Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle im Arbeitsrecht [1 ed.] 9783428426683, 9783428026685

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Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle im Arbeitsrecht [1 ed.]
 9783428426683, 9783428026685

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FRANZ · JÜRGEN SÄCKER

Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle im Arbeitsrecht

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band8

Gruppenautonomie und Übermachtkontrolle im Arbeitsrecht

Von

Professor Dr. Dr. Franz·Jürgen Säcker

DUNCKER & HUMBLOT I BERLIN

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bochum gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Alle Rechte vorbehalten

C 1972 Duncker & Humblot, Berlln f1

Gedruckt 1972 bei Berliner Buchdruckerei Union, Berlln 61 Printed in Germany ISBN 3 f28 02668 3

Meinen akademischen Lehrern

Hans C. Nipperdey t und Kurt H. Riedenkopf in Dankbarkeit gewidmet

"Es ist ein Hauptproblem unserer Zeit, eine materiell verstandene Privatautonomie neu und wirksam zu sichern. In den engen Grenzen, die der Sozialstaat des zwanzigsten Jahrhunderts ihr zubilligt, muß sie gegen die Gefahr der Aushöhlung durch private Machtbildung ebenso geschützt werden, wie gegen die Untergrabung durch unmittelbar wirksam werdende soziale und wirtschaftliche Abhängigkeit und gegen zu weit getriebene staatliche Intervention". MeTz, in: Festschrift für Böhm, 1965, S. 258.

Vorwort Die hier vorgelegte Untersuchung stellt die Frage nach Sinn und Funktionsvoraussetzungen der Privatautonomie in einer modernen, marktwirtschaftlich verfaßten Industriegesellschaft. Höchste Ideen, Freiheit und Gleichheit, tragen sie; unbefangener Blick in die Wirklichkeit zeigt jedoch: Ungleichheit und Unfreiheit verstecken sich hinter ihr. Paläoliberaler Glaube an die Ordnungskraft des freien Marktes hat ein formales Äquivalenzprinzip zum Maßstab der Vertragsfreiheit erhoben, das allgemeine Rechtsgleichheit in reale soziale Ungleichheit umschlagen läßt. Jede wirklichkeitsorientierte Analyse muß der Tatsache ins Auge sehen, daß Individualautonomie als Mittel zur Gestaltung der Rechtsverhältnisse nach dem freien Willen der am Rechtsverhältnis Beteiligten in weiten Bereichen der modernen Gesellschaft nicht mehr systemgerecht funktioniert. Die Worte Mestmäckers: "Wir haben darüber zu entscheiden, ob wir den Wettbewerb zum Instrument spätkapitalistischer Feudalsysteme und das Recht der Wettbewerbsbeschränkungen zur ,Restauration einer Ideologie' entarten lassen" (FAZ Nr. 62 vom 14. 3.1970, 8.15) gelten sinngemäß auch für die Privatautonomie, deren Mißbrauch als "Instrument spätkapitalistischer Feudalsysteme" nur verhindert werden kann, wenn entweder ihre ideellen und sozioökonomischen Funktionsbedingungen: Freiheit und Gleichheit aller Privatrechtssubjekte in ausreichendem Maße realisiert sind oder, soweit das nicht möglich ist, durch übermachtkontrolle und Gruppenautonomie ein Gegengewicht gegen ihre funktionswidrige Inanspruchnahme geschaffen wird. In den Bereichen, in denen der Wettbewerb als Ordnungsinstrument versagt und globale staatliche Intervention zugunsten des sozial Schwächeren als unfreiheitlieh oder ökonomisch unzweckmäßig empfunden wird, stellt sich daher die Frage, in welcher Weise durchübergangzur Gruppenautonomie und durch konkrete inhaltliche Kontrolle von übermacht die·funktionsgestörte Individualautonomie umhegt, gestützt und, soweit erforderlich, ersetzt werden kann, um doch noch auf Umwegen wenigstens die mit der Einräumung von Privatautonomie verfolgten Zwecke möglichst weitgehend zu realisieren. Im Wirtschaftsrecht ist diese Frage unter wechselnden Schlagworten (vom statischen Gleichgewichtsmodell des vollkommenen Wettbewerbs zum dynamischen, funktionsfähigen Wettbewerb, Strukturoptimierung durch Marktgegen-

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Vorwort

gewichts- und Marktnebengewichtskartelle, durch Gruppen- und Stufenwettbewerb) seit Jahren lebhaft diskutiert worden. Der Arbeitsmarkt, der im Gegensatz zu den übrigen Märktenaufgrund der sozialgeschichtlichen Entwicklung aus der Wettbewerbsordnung grundsätzlich ausgeklammert ist, ist das bekannteste und bedeutsamste Modellbeispiel für einen solchen Versuch, der deshalb in dieser Arbeit als Paradigma analysiert wird. Der auf den Fabrikarbeiter angewandte "abstracte Begriff der individuellen Freiheit" hatte diesen "unter dem Scheine einer Freiheit dem Despotismus des Capitals schutzlos preisgegeben" (Bluntschli, Allgemeines Staatsrecht, 1851, S. 96, 634). In der unveränderten rechtlichen Einordnung des Arbeitsvertrages als "Gesindemiete" im deutschrechtlichen und als "locatio conductio operarum" im pandektenwissenschaftlichen Schrifttum brachte die Privatrechtswissenschaft ihr Unverständnis und Desinteresse für die schwierige wirtschaftliche und soziale Lage des vierten Standes im frühkapitalistischen Wirtschaftssystem unübersehbar zum Ausdruck; sie ließ sich in ihrem durch Aufklärung und französische Revolution gerade erst gewonnenen Glauben an die rechtliche Freiheit und Gleichheit aller Staatsbürger durch die Realität wirtschaftlicher Unfreiheit und Ungleichheit der Arbeiterklasse nicht irre machen. Mit der sozialen Lage des vierten Standes ist "eine bestimmte rechtliche Wirkung nicht verbunden", heißt es im "System des gemeinen deutschen Privatrechts" (Bd. 111, 1855, S. 5) von Beseler, das hier exemplarisch zitiert sei. Die Anerkennung von Freiheit und Gleichheit des Individuums erwies sich so als "Danaergeschenk" (Krause, JuS 1970, S. 318}, als unübersteigbare rechtsideologische und -systematische Schranke auf dem Wege zu wirklichem sozialem Schutz des Arbeiters. Das "Kommunistische Manifest" von 1848 verhallte im juristischen Schrifttum ungehört. Umsonst wies Karl Marx (MEW, Bd. VI, S. 399) darauf hin, daß die Arbeitskraft "eine eigentümliche Ware (sei), die keinen anderen Behälter hat als menschliches Fleisch und Blut". Das Gefühl, die Privatautonomie im Rechtssystem begrifflich-logisch umfassend verankert zu haben, ließ die damals herrschende, "hoch über den Wolken schwebende", weil die Folgen rechtlicher Entscheidung in der Wirklichkeit aus dem Prozeß der Normanwendung extrapolierende, allein aus der Logik der Begriffe und ihres Systems folgernde Lehre vergessen, nach den Voraussetzungen zu fragen, unter denen Privatautonomie in der Realität als Selbstbestimmungsordnung funktioniert und, soweit diese Voraussetzungen nicht gegeben bzw. herstellbar sind, dafür zu sorgen, daß die wünschenswerten Resultate der Privatautonomie durch Konnex- und Supplementärinstitute möglichst weitgehend erreicht werden. Vertragsfreiheit und Individualautonomie sollen dadurch gerade nicht in ihrer Freiheitsfunktion, sondern in ihrem "zweckfreien und damit freiheits-

Vorwort

9

schädigenden Rigorismus" (Fikentscher) abgebaut werden. Zahlreiche wirtschafts-und gesellschaftsrechtliche Monographien (Kronstein, Böhm, Biedenkopf, Mestmäcker, Großfeld, Rehbinder, M. Wolf) haben die Gefährdung der wirtschaftlichen und politischen Freiheit durch den Gebrauch eben dieser Freiheit und durch Aushöhlung der die Freiheit schützenden Institutionen analysiert. Im Arbeitsrecht ist diese Analyse bislang ausgeblieben. Als einziger zog Bluntschli, seiner Zeit damit um fast ein halbes Jahrhundert voraus, aus der Zulässigkeit der Arbeit im Herrschaftsverband der Fabrik die Konsequenz, daß es der "Organisation des Fabrikstandes" und der staatlichen Sicherung seiner Rechte bedürfe, um der Verelendung und Ausbeutung des Proletariats ein Ende zu setzen. Und Otto von Gierke (Das Deutsche Genossenschaftsrecht, Bd. 1, 1868, S. 1030 ff.) rief, in Frontstellung sowohl gegen kommunistische wie gegen liberalistische Doktrinen, die besitzlosen Klassen dazu auf, durch "Association der unverbundenen Atome" "neue, freiere, höhere Organismen" zu bilden, um so ihre wirtschaftliche Persönlichkeit im kapitalistischen System wiederzugewinnen. Das sei für die Geschädigten der industriellen Revolution ein unvermeidlicher "Akt der Notwehr gegen das Überwiegen der Kapitalunternehmungen". Die in der Folgezeit mit dem Ziel der Wiederherstellung der gestörten Gleichgewichtslage am Arbeitsmarkt entstandenen gewerkschaftlich-genossenschaftlich organisierten Zusammenschlüsse konnten dem Staat das Recht abtrotzen, für ihre Mitglieder gleiche und allgemeine Mindestarbeitsbedingungen unabdingbar festzulegen. "Ohne Zutun der Gesetzgeber rein naturwüchsig" (Lotmar) mußte sich der Tarifvertrag als "frei emporgewachsenes, wundervoll reiches Volksrecht" (Sinzheimer) durchsetzen. Individualautonomie besteht seitdem nur noch im außer- und übertariflichen Bereich. Das Nebeneinander von individueller und kollektiver Autonomie, von Außenseiterfreiheit und Gruppenmacht hat sich indes in vieler Hinsicht als recht prekär und instabil erwiesen. War den Gewerkschaften die Freiheit des als "Trittbrettfahrer" und "Schmarotzer" diffamierten, unorganisierten Außenseiters nicht selten ein Dorn im Auge, so suchten die Arbeitgeber über den individueller Vereinbarung verbleibenden Spielraum soweit wie nur möglich die Herrschaft über die betrieblichen Arbeitsbedingungen Zurückzugewinnen und sich der Richtigkeitsgewähr des Aushandeins dieser Bedingungen mit einem gleichstarken Partner zu entziehen. Das mit Rücksicht auf die ertragsschwächeren Betriebe notwendig niedrigere Niveau der Verbandstarifverträge schuf die Basis für einseitig gewährte und über Widerruf und kollektive Kündigung bei "Bedarf" wieder entzogene über- und außertarifliche Allgemeine Arbeitsbedingungen, für arbeits-

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Vorwort

platzwechselerschwerende Rückzahlungsklauseln bei Gratifikationen, für Schwangerschaft und Krankheit pönalisierende Anwesenheitsprämien. Der Öffentlichkeit ist dies durch die gewerkschaftlichen Forderungen nach "betriebsnaher" Tarifpolitik besonders sichtbar geworden. Im "Spiegel" (Nr. 17 vom 20. 4.1970, S. 84) heißt es: "Die (sc.: durch das System der Verbandstarifverträge bei den Großfirmen) eingeplanten, aber gesparten Beträge machten es den Unternehmen möglich, eine hausinterne Lohn- und Gehaltspolitik zu treiben. Je nach der Lage auf dem Arbeitsmarkt konnten sie die Tariflöhne freiwillig aufstocken oder mit Sozialzugaben, etwa Wegegeld oder Jahresbonus anreichern. Anspruch auf das dadurch erreichte Effektiveinkommen besaßen die Arbeitnehmer nicht. Zwar pflegten die großen Chemiekonzerne mit dem Betriebsrat über die Firmenzugaben sogenannte Betriebsvereinbarungen abzuschließen, stets aber wurde dort vermerkt, daß die Zugaben gestrichen werden könnten, wenn sie angesichts der allgemeinen Geschäftslage nach Meinung des Managements nicht mehr am Platze seien. Wie schmerzlich dieser Mangel an rechtlicher Garantie ist, mußten in der Rezession Tausende von Arbeitnehmern erfahren. Sie verloren teilweise ein volles Viertel ihrer Einkommen, weil die Firmenbosse die übertariflichen Zulagen köpften." Mit Hilfe dieser übertariflichen Manövriermasse, die in einzelnen Branchen zwischen zwanzig und sechzig Prozent der effektiv gezahlten Löhne und Gehälter liegt, ist ein weites Feld einzelvertraglich geregelter Allgemeinregelungen entstanden, das dem Einfluß des einzelnen Arbeitnehmers faktisch entzogen ist und- nach Meinung vieler- dem Einfluß der Koalitionen in Beruf und Betrieb rechtlich entzogen sein sollte. Stellt einseitige Eigennützigkeit der Allgemeinen Arbeitsbedingungen (ebenso wie bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen) eine durch Inhaltskontrolle auszugleichende Spannungslage zum Prinzip der Privatautonomie her (s. dazu die §§ 6 f'f. der Arbeit), so bringt ihre Allgemeinheit sie in Spannung mit dem Prinzip der Kollektivautonomie (s. dazu die §§ 10 f'f. der Arbeit). Gegen fortdauernden und intensiven Widerstand eines Teils der juristischen Literatur mußte die Rechtsprechung die Aushöhlung der Kompetenzen und Mitbestimmungsrechte der Kollektivparteien durch Oberdeckung mit kollektivrechtsresistenten Allgemeinen Arbeitsbedingungen verhindern. Wer sich der Aufgabe stellt, auch im Bereich der Allgemeinen Arbeitsbedingungen "materiell verstandene Privatautonomie" wirksam zu sichern, muß, weil der einzelne Arbeitnehmer faktisch-real zu schwach ist, um auf die inhaltliche Gestaltung der Allgemeinen Arbeitsbedingungen Einfluß zu nehmen, diese in das Wertungssystem der Kollektivautonomie prinzipiell miteinbeziehen. Nach Aufdeckung der Irrtümer des klassischen Liberalismus kann niemand eine solche Einbeziehung mehr mit dem irrealen Wunsch-

Vorwort

11

bild nach vollkommener individueller Autonomie bekämpfen. Er müßte sich den Vorwurf gefallen lassen, er ziehe die uneingeschränkte Freiheit weniger dem Maximum an real erreichbarer Freiheit für alle vor. In Bereichen, in denen individuelle Vertragsfreiheit nicht im Sinne ihrer normativen Leitidee funktionieren kann und "zum Versteck der Ungleichheit" (Adorno, Negative Dialektik, 1966, S. 302) wird, weil ihre Funktionsvoraussetzungen nicht gegeben sind, kann die Idee der individuellen Vertragsfreiheit kein Orientierungsmaßstab für sachgerechte Interpretation und Rechtsfortbildung sein. Wer in solchen Bereichen mit ihr argumentiert, setzt die abstrakt verabsolutierte Idee über den Menschen, dem sie dienen soll. Die Behauptung individueller Freiheitsbeschränkung ist deshalb kein schlüssiges Argument gegen die Einführung von Gruppenautonomie und die inhaltliche Kontrolle sozioökonomischer Übermacht in Zonen real verdünnter Freiheit im Interesse gleicher Freiheitschancen für alle. So muß, wer für den uneingeschränk~ ten Vorrang des Günstigkeitsprinzips gegenüber kollektivrechtlicher Regelung eintritt, sich damit auseinandersetzen, daß die deutschen Gewerkschaften, ganz anders als etwa die amerikanischen Gewerkschaften, von Anfang an bestrebt waren, durch Lohnstrukturnivellierung und Lohnschematisierung die Differenz zwischen den niedrigsten Hilfsarbeiterlöhnen und den höchsten Facharbeiterlöhnen möglichst gering zu halten und diskriminatorische Lohnunterschiede zu beseitigen (vgl. dazu A. Weber, Der Kampf zwischen Kapital und Arbeit, 6. Aufl. 1954, S. 242; E. Arndt, Theoretische Grundlagen der Lohnpolitik, 1957, S. 38; H. Lampert, Die Lohnstruktur der Industrie, 1963, S. 179 ff.). Diese sozialpolitische Gestaltungsentscheidung, die sich ganz im Rahmen des Auftrages des Art. 9 Abs. 3 GG bewegt, darf nun nicht einseitig durch Aufbau eines diese Wertentscheidung negierenden Systems gezielter übertariflicher Allgemeinregelungen zerstört werden können, wenn die Garantie beiderseitiger kollektiver Selbstbestimmung durch Art. 9 Abs. 3 GG nicht inhaltsleer werden soll. Allerdings muß die Einbeziehung Allgemeiner Arbeitsbedingungen in das System des kollektiven Arbeitsrechts mit großer Behutsamkeit geschehen, indem für jede einzelne Proble:mlage geprüft wird, ob die kollektivarbeitsrechtlichen Wertungen der funktionellen Zwitterstellung der Allgemeinen Arbeitsbedingungen zwischen Individual- und Kollektivrecht (Individualnorm von "Geburt", Kollektivnorm in der Wirkung), etwa bei der Frage des Wirksamwerdens, der Auslegung, der Anfechtung, der Inhaltskontrolle und der Abänderbarkeit gerecht werden. Der Verfasser hat sich mit den Fragen, die sich aus der "Gemengelage" Allgemeiner Arbeitsbedingungen im Spannungsfeld von Individual- und Kollektivautonomie im Tarifrecht ergeben, erstmalig bei Abfassung seiner Dissertation im Jahre 1965 beschäftigt. Hans Carl Nipperdey, sein

Vorwort

12

verehrter Kölner Lehrer, öffnete ihm den Blick dafür, daß Allgemeinen Arbeitsbedingungen als "Einbruch" in den Kompetenzbereich der Tarifparteien "mit Vorsicht" zu begegnen sei. Vorbereitung und Zuendeführung der siebenten Auflage des zweiten Halbbandes des von Hans Carl Nipperdey bearbeiteten kollektiven Arbeitsrechts führten ihm später erneut die Schwierigkeit sachgerechter Einordnung der Allgemeinen Arbeitsbedingungen, diesmal vor allem im Bereich des Arbeitskarnpfund Betriebsverfassungsrechts, vor Augen. Meine 1969 erschienene Schrift über: "Grundprobleme der kollektiven Koalitionsfreiheit" war ein vorbereitender Versuch, der Problematik von einem Pol aus, nämlich durch Bestimmung des Inhalts des Grundrechts der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) und seiner unterverfassungsgesetzlichen Konkretisierungen näher zu kommen, entbehrten doch bislang alle Aussagen über Sinn und Tragweite der Koalitionsautonomie hinsichtlich ihrer Beweisführung der verfassungsrechtlichen Stringenz, weil sie ohne Kenntnis und Auseinandersetzung mit den entwickelten allgemeinen Lehren der Grundrechtsdogmatik und Grundrechtsinterpretation erfolgten. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Mai 1970 (AP Nr. 16--18 zu Art. 9 GG) haben die dogmatische Ergiebigkeit und Prognosekraft des dort auf der Grundlage der vorhandenen Interpretamente des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 9 Abs. 3 GG entwickelten Systems der kollektiven Koalitionsfreiheit bestätigt. Herr Professor Dr. Kurt H. Biedenkopf, der durch seine Monographie über die "Grenzen der Tarifautonomie" (1964) das Verhältnis von staatlicher und koalitionsrechtlicher Normsetzungskompetenz auf dem Gebiete des Arbeitsrechts erstmalig ausgelotet und als Zuständigkeitskonflikt diagnostiziert hatte, gab mir als Assistenten an seinem Bochumer Lehrstuhl großherzig Gelegenheit, meine Arbeit über das Verhältnis individualrechtlicher und koalitionsrechtlicher Vereinbarungsbefugnis zu Ende zu führen und damit Möglichkeiten zur Verwirklichung materieller Privatautonomie nachzuspüren. Dafür sei ihm auch an dieser Stelle herzlich gedankt. Berlin, im November 1971

F.J.S.

Inhaltsverzeichnis Erstes Kapitel

Einleitung

31

§ 1. Problemstellung § 2. Untersuchungsmethode

....... ............ .... .................

43

A. Die Lückenhaftigkeit der gesetzlichen Regelung Allgemeiner Arbeitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

B. Grundsätze für die Ausfüllung gesetzlicher Regelungslücken . .

55

Zweites Kapitel

Allgemeine Arbeitsbedingungen - empirisdl-deskriptiver Befund § 3. Die arbeitsvertragliche Einheitsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

A. Korrelativität von Tatbestandserforschung und Rechtsanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

B. Die tatbestandliehe Erfassung der arbeitsvertragliehen Einheitsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einseitige Eigennützigkeit der Allgemeinen Arbeitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das intellektuelle Obergewicht des Arbeitgebers beim Vertragsschluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das wirtschaftliche Obergewicht des Arbeitgebers beim Vertragsschluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92

II. Narrnativität der Allgemeinen Arbeitsbedingungen . . . . . . .

96

III. Abstrakt-individuell und konkret-generell geregelte Arbeitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Problemlage und Lösungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abstrakt-individuelle Arbeitsbedingungen . . . . . . . . . . . . 3. Konkret-generelle Arbeitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . .

110 110 113 114

§ 4. Gesamtzusage und Gesamtübung. . . . . . . .. . . .. .. .. .. .. .. .. . . . .. ..

117

A. Definition

80 87 88

..................................................

117

B. übungen zu Lasten der Arbeitnehmer? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

119

C. Anwendungsbereich von Gesamtzusage und Betriebsübung . . . .

122

14

Inhaltsverzeichnis

§ 5. Ergebnis der Sachverhaltsanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

125

A. Tatbestandsvergleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

125

B. Konsequenzen für die rechtliche Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

128

Drittes Kapitel

Die rechtliebe Beurteilung der Allgemeinen Arbeitsbedingungen § 6. Das Wirksamwerden der Allgemeinen Arbeitsbedingungen

133

A. Wirksamwerden der bei Vertragsschluß bereits bestehenden Allgemeinen Arbeitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

133

B. Wirksamwerden nachträglich veränderter Allgemeiner Arbeitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

136

I. Wirksamwerden verschlechterter Arbeitsbedingungen . . . .

136

II. Wirksamwerden verbesserter Arbeitsbedingungen . . . . . . . .

139

1. Wirksamwerden durch "Bekanntmachung in geeigneter

Form" analog §§ 64 Abs. 1 Satz 2 BPersVG, 52 Abs. 2 Satz 2 BetrVG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2. Wirksamwerden durch öffentliche Bekanntmachung analog §§ 657 ff. BGB? .. . .. .. .. . . .. . . .. . . .. .. . . .. . .. .. a) Wirksamwerden und Widerruf bei einseitigen, "ad incertas personas" gerichteten Leistungsversprechen b) Abgrenzung der §§657ft. BGB von den §§315ft. BGB

140 142 142 146

3. Der Widerruf begünstigender Allgemeiner Arbeitsbedingungen als unzulässige, gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßende Rechtsausübung . . . . . . . . . .

149

§ 7. Die Auslegung Allgemeiner Arbeitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . .

156

A. Maßstäbe für die Auslegung Allgemeiner Arbeitsbedingungen

156

I. Funktion und Grundsätze der Auslegung in der Bipolarität von Willens- und Vertrauensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

161

II. Anwendung der Grundsätze auf Allgemeine Arbeitsbedingungen

175

III. Die Unklarheitenregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

178

B. Die Revisibilität der Auslegung Allgemeiner Arbeitsbedingungen

182

§ 8. Die Anfechtbarkeit Allgemeiner Arbeitsbedingungen . . . . . . . . . . . .

186

A. Die .Funktion der Irrtumsanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

186

Inhaltsverzeichnis

15

B. Der Irrtum über den Verweisungsakt als solchen I. Der Verweisungsirrtum auf seiten des Arbeitnehmers ... . II. Der Verweisungsirrtum auf seiten des Arbeitgebers .. . . . .

187 187 189

C. Der Irrtum über den Inhalt Allgemeiner Arbeitsbedingungen . . I. Der Inhaltsirrtum auf seiten des Arbeitnehmers ... . .. . . . . 1. Inhaltsunkenntnis ........... . ..... .......... . .. ... . 2. Falsche Inhaltsvorstellung ......... . ................. .

190 190 190 191

II. Der Inhaltsirrtum auf seiten des Arbeitgebers ........ . . . . 1. Inhaltsirrtum und Falschauskunft . . . ......... . ..... . . 2. Genereller Ausschluß der Irrtumsanfechtung .... ..... .

198 198 199

§ 9. Die Inhaltskontrolle Allgemeiner Arbeitsbedingungen .... . ... .. .

201

A. §§ 138, 242 BGB als traditionelle Instrumente der Inhaltskontrolle ......... .. .................. ... .............. . . . . I. Die Monopolkontrolle nach § 138 BGB als historischer Ausgangspunkt der Inhaltskontrolle ..... . ........ . ....... _.. II. Die Deutung des § 242 BGB als generelle Ermächtigungsnorm zur Inhaltskontrolle ........ . . . .. .. ........... . .. . . B. § 315 BGB als Instrument der Inhaltskontrolle bei Störung der Funktionsbedingungen der Privatautonomie ............ . . .. . I. Schranken der Privatautonomie, entwickelt aus Funktion und Ordnungsaufgabe des Instituts .......... .. . ........ .

201 201 202 205 205

II. § 315 BGB als rechtsinstrumentaler Ansatzpunkt zur Verhinderung funktionswidrigen Gebrauchs der Privatautonomie

224

C. Die Bindung des Arbeitgebers an die Grundrechtsnormen bei Einführung Allgemeiner Arbeitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . .

228

§ 10. Die Abänderbarkeit Allgemeiner Arbeitsbedingungen durch Tarif-

vertrag

............... ................ .. ............ ... .. .....

235

A. Die Zuständigkeit der Tarifparteien ("Außenschranken der Tarifautonomie")

235

I. Grundlagen . . ..... .. ..... .. ..... .. . . ..... ..... .. .. .. . . . 1. Art. 9 Abs. 3 GG als Grundlagennorm der Tarifautonomie 2. Tarifvertrag und Schuldvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Grundsätze der Interpretation des Art. 9 Abs. 3 GG . . . . 4. Normsetzungsprärogative der Koalitionen gegenüber staatlicher und privater Regelung der Allgemeinen Arbeitsbedingungen (Garantie des Koalitionszwecks) . . . . . 5. Garantie der Koalitionsmittel zur Realisierung der Normsetzungsprärogative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

235 236 243 248

253 261

16

Inhaltsverzeichnis II. Das Verbot tariflicher Individualnormen . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Teleologische Rechtfertigung des Verbots . . . . . . . . . . . . . . 2. Individualnorm und normlogische Theorie . . . . . . . . . . . .

269 269 270

B. Die Abänderbarkeit Allgemeiner Arbeitsbedingungen gegenüber den tarifgebundenen Arbeitnehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

282

I. Die im Verhältnis zeitlich aufeinanderfolgender Tarifverträge geltende Zeitkollisionsregel: Lex posterior derogat legi priori . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

284

II. Die im Verhältnis von Tarifvertrag und zeitlich nachfolgenden Allgemeinen Arbeitsbedingungen geltenden Rangund Kompetenzkollisionsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

287

1. Das Unabdingbarkeltsprinzip (§ 4 Abs. 1 TVG) als Kolli-

sionsregel bei Konkurrenz von Tarifnormen mit ungünstigeren nachtariflichen Allgemeinen Arbeitsbedingungen

287

2. Das Günstigkeltsprinzip (§ 4 Abs. 3 TVG) als Kollisionsregel bei Konkurrenz von Tarifnormen mit günstigeren nachtariflichen Allgemeinen Arbeitsbedingungen . . . . . .

288

III. Die im Verhältnis von Tarifvertrag und zeitlich vorausgehenden Allgemeinen Arbeitsbedingungen geltenden Rang- und Kompetenzkollisionsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

288

1. Das Unabdingbarkeltsprinzip (§ 4 Abs. 1 TVG) als Kolli-

sionsregel bei Konkurrenz von Tarifnormen mit ungünstigeren vortariflichen Allgemeinen Arbeitsbedingungen . . .... .. .. .... .. .... .... .. .. ...... .... .... .. ..

288

2. Kollisionsrechtliche Regelungslücke bei Konkurrenz von Tarifnormen mit günstigeren vortariflichen Allgemeinen Arbeitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

289

IV. Die Schließung der bei Kollision vortariflicher günstigerer Allgemeiner Arbeitsbedingungen mit den Normen eines nachfolgenden Tarifvertrages bestehenden Regelungslücke

294

1. Die an den Rechtsgedanken der §§ 59 BetrVG, 69 BPers-

VG orientierte Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

294

2. Die kollektivrechtserweiternde Theorie . . . . . . . . . . . . . . . .

298

3. Die Lehre vom stillschweigenden Abänderungsvorbehalt im Arbeitsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

300

4. Die Begründung der kollektivrechtlichen Regelungszuständigkeit aus richterlicher Konkretisierung der Verfassungsgarantie eines Kernbereichs der Gestaltung der Allgemeinen Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch Tarifvertrag. . ...... . .. . . ............ .. .. .. ... .

308

Inhaltsverzeichnis 5. Einordnung der Kompetenz zur Abänderung Allgemeiner Arbeitsbedingungen in das System der Kollisionsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17

318

a) Die Stellungnahme des Bundesarbeitsgerichts zu dieser Frage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

318

b) Kritik und eigene Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

321

6. Die Rechtsnatur der die Normsetzungsprärogative der Koalitionen sichernden Kompetenzkollisionsregeln . . . .

327

C. Die Abänderbarkeit Allgemeiner Arbeitsbedingungen gegenüber den aus dem Tarüverband ausgeschiedenen Arbeitnehmern

330

I. Die subjektiven Grenzen der Tarifautonomie . . . . . . . . . . . .

330

II. Die zeitlichen Grenzen der Tarifautonomie . . . . . . . . . . . . . . .

332

D. Die Abänderbarkeit Allgemeiner Arbeitsbedingungen gegenüber Außenseitern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

333

E. Die Erzwingung der Abänderung durch Zwangsschlichtung . . . .

337

F. Die Erzwingung der Abänderung durch Arbeitskampf . . . . . . . .

338

I. Grundsätzliche Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

338

II. Der Streik um die Verbesserung der Allgemeinen Arbeitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

339

111. Die Aussperrung zwecks Herabsetzung der Allgemeinen Arbeitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

339

§ 11. Die Abänderbarkeit Allgemeiner Arbeitsbedingungen durch Be-

triebs- und Dienstvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

341

A. Die Zuständigkeit der Betriebs- und Dienstvereinbarungsparteien ("Außenschranken oder Betriebs- und Dienstautonomie") . . . . I. Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geltungsbereich der Betriebs- und Dienstvereinbarung 2. Der Umfang der Normsetzungsbefugnis der Betriebsund Dienstvereinbarungsparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

341 341 341 342

II. Das Verbot von Individualnormen in Betriebs- und DienstVereinbarungen

346

B. Die Abänderbarkeit Allgemeiner Arbeitsbedingungen gegenüber der Aktivbelegschaft.. ... .. . . . . . . .. . . . . . . .. . . . .. . . . . . . .

348

I. Betriebs- und Dienstvereinbarungskonkurrenz . . . . . . . . . . .

349

II. Kollisionsregeln bei Konkurrenz von Normen einer Betriebsvereinbarung (Dienstvereinbarung) mit zeitlich nachfolgenden Allgemeinen Arbeitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . .

350

2 Säcker

Inhaltsverzeichnis

18 1. Grundregel

350

2. Allgemeine Arbeitsbedingungen in Bereichen notwendiger Mitbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

350

III. Kollisionsregeln bei Konkurrenz von Normen einer Betriebsvereinbarung (Dienstvereinbarung) mit zeitlich vorausgehenden Allgemeinen Arbeitsbedingungen . . . . . . . . . . .

355

1. Konkurrenz mit ungünstigeren Regelungen . . . . . . . . . . .

355

2. Konkurrenz mit günstigeren Regelungen . . . . . . . . . . . . . .

355

IV. Exkurs: Das Verhältnis von Betriebsvereinbarung (Dienstvereinbarung) und Tarüvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . .

359

C. Die Abänderbarkeit Allgemeiner Arbeitsbedingungen gegenüber den im Ruhestand lebenden Arbeitnehmern . . . . . . . . . . . .

363

I. Regelungszuständigkeit

363

II. Rückanknüpfung der Normen der Betriebs- und Dienstvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

366

D. Die Erzwingung der Abänderung Allgemeiner Arbeitsbedingungen durch Betriebs- und Dienstvereinbarung mittels Zwangsschlichtung und Arbeitskampf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

367

§ 12. Die Abänderbarkeit Allgemeiner Arbeitsbedingungen mit den

Mitteln des Individualrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

369

A. Abänderbarkeit von seiten und gegenüber der Aktivbelegschaft

369

I. Abänderungs- oder Aufhebungsvertrag nach § 305 BGB . .

369

II. Abänderung durch Teilkündigung oder Widerruf . . . . . . . . .

369

111. Die Erzwingung der Abänderung durch (Änderungs-)Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

370

1. Individuelle Änderungskündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

370

2. Kollektive Änderungskündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

371

a) Grundsätzliche Problematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

371

b) Das Verhältnis von kollektiver Änderungskündigung und Arbeitskampfmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

389

aa) Kollektive Änderungskündigungen der Arbeitnehmer .... . . . . ....... . .. .. . . .. .. ..... ... . . . . . 389 bb) Kollektive Änderungskündigungen der Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 IV. Abänderung bei Wegfall der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . .

404

Inhaltsverzeichnis

19

B. Abänderbarkeit gegenüber den im Ruhestand lebenden Arbeitnehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

406

I. Abänderungs- oder Aufhebungsvertrag nach§ 305 BGB . .

406

11. Abänderung durch Kündigung oder Widerruf . . . . . . . . . . . .

406

111. Abänderung bei Wegfall der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . .

407

1. Anwendbarkeit und Voraussetzungen des Instituts des

Wegfalls der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

407

2. Problembezogene Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

413

§ 13. Inhaltliche Grenzen der Tarifmacht bei Abänderung Allgemeiner Arbeitsbedingungen (,.Innenschranken der Tarifautonomie") . . . .

417

A. Problemlage

417

B. Lösungsmethoden

423

I. Lösung aus der Sicht des subjektiven, wohlerworbenen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

423

II. Lösung aus den Innenschranken der Tarifautonomie, entwickelt aus ihrer Funktion und Ordnungsaufgabe . . . . . . . .

424

I11. Synkretistische Methoden zur Lösung des Problems und eigene Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

426

C. Innenschranken der Tarifautonomie bei der Abänderung von Ansprüchen aus Allgemeinen Arbeitsbedingungen . . . . . . . . . . . .

435

I. Abänderung künftiger Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

435

II. Abänderung entstandener und abgewickelter Forderungen

436

III. Abänderung entstandener, aber noch nicht (voll) abgewikkelter Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

436

IV. Abänderung von Anwartschaftsrechten auf Forderungserwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

440

§ 14. Inhaltliche Grenzen der Betriebs- und Dienstautonomie bei Abänderung Allgemeiner Arbeitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

446

A. Grundsätze

446

B. Innenschranken der Regelungen der Arbeitsverhältnisse . . . . . .

450

C. Innenschranken bei Regelungen des Ruhestandsverhältnisses der Aktivbelegschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

457

20

Inhaltsverzeichnis Viertes Kapitel

Rechtscharakter und Geltungsgrund Allgemeiner Arbeitsbedingungen § 15. Der Geltungsgrund Allgemeiner Arbeitsbedingungen für die im Aufstellungszeitpunkt bereits im Betrieb Beschäftigten . . . . . . . . . .

459

A. Sinn und Tragweite juristischer Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . .

459

B. Arbeitsvertragliche Einheitsregelung und Gesamtzusage als rechtsgeschäftliche Verpßichtungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

460

C. Der Verpflichtungsgrund der Betriebsübung . . . . . . . . . . . . . . . . . .

461

I. Die Verpßichtung des Arbeitgebers zur Fortgewährung üblicher Leistungen als Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . .

461

II. Die dogmatische Einordnung der Betriebsübung in das System der Obligierungsgründe - Meinungsstand . . . . . . . .

464

1. Die Betriebsübung als Summe konkludenter, gleich-

förmiger Individualvertragsgestaltungen . . . . . . . . . . . . . .

464

2. Die Betriebsübung als einseitiges, kollektivrechtliches Rechtsgeschäft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

466

3. Die Betriebsübung als ansprucherzeugende "konkrete betriebliche Ordnung"? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

467

4. Die Betriebsübung als Schuldverhältnis aus sozialtypischem Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

469

5. Die Betriebsübung als Vertrauenshaftung . . . . . . . . . . . . .

470

III. Kritik und eigene Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

473

1. Kritik der Lehre von der Vertrauenshaftung . . . . . . . . . .

473

2. Kritik der Lehre von der Verpßichtungskraft der Sozialtypik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

474

3. Kritik der Lehre von der ansprucherzeugenden konkreten Ordnung ................................... , . . . . .

480

4. Kritik der Lehre vom einseitigen kollektivrechtlichen Rechtsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

482

5. Kritik und Neubegründung der Lehre von der konkludenten, gleichförmigen Individualvertragsgestaltung

485

§ 16. Der Geltungsgrund Allgemeiner Arbeitsbedingungen für künf-

tige Arbeitsvertragspartner des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

489

§ 17. Die Allgemeinen Arbeitsbedingungen in ihrem systematischen

Verhältnis zum Einzelarbeitsvertrag und zum kollektiven Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

493

Inhaltsverzeichnis

21

A. Die Allgemeinen Arbeitsbedingungen -

inkorporierter Vertragsbestandteil oder in Bezug genommener externer Normenkomplex? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

493

B. Die Allgemeinen Arbeitsbedingungen als Bestandteil des individuellen oder des kollektiven Arbeitsrechts? . . . . . . . . . . . . . . . .

498

§ 18. Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen

503

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

515

Verzeichnis der Abkürzungen und der abgekürzt zitierten Literatur a.A.

AAB a.a.O. abl. Abs. abw. AcP Adomeit a.E. AGB a.M. Anm. AOG AOGO AöR AP ArbG ArbGeb. ArbGG AR-Blattei ArbR ArbRPr. ArbRuSchl. ArbuR ArbSozPol. ArchBürgR Arch.ö.u.f.U. ArchSozW ARS

ARSP ARSt. Art. AT Aufl. AWD AZO BABl. BAG

anderer Ansicht Allgemeine Arbeitsbedingungen am angeführten Ort ablehnend Absatz abweichend Archiv für die civilistische Praxis (Zeitschrift) Adomeit: Rechtsquellenfragen im Arbeitsrecht, 1969 amEnde Allgemeine Geschäftsbedingungen anderer Meinung Anmerkung Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. 1. 1934 Gesetz zur Ordnung der Arbeit in öffentlichen Verwaltungen und Betrieben vom 23. 3. 1934 Archiv des öffentlichen Rechts (Zeitschrift) Arbeitsrechtliche Praxis (Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts, herausgegeben von Dietz, Hueck und Stumpf) Arbeitsgericht Der Arbeitgeber (Zeitschrift) Arbeitsgerichtsgesetz vom 3. 9. 1953 Arbeitsrecht-Blattei, Handbuch für die Praxis, herausgegeben von Sitzler und Oehmann Arbeitsrecht (Zeitschrift) Arbeitsrechtspraxis (Zeitschrift) Arbeitsrecht und Schlichtung (Zeitschrift) Arbeit und Recht (Zeitschrift) Arbeit und Sozialpolitik (Zeitschrift) Archiv für Bürgerliches Recht (Zeitschrift) Archiv für öffentliche und freigemeinnützige Unternehmen Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik (Zeitschrift) Arbeitsrechts-Sammlung, Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts und der Landesarbeitsgerichte (sog. Bensheimer Sammlung) Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie (Zeitschrift) Arbeitsrecht in Stichworten (Entscheidungssammlung) Artikel Allgemeiner Teil Auflage Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters (Zeitschrift) Arbeitszeitordnung vom 30. 4. 1938 Bundesarbeitsblatt (Zeitschrift) Bundesarbeitsgericht

Abkürzungsverzeichnis BAGE Ban.kArch. BayObLG BayObLGZ BayVBl. BayVerfGH BB BBG Bd. (Bde) Beil. Bem. Berner Kommentar bes. Beschl. bestr. BetrR BetrVerf. BetrVG BFH BGB BGB-RGRK BGBl. BGE BGH BGHZ Eiedenkopf Bl. BlfGen.-Wesen BlfStSozArbR Bobrowski-Gaul BPersVG BRD BRG Brox-Rüthers BSG BSGE BSHG BStBl. BT-Drucks. Bührig, Handbuch BUrlG BVerfG BVerfGE

23

Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts, Amtliche Sammlung Bankarchiv (Zeitschrift) Bayerisches Oberstes Landesgericht Amtliche Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgericht in Zivilsachen Bayerische Verwaltungsblätter (Zeitschrift) Bayerischer Verfassungsgerichtshof Der Betriebs-Berater (Zeitschrift) Bundesbeamtengesetz vom 22. 10. 1965 Band (Bände) Beilage Bemerkung Kommentar zum schweizerischen Zivilrecht, 1962 ff. besonders Beschluß bestritten Der Betriebsrat (Zeitschrift) Die Betriebsverfassung (Zeitschrift) Betriebsverfassungsgesetz vom 11. 10. 1952 Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch vom 18. 8. 1896 Das Bürgerliche Gesetzbuch (Kommentar), herausgegeben von Reichsgerichtsräten und Bundesrichtern, 11. Aufl. 1959 ff. Bundesgesetzblatt Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts Bundesgerichtshof Amtliche Sammlung von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Biedenkopf: Grenzen der Tarifautonomie, 1964 Blatt Blätter für Genossenschaftswesen (Zeitschrift) Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht (Zeitschrift) Bobrowski: Das Arbeitsrecht im Betrieb, 6. Aufl. 1970 bearbeitet von Gaul Bundes-Personalvertretungsgesetz v. 5. 8. 1955 Bundesrepublik Deutschland Betriebsrätegesetz vom 4. 2. 1920 Brox-Rüthers: Arbeitskampfrecht, 1965 Bundessozialgericht Amtliche Sammlung von Entscheidungen des Bundessozialgerichts Bundessozialhilfegesetz i. d. F. vom 18. 9. 1969 Bundessteuerblatt Bundestags-Drucksache (zitiert nach Wahlperiode und Seite) Bührig: Handbuch der Betriebsverfassung, 1953 Bundesurlaubsgesetz vom 8. 1. 1963 Bundesverfassungsgericht Amtliche Sammlung von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

24

Abkürzungsverzeichnis

Gesetz über die Errichtung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. 3. 1951 Bundesverwaltungsgericht BVerwG Amtliche Sammlung von Entscheidungen des BVerwGE Bundesverwaltungsgerichts beziehungsweise bzw. Canaris: Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, Canaris 1971 Deutsches Arbeitsrecht (Zeitschrift) DAR DAuR Deutsches Autorecht Der Betrieb (Zeitschrift) DB Deutscher Gewerkschaftsbund DGB Dietz: Betriebsverfassungsgesetz, 4. Aufl. 1967 Dietz Dissertation (soweit dem Zitat kein Zusatz beigefügt ist, Diss. handelt es sich bei der zitierten um eine juristische Dissertation) Deutsche Justiz (Zeitschrift) DJ Deutscher Juristentag DJT Deutsche Juristenzeitung DJZ Deutsche Notar-Zeitschrift DNotZ DÖD Der öffentliche Dienst (Zeitschrift) Die öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) DöV Deutsches Recht (Zeitschrift) DR Das Recht der Arbeit (österreichische Zeitschrift) DRdA DRiZ Deutsche Richterzeitung Drucksache(-n) Drucks. Deutsche Rechtswissenschaft (Zeitschrift) DRW DRZ Deutsche Rechts-Zeitschrift deutsch dt. DVBl. Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) Durchführungsverordnung DVO EGKS Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Montan-Union) EnneccerusEnneccerus: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Nipperdey 15. Aufl. 1959/60, bearbeitet von Nipperdey Erdmann Erdmann: Das Betriebsverfassungsgesetz, 2. Aufl. 1954 Erl. Erläuterung Erman(-Bearbei- Erman (Hrsg.): Handkommentar zum Bürgerlichen ter) Gesetzbuch, 4. Aufl. 1967 mit Ergänzungsheft 1970 ESC Europäische Sozialcharta vom 18. 10. 1961 EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWGV EWG-Vertrag vom 25. 3. 1957 f., ff. folgende Seite [-n] FamRZ Ehe und Familie im privaten und öffentlichen Recht (Zeitschrift) FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung FH Frankfurter Hefte, Zeitschrift für Kultur und Politik Fitting-Kraege- Fitting-Kraegeloh-Auffarth: Betriebsverfassungsgesetz, loh-Auffarth 9:. Aufl. 1970, bearbeitet von Fitting und Auffarth Flume Flume: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. II: Das Rechtsgeschäft, 1965 Forts. Fortsetzung Fußn. Fußnote (-n) BVerfGG

Abkürzungsverzeichnis

25

Galperin-Siebert Galperin-Siebert: Betriebsverfassungsgesetz, 4. Aufl.1963, bearbeitet von Galperin GewArch. Gewerbe-Archiv (Zeitschrift) GewKfmG Das Gewerbe- und Kaufmannsgericht (Zeitschrift) GewMH Gewerkschaftliche Monatshefte (Zeitschrift) GewO Gewerbeordnung vom 21. 6. 1869/26. 7. 1900 GG Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. 5. 1949 ggf. gegebenenfalls GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gruchot Gruchots Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts (Zeitschrift) GrünhutsZ Grünhuts Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart (Zeitschrift) GS Großer Senat GVBl. Gesetz- und Verordnungsblatt GVG Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. 1. 1877 i. d. F. vom 12. 9. 1950 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Kartellgesetz) GWB vom 27. 7.1957 HAG Heimarbeitsgesetz vom 14. 3. 1951 Halbbd. Halbband HalberstadtHalberstadt-Zander: Handbuch zum BetriebsverfassungsZander recht, 1968 HandwO Handwerksordnung i.d. F. vom 28. 12. 1965 HansRGZ Hanseatische Rechts- und Gerichtszeitschrift (Zeitschrift) HDStR Handbuch des Deutschen Staatsrechts, hrsg. von Anschütz und Thoma, Bd. I, 1930; Bd. li, 1932 HessVerwGH Hessischer Verwaltungsgerichtshof Handelsgesetzbuch vom 10. 5. 1897 HGB HGB-RGRK Kommentar zum Handelsgesetzbuch. Früher herausgegeben von Mitgliedern des Reichsgerichts, 2. Aufl. 1950 ff., Bd. I, 3. Aufl. 1968 Hinz: Tarifhoheit und Verfassungsrecht, 1971 Hinz h.L. herrschende Lehre herrschende Meinung h.M. HRR Höchstrichterliche Rechtsprechung (Zeitschrift) Hrsg., hrsg. Herausgebe~ herausgegeben HS Halbsatz Huber, E. R. : Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2. Aufl., Bd. I, Huber! 1953 Huber, E. R.: Wirtschaftsverwaltungsrecht, 2. Aufl., Bd. li, Huber !I 1954. Hueck, A.: Das Recht des Tarifvertrages, 1920 Hueck, Tarüvertrag Hueck, Tarifrecht Hueck, A.: Das Tarifrecht, 1922 Hueck-Nipperdey: Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. I, Hueck7. Aufl.1963, bearbeitet von A. Hueck Nipperdeyi Hueck-Nipperdey: Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. II/1, Hueck-Nipper7. Aufl. 1967, bearbeitet von Nipperdey dey II/1 Hueck-Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. II/2, Hueck-Nipper7. Aufl. 1970, bearbeitet von Nipperdey unter Mitarbeit dey II/2 vonSäcker

26

Abkürzungsverzeichnis

Hueck-Nipperdey, Hueck-Nipperdey: Grundriß des Arbeitsrechts, 5. Auft. 1970 Grundriß Hueck-Nipperdey-Hueck-Nipperdey-Dietz: Kommentar zum Gesetz zur Dietz Ordnung der nationalen Arbeit und Gesetz zur Ordnung der Arbeit in öffentlichen Verwaltungen und Betrieben, 4. Auft. 1943 Hueck-Nipperdey-Hueck-Nipperdey: Tarifvertragsgesetz mit DurchführungsStahlhacke und Nebenvorschriften, Kommentar, 4. Aufl. 1964, bearbeitet von Stahlhacke HwdSozW Handwörterbuch der Sozialwissenschaften (zugleich Neuauflage des Handwörterbuchs der Staatswissenschaften), 1956 ff. i. d. F. (v.) in der Fassung (vom) Industriegewerkschaft IG IherJb. Iherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts (Zeitschrift) International Labour Organization ILO insbes. insbesondere i. S. (v.) im Sinne (von) i. V. (m.) in Verbindung (mit) Jacobi Jacobi: Grundlehren des Arbeitsrechts, 1927 Jahrb. Jahrbuch JBl. Juristische Blätter (österreichische Zeitschrift) JöR Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart JR Juristische Rundschau Juristische Analysen (Zeitschrift) JurA Juristische Schulung (Zeitschrift) JuS Juristische Wochenschrift JW JZ Juristenzeitung KA Kartenauskunftei des Arbeitsrechts (später: ArbeitsrechtsKartei), herausgegeben vqn Kailee Kap. Kapitel Karakatsanis Karakatsanis: Die kollektivrechtliche Gestaltung des Arbeitsverhältnisses und ihre Grenzen, 1963 Kaskel-Dersch Kaskel: Arbeitsrecht, 5. Auft. 1957, neubearbeitet von Dersch KG Kammergericht KO Konkursordnung vom 10. 2. 1877 KRG Kontrollratsgesetz krit. kritisch KritJ Kritische Justiz (Zeitschrift) KSchG Kündigungsschutzgesetz i. d. F . vom 25. 8. 1969 LAG Landesarbeitsgericht Larenz Larenz: Allgemeiner Teil des deutschen bürgerlichen Rechts, 1967 Lehrb. Lehrbuch LFG Gesetz über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle (Lohnfortzahlungsgesetz) vom 27. 7. 1969 Landgericht LG lit. Buchstabe LM Lindenmaier-Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofes Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht (Zeitschrift) LZ Maus, Handbuch Maus: Handbuch des Arbeitsrechts (Loseblattausgabe), seit 1948

Abkürzungsverzeichnis

27

Monatsschrift für Deutsches Recht (Zeitschrift) Karl Marx-Friedrich Engels, Werke, hrsg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED Ministerialblatt MinBl. Gesetz über die Festsetzung von MindestarbeitsMindABG bedingungen vom 11.1.1952 Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den MitbG Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie vom 21. 5. 1951 Mitbestimmungsergänzungsgesetz vom 7. 8. 1956 MitbEG Mitteilungen des deutschen Arbeitsgerichtsverbandes MitAGVerb. Molitor Molitor: Kommentar zur Tarifvertragsordnung vom 23.12.1918/1.3.1928,1930 Motive Motive zu dem Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, 1888 MuSchG Mutterschutzgesetz vom 18. 4. 1968 m.w.N. mit weiteren Nachweisen Neumann-Dues- Neumann-Duesberg: Betriebsverfassungsrecht, 1960 berg N.F. NeueFolge Nikischi Nikisch: Arbeitsrecht, Bd. I, 3. Auft.1961 Nikisch II Nikisch: Arbeitsrecht, Bd. II, 2. Aufi. 1959 Nikisch III Nikisch: Arbeitsrecht, Bd. III, 2. Auft. 1966 Nipperdey, Nipperdey: Beiträge zum Tarifrecht, 1924 Tarifrecht NJW Neue Juristische Wochenschrift NRW Nordrhein-Westfalen NZfA Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht o. oben Organi:zation of Economic Cooperation and Development OECD Oberster Gerichtshof für die britische Zone OGH Offene Handelsgesellschaft OHG ohne Jahrgang o.J. OJZ Osterreichische Juristenzeitung Oberlandesgericht OLG OLGZ Rechtsprechung der Oberlandesgerichte. Amtliche Sammlung von Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen ORDO Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft Osterr. OGH Oberster Gerichtshof für Osterreich o. V. ohne Verfasser OVG Oberverwaltungsgericht Osterreichische Zeitschrift für öffentliches Recht OZöffR Palandt Palandt: Bürgerliches Gesetzbuch, Kommentar, 30. Aufi. (-Bearbeiter) 1971 PersV Die Personalvertretung (Zeitschrift) PersVG s.BPersVG Protokolle Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs, 1897/99 Die Quelle (Zeitschrift) Quelle Rückseite R RabelsZ Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht

MDR MEW

28 RABI. RAG Rd.A Rdnr. RE Recht Rechtspr. Rechtstheorie

RG RGBl. RGZ Richardi Rspr. RuW RVO

s.

s. (a.)

SAE Säcker Scholz Schnorrvon Carolsfeld SchwBesG SeuffA SGG Siebrecht Sinzheimer Sitzler-Goldschmidt SJZ s.o. Soergel (-Bearbeiter) sog. Söllner SozFort. SozW Sp. Staudinger (-Bearbeiter) str. s.u. Tomandl TVG

Abkürzungsverzeichnis Reichsarbeitsblatt Reichsarbeitsgericht Recht der Arbeit (Zeitschrift) Randnummer Regierungsentwurf Das Recht (Zeitschrift) Rechtsprechung Zeitschrift für Logik, Methodenlehre, Kybernetik und Soziologie des Rechts Reichsgericht Reichsgesetzblatt Amtliche Sammlung von Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Richardi: Kollektivgewalt und Individualwille bei der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses, 1968 Rechtsprechung Recht und Wirtschaft, Monatsschrift der Vereinigung zur Förderung zeitgemäßer Rechtspflege und Verwaltung Reichsversicherungsordnung vom 19. 7. 1911 i. d. F. vom 15. 12. 1924 Seite oder Satz siehe (auch) Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen (Zeitschrift) Säcker: Grundprobleme der kollektiven Koalitionsfreiheit, 1969 Scholz: Koalitionsfreiheit als Verfassungsproblem, 1971 Schnorr von Carolsfeld: Arbeitsrecht, 2. Aufl. 1954 Schwerbeschädigtengesetz i. d. F. vom 14. 8. 1961 Seufferts Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten Sozialgerichtsgesetz i. d. F. vom 23. 8. 1958 Siebrecht: Das Recht im Arbeitskampf, 3. Aufl. 1964 Sinzheimer: Grundzüge des Arbeitsrechts, 2. Aufl. 1927 Sitzler-Goldschmidt: Tarifvertragsrecht (Tarifvertragsordnung), 2. Aufl. 1929 Süddeutsche Juristenzeitung sieheoben Bürgerliches Gesetzbuch, Kohlhammer-Kommentar, begründet von Hs. Th. Soergel, neu herausgegeben von W. Siebert, 10. Aufl., Bd. I, 1967; Bd. II, 1968; Bd. III, 1969 sogenannt Söllner: Arbeitsrecht, 2. Aufl. 1971 Sozialer Fortschritt (Zeitschrift) Soziale Welt, Zeitschrift für sozialwissenschaftliche Forschung und Praxis Spalte J. v. Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 11. Aufl. 1957 ff. streitig sieheunten Tomandl: Streik und Aussperrung als Mittel des Arbeitskampfes, 1965 Tarifvertragsgesetz i. d. F. vom 25. 8. 1969

Abkürzungsverzeichnis TVVO u.a. Ufita Urt. u.U.

v.

