Die Augen der Automaten. E. T. A. Hoffmanns Imaginationslehre als Prinzip seiner Erzählkunst 9783484180185

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Die Augen der Automaten. E. T. A. Hoffmanns Imaginationslehre als Prinzip seiner Erzählkunst
 9783484180185

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THOMAS J. BATA LIBRARY TRENT UNIVERSITY

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STUDIEN ZUR DEUTSCHEN LITERATUR

Herausgegeben von Richard Brinkmann, Friedrich Sengle und Klaus Ziegler

Band 24

PETER VON MATT

Die Augen der Automaten E. T. A. Hoffmanns Imaginationslehre als Prinzip seiner Erzahlkunst

Max Niemeyer Verlag Tubingen 1971

ISBN

3-484-18018-8

© Max Niemeyer Verlag Tubingen 1971 Alle Rechte vorbehalten. Printed in Germany Herstellung durch Bucherdruck Helms KG Tubingen Einband von Heinr. Koch Tubingen

INHALT

i. kapitel:

Der Karfunkel

I

Hoffmanns Theorie van der Genese des Kunstwerks. Die Differenz zwischen Actus und Opus. Die Imagination als Mythologem. ii. kapitel:

Die gemalte Geliebte

38

Der Weg zur Selbsterkenntnis als Handlungsdiagramm. Die Moglichkeit des Scheiterns. hi. kapitel:

Die Augen der Olimpia

76

Die lebendigen Puppen. Konzeption und Varianten des Teraphims. iv. kapitel:

Der metallisierte Brautigam

117

Aporie. Erstarrung. Utopie.

v.

kapitel:

161

Archimechanicus Die Augen des Lesers. Die Identitat von Meister Abraham und Johannes Kreisler im Schriftsteller E. T. A. Hoffmann.

Literaturverzeichnis

185

Werkregister

190

Personenregister

191

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I. KAPITEL

DER KARFUNKEL

Hoffmanns Theorie von der Genese des Kunstwerks. Die Differenz zwischen Actus und Opus. Die Imagination als Mythologem.

E. T. A. Hoffmann steht nicht im Ruf, ein grower Denker zu sein. So gern man seine vielen kiinstlerischen Begabungen aufzahlt und ihnen nicht ohne Bewunderung die juristischen Fiihigkeiten beifiigt, an das Pradikat eines Philosophen denkt man dabei kaum, und selbst seine anerkannte Bedeutung als Musikkritiker beruht mehr auf der erstaunlichen Sicherheit seines Urteils und auf der neuartigen Methode, das Musikerlebnis sprachlich nachzuvollziehen, als auf schulemachenden kunsttheoretischen Leistungen. Im Gegenteil: wo Hoffmann sich abstrakten Gedankengangen widmet - und er tut es immer wieder mit Behagen da macht er es auch seinen geneigtesten Freunden schwer. Eine fatale Unbekiimmertheit philosophisch ohnehin belasteten Begriffen gegeniiber verstrickt ihn oft gerade dort, wo es ihm um heiligste Dinge geht, in abenteuerliche Terminologien. AusdrUcke wie Ich, Selbst, BewuBtsein, Person, hoherer oder innerer Geist, Geisterreich, Jenseits, Ironie, Humor und nicht zuletzt Dualismus gleiten da ohne klare Begrenzung und gelegentlich in gewagter Syntax durcheinander, so dafi der Leser, der zu den vielen Ratseln dieses Autors aus dessen eigenem Munde einige Schliisselsatze vernehmen mochte, entweder verwirrt zu den novellistischen Werken zuriickkehrt, oder aber eine Aussage exzerpiert, die sich in der Folge als ungenau, wenn nicht geradezu widerspriichlich erweist. Die Tatsache, dafi es in der Hoffmann-Forschung so oft zu vollig divergierenden Meinungen kommen konnte, beruht denn auch in vielen Fallen darauf, dafi der Dichter voreilig beim Wort genommen und auf einer scheinbar eindeutigen These behaftet wurde, die seinen Leitvorstellungen im Grunde entgegenlief. Zwei Satze aus der gleichen Erzahlung — ,Die Automate' in den ,Serapionsbriidern‘ - mogen zeigen, wie leicht dies geschehen kann. Da heifit es einmal: „Kann denn die Musik, die in unserm Innern wohnt, eine andere sein als die, welche in der Natur wie ein tiefes, nur dem hohern Sinn erforschliches Geheimnis verborgen, und

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die durch das Organ der Instrumente nur wie im Zwange eines machtigen Zaubers, dessen wir Herr worden, ertont?" (II. 350). Das deutet unmittelbar auf eine naturphilosophische Konzeption der Musik im Sinne des von Hoffmann verehrten Novalis, wo sie der „Grofie Rhythmus“ der Schopfung ist, die „Bildnerin des Weltalls",1 ein Gedanke, der auch noch hinter Eichendorffs beriihmter Formel vom „Lied in alien Dingen“ steht. Durch die Musik wiirde demnach die verdeckte Einheit der Menschen mit der beseelten Natur offenbar oder mindestens fur Augenblicke erlebt. Nun heiftt es aber kaum drei Seiten weiter vorn von den Tonen, die der wahre Musiker hervorbringt, dafi sie „uns mit machtigem Zauber ergreifen, ja in uns die unbekannten unaussprechlichen Gefiihle erregen, welche mit nichts Irdischem hienieden verwandt, die Ahndungen eines fernen Geisterreichs und unsers hoheren Seins in demselben hervorrufen" (II. 347). „Mit nichts Irdischem hienieden verwandt" - da erweist sich also dieselbe Musik, welche im vorgangigen Zitat das Unterpfand einer gewissen Geborgenheit in der Welt zu sein schien, als etwas dieser Welt radikal Entgegengesetztes, ja als einziges Mittel zu ersehnter Befreiung von ihr. Hier wie dort ist Musik das Hochste, aber dieser Rang kommt ihr einmal im Rahmen einer friihromantisch-pantheistischen, das andere Mai im Rahmen einer fast manichaisch strukturierten Weltvorstellung zu. Wenn nun die beiden Satze als Ausgangspunkte dienten zu je einer Untersuchung iiber den Autor, miissten sich bei konsequentem Vorgehen zwei vollig gegensatzliche Resultate ergeben. Kommt also zu der bereits angefiihrten sprachlichen Weitmaschigkeit des Philosophen Hoffmann noch ein geradezu sprunghafter Eklektizismus? Der SchluB drangt sich auf, und doch halt uns die echte Leidenschaft, die auch hinter solchen Passagen stets spiirbar ist, von einem schroffen Entscheid ab. Eine heftig erfiihlte Wahrheit scheint hier wie dort vergeblich nach sprachlicher Form, nach dem erlosenden genauen Wort zu suchen. Das zwingt zu behutsamem Lesen. Wenn wir gewohnt sind, die Fragmente der Friihromantiker synoptisch zusammenzuhalten, die Richtung weiterzuverfolgen, die sie in raschem Zeigerschlag weisen, und, standig erganzend, ein System in Umrissen zur Erscheinung zu bringen, so miissen wir bei Hoffmann — vom philosophischen Rangunterschied einmal abgesehen - gleichsam abstrahierend lesen und hinter den oft tumultuarischen Sprachgebilden die bedrangenden Grunderfahrungen aufzuspiiren suchen. Diese namlich bilden das konstante Kraftfeld, das seine gesamte schriftstellerische Produktion bestimmt, sie mit versteck-

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Novalis. Werke, Briefe, Dokumente, hg. von Ewald Wasmuth, Heidelberg

1957; Bd. 2> s- 35if-

ten Energiestromen durchzieht und zu einem der erfolgreichsten Werkganzen der deutschen Literatur gemacht hat. Wenn nun also die Auffassung Hoffmanns iiber die Genese des Kunstwerks herausgearbeitet werden soli, die zum einigermaCen festen Kern seines asthetischen Rasonnements gehort und von der aus sich eine schliissige Reihe zentraler Fragestellungen eroffnet, dann fiihrt der Weg dazu nicht iiber eine Untersuchung isolierter theoretischer Dikta, sondern fiber ein ganzheitliches Erfassen erziihlerischer Einheiten. Als Gestaltenund Geschichtenbildner namlich ist dieser Autor stets genau und konsequent. Die Erzahlung ,Die Jesuiterkirche in G.‘ aus den ,Nachtstiicken‘ enthalt als Mittelteil eine der bei Hoffmann und seiner Zeit beliebten Kiinstlerviten. Der Maler Berthold beginnt als Landschafter und bringt es in Italien, unter Leitung eines deutschen Meisters, zu schonen Erfolgen. Er „erlangte grofie Fertigkeit, die verschiedenen Baum- und Gestraucharten der Natur getreu darzustellen; auch leistete er nicht Geringes in dem Dunstigen und Duftigen ..(I. 427). Zwar streifen ihn gelegentlich seltsame Zweifel iiber seine Kunst, aber der Beifall beschwichtigt sie wieder, bis er eines Tages einem Mann begegnet, der ihn unverbliimt als irregeleitetes Talent bezeichnet. Er male die Natur wie einer, der eine fremde, unverstandene Handschrift nachzeichne und iiber aufierliche und steife Ergebnisse nicht hinauskomme. Der „heilige Zweck aller Kunst" aber sei „Auffassung der Natur in der tiefsten Bedeutung des hohern Sinns, der alle Wesen zum hoheren Leben entziindet“, und der echte Kiinstler vernehme jene Stimme, die „in wunderbaren Lauten aus Baum, Gebiisch, Blume, Berg und Gewasser von unerforschlichem Geheimnis spricht" (1.429). Damit ist allerdings weder Berthold noch dem Leser sehr geholfen; die hohere Umgangssprache der Spatromantik scheint einmal mehr sich selbst zu geniigen. Erst die SchluBsatze des geheimnisvollen Malers werden etwas deutlicher: „Daher studiere die Natur zwar auch im Mechanischen fleissig und sorgfaltig, damit du die Praktik des Darstellens erlangen mogest, aber halte die Praktik nicht fiir die Kunst selbst. Bist du eingedrungen in den tiefen Sinn der Natur, so werden selbst in deinem Innern ihre Bilder in hoher glanzender Pracht aufgehen" (1.429). Aber auch von diesen Worten wissen wir noch nicht, ob sie mehr als gelaufige Formeln darstellen. Die Hoffnung, im weiteren Verlauf der Erzahlung Klarheit zu gewinnen, bewahrt sich indessen schon sehr bald. Berthold, im Innersten bewegt und von leuchtenden Traumen heimgesucht, die er nicht festhalten kann, zerfallt in seltsamer Weise mit der Natur, er halt sie nicht mehr aus, droht an ihr, auch wo sie am schonsten ist, zu ersticken. Nur wenn er

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von schwebenden Landschaften traumt, findet er wieder Ruhe. Diese Entwicklung aber entspricht nun durchaus nicht mehr den konventionellen Vorstellungen vom Werdegang eines Kiinstlers. Das zeigt sich am deutlichsten daran, dafi Bertholds Entfremdung von der Natur nicht etwa bloG eine voriibergehende Krise markiert, sondern Bestand hat. Sie erscheint sogar als wesentliche Bedingung fur den Zutritt zum wahren Kiinstlertum. Von jetzt ab sucht er den Vorwurf seines Arbeitens ganz und ausschliefilich im eigenen Innern: „Ich miihte mich, das, was nur wie dunkle Ahnung tief in meinem Innern lag, wie in jenem Traum hieroglyphisch darzustellen, aber die Ziige dieser Hieroglyphenschrift waren menschliche Figuren, die sich in wunderlicher Verschlingung um einen Lichtpunkt bewegten. - Dieser Lichtpunkt sollte die herrlichste Gestalt sein, die je eines Bildners Fantasie2 aufgegangen; aber vergebens strebte ich, wenn sie im Traume von Himmelsstrahlen umflossen mir erschien, ihre Ziige zu erfassen. Jeder Versuch, sie darzustellen, mifilang auf schmahliche Weise ..(I. 432). Berthold erkennt also seine Aufgabe unmifiverstandlich: er mufi versuchen, die Bildereien, die er in lebendigem Gewoge in sich sieht, nachund abzubilden; alles Auftere ist fur ihn als Kiinstler belanglos. Und von daher bekommt nun auch der letzte Satz jenes Mahners seinen sehr bestimmten Sinn: das Zeichnen und Malen nach der Natur ist nur deshalb wichtig, weil unversehens naturahnliche Bilder im Kiinstler auftauchen konnen, die er festzuhalten fahig sein mufi. Uber die weiteren Erfahrungen des Malers Berthold bleibt zu sagen, dafi ihm eine sekundenschnelle Begegnung mit einer Frau endlich jene Klarheit gibt, die er braucht, um seine Visionen in giiltige Kunstwerke zu iibersetzen. Er glaubt dabei, jenes Wesen ebenfalls getraumt zu haben, und als man ihm sagt, die Gestalt, die er immer und immer wieder male, sei eine Neapolitanerin, ist er „hoch erziirnt iiber das alberne Gewasch der Leute, die das Himmlische in das Gemeinirdische herabziehen“ wollen (I. 433). Man konnte nun versucht sein, diesen exemplarischen Werdeprozefi als etwas verspatete Kritik Hoffmanns an den Grundsatzen einer aufklarerischen Asthetik zu sehen, als ein Bekenntnis, dafi Kunst nicht in der geschickten Abbildung gefalliger Objekte bestehe. Die Deutung ware iiberzeugend, wenn Berthold, wie etwa der Griine Heinrich, vom mechanischen Kopieren zum beseelten Darstellen der Natur gefiihrt wiirHoffmann schreibt durchweg „Fantasie“, „fantastisch“; er macht also den Unterschied zwischen Phantasie = Vorstellungskraft und Fantasie = musikalische Improvisation nicht. Wir halten uns in Zitaten und Oberschriften an seine Schreibweise, wie auch die Zeichensetzung beibehalten bleibt. 2

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de, wenn er zu lernen hatte, wie man malt. Es heiftt aber, nachdem er sich als Kiinstler wirklich gefunden hat, schlicht und entschieden: „An Landschaften war nicht mehr zu denken.“ (1.433). Demnach ging es von Anfang an allein um die Frage, was gemalt werden sollte, und zwar nicht in der Meinung, daft zwischen Landschafts-, Historien- oder Kirchenmalerei zu wahlen gewesen ware (solche Oberlegungen werden im Gegenteil ausdriicklich als irrevelant bezeichnet), sondern im Sinne einer fundamentalen Entscheidung, ob ein Aufteres darzustellen sei oder ein Inneres. Daft dies fiir Hoffmann ein radikales Entweder-Oder bedeutet, muft mit grofttem Nachdruck betont werden. Denn hier beriihren wir sein Eigenstes. Die weitere Untersuchung wird dies noch deutlicher machen und zugleich die Konsequenzen ableuchten, die sich daraus ergeben. Wie folgerichtig der Dichter an seinem asthetischen Prinzip festhalt, zeigt bereits der weitere Verlauf der obigen Erzahlung. Den eigentlichen Lichtkern aller Gemalde, die Berthold zum Entziicken der Welt nun malt, bildet das Antlitz jener Einen, die er als seine erlosende Vision betrachtet und deren Bild er mit iiberwirklicher Deutlichkeit in der Seele tragt. Da begegnet er der Frau tatsachlich, der Schreck der Erkenntnis schlagt um in stiirmende Liebe; sie ziehen zusammen nach Deutschland zuriick, aber wie er wieder vor die Leinwand tritt und die Geliebte ihm nun lebendig als Modell vor Augen sitzt, ist seine kiinstlerische Begnadung dahin. „Angiola, sein Ideal, wurde, wenn sie ihm saft und er sie malen wollte, auf der Leinwand zum toten Wachsbilde, das ihn mit glasernen Augen anstierte“ (I. 436). Und auch jene Glanzgestalt in seinem Innern hat sich verwandelt; sie tritt „auf greuliche Weise verzerrt vor seines Geistes Auge“ (I. 435). Berthold wird in der Folge unter unklaren Umstanden zum Morder an Frau und Kind; zuletzt totet er sich selbst. Die spezifische Gesetzlichkeit der Kiinstlerliebe, die den Verlauf dieser Geschichte mitbestimmt, muft vorlaufig noch aufter Betracht bleiben. Wesentlich ist fiir uns, daft der Maler vollstandig paralysiert wird, sobald er etwas darstellen soli, das auften, in seines Daseins Fiille, vor ihm steht - selbst wenn es die einzige Geliebte ist. Hier drangt sich nun von selbst die Frage nach den andern Kiinsten auf. Wird in Hoffmanns Reflexionen fiber die Musik zum Beispiel eine verwandte Grundauffassung sichtbar, und darf auch sie als etwas unverwechselbar Eigenes bezeichnet werden? Um dies zu beantworten, miissen wir von Johannes Kreisler sprechen. Wir meinen damit eine vom Erzahler Hoffmann erfundene Gestalt; als solche ist sie nicht voreilig mit dem Schopfer zu identifizieren. Die Forschung hat hier allzu oft ungenau gearbeitet. Kreisler mag in Hoff-

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mann enthalten sein, Hoffmann ist es nicht in Kreisler: der Unterschied mufi festgehalten bleiben.3 - Dieser Kapellmeister nun hat einige auffallige Eigenschaften. So komponiert er nachts in lodernder Begeisterung, weint vor Freude iiber die gelungene Arbeit und wirft sie am Morgen ins Feuer (I. 25/26). Das wird schon in der Einleitung zu den ,Kreisleriana' iiber ihn berichtet. Spater, als dennoch von Kompositionen des Kapellmeisters die Rede ist (im ,Kater Murr‘), kommt Hoffmann auf jene Stelle zuriick und meint, die Unfahigkeit, das Werk festzuhalten, sei Ausdruck einer besonders „verhangnisvollen Zeit“ gewesen (III. 537). Gerade die Tatsache aber, dafi der Dichter nach mehr als sieben Jahren jenen rasch erwahnten Charakterzug wieder aufgreift, ja den entsprechenden Absatz fast wortlich nochmals zitiert, weist auf dessen Bedeutung hin. Nun ist es zwar allgemein bekannt, dafi Kiinstler gelegentlich morderisch iiber ihre eigenen Werke herfallen, aber zwischen solchen Attacken und der fundamentalen Haltung, die vom Kreisler der ,Fantasiestiicke' berichtet wird, besteht ein wesentlicher Unterschied. Wenn ein anderer an einzelnen Produkten zweifelt, vielleicht sogar an denen einer ganzen Epoche - Kreisler zweifelt am Kunstobjekt schlechthin. Deshalb schreibt er die meisten seiner Kompositionen, allem Drangen der Freunde zum Trotz, nicht einmal auf (I. 26; III. 537). Hoffmann betont zwar sehr, daC solches Verhalten extrem sei und aus zerstortem Gleichgewicht stamme (I. 25), aber wir miissen es dennoch als die radikale Erscheinungsform einer Wahrheit nehmen. Diese Wahrheit, die fiir das Verstandnis Hoffmanns unabdingbar ist, besteht in der Uberzeugung, dafi das Kunstwerk im Innern des Kiinstlers vollendet und vollkommen da ist, unabhangig von der Ausfiihrung, als ein Ganzes und Fertiges, und dafi der ProzeB der Transformation ins aussere Dauernde selten ohne Verlust abgeht. Hoffmann hat diese Einsicht nie als allgemeine These aufgestellt und begriindet; sie steht fiir ihn von Anfang an fest, ist Teil eines Grundwissens, das keine Pramissen und Folgerungen notig hat. In dieser Weise zeichnet sie sich denn auch immer wieder ab, wenn in Gesprachen oder Erzahlungen die Kunst thematisch wird. So argert sich der Dichter in den ,Hochst zerstreuten Gedanken' der ,Kreisleriana‘ heftig iiber eine Anekdote, die besagt, dafi Mozart die Ouvertiire zu ,Don Giovanni' am Auffiihrungsmorgen in wenigen Stunden komponiert habe: „Glaubt ihr denn nicht, dafi die Ouvertiire aller Ouvertiiren, in der alle Motive der Oper schon so herrlich und lebendig angedeutet sind, nicht ebensogut

3 Vgl. dazu neuerdings Wulf Segebrecht, Autobiographic und Dichtung, 1967. S. 15 u. a.

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fertig war als das ganze Werk, ehe der grofie Mcister die Feder zum Aufschreiben ansetzte? - 1st jene Anekdote wahr, so hat Mozart wahrscheinlich seine Freunde, die immer von der Komposition der Ouvertiire gesprochen hatten, mit dem Verschieben des Aufschreibens geneckt, da ihre Besorgnis, er mochte die giinstige Stunde zu dem nunmehr mechanisch gewordenen Geschaft, niimlich das in dem Augenblick der Weihe empfangene und im Innern aufgefaftte Werk aufzuschreiben, nicht mehr finden, ihm lacherlich erscheinen mufite" (I. 51). Man braucht wohl kaum zu betonen, daft es hier nicht um die Psychologie Mozarts geht, um das Phanomen seines musikalischen Gedachtnisses oder etwas Ahnliches, sondern um den prinzipiellen Unterschied zwischen „Komponieren“ und „Aufschreiben“, der von Hoffmann als ein Geheimnis dargestellt wird, von dem die „Freunde“ — die Laien also - keine Ahnung haben. Sie sehen den Komponisten an der Arbeit, Zeichen und Zeichen setzend in groftter Sammlung, und glauben, der Genese des Kunstwerks beizuwohnen. Der Kiinstler aber weift, daft dieses nach ganz anderen Gesetzen bereits entstanden ist, „empfangen“ und „im Innern aufgefaftt", daft es seinem eigentlichen Wesen nach fertig ist. Das „mechanische Ge¬ schaft", diesen „Prototypus“ (I. 325) im Bereich des sinnlich Greifbaren nachzubilden, kann deshalb bei hinreichender technischer Schulung in groftter Geschwindigkeit vollzogen werden.4 Nun wissen wir allerdings schon von der erwahnten Eigenheit Kapell¬ meister Kreislers her, daft dieses „mechanische Geschaft" in den Augen Hoffmanns nicht immer so problemlos ist, wie es hier im Kommentar zur Mozart-Anekdote erscheint. Die ,Ahnungen aus dem Reiche der Tone', welche in spaterer Fassung zu Johannes Kreislers Lehrbrief' wurden, enden sogar in bewuftter Pointierung mit einer Klage iiber die Divergenz zwischen Ur- und Abbild:

. wenn ich daran denke, das

alles innen Gehorte und Empfundene in Zeichen aufzuschreiben, ist es mir, als wiirde ich ein zartes Geheimnis entweihen. - Sollte denn das wahre Leben des Musikers in der Musik nur intensiv sein, und Alles, was er der Welt gibt, nur der schwache Reflex seiner innern Erscheinungen bleiben?" (V. 613). Was Hoffmann mit diesen Satzen theoretisch ausspricht, etwas unscharf wie so oft, das bringt er als Erzahler in der Geschichte des Barons von B. am Ende des dritten Serapion-Bandes zu genau geformter Gestalt (II. 743ff.). Dieser Baron, ein alter Herr, steht auf der Grenze zwischen 4 Vgl. dazu auch Hoffmanns Brief an Hippel vom 28. Febr. 1804: „... gestern habe ich eine komische Oper gemacht und heute Morgen - es war noch finster - ungefahr 5 Uhr — die Musik dazu -Aufgeschrieben ist noch nichts, das wird auch wohl noch etwas langer dauern.

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Skurrilitat und Verrucktheit. Er gilt als grower Musikkenner, besitzt eine der kostbarsten Sammlungen von Instrumenten und Kompositionen und fordert die ausiibenden Musiker in generoser, wenn auch etwas seltsamer Weise. Die fiihrenden Virtuosen Berlins sind namlich seine Schiiler; dafiir bezahlt er sie reichlich, wobei das Honorar mit ihrer Meisterschaft wachst. In dem jungen Violinisten, den Hoffmann als Erzahler vorschiebt, erregt er „wahre Ehrfurcht" und zugleich „inneres wohltuendes Hinneigen". Denn bei aller Freundlichkeit blitzt aus seinen Augen „jenes dunkle Feuer [...], das so oft den von der Kunst wahrhaft durchdrungenen Kiinstler verrat“ (II. 745). Sein Gesprach zeugt denn auch von auBerordentlichen Einsichten; selbst im rein Technischen des Geigenspiels gibt er Hinweise zu hochster Verfeinerung. Wie er aber einmal selber den Bogen nimmt, um dem „Sohnchen“ zu zeigen, wie ein einzelner Ton voll und rein und lang auszuhalten sei, fafit den Schuler Verbluffung und Entsetzen: „Dicht am Stege rutschte er mit dem zitternden Bogen hinauf, schnarrend, pfeifend, quakend, miauend - [...]. Und dabei schaute er himmelwarts, wie in seliger Verziickung, und als er endlich aufhorte, mit dem Bogen auf den Saiten hin und her zu fahren und das Instrument aus der Hand legte, glanzten ihm die Augen und er sprach tief bewegt: ,Das ist Ton - das ist Ton!‘“ (II. 751). In ebenso gnadenloser Weise spielt er die schwierigsten Solopartien Tartinis und riihmt sich, als dessen letzter Schuler auch der einzige zu sein, der dazu noch die Fahigkeiten habe. Kaum aber hat er die Geige weggelegt, reifit sein Gesprach den halb beklommenen, halb amiisierten Zuhorer wieder zu ehrfiirchtiger Bewunderung hin. Die Geschichte ist als leicht komischer anekdotischer Bericht konzipiert, deshalb wird das Phanomen, dem sie gilt, weiter nicht gedeutet.5 Wir finden kaum mehr als einige nebenhingesagte Bemerkungen, die auf den Nerv des Ganzen hinweisen. So etwa, wenn der Baron feststellt, es gebe nur noch zwei Schuler Tartinis: „Der eine ist Nardini, jetzt ein siebzigjahriger Greis, nur noch innerer Musik machtig, der andere [...] bin ich selbst" (II. 747). Da merkt der Leser, daB der Baron mit dem Begriff der „inneren Musik" ungewollt sich selbst kennzeichnet, ja daB Hoff¬ mann hier die Grundidee des Ganzen aussprechen laftt. Und noch einmal ist dies der Fall, gegen Schlufi hin, wo der Konzertmeister den Alten einen „mit dem innern Sinn die Kunst beherrschenden Mann" nennt (II. 752). Es geht also um das Phanomen eines Menschen, der nur „inneHoffmann hat ein feines Sensorium fur solche formalpoetische Belange: er liebt es zwar, in Erzahlungen theoretisch zu werden und etwas abzuhandeln, was ihm am Herzen liegt, aber der Raum dazu mufi sich aus der Architektur des betreffenden Stiicks ergeben.

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rer Musik machtig" ist. Wir diirfen annehmen, dafi in ihm die Sonate Tartinis tatsachlich in einer Reinheit ertont, wie sie sonst keinem gelingt; dafi das „dunkle Feuer“ der Augen nicht tauscht und er wirklich ein grofier Kiinstler ist. Weil er die graBlichen MiBtone, die unter seinen Handen entstehen, nicht als solche aufnimmt, mufi man ihn als verriickt bezeichnen, aber diese Art von Ohrentauschung ist nur moglich, weil er so tief und sehnsiichtig ins Innere gewendet ist, dafi jene Tone die auftern iiberdecken.6 Illusionen solcher Art bleiben dem komponierenden Kreisler der ,Fantasiestiicke‘ versagt; im Gegenteil, sein verzweifelter Scharfblick vergrofiert die Divergenz zwischen innerem und auBerem Werk ins Unertragliche und laBt ihn seine Arbeiten ins Feuer werfen. DaB aber fiir Mozart in der Anekdote das Vollkommene so frei und leicht nach aufien gleitet, erscheint vor diesem Hintergrund als rares Wunder. Hier zeichnet sich in Grundziigen bereits eine Typologie der Kiinstler ab, doch ist es fiir ein definierendes Unterscheiden noch zu friih. Wir miissen zunachst darauf achten, die vordringlichsten Resultate, so einfach sie sein mogen, vollig klar zu machen. Das Gemeinsame zwischen den Auffassungen iiber die Malerei, wie sie sich in der Geschichte des Malers Berthold spiegeln, und den nun eben dargelegten iiber die Musik besteht also darin, daB sich der Kiinstler jedesmal ganz und ausschlieBlich in sein Inneres wenden muB, wenn er ein Kunstwerk schaffen will; dort findet er dessen vollkommene Praformation, die er mit alien Mitteln technischer Fertigkeit im Bereich des Stofflichen nachzubilden hat. Dieses Prinzip gilt nicht minder entschieden fiir den ausiibenden Kiinst¬ ler, den musikalischen „Virtuosen“, der sich das zu spielende Stiick immer erst in diesem Sinne anverwandeln muB. Dabei bleibt die Ausfiihrung letztlich iiberall sekundar; es kann ohne sie zwar kein dauerndes oder auch nur irgendwie mitteilbares Kunstwerk geben, wohl aber den Kiinstler, — sei er in den Augen der Welt noch so verriickt. Durchaus eindriicklich ist es nun zu verfolgen, wie Hoffmann diese Grundsatze selbst auf die Kunst der Schauspieler anwendet. Am eindeutigsten geschieht es in einer ebenso klugen wie liebenswiirdigen Schrift aus dem Jahre 1818, dem umfangreichen Dialog ,Seltsame Lei¬ den eines Theaterdirektorsb Wahrend der Erdrterung verschiedenster, bald harmloser, bald sehr gewichtiger Dinge aus dem Bereich der Biih8 Hier liegt die direkte Anregung zu Grillparzers „Armem Spielmann" vor. Grillparzer hat Hoffmann schon friih geschatzt und war iiberzeugt, mit seiner Wertung im Gegensatz zur allgemeinen Auffassung zu stehen. Zum „Armen Spielmann“ vgl. Peter von Matt, Der Grundriss von Grillparzers Biihnenkunst Zurich 1965. S. I47ff.

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nenkunst und des Theaterbetriebes wird die Frage nach dem Wesen des „wahren Schauspielers“

aufgeworfen (1.640). Was dem Mimen vor

allem andern aufgegeben sei, was die Essenz' seiner Kunst bilde, urnreiftt er so: „Dem wahren darstellenden Kunstler mufi die besondere geistige Kraft inwohnen, sich die von dem Dichter gegebene Person, beseelt und lebendig gefarbt, das heifit, mit alien innern Motiven, die die auGere Erscheinung in Sprache, Gang, Gebarde bedingen, vorzustellen. Im Traum schaffen wir fremde Personen, die sich gleich Doppeltgangern mit der treusten Wahrheit, mit dem Auffassen selbst der unbedeutendsten Ziige darstellen. Ober diese geistige Operation, die der uns selbst dunkle geheimnisvolle Zustand des Traumens uns moglich macht, muG der Schauspieler mit vollem BewuGtsein, nach Willkiir gebieten, mit einem Wort, bei dem Lesen des Gedichts die von dem Dich¬ ter intendierte Person in jener lebendigsten Wahrheit hervorrufen k5nnen.“ (I. 640E). Diese erstaunlich prazise Passage stellt den Schauspieler unverkennbar neben den Maler und den Musiker, wie wir sie vorgangig skizziert haben: auch seine Kunst beruht auf einer primaren „geistigen Operation", die als solche einen zu Ende gefiihrten kreativen Akt darstellt, die Erschaffung jenes innern „Prototypus“, von dem in Kreislers Lehrbrief die Rede ist und dem das lichte Modell des Malers Bethold, die imaginare Sonate des Barons von B. entsprechen. Es sei darauf hingewiesen, daft Hoffmann hier das innere Geschehen der Traumtatigkeit gleichsetzt. Und zwar meint er das keineswegs metaphorisch, in jenem verflieGenden Sinn, der dem Begriff Traum damals immer haufiger gegeben wurde, sondern er denkt an die genau bestimmten Krafte und Funktionen des sogenannten „Traumorgans“, das er bei G. H. Schubert kennenlernte.7 Dort fand er auch seinen Lieblingsausdruck dafiir, den Begriff des „versteckten Poeten“, der ihm in seiner kuriosen Anschaulichkeit um vieles wichtiger wurde als alle physiologisch-naturphilosophischen Definierungsversuche jenes Autors.8 Wir haben das Produkt dieses „versteckten Poeten" die Praformation des Kunstwerks genannt, auf welche als zweite, andersgeartete Tatig7 Vgl. dazu auch Schopenhauers ,Versuch iiber das Geistersehen‘, wo das „Traumorgan“ und seine Moglichkeiten ausfiihrlich abgehandelt werden. In ,Parerga und Paralipomena', hg. von Julius Frauenstadt, Leipzig 1888. 8 Hoffmann hat Schubert durchaus nicht so wahllos gepliindert, wie gelegentlich gesagt wird. Er hat ihn leidenschaftlich gelesen, aber nur ein sehr schmales Segment seiner Grundgedanken aufgenommen. Eine der zentralsten Ideen Schu¬ berts ist die jenseitig-zukiinftige Existenzform des Menschen, deren Keimen im gegenwartigen Dasein er unermiidlich nachspiirt, glaubig-begeistert in den ,Nachtseiten der Naturwissenschaften‘, um vieles pessimistischer in der ,Symbolik des Traumes*. Eben diese Vorstellung aber, von Schubert uniibersehbar her-

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keit das „mechanische Geschaft" (I.

ji)

folgen rniisse. In Hinsicht auf

den Schauspieler iiuftert sich Hoffmann zu dem letzteren ebenfalls, leider mit eher nachlassender Pragnanz. Er sagt: „Mit dieser geistigen Kraft ist es aber noch nicht getan. Ihr muE noch die vom Himmel so selten verliehene Gabe hinzutreten, vermoge welcher der Kiinstler fiber seine auftere Erscheinung so vollkommen herrscht, daft jede, auch die kleinste Bewegung von dem innern Widen bedingt wird. Sprache, Gang, Haltung, Gebarde gehoren nicht mehr dem individueden Schauspieler, sondern der Person an, die, die Schopfung des Dichters, wahr und lebendig in ihm aufgegangen ..(I. 641). Das heiftt, daft der Schauspieler nun, da die „fantastische Gestalt“ (I. 651) lebendig in ihm da ist, sich hochst konzentriert auf seine „auftere Erscheinung" richten muE, daft er seinen Korper in „Sprache, Gang, Haltung, Gebarde" mit der Prazision des Marionettenspielers zu lenken hat.9 Seine physische Existenz wird ihm dabei in durchaus analoger Weise Objekt, wie das Instrument dem Musiker. Wir sehen, von welcher Kunstgattung Hoffmann auch spricht, stets wird eine Zweiteilung des Entstehungsprozesses sichtbar, eine Art von Doppelphasigkeit, die auf vollig verschiedenen Ebenen spied. Bevor wir aber auf die Weiterungen einer solchen Haltung eingehen, miissen wir von etwas reden, das bis jetzt bewuftt ausgespart blieb, von Hoff¬ manns Begriff des literarischen Kunstwerks. Es wird immer wieder gesagt, Hoffmann sei eher nebenhin zum Schreiben gekommen, hochstes und innigstes Ziel sei ihm stets die Musik und nur die Musik gewesen, ja er habe sich aus blofter Verzweiflung dariiber, daft er als Komponist den eigenen Anforderungen nicht geniigt habe, in eine hektische literarische Tatigkeit gestiirzt. Diese deutlich melodramatische These ist in fast alien Punkten anfechtbar; sie stiitzt sich zwar auf biographische Tatsachen, aber auf willkurlich und einseitig ausge-

ausmodelliert, ist bei Hoffmann schlechthin nicht vorhanden. Fur diesen ganzen Komplex steht bei ihm nur eines: die Imagination. Vgl. dazu auch die Stelle in der Rezension der Lieder von Riem: „Der innere Poet (so nennt Schubert in der ,Symbolik des Traumes' die wunderbare Traumgabe: aber ist nicht jedes Empfangen eines Kunstwerks wie ein herrlicher Traum, von dem innern Geist bewufttlos geschaffen?) spricht auf seine eigne, wunder¬ bare Weise das wirklich aus, was sonst unaussprechlich geschienen ..(V. 238). 9 Der Vergleich mit den Marionetten wird von Hoffmann wenig spater, S. 653, ausdriicklich gezogen, und das ganze Werk endet mit der Pointe, daft einer der beiden Schauspieldirektoren eine Marionettenbiihne besitzt, die es ihm erlaubt, die zauberhaftesten Stiicke Gozzis zur Auffiihrung zu bringen, was seinem Kollegen versagt bleibt. Er verhalt sich zu seiner Puppenmannschaft ahnlich wie der Schauspieler zu seinem Korper.

wahlte. Die angebliche Resignation des Komponisten zugunsten des Schriftstellers wird allein schon dadurch widerlegt, daC Hoffmanns musikalisches

Hauptwerk,

die

Oper

,Undine',

gleichzeitig

mit

den

,Fantasiestiicken‘ und den ,Elixieren des Teufels' entstanden ist und dafi er nach dem bedeutenden Erfolg des Werkes10 eine neue Oper plante, nach Calderons ,El galan Fantasma'.11 Von einem pathetischen Verzicht kann demnach keine Rede sein. Und wenn wir andererseits ,Ritter Gluck', ein Werk des 33jahrigen, als den Auftakt zu Hoffmanns dichterischem Schaffen betrachten,12 diirfen wir nicht vergessen, dafi vorher u. a. bereits ein dreibandiger Roman (Cornaro. Memoiren des Grafen Julius von S., 1795), zwei Romanfragmente und ein Lustspiel (Der Preis, 1803 an Kotzebue eingereicht) entstanden sind, die heute als verloren gelten miissen. Von der tatsachlichen Einstellung des jungen Hoff¬ mann zu den verschiedensten Kiinsten geben die Briefe und Tagebiicher recht klare Nachricht. Gesamthaft geht aus ihnen hervor, dafi Hoff¬ manns Drang zur Kunst und zu eigener kiinstlerischer Betatigung von Anfang an leidenschaftlichste Ziige trug, dab aber weder Musik noch Schriftstellerei noch Malerei dauernd den Vorrang hatte. So heifit es in einem Brief des i9jahrigen an Hippel: „Arm und hiilflos werde ich nie seyn - immer findet sich doch wohl eine Wand, die ich bepinseln, und Papier, das ich beschreiben kann".13 Hier ist von Musik nicht einmal die Rede, wahrend er wenig spater schreibt: „Ich miifite verzweifeln ohne mein Pianoforte - dies schafft mir mitten in dem Sturm von tausend qualenden Gefiihlen, noch Trost."14 Schon der unmittelbar nachste Brief aber preist in ahnlichen Tonen wieder die „gliicklichen Stunden der Autorschaft",15 und kurz darauf erfahrt der Freund: „Du glaubst iiberhaupt nicht, wie mich jetzt die Furie der Composition in Musik - Ro-

10 Der Erfolg der ,Undine’ wurde dadurch beeintrachtigt, dais das Opernhaus nach der 23. Auffiihrung „mit samtlichen Dekorationen, Kleidern, Noten pp“ abbrannte. Vgl. Hoffmanns Brief an Kunz vom 8. Marz 1818. 11 „Kunftiges Jahr erscheint [...] ein halb Dutzend Erzahlungen beinahe in Taschenbiichern, und noch manches andere. Seit dem 1 Januar bin ich fleifiig gewesen. Auch komponiere ich kiinftigen Sommer eine Oper, deren Text Contessa nach Calderons ,E1 galan Fantasma' gar herrlich bearbeitet hat." (An Kunz, 8. Marz 1818). 12 .Ritter Gluck' wurde im Januar 1809 abgeschlossen, mehr als drei Jahre vor jenem katastrophalen Ende der Beziehungen zu Julia Marc, welches oft ebenfalls als entscheidender AnstoB zur literarischen Produktion Hoffmanns bezeichnet wird. 13 An Hippel, 29. Febr. 1795. 14 An Hippel, 22. Sept. 1795. 15 An Hippel, 25. Okt. 1795.

12

manschreiberey pp anpackt".16 Gelegentlich riickt die Musik allein in den Mittelpunkt: „Wenn ich von mir selbst abhinge, wiird’ ich Componist und hatte die Hoffnung, in meinem Fache groft zu werden",17 dann wieder werden die drei Kiinste parallel gesetzt: „Meine Musik - mein Mahlen - meine Autorschaft - alles ist zum Teufel gegangen .. ,“18 In dem Brief, den er am Vorabend seines 20. Geburtstages - 13 Jahre vor dem ,Ritter Gluck'! - schreibt, erscheint die Musik erneut an den Rand verschoben: „Die Wochentage bin ich Jurist und hochstens noch etwas Musiker, Sonntags am Tage wird gezeichnet und Abends bin ich ein sehr witziger Autor bis in die spate Nacht -“19 Diese Zeugnisse stammen alle aus dem Zeitraum vom Februar 1795 bis zum Januar 1796. Aber noch acht Jahre spater, in der verzweifelten Zeit der Verbannung nach Plock, ist durchaus keine dauernde Flierarchie der einzelnen Kiinste festzustellen, nicht einmal eine dominierende Tendenz. So kann ihm die Malerei fur einen jahen Moment sogar als die damonischste Gattung erscheinen: „Die Mahlerey habe ich ganz bey Seite geworfen, weil mich die Leidenschaft dafiir, hinge ich ihr nur im mindestens nach, wie ein griechisches Feuer unausloschlich von innen heraus verzehren konnte - [...] Die Musik mit ihren gewaltigen Explosionen ist mehr ein Theater-Donnerwetter - ein feuerspeiender Berg von Gabrieli (jene Kunst ein Vesuv in natura) - man kann sich mit ihr ohne Gefahr vertrauter machen, darum habe ich sie zu meiner Gefahrtin und Trosterin erkieset auf diesem dornigen, steinigen Pfad!“20 Und die vielleicht eindeutigste Deskription von Floffmanns Verhalten zu den verschiedenen Kiinsten, die alle bisherigen Zitate zusammenfafk, findet sich gleichfalls in einem Brief aus Plock:

eine bunte Welt

voll magischer Erscheinungen flimmert und flackert um mich her - es ist als miisse sich bald was grofies ereignen - irgend ein KunstProdukt miisse aus dem Chaos hervorgehen! - ob das nun ein Buch - eine Oper ein Gemahlde seyn wird - quod diis placebit-meinstDu nicht, ich miisse noch einmahl den GrofiKanzler fragen, ob ich zum Mahler oder zum Musikus organisiert bin? —“21 Dies darf nicht einfach als Ausdruck einer vielseitigen Begabung und ihres naturgemaEen Schwankens zwischen den greifbaren Moglichkeiten verstanden werden, wie es etwa bei Gottfried Keller der Fall war. Denn 16 17 18 19 20 21

An An An An An An

Hippel, Hippel, Hippel, Hippel, Hippel, Hippel,

.

26 Okt. 1795.

25. 10. 23. 10. 28.

Nov. 1795. Jan. 1796. Jan. 1796. Dez. 1803. Febr. 1804.

13

dann miiBte sich doch die Reflexion sehr bald und ernstlich um die Frage drehen, in welcher Kunstgattung das Beste geleistet werden konne, wo mit okonomischer Sorglichkeit die Krafte gesammelt einzusetzen seien. Gerade das aber erwagt Hoffmann kaum; er amiisiert sich sogar iiber die Notwendigkeit einer Wahl, iiberlaBt sie den Gottern, dem Zufall. Das magische Chaos, das er beschreibt, hat fur ihn Eigenwert - unabhangig vom schlieBlichen Werk -, es reiBt ihn in Exaltationen, es bildet das Unterpfand seiner Identitat als Kiinstler, das empirische Faktum, an welchem sich sein Selbstverstandnis miBt und klart. Dafi daraus „irgend ein KunstProdukt" entspringen wird, daran zweifelt er nicht, aber die Spezies — „Ein Buch - eine Oper - ein Gemahlde" — bleibt unbestimmt; alle drei Moglichkeiten liegen gleich nah;22 Zufalliges wird den Ausschlag geben. Dieses kurze Abweichen ins Biographische sollte die einzige Tatsache klarmachen, daB Hoffmann sich von Anfang an ebensosehr als Schriftsteller wie als Musiker oder Maler sah.23 Sein Begriff des poetischen Schaffens schlieBt sich denn auch seinen Theorien iiber die andern Kiinste fugenlos an. Im Zentrum steht dabei zweifellos das „Serapiontische Prinzip", das er eingangs seiner groBen Novellensammlung formuliert und auf das er immer wieder in fast gleichbleibenden Wendungen zu re¬ den kommt. Die Forschung hat dieses Prinzip zwar nie auBer acht gelassen, ihm aber doch bedeutend weniger Gewicht beigemessen, als sein Begriinder es tat, - zu Unrecht, jedoch aus verstandlichen Ursachen. Es nimmt sich namlich beim ersten Anblick eher harmlos aus, gar nicht wie ein folgenreicher asthetischer Lehrsatz. Auf dem Hintergrund unserer bisherigen Darlegungen hingegen diirfte es an Relevanz um einiges gewinnen. Denn Hoffmann fordert darin vom Dichter genau das, was wir die Praformation des Kunstwerks im Innern des Kiinstlers genannt haben, und selbst die zeitliche Aufteilung des Gesamtprozesses wird deutlich sichtbar: „Jeder priife wohl, ob er auch wirklich das geschaut, was er zu verkiinden unternommen, ehe er es wagt laut damit zu wer¬ den. Wenigstens strebe jeder recht ernstlich darnach, das Bild, das ihm

22 Vgl. dazu auch den Aufsatz von Robert Miilher, Die Einheit der Kiinste und das Orphische bei E. T. A. Hoffmann (in: Stoffe, Formen, Strukturen Studien zur dt. Literatur. Festschrift H. H. Borcherdt, Miinchen 1962), der sich von unseren Ausfuhrungen u. a. in der Deutung von Hoffmanns NaturKonzeption unterscheidet. 23 Das unterscheidet ihn wesentlich von Kapellmeister Kreisler. Nur weil man ihn mit dieser Gestalt in methodisch fragwiirdiger Weise gleichgesetzt hat, ist die Vorstellung vom geborenen Musiker entstanden, der sich in bereits gereiften Jahren auch literarisch betatigte.

