 Die Abwehraussperrung .......................................... 203

A. Suspendierende Abwehraussperrung und Betriebsrisikolehre ... I. Problemaufriß ............................................ II. Leistungsstörung und Betriebsrisikolehre .................. III. Betriebsrisikolehre und AFG .............................. IV. Kampfparität und Betriebsrisikolehre ....... . .............. V. Betriebsrisikolehre und Mitbestimmung des Betriebsrats ... VI. Aussperrung, Betriebsrisikolehre und paritätische Koalitionszweckverfolgung .......................................... B. Zulässigkeit und Grenzen der suspendierenden Abwehraussperrung .......................................................... I. Vollstreik und Abwehraussperrung ........................ II. Schwerpunktstreik und Abwehraussperrung ............... III. Warnstreik und Abwehraussperrung ...................... IV. Rechtswidriger Streik, Abwehraussperrung und Betriebsrisikolehre ................................................ V. Abwehraussperrung und Übermaßverbot ..................

203 203 208 212 214 219 223 225 225 226 227 227 231

C. Lösende Abwehraussperrung, Kündigung und Einzellösungsrecht 233 § 11 Die Angriffsaussperrung ......................................... 237

A. Angriffsaussperrung und Kampfinitiative ...................... 237 und Teilhabe an der Gestaltung der TarifB. Angr�ffsaussperrung _ vertrage ...................................................... 241 § 12 Andere Formen der Aussperrung

................................. 243

A. Teil-, Sukzessiv- und Selektivaussperrung ..................... 243 B. Sympathieaussperrung ........................................ 243 I. Sympathiestreik und abwehrende Sympathieaussperrung .. 243 II. Angreifende Sympathieaussperrung? ...................... 254 C. Warnaussperrung ............................................. 255 § 13 Aussperrung und Außenseiterproblem

............................ 255

A. Zulässigkeit der Kampfbeteiligung von Außenseitern .......... 255 I. Streikteilnahme . . .......... . .......... . ... . .............. 256

12

Inhaltsverzeichnis I I . Aussperrung von Außenseitern und negative Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 B . Aussp � r.run� und Differenzierung nach der Gewerkschafts. zugehorigke1t . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 I. Formen und Ziele der Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 II. Zulässigkeit und Grenzen der Differenzierung . . . . . . . . . . . . . . 263

§ 14 Partielle Verfassungswidrigkeit des hessischen Aussperrungsverbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271

Vierter Teil Ergebnisse

273

Literaturverzeichnis

286

ERSTER TEIL

Grundlagen und Problemstand § 1 Aussperrun g und tatsächliche Entwicklung des Arbeitskampfes A. Die Arbeitskämpfe in der Druck- und Metallindustrie im Jahr 1978 Im Frühjahr des J ahres 1980 beginnt nach den grundlegenden Be­ schlüssen des Großen Senats vom 28. 1 . 1955 1 und vom 2 1 . 4. 1971 2 vor dem BAG eine neue Entscheidungsrunde über die Aussperrung und damit notwendigerweise zugleich über Grundlagen und Details des Arbeitskampfsystems. Nach den Aussperrungen in der Druck­ industrie und der baden-württembergischen Metallindustrie des Jahres 1978 haben dagegen gerichtete Massenklagen - von der IG Druck und Papier bzw. der IG Metall organisiert - inzwischen zu zahl­ reichen erstinstanzlichen Entscheidungen, einer Reihe von Urteilen der Landesarbeitsgerichte und Revisionen beim BAG geführt3 . Nach der sicher wenig typischen Fallgestaltung des Spielbankfalles4 , die die judi­ kative Wegmarkierung des Arbeitskampfrechts im Jahr 1971 veranlaßt hat, bilden die Daten der Druck- und Metallarbeitskämpfe des Jahres 1978 durch ihren industriellen Zuschnitt und die großen Zahlen einen vielleicht geeigneteren Tatsachenfundus, an dem die richterlich aus­ geprägten Rechtssätze des Arbeitskampfrechts erneut überprüft wer­ den können. Vor allem die vom BAG entwickelten Grundsätze der Kampfparität und der Verhältnii.mäßigkeit5 und ihre kontroverse Diskussion im modernen Schrifttum6 gebieten, der rechtlichen Analyse einen Über­ blick über die Faktenlage voranzustellen. Dieser Überblick über die Arbeitskämpfe der Druck- und der Metallindustrie des Jahres 1978, der um einige Aspekte des Arbeitskampfs in der Stahlbranche zu er-

1 BAG AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. BAG AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 3 Vgl. unten § 1 C. 4 Fn. 2. 5 Vgl. unten § 3 B I. 8 Vgl. unten § 4. 2

1. Teil: Grundlagen und Problemstand

14

gänzen ist, kann sich freilich auf die kampfrechtlich relevanten Daten beschränken und die umstrittenen Tarifinhalte weithin ausblenden. Allerdings stimmen auch insoweit die von den Verbänden und ver­ bandsnahen Autoren publizierten Zahlen nicht immer überein und sind nicht selten unvollständig, so daß bisweilen nur Angaben von „einer Seite" verfügbar sind. Dieses Manko gleichen auch die wenigen sorgfältigen Urteilstatbestände aus der Serie veröffentlichter und un­ veröffentlichter Entscheidungen über die Arbeitskämpfe des Jahres 1978 und die Berufung auf das Statistische Bundesamt nicht vollends aus. Auch wenn aber die eine oder andere unter Berufung auf Quellen angeführte Zahl sich als unrichtig erweist, bleibt der Überblick als Tat­ sachenhintergrund für die juristische Analyse prinzipiell geeignet und bietet zudem ein Anschauungsmaterial, das vor einem allzu schemati­ schen Umgang mit Zahlenrelationen bei der Konkretisierung j uristi­ scher Maßstäbe warnt. I. Streik und Aussperrung in der Druckindustrie Der Tarifstreit kreiste um die arbeitsrechtlichen Folgen der elektro­ nischen Techniken im Druckgewerbe, die den Bleisatz und die mit ihm verbundenen Arbeiten entbehrlich machen und für Setzer, Korrek­ toren etc. einen drohenden Arbeitsplatzverlust bedeuten7 • Das Thema Sicherung von Arbeitsplätzen bei technologisch verursachten Rationa­ lisierungen mit einer auch juristisch schwierigen Materie8 erklärt nicht nur die langwierigen Tarifverhandlungen, sondern macht auch die von Verhandlungen, Vermittlungsversuchen etc. begleiteten Kampfaktio­ nen über einen Zeitraum von November 1977 bis März 19789 verständ­ lich. Die Kampfmaßnahmen begannen nach dem ergebnislosen Verlauf der ersten Schlichtung im November 1977 mit sog. Warn- und Protest­ streiks10 , die auch während einer erneuten Tarifverhandlung mit wie­ derum gescheiterter Schlichtung fortgeführt wurden und bis in den Februar 1978 hineinreichten. Diese Streikphase bezweckte nach gewerk­ schaftlicher Darstellung, Druck auf die Unternehmen auszuüben sowie nach innen ein Signal zu geben und die eigenen Reihen zu stabilisie­ ren11 . Einer Aufstellung der Arbeitgeber ist zu entnehmen, daß diese Streiks sich in wechselnder Folge auf eine Vielzahl von Betrieben in der Bundesrepublik und auf manche Zeitschriften und Druckereien Vgl. nur Hensche, in: Streikfreiheit und Aussperrungsverbot, S. 42 - 45. Reuter, ZfA 1978, 1 ff. 9 Vgl. Hensche, in: Streikfreiheit und Aussperrungsverbot, S. 51 ff.; die Be­ merkungen zur Dauer der Kampfmaßnahmen stimmen mit Angaben der Ar­ beitgeberseite überein. 10 Hcnsche, in: Streikfreiheit und Aussperrungsverbot, S. 51 ff. 11 Hensche, in: Streikfreiheit und Aussperrungsverbot, S. 51. 7