VereinsG VermBG VersR VerwA VerwGH VerwRspr. VGH vgl.

vo

Vorb. VVdStRL VwGO Warn. WdA WeimRV Wlotzke

WM WuW WWIMitt. ZAkdR ZaöRV ZAS ZBernJV z.B. ZBR Zeitschr. f. schweiz. Recht ZFA ZfSozR ZfSozW ZGB ZgesStrW ZgesStW ZHR Züf. ZPO ZRP

29

Tarifvertragsverordnung vom 23. 12. 1918/1. 3. 1928 undandere Archiv für Urheber-, Film- und Theaterrecht (Zeitschrift) Urteil unter Umständen vom, von Vereinsgesetz, Gesetz zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts vom 5. 8.1964 Drittes Gesetz zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer i. d. F. vom 27. 6. 1970 Versicherungsrecht, Juristische Rundschau für die Individualversicherung (Zeitschrift) Verwaltungsarchiv (Zeitschrift) Verwaltungsgerichtshof Verwaltungsrechtsprechung in Deutschland (Zeitschrift) Verwaltungsgerichtshof vergleiche Verordnung Vorbemerkung Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung vom 21. 1. 1960 Rechtsprechung des Reichsgerichts, herausgegeben von Warneyer Welt der Arbeit (Zeitschrift) Weimarer Reichsverfassung vom 11. 8. 1919 Wlotzke: Das Günstigkeltsprinzip im Verhältnis des Tarifvertrages zum Einzelarbeitsvertrag und zur Betriebsvereinbarung, 1957 Wertpapier-Mitteilungen, Teil IV: Wertpapier- und Bankfragen, Rechtsprechung (Zeitschrift) Wirtschaft und Wettbewerb (Zeitschrift) Mitteilungen des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts der Gewerkschaften (Zeitschrift) Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für Arbeitsrecht und Sozialrecht (österreichische Zeitschrift) Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins zum Beispiel Zeitschrift für Beamtenrecht Zeitschrift für Schweizerisches Recht Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Sozialreform Zeitschrift für Sozialwissenschaft Schweizerisches Zivilgesetzbuch Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Ziffer Zivilprozeßordnung vom 30. 1. 1877 Zeitschrift für Rechtspolitik

30

z.T. zust. zutr. z.Z. ZZP

Abkürzungsverzeichnis zumTeil zustimmend zutreffend zur Zeit Zeitschrift für Zivilprozeß

Erstes Kapitel

Einleitung § l Problemstellung Im Gegensatz zu den sonstigen Vertragsverhältnissen findet das Arbeitsverhältnis seine rechtliche Regelung nicht nur in den von den Vertragsparteienausgehandelten Abmachungen1 , den vom Arbeitgeber auf 1 Individuell ausgehandelte Vereinbarungen spielen im durchschnittstypischen Normalfall des Arbeitsvertragsschlusses (anders beim Rechtsver-

hältnis des leitenden Angestellten) erfahrungsgemäß keine nennenswerte Rolle. In der Literatur spricht man deshalb vielfach vom "inhaltsleeren Arbeitsvertrag" (Rehhahn, ArbuR 1963, S. 238 f.; ähnlich Söllner, Einseitige Leistungsbestimmung im Arbeitsverhältnis, 1966, S. 11 ff.; Sinzheimer, Der korporative Arbeitsnormenvertrag, Bd. I, 1907, S. 9 ff.). Die folgenden Untersuchungen gehen von einem nicht weiter aufgefächerten Begriff des Arbeitsverhältnisses aus; sie erheben also prinzipiell Anspruch auf Geltung für jedes Arbeitsverhältnis. Davon ausgenommen werden lediglich die Arbeitsverhältnisse der leitenden Angestellten, der Heimarbeiter und der im Haushalt oder in betriebsverfassungsfreien Kleinbetrieben (§ 8 BetrVG) Beschäftigten, da deren Arbeitsverhältnisse im kollektiven Arbeitsrecht keine rechte Heimat gefunden haben und sich in keiner Kollektivsituation befinden, in die AAB Eingang finden und in Kollision mit kollektivvertragliehen Regelungen geraten könnten (vgl. dazu für die leitenden Angestellten sehr klar BGH, 17. 2. 1969, AP Nr. 137 zu § 242 BGB Ruhegehalt; G. Müller, DB 1967, S. 903, 947 f.; für die im Haushalt Beschäftigten Ramm, JuS 1966, S. 223, 225 f.). Nicht unterschieden wird im folgenden nach Rechtsform, Größe, Art und Branchenzugehörigkeit des Betriebes (oder der Dienststelle), auf den (die) das Arbeitsverhältnis sachlich bezogen ist, nicht unterschieden wird ferner nach Arbeitsinhalt, Ausbildung, Einkommenshöhe und Position des einzelnen Arbeitnehmers in der vertikalen Betriebshierarchie. Es soll damit nicht bestritten werden, daß unter Umständen verfeinerte, dem unterschiedlichen Schutzbedürfnis besser Rechnung tragende rechtliche Aussagen möglich sind, wenn man die unterschiedliche soziologische Situation etwa des ungelernten Arbeitnehmers oder des hochqualifizierten Angestellten im industriellen Großbetrieb, in der Landwirtschaft, im Handel oder im Seemannsgewerbe berücksichtigte. Indes - es fehlen betriebs- und arbeitssoziologische Untersuchungen, an die gruppenspezifische, nach Betrieb, Stellung und Arbeitsinhalt differenzierte Interessenwertungen anknüpfen könnten. Die geltenden Arbeitsgesetze (Erstes Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz, Lohnfortzahlungsgesetz), ebenso die Rechtsprechung (vgl. etwa BAG, 13. 9. 1969, AP Nr. 24 zu § 611 BGB Konkurrenzklausel; BAG, 6. 12. 1968, AP Nr. 8 zu § 75 b HGB; BAG, 30. 5. 1969, AP Nr. 9 zu § 75 b HGB; BAG, 5. 12. 1969, AP Nr. 10 zu § 75 b HGB), suchen zudem bestehende Unterschiede in der rechtlichen Behandlung einzelner Arbeitnehmergruppen immer weiter einzuebnen. Damit wird auch die normative Basis für rechtliche Wertungen, die an die unterschiedliche rechtstatsächliche Situation des einzelnen Arbeitnehmers anknüpfen, de lege lata immer schmaler.

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1. Kap.: Einleitung

Grund seines Direktionsrechts2 einseitig festgelegten Arbeitsbedingungen3 und dem ergänzend hinzutretenden staatlichen Gesetzesrecht, sondern vor allem auch in den Inhalts-, Abschluß- und Beendigungsnormen der von den Kollektivvertragsparteien abgeschlossenen Gesamtvereinbarungen (Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen und Dienstvereinbarungen)\ mit deren Hilfe das zwischen den Individualvertragsparteien bestehende Machtungleichgewicht korrigiert und materiell verstandene Privatautonomie auch am Arbeitsmarkt verwirklicht werden soll. Aus dem Zusammenspiel rangverschiedener arbeitsrechtlicher Regelungsfaktoren erwachsen besondere Rechtsprobleme für die vom Arbeitgeber betriebs- oder vom Arbeitgeberverband durch Verbandsrichtlinien gebietseinheitlich festgelegten AUgemeinen Arbeitsbedingungen, die sogenannte arbeitsvertragliche Einheitsregelung5 , die Betriebsübung8 2 Zum Verständnis des Direktionsrechts als einseitiges, durch Unterwerfung des Arbeitnehmers bei Vertragsschluß begründetes, sog. ausfüllendes (Mutter-) Gestaltungsrecht des Arbeitgebers vgl. Bötticher, Gestaltungsrecht und Unterwerfung im Privatrecht, 1964, S. 6 f., 33; Säcker, BB 1966, S. 700 (701) m. w. N.; ferner Schnorr von CaroZsfeZd, Die Herrschaft über den Arbeitsplatz und das Weisungsrecht des Arbeitgebers -Eine Studie über private Macht, in: Festschrift für K. Müller, 1963, S. 585 ff.; anders Adomeit, RdA 1967, S. 297 (301) zu Fußn. 25, der das Direktionsrecht lediglich als Anspruchserhebung des Arbeitgebers aus seinem Recht auf die Arbeitsleistung zu deuten sucht (ebenso Frey, DB 1964, S. 298; Schwarz, RdA 1968, S. 241, 248; z. T. auch HefermehZ, BABl. 1967, S. 310, 315 f.; Böker, Das Weisungsrecht des Arbeitgebers, 1971, S. 20 ff., 38 ff.; dagegen überzeugend Ostheim, Die Weisung des Arbeitgebers als arbeitsrechtliches Problem, in: Verhandlungen des vierten Österreichischen Juristentages Wien 1970, Bd. Ij4, S. 39 ff.; Böttner, Das Direktionsrecht des Arbeitgebers, 1971, S. 57 ff.). Auch Adomeit hat seinen Standpunkt offensichtlich in: Rechtsquellenfragen im Arbeitsrecht, 1969, S. 99 ff., 104 ff., aufgegeben. Durch Einbeziehung der zweiseitigen Gestaltung durch Vertrag in den Begriff des Gestaltungsrechts (so im Rahmen seiner normlogischen Theorie Adomeit, Gestaltungsrechte, Rechtsgeschäfte, Ansprüche, 1969, S. 15 ff.) wird die Differenz ohnehin gemildert, zugleich allerdings auch die spezifische Sachproblematik des einseitigen Gestaltungsrechts verdeckt. Näher dazu unten § 6 B II 2 b (S. 147 ff.) zu Anm. 43-49. 3 Vgl. dazu die eingehende Darstellung bei SöZZner, Einseitige Leistungsbestimmung im Arbeitsverhältnis, 1966, S. 40 ff., 69 ff.; dazu die kritische Besprechung von Bötticher, ArbuR 1967, S. 321, Säcker, BB 1966, S. 1403 und Richardi, RdA 1970, S. 208. 4 Vgl. näher zum System der kollektiven Einigungen Nipperdey-Säcker, AR-Blattei D, Tarifvertrag II Bunter II. 5 Auch als "vertragliche Einheitsgestaltung der Arbeitsbedingungen durch den Arbeitgeber" (BAG, 30. 10. 1962, AP Nr. 1 zu § 4 TVG Ordnungsprinzip) oder als "gesamteinheitliche Festlegung allgemeiner Arbeitsbedingungen" (BAG, 25. 1. 1963, AP Nr. 77 zu Art. 3 GG; BAG, 26. 10. 1962, AP Nr. 87 zu § 242 BGB Ruhegehalt) bezeichnet. 6 Die Betriebsübung (Gesamtübung) wird herkömmlich definiert als mehrfache vorbehaltlose Gewährung von Sozialleistungen an alle oder an bestimmte Gruppen der im Betrieb beschäftigten oder beschäftigt gewesenen Arbeitnehmer; vgl. RAG, 23. 2. 1938, ARS 32, S. 236; RAG, 19.11. 1940, ARS 40, S. 369 (373); BAG, 9. 3. 1961, AP Nr. 5 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; BAG, 18. 7. 1968, AP Nr. 8 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; BAG, 15. 2. 1965, AP Nr. 6 zu § 13 BUrlG; BAG, 4. 10. 1956, AP Nr. 4 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG, 3. 4. 1957, AP Nr. 6 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG, 10. 12. 1965, AP Nr. 105 zu § 242 BGB Ruhegehalt; Enneccerus-Nipperdey, § 153 IV B 2 a

§ 1. Problemstellung

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und die Gesamtzusage7 • Individualrechtlichen Ursprung mit kollektiver Wirkung vereinend, stehen sie, funktionell betrachtet, als Übergangsund Mischformen zwischen den individualrechtliehen und den kollektivrechtlichen Gestaltungsfaktoren des Einzelarbeitsverhältnisses8 •

Das hat in zahlreichen Fällen Literatur und Rechtsprechung veranlaßt, die Allgemeinen Arbeitsbedingungen als Quasi-Normen kollektivrechtlichen bzw. gesetzlichen Regelungen gleichzustellen. Ihre Auslegung soll sich im Gegensatz zur Interpretation von Individualabreden nach den gleichen Grundsätzen richten wie die Auslegung von Kollek(S. 951); Staudinger-Nipperdey-Neumann, § 611 Anm. 204; Seiter, Die Betriebsübung, 1967, S. 73 ff.; Mengel, Die betriebliche Übung, 1967, S. 15 ff.; Füllkrug, Die betriebliche Übung als Erscheinung des Rechtes der Betriebsgemeinschaft, Diss. Köln 1969, S. 3 ff., allem. w. N.; näher dazu unten § 4 (S. 117 ff.). 7 In Anlehnung an die Terminologie Hilgers (Das betriebliche Ruhegeld, 1959, S. 38 ff., 51 ff.) hat der Dritte Senat das BAG in einer Entscheidung vom 12. 3. 1963 (AP Nr. 90 zu § 242 BGB Ruhegehalt) diesen ansprucherzeugenden Tatbestand wie folgt umschrieben: "Das an die ganze Belegschaft oder an die Gruppe der Bedachten gerichtete einseitige Ruhegeldversprechen des Arbeitgebers ist ein in der Praxis seit langem geläufiger Verpflichtungstatbestand. Vom Arbeitgeber einseitig erlassene Ruhegeldordnungen, Versorgungsrichtlinien oder ähnliche betriebliche Regelungen bestehen in zahlreichen Betrieben und bilden die Rechtsgrundlage für die betriebliche Altersversorgung. Es handelt sich hierbei um eine Gesamtzusage, d. h. um eine Willenserklärung des Arbeitgebers, durch die dieser sich verpflichtet, seinen Arbeitnehmern nach Maßgabe der aufgestellten Ordnung die vorgesehenen Leistungen zu gewähren. Eine solche Zusage bindet den Arbeitgeber, wenn dieser sie in geeigneter Form im Betriebe bekanntgegeben hat." In einer Entscheidung vom 30. 10. 1962 (AP Nr. 85 zu § 242 BGB Ruhegehalt) hatte derselbe Senat es noch offen gelassen, ob die rechtliche Wirkung der betrieblichen Übung "als schlüssig erklärtes und vom Arbeitnehmer nach § 151 BGB angenommenes Vertragsangebot oder als einseitige den Arbeitgeber bindende Zusage" zu erklären sei (ebenso erneut wieder in einem Urteil vom 12. 7. 1968, AP Nr. 128 zu § 242 BGB Ruhegehalt), nachdem er zwischenzeitlich wieder in die "konservative" Begründung der stillschweigenden Vereinbarung (s. Fußn. 29-31) eingeschwenkt war; vgl. Urt. v. 17. 5.1966, AP Nr. 110 zu§ 242 BGB Ruhegehalt mit krit. Anm. von Bötticher. Erstmals taucht der Begriff der Gesamtzusage in einer Entscheidung des Ersten Senats des BAG vom 26. 10. 1962 (AP Nr. 87 zu § 242 BGB Ruhegehalt) auf; vgl. das Zitat in Fußn. 16. Näher dazu unten § 15 (S. 460 ff.). 8 Vgl. statt aller G. Schnorr, Die für das Arbeitsrecht spezifischen Rechtsquellen, 1969, S. 20 f., 60 f.; Wlotzke, RdA 1963, S. 1 (6); Adomeit, S. 114; G. Hueck, in: Festschrift für Molitor, 1962, S. 203 (207 f.): Betriebsübung und vertragliche Einheitsregelung seien "kollektiv orientierte Vorgänge. Denn die Betriebsübung beruht ihrem Wesen nach gerade darauf, daß durch ständigen Brauch im Betrieb allgemeine oder doch für eine ganze Arbeitnehmergruppe einheitliche und damit kollektive Regeln entstanden sind. Die vertragliche Einheitsregelung setzt eine solche kollektive Ordnung zwar nicht voraus, läßt sie aber durch die einheitliche Vertragsgestaltung entstehen und ist damit im Ergebnis ebenso, wenn auch nicht ganz so ausgeprägt wie die Betriebsübung, kollektivbezogen. Diese eigentümliche Verbindung von individuellen und kollektiven Elementen läßt die Betriebsübung und die vertragliche Einheitsregelung gesonderte Plätze einnehmen zwischen den nur kollektiv geprägten Formen des Tarifvertrages und der Betriebsvereinbarung einerseits und dem rein individuellen Einzelarbeitsvertrag andererseits". Eingehend dazu unten § 3 B II (S. 96 ff.). 3 Säcker

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1. Kap.: Einleitung

tivvertrags- und Gesetzesnormen9 ; die Auslegung soll in der Revisionsinstanz voll überprüfbar sein10. Die Einhaltung Allgemeiner Arbeitsbedingungen durch den Arbeitgeber soll der Betriebsrat in analoger Anwendung des §54 Abs. 1 lit. b BetrVG bzw. §57 Abs. 1 lit. b BPersVG überwachen dürfen11 • Ihre Abänderung soll wiederum im Gegensatz zur Abänderung sonstiger Individualabreden- wenigstens unter bestimmten Voraussetzungen- eine Umgruppierungsmaßnahme darstellen, die der Mitwirkung des Betriebsrates gemäß § 63 BetrVG bzw. § 71 Abs.1 Buchst. a und b BPersVG unterliegt12. Im Bereich der in §56 BetrVG bzw. § 67 BPersVG aufgezählten sozialen Angelegenheiten soll der Arbeitgeber Allgemeine Arbeitsbedingungen nur nach vorheriger Zustimmung des Betriebsrates rechtswirksam aufstellen können (Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung oder der notwendigen, zwingenden Mitbestimmung)13. Allgemeine formelle Arbeitsbedingungen sollen im Gegensatz zu individuell ausgehandelten formellen Arbeitsbedingungen günstigkeitsneutrat sein14• Der besondere Kündigungsschutz, den ein Betriebsratsmitglied gemäß § 15 KSchG genießt, soll nach herrschender Lehre bei einer Abänderung Allgemeiner Arbeitsbedingungen im Wege kollektiver Änderungskündigung nicht gelten, sondern nur bei Änderung individueller Arbeitsbedingungen eingreifen15• Zwischen Individualübungen und Kollektivübungen soll ein "grundlegender" Unterschied bestehen18• 9 Vgl. BAG, 25. 1.1963, AP Nr. 77 zu Art. 3 GG; BAG, 11.10.1967, AP Nr.1 zu§ 1 TVG Tarifverträge: Rundfunk. 10 Vgl. BAG, 4. 10. 1956, AP Nr. 5 zu§ 550 ZPO; BAG, 30. 9. 1958, AP Nr. 7 zu§ 550 ZPO; BAG, 17.12.1960, AP Nr.11 zu§ 550 ZPO; BAG, 4. 8.1955, AP Nr. 6 zu§ 242 BGB Ruhegehalt; BAG, 13. 11. 1956, AP Nr. 20 zu§ 242 BGB Ruhegehalt in Übereinstimmung mit der allgemeinen Zivilrechtsjudikatur; vgl. dazu eingehend unten § 7 B, namentlich Stumpf, in: Festschrift für Nipperdey, 1965, Bd. I, S. 957 ff. 11 Vgl. Hueck-NippeTdey II/2, § 69 (S. 1358) Fußn. 78; Fitting-KraegelohAuffaTth, §54 Anm. 9. 12 Vgl. GalpeTin-SiebeTt, § 60 Anm. 18-20; Hueck-NippeTdey II/2, § 71 (S. 1419) Fußn. 25. 13 Vgl. BAG, 7. 9.1956, AP Nr. 2 zu§ 56 BetrVG; BAG, 1. 2.1957, AP Nr. 4 zu § 56 BetrVG; BAG, 16. 12. 1960, AP Nr. 22 zu § 56 BetrVG, zuletzt BAG, 31. 1. 1969, AP Nr. 5 zu § 56 BetrVG Entlohnung = SAE 1969, S. 179 mit abl. Anm. von RichaTdi (gegen dessen in der Festschrift für Lübtow, 1970, S. 755 ff. erneuerte und ausgebaute Argumentation SäckeT, JurA 1970, S. 165, 172); wie Richardi auch Dietz, § 56 Rdnr. 1 ff., 7 ff., 41 ff.; im Sinne des BAG dagegen die ganz h. L.; vgl. Hueck-NippeTdey II/2, § 70 B III 2 (S. 1390) mit Fußn. 39. Näher dazu unten § 11 B II (S. 350 ff.). 14 So etwa RichaTdi, S. 328, 385; deTs., RdA 1965, S. 49 (51, 56); dazu unten § 10 (S. 315) zu Fußn. 223. 15 So die h. L.; vgl. die Nachweise bei Hueck-Nipperdey II/2, § 67 B II 3 (S.1360); a. A. indes BAG, 24. 4.1969, AP Nr.18 zu§ 13 KSchG; dazu kritisch SäckeT, JurA 1970, S.l65 (176), Fitting-KTaegeloh-AuffaTth, §53 Anm. 22 und BAG, 30. 1. 1970, AP Nr. 142 zu § 242 BGB Ruhegehalt (unter B IV 3 c der Gründe). 16 So RichaTdi, Anm. zu BAG AP Nr. 6 zu§ 242 BGB Betriebliche übung.

§ 1. Problemstellung

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Bei der inhaltlichen Gestaltung Allgemeiner Arbeitsbedingungen soll der Arbeitgeber an die Grundrechtsbestimmungen gebunden sein; er soll sie namentlich nur unter Beachtung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs.l GG) abändern bzw. nur bei Vorbehalt des Widerrufs revozieren können. Denn es soll nicht auf den juristischen Entstehungstatbestand (Arbeitsvertrag), sondern auf den gesamteinheitlichen Inhalt der Arbeitsbedingungen ankommen: "Eine solche allgemeine Regelung, die objektiv für alle Arbeitnehmer ohne Rücksicht auf die besonderen Verhältnisse des einzelnen Arbeitnehmers anwendbare Merkmale und Bemessungsgrundsätze aufstellt, trägt zwar keinen normativen Charakter. Sie ist aber gesamteinheitlich, kollektiv aufzufassen und untersteht, ebenso wie eine normative Regelung, als eine allgemeine Ordnung dem Gleichheitsprinzip des Art. 3 GG17." Allgemeine Arbeitsbedingungen sollen ebenso wie (nachwirkende) Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen der kollektivvertragliehen Abänderung unterworfen sein (kollektivrechtliches Ordnungsprinzip)18• In einer Entscheidung vom 30. Januar 197018 hat der Dritte Senat des Bundesarbeits17 BAG, 18.10.1961, AP Nr. 69 zu Art. 3 GG; BAG, 25. 1.1963, AP Nr. 77 zu Art. 3 GG mit zust. Anm. von Mayer-Maly. Näher dazu unten § 9 C (S. 228 ff.). 18 Vgl. BAG, 28. 2. 1956, AP Nr. 1 zu § 242 BGB Betriebliche Übung für den Tarifvertrag; BAG, 1. 2. 1957, AP Nr. 1 zu § 32 SchwBeschG für die Betriebsvereinbarung (beide Entscheidungen allerdings noch ohne Begründung); BAG, 20. 12. 1957, AP Nr. 11 zu Art. 44 Truppenvertrag unter Berufung auf die Ordnungsfunktion der Tarifautonomie; ebenso BAG, 27. 11. 1958, AP Nr. 26 zu Art. 44 Truppenvertrag; BAG, 4. 2. 1960, AP Nr. 7 zu § 4 TVG Günstigkeitsprinzip; ebenso für die Betriebsvereinbarung BAG, 26. 10.1962, AP Nr. 87 zu § 242 BGB Ruhegehalt; BAG, 30. 10. 1962, AP Nr. 1 zu § 4 TVG Ordnungsprinzip; BAG, 30. 1. 1970, AP Nr. 142 zu § 242 BGB Ruhegehalt. Auch der Große Senat des BAG, 17. 12. 1959, AP Nr. 21 zu§ 616 BGB (Bl. 13 R) hat die Kompetenz der Kollektivparteien zur Abänderung Allgemeiner Arbeitsbedingungen uneingeschränkt bejaht: "Tritt an die Stelle einer bisherigen allgemeinen Regelung eines arbeitsrechtlichen Tatbestandes eine neue allgemeine Regelung dieses Tatbestandes, so werden die bestehenden Arbeitsverhältnisse in vollem Umfang von ihr ergriffen. Diese Rechtslage gilt ohne Rücksicht darauf, ob die bisherigen Regeln günstiger waren als die der neuen Regelung. Eine andere Auffassung würde die Ordnungsprinzipien der Rechtsordnung weitgehend beseitigen, ganz gleich wie man ein solches Ergebnis dogmatisch begründet. Dann könnte eine einheitliche Ordnung mit normativer Wirkung für die bestehenden Arbeitsverhältnisse immer nur zugunsten der Arbeiter verbessert, niemals aber zu ihren Lasten geändert werden." Zum gegenwärtigen Stand der höchst kontroversen Diskussion vgl. die Übersicht bei Hueck-Nipperdey 11/1, § 30 IV 4 c, VI 1, VII 3 (S. 585 ff.), Bd. II/2, § 67 A IV 2 b (S. 1294 ff.) und NachtragS. 1675 ff.; eingehend dazu unten § 10 B IV 4, 5 (S. 308 ff.) mit umfassenden Nachweisen in Fußn. 252 und § 11 (S. 355 ff.) mit Nachweisen in Fußn. 48. 18 BAG, AP Nr. 142 zu § 242 BGB Ruhegehalt; BAG, 5. 2. 1971, AP Nr. 10 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; ebenso der Erste Senat in einem Urteil vom 26. 10. 1962, AP Nr. 87 zu § 242 BGB Ruhegehalt: "Die Parteien streiten darüber, ob bis zum Inkrafttreten der Betriebsvereinbarung aus dem Jahre 1959 das Anwartschaftsrecht des Klägers auf einer Betriebsvereinbarung oder auf einer Gesamtzusage, d. h. auf einer arbeitsvertragliehen Einheitsregelung,

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1. Kap.: Einleitung

gerichts dies für allgemeine betriebliche Regelungen erneut bekräftigt und deshalb von vornherein auf die Klärung der Frage verzichtet, ob die Abmachung, die zum Nachteil der Arbeitnehmer abgeändert worden war, als eine einseitig vom Arbeitgeber aufgestellte allgemeine betriebliche Ordnung oder als eine zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat abgeschlossene Betriebsvereinbarung anzusehen war. In anderen Fällen wiederum wird eine Einordnung der Allgemeinen Arbeitsbedingungen in das System des kollektiven Arbeitsrechts abgelehnt. So sind im Gegensatz zu den Normen eines Tarifvertrags oder einer Betriebsvereinbarung die Allgemeinen Arbeitsbedingungen abdingbar; das kollektivrechtliche Unabdingbarkeitsprinzip (§ 4 Abs.l und Abs. 3 TVG) gilt unstreitig nicht für sie 20. Ebenso wird die analoge Anwendung des § 59 BetrVG bzw. des § 69 BPersVG auf Allgemeine betriebliche Arbeitsbedingungen als ungerechtfertigt zurückgewiesen21 • Tarifverträgen wird bei der Ausgestaltung grundrechtsrelevanter Vertragsbestimmungen (z. B. bei Kündigungserschwerungen durch Rückzahlungsklausein bei Gratifikationen) eine größere "Bandbreite des Ermessens"22 eingeräumt als den Allgemeinen Arbeitsbedingungen. Nur bei inhaltlicher Orientierung an einem solchen einschlägigen Tarifvertrag sollen für die Nichttarifgebundenen gleichlautende Allgemeine Arbeitsbedingungen zulässig sein23• beruhte. Dieser Streit bedarf keiner Entscheidung. Denn entgegen der Ansicht des Klägers kann nicht nur ein auf Betriebsvereinbarung beruhendes Recht durch eine andere Betriebsvereinbarung beschnitten werden. Vielmehr besteht die Möglichkeit, die Rechtslage durch eine (ungünstigere) Betriebsvereinbarung zu ändern, auch dann, wenn eine generelle betriebliche Regelung nicht normativ, sondern als arbeitsvertragliche Einheitsregelung galt. Das ergibt sich aus dem Ordnungsprinzip, das, wie der Senat wiederholt entschieden hat, auch gegenüber generellen, nicht individuellen Regelungen auf arbeitsvertraglieber Grundlage jedenfalls dann eingreift, wenn, wie der Senat z. T. einschränkend bemerkt, die neue kollektive normative Ordnung den gleichen Geltungsbereich hat." Ebenso der Zweite Senat des BAG, 25. 3. 1971, AP Nr. 5 zu § 57 BetrVG mit zust. Anm. von Säcker. 20 Die Unabdingbarkeit ist spezifisches und auf sie allein beschränktes Wesensmerkmal der (schriftlich verlautbarten) Normen des Tarifvertrages und der Betriebs-(Dienst-)vereinbarung; vgl. Hueck-Nipperdey II/1, § 30 VII 1 (S. 588). 21 Vgl. BAG, 24. 7. 1958, AP Nr. 6 zu § 611 BGB Akkordlohn; Säcker, RdA 1967, S. 370 (372) m. w. N. in Fußn.18. Näher dazu unten § 10 B IV 1 (S. 294 ff.). 22 Gamillscheg, RdA 1968, S. 407 (409); vgl. dazu auch Herschet, DB 1967, S. 245; Wiedemann, RdA 1969, S. 321 (324 f.); Btomeyer-Buchner, Rückzahlungsklauseln im Arbeitsrecht, 1969, S. 27 ff. m. w. N. 23 Zu dieser Rechtspr., die nunmehr in den §§ 13 Abs. 1 Satz 2 BUrlG, 2 Abs. 3 Satz 2 LFG und 622 Abs. 3 Satz 2 BGB eine tragfähige Analogiebasis findet, vgl. BAG, 31. 3. 1966, AP Nr. 54 zu § 611 BGB Gratifikation mit zust. Anm. von Biedenkopf; BAG, 23. 2. 1967, AP Nr. 57 zu § 611 BGB Gratifikation mit zust. Anm. von A. Hueck; BAG, 16. 11. 1967, AP Nr. 63 zu § 611 BGB Gratifikation mit zust. Anm. von GamiHscheg; LAG Bremen, 14. 4. 1967, AP Nr. 60 zu § 611 BGB Gratifikation.

§ 1. Problemstellung

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Maßstäbe dafür, wann auf die Individualität des Ursprungs, wann auf die KoZlektivität der Wirkung abzustellen ist, fehlen. Das umfangreiche Sonderrecht der Allgemeinen Arbeitsbedingungen ist nicht aus einer allgemeinen Theorie der Allgemeinen Arbeitsbedingungen systemgebunden-deduktiv abgeleitet, sondern problemorientiert und kasuistisch von Rechtsprechung und Wissenschaft, von Fall zu Fall vorwärts tastend, praeter legem entwickelt worden. Deshalb sind nahezu alle der vorstehend aufgeführten Einzelaussagen über die rechtliche Beurteilung der Allgemeinen Arbeitsbedingungen umstritten. Generell leugnen läßt sich die Existenz des in den vergangenen 15 Jahren entstandenen Sonderrechts der Allgemeinen Arbeitsbedingungen heute indes nicht mehr. Die hier vorgelegte Arbeit dient der kritischen Bestandsaufnahme, der methodischen und privatrechtsdogmatischen Verarbeitung dieser Entwicklung, wobei es gilt, dieses im Spannungsfeld von Individual- und Kollektivautonomie (Tarif-, Betriebs-, Dienstvereinbarungsautonomie) angesiedelte Sonderrecht der Allgemeinen Arbeitsbedingungen möglichst nahtlos (d. h. unter Herausarbeitung der jeweils prävalenten Wertungsgesichtspunkte) in das Gesamtsystem des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts einzupassen und so Bleibendes vom Vergänglichen im Recht der Allgemeinen Arbeitsbedingungen voneinander zu scheiden sowie Maßstäbe für eine dogmatisch kontrollierte, folgerichtige Fortentwicklung dieses Sachgebietes aufzuzeigen. Eine dogmatische Untersuchung der Allgemeinen Arbeitsbedingungen setzt zunächst eine Klärung der Sachstruktur der als Allgemeine Arbeitsbedingungen angesprochenen Phänomene voraus. In den bisherigen Denkkategorien des Arbeitsrechts, vermittelt durch Rechtsprechung und Doktrin, erscheinen die Allgemeinen Arbeitsbedingungen als "arbeitsvertragliche Einheitsregelungen", als "betriebliche (kollektive) Übungen" oder als "Gesamtzusagen (Kollektivzusagen)". Bei ihrer Definition ist eine Bezugnahme auf die Verwendung dieser Ausdrücke im Alltagsleben der Sprachgemeinschaft nicht möglich, da sie nicht auf bekannten Allgemeinvorstellungen gründen, sondern zur Kategorie rechtlicher Ordnungsbegriffe, sog. primärer Rechtsbegriffe, gehören, die der rechtswissenschaftlichen Systematisierung eines rechtserheblichen menschlichen Verhaltens dienen24 • Sie sind sprachliche Neuschöpfungen der Rechtswissenschaft und Praxis ohne gesetzliche Grundlage; sie sind Typenbegriffe25, die bislang noch in keinem klassifikatorischen System 24 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 2. Aufl. 1969, S. 217 f., 302 f., 417 f. 25 Zur Verwendung und Funktion des Typusbegriffs in der Rechtswissenschaft, vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 2. Aufl. 1969, S. 423 ff.; ders., Typologisches Rechtsdenken, ARSP 34 (1940), S. 20 ff.; ders., in: Festschrift für H. und M. Glockner, 1966, S. 149 ff.; Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 2. Aufl. 1969, S. 272 (der von Wesensbegriffen spricht, die

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1. Kap.: Einleitung

stabilisiert wurden, und umschließen daher eine Vielfalt verschiedenartiger Sachverhalte26 , deren gemeinsame, rechtlich wesentliche Beschaffenheitsmerkmale erst noch in entsprechenden Definitionselementen eingefangen werden müssen. Die dogmatische Analyse steht demgemäß vor einer doppelten Schwierigkeit: sie hat (1) zwecks klarer Erkenntnis der tatsächlichen Verhältnisse, die einer rechtlichen Beurteilung unterzogen werden sollen, die mit den obigen Typenbegriffen bezeichneten realen Lebenssachverhalte durch präzise Differenzierung in ihrer spezifischen Eigenart zu erfassen und - als Voraussetzung wissenschaftlicher Verständigung über den genauen Inhalt des Gemeinten27 - in den einzelnen Definitionsmerkmalen deren

sich "auf wertgeprägte Phänomene des sozialen Lebens" beziehen); H. J. Wolf!, Studium Generale 5 (1952), S. 195 ff.; Radbruch, Internationale Zeitschrift für Theorie des Rechts 12 (1937), S. 46 ff.; Engisch, Die Idee der Konkretisierung in Recht und Rechtswissenschaft unserer Zeit, 2. Aufl. 1968, S. 237 ff., 308 f.; Henkel, Einführung in die Rechtsphilosophie, 1964, S. 351 ff.; Arthur Kaufmann, Analogie und "Natur der Sache". Zugleich ein Beitrag zur Lehre vom Typus, 1965, S. 36 ff.; Zippelius, in: Festschrift für Engisch, 1969, S. 224 ff.; Hassemer, Tatbestand und Typus, 1968; Hempel, in: Albert (Hrsg.), Theorie und Realität, 1964, S.191 ff.; v . Kempski, ebenda, S. 209 ff.; Strache, Das Denken in Standards, 1968; Gerken, Der Typusbegriff in seiner deskriptiven Verwendung, ARSP 50 (1964), S. 367 ff. Beispiele für die Fruchtbarkeit typologischen Denkens in der modernen Jurisprudenz liefern Koller, Grundfragen einer Typuslehre im Gesellschaftsrecht, 1967, S. 56 ff., 148 ff.; E. E. Hirsch, Das Recht als soziales Ordnungsgefüge, 1968, S. 161 ff., 323 ff.; Diederichsen, Die Haftung des Warenherstellers, 1967, S. 331 ff.; Raisch, JZ 1965, S. 625 (625 f., 629); ders., Geschichtliche Voraussetzungen, dogmatische Grundlagen und Sinnwandlung des Handelsrechts, 1965, S. 34 ff.; Zöllner, FamRZ 1965, S. 113 ff.; Herschel, in: Festgabe für 0. Kunze, 1969, s. 255 ff. 26 Vgl. Isele, SAE 1963, S. 153 und JZ 1964, S. 113 (119); G. Hueck, in: Festschrift für Molitor, 1962, S. 203 (218); ders., Anm. zu BAG AP Nr. 87 zu § 242 BGB Ruhegehalt; Dreyer, Die einzelvertragliche Einheitsregelung, Diss. Harnburg 1966, S. 2 ff., 17 ff.; Richardi, S. 404; ders., RdA 1965, S. 49 (55), allerdings überspitzt: "Bunt, wie menschliches Handeln nur sein kann, sind auch vertragliche Einheitsregelungen gestaltet." 27 Die von manchen Anhängern der rechtssoziologischen Schule vertretene Auffassung, jeder Versuch, die Typik zu überwinden und das klassiftkatorische System zu stabilisieren, sei sinnlos (vgl. E. Ehrlich, Grundlegung der Soziologie des Rechts, 1923, S. 274: die Rechtswissenschaft müsse endlich "den lächerlichen Mummenschanz der abstrakten Begriffsbildung und Konstruktion für immer ablegen"), dürfte heute überwunden sein. Die Unentbehrlichkeit exakter rechtlicher Allgemeinbegriffe für die Rechtsinhaltsdarstellung betonen zutreffend Heck, AcP 146 (1941), S.1 ff.; Kegel, in: Festschrift für Lewald, 1953, S. 259 ff.; Wagner, Grundbegriffe des Beschlußrechts der Europäischen Gemeinschaften, 1965, S. 33; Wenger, Die öffentliche Unternehmung, 1969, S. 209 ff.; Mayer-Maly, in: Festschrift für Nipperdey, Bd. I, 1965, S. 509 (522); H. J . Wolf!, Studium Generale 5 (1952), S.195 (204f.); E. Bucher, Zeitschrift für Schweizerisches Recht Bd. 85 (1966), S. 213 (218 ff., 221 ff.), der zu Recht auch darauf hinweist, daß die Tradition der rechtlichen Denkformen gleichzeitig eine Richtlinie für die künftige Rechtsentwicklung bilde. Die gegenwärtig vornehmlich vom Neuhegelianismus (E. Kaufmann, Kritik der neukantischen Rechtsphilosophie, 1921, S. 75; J. Binder, Philosophie des

§ 1. Problemstellung

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charakteristische Eigenschaften unter Abstraktion von allem Akzidentellen und Individuellen exakt zu beschreiben und (2) die auf diesem Wege abgegrenzten Sachverhalte durch Auffinden geeigneter, passender Bewertungsmaßstäbe und deren Einordnung in das bestehende Gesamtsystem rechtlicher Ordnung möglichst sach- und systemgerecht zu beurteilen. Während die erste Aufgabe in ihrer Bedeutung für den Rechtsfindungsprozeß häufig noch gar nicht voll erkannt wird28, wird die zweite Aufgabe trotz vielfältiger, intensiver Bemühungen der letzten Zeit21 Rechts, 1925, S. 885 ff.; W. Schönfeld, Von der Rechtserkenntnis, 1932, S. 78 ff.; Larenz, DRW 5 [1940], S. 279 ff., fortentwickelt in: Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 2. Aufl. 1969, S. 31, 111, 218 ff., vor allem 419 ff., 480 f., 487 ff.; im wesentlichen zust. Brecher, Das Unternehmen als Rechtsgegenstand, 1953, S.ll ff.; Ballerstedt, in: Festgabe für Schmidt-Rimpler, 1957, S. 369, 383 f.): geäußerte Kritik, der durch isolierende Abstraktion gewonnene allgemeine Begriff sei ungeeignet, eine Erscheinung in der Einheit des ihr innewohnenden Daseinssinnes adäquat zu erfassen, da er mit fortschreitender Abstraktionshöhe zu immer Sinnentleerteren Definitionen und zu unsachgemäßer Herausbildung kontradiktorischer Gegensätze führe, ist nicht berechtigt. Die Funktion systematischer Begriffsbildung besteht gerade darin, Oberbegriffe zu schaffen, unter die ein bestimmtes rechtliches Phänomen subsumiert werden kann. Rechtlich wesentlichen Beschaffenheitsmerkmalen wird ein eigenes Definitionselement zugeordnet. Die vom Neuhegelianismus als Ersatz angebotenen "konkreten" Allgemeinbegriffe, die "Quellgrund des Sinnes aller besonderen Rechtserscheinungen" (Larenz, Methodenlehre S. 474), "zugleich Norm und Maß" (S. 477) sein sollen, sind vom formallogischen Standpunkt aus entweder Typenbegriffe (vgl. Engisch, Die Idee der Konkretisierung in Recht und Rechtswissenschaft unserer Zeit, 2. Auft. 1968, S. 174, 176; Dreier, Zum Begriff der "Natur der Sache", 1965, S. 76 Fußn. 413) oder abstrakte Begriffe lediglich unterschiedlicher Abstraktionshöhe. Larenz (Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 2. Auft. 1969, S. 475) selbst muß einräumen: "Wer sich auf den ,konkreten Begriff' einläßt, verläßt den Boden einigermaßen als gesichert geltender Denkmethoden, er setzt sich damit nicht geringen Gefahren aus." Die wissenschaftstheoretische Konsequenz aus der zugestandenen "Ungesichertheit" der konkreten Ableitungen aus dem konkret-allgemeinen Begriff kann nur der Verzicht auf dieses "Sinngebilde" und die ihm zugeordnete dialektische Hermeneutik als Grundlage einer juristischen Auslegungslehre sein; s. dazu unten § 2 B (S. 55 ff.) und näher Säcker, S. 104 ff. 18 Erst in den letzten Jahren ist das Bewußtsein für diese Aufgabe wieder geschärft worden; vgl. dazu vor allem die in dem Sammelband: Das Verhältnis der Wirtschaftswissenschaft zur Rechtswissenschaft, Soziologie und Statistik, Schriften des Vereins für Socialpolitik, Bd. 33 (1964) enthaltenen Beiträge Biedenkopfs, Mestmäckers und Raisers; ferner Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 2. Auft. 1969, S. 433 ff.; Rittner, in: Zur Einheit der Rechtsund Staatswissenschaften, Ringvorlesung der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, 1967, S. 97 ff. Wenger, Die öffentliche Unternehmung, 1969, S. 165 ff., 243 ff. Methodologisch und sachlich unreflektiert erscheint dagegen das modische Postulat, die Bewertungsaufgabe der Jurisprudenz durch Soziographie zu ersetzen (so etwa Ostermeyer, DRiZ 1969, S. 9 ff.). Näher dazu unten § 5 B (S. 128 ff.). 29 Vgl. dazu die zahlreichen im Literaturverzeichnis aufgeführten, thematisch einschlägigen Titel, namentlich die Arbeiten Herschels (1932), Nipperdeys

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1. Kap.: Einleitung

methodologisch, zum Teil auch sachlich höchst unbefriedigend gelöst, wie das folgende Beispiel verdeutlichen mag: Der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts30 sieht, offenbar im Anschluß an Hilger 3\ in einem an die Gesamtbelegschaft gerichteten einseitigen Leistungsversprechen des Arbeitgebers eine ausreichende Rechtsgrundlage für Ansprüche des Arbeitnehmers gegen seinen Arbeitgeber. Dieser sei durch die einseitige Gesamtzusage rechtlich verpflichtet, den Betriebsangehörigen nach Maßgabe der aufgestellten Ordnung die versprochenen Leistungen zu gewähren. Eine solche Zusage soll verbindlich sein, wenn sie in geeigneter Form im Betriebe bekanntgegeben worden ist. Der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts31 hält dagegen strikt an der traditionellen, heute vor allem noch von Alfred und Götz Hueck33 verteidigten Ansicht fest, daß eine betriebliche übung oder eine sonstige generelle Leistungszusage nur dann als Grundlage eines arbeitsvertragliehen Anspruchs in Betracht komme, wenn sie "zum ausdrücklichen oder stillschweigend vereinbarten Inhalt des Einzelarbeitsvertrages geworden ist" 34• Beide Senate haben im Schrifttum ihre Verteidiger, aber auch ihre Gegner gefunden. Die einen preisen die Entscheidung des Dritten Senats als eine geglückte richterliche Rechtsfortbildung und kritisieren die Entscheidungen des Fünften Senats als fiktionsbeladene Konstruktionsjurisprudenz35• Die anderen loben die Be(1937), Sieberts (1955), Wlotzkes (1957), Hilgers (1959), Iseles (1960, 1964), Richardis (1960, 1965, 1968), G. Huecks (1962), Karakatsanis' (1963) und Adomeits (1969). 30 BAG, 12. 3. 1963, AP Nr. 90 zu§ 242 BGB Ruhegehalt; s. oben Fußn. 7. 31 Hilger, Das betriebliche Ruhegeld, 1959, S. 51 ff.; vgl. auch bereits dies., BB 1958, S. 417 ff. 32 BAG, 15. 2. 1965, AP Nr. 6 zu§ 13 BUrlG; BAG, 13.10. 1960, AP Nr. 30 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAG, 9. 3. 1961, AP Nr. 5 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; BAG, 17. 9. 1970, AP Nr. 9 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; ebenso der Vierte Senat des BAG; vgl. zuletzt BAG, 14. 12. 1966, AP Nr. 27 zu §59 BetrVG; BAG, 26. 4. 1961, AP Nr. 5 zu§ 4 TVG Effektivklausel. 33 A. Hueck, in: Festschrift für H. Lehmann, 1956, Bd. li, S. 633 ff.; HueckNipperdey I, § 25 V 1 (S. 152); G. Hueck, AR-Blattei D, Betriebsübung I unter B li 1; ebenso auch Richardi, S. 302 ff;; ders., RdA 1960, S. 401 (402 f.); weitere Nachweise in§ 4 (S.117 ff.). 34 BAG, 15. 2. 1965, AP Nr. 6 zu § 13 BUrlG und die übrigen in Fußn. 32 genannten Entscheidungen, sowie BAG, 18. 7.1968, AP Nr. 8 zu § 242 BGB Betriebliche Übung: "Nach der Rechtsprechung insbesondere des erkennenden Senats wohnt einer im Betrieb bestehenden Übung weder als sogenannte konkrete Ordnung des Betriebes eine normative Kraft inne noch stellt sie ein betriebliches Gewohnheitsrecht dar; die rechtliche Bedeutung der betrieblichen Übung beruht lediglich auf der Möglichkeit, ihren Inhalt zur Grundlage einer ausdrücklichen oder stillschweigenden vertraglichen Vereinbarung zu machen." 35 Vgl. Adomeit, S.109 ff.; ders., BB 1964, S. 599 ff.; Soergel-Wlotzke-Volze, § 611 Rdnr. 116; kritisch gegenüber der Zerlegungskonstruktion des Fünften Senats auch Nikisch I, S. 264; Hanau, AcP 165 (1965), S. 220 (260 ff.); Söllner, S. 34 ff.; ders., SAE 1969, S. 19; Seiter, Die Betriebsübung, 1967, S. 92 ff.; ders.,

§ 1. Problemstellung

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harrungskraft des Fünften Senats und kritisieren den Dritten Senat, weil er dogmatisch gesichertes Terrain verlassen und einen höchst zweifelhaften Rechtsgrundsatz aufgestellt habe, von dem man noch nicht wisse, "wieviel Unheil oder zumindest Verwirrung er noch im Gefolge haben werde" 38 • Aus solcher Stellungnahme und Vorabentscheidung über die Rechtsnatur der Ansprüche aus Gesamtzusage und Betriebsübung wird dann vielfach, häufig sogar mit dem Anspruch rechtslogisch unausweichlicher Notwendigkeit37, die juristische Behandlung der Institution im einzelnen abgeleitet. So folgern manche Kritiker der Lehre vom kollektivrechtlichen Ordnungsprinzip allein aus der Individualvertragskonstruktion der betrieblichen Übung und Gesamtzusage die Unzulässigkeit jeder kollektivrechtlichen Verschlechterung bestehender Gesamtzusagen und Betriebsübungen, sofern nicht zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ein Abänderungsvorbehalt zugunsten eines späteren Kollektivvertrages ausdrücklich oder stillschweigend vereinbart worden sei38• Wieder andere verneinen die Wirksamkeit einer kollektivrechtlichen Abänderung zuungunsten der Arbeitnehmer bei Ansprüchen aus arbeitsvertraglicher Einheitsregelung, haben dagegen keine Bedenken gegen eine Verschlechterung der aus betrieblicher Übung resultierenden Ansprüche durch eine neue Gesamtvereinbarung, sofern man nur die betriebliche Übung nicht lediglich als Rechtserkenntnisquelle, sondern als eine eigenständige Rechtserzeugungsquelle deute39• Die in solchen Stellungnahmen SAE 1969, S. 23 f.; Bötticher, Anm. zu BAG AP Nr. 110 zu§ 242 BGB Ruhegehalt; Wiedemann, Anm. zu BAG AP Nr. 121 zu § 242 BGB Ruhegehalt; ders., Anm. zu BAG AP Nr. 8 zu§ 242 BGB Betriebliche Übung; weitere Nachweise unten in§ 4. 36 Zöllner, Anm. zu BAG AP Nr. 90 zu § 242 BGB Ruhegehalt; R i chardi, S. 302 f. ; G. Hueck, AR-Blattei D, Betriebsübung I unter A li 2 d; Seiter, Die Betriebsübung, 1967, S. 93 ff.; Böttner (s. Fußn. 2), S. 50. 37 Zur "Logik der Logik" solcher Schlüsse vgl. Scheuerle, ZZP 78 (1965), S. 32 (59): "Sie (sc.: die logische Notwendigkeit) tritt als Kryptaargument auf, indem sie auf klassische Operationen zugunsten eines fragwürdigen Engagements der Logik verzichtet. Wer eine Lücke füllen oder eine neue Form schaffen will, soll bekennen, woher das Normgut kommt." 38 Vgl. etwa LAG Niedersachsen, 10. 7. 1968, AP Nr. 7 zu § 242 BGB Betriebliche Übung (in einem obiter dictum); Neumann-Duesberg, S. 397 ff.; ders., JZ 1960, S. 525 (526); Söllner, 8 . 166; ders., Einseitige Leistungsbestimmung im Arbeitsverhältnis, 1966, S. 38 f.; Zöllner, RdA 1969, S. 250 (253 f.); Richardi, S. 401 ff.; ders., RdA 1965, S. 49 (53 ff.); Brox, BB 1966, S. 1190 (1191); Isele, JZ 1964, S. 113 (117); G. Hueck, in: Festschrift für Molitor, 1962, S. 203 (221 ff., 226 f .); vermittelndAdomeit, S.117f.; weitere Nachweise unten in§ 10 B IV 3 (S. 300ff.). 39 So Gramm, ArbuR 1961, S. 353 (356 f.), der die betriebliche Übung als Gewohnheitsrecht gedeutet und unter dieser Voraussetzung ihre uneingeschränkte Abänderbarkeit durch Kollektivvertrag bejaht wissen möchte; Söllner, S. 166, der die Anwendung des Ordnungsprinzips nur dann für gerechtfertigt hält, "wenn die vom Arbeitgeber gesetzten Einheitsregelungen ebenso wie Betriebsvereinbarungen Rechtsquellen (im technischen Sinne) dar-

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1. Kap.: Einleitung

zum Ausdruck gelangende Polyphonie der Meinungen über die rechtliche Behandlung Allgemeiner Arbeitsbedingungen ist angesichts der hier anzutreffenden "Gemengelage" individual- und kollektivvertragsrechtlicher Wertungen nicht erstaunlich. Um Unstimmigkeit und Unsicherheit bei der Auswahl der entscheidungserheblichen. Kriterien zu beseitigen oder doch wenigstens auf ein Minimum zu reduzieren, ist daher eine eingehende Untersuchung unter den unter (1) und (2) genannten Aspekten erforderlich.

stellen würden" ; Steinwedel, DB 1963, S. 1572 (1574), der meint: "Jeweils nach der Konstruktion der betrieblichen Übung richtet sich die Beantwortung der Frage nach der Beendigung der daraus folgenden Rechtswirkungen." Eine Begründung dafür, warum eine Rechtsposition gewohnheitsrechtliehen Ursprungs gegenüber Gesamtvereinbarungen weniger geschützt sein soll als eine auf AAB beruhende Rechtsposition, sucht man allerdings vergeblich.

~

2 UntP-rsuchunl!:smethode

A. Die Lückenhaftigkeit der gesetzlichen Regelung Allgemeiner Arbeitsbedingungen Die in § 1 vermittelte erste grobe und vorläufige Übersicht über den Stand der Diskussion dürfte bereits deutlich gemacht haben, daß die bestehenden Meinungsverschiedenheiten über die rechtliche Behandlung Allgemeiner Arbeitsbedingungen ihren Grund nicht ausschließlich in empirisch und rational unauflösbaren Antinomien divergierender, durch gesetzgeberische Dezision nicht abgeschnittener rechtspolitischer Interessenbewertungen haben, sondern auch auf unzureichende rechtstatsächliche Erforschung des regelungsbedürftigen sozialen Substrats und auf die Anwendung einer verfehlten begrifflich-formalen Rechtsfindungsmethode zurückgeführt werden müssen. Bereits 1931 sprach Heinrich Lehmann in einer Abhandlung über "Die Betriebsvereinbarung" von der befremdlichen Entdeckung, daß gerade die Arbeitsrechtswissenschaft "anstatt einer zweckforschenden Deutung vielfach in die einer kleinlichen Wortdeutung der einzelnen Bestimmungen verfallen"1 sei. Da man gemeinhin geneigt ist, das zum großen Teil als "case law" vom Richter entwickelte Arbeitsrecht2 pauschal als weniger rein dogmatischen Erwägungen zugetan, als pragmatischer, als lebensnäher 1 Lehmann, in: Festschrift für E. Heymann, 1931, Bd. II, S. 1274 f.; näher dazu Säcker, RdA 1969, S. 291 (299 ff.). 2 Kennzeichnend dafür ist die vielfach aufgegriffene (vgl. z. B. Rüthers, Der Staat 1967, S. 101 ff.; ders., ArbuR 1967, S. 129 f.; Söllner, ArbuR 1966, S. 257, 259) und angegriffene (vgl. Ramm, JZ 1964, S. 582 ff.; ders., ArbuR 1967, S. 97,107) Feststellung Gamillschegs (AcP 164 [1964], S. 385,388, 445), der Richter sei der eigentliche Herr des Arbeitsrechts. Dieser als Ergebnis einer rechtstatsächlich-deskriptiven Analyse unbestreitbare Befund (vgl. dazu auch Säcker, DB 1969, S. 1890, 1895 f.) sollte allerdings nicht zum Anlaß genommen werden, den Gesetzgeber aufzufordern, es durch Verzicht auf seine Gesetzesprärogative (vgl. dazu Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 1967, S. 60 ff.) bei diesem Zustand zu belassen (so neuerdings G. Müller, RdA 1969, S. 48, 50; dagegen Mayer-Maly, JBI. 1967, 5.1, 2; ders., RdA 1969, S. 89; Gamillscheg, Koalitionsfreiheit und soziale Selbstverwaltung, 1968, S. 30 f., 44, 45 f.). Denn die Gesetzgebungsprärogative liegt im gewaltenteilenden Rechtsstaat eindeutig beim Parlament; der Richter ist in der Doppelfunktion als rechtsetzendes und rechtsanwendendes Organ institutionell überfordert. Das geht in interessen- und wertungsmäßig so umstrittenen Gebieten wie dem kollektiven Arbeitsrecht dann zu Lasten der politischen "Neutralität" der Normanwendungsfunktion.