14

im Innern aufgegangen recht zu erfassen mit alien seinen Gestalten, Farben, Lichtern und Schatten, und dann, wenn er sich recht entziindet davon fiihlt, die Darstellung ins aufiere Leben (zu) tragen“ (II. 55). Wie angedeutet, hat Hoffmann um dieses Theorem einen besonderen Aufwand getrieben. Der ganze, einem Vorspiel ahnliche Anfangsteil der ,Serapionsbriider‘ (bis zur Novelle ,Die Fermate') ist daraufhin ausgerichtet und gipfelt in der Proklamation des eben zitierten Abschnitts. In dieses Vorspiel verflochten sind so bedeutende Stiicke wie der Bericht iiber den wahnsinnigen Dichter Serapion und die Geschichte vom Rat Krespel. Beide stehen in Beziehung zum Prinzip; als dessen eigentliche Exemplifizierung aber muS die erstere Erzahlung gelten. Ihre Hauptfigur ist Graf P., ein ehemaliger Diplomat, der in einem Wald bei Bam¬ berg anachoretisch haust und iiberzeugt ist, daft er „der Einsiedler Sera¬ pion sei, der unter dem Kaiser Dezius in die Thebaische Wiiste floh und in Alexandrien den Martyrertod litt.“ (II. 20). Obwohl es sich also, typologisch gesehen, um eine Wahnsinns-Novelle handelt, wie sie in der romantischen Literatur ofters zu finden ist,24 verfehlt man das Wesentliche, wenn man den Sinn des Stiicks in der Faszinationskraft des pathologischen Phanomens sucht. Hoffmann bemiiht sich deutlich und wiederholt, den Eindruck des Krankhaften zu entscharfen, ihn als Ergebnis eines irrigen Mafistabs im Beobachter (und damit auch im Leser) darzustellen. Serapion soli nicht als der Fall eines Wahnsinnigen, sondern als der eines Dichters gesehen werden. Vom Vorleben des Eremiten heiBt es: „Mit seinen Kenntnissen verband er ein ausgezeichnetes Dichtertalent, alles was er schrieb, war von einer feurigen Fantasie, von einem besondern Geiste, der in die tiefste Tiefe schaute, beseelt“ (II. 19). Dieser Dichter und Weltmann, ein Liebling der Gesellschaft, taucht plotzlich aus dem Kreis der Menschen weg: „Von Stufe zu Stufe gestiegen hatte man ihn eben zu einem wichtigen Gesandtschaftsposten bestimmt, als er auf unbegreifliche Weise aus M- verschwand. Alle Nachforschungen blieben vergebens ...“ (II. 19).25 Ginge es um das Phanomen des Wahn-

24 Der Obergang von den aufklarerischen Schriften iiber Wahnsinnige zu dem neuen, lange fruchtbaren Typus diirfte Werthers Bericht iiber den Wahnsinnigen im zweiten Buch (30. November) bilden. Der Vergleich mit der Serapion-Geschichte lafit einen direkten Einflufi dieser Szene auf Hoffmann annehmen. Vgl. Goethes Werke, Hamburger Ausgabe. Bd. VI. 1958 (3). S. 88f. - Lothar Kohn weist im Zusammenhang mit Serapion auch auf die Tradition der Einsiedler-Idylle hin. Vgl. Vieldeutige Welt. Studien zur Struktur der Erzahlungen E. T. A. Hoffmanns und zur Entwicklung seines Werkes. Tiibingen 1966, S. i24ff. 25 Hier liegt eine auffallige Parallele zu Kreisler vor, von dem es heifit: „Auf einmal war er, man wufite nicht wie und warum, verschwunden. Viele behaup-

I5

sinns, dann miifite den Ursachen und dem Ausbruch der Phrenesie eine ganz besondere Beachtung geschenkt werden, wie es etwa in Arnims ,Tollem Invalided geschieht; gerade das aber span Hoffmann demonstrativ aus. Wir erfahren nur vom Verschwinden des Grafen und daB er „nach einiger Zeit“ im „tiefen Tirolergebiirge“ wieder erscheint, wo er sich „in den wildesten Wald“ zuriickzieht. Wahnsinnig im landlaufigen Sinn, namlich tobsiichtig und rasend, wird er erst, als man ihn gewaltsam in medizinische Pflege nimmt; ein verstandiger Arzt laCt ihm schlieftlich seinen Willen. Er lebt im Wald und erhalt taglich Besuche von Mannern wie Ariost und Dante, von Kirchenlehrern und Heiligen. Wenn er dem Erzahler von solchen Besuchen und Erlebnissen berichtet, formt er unwillkiirlich Novellen, „angelegt, durchgefiihrt, wie sie nur der geistreichste, mit der feurigsten Fantasie begabte Dicbter anlegen, durchfiihren kann“ (II. 26). Und Hoffmann betont die Vollkommenheit dieser Novellen: „Alle Gestalten traten mit einer plastischen Riindung, mit einem gliihenden Leben hervor, dafi man fortgerissen, bestrickt von magischer Gewalt wie im Traum daran glauben mufite, dal?

Serapion

alles

selbst

wirklich

von

seinem

Berge

erschaut“

(II. 26/27). Hier liegt der eigentliche Nucleus der ganzen Geschichte. Gerade wegen seiner Spielart von Wahnsinn wird Serapion zum Urbild des Dichters, zur Zielform dessen, wonach jeder erzahlende Kiinstler streben soil: alles in und aus seinem Innern zu bilden. „Du, o mein Einsiedler! statuiertest keine Auftenwelt" (II. 54), ruft einer der Freunde aus, in vollem BewuBtsein, damit eine unerreichbare Idealbedingung zu nennen. Denn fur Serapion ist die „fantastische Gestalt" (I. 651) des Kunstwerks, von der wir gesprochen haben, der „Prototyp“ im Innern oder die Praformation, das vollendete und abgeschlossene, aus Traumstoff modellierte Dasein, bereits „aufien“, ist von der Beschaffenheit greifbarer Realitat. Er sieht es vor sich, genau umrissen im Licht, mit all den tausend Nuancen und Schattierungen des Lebendigen. Und daran, an diese aufierste Moglichkeit generativer Phantasie, denkt Hoffmann, wenn er immer wieder verlangt, der Dichter miisse das, was er spreche, „wirklich geschaut“ haben. Sein Begriff des „Schauens“ enthalt somit eine indirekte Absage an alle Aufienwelt, - eine Absage, genau besehen, an Himmel und Erde, wie man sie radikaler kaum irgendwo trifft und auch an Hoffmann selber wohl noch nicht entschieden genug festgehalten hat. Wieviel ihm daran liegt, richtig verstanden zu werden, zeigt sich in der

teten, Spuren des Wahnsinns an ihm bemerkt zu haben. ... alle Nachforschungen, wo er geblieben (waren) vergebens" (I. 26).

Tatsache, daft er dem Leser gleichzeitig das Gegenbild zum serapiontischen Dichter vor Augen zu halten sucht, daft er sich bemiiht, ihm die richtigen Kriterien auch zur Beurteilung wertloser Dichtung beizubringen: „Woher kommt es derm, daft so manches Dichterwerk das keineswegs schlecht zu nennen, wenn von Form und Ausarbeitung die Rede, doch so ganz wirkungslos bleibt wie ein verbleichtes Bild, daft wir nicht davon hingerissen werden, daft die Pracht der Worte nur dazu dient den inneren Frost, der uns durchgleitet, zu vermehren. Woher kommt es anders, als daft der Dichter nicht das wirklich schaute wovon er spricht, daft die Tat, die Begebenheit vor seinen geistigen Augen sich darstellend mit aller Lust, mit allem Entsetzen, mit allem Jubel, mit alien Schauern, ihn nicht begeisterte, entziindete, so daft nur die inneren Flammen ausstromen durften in feurigen Worten: Vergebens ist das Miihen des Dichters uns dahin zu bringen, daft wir daran glauben sollen, woran er selbst nicht glaubt, nicht glauben kann, weil er es nicht erschaute. Was konnen die Gestalten eines solchen Dichters der jenem alten Wort zufolge nicht auch wahrhaftiger Seher ist, anderes sein als triigerische Puppen, miihsam zusammengeleimt aus fremdartigen Stoffen!

(II. 54). Das Bild, das hier zur Charakterisierung der miftratenen

Dichtkunst dient - die „triigerischen Puppen" -, ist fur Hoffmann nach mehrfacher Richtung von Bedeutung. In unserem Zusammenhang erinnert es unmittelbar an den Maler Berthold, der die Geliebte in concreto portratieren wollte, statt ihr Traumbild als einziges Modell zu nehmen, und dem sie deshalb „auf der Leinwand zum toten Wachsbilde (wurde), das ihn mit glasernen Augen anstierte" (vgl. oben S. 5). Wenn die Figuren des falschen Dichters „zusammengeleimt aus fremdartigen Stoffen" sind, dann heiftt dies, daft ihr Autor, wie jener Maler, nach auften geschaut, Elemente der objektiven Umwelt ausgewahlt und variierend nachgeformt hat. Diese objektive Umwelt aber ist, ob sie nun als Natur oder Gesellschaft oder personales Gegeniiber erscheine, nach Hoffmanns innerster Uberzeugung ein Bereich erkalteter Materie. Das Lebendige, das Gottliche (oder wie immer man es nennen will) gibt es nur noch als den gliihend-magmatischen Kern in der eigenen Brust, sonst nirgends, und selbst da ist es eingeengt wie zwischen Mauern. Von dieser pochenden Mitte aus - Hoffmann hat sie im „strahlenden Karfunkel" in der Brust des Peregrinus Tyss konkretisiert -2e muft alle Kunst ihren Ursprung nehmen; nur hier entstehen die Bilder, die der Dichter in dem nun bekannten Sinne „schauen“ und dann in Worte bringen muft. So stellt es Hoffmann auch dar in einer aufschlufireichen Passage der ,Prin26

Vgl. das Schluftkapitel von ,Meister Floh‘, insbesondere IV. 809.

W

zessin Brambilla': „Welch eine herrliche Welt liegt in unserer Brust verschlossen! Kein Sonnenkreis engt sie ein,

der ganzen sichtbaren

Schopfung unerforschlichen Reichtum uberwiegen ihre Schatze! - Wie so tot, so bettelarm, so maulwurfsblind, war unser Leben, hatte der Weltgeist uns Soldlinge der Natur nicht ausgestattet mit jener unversieglichen Diamantgrube in unserm Innern, aus der uns in Schimmer und Glanz das wunderbare Reich aufstrahlt, das unser Eigentum geworden! Hochbegabt die, die sich dieses Eigentums recht bewufit! Noch hochbegabter und selig zu preisen die, die ihres innern Perus Edelsteine nicht allein zu erschauen, sondern auch heraufzubringen, zu schleifen und ihnen prachtiges Feuer zu entlocken verstehen“ (IV. 260). Deutlicher kann der Gegensatz zur „ganzen sichtbaren Schopfung“ (!), die vollige Unabhangigkeit des Kunstwerks von ihr kaum ausgesprochen werden. Da ist keine Spur zu finden von jener Alchimie zwischen Innen und Aufien, um deren Geheimnis sich die asthetischen Theorien vom Sturm und Drang bis zur Romantik in immer neuen Ansatzen bemiiht haben. Der grofie Prozefi, welcher mit der schrittweisen Uberwindung der

rationalistischen

Lehre

vom

reinen

Nachahmungscharakter

des

Kunstwerks einsetzte, gelangt hier an einen Grenz- und Wendepunkt. Damit soil Hoffmann nicht entgegen unserer anfanglichen Warnung doch noch zum epochemachenden Denker erklart werden. Schon die deutlich hdrbaren Novalis- und Jean-Paul-Tone in dem eben zitierten Abschnitt wiirden eine solche Apostrophierung verbieten. Aber auch wenn er bei seinen Gedankengangen den eklektizistischen Zug nie ganz verliert, so miissen wir doch zugeben, da£ sein Eklektizismus Methode hat und, so seltsam es tont, eine ausgepragte Originalitat. Hoffmann postuliert, wie gezeigt wurde, die absolute Autonomie der produktiven Einbildungskraft. Nun kann er das gewifi nicht vehementer tun, als es bereits Novalis getan hat, wenn er vom „Magism oder Synthetism der Phantasie“27 sprach, wenn er Erzahlungen forderte, die „ohne Zusammenhang, jedoch mit Assoziation, wie Traume, Gedichte - bloB wohlklingend und voll schoner Worte - aber auch ohne alien Sinn und Zusammenhang“28 sind; wenn er „dasMarchen“ zum „Kanon der Poesie“ erklarte, weil darin der Dichter den Zufall anbete.29 Aber diese poetische Willkiir, je schrankenloser sie waltet, umso mehr ist sie fur Novalis

27 Vgl. Wolfgang Preisendanz, Zur Poetik der deutschen Romantik: Die Abkehr vom Grundsatz der Naturnachahmung. In: Die deutsche Romantik. Hg. von Hans Steffen. Gottingen 1967, S. 65. 28 29

18

Novalis, Werke. Hg. v. Ewald Wasmuth. Heidelberg 1957, Bd. 2, S. 392. Ebd. Bd. 2, S. 390.

zugleich auch „echte Naturanarchie".30 Denn in der Dichtung wird die Identitat von Ich und Welt, von Subjekt und Objekt, an welche er mit ungehemmter chiliastischer Frommigkeit glaubt, zum aktuellen Ereignis. Was immer daher der Dichter aus den Schachten seines Innern fordert, es kann in keinem Gegensatz stehen zu den aufieren Dingen; auf das poetische Produkt blickend, erkennen wir das Geheimnis der Naturdinge, und im Naturding geht uns das Geheimnis der Poesie auf. „Die Natur hat Kunstinstinkt - daher ist es Geschwatz, wenn man Natur und Kunst unterscheiden will",31 lautet ein Fragment. Dafi dabei der Vordersatz auch umgekehrt gilt - „die Kunst hat Naturinstinkt" -, ist eine mitgedachte Selbstverstandlichkeit. Diese Konvergenz spiegelt den so oft beschworenen „tiefen unendlichen Zusammenhang der ganzen Welt",32 von dem aus sich die Physik als „die Lehre von der Phantasie"33 darstellt und „die Denkorgane" gleichzeitig den Charakter von „Naturgeschlechtsteilen"34 erhalten. Eine solche Art von prastabilierter Harmonie aber gibt es fur Hoffmann nicht. Er mag mit der hohen Begeisterung des Novalis, ja fast mit dessen eigenen Worten die Selbstgesetzlichkeit der Phantasie bekennen, - es als „Geschwatz“ bezeichnen, „wenn man Natur und Kunst unterscheiden will", konnte er nie, im Gegenteil: gerade auf diesem Unterschied beruht sein unerschiitterliches Credo. Es ist daher aufschluftreich, wie in dem zitierten Abschnitt aus ,Prinzessin Brambilla' vom „Reich“ die Rede ist. Dieser vielleicht zentralste Begriff der ersten romantischen Generation (im weitern Sinn) erscheint hier zwar formelahnlich verfestigt und weit entfernt von jenem Glanz nahender Epiphanie, der ihm in dem beriihmten Ausspruch der Tiibinger Freunde Hegel, Hdlderlin und Schelling beim Abschied von 1793 beikommt;35 dennoch hat das Wort auch noch bei Hoffmann den Cha¬ rakter eines bedeutungsvollen Signals. Denn wo vom „Reich“ die Rede ist, stellt sich zugleich die Frage, ob dieses Reich „von dieser Welt" sei, ob es als ein gegenwartiges, ein verlorenes oder ein kommendes geglaubt, ob es realiter oder idealiter gedacht werde. Und diese Frage lafit sich auch dann prazise beantworten, wenn der Begriff selber eher eilfertig

30 Ebd. Bd. 2, S. 388. 31 Ebd. Bd. 2, S. 382. 32 Ebd. Bd. 3, S. 155. 33 Ebd. Bd. 2, S. 142. 34 Ebd. Bd. 2, S. 467. 35 „Ich bin gewifi, dafi Du indessen zuweilen meiner gedachtest, seit wir mit der Losung - Reich Gottes! voneinander schieden. An dieser Losung wiirden wir uns nach jeder Metamorphose, wie ich glaube, wiedererkennen." Holderlin an Hegel, 10. Juli 1794. 19

gebraucht erscheint. Fur Hoffmann ist das Reich innen, im Einzelnen und nur fur den Einzelnen. Darin liegt eine seltsame Paradoxie; denn die romantische Idee vom Reich meint sonst in alien ihren Brechungen stets die Moglichkeit und die Sanktionierung der umfassenden menschlichen Gesellschaft, und sie hat in diesem Sinne auch die grofiten geschichtsbildenden Energien des Jahrhunderts mitbestimmt. Solches aber liegt Hoffmann fern; alles Gesellschaftliche gehort fur ihn, wie wir noch sehen werden, in die Sphare des Erstarrten, und selbst der Versuch, mit wenigen Freunden zusammen einen einigermaften harmonischen Zirkel zu bilden, erweist sich als hochst riskantes Unternehmen.36 So ist denn auch in unserem Abschnitt vom „Reich“ nur als von „unserem Eigentum“ die Rede, das freigelegt und geschaut werden soli, weil das Leben sonst nicht zu ertragen ware; der Gedanke an eine verbindende Grundlage fur das menschliche Zusammenleben wird nicht einmal gestreift. Ganz ahnlich mischen sich Eklektizismus und Selbstandigkeit auch in Hoffmanns Rezeption von Gedanken Jean Pauls. So viele seiner Lieblingsausdriicke und -wendungen sich bereits in der ,Vorschule der Asthetik‘ und im Aufsatz ,Ober die natiirliche Magie der Einbildungskraft' finden, so sehr man dabei an ein unbekiimmertes Pliindern zu denken versucht ist,37 es gibt einen Punkt, wo Hoffmanns Gefolgschaft ein Ende hat. Nicht daft er Stellung bezoge und disputierend Grenzen setzte; dazu miiftte er in vermehrtem Mafte ein systematisch Denkender und Schreibender sein, wahrend er denn doch sein Leben lang ein Liebhaber theoretischer Abschweifungen blieb. Vielmehr fallt bei ihm ganz einfach auf den blinden Fleck, was seinen Grunderfahrungen widerspricht. Und das sind jene Ideen Jean Pauls, bei denen es um Aussohnung geht, um das Ineinandergreifen und -wirken von Natur (d. h. aufterer Gegenwart) und Kunst. Dafiir findet Jean Paul trotz der groften „Magie“ der Einbildungskraft immer neue Metaphern, und zwar bezeichnenderweise meist organischer oder organisch-chemischer Art. So heiftt es in der ,Vorschule‘: „Denn wie das organische Reich das mechanische aufgreift, umgestaltet und beherrschet und kniipft, so iibt die poetische Welt dieselbe Kraft an der wirklichen und das Geisterreich am Korperreich“.38 Spater wird gesagt, daft die Natur der „auftere NahrungsstofP der

36 Reprasentativ fur die stete Gefahrdung dieser aufiersten Moglichkeit spontan belebter Sozietat ist etwa der unheimlich zwiespaltige Schlufi des 7. Abschnitts im IV. Band der ,Serapionsbriider‘ (II. 8731.). 37 Wie weit Hoffmanns Jean-Paul-Kenntnisse auf direkter Lektiire beruhen und wie weit sie xiber Umwegen zu ihm gelangten, spielt dabei keine Rolle. 38 Jean Paul, Werke. Bd. V. Hg. von Norbert Miller. Miinchen 1963, S. 46. 20

Dichtkunst

sei39,

dais

die

rezeptive

Einbildungskraft

ihr

Objekt

„chemisch und in Teilen" bekomme, die sie „organisch zu einem Ganzen

bilden“

miisse40.

Und

diese

biologisch

gepragte

Vorstellung

wird durch den Vergleich mit der Transsubstantiation noch gesteigert und sakral iiberhoht: „Die aufiere Natur wird in jeder innern eine andere, und die Brotverwandlung ins Gottliche ist der geistige poetische Stoff,

welcher

[...]

seinen

Korper

(die

Form)

selber

bauet“.41

Schon diese wenigen Stellen machen sichtbar, wie sehr die Genese des Kunstwerks fur Jean Paul immer noch Welt-Begegnung ist, schwierig zwar und nur mit mehrdeutigen Metaphern benennbar, aber doch auf einem Glauben an die letztliche Kommensurabilitat von Einbildungs¬ kraft und bewegter Natur beruhend. Demgegeniiber bleiben fur Hoff¬ mann Aufien- und Innenwelt grundsatzlich heterogen. Sie konnen nie ineinander verfliefien, wie es die Vorstellungen des Novalis von der Liquiditat alles Seienden postulieren, und sie konnen auch nicht einander anverwandelt werden in der Art der Jean-Paulschen Welt-Ab¬ sorption. Nach Hoffmanns unerschiitterlicher Uberzeugung ist der lebendige und kreative Geist „eingeschachtet“ in die Au£enwelt (II. 54), feindselig und unlosbar verhangt mit der schweren Mechanik der Materie. Dies wird im Kommentar fiber Serapion deutlich gesagt (II. 54E), und es gibt auch sonst kaum eine Erzahlung des Dichters, in der das Faktum nicht so oder anders umschrieben wiirde. Das Gesprach der Freunde um jenen exemplarischen Einsiedler liefert aber dazu noch eine bedeutsame Prazisierung. Erst wird zwar in gewohnter Weise die Disparitat von Innen und AuEen festgestellt und von den Gestalten und Gesichten gesprochen, die aus jener Mitte aufsteigen: „Es gibt eine innere Welt, und die geistige Kraft, sie in voller Klarheit, in dem vollendetsten Glanze des regesten Lebens zu schauen“ (II. 54). Dann aber heifit es, es sei „unser irdisches Erbteil“, dal$ auch diese Schau Bedingtheiten unterliege: „Die innern Erscheinungen gehen auf in dem Kreise, den die aufieren um uns bilden und den der Geist nur zu iiberfliegen vermag in dunklen geheimnisvollen Ahnungen, die sich nie zum deutlichen Bilde gestalten" (II. 54). Obwohl sich der Kontext nicht eben durch stilistische Transparenz auszeichnet, kann der Sinn des Satzes hinreichend geklart werden. Hoffmann meint damit die Tatsache, dafi jene Visionen, welche aus dem gliihenden Kern im Innern des Menschen entstehen, die das Hochste sind, was ihm an Schonheit je zuganglich

39 Ebd. S. 46. 40 Ebd. S. 49. 41 Ebd. S. 43. 21

sein kann, und die fur den Kiinstler die Praformation des Kunstwerks bilden, daft sie fur uns nur in Gestalt irgendwelcher Formen und Bildungen der Auftenwelt faftbar sind, weil wir als „Soldlinge der Natur" (vgl. oben S. 18) unsere Sehkraft zwar nach innen richten, aber nicht erweitern oder zu einem Organ fur eine ganz und gar andere Erscheinungswelt machen konnen. Die hochste menschliche Tatigkeit, das spontane Gestalten der Phantasie, ist an die Morphologie der auftern Objektwelt gebunden - nur im Kleide des schlechthin Starren und Mechanischen vermogen wir das schlechthin Freie und Lebendige zu fassen. Dies ist eine Grundeinsicht Hoffmanns, die fur die erfolgreiche Inter¬ pretation seiner Werke von entscheidender Bedeutung ist. Der Handlungsablauf vieler Erzahlungen enthiillt sich nur von da her als innerlich notwendig, und auch die Grundlinien einer Figurentypologie sind von diesem Prinzip aus zu ziehen. Das letztere laftt sich schon an Serapion selbst zeigen: Er ist wie Kreisler ein Mann von drangend produktiver Imagination und in diesem Sinn von jener triiben Halfte der Menschheit geschieden, welche statt des erwahnten „Karfunkels“ das hohle Nichts in der Brust tragt; er und Kreisler sind jedoch ihrerseits wieder Gegensatze, und zwar unter dem Gesichtspunkt der Selbsterkenntnis. Der heilig-wahnsinnigen Naivitat des einen steht die gnadenlose Einsicht des andern gegeniiber, daft, wie oben gesagt wurde, die Gestaltungen der Phantasie zwar die einzige uns zugangliche Mani¬ festation des Absoluten sind, aber als solche doch die Maske der Auftenwelt, die Formen von Raum und Zeit tragen miissen, weil es fur uns kein anderes Erkennen gibt. Dieses Wissen macht dem Kapellmeister die Erfahrung des eigenen Innersten so schmerzhaft:

ein wiistes

wahnsinniges Verlangen bricht oft hervor nach einem Etwas, das ich in rastlosem Treiben aufter mir suche, da es doch in meinem eigenen Innern verborgen, ein dunkles Geheimnis, ein wirrer ratselhafter Traum von einem Paradies der hochsten Befriedigung, das selbst der Traum nicht zu nennen, nur zu ahnen vermag, und diese Ahnung angstigt mich mit den Qualen des Tantalus" (III. 356). Wahrend Kreisler dergestalt weift, daft „der Traum nur zu ahnen ver¬ mag", findet Serapion in ebendiesem Traum sein sanftes, niegestortes Gluck. „Du statuiertest keine Aufienwelt" (II. 54), heiftt es von ihm, und: „Dein Leben war ein steter Traum" (II. 55). Das will besagen, dafi Serapion nicht mehr unterscheiden kann zwischen greifbarer Realitat und den Produkten oder vielmehr Projektionen seiner Phantasie. Ohne von der gestaltenbildenden Kraft des eigenen Innern zu wissen, nimmt er deren Schopfungen als objektives Seiendes, so daft man, den obigen Satz umkehrend, sagen konnte: „Alles ward dir zur Auftenwelt". ii

Nur der reflektierende Beobachter, der den Scharfblick Kreislers besitzt, weift um das Wesen dieser fundamentalen Tauschung, weifi, daft Serapion einen geschlossenen Projektionskreis um sich herum zieht, innerhalb dessen es keine Diskordanz von Aufien und Innen geben kann, weil eben alles von innen kommt. Genau diesen Zustand finden wir nun bei einer Hauptklasse Hoffmannscher Protagonisten immer wieder, und zwar sehr vielfaltig und verschiedenartig variiert. Sie begegnen alle dem konkretisierten Lichtwurf ihres eigenen kreativen Seelengrunds, aber da sie ihn nicht als solchen erkennen und ihnen auch die Gnade eines milden Wahnsinns fehlt, konnen ihnen diese Erscheinungen ebensosehr zu todlichem Grauen wie zu iiberirdischer Beseligung gereichen. Je nachdem, meinen sie auf Damonen oder gute Geister zu stoften, bedroht oder beschenkt zu werden, aber de facto erleben sie niemals Jenseitiges, weder den Teufel noch den Lieben Gott, sondern nur sich selbst und ihre phantastisch ausgefacherte Innenseite. Dabei sind natiirlich Stufen und Metamorphosen der Einsicht moglich. Viele Helden Hoff¬ manns machen einen eigentlichen Entwicklungsprozeft durch; andere werden von ihren Phatasmata nur gestreift oder zeitweilig verwirrt. Am differenziertesten sind die Vorgange aber stets dort, wo es zugleich um Kiinstler und kiinstlerische Tatigkeit geht. Denn das wahre Kunstwerk ist ja seinem Wesen nach die materielle Nachbildung dieser Er¬ scheinungen, und die erste Bedingung des Kiinstlertums besteht darin, diese Tatsache zu erkennen, was wiederum fur viele heiftt, mit ihrem eigenen Innern iiberhaupt erst einmal Bekanntschaft zu machen. Zu welch verriickten Abenteuern das fiihren kann, zeigt Hoffmann mit unermiidlichem Behagen, am bliihendsten und folgerichtigsten wohl im ,Goldnen Topf‘ und in ,Prinzessin Brambillah Das letzte Kriterium in seiner Menschenkunde aber bleibt stets die Frage, ob einer jenen „Karfunkel“42 - bewufit oder verschiittet - in der Brust trage. Wo dies verneint werden muft, zogert er nicht, das Menschsein der Figur iiberhaupt anzuzweifeln. Ein groteskes Exempel dafiir ist der

Mohrenkonig

Kilian

im

fragmentarischen

Commedia-dell’Arte-

Spiel ,Prinzessin Blandina', dessen Kopf sich zuletzt als „ein blofter Haubenstock, dem ein koniglicher Rumpf anwuchs" erweist (1.745), und von dem der Sanger Amandus sagt: So hat sich meine Ahnung nicht betrogen, Der Kilian war ein triigrisch leeres Nichts. Nie brannt ein Funke in der toten Masse,

42

Zum

Symbol

des

„Karfunkels“

vgl.

auch

die

Novelle

,Der

Artushof'

(II. 157).

23

Kein Herzblut rann in dem herzlosen Wesen, Nur auftre Lichter liehen ihm den Schein DesLebens!

(1-745)

Wie ernst es Hoffmann gerade in dieser Hinsicht ist, zeigt die Tatsache, daft er sich immer neu bemiiht, seine Erfahrung von jenem innersten Innen umschreibend oder bildlich auszudriicken. So spricht der gleiche Amandus einmal von der dunklen ahnungsvollen Tiefe, Aus der dem Magus gleich mit kraftgem Zauber Der Dichter seltsame Gestalten lockt, Daft sie, Trugbilder zwar, doch hell und farbigt, Vom hohern Geist beseelt gar seltne Lust Dem Glaubigen bereiten -

(L 737)

Das ist eine Formulierung, welche den Gesprachen um Serapion eng verwandt ist und in ahnlicher Weise das Wissen ausdriickt, daft die „seltsamen Gestalten" zugleich „Trugbilder“ und „vom hohern Geist be¬ seelt" sind. Komplizierter nimmt sich eine andere Stelle dieses Stiicks aus. Da sagt Amandus, der Blandina liebt und gegeniiber Kilian um sie kampfen will: „Welch ein neues Leben ging mir auf! [...] Nie gedachte, nie empfundene Melodien, aber wie in einem einzigen iiberschwenglich herrlichen Ton zusammenstrahlend durchbeben mein Innerstes und ist nicht dieser Ton, von dem erfiillt meine Brust in unnennbarer Sehnsucht brennt, sie - sie selbst? [...] Seitdem ich durch sie - in ihr - mein wahres Sein, den hohern Geist in mir erkannt habe, weift ich, daft der Gesang nicht aufter mir wohnt, sondern ich selbst bin der Gesang und der ist unsterblich! - Zerschlagt Kilian das Instrument, so wird der darin wie in ein enges Gefangnis gebannte Ton frei und leicht daherschweben, und ich werde in ihr - sie selbst sein" (I. 735/36). Hier wird die gleiche Erfahrung, die oben mit der ,.dunklen ahnungsvollen Tiefe" und dem „Funken in der toten Masse" umschrieben wurde, in eine neue, intensivere Metapher gefafit. Hoffmann spricht von „einem einzigen Ton", in dem alles „zusammenstrahlt“, die Geliebte und der Gesang und sogar das eigene Selbst, das Prinzip der Individualist. Dies nimmt sich beim ersten Anhoren aus wie eine riickhaltlose Hingabe, ein totales SichVerschenken an Kunst und Geliebte. Tatsachlich aber liegt die Sache umgekehrt: der Gesang und die Geliebte werden um ihre Eigenstandigkeit gebracht und als reine Emanationen, als gleitende Spiegelbilder dieses brennenden Seelenkerns dargestellt. Dabei interessiert uns hier vor allem das Problem der Kunst (von der Liebe wird spater die Rede sein), genauer: es ist die Frage zu stellen, ob da nicht von einer gewissen Relativierung der Kunst gesprochen werden mufi. Aus einem einzigen

24

Zitat, das wurde schon friiher festgehalten, darf man bei Hoffmann nie grundsatzliche Schliisse ziehen. Nun kommt aber dieses Motiv eines „Urtons“, wie man es nennen konnte, in seinen Schriften auch anderswo vor, und aus der Zusammenschau einiger Belege lafit sich vielleicht eine Antwort finden. So heifit es im zweiten Teil der ,Kreisleriana‘ vom Kapellmeister:

„Immer

exzentrischer,

immer verwirrter

wurde

sein

Ideengang; so z. B. sprach er, kurz vor seiner Flucht aus dem Orte, viel von der ungliicklichen Liebe einer Nachtigall zu einer Purpurnelke, das Ganze sei aber (meinte er) nichts als ein Adagio, und dies nun wieder eigentlich ein einziger lang ausgehaltener Ton Juliens, auf dem Romeo in den hochsten Himmel voll Liebe und Seligkeit hinaufschwebe." (I. 284) Man beachte die Stufung, die in dieser Aussage Kreislers uber seine Innenwelt zum Ausdruck kommt und die uns nun, nach der Kontrastierung des Kapellmeisters mit Serapion, nicht mehr unverstandlich bleibt. Die „Liebe einer Nachtigall zu einer Purpurnelke", deren Geschichte den armen Musiker beschaftigt, entspricht der Sphare jener Traumgestalten, mit denen Serapion umgeht und die den Horizont seines BewuStseins begrenzen, - der Sphare der Praformationen, welche der Dichter gemafi dem Serapiontischen Prinzip „wahrhaft schauen" muK. Kreisler aber weifi, dafi diese Konkretisierungen das Letzte, indem sie es offenbaren, zugleich auch verstellen. Er mochte, wie in dem Zitat aus dem Roman (vgl. oben S. 22), dariiberhinaus, wobei es fur ihn, im Gegensatz zum Dichter Serapion oder zu den Malern, noch eine weitere Form der Verdichtung gibt, die Musik. Deshalb „ist“ die phantastische Epopoe von der Nachtigall und der Purpurnelke zugleich „nichts als ein Adagio". Aber beide Auspragungen konnen ja nur miteinander identifiziert werden auf Grund einer hoheren Einheit, im Hinblick auf wel¬ che der Unterschied zwischen dem musikalischen und dem dichterischen Opus dahinfallt, und diese hohere Einheit, Hoffmanns radikal subjektivistisches ev, wird, wie in der ,Blandinac, als „ein einziger lang aus¬ gehaltener Ton" erfahren. Das ist Metapher und Realitat zugleich: Metapher, weil damit jenes energetische Zentrum benannt wird, welches anderswo Karfunkel oder Diamantgrube, dunkle Tiefe oder reine Sehnsucht43 heifit; Realitat, weil Hoffmann tatsachlich in der Musik immer wieder den „einzigen Ton" oder doch eine Annaherung daran sucht. So erzahlt der von der Gesellschaft als „Musikfeind“ betrachtete Mann 43 Hoffmann braucht den Begriff „Sehnsucht“ mit Vorliebe absolut, also nicht als Begierde nach etwas, als Erfahrung des Mangels, sondern als deren Erfiillung. So etwa in ,Ombra adorata': „Ziehe mit uns, ziehe mit uns in das feme Land, wo der Schmerz keine blutende Wunde mehr schlagt, sondern die Brust wie im hochsten Entziicken mit unnennbarer Sehnsucht erfiillt!" (1. 35).

25

im gleichnamigen Kreislerianum von seiner Kindheit, wie er, den die Hausmusiken seines Vaters stets auf das grauenhafteste langweilten, oft heimlich an den Fliigel schlich und sich dort „stundenlang damit ergotzen konnte, allerlei wohlklingende Akkorde aufzusuchen und anzuschlagen"; und er fahrt fort: „Hatte ich nun mit beiden Handen drei, vier, ja wohl sechs Tangenten gefunden, die, auf einmal niedergedriickt, einen gar wunderbaren, lieblichen Zusammenklang horen liefien, dann wurde ich nicht miide, sie anzuschlagen und austonen zu lassen. Ich legte den Kopf seitwarts auf den Deckel des Instruments; ich driickte die Augen zu; ich war in einer anderen Welt; aber zuletzt muISte ich wieder bitterlich weinen, ohne zu wissen, ob vor Lust oder vor Schmerz" (I. 308). In einem einzigen Akkord also, den er immer neu aufklingen laftt, erlebt der Knabe alles, was Musik sein und geben kann. Er gilt dafiir bei seinem Vater als unmusikalisch, und dieser Ruf bleibt ihm auch spater, weil er in den offentlichen Konzerten meist schon nach der ersten Sym¬ phonic weglauft, ja kaum den zweiten Satz mehr anzuhoren vermag. „Es kommt mir dann vor, als sei die gehorte Musik ich selbst“ (I. 311), sagt er; das heifit: sie fallt zusammen mit jenem innersten Unum, von dem Amandus und Kreisler als von einem Ton sprachen, sie durchdringt ihn wie einst den Knaben als ein einziger voller Akkord, wobei er nicht weifi, ob dieser von aufien oder von innen kommt: „Ich frage daher niemals nach dem Meister; das scheint mir ganz gleichgiiltig. Es ist mir so, als werde auf dem hochsten Punkt nur eine psychische Masse bewegt“ (I. 311). Aber nicht blofi der fiktive Musikfeind, auch Hoffmann selber, sogar in seiner Funktion als Kritiker, macht immer wieder deutlich, dafi die Musik fur ihn umso vollkommener ist, je einfacher sie erscheint, je naher sie einem reinen Urakkord kommt. Einer seiner schonsten und zugleich bedeutendsten kritischen Aufsatze, ,Alte und neue Kirchenmusik1, spricht ausfiihrlich davon. Die Zeit Palestrinas wird hier mit Entschiedenheit als „die herrlichste Periode der Kirchenmusik (und also der Musik iiberhaupt)“ bezeichnet (V. 214) und diese hochste je von Menschen

geschaffene Tonkunst

folgendermaften

charakteri-

siert: „Ohne alien Schmuck, ohne melodischen Schwung, folgen meistens vollkommene, konsonierende Akkorde aufeinander, von deren Starke und Kiihnheit das Gemiit mit unnennbarer Gewalt ergriffen und zum Hochsten erhoben wird“ (V. 215). Der Akkord sei denn auch, so wird gleich darauf erganzt, der reinste Ausdruck der Liebe, und jene Musik sei am heiligsten, die „nur als Ausdruck jener Liebe aus dem Innern aufgeht, alles Weltliche nicht beachtend und verschmahend" (V. 215). Viele sind indessen kaum oder gar nicht mehr imstande, solches zu verstehen: 26

„Die Folge konsonierender, vollkommcner Dreiklange, vorziiglich .in den Molltonen, ist uns jetzt, in unserer Verweichlichung, so fremd geworden, daft mancher [...] darin nur die Unbehiilflichkeit der technischen Struktur erblickt" (V. 215). Das heiftt: wir sehen nicht, daft das Fehlen aller artifiziellen Raffinesse nichts anderes ist als die Kraft des ungebrochenen Ursprungs. „In Palestrinas Musik trifft jeder Akkord den Zuhbrer mit der ganzen Gewalt, und die kiinstlichsten Modulationen werden nie so, wie eben jene kiihnen, gewaltigen, wie blendende Strahlen hereinbrechenden Akkorde, auf das Gemiit zu wirken vermogen“ (V. 216). Hoffmann weifi aber auch, daft diese Art von Musik einem modernen Kiinstler nicht mehr erreichbar ist: „Rein unmoglich ist es wohl, daft jetzt ein Komponist so schreiben konne wie Palestrina ..(V. 229). Mit dem Hinweis auf den fortschreitenden Weltgeist und die von ihm bewirkte ungeahnte Entwicklung und Verfeinerung der Instrumentalmusik sucht er diesen Wandel zu rechtfertigen und so die Moglichkeit zu finden, Haydn, Mozart und Beethoven gleichwohl voll zu anerkennen. Er weifi, „dafi dem heutigen Komponisten kaum eine Musik anders im Innern aufgehen wird, als in dem Schmuck, den ihr die Fiille des jetzigen Reichtums gjbt“, und daft es „nur der falsche Gebrauch dieses Reichtums (ist), der ihn schadlich macht“ (V. 232). Aber trotz dieser gut historistischen Apologie bleibt ein Vorbehalt sptirbar, und er wird sogar offensichtlich in der Tatsache, daft Hoffmann den rein kirchenmusikalischen Werken der drei Klassiker gegeniiber unverhiillte Bedenken anmeldet. Er kann es tun, weil er fur die moderne Zeit zwischen weltlichen und kirchlichen Kompositionen streng scheidet, so daft etwa die Kritik an Beethovens C-Dur-Messe (V. 154) die Anerkennung und Forderung von dessen ubrigen Werken nicht beeintrachtigt. Aber eben - diese Klassifizierung war fur die Zeit Palestrinas nicht notig, und jene Epoche bleibt deshalb trotz allem Hoffmanns lauterstes Ideal. Umso tiefer ist er ergriffen, als er feststellen kann, daft in Mozarts Re¬ quiem' als einzigem kirchenmusikalischem Werk der Neuzeit noch etwas von der „heiligen Wiirde der alten Musik“ bewahrt ist, daft darin „die wunderbarsten

Akkorde“

ertonen,

„die

das

Jenseits

selbst

sind“

(V.233). Es diirfte nun um einiges verstandlicher sein, daft Kreisler von einem Adagio sagen kann, es sei „eigentlich ein lang ausgehaltener Ton Juliens“. Wie die Bilder- und Figurenwelt des Dichters, wie die Gruppen und Gestalten des Malers gleichsam den zerlegten und in dieser Brechung erst sichtbaren Lichtstrahl des Seelenkerns darstellen, so geht alle Musik aus einem geahnten und ersehnten Urton oder Urakkord hervor, der mit 27

jenem Strahl identisch ist und den Hoffmann in den archaisch-sakralen Schopfungen

Palestrinas beinahe unmittelbar zu

vernehmen

glaubt.

Aber auch im Gesang der Geliebten gibt es Momente, wo ein einziger Ton plotzlich auf diese Weise „das Jenseits selbst" zu sein scheint. Er kann in aufiersten Fallen sogar zum physischen Tod der Sangerin fiihren: von Prinzessin Blandina zum Beispiel heiSt es: „Ihr Herz bricht in des

Gesanges

hochster

Seligkeit"

(1.747),

und

den

novellistischen

Nukleus von ,Rat KrespeP bildet ein ahnliches Phanomen. In diesen Zusammenhang gehort wohl auch die Faszination, welche fur Hoffmann die sogenannte Wetterharfe besafi,

eine Einrichtung mit

massiven, im Freien ausgespannten Saiten, die, mehrere Meter lang, bei bestimmten klimatischen Verhaltnissen „ertonten in machtigem Klange“ (II. 351). Mit ihr verglichen sind die iiblichen Aeolsharfen „kleinliches Spielzeug". Sie wird in den „Automaten“ beschrieben und im KreislerRoman von Meister Abraham eingesetzt. Der Sturm greift dort in die Drahte, und: „in dem Gebraus des Orkans [...] erklangen furchtbar die Akkorde der Riesenorgel“ (III. 315). Bei Schubert hat Hoffmann den Bericht tiber eine verwandte Erscheinung auf der Insel Ceylon gefunden, die „Fuftmusik oder Teufelsstimme", die „eine so tiefe Wirkung auf das menschliche Gemiit aufiert, dafi selbst die ruhigsten Beobachter sich eines [...] zerschneidenden Mitleids mit jenen den menschlichen Jammer so entsetzlich nachahmenden Naturtonen nicht erwehren konnen“ (II. 349). Und etwas Ahnliches vernahm er schliefilich in Ostpreufien selbst, namlich „in stillen Nachten und bei maiSigem Winde deutlich lang gehaltene Tone [...], die bald gleich einer tiefen gediimpften Orgelpfeife, bald gleich einer vibrierenden dumpfen Glocke er¬ klangen". Er berichtet dazu: „Oft konnte ich genau das tiefe F mit der ausschlagenden Quinte C unterscheiden, oft erklang sogar die kleine Terz Es, so daB der schneidende Septimenakkord in den Tonen der tiefsten Klage meine Brust mit einer das Innerste durchdringenden Wehmut, ja mit Entsetzen erfullte" (II. 349/50). Es besteht kein Zweifel, da£ diese Klange fur ihn von gleicher Wesensart sind wie die „gewaltigen hereinbrechenden Akkorde", aus denen sich die Musik Palestrinas fiigt. Er spricht von beiden mit einer emotionalen Dringlichkeit, die aus tiefen Schichten der Erfahrung stammt. Besonders auffallig aber ist dabei die Tatsache, da£ Hoffmann hier ein prazises Phanomen beschreibt, er, dem sonst die ganze lebendige Schopfung reines Kulissenmaterial und totes Substrat fur phantastische Projektionen ist.44 Er bezieht denn auch eigens dafiir eine Art vorgefertigter 44

Das Motiv der Naturtone findet sich bei vielen zeitgenossischen Schrift-

Begriindung aus Schuberts ,Ansichten* („Um mich ganz der Worte eines geistreichen Schriftstellers zu bedienen**, sagt er), und rechtfertigt sein Hinneigen zu dieser Erscheinung der Auftenwelt damit, dafi er sie als „Nachhall aus der geheimnisvollen Tiefe“ einer „Urzeit“ erklart, wo die Natur „den Menschen wie im Wehen einer ewigen Begeisterung mit heiliger Musik“ umfangen habe und „wunderbare Laute [...] die Geheimnisse ihres ewigen Treibens“ verkiindet hatten (II. 349). Dies ist nicht als Umrifi einer naturphilosophischen Konzeption (aus zweiter Hand) zu verstehen, sondern als Versuch, ein eigenes und durchaus urspriingliches subjektiv-mythisches Denkbild, die Vorstellung vom Einzelklang, der machtiger ist als alle komponierte Musik, unter Verwendung der damals gelaufigen oder sogar modischen naturmythologischen Konstruktionen zu objektivieren. Das faszinierte Hinmerken auf alles, was als akustisches Phanomen dieser Idee sich zu nahern scheint, entspringt der Sehnsucht nach einer unmittelbaren und ungebrochenen Erscheinungsform der kreativen Mitte des eigenen Ich.45 Wir erinnern uns jener frlihen Briefstelle:

eine bunte Welt voll magischer Erschei-

nungen flimmert und flackert um mich her - es ist als miisse sich bald was grofies ereignen - irgend ein KunstProdukt miisse aus dem Chaos hervorgehen! — ob das nun ein Buch — eine Oper — ein Gemahlde seyn wird - quod diis placebit — .. .**46 Dem einfachen, ein-formigen Ur-

stellern, meist exemplifiziert an der Memnonssaule, aber da ist es stets Teil einer ausgepragten Naturverehrung, wahrend Hoffmann hier von seiner spontanen Haltung der Natur gegeniiber abweicht. 45 Eine unerwartete und iiberzeugende Bestatigung dafiir finden wir in der Art, wie Hoffmann eine diesbeziigliche Stelle der Erzahlung ,Die Automate* korrigiert hat. Da heifit es in der endgiiltigen Fassung: „ ,Deine hohere musikalische Mechanik*, sagte Ferdinand, ,ist allerdings sehr interessant, wiewohl ich mir eigentlich nicht die Spitze und das Ziel jener Bestrebungen denken kann.* - ,Dies ist kein anderes*, erwiderte Ludwig, ,als die Auffindung des vollkommensten Tons; ich halte aber den musikalischen Ton fiir desto vollkommener, je naher er den geheimnisvollen Lauten der Natur verwandt ist, die noch nicht ganz von der Erde gewichen.* “ (II. 348L). Dieser letztere Satz von eindeutig Schubertschem Zuschnitt lautete indessen zuerst so: „Ich halte aber den musikalischen Ton fiir desto vollkommener, je starker und inniger er mit unserm innern geistigen Prinzip in Beziehung steht, das scheint aber wiederum desto mehr der Fall zu sein, je naher er den geheimnisvollen Lauten ...“ usw. (vgl. die Anm. zu II. 348 in II. 1064). Man sieht, wie Hoffmann zuerst versucht, sein spezifisches Imaginationsmythologem theoretisch zu fassen, wie er aber damit nicht zu Rande kommt (gerade weil es ein Mythologem ist!) und sich aus der unbehaglichen Konfusion ins problemlose spatromantische Klischee fliichtet. Der Fall zeigt, wie sehr man beim Theoretiker Hoffmann auf der Hut sein mufi. 46 An Hippel, 28. Februar 1804. 29

sprung genau dieses Chaos spurt Hoffmann nach, seine Nahe durchschauert ihn in jenen isolierten Akkorden. Und damit wird in der Tat eine gewisse Relativierung der Kunst vollzogen, nicht nur des im sinnlich-stofflichen Bereich gefertigten Werks, sondern auch der Praformation, der „fantastischen Gestalt", wie sie Serapion „schaut“. Fur die Interpretation der erzahlenden Werke ist diese Feststellung von grower Bedeutung; sie kann Fehldeutungen verhindern und irrtiimliche Vereinfachungen (vor allem in Hinsicht auf den Kiinstler-Begriff) als solche aufdecken. Anderseits aber miissen wir uns gleichzeitig hiiten, von da her nun mit scheinbar zwingenden Folgerungen den leidenschaftlichen Enthusiasmus fiir die verschiedensten Formen kiinstlerischer Betatigung, wie er in Hoffmanns Werken sichtbar wird, anzuzweifeln. Wenn die Kunst, als Actus und als Opus, in ihrer jeweiligen Auspragung auch nicht das letzte Denk- und Erahnbare ist, so bleibt sie doch - von seltenen Akkorden und streifenden Lichtern abgesehen - das hochste realiter Zu-Erreichende. So haben sich denn, wenn wir das Kapitel riickschauend iiberblicken, in Hoffmanns Gedanken iiber die Genese des Kunstwerks47 drei deutlich unterschiedene Stufen gezeigt:

das chaotisch-lebendige Zentrum

der produktiven Einbildungskraft, welches dem Menschen selber geheimnisvoll oder gar unbewuBt ist und das als eine Art nucleus divinus erfahren wird; dann die Sphare der inneren Gestaltung, wo sich der phantastische Prototyp aus- und durchbildet, von der Kraft jenes Zentrums belebt, aber auch bereits gebunden an das Formenarsenal der Aufienwelt; und schlieBlich das „mechanische Geschaft"

der Nach-

Konstruktion dieser geschauten Gestalt im materiellen Bereich. Zu diesem letzteren gehort, neben den Farben des Malers, neben Partitur und Instrumenten des Musikers, ganz entschieden auch die Sprache des Dichters. Etwas verallgemeinernd und im BewuStsein der eben dargelegten Stufung konnte man sogar sagen, daB bei Hoffmann die Entstehung des konkreten, sinnlich-greiflichen Kunstwerks wiederum, wie im friihen 18. Jahrhundert, ein Vorgang der imitatio, der genauen Nachahmung ist, - Nachahmung allerdings nicht der Natur als der abgeschlossenen Schopfung Gottes, sondern des eigenen Innern und der dort entspringenden Gestaltenwelt. Hoffmann ist denn auch vielleicht der erste bedeutende Schriftsteller der Nach-Goethe-Zeit, fiir den die sprach-

47

Auch wenn hier eine einigermaBen zusammenhangende Theorie sichtbar wird, diirfen wir diese nicht zugleich als wahrheitsgetreue Darstellung des Entstehungsprozesses von Hoffmanns eigenen Werken betrachten. (Vgl. unten, Kap. V.)