8

§ 1 Aussperrung und tatsächliche Entwicklung des Arbeitskampfes

15

fünf-, sechs- und achtmal erstreckten1z. Unstreitig ist auch, daß diese Kampfaktionen bisweilen die vom BAG1 3 genannte, freilich nicht als feste Grenzmarkierung verstandene Dreistundengrenze für Warn­ streiks überschritten und zum Nichterscheinen von Zeitschriften sowie zum Ausfall von Schichten geführt haben1 '. Die nachfolgende Phase der Schwerpunktstreiks begann mit Streiks in vier deutschen Städten und wurde in München mit einer zunächst befristeten, dann unbefriste­ ten, aber regional begrenzten Aussperrung fortgesetzt. Nach Ankündi­ gungen neuer Urabstimmungen durch die IG Druck und Papier und deren Erklärung, für eine wochenlange Tarifauseinandersetzung mit Schwerpunktstreiks und Aussperrungen finanziell gerüstet zu sein' 5 , wurde am 2. März eine überregionale, befristete Aussperrung in höch­ stens18 zwölf Unternehmen1 7 durchgeführt. Auf der Gegenseite kam es zu neuen Urabstimmungen und neben den unbefristeten Schwerpunkt­ streiks zu befristeten Streiks, die nach einer Darstellung der Arbeit­ geber18 insgesamt zur Folge hatten, daß ein Drittel der Gesamtauflage der deutschen Zeitungen nicht erschien. Daraufhin erfolgte eine be­ fristete, zwischen dem 5. und 7. März durchgeführte Aussperrung. Nach gewerkschaftlicher Darstellung wurde den Betrieben anheimgestellt, soweit es praktisch durchführbar sei, die Aussperrung auf die Mitglie­ der der IG Druck und Papier zu beschrähken19 • Auf diese Weise wurde auch in diesem Arbeitskampf, wie erst- und zweitinstanzliche Ent­ scheidungen bestätigen!°, die schon früher im Druckbereich beobachtete und erst kürzlich rechtlich näher analysierte Aussperrungstaktik einer Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit21 relevant. Noch während dieser Aussperrung kündigte die Gewerkschaft die Fortset­ zung der Schwerpunktstreiks und neue befristete Proteststreiks in an­ deren Betrieben an22 • Der Streik wurde auch punktuell erweitert und 1 2 Aus diesen Gründen und auch im Hinblick auf die anschließend darge­ legte Dauer der Aktionen ist es bedenklich, wenn zahlreiche erst- und zweit­ instanzliche Urteile im Anschluß an die gewerkschaftliche Terminologie schlechthin von Warnstreiks sprechen. Deren Grenzlinie zum Erzwingungs­ streik ist vom BAG noch nicht gezogen, und es ist wenig überlegt, die Kampf­ taktik der IG Druck und Papier terminologisch auch ungeprüft einer Streik­ form zu unterstellen, für die nach der Judikatur des BAG auf die Einhaltung des ultima-ratio-Prinzips verzichtet werden darf; vgl. auch § 2 A III. 1 3 BAG AP Nr. 51 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 14 Vgl. nur Hensche, in: Streikfreiheit und Aussperrungsverbot, S. 51. 1 5 Dpa-Meldungen vom 1. 3. 1978. 18 Nach Arbeitgeberansicht: zehn Unternehmen. 17 Hensche, in: Streikfreiheit und Aussperrungsverbot, S. 57. 1 8 Vgl. auch ArbG Düsseldorf, Urt. v. 3. 10. 1978 - 1 Ca 3137/78. 1 9 Hensche, in: Streikfreiheit und Aussperrungsverbot, S. 57. 20 Vgl. unten § 1 C. 21 Konzen, HAG-Festschrift, 1979, S. 273 ff.; Pfarr, AuR 1977, 33 ff. 22 Dpa-Meldung vom 6. 3. 1978.

16

1. Teil : Grundlagen und Problemstand

in manchen Betrieben bis zum 20. März durchgehalten23. Der Aus­ sperrungsbeschluß vom 14. März 1979, mit dem eine bundesweite, un­ befristete Aussperrung intendiert war, richtete sich nach gewerkschaft­ lichen Angaben gegen 145 000 Arbeiter24 ; doch kommt es auf diese um­ strittene Zahl nicht an, da real weit weniger Arbeitnehmer ausgesperrt worden sind. Die Gesamtzahlenangaben über die Relation von Streik und Aussperrung ergeben kein ganz klares Bild, sondern nur eine ungefähre Richtschnur. Die Angaben des Statistischen Bundesamtes für das 1. Quartal 1978 geben in der Sparte Druck und Vervielfältigung 17 689 Streikende und 48 853 Ausgesperrte an; doch werden seit einigen Jahren Personen in beiden Meldungen erfaßt, die gestreikt haben und ausgesperrt worden sind25. Daneben gibt es eine Anzahl von Fehlerquellen, die der amtlichen Statistik keine „amtliche Verbindlichkeit" zuweist26 • Inzwischen haben sich auch die anfänglich weit auseinanderklaffenden27 Zahlenangaben über Streiks und Aussperrungen in etwa eingependelt, auch wenn sie selbst unter gewerkschaftlichen Autoren immer · noch divergieren. Es liegt danach nahe, von 2300 - 4300 unbefristet28 und 4000 - 6600 be­ fristet29 Streikenden sowie von 32 000 - 37 000 30, höchstens 40 00031 Aus­ gesperrten auszugehen. Nicht berücksichtigt und auch von den amt­ lichen Statistiken nicht zu erfassen sind dabei die Vorgänge der sogenannten Warnstreikphase. Von Interesse sind schließlich auch die von Hensche dargelegten finanziellen Folgen für die IG Druck und Pa­ pier32 : Bei Beitragseinnahmen von 27,3 Mio. DM im Jahr 1977 und einem Jahresüberschuß von 1,85 Mio. DM habe der Arbeitskampf 15 Mio. DM gekostet, wovon 81 0/o, nämlich mehr als 12 Mio. DM, zu Lasten der Aus­ sperrung gingen. Die Diskrepanz mildert sich nur etwas durch den an­ geführten Betrag von 4,5 Mio. DM, der hauptsächlich durch die Bei­ tragsbefreiung gegenüber dem DGB erreicht worden sei. Andererseits deuten die angeführten Zahlen aus dem Druckerarbeitskampf des 23 Hensche, in: Streikfreiheit und Aussperrungsverbot, S. 55 f. 24 Hensche, in: Streikfreiheit und Aussperrungsverbot, S. 58. 25 Kalbitz, AuR 1977, 336; übersehen offenbar von Arendt, Rechtsgrundlagen, S. 16. 26 Kalbitz, AuR 1977, 334 ff.; vgl. auch dens., Aussperrungen, S. 20 ff. 27 Vgl. die Zusammenstellung bei Raiser, ZRP 1978, 202. 28 Föhr, DB 1979, 1698; Hanau, Wirtschaftspolitische Chronik 1978, 185; Hensche, in: Streikfreiheit und Aussperrungsverbot, S. 56; Wolter, AuR 1979, 194. 2 • Föhr, DB 1979, 1698; Hanau, Wirtschaftspolitische Chronik 1978, 185; Hensche, in: Streikfreiheit und Aussperrungsverbot, S. 56; Wolter, AuR 1979, 194. 3° Föhr, DB 1979, 1698; Hanau, Wirtschaftspolitische Chronik 1978, 185. 31 Hensche, in: Streikfreiheit und Aussperrungsverbot, S. 58. 32 Hensche, in: Streikfreiheit und Aussperrungsverbot, S. 42, 65.