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1. Kap.: Einleitung

zu würdigen, ist dies in der Tat eine auf den ersten Blick erstaunliche Feststellung. Sie gilt aber für den in dieser Arbeit untersuchten Problemhereich sinngemäß auch heute noch. Es scheint sogar, als bahne sich nach der problemorientierten Arbeit Nipperdeys über "Mindestarbeitsbedingungen und günstigere Arbeitsbedingungen nach dem AOG (Ordnungsprinzip und Leistungsprinzip)" 3 eine rückschrittliche Tendenz im Sinne eines Rückzugs auf einen begriffsjuristischen Formalismus bei der Lösung der hier zu bewältigenden Probleme an. Diese können nicht nach Art der Begriffsjurisprudenz4 durch Stellungnahme zu der Frage gelöst werden, ob die Ansprüche aus Betriebsübung, 3 Nipperdey, in: Festschrift für Lehmann, 1937, S. 257 ff.; ebenso ders., in Anm. zu RAG ARS 28, S. 261 (265 f.); 29, S. 381 (384); 31, S. 173 (176 f.); 33, S. 356 (362 f.); 34, S.136 (139 f.) und zusammenfassend ARS 40, S. 443 (458); ferner ders., in Hueck-Nipperdey-Dietz, AOG, 2. Aufl., § 32 Anm. 195, § 30 Anm. 18 ff.; 3. und 4. Aufl., § 29 Anm.12 a, § 30 Anm.18 a ff., § 32 Anm.170, 195; näher dazu unten § 10 B (S. 282 ff.). 4 Zur begriffsjuristischen Methode vgl. Ihering, Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung, 1. Teil, 6. Aufi. 1907, S. 36 ff., namentlich den berühmten § 41 des 2. Teils, 2. Abteilung, 3. Aufl. 1875; P. Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 5. Aufl., Bd. I, 1911, S. VI ff., vor allem aber Bergbohm, Jurisprudenz und Rechtsphilosophie, Bd. I, 1892. Zur geschichtlichen Entwicklung der Begriffsjurisprudenz vgl. Wilhelm, Zur juristischen Methodenlehre im 19. Jahrhundert, 1958, S. 17 ff.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 2. Aufl. 1969, S. 17 ff.; Manigk, Savigny und der Modernismus im Recht, 1914, S.161 ff.; Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, 1932, S. 91 ff.; ders., Das Problem der Rechtsgewinnung, 1912, S. 9 ff.; Dreier, Zum Begriff der "Natur der Sache", 1965, S. 48 ff.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl. 1967, S. 433 ff. Der Grund für die durchgängige Verdrängung begriffsjuristischen Denkens nach 1900 zugunsten eines teleologisch orientierten Rechtsdenkens lag nicht so sehr in der Notwendigkeit methodelogischer Neuorientierung angesichts des Einbruchs kodifizierten Rechts in ein bis dahin vornehmlich von der Wissenschaft verwaltetes Recht (vgl. dazu E. Bucher, ZBernJV 102 [1966], S. 274 ff., 288 ff.), sondern vor allem in der Oberwindung der rationalistisch-naturrechtlich tradierten Vorstellung einer lückenlosen Rechtsordnung, die auf jede Rechtsfrage eine Antwort bereithält. Dieses vom rationalistischen Positivismus des 19. Jahrhunderts verfochtene Axiom der Geschlossenheit und Lückenlosigkeit der Rechtsordnung hat sich als unhaltbar erwiesen (vgl. dazu die zahlreichen Nachweise bei Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 1964, S. 172 ff.; Bucher, a. a. 0., S. 284 ff.; gegen die abweichende Stellungnahme Ramms, Der Arbeitskampf in der Gesellschaftsordnung des Grundgesetzes, 1965, S. 88 ff. treffend Rüthers, Der Staat 1967, S. 101 ff.). Mit dem bahnbrechenden Werk Francois Genys, Methode d'Interpretation et Sources en Droit Prive Positif (1. Aufl. 1899, 2. Aufl. 1919) wurde in Frankreich die bis dahin herrschende "ecole de l'exegese" durch die Methode der "libre recherche scientifique", in Amerika die "Analytical Jurisprudence" durch die soziologisch beeinfiußten Methodenlehren 0. W. Holmes, R. Pounds, B. Cardozos und des "legal realism" überwunden. Vgl. dazu Holmes, Common Law, 1881; R. Pound, Jurisprudence, 5 Bde, 1959 (dazu Rehbinder, JZ 1965, S. 482); Cardozo, The Nature of Judicial Process, 15. Aufl. 1952; Llewellyn, Jurisprudence, Realism in Theory and Practice, Chicago 1962 (dazu Rehbinder, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 1966,

§ 2. Untersuchungsmethode

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S. 532); zum Ganzen vgl. auch Fikentscher, in: Festschrift für den HeymannsVerlag, 1965, S. 141 (146, 153); Coing, ARSP 38 (1949/50), S. 536 ff. In der Schweiz veranlaßte die Einsicht in die Lückenhaftigkeit aller staatlichen Rechtspositivierung E. Huber zur Schaffung des Art. 1 ZGB, wonach der Richter Gesetzeslücken nach Gewohnheitsrecht und bei Fehlen eines solchen "nach der Regel, die er selber als Gesetzgeber aufstellen würde", zu schließen hat. In Deutschland wurde die methodologische Gegenposition zu dem im Werke Bergbohms kulminierenden legalistischen Positivismus ansatzhaft bereits durch Stammlers neukantianische "Lehre vom richtigen Recht" (1. Aufl. 1902) und umfassend durch die sogenannte Freirechtsbewegung (vgl. Kantorowicz, Rechtswissenschaft und Soziologie, hrsg. von Th. Würtenberger, 1962; Fuchs, Gerechtigkeitswissenschaft, hrsg. von Foulkes und A. Kaufmann, 1965) bezogen. Das RG (Urt. v. 26. 5. 1922, JW 1922, S. 910) sah sich bereits 1922 zu der Feststellung veranlaßt: "Jeder Tag zeigt neue Gestaltungen des Rechts, die schöpferische Kraft des Lebens ist unendlich, und in allen solchen Fällen hat der Richter das Recht zu finden. Alle Gesetzgebung, auch das Bürgerliche Gesetzbuch, ist in Wirklichkeit Stückwerk." Die in Deutschland mit dem legalistischen Positivismus eng verbundene, unter dem Schlagwort "Begriffsjurisprudenz" bekämpfte und verteidigte begrifflich-formale Gesetzesauslegungsmethode wich daher allmählich teleologischen, "wertungsjuristischen" Methoden, die bereits deutlich in Rudolf v . Iherings Werk "Zweck im Recht" (1877/ 83; s. auch seine schonungslose Kritik der Begriffsjurisprudenz in seinem Buch "Scherz und Ernst in der Jurisprudenz. Im Begriffshimmel", 7. Aufl. 1898, namentlich S. 253 ff.) zutage traten und sich im Privatrecht in Form der sog. Interessenjurisprudenz durchgesetzt haben (vgl. Heck, Interessenjurisprudenz, a. a. 0., S. 104 ff.; ders., Rechtsgewinnung, a. a. 0., S. 26 ff.; ders., AcP 142 (1936), S.129 ff., 297 ff.; ders., AcP 144 (1938), S. 165 ff.; Stoll, in: Festgabe für Heck, Rümelin und Schmidt, Beilageheft zu AcP 133 (1931), S. 60 ff.; Rümelin, Erlebte Wandlungen in Wissenschaft und Lehre, 1930, S. 32 ff.; ders., ARSP 16 (1922/23), S. 343 ff.; ders., Rechtspolitik und Doktrin in der bürgerlichen Rechtspflege, 1926; Westermann, Wesen und Grenzen der richterlichen Streitentscheidung im Zivilrecht, 1955, S. 30 ff.; Reinicke, JuS 1964, S. 421 ff. Dazu auch Henkel, Einführung in die Rechtsphilosophie, 1964, S. 229 ff.; Wieacker, a. a. 0., S. 574 ff.; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtliehen Personenverbänden, 1963, S. 17 ff.; Larenz, Methodenlehre, a. a. 0., S. 50 ff.; ders., AcP 143 (1937), S. 257 ff.; Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 1967, S. 206 ff. ; Engisch, Einführung in das juristische Denken, 4. Aufl. 1968, S. 180 ff. mit umfassenden Nachweisen S. 243 ff., Anm. 247 ff.). Die im Lückenlosigkeitsdogma wurzelnde formal-begriffliche Argumentation basiert auf einem a-historischen Wirklichkeitsmodell, das die geschichtliche Entwicklung außer acht läßt (vgl. dazu Merz, Das Recht als soziale Ordnungsmacht, 1964, S. 23 ff.; Böckenförde, in: Collegium Philosophicum, Studien Joachim Ritter zum 60. Geburtstag, 1965, S. 9, 27). Unter der Voraussetzung einer sich nicht fortentwickelnden, stationären Gesellschaft mit gleichbleibenden menschlichen Bedürfnissen, Aspirationen, sozialen Interessenkonflikten und invarianten (daher einer totalen begrifflichen Ex-ante Erfassung in einem axiomatisch-deduktiv aufgebauten System zugänglichen) Wertungsmaßstäben müßte die Begriffsjurisprudenz in der Tat als die leistungsfähigste juristische (weil in der Rechtsanwendung bequemste und Rechtssicherheit in idealer Weise verbürgende) Denk- und Argumentationsweise bezeichnet werden. Das von ihr vorausgesetzte Sozialmodell der Gesellschaft beruht indes auf einer empirisch unzutreffenden Prämisse: die politisch-ökonomische und sozialkulturelle Struktur moderner Gesellschaften ist nicht stationär, sondern wandelbar, dynamisch, mobil. Deshalb ist jeder Versuch einer lückenlosen, systematischen Erfassung aller rechtlicher Entscheidung bedürftigen, bestehenden und künftigen Konflikte von vornherein aussichtslos. Die Begriffsjurisprudenz mußte daher scheitern. In der rechtswissenschaftliehen Diskussion wird die Begriffsjurisprudenz allerdings überwiegend nicht wegen ihrer Ungeschichtlichkeit und des dadurch

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1. Kap.: Einleitung

Gesamtzusage und arbeitsvertraglicher Einheitsregelung aufgrundihrer rechtlichen Natur oder ihres Wesens als kollektivrechtliche oder individualrechtliche Ansprüche anzusehen sind5• Die Frage, ob die mit den Ausdrücken "betriebliche Übung", "Gesamtzusage" und "arbeitsvertragliche Einheitsregelung" umschriebenen Lebenssachverhalte dem individuellen oder dem kollektiven Arbeitsrecht einzuordnen sind, ist im Gesetz nicht geregelt und könnte vom Gesetzgeber auch gar nicht mittels einer entsprechenden "Etikettierung" verbindlich geregelt werden. Es liegt nicht in der Macht des Gesetzgebers, in einer für die Wissenschaft verbindlichen Weise zu klassifizieren und systematische Zusammenhänge herzustellen oder abzulehnen; er ist nicht imstande, "der Wissenschaft eine bestimmte Zuordnung einer Lebenserscheinung zu einem Begriff zu befehlen"8 • Er kann theoretische Einsichten nur mittelbar durch die Anordnung bestimmter Rechtsfolgen beeinflussen7 • bedingten Verlustes der Anpassungsfunktion der Auslegung, sondern wegen Verwendung der Inversionsmethode zuruckgewiesen. Seit Heck (Rechtsgewinnung, a. a. 0., S. 13 ff. und Interessenjurisprudenz, a. a. 0., S. 92 ff., 166 ff.; erstmalig DJZ 1909, S. 1456; vgl. dazu Bucher, a. a. 0., S. 288 ff.; Larenz, Methodenlehre, a. a. 0., S. 55 ff.; Wieacker, a. a. 0., S. 401) spricht man in der juristischen Methodenlehre von Inversion, wenn einem im syllogistischen Subsumtionsakt als Oberbegriff fungierenden Tatbestandsmerkmal (regelmäßig mit dem Ziel, unangemessene Ergebnisse der formal-begrifflichen Argumentationsweise zu vermeiden) eine Bedeutung beigelegt wird, die der Gesetzgeber wertungskausal nicht mit ihm verbunden hat. Der inversiv vorgehenden Begriffsjurisprudenz kann man mithin nur, wenn man vom Postulat der Methodenehrlichkeit und Begrundungsoffenheit ausgeht, zum Vorwurf machen, durch die in Methode und Begrundung verheimlichte Erweiterung bzw. Verengung rechtlicher Begriffe eine Entscheidung als Folgerung aus gesetzlichen Wertungen zu tarnen (die "productive", rechtserzeugende Kraft der begriffsjuristischen Konstruktion wird etwa von Puchta, dem Begrunder der klassischen Begriffsjurisprudenz des 19. Jahrhunderts, in seinem Cursus der Institutionen, Bd. I, 1841, S. 36, freimütig eingeräumt und als ihr Vorteil gepriesen), die in Wahrheit auf ergänzender, lückenausfüllender oder gesetzeskorrigierender richterlicher Rechtsschöpfung beruht. 5 So indes die in§ 1 Fußn. 39 beispielhaft genannten Autoren. 8 Herschel, SozFort. 1965, Heft 6, SonderdruckS. 3. 7 Vgl. dazu Nipperdey-Säcker, Zur verfassungsrechtlichen Problematik von Finanzausgleich und Gemeinlast in der Sozialversicherung, 1969, S. 14 f.; Müller-Freienfels, Die Vertretung beim Rechtsgeschäft, 1955, S.191; G. Husserl, Rechtskraft und Rechtsgeltung, Bd. I, 1925, S. V; Arnim Kauffmann, Lebendiges und Totes in Bindings Normentheorie, 1954, S. IX f.; Zöllner, Die Rechtsnatur der Tarifnormen nach deutschem Recht, 1966, S. 8; Schröder, ZgesStrW 1965, S. 201 f.; Schönke-Schröder, Kommentar zum StGB, 15. Aufl. 1969, § 240 Anm. 16; Stein-Jonas-Pohle, Kommentar zur ZPO, 19. Aufl. 1964 ff., Vorbem. II 3 a vor§ 50; Eisele, AcP 69 (1886), S. 275, 309; J. Kohler, GrunhutsZ 13 (1868), S.1 (9); v. Lübtow, Probleme des Erbrechts, 1967, S.ll; ders., Beiträge zur Lehre von der Condictio nach römischem und bürgerlichem Recht, 1952, S. 88; ders., in: Festschrift für H. Lehmann, 1956, Bd. I, S. 344; Siber, Erbrecht, 1928, S.108; Henle, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Bd. I, 1926, S. 43; Kretschmar, Die Theorie der Confusion, 1899, S. 247; CanaTis, AcP 165 (1965), S. 1 (14); Bailas, Das Problem der Vertragsschließung und der vertragsbegrundende Akt, 1962, S. 3; Nikisch II, S. 216 f.; Ramm, JZ 1962, S. 78 (81); ders., Der Arbeits-

§ 2. Untersuchungsmethode

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Die Bezeichnungen "individuelles" bzw. "kollektives" Arbeitsrecht sind lediglich wissenschaftliche Systembegriffe zur Einteilung des Gesamtgebietes "Arbeitsrecht" in Einzelgebiete, und zwar in das Recht des Einzelarbeitsverhältnisses einerseits und das Recht der Arbeitsverbände in Beruf und Betrieb einschließlich deren Befugnis zur unmittelbaren Gestaltung der Einzelarbeitsverhältnisse durch Inhalts-, Abschluß- und Beendigungsnormen andererseits. An diese herkömmliche Aufgliederung knüpft als solche keine gesetzliche Wertung an8 • Es ist daher, wenn man auf das begriffsjuristische Inversionsverfahren als adäquate Methode zur Lückenausfüllung verzichtet•, nicht möglich, der Aussage, die Gesamtzusage, die Betriebsübung oder die einzelvertragliche Einheitsregelung gehörten dem "kollektiven" oder dem "individuellen" Arbeitsrecht an, die Lösung für den gesetzZieh nicht geregelten Fall zu entnehmen, ob ein Anspruch aus einem dieser T·atbestände durch Kollektivvereinbarung verschlechtert werden könne. Das ist im folgenden -vor näherer Analyse der Regelungsbeschaffenheit der unter den Begriffen "Gesamtzusage", "Betriebsübung" und "arbeitsvertragliche Einheitsregelung" zusammengefaßten Sachverhalte im zweiten Kapitel dieser Arbeit- zu begründen: Das geltende Privatrecht geht zwar von der Existenz und rechtlichen Zulässigkeit Allgemeiner Arbeits- und Geschäftsbedingungen als Bestandteil des Arbeits- und Wirtschaftslebens aus8 ; es regelt aber nicht, ob Allgemeine Arbeitsbedingungen wie Kollektivverträge bzw. wie Gesetze oder wie Individualverträge ausgelegt werden sollen und ob die Auslegung vom Revisionsgericht voll nachprüfbar ist. Es enthält keine Antwort auf die Frage, ob Allgemeine Arbeitsbedingungen ebenso wie Kollektivnormen den inhaltlichen Anforderungen des allgemeinen Gleichheitssatzes entsprechen müssen, ob ihre Abänderung im Bereich kampf und die Gesellschaftsordnung des Grundgesetzes, 1965, S. 49; Siegers, BABl. 1967, S. 153; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. I, 9. Aufi. 1966, § 11, 1 (S. 195 f.). 8 Ebenso auch Adomeit, S. 9 ff., 74 ff. 8 Vgl. für die vom BGB unangetastet gelassene Zulässigkelt Allgemeiner Arbeitsbedingungen und ihre prinzipielle Einordnung in das System der Rechtsgeschäftslehre des BGB: Sinzheimer, Der korporative Arbeitsnormenvertrag, Bd. I, 1907, S. 18 ff.; Bd. II, 1908, S. 21 ff.; Oertmann, in: Festgabe für Hübler, 1905, S. 9 ff.; Rehm, Die verwaltungsrechtliche Bedeutung der Fabrikordnung, Annalen des Deutschen Reichs 1894, S. 132 ff.; Köhne, Die Arbeitsordnungen im deutschen Gewerberecht, 1901, S. 32 ff., 112 ff.; Pfersche, Gewerbliches Arbeitsverhältnis, 1892, S. 41 ff.; Lotmar, Der Arbeitsvertrag nach dem Privatrecht des Deutschen Reiches, Bd. 1, 1902, S. 233 ff.; vor allem Brentano, Der Schutz der Arbeitswilligen, 1899, S. 26 ff.; für die Zulässigkeit der vom BGB-Gesetzgeber vorgefundenen und als Privatrechtsfigur nicht in Frage gestellten Allgemeinen Geschäftsbedingungen vgl. Leist, Privatrecht und Kapitalismus im 19. Jahrhundert, 1911, S.155 ff.; Ehrenberg, Versicherungsrecht, 1893, S. 78 ff.; Raiser, Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, 1935, S. 26 ff., 59 ff.; Coing, in: Richterliche Kontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, Arbeiten zur Rechtsvergleichung Heft 41, 1968, S. 159 f.

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1. Kap.: Einleitung

der notwendigen Mitbestimmung(§ 56 BetrVG) der Zustimmung des Betriebsrates bedarf und ob ihre Einhaltung der Überwachung des Betriebsrates unterliegt. Ebensowenig regelt es die Frage, ob ein Kollektivvertrag Allgemeine Arbeitsbedingungen zum Nachteil der Arbeitnehmer abändern kann, wenn die Kollektivparteien dies aus volks- oder betriebswirtschaftliehen Gründen für erforderlich halten, etwa, um in einer Wirtschaftskrise die Arbeitsplätze möglichst vieler Arbeitnehmer zusichern. Die Vorschrift des §59 BetrVG enthält "expressis verbis" nur eine Aussage über das Verhältnis von Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung, § 4 Abs. 3 TVG nur eine Aussage über das Verhältnis von Tarifvertrag und nachtariflichen Vereinbarungen. Das Schicksal vortariflicher Vereinbarungen ist in § 4 Abs. 3 TVG ungeregelt geblieben. Aus Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Sinn der Vorschrift läßt sich weder eine Regelung in dem Sinne entnehmen, daß vortarifliche Abmachungen zwischen den Arbeitsvertragsparteien durch einen Tarifvertrag auch zum Nachteil der Arbeitnehmer abgeändert werden können, sofern die Tarifparteien keine Besitzstandsklausel vereinbart haben10, noch läßt sich ihr eine Regelung des Inhalts abgewinnen, daß vortarifliche Vereinbarungen generell11 oder wenigstens unter bestimmten Voraussetzungen (individuelle Günstigkeitsabrede)12 gegenüber einem nachfolgenden Tarifvertrag mit ungünstigeren Arbeitsbedingungen Bestand haben sollen. 10 So G. Schmidt, RdA 1950, S. 336; ders., RdA 1952, S. 305 ff.; Maus, Handbuch (Erstausgabe), § 4 TVG Anm. 92; Crone, RdA 1953, S. 212 (213), der allerdings unter Anwendung der Grundsätze intertemporaler Rechtsanwendung zu anderen Ergebnissen gelangt (dagegen überzeugend Wlotzke, S. 38 ff.; ferner Lehmann, Tarifvertrag und Nachwirkung, 1927, S. 29); LAG Berlin, 19. 2. 1952 (5 LAG 7/52): "§ 4 Abs. 1 schafft eine durchaus eindeutige und klare Bestimmung des Inhalts, daß die Rechtsnormen eines Tarifvertrages, welcher den Inhalt von Arbeitsverhältnissen ordnet, für alle Tarifgebundenen unmittelbar und zwingend gelten. Damit ist jeder Zweifel ausgeschlossen. Die Angehörigen der tarifvertragsschließenden Parteien können sich nicht mehr auf alte Tarifverträge oder sonstige Rechtsnormen berufen, sondern sind an den neuesten Tarifvertrag gebunden. In Übereinstimmung damit bestimmt § 4 Abs. 3 TVG, daß abweichende Vereinbarungen nur dann zulässig sind, wenn der Tarifvertrag sie ausdrücklich vorsieht oder hierdurch eine Änderung der tarifvertraglichen Regelung zugunsten des Arbeitsnehmers herbeigeführt wird. Daraus folgt, daß unter § 4 Abs. 3 TVG nur solche Abmachungen fallen können, die nach dem Abschluß des Tarifvertrages getroffen worden sind." Dagegen Nikisch II, S. 426; Hueck-Nipperdey II (6. Autl.), § 30 IV 4 b (S. 414 f.); Siebert, in: Festschrift für Nipperdey, 1955, 8.119 (125); Richardi, S. 393 f. m.w.N. 11 So die in § 1 Fußn. 38 genannten Autoren, namentlich Richardi, S. 177 ff., 360 ff., 401 ff. ; wesentlich zurückhaltender unter dem Einfluß der Ausführungen G. Schmi dts (RdA 1950, S. 336 f.; RdA 1952, S. 305 ff.) noch WZotzke, S. 41 ff.; näher dazu unten § 10 B IV (S. 294 ff.). 12 So ausdrücklich Hueck-Nipperdey II/1, § 30 IV 4 c (S. 585) und VII 3 (S. 591 ff.).

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Logisch-grammatikalische Interpretation des § 4 Abs. 3 TVG: "Abweichende Abmachungen sind nur zulässig, soweit sie durch den Tarifvertrag gestattet sind oder eine Änderung der Regelungen zugunsten des Arbeitnehmers enthalten." zeigt das sehr deutlich: Von Abänderung des Tarifvertrages kann nur im Hinblick auf nachtarifliche Abmachungen gesprochen werden; vortarifliche Abreden können einen später abgeschlossenen Tarifvertrag denkgesetzlich nicht abändern13• Ebenso zeigt auch die erste Alternative des§ 4 Abs. 3 TVG, daß die Vorschrift nur das Verhältnis von Tarifvertrag und nachtariflicher Vereinbarung im Auge hat. Die in der ersten Alternative vorgesehene Zulassung individualvertraglicher Abweichungen vom Tarifvertrag zum Nachteil der Arbeitnehmer bezieht sich ebenfalls nur auf künftige, noch zu treffende Abmachungen zwischen den Parteien des Arbeitsvertrages14 • Auch die Entstehungsgeschichte des § 4 Abs. 3 TVG zeigt, daß die Frage, ob vortarifliche Abreden gegenüber einem nachfolgenden einschlägigen Tarifvertrag Bestand haben sollen, vom Gesetzgeber nicht mitbewertet worden ist: Die Vorschrift des heutigen § 4 Abs. 3 TVG ist identisch mit dem § 4 Abs. 3 des vom Wirtschaftsrat verabschiedeten Tarifvertragsgesetzes vom 9. April1949. Sie erhielt ihre heutige Fassung in einer Sitzung des Redaktionsausschusses für Arbeit am 26. Oktober 194815• Diese Fassung wurde von den Mitgliedern des Gesamtgremiums bei ihrer abschließenden Beratung am 3. November 1948 ohne Aussprache gebilligt und an den Wirtschaftsrat weitergeleitet16• Bei der zweiten und dritten Lesung in der 24. Vollversammlung des Wirtschaftsrates am 9./10. November 1948 blieb der Text des§ 4 Abs. 3 TVG gleichfalls unverändert17• Für die historisch-genetische Interpretation der Vorschrift sind mithin die 13 Vgl. G. Schmidt, RdA 1950, S. 336 (337): "Änderungen können logischerweise nur an etwas bereits Vorhandenem vorgenommen werden, sind also überhaupt erst möglich, nachdem die Regelungen des Tarifvertrages geschaffen sind. Sie können mithin zeitlich dem Inkrafttreten des Tarifvertrages nur folgen." 14 Vgl. Nipperdey-Säcker, AR-Blattei D, Tarifvertrag I C unter VIII 1 und XII. 15 Protokoll Nr. 17 der Sitzung des Ausschusses für Arbeit in Frankfurt am Main vom 26. 10. 1948, S. 3 (einsehbar im Archiv des Bundesarbeitsministeriums). 16 Drucks. Nr. 672 des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes. 17 Der wörtliche Bericht über die 24. Vollversammlung des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes am 9./10. Nov. 1948 (S.l094) verzeichnet als einzige Äußerung zu§ 4 TVG einen Satz in der Begründung des Gesetzesantrags durch den Vorsitzenden des Ausschusses für Arbeit, den SPD-Abgeordneten Ri chter. Dieser stellte lediglich fest, daß in § 4 TVG die Wirkungen der im Tarifvertrag enthaltenen Normen geregelt seien.

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1. Kap.: Einleitung

Gründe maßgeblich, die zur heutigen Fassung des § 4 Abs. 3 TVG führten18. Sämtliche Entwürfe zum Tarifvertragsgesetz, einschließlich des § 5 des Initiativantrages der SPD-Fraktion, der u. a. die Grundlage für die Beratungen im federführenden Ausschuß für Arbeit bildete, hatten sich bei der Regelung des Verhältnisses des Tarifvertrages zu sonstigen Abmachungen inhaltlich an der Vorschrift des § 1 Abs.l Satz 2 der Tarifvertragsordnung von 1918 orientiert19, die nach unbestrittener Auslegung die Vereinbarung von Höchstbedingungen zuließ20 • Die Vorschrift lautete: "Abweichende Vereinbarungen sind jedoch wirksam, soweit sie im Tarifvertrage grundsätzlich zugelassen sind oder soweit sie eine Änderung der Arbeitsbedingungen zugunsten des Arbeitnehmers enthalten und im Tarifvertrag nicht ausdrücklich ausgeschlossen sind." In den Ausschußberatungen wurde kein Vorschlag zur Änderung des § 5 des SPD-Initiativantrages unterbreitet. Die Mitglieder des Ausschusses kamen bei ihren Beratungen vielmehr zu dem Ergebnis, daß das Günstigkeitsprinzip "elastisch" formuliert sein müsse und ein Verbot der 18 Da die Mitglieder des Gesetzgebungskörpers ohne eigene Stellungnahme den Inhalt des § 4 TVG in der Fassung übernommen haben, die ihnen der Ausschuß vorgelegt hat, muß mangels abweichender Anhaltspunkte angenommen werden, daß sie ihn auch in der Bedeutung übernommen haben, die "die eigentlichen Gesetzesverfasser dem von ihnen erarbeiteten gesetzlichen Text mit auf den Weg gegeben haben" (Paktentheorie); vgl. dazu näher Engisch, Einführung in das juristische Denken, 4. Aufl. 1968, S. 95; Siebert, Die Methode der Gesetzesauslegung, 1958, S. 41; vgl. dazu auch BGH, 9. 5.1967, BGHZ 48, S. 12 (22); Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 2. Aufl. 1969, S. 309; SäckeT, DB 1967, S. 2027 (2029 f.); Mennicken, Das Ziel der Gesetzesauslegung, 1970, S. 34 m. w. N. 19 Vgl. § 3 des Entwurfes eines Tarifvertragsgesetzes des Länderrates in Stuttgart ("Stuttgarter Entwurf") vom Juli 1948: "Abweichende Vereinbarungen können getroffen werden, soweit sie durch den Tarifvertrag gestattet sind oder eine Änderung zu Gunsten des Arbeitnehmers enthalten und durch den Tarifvertrag nicht ausdrücklich ausgeschlossen sind." Wörtlich ebenso § 3 Abs. 3 des Referentenentwurfes des Zentralamtes für Arbeit ("Lemgoer Entwurf") vom 10. Juli 1948; § 5 Abs. 1 Satz 2 des von Nipperdey erarbeiteten Entwurfes des Deutschen Gewerkschaftsbundes/Britische Zone vom 10. April 1948 und des Entwurfes eines TVG, aufgestellt vom Gewerkschaftsrat der Vereinigten Zonen vom 7. September 1948 (alle Entwürfe sind einsehbar im Archiv des Bundesvorstandes des DGB, Düsseldorf); § 5 des Initiativantrages der SPDFraktion vom 30. 9. 1948 (Drucks. Nr. 613 [1948] des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes). 20 Vgl. dazu eingehend A. Hueck, Das Tarifrecht, 1922, S. 91; Nipperdey, Beiträge zum Tarifrecht, 1924, S. 2 ff. (8); Meissinger, NZfA 1922, S.17 ff. Auch in der vor-tarifgesetzlichen Literatur wurde nicht daran gezweifelt, daß die Tarifparteien die Tarifbedingungen zu Höchstbedingungen erklären konnten; s. Sinzheimer, Der korporative Arbeitsnormenvertrag, Bd. II, 1908, S. 58 ff. (62). Ebenso war auch in der gesamten früheren Literatur und Tarifpraxis unstreitig, daß die Vereinbarung von Mindesttarifen allein Spielraum dazu lassen sollte, besondere fachliche Qualifikation und individuelle Tüchtigkeit zu entlehnen; vgl. Sinzheimer, a. a. 0.; Riezler,ArchBürgR 27 (1906), S. 219 (251); Bernstein, Sozialistische Monatshefte 1905, S. 401 (403).

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tariflichen Vereinbarung von Höchstlöhnen "nicht unbedingt zweckmäßig" erscheine21 • Ähnlich heißt es bereits in der Begründung zum "Lemgoer Entwurf" vom 10. Juni 194819, zwar werde im allgemeinen ein praktisches Bedürfnis nicht gegeben sein, die Tarifnormen zugleich als Maximalbedingungen auszugestalten, der Gesetzgeber müsse aber den Kollektivparteien jedenfalls das Recht einräumen, solche Höchstbedingungen zu vereinbaren, sollten sie ein Bedürfnis für den Abschluß von Höchstarbeitsbedingungen empfinden. Eine Begründung, warum der vom Ausschuß für Arbeit gebildete Redaktionsausschuß von der Formulierung des im Ausschuß für Arbeit beratenen § 5 des Initiativantrages der SPD-Fraktion abwich, ist aus den Protokollen nicht zu entnehmen. Es kann nicht unterstellt werden, daß der Redaktionsausschuß unter Überschreitung seiner Aufgabe von den oben geschilderten Beratungsergebnissen im Gesamtausschuß materiell abweichen wollte. Die unterschiedliche Fassung des § 4 Abs. 3 TVG gegenüber dem früheren § 1 Abs. 1 Satz 2 TVO kann angesichts dieses entstehungsgeschichtlichen Hintergrundes, für sich allein genommen, das generelle Verbot von Höchstbedingungen jedenfalls nicht tragen". Auch aus dem Sinn und Zweck des § 4 Abs. 3 TVG, aus seiner imma· nenten TeleoZogie 211, läßt sich nicht ableiten, daß günstigere Abreden in jedem Fall vor kollektivrechtlicher Verschlechterung geschützt sein sollen. Wer entgegen dem Wortlaut der Norm26 in ihr nicht nur eine kollisionsrechtliche Regelung des Verhältnisses von Tarifvertrag und nach-

tariflicher Abmachung erblickt25, sondern in ihr eine prinzipielle Schranke der Kollektivmacht sieht, durch die das Leistungsprinzip bzw. die Freiheit der individuellen Selbstbestimmung durch Rechtsgeschäft auch im kollektiven Arbeitsrecht gesichert werde, wird durch § 4 Abs. 3 TVG jede, auch die vortarifliche günstigere Abrede geschützt wissen wollen. Entsprechend dem der Norm zugeschriebenen Grundgedanken bleibt ihm dann aber teleologisch nichts anderes übrig, als diesen Satz auf die privatautonom-individuell ausgehandelten Arbeitsbedingungen

11 Vgl. Protokoll Nr. 16 und 17 der Sitzung des Ausschusses für Arbeit in Frankfurt am Main am 13. und 14. 10.1948 (einsehbar im Archiv des Bundesministers für Arbeit). 22 Vgl. dazu die eingehenden Darlegungen in der Bonner Dissertation von Magis, Zum Günstigkeitsprinzip, 1966, S. 8 ff. m. w. N. über den Streitstand. 23 Dazu Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 2. Aufi. 1969, S. 311 ff.; Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1969, s. 40 ff. 24 Zur grundsätzlichen methodischen Zulässigkeit einer solchen (vom Standpunkt der Andeutungstheorie allerdings ausgeschlossenen) Interpretation gegen den Wortlaut der Norm, wenn ihr Sinn und Zweck das gebieten, vgl. unten § 7 Fußn. 8 (S. 157 ff.). 25 Vgl. SäckeT, RdA 1969, S. 291 (298 ff.) .

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1. Kap.: Einleitung

zu beschränken und unabhängig von individueller, personbezogener Leistung und Bedürftigkeit vom Arbeitgeber betriebseinheitlich festgesetzte über- und außertarifliche Arbeitsbedingungen davon auszunehmen28. Denn die Praxis übertariflicher Arbeitsbedingungen zeigt, 28 So konsequent Nipperdey, in: Hueck-Nipperdey 11/1, § 30 IV 4 c (S. 585) und VII 3 (S. 591 :ff.); anders die in§ 1 Fußn. 38 genannten Autoren. Nipperdey sieht sich dadurch allerdings gezwungen, § 4 Abs. 3 TVG bei vortariflichen Arbeitsbedingungen in allgemeine und individuelle Arbeitsbedingungen aufzuspalten und nur auf letztere§ 4 Abs. 3 TVG anzuwenden, obgleich der Wortlaut für eine solche Aufspaltung nichts hergibt; die Unzulässigkelt tarifrechtlicher Verschlechterung von Individualabsprachen ergibt sich vielmehr bereits aus der generellen Unzulässigkelt tarifrechtlicher Individualnormen; s. unten § 10 A II (S. 269 :ff.) und Nipperdey-Säcker, AR-Blattei D, Tarifvertrag I C unter XII. Gerade die Autoren, die ein materiales Verständnis des Günstigkeltsprinzips verfechten, in ihm den "gesunden Ausgleich zwischen der kollektiven und individuellen Regelung der Arbeitsbedingungen" sehen (so Nikisch, RdA 1953, S. 81, 84; ders., DB 1963, S. 1254, 1255; ähnlich Zeuner, DB 1965, S. 630, 631) oder es als Konsequenz des Satzes vom sozialen Staat in Art. 20, 28 GG verstehen (so G. Müller, DB 1967, S. 903, 905 f.), müßten eine formale, allein auf den Entstehungstatbestand blickende Abgrenzung von kollektivrechtlicher und kollektivrechtsfreier, individualrechtlicher Kompetenz ablehnen. Allerdings erscheint die Zuordnung des Günstigkeltsprinzips zum sozialen Staat nicht frei von einem verfassungstranszendenten, dem Subsidiaritätsprinzip verpflichteten Vorverständnis des Sozialstaatsbegri:ffs. M. E. ist das Günstigkeitsprinzip die Konsequenz des liberalen, freiheitsgewährleistenden Rechtsstaates, das Unabdingbarkeits- und Ordnungsprinzip die Konsequenz des Existenzminimum und soziale Sicherheit gewährleistenden verteilenden Sozialstaates; vgl. dazu unten § 10 Fußn. 250; zur Inhaltsbestimmung der Sozialstaatsklausel vgl. Nipperdey-Säcker, Zur verfassungsrechtlichen Problematik von Finanzausgleich und Gemeinlast in der Sozialversicherung, 1969, S. 22 f. mit Nachweisen in Fußn. 23. Sonstige Begründungen, mit denen in der Literatur versucht worden ist, die Ausdehnung des § 4 Abs. 3 TVG auf vortarifliche Abmachungen als teleologisch geboten zu rechtfertigen, haben sich als unhaltbar herausgestellt. Wlotzkes (S. 35 :ff.) anspruchsvoll angelegter Versuch, den Bestand günstigerer Arbeitsbedingungen mit Hilfe des Leistungsprinzips in einer kollektivfreien, durch das Kündigungsschutzrecht gesicherten Individualsphäre anzusiedeln, kann den Fortbestand gerade Allgemeiner, nicht auf individueller Leistung beruhender Arbeitsbedingungen nicht rechtfertigen. Das aus dem individualrechtlieh ausgestalteten Kündigungsschutz abgeleitete Argument ist bereits von Hilger (Das betriebliche Ruhegeld, 1959, S. 227 f.) und Richardi (S. 395 f.) widerlegt worden. Der gesetzliche Kündigungsschutz will "weder die Kollektivautonomie noch die individuelle Vertragsfreiheit beschränken; er sichert dem einzelnen Arbeitnehmer lediglich Schutz gegen die wirtschaftliche Überlegenheit des Arbeitgebers zu. Dazu gehört, daß er nicht zu einzelvertraglichen Änderungen seiner Arbeitsbedingungen unter dem Druck der Kündigung gezwungen werden kann. Der Kündigungsschutz versagt dagegen, wenn der Arbeitgeber durch Abschluß eines Tarifvertrags oder einer Betriebsvereinbarung die Arbeitsbedingungen zu ändern versucht. Er gewährt gegen die Kollektivmacht der Tarifvertragsparteien oder Betriebspartner keine Bestandssicherung günstigerer Einzelvereinbarungen, weil unsere Arbeitsrechtsordnung davon ausgeht, daß auf kollektiver Ebene zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Waffengleichheit herrscht. Das Verhältnis von Kollektivmacht und Individualwillen wird also vom Kündigungsschutz überhaupt nicht berührt. Der Bestand günstigerer Einzelvereinbarungen kann daher nur mit dem in § 4 Abs. 3 TVG niedergelegten Günstigkeltsgedanken begründet werden" (Richardi, a. a. 0.). Der in § 4 Abs. 3 TVG niedergelegte Günstigkeits-

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daß von dem Günstigkeitsprinzip durchweg nicht der Gebrauch gemacht wird, mit dem die herrschende Lehre seinen zwingenden Charakter zu begründen versucht. "Zwar ist es richtig, daß übertarifliche Arbeitsbedingungen in Einzelarbeitsverträgen festgelegt werden. Sie sind jedoch im allgemeinen nicht von Vertrag zu Vertrag verschieden. Vielmehr werden in den meisten Fällen, in denen Betriebe höhere als die tariflichen Arbeitsbedingungen gewähren, nicht einzelne Arbeitnehmer auf Grund individueller Leistungsunterschiede bessergestellt, sondern entweder ganze Gruppen von Arbeitnehmern auf Grund typisierter Voraussetzungen, oder es wird das gesamte Lohnniveau innerhalb des betreffenden Betriebs angehoben. Der Gedanke des individuell unterschiedlichen Leistungslohnes, mit dem die herrschende Lehre die Notwendigkeit eines uneinschränkbar geltenden Günstigkeitsprinzips darzulegen versucht, spielt also in der Praxis der übertariflichen Arbeitsbedingungen kaum eine Rolle. Andere Gründe, wie z. B. die Knappheit an Arbeitskräften, sind hier von Bedeutung. Gerade dort aber setzt das Interesse der Sozialpartner an einer Kontrolle der Lohnentwicklung ein27." Der materiale "Grundgedanke" des Günstigkeitsprinzips läßt also gerade nicht zu, die Frage, ob § 4 Abs. 3 TVG auch für vortarifliche Allgemeine Arbeitsbedingungen gilt oder nicht, schematisch-formal mit dem Hinweis auf die (entweder einzel- oder kollektiv-vertraglich) zu bestimmende Rechtsnatur der Allgemeinen Arbeitsbedingungen zu beantworten. Treffend bemerkt Behrendt: "Die Form des Vertrages allein rechtfertigt nicht das Pathos des Individualschutzes und würde einen gewichtigen Gedanken zur kleinen Münze machen28._" Vor allem ist die Anwendung des Günstigkeitsprinzips auf vortarifliche Allgemeine Arbeitsbedingungen für die Arbeitnehmer bei der vom Begünstigungsprinzip gebotenen materialen Betrachtungsweise nicht "günstiger". Die "Unzuständigerklärung" der Kollektivparteien durch Anwendung des Günstigkeitsprinzips hätte zur Folge, daß allein der Arbeitgeber auf der über- und außertariflichen Ebene effektive Vertragsfreiheit hat29• So wie er Allgemeine übertarifliche Arbeitsbedingungen materiell einseitig festsetzt, könnte er sie dann ebenso einseitig durch Ausspruch kollektiver Änderungskündigungen, gegen die wirkgedanke bezieht sich indes entgegen Richardi nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Sinn gerade nicht auch auf vortarifliche Arbeitsbedingungen. Eine Ausdehnung der Norm auch auf vortarifliche Arbeitsbedingungen könnte allenfalls das Ende einer Induktion, d. h. einer Gesamtabwägung nach Analyse aller Einzelprobleme, nicht aber der Beginn einer Deduktion sein. 27 Magis, Zum Günstigkeitsprinzip, Diss. Bonn 1966, S. 34. 28 Behrendt, Kollektivität der betrieblichen Übung und Individualrecht, Diss. Berlin 1966, S. 105; ähnlich Kammann, RdA 1967, S. 401 (404 f.). 28 Vgl. dazu näher Säcker, DB 1967, 8.1086 ff. und unten§ 12 (S. 371 ff.).

1. Kap.: Einleitung

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samer Gerichtsschutz auch nach lokrafttreten des Ersten Arbeitsrechtsbereinigungsgesetzes nicht erwartet werden kann30, wieder herabsetzen31, was in Zeiten abflauender Konjunktur nicht selten geschieht, wie die wirtschaftliche Rezession des Jahres 1966/67 gezeigt hat31• Die Vertragsfreiheitnützt hier dem Arbeitnehmer gar nichts. Von der Vertragsfunktion betrachtet, ist die Berufung auf die Vertragsfreiheit des Arbeitnehmers zur Rechtfertigung der Ausdehnung des § 4 Abs. 3 TVG auf vortarifliche Allgemeine Arbeitsbedingungen daher nicht überzeugend. Denn geschützt und verstärkt wird durch solche Ausdehnung in Wirklichkeit allein die Vertragsfreiheit des Arbeitgebers33• Anders ausgedrückt: Der Schutz der individuellen Vertragsfreiheit reduziert sich hier faktisch auf die individuelle Vertragsfreiheit des Arbeitgebers, um deren Schutz es § 4 Abs. 3 TVG aber gerade nicht geht. Die Interessen der Arbeitnehmer würden zweifellos besser geschützt, wenn die zum Schutz der Arbeitnehmerinteressen berufenen Kollektivrepräsentanten in den Abänderungsprozeß eingeschaltet würden. Denn deren Zustimmung zur Herabsetzung Allgemeiner Arbeitsbedingungen wird der Arbeitgeber nur im Falle betriebswirtschaftlicher Notwendigkeit gewinnen können. Diese Überlegungen machen deutlich, daß auch ein materiales Verständnis des§ 4 Abs. 3 TVG eine Anwendung dieser Vorschrift auf vortarifliche Allgemeine Arbeitsbedingungen nicht als teleologisch zwingende Folge aus dem Grundgedanken des § 4 Abs. 3 TVG rechtfertigen kann. Die in der Literatur der letzten Jahre zunehmende Verneinung jeglicher Kompetenz der Kollektivparteien zur Herabsetzung AllgemeiVgl. Hessel, AR-Blattei D, Kündigungsschutz I A unter IV. Vgl. dazu einerseits (das Ergebnis rechtfertigend) Zöllner, Rd.A 1969, S. 250 (253 ff.); Knevels, BB 1968, S. 1249 ff.; andererseits (kritisch und um Überwindung dieser Situation bemüht) Hueck-Nipperdey II/2, § 49 B II 6 e (S. 1019 ff.) mit umfassenden Angaben über den Streitstand; s. dazu auch unten § 12 A III 2 (S. 371 ff.). 32 Vgl. dazu die vom Vorstand der Industriegewerkschaft Metall 1967 herausgegebenen zwei .,Weißbücher zur Unternehmermoral", die zahlreiche, in Einzelheiten allerdings nicht unumstrittene Beispiele solcher Unternehmenspolitik schildern. u Motiv solcher Ausdehnung ist entweder eine idealistische, der Wirklichkeit des Arbeitslebens nicht gerecht werdende Verabsolutierung des Prinzips der individuellen Vertragsfreiheit (so etwa Richardi, S. 360 ff. [367 f., 372, 401 f.]; ders., Anm. zu BAG, SAE 1969, S.179; ders., in: Festschrift für von Lübtow, 1970, S. 755ff.; dazu meine Kritik in JurA 1970, 5.165 [172] und allgemein Zweigert, in: Festgabe für Rheinstein, 1969, Bd. II, S. 493 ff.) oder .,der Wunsch der Arbeitgeber, sich bei der Ausgestaltung eines Arbeitsverhältnisses, bei Lohn- und Gehaltsvereinbarungen, aber auch bei den sonstigen Arbeitsbedingungen, eine möglichst weitgehende Bewegungsfreiheit zu erhalten. Man möchte vertragliche Vereinbarungen und Zugeständnisse möglichst jederzeit ohne Einhaltung einer Frist und möglichst ohne Kontrolle durch das Gericht rückgängig machen oder widerrufen können" (so unverhüllt Hiersemann, in: Das Arbeitsrecht der Gegenwart, hrsg. von G. Müller, Bd. 6 [1969], s. 67, 68). 30

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§ 2. Untersuchungsmethode

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ner Arbeitsbedingungen8\ gelegentlich noch ergänzt durch generelle Ablehnung der Effektivklausel und des betriebsbezogenen Verbandstarifvertrages mit der Folge fast totaler Ausschaltung der Tarifparteien von der Gestaltung der betrieblichen Effektivverdienste35, erscheint somit nicht als Folgerung aus vorhandenen rechtlichen Wertungen, sondernebenso wie der gegenteilige Vorschlag, die Kompetenz der Kollektivparteien zu bejahen36 - als Vorschlag zur Rechtsfortbildung, dessen sachliche Vernunft im Lichte der wertsetzenden Bedeutung des Art. 9 Abs. 3 GG für die Ausfüllung kollektivarbeitsrechtlicher Regelungslücken37 zu prüfen ist; s. dazu unten die§§ 10 ff.

B. Grundsätze für die Ausfüllung gesetzlicher Regelungslücken Das Bestreben, trotz offenbarer Bewertungslücke im Gesetz für die eigene Stellungnahme die Autorität des Gesetzes in Anspruch zu nehmen, dürfte vornehmlich auf zwei Gründen beruhen: einmal auf einem unkritischen, weiten, dialektisch-hermeneutischen Interpretationsbegriff, der die subjektiv-volitive Komponente der eigenen Auslegungshypothese verdeckt (näher dazu S. 60 ff.), zum anderen dürfte es, worauf namentlich 34

So die in § 1 Fußn. 38 genannten Autoren; weitere Nachweise unten in

§ 10 B IV (S. 325 ff.). 35 So Richardi, S. 353, 401 ff., 412 ff.; ders., DB 1969, S. 1986 ff.; dazu Nipperdey-Säcker, AR-Blattei D, Tarifvertrag II A unter I 2 c, bb. 36 Die Rechtspr. ist diesem erstmals von Nipperdey (s. die Nachweise oben in Fußn. 3) gemachten Vorschlag gefolgt; vgl. die Nachweise in § 1 Fußn. 18, namentlich nunmehr die offen begründete Entscheidung des Dritten Senats

vom 30. 1. 1970, AP Nr. 142 zu§ 242 BGB Ruhegehalt. 37 Zum Begriff der Gesetzeslücke vgl. Klug, in: Festschrift für Nipperdey, Bd. I, 1965, S. 71 ff.; Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 1964, S. 35 ff. mit umfassenden Angaben. Die Besprechungen von E. Schneider (MDR 1965, S. 518) und Herschel (ArbuR 1966, S. 180) werden CanaTis nicht gerecht, da sie die aus dem verfassungsrechtlichen Gewaltenteilungsprinzip und nicht aus praxisferner wissenschaftlicher Methodologie (so namentlich Schneider, MDR 1967, S. 6 ff.) resultierende Notwendigkeit verkennen, zwischen objektiver, vom Standpunkt der immanenten Gesetzesteleologie bestehender "planwidriger" Gesetzeslücke ("Lücke de lege lata") und subjektiver, nur bei Anlegung eines gesetzestranszendenten Maßstabes bestehender, uneigentlicher Gesetzeslücke ("Lücke de lege ferenda") zu unterscheiden, die lediglich als rechtspolitischer Fehler kritisiert, aber vom Rechtsanwendenden interpretativ nicht korrigiert werden kann; vgl. Engisch, Einführung in das juristische Denken, 4. Aufl. 1968, S. 134 ff., 225 Anm.153; ders., in: Festschrift für Sauer, 1949, S. 85 ff.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 2. Aufl. 1969, S. 350 ff.; ders., NJW 1963, S. 737 (738); ders., NJW 1965, S. 1 (2); NeumannDuesberg, BB 1966, S. 902 ff.; Guradze, in: Festschrift für G. Weisser, 1963, S.161 (172); Obermayer, NJW 1966, S.1885 (1889); Säcker, RdA 1965, S. 372 (374) zu Fußn. 25 und BB 1966, S. 700 zu Fußn. 8, 13. Daß auch die Praxis solche der geltenden Verfassungsrechtslage angepaßten methodelogischen Differenzierungen aufnimmt, zeigen die Urteile des BGH vom 7. 4. 1965 (NJW 1965, S. 1477, 1478) und des BAG vom 30.1. 1970 (AP Nr.142 zu § 242 BGB Ruhegehalt) in exemplarischer Weise.

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1. Kap.: Einleitung

Bucher38 aufmerksam gemacht hat, damit zusammenhängen, daß man jeden Anschein von Subjektivismus vermeiden will und solange wie nur eben möglich derübernahmepersönlicher Verantwortung ausweicht, die mit einem Entscheid an Gesetzgebers Statt verbunden ist. "Das Bedürfnis, seine Stellungnahme auch dann noch auf das Gesetz abzustützen, wenn das Gesetz nichts mehr hergibt, hat seinen Grund aber auch darin, daß man der unfehlbaren Autorität des Gesetzes teilhaftig werden möchte. Eine Stellungnahme, die von einer Gesetzeslücke ausgeht und auf außergesetzliche Gesichtspunkte sich abstützt, wird heute noch nicht als in gleichem Maße zwingend empfunden wie die auf dem · Gesetz basierende." Auf gleicher Ebene liegt die Tendenz, beim Schweigen des Gesetzgebers auf begriffsjuristische Konstruktionen zurückzugreifen und logisch-formal, sei es interpretativ, sei es begrifflich-konstruktiv, statt teleologisch, ergebnisorientiert, folgenabwägend zu argumentieren. "Die Forderung, den Sinn für die Grenzen gesetzlicher Aussageleistung zu schärfen und ein Schweigen des Gesetzes auch offen als Lücke einzugestehen, ist einmal ein Gebot der Ehrlichkeit und geistigen Hygiene. Die Dinge beim richtigen Namen zu nennen, ist auch um der Sache selbst willen nötig, denn nur so können die Gesichtspunkte der Interessenabwägung, der Billigkeit und Zweckmäßigkeit, auf die beim Schweigen des Gesetzes abgestellt werden muß, bewußt gemacht und im juristischen Wechselgespräch erörtert werden. "38 Der dem Gesetz durch Auslegung zu entnehmende Regelungsanspruch, die "logische und teleologische Expansionskraft des Gesetzes" 89, ergreift unmittelbar nur die Sachverhaltstypen, die der Normenautor durch die von ihm aufgestellten Rechtssätze "angeschaut"40 und geregelt hat41 • Für eine kritische, der Positivität des geltenden Rechts adäquate 38 Bucher, ZBernJV 102 (1966), S. 274 (293); ebenso Biedenkopf, in: Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie als Probleme der modernen Demokratie, hrsg. von Duvernell, 1968, S. 199; ferner bereits Triepel, Staatsrecht und Politik, 1927, s. 22 f. se Engisch, Einführung in das juristische Denken, 4. Aufl. 1968, S. 149. 40 Scheuerle, ZZP 78 (1965), S. 32 (53); Lehmann-Hübner, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches, 15. Aufl. 1966, § 8 III 2 (S. 63); Zimmermann, NJW 1952, S. 959 (960). 41 Vgl. Schreiber, Die Geltung von Rechtsnormen, 1966, S. 156 ff.; ähnlich (trotz gegensätzlicher Grundhaltung) auch Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 1967, S. 160, 197, 203, 311 These 6, wenn er die Rechtsgewinnung kennzeichnet als "vernunftrechtliche Erwägung von Normhypothesen, wobei alle

Probleme insoweit abgeschnitten sind, als der Gesetzgeber und Verfassungsgeber sie entschieden hat". Anders noch die herrschende juristische Aus-

legungsdoktrin, die, gefesselt von der Idee einer spezifisch geisteswissenschaftlichen, dialektischen Hermeneutik des richtigen, sinnvollen Verstehens (vgl. dazu das repräsentative Werk Bettis, Die Hermeneutik als allgemeine Methode der Geisteswissenschaften, 1962 ; ders., Allgemeine Auslegungslehre

§ 2. Untersuchungsmethode

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Interpretationstheorie vermögen die Normen, die die in der raumzeitlich abgegrenzten Wirklichkeit vorkommenden Sachverhaltstypen regeln sollen, nicht mehr an Informationsgehalt herzugeben, als vom Gesetzgeber in sie hineingedacht ist. Auslegung in diesem strikten Sinn gestattet nur inhaltsgleiche (tautologische) Transformationen zwecks Klarstellung des vorgegebenen Norminhalts«2 • Aufgabe der Auslegung kann als Methodik der Geisteswissenschaften, 1967; ferner Bollnow, Philosophie der Erkenntnis, 1970, S. 23 ff.; Coing, Die juristischen Auslegungsmethoden und die Lehren der allgemeinen Hermeneutik, 1959; Mayer-Maly, JBl. 1969, S. 413 ff.; Rittner, in: Verstehen und Auslegen [Freiburger Dies Universitatis, Bd. 14], 1968, S. 43 ff.; Gadamer, Wahrheit und Methode, 2. Aufi. 1965, S. 309 ff.), der Ansicht ist, daß das Gesetz durchaus klüger sein könne als die, die es schufen. Diese Vorstellung eskamotiert indes lediglich die Tatsache, daß das Gesetz keine Antwort auf eine Rechtsfrage bereit hält, daß, wie Esser (Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 2. Aufi. 1964, S. 178 Fußn. 160) formuliert, "der Richter klüger sein kann als der Gesetzgeber", oder daß, wie Engisch (Einführung in das juristische Denken, 4. Aufi. 1968, S. 177) feststellt, "hier insgeheim das Gesetz gleichsam überfahren wird". Vgl. dazu näher meine Kritik in: Grundprobleme der kollektiven Koalitionsfreiheit, 1969, S. 104 ff. mit zahlreichen Nachweisen. Ganz im Sinne der dort vertretenen Auffassung Riccoeur, Die Interpretation, 1969, S. 33 ff., der der geisteswissenschaftlich-hermeneutischen Theorie der Interpretation als "Sammlung und Wiederherstellung des Sinnes" eine kritische Theorie der Interpretation als "Schule des Zweifels" als "Abbau von Illusionen und Lügen des Bewußtseins" (S. 45) gegenüberstellt, und H. Albert, ARSP 54 (1968), s. 247 (271 ff.). Es ist das Verdienst der wissenschaftstheoretischen Untersuchungen des logizistisch-empiristischen Positivismus und des kritischen Rationalismus, daß heute über die subjektiv-volitiven, "schöpferischen" Momente des hermeneutisch-dialektischen Auslegungsbegriffs kein Zweifel mehr möglich ist. Für ihn gilt die bereits 1906 getroffene Feststellung Radbruchs (ArchSozW 22 [1906],

S. 355, 364): "Die Lehre nun davon, wie man den Anschein erweckt, das Gesetz auszulegen, wo man in der Tat dem Gesetz unterlegt, ist die juristische Hermeneutik". (Ähnlich, allerdings unter Verzicht auf Konsequenzen, Esser,

Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 2. Aufi.