30

theoretischen Prophetien Hamanns, die Inkarnation des dichterischen Worts betreffend, keine Geltung mehr haben. Den Abschluft dieses ersten Teils bilde nun aber nicht ein abstrahiertes Resultat, sondern der Blick auf ein Erzahlmotiv, dessen Bedeutung erst jetzt vollig klar werden kann. Es findet sich nicht sehr haufig, aber in alien Phasen von Hoffmanns schriftstellerischer Tatigkeit, das erste Mai im ,Ritter Gluck', das letzte Mai in ,Des Vetters Eckfenster'. In jener friihen Geschichte vom wahnsinnigen Musiker, der glaubt oder vorgibt, Ritter Gluck zu sein, setzt sich der ratselhafte Mann ans Klavier und schlagt ein Notenbuch auf, der Oberschrift nach die ArmidaPartitur. Dabei stellt sein verbluffter Begleiter fest, daft auf dem rastrierten Papier keine einzige Note steht; gleichwohl erhalt er die Anweisung: „Wenden Sie die Blatter um, und zur rechten Zeit!" (I. 23) Und nun spielt der Unbekannte die Ouvertiire durch, „herrlich und meisterhaft", aber mit seltsamen Variationen, Abweichungen und neuen Wendungen, die, bei aller Differenz zum Original, dessen Geist durchaus entsprechen, ja die Vorlage „gleichsam in hoherer Potenz" darstellen (I. 23). Dazu bleiben seine Augen mit groftter Konzentration auf das leere Papier gerichtet, so daft der Begleiter seiner Pflicht ohne Schwierigkeiten nachkommen kann: „Ich wandte die Blatter fleiftig um, indem ich seine Blicke verfolgte" (I. 23). Diese leeren Notenbiicher des „Ritters“ finden nun in der Erzahlung ,Der Artushof' eine offensichtliche Parallele. Hier tritt der alte Maler Berklinger auf, um dessen Tochter sich der Held der Erzahlung, der Jiingling Traugott, bemiiht. Als dieser den Meister besucht, findet er ihn „vor einer groften aufgespannten grau grundierten Leinwand sitzend" (II. 156). Der Alte erklart, nach jahrelanger Arbeit eben das Bild vollendet zu haben, es stelle das wiedergewonnene Paradies dar. Und er erlautert dem Besucher das Werk bis in Einzelheiten, macht ihn „auf die geheimnisvolle Verteilung des Lichts und des Schattens aufmerksam" (II. 157), wird immer begeisterter und bricht zuletzt, nach ratselhaften Worten fiber den funkelnden Rubin in der Brust, zusammen. Die Tochter gibt dem jungen Mann Auskunft iiber ihren Vater: „... schon seit mehreren Jahren ist er der Kunst abgestorben, fur die er sonst lebte. Er sitzt ganze Tage hindurch vor der aufgespannten grundierten Leinwand, den starren Blick darauf geheftet; das nennt er malen, und in welchen exaltierten Zustand ihn dann die Beschreibung eines solchen Gemaldes versetzt, das haben Sie eben erfahren" (II. 157). Die Analogic der Szene zu dem Geschehnis im ,Ritter Gluck' braucht weiter nicht betont zu werden; so sei denn gleich die dritte Belegstelle angeschlossen. Wenn es das eine

3i

Mai um Musik ging, das andere Mai um Malerei, so ist hier nun, in der Erzahlung ,Des Vetters Eckfenster', von einem Schriftsteller die Rede. (Wir durfen in dieser Anwendung des gleichen Motivs auf die verschiedenen Gattungen eine Bestatigung fiir unsere Feststellung sehen, dafi es bei Hoffmann keinen Rangunterschied der einzelnen Kiinste gibt.) Dieser Schriftsteller, der „Vetter“ des Erzahlers, ist von schweren Lahmungen getroffen und lebt miihsam zwischen Bett und Lehnstuhl. Zwar ist es der Krankheit nicht gelungen, „den raschen Radergang der Fantasie zu hemmen, der in seinem Innern fortarbeitete, stets Neues undNeues erzeugend“ (IV. 597), aber sie hat doch in seine Existenz als Kiinstler eingegriffen. Wir miissen den Abschnitt in extenso zitieren, weil er zugleich den Kommentar zu den obigen Stellen enthalt: „Aber den Weg, den der Gedanke verfolgen muBte, um auf dem Papier gestaltet zu erscheinen, hatte der bose Damon der Krankheit versperrt. Sowie mein Vetter etwas aufschreiben wollte, versagten ihm nicht allein die Finger den Dienst, sondern der Gedanke selbst war verstoben und verflogen. Dariiber verfiel mein Vetter in die schwarzeste Melancholie. ,Vetter!1 sprach er eines Tages zu mir, mit einem Ton, der mich erschreckte, Wet¬ ter, mit mir ist es aus! Ich komme mir vor, wie jener alte, vom Wahnsinn zerriittete Maler, der tagelang vor einer in den Rahmen gespannten grundierten Leinewand saft, und alien, die zu ihm kamen, die mannigfachen Schonheiten des reichen, herrlichen Gemaldes anpries, das er soeben vollendet; - ich geb’s auf, das wirkende schaffende Leben, wel¬ ches zur auftern Form gestaltet aus mir selbst hinaustritt, sich mit der Welt befreundend!'

(IV. 597/98). Hoffmann ist also unverkennbar

bemiiht, klarzumachen, daft es nicht etwa die physische Lahmung ist, welche die Entstehung schriftstellerischer Werke verhindert, sondern dafi die aufiere Paralyse nur einen bestimmten inneren Zustand spiegelt. Und diesen weifi er auf keine Weise besser zu charakterisieren, als indem er, sich selbst zitierend, jenen Maler aus dem ,Artushof‘ zum Vergleich herzieht. Dadurch erscheint die seltsame Verfassung als moglich, ohne daft eine weitere Begriindung notig ware. Eine solche diirfte selbst dem psychologisch erfahrenen Hoffmann nicht leicht gefallen sein; denn es geht ihm ja keineswegs um die Schilderung einer besonderen Spielart der menschlichen Seele, sondern um die Exemplifizierung des tiefen Bruchs im Entstehungsprozefi des Kunstwerks, im Akt der asthetischen Produktion, der auf der Inkommensurabilitat von Innen und Aufien beruht, - jener Inkommensurabilitat, welche dem Menschen schlechthin das Zu-Hause-Sein in dieser Welt, in Natur, Liebe und Menschengesellschaft, verwehrt. Was der Vetter am Schlufi unseres Zitats sagt, ist die genaue Definition jenes spontanen, sich in einer versohnenden Tat er32

fiillenden Kiinstlertums, das fiir den Pseudo-Gluck, fur Berklinger und fur den Theoretiker Hoffmann selbst keine Geltung mehr hat:

.. das

wirkende schaffende Leben, welches zur auftern Form gestaltet aus mir selbst hinaustritt, sich mit der Welt befreundend".48 Dafi die inneren Energien aber erhalten bleiben, ja dafi die Blockierung der externen Formkraft im Grunde von zweitrangiger Bedeutung ist, zeigt die Tatsache, daB Hoffmann aus der Erzahlung von dem dergestalt liidierten Vetter ein eigentliches Lehrstiick iiber die Schriftstellerei machen kann, wobei der Titelheld durchaus Vorbild ist. Das Motiv von der grundierten Leinwand, die als vollendetes Gemalde gesehen wird, obwohl kein Pinselstrich daraufkommt, und das im Auftakt der Er¬ zahlung so deutlich hervortritt, nimmt dabei eine Schliisselstellung ein: nur von ihm aus kann das Ganze richtig verstanden werden. Gleich nach dieser Einleitung namlich wird der Erzahler vom Vetter ans Eckfenster gefiihrt, den Ort seines „Trostes“. Man sieht fast senkrecht auf den Marktplatz; der Anblick ist fiir den Besucher „seltsam und iiberraschend“. „Der ganze Markt schien eine einzige, dicht zusammengedriingte Volksmasse [...]. Die verschiedensten Farben glanzten im Sonnenschein und zwar in ganz kleinen Flecken; auf mich machte dies den Eindruck eines groften, vom Winde bewegten, hin und her wogenden Tulpenbeets, und ich muSte mir gestehen, daS der Anblick zwar recht artig, aber auf die Lange ermiidend sei, ja wohl gar aufgereizten Personen einen kleinen Schwindel verursachen konne, der dem nicht unangenehmen Delirieren des nahenden Traums gleiche; darin suchte ich das Vergniigen, das das Eckfenster dem Vetter gewahre ..(IV. 599). Diese irritierende Flache von gestaltlos verschwimmenden Farben mit dem hingerissen davorsitzenden Vetter steht in offensichtlicher Parallele zur Leinwand, auf die der alte Berklinger, Monologe murmelnd, starrt, und in beiden Erzahlungen konnen denn auch die Besucher ihr hofliches Befremden nicht verbergen. Und wie der spielende Pseudo-Gluck von den leeren Notenlinien die kiihnsten Armida-Variationen abliest, so enthiillt der Vetter seinem Gast im Verlauf der Erzahlung ein Bild nach dem andern, das er auf den Hintergrund des „scheckichten, sinnverwirrenden Gewiihls“ (IV. 600) hingetuscht hat. Bei seinen haufigen theoretischen Zwischenbemerkungen kommt deshalb auch jener Begriff wieder uniibersehbar zu Ehren, dessen Bedeutung fiir Hoffmanns asthetische 48 Zum Motiv des Malers vor der leeren Leinwand vgl. ebenfalls ,Die Elixiere des Teufels' III. 146 und III. 236. Auch das Biichlein mit lauter weifien Blattern gehort in diesen Zusammenhang, das der bibliomanische Kanzleisekretar Tusmann am Schlufi der ,Brautwahl‘ erhalt, und das jedesmal, wenn er es aus der Tasche zieht, das Werk ist, das er dringlich zu lesen wiinscht. (Vgl. II.592ff).

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Gedankengange wir weiter vorn herausgestellt haben, der Begriff des „Schauens“. Was dort gesagt wurde, daft namlich das Hoffmannsche „Schauen“, welches den Kern des Serapiontischen Prinzips bildet, wesentlich als Projektion zu verstehen sei und daft der Welt nur die Funktion eines Substrats zukomme, das bestatigt sich hier Wort fiir Wort.49 Wie namlich der Gast seine Vorbehalte dem ungestalten Anblick gegeniiber anmeldet, ruft der Vetter aus: „Nun sehe ich wohl, daft auch nicht das kleinste Fiinkchen von Schriftstellertalent in dir gliiht. Das erste Erfordernis fehlt dir dazu [...]; namlich ein Auge, welches wirklich schaut" (IV. 600). Sein eigener Geist dagegen, „ein wackerer Callot“, entwerfe „eine Skizze nach der andern", und er wolle nun sehen, ob er dem Freund „nicht wenigstens die Primizien der Kunst zu schauen" beibringen konne. Ohne serapiontische Vorbildung wurde man wohl kaum der Gefahr entgehen, hierin eine Aufmunterung zu genauer Weltbeobachtung und -wiedergabe zu sehen, wie denn diese Erzahlung auch immer wieder als friihes Muster des Realismus (im Sinne des Epochenbegriffs) und folglich auch als Beleg fiir die Entwicklung des Schriftstellers

Hoffmann

auf

diese

Stilform

hin

betrachtet

worden

ist.50

„Schauen“ aber heiftt auch hier nicht die Welt beobachten, sondern sie mit einem dichten, changierenden Gewebe der Phantasie iiberziehen.51 Dies wird schon dadurch deutlich, daft die kleinen Lebenslaufe, Psycho¬ gramme und Alltagsschicksale, welche da nacheinander ausgefaltet werden, beinahe alle vom Vetter bereits durchgedacht und durchgeformt sind und dem Besucher nur anhand des realen Substrats iibermittelt werden. Dieser ruft denn auch nach dem Anhoren einer solchen Miniatur aus: „Von allem, was du da herauskombinierst, lieber Vetter, mag kein Wortchen wahr sein, aber indem ich die Weiber anschaue ist mir, Dank sei es deiner lebendigen Darstellung, alles so plausibel, daft ich daran glauben mufi, ich mag wollen oder nicht“ (IV. 602). Diese Gleichgiiltig-

49 Schon Hoffmanns Hinweis auf das „Delirieren des nahenden Traums“ ist ein deutlicher Fingerzeig. Der Ausdruck fallt fast regelmafiig im Zusammenhang mit dem Prinzip. 50 Eine eigentliche Entwicklung Hoffmanns in dem Sinne, daft auf Grund des sich wandelnden Selbst- und Weltverstandnisses stilistisch Neuartiges entstiinde, welches — und dies ist entscheidend! — die friiheren Formen ausschliefit, lafit sich, sooft dies auch unternommen worden ist, nicht zwingend nachweisen. Auch L. Kohns vorsichtiger Versuch (a.a.O. S. 22off.) scheint mir nicht evident. Gegen die These vom erreichten Realismus im ,Eckfenster‘ wendet sich, etwas vorsichtiger, auch W. Preisendanz (Humor als dichterische Einbildungskraft, Munchen 1963, S. 115f.), wahrend Martini im Einverstandnis mit vielen andern vom „weltverklarenden Realismus" des ,Eckfensters‘ spricht. (Die Marchendichtungen E. T. A. Hoffmanns, in: Deutschunterricht 7, 1955 Heft 2, S. 59).

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keit dem ..Realist

„Wahren“

im Sinne der Faktizitat gegeniiber — welcher

hiitte so unbekiimmert dariiber sprechen konnen? — wird aber

am entschiedensten in der Behandlung des alten Mannes offenbar, der mit dem Malkasten einkaufen geht. Da entwirft der Vetter das Bild eines selbstsiichtigen, gierig-bosartigen Einzelgangers, und zwar so liberzeugend, dafi sein Freund von Abscheu gefalk wird: „Weg von dem widrigen Menschen“

(IV. 611). Der Vetter aber entgegnet gelassen:

„Mibfallt dir der Mann so sehr, lieber Vetter, so kann ich dir dariiber, was er ist, tut und treibt, noch eine andere Hypothese aufstellen" (IV. 611). Und er zeichnet auf der Stelle ein ergreifendes, leicht skurriles Idyll, in dem die — von beiden dauernd mit den Augen verfolgte — Ge¬ stalt eine durchaus sympathische Rolle spielt. Triumphierend schliefit er: „So habe ich den widrigen zynischen deutschen Zeichenmeister augenblicklich zum gemiitlichen franzosischen Pastetenbacker umgeschaffen, und ich glaube, dafi sein AuBeres, sein ganzes Wesen recht gut dazu pafit“ (IV. 612). Der Besucher driickt ihm dafiir seine Bewunderung aus, aber keiner von den beiden stellt auch nur fur einen Moment die Frage, was es denn mit jenem Menschen nun tatsachlich auf sich habe! 50 riickt also der gelahmte Vetter, und mit ihm Berklinger und „Gluck“, in die unmittelbare Nahe von Serapion.52 Auch jener Einsiedler ist ja, 51 Der Gebrauch des Fernrohrs widerspricht dem nicbt, im Gegenteil, er deckt sich genau mit der Art, wie das Instrument im ,Sandmann‘ eingesetzt ist: als Imaginationswerfer (vgl. unten Kap. III). So hat Hoffmann es auch in dem unmittelbar vor dem ,Eckfenster‘ entstandenen ,Meister Floh‘, grotesk symbolisierend, verwendet, in dem „optischen Zweikampf zweier Magier“ (IV. 735) im Vierten Abenteuer. Jeder der beiden Duellanten fiihlt da die sengendsten Schmerzen, wenn ihn der Gegner durch das Fernrohr anblickt. Es sei hier auf die imponierende Passage nachdriicklich hingewiesen (IV. 746). 52 Dafi es Hoffmann in ,Des Vetters Eckfenster' von Anfang an darum ging, das Serapiontische Prinzip nochmals demonstrierend abzuhandeln, zeigen sogar die Entstehungsumstande des kleinen Werks. Es wurde in den ersten Monaten des (Todes-)Jahres 1822 geschrieben, und zwar fur die Zeitschrift ,Der Zuschauerk Diese war ein Jahr friiher, am 2. Januar 1821, erstmals erschienen, wobei Hoffmann als angeworbener Mitarbeiter gleich nach dem Vorwort des Editors einen programmatischen Aufsatz, ,Schreiben an den Herausgeber' (V. einriickte. Hier erklart er sich „mit Vergniigen" zur Teilnahme bereit und fiihrte auch gleich den Grund an: „... um so mehr, als der wohlgewahlte Titel mich an meine Lieblingsneigung erinnert. Sie wissen es namlich wohl schon wie gar zu gern ich zuschaue und anschaue, und dann schwarz auf weifi von mir gebe, was ich eben recht lebendig erschaut'k Sofort verhindert er aber auch eine mogliche Verwechselung seines „Schauens“ mit dem Beobachten der Welt: „Von etwas anderem, meine ich, als von dem, dessen Anschauung in vollkommener Gestalt im Innern aufgegangen, konne man auch gar nicht sprechen, dal5 die Leute es eben so lebendig erblicken, zu denen man spricht". Hoffmann beniitzte also, von der an sich nicht eben originellen Oberschrift

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wie wir sahen, ein Schriftsteller, der nicht mehr schreibt, filr den es, bei andauernder Produktivitat der dichterischen Einbildungskraft, das Opus nicht mehr gibt. Wenn gerade diese Gestalten von Hoffmann immer wieder dazu ausersehen werden, seine serapiontische Poetik zu verkiinden, so geschieht es wohl deshalb, weil bei ihnen die Verwechslung des kreativen Aktes mit der Fabrikation von vorneherein ausgeschlossen ist. Ein Gegenbeispiel ware in diesem Zusammenhang der Goldschmied Cardillac aus dem ,Fraulein von Scuderi', der uber der Unmoglichkeit, jene beiden Elemente in seinem Schaffen zu trennen, zum Verbrecher wird. Und bei ihm wird auch ein Faktor besonders deutlich, den wir bis jetzt nur gestreift haben: die Tatsache, dafi erst mit der Fertigung im materiellen Bereich das Kunstwerk kommunikativen

Charakter be-

kommt. Die Hoffmannsche Aufspaltung des genetischen Vorgangs in die Stufen der Praformation und der mechanischen Nachbildung ist somit zugleich eine Aufspaltung der zum Wesen jedes Astheticums gehorenden Einheit von erscheinender Subjektivitat und kommunikativer Richtung, die auf der anthropologischen Grundtatsache beruht, dafi jedes Wort untrennbar ein Gesprochenes und ein Gehortes ist.53 Die Erzahler in den Geschichten von Gluck und Serapion, von Berklinger und vom lahmen Vetter (auch der Baron von B. miifite hier nochmals erwahnt

provoziert, mit spiirbarer Leidenschaftlichkeit die Gelegenheit, sein liebstes Theorem darzulegen und zu verteidigen. Denn wie er anschliefiend sagt, wurde „dieses Prinzip“ nach dem Erscheinen der ,Serapionsbriider‘ von „einem strengen Mann verworfen", der darin eine Miftachtung der Verstandestatigkeit gesehen habe. Da es sich indessen gar nicht um ein Spannungsverhaltnis zwischen Verstand und Phantasie handelt, fallt dem Autor die Antwort leicht. Er erklart knapp und unwiderleglich, dafi „die innern Augen, deren Blick die dichterische Anschauung bedingt, eben so gut im Kopf sitzen wie der Verstand", und der „heilige Serapion" habe an beide Krafte gedacht, „als er jenes Prinzip aufstellte, nach dem man nur das lebendig und wahrhaftig ans Licht befordern kann, was man eben so im Innern geschaut". (Bezeichnenderweise vergiCt Eloffmann hier, dafi nicht Serapion, sondern der Freundeskreis jene poetische Ordensregel aufgestellt hat.) Und er schliefit: „Ich bleibe bei diesem Prinzip!" Zur Erganzung dieses Manifestes aber fiigt er noch ein kurzes „Billet der reisenden Enthusiasten" bei (in der Manier der einstigen Kreisleriana), wo der Besuch einer Kunstausstellung geschildert wird, in der dem Erzahler plotzlich eines der Bilder lebendig wird - die innere Sehkraft also wie bei Serapion, d. h. beim „wahren Dichter", projizierend die Aufienwelt iiberschichtet. Die seltsame Magie, welche die Uberschrift „Der Zuschauer" auf Hoffmann ausiibte, blieb auch weiterhin bestehen und lieE ihn ein Jahr spater das angeschlagene Thema in seinem bedeutendsten poetischen Programmstiick, eben dem ,Eckfenster‘, gesteigert durchfiihren. Die Erzahlung konnte selber ,Die Zuschauer' heifien, denn nur als solcher lebt der Vetter, von dem sie handelt, als ein Schauender im Hoffmannschen Sinn, der letzte und ergreifendste Bruder Serapions.

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werden) sind deshalb prononciert als zufallige Zeugen hingestellt, die nur fur einen Augenblick teilnehmen diirfen an der rastlosen Arbeit der einsamen Gehirne. Von einem unaufdringlichen Erzahlmotiv aus haben wir also noch einmal Riickschau halten konnen auf die wichtigsten Ergebnisse des Kapitels, welche die Grundlage alles folgenden sein werden. Die methodische Schwierigkeit, welche zu Beginn dargelegt wurde, daft es namlich mit Hoffmanns theoretischen Ausfiihrungen und mit der VerlaElichkeit sei¬ ner diesbeziiglichen Dikta seine Tiicken habe, hat sich bestatigt, ebensosehr aber auch die Tatsache, da£ der gleiche Hoffmann als Erfinder von Figuren, Situationen und Geschehnissen von einer Konstanz und Folgerichtigkeit ist, die bei sorgfaltigem synoptischem Vorgehen feste, vielfach abstiitzbare Ergebnisse ermoglicht und damit auch zur kritischen Auswertung der essayistischen Teile seines Werkes durchaus Hand bietet. Noch einmal aber sei hier betont, da£ die aufgedeckten Theorien iiber den EntstehungsprozeE des Kunstwerks und die von daher bestimmten Varianten der kiinstlerischen Arbeitsweise nicht unbesehen auf die Tatigkeit des Schriftstellers Hoffmann selber iibertragen werden diirfen. Wir versprechen uns zwar von der Untersuchung dieser Relation wichtige Einsichten, gerade deshalb miissen wir jedoch umsichtig vorgehen und autobiographische Kurzschliisse vermeiden.

53 Es ist bezeichnend fur den geheimen Zusammenhang der scheinbar rein additiven ,Eckfenster‘-Erzahlung, daE darin die Anekdote vom Madchen vorkommt, welches „niemals daran gedacht, dafi die Bucher, welche sie lese, vorher gedichtet werden mii£ten“, und dem „der Begriff eines Schriftstellers, eines Dichters [...] ganzlich fremd“ ist. „Ich glaube wahrhaftig“, meint der Vetter dazu, „bei naherer Nachfrage ware der f...] Glaube ans Licht gekommen, dafi der liebe Gott die Bucher wachsen liefie wie Pilze“ (IV. 608). Damit wird eine radikale Gegenposition zu den Serapionfiguren bezeichnet: die Kunst als reines Aufieres, Opus ohne Actus.

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II. KAPITEL

DIE GEMALTE GELIEBTE

Der Weg zur Selbsterkenntnis als Handlungsdiagramm. Die Moglichkeit des Scheiterns

Es hat sich erwiesen, dafi die Genese eines Kunstwerks zu jener beschrankten Zahl von Vorgangen und Motivkomplexen gehort, die der ungestiim erfindende und erzahlende Geist Hoffmanns immer wieder aufgreift und in wechselnden Formen zur Darstellung bringt. Dabei wurde eine Auffassung dieses Entstehungsprozesses sichtbar,

die als

durchaus personlich und eigenstandig betrachtet werden mufi, eine Auf¬ fassung, mit welcher der Dichter aufierhalb der Denkweise seiner Zeit steht und Tone anschlagt, wie sie in solcher Radikalitat erst spater auch von anderswoher vernommen werden. Fur Hoffmann gibt es keine Ana¬ logic mehr zwischen Natur- und Kunstprodukt, - nicht weil er das kiinstlerische Tun gegeniiber der fraglosen Vollendung alles Gewachsenen als nichtig empfande, sondern umgekehrt: auf Grund einer schroffen Verneinung alles Natiirlichen im Sinne des Vegetativ-Organischen. Nur im Innern des Einzelnen befindet sich das Absolute, das Gottliche, oder wie immer man das Mythologem nennen will, das der Dichter selber begrifflich nicht genau zu fassen weifi. Auf ihm beruht jenes besondere „Schauen“, das Prinzip aller Kunst, welches Hoffmann, der philosophische Dilettant, so unbeholfen wie hartnackig wieder und wieder formuliert,

bezeichnenderweise gerade hier

das Termini-Ge-

schiebe der spatromantischen Koine vermeidend.1 1 Als Differenzialbeispiel sei auf eine Stelle Achim von Arnims hingewiesen, eines Autors, der Hoffmann beeinfluftt hat und auch seinerseits von ihm lernte. In seiner Erzahlung ,Die Majoratsherren' hat er eine Stelle als von besonderer Wichtigkeit gesperrt: „... und es erschien iiberall durch den Bau dieser Welt eine hohere, welche den Sinnen nur in der Phantasie erkenntlich wird: in der Phantasie, die zwischen beiden Welten als Vermittlerin steht und immer neu den toten Stoff der Umhiillung zu lebender Gestaltung vergeistigt, indem sie das Hohere verkorpert.“ (Achim von Arnim, Samtliche Romane und Erzahlungen, hg. von Walter Migge. Miinchen 1965, Bd. Ill, S. 63E). Fur Arnim ist die Phantasie also wesentlich Erkenntnisorgan, das einzige Mittel, die wahr-

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Von diesen gefestigten Ergebnissen her mufi es nun auch moglich sein, einen Motivzusammenhang zu erhellen, der bei der Lekture des Gesamtwerks so uniibersehbar hervortritt, dafi an seiner zentralen Bedeutung fur den Autor nicht zu zweifeln ist. Es handelt sich um das Thema der gemalten Geliebten, das wir bereits einmal gestreift haben, ohne damals naher darauf eingehen zu konnen. Es war dies beim Hinweis auf die Erzahlung ,Die Jesuiterkirche in G.‘ aus den Nachtstiicken. In der stufenweisen Entwicklung des Malers Berthold zu einem im Hoffmannschen Sinne wahren Kiinstler, die auf das Phanomen der Praformation des Kunstwerks hin untersucht wurde, spielte das Portrat der schonen Angiola eine entscheidende Rolle. Es handelte sich dabei um weit mehr als ein dramaturgisches Requisit, wie man es sonst etwa von der Biihne her kennt, wo das Bild der Geliebten einen eigentlichen Topos darstellt, einen Kunstgriff beim Bau der Exposition (man denke an die ,Zauberflote', an ,Turandot‘ und ,Maria Stuart'). Zwar kommt der fragliche Gegenstand in dieser Funktion bei Hoffmann auch vor, aber nie isoliert, nie als reines Mittel zur Handlungssteigerung, sondern immer schon als Teil eines spezifischen Prozesses. Und diesen letzteren gilt es im gegenwartigen Kapitel zu untersuchen. Es ist nicht allein die zahlenmaBige Haufigkeit des Themas, die eine eingehende Behandlung rechtfertigt, sondern auch die Tatsache, dafi Hoffmann in seinen beiden Romanen jene Geschichte, welche den Schlussel bieten soli zum Kern des Ganzen, als Geschichte von einer gemalten Geliebten konzipiert hat. Offensichtlich hat er darin eine einzigartige Moglichkeit gesehen, wichtigste Dinge unmifiverstandlich auszudriicken. Besonders fein gestuft und in alien Phasen ausgearbeitet erscheint der Vorgang, dessen Grundmodell wir also herausstellen mochten, in der Erzahlung ,Der Artushof' (II. 145), von welcher schon im Zusammen-

hafte Beschaffenheit des Weltgawzew, d. h. des sinnlich Fafibaren und des ubersinnlich Jenseitigen in einem Akt zu erfassen. Knapper gesagt: der Phantasie Arnims wird die Welt transparent. Das phantastische Kunstwerk stellt somit fur ihn eine objektive Versohnung der „beiden Welten" dar. Fur Hoffmann bewirkt die tatige Phantasie keine objektive Transparenz, sondern schafft projizierend einen magischen Kreis um das erregte Ich, in dem dieses die gefahrliche, aber einzig mogliche Art von Freiheit findet. Philosophiegeschichtlich gesehen, steht Arnim naher bei Schelling und Goethe, Hoffmann im Schattenwurf Fichtes. Er hatte, im Gegensatz zu Arnim, den friihen Versen Brentanos zustimmen konnen: Und wer sich mit Liebe nicht selber umarmt, Fur den ist das Leben zum Bettler verarmt. (Clemens Brentano, Werke, Bd. I, hg. von Friihwald, Gajek und Kemp. Miinchen 1968, S. 30)

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hang mit dem Motiv der leeren Leinwand die Rede war. Es ist die Geschichte vom jungen Traugott, der in Danzig als Borsenkaufmann tatig ist, unmittelbar vor der Griindung einer Finanzcompagnie sowie vor der Heirat mit der Tochter seines Partners steht, und der, nach einer stiirzenden Folge innerer und aufierer Abenteuer, in voller Kiinstlerseligkeit deutschromischer Maler in Italien wird. Dieser Werdegang ist aufs engste mit einem Madchengesicht verbunden. Man mufi es so begrenzend formulieren, weil, wie sich zeigen wird, das gleiche holde Antlitz tatsachlich verschiedenen Individuen zukommt. Schon als Knabe fiihlte sich Traugott von den altertiimlichen Bildern im Danziger Borsensaal, dem ,Artushof‘, wunderbar angezogen, vor allem von der Figur eines Jiinglings, „der in seiner Lockenfiille und zierlicher bunter Tracht beinahe weiblich anzusehen war“ (IF 146), und in kindisch-spielerischen Zeichenversuchen bemiihte er sich, den „sch5nen Pagen“ abzubilden (II. 153). Nun, da er taglich am kommerziellen Betrieb teilnimmt, wirkt die seltsame Radiation des Freskos noch verstarkt auf ihn und bringt ihn mit seinem Metier in schlimme Konflikte. So passiert es ihm, dafi er beim Schreiben eines dringlichen Geschaftsbriefes ungewollt ins Skizzieren gerat und jenen Jiingling samt dessen Begleiter, einem ernsten alten Mann, auf das Papier zeichnet. Diese halb traumhafte Tatigkeit entspricht der Tatsache, daB er gar nicht weifi, was ihn an dem Bild denn so beriihrt; er wird davor „jedesmal mit seltsamer unbegreiflicher Wehmut befangen“, und aus dem bewunderten Gesicht strahlt ihm „eine ganze Welt siifier Ahnungen entgegen“ (II. 146). Wehmut und siifie Ahnungen, das sind leise Vorformen jenes hochsten Gefiihls, der „Sehnsucht“, die nicht auf ein Ziel gerichtet ist, sondern sich in sich selber erfiillt als die emotionale Erscheinungsform des inwendigen Absolutums (vgl. Anm. 43). Die erste Stufe der Kiinstler- und Selbstwerdung des Helden, ein sanft-skurriles Praludium, steht also bereits in ursachlicher Beziehung zu einem Bild. Was ungekannt in seinem Innern ruht, schimmert ihm in magischen Lichtern von der Wand entgegen, und er nimmt es glaubig als ein Wunderbares an. Von den Ausfiihrungen des vorigen Kapitels her wissen wir, dafi hier bereits die spezifisch Hoffmannsche Projektion spielt, jene zentrale Tatigkeit der Seele, welche nach den ersten leichten Regungen iiblicherweise zu immer fabuloseren Erlebnissen des Helden fiihrt, so lange, bis dieser erkennt, dab er alles im Grunde selbst veranstaltet hat, dafi die Sonne, deren phantastische Protuberanzen ihn jagen, angstigen und verziicken, in seiner eigenen Brust ruht. Das erste Mirakel geschieht im gleichen Moment, da Traugott die Zeichnung auf den Geschaftsbrief wirft: es klopft ihm einer auf die 40

Schulter, er wendet sich, hinter ihm stehen greifbar lebcndig der ernste Alte und der „wunderbar schone Jiingling", vollig so, wie sie vor ihm auf dem Papier, wie sie oben an der Wand sind, nur durch lange Mantel unauffallig gemacht.

„Blitz und Schlag“ fahren durch Traugott, er

starrt die beiden fassungslos an, da sind sie schon wieder in der Menge verschwunden. Wie er sich nach einiger Zeit erholt hat, stellt er fest, da£ in ihm eine Wandlung vorgegangen ist; „es war ihm, als wisse er nun alles deutlich, was sonst nur Ahnung und Traum gewesen“ (II. 150). Er spricht kiihn und selbstgewifi iiber Dinge der Kunst, wie er es bisher nie gewagt hat, und verteidigt vor allem die Gemalde des Artushofs, von denen „einzelne Figuren" ihn „mit deutlichen Worten daran gemahnt (hatten), dafi er auch ein machtiger Meister sei und schaffen und bilden konne

(150). Es ist offensichtlich: nach seiner tiefsten Ober-

zeugung ist ihm ein Bote aus einer anderen Welt begegnet, aus den jenseitigen Bezirken, welche sein bisheriges Dasein jah relativieren und in seiner Ode entlarven. Wenn das jahrhundertealte Bild lebendig wird und mitten durch seinen Alltag auf ihn zuschreitet, dann wird es zum Beweis, dafi auch von der banalen Gegenwart des merkantilen Danzig aus ein Weg in hoheres, nicht minder reales Leben fiihren mufi. Traugott fiihlt sich wie von einem Engel besucht und ist gleich bereit, dem wortlosen Ruf zu gehorchen. „Was halt mich ab, mich loszureifien von der verhafiten Lebensweise?“ fragt er sich. „Kann ich denn nicht, statt meines unseligen Treibens, ein tiichtiger Maler werden?“ (II. 152). Doch dieser Aufschwung dauert nicht lange an, es folgen Zweifel und schlieblich qualerische Resignation. Zudem entpuppt sich wenig spiiter das wunderbare Paar, das ihm erschienen ist, als der verriickte Maler Berklinger mit seinem Sohn, zwei stadtbekannte Gestalten, die gelegentlich im Artushof verkehren. Diese Entlarvung, die ihm ja eigentlich seine friihere Begeisterung endgiiltig lacherlich machen rniiBte, behebt indessen seine diistere Unruhe nicht, vor allem weil ihn der J tingling bei der zweiten Begegnung wieder mit einem so „wehmiitig freundlichen Blick“ anschaut (II. 154). Er erbittet sich sogar die Erlaubnis, die Bilder des Alten einmal betrachten zu diirfen. Bei diesem Anlafi spielt sich die friiher erwahnte Szene mit der leeren Leinwand ab. Sie macht dem Jungen allerdings keinen besonderen Eindruck, und auch die Gemalde aus Berklingers fruherer Zeit sieht er sich mit Oberraschung, aber ohne tieferes Empfinden an. Die Absicht des Besuches ist damit erfullt; er wendet sich zum Gehen, zuriick ins Geschaft und zu seiner kochtiichtigen Braut. In diesem Augenblick ereignet (oder wiederholt) sich etwas uns prinzpiell nun bereits Bekanntes: „Schon wollte Traugott ins Vorzimmer zuriickkehren, als er dicht an der Tiir ein Bild wahrnahm, vor

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dem er wie festgezaubert stehenblieb. Es war eine wunderliebliche Jung¬ frau in altteutscher Tracht, aber ganz das Gesicht des Jiinglings, nur voller und hoher gefarbt, auch schien die Gestalt grofier. Die Schauer namenlosen Entziickens durchbebten Traugott bei dem Anblicke des herrlichen Weibes. An Kraft und Lebensfiille war das Bild den Van Dykschen vollig gleich. Die dunklen Augen blickten voll Sehnsucht auf Traugott herab, die siifien Lippen schienen halb geoffnet liebliche Worte zu fliistern! - ,Mein Gott! - mein Gott!‘ seufzte Traugott aus tiefster Brust: ,wo! - wo ist sie zu finden?' — ,Gehen wir‘, sprach der Jiingling. Da rief Traugott wie von wahnsinniger Lust ergriffen: ,Ach sie ist es ja, die Geliebte meiner Seele, die ich so lange im Herzen trug, die ich nur in Ahnungen erkannte! — wo - wo ist sie!‘“ (II. 158) Es ist das gleiche Gesicht, das den Knaben im Artushof so merkwiirdig bewegte, das ihn spater bei der Borsenarbeit um die Seelenruhe brachte, das ihm mit dem jungen Berklinger lebendig begegnete, ihn zunachst aufwiihlte und dann zu sachlicher Haltung beruhigte. (Der wahnsinnige Alte ahmte, wie man in Danzig wuftte, absichtlich jenes Wandbild nach, von der zufalligen Ahnlichkeit dazu veranlaftt). Nun aber erweist sich diese Dampfung als tauschend; das Innere Traugotts braust vulkanisch auf: er begreift die tiefste Sehnsucht seines Lebens als die Sehnsucht nach diesem hier gemalten Madchen. Bei der Begegnung im Artushof wurden ihm seine Ahnungen zum ersten Mai iiberhaupt als solche bewuftt; hier nun haben sie sich in klare Erkenntnis gewandelt: alles ihm mogliche Gluck hangt vom Besitz des Madchens ab, der „Geliebten seiner Seele“. Der junge Berklinger setzt diesen Hoffnungen allerdings gleich drastische Grenzen, indem er erklart, das Portrat stelle seine verstorbene Schwester Felizitas dar. Dennoch steht Traugotts Entschlufi fest: ein solches Mali von Schonheit, wie es dieses Bild erreicht, ist ihm noch nie begegnet; so will er malen konnen; er bittet Berklinger, ihn zum Schuler anzunehmen. Es ist eines der bedeutendsten Charakteristica der Hoffmannschen Erzahlungen, daft, von wenigen Ausnahmen abgesehen, alle seine Helden standig ironisiert werden. Das unterscheidet sie von vielen romantischen Traumlaufern, besonders von jener Filiation, die von ,Heinrich von Ofterdingen' durch die Metamorphosen der ersten Jahrhunderthalfte zum ,Nachsommer‘ fiihrt. Hoffmanns Geschopfe gehoren da, wenn man eine ahnlich oberflachliche Parallele ziehen will, eher auf die Linie zwischen den ,Flegeljahren‘ und dem ,Griinen Heinrich'. Dabei liegt das Meftprinzip, welches diese Ironie bestimmt, weder in einem JeanPaulschen Unendlichkeitsbegriff noch in Kellers Wissen um das Rechte Leben in Verganglichkeit, sondern in der Tatsache, daft alle diese stiir42

menden und strauchelnden Anselmi durch hundert Verzwickungen dem nachjagen, was sie von Anfang an schon unwissend besitzen. Solche Ironie verwirklicht sich in unserer Erzahlung nun zum Beispiel darin, dafi, wie der Leser ahnt und der Autor spater zugibt, der „wunderschone Jiingling“ in Wahrheit die verkleidete Felizitas ist, die der Vater aus aberglaubischen Griinden mannlich kaschiert. So verzehrt sich Traugott nun beinahe vor Sehnsucht nach dem Madchen, mit dem er in Wirklichkeit taglich spricht. Da er jenes Gemalde zudem nicht mehr zu Gesicht bekommt, mufi er sich an seine eigenen „wunderbaren Traume" halten, in denen er Felizitas immer wieder sieht; allerdings kommt es ihm auch in der Nahe des „Jiinglings“ oft vor, „als stehe lichthell das geliebte Bild neben ihm“ (II. 160). So komodiantisch die Situation ist, so sehr sie alter Novellentradition entspricht, wir diirfen dariiber doch die Anstrengung nicht iibersehen, mit der der Autor das schone Antlitz von seiner Tragerin zu losen bemiiht ist. Es erhalt gegen den Willen Traugotts, und ohne daB es ihm zu BewuBtsein kommt, eine wachsende Eigenstandigkeit; schon beim letztzitierten Satz konnen wir nicht mehr sagen, ob der Ausdruck „das geliebte Bild“ nun das Portrat oder dessen Modell oder die Phantasieform beider im Innern des Jungen meint. Deshalb wischen ja auch die Trager des schonen Gesichts - der Jiingling bei der ersten Begegnung im Artushof; das Gemalde im Atelier Berklingers - nur fliichtig vor den Augen Traugotts voriiber, um ihm in einer Schrecksekunde den Brand in die Brust zu werfen. Wie sehr diese Beobachtung zutrifft, zeigt das unmittelbar folgende Abenteuer. Als Traugott einmal verspatet zum Haus des Malers kommt, hort er darin zu seiner Uberraschung Fautenklange: „Er horchte - wie leise Seufzer schlich ein abgebrochener Gesang durch die Akkorde hin. Er driickte die Tiir auf - Himmel! den Rticken ihm zugewendet saB eine weibliche Gestalt, altteutsch gekleidet mit hohem Spitzenkragen, ganz der auf dem Gemalde gleich! - Auf das Gerausch, das Traugott unwillktirlich beim Hereintreten gemacht, erhob sich die Gestalt, legte die Laute auf den Tisch und wandte sich um. Sie war es, sie selbst! - .Felizitas!' schrie Traugott auf voll Entziicken, niederstiirzen wollte er vor dem geliebten Himmelsbilde, da fiihlte er sich von hinten gewaltig gepackt ...“ (II. 160). Der Alte wirft ihn zum Haus hinaus; Traugott ist halb wahnsinnig vor Liebesqual; anderntags steht die Malerwohnung leer, Bild und Jiingling (und Felizitas) sind verschwunden. Fur den behutsamen Feser sind diese Ereignisse durchaus nicht ratselhaft. Er weiB, daB der harmlose Spleen des Alten an den verschiedenen Bekleidungen des Madchens Schuld tragt. Dem Jungen hingegen ist jede Phase ein erneutes Wunder, jede Begegnung mit dem schonen Antlitz

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erscheint ihm als jaher Rift durch den Schleier von Sais, dessen Wirkung auf sein Inneres auch bestehen bleibt, wenn ihm die natiirliche Erklarung langsam deutlich wird. Um es ganz konkret zu sagen: der Wahnsinn des Malers besteht darin, daft er ein Meister aus dem ij.Jahrhundert zu sein glaubt, jener Mann, der im Artushof abgebildet ist; deshalb mufi seine Tochter, wenn er ihr zu Hause weibliches Gewand gestattet, altteutsche Tracht tragen, und deshalb hat er sie auch so gemalt. Traugott nun sieht zuerst das Portrat als das einer Verstorbenen und dann zufallig das Madchen in seinem kuriosen Hauskleid: er erlebt bei vollem Bewufttsein, daft ein gemaltes Bild, an dem er in besonderer Weise hangt, vor seinen Augen lebendig wird; der Vorgang im Artushof (mit dem gemalten und dem lebendigen Jiingling) wiederholt sich somit in intensiverer Form. Und erneut geschieht dies in der kleinstmoglichen Zeiteinheit, dem Liebesaugenblick, der als ein Hoffmannscher Topos bezeichnet werden muft. Aus den bereits erwahnten Werken sei nur an die analoge Stelle in der Jesuiterkirche' erinnert (I. 432). Diese Reduktion der entscheidenden Begegnung auf einen einzigen jahen Moment ist nicht zuletzt deshalb von Bedeutung, weil sie zeigt, wie sehr es hier um den reinen Erkenntnisakt des Efelden und nicht um ein personales Zusammenfinden geht. Daher ist es auch nur eine novellentechnische Frage, ob jener Vorgang, die Verlebendigung des geliebten Bildes, auf einer Projektion des Helden beruht oder, wie in unserem Fall, auf unbegriffenen Realitaten. Eines allein ist wichtig: daft der junge Mann ein greifliches und erstrebbares Ziel seiner Sehnsucht vor Augen gestellt bekommt, ein Ziel, das ihn vorerst diese Sehnsucht als solche erkennen laftt, dann aber auch zum Aufbruch aus dem blinden Leben bewegen kann, zur kompromifilosen Jagd nach dem hochsten je von seinen Sinnen Erfaftten. Am Ende jedoch, in der letzten und gefahrlichsten Meta¬ morphose, wird er dieses Ziel als gar nicht aufter ihm existent begreifen miissen, als den reinen Spiegelwurf seines Innersten, die einzige Gestalt, in der dieses letztere iiberhaupt erkennbar ist. ,Der Artushof' ist eine der wenigen Erzahlungen Hoffmanns, in welchen der schwierige Prozefi vom Helden ohne Hilfe bestanden wird; sonst stehen den jungen Enthusiasten meist die iiberlegenen Mentorfiguren zur Seite, die ihnen zwar kein Stolpern und keinen peinvollen Salto ersparen (im Gegenteil, sie stoften oft genug noch kraftig nach), die aber doch dafiir zu sorgen trachten, daft die Entwicklung nicht auf einer Vorstufe zum Stillstand kommt. Denn wo dies passiert, und es gibt bei Hoffmann schauerliche Beispiele, besteht nicht nur die Gefahr eines verstarkten „Philistrismus“ (II. 47), sondern von Verbrechen, Totschlag und Selbstmord. Der kapitale drohende Fehlschritt ist dabei stets die Heirat, der physische Besitz

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der Geliebten, der natiirlich die entscheidende „Umkehr“, die Erkenntnis des schonen macht.