§ 1 Aussperrung und tatsächliche Entwicklung des Arbeitskampfes

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Jahres 1976 mit Kosten von 3 3 Mio. DM und einer Senkung der Streik­ unterstützung von 100 0/o auf 75 0/o des Tarifeinkommens eine enorme Belastung an33• Immerhin aber bezeichnete der Kassierer der IG Druck und Papier diese im März 1978 als schuldenfrei, bezifferte, was freilich über das Kampfpotential nichts Abschließendes aussagt, das Vermögen auf 40 Mio. DM und verwies auf Absprachen mit anderen Gewerk­ schaften, mit deren Solidarität seine Gewerkschaft rechne34 . II. Arbeitskämpfe in der baden-württembergischen Metallindustrie Wesentlich bündiger lassen sich die Vorgänge im Arbeitskampf der Metallindustrie schildern. Auch in ihm ging es nicht zuletzt um eine Tarifierung der sozialen Folgen des technischen Fortschritts. Die Arbeit­ nehmer sollten vor einem Risiko der Zuweisung einer minder qualifi­ zierten Arbeit und damit einer niedrigeren Eingruppierung geschützt werden. Gleichwohl ist der Ablauf des Arbeitskampfs nicht so lang­ fristig und weniger kompliziert. Die Schilderung durch eine vom „Ver­ band der Metallindustrie B aden-Württemberg" herausgegebene Bro­ schüre „Der Arbeitskampf 1978" findet in der Abfolge der Kampf­ aktionen, aber auch bei den Zahlen der Kämpfenden eine weitgehende Übereinstimmung mit gewerkschaftlichen Darlegungen. Die Haupt­ phase - auch hier gab es während der Verhandlung als Warnstreiks deklarierte Aktionen - begann mit einem Schwerpunktstreik von etwa 80 000 Beschäftigten85 am 15. März. Die Aussperrung erfolgte, ob­ wohl neben den Arbeitern auch etwa 14 000 Angestellte streikten, inso­ fern selektiv, als sie nur gegen Arbeiter gerichtet war36 • Die Zahl der am 20. März arbeitswilligen Ausgesperrten belief sich auf etwa 120 000 37 • Zahlenangaben, die hier von 200 000 ausgehen38 , beruhen offenbar wie­ derum darauf, daß wie in der amtlichen Aussperrungsstatistik diej eni­ gen, die als aktiv Streikende ausgesperrt werden, bei der Aussperrung mitgezählt wu11den. Das Zahlenverhältnis von 80 000 zu 120 000 blieb, auch wenn die IG Metall den Streik noch etwas erweiterte, im wesent­ lichen erhalten. Die Gesamtkampfdauer belief sich auf etwas mehr als drei Wochen, wobei freilich der Streik von fast allen in den Kampf verHensche, in: Streikfreiheit und Aussperrungsverbot, S. 42. Dpa-Meldung vom 1. 3. 1978. 35 Moneta, in: Streikfreiheit und Aussperrungsverbot, S. 1 1 2 ; vgl. auch Föhr, DB 1979, 1698 ; Hanau, Wirtschaftspolitische Chronik 1978, 185; Ohm, S. 87; Walter, AuR 1979, 194; in etwa auch Ehmann, DB 1978, 2023. 3 6 Moneta, in: Streikfreiheit und Aussperrungsverbot, S. 1 13. 37 Föhr, DB 1979, 1698 ; Hanau, Wirtschaftspolitische Chronik 1978, 184; Ehmann, DB 1978, 2023 ; Moneta, in: Streikfreiheit und Aussperrungsverbot, geht von einer Zahl von 146 000 aus (S. 1 13). 3 8 Vgl. etwa Arendt, Rechtsgrundlagen, S. 16; Ohm, S. 87: 200 000 (Gesamt­ zahl). 33

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2 Scholz/Konzen

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1 . Teil : Grundlagen und Problemstand

wickelten Arbeitnehmern auch nach der Beendigung der Aussperrung noch einige Tage weitergeführt wurde. Die finanziellen Auswirkungen sind nach Angaben von Kittner auch hier beträchtlich, da allein ein dreiwöchiger Streik von 80 000 Arbeitnehmern 48 Mio. DM und damit einen Beitragsjahresüberschuß der IG Metall koste39• Allerdings läßt sich demgegenüber auf die Gesamteinnahmen, den Vermögenszuwachs und Zinseinnahmen in Millionenhöhe verweisen40 • Auf der Seite der Arbeitgeber fängt deren Unterstützungsfonds nach eigenen Angaben die fixen Kosten der Unternehmen auf, läßt aber die Risiken des Ein­ kommensverlustes durch Produktionsausfall und den Verlust von Absatzmärkten ungedeckt41 • III. Arbeitskampf in der Stahlindustrie

Vom Arbeitskampf in der Stahlindustrie am Ende des Jahres 1978, der hauptsächlich auf Nordrhein-Westfalen konzentriert war, inter­ essieren nurmehr einige Randfragen, die Detailprobleme des Arbeits­ kampfrechts aufwerfen. Auch diese Tarifauseinandersetzung enthielt wegen der durch die Kommission der EG nach der Stahlkrise fest­ gelegten nationalen Produktionsquoten und der insoweit stagnierenden Produktionsmenge ihren besonderen Akzent durch den drohenden Arbeitsplatzverlust infolge steigender Arbeitsproduktivität42 • Das Po­ stulat einer Kürzung der Arbeitszeit in Richtung auf die 35-Stunden­ Woche zur Sicherung von Arbeitsplätzen erklärt wegen seiner Signal­ wirkung die Härte der Auseinandersetzung. Die Relation von Streik und Aussperrung belief sich hier auf 40 - 50 000 Streikende zu 30 000 Ausgesperrten48, so daß dieser Arbeitskampf im Grundsatz keine neuen Komponenten bringt. Wichtig sind allerdings die Protestdemonstratio­ nen, in die auch Mitglieder der metallverarbeitenden Industrie plan­ mäßig während ihrer Arbeitszeit einbezogen waren, wobei - so der Bericht aus gewerkschaftlicher Feder - die „IG Metall bewußt aus der Zwangsjacke der Friedenspflicht ausgebrochen" war4'. Dieser Annex, inzwischen vom ArbG Hagen erstinstanzlich entschieden45, bringt den Sympathiearbeitskampf und ähnliche Solidaritätsformen in die Ent­ scheidungsrunde ein und ist insofern von Interesse, als diese Kampf89 Kittner, Verbot, S. 27. 4 0 Ohm, S. 98 f. 4 1 Broschüre des Verbandes Metallindustrie B aden-Württemberg, ,,Der Ar­ beitskampf 1978" . 42 Moneta, in: Streikfreiheit und Aussperrungsverbot, S. 124. 43 Moneta, in: Streikfreiheit und Aussperrungsverbot, S. 125 f.; Jahres­ bericht des Arbeitgeberverbandes Eisen und Stahl 76/77 und 77/78, S. 34 ff. 44 Moneta, in: Streikfreiheit und Aussperrungsverbot, S. 1 34. 45 ArbG Hagen, Urt. v. 3. 9. 1979 - 3 Ca 137/79.