1964, S. 252 ff., 256, 259 ff.; Wieacker, Gesetz und Richterkunst, 1958, S. 7). Man kann auch nicht wie Larenz (Über die Unentbehrlichkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, 1966, S. 16 ff.) kognitive Zwischenstufen zwischen "reiner" Dezi-

sion und "reiner" Rechtserkenntnis unterscheiden. Ein Urteil beruht entweder auf logischer Deduktion aus bestehenden Rechtsnormen oder, soweit für den zu entscheidenden Fall keine einschlägigen normativen Bewertungen existieren, auf richterlicher Dezision, wobei lediglich der verbleibende Dezisionsspielraum durch das schon bestehende System normativer Lösungen, durch Fernwirkungen gesetzlicher Werturteile (grundlegend dazu Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, 1914, S. 230 ff.; weiterführend Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1969, S. 37 ff.) mehr oder weniger weit eingeengt sein kann. M. E. sprechen die Maxime der Begründungsoffenheit und die strikte Achtung vor der Wertung des Gesetzes für eine klare und so weit wie nur eben möglich durchgeführte Trennung von gesetzlicher und gesetzesergänzender,lückenausfüllender, subjektiv-autonomer Gebotsbildung. "Wer eine Lücke füllen oder eine neue Form schaffen will, soll bekennen, woher das Normgut kommt" (Scheuerle, ZZP 78 [1965]. S. 32, 59). «2 Diese Auslegung im strikten Sinne wird vielfach (vgl. etwa Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 3. Aufl. 1969, S. 21: "Wo Zweifel nicht bestehen, wird nicht interpretiert") allerdings

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1. Kap.: Einleitung

es daher nur sein, "solche und nur solche Wertentscheidungen aus einer Rechtsnorm zu entnehmen, die der Normenautor durch die Rechtsnorm entschieden hat" 43 • Durch Interpretation kann der durch die gesetzgeberische Wertentscheidung tatbestandlieh erfaßte und typisierte Erfahrungsbereich nicht erweitert oder verengt werden. Die gesetzgeberische Wertentscheidung braucht allerdings, wie die rechtliche Behandlung von Redaktionsversehen exemplarisch zeigt44 , entgegen der sogenannten Andeutungstheorie45 nicht in der logischen Grammatik (d. h. der Gesamtheit der möglichen Bedeutungen, welche mit den diese Wertentscheidung artikulierenden Ausdrücken im Rahmen des Kontexts im Alltagsleben der Sprachgemeinschaft noch verbunden werden können) "angedeutet" zu sein; es genügt, daß sie sich mit hinreichender Sicherheit aus dem sonstigen zur Erforschung des realen Willens des historischen Gesetzgebers zur Verfügung stehenden Quellenmaterial ergibt48• Entspricht der konkret zu entscheidende Sachverhalt gar nicht als Interpretation begriffen. Vielmehr wird nur die normanreichernde, die konkretisierende und aktualisierende, d. h. den Wertungsgehalt der Norm durch subjektiv-volitive, "subkutane" Wertungsmomente aus der Person des Interpreten erweiternde bzw. verengende Tätigkeit als Interpretation angesehen. Kahler (GrünhutsZ 13 [1868], S. 1, 10) klassifizierte letztere bezeichnenderweise als "höhere" Interpretation im Gegensatz zur "niederen" Interpretation. Daß durch eine solche Terminologie aber lediglich die richterliche Rechtsfortbildung als Interpretation herabgespielt und eingeebnet wird, liegt auf der Hand. 43 Schreiber, Die Geltung von Rechtsnormen, 1966, S. 156 ff., 257 These 22. 44 Vgl. dazu RG, 4. 6. 1907, RGSt 40 S. 191 (195 f.); Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, 1966, S. 30; Engisch, Einführung in das juristische Denken, 4. Aufi. 1968, S. 169, 173; Keller, Die Kritik, Korrektur und Interpretation des Gesetzeswortlautes, 1960, S. 34, 37; Enneccerus-Nipperdey, §52 II (S. 322); Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, 1914, S. 141 f., 145 f. m. w. N. 45 Vgl. dazu die Nachweise unten in§ 7 (S. 157) Fußn. 8. 48 Auf die schwierige Problematik des mit den Schlagworten: subjektive - (entstehungszeitlich oder geltungszeitlich) objektive Interpretation umschriebenen normativen Auslegungsziels kann im Rahmen dieser Arbeit nicht näher eingegangen werden. Nach Ansicht des Verfassers verdient eine subjektive, am realen Willen des historischen Gesetzgebers orientierte und gerade deshalb objektive (da subjektive Gerechtigkeitsvorstellungen des Interpreten abschneidende) Auslegungstheorie den Vorzug; vgl. dazu meine Ausführungen in DB 1967, S. 2027 (2028 f.) m. w. N. Die sog. objektive Auslegung ist mit dem wissenschaftstheoretischen Konzept der geisteswissenschaftlichen Hermeneutik untrennbar verbunden und ohne sie nicht zu halten; beiden vermag der Verfasser nicht zu folgen. - Da der reale Wille des Gesetzgebers immer auf eine bestimmte (tatsächliche oder vorgestellte) gegebene oder erwartete ökonomisch-technische bzw. soziokulturelle Sit~Jation bezogen ist und nur für diese gilt, ergibt sich daraus ohne weiteres, daß bei Wandel dieser Situation eine Norm nicht ohne nähere Prüfung der Frage angewandt werden kann, ob sie nach dem in ihr objektivierten Willen des Gesetzgebers auch noch für die veränderte Situation Geltung beansprucht; vgl. dazu Horn, Rechtssprache und Kommunikation. Grundlegung einer semantischen Kommunikationstheorie, 1966, S. 21 ff.; Luhmann, AöR 94 (1969), S. 1 (3 ff.); RoeUecke, in: Festschrift für Gebhard Müller, 1970, S. 323 ff. Es ist

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keinem der durch gesetzgeberische Wertentscheidung geregelten Sachverhaltstypen, präziser ausgedrückt, fehlt die Isomorphie zwischen den gesetzlich (d.h. den durch eine geordnete endliche Klasse von Normen) geregelten und den durch dieses Normsystem zu regelnden Sachverhaltstypen47 bzw. besteht über die Isomorphiesituation zwischen streitunbeteiligten Juristen trotz sorgfältiger Prüfung und Diskussion48 Uneinigkeit••, so entscheidet der Richter, epistemologisch betrachtet, über die ihm zur Entscheidung vorgelegten Fälle, die durch das Normensystem nicht bzw. nicht klar geregelt sind, aber geregelt werden sollen50, nicht auf Grund einer heteronom bestimmten Kognition, sondern letztlich auf Grund autonomer Dezision51• Denn gesetzliche Wertungen können nur da daher zutreffend, wenn Kronstein (Recht und wirtschaftliche Macht, 1962, S. 69 ff.) feststellt, daß man nicht ohne weiteres Fälle einander gleichsetzen könne, "die sich auf Tatbestände einer Spanne von 60 Jahren stützen, während welcher größte wirtschaftliche, politische und geistige Veränderungen stattgefunden haben". Hier liegt der berechtigte Kern der freilich umstrittenen Regel: "Cessante ratione legis, cessat lex ipsa"; vgl. dazu BAG, 9.10. 1956, AP Nr. 2 zu § 1 TVG Auslegung; BAG (GS), 16. 3. 1962, AP Nr. 19 zu § 1 HausarbTagsG Nordrh.-Westfalen; BGH, 18. 5.1955, BGHZ 17, S. 266; ausführlich dazu Krause, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Römische Geschichte, Kanon. Abtlg., Bd. 46 (1960), S. 81 ff. ; ferner Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 2. Aufl. 1969, S. 333 ff.; vor allem Jagusch, SJZ 1947, S. 295 ff.; unzutreffend Ramm, ArbuR 1962, S. 353 ff. 47 Vgl. dazu Makkonen, Zur Problematik der juridischen Entscheidung, 1965, S. 207 ff.; Klug, in: Festschrift für Nipperdey, 1965, Bd. I, S. 71 (80 ff.); ders., Juristische Logik, 3. Aufl. 1966, S. 84 f. Simitis, in: Frank, Kybernetische Maschinen, 1964, S. 355, bezeichnet angesichts dieser Divergenz von gesetzlich geregelten und ungeregelten, aber zu regelnden Fällen die Rechtsanwendung als "Subsumtion einer unendlichen Zahl von Fällen unter eine endliche Zahl von Normen". •s Zu dieser Forderung und ihrer Bedeutung vgl. Kriele, Kriterien der Gerechtigkeit, 1963, S. 78 ff.; Perelmann, ARSP 51 (1965), S. 219 ff. 49 Der Fall der unklar bleibenden Regelung muß angesichts der erkenntnistheoretischen Aporie, die gesetzgeberische Wertentscheidung zu erkennen, genauso behandelt werden wie die Nicht-Existenz dieser Wertentscheidung; ebenso BAG, 30. 1. 1970, AP Nr. 142 zu § 242 BGB Ruhegehalt (unter B III 3 der Gründe). 50 Ein solcher (wenngleich inhaltlich nicht bestimmter) Regelungswille des Gesetzgebers besteht beispielsweise in all den Fällen, in denen der Gesetzgeber bewußt keine eigene Wertentscheidung (oder allenfalls einen dilatorischen Formelkompromiß) getroffen und die materielle Entscheidung Wissenschaft und Rechtsprechung überlassen hat ; ein anschauliches Beispiel aus den Motiven des BGB dafür bei Säcker, BB 1965, 8.1035; allgemein dazu Flume, in: Steuerberater-Jahrbuch 1964/65, S. 53 (59 ff.). 51 Das BAG (s. beispielsweise die Entscheidung vom 12. 10. 1955, AP Nr. 1 zu §56 BetrVG) bezeichnet demgemäß die Rechtsanwendung bei inhaltlich unbestimmten Normelementen als eine "bewertende, aktualisierende, integrierende und im konkreten Fall die Verwirklichung der Gerechtigkeit anstrebende Willensentscheidung"; ähnlich bereits RG, 26. 5.1922, JW 1922, S. 910; H. Reuß, DOV 1963, S. 361, der feststellt, bei Anwendung von Normen, die schlechterdings unbestimmbare Normelemente aufwiesen, liege "eine apokryphe autonome richterliche Dezision, ein Willens-, kein Erkenntnisakt, vor ... Wenn man, was rechtens ist, erst dann verläßlich weiß und wissen kann, nach-

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1. Kap.: Einleitung

binden, wo sie vorhanden sind. "Die Dringlichkeit einer Frage kann keine Antwort erzwingen, wofern keine wahre zu erlangen ist; weniger noch kann das fehlbare Bedürfnis, auch nicht das verzweifelte, der Ant~ wort die Richtung weisen~2 ." Fehlen die eine Frage regelnden N armen, so liegt eine Bewertungs~ Iücke vor, die nicht durch normative Methodik oder dogmatisches Räsonnement objektiv-richtig, sondern nur unter Aufbietung eines Höchstmaßes an praktischer Vernunft und sozialer Verantwortlichkeit subjektiv-dezisionistisch ausgefüllt werden kann. Diese Einsicht beherrscht seit Überwindung der Begriffsjurisprudenz durch die historisch orientierte Interessenjurisprudenz53 die juristische Methodenlehre; ihr ist bewußt, "daß ein sehr großer Teil, vielleicht der weitaus größte Teil der zweifelhaften Rechtsfragen auf dem Vorhandensein von Gesetzeslücken beruht"~•. Alles andere wäre romantische Selbsttäuschung55• dem der sybillinische Mund des Gerichts sich zum Urteilsspruch geöffnet hat, liegt in Wahrheit keine Rechtserkenntnis, sondern eine Willensentscheidung vor". Ebenso Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, 1965, S. 360 ff. m.w.N. in Fußn. 23, 25; Adomeit, S. 24 ff. Die Existenz dieses faktischen Entscheidungsspielraums läßt sich auch nicht dadurch beseitigen, daß man die dem Richter bei der Entscheidung gesetzlich ungeregelter Fälle abgeforderte materielle Gesetzgebungsaufgabe als objektive Auslegung deklariert (so z. B. Hirsch, JZ 1966, S. 334, 354 ff.) und so die Idee der durchgängig determinierten Entscheidung im Sinne der traditionellen juristischen Entscheidungsideologie aufrechtzuerhalten sucht (vgl. dazu Montesquieu, De l'esprit des lois, 1748, Liv. XI, Chap. 6), die in Deutschland bereits durch Oskar Bülows Schrift "Gesetz und Richteramt" (1885) überwunden wurde, in der der "weite Spielraum selbständiger richterlicher Rechtsbestimmung" (S. 29) herausgearbeitet wurde. 5 2 Adorno, Negative Dialektik, 1966, S. 209. ~3 Vgl. dazu eingehend E. Bucher, ZBernJV 102 (1966), S. 274 ff.; Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufi. 1967, S. 433 ff. und oben Fußn. 4. 54 Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, 1914, S. 174; Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 1967, S. 63: ",Richter gab es, ehe es Gesetze gab' (Portalis); die Schaffung des Rechts ist ursprünglich seine Zuständigkeit, eingeschränkt nur durch die Prärogative des Gesetzgebers zur Rechtsetzung, soweit dieser von ihr Gebrauch gemacht und Rechtsfragen entschieden hat ... In Wirklichkeit ist die sog. ,Lücke' für den Richter die Regel: Rechtsstreitigkeiten, die sich nicht um Tatsachen, sondern um Rechtsfragen drehen, würden sich meist von selbst erledigen, wenn sie bloß durch Subsumtion zu entscheiden wären. Die Einsicht, daß der Gesetzgeber die Rechtsetzungsprärogative hat, daß er aber ein Rechtsetzungsmonopol weder tatsächlich hat, noch denkbarerweise haben kann, läßt die staatsrechtliche Doktrin, derzufolge er es doch habe oder haben solle, als das erscheinen, was sie ist: als einen lebensfernen Überrest aus der Zeit des Kodifikationsoptimismus. . . • (S. 63). Es kommt vor, daß der Gesetzes- und Verfassungstext auf das Problem, das mit dem Fall aufgeworfen ist, klar und eindeutig antworten, daß Gesetz- oder Verfassungsgeber die mit dem Fall auftauchenden Zweüelsfragen in einem ganz bestimmten Sinne abgeschnitten und das Problem entschieden haben; die Regel ist es nicht. Am wenigsten ist es im Recht der Grundrechte der Fall, wo lapidare Generalklauseln sich wechselseitig balancieren.... Hier wird die Problematik der Rechtsgewinnung am augenfälligsten, hier zeigt sich am

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Der neuerlich von Larenz58 und Canaris57 unternommene Versuch, der richterlichen, lückenfüllenden Normbildung als solcher auf der Grundlage der traditionellen Rechtsquellenlehre jegliche normative Geltung zu versagen und die geisteswissenschaftliche (dialektische) Hermeneutik als juristische Methode zu verteidigen, ist m. E. nicht gelungen. Ihre Argumente schaffen zwar die notwendige methodologische Distanz gegenüber extremen Positionen des juristischen Realismus, die Möglichkeit und Sinn normativer Rechtsquellenlehre und Methodologie von vornherein verneinen58 ; im übrigen aber bleiben die gegen ihren eigenen Standpunkt bestehenden erkenntniskritischen Bedenken undiskutiert. Denn beide Autoren verzichten auf eine Auseinandersetzung mit den modernen wissenschaftstheoretischen Auffassungen des Neopositivismus und des kritischen Rationalismus59 ; sie verschweigen die in der Geschichte erwiesene unbegrenzte Manipulierbarkeit dialektisch-hermeneutischer Verfahren zur Rechtfertigung jeder beliebigen lnterpretation60• Die Legitimierung gesetzlich nicht determinierter Entscheidungen durch Berufung auf die Rechtsidee "verbrämt" 61 den höchst subjektiven Vorgang der richterlichen Rechtsfortbildung, ist es doch allein die richterliche Entscheidung, die aus den sich zur Lückenausfüllung anbietenden Entscheidungsalternativen eine auswählt und diese in den Rang von geltendem Recht erhebt. Auch axiologische, alle erkennbaren gesetzlichen Wertungs- (Funktions- und Sinn-) zusammenhänge ausschöpfende Ereindringlichsten, daß die Berufung auf einen angeblich vorgegebenen Rechtssatz bei Unterschlagung der möglich gewesenen Alternativen immer bedeutet, daß man die Gründe, die in Wahrheit die Wahl bestimmt haben, verbergen kann. Eine Methodenlehre, die sich mit der Analyse der offenen Urteilsgründe begnügt, kann beim heutigen Stand der rechtstheoretischen Einsicht den Ansprüchen nicht mehr genügen. Es kommt vielmehr darauf an, die verdeckten, nämlich die eigentlichen Entscheidungsgründe ans Licht zu ziehen und rational kontrollierbar zu machen" (S. 197). Ebenso Esser, Vorverständnis und Methode in der Rechtsfindung, 1971, S. 9 ff. 55 Girardot, ARSP Beiheft zu Bd. 41 (1955), S. 155 f., über "die selbsttäuschende Romantik der Rechtspraxis"; ferner Säcker, DB 1967, S. 2027 (2028 f.). 56 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 2. Aufi. 1969, S. 115 f., 141 ff., 150 ff., 323 ff., 473 ff.; dazu die auch gegenüber der zweiten Auflage unverändert gültigen kritischen Bemerkungen von E. E. Hirsch, JZ 1962, S. 329 ff. 57 Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1969, S. 65 ff., 69 ff., 100 ff., 146 ff.; dazu die kritische Besprechung durch Wieacker, ZfR 1970, S. 107 ff. 58 So etwa Adomeit, S. 21 ff., 38 ff.; krit. dazu Schwerdtner, BB 1969, S. 787 f. 59 Vgl. dazu zuletzt etwa Topitsch, Die Sozialphilosophie Hegels als Heilslehre und Herrschaftsideologie, 1967; Albert, Traktat über kritische Vernunft, 1968; Luhmann, Zweckbegriff und Systemrationalität, 1968; Stegmüller, Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und analytischen Philosophie, Bd. I, 1969. 60 Dazu Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, 1968, S. 302 ff.; Leinemann, Der Begriff Freiheit nach§ 823 Abs. 1 BGB, 1969, S. 38 ff. 61 Vgl. dazu Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 2. Aufi. 1964, S. 235 ff.

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1. Kap.: Einleitung

wägungen vermögen den real bestehenden Entscheidungsspielraum des Richters im Bereich der Lückenschließung in aller Regel nicht "auf Null zu reduzieren", wie an beliebig vielen Beispielen demonstriert werden könnte, so daß richterliche Entscheidung in diesen Fällen Willensentscheidung ist62 • Diese Aussage bedeutet indes nicht, daß dadurch die Diskussion der durch den Gesetzgeber nicht oder nicht klar geregelten Rechtsfragen auf eine meta-juristische, rechtspolitisch-moralphilosophische Ebene abgedrängt wird, die den Juristen (als Juristen) nichts angeht. Auch das durch Gesetz und Richterspruch noch nicht entschiedene Problem ist Rechtsproblem und keine "bloß" moralisch-rechtspolitische Fragestellung, von der der Jurist erst Kenntnis nehmen kann, wenn der Gesetzgeber oder Richter sie entschieden hat63 • Es ist vielmehr seine Aufgabe, die in der rechtswissenschaftliehen Diskussion vorgeschlagenen Lösungen auf ihre Verträglichkeit mit dem geltenden Recht hin zu untersuchen, ihre außergesetzlichen Elemente kritisch zu durchleuchten und gegebenenfalls selbst einen Lösungsvorschlag zu unterbreiten, der ihm im Vergleich zu den übrigen in Frage stehenden Entscheidungsalternativen am "vernünftigsten" und "sachgerechtesten" erscheint und sich am besten in das Gefüge der bestehenden normativen Wertentscheidungen einfügt8'. Der Rechtswissenschaft kommt also in diesem Bereich die Funk62 Vgl. RG, 26. 5. 1922, JW 1922, S. 910; BAG, 12. 10. 1955, AP Nr. 1 zu §56 BetrVG. 63 Vgl. dazu Kriele, ÖZöffR N.F. XVI (1966), S. 413 ff.; ähnlich auch Bydlinski, in: Gedächtnisschrift für Gschnitzer, 1968, S. 101 (109 ff.); Perelman, Justice et raison, 1963, S. 95 ff., 234 ff.; Villey, Archives de Philosophie du Droit 10 (1965), S. 369; Viehweg, Topik und Jurisprudenz, 3. Aufi. 1965, S. 25; ders., Archives de Philosophie du Droit 11 (1966), S. 208; Larenz, in: Festschrift für Olivecrona, 1964, S. 386 ff.; Kalinowski, ARSP 53 (1967), S. 161 ff.; Horn, NJW 1967, S. 601 (604); Wagner, AcP 165 (1965), S. 520 (532), sämtlich gegen die namentlich von Kelsen (Reine Rechtslehre, 2. Aufi. 1960, S. 242 ff., 346 ff., 351 ff.; ders., Revue internationale de la theorie du droit 8 [1934], S. 9 ff.) vertretene positivistische Vorstellung, daß die Ausfüllung des vom positiven Recht in vielen Fällen gebildeten Rahmens, innerhalb dessen mehrere logisch gleichwertige Interpretationsmöglichkeiten gegeben seien, allein ein rechtspolitisches Problem sei, das eine teleologisch-wertende Beurteilung nicht zulasse. 84 Vgl. dazu Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 1967, S. 172 ff.; Enneccerus-Nipperdey, §56 III (S. 334); Nipperdey, in: Gedächtnisschrift für R. Schmidt, 1966, S. 313; Esser, Wertung, Konstruktion und Argument im Zivilurteil, 1965, S . 21; Podlech, DÖV 1967, S . 740 (743 f.); Welzel, in: Festschrift zum 100jährigen Bestehen des DJT, 1960, Bd. I, S. 397; Adomeit, NJW 1967, S. 1994 (1996); Diesselhorst, Die Natur der Sache als außergesetzliche Rechtsquelle, verfolgt an der Rechtsprechung zur Saldotheorie, 1968, S. 221 ff.; Betti, Allgemeine Auslegungslehre als Methodik der Geisteswissenschaften, 1967, S. 602 ff. (615); Hruschka, ARSP 50 (1964), S. 485; Zippelius, JZ 1970, S. 241 ff.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 2. Aufi. 1969, S. 326; Ecker, JZ 1967, S. 265 ff.; zur wissenschaftstheoretischen Fundierung dieser Forderung vgl. aus der Sicht des kritischen Rationalismus Popper, Das Elend des Historizismus, 1965, S. 70; ders., Conjectures and refutations, 1963, S. 215 ff. Je stabiler

§ 2. Untersuchungsmethode

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tion zu, die rechtlich denkbaren Entscheidungsalternativen und die normativen Wertungen, die den Entscheidungsspielraum eingrenzen, aufzuzeigen, um sicherzustellen, daß das juristische, um eine angemessene Problemlösung bemühte Urteil nicht bloß von subjektiven Billigkeitserwägungen getragene Gefühlsäußerung, sondern eine mit den Wertentscheidungen der Rechtsordnung verträgliche und dies anhand ihrer dogmatischen Begründung ausweisende Problembeurteilung ist65. Die Lösung selbst kann die Rechtslehre also nur durch ein sorgfältig reflektiertes, problem- und verantwortungsbewußtes Räsonieren, das im Interesse einer methodisch ehrlichen und offenen Argumentation auch als solches gekennzeichnet werden sollte (s. oben S. 56), vorbereiten66. Denn die Rechtswissenschaft ist im parlamentarischen Rechtsstaat keine normativ zugelassene Rechtsquelle87• Die dem Richter für den Fall des Schweigens des Gesetzgebers zufallende materielle Gesetzgebungsaufgabe läßt sich auch durch Hypostasierung der Rechtswirklichkeit zu einer subsidiären Rechtsquelle nicht schmälern68. Die Bezugnahme auf bestimmte wie auch immer geartete, und engmaschiger dabei das etablierte rechtliche und außerrechtliche Normensystem ist, desto größer ist der Außenhalt, den das individuelle Bewußtsein bei der Abwägung der möglichen Normhypothesen in komplexen Entscheidungssituationen durch solche kollektiven Bewußtseinsinhalte erfährt; je geringer dagegen die allgemein anerkannten Standards, desto größer die Verunsicherung im Urteil und die Dominanz des Subjektiven. Die Diskussion, ob die Differenzierungsklausel gegen das Gerechtigkeitsempfinden verstößt (bejahend BAG, 29.11.1967, AP Nr.13 zu Art. 9 GG; verneinend Ritter, JZ 1969, S. 111 ff.; Reuß, ArbuR 1970, S. 33 ff.) zeigt dies sehr deutlich. Zur soziologischen Analyse dieser Situation vgl. die Literaturhinweise bei Säcker, S. 112 Fußn. 259. 85 Vgl. dazu Esser, Studium Generale 12 (1959), S. 97 ff.; Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1969, S. 37 ff., 135 ff. m.w.N. 68 Zu dieser im Streit zwischen "Topik" und "offenem" Systemdenken vermittelnden Position vgl. Säcker, S. 113 Fußn. 261. 87 Vgl. dazu Mayer-Maly, in: Gedächtnisschrift für R. Schmidt, 1966, S. 21 ff.; Raiser, NJW 1964, S. 1201 (1205 ff.); Esser, in: Festschrift für v. Hippel, 1967, S. 95 (104); Adomeit, S. 50 ff.; Lombardi, Diritto giurisprudenziale, 1967; Säcker, JZ 1971, S. 156 (161 f.) m.w.N. ss Zur rechtlichen Bedeutung der Rechts-, insbesondere der Verfassungswirklichkeit für die Interpretationsmethode vgl. die (kontroversen) Stellungnahmen bei Krüger, in: Reich, Volksordnung, Lebensraum, Zeitschrift für völkische Verfassung und Verwaltung 5 (1943), S. 221 ff.; ders., Allgemeine Staatslehre, 2. Aufi. 1966, S. 701 ff.; ders., in: Verhandlungen des 46. DJT, Essen 1966, Bd. I/1 (1966), S. 7 (24 ff.) [dazu kritisch Ritter, Der Staat 7 (1968), S. 352 ff.]; ferner Burdeau, Der Staat 1 (1962), S. 389 ff.; Loewenstein, AöR 78 (1952), S. 390 ff.; Chr. Böckenförde, Die sogenannte Nichtigkeit verfassungswidriger Gesetze, 1966, S. 115 ff.; Fechner, Rechtsphilosophie, 2. Aufi. 1962, S. 203 ff.; ders., ZgesStW 102 (1940), S. 78 (91 ff.); Mayer-Maly, in: Deutsche Landesreferate zum VII. Internationalen Kongreß für Rechtsvergleichung in Uppsala 1966, 1967, S. 369 (372 f., 377); Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 3. Aufl. 1969, S. 10 ff. (19 f.) ; F. Müller, Normstruktur und Normativität, 1966, S. 77 ff.; Leibholz, Das Wesen der Repräsen-

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1. Kap.: Einleitung

juristisch nicht näher präparierte Dimensionen der Wirklichkeit als Argumentationsbasis stellt sich, soweit damit ein Denken aus der Natur der Sache68 gemeint ist, als logisch unhaltbare70 Ableitung eines Sollens tation und der Gestaltwandel der Demokratie im 20. Jahrhundert, 3. Aufi. 1966, S. 249 ff.; ders., Demokratie und Rechtsstaat, 1957, S. 278 f., der gegen die Erhebung der Verfassungswirklichkeit zur Rechtsquelle einwendet: "Man würde zu einer Art soziologischem Positivismus gelangen, der die Tendenz haben würde, die Rechtswissenschaft zu einer konkreten Situationsjurisprudenz zu degradieren, und der das Recht letzthin zur ausschließlichen Disposition der jeweils die Wirklichkeit beherrschenden sozialen und politischen Kräfte stellen würde. Ein solcher soziologisch-politisierender Positivismus würde letztlich nicht minder relativistisch-anarchistische und desintegrierende Folgerungen zeitigen, wie der von ihm so nachdrücklich bekämpfte Rechtsund Begriffspositivismus." Zudem ist jede Argumentation aus der konkreten Rechtswirklichkeit ambivalent; erst die theoretische oder ideologische Position der aus ihr Argumentierenden bestimmt, was "wirklich" ist; ein Beispiel dafür in meiner Schrift: Grundprobleme der kollektiven Koalitionsfreiheit, 1969, S. 114 Fußn. 265. 69 Vgl. dazu die in dem von A. Kaufmann herausgegebenen Sammelwerk: Die ontologische Begründung des Rechts (1965) abgedruckten Aufsätze von Gutzwiller, Coing, Maihofer, Bobbio, Baratta, Schambeck, Engisch; ferner: Droit et nature des choses. Travaux du Colloque de philosophie du droit compare (Annales de la Faculte de droit de Toulouse), Paris 1965; Radbruch, in: Festschrift für Laun, 1948, S. 157 ff.; BaUweg, Zu einer Lehre von der Natur der Sache, 2. Aufl. 1963; Küchenhoff, in: Gedächtnisschrift für Hans Peters, 1967, S. 712 ff.; Schambeck, Der Begriff der "Natur der Sache", 1964; A. Kaufmann, Analogie und Natur der Sache, 1965; Troller, überall gültige Prinzipien der Rechtswissenschaft, 1966, S. 184 ff.; Henkel, Einführung in die Rechtsphilosophie, 1964, S. 288 ff.; Maihofer, ARSP 51 (1965), S. 233 ff.; Polantzas, Nature des choses et droit. Essai sur la dialectique du fait et de la valeur, 1965; Dreier, Zum Begriff der "Natur der Sache", 1965; Säcker, JR 1966, S. 39; F. Müller, Normstruktur und Normativität, 1966, S. 94 ff.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 2. Aufi. 1969, S. 388 ff.; Wenger, Die öffentliche Unternehmung, 1969, S.196 ff.; Mayer-Maly, in: Studi in onore diE. Volterra, 1969, Bd. II, S. 113 ff.; Geny, Methode d'Interpretation et Sources en Droit Prive Positif, 2. Aufl. 1919, Bd. II, S. 88 ff.; Diesselhorst, Die Natur der Sache als außergesetzliche Rechtsquelle, verfolgt an der Rechtsprechung zur Saldotheorie, 1968, S. 244, der der Natur der Sache gegenüber einer "offenbar verfehlten gesetzlichen Regelung" Rechtsquellencharakter zuerkennen will, wenn (!) der Richter die aus ihr folgenden Anforderungen zu geltendem Recht erhebt. 70 Vgl. Hume, A Treatise of Human Nature, 1740 (zitiert nach der Neuausgabe: London und New York 1959/60), Bd. II, S.177 f.; Kant, Kritik der reinen Vernunft (zitiert nach der von Weisehedei hrsg. Ausgabe: Werke in 6 Bänden 1956 ff., Bd. II), S. 325,498 ff.; Brecht, Politische Theorie, 1961, S. 650 f.; Max Weber, Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 2. Aufi. 1951, S. 127; Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, 1910, S. 7, 226, 228; ders., Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960, S. 5; U. Klug, in: Essays in Honor of Hans Kelsen, 1964, S. 154 ff.; Achermann, Das Verhältnis von Sein und Sollen als ein Grundproblem des Rechts, 1955; Welzel, Die Frage nach der Rechtsgeltung, 1966, S. 22 ff.; Valdes, ARSP Beiheft 41 (1965), S. 229 ff.; kritische Einwendungen gegen die Hume'sche Dichotomie von Sein und Sollen dagegen bei M. Zimmermann, The "ls--Ought": An Unneccessary Dualism, Mind, Bd. 71, S. 53 ff.; Searle, How to Derive "Ought" from "Is", Philosophical Review Bd. 73, S. 43 ff.; W. Berlet, Das Verhältnis von Sollen, Dürfen und Können, 1968, der in der Tradition der Wesensmetaphysik unter Rückgriff auf Gedanken Nikolaus von Cues' den angeblich "personalen" Charakter des Problems von Sein und Sollen betont.

§ 2. Untersuchungsmethode

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aus dem Sein dar, die lediglich in "pseudo-objektiver'm, "philosophischspekulativer"72 Weise unter Verschweigung der implizierten Wert- und Zielvorstellung zum Ausdruck bringt, wie der Disputant zu dem konkreten Problem Stellung bezieht. Soweit damit ein Rekurs auf die normative Kraft des Faktischen, sprachlich entzaubert: auf transjuristische, gesellschaftliche Konventionen und Wertvorstellungen bezweckt ist, handelt es sich um den Versuch einer Bindung des Richters an außerrechtliche Werturteile mit dem Ziel einer fließenden Geltungsfortbildung des gesetzten Rechts. Eine solche Faktisches mit Normativem verbindende Rechtsquellenlehre ist aber unvereinbar mit der in Art. 20 Abs. 3 GG abschließend normierten Bindung des Richters an Gesetz und Recht73. In der parlamen...; tarischen Demokratie entscheidet über das Ob und Wie der Transformation der in der Rechtsgemeinschaft vorhandenen, häufig unterein71 Albert, in: Handbuch der empirischen Sozialforschung, hrsg. von R. König, Bd. I, 2. Aufl. 1967, S. 39 (41). "Natur" oder "Wesen" des regelungsbedürftigen Rechtsverhältnisses erschließen sich erst, wenn dieses unter leitenden Wertgesichtspunkten betrachtet wird (Stratenwerth, Das rechtstheoretische Problem der Natur der Sache, 1957, S. 24 f.) und diese zur "Natur" des Regelungsgegenstandes erhoben worden sind. Dreier (Zum Begriff der Natur der Sache, 1965, S. 82, 115 f.) kennzeichnet den in Argumentationen aus der Natur der Sache zum Ausdruck gelangenden methodelogischen Essentialismus zutreffend als eine "Denkform, in der bereits erarbeitete Normenbegriffe gedacht werden, m .a .W., er setzt ein prae-existentes Normensystem voraus". 72 Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 2. Aufl. 1964, S. 102. Eugen Ehrlich gelangte bereits im Jahre 1888 in einem Aufsatz "Über Lücken im Recht" (JBl. 1888, S. 511) zu der Feststellung: "Es gibt vielleicht keinen zweiten Begriff in der Jurisprudenz, dessen Definition gleich nebelhaft wäre und mit dem bei der praktischen Anwendung ein größerer Mißbrauch getrieben worden wäre." Der Verzicht auf diesen Topos bedeutete, wie Dreier (Zum Begriff der Natur der Sache, 1965, S. 128) zutreffend feststellt, einen Beitrag zu dem von Ludwig Wittgenstein geforderten Kampf "gegen die Verhexung unseres Denkens durch die Mittel unserer Sprache". Vgl. auch Topitsch, in: Verhandlungen des 15. Deutschen Soziologentages, 1965, S. 32 ff. 73 In privatrechtsorientierten Methodenlehren wird dieser Zusammenhang häufig zerstört, indem verfassungsunabhängige, "un-politische" Methodenlehren ohne Berücksichtigung der Normen der Verfassung ausgebreitet werden (paradigmatisch dafür Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 2. Aufl. 1964, S. 291 ff.). Eine Methodenlehre, die nicht lediglich explikativ die richterliche Entscheidungspraxis beschreiben, den Wandel der Normen durch Auslegung registrieren und Entscheidungsprognosen stellen will (so Adomeit, S. 24 ff., 38 ff.; dazu Säcker, S. 122 Fußn. 300), sondern normative Maßstäbe für die Gewinnung der "richtigen" Entscheidung aufstellen will (präskriptive im Gegensatz zur deskriptiven Methodenlehre), kann indes nur unter Beachtung der Grundentscheidungen der konkreten Verfassung über das Verhältnis von judikativer und legislativer Gewalt entwickelt werden; vgl. dazu.näher Säcker, ArbuR 1971, S.112 f.; ferner Stein, NJW 1964, S. 1745 ff.; Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, 1965, S. 360 ff.; Birke, Richterliche Rechtsanwendung und gesellschaftliche Auffassungen, 1968, S.13 ff.; H. P. Schneider, Richterrecht, Gesetzesrecht, Verfassungsrecht, 1969, S. 95 ff., alle m.w.N.

5 Säcker

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1. Kap.: Einleitung

ander konkurrierenden Wertvorstellungen in anwendbares positives Recht primär das Parlament74 und sekundär, kraft der ihm durch das Rechtsverweigerungsverbot15 auferlegten Zuständigkeit, der Richter78 • Verzichtet man entsprechend dem vorstehend dargelegten methodologischen Programm auf ein begriffsjuristisches Inversionsverfahren zur 74 über die Gesetzgebungsprärogative des Parlaments besteht im Prinzip kein Streit; angesichts des eminent gesellschaftspolitischen Charakters des kollektiven Arbeitsrechts sprechen gerade hier besonders gewichtige Gründe für eine parlamentarische und nicht für eine richterliche Rechtsetzung; ebenso Gamillscheg, Die Differenzierung nach der Gewerkschaftszugehörigkeit, 1966, S. 23; Mayer-Maly, DB 1966, S. 821 (824); ders., JBl. 1967, S.1 (2); Abendroth, Das Grundgesetz. Eine Einführung in seine politischen Probleme, 1966, S. 76; s. a. oben S. 43 Fußn. 2. 75 Vgl. Horn, NJW 1967, S . 601 (604); Ehmke, VVdStRL 20 (1963), S. 53 (57); Radbruch, ArchSozW 22 (1906), S. 3551f.; Schumann, ZZP 81 (1968), S. 791f. m.w.N. Häufig begegnet man indes einem wesentlich engeren Verständnis des Justizverweigerungsverbotes. Danach soll der Richter lediglich verpflichtet sein, überhaupt eine Entscheidung zu treffen; so z. B. Larenz, NJW 1965, S. 1 (2). Diese Ausdeutung des Rechtsverweigerungsverbotes erscheint jedoch, wie ich in meiner Schrift über: Grundprobleme der kollektiven Koalitionsfreiheit, 1969, S. 117 f. dargelegt habe, wenig sinnvoll. Denn dann könnte der Richter "Entscheidungen ohne Analyse und Wertung" (Mayer-Maly, JBl. 1967, S. 1, 2) treffen: "Die einzige ratio eines solchen Verfahrens läge darin, daß durch recht unsinnige Fallentscheidungen die Legislative angespornt würde. Dem ist die vorbereitende Ausformung von Rechtsgedanken durch Lehre und Judikatur vorzuziehen." Erziehung und Anspornung des Parlaments sind nicht Aufgabe des Richters. 78 Näher zu den methodelogischen und rechtsquellentheoretischen Voraussetzungen richterlicher Normsetzungsbefugnis im gewaltdifferenzierenden Rechtsstaat Säcker, Grundprobleme der kollektiven Koalitionsfreiheit, 1969, S. 121 ff. m.w.N. Um jedes Mißverständnis auszuschließen, sei betont, daß in allen Rechtsordnungen, die das Rechtsverweigerungsverbot als geschriebenen oder ungeschriebenen Rechtssatz enthalten, dem Richter die Befugnis zur eigenständigen Normsetzung im Bereich der Gesetzeslücke, aber auch nur hier, zusteht; zur Rechtsfortbildungcontra legem ist er verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht berechtigt. Ebenso wie es verfassungswidriges Gesetzesrecht gibt, kann es daher auch gesetzeswidriges Richterrecht geben. Letzterem verleiht erst gewohnheitsrechtliche "desuetudo" den Rang von (normativ) geltendem Recht. Ob man das Richterrecht als eigenständige Rechtsquelle in eine an der Formtypik des Gesetzgebungsrechtsstaates orientierte normative Rechtsquellenlehre einordnen kann (verneinend Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1969, S. 69, 72, allerdings unter Fortführung des Dogmas, daß nur Gewohnheitsrecht den Gegensatz von normativ geltendem und faktisch geltendem Recht überbrücken könne; dagegen überzeugend Adomeit, S. 53 ff.; Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, 1968, S. 464 ff.), ist allerdings zweifelhaft (vgl. immerhin die §§ 137 GVG, 45 Abs. 2 Satz 2 ArbGG, 31 Abs. 2 BVerfGG, 546 Abs. 2 Satz 2 ZPO, 72 Abs. 1 Satz 2 ArbGG) und soll hier nicht näher erörtert werden. In der bisherigen Diskussion des Richterrechtsproblems hat man häufig vorschnell aus dem dezisionistischen Charakter zahlreicher höchstrichterlicher Entscheidungen auf den eigenständigen rechtsquellentheoretischen Rang des Richterrechts geschlossen. Dagegen bestehen zahlreiche Bedenken, die sich vor allem aus den (nur in den §§ 31 Abs. 2 BVerfGG, 47 Satz 4 VwGO generell aufgehobenen) subjektiven Grenzen der Rechtskraft der richterlichen Entscheidung ergeben.

§ 2. Untersuchungsmethode

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Ausfüllung von Gesetzeslücken und erarbeitet statt dessen in offener Wertung des Interessenkonflikts die konfliktschlichtende Norm, so muß man von den eingangs erwähnten Versuchen Abstand nehmen, aus der gesetzlich nicht entsprechend vorbewerteten Rechtsnatur einer Institution vermittels logischer Operation die Lösung gesetzlich ungeregelter Probleme abzuleiten. Die Begriffe können nicht mehr ergeben, als in sie hineingedacht ist: "Der Syllogismus funktioniert nicht schon durch die Garantien des logischen Denkens, sondern erst durch die Vollständigkeit der Prämissen. Die Rechtsgarantien der axiomatischen Arbeitsweise bestehen praktisch in der gerechten und sachgerechten Vorbewertung der anzuwendenden Begriffe und Denkkategorien77." Der Verzicht auf die Benutzung des Begriffs als Normenquelle, seit Heck18 unverlierbarer Bestandteil jeder am Postulat der Begründungswahrheit und -klarheit orientierten juristischen Methodologie, führt dazu, daß an die Stelle deduktiver Gewinnung des Ergebnisses aus Oberbegriffen die Erfassung der konkreten Ordnungsaufgabe tritt. Die Herausarbeitung der Gesichtspunkte, die der Erörterung einer realen Sachproblematik zugrundegelegt werden und die für die jeweilige Interessenbewertung maßgeblich sind, hat den Vorrang vor der rechtlichen Klassifizierung und Systematisierung70. Alfred Hueck 80 hat auf diese Aufgabe der dogmatischen Theorienbildung trefflich hingewiesen: "Es ist nicht ihre Aufgabe, Rechtssätze aufzustellen oder im Wege rein begrifflicher Konstruktion Rechtsfolgen für bisher nicht geregelte Fragen abzuleiten, sondern der Wert einer Theorie liegt lediglich darin, daß sie in einer kurzen Formel die auf anderem Wege gewonnene Entscheidung über die Rechtslage verdeutlicht ...." Methodisch liegt der Fehler der Vorabentscheidung des Klassifikationsproblems in dem Verzicht auf die Klärung der Frage, ob der zu bewertende Lebenssachverhalt auf Grund seiner spezifischen Eigenart überhaupt als Unterfall des geschriebenen oder ungeschriebenen abstrakten Tatbestandes verstanden werden kann, dem die Rechtsfolge ent77 Esser, Studium Generale 12 (1959), S. 97 ff. 78 Heck, Rechtserneuerung und juristische Methodenlehre, 1936, S. 36; ders., Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, 1932, S. 92 ff.; zust. E. Schneider, MDR 1967, S. 6 (7 ff.). 79 Im Hinblick auf die methodisch gleichliegende Frage, ob die Beweislastnormen dem materiellen oder prozessualen Recht zuzuordnen sind, stellt E. Schneider (DRiZ 1966, S. 282) treffend fest: "Methodisch unzulässig- weil Begriffsjurisprudenz im schlechten Sinne - ist es, sich für eine Einteilung zu entscheiden und sodann auf Grund dieses ,Vor'urteils Sachfragen zu entscheiden ... Der erlaubte Weg ist allein der, vorweg alle Sachfragen zu lösen und alsdann auf Grund der so gewonnenen Ergebnisse die Beweislastnormen dem einen oder dem anderen Rechtsgebiet zuzuweisen." 80 Hueck-Nipperdey I, § 21 III, S. 118 f.; ähnlich Pawlowski, Rechtsgeschäftliehe Folgen nichtiger Willenserklärungen, 1966, S.172; ferner eingehend Wagner, JuS 1963, S. 457 ff.; Haag, ARSP 54 (1968), S. 351 ff.

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1. Kap.: Einleitung

nommen wird. Die "späte" Einsicht, daß diese Rechtsfolge angesichts der Besonderheit des zu entscheidenden Falles nicht "angemessen" ist, führt dann nicht, wie es methodisch erforderlich wäre, zur "vorgreifliehen" Klärung der Sachstrukturen zwecks Erarbeitung einer sachlich tragfähigen Begründung, sondern mittels "Ad-hoc-Hypothesen"8t, zum Beispiel mittels Erfindung "stillschweigender" Abänderungsvorbehalte (dazu unten§ 10 B IV 3), zur Abänderung und Einschränkung der Rechtsfolge, die an den (im Rahmen des syllogistischen Schlußverfahrens als Obersatz fungierenden) Rechtssatz geknüpft ist82• Mit Hilfe solcher Ad-hoc-Hypothesen kann eine Theorie zwar beliebig lange aufrechterhalten werden, selbst wenn man sich sachlich längst in den gedanklichen Bahnen der abgelehnten Gegentheorie bewegt83 • Die Funktion juristischer Systematik, Theoriebildung und Begrifflichkeit wird jedoch vereitelt: Theorie, Begriff und logisches System der Begriffe dienen der Vereinfachung der Rechtsanwendung durch Ordnung der Normenmaterie (und "Ordnung ist Bequemlichkeit"84 ), damit bei gleichartigen Sachverhalten nicht stets erneut die hieran zu knüpfenden Rechtsfolgen sachlich erörtert werden müssen. Das setzt klare Begriffe 81 Ad-hoc-Hypothese ist eine den Aussagegehalt einer Theorie schmälernde Ergänzung oder Modifikation durch Einführung zusätzlicher Gedanken regelmäßig in Form von Hilfsvorstellungen. Unter "Theorie" wird hier und im folgenden entsprechend dem modernen wissenschaftstheoretischen Sprachgebrauch eine generelle, nomologische Hypothese verstanden, nämlich eine prinzipiell falsifizierbare Behauptung über den Zusammenhang von Gegenständen (im Bereich der Jurisprudenz: über den Zusammenhang von geschriebenen und ungeschriebenen Rechtsnormen); vgl. dazu Leinfellner, Struktur und Aufbau wissenschaftlicher Theorien, 1965, insbesondere S. 171 ff., 228 ff.; Popper, Logik der Forschung, 3. Auft. 1969, S. 35 ff.; Albert, Marktsoziologie und Entscheidungslogik, 1967, S. 92 ff., 131 ff., 243 ff., 281 ff., 470 ff.; Reichenbach, Der Aufstieg der wissenschaftlichen Philosophie, 1951, S. 203 ff. 82 Vgl. dazu die von mir in der Auseinandersetzung mit Richardi, Kollektivgewalt und Individualwille bei der Gestaltung des Arbeitsverhältnisses (1968) angeführten Beispiele in RdA 1969, S. 291 (294 f.). 83 Vgl. Wagner, JuS 1963, S. 457 (461, 462). Die eingangs (§ 1) als Beispiel für die im Schrifttum herrschenden methodischen und sachlichen Gegensätze angeführte Frage, ob Gesamtzusage, Betriebsübung und arbeitsvertragliche Einheitsregelung durch einen später abgeschlossenen Kollektivvertrag auch zum Nachteil der Arbeitnehmer abgeändert werden können, ist ein Beispiel für die Verwirrung, die eine solche Methode anrichtet. Auch Richardi (S. 4) hat neuerdings nachdrücklich auf "die Blendwirkung juristischer Begriffe gerade in der Dogmatik des arbeitsrechtlichen Kollektivvertragsrechts" hingewiesen, die zu willkürlicher Verengung der entscheidungserheblichen Auswahlkriterien führe und häufig so stark sei, daß rechtliche Bewertungen nur auf ihr beruhten. 84 Kegel, Internationales Privatrecht, 2. Aufl. 1964, § 7 III 2 (S. 100). Die Entlastungsfunktion fall(typus)gerechter Vorbewertung wird von HassemeT (Tatbestand und Typus, 1968, S. 112 ff., 126) verkannt, wenn er meint, daß für jede Sachverhaltsentscheidung der Tatbestand neu und deshalb anders zu verstehen sei; die Kritik von Larenz (Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 2. Auft. 1969, S. 255 Fußn. 1) trifft ihn daher zu Recht.

§ 2. Untersuchungsmethode

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und die Bezeichnung neuer Probleme mit neuen Begriffen voraus, wenn diese sich von den im System eingefangenen Problemen in rechtlich wesentlicher Weise unterscheiden. Eine rechtstheoretische Untersuchung kann Wertungsprobleme zwar diskutierbarer, aber nicht lösbarer machen; d. h. es können zwar semantische Scheinprobleme eliminiert und konstruktive Umwege und Unklarheiten beseitigt werden; der Informationsgehalt des Systems aber wird durch Deduktion aus den Axiomen des Systems nicht größer. Das System produziert selbsttätig keine neuen Wertungen, mag man es auch noch so häufig logisch umformen, es sei denn, man "schmuggelte" bei einem Transformationsprozeß eine neue hinein85• Überspitzt ausgedrückt: Die Richtigkeit einer theoretischen Untersuchung erweist sich daran, daß sie praktisch unfruchtbar ist, d. h. kein bislang ungelöstes Sachproblem löst86• Eine dogmatische Arbeit dagegen, die zu gesetzlich ungeregelten Fragen Stellung nimmt, müßte, wenn sie eine offene, sachhaltige Frohlerndiskussion fördern will87, zunächst einmal die gesetzlich nicht geregelten Sachverhaltstypen erfassen, system- und sachgerechte Lösungsvorschläge anhand einer umfassenden Folgendiskussion erarbeiten bzw., soweit sie richterrechtlich entschieden sind, bei nachweislich besseren Gründen86 die Abänderung des Richterrechts empfehlen. Erst dann ist 85 Vgl. dazu statt aller Luhmann, Funktionen und Folgen formaler Organisation, 1964, S. 24 ff.; Engisch, Studium Generale 10 (1957), S. 173 ff.; Zetterberg, in: Handbuch der empirischen Sozialforschung, hrsg. von R. König, Bd. I, 2. Aufl. 1967, S. 64 (79 ff.); Leinfellner, Struktur und Aufbau wissenschaftlicher Theorien, 1965; Reichenbach, Experience and Prediction. An Analysis of the Foundations and the Structure of Knowledge, 1938; Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1969, S. 25 ff., der zu Recht vor der Überschätzung der Leistungsfähigkeit axiomatisch-deduktiver Systeme in der Jurisprudenz warnt, seinerseits aber deren Bedeutung unterschätzt. So erfahren etwa die Untersuchungen Harts, The Concept of Law, 1961, und Ross', Directives and Norms, 1968, zwei herausragende Beispiele für die Bedeutung rechtstheoretischer, axiomatischer Untersuchungen, keine Erwähnung. Im übrigen aber ist der von Canaris, a. a. 0., S. 40 ff. entwickelte Begriff des offenen, axiologisch-teleologischen Systems für die dogmatische Durchstrukturierung und Kontrolle des Verfahrens der interpretativen wie der lückenschließenden Rechtsgewinnung von eminenter Bedeutung, weil dadurch der Bereich vorgegebener normativer Wertungen, ihre Tragweite und ihre Grenzen, methodisch klar erschlossen und ihre Verbindlichkeit eindeutig gesichert werden. 88 Beispiele für solche Untersuchungen aus letzter Zeit sind etwa die Habilitationsschriften Buchers, Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis, 1965, und Adomeits, Rechtsquellenfragen im Arbeitsrecht, 1969. a1 S. dazu oben S. 60. 88 Vgl. dazu BAG, 15. 2. 1962, AP Nr. 35 zu § 1 ArbKrankhG; BAG, 17.10. 1963, AP Nr. 13 zu§ 76 BetrVG; BAG, 23. 2. 1967, AP Nr. 57 zu§ 611 BGB Gratifikation; BAG, 8. 8.1968, AP Nr. 57 zu§ 626 BGB; dazu Säcker, NJW 1968, S. 708. Zur Frage, ob diese Abänderung "ex tune" oder nur für künftige Fälle

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1. Kap.: Einleitung

eine problemadäquate Systembildung, die alle relevanten Wertungsmomente des untersuchten Fallgruppenbereichs in sich vereint, möglich. Jedes andere Vorgehen setzt sich dem bereits 1929 von Alf Ross in seiner "Theorie der Rechtsquellen" 89 erhobenen Vorwurf aus, daß das, was da geschrieben steht, "recht besehen, Politik ist, die für Theorie ausgegeben wird". Erst wenn sämtliche durch einen Sachverhalt aufgeworfenen Rechtsfragen auf eine solche "induktive" Weise unter offener Diskussion der relevanten Wertungsprobleme gelöst sind, kann eine Aussage über die Rechtsnatur getroffen werden, die dem Postulat der Theorieeinfachheit und -klarheit genügt. Die juristische Konstruktion steht also am Ende der Denküberlegungen als zusammenfassende Darstellung der für einen bestimmten Problembereich gefundenen Einzelresultate; sie ist nur "die nachträgliche Systematisierung, die Denkbarmachung der begründeten Ergebnisse" 90• Sätze wie die, daß die Lösung einer im Gesetz nicht unmittelbar geregelten Frage sich "nach der Konstruktion"'1 oder "fürwahr nach der Rechtsnatur"n richte, bedeuten eine Rückkehr zu einem Interessenanalyse und Interessenbewertung zurückdrängenden, zumindest verheimlichendenn Formalismus, der mit der begrifflichen Etikettierung zugleich über die Rechtsfrage mitzuentscheiden vermeint. Verbindet sich diese Methode mit dem Axiom der Geschlossenheit und Lückenlosigkeit des Rechtssystems94, so verfehlt sie die der Jurisprudenz gestellte Aufgabe, "Gerechtigkeit- diese vorläufige und immer variable Versöhnung einander widersprechender Werte - in einem gegebenen sozialen Milieu zu verwirklichenuo5 • Dem Rechtsanwender ist nicht das System, Geltung haben soll, vgl. die zusammenfassende Problemübersicht bei Grunsky, Grenzen der Rückwirkung bei einer Änderung der Rechtsprechung, 1970. 89 A. Ross, Theorie der Rechtsquellen, 1929, S. 181. 80 Wagner, Grundbegriffe des Beschlußrechts der Europäischen Gemeinschaften, 1965, S. 33; vgl. auch Esser, Wertung, Konstruktion und Argument im Zivilurteil, 1965, S. 15 ff.; Wieacker, in: Festschrift für E. Wolf, 1962, s. 421 ff. 81 Steinwedel, DB 1963, S.1572 (1574); ähnlich Söllner, S.156; Gramm, ArbuR 1961, S. 353 (356 f.); Zeuner, BB 1957, S. 647 (649 f.). 92 Bemmann, JuS 1965, S. 333 (337) für eine methodisch vergleichbare Problemlage. 93 Der heimliche, im Rahmen theoretisch-konstruktiver Argumentation nicht offen reflektierbare Wunsch, ein bestimmtes Ergebnis zu erreichen, kann häufig durchaus der entscheidende Grund für die Wahl einer bestimmten Konstruktion, die zu diesem Ergebnis führt, sein; vgl. dazu Wagner, JuS 1963, S. 457 (461); Scheuerle, AcP 167 (1967), S. 305 ff., der trefflich diese "finalen" Subsumtionen schildert; Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 2. Aufl. 1964, S. 305 ff. " Vgl. dazu die Nachweise bei Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 1964, S. 172 ff. und oben S. 44 Fußn. 4. 95 Gurvitsch, Grundzüge der Soziologie des Rechts, 1960, S. 15 ff. (25).

§ 2. Untersuchungsmethode

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sondern das Problem vorgegeben. Man kann nicht, wie Ehmke98 feststellt, von einem vorweg konstruierten (d. h. einem nicht durch gesetzliche Wertungen teleologisch vorgegebenen) System her eine ProblemAuslese treffen, die die vom System nicht erfaßten Fälle als metajuristisch beiseiteschiebt, sondern es muß vom jeweils vorgegebenen Problem her solange eine System-Auslese erfolgen, bis eine angemessene Lösung gefunden ist.

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Ehmke, VVdStRL 20 (1963), S. 53 (57).

Zweites Kapitel

Allgemeine Arbeitsbedingungenempirisch-deskriptiver Befund § 3 Die arbeitsvertragliche Einheitsregelung A. Korrelativität von Tatbestandserforschung und Rechtsanwendung Im folgenden soll versucht werden, die faktische Beschaffenheit des regelungsbedürftigen sozialen Sachverhalts "Allgemeine Arbeitsbedingungen" möglichst genau zu beschreiben, um seine wesentlichen, für die rechtliche Beurteilung nicht eliminierbaren Eigenschaften aufzudecken. Denn, wie im vorstehenden Paragraphen erörtert, läßt sich über die rechtliche Behandlung der im Spannungsfeld von Individual- und Kollektivautonomie angesiedelten Allgemeinen Arbeitsbedingungen erst dann sachgerecht entscheiden, wenn die spezifische Eigenart der Allgemeinen Arbeitsbedingungen im Vergleich zur Individualabrede auf der einen, zum Kollektivvertrag auf der anderen Seite hinreichend geklärt ist. Diese Aufgabe kann nicht allein durch eine dogmatische Analyse gelöst werden, sondern setzt eine umfassende empirisch-deskriptive Tatbestandserforschung voraus\ die die faktische Beschaffenheit der betreffenden Regelungsobjekte, die empirische Natur der Sache2 , aufzeigt. Der Rechtsanwender hat die empirisch-realen Gegebenheiten, die in den Tatbeständen der einzelnen Rechtsnormen vertypt und zum Anknüpfungspunkt rechtlicher Wertung gemacht sind, zu berücksichtigen; denn die Tatbestände können "dies vorgegebene ontologische Material nur ,widerspiegeln', sprachlich und begrifflich umreißen, aber der Gehalt der sprachlichen und begrifflichen ,Widerspiegelungen' kann nur durch eindringende Einsichtnahme in die ontologische Wesensstruktur des Gegenständlichen selbst herausgehoben werden. Daraus folgt für die Methodologie, ... daß sie immerfort den Tatbestand transzendieren und in die vorgegebene ontologische Sphäre hinabsteigen muß, um den Gehalt der begrifflichen Fixierungen zu verstehen und um ... auch die 1 Diese Aufgabe ist bislang vernachlässigt worden, obgleich ihre Dringlichkeit immer wieder betont worden ist; vgl. etwa Galperin, Diskussionsbeitrag, in: Verhandlungen des 43. DJT 1960, Bd. 11, Teil F, (1961), S. 75. 2 Dreier, Zum Begriff der Natur der Sache, 1965, S. 98 ff.