Antlitzes

als

Spiegelbild

des

eigenen

Ich,

unmoglich

Nun ist es wohl ohne weiteres verstandlich, dafi eines der wichtigsten Motive im Handlungsgeflecht um das Wachsen ebendieser Erkenntnis die gemalte Geliebte ist, dafi sie in so vielen Geschichten Hoffmanns an so wesentlichen Stellen des Ablaufs vorkommt. Je nachdem, in welcher Phase des Prozesses das Portrat vom Autor eingesetzt wird, bildet es eine Vorstufe zur Begegnung mit dem wirklichen Madchen (das Bild wird lebendig) oder aber den Abschlufi dieser Begegnung, das Symbol der erreichten Einsicht (die Geliebte wird zum Bild); nicht selten finden sich in der gleichen Erzahlung beide Moglichkeiten. In unserem Fall, dem ,Artushof‘, wo wegen der fehlenden Mentorgestalt das Motiv in so vielen Funktionsvarianten aufgeboten wird wie, von den ,Elixieren des Teufels' abgesehen, sonst wohl nie, hat sich das erstere Geschehen, wie wir verfolgen konnten, in spektakularer Form abgespielt; wir stehen also in der Mitte des Ganzen. Traugott ist iiber dem Verschwinden des Malers und seines Anhangs in neue Depressionen versunken und briitet Resignationsgedanken: „ ,Ach‘, sprach er, ,bittre, bittre Tauschung war mein Beruf zur Kunst; Felizitas war das Trugbild das mich verlockte zu glauben an dem (sic!),2 das nirgends lebte als in der wahnsinnigen Fantasie eines Fieberkranken/“ (II. 162). Damit spricht er in seiner Triibsal ironischerweise genau die Wahrheit aus, auf die sein Lebensgang zustrebt, die er aber noch nicht zu begreifen vermag. Sein Kunsttraum ist fur ihn noch untrennbar verbunden mit dem Besitz des Madchens Felizitas; ihr Verlust lahmt ihm alles Streben. Der Gedanke, sie konnte ein Phantasma gewesen sein, der spater zum Angelpunkt seines Kiinstlerlebens wird, lafit ihn jetzt erneut an die Borse und zu seiner braven Christine zuruckkehren, wo ihm fur kurze Zeit nichts von dem erlebten Glanze iibrigbleibt als die „herzzerschneidende Wehmut“ beim Anblick des alten Wandbilds. Fur kurze Zeit: denn unversehens erfahrt er, was andere schon langst wissen, dafi der verriickte Berklinger wirklich eine Tochter hat (bald im Pagen-, bald im altfrankischen Frauenkleid) und jetzt „in Sorrent“ wohnt. Und wie Traugott durch jede Aufhellung

in

einen

neuen

Irrtum fallt,

denkt er

auch jetzt bei

„Sorrent“ nur an Italien, nicht an das gleichnamige Landhaus bei Dan2 Es handelt sich bei dieser, in verschiedenen Ausgaben korrigierten Wendung um eine Eigentumlichkeit Hoffmanns. So heifit es in der Hexen-Diskussion der Serapionsbriider: „Gewifi ist es, dafi [...] jene ungliicklichen Wesen, die man so grausam mit Feuer und Schwert verfolgte, an allem dem wirklich glaubten, dessen man sie beschuldigte" (II. J27). 45

zig, wo Felizitas tatsachlich zu finden ware. Mit doppelter Kraft erfabt ihn der Furor, tobend lost er die Verlobung auf: „ ,Ich werde Christinen nimmermehr heiraten1, schrie er, ,sie sieht der Voluptas ahnlich und der Luxuries, und hat Haare wie die Ira auf dem Bilde im Artushof. - O Felizitas, Felizitas! - holde Geliebte - wie streckst du so sehnend die Arme nach mir aus! - ich komme! - ich komme!' “ (II. 163). Und er reist stracks nach Italien. Die Fahrt ist, von seinen Absichten aus gesehen, ebenso grotesk wie jene Szenen, da er neben der verkleideten Geliebten sehnsiichtig an diese denkt. Dennoch tut er hier wie dort genau das Richtige; das komische Mifiverstandnis fiihrt ihn jenen Weg, den er zu seinem Gluck gehen mufi, den er aber sonst nie betrate, - solange nicht, als er das Ziel seines inneren Dranges als die Umarmung der lebendigen Felizitas mifiversteht; oder anders gesagt: solange, als das lebendig gewordene Bild nicht erneut ins Unvergangliche transformiert worden ist. Dieser ProzeB setzt denn auch ein, sobald er im „Land der Kunst“ (II. 163) anlangt. Die Freundschaft und die gemeinsame Arbeit mit den deutschromischen Malern dampft seine Rastlosigkeit. Zwar will er unverwandt nur eines: Felizitas finden; - „aber milder war die Sehnsucht geworden, sie gestaltete sich im Innern, wie ein wundervoller Traum, dessen duftiger Schimmer sein ganzes Leben umflofi [...]. Jede weibliche Gestalt, die er mit wackrer Kunstfertigkeit zu schaffen wufite, hatte die Ziige der holden Felizitas" (II. 164). Nun malt er also das ge¬ liebte Antlitz selber; die entscheidende Gegenbewegung, die zur vollen Erkenntnis der zeitlosen Immanenz des Bildes fiihren mub, ist damit im Gange. Aber wie alle Inbriinstig-Naiven Hoffmanns hat er schwer, umzudenken, ja er konnte es iiberhaupt nicht, wenn ihm nicht das Leben oder besser: der Autor, dem an seiner paradigmatischen Novelle gelegen ist, weiterhin mit stiirmisch padagogischen Abenteuern auf den Fersen bliebe. Und hier nun leistet sich dieser Erzahler etwas, das den unbefangenen Leser trotz der komodiantischen Schleier leicht schockiert, das aber gerade deshalb besonders aufschluftreich ist. Plotzlich geht namlich die Rede, das Madchen, welches Traugott auf tausend Bildern darstelle, befinde sich in Rom, man habe sie gesehen, sie sei „die Tochter eines armen alten Malers [...], der eben jetzt die Wande in der Kirche Trinita del Monte anstreiche" (II. 164). Traugott stiirmt los, sieht sie von fern, ruft: „Sie ist es!“ und stlirzt zu der Erschrockenen hin. Und nun fahrt Hoffmann unverfroren weiter: „Sie hatte die Ziige der Feli¬ zitas, sie war es aber nicht" (II. 165). Zu all den Varianten des einen Gesichts, die in der kurzen Erzahlung bisher aufgeboten wurden, kommt also eine weitere in Gestalt einer fast perfekten physiognomischen Ver-

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dopplung der Felizitas. Wenn bis jetzt noch Zweifel an der hinter den phantastischen Tumulten versteckten Methode vorliegen konnten, so diirften sie nun endgiiltig beseitigt sein. Um das Antlitz der Felizitas als ideellen Urbesitz Traugotts zu erweisen, mufi Hoffmann die Identitiit von Gesicht und Seele auflosen, die ein Grundbestandteil spontaner anthropologischer Erfahrung ist. Und dieses Auflosen kann nicht radikaler geschehen als durch die Verdopplung der auEern Erscheinung. Dabei drangt sich natiirlich die Erinnerung an Kleist auf, an Alkmene vor den zwei Amphitryonen; aber bei Hoffmann steht der Vorgang in anderer Beleuchtung. Was Kleist im Innersten bewegt, ist die Beschaffenheit einer Welt, in der solche Duplikation des beseelten Leibes moglich ist; fur Hoffmann steht diese Beschaffenheit von vornherein fest. Die Verdopplung der Geliebten, wenn sie von einem Helden Kleists erfahren wird, gleicht einem Blick in den Tartarus, - durch einen RiE hindurch, der sich nie mehr schlieEen kann. Hoffmann bewerkstelligt sie mit einer fast anstdEigen Leichtigkeit, als ein Mittel, den Helden zum Kapieren dessen zu bringen, was er zu seinem eigenen Heil nun endlich einmal kapieren soli. DaE das Romermadchen Dorina die gleichen Ziige tragt wie Felizitas, ist von Hoffmann nicht als ein metaphysischer Genickschlag fur Traugott gedacht, sondern als hilfreiche Belehrung. Diese zeitigt denn auch bald einmal die gewiinschte Wirkung. Zwar fiihlt sich der junge Kiinstler durch die Tauschung zunachst „wie mit tausend Dolchen durchbohrt" (IE 165), aber wenig spater folgen sanftere Regungen. „Traugott muEte gestehen, daE auEer Felizitas kein Madchen so ihn im Innersten aufgeregt hatte als Dorina" (II. 165). Auch erfaEt er die Differenz zwischen den beiden Frauen in hochst bezeichnender Weise: „Es war dasselbe Bild von Raffael und von Rubens gemalt"

(II. 165).

Ob

dazu

noch

Unterschiede

psychischer

Natur,

Nuancen in der Physiognomic der Seele vorliegen, danach wird iiberhaupt nicht gefragt. Es geht um das Gesicht und um nichts anderes, und da lassen sich die Stufungen am besten mit kunstgeschichtlichen Kriterien fassen. Der Satz lautet ja auch nicht, wie man erwarten konnte: „Es war dasselbe Madchen, von Raffael und von Rubens gemalt", son¬ dern: „dasselbe Bild", was man wohl mitRecht in Zusammenhang brin¬ gen darf zu Traugotts Traumbesitz, zu jenem Gesicht, das er seit je in sich tragt, das ihn Felizitas lieben lieE und das ihn nun auch mit Dorina in ein ahnliches Verhaltnis bringt. Aber da es sich jetzt um zwei Geschopfe handelt, wird ihm die irrige und potentiell verhangnisvolle Identifizierung seiner innersten Seelensehnsucht mit dem Streben nach Umarmung und Zusammensein auEerordentlich erschwert. Er gerat in den letzten Zwiespalt, auf den die endgiiltige Klarung folgen muE.

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Nach einigen Wochen freundschaftlichen und immer herzlicheren Umgangs mit Dorina fordert der Alte namlich die Verlobung; der Ruf des Madchens sei sonst gefahrdet. Traugott erschrickt: „Felizitas stand ihm wieder lebhaft vor Augen, und doch war ihm, als konne er Dorina nicht lassen“ (II. 166). Er muE sich entscheiden und weiE doch nicht, wie er es anstellen soli. Zwar formt sich die erlosende Einsicht schon mit deutlichen Konturen in seinem miihsamen Kopf, aber er wagt den schwebenden Gedanken noch nicht mit Willen zu erfassen und zum Fundament von Entschliissen und Taten zu machen. „Auf wunderbare Weise konnte er sich den Besitz der entschwundenen Geliebten als Frau nicht wohl denken. Felizitas stellte sich ihm dar als ein geistig Bild, das er nie verlieren, nie gewinnen konne. Ewig geistiges Inwohnen der Geliebten - niemals physisches Haben und Besitzen. — Aber Dorina kam ihm oft in Gedanken als sein liebes Weib [...], und doch diinkte es ihm Verrat an seiner ersten Liebe, wenn er sich mit neuen unaufloslichen Banden fesseln lieEe" (II. 166). Denn er weiE: Felizitas lebt irgendwo, wartet vielleicht auf ihn; wie sollte er sie da „als ein geistig Bild“ auffassen konnen, auch wenn ihm solches immer wieder vorkommt? So zieht er denn tapfer die Konsequenzen und nimmt die Suche wieder auf, obwohl der Abschied von Dorina bitter ist. Er geht nach Sorrent; niemand weiE etwas von Felizitas; er bleibt und wartet und libt sich in seiner Kunst. Die beiden Schonen schweben ihm unverriickt im Sinn, wobei die scholastische Differenzierung seiner Gefiihle bestehen bleibt: auf der StraEe ruft ihm jedes schone Madchen die Dorina vor Augen, beim Malen denkt er einzig an Felizitas (II. 167). Eigentlich ware damit alles entschieden, - wenn Traugott es nur merken wollte. Aber diese treuherzige Schwerfalligkeit gehort nun einmal wesentlich zu den hidden von Floffmanns Erziehungsnovellen, eine Schwerfalligkeit, die nur den wiederholten und massiven StoEen der jeweiligen Mentoren oder, wie in unserm Falle, des jederzeit sichtbaren, schicksalspinnenden Erzahlers weicht. Dieser bringt denn auch in einem rasanten SchluE die Sache zur falligen Losung. Traugott wird geschaftlich nach Danzig gerufen, merkt endlich seine groteske Verwechslung der beiden „Sorrent" und vernimmt. daE „Mamsell Felizitas" inzwischen ohne weitere Mirakel den Hof- und Kriminalrat Mathesius geheiratet, sogar die Familie bereits respektabel vermehrt hat. Der junge Maler wird fur kurze Zeit von dem zu erwartenden „wilden Jammer" (II. 168) erfaEt; dann bricht die befreiende Erkenntnis durch, auf welche die ganze Erzahlung von Anfang gezielt hat: „Nein, nein, Felizitas, nie habe ich dich verloren, du bleibst mein immerdar, denn du selbst bist ja die schaffende Kunst, die in mir lebt. Nun - nun erst habe ich dich erkannt. Was hast du, was habe ich mit 48

der Kriminalratin Mathesius zu schaffen!“ (II. 169). Und wieder reist er nach Italien, Feligitas fur immer in der Brust und auf immer in die Arme der Dorina. Den Schliisselsatz bildet zweifellos der Ausruf: „Du selbst bist ja die schaffende Kunst, die in mir lebt“; und er wird profiliert durch die trotz allem erstaunliche Bemerkung: ,,'Was hast du (i. e. Felizitas) mit der Kriminalratin Mathesius zu schaffen!“ Damit ist der Kreis geschlossen, das geliebte Gesicht hat sich endlich als seit jeher besessenes Gut erwiesen. Die schone Malerstochter aber (die ihn immerhin einst auch geliebt hat, wie Floffmann unverkennbar deutlich macht) ist nun kaum mehr als ein ausgedienter Spiegel, ja es fallt sogar eine Spur bosen Hohns auf sie, - weil sie als Person geliebt wurde, obwohl nur ihre AuCenseite von Bedeutung war! Wie friiher die harmlose Christine kommt sie in ein fahles Licht, in die nur halbwegs komische Vergleichbarkeit zu Ira, Voluptas und Luxeries (vgl. S. 46). Diese plotzlich aufbrechende Harte den iiber lange Strecken hin durchaus liebenswiirdig, gelegentlich sogar ergreifend gezeichneten Madchengestalten gegeniiber ist bei Hoffmann oft festzustellen; es ist eine Inkonsequenz innerhalb des einzelnen Stiicks, die auf einer tieferen, unerbittlicheren Konsequenz beruht. Das bekannteste Beispiel diirfte die Beziehung zwischen Anselmus und Veroni¬ ka im ,Goldnen Topf‘ darstellen; vielleicht am krassesten erscheint die erzahlerische Gewaltsamkeit in der ,Brautwahl‘, wo die entziickende Albertine auf der letzten Seite mit einem einzigen unguten Satz schroff und fiir den unbefangenen Leser geradezu emporend ins Philistrose umgestaltet wird.3 Diese eigentiimliche Lieblosigkeit um des Hoheren willen stellt eine wichtige Dimension in Hoffmanns erzahlter Welt dar, und es ist kein Zufall, dafi Jean Paul in seiner Vorrede zum ersten Band der ,Fantasiestiicke‘, die auf Ersuchen des befreundeten Verlegers zustande kam, gerade aus solchen Tendenzen einen harten Vorwurf machte. Der Abschnitt sei hier zitiert; er kann manches verdeutlichen. Jean Paul schreibt: „Ein Kiinstler kann leicht genug - Beispiels halber sei es unser Verfasser - aus Kunstliebe in Menschenhaft geraten, und die Ro-

3 „Edmund, so schmerzlich ihm die Trennung von der Geliebten werden mufite, fiihlte doch den dringenden Trieb zu wallfahrten nach dem Lande der Kunst und auch Albertine dachte, wahrend sie die bittersten Tranen vergofi daran, wie interessant es sein wurde, in diesem, jenem Tee, Briefe, die sie aus Rom erhalten, aus dem Strickkorbchen hervorzuziehen" (II. 597). - Der „Tee“, als gesellschaftliche Veranstaltung, ist in Hoffmanns Werk ein Obel von fataler Gewalt. Das Motiv erscheint so haufig und in der Wertung so stereotyp negativ, dafi er es bei der blofien Erwahnung bewenden lassen kann, wenn eine Ge¬ stalt degradiert werden soil.

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senkranze der Kunst als Dornenkronen und Stachelgiirtel zum Ziichtigen verbrauchen. Inzwischen bedenk er doch sich und die Sache! Die durch Kunstliebe einbiibende Menschenliebe racht sich stark durch Erkaltung der Kunst selber; denn Liebe kann wohl der Mebkiinstler, Denkkunstler, Wappenkiinstler entbehren, aber nicht der Kiinstler selber, er sei einer in welchem Schonen er’s wolle. Liebe und Kunst leben gegenseitig ineinander, wie Gehirn und Herz, beide einander zur Wechselstarkung eingeimpft“ (I. 9). Ob hier wirklich der ganze Jean Paul spricht (es ist wohl eher Walt als Vult), braucht uns weiter nicht zu beschaftigen. Es bleibt jedenfalls aufschlubreich, wie klar schon bei den ersten Veroffentlichungen Hoffmanns spezifischer Ton vernommen wurde. Dab der Dichter fiber den Kommentar des beriihmten Romanciers nicht eben begeistert war, kann man verstehen. Seine Reaktion ist uns in einem Brief an Kunz vom 24. Marz 1814 iiberliefert; sie zeugt von einer spiirbaren Erbitterung. Zu dem prazisen Vorwurf nimmt er dabei in seltsamer Weise Stellung: „Was aber seine Ermahnung zur Menschenliebe betrifft, so habe ich ja dieser Liebe beynahe zu viel gethan, indem mir oft vor lauter Liebe ganz schwachlich und miserabel zu Muthe worden, dab ich Wein und Arak nachtrinken miissen". Hoffmann spielt hier auf seine Leidenschaft zu Julia Mark an, die der Adressat des Briefes in alien Phasen miterlebt hat. Er wehrt damit Jean Pauls Argument beinahe sophistisch ab, indem er die von jenem geforderte Duldung des Nachsten bewubt mibversteht und aus den Qualen der Julia-Affare geradezu ein Recht zu seiner umstrittenen Haltung ableitet, - eine Pa¬ rade des Juristen Hoffmann, fur die es in den biographischen Zeugnissen noch verschiedene Parallelen gibt. Dennoch ist die Sache nicht so einfach, wie Jean Paul sie sieht, von den ihm vorliegenden Stiicken aus vielleicht auch sehen mubte. Seine Formel „Menschenhab aus Kunstliebe'1 fiihrt namlich insofern irre, als nicht die Kunst (i. e.

eine ungehemmte Apotheose

der Kunst)

fur

Hoffmann das letzte Ziel ist, dem er alles opfert, sondern die in der kiinstlerischen Tatigkeit mogliche Erfahrung des namenlosen menschlichen Innersten als eines Absolutums. Deshalb stellt die Abkehr vom umworbenen Madchen fur den jeweiligen Helden keinen Treubruch seiner Liebe gegeniiber dar. Indem er erkennt, dab diese Liebe gar nie der Person gegolten hat, sondern einzig der auberlichen Verkorperung seines Traumbilds, mub er sogar, um treu zu sein, die Trennung betreiben. Da aber Hoffmann als Erzahler auch die Perspektive der Mad¬ chen durchzuhalten hat, denen er schwerlich die Einsicht in den subtilen Unterschied zwischen ihrer Person und ihrer Aubenseite zumuten kann, greift er, wie gesagt, meist zum Mittel einer leichten CharakterS°

verschiebung und erklart sie kurzerhand zu gliicklichen Philisterinnen. Dies ist nicht voreilig als schriftstellerische Unbekiimmertheit zu tadeln, denn die Durchgestaltung der angelegten Problematik konnte zu im strengsten Sinne tragischen Situationen fiihren. Hoffmann hat diese Moglichkeit ein einziges Mai verfolgt, im Kreisler-Roman, und das Gesprach dariiber zwischen Meister Abraham und der Ratin Benzon gehort denn auch zu den grofSen Stellen seines Werks (III. 499^?.). Wenn es nun, um zur Erzahlung ,Der ArtushoP und zum Motiv der gemalten Geliebten zuriickzukehren, verstandlich geworden ist, warum Traugott die lebendige Felizitas so leicht und lachend sein lafit, so bleibt gerade in diesem Werk ein Knoten bestehen, der unsere Theorie in Frage zu stellen scheint. Denn Traugott heiratet ja trotzdem, und ein Madchen mit dem gleichen Gesicht.4 Ist also die Kiinstler-Ehe, die in der selben Novelle als das schwarze Unheil dargestellt wird, plotzlich doch wieder moglich? Man kann es nicht bestreiten, so sehr es vielen fundierten Untersuchungen zur Liebesproblematik in Hoffmanns Werk zu widersprechen scheint. Die Losung liegt indessen gar nicht so weit ab: Traugott kann Dorina heiraten, weil sie in Rom lebt, in der „Heimat der Kunst“. Wir stofien damit auf einen fur den Dichter sehr wichtigen Ideenzusammenhang, den wir unter dem Begriff der „Utopie einer Kiinstlergesellschaft“ fassen. Es ist hier noch nicht der Ort, darauf naher einzugehen; der Hinweis aber gehort unbedingt in eine Interpretation dieser Novelle (vgl. unten Kap. IV). Von der Erzahlung ,Die BrautwahP war vor kurzem die Rede als von einem Beispiel fur Hoffmanns Bemiihen, das Madchen abzuschiitteln, nachdem der Held auf den rechten Weg gebracht ist. Dieser rechte Weg ist der gleiche wie im ,ArtushoP: die StraCe nach Italien. Noch nicht erwahnt aber wurde, daft auch hier das Portrat der Geliebten in der Handlung ausschlaggebende Bedeutung gewinnt. Nun ist zwar der werdende Maler Edmund nur eine von den zahlreichen Gestalten, die in dieser „Berlinischen Geschichte" (II. 590) durcheinanderwirbeln, aber gerade deshalb muft der Autor an ihm den nun bekannten Prozefi mit besonderer Konzentration zu Ende fiihren. Dieser schriftstellerischen

4 Karl Ludwig Schneider, der in seinem aspektreichen Aufsatz uber ,Kiinstlerschicksal und Philistertum im Werk E. T. A. Hoffmanns' (in ,Die deutsche Romantik', Gottingen 1967, hg. von Hans Steffen) die allzu biographisch ausgerichtete Arbeit von Joachim Rosteutscher (,Das asthetische Idol im Werke von Winckelmann, Novalis, Hoffmann, Goethe, George und Rilke, Bern 1956) mit Nacbdruck korrigiert, spricht in dem Abschnitt uber den ,ArtushoP nur von der Polaritat Christine-Felizitas. Wie sich Dorina mit Hoffmanns „Forderung des Kiinstlerzolibats" (S. 213) vereinigen lafit, wird nicht geklart.

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Aufgabe haben wir es wohl zu verdanken, dafi Hoffmann hier Sinn und Funktion der gemalten Geliebten nicht nur zeigt, sondern mit einer Prazision benennt, wie wir es von ihm sonst nicht gewohnt sind. Die Geschichte findet ihren effektvollen SchluE in einem bewuEt und zugegebenermaEen Shakespeare nachgebildeten Auftritt, einer Kastchenszene wie im ,Kaufmann von Venedig'.5 Dort erhalt derjenige Freier die schone Portia, der die Schatulle mit ihrer Miniatur wahlt; das Bildnis steht in selbstverstandlicher Weise fur die Dargestellte. Bei Hoff¬ mann nun ist alles auf den ersten Blick gleich („der, der Albertines Bildnis gefunden, erhalt ihre Hand“ [II. 587]); die zwei lastigen Anwarter bekommen die erwartete Abfuhr, Edmund umarmt die erwartete Braut. Die Sprikhe des Kastchens aber, von der Mentor-Gestalt des Goldschmieds angebracht, weisen in ganz anderer Richtung. AuEen steht der Satz: „Wer mich erwahlt, dem wird getraumte Seligkeit" (II. 596). Edmund faEt dies unmittelbar als „die Seligkeit, von der man traurnt", als Hinweis auf den Besitz Albertines, und er findet denn auch ihr Bild im Innern. Dabei aber steht, kaum beachtet, der Vers: Ja du trafst es, lies dein Gluck In der Schonsten Liebesblick. Was da war, kommt nie zuriick, So will’s irdisches Geschick. Was dein Traum dir schaffen muE Lehrt dich der Geliebten KuE.

(II. 596)

Die letzten zwei Zeilen zeigen den von Edmund miEverstandenen Sinn des vorgehenden Satzes auf; sie erweisen ihn als Orakelspruch fur eine Zukunft ohne Braut und Gattin. Der „Traum“ ist nicht Vorstufe des realen Liebes-Gliicks, sondern umgekehrt: die Begegnung mit der Gelieb¬ ten, der „KuE“, ist das unabdingbare, aber rasch verstreichende Praludium zum „Traum“ als Ziel, zum alterslosen Besitz des Madchens als phantastisches Ideal. Das Bildnis im Kastchen steht somit nicht fur die Geliebte als Person, sondern fur ihre Existenz in jener Sphare, wo sich auch die Praformation des Kunstwerks bildet (welche ihrerseits damit iiberhaupt erst moglich wird). Die Szene darf demnach als ein besonders deutliches Beispiel gelten fur das, was wir oben die Riickverwandlung ins Bildnis genannt haben; das Portrat wird zum Zeichen des notwen5 Diese Nachbildungen bekannter literarischer Szenen, auf deren Herkunft Hoffmann fast immer verweist, stammen nicht aus einem momentanen Schwund der Erfindungskraft (obwohl man sie fast durchwegs in diesem Sinne zu tadeln pflegth sondern aus dem Wesen seiner Erzahlkunst, welche immer wieder die Dimension des „Machens“, des im besten Sinne technisch-mechanischen Fertigens selbst aufdecken muE (vgl. unten Kap. V). S*

digen Obergangs von der vorlaufigen personalen Begegnung zur „getraumten Seligkeit", zu dem, „was dein Traum dir schaffen Mit einer Stimmigkeit, die uns nun wohl nicht mehr iiberrascht, erscheinen Motiv und Funktion in dem durch die literarische Fortwirkung beriihmten Stuck ,Meister Martin der Kiifner und seine Gesellen' (II. 416). Drei junge Manner werden darin gegen ihre Neigung Faftbinder-Gesellen, weil die schone Meisterstochter nur einem solchen zur Frau gegeben wird. Der eine ist eigentlich ein Maler, der zweite ein Silberschmied, der dritte ein junger Adliger. Flier beschaftigt uns vorerst nur die Geschichte des Kunstmalers Reinhold, weil sie unsere bisherigen Ausfiihrungen durchwegs bestatigt. Der wahre Beruf dieses Gesellen wird namlich gegen Ende der Novelle dadurch aufgedeckt, daft sein Freund in dessen Zimmer unversehens das Portrat der schonen, von alien dreien umworbenen Rosa findet: „Da alles still im Zimmer blieb, driickte er die Tiir, die nicht wie sonst verschlossen war, auf und trat hinein. Aber in demselben Augenblick erstarrte er auch zur Bildsaule. Rosa in vollem Glanz aller Anmut, alles Liebreizes, ein herrliches lebensgrofies Bild stand vor ihm aufgerichtet auf der Staffelei, wunderbar beleuchtet von den Strahlen der Morgensonne. Der auf den Tisch geworfene Malerstock, die nassen Farben auf der Palette zeigten, daft eben an dem Bilde gemalt worden“ (II. 458). Das Licht, das auf dieser Szene liegt, der feuchte Glanz des eben Gewordenen, hat durchaus symbolischen Charakter. Denn aus dem gleich darauf mitgeteilten Werdegang des jungen Mannes vernimmt der Leser, welch entscheidende Peripetie mit der Vollendung des Bildes erreicht worden ist. Reinhold ist bereits einmal Maler gewesen, am Hof des Herzogs von Florenz, angesehen und tiichtig in der aufterlichen „italienischen“ Manier. Das heiftt, er besafi das handwerkliche Konnen wie Berthold in der ,Jesuiterkirche‘ vor der Begegnung mit der gemalten Katharina und der lebendigen Angiola. Der innere Prozeft beginnt nun damit, daft er bei einem Hand¬ ler ein Madonnenbildchen von Diirer sieht. Dieses „durchdringt auf wunderbare Weise (sein) Innerstes" (II.459). Die jahe Entschluftkraft aller Hoffmannschen Helden laftt ihn auf der Stelle nach Deutschland zuriickreisen. „Ich kam hierher nach Niirnberg und als ich Rosa erblickte, war es mir, als wandle jene Maria, die so wunderbar in mein Inneres geleuchtet, leibhaftig auf Erden. [...] mein ganzes Wesen loderte auf in hellen Liebesflammen“ (II. 460). Auch hier also wird ein Bild lebendig, so wie im ,Artushof‘ die Gestalten des Freskos plotzlich vor dem erstaunten Traugott standen. Das DiirerBildchen erscheint dem Jungen in dieser Phase nur als Vorglanz der lebendigen Gestalt; die Kunst verblaftt neben dem Gedanken an Liebe,

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Werbung und Besitz. Die unbewufite Ahnung von einer hochsten perfectio war vor dem kleinen Gemalde ins helle BewuEtsein gestiegen; vor dem Madchen aber scheint sie von der Sphare des Traums zur unmittelbarsten Realitat durchgebrochen zu sein. Deshalb zogert Reinhold nicht, Kiifergeselle zu werden, um spater einmal freien zu konnen; verfolgt er doch auch hier nur eines: die vollkommenste Verdichtung seiner Sehnsucht. In diesen Handwerkerwochen aber beginnt er heimlich (denn er darf ja sein eigentliches Metier nicht verraten) an einem grofien Bildnis Rosas zu malen und setzt damit, ohne es zu wissen, den gegenlaufigen ProzeE in Bewegung. Wie er das Werk beendet hat (vgl. das obige Zitat), stellt er zu seiner Uberraschung einen volligen Wandel seines Innern fest. Er ist plotzlich iiberzeugt, „dafi das Ringen nach Rosas Be¬ sitz eine Tauschung war", daE sein „irrer Sinn" ihn dazu verleitete (II. 462). Diese Anderung ist in keiner Weise durch die nahere Bekanntschaft mit dem Madchen bewirkt worden; denn dessen liebliches Wesen bleibt die ganze Erzahlung hindurch ohne Minderung. Vielmehr ist der einzige und vollig zwingende Grund das gemalte Portrat: „Als ich Rosas Bild vollendet, war es in meinem Innern ruhig und oft war freilich auf ganz verwunderliche Art mir so zumute, als sei Rosa nun das Bild, das Bild aber die wirkliche Rosa geworden" (II. 462). Pointierter, scharfer konnte man es nicht formulieren. Das ins Leben getretene Gemalde Diirers ist auf hoherer Ebene wieder zum Kunstwerk zuriickverwandelt; der ProzeE der Selbsterkenntnis, ja der Selbstentdeckung, der sich in diesen Ereignissen spiegelt, ist abgeschlossen. Rosa, oder genauer gesagt: der Gegenstand von Reinholds Liebe, enthiillt sich denn auch, wie wir es erwarten, als der zeitlose Traumbesitz: „Wie kann auch nur das Himmelskind, wie ich es im Herzen trage, mein Weib werden? Nein! in ewiger Jugend, Anmut und Schonheit soil sie in Meisterwerken prangen, die mein reger Geist schaffen wird. Ha wie sehne ich mich darnach! wie konnt ich auch nur der gbttlichen Kunst abtriinnig werden! - bald werd ich mich wieder baden in deinen gliihenden Diiften, herrliches Land, du Heimat aller Kunst!" (II. 462) Auf die Geschichte Friedrichs, des zweiten falschen Kiifergesellen, gehen wir hier nicht weiter ein. Beim dritten Burschen aber, Conrad, dem verkleideten Junker, ist auf eine von Hoffmanns erzahlerischen Unverfrorenheiten hinzuweisen, deren geheime Stimmigkeit nicht ohne Reiz ist. Der junge Adlige ertragt die Handwerkerexistenz ebenfalls sehr schwer, aber nicht aus kiinstlerischer Berufung wie seine Freunde, sondern aus KlassenbewuEtsein. Immer wenn zufallig von einem Schwert die Rede ist, beginnt er feurig zu schreien und legt Zeichen einer auEerordentlich kriegerischen Gesinnung an den Tag. Er ist der erste, der aus

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der Werkstatt und damit von Rosa weglauft. Am SchluB, als sich alles prachtig lost, tritt auch er unverhofft nochmals auf, und zwar nicht allein, sondern mit einer „wunderschonen Dame”, „die der holden Braut (i. e. Rosa) so auf ein Haar glich, als sei es ihre Zwillingsschwester" (II.469). Und nicht genug damit: das vornehme Geschopf ist auch „so wie die holde Braut, Rosa geheiBen" (II. 469). Nach dem verwandten Geschehen im ,Artushof‘ sind wir von solcher Austauschbarkeit der Personen nicht mehr iibermaBig befremdet. Was hier aber von Bedeutung sein diirfte, ist die Tatsache, daB bei Conrad von Kunstlertum keine Rede ist und er trotzdem einen innern ProzeB in Ansatzen durchmacht, wie er sonst fur die jungen Kiinstler Hoffmanns spezifisch ist.6 Wir diirfen darin einen weitern, wenn auch nicht sehr gewichtigen Hinweis sehen auf die Tatsache, daB alles Kiinstlerwesen bei diesem Autor im Rahmen einer umfassenderen Problematik begriffen werden muB. Wenn wir nun im folgenden von der gemalten Geliebten im Roman ,Die Elixiere des Teufels' reden, so geschieht dies nicht mehr in der Absicht, einen weitern Beleg fur ein von Hoffmann besonders geschatztes Motiv anzufiihren (die bisherigen Beispiele diirften geniigen), sondern um zu zeigen, wie der mit diesem Motiv zusammenhangende ProzeB einen ganzen Roman strukturieren kann und wie, von diesem Gesichtspunkt her, das scheinbar verwilderte Opus unvermittelt transparent wird. Denn es ist ja immer noch der Einwand denkbar, daB der Vielschreiber Hoffmann sich selber eben wiederhole und daB die Konstanz eines solchen Themas nicht mehr aufdecke als das Arbeitsprinzip eines Trivialautors mit hoheren Anspriichen. Mit solchen Argumenten wird Hoffmann ja heute noch gelegentlich abgeschatzt, und schon deshalb rechtfertigt sich eine gewisse Akribie. Der Monch Medardus entlauft dem Kloster, treibt unter Seelenqualen Mord und Unzucht und kehrt zuletzt in den Frieden der Mauern zuriick. Das ist der einfachste zu ziehende UmriB des Romans. In diesen zwei Angeln, Ausbruch und Heimkehr, hangt das ganze Geschehen, und eben hier setzt Hoffmann so prazis wie wirkungsvoll den Elementarvorgang um die gemalte Geliebte ein. Wenn dieser im Roman auch sonst noch wiederholt vorkommt, so ist es im Grunde jedesmal nur Spiegelung,

6

Auch das immer wieder unterschatzte handwerkliche Ethos des Erzahlers Hoffmann spielt hier mit. Er kann und will keinen Handlungsstrang blind enden lassen, selbst wenn er dabei, wie in unserm Fall, zu einem Mittel zu greifen hat, das, wtirde es Usus bei den Poeten, samtliche Liebestragodien zu einem frohlichen Ende fiihren miifite.

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vergroberte oder verdichtete Variation

der einen

Start-

und

Ziel-

handlung. Medardus ist vor dem entscheidenden Ereignis in einer Verfassung, die auffallig an jene des Malers Reinhold und anderer Kiinstler auf ihrer friiheren Entwicklungsstufe erinnert. So wie dieser „aufierlich“ make, in „iippiger Manier“ (vgl. oben S. 53), ist der Monch ein durch den Erfolg effektsiichtig und prahlerisch gewordener Prediger. „Du hast Gefiihle geheuchelt, die nicht in deinem Innern waren“, mufi er sich vorwerfen lassen, „ja du hast selbst gewisse sichtlich studierte Mienen und Bewegungen erkiinstelt, wie ein eider Schauspieler" (III. 39/40). Das ist, wie wir vom I. Kapitel her wissen, das Zentral-Vergehen des Hoffmannschen Kiinstlers, die Siinde gegen das Serapiontische Prinzip. Hinter der Wendung: „Gefiihle, die nicht in deinem Innern waren“, steht das Theorem vom „Schauen“ mit all seinen asthetischen und anthropologischen Zusammenhangen. Die Haltung des Monchs ist somit nicht einfach als eine Deformation des Charakters zu betrachten, sondern darf als Symptom dafiir genommen werden, da£ er iiber sich selbst, iiber sein Inneres nicht Bescheid weifi. Zur gleichen Zeit, da diese falsche Haltung ihren Hohepunkt erreicht (III. 40), setzt denn auch der bekannte und gefahrliche Prozefi ein. In der Kirche hangt ein grofies Bild der heiligen Rosalia, „in dem Moment gemalt, als sie den Martyrertod erleidet“ (III. 41). Von seinem Beichtstuhl aus kann der Monch es sehen (III. 46), und wie er sich einmal „in tiefen Gedanken versunken“ (III. 40) dort aufhalt, naht sich ihm eine seltsam verschleierte Frau; sie beichtet, dafi sie ihn bis zum Wahnsinn liebe. Er fallt in eine Art von Trance, die Gestalt verschwindet; als er wieder zu sich kommt, merkt er sich verwandelt, fiihlt Glut und Flammen in der Brust. Und jetzt erkennt er auch, dafi die Unbekannte identisch ist mit der gemalten hei¬ ligen Rosalia: „Es war meine Geliebte, ich erkannte sie, ja sogar ihre Kleidung war dem seltsamen Anzug der Unbekannten vollig gleich“ (III. 41). Und wie alles in diesem Roman gleich an die Grenze des Menscheniiblichen vorstobt, aufiert sich die jahe Verliebtheit in heftigster Weise: „Da (i. e. vor dem Bild) lag ich stundenlang, wie von verderblichem Wahnsinn befangen, niedergeworfen auf den Stufen des Altars und stiefi heulende entsetzliche Tone der Verzweiflung aus, dafi die Monche sich entsetzten und scheu von mir wichen“ (III. 41). Ohne sich nur einen Augenblick zu fragen, wie eine solche Identitat der Unbe¬ kannten mit dem Bild moglich sei, will er nur eins: „Hinaus in die Welt [...], und nicht rasten, bis ich sie gefunden, sie erkaufen mit dem Heil meiner Seele“ (III. 42). Es gelingt ihm, sich freizumachen, er zieht ins Gebirge und, nachdem es ihm zeitweilig vorkommen wollte, als sei

die Unbekannte doch eher Halluzination als Wirklichkeit gewesen, trifft er sie auf einem Landschlofi tatsachlich, - Aurelic. „Sie war es selbst, sie die ich in jener wundervollen Vision im Beichtstuhl geschaut. [...] nicht Aurelie, die heilige Rosalie selbst war es. — Sogar der azurblaue Shawl, den Aurelie liber das dunkelrote Kleid geschlagen war im fantastischen Faltenwurf ganz dem Gewande ahnlich, wie es die Heilige auf jenem Gemalde, und eben die Unbekannte in jener Vision trug“ (III.61). Damit ist die erste Hauptphase, die Vivifikation des Bildes, abgeschlossen, wobei Hoffmann mit allem nur moglichen Nachdruck auf der Ubereinstimmung von Madchen und Gemalde beharrt. Und der ganze nun folgende Roman, bis zu den letzten zehn Seiten, ist durchgehend von dem einen Impuls des Helden Medardus bestimmt, diese Aurelie realiter zu besitzen. Sein Ausbruch in die Welt steht also durchaus par¬ allel zur Handwerkerexistenz Reinholds in ,Meister Martin', die den Besitz Rosas zum Ziel hat. Nur verscharft und steigert die iiberspannte Stillage des Romans alle Elemente des Geschehens ins Extreme. Die Folge spektakularster Ereignisse und die monstrosen Genealogien, die niemand iiberblicken kann, wenn er nicht miihsam Stammtafeln zeichnet, verdecken dabei allzuleicht die Tatsache, dafi es einen einzigen Mo¬ tor des Geschehens gibt: das in machtigen Eruptionen arbeitende Innere des Monchs, wo seit jenem ersten Moment im Beichtstuhl das Gesicht Aurelies „lebt“ und ihn unverwandt anschaut „mit holdseligen dunkelblauen Augen“ (vgl. III. 41). Diese innere Prasenz nimmt er als Vorstufe, als Schicksalszeichen (III. 69) und als Stachel zur physischen Vereinigung. Uber seiner ganzen briinstigen Migration steht gleichsam der unbegriffene Satz aus der Kastchen-Szene der ,Brautwahl‘: „Was dein Traum dir schaffen mufi, lehrt dich der Geliebten Kufi“. Aber im Gegensatz zu den verwandten Helden in Hoffmanns Werk besitzt Medar¬ dus ein geheimes, nicht eingestandenes und streng verdrangtes Wissen um die Tatsache, dafi die Immanenz der Geliebten eigentlich hbher ist als der „Kufi“. (Medardus ist ja auch nicht von jener geradezu topischen nervosen

Gutmiitigkeit und schwerfalligen

Intelligenz

der

iiblichen

Protagonisten Hoffmanns.) Diese Ahnung bewirkt, dafi mit dem gesteigerten Wunsch nach liebendem Besitz immer der jahe Gedanke, Aurelie zu ermorden, einhergeht, - die aufierste Form jenes „Abschiittelns“ der Person um des Phantasmas willen, das wir friiher in weit harmloseren Varianten festgestellt haben (vgl. oben S. 49ff.).7

7

,Die Jesuiterkirche in G.‘ stellt u. a. auch in dieser Hinsicht eine genaue

Parallele zu den ,Elixieren‘ dar.