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form als wirksame Gegenwehr gegen die Aussperrung gewürdigt wird'6, dies teilweise auch mit Blick auf den Fall, daß ein Durchdringen des gewerkschaftlichen Standpunktes zur Aussperrung vor Gericht gegenwärtig nicht realisierbar erscheint47 • Die Probleme der Aussper­ rung werden also durch das Fallmaterial um die Fragen nach Zulässig­ keit und Grenzen von Sympathiestreiks und Sympathieaussperrungen angereichert, so daß ein weitgehendes überdenken des Kampfsystems angezeigt ist. Hierher gehört auch, ohne daß eine direkte Verbindung zu den beschriebenen Arbeitskämpfen bestünde, der vom LAG Hamm48 beurteilte Fall einer sogenannten Warnaussperrung, in dem „wilde" Aussperrungen, also solche ohne Verbandsbeschluß, im Widerstreit zur bisher weithin verfochtenen Auffassun g49 als zweifelhaft bezeichnet werden. B. Tatsächliche Zusammenhänge und Korrespondenzen von Streik und Aussperrung I. Streik und Funktionen der Aussperrung Der Akzent des Arbeitskampfs liegt sowohl faktisch-historisch als auch rechtlich auf dem Streik. Die Aussperrung ist nur dessen, freilich umstrittenes, Pendant. Die Funktion des Streiks ist, soweit es um einen Tarifstreit geht, jedenfalls im Hauptpunkt klar. Läßt man Nebenfragen wie den Zweck eines gewerkschaftlichen Warnstreiks50 außer Acht, so wird mit dem Tarifstreik das typische Machtgefälle der Parteien des Arbeitsvertrags zugunsten der Arbeitnehmer ausgeglichen und die vom Privatrecht vorausgesetzte Prämisse einer echten Vertragsfreiheit wie­ derhergestellt; dies allerdings durch den Tarifvertrag (§ 4 I TVG), der mit Hilfe des Streiks durchgesetzt werden �ann. Anders ausgedrückt: Der Stretk ermöglicht die funktionelle Fortsetzung des das Arbeits­ verhältnis bestimmenden Interessengegensatzes im verbandsförmigen Raum. Die Grundelemente des Arbeitsverhältnisses, nämlich die ver­ tragliche Einigung und der wettbewerbliche Gegensatz, werden auf die Verbandsebene projiziert51 • Der Abschluß von Tarifverträgen gestaltet die Verbandseinigung. Der Tarifkampf setzt diese Einigung durch. Weniger einfach lassen sich die Aussperrungsfunktionen, um deren Schutz durch die Rechtsordnung es in den laufenden Prozessen geht, 46 Kittner, Verbot, S. 50; Mückenberger, in: Streikfreiheit und Aussperrungsverbot, S. 329. 47 Mückenberger, in: Streikfreiheit und Aussperrungsverbot, S. 326. 48 LAG Hamm, Urt. v. 21. 1 1 . 1978 - 11 Sa 941/78. 49 Vgl. nur Konzen, AcP 177, 534. 50 Vgl. § 2 A III. 51 R. Scholz, Koalitionsfreiheit, S. 13.

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1. Teil : Grundlagen und Problemstand

beschreiben. Es handelt sich nicht einfach um eine spiegelbildliche Betrachtung des Streikzwecks. Ob der Forderungsrolle der Gewerk­ schaften62 ein tarifpolitisch vollkommen paralleles lnitiativrecht53 der Arbeitgeberseite entspricht, steht nicht fest und beispielsweise für eine Gebietsaussperrung auf Schwerpunktstreiks auch nicht im Vorder­ grund. Die Funktion der Aussperrung divergiert vielmehr im Hinblick auf die von beiden Seiten gewählten Kampfformen und -taktiken. Die Aufschlüsselung erfolgt im Schrifttum nicht eben häufig, woraus dann Unklarheiten bei der Abgrenzung der einzelnen Realformen der Aus­ sperrung resultieren64 • Für Aussperrungsgegner ist, ersichtlich unter Ausblendung j eder „Forderungsrolle" der Arbeitgeberseite, die Funk­ tion schnell bezeichnet: die Verhinderung von Tarifverträgen, weiter­ hin in schwach organisierten Betrieben der Angriff auf die organisa­ torische Existenz der Gewerkschaft, in hochorganisierten auf deren Aktionsmöglichkeiten55 • Darin liegt zumindest keine abschließende Auf­ zählung. Umgekehrt blickt die Praxis der Arbeitgeberseite ganz auf die Abwehr des Schwerpunktstreiks. Beim Flächenstreik werde nicht aus­ gesperrt56 . Auch darin liegen mehrere Verkürzungen: einmal diejenige auf den Verbandskampf, zum anderen die Ausklammerung von Streik­ formen wie Bummelstreik, Nadelstichtaktik etc., zum dritten das über­ gehen von sonstigen kampf- oder tarifgebietserweiternden Aktionen. Bei näherem Zusehen zeigt sich, daß es neben der Abwehr von Schwer­ punktstreiks und einer „Forderungsrolle" der Arbeitgeber noch eine ganze Reihe von Spielarten gibt, die auf divergente Aussperrungs­ funktionen hindeuten. Auch hier kann es freilich nur auf die Funktio­ nen der einzelnen Aussperrungsformen ankommen, nicht auf den Zweck einzelner Kampftaktiken, wie etwa die Unterscheidung zwischen Arbeitern und Angestellten57 bei einer Selektivaussperrung oder die Beseitigung des Anreizes zum Gewerkschaftsbeitritt bei der alleinigen Aussperrung von Gewerkschaftsmitgliedern58 . Vor einer Funktions­ analyse ist freilich der Verbandskampf von dem Kampf mit dem ein­ zelnen Arbeitgeber abzuheben: 1 . Die faktischen Erscheinungsformen von Tarifstreik und -aussper­ rung werden in einem wesentlichen Punkt von einer gesetzlichen 52 Sie wird im Zusammenhang mit dem Postulat nach einem Aussperrungs­ verbot immer wieder betont; vgl. nur Föhr, DB 1979, 1689 f.; ähnlich auch Wohlgemuth, DB 1979, 1 13. 5 3 Vgl. Zöllner, Aussperrung, S. 20 ff.; vgl. näher unten § 9 B . 5 4 Vgl. unten § 2 B I I , III. 55 Vgl. etwa Kalbitz, KJ 1978, 356, 357. 56 Thiele, in: BDA (Hrsg.), Rechtsfragen der Aussperrung, 1979, S. 72. 57 Vgl. oben § 1 A II (Metallarbeitskampf). 58 Vgl. oben § 1 A I (Druckindustrie).