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2. Kap.: Allg. Arbeitsbedingungen. Empirisch- deskriptiver Befund

rechtlichen Wertungen richtig zu erfassen" 3 • Anders formuliert: Es ist die erste Aufgabe der Rechtswissenschaft ebenso wie die jeder anderen Wissenschaft, die von ihr zu erfassenden Dimensionen der Wirklichkeit durch Aufstellung eines dazu geeigneten Begriffssystems festzulegen, das eine adäquate Beschreibung (Diagnose) des betreffenden Wirklichkeitsausschnitts gestattet•. 3 Welzel, Der Gerichtssaal 103 (1933), S. 340 (346); ders., Naturalismus und Wertphilosophie im Strafrecht, 1935, S. 49; Arnim Kaufmann, Lebendiges und Totes in Bindings Normentheorie, 1954, S. VIII ff.; Nipperdey, RdA 1964, S. 361; Herschel, in: Festgabe für Kunze, 1969, S. 225 ff. Mit dieser programmatischen Feststellung ist allerdings keine Zustimmung zu den allgemeinen phänomenologisch-wertphilosophischen Implikationen dieser Auffassung, insbes. zur kategorialen Dialektik (vgl. dazu N. Hartmann, Der Aufbau der realen Welt, 3. Aufl. 1964, S. 522 ff., 547 ff.), zum Ausdruck gebracht. Die Wertphilosophie ist trotz ihrer immer noch großen Beliebtheit unter Juristen (vgl. etwa P. Amselek, Methode Phenomenologue et theorie du droit, 1964; D. W. Lerner, Das Problem der Objektivität von rechtlichen Grundwerten, 1967, S. 38 ff.) wissenschaftstheoretisch widerlegt; vgl. vor allem A. Ross, Kritik der sogenannten praktischen Erkenntnis, 1933; V. Kraft, Grundlagen einer wissenschaftlichen Wertlehre, 2. Aufl. 1951; Ch. L. Stevenson, Ethics and Language, 1944; Th. Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, 1947 (Neudruck 1964), S. 313 ff.; R. Hare, The Language of Morals, 1952; P. H. NowellSmith, Ethics, 1954; P. Edwards, The Logic of Moral Discours, 1955; Stegmüller, Das Universalienproblem einst und jetzt, 1956 (Neudruck 1965); Matz, Rechtsgefühl und objektive Werte, 1966; Mayo, Ethics and the Moral Life, 1958; St. E. Toulmin, An Examination of the Place of Reason in Ethics, 1958; B r aybrooke-Lindblom, A Strategy of Decision: Policy Evaluation as a Social Process, 2. Aufl. 1967. 4 Vgl. dazu Zetterberg, in: Handbuch der empirischen Sozialforschung, hrsg. von R. König, Bd. I, 2. Aufl. 1967, S. 65 ff.; Stegmüller, Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie, Bd. I, 1969, S. 72 ff.; Popper, Logik der Forschung, 3. Aufl. 1969; T. Parsons, The Social System, 1951; Parsons-Bales, in: Working Papers in the Theory of Action, 1953, S. 63 ff.; aus juristischer Sicht Mestmäcker, JuS 1963, S. 417 ff.; Jahr, in: Das Verhältnis der Wirtschaftswissenschaft zur Rechtswissenschaft, Soziologie und Statistik, Verhandlungen auf der Arbeitstagung des Vereins für Socialpolitik in Würzburg 1963, 1964, S. 14 ff.; Rinck, in: Festschrift für den Heymanns-Verlag, 1965, S. 361 ff.; Greitemann, in: Festschrift für Knorr, 1968, S. 257 (268 ff.); Wenger, Die öffentliche Unternehmung, 1969, S. 171 ff. Daß dieses der Erfassung der faktischen Beschaffenheit des Regelungsobjektes dienende Begriffssystem geschaffen wird im Hinblick auf den (durch die vorhandenen Normen vorgeprägten) Fragehorizont des Rechtsanwendenden, ist angesichts der Korrelativität von Tatsachenfeststellung und Rechtsanwendung unvermeidlich und notwendig, da es nur dann für die thematische Fragestellung fruchtbar ist; vgl. dazu Hruschka, Die Konstitution des Rechtsfalles, 1965, S. 20 ff., 30 ff., 46 ff., 70 ff.; Kuchinke, Grenzen der Nachprüfbarkelt tatrichterlicher Würdigung und Feststellungen in der Revisionsinstanz, 1964, S. 58 ff., 67 ff., 98 ff., 124 ff.; Henke, Die Tatfrage - Der unbestimmte Rechtsbegriff im Zivilrecht und seine Revisibilität, 1966, S. 138 ff., 177 ff. ; Scheuerle, Rechtsanwendung, 1952, S. 23 ff., 92 ff., 148 ff. (mit der Formel [S. 38], daß als Untersatz im Subsumtionsschema "nicht der Sachverhalt, sondern der rechtlich gewürdigte Sachverhalt" fungiere); Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, 3. Aufl. 1963, S. 14 f., 39 ff., 82 ff., der von dem für das juristische Denken kennzeichnenden "Hin- und Herwandern des Blicks" zwischen Gesetz und Lebenssachverhalt spricht; ausführlich dazu auch Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 2. Aufl. 1969, S. 232 ff.; Kriele, Theorie der

§ 3. Die arbeitsvertragliche Einheitsregelung

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Wenn diese Aufgabe vielfach übersehen oder gar als dilettantischer Einbruch in Fragestellungen fremder Wissenschaften betrachtet wirds, so offenbar deshalb, weil sie nach Vorwegnahme der rechtlichen Klassifikation als überflüssig erscheinen muß. Die Beschränkung des Problems der Rechtsgewinnung auf die Gewinnung des syllogistischen Obersatzes• wird von Gurvitsch1 zu Recht kritisiert als Projektion des Rechts in "eine vollkommen von der lebendigen sozialen Wirklichkeit getrennte Sphäre ... Von der Höhe seines Elfenbeinturmes wandte der Jurist sich mit Verachtung von allem ab, was mit der sozialen Wirklichkeit des Rechts zu tun hatte." Eine solche "puristische" Haltung übersieht, daß die Rechtsfragen, die sich aus der funktionellen Zwischenstellung der Allgemeinen Arbeitsbedingungen zwischen individual- und kollektivrechtlich festgelegten Arbeitsbedingungen ergeben, nicht ohne präzise Analyse der zu beiden Seiten hin bestehenden Gemeinsamkeiten und Unterschiede und damit nicht ohne Berücksichtigung der Erkenntnisse gelöst werden können, die die Wissenschaften, welche den gleichen WirkRechtsgewinnung, 1967, S. 161, 197 ff., 203 ff., 212; allgemein zur "Theorierelativität" der Wirklichkeitsbeschreibung Carnap, Zeitschrift für philosophische Forschung 14 (1962), S. 218 ff.; ders., Meaning and Necessity, The University of Chicago Press, 1960. Die nicht ohne Rekurs auf transjuristische Metasysteme zu erörternde erkenntnistheoretische Frage, ob die Methode den Erkenntnisgegenstand konstituiere oder sich nach diesem als dem ontisch Vorgegebenen, das zu erforschen sei, zu richten habe, kann hier nicht aufgenommen werden. Seit Kant (Kritik der reinen Vernunft, §§ 15 ff., zitiert nach: Werke in 6 Bänden, hrsg. von W. Weischedel, 1956 ff. Bd. II, S. 134 ff.) ist durch den Begriff der ursprünglich-synthetischen Einheit der transzendentalen Apperzeption die Stellung des Erkenntnisproblems in der Form der traditionellen Subjekt-Objekt-Relation ("res cogitans"- "res extensa") aporetisch aufgehoben. Dem nachkantianischen Streit um das Konstitutionsproblem zwischen Transzendentalphilosophen, Hegelianern, Phänomenologen, Neo-Thomisten, Pragmatikern und Neo-Positivisten braucht hier nicht nachgegangen zu werden. Die moderne Forschungslogik, Forschungstechnik und die von ihnen diskutierten wissenschaftstheoretisch-methodologischen Probleme sind praktisch unabhängig von der Stellungnahme zu dieser metaphysischen, von den Anhängern des empiristischen Sinnkriteriums (Carnap, Der logische Aufbau der Welt, 1928 [Neudruck 1961], S. 211 ff., 237 ff., 252 ff.; ders., Testability and Meaning, 2. Aufl. 1954) gar als kognitiv sinnlos verworfenen Fragestellung; vgl. etwa Phillips, Empirische Sozialforschung, 1970. Zur Orientierung über den gegenwärtigen Stand der Diskussion vgl. die in dem Sammelband: Der Positivismusstreit in der deutschen Soziologie (1969) abgedruckten Beiträge Adornos, Poppers, Dahrendorfs, Alberts, Habermas' und Pilots. s Vgl. z. B. Rittner, Diskussionsbeitrag, in: Verhandlungen des 43. DJT 1960, Bd. II, Teil F (1961), S. 62 f. 8 Zur Syllogistik und ihren Grenzen vgl. Patzig, Die Aristotelische Syllogistik, 2. Aufi. 1963 (dazu: Wieland, Philosophische Rundschau 1966, S. 1 ff.); speziell zum normativen Syllogismus: Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, 3. Aufi. 1963; Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 1967, S. 47 ff. Kelsen (Forum 1965, S. 421 ff., 495 ff.) bestreitet neuerdings sogar die Möglichkeit des normativen Syllogismus schlechthin. 7 Gurvitch, Grundzüge der Soziologie des Rechts, 1960, S. 16 f., 25.

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2. Kap.: Allg. Arbeitsbedingungen. Empirisch-deskriptiver Befund

lichkeitsausschnitt zum Erkenntnisgegenstand haben, bereits besitzen. Ihre Aussagen müssen dabei allerdings der besonderen rechtlichen Problemstellung angepaßt und in einer Weise formuliert werden, die eine Umsetzung in rechtliche Kategorien zuläßt8 • Die Wahl eines dazu geeigneten Begriffssystems, das eine adäquate Beschreibung der zu erfassenden Dimensionen der Wirklichkeit zuläßt, ist angesichts der wechselseitigen Bedingtheit von Tatsachenfeststellung und Rechtsanwendung9 vom rechtlichen Vorverständnis des Rechtsanwendenden abhängig10 : "Erst die Perspektive des Urteilers und der in dieser verborgene Rechtsaspekt machen den Rechtsfall zu dem, was er ist. Die Inhaltsfülle eines vergangenen Ereignisses oder eines gegenwärtigen Zustandes erlaubt eine Vielfalt möglicher Betrachtungsweisen. Deshalb kann der Urteiler erst an Hand der von ihm aufgeworfenen Rechtsfragen die Linien herausheben, welche in ihrer Gesamtheit den Rechtsfall ausmachen. Bedingung dafür ist, daß ein rechtliches Interesse sie einmal in sein Blickfeld gerückt hat11." Isele12 kritisiert daher eine lediglich auf allgemeine sozialphilosophische Wesensargumente13 gestützte Zuweisung einheitsgestalteter Arbeitsbedingungen zum Kollektivbereich mit der Folge der Gleichstels Wenn Mestmäcker (JuS 1963, S. 417, 418) formuliert, es handele sich bei dieser Aufgabe nicht lediglich darum, die Erkenntnisse der Wirtschaftswissenschaft (bzw. Sozialwissenschaft) in Anspruch zu nehmen, während die Anwendung der Normen ein autonomes juristisches Problem bleibe, vielmehr handele es sich "um die parallele Anwendung der Erkenntnismethoden beider Wissenschaften zur Lösung einheitlicher Sachfragen", so ist das m. E. mißverständlich. Im Rahmen der Lösung von Rechtsfragen (anders in der politischen Reformdiskussion) hat die Verwendung der Erkenntnisse und Methoden einer anderen Wissenschaft zur genaueren Erforschung des Tatbestandes notwendig dienenden, hilfswissenschaftliehen Charakter, so wie im Rahmen einer betriebswirtschaftliehen oder betriebssoziologischen Arbeit die Verwendung von gesellschafts-, steuer- und arbeitsrechtlichen Kenntnissen ihrerseits hilfswissenschaftliehen Charakter trägt; vgl. dazu auch Rinck, in: Festschrift für den Heymanns-Verlag, 1965, S. 361 (363 :ff.). o Vgl. dazu oben die Nachweise in Fußn. 4. 10 Hruschka (Die Konstitution des Rechtsfalles, 1965, S. 30 :ff.) spricht vom "Fragehorizont" des Urteilenden. 11 Hruschka, Die Konstitution des Rechtsfalles, 1965, S. 5; ähnlich auch Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, 3. Auft. 1963, S . 89: Rechtlich interessieren "nur diejenigen Tatsachen, die im Hinblick auf die anzuwendenden rechtlichen Bestimmungen relevant sind". 12 Isele, JZ 1964, S. 113 (119); ähnlich auch Adomeit, BB 1964, S. 599 (603), der allerdings vor allem systematische, von ihm selbst mit Hilfe der sog. normlogischen Theorie nunmehr vorgelegte (Rechtsquellenfragen im Arbeitsrecht, 1969, S. 114 :ff.) Vorarbeiten fordert, durch die entweder der Begriff des Kollektivarbeitsrechts über das Tarifvertragsrecht und das Betriebsverfassungsrecht hinaus erweitert oder der Bereich gruppeneinheitlicher betrieblicher Regelungen in das Betriebsverfassungsrecht eingegliedert werde. Zur Systematik des Rechts der kollektiven Einigungen vgl. Nipperdey-Säcker, AR-Blattei D, Tarifvertrag II B unter II. 13 Beispiele für solche Argumentation finden sich unten (S. 105 f.) in Fußn. 94.

§ 3. Die arbeitsvertragliche Einheitsregelung

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lung mit den kollektivrechtlichen Gesamtvereinbarungen zu Recht als einen voreiligen "Schritt ins Ungewisse, der erst noch weitere Erkundungen des Geländes voraussetzen müßte". Diese "Geländeerkundung" hat einzusetzen mit einer Beschreibung der aus dem Vollzug Allgemeiner Arbeitsbedingungen entstehenden faktischen Ordnungsstruktur. Der Verfasser ist sich dabei allerdings bewußt- das mag vorweg gesagt sein - , daß gerade die Ausführungen zur arbeitsvertragliehen Einheitsregelung infolge des FehZens einer empirisch-soziologischen Materialsammlung und-auswertungüber den tatsächlichen Ablauf der Einstellung "durchschnittlicher", "normaler" Arbeitnehmer1' , insbesondere über die vielfältigen Formen der Einführung Allgemeiner Arbeitsbedingungen in den Einzelarbeitsvertrag, manche Fragen noch offen lassen müssen15• Fest steht aber, daß der einzelne "normale" Arbeitnehmer selbst in Zeiten der Vollbeschäftigung zwar die Chance hat, an generellen Verbesserungen der Arbeitsbedingungen teilzunehmen, aber kaum je für sich "höchstpersönlich" Vergünstigungen bei Abschluß des Arbeitsvertrages erzielen kann. Auch heute gilt für den durchschnittstypischen Arbeitsvertragsschluß noch unvermindert die Beobachtung Sinzheimers18, daß "der Arbeitgeber das Normalschema bestimmt und der einzelne sich diesem unterordnet oder auf Arbeit in diesem Betrieb 14 BVerfG, 4. 4. 1967, BVerfGE 21, S. 245 (251) = AP Nr. 2 zu § 35 AVAVG; s. auch oben § 1 (S. 31) Fußn. 1. 15 Vgl. aber immerhin Symanowski-Vilmar, Die Welt des Arbeiters, 1963, S. 17 ff.; Rehhahn, ArbuR 1963, S. 238 ff. Ansatzpunkte zur strukturtypischen Erforschung der AAB bieten die Untersuchungen von Karakatsanis, S. 28 ff., 34 ff., 41 ff.; Hilger, in: Verhandlungen des 46. DJT 1960, Bd. li, Teil F (1961), S. 7 ff.; Dreyer, Die einzelvertragliche Einheitsregelung, Diss. Harnburg 1966, S. 2 ff.; Seiter, Die Betriebsübung, 1967, S. 73 ff.; Behrendt, Kollektivität der betrieblichen Übung und Individualrecht, Diss. Berlin 1966, S. 34 ff. Adomeit, S. 156 (ebenso bereits in RdA 1967, S. 297, 302) hat die Vielfalt der Entstehungsmöglichkeiten arbeitsvertraglicher Einheitsregelungen an folgendem, noch weiterer typologischer Verfeinerung zugänglichen Schema verdeutlicht: (I) Der Arbeitgeber kann mit den Arbeitnehmern eines Betriebs vereinbaren (1) verschiedenartige Arbeitsbedingungen in getrennten Verträgen, (2) gleichartige Arbeitsbedingungen in getrennten Verträgen, (3) gleichartige Arbeitsbedingungen in einem einheitlichen Vertrag (z. B. mit den Unterschriften aller Arbeitnehmer), (4) gleichartige Arbeitsbedingungen in einem einheitlichen Vertrag mit einem Bevollmächtigten der Arbeitnehmer. (II) Mehrere Arbeitgeber können gleichartige Arbeitsbedingungen in einem einheitlichen Vertrag mit dem Bevollmächtigten der Arbeitnehmer vereinbaren. (III) Ein Bevollmächtigter der mehreren Arbeitgeber kann mit dem Bevollmächtigten der Arbeitnehmer kontrahieren. (IV) Die Bevollmächtigten auf beiden Seiten können Koalitionen sein. 18 Sinzheimer, Der korporative Arbeitsnormenvertrag, Bd. I, 1907, S. 9 f., 11.

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2. Kap. : Allg. Arbeitsbedingungen. Empirisch-deskriptiver Befund

verzichtet. . .. Wenn aber auch in Einzelfällen über die Hauptpflichten eine Abrede sich finden mag, von ihr ist dann in der Regel keine Rede mehr, wenn die vielen Details des Individualverhältnisses in Frage kommen. Da wirkt nur noch die einseitige Verfügung des Arbeitgebers, die Pflicht und Recht des Arbeiters bestimmt. Mit ihr werden die Pausen und die Kontrolle der Arbeit, die Akkordberechnung und Akkordverteilung, ja oft die Form der Lohnvereinbarung, ob Akkord- oder Zeitlohn, und all das Vielgestaltige des Individualverhältnisses einseitig durch den Arbeitgeber normiert, nicht immer ausdrücklich, oft nur stillschweigend durch die ganze Einrichtung, die der Arbeitgeber dem Betriebe gibt, und der der Arbeiter sich anzupassen hat." Der Arbeitnehmer steht bei Vertragsschluß nicht nur im Bereich des öffentlichen Dienstes, sondern auch der Privatwirtschaft regelmäßig vor der Wahl, auf den Vertragsschluß zu verzichten oder sein rechtserhebliches Verhalten auf die Ausfüllung des Personalbogens und die Abgabe der Lohnsteuerkarte zu beschränken. Das Lohngefüge des modernen Großbetriebs ist vorgeplant; der Arbeitsplatz, den der neu in den Betrieb eintretende Arbeitnehmer einnehmen soll, ist durch Arbeitsplatzbewertungsverfahren fest in die Struktur des Gesamtbetriebes eingeordnet17• Jedes Abweichen von der bestehenden betrieblichen, regelmäßig übertariflichen Effektivlohnstruktur für einen bestimmten Arbeitsplatz würde als Durchbrechung der Logik und Systematik des Arbeitsbewertungsverfahrens empfunden und einen Druck zur Neubewertung auch der übrigen Arbeitsplätze auslösen, selbst wenn man einen Rechtsanspruch auf eine Anpassung verneinte18• 17 Zur Objektivierung der Lohnfestsetzung durch Arbeitsplatzbewertung vgl. vor allem H. Schwarz, Arbeitsplatzbeschreibungen, 1968; Böhrs, Arbeitsleistung und Arbeitsentlohnung, 1958; Keller, Leistungs- und Arbeitsbewertung, 1950; Leiner, Arbeitsbewertung und Marktlohn, 1963; Lorenz-Neumann, Arbeit richtig bewerten, 1966; Böhmer-Ziepke, Handkommentar zur analytischen Arbeitsbewertung der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie vom 26. 9. 1967; Refa-Buch, Bd. 2: Methodische Grundlagen der analytischen Arbeitsbewertung, 1965; Harrmann, DB 1970, S. 357; Gaul, Die Arbeitsbewertung und ihre rechtliche Bedeutung, 3. Aufl. 1967, S. 38 ff.; ders., Rechtsprobleme der Rationalisierung, 1961, S.ll7 ff. ; Wibbe, Arbeitsbewertung, 3. Aufl. 1966; Timme, Löhne und Gehälter nach Leistung, 1961; ders., Leistung am Arbeitsplatz, 1967; Zander, Gehaltsfestsetzung in Wirtschaft und Verwaltung, 1965. 18 Die rechtliche Bedeutung der Arbeitsplatzbewertung für das innerbetriebliche Lohngefüge ist bislang kaum erforscht. Es ist fraglich, ob der vom BAG nachdrücklich proklamierte Vorrang der individuellen Vertragsfreiheit vor der Gleichbehandlungsmaxime (vgl. BAG, 13. 10. 1960, AP Nr. 30 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; BAG, 4. 5. 1962, AP Nr. 32 zu§ 242 BGB Gleichbehandlung; G. Hueck, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht, 1958, S . 350 ff.) auch dann noch gelten kann, wenn der Arbeitgeber Löhne und Gehälter nach einem sachbezogenen, objektivierten Verfahren der Arbeitsbewertung festsetzt und dann im Einzelfall die von ihm selbst ge-

§ 3. Die arbeitsvertragliche Einheitsregelung

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Um eine klare, tatbestandsmäßig fest umrissene Grundlage der rechtlichen Analyse zu gewinnen, sind im Wege präziser Begriffsbildung die Kriterien aufzustellen, mit deren Hilfe sich die durch den Ausdruck "Allgemeine Arbeitsbedingungen" zu erfassenden Lebenssachverhalte exakt bestimmen lassen, so daß die Bedingungen festgelegt sind, unter denen eine einzelvertragliche Regelung als einzelvertragliche Einheitsregelung im Rechtssinne anzusehen ist19• Um zu einer solchen Definition zu gelangen, müssen- diese Methode ist erstmals von Emile Durkheim in seinem Werk "Les RE~gles de la methode sociologique" (1. Aufi. 1895) eingehend dargestellt und wird seitdem von der empirischen Soziologie ständig praktiziert- alle Tatbestände, die unmittelbar gemeinsame Charakteristika (d. h . Charakteristika mit einer ausreichend großen Affinität zu dem, was man in der juristischen Umgangssprache mit dem Ausdruck "arbeitsvertragliche Einheitsregelung" belegt) haben, unter eben dieser Kategorie zusammengefaßt werden. Auf diese Weise wird im Rahmen der sozialen Tatbestände eine Untergruppe geschaffen, die durch eben die Charakteristika, die zu ihrer Fixierung gedient haben, gekennzeichnet ist. Es ist dabei möglich, daß der so gebildete Begriff nicht völlig mit dem übereinstimmt, den man sich gewöhnlich von der arbeitsvertragliehen Einheitsregelung macht. Das ist indes unwesentlich, da es nicht darum geht, diesen Begriff in seiner umgangssprachlichen Anwendung zu präzisieren, sondern, wie Durkheim formuliert, darum, "ein Untersuchungsobjekt in die Hand zu bekommen, welches nach den in der Wissenschaft üblichen Methoden behandelt werden kann. Es ist also notwendig, aber auch hinreichend, daß dieses Objekt erkannt und von außen beobachtet werden kann und daß es alle die Tatbestände - aber auch nur diese - umschließt, die geeignet sind, sich wechselseitig zu erhellen" 20•

wählte Sachgesetzlichkeit durchbricht, ohne daß ein sachlicher, systemimmanenter Grund, z. B. Neubewertung des Arbeitsplatzes, vorliegt; vgl. dazu unten § 6 B II 3 (S. 150) mit Fußn. 55. 18 Die Kritik an der Anwendung des sog. Ordnungsprinzips auf die arbeitsvertragliche Einheitsregelung (vgl. z. B. Joachim, Diskussionsbeitrag, zitiert bei Säcker, DB 1967, S. 1091 Fußn. 59; Richardi, S. 304 f., 342 ff., 386 ff.; ders., RdA 1965, S. 49, 55) findet ihren "Nährboden" nicht zuletzt in der unzureichenden tatbestandliehen Präzisierung der "arbeitsvertraglichen Einheitsregelung"; näher dazu unten § 3 (S. 101 ff.). 20 Durkheim, De la definition des phenomimes religieux, 1898, in deutscher Übersetzung auszugsweise abgedruckt bei J. Matthes, Religion und Gesellschaft. Einführung in die Religionssoziologie, Bd. I, 1967, S. 121. Vgl. auch (aus spezifisch juristischer Sicht) zur Ermittlung und rechtlichen Fixierung des "natürlichen" Begriffsinhalts Mertens, Der Begriff des Vermögensschadens im bürgerlichen Recht, 1967, S. 111 ff.; ferner die in§ 1 (S. 37 ff.) Fußn. 25 und 27 Genannten.

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2. Kap.: Allg. Arbeitsbedingungen. Empirisch-deskriptiver Befund

B. Die tatbestandliehe Erfassung der arbeitsvertragliehen Einheitsregelung Unter der Bezeichnung "arbeitsvertragliche Einheitsregelung" werden die durch einverständliche Bezugnahme auf Allgemeine Arbeitsbedingungen (Schema-Arbeitsbedingungen) festgelegten arbeitsvertragliehen Rechte und Pflichten der Arbeitsvertragsparteien zusammengefaßt. Der einzelne Arbeitsvertrag wird, soweit die sich aus ihm für die Arbeitsvertragsparteien ergebenden Rechte und Pflichten durch Bezugnahme auf Allgemeine Arbeitsbedingungen festgelegt sind, als Standard- oder Schemaarbeitsvertrag21 (= Adhäsionsarbeitsvertrag 22 = Massenarbeitsvertrag23) gekennzeichnet. 21 Diese Bezeichnung verwenden z. B. Auer, Die richterliche Korrektur von Standardverträgen, 1964, S. 1; Cohen, 64 Harvard Law Review (1933), S. 553 (587) : "standardized contract"; WHson, RabelsZ 28 (1964), S. 646 fi.; Hecht, Zeitsehr. f. schweiz. Recht 79 (1960), S. 47 (56): "Gestützt auf diese überlegungen ließe sich der standardisierte Vertrag definieren als ein in seinem Inhalt umfassender, von einer Partei allein, als endgültig formulierter und zum voraus für eine unbeschränkte Zahl gleichartiger Rechtsverhältnisse vorbereiteter, privater Vertrag." Kritisch gegenüber dieser zu allgemein gehaltenen Definition Schmidt-Salzer, Das Recht der Allgemeinen Geschäfts- und Versicherungsbedingungen, 1967, S. 26 f. 22 In Deutschland weniger gebräuchliche Bezeichnung; vgl. aber Becker, Gegenopfer und Opferverwehrung, 1958, S. 174 fi.; Kegel, Internationales Privatrecht, 2. Aufl. 1964, § 18 I 1 c (S. 230); Lilderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, 1966, S. 91 fi.; Schmidt-Salzer, AcP 167 (1967), S. 504 fi. Sie geht zurück (vgl. Flume, § 37, 1, S. 668) auf Saleilles, De Ia declaration de Ia volonte, 1901, S. 229 fi., der bereits alle wesentlichen Merkmale der AGB (zumindest rudimentär) herausgearbeitet hat: ,.11 y a de pretendus contrats qui n'ont du contrat que le nom, et dont la construction juridique reste a faire, pour lesquels, en tout cas, les regles d'interpretation individuelle devraient subir, sans doute, d'importantes modifications; ne serait ce que pour ce que l'on pourrait appeler, faute de mieux, les contrats d'adhesion, dans lesquels il y a la predominance exclusive d'une seule volonte, agissant comme volonte unilaterale, qui dicte sa loi, non plus a un individu, mais d une collectivite indeterminee, et qui s'engage deja par avance, unilaterallement, sauf adhesion de ceux qui voudront accepter la loi du contrat, et s'emparer de cet engagement deja cree sur soi-meme" (Hervorhebungen vom Verfasser). Sie ist dagegen üblich im französischen und angloamerikanischen Recht; vgl. die Nachweise bei SaUe, L'evolution technique du contrat et ses consequences juridiques, 1930, S. 35 fi.; Tedeschi-Hecht, Revue Internationale de Droit Compare 12 (1960), S. 574 fi.; Esmein-Planiol-Ripert, Bd. VI, Nr.122 fi.; Patterson, 33 Harvard Law Review (1919), S. 198 (222); Ehrenzweig, 53 Columbia Law Review (1953), S.1072 (1075); Kessler, 43 Columbia Law Review (1943), S. 629; G. Raiser, Die gerichtliche Kontrolle von Formularbedingungen im amerikanischen und deutschen Recht, 1966, S. 10 fi. 23 Das ist die im deutschen und Österreichischen Schrifttum wohl geläufigste Bezeichnung; vgl. Raiser, Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, 1935, S. 17 fi.; R. Schmidt, in: Festschrift für Dölle, 1963, S. 485; Lukes, in: Festschrift für Hueck, 1959, S. 459; ders., JuS 1961, S. 301; Flume, in: Festschrüt zum IODjährigen Bestehen des DJT, 1960, Bd. I, S.135 (166); ErmanS. 121; OGH. 4. 10. 1961, JBI. 1962, S. 267 (270). Hefermehl, Vorbem. III 1 vor§ 145; Hannak, ÖJZ 1962, S. 561; Helm, JuS 1965,

§ 3. Die arbeitsvertragliche Einheitsregelung

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Allgemeine Arbeitsbedingungen sind vom Arbeitgeber (allein oder im Zusammenwirken mit anderen Arbeitgebern) aufgestellte Bestimmungen für die inhaltliche Gestaltung von Einzelarbeitsverträgen mit einer regelmäßig größeren, im Zeitpunkt der Regelaufstellung noch unbestimmten Zahl von Arbeitskräften bestimmter Berufskategorien (z. B. Maurern, Schweißern, Hilfsarbeitern), mit deren Geltung sich der Durchschnittsarbeitnehmer einverstanden erklären muß, wenn er nicht von vornherein auf den Arbeitsvertragsschluß verzichten will. Kürzer formuliert: Allgemeine Arbeitsbedingungen sind vom Arbeitgeber aufgestellte tatsächlich verbindliche (d. h. "im großen und ganzen wirksame" 24) abstraktgenerelle Regeln für die inhaltliche Gestaltung der betrieblichen Arbeitsverhältnisse.

Noch kürzer formuliert: Allgemeine Arbeitsbedingungen sind vom Arbeitgeber aufgestellte tatsächliche Normen für die inhaltliche Gestaltung der betrieblichen Arbeitsverhältnisse. Generalisiert man diese analytischen Festsetzungen für alle Arten einseitig vorformulierter Allgemeiner Geschäftsbedingungen, so ergeben sich folgende Definitionen für die Allgemeinen Geschäftsbedingungen und die einzelvertragliche Einheitsregelung: Allgemeine Geschäftsbedingungen sind vom Unternehmer (allein oder im Zusammenwirken mit anderen Unternehmern) aufgestellte tatsächliche Normen für die inhaltliche Gestaltung von Einzelrechtsgeschäften, mit deren Geltung sich der Durchschnittskunde (bzw. bei Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen durch Großunternehmen auf dem Einkaufsmarkt: auch der Durchschnittslieferant) einverstanden erklären muß, wenn er nicht auf den Vertragsschluß von vornherein verzichten will. Unter der Bezeichnung "einzelvertragliche Einheitsregelung" werden die durch einverständliche Bezugnahme auf Allgemeine Geschäftsbedingungen festgelegten Rechte und Pflichten der Einzelvertragsparteien zusammengefaßt. 24 Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960, S. 207 ff.; Walter, ÖZöffR N.F. XI (1961), S. 538 ff. Ebenso, wie eine Rechtsnorm nur dann als (noch) in Geltung befindlich angesehen werden kann, wenn sie von den staatlichen Rechtsanwendungsorganen im großen und ganzen befolgt wird (kritisch dazu Mayer-Maly, in: Gedächtnisschrift für R. Schmidt, 1966, S. 21, 28 f.), kann von Allgemeinen Arbeitsbedingungen im Sinne tatsächlicher Normen nur da die Rede sein, wo abstrakt-generelle Regeln vom Arbeitgeber "im großen und ganzen" angewandt werden, so daß dem einzelnen Arbeitnehmer regelmäßig nichts anderes übrig bleibt, als sich mit ihnen abzufinden, wenn er nicht auf den Vertragsschluß verzichten will. Nur wo dieses Situation vorliegt, kann somit von Adhäsionskontrakten gesprochen werden.

6 Sllck.er

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2. Kap.: Allg. Arbeitsbedingungen. Empirisch-deskriptiver Befund

Diese Festsetzungen sind im folgenden näher zu erläutern: Die inhaltliche Übereinstimmung der Schemaarbeitsverträge entsteht dadurch, daß bei Abschluß des einzelnen Arbeitsvertrages zur Bestimmung seines Inhalts oder zumindest eines Teils seines Inhalts vom Arbeitgeber auf vorformulierte, typisierte Konditionen Bezug genommen wird, die einheitlich allen oder Gruppen von betrieblichen Arbeitsverhältnissen zugrundegelegt werden. Das kann rechtstechnisch geschehen durch Verwendung einheitlicher Formulare oder durch Aushang der vereinheitlichten Konditionen im Betrieb, durch Rundschreiben oder sonstige formlose Mitteilung. Ein praktisch (insbesondere bei Arbeitsverträgen mit der öffentlichen Hand) sehr bedeutsamer Sonderfalt der arbeitsvertragliehen Einheitsregelung liegt vor, wenn in den Einzelarbeitsverträgen auf den gerade bzw. auf den jeweils geltenden Tarifvertrag verwiesen wird (z. B. durch die Klausel: "Im übrigen wird dem Arbeitsverhältnis der Manteltarifvertrag für die ... -Industrie vom ... zugrundegelegt." oder: "Der Jahresurlaub richtet sich nach den jeweils geltenden tariflichen und gesetzlichen Bestimmungen.") oder die tariflichen Arbeitsbedingungen in den Text der Allgemeinen betrieblichen Arbeitsbedingungen wörtlich oder sinngemäß übernommen werden25• Isele kennzeichnet diese Fallgruppe treffend als "Paralleltatbestand zu einer mit normativer Kraft ausgestatteten Kollektivvereinbarung" 28• Diesem Sachverhaltstyp nahe steht der Fall, daß die Gewerkschaft als rechtsgeschäftliche Stellvertreterin der Belegschaft mit dem Arbeitgeber einheitliche Arbeitsverträge für die Betriebsangehörigen aushandelt27 bzw. der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat eine Regelungsabrede28 über bestimmte Arbeitsbedingungen trifft und ent25

Vgl. zu dieser Fallgruppe LAG Berlin, 26.11.1964, BB 1965, S. 287;

Dreyer, Die einzelvertragliche Einheitsregelung, Diss. Harnburg 1966, S. 41f.; Isele, SAE 1963, S. 155; Seiter, Die Betriebsübung, 1967, S. 43, 77 f., 109 f.; Herschel, DB 1967, S. 245 (247); ders., DB 1969, S. 659; Dietz, Die Berufung auf den Tarifvertrag, 1933, S. 61f.; Tophoven, RdA 1953, S. 246; Gumpert, BB 1961, S. 1276; Hueck-Nipperdey-Stahlhacke, § 4 Anm. 211; Zöllner, Tarifvertragliche Differenzierungsklauseln, 1967, S. 32, 50, 551f.; Säcker, RdA 1967, S. 370 (372). 2 & Isele, SAE 1963, S. 155.

27 Vgl. als Paradigma BAG, 18. 11. 1965, AP Nr. 17 zu § 1 TVG mit zust. Anm. von Zöllner = SAE 1966, S. 193ft. mit zust. Anm. von Brox. Das BAG hatte hier über einen Sachverhalt zu entscheiden, in dem zwischen einem einzelnen Arbeitgeber und den Vertretern der Ortsverwaltung einer Gewerkschaft ein Vertrag folgenden Inhalts geschlossen worden war: "Vereinbarung: Zwischen der Firma A & Co. KG- vertreten durch den Geschäftsführer, Herrn W - und den von der Belegschaft beauftragten Vertretern der IG Metall wird folgende Vereinbarung abgeschlossen: Auf Grund der Verhandlungen vom 17. 6. 1963 und 1. 7.1963 werden die Grundlöhne wie folgt festgelegt ..." 28 Vgl. dazu Dietz, §52 Anm. 83, §56 Anm. 531f.; Adomeit, S. 150 ff.; ders., BB 1967, S. 10031f.; W. Blomeyer, BB 1969, S. 101ft.; Richardi, S. 279ft.; HueckNipperdey II/2, § 67 a (S. 13011f.), alle m.w.N. zu Zulässigkeit und Grenzen formloser betrieblicher Einigungen. Eine solche Regelungsabrede ist durch § 59 BetrVG nicht verboten; vgl. Galperin-Siebert, § 59 Anm. 14; Hueck-Nipperdey II/2, § 70 B IV (S. 1394); Säcker, RdA 1967, S. 370 ff. mit Fußn. 18; a. A. Dietz, § 59 Anm. 11 a. E. Selbst wenn man mit D i etz die Regelungsabrede als nichtig ansähe, wären die auf ihrer Grundlage abgeschlossenen Einzelarbeitsverträge jedenfalls wirksam.

§ 3. Die arbeitsvertragliche Einheitsregelung

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sprechend dieser Abrede mit den einzelnen Arbeitnehmern Arbeitsverträge abschließt. Diese Fallgruppen können nicht schematisch mit den sonstigen Fällen arbeitsvertraglicher Einheitsregelung gleichgestellt werden, weil die Regelung, auf die Bezug genommen wird, nicht einseitig-eigennützig vom Arbeitgeber in Verfolgung seiner eigenen Interessen aufgestellt, sondern Resultat zweiseitig-kollektiver Verständigung durch Einschaltung einer die Interessen der Arbeitnehmer rechtstypisch und faktisch gleichwertig vertretenden Institution ist29• Die faktische Besonderheit der individualrechtliehen Allgemeinregelung ist heute von Rechtsprechung und Literatur anerkannt. Dreyer30 hat die konstituierenden Merkmale der einzelvertraglichen Einheitsregelung eingehend untersucht und ist dabei zu dem Ergebnis gekommen, daß in ihrer äußeren Erscheinungsform und praktischen Anwendung die auf einer allgemeinen Lohnregelung oder Altersversorgung beruhenden Arbeitsbedingungen von entsprechenden Arbeitsbedingungen eines Tarüvertrages oder einer Betriebsvereinbarung nicht zu unterscheiden seien. Vom Inhalt und von der geregelten Materie her betrachtet, sei die einzelvertragliche Einheitsregelung als kollektive Regelung anzusehen, und zwar könne das auf den Inhalt der Regelung bezogene kollektive Element in all den Fällen der einzelvertraglichen Einheitsregelung nachgewiesen werden, in denen der Arbeitgeber bei dem Abschluß der Arbeitsverträge auf individuelle Verhandlungen verzichtet und auf Grund einer allgemeinen Ankündigung oder einer sonstigen allgemeinen Regel oder bei der praktischen Durchführung der Vertragsabschlüsse eine einheitliche Gestaltung der Vertragsbedingungen, die sich nach sachlichen Kriterien richte, in den Einzelverträgen herbeiführe. Denn dadurch, daß sich der Arbeitgeber bei der Festlegung der Arbeitsbedingungen ausschließlich nach einem von ihm oder Dritten aufgestellten System richte, komme zum Ausdruck, daß er auf individuelle, persönliche Momente keinen Wert lege. Statt dessen würden die Arbeitnehmer durch die Anwendung des Systems in ein nach dessen Kriterien bestimmtes Verhältnis zueinander gerückt. Der Abschluß eines derartigen Arbeitsvertrages werde dadurch zu einem Bestandteil einer "gemeinschaftsbezogenen Kollektivmaßnahme", die der Arbeitgeber zwar formell in seiner Funktion als Vertragspartner des Arbeitnehmers, sachlich aber als Betriebsorgan, nämlich als Leiter des Betriebs, nach betrieblich-kollektiven Gesichtspunkten ausübe. Der auf der Grundlage 29 Das gilt ganz sicher für die Tarifvertragsparteien; vgl. BAG, 31. 3. 1966, AP Nr. 54 zu § 611 BGB Gratifikation mit zust. Anm. von Biedenkopf; BAG, 23. 2. 1967, AP Nr. 57 zu § 611 BGB Gratifikation mit zust. Anm. von A. Hueck; BAG, 9. 10. 1969, DB 1970, S. 401; BAG, 4. 12. 1969, DB 1970, S. 399; ablehnend dagegen für die Betriebsvereinbarung BAG, 16. 11. 1967, AP Nr. 63 zu § 611 BGB Gratifikation mit zust. Anm. von Gamillscheg; näher zu dieser Frage unten § 9 C (S. 232 ff.). 30 Dreyer, Die einzelvertragliche Einheitsregelung, Diss. Harnburg 1966, S.171f.

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2. Kap.: Allg. Arbeitsbedingungen. Empirisch-deskriptiver Befund

einer solchen einzelvertraglichen Einheitsregelung abgeschlossene Arbeitsvertrag habe mit einem normalen Einzelvertrag nur noch die rechtsgeschäftliche Form gemeinsam. Sein Inhalt stehe dagegen auf Grund seines kollektiven Elements in schroffem Gegensatz zu dem des individuell ausgehandelten Einzelvertrages, bei dem sowohl Form als auch Inhalt individuellen Charakter hätten. Dagegen habe sich der Abstand zwischen einzelvertraglicher Einheitsregelung und Kollektivvertrag verringert: "Beide Regelungen haben einen kollektiven Inhalt; den Bestimmungen der einzelvertraglichen Einheitsregelung fehlt lediglich die normative Wirkung der kollektivrechtlichen Regeln30." Ähnliche Aussagen finden sich bei allen Autoren, die sich seit der "Entdeckung" der arbeitsvertragliehen Einheitsregelung durch Nipperdey 31 mit ihr befaßt haben. So stellt, um die jüngste Stimme dazu zu zitieren, Adomeit32 fest: "Die vertragliche Einheitsregelung hat gegenüber der vertraglichen Einzelregelung eine gesteigerte soziale und ökonomische Bedeutung, ihre Interpretation, Fortbildung und Änderung tangiert in stärkerem Maße die Interessen beider Seiten, sie kann funktionell die Aufgaben einer Gesamtvereinbarung übernehmen und sich faktisch als Einbruch in den Kompetenzbereich der Gesamtvereinbarungspartner auswirken." Ebenso stellt das Bundesarbeitsgericht88 in Würdigung der Besonderheit der auf der Grundlage allgemeiner Verbandsrichtlinien gestalteten Einzelarbeitsverträge fest: "Es ist dann nicht auf den juristischen Entstehungstatbestand (Arbeitsvertrag), sondern auf den gesamteinheitlichen Inhalt der Arbeitsbedingungen abzustellen. Eine solche allgemeine Regelung, die objektiv für alle Arbeitnehmer ohne Rücksicht auf die besonderen Verhältnisse des einzelnen Arbeitnehmers anwendbare Merkmale und Bemessungsgrundsätze aufstellt, trägt zwar keinen normativen Charakter. Sie ist aber gesamteinheitlich, kollektiv aufzufassen." Erfolgt der Abschluß des Einzelarbeitsvertrages dagegen nicht auf der Grundlage eines vorgefertigten allgemeinen, betrieblichen Systems, sondern nach individueller Vereinbarung der Arbeitsbedingungen (wobei es ausreicht, daß bei der konkreten Vertragsanbahnung für den Arbeit31 Nipperdey, in: Festschrift für H. Lehmann, 1937, S. 257 (268); s. auch oben § 2 (S. 44) Fußn. 3. 32 Adomeit, S. 114; ebenso etwa auch die in § 1 (S. 33) Fußn. 8 Genannten. 33 BAG, 25. 1. 1963, AP Nr. 77 zu Art. 3 GG mit zust. Anm. von Mayer-Maly, bezogen auf Verbandsrichtlinien des Caritas-Verbandes; ebenso schon BAG, 18. 10. 1961, AP Nr. 69 zu Art. 3 GG, bezogen auf eine durch Aushang bekanntgegebene allgemeine Gratiftkationsordnung; BAG, 20. 12. 1957, AP Nr. 11 zu Art. 44 Truppenvertrag, bezogen auf eine gleichmäßig für alle Bediensteten der französischen Streitkräfte geltende Instruktion des Oberkommandos der französischen Streitkräfte; BAG, 4. 2. 1960, AP Nr. 7 zu§ 4 TVG Günstigkeitsprinzip, bezogen auf einen Beschluß des Deutschen Bühnenvereins, den Mitgliedern der Orchester eine Weihnachtsgratifikation zu zahlen.

§ 3. Die arbeitsvertragliche Einheitsregelung

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nehmer nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen der Eindruck entsteht, daß ihm bestimmte Arbeitsbedingungen nicht nach einer bereits bestehenden, abstrakt-generellen betrieblichen Ordnung, sondern auf Grund irgendwelcher individueller Merkmale gewährt werden), so liegt selbst dann keine allgemeine Arbeitsbedingung in dem hier definierten Sinne vor, wenn eine Vielzahl von Arbeitsverträgen inhaltlich ebenso gestaltet isf14• Die Allgemeinen Arbeitsbedingungen erweisen sich somit als eine

spezielle Spielart der Allgemeinen Geschäftsbedingungen"; sie sind

deren spezifische Ausprägung auf dem Gebiet des Arbeitsrechts. Sie dienen wie diese der betriebswirtschaftliehen Rationalisierung, Standardisierung und Typisierung massenhaft gleichförmiger Geschäftsvorfälle38• 34 Ebenso BAG, 11.10.1967, AP Nr. 1 zu§ 1 TVG Tarifverträge: Rundfunk mit zust. Anm. von Herschel = SAE 1968, 8.160 mit zust. Anm. von Hofmann; Dreyer, Die einzelvertragliche Einheitsregelung, Diss. Harnburg 1966, S. 22 ff.; vgl. auch bereits BAG, 24. 7. 1958, AP Nr. 6 zu § 611 BGB Akkordlohn, und BAG, 9. 12. 1957, AP Nr. 5 zu § 9 TVG; zu eng Hueck-Nipperdey 11/1, § 30 VI 2 (S. 588) und § 30 VII 3 (S. 593 f.): das Ordnungsprinzip gelte nur dann nicht, "wenn die Beteiligten, seien es die Partner eines einzelnen Vertrages oder die Partner mehrerer oder sogar aller Einzelarbeitsverträge eindeutig und klar zum Ausdruck bringen, daß ihre Verträge auch Bestand haben sollen, wenn im Betrieb eine ungünstigere Betriebsvereinbarung oder ein ungünstigerer Firmentarifvertrag oder Verbandstarif für den Betrieb abgeschlossen wird". Näher zu dieser besonderen Fallgruppe unten § 5 (S. 126 ff.). 35 Ebenso z. B. Dreyer, Die einzelvertragliche Einheitsregelung, Diss. Harnburg 1966, S. 591f. ; Esser, Gleichheitssatz und Einzelvertrag, Diss. Köln 1965, S. 861f.; Hilger, in: Verhandlungen des 43. DJT 1960, Bd. II, Teil F (1961), S.19 f.; speziell für die Betriebsübung: Mengel, Die betriebliche Übung, 1967, S. 77 ff.; Feichtinger, Die Bedeutung der betrieblichen Übung für die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis. Diss. München 1957, S. 821f.; A. Hueck, in: Festschrift für Lehmann, 1956, Bd. II, S. 633 (640 Fußn. 24); Richardi, RdA 1960, S. 401 (403 zu Fußn. 23); vor allem Sieg, RdA 1955, S. 441

(442 f.).

38 Es kann nicht von der Hand gewiesen werden, daß AGB für manche Bereiche, insbes. da, wo keine ausreichende gesetzliche Regelung besteht bzw. die bestehende Regelung den gewandelten technologischen Bedingungen nicht mehr entspricht, nützliche Funktionen erfüllen; vgl. dazu Raiser, Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, 1935, S. 191f.; Hildebrandt, AcP 143 (1937), S. 326 f.; Lukes, JuS 1961, S. 301; ders., in: Festschrift für Hueck, 1959, S. 459 (461); Auer, Die richterliche Korrektur von Standardverträgen, 1964, S. 2; Fischer, BB 1957, S. 481; Mroch, Zum Kampf gegen die unlauteren Geschäftsbedingungen, 1960, S . 1 f.; Naendrup, Die Teilnichtigkeit im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, 1966, S. 116, 169; v . Brunn, Die formularmäßigen Vertragsbedingungen der deutschen Wirtschaft, 2. Aufl. 1956, S . 251f.; ders., AcP 167 (1967), S. 70 (73); Hecht, Zeitschr. f. schweiz. Recht 79 (1960), S. 47 (56 ff.); Enneccerus-Nipperdey, § 163 VI (S. 1007). Bedenkenswerte kritische Einwendungen gegen das Rationalisierungsargument finden sich allerdings in der betriebswirtschaftliehen Analyse Allgemeiner Geschäftsbedingungen bei Kliege, Rechtsprobleme der Allgemeinen Geschäftsbedingungen in wirtschaftswissenschaftlicher Analyse unter besonderer Berücksichtigung der Freizeichnungsklauseln, 1966, S. 22 ff., 45 ff. und Schreiber, NJW 1967, S. 1441 (1446). Zu Recht machen Llewellyn, 40 Yale Law Journal (1931), S. 704 (731); ders., The Common Law Tradition, Deciding

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2. Kap.: Allg. Arbeitsbedingungen. Empirisch-deskriptiver Befund

Für einen Großbetrieb wäre es praktisch undurchführbar, zumindest unrentabel, typische Arbeitsverträge in ihren Einzelheiten bei jedem Vertragsschluß erneut auszuhandeln, nur um eine von den dispositiv-gesetzlichen bzw. tariflichen37 Vorschriften abweichende, den Bedürfnissen insbesondere der Arbeitsmarkt-, Absatz- und Ertragslage des Unternehmens Rechnung tragende Regelung durchzusetzen. Aus der Verwendung vorformulierter, für künftige Vertragsabschlüsse geltender Arbeitsbedingungen durch den Arbeitgeber ergeben sich unmittelbar die zwei beherrschenden Wesensmerkmale der Allgemeinen Arbeitsbedingungen, die sie mit den Allgemeinen Geschäftsbedingungen teilen; sie sind: ( I) einseitig-eigennützige (unilaterale) Regeln

und (ll) abstrakt-generelle (tatsächlich-normative) Regeln.

Appeals 1960, S. 362 ff.; Raiser, in: Das Verhältnis der Wirtschaftswissenschaft zur Rechtswissenschaft, Soziologie und Statistik, Schriften des Vereins für Socialpolitik (N.F.), Bd. 33 (1964), S. 3; G. Raiser, Die gerichtliche Kontrolle von Formularbedingungen, 1966, S. 159 f.; Soergel-Ballerstedt, Vorbem. 26 vor § 459 und Schmidt-Salzer, Das Recht der Allgemeinen Geschäfts- und Versicherungsbedingungen, 1967, S. 41 darauf aufmerksam, daß AGB nicht gleich AGB seien und eine Typenbildung erforderlich sei, die eine abgestufte Reaktion der Rechtsordnung auf die Verwendung von AGB entsprechend ihrem Inhalt und der bei ihrer Einführung in den Vertrag gegebenen konkreten Situation erlaube; insbesondere seien die Stellung des AGB-Aufstellers im wirtschaftlichen Verteilungsmechanismus, seine Wettbewerbs- und Marktposition und die Stellung des Kontrahenten (marktmächtiges Unternehmen oder machtloser Verbraucher) zu berücksichtigen. Eine solche Typologie ist gegenwärtig noch nicht erarbeitet, für AAB angesichts der essentiellen Gleichartigkeit der Struktur der Arbeitgeber-Arbeitnehmerbeziehung auch entbehrlich; s. auch § 1 (S. 31) Fußn. 1. 37 Da die Gesamtvereinbarungsnormen grundsätzlich einseitig zwingend sind, kommt, soweit diese eingreifen, allerdings nur eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch übertarifliche bzw. -betriebsvereinbarungsrechtliche Entgelte in Betracht. Aber auch diese werden vom Arbeitgeber regelmäßig nicht freiwillig auf Grund sozialer Mildtätigkeit gewährt, sondern in Anpassung an die interdependenten wirtschaftlichen Gegebenheiten, um bei günstiger Auftragslage und allgemeinem Arbeitskräftemangel eine ausreichende Zahl qualifizierter Arbeitnehmer zu erlangen oder dem Betrieb zu erhalten. Sie verlieren so für den einzelnen Arbeitnehmer nie den Charakter einer allgemeinen betrieblichen, einseitig vom Arbeitgeber aus eigennützigen Erwägungen festgelegten Ordnung. Zu Art und Umfang der in der Bundesrepublik gewährten betrieblichen Sozialleistungen vgl. Bues, Freiwillige betriebliche Sozialleistungen in der Bundesrepublik Deutschland 1970; zu den Motiven für die Gewährung zusätzlicher sozialer Leistungen vgl. eingehend Huhle, Die betrieblichen Sozialleistungen, 1957; Reichwein, Funktionswandlungen der betrieblichen Sozialpolitik. Eine soziologische Analyse der zusätzlichen sozialen Leistungen, 1965, S. 78 ff.; zu den Gründen für die Gewährung übertariflicher Leistungen und das Auseinanderfallen von Tarif- und Effektivlohn, dem sog. "wage drift", vgl. Berie, Arbeit und Sozialpolitik 1966, S. 209 ff.; Bretschneider, Arbeit und Sozialpolitik 1966, S. 214 ff.; Gerfin, Aus-

§ 3. Die arbeitsvertragliche Einheitsregelung

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I. Einseitige Eigennützigkeit der Allgemeinen Arbeitsbedingungen

Der unilaterale Charakter der durch Allgemeine Geschäftsbedingungen gegenüber machtunterlegenen Kontrahenten getroffenen Regelung ist den um fiktionsfreie Phänomenerfassung bemühten Juristen nicht lange verborgen geblieben. Bereits im Jahre 1922 lenkte Nipperdey38 in einer Urteilsanmerkung mit dem Titel "Der Kampf der Rechtsordnung gegen die in Verfolgung des Grundsatzes der Vertragsfreiheit diktierten Bedingungen" die allgemeine Aufmerksamkeit auf diesen Tatbestand. Die Erkenntnis, daß die Allgemeinen Arbeits- und Geschäftsbedingungen materiell "keine einverständliche, sondern eine einseitige Regelung" 89 enthalten, ist heute allgemein verbreitet'0 • Die durch Allgemeine Geschäftsbedingungen gestalteten Verträge werden daher zutreffend als "so called-contracts, in which one predominant unilateral maß und Wirkung der Lohndrift, in: Amdt (Hrsg.), Lohnpolitik und Einkommensverteilung, Verhandlungen auf der Tagung des Vereins für Socialpolitik, 1969, s. 472 ff. 88 Zitiert nach Mroch, Zum Kampf gegen die unlauteren Geschäftsbedingungen, 1960, S. 22 Fußn. 93; ähnlich Auer, Die richterliche Korrektur von Standardverträgen, 1964, S. 2; Raiser, Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, 1935, S. 2; Fischer, BB 1957, S. 481 (482); Lukes, in: Festschrift für Hueck, 1959, S. 459 (460); Mroch, Zum Kampf gegen die unlauteren Geschäftsbedingungen, 1960, S. 3 (mit Beispielen), und die vorstehend (S. 85) in Fußn. 35, 36 Genannten. 39 FLume, § 33, 6 b (S. 610); ders., in: Festschrift zum 100jährigen Bestehen des DJT, 1960, Bd. I, S. 135 (168); ebenso BAG, 21.12. 1970, AP Nr. 1 zu § 305 BGB Billigkeitskontrolle. 40 Vgl. für AAB namentlich Brentano, Der Schutz der Arbeitswilligen, 1899, S. 26 ff.; Sinzheimer, Der korporative Arbeitsnormenvertrag, Bd. I, 1907, S. 9 ff., 15 ff; SöLlner, Einseitige Leistungsbestimmung im Arbeitsrecht, 1966, S. 7 f'l.; für AGB Nußbaum, ArchBürgR 42 (1916), S. 136 ff.; F. v. Hippel, Das Problem der rechtsgeschäftliehen Privatautonomie, 1936, S. 27; Auer, Die richterliche Korrektur von Standardverträgen, 1964, S. 2; Enneccerus-Nipperdey, § 163 VI (S. 1007); Becker, Gegenopfer und Opferverwehrung, 1958, S.174; Haupt, Die allgemeinen Geschäftsbedingungen der deutschen Banken, 1937, S.192 ff.; Merz, in: Bemer Kommentar, Art. 2 Anm.176; Raiser, Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, 1935, S. 21 f., 24, 93, 277; Lukes, JuS 1961, S. 301 ff.; Mroch, Zum Kampf gegen die unlauteren Geschäftsbedingungen, 1960, S. 2; Großmann-Doerth, Selbstgeschaffenes Recht der Wirtschaft und staatliches Recht, 1933; Werner, Das Verhältnis von Recht und Wirtschaft in der Industriegesellschaft, 1965, S. 7; Schmidt-Salzer, Das Recht der Allgemeinen Geschäfts- und Versicherungsbedingungen, 1967, S. 66 ff., 269 f.f., 277; Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, 1966, S. 91 f.f.; Staudinger-Weber, Vorbem. N 43 vor § 241; BydLinski, Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäfts, 1967, S. 219; Naendrup, Die Teilnichtigkeit im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, 1966, S. 69 f., 79 f., 113; Fikentscher, Schuldrecht, 2. Aufi. 1969, § 26V 5 (S.110, 113); Schreiber, NJW 1967, S.1441 (1446); HeLm, JuS 1965, S.121 (122 f.); Oftinger, in: Festgabe der juristischen Fakultäten zum BV-Centenarium, 1948, S. 315 (329); a. A. v. Brunn, Die formularmäßigen Vertragsbedingungen der deutschen Wirtschaft, 2. Aufi. 1956, S. 39 f.f.; ders., AcP 159 (1960/61), S. 547 (553); ders., AcP 167 (1967), S. 70 (73 f.) in paläoliberalerVerherrlichung des als autoharmonisch ideologisierten Marktmechanismus. Nachweise aus der Rechtsprechung finden sich unten in § 9 (S. 202 ff.).

2. Kap.: Allg. Arbeitsbedingungen. Empirisch-deskriptiver Befund

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party will dictate its law to an undetermined multitude rather than to an individual" 41 charakterisiert. "There is one factor common to the vast majority of cases in which courts have refused to recognize the authority of the parties in choosing their own law: the contracts involved in these cases were contracts of adhesion, i. e. agreements in which one party's participation consists in his mere adherence, unwilling and often unknowing, to a document drafted unilaterally and insisted upon by what is usually a powerful enterprise42." Die "Einseitigkeit" äußert sich konkret (1) im intellektuellen Übergewicht des Arbeitgebers beim Vertragsabschluß, (2) im wirtschaftlichen Übergewicht des Arbeitgebers mit der darin begründeten Chance einseitig-eigennütziger Festlegung der Allgemeinen Arbeitsbedingungen.