57

Und nun sei gleich die Rede vom gegenlaufigen Prozeft am Schlufi des Romans, wo sich, soil unser Modell iiberhaupt stimmen, eine Riickverwandlung der Geliebten ins Bild vollziehen mu£. Es gelingt Hoffmanns erfinderischem

Scharfsinn

tatsachlich,

diese

Transformation

bis

ins

Detail zu bewerkstelligen. Medardus ist ins Kloster zuriickgekehrt, besanftigt, die Gier nach dem Madchen von schweren Buften gebandigt. Das entscheidende Geschehen beginnt mit der Botschaft des Priors: „Du hast wahrscheinlich die Zubereitungen zu einem groften Feste in dem Kloster bemerkt? - Aurelie wird morgen eingekleidet und erhalt den Klosternamen Rosalia" (III. 277). Sie soil also durch einen feierlichen liturgischen Akt ihrem Abbild auf dem Altargemalde auch dem Namen und der geistlichen Aura nach angeglichen werden. Die Meldung erweckt im Monch nochmals den alten Zwang mit schrecklicher Heftigkeit: „Sie mit aller Inbrunst der wiitenden Begier umarmen und dann ihr den Tod geben“ (III. 281). Aurelie erscheint, „Myrten und Rosen im kiinstlich geflochtenen Haar“, - das heiftt, sie ist genau gleich gekleidet wie die heilige Rosalia des Bildes (III. 280; vgl. auch III. 205). In dem Augenblick, da ihr Haar dem Ritus gemafi abgeschnitten werden soil, springt der Doppelganger des Monchs (i. e. sein wahnsinniger Bruder) ins Chor und ersticht sie. Die Wirklichkeit fallt so mit der Szene des Gemaldes, dem Martyrertod, zusammen, - und von da an ist Aurelie fur Medardus endgiiltig „die heilige Rosalia". Die Klimax solcher Identifikation ereignet sich in jenem Moment, wo sie bekranzt auf der Bahre durch die Kirche getragen wird, unter einem Baldachin wie das Sanctissimum, und sich in betender Haltung nochmals langsam aufrichtet, wahrend alles Volk auf die Knie stiirzt mit dem Ruf: „Sancta Rosalia, ora pro nobis" (III. 285.) Und nun endlich findet Medardus auch zur erlosenden Einsicht, mit der er sich neben so viele gepriifte Jiinglinge Hoffmanns stellt: „Erst jetzt war mein Geist fahig, das Wahre von dem Falschen zu unterscheiden, und bei diesem klaren Bewufttsein muftte jede neue Priifung des Feindes wirkungslos bleiben. [...] War sie denn fair mich untergegangen? Nein! jetzt erst, nachdem sie der Erde voller Qual entriickt, wurde sie mir der reine Strahl der ewigen Eiebe, der in meiner Brust aufgliihte" (III. 287). Mit der groftten wiinschenswerten Deutlichkeit kommt hier zum Ausdruck, daft es im letzten um einen Akt der Erkenntnis, der Selbst-Erkenntnis geht, daft das geheime Gefalle des Romans von Anfang an auf den Moment hinlauft, wo der Held fahig sein wiirde, im spezifisch Hoffmannschen Sinn „das Wahre von dem Falschen zu unterscheiden", - die Sehnsucht nach Aurelie als die Eiebe zur zeit- und

wandellos im Innern gegenwartigen Rosalia zu begreifen, zur Konkretisation des reinen energischen Ich. Hier ist nun auch der Ort, eine wichtige These Lothar Ivohns zu prazisieren. Er sagt namlich iiber die ,Elixiere‘: „Von einer echten Entwicklung kann also bis zum Schlufi des Romans keine Rede sein. Es bleibt bei einem Hin und Her. [...] Es gibt keine echte Losung, sondern die Handlung ist eben zu Ende, das Hin und Her wird abgebrochen" (a.a.O. S. 79). Dafi es sich in dem Roman wie bei den vielen Erziehungsnovellen des Dichters nicht um eine „Entwicklung“ im Sinne Goethes handelt, trifft unbedingt zu. Die Idee des Wachsens, des Reifens, der Entfaltung, welche die Klassik mit einem grofien Teil der Romantik und auch des sogenannten Realismus gemeinsam hat und die auf der Annahme einer grundsatzlichen Analogie zwischen den Naturdingen und der innern Gesetzmafiigkeit des Menschen beruht, ist fur den Erzahler Hoffmann bedeutungslos. Das Prinzip jeder Veranderung bildet bei ihm der Umschlag, ein Umschlag ohne notwendige immanente Teleologie, ein Umschlag, der durchaus „an Ort“ bleiben kann. Insofern darf man fur den Mittelteil des Romans, von der Begegnung mit der lebendigen Aurelie bis zum Beginn des oben beschriebenen Finales, durchaus mit Kohn von einem „Hin und Her“ sprechen. Um so wichtiger aber wird der vom Motiv der gemalten Geliebten gepragte Rahmenprozeb, der dem Erzahlgang eben doch Ausgang und Ziel und eine „echte Losung“ gibt. Es ist nicht moglich und nicht notig, alien Szenen des Romans nachzugehen, wo das Motiv der gemalten Geliebten erscheint und funktional wichtig wird. Mindestens hinweisen aber miissen wir auf die Tatsache, dafi Aurelie ihrerseits einen fast parallelen Stationenweg durchmacht wie Medardus: ein Gemalde, dem sie als Kind begegnet und das sie im Tiefsten ergreift, stellt des Medardus Vater dar; das spatere Zusammentreffen mit dem Monch, der diesem vollig gleichsieht, ist somit fur sie ebenfalls die Begegnung mit einem lebendig gewordenen Bild (vgl. III. 196!?.). Diese Reziprozitat der zentralen Erfahrung findet sich in Hoffmanns Werk selten, und sie wird auch in den ,Elixieren‘ nicht konsequent durchgefiihrt. Die Perspektive des Mannes dominiert fast vollig; Aurelies Erlebnis wird nur in einer Einlage berichtet. Immerhin diirfen wir hier eine Vorform jener Schicksals-Parallelitat sehen, wie sie spater das Liebespaar in der ,Prinzessin Brambilla' erfahrt. Ganz ahnlich wie die Vorgeschichte Aurelies ist auch der fur unsere gegenwartigen Gedankengange vielleicht wichtigste Text Hoffmanns als erzahlerisches Separatum in die ,Elixiere‘ eingefiigt. Es handelt sich um das sogenannte ,Maler-Buch‘, die geheimnisvolle Chronik, in

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der alles, was an Geschlechterfluch, siindiger Vererbung, ausschweifender Genealogie und literarischem Nazarenertum im Roman vorhanden ist, fokusartig gebundclt erscheint. Hierbei kiimmern uns die verschiedenen „frevelichen“

Generationen wenig; nur die Anfangserzahlung

vom Stammvater des Geschlechts ist bedeutungsvoll. Sie bestatigt und erweitert namlich die Ergebnisse unseres ersten wie auch dieses zweiten Kapitels. Dabei war Hoffmann bei der Konzeption der Geschichte durchaus nicht ungebunden; er mufite mit ihr fast samtliche bisher aufgehauften Ratsel losen, muBte eine Menge seltsamer Dinge begriinden und verstandlich machen, alien voran die Ahnlichkeit Aurelies mit dem Rosalia-Bild.8 Dieser Bericht vom Leben des Malers Francesco erweist, streng genommen, die ,Elixiere‘ als Kiinstlerroman, - in jenem spezifisch Hoffmannschen Sinn, der, wie wir betont haben, nur scheinbar in das Prinzip des art pour Part auslauft. Es wurde schon vorher darauf hingewiesen, da£ der Prediger Medardus, bevor er in die Welt entlauft, als Kiinstler erscheint; aber erst seine im ,Malerbuch‘ aufgedeckte Beziehung zum Stammvater stellt das ganze Geschehen endgiiltig unter diese Problematik.9 Um es gleich so einfach wie moglich zu sagen: der Stammvater ist ein Maler, der die ins Leben getretene gemalte Geliebte nicht nur umwirbt, sondern mit ihr siindhaften Umgang pflegt. Er zeugt einen Sohn und mufi als Revenant umgehen, bis das kraftig verzweigte Geschlecht ausgestorben ist. Das heifk nach unsern Begriffen: die Riickverwandlung der Geliebten ins Bild ist durch die Nachkommenschaft verunmoglicht; erst Medardus als der letzte des Stammes kann stellvertretend fur seinen Ahnherrn diesen Akt vollziehen. Es geschieht, wie wir wissen, im Finale des Romans, und zwar steht der Monch dabei nicht nur seinem seelischen Erleben nach in einem ana-

8 Der Vorgang der Vivifikation des Bildes stellt den Erfinder Hoffmann auch sonst auf harte Proben, und gerade vor solchen Aufgaben zeigt sich immer wieder sein erstaunlicher, fiber dem „Phantasten“ allzuhaufig iibersehener novellistischer Scharfsinn. 9 Das Geflecht von Ahnenfrevel, Erbfluch und Ahasverismus hat den Roman schon friih in Verruf gebracht; die These, er stehe dieser Motive wegen auf der Grenze zum „Trivialroman“, ist fast durchwegs akzeptiert. Dabei iibersieht man in einer merkwiirdigen formalpoetischen Voreingenommenheit, dafi die halb nazarenischen, halb schauerromantischen Veranstaltungen aus dem gleichen Stoff sind wie das Magier- und Feenwesen in den Marchen; beides sind verschieden tingierte, aber in Struktur und Funktion durchaus analoge asthetische Bildungen. Es ist das ganz spezielle Renommee, das der Begriff „Marchen“ seit den Anfangen der Germanistik geniefit, das hier nach so verschiedenen MaBstaben werten lafit. In Wahrheit gehoren die ,Elixiere‘ und der ,Goldne Topf‘ einer Gattung an.

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logen Verhaltnis zu seinem Vorfahr. Auch Aurelie stammt namlich aus Francescos Geschlecht; sie tragt die Ziige jener ersten Geliebten und fiihrt gewissermafien deren Existenz weiter. Die abenteuerliche Liebe der beiden wiederholt also genauestens das urspriingliche Ver¬ haltnis. Indem dem Monch die Transformation Aurelies zur „Rosalia“, zum sublimen Traumbesitz gelingt, ist auch der physischen Fortdauer der Familie ein Ende gesetzt: der inkarnierte Frevel des Ahnherrn hort mit Medardus auf zu existieren. Die eingesprengte Vorgeschichte erscheint somit fur den ganzen Roman von hohem Gewicht. Wir miissen nach dieser eher schematischen Skizze noch naher darauf eingehen. Jener erste Francesco war in jungen Tagen ein Maler von der idealsten moglichen Pragung, ein Liebling Leonardo da Vincis; er verschmahte weltliche Pracht und erklarte, dafi „dagegen die Schopfung des Malers die reine Abspiegelung des ihm innewohnenden gottlichen Geistes sei“ (III. 229), — ein Glaubensbekenntnis (von prazise Hoffmannschem Zuschnitt), das ihn sogar um den vaterlichen Fiirstenthron bringt. Diese Ausgangssituation deckt sich nicht genau mit dem in Hoffmanns Kiinstlernovellen sonst iiblichen Geschehen, wo der Held meist als Verblendeter oder Ahnungsloser beginnt.

Aber

Francesco mufi, wie wir gleich sehen werden, aus wichtiger Ursache die kiinstlerische Vollendung grundsatzlich bereits besitzen. Der Dichter lafit ihn deshalb nicht in einer Fehlhaltung beginnen, sondern vom rechten Weg abkommen. Dies letztere allerdings geschieht grtindlich. Schon bald verkorpert Francesco den „falschen Kiinstler" in des Autors strengstem Sinne. Er nimmt namlich „von lebenden Modellen die Karnation, von den alten Marmcrbildern aber Form und Bildung“ (III. 230), - die radikale Umkehr der serapiontischen Methode, fur die er selber eben noch eine erstaunlich genaue Definition gefunden hat. In dieser Verfassung, da das wahre Kiinstlertum ubertiincht und vergessen in ihm ruht, erhalt er den Auftrag eines Klosters, die heilige Rosalia zu malen. Er fafit den EntschluB, eine nackte Venusstatue zum Modell zu nehmen und das schlimme Werk den Monchen als Heiligengemalde teuer zu verkaufen.

Und hier wird die erzahlerische Aufgabe fur den Autor

Hoffmann diffizil. Denn einerseits ist das nun entstehende Bild im Ro¬ man die hochste Verdichtung des den Sinnen zuganglichen Heiligen, anderseits aber nimmt sein Schopfer die fur einen Kiinstler schlimmstmogliche Haltung ein, welche sonst nur „tote Wachsbilder“ zustande bringt (vgl. oben S. 17). Solche unlosbar scheinende Situationen ergeben sich auch sonst gelegentlich aus der strengen, so oft unterschatzten Konsequenz des Erzahlers Hoffmann, und es gelingt ihm meistens, wenn auch nicht immer gleich iiberzeugend, sich aus der Schlinge zu ziehen.

In unserm Fall ist die Losung nicht zuletzt durch die spurbare Anstrengung interessant, die sie den Dichter kostet. Hoffmann laftt den Maler namlich in eine Art von psychischer Spaltung geraten. Wie er zu arbeiten

beginnt,

regt

sich

sein

verschiittetes,

fromm-wahrhaftiges

Kiinstlertum: „... siehe, da gestaltete sich alles anders, als er es in Sinn und Gedanken getragen, und ein machtigerer Geist iiberwaltigte den Geist der schnoden Liige, der ihn beherrscht hatte. Das Gesicht eines Engels aus dem hohen Himmelreiche fing an, aus diistern Nebeln hervorzudammern ...“

(III. 230). Dies ist von unserm vorhergehenden

Kapitel aus ohne weiteres verstandlich: der Raum der kiinstlerischen Praformation fiillt sich durch spontane Tatigkeit der produzierenden Einbildungskraft; Francesco wird zum serapiontischen „Schauen“ geradezu gezwungen;10 das auftere Modell, die Venus, versinkt dahinter: .. um den nackt gezeichneten Korper legten in anmutigen Falten sich ziichtige Gewander, ein dunkelblaues Kleid und ein azurblauer Mantel" (III. 230/31). Und wenn es nun sogar heiftt: „Francesco war in sein Bild ganz und gar versunken, oder vielmehr das Bild war selbst der machtige Geist worden, der ihn mit starken Armen umfaftte und emporhielt iiber das freveliche Weltleben" (III. 231), dann ist das die erwartete Bestatigung dafiir, daft

das „Geschaute“, welches die geschickte

Hand auf die Leinwand iibertragt, nichts anderes ist als die Manifesta¬ tion des gestaltlosen Absoluten in ihm. Nur weil tatsachlich sein Geist das Bild „ist“, kann er glauben, das Bild sei zum „machtigen Geist wor¬ den". Die hochste Erfiillung aber bleibt ihm dabei versagt: das Gesicht der Heiligen will nicht gelingen, obwohl es einmal „hervorzudammern“ begann. Er wird krank vor Verzweiflung. Wir kennen diese Phase von ahnlichen Fallen her. Das entwerfende Ich ist auf die Begegnung mit der irdisch-lebendigen Schonheit angewiesen, in der es als in einem Spiegel erst vollig zu sich selber findet. Was aber anderswo sehr einfach vor sich geht, wird hier, der Manier des ganzen Werks entsprechend, so kompliziert, daft man ohne die friiheren Modellfalle wohl kaum die konstante Kurve zu erkennen vermochte. Francesco trifft die Frau, die nun auftreten mull, nicht so schlichtweg an, sondern gerat zu ihr, ohne sie noch zu kennen, in ein telepathisches Verhaltnis.11 Er sieht sie deutlich und klar vor sich und glaubt, es sei „Frau Venus".

10

Dies ist nur moglich, weil Francesco bereits einmal ein wahrer Kunstler gewesen ist; deshalb also die erwahnte Variation der Vorgeschichte. 11 Das Elixier, das er vorher noch trinkt, hat hier, wie im ganzen Roman, nur einen verstarkenden Effekt. Vom Teufel als einer Realitat kann ohnehin keine Rede sein; er ist bloftes Genre-bedingtes Kolorit. Die Wirkung des Elixiers entspricht am ehesten derjenigen des Punsches in andern Werken Hoffmanns.

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Und nun wiederholt sich der obige Malprozeb nochmals: er versucht, „der Frau Venus reizendes Angesicht ganz getreulich abzukonterfeien“ (III. 232) - also in unserapiontischem Tun

aber „es war ihm so, als

konne der feste Wille nicht gebieten der Hand, denn immer glitt der Pinsel ab von den Nebeln, in denen der Kopf der heiligen Rosalia eingehiillt war [...]. Und doch kam das himmlische Antlitz der Heiligen immer sichtbarlicher zum Vorschein, und blickte den Francesco plotzlich mit solchen lebendig strahlenden Augen an, dab er, wie von einem herabfahrenden Blitze todlich getroffen, zu Boden stiirzte“ (III. 233). Die kreative Macht seines Innern hat gegen sein Bewubtsein die Entstehung des Bildes gelenkt, das nun zwar jener Frau und vermeintlichen Venus ahnlich sieht, aber in sublimierter, ins Heilige geklarter Physiognomie. Damit hat Hoffmann das schwierigste erzahlerische Problem des Ro¬ mans - nicht gerade spielend, aber doch ohne Verzicht auf die innere Folgerichtigkeit - gelost. Der weitere Gang der Malergeschichte kann sich nun mit verstarkter Pragnanz vollziehen. Durch die Umstande der Bild-Genese sind ja bereits auch die Anstalten getroffen, dab das Gemalde auf glaubhafte Weise lebendig zu werden vermag: die Frau, die mit Francesco ohne dessen Wissen in telepathischem Rapport stand, braucht nur personlich aufzutreten.12

12 Man mufi sich immer wieder hiiten, Telepathie, Magnetismus und ahnliches vorschnell in das Gebiet der spatromantischen Phantastik zu verweisen. Hoff¬ mann verwendet hier — bei personlicher Skepsis - durchaus ernsthafte Forschungsgegenstande der zeitgenossischen Medizin und Psychologie. Der beste Beleg dafiir ist Schopenhauers Aufsatz in den Parerga und Paralipomena: ,Versuch iiber das Geistersehen und was damit zusammenhangt', wo er das ganze Gebiet zum Zwecke einer „idealistischen Erklarung“ (243) einer strengen Untersuchung unterzieht und dabei unter anderm feststellt: „Wer heut zu Tage die Tatsachen des animalischen Magnetismus und seines Hellsehens bezweifelt, ist nicht unglaubig, sondern unwissend zu nennen" (243/44). Er ist sogar iiberzeugt, dab durch diese Phanomene (,Traum, somnambules Wahrnehmen, Hellsehen, Vision, Zweites Gesicht') „Kants Lehre gewissermaben eine faktische Bestatigung erfahre" (281), die „Idealitat des Raums und der Zeit“ (280) erneut belegt wiirde; auch seine eigene Philosophic erhalte „durch die nahere Untersuchung dieser Tatsachen eine wichtige Bestatigung“ (283). Und schlieblich kommt er zu der entschiedenen Aussage: „Die in Rede stehenden Phanomene aber sind, wenigstens vom philosophischen Standpunkte aus, unter alien Tat¬ sachen, welche die gesammte Erfahrung uns darbietet, ohne alien Vergleich, die wichtigsten" (284). Schopenhauer stiitzt sich dabei auf verschiedene Untersuchungen, die auch Hoffmann bekannt waren und die durchaus nicht alle den mystizistischen Einschlag G. H. Schuberts aufwiesen. Zahlreiche Dinge, die der Dichter mit handwerklicher Berechnung aus dem wissenschaftlichen Arsenal seiner Zeit iibernommen hat, wurden ihm spater sehr zu Unrecht als Produkte

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Bevor dies wenig spater geschieht, gerat der Maler in einen kaum zu ertragenden Grenzzustand, in die Extremform einer der typologischen Grundverfassungen Hoffmannscher Protagonisten. Wir haben gesehen, daft am Ende des halb somnambulen Schaffens plotzlich das „himmlische Antlitz“ vor dem erschiitterten Kiinstler schwebte, das vollendete Bild der heiligen Rosalia. Wie er es nach dem jahen Schreck gefaftt und seiner selbst sicher wieder betrachtet, da ist es „nicht das Antlitz der heiligen Rosalia, sondern das geliebte Venusbild**, das ihn „mit iippigem Liebesblick** anlacht (III. 233). Dies ist nun selbstverstandlich weder mirakulos noch telepathisch; die Ahnlichkeit der Ziige wird durch die Genese des Bildes erklart, und daft ihm als Venus erscheint, was er vorher ebenso spontan als Heilige genommen hat, beruht darauf, daft er nun durch die Hoffmannsche Kapitalverfehlung den konkretisierten Lichtwurf des Innern nicht als solchen erkennt, sondern wie ein Naturhaft-Lebendiges

anschaut und begehrt. „Er heulte vor wahnsinniger

Begier**, heifit es (III. 233). Im Unterschied zu den Figuren der jungen Werdenden aber begehrt er hier sein ganz und gar von ihm selbst gefertigtes Gebilde. Die Assoziation an Pygmalion, die sich bei unsern Ausflihrungen schon verschiedentlich aufgedrangt hat, wird damit geradezu zwingend, - auch fur den Autor selbst. Er fahrt namlich fort: „... er gedachte des heidnischen Bildhauers Pygmalion, dessen Geschichte er gemalt, und flehte so wie er zu Frau Venus, daft sie seinem Bilde Leben einhauchen moge“ (III. 233). Damit variiert Hoffmann, ohne zu wissen, in welcher Tradition er steht, einen seit der Mitte des 18. Jahrhunderts immer wieder aufgegriffenen Mythos. Emil Staiger hat in seinem Aufsatz liber den ,Neuen Geist in Herders Friihwerk*13 und in seinem groften Schiller-Buch14 nachdriicklich auf das Motiv hingewiesen. Wichtig ist, daft Pygmalion, der fur Aufklarung und Rokoko eine komische Figur darstellte, den exquisiten Typ eines Unverniinftigen, fur die gemeineuropaische Bewegung der „Vorromantik“, in Deutsch¬ land also des Sturm und Drang, plotzlich exemplarischen Sinn erhielt. Verallgemeinernd wird man sagen diirfen, daft seine Gestalt in dem Augenblick die Kiinstler zu faszinieren begann, da sie sich selbst nicht

seines „iiberhitzten Gehirns** angerechnet. (Arthur Schopenhauer, Parerga und Paralipomena, hg. von Julius Frauenstadt. 5. Auflage, Leipzig 1888). 13 Emil Staiger, Stilwandel. Studien zur Vorgeschichte der Goethezeit. Zurich 1963. Von dieser Bemerkung Staigers geht Hermann Schluter aus in seiner Dis¬ sertation ,Das Pygmalion-Symbol bei Rousseau, Hamann, Schiller*. Zurich 1968. 14 Emil Staiger, Friedrich Schiller. Zurich 1967, S. 1041!. Der Verfasser deckt hier in dem Kapitel ,Pygmalion* die zentrale Bedeutung dieses Mythos fur den jungen Schiller mit iiberraschenden Ergebnissen auf.

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mehr als Nachahmer, sondern als Mitschaffende der Natur empfanden, da ihr Werk nicht mehr genau gefertigtes Gefiige von Stoff und Idee, sondern Organismus sein muBte: atmend, bewegt und aus liebenden Augen blickend. Darin gleicht das erwachte Elfenbeinmadchen andern bevorzugten Gestalten der Zeit: den Kindern des Prometheus und dem staunenden Adam. und dann belebte er sie alle mit dem Hauch seines Geistes", sagt Goethe in der Rede ,Zum Schakespears Tag‘ vom englischen Dramatiker als dem mit Prometheus gleichgesetzten Dichter schlechthin, wobei, wie aus dem Duktus des Satzes vernehmbar wird, auch die Vorstellung vom menschenbildenden Gott der Genesis hineinspielt. Ebenso, nur unter Verlust des Titanischen, konnte er hier Pygma¬ lion anfiihren. Auch wenn sich Goethe spater von diesem Mythos distanzierte (vgl. Schliiter, a.a.O. S.76), so bleibt doch vieles von dessen symbolischem Gehalt fiir ihn durchaus erfahrene Wahrheit. Ein Gedicht wie ,Amor als Landschaftsmaler', nimmt man es einmal als asthetisches Programmstiick, umspielt das Motiv deutlich genug. Es ist indessen unwichtig, wie sich die einzelnen Dichter im Detail dazu stellten. Fest steht, daE Pygmalion fiir eine ganze Generation programmatisches Denkbild war, — und dafi er fiir Hoffmann den Inbegriff des falschen, ja frevelhaften Kiinstlers darstellt! Von diesem Befund her profilieren sich verschiedene unserer bisherigen Ausfiihrungen, zum Beispiel der Hinweis, dafi das Kunstwerk fiir Hoffmann in keiner Relation zum Naturding mehr steht. Vor allem aber spiegelt sich darin seine t)berzeugung, das Opus als ein Gefertigtes, als Ergebnis des „mechanischen Geschafts“, sei nur ein bedingtes Ab-Bild der eigentlichen Existenz des Kunstwerks im Raum der Praformation, in der Sphare des „Geschauten“, und zwar sowohl fiir den Kiinstler selbst wie auch fiir den rezeptiven „Enthusiasten“. Wir haben friiher schon auf den morderischen Goldschmied im ,Fraulein von Scuderi* verwiesen als auf einen Menschen, der die beiden Seinsweisen der Kunst nicht auseinanderhalten konne. Jetzt wissen wir ihn noch besser zu definieren: er ist Hoffmanns genialst entworfener Pygmalion. Fiir den Maler in den ,Elixieren‘ aber wird das Bild nun endlich lebendig: es rauschte hinter ihm wie mit weiblichen Gewandern. Er drehte sich um und erblickte ein Weib, das er fiir das Original seines Bildes erkannte“ (III. 233). Dieser Moment scheint auf den Dichter selbst die heftigste Faszination auszuiiben; er kann sich kaum von der Schilderung trennen, als fiirchte er, der Leser mochte die Szene iibersehen oder unterschatzen: „Es waren ihm schier die Sinne vergangen, als er das Bild, welches er aus seinen innersten Gedanken nach einem Marmorbilde erschaffen, nun lebendig vor sich in aller nur erdenk65

lichen Schonheit erblickte, und es wandelte ihn beinahe ein Grauen an, wenn er das Gemalde ansah, das nun wie eine getreue Abspiegelung des fremden Weibes erschien" (III. 233). Besinnen wir uns rasch auf die an der Novelle ,Der Artushof' erarbeitete Ereigniskurve: Der Held begegnet dem Bild und verfallt dessen Magie; das Bild wird lebendig, tritt ihm als Madchen entgegen, er verfolgt und begehrt sie; in einem entscheidenden Erkenntnisvorgang transformiert er sie wieder zum Bild, das nun aber nicht mehr reprasentativ steht fur ihr menschlich vergangliches Dasein, sondern fur ihre endlich begriffene Existenz in seinem Innern. Die ganze bisher nachgezeichnete Malergeschichte betrifft nur den ersten Teil dieses Prozesses. Zu Ende gefiihrt wird er, wie gesagt, nicht vom Maler Francesco, sondern von dessen letztem Nachkommen, dem Monch Medardus. Das ist der einfache Grundrift des scheinbar so chaotischen Romans. Ein Detail mull dabei noch erwahnt werden: der Tod der Malergeliebten. Sie stirbt an der Geburt des ersten Kindes, nachdem sie wahrend der Schwangerschaft „immer herrlicher und herrlicher in leuchtender Schonheit" aufgebliiht ist. (III. 234). Ihr Ende kommt unverhofft, mit einem „entsetzlichen, durchdringenden Schrei". Als die Dienerinnen zu Hilfe eilen, fahren sie zuriick: „... denn das Weib war zu Tode erstarrt, Hals und Brust durch blaue, garstige Flecken verunstaltet, und statt des jungen schonen Gesichts erblickten sie ein grafilich verzerrtes runzliches Gesicht mit offnen herausstarrenden Augen. [...] Ihre Schon¬ heit war nur ein lugnerisches Trugbild verdammter Zauberei gewesen" (III. 235). Auch diese Passage ist nicht Selbstzweck, nicht grausig um des Grausigen willen, sondern steht in genauer Relation zum Bild als dem gespiegelten Traumbesitz. Mit dem Umschlag ins schlechthin Abscheuliche entlarvt sich die wahre Beschaffenheit alles Schonen, das nicht dem Innern, dem „Karfunkel“, der produktiven Schau, entspringt, - entlarvt sich als entsetzliche Verganglichkeit. Dabei ist der Begriff „Verganglichkeit“ noch unscharf; er impliziert einen zwar negativen, aber kontinuierlichen, von gelassenen Gesetzen bestimmten Vorgang. Die Hoffmannsche Zeitlichkeit aber ist, um es bewuBt banal zu sagen, ihrem Wesen nach plotzlich. Deshalb ist alles, was nicht innen ist, dem Plotzlichen unterworfen und dessen Komplementarform, der totalen Starre. Wer diesen Autor unbekiimmert best, hat im Nachhinein unweigerlich die Erinnerung an Leute, die entweder losstiirmen oder erstarren, die vom Veitstanz in die Katalepsie geraten und von der Katalepsie zum Veitstanz, immer von der gleichen Tarantel gestochen. Und dieser Eindruck, von dem aus oft falschlicherweise auf Planlosigkeit geschlossen wird, beruht genau auf jener „Plotzlichkeit“. Als das

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Prinzip aller Hoffmannschen Motorik erweist sich so erneut der jahe Umschlag. Er pragt die Zeiterfahrung der Helden (und des sie begleitenden Lesers), und er pragt im letzten auch die Sprachgestalt der Erzahlungen, die prasselnde Dynamik von Floskeln und Superlativen. Der schlagartige Pesttod der Geliebten,15 der von der Konzeption des Romans aus in negativer Parallele zur Apotheose Rosalias gesehen werden mull, hat also nicht nur die Bedeutung der Zeitlichkeit im konstanten Strukturgefiige der Hoffmannschen Werke sichtbar gemacht, sondern zugleich auch ein Licht auf die Eigenart dieses temporalen Elements geworfen. Die innerste Mitte des Menschen, das autistische ev, welches wesentlich nicht xai Jtav ist, wird dadurch als essentiell zeitlos charakterisiert, als einziger Ort, welcher dem Bereich der sprunghaften Verganglichkeit, der Sphare von Starre und Umschlag, entzogen ist und ihr wandellos gegeniiber steht.16 Wenn wir behauptet haben, die Grundkurve des Geschehens in Hoff¬ manns Werken laufe je und je auf den Moment der Selbsterkenntnis zu, den Augenblick der Erfahrung dieser ungeahnten Mitte, dann er¬ weist sich nun der gleiche Gang auch als der einzig mogliche Weg aus der totalen Geschichtlichkeit des Daseins. Im Vergleich mit der Bedeutung, welche den Geschehnissen um die gemalte Geliebte in den ,Elixieren‘ zukommt, scheint es auf den ersten Blick gewagt, die in den Kreisler-Roman eingelegte Geschichte vom Maler Leonhard Ettlinger unmittelbar danebenzustellen. Diese wird auf kleinem Raum berichtet und spater nur sporadisch wieder erwahnt, wahrend jene sogar die Tektonik des Werks entscheidend bestimmen. Indessen gehort der Zusammenhang, in dem das Schicksal Ettlingers zur Sprache kommt, so sehr zur lebendigen Mitte des Romans, dafi der quantitative Gesichtspunkt auBer Betracht fallen mufi. In jenem Maler erkennt Johannes Kreisler namlich die gefahrlichste Moglichkeit seines eigenen Daseins. Wenn ihn die Exaltation erfaCt, wird sein Spiegelbild zum Doppelganger Ettlinger (III. 436); der Wahnsinn, den er standig fiirchtet, wiirde bei ihm nicht nur in einem ahnlichen Schicksal mit jenem bestehen, sondern, durch eine schreckliche Mutation des Selbstbewufitseins, in totaler Identifikation. Vom Autor aus gesehen, besagt dies, daft er seine vielleicht wichtigste, sicher beriihmteste Figur erst mit 15 Man beachte in diesem Zusammenhang auch die haufige Verbindung des schonen Madchens mit der hafilichen Alten in Hoffmanns Werken, z. B. Veroni¬ ka und die Rauerin im ,Goldnen Topf‘ oder die beiden Alinen im ,Meister Flohh 16 Vgl. dazu unsere Ausfiihrungen iiber den Urton im I. Kapitel. 67

Hilfe dieser exemplarischen Parallel- und Kontrastgeschichte voll charakterisiert zu haben glaubt. Wir aber diirfen sagen, Hoffmann halte das Psychogramm Kreislers solange fiir unvollstandig, als er den Kapell¬ meister nicht in eine prazise Relation zum FundamentalprozeB um die gemalte Geliebte gebracht habe. Und das liegt beim Musiker Kreisler denn doch durchaus nicht auf der Hand. Es ist die Prinzessin Hedwiga, welche dem Kapellmeister die Geschichte erzahlt und ihm so, ahnungslos oder in versteckter Absicht, den unheimlichen Spiegel in die Hand gibt. Sie darf als eine der differenziertesten Frauengestalten Hoffmanns gelten; auch

innerhalb des Romans er-

scheint sie reicher strukturiert, unergriindlicher als etwa ihre Freundin Julie, Kreislers geliebtes Ideal. Hedwiga steht in einem geheimen, ans Magnetistisch-Telepathische

streifenden

Rapport

zum

Kapellmeister,

der sich fiir sie auf Grund der Ahnlichkeit zwischen ihm und Ettlinger ergeben hat. Der Bericht selbst ist auBerst knapp, ein Musterbeispiel fiir Hoffmanns anekdotische Pragnanz. Schon die ersten vier Satze decken die entscheidenden Fakten auf: „An unserm Hofe befand sich ein Maler, Ettlinger geheiBen, den Fiirst und Fiirstin sehr hoch hielten, da sein Talent wunderbar zu nennen. Sie finden auf der Galerie vortreffliche Gemalde von seiner Hand, auf alien erblicken sie die Fiirstin, in dieser jener Ge¬ stalt, in der historischen Gruppe angebracht. Das schonste Gemalde, das die hochste Bewunderung aller Kenner erregt, hangt aber in dem Kabinett des Fiirsten. Es ist das Portrat der Fiirstin, die er, als sie in der hochsten Bliite der Jugend stand, ohne dafi sie ihm jemals gesessen, so ahnlich make, als habe er das Bild aus dem Spiegel gestohlen.“ (III. 428) Dies ist riickblickend und raffend erzahlt, wie es der Perspektive der Prinzessin entspricht. Das genaue Nacheinander aber laBt sich durchaus entwickeln, und zwar von jenem Satz aus, der die Geschichte iiberhaupt

erst

als

Hoffmannsches

Spezifikum

erkenntlich

macht:

„... ohne daB sie ihm jemals gesessen.“ Das stellt den zwingenden Bezug zum Maler Francesco und zu Berthold in der ,Jesuiterkirche‘ her. Das erste und vollkommenste Bild von der Geliebten also muB, wie beim letzteren, nach einer streifenden, halb traumhaften Urbegegnung entstanden sein, wenn nicht sogar auf Grund eines telepathischen Kontakts, was von der Analogic Fiirstin/Ettlinger - Prinzessin/Kreisler her denkbar ware. Hoffmann laBt die Frage offen, weil ihn ein Abweichen von der distanzierten Knappheit hier sogleich zu umstandlichen Erfindungen notigen miiBte. Wesentlich ist, dafi Ettlinger jenes Gemalde, das nicht nur sein kiinstlerisches Spitzenwerk ist, sondern das auch die Fiirstin im Augenblick der Akme, der „hochsten Bliite der Jugend" darstellt, 68

ganz aus seinem — wie auch immer entflammten — Innern entworfen hat. Seine spatere Liebe zu dieser Frau erweist sich somit als Leidenschaft zum lebendig gewordenen Bild, Ettlinger selbst ist ein Pygmalion im Sinne Hoffmanns. Wie Francesco ist er nicht imstande, das geliebte Gesicht als die gespiegelte Projektion seines kreativen Ich zu erkennen, begehrt er, was er bereits besitzt und was er durch ebendieses Begehren verlieren mufi. Den Endzustand solcher Verkehrung exemplarisch aufzudecken, ist offenbar das eigentliche Ziel der Geschichte. Hoffmann erreicht es durch einen souveranen erzahlerischen Handgriff, mit dem er den zerstorten Ettlinger gleichsam in einer Momentaufnahme zeigen kann, grell und schauerlich beleuchtet. Die Prinzessin (ihre Mutter war jene gemalte Geliebte) hat den Maler in friiher Kindheit gekannt und iiber alles verehrt; er war damals „ein milder und guter Mensch“ (HE 428). Eines Tages ist er verschwunden; man sagt ihr, er sei gestorben. Sie glaubt es nicht; sie sehnt sich nach ihm, sucht ihn iiberall vergebens. Da stiirzt er unverhofft in den Gangen des Schlosses auf sie zu, mit „wieherndem Gelachter", eine zerrissene Kette um den Leib, und redet zu ihr, die um „hiibsche bunte Bilder" bittet: „Ha ha, kleine Prinzeft - bunte Bilder? — ja nun kann ich erst recht malen, malen - nun will ich dir ein Bild malen und deine schone Mutter! nicht wahr, du hast eine schone Mutter? - aber bitte sie, daft sie mich nicht wieder verwandelt - ich will nicht der elende Mensch Leonhard Ettlinger sein - der ist langst gestorben. Ich bin der rote Geier und kann malen, wenn ich Farbenstrahlen gespeist! - ja malen kann ich, wenn ich heifies Herzblut habe zum Firnis - und dein Herzblut brauche ich, kleine Prinzeft!" (III. 429) Er zieht ein Messer, faftt das Kind am Hals; man kommt dazu und schleppt ihn fort wie ein Tier. Es liegt auf der Hand, daft das Madchen hier stellvertretend fur seine Mutter steht, daft die Mordlust des einst „milden Menschen" dieser gilt, ahnlich wie Medardus vom Wunsch gepackt ist, Aurelie im Liebesakt zu erstechen. Wo die Riickverwandlung ins Bild nicht gelingt, steht als letzte Konsequenz der Mord als deren pervertierte Gegenform. Er entspringt aus der dumpfen Sehnsucht des Verblendeten nach der einzig moglichen Freiheit, die er durch erkennende Umkehr in sich selbst zu finden nicht imstande war. Daft Ettlinger nun „Herzblut“ zum Malen braucht, ist ein drastisches Sym¬ bol fur das im ersten Kapitel definierte falsche Kiinstlertum, das statt Innerem Aufteres abbildet. Und wie wir den Schluftvorgang des funda¬ mental Prozesses als einen Akt der Selbst-Erkenntnis, ja der eigentlichen Selbst-Findung begriffen haben, so zeigt sich dessen Scheitern am Beispiel Ettlingers als Selbst-Verlust, als „Verwandlung“ in den „roten Geier“. Das vielleicht Unheimlichste an der vorliegenden Ge-

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schichte aber ist, dafi dieser Umbruch der Identitat als Gliick erfahren wird:

. ich will nicht der elende Mensch Leonhard Ettlinger sein“.

Auch wenn wir uns, wo immer moglich, hiiten, von Figuren und Geschehnissen auf die Person E. T. A. Hoffmanns zuriickzuschliefien,17 an solchen Stellen denkt man doch mit Beklemmung daran, wie dieser Mann die conditio humana erfahren haben mufi. Als jah eingesprengtes Schrecknis steht die Szene mit dem Wahnsinnigen im Leben der Prinzessin; ganz ahnlich erscheint die Ettlinger-Geschichte im Bewufitsein Kreislers und letztlich auch im Ablauf des Romans. Dafi sie dennoch fur das ganze Werk von so grofier Bedeutung sein kann, hangt mit dessen spezifischer Struktur zusammen. Die Kreisler-Partien in den ,Lebens-Ansichten des Katers Murr‘ sind ein gewissermafien punktueller Roman, ein erzahlerisches Gebilde, dem es nicht um einen Ablauf, sondern um einen Zustand zu tun ist und das deshalb alle fortlaufende, fortziehende Handlung standig aufbricht. Aus dem perspektivisch gleitenden Nacheinander werden die Geschehnisse in eine Art von Omniprasenz umgeschichtet. Obwohl, wie stets bei Hoffmann, viel passiert, komplizierte Ketten von Ereignissen und Schicksalen sichtbar werden, die sich bei genauer Betrachtung alle ineinanderschliefien, erreicht der Dichter doch, dafi der Leser die Begebenheiten gleichsam statisch erfafit. Wenn sich die ,Elixiere‘ in der Erinnerung als eine flimmernde, heftig akzelerierte Folge von Unternehmungen und Abenteuern ausnehmen, so erscheint der Kreisler-Roman zuletzt trotz Vorgeschichte und Ahnung kommender Dinge als eine grofie, typologisch gefacherte Konstellation von Gestalten, wobei alle Handlung einzig dazu dient, diese Konstellation zu erhellen. Der fiktive Biograph spricht selber von diesem Strukturprinzip: „Aber solche schone chronologische Ordnung kann gar nicht aufkommen, da dem ungliicklichen Erzahler nur miindlich, brockenweis mitgeteilte Nachrichten zu Gebote stehen, die er, um nicht das Ganze aus dem Gedachtnis zu verlieren, sogleich verarbeiten mufi.“ (III. 336) Damit erklart der tatsachliche Erzahler Hoffmann ausdriicklich, dafi ihm das prasentische „Ganze“ durch eine „chronologische Ordnung" gefahrdet schien.18 Nun wissen wir aber, bei wie17 Als Beispiel fiir eine vollig unbekiimmerte Gleichsetzung der Aufierungen fiktiver Figuren mit den Oberzeugungen des Dichters selbst kann das Buch von H. G. Werner gelten: E. T. A. Hoffmann, Darstellung und Deutung der Wirklichkeit in seinem Werk. Weimar 1962. 18 Von den verschiedenen Kunstgriffen, die diesen Zweck erreichen helfen, nur ein Beispiel: Im ersten Kreisler-Abschnitt wird das grofie Gartenfest geschildert („unerachtet es schon ziemlich lange her ist" III. 309); alle spateren Kapitel aber spielen vor diesem Fest, und der Roman endet mit dem Hinweis darauf als auf etwas Kommendes. (Hoffmann begeht nur den Lapsus, zuerst



vielen seiner Werke ebendiese chronologische Ordnung zusammenfallt mit dem Prozel? um die gemalte Geliebte, mit dem umstandlichen und gefahrlichen Weg des Helden zur finalen Erkenntnis. Wir miissen uns also fragen, ob diese grundsatzliche Veranderung der Tektonik in einer Beziehung stehe zur Konzeption der Hauptfigur, des Kapellmeisters. Tatsachlich entspricht die Aufhebung der zielstrebigen Handlungsfolge genau Kreislers Besonderheit. Was die iibrigen Protagonisten Hoffmanns als

Nacheinander

erfahren,

macht

seine

unverandert

gegenwartige

Grundspannung aus. Konkret gesagt: er besitzt jene letzte Einsicht, um welche sich die vielen Traumlaufer so stiirmisch und unbewufk zugleich bemiihen, und er steht dennoch als Liebender vor dem Madchen Julie. Sie ist ihm durchaus „Traumbesitz“ in der von uns beschriebenen Weise, aber dadurch wird sie als auBere Realitat, als atmendes Gegeniiber nicht aufgelost, sondern behalt eine durch ein drohendes Schicksal noch gesteigerte Gewalt. Der „Prozef?“ ist damit gleichsam in einen Zirkel umgebogen, seine zeitlich gestaffelten Phasen erscheinen als gegenwartige Polaritaten. Deshalb ist es unseres Erachtens auch sinnlos, Spekulationen iiber das „weitere Schicksal“ Kreislers anzustellen (referiert bei H. G. Werner, a.a.O. S. 173), etwa: er werde zu einem bestimmten Zeitpunkt wahnsinnig, oder: er entdecke sich „zuletzt“ als legitimer Thronfolger. Der Wahnsinn ist fur Kreisler wichtig als latente Moglichkeit; in dieser Gestalt bildet er eine wesentliche Komponente der Figur. Aber Thesen zu setzen, was aus Kreisler wirklich geworden sei oder unter Bedingungen geworden ware, ist methodisch nicht zu rechtfertigen. Nun diirfte auch die Art und Weise, wie die Geschichte um die gemalte Geliebte in diesem Roman erscheint, ohne weiteres verstandlich sein. Das Schicksal Ettlingers liegt auf der Peripherie jenes erwahnten Zirkels, in

von einer Geburtstags-, dann von einer Namenstagsfeier zu sprechen.) Das gleiche Ereignis ist also fiir den Leser zu Beginn vergangen, am Ende zukiinftig. Dazu kommt, dal? am Schluf? dieses Festes der Kater Murr als noch blindes Katzchen gefunden wird; von seinem parallel zum Kreislergeschehen geschilderten Leben aus ist dieses somit langst vergangen. Die letzte Seite des Romans meldet den Tod des Katers; die zweitletzte, wie gesagt, das kommende Fest, wo das Tierchen erst entdeckt werden wird. Zur Frage des Fragmentarischen dieses Werks ist zu sagen, dal? Hoffmann zwar in der ,Nachschrift des Herausgebers' einen dritten Band angekiindigt hat, dal? dieser aber nicht die bruchlose Weiterfiihrung der ersten zwei hatte werden konnen. Dal? sich mit dem erwahnten Gartenfest ein Ring schliel?t, ist ohne weiteres ersichtlich; der Tod Murrs markiert eine noch deutlichere Zasur. Auch von der spezifischen Struktur her ist, wie wir zeigen, keine Fortsetzung notig. Der dritte Band hatte also notwendigerweise neu konzipiert werden miissen. Mit andern Worten: wir diirfen das Werk, so wie es vorliegt, ruhig als ein Ganzes nehmen.

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dessen Mittelpunkt der Kapellmeister steht, und macht diesen Horizont konstanter Moglichkeiten zum Teil iiberhaupt erst sichtbar. Deshalb kann der Kapellmeister auch, je nach der Situation, zu Ettlinger ganz verschiedene Haltungen einnehmen. Dem Wahnsinn nahe, gerat er beispielsweise an die Grenze der Identifikation mit ihm: „er erbebte nun [...] vor sich selbst, rang mit dem schauerlichen Gedanken, dafi er es gewesen, der die Prinzessin in der Raserei ermorden wollen“ (III. 430). Etwas distanzierter wiederum, aber dafiir auch hartnackiger ist die gleichsam bedingte Identifikation, wenn ihm sein Spiegelbild als der Doppelganger Ettlinger vorkommt. Dieser schaut ihm zeitweilig aus jedem Teich entgegen, und vollig verschwindet er nur einmal, als der Kapellmeister im Kloster fur wenige Tage ganz ruhig wird, „sanft und weich wie ein Kind“.19 Es geschieht in einer uberreizten Rede an dieses Spiegelbild („hoho, bist du da, geliebter Doppeltganger, wackerer Kumpan?“

III. 436),

daft Kreisler auf die entscheidende Differenz zwischen der lebendigen und der gemalten Geliebten zu sprechen kommt und damit einmal mehr die fur ihn spezifische Gleichzeitigkeit von Einsicht und noch immer moglicher Verfehlung sichtbar macht. Er sagt namlich: „Willst du aber, Kumpan, daft die Fiirstin noch jetzt deinem Bilde gleiche, so mufit du es nachtun dem fiirstlichen Dilettanten, der seine Portrats ausglich mit den

zu Portratierenden,

durch

geschicktes

Anpinseln

der

letztern“

(III. 437). Der Hohn, der in diesem Satz mitschwingt, ist aufschluftreich. Er ist nur moglich, wo Distanz und Gebundenheit in einem vorliegen, und eben dies ist bei Kreislers Verhaltnis zu Ettlinger der Fall. Das Wissen um den Irrweg des Malers trennt ihn von ihm, die in der Liebe zu Julie angelegte Moglichkeit eines ahnlichen Schicksals halt ihn an den Ungliicklichen, i. e. an dessen Phantasma, gefesselt. Jenes Wissen aber erweist sich auch hier wieder wesentlich als die Erfahrung der Zeitlichkeit. Er verspottet Ettlinger, weil die Frau, welche dieser einst „in der hochsten Bliite" (III. 428) malte und bis zum Wahnsinn liebte, heute alt und anders ist. Die Zeit hat die fundamentale Diskrepanz zwischen dem lebendigen und dem „geschauten“ Gesicht aufgedeckt und damit den Maler, der in jenem dieses liebte und an die Identitat beider glaubte,

in Kreislers

Augen zur tragikomischen

Gestalt

ge-

macht. So erstaunt es uns denn weiter nicht, daft der Kapellmeister gleich nach dem Bericht der Prinzessin und nach deren Bemerkung: „Jenem Un-

19 „Verschwunden war jener gespenstische Doppeltganger, der emporgekeimt aus den Bluttropfen der zerrissenen Brust" (III. 536).