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Unterscheidung geprägt, die ein spiegelbildliches Verständnis aus­ schließt. Auf der Arbeitnehmerseite ist allein die Gewerkschaft tarif­ fähig, § 2 I TVG. Sie allein schließt Tarifverträge; dies im Grundsatz nur für ihre Mitglieder. Auf diese Weise wird die Freiwilligkeit der Koalitionsmitgliedschaft gewahrt. Die Außenseiter können fernbleiben. Der Tarifvertrag kommt ihnen rechtlich im Grundsatz nicht unmittel­ bar zugute. Umgekehrt läßt sich diese Folge nicht in letzter Konsequenz auf der Arbeitgeberseite durchführen. Andernfalls könnte sich ein Arbeitgeber zu Lasten der bei ihm Beschäftigten durch Fernbleiben von der Koalition einem Tarifvertrag entziehen. Um auch dem Arbeit­ geber die Freiwilligkeit des Koalitionsbeitrittes zu belassen, blieb nur der Ausweg des § 2 I TVG, nämlich auf der Arbeitgeberseite die Tarif­ fähigkeit des einzelnen Arbeitgebers und des Arbeitgeberverbandes. Folglich kennt die Praxis nicht nur den Firmen- und den Verbands­ tarifvertrag, sondern beim Tarifstreit auch mehrere Kampfformen: den Streik gegen den Verband und gegen einen einzelnen Arbeitgeber, umgekehrt die Verbandsaussperrung und die Individualaussperrung des einzelnen Arbeitgebers. Eine gewisse Komplikation tritt hinzu: Die Gewerkschaft verlangt bisweilen Firmentarifverträge auch von ver­ bandsangehörigen Unternehmern (betriebsnahe Tarifpolitik) und be­ streikt dann nur diese. Folglich kommt es bei einer solidarischen Unter­ stützung durch den Verband zu einer Verbandsaussperrung gegen einen Unternehmensstreik. Umgekehrt kennt die Praxis, offenbar im Hinblick auf die Individualaussperrung eines nichtverbandsangehörigen Arbeit­ gebers, auch eine solche eines verbandsangehörigen Arbeitgebers. Sie ist, wie angedeutet59 , kürzlich als „wilde" Aussperrung in die Schuß­ linie geraten. Beide „Mischformen" gehören möglicherweise zusam­ men00 . Zumindest die Verbandsaussperrung beim firmenbezogenen Streik ist in die Funktionsanalyse der Aussperrung einzubeziehen. 2. Diese Funktionsanalyse kann sich auf die Verbandsaussperrung beschränken, deren Zwecke stets auch diejenigen der Individualaussper­ rung erfassen, mitunter aber auch über diese hinausreichen. Die Funk­ tionsbetrachtung läßt eine Reihe von typischen Erscheinungsformen erkennen: a) Eine erste Gruppe ist durch die Kampfausweitung innerhalb eines Tarifgebietes gekennzeichnet. Der typische, aber nicht alleinige Fall ist der Schwerpunktstreik innerhalb des durch den betrieblichen und räumlichen Geltungsbereich des erstrebten Tarifvertrages umrissenen Tarifgebietes und die in diesem Tarifgebiet nachfolgende Aussperrung. Am Beispiel erläutert: der Streik in einer Reihe von Betrieben des Tarifgebiets der metallverarbeitenden Industrie Nordwürttemberg/

59 § 1 A III. 60 Hanau, Wirtschaftspolitische Chronik 1978, 193.

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1.Teil : Grundlagen und Problemstand

Nordbadens und die darauf folgende Aussperrung in anderen, vielen oder allen Betrieben dieses Tarifgebiets; dies unter der Voraussetzung, daß um einen Tarifvertrag für die metallverarbeitende Industrie Nord­ württembergs/Nordbadens gestritten wird. Die Umschreibung dieser Fallgruppe geht von Prämissen aus und muß zudem die Ausgrenzung ähnlicher Fälle aufdecken: Die Prämissen für die „Kampfausweitung innerhalb eines Tarifgebiets" sind, daß erstens das Tarifgebiet zwischen den kämpfenden Tarifparteien selbst unstreitig ist81 , zweitens die Gewerkschaft den Kampf darin durch Streikaktionen eröffnet hat. Zweckmäßigerweise auszugrenzen ist dagegen - und zwar mit Folgen für die Abgrenzung zwischen Haupt- und Sympathiekampf62 - die Einbeziehung von Arbeitnehmern in einen Streik oder eine Aussper­ rung, die nicht unter den fachlichen oder persönlichen Geltungsbereich eines Tarifvertrages fallen; etwa der Streik oder die Aussperrung von Männern bei einer Tarifregelung für Frauen, von Arbeitern bei einem erstrebten Angestelltentarif oder auch der (alleinige) Streik der Arbeit­ nehmer bei einem Tarifvertrag für Auszubildende83• Ein Tarifgebiet wird zwar nicht nur durch den räumlichen und betrieblichen Geltungs­ bereich umrissen, sondern auch durch den persönlichen und fachlichen. Dennoch betrachtet man weithin", j edenfalls im Ergebnis, die Beleg­ schaft, auch wenn sie nicht vom fachlichen (persönlichen) Geltungs­ bereich eines erstrebten Tarifvertrags erfaßt wird, kampfrechtlich als eine Einheit81 ; nicht nur, weil sonst Arbeitnehmergruppen, die für eine Durchsetzung ihrer Interessen nicht stark genug sind, weitgehend schutzlos würden", sondern wegen des andernfalls unauflöslichen Widerspruchs zur Beteiligung von Andersorganisierten87 und Außen81 Vgl. zum Tarifstreit über das Tarifgebiet anschließend 2 c). 12 Vgl. auch § 2 A II und B III. 83 Beispiele bei Birk, S. 51; Seiter, Arbeitskampfparität, S. 49. 84 A. A. auch im Resultat neuerdings Dütz, DB-Beilage Nr. 14/79, S. 9; an anderer Stelle mißt man die Abgrenzung zwischen Haupt- und Unterstüt­ zungskampf auch insoweit am eigenen Tarifziel, als es um den fachlichen bzw. persönlichen Geltungsbereich eines umkämpften Tarifvertrags geht; doch wird dann ein Unterstützungskampf, an dem vom Tarifvertrag nicht betroffene Mitglieder der Belegschaft mitwirken, jedenfalls für zulässig ge­ halten, vgl. Birk, S. 52 ff. 85 Birk, S.52 ff.; Seiter, Arbeitskampfparität, S.49; vgl. zur Aussperrung auch Zöllner, Aussperrung, S. 57 f. 86 Seiter, Arbeitskampfparität, S. 49. 87 Vgl. aber bei Tarifgebundenheit der Andersorganisierten Konzen, ZfA 1975, 432; die dort aufgeworfene Frage nach einer Einwirkungspflicht der Ge­ werkschaft von Andersorganisierten fände eine Parallele, wenn an einem Streik um einen Tarifvertrag für Angestellte tarifgebundene Arbeiter der­ selben Gewerkschaft beteiligt sind. Solange man die Kampfbeteiligung von Außenseitern für zulässig hält, muß man wohl auch insoweit an der Einheit­ lichkeit der Belegschaft festhalten. Die dem Tarifvertrag immanente Frie­ denspflicht und mit ihr die Einwirkungspflicht werden „kampfrechtlich" inter­ pretiert. Der Streik von tarifgebundenen Arbeitnehmern derselben Gewerk-