1. Das intellektuelle Obergewicht des Arbeitgebers beim Vertragsabschluß Die einseitige Vorformulierung der Allgemeinen Arbeitsbedingungen ermöglicht dem Arbeitgeber, diese auf Grund sorgfältiger, vorausplanender Überlegungen so festzusetzen, wie es seinen Zielen angesichts der konkreten wirtschaftlichen und technologischen Lage seines Unternehmens entspricht. So kann er bei günstiger Marktlage, in einer expansiven Phase der volkswirtschaftlichen Entwicklung, die eine beträchtliche Umsatzausweitung zuläßt, durch attraktive Ausgestaltung der über- und außertariflichen bzw. -betriebsvereinbarungsrechtlichen Arbeitsbedingungen auch in einer Situation allgemeinen Arbeitskräftemangels Arbeitnehmer für seinen Betrieb anwerben und (nach bisheriger Rechtsprechung) durch Rückzahlungsklauseln und verfallbare Ruhegeldanwartschaften an den Betrieb binden. Bei stagnierendem oder schrumpfendem Umsatz, in einer kontraktiven Phase der volkswirtschaftlichen Entwicklung, kann er die nichttariflichen Arbeitsbedingungen zuungunsten der Arbeitnehmer abändern'8 • Die einseitige Vorformulierung der Vertragsbestimmungen gestattet es dem Arbeitgeber ferner, juristische Experten mit der Abfassung der

Ehrenzweig, 53 Columbia Law Review (1953), S. 1072 (1075 Fußn. 17). Kessler, 43 Columbia Law Review (1943), S. 629 (630 f.); ebenso auch schon 0. Prausnitz, The Standardization of Commercial Contracts in English and Contineotal Law, 1937, S. 35 ff., 41 ff. 48 Auf welchem Wege der Arbeitgeber eine Anpassung der noch auf der Grundlage der "alten" AAB geschlossenen Verträge an die neuen von ihm aufgestellten Arbeitsbedingungen erreichen kann, ist im Rahmen der rechtlichen Analyse (§§ 10 ff., S. 235 ff.) näher zu erläutern. 41

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§

3. Die arbeitsvertragliche Einheitsregelung

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Allgemeinen Arbeitsbedingungen, etwa der Ruhegeld- oder Gratifikationsordnung, zu beauftragen, damit die von ihm gewünschte Regelung auch ein adäquates juristisches Niveau erhält, um jede Interpretation, die seinen Wünschen zuwiderläuft, auszuschließen. Dank dieser Beherrschung der durch die Privatrechtsordnung eingeräumten rechtstechnischen Gestaltungsmittel erlangt der Unternehmer im Vergleich zum Arbeitnehmer, der kenntnismäßig, zeitlich und auch soziologisch-organisatorisch44 gar nicht in der Lage ist, ein detailliertes Vertragsangebot zu unterbreiten, ein "intellektuelles", durch Länge und Unverständlichkeit der Klauseln für den Laien häufig noch intensiviertes Übergewicht4s bei den Vertragsverhandlungen, das er im Interesse seiner jeweiligen Ziele einsetzen kann. Die Tätigkeit des Durchschnittsarbeitnehmers (im Gegensatz zu der des leitenden Angestellten) besteht bei den Vertragsverhandlungen regelmäßig lediglich in der Erkundigung bei der Personalabteilung des Unternehmens oder bei einem einstellungsbefugten Betriebs- oder Abteilungsleiter, welchenLohn und welche zusätzlichen Sozialleistungen der Betrieb biete. Ob diese Arbeitsbedingungen kraft Gesamtvereinbarung oder arbeitsvertraglicher Einheitsregelung gewährt werden, interessiert ihn in der Regel nicht. In vielen Gesprächen hat der Verfasser keinen Arbeitnehmer gefunden, der gewußt hätte, auf welcher Rechtsgrundlage - Betriebsvereinbarung oder einseitig vom Arbeitgeber aufgestellte Ruhegeldordnung - sein Pensionsanspruch basierte; sie alle wußten nur, daß der Betrieb ein Ruhegeld gewährte. Ebenso wußte niemand, ob das "Weihnachtsgeld" laut Tarifvertrag oder auf Grund einer "freiwilligen" Zusage des Arbeitgebers gewährt wurde. Bekannt war manchen lediglich, daß der Effektivlohn über dem Tariflohn lag und daß an dem « Auf den letzten Gesichtspunkt hat namentlich Helm, JuS 1965, S. 121 (123) hingewiesen. 45 Der Begriff des "intellektuellen" Übergewichts ist von Raiser (JZ 1958, S. 1, 7) geprägt; vgl. aber auch bereits Herschel, DR 1942, S. 753 (754); ferner Schmidt-Salzer, NJW 1967, S. 373 (377); Enneccerus-Nipperdey, § 167 (S. 1012) Fußn. 37; Helm, JuS 1965, S.121 (123): Wer AGB verwende, dränge seine

Kunden zumindest rechtlich in die Defensive und schüchtere sie ein: "Bei juristisch formulierten Konditionen ist das Verhandeln für Nichtjuristen so viel schwieriger als beim Preis, daß es nur bei Großaufträgen, Dauergeschäften und Verträgen zwischen Firmen mit einander gegenüberstehenden Bedingungen praktisch in Betracht kommt. Der Kunde, besonders wenn er kein Kaufmann ist, versucht in der Regel gar nicht erst, sich den AGB zu widersetzen." Kliege (Rechtsprobleme der Allgemeinen Geschäftsbedingungen in wirtschaftswissenschaftlicher Analyse unter besonderer Berücksichtigung der Freizeichnungsklauseln, 1966, S. 22 ff.) hat nachdrücklich auf die Verheimlichungswirkungen aufmerksam gemacht, die aus der Verwendung umfangreicher, komplizierter AGB, die den Kunden in seiner rechtsgeschäftliehen Verantwortungsfähigkeit überfordern, resultieren. Dank ihrer ließen sich Rechtswirkungen erzeugen, die bei einem Verhandeln von Mann zu Mann ausgeschlossen wären.

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2. Kap.: Allg. Arbeitsbedingungen. Empirisch-deskriptiver Befund

Tariflohn "niemand" rütteln könne. Daraus könnte man allenfalls die Folgerung ziehen, daß viele Arbeitnehmer, hellhörig geworden durch die Herabsetzung nichttariflicher Arbeitsbedingungen durch Massenänderungskündigungen in der Rezession des Jahres 1966/67 und die gewerkschaftliche Forderung nach tariflicher Absicherung der Effektivverdienste, den auf Tarifvertrag beruhenden Anspruch für "stärker", d. h. bestandsgeschützter einschätzen als den Anspruch auf vom Arbeitgeber einseitig festgelegte, zusätzlich gewährte Leistungen48 • Eine soziologisch und psychologisch andere Situation liegt erst dann vor, wenn es dem einzelnen Arbeitnehmer, etwa durch geschickte Verhandlungsführung, individuelle Tüchtigkeit oder auch nur durch Ausnützen einer günstigen Situation gelingt, vom Arbeitgeber Zusagen für bestimmte zusätzliche Leistungen zu erhalten, die anderen Arbeitnehmern in gleicher Stellung nicht gewährt werden. Erst dann hat der in solcher Weise begünstigte Arbeitnehmer eine Position erlangt, die von dem Schicksal der allen Betriebsangehörigen je nach der Art des von ihnen besetzten Arbeitsplatzes "ohne Ansehung der Person" gewährten Arbeitsbedingungen unabhängig erscheint. Hier darf er darauf vertrauen, daß diese individuell ausgehandelten Bedingungen nicht ohne seine (notfalls durch Änderungskündigung erzwungene) Zustimmung zu seinen Ungunsten geändert werden. Für eine Verschlechterung seiner, auf seine Person zugeschnittenen Ansprüche durch eine über-individuelle, generelle, betriebliche oder überbetriebliche Ordnung hätte er kein Verständnis, und zwar zu Recht, denn in einem sozialen Rechtsstaat mit prinzipiell freiheitlicher Wirtschafts- und Arbeitsverfassung wäre eine so weitreichende kollektivrechtliche Gebundenheit des einzelnen ein systemwidriger Fremdkörper. Das Argument: "Mir ist doch zugesichert worden, daß ich mehr bekommen soll als die anderen. Das kann mir doch nicht durch eine unpersönliche, allgemeine Regelung entzogen werden!" kann in der betrieblichen Alltagspraxis nur bei individuellen Sondervereinbarungen auf48 Bereits diese rechtstatsächliche Situation zeigt, wie unrealistisch das Argument ist, die einzelvertragliche Einheitsregelung sei wegen der Form des Einzelvertrages vor kollektivrechtlicher Veränderung zum Nachteil der Arbeitnehmer zu schützen (so Richardi, S. 308, 396, 401 f.). In der Praxis sieht sich der Arbeitnehmer nicht von den "bösen" Kollektivgewalten um seine Rechte gebracht, sondern erlebt seine Abhängigkeit vom Individualwillen des Arbeitgebers. Das starke Interesse der Arbeitgeberseite, die übertariflichen Arbeitsbedingungen der tariflichen Absicherung zu entziehen, ist sicherlich kein Ausfluß der Fürsorge des um die Wahrung der Arbeitnehmerbelange besorgten Arbeitgebers, sondern Ausdruck der Erkenntnis, daß eine Abänderung einzelvertraglicher Allgemeinregelungen leichter durchsetzbar ist als eine Abänderung kollektivrechtlicher Allgemeinregelungen; das mit höchsten Werten (individuelle Selbstbestimmung des Arbeitnehmers und Vertrauensgewähr) gestützte Pathos des Individualschutzes erweist sich somit in der Praxis als recht hohl; vgl. auch die nachfolgende Fußnote.

§ 3. Die arbeitsvertragliche Einheitsregelung

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tauchen. Das teleologisch aus dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes41 abgeleitete Argument, es lasse sich bei der rechtlichen Würdigung der Ansprüche aus arbeitsvertraglicher Einheitsregelung nicht übersehen, daß diese ihre Rechtsverbindlichkeit einer vertraglichen Vereinbarung verdanken und deshalb das Vertrauen des Arbeitnehmers auf den Inhalt des Vereinbarten zu schützen sei48, erweist sich damit rechtstatsächlich als unhaltbar. Im Bewußtsein des Durchschnittsarbeitnehmers finden so scharfsinnige, subtile juristische Differenzierungen zwischen den verschiedenen möglichen, abstrakt-generellen Anspruchsgrundlagen wie Tarüvertrag, Betriebsvereinbarung, arbeitsvertragliche Einheitsregelung, Gesamtzusage und Betriebsübung, auch im Wege einer "Parallelwertung in der Laiensphäre", keine Entsprechung. Es fehlt also bereits an der tatsächlichen Basis für die Herausbildung eines auf die n Vgl. Isele, JZ 1964, S.113 (119); Richardi, S. 402 und 428 ff.; ebenso ders., RdA 1965, S. 49 (54) : "Entscheidend gegen den kollektivrechtlichen Lösungsversuch spricht, daß eine vertragseinheitliche Regelung niemals in dem Sinn kollektivbezogen sein kann wie ein Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung. Allein die vertragliche Form schafft bereits einen für den betreffenden Arbeitnehmer individuell geprägten Vertrauenstatbestand. Andernfalls wäre es dem Zufall oder der rationellen Handhabung durch den Arbeitgeber überlassen, in welchem Umfang ein Arbeitsvertrag inhaltlichen Bestandsschutz gegenüber ungünstigeren Kollektivvereinbarungen genießt. Gerade Arbeitnehmer, die auf der sozialen Leiter unten stehen und deren Arbeitsverhältnisse gerade in größeren Betrieben notwendig kollektiviert sind, wären vor einer nachteiligen Verschlechterung ihrer vertraglich festgelegten Arbeitsbedingungen nicht geschützt - ein Ergebnis, das mit den sozialen Tendenzen des Arbeitsrechts nicht in Einklang steht" (ähnlich a. a. 0. S. 59). Demgegenüber stellt Richardi (a. a. 0. S. 56) fest: "Maßgebend ist allein, daß die Beteiligten, insbesondere die Arbeitnehmer, der einheitlichen Regelung keine größere Bestandssicherung zumessen als einer Kollektivvereinbarung. Ob das der Fall ist, kann allein durch die Auslegung der Parteierklärungen ermittelt werden. Für sie kommt es nicht in erster Linie auf die inhaltliche Auslegung der ,Gesamtzusage' an, sondern darauf, ob der Arbeitnehmer ihren kollektiven Charakter erkennen konnte und sich nach Treu und Glauben auf einen Vorbehalt hätte einlassen müssen, daß die Regelung durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung geändert werden kann, wenn die Parteien bei Vertragsabschluß daran gedacht hätten." Ähnlich auch Adomeit, S. 118. Mit diesen

Sätzen ist der S. 54 vertretene Standpunkt aber praktisch aufgegeben und in die Wertvorstellungen der Gegentheorie übergewechselt; denn bei einer arbeitsvertragliehen Einheitsregelung kann der Arbeitnehmer jederzeit durch Erkundigung bei seinen Arbeitskameraden oder Nachfrage beim Arbeitgeber erkennen, daß es sich um eine für alle Belegschaftsangehörigen gültige, demnach abstrakt-generelle Regelung handelt; aber auch ohne eine solche Erkundigung ist er realistisch genug, um davon auszugehen, daß ihm im Vergleich zu anderen Betriebsangehörigen keine Sonderleistungen gewährt werden, von denen diese ausgeschlossen sind, sofern der Arbeitgeber nicht zumindest den Anschein einer individuellen Begünstigung erweckt. Durch die einverständliche Bezugnahme auf eine allgemeine, nicht an Leistung, Fähigkeit oder Bedürftigkeit des konkreten Arbeitnehmers orientierte Ordnung der Arbeitsbedingungen wird der über-individuelle, kollektivbezogene Charakter der vereinbarten Arbeitsbedingungen jedenfalls eindeutig erkennbar. Vgl. dazu näher unten (S. 107) zu Fußn. 97 ff. 48 So insbesondere Richardi, S. 308, 401; ders., RdA 1965, S. 49 (59).

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2. Kap.: Allg. Arbeitsbedingungen. Empirisch-deskriptiver Befund

arbeitsvertragliche Einheitsregelung, Gesamtzusage und Betriebsübung beschränkten Vertrauens auf den Fortbestand dieser Regelung". Das Vertrauensargument ist daher nicht anwendbar50• Das gilt bei rechtsrealistischer Betrachtung um so mehr, als auch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hinsichtlich der Möglichkeit kollektivrechtlicher Abänderung keinen Unterschied macht zwischen kollektivrechtlichen und individualrechtliehen Allgemeinregelungen und daher auch durch spezifisch rechtliche "facts" keine Vertrauensgrundlage geschaffen wird. Simpel ausgedrückt: Wo kein Vertrauen begründet ist, kann auch kein Vertrauen geschützt werden51 •

2. Das wirtschaftliche Obergewicht des Arbeitgebers beim Vertragsschluß In der abstrakten Vorformulierung der Bedingungen, die künftig abzuschließenden Arbeitsverträgen zugrunde gelegt werden sollen, findet aber auch das wirtschaftliche Übergewicht des Arbeitgebers seinen sinnfälligen Ausdruck. 49 Zu den systembedingten Voraussetzungen für die Herausbildung von Vertrauenstatbeständen vgl. die Analyse Luhmanns, Vertrauen- Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität, 1968, S. 21 ff., 44 ff., 86 ff. 50 Vgl. bereits meine Ausführungen in RdA 1969, S. 291 (300 f.) mit Fußn. 90. 51 Die psychologische Wirkung der Aufstellung Allgemeiner Arbeitsbedingungen liegt darin, daß beim Arbeitnehmer ,.der Eindruck erweckt wird, der durch Regeln festgelegte Vertragsinhalt sei allgemein für Geschäfte dieser Art üblich" (Lukes, Der Kartellvertrag, 1959, S. 21, 23 f.). Wenn Ballerstedt (JZ 1956, S. 267) meint, daß AGB ,.solange sie noch nicht in den Einzelvertrag eingegangen sind, im Verhältnis zum künftigen Vertragsgegner nichts weiter als ein Stück Papier, bestenfalls ein dem Vertragsangebot zugrundeliegender Entwurf" seien, so ist dies rechtlich durchaus zutreffend (ebenso Götz, Zum Schweigen im rechtsgeschäftliehen Verkehr, 1968, S. l14 ff.; Staudinger-Weber, Vorbem. N 232 ff. vor § 241; Schmidt-Salzer, Das Recht der Allgemeinen Geschäfts- und Versicherungsbedingungen, 1967, S. 107 ff.; Isele, JuS 1961, S. 308, 311; v. Brunn, AcP 167 [1967], S. 70, 71 f.; Grunsky, JurA 1969, S. 87, 101 f.; Diederichsen, ZHR 132 [1969], S. 237 ff. in Auseinandersetzung mit der gegenteiligen Ansicht von Lukes, in: Festschrift für Hueck, 1959, S. 459 ff., und Naendrup, Die Teilnichtigkeit im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, 1966, S. 103; näher dazu unten§ 16, S. 489 ff.). An der tatsächlichen Relevanz der Aufstellung Allgemeiner Geschäftsbedingungen kann angesichts der im Text geschilderten positionsverschlechternden Auswirkungen ("Reflexwirkungen" i. S. von Lukes, Der Kartellvertrag, 1959, S. 22 ff., 170 ff., 226 ff., 289, 296; vgl. auch v. Ihering, IherJb. 10 [1871], S. 245 [284]; v. Tuhr, Der Allgemeine Teil des deutschen bürgerlichen Rechts, Bd. II/1, 1914, S. 12 mit Fußn. 42, 43, S. 167 mit Fußn. 141; Bachof, in: Gedächtnisschrift für Jellinek, 1955, S. 287 ff.; R. Nörr, Die Rechtsnatur der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, Diss. München 1954, S. 35 ff.; Diederichsen, a. a. 0., S. 247 ff.) auf die betroffenen künftigen Kontrahenten schlechterdings nicht gezweüelt werden.

§ 3. Die arbeitsvertragliche Einheitsregelung

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Die vorformulierten Konditionen sind rechtstatsächlich keine im Verlauf der Vertragsverhandlungen noch frei abänderbaren, den endgültigen Kontraktschluß bloß vorbereitenden und erleichternden Gestaltungsvorschläge, sondern nehmen künftigen Geschäftspartnern in aller Regel von vornherein jegliche Chance, die in den Allgemeinen Arbeitsbedingungen geregelten Punkte unter Berücksichtigung auch ihrer individuellen Präferenzordnungen auszuhandeln. Der Standardvertrag ist damit nicht mehr Gegenstand freier Vereinbarung, nicht Resultat zweiseitiger Vertragsverhandlungen, sondern Produkt arbeitgeberischen Reglements, dem der einzelne Arbeitnehmer regelmäßig nur zustimmen, das er aber nicht zu seinen Gunsten abändern kann, will er nicht auf den Vertragsabschluß überhaupt verzichten52• Diese Positionsverschlechterung für künftige Geschäftsgegner durch Aufstellung und gleichförmige Handhabung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in der Rechtsprechung53 und Lehre54 schon früh gesehen und durch den Begriff der Unterwerfung55 unter die durch Allgemeine 52 Wirtschaftlich betrachtet befindet sich der Arbeitnehmer, der einen Arbeitsvertrag nur zu den in den AAB enthaltenen Bestimmungen abschließen kann, in der Position eines "Optionsempfängers zu den Maßnahmen ... der Optionsftxierer" ( = Arbeitgeber); vgl. C. A. Andreae, Beiträge zur Wettbewerbsordnung, 1963, S. 117 unter Bezugnahme auf Erich Schneider, Einführung in die Wettbewerbstheorie, Bd. Il; vgl. auch Böhm, Wettbewerb und Monopolkampf, 1933 (Neudruck 1965), der (S. 48) die Abweichung Allgemeiner Geschäftsbedingungen vom dispositiven Gesetzesrecht als Anhaltspunkt für "monopolistische Grenzabweichung" ansieht; ferner Säcker, BB 1967, s. 681 (683 f.). 53 Vgl. z. B. RG, 13. 12.1912, RGZ 81, S.117 (119); RG, 18.10.1935, RGZ 149, S. 96 (100); BGH, 29. 10.1956, BGHZ 22, S.109 (112); BGH, 17. 5. 1960, NJW 1960, S.1661; BGH, 17. 2.1964, BGHZ 41, S.151 (154). 54 Vgl. z. B. FZume, § 37, 1 (S. 668); Helm, JuS 1965, S.121 (123 ff.); Lukes, in: Festschrift für Hueck, 1959, S. 459 (476); ders., JuS 1961, S. 301 (304); HerscheZ, DR 1941, S. 1727 (1728); ders., DR 1942, S. 753 (755); EiZZes, ZZP 62 (1941), S.1 ff.; SöUner, Einseitige Leistungsbestimmung im Arbeitsverhältnis, 1966, S. 40 ff.; Schreiber, NJW 1967, S. 1441 (1444 f.); Baumbach-Duden, Handelsgesetzbuch, 19. Auft. 1970, Vorbem. 3 A vor§ 343; Mroch, Zum Kampf gegen die unlauteren Geschäftsbedingungen, 1960, S. 2 ff.; Meyer-Ladewig, MDR 1963, S. 724; Fischer, BB 1957, S. 481; Schmidt-SaZzer, Das Recht der Allgemeinen Geschäfts- und Versicherungsbedingungen, 1967, S. 36 ff.; Bernhardt, DR 1942, S. 215; Haupt, Die allgemeinen Geschäftsbedingungen der deutschen Banken, 1937, S. 33 ff., 195; ders., ZAkdR 1943, S. 84 (85 f.); Raiser, Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, 1935, S. 19 ff.; Krause, BB 1955, S. 265 (268); für die AAB vgl. insbes. HiZger, in: Verhandlungen des 43. DJT 1960, Bd. II (1961), Teil F, S. 19 f.; Sieg, RdA 1955, S. 441 (443 zu Fußn. 42). 55 Vgl. z. B. Ehrenzweig, Hanseatische Rechtszeitschrift 1926, S. 86; Helm, JuS 1965, S.121 (124ff.); WoZgast, NJW 1954, S. 604; Herschel, DR 1941, S.1727 (1728); ders., DR 1942, S. 753 (755); EiZZes, ZZP 62 (1941), S. 1 ff.; Bernhardt, DR 1942, S. 215; Baur, DAR 1962, S. 323; Ipsen, AöR 89 (1964), S. 336 (352); Mroch, Zum Kampf gegen die unlauteren Geschäftsbedingungen, 1960, S. 11; Haupt, ZAkdR 1943, S. 84 (86); ders., Die allgemeinen Geschäftsbedingungen der deutschen Banken, 1937, S. 189; Simitis, Die faktischen Vertragsverhältnisse als Ausdruck der gewandelten sozialen Funktion der Rechtsinstitute des Privat-

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2. Kap.: Allg. Arbeitsbedingungen. Empirisch-deskriptiver Befund

Geschäftsbedingungen fixierten Regeln in einem für die überwiegende Zahl aller abgeschlossenen Adhäsionskontrakte soziologisch durchaus exakten Sinne umschrieben worden58 : "Allgemeine Geschäftsbedingungen werden einseitig von einem Vertragsteil aufgestellt und nur kraft Unterwerfung des anderen Teils Bestandteil des Vertrags", so formuliert der Bundesgerichtshor unmißverständlich. Die Vertragsannahme bringt nicht mehr zum Ausdruck, daß der Adhäsionsvertrag zu den festgelegten rechts, 1957, S. 476; Hecht, Zeitschr. f. schweiz. Recht 79 (1960), S. 47 (60 ff.); aus der Rspr.: RG, 13. 10. 1942, RGZ 170, S. 233; RG, 26. 3. 1943, RGZ 171, S. 43; OGH, 7. 10. 1949, OGHZ 2, S. 298 (299); BGH, 19. 1. 1951, BGHZ 1, S. 83; BGH, 23. 5.1951; BGHZ 2, S.176; BGH, 5.10.1951, BGHZ 3, S. 200; BGH, 12. 2.1952, BGHZ 5, S.111; BGH, 29. 4. 1952, BGHZ 6, S.145; BGH, 25.10.1952, BGHZ 7, S. 365 (368); BGH, 3. 2.1953, BGHZ 9, S.1; BGH, 26. 3.1953, BGHZ 9, S. 359; BGH, 22.1.1954, BGHZ 12, S.136 (145); BGH, 8. 3.1955, BGHZ 17, S.1 (2); BGH, 8. 7. 1955, BGHZ 18, S. 98 (99); RG, 31. 1. 1941, DR 1941, S. 1210 (1212): "Ganz allgemein gesprochen, stellt sich der Abschluß von Verträgen, die unter Bezugnahme auf oft sehr umfangreiche AGB geschlossen werden, kaum noch als eine echte vertragliche Vereinbarung alldieser den Vertragsinhalt bildenden Regelungen dar; sie bedeutet viel eher eine Unterwerjung unter eine fertig bereitliegende Rechtsordnung." Für das Arbeitsverhältnis stellte bereits 1932 Jost, Das Sozialleben des industriellen Betriebes, S. 5 fest: "Im Hinblick auf das formale Zustandekommen der Einigung gilt Freiheit der Kontrahierung ... hinsichtlich des Inhalts dieser Einigung handelt es sich um die Unterwerfung unter fremden Willenszwang im Betrieb." In der Sache ebenso Schelsky, in: Gehlen-Schelsky, Soziologie, 5. Aufl. 1964, S. 188. Im französischen, angloamerikanischen und italienischen Recht (vgl. die Nachweise oben in Fußn. 22) bezeichnet man diese Unterwerfungserklärung als "adhesion" und verneint zuweilen sogar im Hinblick auf die wirtschaftliche überlegenheit des Unternehmers den Vertragscharakter der Willensübereinkunft (vgl. Duguit, L'Etat, le droit objectif et la loi positive, 1901, S. 54 f., 296 ff.; ders., Les transformations du droit prive, 1912, S. 116 ff.; Hauriou, Principes de droit public, 2. Aufl. 1926, S. 108 ff., 124 ff., insbes. 196 ff.). Diese sei vielmehr ein (öffentlich-rechtliches) "reglement", der vom Unternehmer als "institution" gesetzt und durch "adhesion" des Kunden Wirksamkeit erlange; a. A. allerdings die herrschende französische Doktrin, vgl. dazu Rüjner, Formen öffentlicher Verwaltung im Bereich der Wirtschaft, 1967, S. 288, 317, 323; Zwahlen, Referate und Mitteilungen des Schweizerischen Juristenvereins, Jg. 92 (1958), S. 522 ff.; de Laubadere, Traite theorique et pratique des contrats administratifs, Bd. I, 1956, S. 346 ff. Eine ähnliche Strömung in Deutschland sah in den AGB Rechtsnormen, die durch Unterwerfung für den Einzelfall Gültigkeit erlangten, so z. B. Herschel, DR 1942, S. 753 ff.; EWes, ZZP 62 (1941), s. 1 ff. 58 Vgl. Enneccerus-Nipperdey, § 163 VI 2 (S. 1008): die Bezeichnungen geben "den soziologischen Befund wieder, daß der Vertragsgegner häufig (aber keineswegs immer) nur die Wahl hat, entweder die AGB anzuerkennen oder auf den Abschluß eines Vertrages gänzlich zu verzichten". Von diesem Begriff der Unterwerfung im soziologischen Sinne ist der von Bötticher, Gestaltungsrecht und Unterwerfung im Privatrecht, 1964, S. 1 ff. (15) definierte Begriff der rechtsgeschäftliehen Unterwerfung als rechtlich notwendiges Widerlager des Gestaltungsrechtes dogmatisch scharf zu trennen; (s. § 6 [S.147] Fußn. 43). Aus diesem Grunde empfiehlt es sich, den realsoziologisch-rechtstatsächlichen Befund häufig anzutreffender schlichter Unterwerjung unter AGB nicht unter dem Terminus "Unterwerfung" rechtlich zu dogmatisieren, sondern von Verweisung oder Bezugnahme auf AGB bei Vertragsschluß zu sprechen. 67 BGH, 22. 2. 1967, MDR 1967, S. 582.

§ 3. Die arbeitsvertragliche Einheitsregelung

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Bedingungen wirklich gewollt ist; sie ist vielmehr Ergebnis der Erwägung, daß "man sich in diese Bestimmungen fügen müsse, wenn das Geschäft überhaupt zum Abschluß kommen soll" 58• Die einseitige Standardvertragsgestaltung durch den Unternehmer bietet diesem eben kraft seiner wirtschaftlichen Überlegenheit gegenüber dem Kunden auch die Chance, seine Position zu seinem eigenen Vorteil auszunutzen, indem er die Regeln in einseitig-eigennütziger Abweichung vom dispositiven staatlichen Gesetzesrecht aufstellt59• Diese Ausnutzung Allgemeiner Geschäftsbedingungen zur privaten Machtausübung ist allerdings im Bereich des Arbeitsrechts gemildert, da die bestehenden Kollektivnormen während der Laufzeit der Kollektivverträge einseitig zwingende, nur zugunsten der Arbeitnehmer nachgiebige Rechtsnormen sind, die einseitiger Interessenwahrnehmung bei der Aufstellung Allgemeiner Arbeitsbedingungen für ihren Geltungsbereich eine unübersteigbare untere Schranke setzen. Sie ist aber nicht aufgehoben, wie mobilitätsmindernde Prämiierungen der Betriebszugehörigkeit und der Anwesenheit im außertariflichen Bereich deutlich zeigen60• Ökonomisch gesichert ist diese Schutzfunktion des kollektiven Arbeitsrechts durch funktionsfähige Gewerkschaften, denen organisierte Arbeitgeberverbände gegenüberstehen. Dementsprechend weist der Arbeitsmarkt heute eine bilateral-monopoloide Marktstruktur auf mit der Folge, daß die Arbeitsbedingungen zum großen Teil durch von den Interessenorganisationen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausgehandelte Tarüverträge und Betriebsvereinbarungen festgelegt werden81 • Die außerhalb dieser Verbände stehenden Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind wirtschaftlich weitgehend gezwungen, sich an den kollektivrechtlich ausgehandelten Arbeitsbedingungen zu orientieren, was in der Lukes, Der Kartellvertrag, 1959, S. 193. So bereits Raiser, Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, 1935, S. 47 ff.; 0. Schreiber, Handelsbräuche, 1922, S. 45; Großmann-Doerth, 58

59

Selbstgeschaffenes Recht der Wirtschaft und staatliches Recht, 1933, S. 26 ff. so Vgl. zur ersteren Fallgruppe (Betriebszugehörigkeit) die Grundsatzentscheidung BAG, 31. 5. 1960, AP Nr. 15 zu § 611 BGB Gratifikation; zuletzt BAG, 13. 11.1969, DB 1970, S. 352; zur letzteren Gruppe (Anwesenheitsprämie) die m. E. verfehlten Entscheidungen BAG, 30. 3. 1967, AP Nr. 58 zu § 611 BGB Gratifikation (Schwangerschaftsbedingte Fehlzeit); BAG, 21. 1. 1963, AP Nr. 16 zu§ 2 ArbKrankhG mit zust. Anm. von Schelp (krankheitsbedingte Fehlzeit); dazu die zu Recht scharfe Kritik von Mayer-Maly, Anm. zu BAG AP Nr. 24 zu§ 1 HausarbTagG Nordrh.-Westfalen; Delheid-Schreven, RdA 1970, S.10 ff.; Wuttke, Anwesenheitsprämien und ähnliche Belohnungsarten, Diss. Köln 1967, während die h. L. den Urteilen zugestimmt hat; vgl. die Nachweise bei Trappe, BB 1966, S. 128 ff. 11 Vgl. dazu etwa G. Müller, DB 1967, S. 903 (904); Steindorff, RdA 1965, S. 253 (258 f.); Mayer-Maly, DB 1966, S. 821 (823); Barthol.omeyczik, AcP 166 (1966), S. 30 ff.; Löwisch, RdA 1969, S. 129 (131 ff.); Rüthers, JurA 1970, S. 86 (104 f., 109); Zöllner, DB 1970, S. 54 (61); Säcker, BB 1967, S. 681 (688 f.) m. w. N.

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2. Kap.: Allg. Arbeitsbedingungen. EmJ?irisch-deskriptiver Befund

Bezugnahme auf die jeweils geltenden Tarifverträge sinnfällig zum Ausdruck kommt82• II. "Normativität" der Allgemeinen Arbeitsbedingungen

Eine nähere Beschreibung der "Allgemeinheit" Allgemeiner Arbeitsbedingungen, in der Abschnittsüberschrift als Narrnativität gekennzeichnet, macht, um Mißverständnisse zu vermeiden, eine Vorverständigung über den Begriff der Norm erforderlich. Unter einer Norm wird in Übereinstimmung mit dem vorherrschenden historisch-konventionellen, der geltenden Rechtsordnung adäquaten Sprachgebrauch jede auf menschliches Verhalten bezogene abstraktgenerelle Vorschrift verstanden, unter einer Rechtsnorm jede abstraktgenerelle präskriptive Regelung, durch deren Nichtbefolgung rechtliche Sanktionen83 ausgelöst werden84 • Diese Nominaldefinition der Norm impliziert keine ablehnende Stellungnahme zur normlogischen 82 Die rechtliche Ordnung des Arbeitsverhältnisses wird auf diesem Wege immer mehr der Gestaltung durch die einzelnen Vertragspartner entzogen; vgl. zu dieser Entwicklung Fechner, ZgesStW 102 (1940), S. 78 (88); Karakatsanis, S. 31; Söllner, Einseitige Leistungsbestimmung im Arbeitsverhältnis, 1966, S. 54; ZöLlner, Tarifvertragliche Differenzierungsklauseln, 1967, S. 57; Rehhahn, ArbuR 1963, S. 238; bereits Nörpel, Gewerkschaften und Arbeitsrecht, 1924, S . 15. 63 Die Problematik der sog. "leges imperfectae" kann hier vernachlässigt werden. 84 Vgl. Georg Meyer, GrünhutsZ 8 (1881), S. 15 f.; Thoma, in: Handbuch des Deutschen Staatsrechts, hrsg. von Anschütz und Thoma, Bd. li, 1932, S. 124 (148) m. w. N. in Fußn. 94; Imboden, Das Gesetz als Garantie rechtsstaatlicher Verwaltung, 1954, S. 9; Jahrreiß, in: Festschrift für Nawiasky, 1956, S.19, 128 ff.; W. JeUinek, Verwaltungsrecht, 3. Aufi. 1948, S. 4; Peters, Lehrbuch der Verwaltung, 1949, S. 69; Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. I, 9. Aufi. 1966, S. 8 ff., 120, 192 ff.; Wolf!, Verwaltungsrecht, Bd. I, 7. Aufi. 1968, § 24 li a (S.104) und c (S.105); Volkmar, Allgemeiner Rechtssatz und Einzelakt, 1962, S.16 f., 74 ff.; Schaumann, JZ 1966, S. 721 (722); Jesch, Gesetz und Verwaltung, 1961, S. 10 f.; W. Schmidt, Gesetzesvollziehung durch Rechtsetzung, 1969, S. 34, 119; Obermayer, Verwaltungsakt und innerdienstlicher Rechtsakt, 1956, S. 74 ff.; Wagner, Grundbegriffe des Beschlußrechts der Europäischen Gemeinschaften, 1965, S. 266 ff.; Radbruch, Rechtsphilosophie, 4. Aufi. 1950, S. 128 f.; Mayer-Maly, AöR 80 (1955/56), S. 157 ff.; Beenken, Zur überprüfbarkeit der Bauleitpläne nach dem BBauG, 1967, S. 56 ff., 200 ff.; Starck, der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, 1970, §§ 9 ff., 40 ff., 49 ff. Auch die Rechtspr. geht einheitlich von diesem Normbegriff aus; vgl. etwa BVerwG, 10. 6.1960, BVerwGE 11, S. 14 (17); BVerwG, 29. 5. 1964, BVerwGE 18, S. 318 (323); BVerwG, 10. 3.1967, BVerwGE 26, S. 282 ff.; VGH Stuttgart, 17. 4. 1958, DÖV 1958, S. 501 f. Auf den historisch-konventionellen, verfassungsrechtlichen Charakter dieses Normbegriffs haben vor allem Haenel, Das Gesetz im formellen und materiellen Sinne, 1888, S. 116 ff., 205 ff.; K. Huber, Maßnahmegesetz und Rechtsgesetz, 1963, S. 133 ff.; Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 1958, S. 283 ff .• 336 ff.; ders., Die Organisationsgewalt im Bereich der Regierung, 1964, S. 89 ff., und Ossenbü.hl, AöR 92 (1967), S. 1 (22 ff.) aufmerksam gemacht; s. auch unten Fußn. 68.

§ 3. Die arbeitsvertragliche Einheitsregelung

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Theorie der Wiener rechtstheoretischen Schule65 , die, was rechtstheoretisch durchaus sinnvoll sein mag, jede rechtlich verbindliche Regel menschlichen Verhaltens, also auch die individuelle Regel, als Norm betrachtet. Es handelt sich insoweit lediglich um eine terminologische, nicht um eine sachliche Differenz. Die dieser Arbeit zugrunde 65 Vgl. dazu Merkl, Die Lehre von der Rechtskraft, 1923, S. 207 ff.; ders., in: Festschrift für Hans Kelsen, 1931, S. 252 ff.; ders., Allgemeines Verwaltungsrecht, 1927, S. 98 ff.; ders., Die Verordnungsgewalt im Kriege, JBl. 1916, S. 397 ff.; ders., Die Verfassung der Republik Deutschösterreich, 1919, S. 74 ff., 100 ff. ; Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, 2. Aufl. 1928 (Neudruck 1960), S. 118 f. mit Fußn. 2; ders., ÖZöffR III (1922), S. 103, 203 ff.; ders., Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, 2. Aufl. 1923 (Neudruck 1960), Vorrede S. XII ff., XV f.; ders., Allgemeine Staatslehre, 1925 (Neudruck 1966), S. 248 ff.; ders., Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960, S. 196 ff., 228 ff.; ders., in: Festschrift für Nipperdey, 1965, Bd. I, S. 57 ff. Zustimmend: Bindschedler, in: Festschrift für Verdross, 1964, S. 67 ff.; Pitamic, in: Festschrift für Verdross, 1964, S. 207 ff.; Cossio ÖZöffR N.F. I (1948), S. 337 ff., 466 ff., 473; Ebenstein, Die rechtsphilosophische Schule der Reinen Rechtslehre, 1938, S.119 ff., 141 ff.; Ermacora, ÖZöffR N.F. X (1959), S. 347 ff., 361 ff.; Tammelo, Journal of Legal Education, 8 (1955), S. 277 ff., 291; Verdross, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes, 1923, S. 129 ff.; Walter, Der Aufbau der Rechtsordnung - Eine rechtstheoretische Untersuchung auf der Grundlage der Reinen Rechtslehre, 1964; ferner Bucher, Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis, 1965, S. 13 f., 49 ff., und Adomeit, S. 72 ff., 115; ders., RdA 1967, S. 297 (299 ff.), die die normlogische Theorie aber durch Beibehaltung der Denkfigur des subjektiven Rechts modifizieren wollen (kritisch dazu Kaspar, Das subjektive Recht - Begriffsbildung und Bedeutungsmehrheit, 1967, S. 146 ff.); ebenso Richardi, S. 24 f., 339 ff., 345 f., 417, der aber offenbar nicht sieht, daß der im Hinblick auf eine bestimmte Rechtsordnung dogmatisch zweckmäßige Normbegriff nicht identisch zu sein braucht mit dem in einer rechtstheoretischen oder rechtsvergleichenden Analyse verwandten Begriff; vgl. dazu näher Säcker, RdA 1969, S. 291 (297 ff.). So kann es, worauf auch Tomandl in einem Diskussionsbeitrag auf der Tagung der Gesellschaft für Arbeitsrecht und Sozialrecht im März 1970 hingewiesen hat, vorkommen, daß z. B. in den Kompetenznormen der Verfassung oder in gerichtsverfassungsrechtlichen Zuständigkeitsnormen (z. B. in § 13 GVG) eine Materie dem Privatrecht zugerechnet wird, die "in Wahrheit", d. h. unter Berücksichtigung der Einsichten der allgemeinen Rechtslehre, dem öffentlichen Recht angehört. Kritische Einwendungen gegen die normlogische Theorie, soweit sie nicht überhaupt selbst in thematisch einschlägigen Untersuchungen wie in denen Böckenfördes (s. Fußn. 64) mit Stillschweigen übergangen wird, finden sich namentlich bei C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, 1931, S. 36 ff. (dagegen jedoch P. Schneider, Ausnahmezustand und Norm, 1957, S. 175 ff.); Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 9 ff. ; Sander, Kelsens Rechtslehre, 1923, S. 22 ff.; Golding, ARSP 47 (1961), S. 355 ff.; Jäckel, Hans Kelsens rechtstheoretische Methode, 1930, S. 121 ff.; Nawiasky, ÖZöffR VI (1927), S. 488 ff.; ders. Allgemeine Rechtslehre als System der rechtlichen Grundbegriffe, 2. Aufl. 1948, S. 43 ff. ; Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 1965, S.148 ff.; Vogel, Der räumliche Anwendungsbereich der Verwaltungsrechtsnorm, 1965, S. 245 ff., 264 ff.; weitere Nachweise bei Zöllner, Die Rechtsnatur der Tarifnormen nach deutschem Recht, 1966, S. 26 in Fußn. 79. Die Vorstellung einer Rangabstufung unter den Normen findet sich allerdings schon vor Merkl und Kelsen, wenngleich noch nicht zu einer geschlossenen Stufenbaukonzeption systematisch ausgebaut, bei Bierling, Zur Kritik der juristischen Grundbegriffe, 1877 (Neudruck 1965), S. 17 f.; ders., Juristische Prinzipienlehre, Bd. I, 1894, S.107 ff. ; Bd. II, 1898, S.117 ff.

7 Sllcker

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2. Kap.: Allg. Arbeitsbedingungen. Empirisch-deskriptiver Befund

gelegte Normdefinition erscheint gegenüber dem Normbegriff der Stufenbaulehre aber zweckmäßiger, um eine Rechtsordnung zu beschreiben, die in wesentlichen Teilbereichen, nämlich im öffentlichen Recht, auf dem Unterschied von Einzelakt und allgemeinem Rechtssatz aufbaut88 und im Arbeitsrecht den Berufs- und Betriebsverbänden das Instrument der Gesamtvereinbarung nur zum Zwecke von Allgemeinregelungen zur Verfügung stellt67 • Es erscheint daher nicht sinnvoll, diese durch die konkrete Rechtsordnung vorgegebenen Differenzierungen durch eine neue, als Oberbegriff fungierende Normdefinition zu verdecken68 • In der Sache selbst sind auch die Anhänger der Wiener Schule gezwungen, zwischen abstrakt-generellen und konkret-individuellen Normen zu unterscheiden. Um die Normqualität der Allgemeinen Arbeitsbedingungen im Sinne einer überindividuellen, un-persönlichen, allgemeinen betrieblichen Ordnung nachzuweisen, bedarf es im folgenden lediglich des Nachweises des abstrakt-generellen Charakters der Allgemeinen Arbeitsbedingungen, der, wie sich noch zeigen wird69 , auch bei Übernahme in den Einzelvertrag durch Bezugnahme nicht aufgehoben wird. Zugleich ist die besondere, von der Interessenlage bei Individualvereinbarungen verschiedene Interessenlage bei Allgemeinen Arbeitsbedingungen aufzuzeigen, 66 Vgl. Volkmar, Allgemeiner Rechtssatz und Einzelakt, 1962, S.16 ~.; Säcker, BB 1966, S. 1403. Auch Alf Ross (Directives and Norms, 1968, S. 78 ff.,

100) betont den Unterschied von genereller und singulärer Norm: "Singular directives and general rules make up a logical and systematic whole in such a way that it is natural to ascribe to some singular directives the same normative character which we ascribe to the general rules from which they are derived. But we must, accordingly, recognize that singular norms are essentially a secondary phenomenon whose existence is dependent on primary general norms. We conclude that the definition of the concept ,norm' must be extended to include those singular directives which are derived from general norms as weil as general norms themselves." 67 Vgl. dazu unten § 10 A II (S. 269 ff.) für den Tarifvertrag und § 11 A II (S. 346 ff.) für die Betriebsvereinbarung. 68 Vgl. Ossenbühl, AöR 92 (1967), S. 1 (22 ff., 24), der zutreffend darauf hinweist, daß der Rechtsnormbegriff ein Rechtsinhaltsbegriff ist (zur Unterscheidung vonRechtsform-und Rechtsinhaltsbegriff vgl. Somlo, Juristische Grundlehre, 2. Aufl. 1927, S. 26 ff.; Bucher, Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis, 1965, S. 36 ff.), der auf eine bestimmte Rechtsordnung bezogen ist und bestimmte Aufgaben in dieser Rechtsordnung zu lösen hat. Die Heterogenität der möglichen rechtsverbindlichen Regelungen in einer Rechtsordnung wird durch eine allgemeine Rechtsnormdefinition nur verschleiert; entscheidend muß die Erforschung der Eigenschaften des konkreten Regelungstyps sein. M. E. ist daher der gegen Kelsen gerichteten Feststellung von Jesch (Gesetz und Verwaltung, 1961, S. 10 f. zu Fußn. 11) beizupflichten, daß wegen der Verflechtung des Gesetzesbegriffs mit einer bestimmten staatsrechtlich-politischen Situation dieser Begriff sinnvollerweise auf seinen historischen Bedeutungsgehalt beschränkt bleiben solle, da eine neue, vom historischen Ursprung gelöste Sinngebung nicht nur die Terminologie, sondern auch die Problematik zu verwirren geeignet ist. 69 S. unten § 17 (S. 493 ff.).

§ 3. Die arbeitsvertragliche Einheitsregelung

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die allein es rechtfertigen kann, Allgemeinen Arbeitsbedingungen unter Umständen andere Rechtsfolgen zuzuordnen als konkret-individuellen Arbeitsbedingungen. Eine Regelung ist "generell", wenn sie sich an einen objektiv, d. h. nach sachlichen Merkmalen bestimmbaren Personenkreis wendet. Negativ formuliert: eine Anordnung ist nicht generell, sondern "individuell" (= "speziell" 10), wenn sie sich an einen im Erlaßzeitpunkt objektiv bestimmten71 Adressatenkreis richtet, der sich in Zukunft weder erweitern noch verkleinern wird11• Eine Regelung ist "abstrakt", wenn sie eine im Erlaßzeitpunkt unbestimmte Zahl von Fällen betrifft, also die Möglichkeit künftiger, gedach10 Beide Begriffe werden in der Literatur im allgemeinen synonym verwandt. Nur Volkmar (Allgemeiner Rechtssatz und Einzelakt, 1962, S. 220, 227) spricht ausschließlich von "spezieller" Regelung und benutzt den Terminus "individuell" als Oberbegriff für eine konkret-spezielle Regelung (= Einzelregelung). 71 Im Hinblick auf BVerwG, 28. 2. 1961, BVerwGE 12, 87 (89 f.) wäre zu präzisieren: es genügt, wenn der Adressatenkreis im wesentlichen im Zeitpunkt des Erlasses der Maßnahme feststeht. Zufällige, unvorhersehbare und geringfügige Änderungen berühren danach den rechtlichen Charakter einer Maßnahme nicht.- Wenn in Literatur und Judikatur verschiedentlich noch formuliert wird: eine Regelung ist speziell, wenn der von ihr betroffene Personenkreis "bei ihrem Erlaß bestimmbar" ist (so z. B. OVG Münster, 9. 2. 1961, OVGE 16, S. 226), so ist dies zumindest mißverständlich; gemeint ist aber regelmäßig, daß bei Erlaß feststellbar sein muß, welche Personen als Adressaten der Regelung in Frage kommen. Dann liegt objektive Bestimmtheit vor. Vgl. zu dieser Frage auch Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. I, 9. Aufi. 1966, S. 192 ff.; Fuss, NJW 1964, S. 945 (947) m.w.N. Diese Definition ist auch in § 27 des Entwurfs eines Verwaltungsverfahrensgesetzes von 1963 eingegangen: Allgemeinverfügung ist ein Verwaltungsakt, "der sich an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten Personenkreis richtet". 72 Vgl. Fuss, NJW 1964, S. 945 (947); Drews-Wacke, Allgemeines Polizeirecht, 7. Aufi. 1961, § 17, 2 (S. 265 ff.). Es läßt sich nicht leugnen, daß die Unterscheidung Einzelregelung-Allgemeinregelung mit der Zahl der betroffenen Personen in engem Zusammenhang steht. Gleichwohl leuchtet sofort ein, daß für die begriffliche Abgrenzung nicht auf die höhere bzw. geringere Zahl von Adressaten abgestellt werden kann. "Wo sollte wohl die Grenze gezogen werden? Bei fünf oder hundert oder zehntausend Adressaten bzw. Einzelfällen? Die Frage führt sich selbst ad absurdum. Als Abgrenzungskriterium kommt daher nur die Bestimmtheit oder Unbestimmtheit der Zahl in Frage" (so Fuss, a. a. 0.; ebenso Volkmar, Allgemeiner Rechtssatz und Einzelakt, 1962, S. 220, 227, 257 f.; Menger, VVdStRL 15 [1957], S. 18 f.; Schack, DVBI. 1964, S. 904; H . Schneider, in: Festschrift für Carl Schmitt, 1959, S. 160, 166), und zwar kann die BestimmtheUsprüfung nur bezogen werden auf den Zeitpunkt des Erlasses der Regelung, da nur dieser von vornherein feststeht; vgl. Fuss, a. a. 0.; Karakatsanis, S. 37: "Deswegen kann es keine absolut geltende, theoretisch zu begründende Antwort darauf geben, wie viele Fälle jeweils eine Kollektivsituation ausmachen"; OVG Münster, 1. 8. 1962, OVGE 18, 71 (76): "Der Charakter einer Maßnahme als Gesetz hängt nicht von der Zahl der betroffenen Personen ab. Er ist selbst dann gewahrt, wenn der Kreis der aktuell Betroffenen noch so klein ist, aber die Zahl der potentiell Betroffenen unbestimmt bleibt" (vgl. dazu auch Wienes, DÖV 1965, S. 319 ff.; Penski, DVBl. 1966, S. 845 ff.; Hust, MDR 1966, S. 634 ff.; Podlech, DÖV 1967, S. 740 ff., alle m.w.N.).

7•

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2. Kap.: Allg. Arbeitsbedingungen. Empirisch-deskriptiver Befund

ter73 Tatbestandsverwirklichung offenläßt Negativ ausgedrückt: eine Regelung ist nicht abstrakt, sondern "konkret", wenn sie sich auf einen nach Ort, Zeit und Umständen genau bestimmten Vorgang, also auf ein reales Vorkommnis, und nicht auf einen bloß gedachten Fall bezieht74 • Diese Begriffsbestimmungen sind Ergebnis intensiver Bemühungen der Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft um die Klarstellung der Anforderungen, die nach der geltenden Rechtsordnung vorliegen müssen, um eine Allgemeinregelung ("Normativregelung") zu bejahen75• Sie sind, da sie nicht auf spezifische Besonderheiten des öffentlichen Rechts zugeschnitten sind, auch im Bereich des Privatrechts geeignet, Individual- und Kollektivregelungen voneinander zu scheiden, soweit dieser Unterscheidung im Privatrecht Bedeutung zukommt. Da im folgenden Funktionen und Wirkungen individualrechtlicher Allgemeinregelungen mit den Funktionen und Wirkungen von kollektivrechtlichen und gesetzlichen Allgemeinregelungen verglichen werden sollen76 , ist es auch im Hinblick auf diese spezifische Fragestellung notwendig, die gleichen Kriterien, mit deren Hilfe Rechtsnormen von sonstigen rechtsverbindlichen, individuellen Hoheitsakten (Verwaltungsakten) abgegrenzt werden, auch der Abgrenzung der vom Arbeitgeber allgemein aufgestellten Arbeitsbedingungen von sonstigen, durch den Arbeitgeber individuell festgesetzten Arbeitsbedingungen zugrunde zu legen. Solche Präzisierung der unter diesen Begriff subsumierbaren Sachverhalte macht den bereits eingangs erwähnten Einwand gegenstandslos, die arbeitsvertragliehe Einheitsregelung umfasse in Wahrheit "recht unterschiedliche" Sachverhalte, die einheitlicher Rechtsfolgenzuordnung gar nicht fähig seien77 • 73 Charakteristisches Merkmal einer abstrakten Regelung ist die "Möglichkeit einer zukünftigen Tatbestandsverwirkli chung" (VGH Stuttgart, 11. 2.

1957, DÖV 1957, S. 217; ähnlich OVG Lüneburg, 18. 6. 1952, OVGE 6, S. 265, 267), ist der "gedachte Fall" (BVerwG, 28. 2. 1961, BVerwGE 12, S. 87, 89 f .). 74 Vgl. BVerwG, 28. 2. 1961, BVerwGE 12, S. 87 (89) ("ein einzelnes reales Vorkommnis"); Hess. VerwGH, 24. 4.1964, DÖV 1964, S. 61; Wolf], Verwaltungsrecht, Bd. I, 7. Aufl. 1968, § 46 VIa (S. 268); UZe, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 2. Aufl. 1962, § 42 Anm. IV 2 c; Fuss, NJW 1964, S. 945 (946); ebenso bereits Thoma, Der Polizeibefehl im badischen Recht, 1906, s. 62, 64 f. 75 Vgl. Volkmar, Allgemeiner Rechtssatz und Einzelakt, 1962, S. 16 ff. mit zahlreichen Nachweisen; ferner das in den Fußn. 71-74 zitierte Schrifttum; ferner Maunz-Dürig-Herzog, Grundgesetz, Kommentar, 3. Aufl. 1968 ff., Art. 20 Rdnr. 94; Menger, VerwA 1961, S. 415 f.; Wolf!, Verwaltungsrecht, Bd. I, 7. Aufl. 1968, § 24 II c 2 (S. 105 f.); Obermayer, Verwaltungsakt und innerdienstlicher Rechtsakt, 1956, S. 78; Peters, Die Beteiligung des Betriebsrates an der Errichtung und Verwaltung von Werkswohnungen und Werkskantinen, Diss. Münster 1966, S. 62 ff.; Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, 1970, §§ 10, 40 f., 48 ff. 7& S. dazu unten Kap. 3 (§§ 6 ff.). 77 So Isele, JZ 1964, S.l13 (119); ders., Anm. zu BAG, SAE 1963, S.153; ebenso G. Hueck, in: Festschrift für Molitor, 1962, S. 203 (218); ders., Anm. zu

§ 3. Die arbeitsvertragliche Einheitsregelung

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Die Allgemeinen Arbeitsbedingungen sind als "vorbereitete Vertragsordnung"78 Grundlage für künftige Rechtsgeschäftsabschlüsse, deren Anzahl im Zeitpunkt der Aufstellung noch gar nicht abzuschätzen ist. Sie sind für zahlenmäßig unbestimmte, künftige, gedachte Fälle aufgestellt, folglich abstrakt. Ebensowenig stehen Zahl und Personen der Vertragspartner im Augenblick der Regelaufstellung fest; sie tragen demnach auch generellen Charakter. Dieser rechtstatsächliche Befund ist für die Allgemeinen Geschäftsbedingungen in Rechtsprechung78 und Literatur80 allgemein anerkannt. Die durch Allgemeine Arbeitsbedingungen aufgestellten Regeln können daher auf Grund ihres abstrakt-generellen Inhalts als tatsächliche Normen81 gekennzeichnet werden, die durch Einführung in den Einzelvertrag rechtliche Verbindlichkeit für die Kontrahenten der Einzelverträge erhalten, ohne dadurch ihren Inhalt zu ändern. Sie sind - und das kann zu ihrer näheren soziologischen Verortung sofort festgehalten werden - keine staatlichen bzw. auf Grund staatlicher Delegation82 oder Beleihung83 mit Rechtsetzungsbefugnissen BAG AP Nr. 87 zu § 242 BGB Ruhegehalt; Richardi, S. 404; ders. RdA 1965,

s. 49 (55).