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gliicklichen sehen Sie ahnlich Kreisler, als waren Sie sein Bruder“ (III. 429), auch auf die klarste nur mogliche Weise von der „Liebe des Kiinstlers“ sprechen kann. Seine Ausfuhrungen sind von Ironie durchschossen, die einerseits aus dem geheimen Spannungsverhaltnis zu Hedwiga entspringt, anderseits aus der Anstrengung, die katalysierende Wirkung der Ettlinger-Vita auf sein Inneres zu bewaltigen. In Anspielung auf einen Satz Brentanos teilt er dabei die Menschheit in „gute Leute“ und „Musikanten“ ein, Philister und Kiinstler also, eine Dicho¬ tomic, die bei Hoffmann zwar haufig, aber immer in satirischer Zuspitzung vorkommt und deren Relevanz fur das Gesamtwerk man nicht iiberbewerten sollte. Wie so oft dient sie auch im vorligenden Fall vor allem dazu, den Hoffmannschen Helden vor einem kraftigen Kontrastgrund zu profilieren.20 Was Kreisler hier fiber die Begegnung der Liebenden sagt, bildet den genauen Gegenpol zur Leidenschaft Ettlingers und ist daher wie diese als die modellhafte Auspragung einer konstanten Moglichkeit des Kapellmeisters zu betrachten. Seine Theorie der reinen Kiinstlerliebe liegt somit auf der Peripherie des gleichen oben erwahnten Zirkels. Fur uns ist sie aber auch iiber das Einzelwerk hinaus wichtig, weil sie nicht nur das Ziel formuliert, welches Ettlinger hatte erreichen sollen, sondern gleichzeitig den Abschlufi des Prozesses um die gemalte Geliebte gemeingiiltig beschreibt. Kreisler sagt: „Es begibt sich wohl, dafi besagten Musikanten unsichtbare Hande urplotzlich den Flor wegziehen, der ihre Augen verhiillte, und sie erschauen, auf Erden wandelnd, das Engelsbild, das, ein siifies unerforschtes Geheimnis, schweigend ruhte in ihrer Brust. Und nun lodert auf in reinem Himmelsfeuer, das nur leuchtet und warmt, ohne mit verderblichen Flammen zu vernichten, alles Entziicken, alle namenlose Wonne des hoheren aus dem Innersten emporkeimenden Lebens, und tausend Fiihlhorner streckt der Geist aus in briinstigem Verlangen, und umnetzt die, die er geschaut, und hat sie, und hat sie nie, da die Sehnsucht ewig diirstend fortlebt! - Und sie, sie selbst ist es, die Herrliche, die, zum Leben gestaltete Ahnung, aus der Seele des Kiinstlers hervorleuchtet als Gesang - Bild GedichtU (HI. 431)

20

Das literarische Thema der Kunstler-Existenz erreicht in der deutschen Literatur einen letzten Hohepunkt mit dem Werk Thomas Manns. Von dessen besonderer Sehweise wird daher auch die Hoffmann-Forschung gelegentlich beeinflufit. Dazu kann man, etwas iiberspitzt, sagen, dafi fur den Hoffmannschen Kiinstler der Burger, sofern er wirklich „Philister“ und ohne Inneres ist, ein Argernis darstellt, aber kein Problem. Bei Thomas Mann ist es umgekehrt. Deshalb muB Tonio Kroger durchaus von Hans Hansen her definiert werden, Kreisler aber ebenso entschieden aus sich selbst oder aus seiner Gestalt gewordenen Moglichkeit, dem Doppelganger Ettlinger.

73

Dafi der Schlufi des Zitats als weiterer Beleg fur die schon anhand der Briefe festgestellte Gleichberechtigung der Kunstgattungen im theoretischen Denken Hoffmanns gelten kann, sei nur rasch erwahnt. Wichtig ist uns vor allem das Gewicht, das hier auf dem Thema der Erkenntnis liegt: mit der Bewegung fallt „urplotzlich der Flor“, ein Zustand fundamentaler Blindheit reifit auf. Welches aber ist nun, ganz genau besehen, das Objekt der Erkenntnis? Hoffmann lafit keinen Zweifel offen: es ist „das Engelsbild, das schweigend ruhte in ihrer Brust", also ein seit je Besessenes, das vielleicht unbestimmt geahnt, aber nie geschaut und begriffen worden war. Mit andern Worten: im Gesicht der Geliebten erkennt der Held nur eines, sich selbst, und zwar sich selbst als einen zum „Schauen“ im Sinne Serapions Bestellten. In dem Augenblick, wo das schone Madchen lebendig vor ihm steht, entfaltet sich mit machtigem Schein der Raum seines Innern, die Sphare der Praformation, und in dessen bewegter Mitte ruht bereits jenes Madchen als das erste „Geschaute“, die friiheste Schopfung des kreativen Ich, das das Urbild aller asthetischen Produktion. Da mag denn alles andere der Zeitlichkeit verfallen, nicht zuletzt die lebendigen Julien und Aurelien selbst. Es ist Hoffmann nur selten gelungen, dieses Herzstiick seiner autistischen Daseinserfahrung mit so kompromifiloser Deutlichkeit in Worte zu fassen, wie hier im Kreisler-Roman. Die Stelle wird hochstens noch vom Schlufiabschnitt der Erzahlung ,Die Fermate' iibertroffen, der zur Verstarkung des Gesagten angefiihrt sei, vor allem, weil sich da auch der Begriff des Spiegels endlich findet. Es geht in diesem Stuck um eine Kiinstlergenese, die Selbstfindung eines jungen Komponisten; die Frau, vor welcher „der Flor fallt“, ist die reisende Italienerin Teresina. Die komodiantische Romanze lebt, mit unseren Begriffen gesagt, vor allem aus dem behaglich ausgespielten Prozefi des „Abschiittelns der Geliebten" und aus dem erheiternden Effekt, den die Konfrontierung des ewigjungen Bildes im Innern des Kiinstlers mit der gealterten Frau bewirkt. Der Erzahler, der die Geschichte als seinen eigenen Werdegang berichtet, zieht am Schlufi die iiberlegene Bilanz: „Gliicklich ist der Komponist zu preisen, der niemals im irdischen Leben die wiederschaut, die mit geheimnisvoller Kraft seine innere Musik zu entziinden wuftte. Mag der Jiingling sich heftig bewegen in Liebesqual und Verzweiflung, wenn die holde Zauberin von ihm geschieden, ihre Gestalt wird ein himmelherrlicher Ton, und der lebt fort in ewiger Jugendfiille und Schonheit und aus ihm werden die Melodien geboren, die nur sie und wieder sie sind. Was ist sie denn nun aber anders als das hochste Ideal, das aus dem Innern heraus sich in der aufiern fremden Gestalt spiegelte." (II. 74) Damit ist genau jener Zielzustand umrissen, den auch Kreisler skizziert,

74

nur hat der Sprecher hier diese Befindlichkeit selbst erlangt, wahrend der Kapellmeister - man kann es nicht genug betonen - ihr ebensofern und ebensonah steht wie der Passion Ettlingers, das heifit: das eine wie das andere mag jederzeit und plotzlich eintreten. Auch Kreisler identifiziert die Geliebte mit einem einzigen unendlichen Ton, dem akustischen Pendant zum wandellosen Bild im Innern der Maler, wobei er in einem seiner ironischen Anfalle die groteske Frage stellt, „ob es moglich sei, dafi ein Ton dunkelblaue Augen haben konne“ (III. 513). Das obenstehende Zitat, das diesem Ton „ewige Jugendfiille" zuschreibt, ist bei aller Ernsthaftigkeit von solcher Skurrilitat gar nicht weit entfernt. Ahnliches haben wir friiher schon bei der ,Prinzessin Blandina' festgestellt. Was dem Passus aus der Fermate nun aber das grdfite Gewicht verleiht, ist der abschliefiende Satz mit dem Begriff der „au£ern fremden Gestalt“. Hier liegt Hoffmanns konsequenteste Formel vor fur die lebendige personale Geliebte. Und ebenso eindeutig wird deren Funktion bezeichnet: sie ist Spiegel, sonst nichts. Da£ aber die sprachliche Prazision dort aufhort, wo das Gespiegelte benannt werden soli, ist uns seit langerem vertraut. Was Hoffmann hier „das hochste Ideal“ hei£t, dafiir besitzt er zwar ein ganzes Arsenal von Termini, aber keinen unverwechselbar eindeutigen. Verfiigte er iiber ihn, so mii£te er sich - wie Kleist und Jean Paul - sogleich auch den Philosophen stellen und den gro£en Systemen seiner Zeit, die alle in seinem Werk als Energien, Ideensplitter oder terminologischer Wirrwarr wirksam sind. Aber dann verlore er wohl auch bald die Kraft, aus der und zu deren Bewaltigung

er

die

grofie

Folge

seiner

erzahlenden

Werke

schaffen

kann.

75

III. KAPITEL

DIE AUGEN DER OLIMPIA

Die lebendigen Puppen Konzeption und Varianten des Teraphims

Wir haben die gemalte Geliebte in den Erzahlungen Hoffmanns vorgenommen als ein Motiv und aann festgestellt, daft dahinter viel mehr liegt, daft die Vorgange um Bild, Modell und Maler in ihrer Grundform als eigentliches Konstitutivum der Erfindungswelt des Dichters betrachtet werden miissen. Dies wurde spatestens dort offensichtlich, wo sie sich fiir ganze Werke - viele Erzahlungen und den Roman ,Die Elixiere des Teufels‘ - als strukturbildend erwiesen. Ein Prozeft mit bestimmten Gesetzmaftigkeiten wurde aufgedeckt, der die innere Folgerichtigkeit vieler Erscheinungen an den Tag legte, welche vorher allein auf der zufalligen Laune des Erzahlers zu beruhen schienen. Nun stellt sich natiirlich die Frage, ob dieser Prozeft, in dem leidenschaftliche Anliegen Hoffmanns ihre schliissige Gestalt finden, in verwandter Form nicht auch im Gefiige anderer Werke des Dichters aufgespiirt werden kann, selbst wenn da weder von Malern noch von Gemalden die Rede sein sollte. Denn ein Konstitutivum, wenn wir den Ausdruck einmal brauchen wollen, mufi in verschiedenster Gestalt erscheinen konnen, da es als ein Allgemeineres und auch Abstrakteres dem einzelnen Werk unterlegt ist und dessen Individualist als freies und einmaliges Spiel erst ermoglicht. In welch fundamentaler und damit fiir die Interpretation aufschluftreicher Weise das tatsachlich der Fall sein kann, zeigt ein Blick auf das f-—beriihmte Nachtstiick ,Der Sandmann'. Um gleich das Entscheidende zu sagen: Olimpia, das schone Automatenmadchen, entspricht in seiner Funktion innerhalb des zentralen Handlungskonnexes weitgehend dem gemalten Bild der Geliebten in den im fvorigen Kapitel behandelten Geschichten. Mit dieser These wird nun allerdings stillschweigend vorausgesetzt, daft der Held der Erzahlung durchaus analog zu sehen sei zu den Hauptfiguren jener andern Stiicke. Bei denen aber handelte es sich durchwegs

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urn werdende Kiinstler, verstrickt in ihre spektakulare Gcnese. Natha¬ nael indessen scheint vor allem ein interessanter pathologischer Fall zu sein,

ein

faszinierender

Wahnsinniger,

wie

er

in

spatromantischen

,Nachtstiicken‘ eben vorkommen darf. DaB er iiberdies ein mediokrer Dichter ist, wirkt unmittelbar nicht von Belang. Als viel gewichtigeres Moment erscheint die Figur eines objektiv Bosen in der Novelle, der offenbar eine jenseitig-fatale Macht vertritt. So zumindest wird der Advokat Coppelius (resp. der Wetterglashandler Coppola) in der Literatur meistens aufgefafit.1 Das scheint vor einem Vergleich etwa mit dem komodiantischen ,Artushof‘ und ahnlichen Produkten zu warnen. Anderseits haben ^dr, beispielsweise in den beiden Romanen, gesehen, daft der fragliche Geschehniskomplex auch ins schlechthin Heillose fiihren kann, zu Konsequenzen, welche sich von dem graBlichen SchluB des ,Sandmanns' in nichts unterscheiden, und wir haben dort trotzdem jegliches Damonenwesen ausdriicklich und mit Griinden bestritten. Gerade von einer Geschichte wie dem Bericht iiber den Maler Ettlinger im ,Kater Murr‘ her laBt sich deshalb der ,Sandmann‘ am ehesten in vertraute Zusammenhange riicken. Mit Ettlinger namlich stimmt Nathanael sowohl in der schauerlichen Form des Wahnsinns wie auch in der Tendenz zu Mord und Bluttat iiberein. Vom Maler heiBt es: „Man legte ihm die Ketten an, [...] man fiihrte ihn fort, indem er entsetzliche Tone ausstieB wie ein gefesseltes wildes Tier" (III. 429); und vom Liebhaber der Olimpia, nachdem er diese als Puppe erkannt hat: „Seine Worte gingen unter in entsetzlichem tierischem Gebriill. So in graBlicher Raserei tobend wurde er nach dem Tollhaus gebracht" (I. 359). Sowenig wie fur das Unheil Ettlingers ist auch fur das Nathanaels eine objektive damonische Macht verantwortlich oder zur Erhellung notig; die Ursache ihres Schicksals liegt bei beiden allein in ihrer unbegriffenen und unerlosten Liebe. Das ist allerdings ohne behutsames synoptisches Vorgehen nicht bis ins letzte klarzulegen; fur sich allein genommen, kann gerade die Olimpia-Novelle sehr leicht zu den verschiedensten Zufalls-Deutungen verleiten. Die Parallele zur Schliisselparabel

des

Kreisler-Romans ist nun aber so offensichtlich, daB sich die Verwandtschaft von Nathanaels Geschick mit dem Problem- und Aktionsgefuge um die gemalte Geliebte nicht bestreiten laBt. Der Unterschied zu den heiter-turbulenten Werken wie dem ,Artushof‘, ,Meister Martin' oder 1 Vgl. L. Kohn a.a.O. S. 103, wo sich der Verfasser einem Satz von Margot Kuttner anschliefit, in dem sie in Coppelius „das absolut determinierende Walten einer hoheren Macht" feststellt. - Vorsichtiger urteilt H. G. Werner (a.a.O S. 99), der das Problem als nicht gelost betrachtet: „Letztlich bleibt aber doch die Frage nach der Existenz damonischer Wesen ungeklart."

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der ,Fermate‘ liegt einzig darin, daft der iiberall gleiche Prozeft dort zu dem ihm wesentlichen Ende gelangt, wahrend er hier — wie etwa auch im ,Malerbuch‘ der ,Elixiere‘ - in seiner heikelsten Phase stockt und damit alles menschenmogliche Ungliick freisetzt. Hat man das einmal eingesehen, treten zahlreiche weitere Entsprechungen von selbst ins Blickfeld. So stimmt die Figurenkonstellation mit der Exposition vieler Erziehungsnovellen iiberein; wie Traugott zwischen Christina und Felizitas, steht Nathanael zwischen Clara und Olimpia, und die Gestalt Coppelius/Coppola erscheint genau dort, wo in so manchen Erzahlungen der Mentor auftritt. Das ganz Besondere dieser Novelle liegt nun darin, daft in ihr ein Vorgang auf grofiartige Weise Gestalt findet und das Werkganze pragt, der in den Kiinstlergeschichten oft nur mit angestrengten

Konstruktionen

bewaltigt

wird:

das

Lebendigwerden

des

Bildes. Es gibt wenige Themen, die den Dichter so unverhiillt faszinieren, wie dieser Akt; bei der Betrachtung des Malerbuchs hat sich das deutlich gezeigt (vgl. oben S. 65), wie denn in den ,Elixieren‘ iiberhaupt die standigen Hinweise auf die iibereinstimmende Gewandung von Aurelie und Rosalia dem ungescheuten Leser geradezu als eine Marotte des Autors vorkommen miissen. Aber wahrend Hoffmann sonst meistens dem idolatrischen Jiingling das lebendige Modell vor Augen fiihrt, wird im ,Sandmannc die Sache selbst schrittweise erweckt, auf eine Art, die einmal mehr die zwingende Assoziation zu Pygmalion schlagt. Dabei ist es allerdings nicht so, daft Nathanael zuerst von der Schonheit der noch reglosen Figur entflammt wiirde, wie dies bei den Portrats jeweils der Fall ist, und daft er dann der Lebendigwerdung eines bereits geliebten Wesens beiwohnte. So wiirden wir es, da wir nun einmal auf die Konstanz der Phanomene aus sind, eigentlich erwarten. Die erste Begegnung verlauft indessen genau gegenteilig. Nathanael sieht Olimpia durch den Gardinenspalt einer Glastiir: „Selbst weift ich nicht, wie ich dazu kam, neugierig durchzublicken. Ein hohes, sehr schlank im reinsten Ebenmaft gewachsenes, herrlich gekleidetes Frauenzimmer saft im Zim¬ mer vor einem kleinen Tisch, auf den sie beide Arme, die Hande zusammengefaltet, gelegt hatte. Sie saft der Tiire gegeniiber, so, daft ich ihr engelschones Gesicht ganz erblickte. Sie schien mich nicht zu bemerken, und iiberhaupt hatten ihre Augen etwas Starres, beinahe mochte ich sagen, keine Sehkraft, es war mir so, als schliefe sie mit offenen Augen. Mir wurde ganz unheimlich und deshalb schlich ich leise fort .. (I. 342). Er ist offensichtlich vorwiegend befremdet; von den wunderbaren Ahnungen, die etwa Traugott vor dem Wandgemalde des Artushofs erfassen, kann nicht die Rede sein.2 Das ist denn doch auffallig,

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Diese typologisch wesentlichen Regungen sind bei Nathanael allerdings

da die Geschichte ja auf die Liebe Nathanaels zu Olimpia hin angelegt ist und eine gestufte Vorbereitung durchaus zu erwarten ware. Aber dem steht ein unerbittliches Prinzip Hoffmanns entgegen: Olimpia ist kein Kunstwerk, kann und darf keines sein, ja sie mubte als eigentliches Urbild der falschen, i. e. nicht „geschauten“, sondern aufterlich montierten Kreation gelten, wenn die Frage nach ihrer asthetischen Qualitat je gestellt wiirde. Somit kann sie den Studenten gar nicht auf Anhieb tiefer beriihren, trotz des „engelschonen Gesichts". Die gemalte Rosalia, beispielshalber,

ist ein wahrhaft

„geschautes“

Werk,

strahlend von

asthetischen Energien im Sinne Hoffmanns; der Monch, wenn er das Gemalde sieht, mufi nichts hinzutun: es ist, so wie es da hangt, vollkommene und gapze Spiegelgestalt seines Innern. Nathanael aber hat alles selbst zu leisten; das Automatenmadchen ist nicht mehr als ein steifes Substrat seiner |nadenlosen Einbildungskraft. Wenn wir sagen „gnadenlos“, so zielt das nicht auf die Tatsache, daft er diese Einbildungskraft iiberhaupt besitzt. Im Gegenteil, das macht ihn erst zu einem fur Hoffmann ernstzunehmenden Menschen. Selbst wenn er ein unfertiger oder verkiimmerter Dichter sein sollte (der Autor halt sein Urteil in der Schwebe), er ist doch ohne Zweifel aus solchem Zeug wie das zu Kiinstlern. Aber dieser seiner eigenen Beschaffenheit steht er vollig hilflos gegeniiber; der Nathanael, der in tobender Verzweiflung vom Turm stiirzt, hat keine Ahnung, daB die Einsicht in das Puppenwesen der Geliebten die gliicklichste Erkenntnis seines Lebens sein konnte. So aber weifi er wahrhaft nicht, was er tut, genauer: was seine Augen treiben. Man staunt stets von neuem, mit welcher Prazision Hoffmann hier das zentrale Problem symbolisch konkretisiert und mit welcher Souveranitat (der ,Sandmann' ist immerhin ein ziemlich friihes Werk) er eben dieses literarische Konkretum erzahlerisch verwertet. Es ware lohnend, abzuklaren, ob vor dieser Geschichte je ein Leitmotiv in solcher Dichte, Vielseitigkeit und Stimmigkeit in der Literatur eingesetzt worden ist, wie hier die Augen (und, als deren Erweiterung, Brillen und Fernglaser). Was die Sache indessen kompliziert, ist die Tatsache, daft es nicht nur um die Augen Nathanaels geht, sondern auch um die Claras und im besondern noch Olimpias. Schon bevor er sich in das Automaten¬ madchen verliebt, schreibt der Student jenes langere Gedicht, wegen schon durch die Begegnung mit Coppola, in dem er den Kinderschreck Coppelius zu erkennen glaubt, auf nachhaltige Weise hervorgerufen worden: „Alles, das ganze Leben war ihm Traum und Ahnung geworden" (I. 346). Derartige Wirkungen der Mentorgestalt finden sich gelegentlich, wenn auch selten so intensiv.

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dessen es um ein Haar zum Bruch mit der Verlobten und zum blutigen Zweikampf kame, da die Freunde das Werk als unsinnig ablehnen. Tatsachlich aber spricht er darin die ganze Problematik seiner Existenz und damit auch der Novelle aus, nur versteht er sein Poem selber nicht; es ist ihm gewissermafien passiert, denn wie er es zum erstenmal durchliest, faftt ihn „wildes Entsetzen“, und er schreit: „Wessen grauenvolle Stimme ist das?“ (I. 348) Der Inhalt dieser Dichtung wird folgendermailen wiedergegeben: „Er stellte sich und Clara dar, in treuer Liebe verbunden [ ... ] Endlich, als sie schon am Traualtar stehen, erscheint der entsetzliche Coppelius und beriihrt Claras holde Augen; die springen in Nathanaels Brust wie blutige Funken sengend und brennend, Coppe¬ lius faCt ihn und wirft ihn in einen flammenden Feuerkreis [...]. Aber durch dies wilde Tosen hort er Claras Stimme: ,Kannst du mich denn nicht erschauen? Coppelius hat dich getauscht, das waren ja nicht meine Augen, die so in deiner Brust brannten, das waren ja gliihende Tropfen deines eigenen Herzbluts — ich habe ja meine Augen, sieh mich doch nur an!‘ - Nathanael denkt: Das ist Clara, und ich bin ihr eigen ewiglich. - Da ist es, als fafit der Gedanke gewaltig in den Feuerkreis hinein, dafi er stehen bleibt, und im schwarzen Abgrund verrauscht dumpf das Getose. Nathanael blickt in Claras Augen; aber es ist der Tod, der mit Claras Augen ihn freundlich anschaut“ (I. 348). Alles, was hier gesagt wird, ist Vordeutung auf kommendes Geschehen, aber mit dieser Feststellung ist die Passage noch nicht geklart. Vor allem erweckt der unerwartete und seltsam irritierende SchluBsatz von den freundlichen Au¬ gen des Todes das Bediirfnis nach eindeutiger Interpretation. Zudem ist in dieser Verdichtung zukiinftiger Ereignisse Olimpia nicht vorhanden, die doch spater ganz ins Zentrum riickt; ja seltsamerweise geschieht hier mit Claras Augen, was nachher mit denen des Automats passiert: dafi sie gegen oder in Nathanaels Brust geworfen werden.3 Clara und Olimpia aber scheinen sich sonst in der ganzen Erzahlung polar entgegenzustehen. Wenn denn also die Augen das Schliisselmotiv des Werks sind und dieses Motiv in seiner seltsamsten Variante auf das lebendige und auf das mechanische Madchen gleicherweise angewendet wird, so diirfen wir hier eine entscheidende Stelle vermuten. Der Wahnsinn Nathanaels wird im Gedicht dadurch ausgelost, dafi die¬ ser sehen mull, wie Claras Augen brennend in seine Brust springen. Das heifit, die geliebte Braut wird auf schrecklichste Weise zerstort. Hoff3 Vgl. I. 359: „Nun sah Nathanael, wie ein Paar blutige Augen auf dem Boden liegend ihn anstarrten, die ergriff Spalanzani mit der unverletzten Hand und warf sie nach ihm, dafi sie seine Brust trafen. - Da packte ihn der Wahn¬ sinn mit gliihenden Krallen und fuhr in sein Inneres hinein_“

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mann denkt gewilS schon hier auch an die „schwarzen Hohlen“, wie sie spater im Gesicht Olimpias sichtbar werden. Diese Verstummelung des Madchens durch eine seit friihesten Jahren gefiirchtete teufelahnliche Gestalt reicht fur den psychischen Kollaps zweifellos aus und wiirde auch zur Begriindung von Nathanaels nachmaligem Geschick geniigen. Nun aber korrigiert Hoffmann durch das Gedicht selber diese plausible Deutung (in welcher die Erzahlung zur psychopathologischen case study wiirde) und gibt verhiillten Hinweis, wie auch alles andere zu verstehen sei. Er laBt namlich Clara sagen: „Coppelius hat dich getauscht". Das ist ein sehr wichtiger Satz; denn damit wird der „Bose“ der Erzahlung von einem Tater zu einem, der bestenfalls Einflufi nimmt; von einem, der mit physischer Gewalt das Madchen blendet, zu einem, der den Studenten hochstens glauben macht, er tate es. Die Problematik von Terror und Bluttat enthiillt sich als eine Problematik von Tauschung und Ent-Tauschung, also von Erkenntnis. Worm aber besteht Nathanaels Fehlmeinung genau? Clara sagt: „Coppelius hat dich getauscht, das waren ja nicht meine Augen, die so in deiner Brust brannten, das waren ja gliihende Tropfen deines eigenen Herzbluts - ich habe ja meine Au¬ gend Heifit das nun, daC iiberhaupt nichts passiert ist, nichts von Cla¬ ras Gesicht „sengend“ zu Nathanael ilbergesprungen ist? Das kann schwerlich der Fall sein, denn das jahe Brennen muft seine Ursache haben. Anderseits sagt Clara eindeutig: „ich habe ja meine Augen, sieh mich doch nur an!“ Soil man also den absurden Schluft ziehen, dafi das Madchen zwei Augenpaare hat, wobei sie selber nur um das eine, Na¬ thanael nur um das andere weifi? Es bleibt keine andere Wahl. Und im Hinblick auf den letzten Satz der zitierten Inhaltsangabe erscheint diese Folgerung zudem bedeutend weniger absurd. Wenn namlich Nathanael, als sich der Wahnsinn durch Claras Zuruf gelegt hat, ihr glaubt, dafi sie „ihre Augen“ hat, und es dann „der Tod“ ist, der „mit Claras Augen ihn freundlich anschaut", dann kann das ja wiederum nur verstanden werden unter der Annahme eines wie auch immer gearteten doppelten Augenpaars. Denn obschon sich fur das Bewufitsein Claras selber nichts verandert hat, sieht Nathanael nicht mehr jene Augen vor sich, die er liebte und in denen ihm das Ziel seiner Sehnsucht lebendig und antwortend begegnete, sondern etwas ganz und gar Fremdes, das durch seine blofte Gegenwart den Untergang der geliebten Sterne bestatigt und ihm daher vorkommt als der Tod. Claras Satz: „das waren ja nicht meine Augen, die so in deiner Brust brannten", ist somit nur von ihr aus richtig; denn die entscheidende Tatsache ist eben: da£ Nathanael in den Augen der Geliebten wie in zwei Spiegeln das ungekannte Licht seines eigenen Innern sah; ihre Schonheit war die des „Karfunkels“ in 81

seiner Brust und damit durchaus Teil seines „eigenen Herzbluts". Seine Augen selbst warfen den Strahl, dessen Widerschein er fur den Blick des Madchens hielt, jenen Blick, um dessentwillen er sie liebte. Und wenn nun in seiner poetischen Vision die Augen Claras in seine Brust springen, dann ist das nichts anderes als die Aufdeckung ihrer tatsachlichen Seinsweise als strahlende Reflexe; der scheinbar graftliche Vorgang verkorpert eine Wahrheit, die ihn erlosen konnte, wenn er sie nur zu fassen vermochte. Wir dlirfen nicht vergessen: das alles ist in Nathanaels eigenem Gedicht enthalten. Auch wenn er sich davor selber entsetzt, so heiftt dies doch, daft er der Erkenntnis im Grunde nahekommt. Ja, wenn er nach Claras schroffer Ablehnung seines Werks das Madchen in jaher Wut als „lebloses, verdammtes Automat" bezeichnet (I. 348), so spricht er damit, so herzlos es sich ausnimmt, eine subjektive Wahrheit aus. Aber gerade weil diese Wahrheit herzlos ist, verdrangt er sie auch wieder und bereitet so das Feld fiir das fatale Maschinenmadchen. Damit liegt nun aber eine Folgerung nahe, die sich trotz allem seltsam ausnimmt: wenn das eben Gesagte zutrifft, dann steht Clara gar nicht im Gegensatz zu Olimpia, sondern eher parallel zu ihr. Das Automat miiftte dann, von der Erfahrungskurve Nathanaels aus betrachtet, geradezu als die gesteigerte Allegorie der lebendigen Braut definiert werden. Wenn wir dies einmal akzeptieren, lost sich mindestens die eine Schwierigkeit: warum in Nathanaels Vision von seinem kommenden Schicksal das Automat nicht vorkommt und das, was spater an Olimpia passiert, mit Clara geschieht. Noch gewichtiger aber ist die Tatsache, daft von dieser Deutung her die letzte Katastrophe auf dem Turm ohne weiteres verstandlich wird, jene Szene namlich, wo der geheilte und beruhigte Nathanael Clara zufallig durch das Perspektiv erblickt, mit dem er nach Olimpia zu schauen pflegte, daraufhin erneut von der Phrenesie gepackt wird und das Madchen mit dem Ruf: „Holzpiippchen dreh dich!“ zu ermorden trachtet (I. 362). Es ist zweifellos Wahnsinn, was ihn hier umtreibt, aber der Wahnsinn besteht nicht darin, daft er Clara auch als „Holzpuppchen“, als eine Olimpia sieht; vielmehr wird die Raserei von ebendieser mehrfach verdrangten und nun erneut aufgebrochenen Erkenntnis erst ausgelost, und zwar deshalb, weil er mit der Wahrheit noch immer nicht zu Rande kommen kann. Anderseits haben wir oben selber von einem Gegensatz der beiden weiblichen Figuren gesprochen und gesagt, Nathanael stehe zwischen Clara und Olimpia wie jener Traugott des ,Artushofsc zwischen Christine und Felizitas. Aber gerade dieser Vergleich enthalt auch die Erklarung: wohl hatte sich Traugott gegen Christine und fiir Felizitas zu entscheiden, 82

auf einer spiiteren Stufe indessen traten die opponierenden Figuren dennoch nebeneinander, dort niimlich, wo Traugott in den Ruf ausbrach: „Was habe ich mit der Kriminalratin Mathesius zu schaffen!“ (vgl. oben S. 49), das heiftt, wo er das sehnsiichtig Gesuchte als den eigenen Traumbesitz erkannte. Auch Nathanael konnte sagen: „Was habe ich mit Clara, was mit Olimpia zu schaffen!“, denn ihm dammert dumpf, da£ er an ihnen einzig die selber projizierte Schonheit liebte, daB er in ihren Augen nur die seinen sah; aber statt in Gelachter auszubrechen, springt er vom Turm und zerschmettert sich den Schadel. Sein letzter Schrei ist - was sonst?

„Skone Oke - skone Oke!“

(I. 362) Wenn man die Verse Goethes: „Nichts ist drinnen, nichts ist drauBen; Denn was innen, das ist auBen"4 aus dem rein naturwissenschaftlichen Zusammenhang lost und, was zweifellos erlaubt ist, anthropologisch nimmt, kann man in ihnen unter anderem eine sehr genaue Formel fur das Gluck, den Zustand des Gliicklich-Seins, sehen. Nur dort, wo die Diskrepanz zwischen Innen und AuBen, zwischen Phantasma und Objekt, Idee und Sache, Sehnsucht und Besitz sich aufhebt in einer freien Koinzidenz (oder eben: Gegenwart) ist Gluck moglich; besser noch: dort ist immer und iiberall Gluck. Deshalb spricht Lynkeus, der Tiirmer, von den „gliicklichen Augen“ (Faust II, V. 11300); denn in diesen vollzieht sich jene Koinzidenz in iiberragender Weise (mindestens fur das immer auf dem Somatischen aufruhende Denken Goethes); die Augen sind die Organe des Glucks schlechthin. Dabei ist der Begriff des Organs genau zu nehmen; er meint ein ebensosehr Tatiges wie Rezeptives. Gott¬ fried Kellers „liebe Fensterlein", beispielsweise, wiirden den Augen des Tiirmers, sosehr das „Abendlied“ sonst an jenen Gesang erinnert, nicht ganz entsprechen; das Empfangen, das „Trinken“ uberwiegt zu sehr. Dennoch sind die Augen auch bei Keller wesentlich „gliicklich“, der festliche SchluB des Gedichts zeigt das deutlich genug, nur beruht hier die Kommunikation von Innen und AuBen, aus welcher das Gluck entspringt, nicht auf einem Hin und Wider, sondern auf dem ungebrochenen Einstromen des Weltlichts in das dunkle Menschliche. Auch Nathanael ist gliicklich in der Gegenwart Olimpias, vor ihrem „Liebesblick, der ziindend sein Inneres durchdrang“ (I. 354). Auch bei ihm geht es um „gliickliche Augen“, obschon in einem mehrfachen und unheimlichen Sinn. Wir wissen, dafi Olimpia ihm zuerst vollig gleich4 Im Gedicht ,Epirrhema‘ („Miisset im Naturbetrachten ...“), das Goethe zuerst in seine Zeitschrift ,Zur Morphologie‘ einruckte und in der Anordnung der Ausgabe letzter Hand als Verbindungsstiick zwischen die zwei .Metamorphosen' setzte. (Hamburger Ausgabe, Bd. I, 1958 (4), S. 358).

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giiltig war, ihm vorkam wie erstarrt. Erst als er sie durch das Fernglas sah, „war es, als gingen in Olimpias Augen feuchte Mondesstrahlen auf. Es schien, als wenn nun erst die Sehkraft entziindet wiirde; immer lebendiger flammten die Blicke. Nathanael lag wie festgezaubert .. (I. 352). Und nur von ihren Augen her wird sie ganz liebenswert; denn als er ihre Hand zum erstenmal beriihrt, drohen sich seine Gefuhle zu verfliichtigen: „Eiskalt war Olimpias Hand, er fiihlte sich durchbebt von grausigem Todesfrost, er starrte Olimpia ins Auge, das strahlte ihm voll Liebe und Sehnsucht entgegen und in dem Augenblick war es auch, als fingen an in der kalten Hand Pulse zu schlagen und des Lebensblutes Strome zu gliihen. Und auch in Nathanaels Innerm gliihte hoher auf die Liebeslust ..(I. 354). Und von da an tragt der ungliickselige Freier „einen ganzen hellen strahlenden Himmel in der Brust" (1.353). Wir konnen durchaus sagen, dafi die Koinzidenz von Innen und Aufien, die dieses Gluck ausmacht, aus der Perspektive Nathanaels ganz in der Begegnung mit dem Augenpaar Olimpias liegt, das seinem Innern in einer bisher nicht fiir moglich gehaltenen Weise antwortet und so das Gefalle zwischen Ich und Welt mit einemmal aufhebt. Deshalb spricht er von ihr fast immer in pars-pro-toto-Wendungen, identifiziert sie ganz mit ihrem „Liebesblick“ (1.356,358), und kann gleichzeitig nicht genug betonen, wie sehr er darin sich selber finde: „Nur mir ging ihr Liebesblick auf [...], nur in Olimpias Liebe finde ich mein Selbst wieder“ (I. 356). Kaum nennt er sie einen „Strahl aus dem verheifSenen Jenseits der Liebe“ - wobei nur ihr Blick gemeint sein kann, denn er sieht ihr dabei „unverriickt ins Auge“ - erganzt er auch schon: „du tiefes Gemiit, in dem sich mein ganzes Sein spiegelt" (I. 355). Aber so real dieses Gluck ist, von so boser Ironie sind doch gerade die Satze, die der Autor seinen Helden sprechen la£t. Gewifi „spiegelt“ sich hier etwas; aber wenn Nathanael das Verbum als Metapher fiir die personale Begegnung mit einem Tiefverwandten gebraucht, so weift der Leser, dafi es viel wortlicher zu nehmen ist, daS hier wirklich nur von Wider-Schein die Rede sein kann, von getraumten Reflexen in polierten Glasern. Und Hoffmann sagt insgeheim noch mehr: indem er Nathanael an dieser Spiegelsaule den „Strahl aus dem verheifienen Jenseits der Liebe“ preisen lafit, weist er auch auf den wahren Fokus solchen Lichtes hin, jenen namenlosen Punkt in der Brust des Helden selbst. Wer ist denn nun aber Olimpia? - Als das tote Substrat von Nathanaels unbegriffenem, aber durchaus serapiontisch-kreativem „Schauen“ (mithin der grundierten Leinwand jener verriickten Maler verwandt), steht sie letztlich fiir die Aufienwelt schlechthin. Wir haben bereits gesagt, dafi sie als die Allegorie Claras betrachtet werden diirfe, und wir kon84

nen den Satz noch erweitern: wie sie die Allegorie der Geliebten ist, ist sie auch die Allegorie der Natur, der Gesellschaft, sogar der Sprache. Dialektisch

redend,

konnte man sie

geradezu

die gestaltgewordene

Negation des romantischen Panpsychismus nennen, das bleiche Gespenst dessen, was Novalis einst den „magischen Idealismus" nannte. Denn wenn bei ihm vom kommenden Menschen gesagt wird: „Er wird seine Sinne zwingen ihm die Gestalt zu produzieren, die er verlangt - und im eigentlichsten Sinne in seiner Welt leben konnen“,5 dann ist dieses Postulat in Nathanael auf eine schneidende Weise erfiillt. Vor den glanzenden Augen des Automatenmadchens lebt er durchaus „im eigentlichsten Sin¬ ne in seiner Welt“, aber, und hier liegt der Rift zu Novalis, diese seine Welt ist nicht mehr zum voraus identisch mit der Welt schlechthin oder mit deren „Geheimniszustand“, um einen Lieblingsausdruck Hardenbergs zu gebrauchen. Olimpia lebt nur fur ihn. Und damit wird sie zum Zeugnis dafiir, daft es einen solchen Geheimniszustand der Welt gar nicht gibt, daft kein Lied in alien Dingen schlaft, sondern nur eines im Innern des Menschen. Wenn die Welt dennoch zu singen anzuheben scheint, dann ist das nicht mehr als ein schones Echo dieses Urtons aus der eigenen Brust, wie die Augen Olimpias ein schones Echo des gleichgearteten Urlichts sind. Allerdings ist in diesem Raum zwischen Ton und Widerhall, zwischen Lichtquelle und Abglanz der oben zitierte Goethe-Vers tatsachlich erfiillt, schieften Drinnen und Drauften zusammen (und zwar in der von Novalis skizzierten iiuftersten Form), ist folglich auch Gliick. Aber es ist nicht das realistische Gluck des Tiirmers und auch nicht das idealistische jenes Lehrlings zu Sais, der den Vorhang hebt und sich selber findet, sondern das Gliick des wahnsinnigen Einsiedlers Serapion im Zirkel seiner Projektionen. Auch er nimmt sich ja wie eine ungewollte Parodie auf den magischen Idealismus aus, — ungewollt, weil Hoffmann Novalis verehrte und wohl kaum ahnen konnte, wie sehr er dessen zukunftstrunkene Spekulation in bose gegenwartige Aporien verwandelte, die totale Metaphysik auseinanderfallen lieft in Psychologie und ein autistisches Mythologem, — damit als einer der ersten eine Grundbewegung des Jahrhunderts vollziehend. Olimpia und das Gliick, - die Problematik liegt wohl nicht unmittelbar nahe, vor allem wenn man den primaren Effekt der Erzahlung beachtet, der eindeutig Schreck und Grauen ist. Dennoch ware ein Natha¬ nael denkbar, der am Schluft lachelnd, ja mit einer gewissen nostalgischen Wehmut an die artifizielle Braut zuriickdenkt. Wir konnen das behaupten, da Olimpia im Werk Hoffmanns eine Reihe von Geschwi-

5

Novalis, Werke, hg. v. E. Wasmuth. Heidelberg 1957, Bd. 2, S. 443L 85

stern hat, die man nur deshalb nicht gleich als solche erkennt, weil die entsprechenden Erzahlungen immer wieder auf andere Grundtone gestimmt sind. So gehort zur engsten Verwandtschaft des horriblen Auto¬ mats eine der liebenswurdigsten Erfindungen des Dichters: der tapfere NuBknacker aus dem Marchen ,Nufiknacker und Mausekonig1.6 Man darf eine Stelle dieser Geschichte geradezu als Hinweis Hoffmanns auf solche Veranderungen der emotionalen Tonung bei konstanter Problematik auffassen. Die Mutter der kleinen Protagonistin unterhalt sich mit dem Paten Drosselmeier, der auffallig viele Ziige des Dichters selbst tragt. Dabei heifit es in der reizvollen Diktion, die das ganze Werk kennzeichnet: „ ,Ich hoffe,‘ sprach die Medizinalratin, ,ich hoffe, lieber Obergerichtsrat, dafi Ihre Geschichte nicht so graulich sein wird, wie gewohnlich alles ist, was Sie erzahlen?' ,Mitnichten, teuerste Frau Medi¬ zinalratin', erwiderte Drosselmeier, ,im Gegenteil ist das gar spafihaft, was ich vorzutragen die Ehre haben werde‘ “ (II. 219). Es geht wirklich alles prachtig aus in dieser Geschichte, und man liest mit Vergmigen den SchluBsatz, der berichtet, daft die siebenjahrige Marie nun Konigin eines Landes geworden sei, wo man „die allerherrlichsten wunderbarsten Dinge erblicken kann, wenn man nur darnach Augen hat“ (II. 252). Das tont so fraglos frohlich, daft man fiber diesen „Augen“ erst stutzt, wenn sich einem die Frage stellt, ob denn nicht auch der unselige Nathanael „darnach Augen“ hatte, ob die „skonen Oken“, denen seine letzten Wort galten, nicht von der grundsatzlich gleichen Beschaffenheit waren. Dem ist zweifellos so. Folglich, miissen wir auf Grund unserer bisherigen Ausfiihrungen schlieften, ist die kleine Marie irgendwann in der Geschichte zu einem Punkt der Reflexion, der Selbst-Erkenntnis gelangt, der sie, wie jene vielen Kiinstler, ihren eigenen Projektionen gegeniiber frei gemacht und das gliickliche Ende ermoglicht hat. Aber das ist nun auch wieder nicht der Fall. So bleibt nur noch eine Moglichkeit: ihr Gluck ist dasjenige Serapions. Doch Serapion ist wahnsinnig, sein Friede ist aus der Raserei geboren (vgl. II. 19), wahrend

Marie

ein

sehr

verniinftiges

kleines

Berlinermadchen

ist.

Gleichwohl gehoren die beiden in der Tat zusammen, und es geht bei Marie eben nur deshalb mit rechten Dingen zu, weil sie ein Kind ist und ihre „geschaute“ Wirklichkeit nicht mit der allgemeinen Menschenwelt zur Deckung bringen, die Diskordanz der beiden nicht auf irgendeine Weise austragen mufi. Das hort sich banaler an, als es ist; man darf

6

Es ist vielleicht kein Zufall, daB Olimpia und NuBknacker jene zwei Geschopfe Hoffmanns sind, welche auf die Komponisten die grofite Faszination ausgeiibt haben.

86

diese

Situation

nicht voreilig mit

den

zahllosen

Kindergeschichten

gleichsetzen, wo Abenteuer getraumt werden und kleine Leute mit lebhafter Phantasie sich allerlei Aufterordentliches vorstellen. Die Sphare, in der Marie zuletzt lebt, ist durchaus auf Kollision hin angelegt, nur ist diese vom Erzahler gewissermaften tempiert, iiber den Schluft des Werks hinaus verschoben, als drohendes Ereignis aber deutlich zu erahnen. Ein ominoser Hinweis dieser Art findet sich etwa in dem Auftritt kurz vor dem Ende (vor der phantastischen Hochzeit Maries mit dem zum Prinzen erhohten Nuftknacker also!), wo der Vater sein Tochterchen zornig hernimmt: „Hor mal, Marie, lafi nun einmal die Einbildungen und Possen, und wenn du noch einmal sprichst, daft der einfaltige miftgestaltete Nuftknacker der Neffe des Herrn Obergerichtsrats sei, so werf ich nicht allein den Nuftknacker, sondern auch alle deine iibrigen Puppen, Mamsell Clarchen nicht ausgenommen, durchs Fenster" (II. 250). Diese alltagliche, wenn auch padagogisch fragwiirdige Reaktion eines irritierten Erziehers nimmt sich aus der Perspektive der Kleinen ganz anders aus: was hier angedroht wird, ist eine Szene, die, mit ihren Augen gesehen, durchaus neben die Zertriimmerung Olimpias vor den Augen Nathanaels zu stellen ware. Denn die Lebendigwerdung des Nufiknackers ist eben viel mehr als das, was in den erwahnten

konventionellen

Kindergeschichten

vorzugehen

pflegt,

ist

nicht ein Spiel mit Vorstellungen, sondern der sichtbare Ausbruch elementarer psychischer Energien. Entsprechend aufwendig sind denn auch die erzahlerischen Veranstaltungen Hoffmanns, welche dem eigentlichen Erwachen vorausgehen, Veranstaltungen, die den Vergleich mit der Exposition Olimpias nicht zu scheuen brauchen. Eines der wichtigsten Elemente ist dabei die Kontrastierung Nuftknackers zum automatischen Kunstwerk des Paten Drosselmeier. Das Ganze beginnt ja am Weihnachtsabend, wo die Kinder immer als besonders kostbares Geschenk eine mechanische Arbeit dieses Hausfreundes vorfinden. Die diesjahrige Gabe ist ein ganzer Palast: „Auf einem griinen, mit bunten Blumen geschmiickten Rasenplatz stand ein sehr herrliches Schloft mit vielen Spiegelfenstern und goldenen Tiirmen. Ein Glockenspiel lieft sich horen, Tiiren und Fenster gingen auf, und man sah, wie sehr kleine aber zierliche Herrn und Damen mit Federhiiten und langen Schleppkleidern in den Salen herumspazierten. In dem Mittelsaal, der ganz in Feuer zu stehen schien - so viel Lichterchen brannten an silbernen Kerzenleuchtern - tanzten Kinder in kurzen Wamschen und Rockchen nach dem Glockenspiel. Ein Herr in einem smaragdenen Mantel sah oft durch ein Fenster, winkte heraus und verschwand wieder, so wie auch Pate Drosselmeier selbst, aber kaum viel hoher als Papas Daumen zuweilen 87

unten an der Tiir des Schlosses stand und wieder hineinging ‘ (II. 202). Die Kinder sind zuerst entziickt, werden des winzigen Spektakels aber sehr rasch uberdriissig, besonders weil es immer auf die gleiche Weise ablauft, die tanzenden Kinder nie heraustreten und sie selber nicht hineingehen konnen. Mit dieser Ablehnung argern sie allerdings den kunstreichen Obergerichtsrat, der sein Werk verdrossen wieder einpacken will und sich erst durch ein geschicktes Vorgehen der Erwachsenen beschwichtigen laBt:

. die Mutter trat hinzu und liefi sich den innern

Bau und das wunderbare, sehr kiinstliche Raderwerk zeigen, wodurch die kleinen Piippchen in Bewegung gesetzt wurden. Der Rat nahm alles auseinander und setzte es wieder zusammen. Dabei war er wieder ganz heiter geworden ..(II. 203). Der Sinn dieses Vorspiels ist nicht unmittelbar einzusehen. Die spontane Annahme, es werde hier Mechanisches um des Lebendigen willen zuruckgewiesen, kann schon deshalb nicht genau zutreffen, weil ja der Nufiknacker, der gleich nachher von Marie als geliebter „Schiitzling“ aufgenommen wird und so in betonter Opposition zu diesem SchloB steht, ebenfalls eine Puppe von mechanischer Bauart ist. Dazu kommt, dafi der Autor den kleinen Palast mit unverhiilltem Wohlgefallen beschreibt und dem VerdruB des Erbauers ein zwar ironisches, aber deutliches Verstandnis entgegenbringt. Dad sich schon beim ersten prazisen Angehen der Erzahlung eine solche Schwierigkeit einstellt, ist bezeichnend fur das ganze Werk, das hinter der schlichten Oberflache eine ganze Reihe von ahnlichen Vertracktheiten aufweist; letztlich fiihren sie, wie auch hier, immer zur schillernden Figur Drosselmeiers, dessen autobiographische Ziige fur die Interpre¬ tation erst recht keine Erleichterung darstellen.7 Worin besteht denn nun der Unterschied zwischen SchloB und Nufiknacker, um dessent-

7

Ahnlich ist es mit der Tatsache, dafi Anspielungen auf das von den Briidern Grimm iiberlieferte Marchen ,Konig Drosselbart' vorhanden sind, - in einer komplizierten Mischung von Analogie und direkten Umkehrungen. Marie lehnt Drosselmeiers schones Schlofi ab wie die Prinzessin den Konig Drosselbart sel¬ ber, aber wahrend diese dafiir den zerlumpten Spielmann heiraten muji, schliefit Marie aus spontaner Liebe den hafilichen Nufiknacker in ihr Herz. Hier wie dort entpuppt sich der Partner zuletzt als Konig. Nufiknacker ist zudem der „Neffe“ Drosselmeiers und residiert in einem ahnlichen Schlofi wie das verschmahte „kiinstliche Werk“ eines ist. Das Hauptmerkmal Nufiknackers ist naturgemaB das massive Kinn; bei den Briidern Grimm heifit es von der Konigstochter: ,.Besonders aber machte sie sich iiber einen guten Konig lustig, der ganz oben stand und dem das Kinn ein wenig krumm gewachsen war. ,Ei‘, rief sie und lachte, ,der hat ein Kinn, wie die Drossel einen Schnabel'/ und seit der Zeit bekam er den Namen Drosselbart". Der Verschmahung Drosselbarts entspricht bei Hoffmann die Verachtung der „kunstlichen“ Fahigkeiten Dros¬ selmeiers.