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seitern88 am Arbeitskampf89 • Daher empfiehlt sich, die Kampfauswei­ tung innerhalb eines Tarifgebiets durch Aussperrung von vornherein nur als eine Erweiterung innerhalb des betrieblichen und räumlichen Geltungsbereichs des umkämpften Tarifvertrages zu verstehen. Die gängige Kurzformel für das Ziel einer solchen Aussperrung lautet: „Kampfverkürzung durch Kampfausweitung" 70 • Die Schwächung der gewerkschaftlichen Kampfkasse, die wegen der Unterstützungszahlung an ausgesperrte Gewerkschaftsmitglieder eintritt, soll den Kampf ab­ kürzen und den Zwang zum Tarifkompromiß herbeiführen. Weiterhin kann einem drohenden Verlust von Marktanteilen von Unternehmen begegnet werden, die mit einem Schwerpunktstreik überzogen werden; dies einmal dadurch, daß die durch Punktstreiks drohende, kampf­ bedingte Marktverschiebung zwischen den Mitgliedern des Verbandes im Tarifgebiet erschwert, zum anderen dadurch, daß durch einen kür­ zeren Arbeitskampf die Gefahr eines Verlustes von Marktanteilen überhaupt verringert werden kann71 • Schließlich kann die Kampf­ verkürzung durch Kampfausweitung auch der Abwehr der in einem Produktionsverbund (Automobilindustrie und branchengleiche oder -fremde Zulieferer) drohenden Verluste dienen. Die beim Streik in Zulieferer- den Abnehmerbetrieben (oder · umgekehrt) drohenden Betriebsstillegungen können bei einem - durch die Aussperrung verkürzten Arbeitskampf vielleicht verhindert werden. Dies ist die einzige Schutzmaßnahme für Betriebe, die außerhalb des umkämpften Tarifgebiets liegen oder einer anderen Branche angehören und mög­ licherweise durch den Produktionsverbund schadensbedroht sind, ob­ wohl sie ihrerseits in noch laufende Tarifverträge einbezogen sind. Die praktische Voraussetzung für diese Fallgruppe ist, wie dargelegt, in erster Linie der Schwerpunktstreik; daneben ist aber auch an eine Nadelstichtaktik72 zu denken. b) Erwägenswert ist auch eine tarifgebietsüberschreitende Aussper­ rung, also eine Kampfausweitung über den betrieblichen und/oder räumlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags hinaus, während der Streik innerhalb des Tarifgebiets stattfindet. Hierher gehört eine Reihe schaft ist insoweit rechtmäßig; ebenso deren Einbeziehung in eine sonst rechtmäßige Aussperrung oder in die Betriebsrisikolehre. Man erkennt daran, daß die Kampfbeteiligung dieser Arbeitnehmer im Grunde ebenso wie die von Außenseitern eine Unterstützungsfunktion hat. Der Systemzusammen­ hang des Arbeitskampfrechts, aus dem sich der Grundsatz der Einheitlichkeit der Belegschaft ableiten läßt, macht demnach die Zurechnung zum Haupt­ kampf rechtmäßig. es Vgl. näher unten § 13. 19 Birk, S. 25. 70 Seiter, JA 1979, 344. 71 Seiter, JA 1979, 344. 72 Seiter, JA 1979, 343.

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von Fällen, die sich danach unterscheiden lassen, ob mit dieser gebiets­ überschreitenden Aussperrung ein eigenes Tarifziel verfolgt wird oder nicht. Tarifgebietsüberschreitende Aussperrungen ohne eigenes Tarifziel haben nur eine Unterstützungsfunktion. Eine Einflußnahme auf die Hauptpartei des Arbeitskampfs, die vielfach als Motiv eines solchen Kampfes dargelegt wird73 , ist jedenfalls möglich, wenn der Gegner innerhalb und außerhalb des Tarifgebiets derselbe ist. Ein (hypothe­ tisches) Beispiel könnte ein gewerkschaftlicher Gebietsstreik in der Stahlindustrie Nordrhein-Westfalens sein. Als Reaktion käme eine Aus­ sperrung in der metallverarbeitenden Industrie Nordrhein-Westfalens in Betracht. Etwas anders gelagert sind umgekehrt die gewerkschaft­ lichen, auf die Arbeitnehmer der metallverarbeitenden Industrie er­ streckten Streikaktionen nach der Aussperrung in der Stahlbranche74 . Wieder anders ist die Funktion einer Aussperrung zu beschreiben, mit der ein den Arbeitskampf in einem anderen Tarifgebiet unterstützen­ der Streik bekämpft wird. Die gegen diesen Streik gerichtete Aus­ sperrung verfolgt zwar gleichfalls kein eigenes Tarifziel. Dennoch ähnelt sie in ihren Funktionen einer kampfausweitenden Aussperrung innerhalb des Tarifgebiets. Die Kampfausweitung dient der Verkür­ zung des Unterstützungskampfes. Die Verkürzung wiederum hat Aus­ wirkungen auf die von diesem Kampf bedrohten Marktanteile und die Schadensabwehr bei Betrieben, die im Produktionsverbund stehen. Andererseits kann mit der Gebietsüberschreitung auch ein eigenes Tarifziel verfolgt werden; etwa wenn der Tarifvertrag, um den in einem Tarifgebiet gekämpft wird, für ein Nachbargebiet Modell­ charakter haben soll, d. h. wenn die Gewerkschaft im Nachbargebiet, in dem die gebietsüberschreitende Aussperrung stattfindet, ausdrück­ lich eine inhaltsgleiche Übernahme anstrebt75 • In diesem Fall dient die Aussperrung in dem zuvor noch nicht umkämpften Nachbargebiet der Verhinderung einer Übernahme des „Modelltarifvertrages" für dieses Gebiet. Es liegt insoweit ein eigenes Tarifziel vor76 • Deshalb wird auch damit nicht primär das Kampfgebiet erweitert, sondern in dem anderen Tarifgebiet ein eigener Arbeitskampf geführt77 • Nicht anders ist es, wenn die Arbeitgeberseite eine inhaltsgleiche Tarifregelung im um­ kämpften Tarifgebiet und im Nachbargebiet fordert und letzteres mit Vgl. nur Dütz, DB-Beilage Nr. 14/79, S. 6. Vgl. oben § 1 A III. 75 Darstellung bei Dütz, DB-Beilage Nr. 14/79, S. 6; vgl. auch Richardi, NJW 1978, 2065. Anders ist es mit dem als möglich erwarteten Modellcharakter, vgl. Seiter, Streikrecht, S. 504, und Dütz, DB-Beilage Nr. 14/79, S. 6. Solange eine Tarifforderung nicht gestellt ist, hat eine gebietsüberschreitende Aussperrung allenfalls Unterstützungsfunktion. 76 Dütz, DB-Beilage Nr. 14/79, S. 6. 77 Dütz, DB-Beilage Nr. 14/79, S. 6. 73