78 Stumpf, in: Festschrift für Nipperdey, 1965, Bd. I, S. 957 (964) ; sachlich ebenso, aber terminologisch verwirrend, BGH, 8. 3. 1955, BGHZ 17, S.1 (2): die AGB seien "eine allgemein geregelte Vertragsordnung, eine fertig bereitliegende Rechtsordnung ..., die aber erst dann zur Anwendung kommen, wenn der in diese Rechtsordnung Eintretende sich ihr unterwerfe". SchmidtSalzer (Das Recht der Allgemeinen Geschäfts- und Versicherungsbedingungen, 1967, S. 53) spricht, gleichfalls wenig glücklich, von "entindividualisierten" Vertragsmustern. Da AGB von vornherein abstrakt-generell entworfen werden, ist der Ausdruck "Entindividualisierung" irreführend. 78 RG, 13.12. 1912, RGZ 81, S. 117 (119); RG, 31.1. 1941, DR 1941, S. 1210 (1211); BGH 29.10.1956, BGHZ 22, S. 90 (96); BGH, 29. 9.1960, BGHZ 33, S. 216 (219); BGH, 5. 4. 1962, BGHZ 37, S. 94 (98); BGH, 17. 2. 1964, BGHZ 41, S. 151 (154). 8o Vgl. statt aller Helm, JuS 1965, S. 121 (122) ; Fischer, BB 1957, S. 481; Koch, DR 1944, S. 166; Herschel, DR 1942, S. 753 (754). Die an der Anwendung des Normbegriffs auf AGB von Schmidt-Salzer (Das Recht der Allgemeinen Geschäfts- und Versicherungsbedingungen, 1967, S. 49 ff., 226 ff.) geübte Kritik beruht auf einer methodisch nicht reflektierten Vermengung sachlicher und semantischer Probleme. s1 Lukes, Der Kartellvertrag, 1959, S. 213 ff.; zust. Rasch, AcP 158 (1959), S. 68. Die hiergegen von Raiser (in: Festschrift zum 100jährigen Bestehen des DJT, 1960, Bd. I, S.101, 111 f.) vorgetragene Kritik, Lukes vermenge rechtliche und soziologische Kategorien, geht fehl; teleologisch orientierte Jurisprudenz kann die wirtschaftlichen Auswirkungen einer Rechtsinstitution nicht aus der Betrachtung ausklammern; der Begriff der tatsächlichen Norm erhellt am besten die sich im Wirtschaftsleben vollziehende Zurückdrängung der Rechtsnorm durch die von den wirtschaftlichen Mächten aufgestellten tatsächlichen Normen; eine rechtliche Wertung wird auf diesem Wege nicht erschlichen. Vgl. auch Wemer, Das Verhältnis von Recht und Wirtschaft in der Industriegesellschaft, 1965, passim, vor allem S. 7 und unten Fußn. 85. 81 Delegation ist "die Begründung einer irregulären Zuständigkeit durch übertragung einer bestimmten Kompetenz eines Subjekts auf ein anderes" (Wolf!, Verwaltungsrecht, Bd. II, 3. Aufl. 1970, § 72 IV b 2 [S. 23] m.w.N.). Sie

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2. Kap.: Allg. Arbeitsbedingungen. Empirisch-deskriptiver Befund

erlassenen Normen, sondern sind vom Arbeitgeber als Privatperson (allein oder mit anderen Arbeitgebern) ohne rechtliche Verbindlichkeit für Dritte aus privatnützigen Zwecken aufgestellt. Sie sind mithin weder Rechtsnormen84 noch rechtlich-verbindliche private Normen86• Als tatsächliche Normen des Wirtschafts- und Soziallebens üben sie aber allein durch ihre Existenz ebenso wie Verkehrssitte und Handelsbrauch faktische Ordnungsfunktionen aus. Dies soll im folgenden näher verdeutlicht werden: Regelungsgegenstand der vom Arbeitgeber aufgestellten Allgemeinen Arbeitsbedingungen ist nicht ein bestimmtes "konkretes" Arbeitsverhältnis, das der Arbeitgeber mit einem im Zeitpunkt der Regelaufstellung bereits individuell feststehenden Arbeitnehmer eingegangen ist bzw. noch eingehen will, sondern eine Vielzahl bestehender und (oder) künftig erst noch abzuschließender Arbeitsverträge mit anist zulässig, wenn die reguläre (Verfassungs- oder gesetzmäßige) Zuständigkeitsordnung durch Beziehung der Kompetenz auf ein anderes Subjekt verändert werden darf. Grundlegend dazu die Untersuchung Triepels, Delegation und Mandat im öffentlichen Recht, 1942, S. 37 ff.; dazu die Münsterer Diss. von Barbey, Rechtsübertragung und Delegation, 1962. 83 Eine Beleihung liegt vor, wenn Personen des Privatrechts die Zuständigkeit eingeräumt ist, hoheitliche Kompetenzen im eigenen Namen wahrzunehmen; vgl. dazu Terrahe, Die Beleihung als Rechtsinstitut der Staatsorganisation, Diss. Münster 1961. Im geltenden Recht kommt allerdings eine Beleihung mit Normsetzungsbefugnissen nicht mehr in Betracht, vgl. Säcker, S. 73 f., Fußn. 140; zustimmend Wolf!, Verwaltungsrecht, Bd. II, 3. Aufi. 1970, § 104 I b (S. 388) unter Aufgabe der abweichenden Ansicht in der Vorauflage. 84 Die in einer Ablehnung der klassischen, positivistisch-etatistischen Rechtsquellenlehre wurzelnde Anerkennung des Rechtsnormencharakters der AGB in den frühen vierziger Jahren ist als eine zeitbedingte Erscheinung spätestens seit BGH, 8. 3. 1955, BGHZ 17, S. 1 ff. der Sache nach überwunden. Die Bezeichnung der AGB als Rechtsnormen, die durch Unterwerfung des Vertragspartners für den Einzelfall Wirksamkeit entfalten (so Herschel, DR 1941, S. 1727 [1728]; 1942, S. 753, 755; Eilles, ZZP 62 [1941], S.1 ff.; Senckpiehl, JR 1950, S. 581 ff.; weitere Nachweise bei Lukes, Der Kartellvertrag, 1959, S. 15 Fußn. 27, 28; wohl nur in der Formulierung rechtsdogmatisch unkorrekt RG, 13. 10. 1942, RGZ 170, S. 233; RG, 26. 3. 1943, RGZ 171, S. 43; RG, 31. 1. 1941, DR 1941, S. 1210, 1212; BGH, 3. 2. 1953, BGHZ 9, S. 1, 3, die von einer "fertig bereitliegenden Rechtsordnung" bzw. von einer "allgemeinen normativen Rechtsordnung" sprechen [so BGH, 19.1.1951, BGHZ 1, S. 83, 85; BGH, 5.10. 1951, BGHZ 3, S. 200, 203]), ist allerdings dann rechtstheoretisch korrekt, wenn man das subjektive Recht als Rechtsetzungsbefugnis definiert (so BucheT, Das subjektive Recht als Normsetzungsbefugnis, 1965, S. 55 ff.; Adomeit, Gestaltungsrechte, Rechtsgeschäfte, Ansprüche, 1969, S. 10 ff.). Dann ist aber folgerichtig jeder Vertrag, nicht nur der Standardvertrag, Rechtsetzung kraft Parteivereinbarung. Damit verliert jedoch die Anwendung des Ausdrucks "Rechtsnorm" auf AGB gerade den von Herschel u. a. gemeinten spezifischen Sinn. 85 Die Bezeichnung "private Norm" ist von Helm (JuS 1965, S. 121) in die Diskussion eingeführt worden. Die verschiedentlich an der Verwendung des Normbegriffs geübte Kritik (vgl. Brandner, AcP 162 [1963], S. 237 ff.; Stumpf, in: Festschrift für Nipperdey, 1965, Bd. I, S. 957 [964 f.]; Hübner, in: Festschrift für Nipperdey, 1965, Bd. I, S. 373 [380]) bezieht sich ihrem Sinn nach nur auf die Bezeichnung der AGB als Rechtsnormen; vgl. auch Fußn. 80.

§ 3. Die arbeitsvertragliche Einheitsregelung

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handobjektiver Kriterien bestimmbaren Arbeitnehmern bzw. Gruppen von Arbeitnehmern. Diese Kriterien werden vom Arbeitgeber in aller Regel nach betriebswirtschaftlich-technologischen sowie sozial- und personalpolitischen Erfordernissen festgelegt; sie lassen sich, typologisch aufgefächert, in zwei Kategorien unterteilen, und zwar in person-und in arbeitsplatzbezogene Merkmale. Persönliche Eigenschaften und Umstände der Arbeitnehmer, an die einheitsgestaltete Arbeitsbedingungen anknüpfen können, sind z. B. die Stellung als Jugendlicher, als Schwerbeschädigter, als werdende Mutter, als kinderreicher Familienvater, als Gewerkschaftsmitglied, als Außenseiter, als Streikender, als Arbeitswilliger usw. 8G. Deutlich davon verschieden sind die auf die Art des jeweiligen Arbeitsplatzes abstellenden Merkmale (s. dazu die im Anhang am Ende der Arbeit wiedergegebenen Beispiele). Im modernen, arbeitsteilig organisierten Großbetrieb sind zahlreiche, inhaltlich sehr verschiedenartige Tätigkeiten zu verrichten, die entsprechend den Betriebszwecken möglichst rationell zu koordinieren sind. Die hohe Arbeitsteilung und Funktionsspezialisierung erfordert zu ihrer produktionstechnisch optimalen Ausrichtung auf die betriebswirtschaftliehen Unternehmensziele, wie Schelsky81 feststellt, "ein System von Anordnungs- und Dispositionsleistungen, dem sich jeder in dieser Arbeit unterwerfen muß". Zur Bewältigung dieser Aufgabe ist ein hierarchisch gegliedertes, formales System technisch-organisatorischer Funktionseinheiten notwendig, das im betrieblichen Stellenplan durch eine entsprechende Anzahl von Arbeitsplätzen ausgedrückt ist, die durch den Inhalt der zu erbringenden 88 Vgl. dazu auch die zahlreichen Beispiele für allgemeine Arbeitsnormen in der sorgfältigen Tatbestandsanalyse Sinzheimers, Der korporative Arbeitsnormenvertrag, Bd. I, 1907, S. 34 ff.; Bd. II, 1908, S. 45 ff.; ferner Hilger, in: Verhandlungen des 43. DJT 1960, Bd. II (1961), Teil F, S. 7. Hilger will allerdings drei Arten von Merkmalen unterscheiden: a) nach der Art der Tätigkeit (diese Gruppe deckt sich mit der im Text als arbeitsplatzbezogene Merkmale bezeichneten Gruppe), b) nach der Funktion im Betriebsverband, c) nach persönlichen Gruppenmerkmalen. Die Gruppen b) und c) sind im Text der Arbeit als persönliche Merkmale gekennzeichnet, da die Abgrenzung zwischen den Gruppen b) und c) allzu fließend und daher auch typologisch nicht signifikant ist. Die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft oder die Arbeitswilligkeit trotz eines ausgerufenen Streiks sind als persönliche Haltungsstile ebenso personenbezogen wie die Eigenschaft als Jugendlicher. 87 Gehlen-Schelsky, Soziologie, 5. Auf!.. 1964, S.159 (188); ähnlich Gerwig, Die soziologische Struktur des Industriebetriebes, 1960, S. 29 ff.; Dahrendorf, Sozialstruktur des Betriebes, 1959, S. 17 ff.; Söllner, Einseitige Leistungsbestimmung im Arbeitsverhältnis, 1966, S. 13 ff. ; Landwehrmann, Organisationsstrukturen industrieller Großbetriebe, 1965.

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2. Kap.: Allg. Arbeitsbedingungen. Empirisch-deskriptiver Befund

Arbeitsleistung genau voneinander abgegrenzt sind88• Der Betrieb stellt sich so "als ein auf Dauer gestelltes und versachlichtes soziales Verhaltens- und Funktionsgefüge"~ dar, in dem die den Inhabern der einzelnen Arbeitsplätze (z. B. den Schweißern, den Maurern, den Angestellten, den ungelernten Arbeitnehmern, den Lehrlingen) vorgeschriebenen Arbeitsvollzüge und Verhaltensweisen im betrieblichen Produktionsprozeß funktional koordiniert und integriert werden. Den Allgemeinen Arbeitsbedingungen kommt hierbei die Aufgabe zu, entweder betriebseinheitlich90 oder, abgestellt auf die Art der im betrieblichen Stellenplan ausgewiesenen Arbeitsplätzen, gruppeneinheitlich die Bedingungen oder wenigstens einen Teil der Bedingungen festzulegen, zu denen der gegenwärtige oder zukünftige Inhaber des jeweiligen Arbeitsplatzes seine Arbeitsleistung zu erbringen hat. Sie beziehen sich also nicht auf "eine Individualsituation, d. h. einen konkreten, einzig dastehenden Fall, ein Arbeitsverhältnis, einen Arbeitnehmer", sondern auf eine überindividuelle, typische Situation92 • Eine Berücksichtigung individuell-persönlicher Momente wie z. B. der besonderen höchstpersönlichen Leistungsfähigkeit, Tüchtigkeit, Verantwortungsbereitschaft 88 Lepsius, in: Fischer-Lexikon Bd.10: Soziologie, hrsg. v. R. König, 1967, S. 129. Die moderne Betriebssoziologie unterscheidet streng zwischen dieser technisch-wissenschaftlichen Funktionsorganisation und der formalen sozialen Organisation des Betriebes, dem innerbetrieblichen formalen Statussystem, das aus der Bewertung der im betrieblichen Stellenplan ausgewiesenen Arbeitsplätze entsprechend den Wertvorstellungen der Betriebsangehörigen hervorgeht und der Integrierung dient; vgl. Dahrendorf, Industrie- und Betriebssoziologie, 3. Aufl. 1965, S. 82 fi. 89 Schelsky, in: Gehlen-Schelsky, Soziologie, 5. Aufi. 1964, S. 183; vgl. auch schon G. Briefs, in: Handwörterbuch der Soziologie, 1931, 2. Aufi. 1959. Zur Struktur sozialer Gruppen vgl. auch P. R. Hofstätter, Einführung in die Sozialpsychologie, 3. Aufi. 1963, S. 290 fi., 331 fi. 90 Betriebseinheitlich geregelt sind normalerweise die Vorschriften, die der Ordnung des Betriebes dienen. Hierunter sind die Regeln zu verstehen, "die sich auf das Verhalten der Arbeitnehmer beim Aufenthalt an der Betriebsstätte und bei der Benutzung der Betriebsanlagen beziehen" (Nikisch I, S. 256; ähnlich Hueck-Nipperdey I, § 25 VI [S. 159]; Hueck-Nipperdey-Stahlhacke, § 1 Rdnr. 65 ff. ; eingehend zu den im einzelnen sehr streitigen Fragen Dieterich, Die betrieblichen Normen nach dem Tarifvertragsgesetz vom 9. 4. 1949, 1964; Richardi, S. 224 ff.; Zöllner, RdA 1962, S. 453 ff.). 91 Vgl. Siebert, in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Bd. I, 1956, S. 376 unter I 2, 6; Farthmann, BB 1963, S. 779 (781); Hilger, in: Verhandlungen des 43. DJT 1960, Bd. II (1961), Teil F, S.13: "Gemeint ist die Rechtsstellung des Inhabers eines bestimmten Arbeitsplatzes, also des Maschinenmeisters, des Buchhalters usw., unabhängig von der Person dessen, der diesen Arbeitsplatz innehat." Hierfür die Bezeichnung "Statusverhältnis" als Rechtsbegriff einzuführen, wie Hilger (a. a. 0., S. 13 f.), Siebert, (RdA 1958, S. 366, 367 f.) und Bötticher (RdA 1953, S. 161, 163) es vorschlagen, istangesichtsder Vieldeutigkeit dieses Begriffes nicht zu empfehlen; ebenso Rittner, Diskussionsbeitrag; in: Verhandlungen des 43. DJT 1960, Bd. II (1961), Teil F, S. 27 f.; Richardi, S. 338 f. 92 Vgl. Karakatsanis, S. 35 ff.

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oder aber Ungeschicklichkeit, Bedürftigkeit des einzelnen ist bei der in Unkenntnis der Individualität der künftigen Arbeitsplatzinhaber erfolgenden Vorformulierung Allgemeiner Arbeitsbedingungen logisch gar nicht möglich. Die Allgemeinen Arbeitsbedingungen können daher nur anknüpfen an die von einem durchschnittlichen, "normalen", mitteltüchtigen Inhaber eines bestimmten Arbeitsplatzes, dem durchschnittstypischen Rolleninhaber im soziologischen Sinne, erwartete Arbeitsleistung oder an die durchschnittliche Bedürftigkeit eines Arbeitnehmers bestimmter Kategorie (z. B. bestimmten Alters, Geschlechts, Körperzustandes)83 und im Hinblick hierauf die formellen und materiellen Arbeitsbedingungen ordnen. Durch diese betriebswirtschaftlich sinnvolle Orientierung an der Normalleistung und Normalbedürftigkeit des Durchschnittsarbeitnehmers bestimmter Kategorie erlangen sie nicht den Charakter "individueller" Arbeitsbedingungen, sondern bleiben als abstrakt-generelle Regeln Teil der allgemeinen betrieblichen Ordnungu. 93 Den Unterschied zwischen rollen- und individualpersonenbezogenem Merkmal verdeutlicht Dahrendorf, Industrie- und Betriebssoziologie, 3. Aufl. 1965, S. 82 Fußn. 22 an folgendem Beispiel: "Prestige als Rollen (Berufen) anhaftend ist also streng zu scheiden von der auf Personen und ihre Leistungen und Qualitäten bezogenen Schätzung. Als Werkmeister hat jeder Werkmeister schon ein gewisses Prestige. Ob er auch Schätzung genießt, hängt davon ab, ob er als guter oder schlechter Werkmeister angesehen wird." 84 Vgl. Hueck-Nipperdey II/1, § 30 VII 3 (S. 591) mit Fußn. 45 b; Siebert, in: Festschrift für Nipperdey, 1955, S.ll9 (125); Richardi, RdA 1960, S. 401 (404); einschränkend RdA 1965, S. 49, 54; G. Hueck, Anm. zu BAG AP Nr. 69 zu Art. 3 GG; ders., RdA 1962, S. 376 f.; ders., in Festschrift für Molitor, 1962, S. 203 (207 f., 222); Dreyer, Die einzelvertragliche Einheitsregelung, Diss. Harnburg, 1966, S.ll ff.; Fitting-Kraegeloh-Auffarth, §52 Rdnr. 31; Hueck-Nipperdey-Stahlhacke, § 4 Rdnr. 215 ff.; Hilger, Das betriebliche Ruhegeld, 1959, S. 66; dies., BB 1958, S. 417 (418); Karakatsanis, S. 48 Fußn. 33; Farthmann, BB 1963, S. 779; Hässler, ArbuR 1965, S. 289 (290); Sieg, RdA 1955, S. 441; Zeuner, BB 1957, S. 647; Adomeit, BB 1964, S. 599 (603); Bötticher, RdA 1963, S.161 (162 f.); ders., RdA 1957, S. 317; aus der Judikatur vgl. BAG, 20.12.1957, AP Nr.ll zu Art. 44 Truppenvertrag; BAG, 30. 10. 1962, AP Nr. 1 zu § 4 TVG Ordnungsprinzip; BAG, 4. 2. 1960, AP Nr. 7 zu§ 4 TVG Günstigkeitsprinzip; BAG, 26. 10. 1962, AP Nr. 87 zu§ 242 BGB Ruhegehalt. Es ist nicht empfehlenswert, sich anstelle der beiden Begriffspaare "generellspeziell" - "abstrakt-konkret", die eine dogmatisch exakte Abgrenzung der Begriffe Einzelregelung - Allgemeinregelung ermöglichen, so schillernder, rechtlich nicht technisierter und daher Mißverständnisse provozierender (vgl. nur nachfolgenden Text) Ausdrücke wie "Gruppenbezogenheit", "Kollektivbezogenheit" oder "Kollektivität" zu bedienen oder von "quantitativem" und "qualitativem" Kollektiv zu sprechen; so aber BAG, 31. 1. 1969, AP Nr. 5 zu §56 BetrVG Entlohnung: "Wie schon betont, kommt jedoch ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nur dann in Betracht, wenn es sich um eine Regelung, also um eine kollektive Maßnahme handelt. Dabei kann der Begriff des Kollektiven sowohl qualitativ wie quantitativ bestimmt sein. Daß im Falle eines qualitativen Kollektivs (der Belegschaft, einer Gruppe, einer Abteilung) der Begriff der Regelung erfüllt ist, stellt die Antragsgegnerin zu Recht nicht in Abrede. Entgegen ihrer Ansicht umfaßt § 56 Abs. 1 BetrVG

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aber auch die Fälle des nur quantitativ bestimmten Kollektivs." Dieses soll vorliegen, "wenn ein ins Gewicht fallender Teil der Belegschaft von einer in der vorstehend erwähnten Bestimmung angesprochenen Maßnahme erfaßt wird ... Wann nun ein quantitatives Kollektiv anzunehmen ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles. Von festen Zahlen kann dabei nicht ausgegangen werden. Mitentscheidend ist vielmehr stets die Größe des einzelnen Betriebs. Insbesondere im Großbetrieb wird der Begriff des quantitativen Kollektivs eher erfüllt sein als im Kleinbetrieb. Das folgt daraus, daß im Großbetrieb das Bedürfnis zur Schaffung einer generellen Ordnung eher anzunehmen ist als im Kleinbetrieb. Andererseits kann das Zahlenverhältnis ebenfalls eine entscheidende Rolle spielen, wenn es sich darum handelt, ob noch von Einzelfällen oder schon von einer allgemeinen Regelung gesprochen werden kann". Zur unterschiedlichen Verwendung des Gruppenbegriffs vgl. Hueck-Nipperdey II/2, § 70 B III 1 (S.1389) mit Fußn. 38; Galperin-Siebert, Vorb. 7, 8 vor §56; Neumann-Duesberg, S. 465; Fauth, BB 1962, S. 374 (377); Siebert-Hilger, BB 1955, S. 670; Adomeit, Die Regelungsabrede, 2. Auft. 1961, S. 65 f.; Farthmann, BB 1963, S. 779; G. Hueck, RdA 1962, S. 376 (378); Strasser, RdA 1956, S. 449; Frey, ArbuR 1958, S. 341 (342); Nikisch, in: Festschrift für Nipperdey, 1965, Bd. II, S. 453 (457 f.); BAG, 28.1.1955, AP Nr.1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; BAG, 1. 2. 1957, AP Nr. 4 zu § 56 BetrVG; BAG, 15. 2. 1965, AP Nr. 6 zu § 13 BUrlG. Der Gruppen- oder Kollektivbegriff hat keinen präzise angebbaren rechtlichen Gehalt (so richtig Richardi, S. 352ff.; ders., SAE 1969, S. 182, 184 f.; Rüthers, in: Rüthers-Boldt, Zwei arbeitsrechtliche Vorträge, 1970, S. 7, 8ff.). Das hat auch die Diskussion um den Begriff der Gruppenausnahme in Art. 85 Abs. 3 EWGV gezeigt. Eine rechtssichere und praktikable Auslegung dieses Begriffs ist nur mit Hilfe der Merkmale der Abstraktheft und Generalität erreichbar (vgl. dazu Kaiser, Zur Anwendung von Art. 85 Abs. 3 EWGV auf Gruppen von Kartellverträgen, 1965, S. 3lff.; Sölter, WuW 1961, S. 676, 678 f.; Everling, in: Wohlfahrt-Everling-Glaesner-Sprung, EWG-Vertrag [Kommentar], 1958, Art. 85 Anm. 15). Der Gruppenbegriff dient lediglich typologischer Phänomenbeschreibung, ohne die Aufgabe eindeutiger Sachverhaltsabgrenzung zu lösen (vgl. auch Deeken, DB 1967, S. 464, 466 Fußn. 46), und verleitet bei konkreter Interpretation zu Mißverständnissen (Richardi, s. Fußn. 105) oder aber zu rechtlich inhaltsleerer sozialphilosophischer Spekulation über echte und scheinbare Individual- und Kollektivsituationen; vgl. z. B. Karakatsanis, S. 35ff., 41ff., der einen "Umschlag von der bloßen Summe zum Kollektiv, von der Quantität zur neuen Qualität", "Entität" und "Einheit" (S. 37) annimmt, wenn "die durch diese mehreren Individualakte entstandenen Individualsituationen sich doch auf Grund eines ihnen mitgegebenen, sie miteinander verbindenden Sinnes zu einer Einheit zusammenfassen lassen, das heißt ihre ursprüngliche Individualität in einem Kollektivierungsprozeß verlieren und eine Kollektivtatsache ausmachen" (S. 41). Solche auf empirisch unbeweisbaren Wertprämissen beruhende, sozialromantische Hypostasierung vermag indes den Mangel an rechtlicher Begründung nicht zu verschleiern; vor ihrer unbesehenen Übernahme in die rechtliche Argumentation kann nicht entschieden genug gewarnt werden (vgl. auch die noch zu vorsichtige Kritik bei Isele, JZ 1964, S. 113, 119, und Richardi, S. 343 f.). Die sachliche Unergiebigkeit einer solchen Sozialmetaphysik zeigt sich S. 51, wo Karakatsanis seine Erörterungen unvermittelt mit dem Satz schließt: "Die Kollektivregelung ist also eine abstrakte, generelle Regelung", ohne diese Begriffe definiert zu haben. So wird bei den Autoren, die den Gruppen- oder Kollektivbegriff verwenden (vgl. z. B. Siebert, BB 1952, S. 950; Galperin-Siebert, Vorbem. 36 vor §56; Adomeit, Die Regelungsabrede, 2. Auft. 1961, S. 65), nicht immer klar erkennbar, ob unter "kollektiv" nicht möglicherweise bereits jedes bloße Nebeneinander einer quantitativ nicht unerheblichen Zahl verstanden wird (so eindeutig BAG, 16. 12. 1960, AP Nr. 22 zu §56 BetrVG; BAG, 31. 1. 1969, AP Nr. 5 zu §56 BetrVG Entlohnung; Strasser, RdA 1956, S. 449; Siebert-Hilger, BB 1955, S. 670 Fußn. 2; ablehnend dagegen Nikisch III, S. 368; Dietz, §56 Rdnr. 21).

§ 3. Die arbeitsvertragliche Einheitsregelung

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Hilger96 hat daher, wie vor ihr schon Siebert98, zu Recht das Vorliegen eines abstrakt-generellen Merkmals bejaht, wenn der Arbeitnehmer als "Träger objektiver, sachlich relevanter Merkmale" angesprochen werde, wozu auch persönliche Merkmale gehörten, "sofern diese Merkmale verallgemeinert und objektiviert sind". Richardi91 hat in einer Kritik gemeint, damit würde die Abgrenzung "inhaltsleer": "Bei der Regelung eines einzelnen Arbeitsverhältnisses kann praktisch nicht unterschieden werden, ob die Arbeitsbedingungen abstrakt oder nur im Hinblick auf die besondere Lage oder die individuellen Eigenschaften des gegenwärtig dort Beschäftigten gestaltet sind97." Die Kritik ist unberechtigt; sie beruht auf unzureichender begrifflicher Präzisierung der Begriffe "individuell" und "generell" im Sinne der oben im Text in Übereinstimmung mit dem juristischen Sprachgebrauch gegebenen Definition98• Nunmehr i. S. der auch hier verwandten, dem öffentlichen Recht entnommenen Terminologie klärend K. Peters, Die Beteiligung des Betriebsrates an der Errichtung und Verwaltung von Werkswohnungen und Werkskantinen, Diss. Münster 1966, S. 62 ff. es Hilger, in: Verhandlungen des 43. DTJ 1960, Bd. li (1961), Teil F, S. 16 f.; ähnlich bereits in BB 1958, S. 417 (418). 91 Siebert, BB 1953, S. 241; ders., in: Festschrift für Nipperdey. 1955, s. 119 (126 f.). 97 Richardi, S. 343, ähnlich S. 305 und RdA 1965, S. 49 (54): "Jede Arbeitsbedingung kann gruppenbezogen sein, auch wenn individuelle Momente wie Leistung und Bedürftigkeit berücksichtigt werden." Wäre der Begriff "gruppenbezogen" von Richardi hier im (auch von Hilger [s. Fußn. 95] gemeinten) Sinne einer abstrakt-generellen Geregeltheit verwandt, so wäre einzuwenden, daß Richardi den Unterschied zwischen einer auf eine bestimmte soziale Rolle (Arbeitsplatz, Geschlecht, Alter) entsprechend der von ihr erwarteten Leistung und Bedürftigkeit zugeschnittenen und damit notwendig abstraktgenerellen Regelung und einer an der persönlichen Tüchtigkeit und Bedürftigkeit orientierten Regelung übersehen und daher erstere gleichfalls als individuelle Norm eingeordnet hat. Der nächste Satz Richardis: "Die These, daß generelle vertragliche Regelungen als kollektive Ordnung aufzufassen seien, weil weder der Leistungs- noch der Bedürftigkeitsgedanke berücksichtigt seien, ist nicht haltbar; denn verfährt der Arbeitgeber gerade nach diesen Gesichtspunkten, so kann gleichwohl von einem kollektiv bestimmten Verhalten gesprochen werden, an das sich z. B. die Pflicht zur Gleichbehandlung knüpft", zeigt jedoch, . daß Richardi den Begriff "kollektiv" (= "gruppenbezogen") in diesem Zusammenhang in einem wesentlich erweiterten Sinne verwendet, indem er analytisch kraft Zuordnungsdefinition festsetzt, daß man von einer kollektiven Regelung auch dann sprechen könne, wenn der Arbeitgeber mit einer nicht unerheblichen Zahl von Arbeitnehmern Einzelabreden treffe, die deren individuelle Leistungsfähigkeit bzw. Bedürftigkeit berücksichtigten. Diese Einzelabreden werden durch den Hilgerschen Begriff der Gruppenbezogenheit im Sinne abstrakt-genereller Geregeltheit gar nicht erlaßt (vgl. dazu auch die in Fußn. 99 zitierten Entscheidungen). Damit ist aber die Kritik Richardis hinfällig; sie bleibt nur zutreffend für die Fälle, die er selbst dem Begriff der Gruppenzugehörigkeit durch Zuordnungsdefinition unterordnet. ts Ein Vorwurf, der auch Siebert und Hilger nicht erspart bleiben kann ; s. dazu oben Fußn. 94.

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2. Kap.: Allg. Arbeitsbedingungen. Empirisch-deskriptiver Befund

Die ausgebaute Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zur Abgrenzung von Einzelakt (Verwaltungsakt) und allgemeinem Rechtssatz ebenso wie die zuletzt am Mitbestimmungssicherungsgesetz ("Lex Rheinstahl") erneut erprobte und bewährte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Abgrenzung der unzulässigen (Art. 19 Abs. 1 GG) Einzelfallgesetze von generellen gesetzlichen Regelungen zeigt die Unhaltbarkeit der Ansicht Richardis wohl am deutlichsten°0 • Nach dieser Rechtsprechung hat eine Norm "den Charakter eines für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen geltenden generellen Rechtssatzes -und ist also kein Einzelfallgesetz -, wenn sich wegen der abstrakten Fassung des gesetzlichen Tatbestandes nicht genau übersehen läßt, auf wie viele und welche Fälle das Gesetz Anwendung findet, wenn also nicht nur ein einmaliger Eintritt der vorgesehenen Rechtsfolge möglich ist. Liegt ein genereller Rechtssatz vor, so ist ohne Belang, ob ein Einzelfall den Anlaß zu der gesetzlichen Regelung gegeben hat" 100• Anders formuliert: Erschöpft sich die abstrakt gehaltene Bestimmung nach ihrem Inhalt nicht darin, ausschließlich die Fälle zu regeln, die den Anlaß zum Erlaß der Norm gegeben haben, beansprucht sie vielmehr nach der Art der in Betracht kommenden Sachverhalte Geltung für unbestimmt viele weitere Sachverhalte, läßt sich also nicht übersehen, auf wieviele und auf welche Fälle das Gesetz Anwendung findet, so liegt auch dann kein Individualgesetz vor, wenn die Bestimmung nur einen zahlenmäßig beschränkten Anwendungsbereich hat101 • Entgegen Richardi81 kann also unter Anwendung dieser Kriterien theoretisch und praktisch sehr wohl unterschieden werden, ob Arbeitsbedingungen generell oder individuell geregelt sind. Zwei Grenzfälle mögen dies demonstrieren und zugleich die Konturen der Sachverhalte verdeutlichen, welche durch den Begriff der arbeitsvertragliehen Einheitsregelung noch und welche nicht mehr erfaßt werden: (1) Der abstrakt-generelle Charakter einer Regelung wird nicht dadurch aufgehoben, daß von ihr aus tatsächlichen Gründen101 nur ein ein08 Vgl. zur verwaltungsgerichtlichen Rechtspr. die in den Fußn. 71 ff. zitierten Entscheidungen; aus der Judikatur des BVerfG vgl. BVerfG, 16.10.1957, BVerfGE 7, S. 129 (150 f.); BVerfG, 2. 12. 1958, BVerfGE 8. S. 332 (361); BVerfG 15. 12. 1959, BVerfGE 10, S. 234 (241 ff.); BVerfG, 29. 11. 1961, BVerfGE 13, S. 225 (228 f.); BVerfG, 14.11.1962, BVerfGE 15, S.126 (146 f.); BVerfG 25. 6. 1968, BVerfGE 24, S. 33 (52); BVerfG, 7. 5. 1969, BVerfGE 25, S. 371 (396 ff.). Vgl. dazu auch den überblick bei Leibholz-Rinck, Grundgesetz, 3. Aufi. 1968, Art. 19 Rdnr. 2; ferner Volkmar, Allgemeiner Rechtssatz und Einzelakt, 1962, s. 212 ff. 100 BVerfG, 7. 5. 1969, BVerfGE 25, S. 371 (396). 101 BVerfG, 15. 12. 1959, BVerfGE 10, S. 234 (242 f.); BVerfG, 29. 11. 1961, BVerfGE 13, S. 225 (229); BVerfG, 25. 6. 1968, BVerfGE 24, S. 33 (52). 101 Der betriebliche Stellenplan weist z. B. nur für einen Betriebsmaurer einen Arbeitsplatz aus; der Betrieb beschäftigt gerade nur einen Schwerbeschädigten oder nur einen Pförtner.

§ 3. Die arbeitsvertragliche Einheitsregelung

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Arbeitsplatz (z. B. der Pförtnerplatz) ergriffen wird, sofern die Regelung nicht nur für die konkrete Person des von ihr gerade betroffenen Arbeitnehmers, sondern auch für alle künftigen Merkmalsträger bzw. Inhaber des Arbeitsplatzes gelten solP 03 • ziger

(2) Umgekehrt wird eine Regelung nicht dadurch zu einer abstraktgenerellen, daß eine größere Zahl von Arbeitnehmern von ihr betroffen wird104• Selbst in den Fällen, in denen der Arbeitgeber allen Betriebsangehörigen, etwa aus Anlaß eines Betriebsjubiläums, eine einmalige Sonderzuwendung macht oder aus Dank für treue Mitarbeit im abgelaufenen Geschäftsjahr am 1. Dezember eine einmalige Gratifikation gewährt, liegt eine konkret-individuelle Regelung vor, auch wenn die Leistungsgewähr nicht um irgendwelcher höchstpersönlicher Eigenschaften der Arbeitnehmer erfolgt. Denn regelungsbetroffen ist ein im Zeitpunkt der Regelaufstellung personen- und zahlenmäßig feststehender, sich nicht mehrerweiternder und damit individueller Adressatenkreis, zu dessen Gunsten eine nach Ort, Zeit und Umständen festgelegte reale, folglich konkrete Regelung erlassen ist105• Es liegt also auch in diesem 103

Das wird auch im Arbeitsrecht ganz überwiegend anerkannt; vgl.

Karakatsanis, S. 35, 51; HiZger, in: Verhandlungen des 43. DJT 1960, Bd. li (1961), Teil F, S. 21; GaZperin-Siebert, Vorbem. 7, 9 vor§ 56; Neumann-Duesberg, S. 462 f. Zum gleichen Ergebnis (Zulässigkeit der Regelung) gelangen

auch die Autoren, die tarifliche und betriebliche Individualnormen für zulässig halten; vgl. dazu unten§§ 10 A li (S. 269 ff.) und 11 A II (S. 346 ff.). Warum eine solche doch auch im öffentlichen Recht bei der Frage, ob ein unzulässiges Individualgesetz vorliegt, ständig (vgl. BVerfG, 16. 10. 1957, BVerfGE 7, S. 129 [150 f.]; BVerfG, 2. 12. 1958, BVerfGE 8, S. 332 [361]; BVerfG, 15. 12. 1959, BVerfGE 10, S. 234 [243 f.]; BVerfG, 29. 11.1961, BVerfGE 13, S. 225 [229]; BVerfG 25. 6. 1968, BVerfGE 24. S. 33 [52]; BVerfG 7. 5. 1969, BVerfGE 25, S. 371 [396 f.]) praktizierte Abgrenzung im Gesamtvereinbarungsrecht allenfalls theoretisch möglich, aber nicht praktisch durchführbar sein soll, wie Nikisch III, S. 368 mit Fußn. 21, Dietz, §56 Rdnr. 20, und Richardi, S. 343 annehmen, ist nicht recht ersichtlich. Die Allgemeinheit einer Regelung ist ja bereits dann zu bejahen, wenn der in der Regelung zum Ausdruck kommende Wille des Regelungsautors sich nicht darin erschöpft, ausschließlich den Fall zu regeln, der Anlaß zum Erlaß jener Norm gegeben hat, sondem wenn sie nach der Art der in Betracht kommenden Sachverhalte geeignet ist, unbestimmt viele weitere Fälle zu erfassen; vgl. dievorstehend in Fußn. 100 und 101 zitierten Entscheidungen des BVerfG sowie Sonnenberger, Verkehrssitten im Schuldvertrag, 1970, S. 72 ff., 91 ff. 104 HiZger, in: Verhandlungen des 43. DJT 1960, Bd. II (1961), Teil F, S. 7; Karakatsanis, S . 35 ff., 41 ff. 105 Auch HiZger (in: Verhandlungen des 43. DJT 1960, Bd. II [1961], Teil F, S. 14) will unter kollektiver Maßnahme (vorbehaltlich der in Fußn. 94 gemachten Einschränkungen) wohl nur die auf generelle, d. h. objektive und von der Person des Arbeitnehmers abstrahierte Tatbestände bezogene Maßnahme verstanden wissen. Nur aus einer Fehlinterpretation HiZgers wird die Kritik Richardis (S. 305; ebenso in RdA 1965, S. 49, 53 Fußn. 46) verständlich, der Rückgriff auf die Abstraktheit als formallogische Kategorie enthalte "eine verschleierte Kapitulation für die These, kollektive Arbeitsbedingungen ließen sich nach ihrem Inhalt bestimmen; eine Norm, die abstrakt ist, muß nicht kollektivbezogen sein". Natürlich kann im Einzelfall eine abstrakte Regelung

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2. Kap.: Allg. Arbeitsbedingungen. Empirisch-deskriptiver Befund

Fall eine Individualregelung vor, die den gleichen Regeln zu unterstellen ist, die auch für sonstige konkret-individuelle Abmachungen gelten. Die in diesem Zusammenhang sich aufdrängende Frage, ob die Gesamtvereinbarungsparteien zur normativen Regelung wenigstens solcher konkret-individuellen Fälle kompetent sind, die eine große Zahl bestimmter Arbeitnehmer unmittelbar betreffen oder doch wegen ihres Präzedenzcharakters mittelbar Auswirkungen für eine größere Zahl von Arbeitnehmern haben und deshalb von generellem Interesse sind, kann hier dahingestellt bleiben108• Auch wenn man das bejaht, hat das nicht zur Konsequenz, daß dementsprechend auch der Tatbestandsbereich der Allgemeinen Arbeitsbedingungen erweitert werden muß. Denn es ist allein der soziale Schutzauftrag, der eventuell die Unterstellung bestimmter konkret-individueller Sachverhalte, die ein "quantitatives Kollektiv" 107 von Arbeitnehmern betreffen, unter die Regelungszuständigkeit der Kollektivparteien rechtfertigen kann. Dieser kann jedoch zur Begründung einer Erweiterung des Allgemeinheitskriteriums im Bereich individualrechtlicher Allgemeinregelungen gerade nicht herangezogen werden. Es liegt also keine Interessenlage vor, die eine solche Ausweitung auch nur nahelegen könnte. 111. Abstrakt-individuell und konkret-generell geregelte Arbeitsbedingungen

1. Problemlage und Lösungsmöglichkeiten Außer abstrakt-genereller und konkret-individueller Festlegung der Arbeitsbedingungen sind auch abstrakt-individuell und konkret-geneauch individual-bezogen sein, wenn ihr Adressat eine bestimmte Person ist;

Hilger (a. a. 0.) hat die Kollektivität einer Regelung aber nicht nur durch das

Merkmal der Abstraktheit, sondern auch durch das der Generalität bestimmt (wobei allerdings der Inhalt dieses Merkmals nicht in eindeutiger Weise festgelegt wurde). Richardi (a. a. 0.) hat - der Hinweis auf K. Huber, Maßnahmegesetz und Rechtsgesetz (1963) legt dies nahe - möglicherweise indes auch solche Fälle vor Augen, in denen eine abstrakt-generelle Regelung (was bekanntlich durch entsprechende gesetzestechnische Formulierung der gruppenkonstituierenden Merkmale ohne weiteres möglich ist; dazu auch Adomeit, S. 115 im Anschluß an Podlech, DÖV 1967, S. 740) bewußt dazu verwandt wird, um einen bestimmten einzelnen in seiner Rechtsstellung unmittelbar zu treffen (sog. getarntes Individualgesetz). Soweit durch diesen Kunstgriff Zwecke erreicht werden sollen, die für den Fall der Wahl einer der Formtypik nach näherliegenden individuell-konkreten Maßnahme nur mit Zustimmung der Betroffenen zu verwirklichen wären, ist die formell abstrakt-generelle, materiell aber alskonkret-speziell zu beurteilende Maßnahme auch als Individualregelung zu behandeln; vgl. BVerfG, 15. 12. 1959, BVerfGE 10, S. 234 (244); BVerfG, 29. 11.1961, BVerfGE 13, S. 225 (229); BVerfG, 25. 6.1968, BVerfGE 24, S. 33 (52); BVerfG, 7. 5. 1969, BVerfGE 25, S. 371 (397). 108 Vgl. dazu unten§§ 10 A li (S. 269 ff.) und 11 A li (S. 346 ff.). 107 BAG, 31. 1. 1969, AP Nr. 5 zu §56 BetrVG Entlohnung; s. dazu oben S. 105 ff. Fußn. 94.

§ 3. Die arbeitsvertragliche Einheitsregelung

111

rell geregelte Arbeitsbedingungen theoretisch denkbar und praktisch möglich, die sich ohne ergänzende Zuordnungsdefinitionen nicht in das klassifikatorische Deutungsschema: "allgemeiner Rechtssatz"- "Einzelakt" einordnen lassen. Eine abstrakt-individuelle Festsetzung von Arbeitsbedingungen liegt beispielsweise vor, wenn der Arbeitgeber den, aber auch nur den im Zeitpunkt der Leistungszusage bei ihm beschäftigten und damit individuell bestimmten Arbeitnehmern verspricht, ihnen künftig regelmäßig, also in den abstrakt vorherbedachten, zahlenmäßig noch gar nicht feststehenden Fällen, in denen diese Arbeitnehmer noch dem Betrieb angehören, eine Weihnachtsgratifikation zu gewähren. Diese Arbeitsbedingung läßt sich in der logischen Form eines Sukzessionsgesetzes, d. h. einer "Jedesmal, wenn ... "-Beziehung: "Jedesmal, wenn einer von den jetzt (im Erklärungszeitpunkt) Beschäftigten noch ein weiteres Jahr im Betrieb beschäftigt ist, erhält er eine Gratifikation" ausdrücken, der typischen Form für eine abstrakte Regelung108• Als Beispiel für eine konkret-genereUe Regelung von Arbeitsbedingungen sei der Fall angeführt, daß der Arbeitgeber allen Arbeitnehmern, die im nächsten Jahr am Tage des 50jährigen Bestehens der Firma bei ihm beschäftigt sind, also einem im Zeitpunkt der Erklärungsabgabe noch nicht bestimmten (nur bestimmbaren) und deshalb generellen Personenkreis, einen zusätzlichen bezahlten Urlaubstag verspricht. Diese beiden im betrieblichen Alltagsleben allerdings nicht sehr häufigen Misch- und Übergangstypen sind in der arbeitsrechtlichen Judikatur und Literatur in ihrer Eigenart noch nicht bewältigt. Verschiedentlich wird der Begriff der kollektiven Regelung allerdings so weit definiert, daß diese beiden Fallgruppen sich jenem Begriff mühelos subsumieren lassen109, oder sie werden (gewöhnlich zusammen mit konkretindividuellen Regelungen, von denen eine größere Zahl von Arbeitnehmern betroffen wird oder an denen diese wegen des Präzedenzcharakters dieser Regelungen interessiert ist) unter dem Begriff des "Sonderfalles" oder des "quantitativen Kollektivs" zusammengefaßt110• 108 Wolf!, Verwaltungsrecht, Bd. I, 7. Aufi. 1968, § 46 VIa (S. 268); zur logischen Seite: Pap, Analytische Erkenntnistheorie, 1955, S. 128 ff. 1ou Vgl. dazu oben S. 105 f. Fußn. 94. 110 Im Betriebsverfassungsrecht hat sich in der Literatur diese Terminologie allgemein eingebürgert, ohne daß jedoch über den Inhalt der neuen Kategorie: "Sonderfall" endgültige Klarheit besteht; vgl. Galperin, RdA 1955, S. 260 (261); Galperin-Siebert, Vorbem. 6 vor §56; Siebert, RdA 1958, S. 161 (167); Dietz, §56 Anm. 21, 22; Nikisch III, S. 368; K. Peters, Die Beteiligung des Betriebsrates an der Errichtung und Verwaltung von Werkswohnungen und Werkskantinen, Diss. Münster 1966, S. 60ff.; ebenso BAG, 7. 9. 1956, AP Nr. 2 zu§ 56 BetrVG; BAG, 8. 10. 1959, AP Nr. 14 zu §56 BetrVG; die Bezeichnung "quantitatives Kollektiv" findet sich in der Entscheidung des Ersten

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2. Kap.: Allg. Arbeitsbedingungen. Empirisch-deskriptiver Befund

Zur Behandlung der Mischfälle kommen theoretisch drei verschiedene Lösungsmöglichkeiten in Betracht. Man kann einem der beiden Begriffspaare die Präponderanz bei der Einordnung der Mischfälle in das Schema: "Einzelregelung" - "Allgemeinregelung" zuerkennen. Damit sind bereits zwei mögliche Problemlösungen vorgezeichnet; beide Lösungen werden in der verwaltungsrechtlichen Literatur vertreten. (a) Nach H. J. Wolf! und anderen ist das Begriffspaar konkret-abstrakt als ausschlaggebend für die rechtliche Bewertung der Mischtypen anzusehen; er fügt allerdings einschränkend hinzu: "Aus zwingenden teleologischen Gründen sind jedoch auch solche Anordnungen als Einzelfallregelungen anzusehen, die zur Regelung unbestimmt vieler Ereignisse an eine bestimmte Person oder an einen bestimmten Personenkreis ergehen und damit im rechtstheoretischen Sinne einen abstrakt-speziellen Charakter besitzen111." Das bedeutet aber praktisch, daß sowohl konkret-generelle wie abstrakt-spezielle Vorschriften als Einzelregelungen zu behandeln sind. (b) W. Jellinek und andere stellen ausschließlich auf das Merkmal der Bestimmtheit bzw. Unbestimmtheit des Adressatenkreises im Zeitpunkt der Regelaufstellung ab und geben damit dem Begriffspaar generell-speziell den Vorrang112• (c) Das Bundesverwaltungsgericht113 hat einen dritten Weg eingeschlagen, indem es auf Sinn und Zweck der Unterscheidung von Allgemeinund Einzelregelung in dem betreffenden Rechtsgebiet abstellt. Dieser Weg allein erscheint, wenn man keine dogmatisch unbegründbare DeSenats des BAG vom 31. 1. 1969, AP Nr. 5 zu § 56 BetrVG Entlohnung; vgl. auch oben S. 105 f. Fußn. 94. 111 Wolf!, Verwaltungsrecht, 6. Aufl. 1965, Bd. I, § 46 VI a (S. 268); in der Sache ebenso 7. Aufl. 1968, § 46 VIa 1 und 3 (S. 305); ebenso Volkmar, Allgemeiner Rechtssatz und Einzelakt, 1962, S. 172 ff.; Penski, DÖV 1966, S. 845 (848, 855). 112 W. Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 1948, S. 246; Fuss, NJW 1964, S. 945 (947); ders., DÖV 1964, S. 522 (526); Hoffmann, JZ 1964, S. 702 {704). Für diese Auffassung spricht, daß sich die Kategorie des durch das Merkmal "konkret" umschriebenen Einzelfalls nicht in allen Fällen von der Kategorie der (abstrakten) Fallmehrheit in eindeutiger Weise abgrenzen läßt; vgl. dazu die umfassenden Untersuchungen Volkmars, Allgemeiner Rechtssatz und Einzelakt, 1962, S. 85 ff., 115, 176 ff. und die durch die Beurteilung vom Ergebnis her allerdings dogmatisch unergiebig gewordene Kontroverse um die Bestimmung des Rechtscharakters der Straßenverkehrszeichen, die durch Konsens der Obergerichte {Deutung der Verkehrszeichen als Verwaltungsakte in Form von Allgemeinverfügungen; vgl. BGH, 4.12.1964, BGHSt 20, S.125ff.; BVerfG, 24. 2. 1965, NJW 1965, S. 2395; BVerwG, 9. 6. 1967, NJW 1967, S. 1627; OVG Münster, 19. 11. 1968, NJW 1969, S. 765; anders noch BVerwG, 24. 4. 1968, BVerwGE 6, S. 317; BayObLG, 30. 3.1965, NJW 1965, S.1973 ff.) allerdings praktisch abgeschlossen ist; zuletzt dazu den pragmatischen Diskussionsbeitrag Podlechs, DÖV 1967, S. 740 ff. mit zahlreichen Nachweisen. 113 BVerwG, 3. 5. 1956, BVerwGE 3, S. 254 (259 f.).

§ 3. Die arbeitsvertragliche Einheitsregelung

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z1s1on zugunsten eines der beiden Begriffspaare treffen will, richtig; denn man muß jeweils auf die Gründe zurückgehen, aus denen die Abgrenzung der Allgemein- von der Einzelregelung Bedeutung erlangt, da sich die Mischtypen: "abstrakt-individuell" und "konkret-generell" in das Deutungsschema: "Einzelregelung" "Allgemeinregelung" ("Norm") eben nicht aus allgemeinen logischen, rechtstheoretischen Überlegungen, sondern nur unter Beachtung der rechtlichen Beurteilungsmaßstäbe einordnen lassen, die den Sozialbereich beherrschen, dem die betreffenden Sachverhalte ihrem Inhalt nach zuzuordnen sind114• Erst dann läßt sich entscheiden, welchem Merkmal im Hinblick auf die Sonderwertungen dieses Rechtsgebiets der Vorrang bei der Klassifikation der Mischfälle zukommt. Das wird im folgenden unter (2) und (3) zu prüfen sein116•

2. Abstrakt-individuelle Arbeitsbedingungen Abstrakt-individuelle Arbeitsbedingungen sind keine vorformulierte Rahmenordnung für künftige Arbeitsverhältnisse, sondern gelten nur für bestimmte, im Zeitpunkt der Aufstellung der Konditionen im Betrieb beschäftigte Personen; sie beziehen sich aber auf künftige, zahlenmäßig noch nicht feststehende Sachverhalte. Jeder unbefristet abgeschlossene Individualarbeitsvertrag enthält bezüglich der wiederkehrenden Leistungen abstrakte Regelungen; denn die Vereinbarung eines bestimmten Stundenlohnes oder eines bestimmten monatlichen Gehalts bezieht sich nicht auf eine im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bereits festgelegte Stundenzahl und damit auf ein nach Raum und Zeit bestimmtes reales Vorkommnis, sondern auf künftige, unbestimmt viele Zeiteinheiten. Die Abrede einer bestimmten Vergütung läßt sich deshalb logisch in der Form ausdrücken: "Jedesmal, wenn Sie eine Stunde gearbeitet haben, erhalten Sie die für diese Zeiteinheit vereinbarte Vergütung." Ob diese Erklärung nur an eine Person oder an eine im Zeitpunkt der Erklärungsabgabe bestimmte Personenvielheit gerichtet ist, ist uner114 Fuss, NJW 1964, S. 945 (948); Podlech, DÖV 1967, S. 740 (743); Volkmar, Allgemeiner Rechtssatz und Einzelakt, 1962, S. 19: "Zwischen welchen Allgemeinheitsstufen die Grenzlinie zwischen allgemeinem Rechtssatz und Einzelakt verläuft, ist zuvörderst eine Frage des positiven Rechts." Spärliche Hinweise auf diese Bewertungsproblematik finden sich bereits bei A. Hueck, IherJb. Bd. 73 (1923), S. 35 (47); Lukes, Der Kartellvertrag, 1959, S. 21; Dietz, in: Festschrift für Sitzler, 1956, S. 131 (140); Adomeit, Die Regelungsabrede, 2. Aufi. 1961, S. 60 ff.; Deeken, DB 1967, S. 464 (466 ff.). 115 Das Ergebnis dieser Prüfung wird, wie schon oben (S. 110) gesagt, nicht dadurch determiniert, daß die Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmerschaft und die Regelungsbefugnisse der Tarifparteien sich auch auf die Ordnung der sog. "Sonderfälle" erstrecken (s. unten §§ 10 A II [S. 269 ff.] und 11 A II [S. 346 ff.]), da die Gründe, die hier die Einbeziehung rechtfertigen könnten, nicht identisch sind und sein können mit den oben genannten.

8 Säcker

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2. Kap.: Allg. Arbeitsbedingungen. Empirisch-deskriptiver Befund

heblich, da es sich in jedem Fall um eine auf individuell bestimmte Arbeitnehmer bezogene Ordnung handelt und nicht um eine (künftige) betriebliche Ordnung allgemeiner Geltung. Die Regelung erschöpft sich in der Geltung für die im Zeitpunkt der Regelaufstellung bereits im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer; sie ist nicht geeignet, weitere gedachte Fälle zu erfassen. Dem Merkmal der Abstraktheit kann folglich beim Vergleich der Ordnungsstruktur des individuell ausgehandelten Arbeitsvertrages mit der des Schemaarbeitsvertrages keine besondere Bedeutung zukommen. Für abstrakt-individuelle Konditionen gelten deshalb grundsätzlich die Bestimmungen, die für eine entsprechende Einzelregelung gelten. Damit scheidet eine tatbestandliehe Gleichstellung abstrakt-individueller und abstrakt-genereller Regeln als Grundlage gemeinsamer Rechtsfolgenzuordnung aus 116• Die im dritten Kapitel dieser Arbeit für Allgemeine Arbeitsbedingungen zu erarbeitenden Rechtsfolgen gelten somit nicht für abstrakt-individuelle Arbeitsbedingungen; für diese verbleibt es bei den allgemeinen Regeln. Für eine größere Anzahl von Arbeitnehmern aufgestellte abstraktindividuelle Regelungen dürften in der betrieblichen Praxis allerdings nur selten vorkommen, da der Arbeitgeber regelmäßig nicht nur die Arbeitsverhältnisse der im Zeitpunkt der Erklärungsabgabe seinem Betrieb angehörigen Belegschaftsmitglieder ordnen will, sondern auch die aller künftig bei ihm einzustellenden Arbeitnehmer, soweit sie die objektiven Merkmale erfüllen, an die die abstrakt formulierten Arbeitsbedingungen anknüpfen. Vorformulierte Arbeitsbedingungen sind daher typischerweise abstrakt-generelle Vorschriften, sofern nicht ausdrücklich die Bestimmung aufgenommen ist, daß sie nur auf die Rechtsverhältnisse der bereits an einem bestimmten Tage Beschäftigten Anwendung finden. Das mag z. B. der Fall sein, wenn der eingearbeiteten Stammbelegschaft und nur dieser für die Zukunft wiederkehrende Treue- oder Leistungsprämien versprochen werden, um diese dem Betrieb zu erhalten und gegen Abwanderung oder Abwerbung zu "immunisieren".

3. Konkret-generelle Arbeitsbedingungen Konkret-generelle Arbeitsbedingungen regeln die Rechtsstellung einer bei Aufstellung der Konditionen quantitativ noch unbestimmten Per116 Hier bestätigt sich die schon in Fußn. 114 zum Ausdruck gebrachte Ansicht, daß die Grenze zwischen ALlgemein- und Einzelregelung nicht rechtstheoretisch-allgemein, sondem nur rechtsdogmatisch unter Berücksichtigung der positivrechtlichen Wertungen gezogen werden kann und eine rechtlich brauchbare Einteilung der Sachverhaltstypen ein ständiges "Hin- und Her-

§ 3. Die arbeitsvertragliche Einheitsregelung

115

sonenzahl in bezug auf ein bestimmtes, reales, einmaliges, vorübergehendes (transitorisches) Vorkommnis. Infolgedessen muß die Auswahl der Adressaten nach objektiven Merkmalen in dem oben umschriebenen Sinne erfolgen, da von der Regelung alle Merkmalsträger ergriffen werden sollen, die in dem Zeitpunkt der Verwirklichung des konkreten Geschehens im Betrieb beschäftigt sind.

Beispiel: Am 1. September 1969 wird in einem Großbetrieb bekanntgegeben, daß die Kantine im Oktober wegen Renovierungsarbeiten geschlossen bleibt. Von dieser Regelung werden alle Arbeitnehmer betroffen, die im Oktober im Betrieb arbeiten. Diese Regelung dient künftiger Ordnung unter Abstraktion von den Personen, für die diese Ordnung einmal Gültigkeit erlangen wird. Diese sind im Zeitpunkt der Regelaufstellung noch nicht einmal bestimmbar. Eine solche Regelung ist von dem normativen Idealtypus der auf individuell bestimmte Personen zugeschnittenen rechtsgeschäftliehen Regelung so weit entfernt, daß eine Unterordnung der konkret-generellen Regelungen unter den Oberbegriff "Einzelregelung" nicht mehr gerechtfertigt ist. Diese sindangesichtsihres überindividuellen Charakters vielmehr in gleicher Weise Bestandteil der allgemeinen betrieblichen Ordnung wie abstrakt-generelle Regelungen117• Ergebnis zu (2) und (3): Soweit im folgenden im Hinblick auf die tatsächliche Normativität

(= abstrakt-generelle Geregeltheit) Allgemeiner Arbeitsbedingungen

wandern des Blicks" zwischen Tatbestand und Rechtsfolge notwendig macht; vgl. dazu die oben (S. 73 ff.) zu Beginn dieses Paragraphen getroffenen Feststellungen. 117 Um Mißverständnisse zu vermeiden, sei darauf hingewiesen (s. bereits oben S. 92 Fußn. 51), daß damit der Aufstellung Allgemeiner Regelungen durch den Arbeitgeber keine rechtsquellentheoretische Bedeutung zugemessen wird. Rechtsquellentheoretisch steht fest, "daß individualrechtliche Allgemeinregelungen keine selbständigen Rechtsquellen, sondern ein Häufungsphänomen von parallelen Rechtsquelleninhalten sind, daß sie ihre Verbindlichkeit nur aus den jeweils verwandten individualrechtliehen Regelungsmitteln beziehen. Relevant ist dieser Begriff erst im Bereich der Dogmatik: es ist nur vernünftig, daß Wirksamwerden, Auslegung, Anfechtung, Inhaltskontrolle und Abänderbarkeit einer individualrechtliehen Regelung beeinfiußt werden, wenn sie nicht vereinzelt dasteht, sondern den Teilbereich und Anwendungsfall einer allgemeinen Ordnung repräsentiert". (Adomeit, S.l17). Genetisch am rechtlichen Geltungsgrund orientierte Betrachtung und damit Atomisierung der faktisch-normativen Ordnung in potentiell unendlich viele parallele Rechtsquelleninhalte darf also nicht dazu führen, "daß man den Aufbau von ,privaten' Normensystemen neben dem staatlichen System ignoriert" (Kronstein, Das Recht der internationalen Kartelle, 1967, S. 507 f., der deshalb in Übereinstimmung mit der hier vertretenen Ansicht die Verwendung eines "funktionellen Normbegriffs" fordert, um sachgerechte Analyse und Rechtsfortbildung zu ermöglichen. Vgl. dazu auch sehr klar Behrendt, Kollektivität der betrieblichen Übung und Individualrecht, Diss. Berlin 1966, S. 40 ff.