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willen die beiden konfrontiert werden? Zwar ist das eine wie das andere ein artifizielles Gebilde, und auch als Kunstwerk kann keines von beiden gelten (im Sinne der gemalten Geliebten), aber das glanzende, mit tausend „Lichterchen“ funkelnde SchloB, wo sich alles zugleich regt, verunmoglicht jedes „Schauen“ im Sinne Hoffmanns; gerade weil es schon so glanzt, kann es nicht mehr zum Trager und Reflektor jenes inneren Scheinens werden, auf das alles ankommt. Der Nufiknacker hingegen wird gleich mit deutlicher Spitze als „still und bescheiden" charakterisiert, — „als erwarte er ruhig, wenn die Reihe an ihn kommen werde“ (II. 203). Zudem ist er unprasentabel, disproportioniert, Drosselmeier nennt ihn sogar einen „grundhafilichen kleinen Kerl“ (II. 206). Er ist zwar nicht wie die gemalte Geliebte direkte Offenbarung „geschauter Schonheit", aber durch seine stumm-groteske Individualist zum Objekt des kreativen Blicks in hohem MafSe geeignet. Deshalb liebt ihn Marie ja auch gleich so heftig und weint, als er bei seiner Arbeit drei Zahne verliert. Noch ist diese Liebe nichts weiter als Puppenspielen, aber sie bereitet doch das weitere vor und, was fur das Ganze wichtig ist, sie erweckt offenbar eine Art Eifersucht in Drosselmeier, welche sich zunachst in schnoden Bemerkungen iiber den kleinen holzernen Mann aufiert. Noch am gleichen Abend aber wird Nufiknacker wirklich lebendig, als Marie allein in der Wohnstube zuriickbleibt, wo - Hoffmann richtet die Situation mit wissenschaftlicher Genauigkeit ein! - die meisten Lichter geloscht sind und nur eine Deckenlampe noch „ein sanftes anmutiges Licht“ verbreitet (II. 207). Sie trostet den verletzten Nufiknacker; der Pate Drosselmeier werde ihn reparieren. „Aber nicht ausreden konnte Marie, denn indem sie den Namen Drosselmeier nannte, machte Freund Nufiknacker ein ganz verdammt schiefes Maul, und aus seinen Augen fuhr es heraus, wie griinfunkelnde Stacheln. In dem Augenblick aber, dafi Marie sich recht entsetzen wollte, war es ja wieder des ehrlichen Nufiknackers wehmiitig lachelndes Gesicht, welches sie anblickte, und sie wufite nun wohl, dafi der von der Zugluft beriihrte schnell auflodernde Strahl der Lampe im Zimmer Nufiknackers Gesicht so entstellt hatte“ (II. 208). Wie bei Olimpia geht das Erwachen von den Augen aus. Die unerwartet zornige Miene Nufiknackers aber ist wichtig, weil sie die Objektivitat des Vorgangs fur Marie zeigt, den fundamentalen Unterschied

zum phantasievollen

Spiel.

Deshalb er-

schrickt sie ja auch, wehrt sich dagegen: „Bin ich nicht ein toricht Madchen, [...] dafi ich sogar glaube, das Holzpiippchen da konne mir Gesichter schneiden!“ (II. 208). Die Gewalt des Wirklichen, welche diese Vivifikationen fiir die Helden Hoffmanns immer besitzen, darf nie unterschatzt werden, und der Autor selbst ist immer bemiiht, verharm-

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losenden Auffassungen vorzubeugen. So fiigt er etwa in der Mitte des Ganzen folgende Szene ein: „Indem die kluge Marie das alles so recht im Sinn erwagte, glaubte sie auch, dafi NuBknacker und seine Vasallen in dem Augenblick, daB sie ihnen Leben und Bewegung zutraute, auch wirklich leben und sich bewegen miiBten. Dem war aber nicht so, alles im Schrank blieb vielmehr starr und regungslos (II. 233). Zu dieser spaten Szene paBt die Tatsache, dafi jetzt, da der Kleine erstmals ganz erwachen soil, Marie vorerst in eine Art Dammerzustand gerat, in dem sich die ohnehin bewegten Dinge verandern (Uhr und Mause), dann aber als weitere Stufe eine schwere Verletzung des Madchens durch splitterndes Glas folgt. Erst der Blutverlust, die ernsthafte physische Schwachung, ermoglicht den vollen und dauernden medialen Zustand des Kindes, in dem denn auch endlich NuBknacker in sein Leben springt und die verhangnisvolle Schlacht gegen den Mausekonig schlagt. Wie bei den Augen der Olimpia, die gegen Nathanaels Brust geworfen werden, wo ihr eigentlicher Ort ist, geht Hoffmann auch hier genau symbolisierend vor. NuBknacker liegt am Morgen „auf dem blutenden Arm" der ohnmachtigen Marie: ihr Blut hat ihn lebendig gemacht. Das wird viel spater, nach der eingelegten Geschichte Drosselmeiers, ausdriicklich bestatigt. Dort namlich wird der Held zum zweitenmal erweckt, nachdem Marie um seinetwillen den Mausen alle ihre Schatze geopfert hat. Es heifit da: „Als die kleine Marie so jammerte und klagte, bemerkte sie, dab dem NuBknacker von jener Nacht her ein grofier Blutfleck am Halse sitzen geblieben war. Seit der Zeit, dafi Marie wufite, wie ihr NuBknacker eigentlich der junge Drosselmeier, des Obergerichtsrats Neffe sei, trug sie ihn nicht mehr auf dem Arm. [...] jetzt nahm sie ihn aber sehr behutsam aus dem Fache, und fing an, den Blutfleck am Halse mit ihrem Schnupftuch abzureiben. Aber wie ward ihr, als sie plotzlich fiihlte, dafi Nufiknackerlein in ihrer Hand erwarmte, und sich zu regen begann“ (II. 238). Das ist nicht Magie, sondern Sinnbild; das Prinzip seines Lebens stammt aus ihrer innersten, schlagenden Mitte, der sie hier begegnet, und von der sie doch nichts weifi. So gipfelt denn das Ganze darin, dafi Marie von ihrem Freund ins „Puppenreich" gefiihrt wird, durch den Armel von Vaters Reisefuchspelz hindurch. Wir diirfen auch hier den Begriff des „Reichs“ entschieden ernst nehmen, ihn analog setzen zu dem verbalen Fanal der ersten Romantikergeneration. Zwar mag es seltsam anmuten, den „ewigen Orient"8 der Athenaums-Beitrager neben diese doch eher kindliche

8 Dieses eschatologische Stichwort, ein Synonym fur „Reich“, „Reich Gottes" u. a., findet sich z. B. in Friedrich Schlegels Apostrophe ,An Novalis*. (Athe90

Schilderung von Marzipanschlbssern und Limonadestromen gestellt zu sehen, doch gerade dieses Kindliche ist bezeichnend fur die Mutation, welche die romantische Lehre vom heiligsten Organ des Menschen bei Hoffmann durchlaufen hat. Auch er weib nichts Hoheres als die freigesetzte, arbeitende Phantasie, auch ihm ist sie ein gesteigertes Auge, aber nicht eines, vor dem die ganze begegnende Welt diaphan wird, sondern eines, das die steinernen Wande alles Aubern zu Spiegeln macht und deren irreale Raume mit selbstgeschaffenen Gestalten fiillt. Deshalb kann das „Reich“ der kleinen Marie nicht kindlich genug sein, mub es sich in unsinniger Weise zusammensetzen aus Elementen ihrer Spielwelt, aus lebendig gewordenen Automaten und Zuckerfiguren, ein skurriles paradis artificiel fiir sie und niemand anders. Als solches jedoch erfiillt dieses „Puppenreich“ nun wieder jene Forderung von Novalis, dab der Mensch zuletzt „im eigentlichsten Sinne in seiner Welt leben“ solle, - nur erfiillt es sie eben auf Hoffmanns Weise. Hier stellt sich indessen immer dringlicher die Frage, wie denn das alles mit jenem „Prozeb“ zusammenhange, den wir bei der Untersuchung der gemalten Geliebten aufgedeckt haben und in dessen Rahmen wir solche Erfindungen wie Olimpia oder den Nubknacker von vornherein ge¬ stellt sehen wollten. Wenn wir beim ,Sandmannc sagen konnten, der Vorgang, der zur Selbsterkenntnis, zur Einsicht in die Beschaffenheit des eigenen Innern (und damit notgedrungen auch der Welt) fiihren sollte, sei auf seinem heikelsten Punkte steckengeblieben; er habe mit der Selbstzerstorung Nathanaels geendet, weil dieser die Riickverwandlung der Geliebten ins Bild, genauer: in die mechanische Puppe, nicht zu leisten imstande gewesen sei, so miissen wir beim Marchen vom Nubknacker feststellen, dab das Bild, die Holzfigur lebendig wird - und nichts weiter! Das Puppenreich, in welches Marie vom Nubknacker gefiihrt wird, ist die blobe Ausweitung oder Verstarkung dieses einen Geschehnisses. Auch das eingelegte Marchen Drosselmeiers hat keinen andern Zweck, als dem erwachten Nubknacker eine Vorgeschichte und eine Zukunft zu geben, die serapiontische Sphare des Madchens auszudehnen und so, vom Paten aus gesehen, die Blamage mit dem mechanischen Schlob dergestalt wettzumachen, dab das Kind doch noch ein „kunstliches Werk“ des Alten aufnimmt. Das so heiter erzahlte Ende, das von der Hochzeit Maries mit Nubknacker berichtet und wie sie in jenem Puppenreich Konigin werde, labt an der Endgiiltigkeit dieser Si¬ tuation nicht mehr zweifeln.

naum, ausgew. und bearb. von Curt Griitzmacher Bd. II, S. 152, Rowohlts Ivlassiker 1969).

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Damit aber gerat das ganze Werk in ein etwas unheimliches Licht. Denn Hoffmann tut ja nur so, als ob nun kein ungeloster Spannungskonnex mehr vorhanden ware. Gerade weil er sie verschweigt, wird die Diskordanz zwischen dem Gluck Maries und ihrer Umwelt umso scharfer spiirbar. Das Kind ist wohl selig, aber zugleich „starr und still, tief in sich gekehrt“ (II. 251), - ein Zustand regloser Isolation, aus dem alles Mogliche werden kann. Das ist nicht als ein kiinstlerischer Einwand aufzufassen. Gerade die Konsequenz des Erzahlers Hoffmann, die es nicht zulafit, dafi die um das Kind entfaltete schone Welt mit dem lebendig gewordenen Nufiknacker als Konig in der Mitte nun auf irgendeine Weise von der sozialen Umwelt akzeptiert wird oder dafi eine so geartete Versohnung auch nur als kommende Moglichkeit sich abzeichnet, diese Konsequenz bewirkt auch, dafi auf dem Ganzen ein gesteigertes Licht liegt.9 Der Zustand kindlicher Verpuppung, wie er hier an Marie gezeigt wird, ist im Werk Hoffmanns verschiedentlich zu finden. Das wichtigste Beispiel ist wohl Peregrinus Tyss am Anfang des ,Meister Floh‘, wo allerdings das, was im ,Nufiknacker‘ Endzustand ist, als Exposition erscheint, als Auftakt zu einem turbulenten „Prozefi“, an dessen Schlufi der Held Kenntnis erhalt von dem „Karfunkel“ in seiner Brust. Und ein analoger Fall ist Nathanael im ,Sandmann‘, dessen Jugendgeschichte ja eingehend berichtet wird. Wir sind oben nicht darauf eingegangen; jetzt aber wird die Bedeutung jener

grofien

Riickblenden

unmittelbar verstandlich.

Sie zeigen den jungen Mann, der sich in Olimpia verlieben wird, als einen, der schon in friiher Kindheit eingesponnen war in seine projizierende Phantasie und der diese Erfahrungen spater nur verdrangt, unter dem Druck der Umwelt vor sich selbst verleugnet, ihre drohende Objektivitat aber nicht durch die spezifische „Umkehr“ im Sinne Hoff¬ manns aufzuheben und als Produkt seiner selbst zu erkennen vermag. Wenn wir also fur einmal die unwissenschaftliche Frage stellen wollten, wie es mit der kleinen Marie „nachher“ weitergehe, dann miifiten wir sehr gegensatzliche Moglichkeiten offenlassen. Das Ungliick Natha¬ naels liegt fiir sie nicht weiter ab als das Gluck des Peregrinus Tyss; und selbst ein Drittes - von Hoffmann aus gesehen wohl Schlimmstes -

9

Im Marchen ,Das fremde Kind' hat Hoffmann einen solchen Kompromifi, nicht eben zum Vorteil des Werks, versucht, und zwar deshalb, weil dem ,Nufiknacker' mangelnde Kindlichkeit vorgeworfen wurde. Die Auseinandersetzung spiegelt sich noch in den Gesprachen der Serapionsbriider. ,Das fremde Kind' erscheint durch ein gezwungenes Novalisieren innerlich briichig. Auch der melodramatische Einschlag am Schlufi weist darauf hin, dafi der Autor hier ohne die ubliche Freiheit arbeitete.

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kann noch eintreten: das schrittweise Vergessen der friih erfahrenen Schonheit bis zum volligen inneren Absterben, zur Philisterexistenz.10 Man sieht: so wie die ins Leben getretene gemalte Geliebte je nach dem Ausgang des Ganzen helle oder dunkle Ziige trug, wie sie, mit den Worten des „reisenden Enthusiasten“ in den ,Abenteuern der SilversterNacht‘, beides zugleich war: „Himmelsbild - Hollengeist - Entziicken und Qual — Sehnsucht und Verzweiflung" (I. 283), so fiihrt auch die erwachte Puppe bald ins Heil und bald ins Heillose, ja selbst das „Reich“, das ihr so oft als ihre Heimat zugeordnet ist, andert mit ihr die Farbung. Daraus ergeben sich fiir den acharnierten Erfinder und Erzahler Hoffmann fast unbegrenzte Moglichkeiten der Variation und der Einkleidung verwandten Geschehens in andere Stoffbereiche. Die Interpreten aber haben sich stets von neuem vor der Gefahr zu hiiten, diese Werke primar von ihrer emotionalen Gestimmtheit aus anzugehen und das auBerordentliche Raffinement perspektivischen Erzahlens zu miBachten, iiber das Hoffmann verfiigt. Die Gefahr ist deshalb so groft, weil dieser Autor es durchaus auf die Mystifizierung des Lesers abgesehen hat und ihn auf hochst berechnete Weise in standigem Zweifel zu halten trachtet, mit welchen Augen die Dinge nun jeweils gesehen seien, mit denen des Helden oder des wissenden Erzahlers. Denn im Grund versteht E. T. A. Hoffmann seine Werke selbst als Verwandte des Nufiknackers und der Olimpia, als Gebilde, die erst durch die erweckten „skonen Oken“ des Lesers lebendig werden. Wenn die Deutung, mit der die kiinstlichen Figuren in den Erzahlungen ,Der Sandmann' und ,Nufiknacker und Mausekonig' trotz ihres unterschiedlichen Milieus zueinander gestellt wurden, noch immer etwas angestrengt anmuten sollte, dann kann sie durch den genauen Blick auf das spate Stuck ,Der Elementargeist' endgiiltig zur Evidenz gebracht werden. Die Novelle wird merkwiirdigerweise von der Forschung wenig beachtet. Selbst Ernst von Schenck hat in seinem wahrlich voluminosen Werk nicht mehr als fiinf Satze dafiir iibrig;11 und Hans Georg Werner zahlt sie schlichtweg zu den „kiinstlerisch minderwertigsten Produkten, die Hoffmann jemals verfafit hat“.12 Ebendieses minderwertige Pro10 Das historische Vorbild, die kleine Marie Hitzig, fiir die Hoffmann das Marchen schrieb und die er darin - wie auch sich selbst - portratierte, starb im Januar 1822, wenige Monate vor Hoffmanns eigenem Tod. 11 Ernst von Schenck, E. T. A. Hoffmann - Ein Kampf um das Bild des Menschen. Berlin 1939, S. 634. 12 A.a.O. S. 106. Dabei muB man allerdings beachten, dafi fiir Werner der kiinstlerische Wert aller Literatur proportional zur Annaherung an das zeitlose Ideal des sozialistischen Realismus wachst. Da kann es fiir Hoffmann begreiflicherweise nicht immer gut abgehen.

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dukt aber hat Hofmannsthal, dem man mangelndes Sensorium fur kiinstlerische Qualitaten wohl zuletzt vorwerfen konnte, als einziges Werk Hoffmanns in seine Anthologie ,Deutsche Erzahler' aufgenommen, und die dergestalt bekundete Einschatzung halt denn auch jeder unvoreingenommenen Kritik stand.13 Uns geht es, neben der beilaufigen Ehrenrettung, vor allem um die minuzios ausgefiihrte Vivifikation einer Kunstfigur in diesem Werk, die zudem noch weit offensichtlicher als bisher die Verbindung erlaubt zum Motivkreis um die gemalte Geliebte. Eigentlicher Held des Geschehens ist der Obrist Viktor v. S., der indessen dem Leser, wie es bei Hoffmann haufig geschieht, zuerst indirekt, aus der Perspektive seines Freundes Albert vorgestellt wird. Die Wiederbegegnung der Freunde unmittelbar nach den Entscheidungsschlachten von 1815 bildet eine Art Rahmengeschichte: Albert trifft Viktor auf einem einsamen Landgut, vor dessen Tor dieser gleich bei Beginn des Kriegszuges so ungliicklich gestiirzt ist, daft er wahrend der ganzen Kampagne bei den Besitzern in Pflege bleiben muftte. Schon vorher war seine Gesundheit deutlich geschwacht: eine Tatsache, die fur das weitere wichtig ist. In der Nacht, die auf diese Begegnung folgt, erzahlt Viktor dem Freund jene Erlebnisse aus friiherer Zeit, die den Kern des Ganzen ausmachen. Schon nach wenigen Satzen wird es deutlich, daft Hoffmann einmal mehr auf vertrautem Muster arbeitet. Da sagt namlich Viktor so nebenhin, beim Bericht iiber seine etwas ziellose Erziehung: „Man hat mir spater die Ehre angetan, zu behaupten, es safte ein poetischer Geist in mir, den ich nur selbst nicht recht anerkennen wolle ..." (IV. 374). Damit ist er, als eine Gestalt Hoffmanns, anthropologisch bereits fixiert: wir wissen, daft er vor einem Facher fester, wenn auch ungleich erstrebenswerter Moglichkeiten steht. Denn etwas anderes als eine Zugehorigkeit zu den mit ihrem kreativen Innern mehr oder weniger beschaftigten Jiinglingen kann die Bemerkung vom „poetischen Geist“ gar nicht meinen. Das heiftt fur einen einigermaften gelernten Hoffmann-Leser aber auch, daft iiber kurz oder lang der „Prozeft“ einsetzen wird. Seien wir genau: der HoffmannLeser kann dies auf Grund seiner Kenntnis von den Erzahlgepflogenheiten des Dichters prognostizieren, er kann aber nicht (und das ist wichtig!) sagen: der „poetische Geist“ - der „Karfunkel“ - des jungen Mannes miisse diesen mit naturgesetzlicher Notwendigkeit auf eine solche Entwicklungsbahn bringen. Denn es gibt in Hoffmanns Menschen13 ,Deutsche Erzahler', hg. von H. v. Hofmannsthal, Leipzig 1912. In Hof¬ mannsthals ,Reitergeschichte‘ finden sich eine Reihe von Reminiszenzen an diese Erzahlung, in jener schwer erfafibaren Art des Anklingens und Widertonens, wie sie fur diesen Dichter bezeichnend ist.

94

kunde kein immanentes teleologisches Moment; der „Karfunkel“, der mit nichts zu vergleichende gottliche Splitter in der Brust des Menschen, ist zwar als arbeitende Einbildungskraft durchaus dynamisch, aber er ist seinem Wesen nach nicht Entelechie. Das Daimonion, das fur den Seelenbegriff Goethes und wohl auch noch Hardenbergs unabdingbar ist und in dem sich das Innere des Menschen mit der objektiven Zeit versohnt, ist in der Anthropologie Hoffmanns schlechthin nicht vorhanden. Der Karfunkel ist ohne zeitliche Dimension. An die Stelle der Entelechie, eines inneren Leitenden, treten deshalb die zahllosen Mentor-Figuren, welche, so verschieden sie sind, alle die gleiche Aufgabe haben: den Helden in Bewegung zu versetzen, den „Proze£“ in Fahrt zu bringen, als primum movens den Ubergang von der Exposition zur Handlung zu bewerkstelligen. Und hier sei gleich noch etwas beigefiigt: wenn man diese „Mentoren“, alle die Drosselmeier, Lindhorst und Coppelius, die dubiosen Revenants und Magier und Mechanici, nicht prinzipiell von dieser ihrer Funktion aus sieht und angeht, wird man sich immer in der Interpretation

von

Hoffmanns

Erzahlungen

verhaspeln.

Diese

eine

Funktion namlich konnen sie ausiiben, ob sie nun tiefe Seher, skurrile Spintisierer oder auch nur schlichte Spinner sind, weise Kiinstler oder bosartige Alchimisten, Damonologen, Magnetiseure oder absurde Beschworer von Elementargeistern; wichtig ist einzig, was sie im Helden anrichten. Und gerade deshalb, weil ihre jeweiligen Vorstellungswelten primar funktional und nicht an sich wichtig sind, kann sich Hoffmann bei deren Schilderung immer wieder die tollsten Dinge erlauben. Zweifellos kleidet er in pseudo-mythologische Veranstaltungen, wie sie sich etwa im ,Goldnen Topf‘ finden, des oftern Gedanken, die ihm selber teuer sind, oder er lafit novalisierende Greise wie den Bergmann in ,Falun' tiefsinnig reden, aber das darf uns nie dazu verleiten, den Schwerpunkt des jeweiligen Werks dort zu sehen. Die geistigen Bereiche, in denen die Mentoren hausen, sind immer und ausschliefilich von ihrer Brechung im Gemiit des Helden her zu begreifen. Sobald eine Interpre¬ tation diesen Einsatz verfehlt, wird sie sich fiber kurz oder lang gezwungen sehen, den Autor zum Verkiinder vollig widerspriichlicher Weltentwiirfe zu machen und seinem Werk durchaus zu Unrecht eine argerliche Multilinearitat zuzuschreiben. Die Mentor-Gestalt, die im ,Elementargeist‘ auftritt (genauer: in Vik¬ tors riickschauendem Lebensbericht), laft dieses Prinzip einmal mehr als unabdingbar erscheinen; denn sie vereinigt einen skurrilen Glauben an Naturgeister mit den Ziigen eines Teufelsbanners und mesmerianischmagnetistischen Praktiken: Dinge also, die schlechthin nicht zusammengehen (und deshalb zu dem oben zitierten Urteil H. G. Werners gefiihrt 95

haben), die aber gerade dadurch im Helden jene eine und einheitliche Wirkung hervorrufen, welche den Nukleus der Erzahlung ausmacht. Die fragliche Figur ist der irische Major O’Malley; Viktor lernt ihn kennen und ist schon bald Zeuge einer von ihm veranstalteten Geisterbeschworung, durch welche ein schroffer Rationalist vollig und fiir immer aus der Fassung geworfen wird. Ob dieser O’Malley „in Wahrheit" ein bosartiger Phantast, ein Verriickter oder ein telepathisch begabter Scharlatan ist, bleibt offen (wie etwa im ,Sandmann‘ die Identitat von Coppelius/Coppola). Wichtig ist allein der Weg zur selbstgeschaffenen Geliebten, zu den strahlenden Augen der Olimpia. Einen ersten Schritt dazu bildet bereits die eben erwahnte Geisterbeschworung. Sie findet nachts im Keller einer abgelegenen Ruine statt und ahnelt so sehr einer Szene aus Cazottes ,Le diable amoureux', daC ein Leser, der jenes Buch kennt, den Eindruck eines Plagiats wohl kaum abwehren kann. Genau das aber liegt in der Absicht des berechnenden Erzahlers. Denn wenig spater kommt das Buch in der Geschichte selbst vor als eine Lektiire, auf die Viktor zufallig stofit. Damit aber wird der eben noch argerliche Leser plotzlich vor die Frage gestellt, ob nicht etwa O’Malley seinerseits diesen Roman als Rezept zu seiner Veranstaltung benutzt habe und also ein eher lappischer Betruger sei: ein vom Autor provozierter Verdacht, der als solcher, als Irritation und Zweifel, seinen Sinn hat und deshalb auch nicht entschieden wird. Welche Wirkung diese Lektiire zudem auf Viktor gerade wegen des analogen Ereignisses hat, wird gleich zu zeigen sein. Vorher aber mub noch erwahnt werden, wie die Szene im nachtlichen Kellergewolbe fiir ihn endet. Es gelingt dem Major, eine Atmosphare von wachsendem Grauen zu erwecken, fiir die Viktor, seit er Schillers ,Geisterseher‘ gelesen hat, besonders empfanglich ist. Das weitere wird so berichtet: „ ,Ich fiihlte, wie kalter SchweiB auf meiner Stirne tropfte; mit Gewalt errang ich Fassung - da pfiff ein schneidender Ton durch das Gewolbe, und dicht vor meinen Augen stand ein Etwas —‘ ,Wie‘, rief Albert, ,ein Etwas, was meinst du Viktor? - eine entsetzliche Gestalt?' ,Es scheint', sprach Viktor weiter, ,es scheint heilloser Unsinn, wenn ich von einer gestaltlosen Gestalt sprechen wollte, und doch kann ich kein anderes Wort finden, um das grafiliche Etwas zu bezeichnen, das ich gewahrte' “ (IV. 384). Das ist eine kostbare Stelle. Viktor, der damals vor Entsetzen gleich die Besinnung verlor, glaubt natiirlich an die Apparition eines jenseitigen Wesens; seine Panik vor diesem Unfafibaren ist verstandlich genug. Fiir uns aber erweist sich das Geschehen als eine mit verbliiffender Genauigkeit erfafite Phase 96

des

„Prozesses“: jene

Stufe, wo die kreative Einbildungskraft zu arbeiten beginnt, aber ziellos, im Leeren. Der projizierten Energie fehlt der Spiegel; sie findet kein Gebilde, welches durch sie lebendig wiirde. Das ist nicht nur deshalb bedeutsam, weil sich damit der Fundamentalvorgang in aufschluftreicher Weise nuanciert, sondern auch weil hier klargemacht wird, dal? die vornehmsten Aktivitaten des Innern doch immer auf ein Aufieres angewiesen sind. Die Selbsterfahrung des energischen Ich ist nicht moglich ohne das stofflich-gegenstandige Substrat, welches dann allerdings in der gegenlaufigen Phase als solches entdeckt und verworfen werden mufi. Folgerichtig bleibt das Erlebnis fur Viktor vorderhand ohne Weiterungen. Er empfindet zwar eine heftige Erbitterung gegen O’Malley, aber die Bilder jener Nacht beginnen zu verblassen. Und nun stofit er, wie angekiindigt, auf den „Diable amoureux“ von Cazotte:14 er best das Buch und verfallt in eine heftige Leidenschaft zu der darin geschilderten Biondetta. Es ist die erste Liebe seines Lebens; „ich sah, ich horte, ich empfand nichts, als die reizende Biondetta ...“ (IV. 386). Diese Wirkung ist ihm selbst „ganz unerklarlich"; tatsachlich liegt sie wohl darin begriindet, daB jene Szene im Kellergewolbe fast identisch war mit dem Auftakt des Romans; dafi er beim Lesen also etwas bereits Erlebtem begegnet, von dem aus nun auch der Rest des Buches, i. e. vor allem Biondetta, ihn unmittelbar anzugehen scheint. Er gesteht: „Halt es meinem Hange zum Wunderbaren, wohl aber auch dem Geheimnisvollen zugute, das ich erfahren, wenn Cazottes Marchen mir bald ein Zauberspiegel diinkte, in dem ich mein eignes Schicksal erblickte“

(IV. 386/87).

O’Malley

aber

identifiziert

er

gleichzeitig

mit dem Teufelsbanner jenes Buches. Hoffmann beschreibt nun diese imaginare Liebe mit alien superlativischen Vokabeln, die ihm fur derlei zur Verfugung stehen, und er erklart Viktors Sehnsucht als so stark, daf? ihm alle Frauen Widerwillen erregt hatten: - „da die reizendste mir nur Biondettas Bild, das ich im Innern trug, zu verhohnen schien“ (IV. 387). Das Bild im Innern - unversehens stellen wir fest, dafi dieser Zustand genau mit dem iibereinstimmt, in welchem sich die jungen Maler nach der Begegnung mit der gemalten Geliebten befanden; dafi Biondetta somit ein frappantes literarisches Gegenstiick zu jenen Gemalden darstellt! Und auch hier wird die Kunstgestalt lebendig. Allerdings geschieht dies 14 Jacques Cazotte (1719—92) beschreibt in diesem 1772 erschienenen und 1780 erstmals ins Deutsche iibertragenen Roman die Liebe eines Offiziers zum Teufel in Gestalt des reizenden Madchens Biondetta. Vgl. die neue deutsche Ausgabe ,Biondetta - Der verliebte Teufel1, tibers. von Franz Blei. Heidenheim 1961.

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auf umstandlichere Weise als bei den erwahnten Malern, die oft genug nur das Modell zu suchen brauchten. Gerade diese Umstande schlagen indessen die Verbindung vom Motiv der gemalten Geliebten zu dem der lebendigen Puppe und sind dabei von einer so prazisen Symbolik, daft sie als eine Kapitalstelle fur Hoffmanns ganzes Werk bezeichnet werden diirfen. Viktor sucht und findet wieder Kontakt zu O’Malley, der ihm die gedichtete Geliebte (wie wir hier wohl sagen miissen) verschaffen soil. Er bekennt dem Major seinen Zustand, worauf dieser sagt: „Die besondere Konstellation, die iiber dich, mein guter Sohn, waltet, hat es nun einmal gefiigt, daft ein albernes Buch dich auf dein eigentliches inneres Wesen aufmerksam machen sollte“ (IV. 388). Das ist so grundsatzlich wahr, als wenn Hoffmann selbst plotzlich zu kommentieren anhobe, aber wir erfahren gleich, daft O’Malley von diesem „eigentlichen inneren Wesen“ seine besondere Auffassung hat und daft der Satz nur als doppeldeutiger einen direkten Wink des Autors enthalt. Der Major erklart namlich dem staunenden Viktor, offensichtlich werbe ein Elementargeist um ihn, und trifft wenig spater die Veranstaltungen, welche den direkten Umgang mit diesem Wesen ermoglichen sollen. Als hierzu notig erklart er vor allem eins: „das Etwas, das die jiidischen Kabbalisten: Teraphim nennen“

(IV. 389). Dieser Teraphim kommt

schon im Alten Testament vor als eine Puppe, die zu magisch-divinatorischen Zwecken verwendet wird,15 und er bleibt ein wesentliches Element der hermetischen Tradition Europas. Hoffmann, der die einschlagige Literatur stets mit Eifer gepliindert hat, ubernimmt ihn aus den sog. „Unterredungen des Gabalis",16 in denen vor allem auch die Lehre von den Elementargeistern griindlich entwickelt wird. Man ist geneigt, solche Themen und Motive im direkten Zusammenhang zu sehen mit der Wiederentdeckung und Neubewertung okkulter Uberlieferungen durch die Friihromantik und, gesteigert noch, durch die folgenden Generationen. Der Dichter gerat dann meist neben G. H. Schubert, der einer der einfluftreichsten Schriftsteller dieser schwermiitig-synkretistischen Schule war und den er nachweislich sehr geschatzt hat. Gerade deshalb aber scheint es angezeigt, hier kurz und nachdriicklich auf jenes Werk hinzuweisen, wo er Gabalis und der ganzen kuriosen Fauna der Elementargeister zuerst und mit anhaltender Wirkung begegnet ist, Wielands ,Geschichten des Prinzen Biribinker* in den ,Aben15 1. Sam. 19,13; Sacherja 10,2; 2 Kon. 23,24. Vgl. auch den Abschnitt in Hoffmanns Erzahlung ,Die Geheimnisse' (IV. 188). 16 Abbe Montfaucon de Villars, ,Le comte de Gabalis ou Entretiens sur les sciences secretes*. Amsterdam 1715.

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teuern des Don Sylvio von Rosalva'. Ich wurde nicht zogern, diesem Meistermarchen des jungen Wieland ebensoviel Bedeutung fur die Konstituierung und Entwicklung des Schriftstellers Hoffmann zuzuschreiben wie den Schriften von Schubert und Novalis zusammen. Grundsatzlich belegt ist der direkte Einflufi im Brief an Kunz vom 19. August 1813, aus dem sich entnehmen laftt, daft der erste Ideenkomplex zum ,Goldnen Topf‘ aus dem ,Biribinker‘ herausgesponnen wurde. Wielands Geschichte ist unverbliimt satirisch und setzt die Natur- und Elementenmythologie des Gabalis als reine Chinoiserie ein, so vernunftfreudig und mythenfeindlich, wie man sich nur denken kann. Und dies bezeichnet durchaus nicht etwa die Grenze, welche Hoffmann von Wieland trennt und fiber die hinweg er dann einige Anregungen iibernommen hatte; gerade der spontan aufklarerische, sakularisierende Zug verbindet die beiden insgeheim und macht es iiberhaupt moglich, daft das brillante Rokoko-Stiick im Werk des Spatromantikers bis zuletzt die deutlichsten Spuren hinterlassen hat. Schlieftlich weift man bei Hoffmann oft genug nicht, ob das Entlarven subjektiv-heiligster Glaubensinhalte als phantastische Projektionen, das mit der Selbstfindung der Helden immer wieder zusammengeht, als Nachklang Wielands oder als Vorklang Feuer¬ bachs zu nehmen sei.17 Nach dieser notwendigen Warnung vor einem unkritischen Identifizieren des Autors mit den von ihm geschilderten okkulten Veranstaltun17 Eine exemplarische Stelle dafiir findet sich in der Schilderung des Puppenreichs im ,Nuftknacker‘. Die kleine Marie kommt dort in die „Hauptstadt“, die ganz aus Zucker- und Kuchengebilden besteht und deren Bevolkerung von verwandter physischer Beschaffenheit ist. Unter diesen Leuten entsteht vor den Augen des Madchens ein Radau, der folgendermafien verlauft: „Toller und toller wurde der Larm und man fing bereits an, sich zu stolen und zu priigeln, als der Mann im brokatnen Schlafrock [...] auf den Baumkuchen kletterte, und nachdem eine sehr hell klingende Glocke dreimal angezogen worden, dreimal laut rief: ,Konditor! Konditor! - Konditor!' - Sogleich legte sich der Tu¬ mult, ein jeder suchte sich zu behelfen wie er konnte [...] ,Was bedeutet das mit dem Konditor, guter Herr Drosselmeier', fragte Marie. ,Ach beste De¬ moiselle Stahlbaum', erwiderte Nuftknacker, ,Konditor wird hier eine unbekannte, aber sehr grauliche Macht genannt, von der man glaubt, daft sie aus dem Menschen machen konne was sie wolle; es ist das Verhangnis, welches iiber dies kleine lustige Volk regiert, und sie fiirchten dieses so sehr, daft durch die blofte Nennung des Namens der groftte Tumult gestillt werden kann. [...] Ein jeder denkt dann nicht mehr an Irdisches, an Rippenstofte und Kopfbeulen, sondern geht in sich und spricht: ,Was ist der Mensch und was kann aus ihm werden?' “ (II. 264). Es ist schwer auszumachen, ob diese fur den wahren Hoff¬ mann so bezeichnende Stelle nun naher bei gewissen dogmen-feindlichen Parabeln des 18. Jahrhunderts oder bei Kellers Rose steht, fur deren Bewufttsein „noch nie ein Gartner gestorben" ist.

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gen, welche ja erst durch dieses Unterscheiden ihren funktionalen Gehalt freigeben, kann von der Erschaffung des feraphims unbekiimmert die Rede sein. Viktor wird von O’Malley in ein chemisches Labor gefiihrt und mufi dort seine Brust entblofien. Dann heifit es: „Kaum hatte ich dies getan, als der Major schnell, ehe ich’s mir versah, mich mit einer Lanzette unter der linken Brust ritzte, und die wenigen Tropfen Bluts, die der leichten, kaum fiihlbaren Wunde entquollen, in einer kleinen Phiole auffing. Dann nahm er eine hell, spiegelartig polierte Metallplatte, goft eine andere Phiole, die eine rote blutahnliche Feuchtigkeit enthielt, dann aber die mit meinem Blut gefiillte Phiole darauf aus, und brachte mittelst einer Zange die Platte dicht liber das Kohlenfeuer. [...] Der Major befahl mir nun, mit fest fixiertem Sinn in das Feuer zu schauen. Ich tat es, und bald wurd es mir zumute, als sah ich, wie im Traum, verworrene Gestalten aus dem Metall, das der Magier noch immer iiber den Kohlen festhielt, durcheinanderblitzen. Doch plotzlich fiihlte ich in der Brust, da wo der Magier meine Haut durchritzt, einen solchen stechenden, gewaltigen Schmerz, dafi ich unwillkurlich laut aufschrie. ,Gewonnen, gewonnen', rief in demselben Augenblick O’Malley, erhob sich von seinem Sitze, und stellte ein kleines etwa zwei Zoll hohes Piippchen, zu dem sich der Metallspiegel geformt zu haben schien, vor mir hin, auf den Herd. ,Das‘, sprach der Major, ,ist Euer TeraphimF “ (IV. 389/90). Nochmals: was hier geschildert wird, ist einerseits das Treiben eines Verschrobenen, der vorgibt, Elementargeister beschworen zu konnen; anderseits ist es gerade durch seine Absurditat Teil eines realen und sehr ernsthaften Vorgangs: der schrittweisen Freisetzung von Viktors verschiitteter imaginativer Energie. Und in Hinsicht auf diesen letzteren Wirkungszusammenhang erscheint

das

an

sich

unsinnige

Geschehen

gleichzeitig in hohem Made symbolisch. Aus einem Spiegel und dem in Herzhdhe gewonnenen Blut wird diese Puppe geformt; sie zeigt dadurch, noch ehe sie die Augen aufschlagt, worauf ihre Vivifikation beruhen wird. Auch bei den friiheren Teraphims hat sich Hoffmann um symbolische Winke bemiiht - wir erinnern uns an das vielfach variierte Leitmotiv von Olimpias Augen und an das Blut am Hals des NuCknackers

aber so verbliiffend einfach wie hier vermochte er sonst nie

zu werden. Dazu kommt, dafi er uns mit dem Begriff des Teraphims sondern als unmittelbares Gegeniiber. Und damit ist natiirlich auch die auch noch den spezifischen Namen fur all die vielen analogen Gebilde in seinen Erzahlungen liefert, - fur den wichtigsten Topos in seinem dichterischen Werk. Hier mull nun allerdings noch der Nachweis erbracht werden, dafi auch 100

das weitere Geschehen um diesen Teraphim in Parallele steht zu Olimpia und Nufiknacker. Einerseits liebt ja Viktor die von Cazotte beschriebene Biondetta, anderseits redet ihm O’Malley ein, ein schoner weiblicher Elementargeist, ein Salamander-Madchen, werbe um ihn und der Teraphim sei ein blofies Werkzeug zu deren Beschworung. Er sieht sich also im Grunde mit drei verschiedenen Wesen oder Gebilden konfrontiert, wobei man erwarten diirfte, dafi er Biondetta nun mit O’Malleys Salamander identifizierte und sie zu bannen suchte. Dem ist nun aber nicht so, im Gegenteil: „Vergessen war Teufel Amor, war Biondetta; ich dacht nur - an meinen Teraphim. Stundenlang konnte ich das Piippchen, vor mir auf den Tisch gestellt, anschauen und die Liebesglut, die in meinen Adern stromte, schien dann, gleich dem himmlischen Feuer des Prometheus, das Bildlein zu beleben, und in lusterner Begier wuchs es empor. Doch ebenso schnell zerrann die Gestaltung, als ich sie dachte

(IV. 391). Ob-

wohl er O’Malleys Theorie vom Salamander-Madchen glaubt, fasziniert ihn also in Wahrheit der Teraphim selbst, nicht als Instrument, „gedichtete Geliebte" ausgeloscht. Sie war - dies nun vom Erzahler aus gesehen - eine in Analogic zu den Malergeschichten gebildete HilfsHandlung, welche das Aufflammen von Viktors phantastischer Liebeskraft zu bewerkstelligen hatte, die Vorbedingung zur Verehrung und Erweckung des Teraphims. Dieser aber riickt jetzt eindeutig auf jenen zentralen Punkt, auf dem in den vorerwahnten Geschichten die Puppe Olimpia und die Holzfigur Nufiknacker stehen. Und wie Hoffmann einst selber den Fundamentalvorgang mit der Pygmalion-Sage in Verbindung brachte, riickt er ihn hier mit dem Parallel-Mythos von Pro¬ metheus zusammen, eine Wendung, die wiederum deshalb wichtig ist, weil sie, genau betrachtet, den Umschlag eines Leitbildes des spaten 18. Jahrhunderts in sein Gegenteil markiert: die liebende Belebung der Welt als selbstzersetzende Illusion.18 Stufenweise, wie es bekannt ist, folgt nun die eigentliche Vivifikation; das im obigen Zitat Berichtete ist ja noch nichts weiter als ein Spiel der Vorstellungen, ahnlich Maries anfanglicher Beschaftigung mit dem Nu6knacker. Auffallig ist dabei, dafi Viktor schon jetzt von gegensatzlichen Anwandlungen gestreift wird: „... zu der unnennbaren Qual, die mein Herz durchschnitt, gesellte sich ein seltsamer Zorn, der mich antrieb das Piipplein, ein lacherliches, armseliges Spielwerk von mir zu werfen. Aber indem ich es fafite, fuhr es durch alle meine Glieder, wie ein elektrischer

18 Vgl. auch das Prometheus-Thema in der Exposition der Jesuiterkirche in G.‘ (1.418). Zum Motiv: Oskar Walzel, Das Prometheussymbol von Shaftes¬ bury zu Goethe. Miinchen 1968/3. IOI

Schlag, und es war mir, als miilke mich die Trennung von dem Talis¬ man der Liebe selbst vernichten“ (IV. 391). Da blitzt in fliichtigen Konturen Nathanaels Schicksal auf, die unheilvolle Erkenntnis der halben Wahrheit.. Doch das sind blofi momentane Regungen; sonst wird Viktor ganz von seiner schmerzhaften Sehnsucht beherrscht. In einem verzweifelten Ausweichversuch beginnt er schliefilich eine Liebschaft mit einer vornehmen Kokotte und iibergibt ihr sogar den Teraphim. Sie bittet ihn um Mitternacht in ihre Gemacher; eine Dienerin fiihrt ihn hin. Das weitere berichtet Viktor so: „ ,Hier sollte ich die Grafin erwarten. Halb betaubt von dem siifien Dufte des feinen Raucherwerks, der im Zimmer wallte, bebend vor Lie¬ be und Verlangen, stand ich in des Zimmers Mitte; da traf, durchfuhr wie ein Blitzstrahl mein innerstes Wesen ein Blick —‘ ,Wiec, rief Albert, ,ein Blick und keine Augen dazu? und du sahst nichts? — wohl wieder eine gestaltlose Gestalt!' ,Magst‘, sprach Viktor weiter, ,magst du das unbegreiflich finden, genug - keine Gestalt, nichts gewahrte ich, und doch fiihlte ich den Blick tief in meiner Brust, und ein jaher Schmerz zuckte an der Stelle, die O’Malley verwundet. In demselben Augenblick gewahrte ich auf dem Simse des Kamins mein Bildlein, fafite es schnell, stiirzte heraus ..“ (IV. 392) Wiederum also die Augen! Der Erzahler selber ruft dabei die Vorstufe in Erinnerung, die „gestaltlose Gestalt" in jener Hohle, als wollte er auf die Kontinuitat des Geschehens aufmerksam machen. Mit dem Teraphim ist der Spiegel gefunden, der den Strahl von Viktors phantastischer Sehkraft auffangt und widerscheinend zum Gegenstand werden lafit. Vorerst existieren nur die Augen allein, wie auch Olimpia anfanglich bloft in den Augen lebte, dem „Strahl aus dem Jenseits". Aber damit ist der entscheidende Durchbruch geschehen; die schauende Gewalt strebt rasch auf Vollendung. Viktor kommt auf sein Zimmer: „Ich stellte mein liebes, wiedergewonnenes Bildlein auf den Tisch, und warf mich, da ich der Ermiidung nicht langer zu widerstehen vermochte, angekleidet auf mein Lager. Bald kam mir aber das traumerische Gefuhl, als umflosse mich ein strahlender Glanz! - Ich erwachte, ich schlug die Augen auf: wirklich glanzte das Gemach in magischem Schimmer, - Aber - o Herr des Himmels! - an demselben Tische auf den ich das Piippchen gestellt, ge¬ wahrte ich ein weibliches Wesen, die den Kopf in die Hand gestiitzt, zu schlummern schien" (IV. 393). Sie ist hinreiCend schon, rotlichen Haars und feuerfarben gekleidet, was fur ihre salamandrische Natur spricht, reicht ihm die Hand, nennt sich die Seine. Aber wie er sie umfangt, „zerschmilzt“ sie ihm in den Armen. Er berichtet dariiber sehr genau: „Zerschmolz in meinen Armen; anders kann ich dir mein Gefuhl 102

des unbegreiflichen Verschwindens jener Holden nicht beschreiben. Zugleich erlosch der Schimmer, und ich fiel, selbst weift ich nicht wie, in tiefen Schlaf. Als ich erwachte, hielt ich das Piippchen in der Hand" (IV. 393/94). Damit ist, entgegen der weitergreifenden Hoffnung des Offiziers, der Grenzpunkt erreicht. Die phantastische Geburt des „poetischen Geistes in ihm“ (IV. 374) hat sich vollzogen. Er sieht und liebt die Verdichtung der Schonheit schlechthin und hat mit ihr von nun ab taglichen Umgang. Dabei glaubt er fest, daft Aurora, wie er das Wesen nennt, ein Elementargeist sei. Und ebendiese Meinung ist es wohl vor allem, die ihn hindert, zu jener entscheidenden Umkehr vorzustoften, welche nun, dem Grundmodell gemaft, an der Zeit ware und in der er Aurora als ein strahlendes Phantasma begriffe, nicht im Sinne einer entlarvten Illusion, sondern als das durchaus reale Testimonium seiner eigenen ungeahnten Beschaffenheit. Die Erfahrung, die er hier macht, ist und bleibt die hochste Wirklichkeit seines Lebens; Illusion und Unsinn ist allein Auroras Salamander-Wesen. Konnte er einsehen, daft diese Schdnheit sein Werk ist und daft er, der unentwickelte Dichter (vgl. S. 374), solchem Werk Vermehrung, Folge und Dauer zu geben vermochte, dann wiirde er zwar die Geliebte verlieren, deren physischen Besitz er verzweifelt und vergeblich sucht, (sie wiirde so oder anders wieder „zum Bild“), aber gleichzeitig brache sein Leben durch in eine Bahn von Freiheit und Erfiillung. Eine Zeitlang scheint es sogar, als ob er sich diesem Ziel in rasch gesteigerter Krise naherte. Die vergessene Erinnerung an Biondetta, den diable amoureux, steigt namlich wieder auf und zugleich nimmt Aurora damonische Ziige an. Er hort sie fliisternd seinen Verzicht auf die ewige Seligkeit fordern, genau wie es die schlimme Schone im Roman von Cazotte macht (a.a.O. S. 185). Hier lage der erkennende Sprung zu Biondetta und Aurora als gleicherweise „geschauten“, aus dem serapiontischen Urakt geborenen Wesen so nahe wie nie, aber der arme Unbeholfene wechselt bloft vom Salamander-Glauben zum Glauben an den Teufel: das geliebte Wesen ist ihm nun satanischen Stammes. Und da er denn in solchen Belangen doch seine Prinzipien hat, kommt es schlieftlich, unter Beihilfe eines absonderlichen Dieners, zur spektakulciren Trennung: „Wie gewohnlich weckte mich der magische Schimmer. Auro¬ ra, in vollem Glanze iiberirdischer Schonheit, stand vor mir, und streckte sehnsuchtsvoll die Arme nach mir aus. Doch wie Flammenschrift leuchteten in meiner Seele Pauls fromme Worte. ,Laft ab von mir, verfiihrerische Ausgeburt der Holleft so rief ich ...“ (IV. 397). Da hat die Liebschaft verstandlicherweise ein Ende, wobei noch darauf hinzuweisen ist, daft der unbekiimmerte Leser, Hoffmanns Intentionen entspre103

chend, hier mit groCter Wahrscheinlichkeit durchaus mitgeht und die Entlarvung Auroras als Teufelin fur die Erzahlwirklichkeit nimmt. Soweit fiihrt der Bericht iiber das Langstvergangene, den Viktor auf dem abgelegenen Landgut nachtlicherweise

seinem

Freund erstattet.