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einer Aussperrung durchsetzen will78 • Beispielsweise kann der Arbeit­ geberverband in einem Tarifgebiet der gewerkschaftlichen Forderung einer Fünfunddreißigstundenwoche einen unter vierzig Wochenstun­ den liegenden Kompromiß entgegensetzen, aber diesen Kompromiß zu­ gleich im Nachbargebiet festschreiben wollen. Dann bleibt es bei zwei Tarifbezirken. Erstrebt sind zwei Tarifverträge. Nur geht der „Modell­ charakter" des Tarifvertrages im bereits umkämpften Bezirk von der Arbeitgeberseite aus. In beiden Fällen ist mit einer Aussperrung be­ zweckt, der einseitigen Bestimmung des Kampfgebietes, einer „Eng­ führung" der Auseinandersetzung79 , entgegenzuwirken. c) Von dem zuletzt genannten Fall nur um eine Nuance unterschieden ist eine dritte Gruppe. Sie ist vom Streit der Tarifparteien um das Tarifgebiet - um den räumlichen oder betrieblichen Geltungsbereich des umkämpften Tarifvertrages - gekennzeichnet. In diesen Fällen gehören die Tarifgebietsgrenzen also zu den Tarif- und Kampfzielen80 • So etwa, wenn die Gewerkschaft den Abschluß eines Tarifvertrages in einem räumlich begrenzten Tarifbezirk verlangt, der Arbeitgeber­ verband aber innerhalb seiner Tarifzuständigkeit mehrere Tarifgebiete zu einem größeren Tarifgebiet zusammenfassen oder nur bundesweit abschließen will. Dann kann eine Kampfausweitung durch Aussperrung dadurch eintreten, daß ein Streik in dem von der Gewerkschaft er­ strebten Tarifgebiet mit Aussperrungen in dem vom Arbeitgeber­ verband geforderten Tarifgebiet beantwortet wird. In einem solchen Fall wird mit der Aussperrung gleichfalls der einseitigen Bestimmung des Kampfgebiets entgegengewirkt, zugleich aber auch der einseitigen Fixierung des Tarifgebiets. Die Arbeitgeberseite will mit der Aussper­ rung nicht eine einheitliche Regelung in zwei Tarifgebieten durch­ setzen, sondern verbindet dieses Postulat mit dem nach einem einheit­ lichen Tarifgebiet. Diese Nuance genügt nicht selten zu einer veränder­ ten Beurteilung der Aussperrung81 , dies ungeachtet der Einsicht, daß der Übergang von einem zum anderen Fall allenfalls eine Änderung der Tarifzuständigkeit in der Verbandssatzung voraussetzt82 • In diesen Bereich gehört auch der Sonderfall, daß die Gewerkschaft einen fir­ menbezogenen Tarifvertrag mit einem verbandsangehörigen Betrieb verlangt, diesen Betrieb bestreikt und der Arbeitgeberverband dies mit einer Aussperrung in seinem Tarifbezirk beantwortet. Diese Kampf78 Vgl. dazu Seiter, JZ 1978, 421 ; abl. Raiser, Aussperrung, S. 92; Dütz, DBBeilage Nr. 14/79, S. 9. 79 Seiter, JZ 1978, 421. 80 Dütz, DB-Beilage Nr. 14/79, S. 9. 81 Vgl. etwa Raiser, Aussperrung, S. 92; Dütz, DB-Beilage Nr. 14/79, s. 9; krit. Seiter, JZ 1978, 421. 82 Dütz, DB-Beilage Nr. 14/79, S. 9 f.

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ausweitung verhindert wiederum die einseitige Festlegung eines ,,Tarifbezirks" und die Einengung des Kampfrahmens83. d) Wiederum unterscheidbar sind die Fälle, in denen die Arbeitgeber­ seite, ohne daß die Gewerkschaft in einem anderen Tarifgebiet der Branche einen Arbeitskampf eröffnet hat, ihrerseits versucht, durch Aussperrung ein tarifvertragliches Ziel durchzusetzen. Man muß nicht nur an die häufig zitierte84 außergewöhnliche Verschlechterung der Wirtschaftslage und das Ziel der Herabsetzung der tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen denken. Auch der sogenannte „aktiv tariflose Zu­ stand" 85 enthält einen denkbaren Anwendungsfall. In solchen Fällen hat eine Aussperrung die Funktion, ein tarifpolitisches Initiativrecht86 der Arbeitgeberseite durchzusetzen, ohne daß damit bereits rechtlich über ein solches Initiativrecht entschieden wäre. e) Es verbleiben Restfälle. Denkbar ist wie beim gewerkschaftlichen Warnstreik87 auch auf der Arbeitgeberseite eine Warnaussperrung88 mit einer Ankündigungsfunktion. Schließlich ist auch an die Abwehr rechtswidriger Streiks durch Aussperrungen zu denken. Auch diese ist umstritten89. Erkennt man sie an, so ist zu beachten, daß man einer solchen Aussperrung die Funktion zumißt, widerrechtliches Streikver­ halten anderer auch rechtmäßig handelnden Arbeitnehmern zuzu­ rechnen. Indessen ist für diese wie für alle anderen Fälle erst noch zu überprüfen, inwieweit die aufgezählten Funktionen und zugleich Typen der Aussperrung den Schutz der Rechtsordnung genießen. II. Verbandskampf, Aussperrung und Interessen der Kampfbetroff enen Der Verbandsarbeitskampf und damit auch die Aussperrung als sein (potentieller) Teil berühren eine Vielzahl von Interessen der unmittel­ bar oder mittelbar Kampfbetroffenen. Zu diesen gehören nicht nur die streikenden oder ausgesperrten Arbeitnehmer - diese hauptsächlich wieder unterschieden nach Gewerkschaftsmitgliedern und Außensei­ tern - sowie die Gewerkschaft auf der einen Seite und die Arbeitgeber mit dem Arbeitgeberverband auf der anderen Seite. Hierher gehören auch die vom Kampf mittelbar betroffenen, nämlich im Produktions­ verbund stehenden und von einer Betriebsstillegung bedrohten Be­ triebe mit deren Arbeitnehmern, weiterhin die sonst vom Kampf 83 Vgl. Zöllner, Aussperrung, S. 23 f. 84 Vgl. neuestens Dütz, DB-Beilage Nr. 14/79, S. 2. 85 Vgl. näher Zöllner, Aussperrung, S. 22. 86 Vgl. Zöllner, Aussperrung, S. 20 ff. 87 Vgl. § 2 A II. 88 Vgl. vorerst nur Dütz, DB-Beilage Nr. 14/79, S. 4 f., sowie unten § 2 B IV. 89 Vgl. näher § 10 B IV.

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- etwa beim Verkehrsstreik - Betroffenen und schließlich der Staat. Der Verbandsarbeitskampf vollzieht sich damit in einem Konglomerat von Interessen. Diese bilden den Hintergrund für die Bewertung der Frage, inwieweit die Aussperrung zugelassen oder verboten sein soll. Das Risiko des einzelnen Arbeitnehmers liegt, da selbst bei einer lösen­ den Aussperrung regelmäßig eine Wiedereinstellungspflicht besteht90 , primär in einer Lohneinbuße für die Zeit des Arbeitskampfes. Sie wird auch den Gewerkschaftsmitgliedern, worauf zurückzukommen ist91 , durch die gewerkschaftliche Kampfunterstützung nicht vollends aus­ geglichen. Diese Kampfunterstützung bildet den Hauptfaktor für das gewerkschaftliche Kostenrisiko. Sowohl der noch verbleibende Ein­ kommensverlust als auch die Höhe der insgesamt von der Gewerkschaft zu zahlenden Kampfunterstützung können eventuell durch die Aus­ sperrung von arbeitswilligen Arbeitnehmern verursacht sein. Die Aus­ sperrung wirkt sich für die Arbeitnehmerseite nachteilig aus. Umge­ kehrt drohen den Unternehmern durch den Arbeitskampf - also auch durch die kampfausweitende Aussperrung - und die dadurch ver­ ursachte Produktionseinstellung bei fortlaufenden Kosten Einkommens­ verluste und eventuell Nachteile in der Konkurrenz auf dem Dienst­ leistungs- und Warenmarkt. Von diesen Nachteilen fängt nach den arbeitgeberseitigen Berichten der Verbandsunterstützungsfonds nur die fortlaufenden Generalunkosten ab92 • Die Aussperrung ist also bei Kampfausweitung insofern nachteilig, als Einkommensverluste etc. bei mehr Betrieben eintreten als bei den bestreikten. Der Vorteil im Tarif­ gebiet liegt in der Kampfverkürzung mit den oben98 geschilderten Zwecken und überdies darin, mit dem finanziellen Potential der Unter­ nehmer und der Arbeitgeberverbände die Gegenseite zum Nachgeben zwingen zu können. Ganz ähnlich verhält es sich mit den nicht un­ mittelbar bekämpften, aber im Produktionsverbund stehenden Unter­ nehmen außerhalb des Tarifgebiets oder gar der Branche. Auch der ihnen durch mittelbare Kampffolgen drohende Schaden läßt sich durch eine insgesamt kampfverkürzende Aussperrung verringern. Deren Arbeitnehmer wiederum werden nach § 116 AFG in Verbindung mit der NeutralitätsA0 94 der Bundesanstalt für Arbeit weithin geschützt. Für sonstige kampfbetroffene Dritte und die Allgemeinheit bestätigen im übrigen die Untersuchungen über die öffentliche Meinung95 die oft als 119 91 92 98