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2. Kap.: Allg. Arbeitsbedingungen. Empirisch-deskriptiver Befund

rechtliche Sonderwertungen entwickelt werden, gelten diese auch für konkret-generell geregelte Arbeitsbedingungen, nicht dagegen für abstrakt-individuell ausgestaltete Konditionen. Das Wesen (im Sinne der prinzipiell nicht eliminierbaren Eigenschaften) der Allgemeinen Arbeitsbedingungen, die Gegenstand dieser Untersuchung sind, ist also durch ihre Generalität hinreichend bestimmt; dem Merkmal der Abstraktheit kommt bei der Beschreibung der faktischen Regelungsstruktur der Allgemeinen Arbeitsbedingungen nur akzidentelle Bedeutung zu.

§ 4 Gesamtzusage und Gesamtübung A. Definition Unter einer Gesamtzusage (= Kollektivzusage = Betriebszusage) versteht man im juristischen Sprachgebrauch das in geeigneter Weise im Betrieb (z. B. durch Anschlag am Schwarzen Brett, Auslegung an zentraler Stelle, Publikation in der Werkszeitung, Umlauf einer schriftlichen Mitteilung oder Verteilung hektografierter Zettel) bekanntgegebene Versprechen des Arbeitgebers, künftig der Gesamtbelegschaft (Gemeinzusage) oder bestimmten, nach abstrakten Merkmalen abgegrenzten Gruppen der Belegschaft (Gruppenzusage) in einem oder in mehreren Punkten günstigere Arbeitsbedingungen zu gewähren als nach der bislang im Betrieb gehandhabten rechtlichen Regelung1• Nach gleichfalls noch nicht viel älterem Sprachgebrauch1 liegt eine Gesamtübung (= Kollektivübung = Betriebsübung) vor, wenn der Arbeitgeber der Gesamtbelegschaft (Gemeinübung) oder bestimmten, nach abstrakten Merkmalen abgegrenzten Gruppen der Belegschaft (Gruppenübung) ohne vorherige vertragliche Vereinbarung regelmäßig und vorbehaltlos in einem oder in mehreren Punkten günstigere Arbeitsbedingungen gewährt (hat) als nach der bislang im Betrieb gehandhabten rechtlichen Regelung. Die Judikatur zur Betriebsübung findet ihren Ausgangspunkt in der Entscheidung des Reichsarbeitsgerichts vom 15. Juni 19293 : "Nun ist nicht zu verkennen, daß eine Gratifikation, die ohne besondere Zusage gezahlt Vgl. dazu die Nachweise in§ 1 (S. 33) Fußn. 7. Der Ausdruck "betriebliche Übung" findet sich erstmals in der Entscheidung des RAG vom 26. 11. 1940, ARS 41, S. 99 (102). Gelegentlich stößt man gegenüber dem im Text festgestellten Sprachgebrauch auf einen sehr viel weiteren Sprachgebrauch, der die betriebliche Übung einordnet in die allgemeine Kategorie kontinuierlichen, tatsächlichen Verhaltens, die ihren dogmatischen Ort in einer (allerdings erst noch zu entfaltenden) Lehre vom Vertrauen im Rechtsverkehr hätte. Die Anknüpfung an diesen allgemeinen Sprachgebrauch erscheint indes inhaltlich unergiebig. - Als gleichfalls unergiebig sind die sog. anspruchsvernichtenden Übungen bewußt (s. dazu die folgenden Ausführungen unter B im Text) aus der Definition ausgeklammert. 1 RAG, 15. 6. 1929, ARS 6, S. 203 f. Seiter (Die Betriebsübung, 1967, S. 22 f. m.w.N. in Fußn. 4-8) hat darauf hingewiesen, daß diese Rechtspr. des RAG schon Vorläufer in der Judikatur einiger Kaufmannsgerichte hatte. Verallgemeinert ist der Verpflichtungscharakter der betrieblichen Übung erstmalig in RAG, 25. 3. 1933, ARS 18, S. 39 f. ausgedrückt. Daß dreimalige Gewährung einer Leistung eine rechtliche Verpflichtung des Arbeitgebers zur 1 1

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2. Kap.: Allg. Arbeitsbedingungen. Empirisch-deskriptiver Befund

wird, zunächst den Charakter einer freiwilligen Leistung hat, der ihr auch auf die Dauer damit gewahrt werden kann, daß bei der jedesmaligen Hingabe auf die Freiwilligkeit hingewiesen wird. Anders liegt aber die Sache, wenn sie ohne einen solchen Hinweis eine Reihe von Jahren hindurch regelmäßig ohne weiteres und vorbehaltlos ausgezahlt wird. Unter solchen Umständen wird der Angestellte mit Recht in dem Verhalten des Geschäftsherrn die Erklärung seines Willens, eine Zusage dahin erblicken, daß ihm die Gratifikation ein für allemal gewährt werden solle, solange sein Dienstverhältnis dauert. Er wird sie als einen Teil seines vertragsmäßigen Gehaltes ansehen, mit ihr rechnen und seine Lebenshaltung danach einrichten.... Der Geschäftsherr, der diese

Auffassung von dem Inhalt des Dienstvertrages selbst hervorgerufen und genährt hat, muß sie gegen sich gelten lassen. Er ist nicht mehr in der Lage, nach Belieben und ohne Grund die Gratifikation zu verweigern. Eine noch weitergehende Bindung des Geschäftsherrn ist dann

anzunehmen, wenn in seinem Geschäfte die Übung besteht, daß allen Angestellten ausnahmslos, auch den neueingetretenen, die Gratifikationen schon im ersten Beschäftigungsjahr gewährt werden."

Gesamtzusage und Gesamtübung konstituieren allgemeine (generelle) Arbeitsbedingungen4 • Im Gegensatz dazu stehen Individualzusage (= Einzelzusage) und Individualübung (= Einzelübung) des Arbeitgebers, die durch Abgabe eines Leistungsversprechens bzw. durch mehrmalige Wiederholung eines bestimmten begünstigenden Verhaltens gegenüber bestimmten einzelnen, wegen individueller Merkmale bevorzugten Arbeitnehmern gekennzeichnet sind5 • Einzelzusagen und EinzelLeistungsfortgewähr begründe, ist als Prinzip erst vom BAG ausgesprochen worden (vgl. BAG, 6. 3. 1956, AP Nr. 3 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG, 4. 10. 1956, AP Nr. 4 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG, 17. 4. 1957, AP Nr. 5 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG, 23. 4. 1963, AP Nr. 26 zu§ 611 BGB Gratifikation); das RAG hat die Nennung einer solchen Zahl immer vermieden bzw. ausdrücklich abgelehnt (vgl. RAG, 19. 11. 1940, ARS 40, S. 369, 373); in der Entscheidung vom 23. 2. 1938 (ARS 32, S. 236 f.) ist festgestellt, daß eine zweimalige Gewährung von Leistungen "in der Regel" nicht ausreiche, um eine Leistungsverpflichtung des Arbeitgebers zu begründen. Umfangreiche Nachweise über die Rechtspr. zur Betriebsübung finden sich in den Dissertationen zur Betriebsübung von Behrendt, Bollacher, Endres, Feichtinger, Füllkrug, Mengel, Seiter, Walterund Wimmer (s. Literaturverzeichnis). 4 Vgl. auch Lorenz, RabelsZ 30 (1966), S. 523, der (in einer Besprechung der Schrift Böttichers, Gestaltungsrecht und Unterwerfung im Privatrecht, 1964) in Übereinstimmung mit der in dieser Arbeit verwandten Terminologie feststellt, das vom Arbeitgeber in Anspruch genommene Gestaltungsrecht sei "ein ,normatives', weil es sich auf eine unbestimmte Vielzahl zu gestaltender Rechtsverhältnisse bezieht"; s. auch § 3 Fußn. 51 (S. 92) und 117 (S. 115). 5 Vgl. dazu die Hinweise bei Bollacher, Die verpflichtende Wirkung üblicher Leistungen im Arbeitsrecht, Diss. Tübingen 1965, S. 4 f.; Hilger, Das betriebliche Ruhegeld, 1959, S. 51; Seiter, Die Betriebsübung, 1967, S. 33, 79; ein Anwendungsbeispiel aus der Rechtsprechung findet sich in RAG, 25. 11. 1931, ARS 13, s. 543 (545).

§ 4. Gesamtzusage und Betriebsübung

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übungen werden im folgenden aus der thematischen Erörterung ausgeklammert, da sie für die nur durch generelle Arbeitsbedingungen statuierbare allgemeine Ordnung des Betriebs keine Bedeutung haben. Zwar stellt sich auch bei ihnen in gleicher Weise die Frage nach dem Rechtsgrund für die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Einhaltung seines Versprechens bzw. zur Fortsetzung bisher geübten Verhaltens', nicht dagegen die eigentlich problematische Frage nach der Bindung des Arbeitgebers gegenüber neu in den Betrieb eingetretenen Arbeitnehmern, ebensowenig die schwierige Frage nach den rechtlichen Möglichkeiten einer Abänderung durch Kollektivvertrag7 • Die Begriffe "Gesamtzusage" und "Betriebsübung" dienen ebenso wie der Begriff "arbeitsvertragliche Einheitsregelung" lediglich der empirisch-deskriptiven Beschreibung der faktischen Beschaffenheit der Sachverhaltstypen8 , die in den folgenden Paragraphen Gegenstand der rechtlichen Problemanalyse sind; sie verbergen keine antizipierten Problembewertungen im Sinne implizierter meta-axiologischer, nicht-kognitiver Feststellungen. B. Obungen zu Lasten der Arbeitnehmer? Durch die Definition der Betriebsübung ist bereits klargestellt, daß es keine rechtlich anzuerkennenden Betriebsübungen zuungunsten der Arbeitnehmer gibt, etwa dergestalt, daß diese sich dann nicht mehr auf einen ansprucherzeugenden Tatbestand berufen können, wenn der Arbeitgeber mehrfach die daraus entstandenen Ansprüche nicht befriedigt hat. Wenn dennoch verschiedentlich in Rechtsprechung und Literatur von widerspruchslos befolgten oder stillschweigend gebilligten Übungen zu Lasten der Arbeitnehmer gesprochen wird8 , so geht es dabei regelmäßig um die Frage, ob der neu in einen Betrieb eingetretene ArbeitVgl. dazu Seiter, Die Betriebsübung, 1967, S. 99 ff. Vgl. dazu die Ausführungen unten in den§§ 6, 10, 11 und 15. 8 Zur tatsächlichen Struktur der Betriebsübung vgl. Bollacher, Die verpßichtende Wirkung üblicher Leistungen im Arbeitsrecht, Diss. Tübingen 1965, S. 3 11.; Mengel, Die betriebliche übung, 1967, S. 2 ff.; Seiter, Die Betriebsübung, 1967, S. 73 ff. • Vgl. RAG, 7. 9. 1938, ARS 34, S. 180; RAG, 10. 1. 1940, ARS 38, S. 147; RAG, 21. 5. 1940, ARS 39, S. 233 (235); RAG, 22. 7. 1941, ARS 42, S. 287. Das BAG hat zwar gelegentlich das Vorliegen von Übungen zuungunsten der Arbeitnehmer erörtert, ihr Vorliegen im konkreten, zur Entscheidung stehenden Fall jedoch immer verneint; vgl. BAG, 17.12.1959, AP Nr. 80 zu§ 1 TVG Auslegung; BAG, 8. 12. 1960, AP Nr. 1 zu § 611 BGB Wegezeit; BAG, 20. 5. 1965, AP Nr. 7 zu § 13 BUrlG; BAG, 18. 7. 1968, AP Nr. 8 zu§ 242 BGB Betriebliche übung; LAG Frankfurt, 4.12.1957, BB 1958, S. 520; näher dazu G. Hueck, AR-Blattei D, Betriebliche übung I unter B II 2 c; Schnorr von Carolsfeld, Anm. zu BAG AP Nr. 1 zu§ 611 BGB Wegezeit; Seiter, Die Betriebsübung, 1967, S. 35 ff.; Füllkrug, Die betriebliche übung als Erscheinung des Rechtes der Betriebsgemeinschaft, Diss. Köln 1969, S. 1, 5, 8. 8

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2. Kap.: Allg. Arbeitsbedingungen. Empirisch-deskriptiver Befund

nehmer an die in diesem Betrieb bestehenden, inhaltlich (§§ 138, 242 BGB) nicht zu beanstandenden Allgemeinen Arbeitsbedingungen gebunden ist, die sich in einem oder einzelnen Punkten von den in anderen Betrieben üblichen oder von den tarifüblichen10 Arbeitsbedingungen in arbeitnehmernachteiliger Weise unterscheiden. Die vom Reichsarbeitsgericht11 - in Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts12 taucht der Begriff der Betriebsübung zum Nachteil der Arbeitnehmer bislang nur in "obiter dicta" auf- unter Zuhilfenahme der Rechtsfigur der anspruchsvernichtenden oder anspruchsmindernden Übung entschiedenen vier Sachverhalte sind m. E. im Ergebnis zwar zutreffend entschieden. Die vom Reichsarbeitsgericht entwickelten Problemlösungen ergeben sich indes zwanglos durch rechtsgeschäftliche Auslegung der bei Vertragsschluß zwischen den Parteien ausgetauschten Willenserklärungen: Der in einem Betrieb um Beschäftigung nachsuchende Arbeitnehmer bzw. der Arbeitskräfte suchende Arbeitgeber unterbreiten ihre Angebote auf Abschluß von Arbeitsverträgen, sofern nichts Besonderes gesagt ist, zu den in dem Betrieb zur Zeit der Abgabe des Angebotes bestehenden, betriebsüblichen Allgemeinen Arbeitsbedingungen13• Ihr Geschäftswille ist nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen auf Abschluß des Arbeitsvertrages zu eben diesen Bedingungen gerichtet14• Der Arbeitnehmer will in den Genuß der allen Betriebsangehörigen in ihm vergleichbarer Position gewährten Leistungen des Arbeitgebers kommen, und er weiß gleichzeitig, daß er außer im Falle einer ausdrücklich getroffenen Sonderabrede keinen Anspruch auf Leistungen hat, die anderen Betriebsmitgliedern in gleicher Lage nicht gewährt werden. Es bedeutet also keine das Auslegungsrecht zur Erzielung wünschenswerter Ergebnisse mißbrauchende Unterstellung (im Sinne der bekannten Maxime aus Zahmen Xenien: "Legt ihr's nicht aus, so legt was unter!"), wenn man dem Arbeitnehmer auf Grund seines Arbeitsange10 Das BAG hat als Voraussetzung dafür, daß ein nicht tarifgebundener Arbeitnehmer die tarifliche Regelung als betriebsüblich gegen sich gelten lassen muß, verlangt, daß der Arbeitnehmer die übung bei seinem Eintritt in den Betrieb kenne und ihre Anwendung auf sein Arbeitsverhältnis akzeptiere; vgl. BAG, 8. 12. 1960, AP Nr. 1 zu § 611 BGB Wegezeit und BAG, 15. 2. 1965, AP Nr. 6 zu § 13 BUrlG. Diese Rechtsprechung steht in Widerspruch zu den m. E. zutreffenden Auslegungsmaximen, die in der Überholpausenentscheidung (BAG, 21. 12. 1954, AP Nr. 2 zu § 611 BGB Lohnanspruch) aufgestellt sind; vgl. dazu die im Text folgenden Ausführungen. 11 Vgl. die in Fußn. 9 genannten Entscheidungen des RAG. 12 Vgl. die in Fußn. 9 genannten Entscheidungen des BAG. 13 Zweifelhaft kann nur sein, ob sich der manifestierte Geschäftswille des Arbeitnehmers auf alle oder nur auf solche Arbeitsbedingungen bezieht, mit denen er billigerweise rechnen muß (so etwa LAG Düsseldorf, 2. 1. 1969, DB 1969, S. 88 f.). Näher dazu unten § 7 A III (S. 178 ff.). 14 Näher dazu § 6 A (S. 133 ff.).

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botes kraftrechtsgeschäftlicher Auslegung15 die Erklärung zurechnet, er wolle die Arbeit zu den in diesem Betrieb bestehenden, d. h. für ihn tatsächlich verbindlichenAllgemeinen Arbeitsbedingungen aufnehmen. Wer seine Arbeitskraft einem Arbeitgeber anbietet, in dessen Betrieb z. B. seit sechs Jahren in tarifrechtlich zulässiger Weise kein Zuschlag für Sonntagsarbeit gezahlt wird18, in dem seit 55 Jahren am Fronleichnamstag (der im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in der betreffenden Gegend kein Feiertag war) ohne Lohnfortzahlung die Arbeit ruht17, in dem seit sieben Jahren bei der Berechnung des Urlaubsentgeltes die geleisteten Überstunden außer acht bleiben18, akzeptiert mit seiner Vertragsofferte diese Arbeitsbedingungen, sofern er nicht zu erkennen gibt, daß er mit diesen betreffenden Arbeitsbedingungen nicht einverstanden ist und nur dann die Arbeit aufnehme, wenn er in den von ihm beanstandeten Punkten besser gestellt werde. Einseitig subjektive, bei den Vertragsverhandlungen nicht zum Ausdruck gebrachte irrige Vorstellungen über den Inhalt der in dem Betrieb bestehenden Allgemeinen Arbeitsbedingungen sind nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen18 nicht Bestandteil der Willenserklärung; die eventuell mögliche Anfechtung der Willenserklärung wegen eines Irrtums über den Inhalt der Allgemeinen Arbeitsbedingungen, auf die das Angebot Bezug genommen hat, berührt die vorläufige Geltung der Willenserklärung nicht20• Selbst nach wirksamer Anfechtung bestünde kein Anspruch auf Gewährung von Leistungen für die zurückliegende Zeit in der irrtümlich vorgestellten Höhe. In Obereinstimmung mit der hier vertretenen Auffassung hat das BundesarbeitsgeTicht21 in seiner bekannten "Oberholpausenentscheidung" vom 21. Dezember 1954, in der ein Arbeitnehmer auf Bezahlung der Tage klagte, an denen wegen regelmäßig wiederkehrender, notwendiger Überholungsarbeiten an den Näher dazu § 7 A (S. 156 ff.). So der vom RAG, 10. 1. 1940, ARS 38, S. 147 entschiedene Sachverhalt. 17 So in dem vom RAG, 21. 5. 1940, ARS 39, S. 233 entschiedenen Sachverhalt. 18 So in dem vom RAG, 22. 7. 1941, ARS 42, S. 287 entschiedenen Sachverhalt. 19 Zutreffend BAG, 20. 4. 1967, AP Nr. 20 zu § 74 HGB; näher dazu unten § 8 B I (S. 187 ff.). 20 Zur Problematik der Irrtumsanfechtung eingehend§ 8 B (S. 186 ff.). 21 AP Nr. 2 zu§ 611 BGB Lohnanspruch mit zust. Anm. von A. Hueck; ders., in: Festschrift für Lehmann, 1956, Bd. II, S. 633 (640 f.); Nikisch I, S. 267; krit. dagegen Siebert, BB 1955, S. 869 f.; G. Hueck, AR-Blattei D, Betriebsübung I unter B II 2 b; ähnlich wie das BAG auch BGH, 15. 6.1964, BGHZ 42, S. 53 ff.; dazu Schmidt-Salzer, Das Recht der Allgemeinen Geschäfts- und Versicherungsbedingungen, 1967, S. 133 f. mit Fußn. 44. Es ist unzutreffend, wenn die vorgenannte Entscheidung des BAG in der Literatur immer wieder als Beispiel für die Zulässigkeit der Betriebsübung zu Lasten des Arbeitnehmers angeführt wird; so erneut Behrendt, Kollektivität der betrieblichen übungund Individualrecht, Diss. Berlin 1966, S. 6. u

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2. Kap.: Allg. Arbeitsbedingungen. Empirisch-deskriptiver Befund

Maschinen der Betrieb stillgelegt werden mußte, auf die angesichts der Judikatur des Reichsarbeitsgerichts naheliegende Argumentation aus einer betrieblichen übung zu Lasten der Arbeitnehmer verzichtet und festgestellt: "Es handelt sich bei diesen Pausen um eine für den ganzen Betrieb geltende Regelung und Einrichtung, der sich jeder in diesen Betrieb eintretende Arbeitnehmer unterwerfen muß. Im Arbeitsleben gilt es als selbstverständlich, daß der in einen Betrieb eintretende Arbeitnehmer die allgemein geltende Art des Arbeitsablaufs in einem Betrieb hinzunehmen hat. Das Arbeitsverhältnis spielt sich im Betriebsverband ab. Eine besondere Pflicht des Arbeitgebers zur Unterrichtung des Arbeitnehmers bei dessen Einstellung kann daher im allgemeinen nicht angenommen werden. Der Arbeitnehmer weiß auf jeden Fall, daß im Arbeitsablauf der einzelnen Betriebe bestimmte Gesetzmäßigkelten herrschen, mag er sie auch im einzelnen nicht kennen. Es ist seine Sache, sich über die allgemeine Gestaltung des Betriebes zu erkundigen, wenn er sich nicht von vornherein stillschweigend unterwerfen will." Diese einleuchtenden Auslegungserwägungen zeigen, daß bei rechtlicher Würdigung der Eigenart der bezugnehmenden Willenserklärung11 für ein Ausweichen auf eine betriebliche Übung zu Lasten der Arbeitnehmer rechtspolitisch kein Bedürfnis und rechtsdogmatisch kein Raum besteht. Die rechtliche Anerkennung betrieblicher Übungen zu Lasten der Arbeitnehmer würde sich zudem als Mißbrauch, d. h. als funktionswidrige, das Rechtsinstitut der Betriebsübung von seinem Entstehungszweck abkapselnde Verwendung eines Rechtsinstituts darstellen, das nach seiner Antrittsintention, seiner "idee directrice" 28 ausschließlich zugunsten der auf den Fortbestand der mehrfach vorbehaltlos gewährten Leistungen vertrauenden Arbeitnehmer geschaffen wurde.

C. Anwendungsbereich von Gesamtzusage und Betriebsübung Der Grundsatz, daß der Arbeitgeber auf Grund mindestens dreimaliger, vorbehaltloser Gewährung von günstigeren Arbeitsbedingungen verpflichtet ist, diese auch künftig weiterzugewähren, ist vom Reichsarbeitsgericht zunächst für den Sachverhaltstyp alljährlicher, vorbehaltloser Gewährung von Gratifikationen entwickelt worden1' und später auf Näher dazu § 17 (S. 493 ff.). Vgl. dazu§ 9 (S. 218 ff.) Fußn. 42. 24 Vgl. RAG, 15. 6. 1929, ARS 6, S. 203 f.; RAG, 4. 1.1930, ARS 7, S. 507 f .; RAG, 28. 6. 1930, ARS 9, S. 357; RAG, 22. 11.1930, ARS 10, S. 539 (542); RAG, 30. 9. 1931, ARS 13, S. 184 (187 f.); RAG, 25. 11. 1931, ARS 13, S. 543 (544 f.); RAG, 16. 12. 1931, ARS 14, S. 89; RAG, 27. 4. 1932, ARS 15, S. 138 f.; RAG, 18. 1. 1933, ARS 17, S. 249 (251); RAG, 25.3.1933, ARS 18, S. 39 f.; RAG, 6. 7.1932, ARS 18, S. 416 f.; RAG, 13. 3. 1935, ARS 23, S. 200 f.; RAG, 9. 1. 1937, ARS 29, S. 3 f. ; RAG, 24. 2.1937, ARS 29, S. 209; RAG, 6.10.1937, ARS 31, S.145 f.; RAG, 23. 2.1938, ARS 32, S. 236 f.; RAG, 13. 7.1938, ARS 33, S. 223 (226 f.); RAG, 22. 2. 1939, ARS 35, S. 144; RAG, 15. 2.1939, ARS 35, S. 218 (220); RAG, 14. 6. 1939, ARS 36, S. 374; RAG, 12. 8.1939, ARS 37, S. 225 (227); RAG, 12.12.1939, ARS 38, S. 50 f.; RAG, 10. 4. 1940, ARS 39, S. 153 f.; RAG, 2. 10.1940, ARS 40, S. 215 f.; RAG, 22

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§ 4. Gesamtzusage und Betriebsübung

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sonstige, die Rechtsposition der Belegschaftsangehörigen verbessernde, regelmäßig wiederholte, gleichartige Verhaltensweisen des Arbeitgebers, z. B. auf Sonderzuwendungen, wie monatliche Wohngelder25, auf Beiträge zur Pensionskasse28, auf die Gewährung von Jahresurlaub17, auf Ehren- und Jubiläumsgeschenke28 , auf die Gewährung einer Überstundenpauschalvergütung29, auf die Zahlung von Provisionen für Direktgeschäfte an Arbeitnehmer30, auf die Lieferung von Brennmaterial31 und schließlich auch auf die Gewährung von betrieblichen Ruhegeldern32, ausgedehnt worden. Betriebliche Ruhegelder und Gratifikationen bilden auch heute noch das Hauptanwendungsfeld der Gesamtzusage und Gesamtübung. Es wird gegenwärtig auch kaum mehr bezweifelt, daß der Sozialtatbestand der Gesamtzusage und der Gesamtübung den Arbeitgeber selbst dann zur Aufrechterhaltung der mehrfach vorbehaltlos gewährten Leistungen verpflichtet, wenn er keinen auf die Erzielung dieses Rechtserfolgs gerichteten Geschäftswillen hatte. Als subjektive Zurechnungsvoraussetzung genügt nach allgemeiner Ansicht33, daß die die Verpflichtung des Arbeitgebers für die Zukunft objektiv begründenden Zuwendungen "mit Wissen und Willen des Arbeitgebers und nicht etwa nur irrtümlich oder gar gegen den Willen des Arbeitgebers" 34 erfolgt sind. Ein Anspruch auf Grund mehrfacher Leistungsgewährung entsteht dagegen nicht, 19.11. 1940, ARS 40, S. 369 (372 f.); ebenso BAG, 24. 1. 1956, AP Nr. 2 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG, 6. 3. 1956, AP Nr. 3 zu§ 611 BGB Gratifikation; BAG, 4.10. 1956, AP Nr. 4 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG, 17. 4. 1957, AP Nr. 5 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG, 3. 4. 1957, AP Nr. 6 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG, 27. 6. 1958, AP Nr. 7 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG, 23. 4. 1963, AP Nr. 26 zu § 611 BGB Gratifikation; BAG, 18. 12. 1964, AP Nr. 51 zu § 611 BGB Gratifikation. 2s RAG, 25. 11. 1931, ARS 13, S. 543. 28 RAG, 25. 3. 1933, ARS 18, S. 39. 27 RAG, 5. 11. 1939, ARS 37, S . 365. 28 RAG, 10. 4. 1940, ARS 39, S. 153 mit allerdings abl. Stellungnahme von A. Hueck, von Reuß, in: Reuß-Siebert, Die konkrete Ordnung des Betriebes, 1941, S. 9 (37 f.), und von Siebert, in: Reuß-Siebert, Die konkrete Ordnung des Betriebes, 1941, S. 50 (104 f.). 29 RAG, 24. 7. 1940, ARS 39, S. 458; RAG, 2. 10. 1940, ARS 40, S. 215; RAG, 19. 11. 1940, ARS 40, S. 356. 30 RAG, 27. 6. 1944, ARS 47, S . 221. 31 BAG, 9. 3. 1961, AP Nr. 5 zu § 242 BGB Betriebliche Übung; LAG Düsseldorf, 15.10.1957, BB 1958, S . ll7; LAG Saarbrücken, 5.10. 1960, DB 1960, S.l312. 32 RAG, 12. 12. 1934, ARS 23, S. 37; RAG, 19. 1. 1938, ARS 33, S. 172; RAG, 23.11.1938, ARS 35, S.101; BAG, 27. 2.1957, AP Nr. 21 zu §242 BGB Ruhegehalt; krit. dazu noch Bondi, in: Festschrift für Pinner, 1932, Teil li, S. 234 (248 ff.). aa Vgl. dazu näher unten § 15 C (S. 461 ff.). 34 RAG, 25. 3. 1933, ARS 18, S . 39 (41).

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2. Kap.: Allg. Arbeitsbedingungen. Empirisch-deskriptiver Befund

wenn der Arbeitgeber sich die jederzeitige Einstellung der Leistungen vorbehalten hat bzw. der Arbeitnehmer "auch ohne besonderen Hinweis erkennen mußte, daß keine bindende Zusage in der fortlaufenden Gewährung der Gratifikation gegeben werden sollte" 315 • Streitig ist allein die rechtliche Konstruktion der Ansprüche aus betrieblicher Übung und Gesamtzusage und ihre Einordnung in das bestehende System der Obligierungsgründe88. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß die durch die Begriffe "Gesamtzusage" und "Gesamtübung" bezeichneten Sozialsachverhalte ebenso wie die unter dem Begriff "arbeitsvertragliche Einheitsregelung" zusammengefaßten Tatbestände in ihrer faktischen Beschaffenheit gekennzeichnet sind: (1) durch das Moment der Normativität im Sinne einer abstrakt-generellen Geregeltheit der betreffenden Arbeitsbedingungen, (2) durch das Moment einseitiger Eigennützigkeit bei der Festlegung der Arbeitsbedingungen, das sich in der fehlenden Einflußnahme der Arbeitnehmer auf den Inhalt der Gesamtzusage bzw. Betriebsübung manifestiert. (3) Als weitere Eigenschaft, die Gesamtzusage und Gesamtübung als Spezialfall der arbeitsvertragliehen Einheitsregelung ausweist, kommt das Moment der wirtschaftlichen Besserstellung der betroffenen Arbeitnehmer gegenüber der bisher für sie geltenden rechtlichen Regelung hinzu, gleichgültig, ob diese auf Gesetz, Kollektivvereinbarung oder Individualvertrag beruht.

85 RAG, 22. 11.1930, ARS 10, S. 539 (542); ebenso schon RAG, 28. 6.1930, ARS 9, S. 357 (358); umfangreiche weitere Nachweise bei Bollacher, Die verpflichtende Wirkung üblicher Leistungen im Arbeitsrecht, Diss. Tübingen 1965.

s. 9 ff., 131 ff.

88 Vgl. dazu näher§ 15 B, C (S. 460 ff.).

§ 5 Ergebnis der Sachverhaltsanalysen A. Tatbestandsvergleichung Gesamtzusage und Gesamtübung sind ebenso wie die arbeitsvertragliehe Einheitsregelung materiell einseitige, generelle Regelungen, wobei Gesamtzusage und Betriebsübung lediglich einen Spezialfall der Allgemeinen Arbeitsbedingungen darstellen, da sie nur als Regelungsinstrumente zur Verbesserung der bestehenden Ordnung, nicht aber zur Herabsetzung der über- oder außertariflichen bzw. -betriebsvereinbarungsrechtlichen Ordnung in Betracht kommen. Der Satz: "Alles, was durch Gesamtzusage und Betriebsübung geregelt werden kann, kann auch durch eine arbeitsvertragliche Einheitsregelung erreicht werden." ist daher nicht umkehrbar. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, daß diese drei Institute arbeitsrechtliche Bestimmungsgründe mit gleicher Ordnungsfunktion sind: sie knüpfen an typisierte, abstrakte Merkmalsinbegriffe, an "Rollen" an, die von Arbeitnehmern zu "spielen" sind, die die Rollenvoraussetzungen erfüllen, und ordnen diesen Rollen bestimmte Arbeitsbedingungen zu. Ihr gemeinsamer Zweck ist eine den ökonomischen und sozialpolitischen Zielsetzungen des Arbeitgebers entsprechende und in diesem Sinne optimale betriebliche Ordnung unter Abstraktion von individuellen Merkmalen, z. B. individueller Leistung und Bedürftigkeit. Aus der Sicht der bereits im Betrieb Beschäftigten ist jede gesamteinheitliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch einseitigen

Gestaltungsakt des Arbeitgebers eine Gesamtzusage in dem oben definierten Sinne, wenn die Verbesserung vom Arbeitgeber durch Erklärung bekanntgegeben wird, bzw. eine Gesamtübung, wenn die Verbesserung durch gleichförmiges tatsächliches Verhalten geschieht. Für neu in den Betrieb eintretende Arbeitnehmer sind Gesamtzusage und Betriebsübung dagegen schon Bestandteile der tatsächlich bestehenden generellen betrieblichen Ordnung, die bei Arbeitsvertragsschluß durch bezugnehmende Willenserklärung als einzelvertragliche Einheitsregelung für die Vertragsparteien rechtlich verbindlich wird, sofern nicht etwas (ganz oder in einzelnen Punkten) anderes vereinbart wird. Die Analyse der faktischen Beschaffenheit der arbeitsvertragliehen Einheitsregelung, Gesamtzusage und Gesamtübung ergibt somit keine relevanten Unterschiede in der Ordnungsstruktur dieser Institute.

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2. Kap.: Allg. Arbeitsbedingungen. Empirisch-deskriptiver Befund

Neben oder anstelle dieser material-inhaltlichen Definition der arbeitsvertraglichen Einheitsregelung, Gesamtzusage und Betriebsübung kann man ergänzend auch noch eine Abgrenzung dieser Phänomene unter genetischen Gesichtspunkten, also nach der Art ihrer Entstehung, vornehmen. Während die Betriebsübung als bloß praktizierte, weder mündlich noch schriftlich "inkarnierte" Ordnung überhaupt erst durch gleichförmiges, tatsächliches Verhalten über einen längeren Zeitraum hinweg konstitutiert wird und insoweit als Sondertatbestand relativ exakt beschreibbar ist, ist eine Abgrenzung zwischen Gesamtzusage und arbeitsvertraglicher Einheitsregelung, die ähnlich klare Unterschiede im Entstehungstatbestand zeigt, schon nicht mehr möglich. Würde man etwa die möglichen Entstehungsarten einer Gesamtzusage typenmäßig formalisieren und dadurch eingrenzen auf bestimmte äußerliche Erscheinungsformen betriebseinheitlicher Arbeitsbedingungen, etwa auf solche Arbeitsbedingungen, die durch einheitliche Bekanntmachung, wie z. B. durch einen an die Belegschaft gerichteten Aushang am Schwarzen Brett veröffentlicht werden, so wäre die Aufstellung eines solchen limitativ wirkenden Entstehungskatalogs, wie auch immer er im einzelnen aussehen würde, willkürlich. Das wird allerdings von RichardP bestritten. Nach seiner Ansicht unterscheiden sich Betriebsübung und Betriebszusage als kollektiv gewollte und durch einheitZiehen KoZZektivakt2 entstandene Ordnungen von der arbeitsvertragliehen Einheitsregelung, die durch Abschluß gleichlautender Arbeitsverträge im Sinne addierbarer Einzelvorgänge entstehe. Im Interesse des Arbeitnehmers sei daher eine rechtlich unterschiedliche Behandlung geboten. Im Einzelfall kann zwar, was bereits oben nachdrücklich betont wurde3 , in der Mitteilung übertariflicher Allgemeiner Arbeitsbedingungen, bestehender betrieblicher Übungen und Gesamtzusagen durch den Arbeitgeber und ihrer Entgegennahme durch den Arbeitnehmer der Abschluß einer individuell begünstigenden Sonderabrede zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gesehen werden, wenn der generelle Charakter der nach einheitlichem Muster im Betrieb abgeschlossenen Vereinbarungen nach außen hin nicht in Erscheinung trat und so beim Arbeitnehmer der Eindruck einer speziell ihn begünstigenden Sonderabrede entstehen mußte'. In diesem Fallliegt aber überhaupt keine arbeitsver1 2

Richardi, RdA 1960, S. 401 (404), abschwächend in RdA 1965, S. 49 (56). Karakatsanis (S. 51) macht indes zu Recht darauf aufmerksam, daß auch

bei der Betriebsübung kaum von einem einheitlichen Kollektivakt gesprochen werden könne, da die Bildung der betrieblichen Übung einen bestimmten Zeitraum in Anspruch nehme und die mehrfache Wiederholung eines bestimmten Verhaltens voraussetze. 3 Vgl. § 3 (S. 84 f.) m.w.N. in Fußn. 34. 4 Vgl. z. B. Adomeit, BB 1964, S. 599 (601): .,Zu beachten ist, daß in einer

§ 5. Ergebnis der Sachverhaltsanalysen

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tragliehe Einheitsregelung im Sinne der in § 3 (S. 85 ff.) entwickelten Begriffsbestimmung vor. In der Praxis dürfte dieser Fall auch wohl nur relativ selten vorkommen. Regelmäßig dürfte es so sein, daß der einzelne, durchschnittliche Arbeitnehmer aufgrund seiner Machtunterlegenheit gar nicht in der Lage ist, bei Vertragsschluß irgendwelche Bedingungen zu stellen, und gezwungen ist, die bestehende allgemeine betriebliche Ordnung so zu akzeptieren, wie sie ist, will er nicht auf den Vertragsschluß verzichten. In der bloßen Aushändigung eines im Personalbüro ausgefüllten Vertragsformulars liegt, wenn nicht zuvor eine besondere Absprache zwischen den Parteien getroffen wurde, aus der sich für den Arbeitnehmer wenigstens der Anschein einer individuellen Begünstigung ergeben konnte, noch kein ent-kollektivierender, individualisierender Tatbestand, ebensowenig wie in der häufig pauschal erfolgenden Vereinbarung der Geltung der Tarifbestimmungen in Unkenntnis der Gewerkschaftszugehörigkeit des Arbeitnehmers. Denn die Arbeitsvertragsparteien wollen hier regelmäßig die Geltung des jeweiligen Tarifvertrags als einer überindividuellen, abstrakt-generellen Ordn~ng und werten die Bezugnahme auf den geltenden Tarifvertrag nicht als bestandssichernd. In diesem Fallläßt sich die Frage also bereits durch Auslegung der Vereinbarung lösen: "Es ist nämlich grundsätzlich nicht anzunehmen, daß die Arbeitsvertragsparteien in diesen Fällen die Tarifbedingungen wirklich zum Inhalt des Einzelarbeitsvertrages machen wollen mit der Folge, daß sie unabhängig von der Geltung des Tarifs Bestand haben sollen. Nur wenn der Arbeitnehmer bestimmte tarifliche Arbeitsbedingungen deshalb zum Inhalt seines Arbeitsvertrages macht, um sich vor Verschlechterungen durch spätere Tarifänderungen zu schützen, so bleiben sie nach dem Günstigkeitsprinzip bestehen5." Nur dann, wenn die in Bezug genommene genereUe Regelung auf diesem Wege zur individuellen Abrede transformiert, d. h. durch materiellrechtliche Verweisung zum Inhalt des Einzelarbeitsvertrags gemacht worden ist8 , liegt solchen Einzelmitteilung immer noch ein individueller Ruhegeldvertrag liegen kann." 5 Hueck-Nipperdey-Stahlhacke, § 4 Anm. 211; ebenso Hueck-Nipperdey II/1, § 30 VI 2 (S. 588) und VII 3 (S. 593); vgl. auch Adomeit, S. 118; weitere Hinweise zu dieser Fallkonstellation finden sich in § 3 (S. 82) Fußn. 25. Ein Beispiel für eine solche Vereinbarung, die den Sinn hat, "für den Arbeitnehmer eine größere Rechtsgewißheit zu schaffen", liefert die Entscheidung des LAG Baden-Württemberg, 29.11.1966, BB 1967, S. 500 f. Die Folgen einer solchen Vereinbarung beschreibt das Gericht mit den Worten: Auf Grund der Obernahme stünden die Ansprüche dem Arbeitnehmer "ohne Rücksicht auf eine kollektive Anspruchsgrundlage auf der Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerseite und die Änderungen dieser Voraussetzungen" zu. 8 Dieser Transformationsakt oder, in der Terminologie des internationalen Privatrechts, diese materiell-rechtliche Verweisung (im Gegensatz zur üblichen kollisionsrechtlichen Verweisung; s. unten § 17, S. 493 ff.), die aus allgemeinen

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2. Kap.: Allg. Arbeitsbedingungen. Empirisch-deskriptiver Befund

für den Arbeitnehmer eine andere Interessenlage vor. Deshalb kann dem Umstand, daß Arbeitsbedingungen nicht durch einheitliche Bekanntmachung, sondern durch gleichlautende Arbeitsverträge festgelegt worden sind, bei der Sachverhaltswürdigung allein noch keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen werden7 • Karakatsanis8 äußert insoweit zu Recht, es sei nicht einzusehen, "wieso das Kollektivsein einer Situation, die Kollektivregelung, von der technischen Art und Weise ihres Entstehens abhängig gemacht werden soll".

B. Konsequenzen für die rechtliche Analyse Angesichts der strukturellen Gleichartigkeit der durch die Begriffe arbeitsvertragliche Einheitsregelung, Gesamtzusage und Betriebsübung bezeichneten Sachverhalte ist eine prinzipiell unterschiedliche rechtliche Behandlung dieser Sachverhalte rechtspolitisch nicht zu rechtfertigen. Rechtsfolgen, die der arbeitsvertragliehen Einheitsregelung zuzuordnen sind, müssen auch für Gesamtzusage und Betriebsübung gelten. Es ist daher im dritten Kapitel eine einheitliche Erörterung dieser drei Tatbestände möglich. individuelle Arbeitsbedingungen macht, ist von Zöllner, RdA 1969, S. 250 (253 f.), in seiner rechtlichen Bedeutung nicht gewürdigt worden; vgl. dazu klarstellend Hueck-Nipperdey II/2, S. 1663 f. 7 Vgl. dazu oben§ 3 (S. 89 ff.). 8 Karakatsanis, S. 51. Er weist zutreffend auch auf die mangelnde Praktikabilität und Willkürlichkelt einer an der "Art" und "Technik" des Entstehenlassens abstrakt-genereller Regelungen orientierten Abgrenzung hin (S. 50): "Zunächst könnte man fragen, wie es zum Beispiel wäre, wenn der Arbeitgeber sein Angebot nicht durch Anschlag am Schwarzen Brett, sondern dadurch machen würde, daß er die Arbeitnehmer einen nach dem anderen oder paarweise zu sich eingeladen hätte (zur Besprechung der Sache, oder auch vielleicht bloß zur Unterschreibung der Annahme); ob es eine Bedeutung hätte und ob das einen oder mehrere Tage dauern würde usw. Wäre die Regelung dann keine kollektive? Und wo wären dann die Grenzen abzustecken? Aber ferner: Die Kollektivregelung würde ihre Entstehung, wie Richardi selbst zugibt, nicht dem Angebot des Arbeitgebers, sondern den mehreren Verträgen, die erst durch ein entsprechendes Verhalten der Arbeitnehmer zustande kommen würden, verdanken. Ist dem so, so kann man nicht mehr von einem Kollektivakt im Sinne Richardis als Grundlage der Kollektivregelung sprechen. Der Kollektivakt löst sich dann in mehrere Einzelakte auf, und man müßte verlangen, um die Voraussetzung, die Richardi stellt, als erfüllt anzusehen, daß dieses entsprechende Verhalten auch zum gleichen Zeitpunkt von den Betreffenden entgegengebracht wird. Wird man aber dann der Regelung den kollektiven Charakter absprechen müssen, wenn sich dieses dem kollektiven Angebot entsprechende Verhalten innerhalb eines größeren oder kleineren Zeitraums vollziehen würde? Und soll dann das Verhalten von allen, oder von wie vielen und innerhalb von was für einem Zeitraum das Entscheidende sein? Daß es hier an Kriterien fehlt, leuchtet ein." Richardi (S. 404 f. und RdA 1965, S. 49, 56, 60) scheint selbst die Unausgewogenheit der von ihm gefundenen Resultate zum empfinden, da er versucht, über die Kon-

§ 5. Ergebnis der Sachverhaltsanalysen

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Aus dem soziologisch-deskriptiven Befund der faktischen Übereinstimmung von arbeitsvertraglicher Einheitsregelung, Gesamtzusage und betrieblicher Übung in den Wesensmerkmalen der "Normativität" und "einseitigen Eigennützigkeit" läßt sich allerdings nicht folgern, daß diese faktischen Beschaffenheitsmerkmale auch in der rechtskonstruktiven Erfassung dieser Tatbestände durch inhaltlich identische juristische Kategorien reproduziert werden müßten. Das nämlich setzte bereits eine bestimmte meta-logische und meta-empirische philosophische Konzeption über das Verhältnis von sozialer Faktizität und juristischer Konstruktion voraus, die sich ihrerseits einer intersubjektiven wissenschaftlichen Überprüfungsmöglichkeit entzöge und daher nicht mit allgemeiner Zustimmung rechnen könnte9 • struktion eines vertraglichen Verschlechterungsvorbehalts eine Harmonisierung der Ergebnisse zu erreichen. Zur Kritik dieser Lösung s. u. § 10 B IV 3 (S. 300 ff.). 9 So wird für die neukantianischen Transzendentalphilosophien (vgl. Radbruch, Rechtsphilosophie, 4. Aufl. 1950; Sauer, Juristische Methodenlehre, Zugleich eine Einführung in die Methodik der Geisteswissenschaften, 1940, insbes. S. 196 ff., 327 ff.) die Wirklichkeit erst durch das Bewußtsein des Menschen konstituiert und in ihrer Werthaftigkeit bestimmt. Ein und derselbe Vorgang erscheint nach dieser Auffassung, je nach dem subjektiv gewählten Aspekt, unter dem er betrachtet wird, entweder als kausal determiniertes, rechtlich bedeutungsloses Geschehen oder als rechtlich relevanter Sachverhalt. Ebenso kommt nach den gegenwärtig vorherrschenden Strömungen innerhalb des Neopositivismus der faktischen Beschaffenheit des Regelungsgegenstandes Bedeutung nur im Lichte der jeweiligen, ihn erklärenden Theorie zu. Jede Aussage über die faktische Beschaffenheit sei theoTierelativ; vgl. Popper, Logik der Forschung, 3. Aufl. 1969, S. 31 ff.; Leinfellner, Struktur und Aufbau wissenschaftlicher Theorien, 1965, vor allem S. 171 ff., 228 ff.; nunmehr mit Einschränkungen auch Camap, Zeitschrift für Philosophische Forschung 14 (1962), s. 209 (210, 217 f., 221,224,571,577 f.). Für die phänomenologische Rechtslehre sind dagegen die der Phänomenbeschreibung dienenden Begriffe nicht frei deftnierbare, theoretische Begriffe, "nicht verschiedenartige Umformungen eines identischen, wertfreien Materials, sondern Reproduktionen von Teilstücken eines komplexen ontischen Seins, das die gesetzlichen Strukturen und die Wertdifferenzen immanent in sich trägt und nicht erst von der Wissenschaft herangetragen bekommt" (so Welzel, Naturalismus und Wertphilosophie im Strafrecht, 1935, S. 49); zur Kritik vgl. Bochenski, Die zeitgenössischen Denkmethoden, 3. Aufl. 1965, S. 22 ff.; V. Kraft, Von Husserl zu Heidegger, 2. Aufl. 1957, S. 20 ff.; Stegmiiller, Hauptströmungen der Gegenwartsphilosophie, 1960, S. 53 ff.; Dreier, Zum Begriff der "Natur der Sache", 1965, S. 62 ff.; ausführliche weitere Nachweise in § 2 (S. 64) Fußn. 69. Ähnlich soll sich nach den Vorstellungen des Neuhegelianismus (vgl. Binder, Philosophie des Rechts, 1925, S. 885 ff.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 2. Aufl. 1969, S. 473 ff.), der die Rechtsidee "ontologisiert" hat und als immanentes Konstitutionsprinzip des geschichtlich anzutreffenden Rechts begreift, die Erkenntnis des Wesensgehalts eines Rechtsinstituts durch das zunächst in der Form der Vorstellung oder einer vorwissenschaftliehen Erfahrung vorhandene Bewußtsein des in diesen Instituten verwirklichten Sinngehalts (Larenz, a. a. 0.) vollziehen; vgl. dazu kritisch FTiedmann, Legal Theory, 5. Aufl. 1968, S. 129 ff. Angesichts der metaphysischen Prämissenbedingtheit der hegelianischen und phänomenologischen Methode, nach der über die Wesentlichkelt eines Merkmals zu entscheiden 9 Sllcker

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2. Kap.: Allg. Arbeitsbedingungen. Empirisch-deskriptiver Befund

Verwirft man also alle Konzeptionen, die einen praepositiven, der Rechtsordnung vor-gegebenen oder ihr doch zumindest zur Beachtung und Realisierung aufgegebenen Zusammenhang zwischen (faktischem) Sein und (rechtlichem) Sollen behaupten, als kognitiv nicht überprüfbar10, so ist damit einer Faktisches mit Normativem vermengenden juristischen Argumentationsweise die wissenschaftstheoretisch-methodologische Basis entzogen. Die Kritik an einer solchen Argumentationsweise ist daher vollauf berechtigt. Wiedemann 11 kennzeichnet sie anschaulich als Versuch, "aus der Beschreibung des soziologischen Phänomens unvermerkt in die juristische Begründung überzuwechseln und die tatbestandliehe Erfassung in ein wertendes Argument umzumünzen". Dabei muß man sich allerdings bewußt bleiben, daß Kritik an der Methode Kritik an den Ergebnissen nicht ersetzen kann; denn auch mit wissenschaftslogisch unhaltbarer Methode kann man, wenngleich das infolge der verwandten Methode nicht "intersubjektiv transmissibel" 12 aufweisbar ist, vernunftgerechte Ergebnisse erzielen. Ähnlich wie Wiedemann kritisiert auch Galperin 13 den Methodensynkretismus, indem er ihm zur Last legt, rechtliche Begründungen "durch irgendwelche verwaschenen soziologischen, vielleichtmanchmal sogar mißverstandenen soziologischen Formulierungen zu ersetzen". Die deskriptive Struktur- und Funktionsanalyse macht die rechtliche Wertung somit nicht überflüssig; sie dient vielmehr nur dazu, vor Zuordnung der Rechtsfolgen Aufschluß über die faktische Beschaffenheit der regelungsbedürftigen Sachverhalte (s. § 2, S. 63 ff.) und so eine ausreichende tatsächliche Grundlage für sachgerechte Vorschläge zur Ausfüllung der vorhandenen Regelungslücken zu erhalten. Die Untersuchung hat ergeben, daß die Allgemeinen Arbeitsbedingungen weder dem System der "klassischen" Individualautonomie, in dem ist, sind diese für die voraussetzungsfreie wissenschaftliche Verständigung unbrauchbar. 10 Vgl. dazu oben§ 2 (S. 64 f.) Fußn. 69-72. 11 Wiedemann, Das Arbeitsverhältnis als Austausch- und Gemeinschaftsverhältnis, 1966, S. 94. 12 Brecht, Politische Theorie, 1961, S. 29 ff., 136, 219, 336; ebenso Denninger, Rechtsperson und Solidarität, 1967, S. 19 ff. 13 Galperin, Diskussionsbeitrag, in: Verhandlungen des 43. DJT 1960, Bd. II (1961), Teil F, S. 75; ebenso Rittner, Diskussionsbeitrag, in: Verhandlungen des 43. DJT 1960, Bd. II (1961), Teil F, S. 63: eine lebensrichtige Rechtsfindung müsse sich zwar vollziehen ,.im Hinblick auf die tatsächlichen Verhältnisse, die essorgfältig zu studieren gilt. Aber sie hat ihre Grundlagen in den Wertungen und Gestaltungen unserer Rechtsordnung, die immer wieder zur Lösung neu auftretender Fragen verdichtet werden müssen". Adomeit, S.ll7: "Die schwierige Aufgabe, die Besonderheit individualrechtlicher Allgemeinregelungen dogmatisch zu erfassen, ist allerdings oft mit unzureichenden methodischen Mitteln versucht worden, die manchmal die Grenze zur begriffsjuristischen Inversion überschreiten."

§ 5. Ergebnis der Sachverhaltsanalysen

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der Vertrag als zweiseitig-eigennützige "Veranstaltung" freier und gleicher Individuen fungiert'\ noch dem System der Kollektivautonomie, das gleichfalls nur den zweiseitigen Kollektivvertrag zwischen den gesetzlich festgelegten Kollektivvertragssubjekten zuläßt, ohne weiteres zugeordnet werden können. Als in der Wirkung tatsächlich normative Regeln konkurrieren die in Gestalt einzelvertraglicher Einheitsregelungen, Gesamtzusagen und Betriebsübungen rechtlich verbindlich gewordenen Allgemeinen Arbeitsbedingungen mit staatlicher und insbesondere mit kollektivrechtlicher Regelungszuständigkeit; als einseitigeigennützige vom Arbeitgeber aufgestellte Regeln lassen sie die individualrechtliche Vertragsfreiheit des einzelnen Arbeitnehmers zu einem "nudum ius" ersterben, indem sie diese auf eine zweifelhafte (weil bei Angewiesenheit auf den Arbeitsplatz nur als Freiheit zu sozialem Abstieg und Not real existente) Adhäsionsfreiheit reduzieren. Die Allgemeinen Arbeitsbedingungen stehen so in einem Spannungsfeld von Individual- und Kollektivautonomie, das viele Rechtsprobleme sowohl im Bereich des individuellen wie des kollektiven Arbeitsrechts aufwirft. Da diese im System des geltenden Rechts zum Teil überhaupt keine, zum Teil keine klaren, allenfalls mittelbarerschließbare Antworten gefunden haben, bleibt im folgenden nichts anderes übrig, als für alle im Zusammenhang mit den Sozialphänomenen "arbeitsvertragliche Einheitsregelung", "Gesamtzusage" und "Betriebsübung" auftauchenden, klärungsbedürftigen Rechtsfragen (u. a. Wirksamwerden, Auslegung, Revisibilität, Anfechtung, Inhaltskontrolle, Abänderbarkeit) Einzellösungen zu erarbeiten. Es wird jeweils zu prüfen sein, ob die Anwendung der für Rechtsgeschäfte geltenden Bestimmungen oder die Anwendung der für gesetzliche und kollektivvertragliche Normen bestehenden Vorschriften "passender", "angemessener" ist. Dabei sind die Wesensmerkmale der in Form arbeitsvertraglicher Einheitsregelung, Gesamtzusage und Betriebsübung zu rechtlicher Relevanz erhobenen Allgemeinen Arbeitsbedingungen (Einseitigkeit und Normativität) als Anhaltspunkte bei der Lückenschließung zu beachten, da andernfalls die Chance, daß eine normative Wertung und der auf sie gestützte rechtliche Imperativ sich in der Realität als Gestaltungs- und Ordnungsfaktor durchsetzen, allzu gering wäre15•

Näher dazu § 9 B (S. 205 ff.). Ebenso Dreier, Zum Begriff der "Natur der Sache", 1965, S. 64, der vorschlägt, die in der durchschnittstypischen Beschaffenheit dieser Verhältnisse liegenden empirischen Verhaltensregelmäßigkeiten (Sozialnormen) bewußt als transjuristische Normen zu behandeln und in ihnen lediglich objektive Anhaltspunkte für eine freie, rechtsschöpferische Tätigkeit der Gerichte zu erblicken. 14

15

9•

Drittes Kapitel

Die rechtliche Beurteilung der Allgemeinen Arbeitsbedingungen

§ 6 Das Wirksamwerden der Allgemeinen Arbeitsbedingungen A. Wirksamwerden der bei Vertragsschluß bereits bestehenden Allgemeinen Arbeitsbedingungen Der Arbeitnehmer hat - wenigstens in aller Regel - bei Abschluß des Arbeitsvertrages den realen1 Willen auf Teilhabe an allen betrieblichen Leistungen, gleichgültig, auf welcher Rechtsgrundlage (kollektivvertragliche Regelung, betriebliche Übung, Gesamtzusage oder arbeitsvertragliche Einheitsregelung) sie beruhen. Bietet der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft an, so ist dieses Vertragsangebot nach allgemeinen Interpretationsgrundsätzen (§§ 133, 157 BGB) dahin auszulegen, daß er bereit ist, zu den in diesem Betrieb geltenden Allgemeinen Arbeitsbedingungen einen Schemaarbeitsvertrag abzuschließen. Bei vorbehaltloser Annahme dieses Angebots kommt der Arbeitsvertrag zu den im Zeitpunkt des Vertragsschlusses angewandten Allgemeinen Arbeitsbedingungen zustande2 • Unterbreitet der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Vertragsofferte, so erfolgt diese, sofern sich nicht aus ihrem Inhalt etwas anderes ergibt', ebenfalls zu den Allgemeinen 1 Realer Wille ist sowohl der ausdrückliche wie der stillschweigende Parteiwille. Davon zu unterscheiden ist der hypothetische Parteiwille: "Das, was die Parteien gewollt hätten, wenn sie etwas gewollt hätten ... Legt ihr's nicht aus, so legt was unter! ... Praktisch ist die Regel ,mangels realen Parteiwillens entscheidet der hypothetische' eine Generalklausel für objektive Interessenwertung" (Kegel, Internationales Privatre