BAG AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 8 R f. § 4 A II 2 b) aa). § 1 A II a. E. § 1 B I 2 a). 94 Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit über die Gewährung von Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit bei Arbeitskämpfen vom 22. 3. 1973, Amtliche Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeit 1973, S. 365. Die NeutralitätsAO beruht auf §§ 116 III 2, 191 III AFG. 95 Vgl. nur Wohlgemuth, AuR 1978, 325 ff.

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1 . Teil : Grundlagen und Problemstand

provozierend empfundene These, daß Arbeitskämpfe im allgemeinen - nämlich solange man nicht persönlich kampfinteressiert ist - uner­ wünscht seien96 . Der Große Senat des BAG hat den Verhältnismäßig­ keitsgrundsatz als Schranke des Arbeitskampfs durchaus mit Blick auf unbeteiligte, aber kampfbetroffene Dritte sowie die Allgemeinheit kon­ zipiert97 . Wichtig für die Bewertung des Stellenwertes der Aussperrung ist schließlich neben den Interessen der Kampfbeteiligten auch das staat­ liche Interesse am Arbeitskampf. Die Grenzziehung der Verhältnis­ mäßigkeit unterstreicht zugleich den begrenzten Gegenstand, nämlich die Freiheit des Arbeitskampfes zur Sicherung der Tarifautonomie; dies als Folge einer kodifizierten - wenn auch mit Korrekturmecha­ nismen versehenen - auf Wettbewerb beruhenden Wirtschaftsordnung, deren Steuerungskräfte für den Arbeitsmarkt allein nicht ausreichen, die aber auch dort auf eine umfassende staatliche Intervention ver­ zichtet und den „gerechten Preis" dem Resultat des sozialen Hand­ lungssystems „Tarifautonomie - Arbeitskampf" überläßt. Das staat­ liche Interesse an der Zulassung oder dem Verbot der Aussperrung ist also auf die Frage konzentriert, ob dieses soziale Handlungssystem seine Funktion mit oder ohne Aussperrung erfüllen kann. Ein Diktat einer Seite muß jedenfalls ausscheiden; eines der Arbeitgeberseite ließe die Ersetzung eines Wettbewerbsmechanismus auf dem Arbeitsmarkt durch die Tarifautonomie scheitern, ein gewerkschaftliches Diktat könnte auf die Wettbewerbsordnung übergreifen und stünde dem durch § 1 StabG fixierten Interesse des Staates an der makroökonomischen Steuerung der Wettbewerbswirtschaft entgegen. Die Tarifpolitik ist in dieses Steuerungssystem grundsätzlich nicht eingebunden. Es gibt prinzipiell keine für die Tarifparteien verbindlichen Daten. Im übrigen ist erst der verfassungsrechtliche Schutz der Tarifautonomie in der gesetzlichen Wettbewerbsordnung zu fixieren. Dennoch ist der gesamtwirtschaftliche Aspekt gerade im Hinblick auf die bisweilen nachweisbare Überschrei­ tung des marktwirtschaftlichen Rahmens, der im politischen Kampf ge­ gen die Aussperrung, aber ,auch bei manchen juristischen Argumenten deutlich wird, von erheblichem Interesse. C. Rechtliche und politische Kontroversen um Aussperrung und Arbeitskampfrecht Die juristische Kontroverse um die Aussperrung, die neben einer prinzipiellen politischen Auseinandersetzung der Verbände bald nach 96 BAG AP Nr. 32 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 9 R; vgl. schon BAG AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 97 BAG AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, BI. 6 R.

§ 1 Aussperrung und tatsächliche Entwicklung des Arbeitskampfes

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der Entscheidung des BAG im Spielbankfall98 eingesetzt hat, kreist im Resultat um die Frage, ob die Gegenwehr der Arbeitgeber einzuengen ist und damit die Interessen der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften gegenüber dem vom BAG fixierten status quo zu bevorzugen sind. Rechtlich lassen, um das Argumentationsspektrum wenigstens im Um­ fang bereits anzudeuten99 , die noch nicht in jedem Detail präzisierten Grundsätze der Kampfparität und der Verhältnismäßigkeit, auf denen namentlich der Beschluß des Großen Senats vom 2 1 . 4. 1971 maßgeblich beruht' 00 , einen beträchtlichen Spielraum für Erwägungen, die das BAG bislang jedenfalls nicht ausdrücklich gewürdigt hat. Wer sich gegen bundesweite oder räumlich ausgedehnte Flächenaussperrungen wendet, wird leicht an das Verbot des unverhältnismäßigen Arbeitskampfs denken, das insoweit freilich nicht judikativ konkretisiert ist. Ansätze für prinzipielle Angriffe kann der Grundsatz der Kampfparität mit seinen jedenfalls in der Judikatur bislang nicht explizit hervorgehobe­ nen gedanklichen Vorgaben und seiner noch recht vagen Fassung bieten. Die Projizierung der Parität auf den Tarifabschluß läßt, ohne daß die Judikatur dies begründet, die politischen und ökonomischen Daten, in denen sich das Handlungssystem Tarifautonomie - Arbeits­ kampf vollzieht, außer acht, setzt diese Daten also als verbindliche Größen voraus. Weiterhin werden in der Judikatur auch die Faktoren nicht diskutiert, aufgrund deren eine Gleichheit (Parität) der Tarif­ parteien bei einer Anerkennung von Streik und Aussperrung gefolgert wird. Dazu gehört auch die bisher nicht ausdrückliche Einbeziehung aller faktischen Mittel, die den Tarifparteien bei Arbeitskämpfen zur Verfügung stehen, und auch der rechtlichen Möglichkeiten, die die Arbeitgeber neben oder anstelle der Aussperrung haben. Die neuere Diskussion erfaßt alle diese Ebenen. Sie wird freilich, was die Wertung der nicht selten einseitig vorgetragenen Argumente erschwert, von einem politischen Kampf um die Aussperrung umrankt. Es rentiert sich, diesen Hintergrund, auch wenn sich aus ihm nur an wenigen Stellen rechtlich relevante Aspekte gewinnen lassen, vor der juristischen Analyse der Argumente zu beleuchten. Die massive juristische Kontroverse um die Zulässigkeit der Aus­ sperrung ist, wie auch gewerkschaftliche Autoren hervorheben101 , erst in den siebziger Jahren entstanden, und zwar Hand in H and mit dem einsetzenden, nicht weni