Die fur die ganze Novelle entscheidende Pointe besteht nun aber darin, dafi der scheinbar abgeklarte Sprecher zuletzt dem irritierten Freund mitteilt, er habe nun herausgefunden, dafi die Herrin ebendieses Landgutes, wohin er zufallig geraten — die Baronesse, die „kleine, rundliche Hausfrau mit dem grofien Schliisselbunde“ —, in Wahrheit Aurora sei! „In den schlaflosen Nachten des Krankenlagers, das ich hier iiberstand, erwachten alle Liebestraume jener herrlichsten und schrecklichsten Zeit meines Lebens. Es war meine gliihende Sehnsucht selbst, die sich gestaltete - Aurora - sie erschien mir wieder verklart, gelautert in dem Feuer des Himmels; kein teuflischer O’Malley hat mehr Macht iiber sie Aurora ist - die Baronesse!“ (IV. 398). Mit der verbliiffenden Souveranitat des Glaubensfesten wird also das ganze Satanswesen wieder weggewischt und Autora erneut zum alten lieben Salamander-Madchen erklart. Das mag dem erwahnten „unbekiimmerten Leser“, der diesen Teufel fur Hoffmanns bare Miinze nahm, verwirrlich vorkommen und bezeichnend erscheinen fur einen Autor, der den eigenen Einfallen nicht gewachsen gilt. Tatsachlich aber finden wir hier die genaueste Bestatigung der vorgehenden Analyse. Viktors pathetischer Exorzismus war ja nichts anderes als die Verdrangung seiner imaginativen Dynamik, die er nicht zu bestehen vermochte und die ihm deshalb unheimlich und (durchaus zu Recht) in hSchstem Mafie gefahrlich erschien. Die lange Krankheit hat diese Krafte jedoch wieder freigesetzt (man erinnert sich an die Krankheiten Nathanaels und Maries!), und da wird denn eine leicht frustrierte, aber tiichtige Hausfrau unversehens zum Teraphim! Es gelingt indessen dem treuen und niemals angefochtenen Freund, Vik¬ tor auf der Riickreise „ganz aus dem traumerischen Zustande zu reiBen“ und ihn soweit zu bringen, daft er „sein mystisches Abenteuer" fur nichts weiter halt „als fur einen langen, bosen Traum“ (IV. 399). Als Kronung dieser Kur legt ihm der Besorgte schlieBlich noch die Heirat nahe. Mit Viktors Anwort schlielk die ganze Erzahlung: „ ,Nie kann jene Zeit wiederkehren, da ich die hochste irdische Lust empfand, da das Ideal meiner siiBesten, entziickendsten Traume, die Liebe selbst, in meinen Armen lag. Dahin ist Liebe und Lust, seitdem ein entsetzliches Geheimnis mir die geraubt, die meinem innigsten Gemiite wirklich ein hoheres Wesen war, wie ich es auf Erden nicht wiederfinde!' - Der Obrist blieb unvermahlt.

(IV. 399)

Mit diesem knappen allerletzten Satz schlagt die Novelle eine iiber104

raschende Verbindung zu einem der bedeutendsten Typen in der Anthropologie des literarischen 19. Jabrhunderts. Der Obrist tritt in die Reihe jener bald rabiaten, bald herbstlich heiteren Zolibatare, als deren ins Grandiose gesteigerte Urform wohl Stifters Hagestolz gelten darf, und die im Freiherrn von Risach ihre nobelste, im Landvogt von Greifensee ihre liebenswiirdigste Auspragung gefunden haben.19 Allerdings kiimmert unsern Autor dieser elegische Zustand als solcher wenig; von der schmerzlichen Poesie des vereinsamten und zukunftslosen Daseins, welche sich im sogenannten Realismus als fast unerschopfliche Quelle der Inspiration erweist, ist hier nicht eben viel zu spiiren. Hoffmann umreifit nur eine von verschiedenen Endmoglichkeiten des nicht zu seinem Idealziel gelangten „Prozesses“, und zwar die wohl gnadigste, wenn man an den Selbstmord Nathanaels und an die vollige Versponnenheit der kleinen Marie denkt. Allerdings miissen wir annehmen, dafi bei Viktor auch in Zukunft die Energien des Innern unversehens wieder aufbrechen konnen und ihm irgend ein Alltagliches zum Teraphim wird, aber solche Spekulationen sind weniger wichtig als die Tatsache, dafi es eine einigermaEen befriedete Lebensform auch fur die im Hoffmannschen Sinne Gescheiterten gibt. Das ist fiir eine typologische Gliederung seiner Menschenwelt von grofier Bedeutung. Im ,Sandmann‘ im ,Nufiknacker‘ im ,Elementargeist‘, drei Mai sind wir der lebendigen Puppe begegnet, dem Teraphim aus Spiegel und Herzblut, der den Strahl aus den schauenden Augen des Helden auffangt und zum Gegenstand macht. Drei Mai aber auch ist diese autistische Grenz- oder Gegenform des magischen Idealismus, die ja nur Phase eines Prozesses sein sollte, Zustand geblieben, bald verdrangt, bald von neuem erweckt. Die entscheidende Umkehr, jener Akt der jahen Selbsterkenntnis, wie wir ihn in einigen Geschichten um die gemalte Geliebte fassen konnten und wie er das Finale der groEen Spatwerke ,Prinzessin Brambilla‘ und ,Meister Floh‘ bildet, bleibt aus. Daran tragen die Helden selbst keine Schuld; es ist ihr zufalliges Ungliick, wie es das zufallige Gluck der andern ist. Giglio Fava in der ,Brambilla‘ ist so ungebardig verstockt und schwer von Begriff als irgendein unerloster Held Hoff¬ manns, und doch darf er zuletzt mit seiner Braut von den Spiegel treten,

19 Vgl. dazu die griindliche Studie von Herman Meyer ,Der Sonderling in der deutschen Literatur', Munchen 1963. Gegen das Kapitel iiber Hoffmann miilSte man allerdings einwenden, dafi die Mentor-Figuren darin zu wenig in ihrem funktionalen Bezug zum „Prozefi“ des Helden gesehen werden, wodurch es oft zu unnotig scharfer Kritik kommt (z. B. fiber die Figur O’Malleys S. 115).

ioj

und es heiftt:

wie sie sich in dem See erblickten, da erkannten sie

sich erst, schauten einander an, brachen in ein Lachen aus [...] und fielen dann im hochsten Entziicken einander in die Arme“

(IV. 321).

Peregrinus Tyss im ,Meister Floh‘ ist anfangs nicht minder hermetisch verkapselt in die Welt seiner friihen Kindheit als ein Nathanael, aber wahrend sich dieser vom Turm stiirzt, heiftt es von jenem: „Peregrinus erkannte sich selbst, er fiihlte, daft der zum Leben entziindete Karfunkel gllihe in seiner eigenen Brust" (IV. 809). Auch Don Juan ist in Hoff¬ manns Interpretation (vgl. das gleichnamige Fantasiestiick) wesentlich zu verstehen als einer, der die Umkehr nicht finden kann, den niemand zu dieser Umkehr fiihrt, obwohl er den Karfunkel in herrlichster Weise besitzt: „... eine Bildung, woraus der Funke hervorstrahlt, der, die Ahnungen des Hochsten entziindend, in die Brust fiel“ (I. 75). Deshalb sucht er in jeder Frau das, „was bloft als himmlische Verheiftung in unserer Brust wohnt" (I. 75), und fiihlt sich jedesmal betrogen. Daft seine Rettung identisch ware mit Selbsterkenntnis, spricht Hoffmann dort offen aus, wo er sagt, daft Donna Anna eigentlich „dazu bestimmt" gewesen ware, Don Juan „die ihm innewohnende gottliche Natur erkennen zu lassen“ (I. 77). Dieser aber verachtet immer starker „die Erscheinung, die, ihm als das Hochste im Feben geltend, so bitter ihn getauscht hatte“ (I. 74). Die „Erscheinung“, - so wie der Ausdruck hier fallt, erinnert er unmittelbar an die Formel von der „auftern fremden Gestalt", die sich fur die begegnende Geliebte in der ,Fermate‘ gefunden hat (vgl. oben S. 74/75). Und von den Ergebnissen des gegenwartigen Kapitels her konnen wir geradezu sagen: Don Juans Schicksal liegt darin, daft ihm jede Frau zum Teraphim wird! Wie Nathanael auf die spiegelnde Olimpia, wirft er auf alle Frauen eben die Schonheit, um derentwillen er sie liebt, und zerstort sie erbarmungslos, sobald er die Diskrepanz zwischen „Bild“ und Gesicht (dem doppelten Augenpaar Claras in Na¬ thanaels Gedicht!) feststellt. Auch der Schluft des ,Elementargeists‘ hat ja gezeigt, daft die Rolle des Teraphims, der zum phantastischen Feben erweckten Puppe, durchaus auf einen lebendigen Menschen iibergehen kann. Der personale Andere wird dabei zum reinen Substrat der Projektion und kommt dem Helden in Momenten der Wahrheit dann auch folgerichtig selbst als „lebloses Automat" (Nathanael zu Clara, I. 348), als „totes Wachsbild" mit „glasernen Augen" (,Jesuiterkirche‘, 1.436) vor. Dieser Problemkomplex mit seinen unbegrenzten novellistischen Moglichkeiten bildet fur den Schriftsteller Hoffmann eines der ganz groften und anhaltenden Faszinosa; fur den Interpreten dieses Schriftstellers aber, hat er die Sache einmal grundsatzlich begriffen, liegt hier der Zugang zu einem bedeu106

tenden Teil des Werks. Es ist daher notig, auf einige weitere Spielformen des Grundmusters hinzuweisen. Eine der schauerlichsten denkbaren Varianten findet sich im Nachtstiick ,Das Geliibdeh Der Nukleus dieses perspektivisch virtuos versetzten und mit flatternder Rasanz berichteten Geschehens liegt im Faktum, daB, mit unseren Begriffen gesagt, fiir eine junge Frau ein ihr sonst gleichgiiltiger Mann unversehens zum Teraphim wird, zum phantastisch iiberformten Substrat; da£ dieser seinerseits die Situation als Abenteuer nimmt und griindlich ausniitzt; da£ die Frau schwanger wird und an der Wahrheit zugrunde geht.20 Man hat die Erzahlung als Abklatsch der ,Marquise von O.' bezeichnet und zum Beispiel fiir die fragwiirdigen Seiten des Schriftsteller Hoffmann erklart.21 Der Einfluft Kleists ist leicht festzustellen; ebenso leicht, sollte man meinen, die freie Sicherheit, mit der Hoffmann das Motiv der unerklarlichen Schwangerschaft einem sehr eigenen Werk anverwandelt! Faszinierend ist vor allem die Genauigkeit, mit der sich die ungliickselige Beziehung konstituiert. Die Hauptgestalt, die schone Polin Hermenegilda, verstofit nach dem Zusammenbruch Polens ihren Brautigam, den sie mit der Grofie ihres Vaterlandes in seltsamer Weise identifiziert hat, und der mit der Niederlage fiir sie alien Glanz verloren zu haben scheint. Er zieht in fremde Dienste; kaum ist er weg, flammt sie erneut in einer an Wahnsinn grenzenden Liebe auf, lebt Tag und Nacht nur in Gedanken an diesen Stanislaus, in phantastischen Reden und Gesprachen mit ihm. Die arztliche Hilfe niitzt wenig; ruhigere Tage werden von Phasen heftigster Erregtheit abgelost. Soweit die Exposition der Figur; der Beginn des fatalen Geschehens wird von Hoffmann in folgender Weise geschildert: „Ein eigenes Abenteuer gab der Sache eine andere Wendung. Hermenegilda hatte eben den kleinen Ulanen, ein Piippchen, das sie sonst wie den Geliebten ans Herz gedriickt, dem sie die siiftesten Namen gegeben, unwillig ins Feuer geworfen, weil er durchaus nicht singen wollte: ,Podrosz twoia nam [...] etc.‘ Im Begriff, von dieser Ex¬ pedition in ihr Zimmer zuriickzukehren, befand sie sich auf dem Vorsaal, als es klingend und klirrend hinter ihr herschritt. Sie schaute urn sich, erblickte einen Offizier in voller Uniform der franzosischen Jagergarde, der den linken Arm in der Binde trug, und stiirzte mit dem lauten Ruf: ,Stanislaus, mein Stanislaus!1 ihm ohnmachtig in die Arme.“ (I. 570/71) Wie wir spater dazu erfahren, ist sie schon langere Zeit mit

20 Dies steht in unmittelbarer Nahe zu den ,Elixieren des Teufels': zum Kind der gemalten Geliebten, mit dem der Geschlechterfluch anhebt. 21 So v. a. H. A. Korff, Geist der Goethezeit, T. 4, S. 611-615. 107

Puppen umgegangen, die ihr „den Geliebten vorstellen muftten“ (I. 575)In ihrem halb wahnsinnigen, halb kindischen Zustand hat sie sich dabei zeitweise an ihre spielenden Vorstellungen verloren, diesmal aber in jahem Zorn iiber das stumme Wesen die Figur zerstort. Da fast im gleichen Moment, als sie sich von der brennenden Puppe abgewendet hat, der Offizier hinter ihr steht, mufi ihr diese Tat als ahnungslos begangener magischer Akt vorkommen, der den Geliebten, den in der Puppe stellvertretend Geliebten, lebendig zum Erscheinen brachte. Der Irrtum stellt sich zwar gleich heraus: der vermeintliche Stanislaus ist ein Graf Xaver, mit jenem verwandt und daher von einiger aufterlicher Ahnlichkeit. Aber obwohl dies der entsetzten Frau vollig klar ist, gelingt es dem Grafen in der Folge doch, sich gewissermaften an die Stelle der friiheren Puppen zu schieben, indem er ihr stundenlang von ihrem Geliebten berichtet, sogar in dessen Namen zu ihr spricht und Liebesbekenntnisse stammelt. Endlich versucht er, sie zu umarmen, wird aber heftig zuriickgestoften: „Hermenegilda sah ihn mit starrem seltsamen Blick an und sprach mit dumpfer Stimme: ,Eitle Puppe, wenn ich dich auch zum Leben erwarme an meiner Brust, so bist du doch nicht Stanislaus, und kannst es auch nimmer werden!‘ “ (I. 573) Das ist zwar eine Abweisung, gleichzeitig jedoch eine Bestatigung dafiir, daft er die Funktion des „kleinen Ulanen" ganz iibernommen hat. Mit bosem Instinkt fiihrt er daher diesen Part weiter, bis er sie einmal in einem Zustand telepathischer Trance vorfindet, von der hilflos ihrem schauenden Innern Ausgelieferten bei der Hand genommen und zu einem getraumten Traualtar gefiihrt wird, schliefilich mit ihr eine unselig-phantastische Brautnacht feiert. Das weitere - ein schlimmes Ende fur alle, auch das dergestalt gezeugte Kind - beschaftigt uns in diesem Zusammenhang nicht; zu zeigen war nur, wie der Kernvorgang um den Teraphim, das gefahrliche Surrogat einer ersehnten Identitat von Innen und Aufien, in prazis gefafiter Variation das Zentrum, die „sich ereignete unerhorte Begebenheit“ dieser Novelle ausmacht. Das kleine, wenig beachtete Spatwerk ,Haimatochare‘ wandelt das Thema ab zu einer drastischen Tragikomodie. Daft die Forschung auf das Stuck bisher kaum eingegangen ist, laftt sich einigermaften verstehen; denn solange man nicht sieht, wie es mit Hoffmanns zentraler Problematik zusammenhangt, mutet es wohl zu harmlos an, eher wie eine etwas gedehnte Anekdote. Anderseits ist der Aufwand an erzahlerischer Planung und die Sicherheit, mit der die leicht zum Grotesken angehobene Stillage durchgehalten wird, in jedem Falle sichtbar und verdient durchaus gewiirdigt zu werden. Die kurze Briefnovelle handelt von zwei anfangs befreundeten Naturforschern, die auf einer Insel der Sud108

see um eine Insulanerin kiimpfen, in deren Besitz fiir jeden der bciden das hochste und einzige Gluck liegt; sie duellieren sich und erschiefien einander; am Ende stellt sich heraus, dafi die Geliebte ein winziges Insekt ist, die seltene Variante einer nicht sehr vornehmen Gattung. Eine Tragikomodie also um einen Teraphim eher skurriler Natur, wie denn das Ganze iiberhaupt an Karikatur grenzt; dennoch ist der Vorgang im Innern des Forschers Menzies, so wie Hoffmann ihn beschreibt, nicht einfach als Ironisierung einer verstiegenen Naturwissenschaft zu verstehen.22 Auch hier erwacht der „poetische Geist“ in einem Mann, der ihm keineswegs gewachsen ist und sich ganz an das selbstgeschaffene Gluck verliert. Ware die Geschichte von Keller, was so ganz undenkbar nicht ist, wir hatten sie zu verstehen als erbarmungsloses Gericht liber zwei, die sich schuldhaft aus der Wirklichkeit als der gepruften Obereinkunft der Verstandigen und Erfahrenen absetzen. Ebendiesen Wirklichkeitsbegriff mit seinem entschlossenen sittlichen Anspruch aber diirfen wir bei Hoffmann nicht voraussetzen, sowenig wie einen Wirk¬ lichkeitsbegriff, der aus der Begegnung des Menschen mit der bergenden und zugleich Schranken setzenden Natur entspringt. Wenn der Forscher Menzies kurz vor seinem Tod schreibt: „Nie werd ich meine geliebte Haimatochare von mir lassen, alles, ja mein Leben, das nur durch sie sich zu gestalten vermag, geb ich freudig hin fiir Haimatochare!" (IV. in), dann zielt Hoffmann damit wohl auf das schliefiliche Gelachter der Leser, von denen keiner die Liebe zum Siidsee-Insekt nachvollziehen kann, gestattet aber ebendieses Gelachter erst ganz zuletzt, indem er durch ein strenges Einhalten der subjektiven Perspektiven die Leser bis dahin im Glauben halt, Haimatochare sei wirklich ein schones Miidchen. Damit hat der Lachende die groteske Liebe vorgangig durchaus mitgefiihlt. Auch wenn er das Objekt solcher Leidenschaft nun absurd findet, hat ihn doch die Leidenschaft selbst gestreift und mit ihr der Traum von hochster Schonheit, aus dem sie entsprungen ist. Dieser Traum, als ein solcher, ist die wirklichste Wirklichkeit. Hoffmann, wir haben es auch schon betont, mufi nicht selten seinen ganzen berechnenden Scharfsinn

aufwenden, um jene Vorgange, in

denen sich sein Welt- und Selbstverstandnis unmittelbar symbolisch ausdriickt und die er daher immer wieder in verschiedenster Gestalt seinen Erzahlungen zugrunde legt, auf der Realitatsebene des jeweiligen Werks zu einem plausiblen Ende zu fiihren. Wenn die Protagonisten im ,Sand22 So sieht es der (verdienstvolle) Kommentator des Bandes ,Spate Werke‘ der Winkler-Ausgabe, Wulf Segebrecht (IV. 861). Er betrachtet die Erzahlung als „gegen die Unmenschlichkeit einer Wissenschaft gerichtet, in der nicht das Ergebnis zahlt, sondern eifersiichtiger Egoismus und Eitelkeit herrschen". 109

mann‘ und im ,Gelilbde‘ eindeutig pathologische Fiille vorstellen, dann beruht dies nicht einfach auf seinem Interesse an psychischen Erkrankungen, am Abseitigen und Anomalen, sondern auf der Tatsache, daft er nur unter diesen Voraussetzungen das ihn faszinierende Geschehen sich abspielen lassen kann. Sobald er deshalb die stilistische Basis anders setzt, also wie etwa im ,Haimatochare‘ gegen die Burleske hin, braucht er sich um psychopathologische Details nicht mehr zu kiimmern. Am freiesten allerdings ist er dort, wo er mit seinem Begriff des ,Marchens‘ arbeitet. Da kann er seine Helden in der alltaglichen Umwelt alien nur denkbaren kann

sie

Halluzinationen durch

und

paranoische

projizierten

Zustande

und

Phantasmen schizoide

aussetzen,

Turbulenzen

schicken, es nimmt sich nur als frohliches Abenteuer aus, jenseits psychiatrischer Kriterien23 und von vornherein sanktioniert durch die formalpoetische Benennung. Wie sehr er dabei aber den tieferen GesetzmaBigkeiten seines Schaffens treu bleibt, sein scheinbar ungebundenes Fabeln und Erfinden von ihnen her

organisiert,

zeigt,

als

Schlufi

dieses Kapitels, ein knapper Blick auf die Marchen ,Die Konigsbraut1 und ,Klein Zachesk ,Die Konigsbraut', das von Baudelaire24 hochgeschatzte Schlufistiick der ,Serapionsbruderc, ist ein ausgesprochenes Teraphim-Marchen: die Geschichte von Liebe, Brautstand und gliicklich verhinderter Hochzeit des Frauleins Annchen von Zabelthau mit dem Gemusekonig Daucus Carota, genauer: mit einer zu phantastischem Leben erweckten Mohrriibe. Dabei hat allerdings der Weg, den die weibliche Hauptfigur durch den „Prozefi“ gefiihrt wird, eine etwas andere Tendenz als beispielsweise im ,NuBknackerk Was sich dort als Initiation des Kindes in die Sphare der freigesetzten Schau-Kraft ausnimmt, das hat hier eindeutig den Charakter eines Korrektivs, einer schmerzhaften Erfahrung zum Zweck der Heilung von schlimmer Philisterei. Denn Annchen ist den Tugenden der Haus- und Gartenwirtschaft vollig verfallen und findet ihr tagliches Gluck im ausschliefilichen Umgang mit Agrarprodukten. Daneben aber hat sie einen astrologisch-kabbalistisch tatigen Vater, und bei diesem 23 Man verstehe recht: der Leser sieht sich in diesen Fallen nirgends gezwungen, psychopathologische Diagnosen zu stellen. Etwas ganz anderes ist die Tat¬ sache, daft Hoffmann gerade in den Marchen Grundvorgange der menschlichen Psyche modellartig zur Erscheinung bringt, welche der Psychologie seiner Zeit noch durchaus unbekannt waren und erst von den modernen Theorien des Unbewuftten her ihren wissenschaftlichen Wahrheitsgehalt freigeben. Insofern, als Dokumente einer erstaunlichen psychologischen Einsicht, stehen sie natiirlich nicht „jenseits psychiatrischer Kriterien". 24 Vgl. das Zitat aus Baudelaires ,De l’essence du rire‘ bei W. Preisendanz, a.a.O. S. 294.

110

liegt wohl die Ursache — sei es durch Umwelteinflufi oder liber die Erbmasse —, dafi das kleine Fraulein nicht einfach, wie so viele weibliche Gestalten Hoffmanns, in ihrem unreflektierten Philistertum versinkt, sondern eben durch die Liebe zur Mohrriibe und das anschliefiende Erschrecken dariiber in wohltatiger Weise zur Besinnung gebracht wird. Mit einem modernen Begriff, der bei Hoffmann immer wieder naheriickt, kann man sagen: ,Die Konigsbraut' ist die Geschichte einer Verdrangung des „poetischen Geistes“, des „Karfunkels“, dessen Kraft sodann in

der projektiven

Vivifikation

des Riibenkonigs unbegriffen

durchbricht und eine zeitlang gefahrliche Folgen fiirchten lafit. Diese Deutung wird dadurch bestatigt, dafi der Teraphim in dem Augenblick wieder seine Naturgestalt annimmt, als Annchens Freund Amandus ihm ein

eigenes

Gedicht vorsingt:

schliipfte zum kleinen,

„Laut kreischte Daucus

kleinen Mohrriibchen

Carota auf,

geworden, herab von

Annchens Schoft und in die Erde hinein, so daft er in einem Moment spurlos verschwunden" (II. 991). Nun ist dieses Gedicht zwar ein vollig dilettantisches Produkt, und man stutzt beim Lesen tatsachlich, wenn man feststellt, daft durch ein so unbeholfenes Gebilde der Bann gelost wird, aber es ist eben bei aller asthetischen Fragwiirdigkeit doch Mani¬ festation des „poetischen Geistes“;25 mit andern Worten: die Verdrangung des „Karfunkels“ wird damit aufgehoben und gleichzeitig auch deren Folge beseitigt. Der „Prozeft“ findet hier wieder einmal seinen wesensgemaften Abschluft, und da nicht nur Annchen ihn durchlauft, sondern auch Amandus (der den auffschluftreichen Namen von Nebelstern tragt), sie beide also zu der in ihrem Innern konkretisierten Wahrheit vorstoften, besteht fiir Hoffmann kein Grund, sie nicht in eine „vergniigte Ehe“ (II. 993) zu entlassen. Durch die feste stilistische Spielflache eines „Marchens“ mit groteskem Einschlag wird dem Autor auch hier manches erleichtert. Wahrend der Teraphim sonst oft genug nach langen erzahlerischen Umstanden und in feinster Stufung lebendig, resp. iiberformt wird, kann Hoffmann seinen Daucus Carota hier einfach in einer kleinen Kutsche vorfahren lassen. Der Grundvorgang bleibt der gleiche, aber die formal-poetische Bestimmung erlaubt dem Autor - in stummer Absprache gleichsam mit dem Leser - etliche Staffeln zu uberspringen und sich mit Winken zu

25

So ist auch der Kater Murr durchaus nicht die Negation Kreislers, wie man immer wieder hort, nicht das Urbild des Philisters, sondern ein Dilettant, ein Narr, ein Naiver, einer der in jenem Zustand bleibt, den hier Amandus als Phase durchmacht, aber durchaus ein „Gerechter“; deshalb liebt ihn Hoffmann und liebt ihn der Leser, wahrend die eigentlichen Philister, die innerlich toten, stets einem gnadenlosen Urteil verfallen.

begniigen, wo anderswo genaue Durchfiihrung notig ware. Solche Winke allerdings setzt er vor dem Auftritt des Riibenkonigs etliche, so dafi der aufmerksame Leser nie in die Gefahr kommt, das Geschehen als Marchen im landlaufigen Sinn zu nebmen, als freie Erfindung skurriler Gestalten und Ereignisse, sondern stets im schwankenden Wissen bleibt, daB Annchen selbst sich diese Fabeldinge ahnungslos bereitet.20 Der bedeutendste „Wink“ dieser Art ist die Tatsache, daB das Madchen zu Anfang an einer Mohrriibe einen Ring eingewachsen findet, den sie ansteckt und liber den sie, teils unter Einwirkung ihres spintisierenden Vaters, in magnetistisch-mediale Zustande gerat. Uber die ,Konigsbraut‘ fiihrt nun zweifellos auch der beste Zugang zum Marchen ,Klein Zaches genannt Zinnober', das allgemein zu den famosesten Dingen in Hoffmanns Oeuvre gerechnet wird. Der Autor betont im letzten Kapitel mit Nachdruck, daB er „zu der Geschichte aus dem Innern heraus unwiderstehlich angeregt" worden sei (IV. 97). Er mufi sie als etwas besonders Eigenes und auch besonders Geratenes betrachtet haben, als eine Leistung von ausgepragtem Reprasentationswert fur seine ganze Erzahlkunst. Und so wirkt sie denn auch zweifellos auf jeden einigermaBen beschlagenen Leser. Alle Spezifika von Hoff¬ manns Erfinden und Beschreiben scheinen sich hier aufs ungezwungenste zueinander zu fiigen. Trotzdem stoBen wir gerade als besonders beschlagene Leser, die wir uns einer Reihe von Konstanten im Werk des Dichters versichert haben und dafiir in synoptischer Ausweitung noch einige weitere Belege suchen, auf irritierende Schwierigkeiten. Das Ensemble von Hauptfiguren und Statisten ist so klar umrissen und typologisch vertraut, wie man nur wiinschen kann, und doch will sich im Verlauf der Handlung nichts mit den gewohnten Mustern decken. Der Student Balthasar entspricht in der Art, wie er exponiert wird, durchaus den Protagonisten anderer Erzahlungen. Er ist ein verschamter Dichter und ein ebenso verschamter Liebhaber der hiibschen Candida; auch kommt er schon bald in Beziehung zu einer geradezu klassischen Mentor-Ge¬ stalt, dem Doktor Prosper Alpanus. Aber wahrend die aus solchem Stoff gefertigten Jiinglinge sonst immer in eine rasche Folge imaginationsgeborener Abenteuer geraten und sich zu gutem oder bosem Ende in Liebschaften verwickeln, deren Reiz und Glanz und Farbenspiel aus unbekannten Sedimenten ihrer eigenen Seele stammt, besteht Balthasars Erlebnis gerade darin, daB er im Gegensatz zu seiner ganzen Umwelt 26 Vgl. dazu W. Preisendanz uber den ,Goldnen Topf‘: „Kein Wunderbares und Zauberhaftes findet sich im ,Goldnen TopP, das nicht auf qualitative Potenzierung der Wirklichkeit durch die Kraft der Imagination [...] reduziert werden konnte". (Humor als dichterische Einbildungskraft, a.a.O. S. 97).

klaren Kopf behalt und von dem seltsamen Zwang verschont bleibt, die bosartige MifSgeburt Zaches fur den Inbegriff eines Kiinstlers, Weltmanns und Wissenschaftlers zu halten.Obwohl er allerlei Schmerzhaftes durchmachen mufi, bevor er Candida heimfiihrt, haben seine Erfahrungen nie den Charakter des „Prozesses“, jener schwierigen Strafte zur befreienden Selbst-Reflexion. Im Gegenteil, er hat eine solche Umkehr gar nicht notig, weil er durchaus um den „Karfunkel“ weifi und bereits ein zwar schiichterner, aber ausgeformter Dichter ist. Der verschrobene Herr Dapsul in der ,Konigsbraut‘ sagt zu seiner Tochter fiber ihren Verlobten: „Dein Amandus ist einer, der da soli und mud, ich meine ein Gerundium“ (II. 52), und findet damit die seltsamste, aber knappste Formel fur die Ausgangsverfassung aller Hoffmannschen Helden. Demgegeniiber miilke man Balthasar bezeichnen als „einen, der da ist“. Das wird im Gang der Erzahlung verschiedentlich bestatigt; dennoch ergibt sich daraus kein Anhaltspunkt, das Ganze wirklich in Griff zu bekommen. Ja, es konnten sogar Zweifel an der behaupteten innern Konsequenz des Schriftstellers Hoffmann auftauchen: wird da nicht doch einfach eine Kollektion fixer Lieblingsmotive nach zufalliger Laune arrangiert und wie die Glassplitter eines Kaleidoskops durcheinander geschiittelt? - Es ist die Erinnerung an die ,Konigsbraut‘ und an die besondere Funktion, die dort dem „Prozefi“ zukommt, welche hier weiterhilft.

Der

durch

Annchens

Philisterleben

verdrangte

„poetische

Geist“ racht sich da, wie wir sahen, mit der Vivifikation der Mohrriibe; deren Entlarvung als ungestalter Teraphim aber wirkt fur das Madchen und seinen Freund durchaus nicht als ein so feierlicher Aktus hoher Selbst-Schau, wie wir ihn im Finale anderer Werke Hoffmanns finden, sondern eher als eine Art drastischer Korrektur: „Beider Sinn war auf eine seltsame Weise geandert“ (II. 993). Man konnte da beinahe vom „ProzeB“ als einer heilsamen Strafe sprechen, - und damit ist das Stichwort gefallen, welches zum Verstandnis von ,Klein Zaches' fiihrt. Der „Prozefl“ als Strafe, als harte Ziichtigung nicht eines Einzelnen, sondern eines Kollektivs - der gesamten Bevolkerung jenes Fiirstentums

das

ist der konstituierende Gedanke des kleinen Werks, der ebensosehr dessen Originalitat ausmacht wie dessen enge Verwandtschaft mit dem iibrigen Schaffen Hoffmanns. Strafe aber wofiir? Es ist, auf die Vielzahl ausgeweitet, das genau gleiche Vergehen, wessen sich auch Annchen schuldig macht. Aber wahrend dort zu Beginn nur die allzu hauswirtschaftliche Gesinnung des Madchens gezeigt wird, schildert Hoffmann hier mit breiten Strichen den allegorisch vergegenstandlichten Akt der Verdrangung selbst: die von der Regierung angeordnete unerbittliche Ausweisung der Feen. Vordem war das Landchen von der angenehmsten

Art: „Personen, die die voile Freiheit in all ihrem Beginnen, eine schone Gegend, ein mildes Klima liebten, konnten ihren Aufenthalt gar nicht besser wahlen, als in dem Fiirstentum, und so geschah es denn, dafi unter andern auch verschiedene vortreffliche Feen von der guten Art, denen Warme und Freiheit bekanntlich iiber alles geht, sich dort angesiedelt hatten“ (IV. 15). Von den Bewohnern glaubte jeder „vbllig an das Wunderbare". Da tritt eines Tages der Erste Minister vor den Fursten mit der Forderung: „Sire! - fiihren Sie die Aufklarung ein!“ (IV. 15). Es geschieht mit Hilfe eines feierlichen Edikts und gipfelt in der gewaltsamen Aussiedlung der Feen. Nach Auffassung der Obrigkeit treiben diese namlich „ein gefahrliches Gewerbe mit dem Wunderbaren und scheuen sich nicht, unter dem Namen Poesie, ein heimliches Gift zu verbreiten ..(IV. 17). Nur eine, Rosabelverde, kann sich als Fraulein von Rosengriinschon illegal in ein Jungfernstift zuriickziehen und dort in mabiger Freiheit leben (IV. 19). Dieses Vorspiel, das an sich, von Details abgesehen, nicht besonders originell erscheint, ist fur das weitere von grofker Bedeutung. Denn es ist die bos karikierte Oberschicht des Fiirstentums als ein kollektives Ganzes, welche die Vertreibung vollzieht - genauer gezeichnete Einzelfiguren wirken durchaus reprasentativ —, und als ein kollektives Ganzes begegnet sie nun auch ihrem Teraphim: Klein Zaches. Der affenhafte Cretin sprengt wie vom Schicksal geschossen in die Stadt, und der verschiittete Karfunkel in den Menschen, die gewaltsam verdrangte Kraft der schaffenden Imagination - denn dies und nichts anderes symbolisiert das Exil der Feen -, erwacht zu einem pervertierten Treiben, indem sie alles Schone und Wohlgeratene, das sich in Gegenwart des hafilichen Zwerges zeigt, als von diesem hervorgebracht erscheinen lafit. In diesem Vorgang liegt, verstandlicherweise, das Faszinosum, welches die Geschichte fur Hoffmann selbst so „unwiderstehlich“ machte (IV. 97). Und nun wird auch plotzlich klar, warum der Student Balthasar einer sein muB, „der da ist“. Da er den „wunderbaren Geist“ in seiner Brust kennt und versteht (vgl. IV. 25), mithin an der kollektiven Verdrangung keinen Anteil hat, bleibt fiir ihn der Teraphim ein Teraphim: er sieht in Klein Zaches nie etwas anderes als den degoutanten, wenn auch mitleiderregenden Fehlwurf der Natur. Damit wird Balthasar schon rein erzahltechnisch wichtig; durch den Kontrast zwischen seinem Blick auf Zaches und der phantastisch uberformenden Sehweise der andern gelangt das groteske Geschehen erst zu seiner vollen Wirkung. Ein reprasentativer Hohepunkt ist dabei die Szene, wo der Student Zeuge sein mufi, wie seine geliebte Candida, der er sich bisher kaum zu nahern wagte, den abscheulichen Kleinen kiifit, weil sie wie alle andern meint, Balthasars

Gedicht stamme von ihm: „ ,Wer istY, rief nun wieder der Professor der Asthetik in voller Begeisterung aus, ,wer ist’s von euch Jungfrauen, der dem herrlichen Zinnober sein Gedicht, das das innigste Gefiihl der reinsten Liebe ausspricht, lohnt durch einen Kuft?' - Da stand Candida auf, nahte sich, voile Glut auf den Wangen, dem Kleinen, kniete nieder und kiiftte ihn auf den garstigen Mund mit blauen Lippen“ (IV. 38/39). Auf die weiteren Stufen und Umstande von Zaches/Zinnobers fulminanter Karriere brauchen wir hier nicht weiter einzugehen, und auch die Mitwirkung der Mentor-Figuren Prosper Alpanus und Rosabelverde an der Lancierung und dem schlieftlichen Entlarven des Cretins bedarf in diesem Zusammenhang keines naheren Kommentars. Wichtig aber ist die Tatsache, daft mit der Entmystifizierung des Teraphims eigentlich nur fur Candida auch ein Wandel in Richtung auf die entscheidende Einsicht verbunden ist. Die andern, fiir welche der Professor Mosch Terpin stellvertretend gelten kann, werden zwar von unangenehmen Ahnungen gestreift, retten sich aber gleich wieder endgiiltig in ihre innere Ode (vgl. IV. 98). Der „Prozeft“ macht sie wohl lacherlich, kann ihrer Stumpfheit jedoch weder im Guten noch im Schlimmen etwas anhaben. Von der endlichen Freiheit eines Giglio Fava sind sie ebenso weit entfernt wie vom tragischen Untergang Nathanaels. Ein Wort aber noch zu Zaches selbst. Man hat es verschiedentlich als merkwiirdig empfunden, daft Hoffmann dieser Ungestalt anfangs und vor allem wieder nach dem Tod mit offenbarem Mitgefiihl begegnet, daft er die Fee Rosabelverde „mit der weichen bebenden Stimme des tiefen Mitleids" (IV. 92) zum „kleinen verschrumpften Gesichtchen" sprechen laftt. Ernst von Schenck, fiir den Zaches „das Gespenst des Biirgers“ ist, erklart die Schwierigkeit so: „Hoffmann selber hatte den Burger in sich schon langst den Weg in den ,Goldenen Topf‘ gehen lassen [...]. Wozu braucht der Dichter die Rache, wenn das Gespenst gebannt (ist)“ (a.a.O. S. 131/132).27 Das scheint plausibel, widerspricht aber der durchwegs feststellbaren Tatsache, daft Hoffmann dem radikalen Philister gegeniiber unerbittlich ist, von harter, kompromiftloser Verachtung, die nie und nirgends in verstehende Liebe umschlagt, so wie er denn auch gerade in dieser Geschichte den Mosch Terpin zuletzt in Infantilitat und Alkoholismus verkommen laftt. Die Figur des Zaches aber kann man nicht verstehen ohne den Begriff des Teraphims in seiner spezifisch Hoffmannschen Bedeutung. Als solcher namlich, als das groteske Spiegelgebilde, in dem sich die Imagination fangt und vergegen-

27

Ahnlich Martini in seinem Aufsatz ,Die Marchendichtungen E. T. A. Hoff¬

manns' a.a.O.

standlicht, steht er aufterhalb der Polaritat Philister-Enthusiast. Wohl geht es hier um das „Gespenst des Burgers", aber dafiir hat Mosch Terpin und die ganze ihm verwandte Gesellschaft zu gelten; Zaches hingegen ist bei aller animalischen Bosartigkeit ein Bruder des Nufiknackers, der Olimpia, des Riibenkonigs Daucus Carota. So sehr sich die diversen Teraphims auch unterscheiden, ein gewisses Wohlgefallen an ihnen kann der Autor nie unterdriicken; selbst der Siidsee-Laus Haimatochare bereitet er ja noch ein militarisches Begrabnis mit Flaggen und Kanonenfeuer (IV. 114). Hier liegt ein weiteres gewichtiges Beispiel vor fur die Notwendigkeit, die Figuren in Hoffmanns Erzahlungen je und je von ihrer Funktion aus anzugehen, von ihrem spezifischen Ort im Handlungsdiagramm. Schon in Bezug auf die Mentorgestalten haben wir darauf mit bewufitem Nachdruck hingewiesen. Dieses Handlungsdiagramm aber erweist sich stets von neuem als bald heitere, bald tragikomische, bald tief erschiitternde Variante jenes Geschehens, das wir als den „Prozeft“ zu bezeichnen pflegen. Noch das letzte groBe Werk Hoffmanns, ,Meister Floh‘, ist ganz von daher organisiert, und auch dort wird man mit der Interpretation nie zu Rande kommen, wenn man die zentrale Figur der Dortje/Gamaheh nicht in ihrer Teraphim-Funktion begreift.

IV. KAPITEL

DER METALLISIERTE BRAUTIGAM

Aporie - Erstarrung - Utopie

Der Mensch ist frei nur als ein Schauender. Als ein Schauender aber separiert er sich gleichzeitig von aller Menschengesellschaft und von aller Natur. Eines der widerstandsfahigsten Axiome des literarischen 19.Jahrhunderts ist: dafi die Natur eine in sich ruhende Gegen-Welt darstellt zur Gesellschaft, zum politischen Organismus; da£ man aus der raschen geschichtlichen Sozietat aussteigen und sich in die Natur schlagen kann. Da ist dann die Zeit ungeheuer langsam und miitterlich. Hoffmann ist vielleicht der einzige deutsche Dichter seines Jahrhunderts, dem nie der Sinn darnach steht, sich in die Natur zu schlagen. Nicht, weil es ihm in der geschichtlichen Sozietat behagte, wie sich etwa Keller eine Zeitlang darin eingerichtet sieht. Er wiirde fur keines von beiden auch nur die Hand umdrehn. Dennoch bleibt er nicht aufierhalb seiner Epoche. Auch er will, was sie alle wollen: in Beriihrung kommen mit der aufgehobenen Zeit. Diese, bald am statuierten oder postulierten Ende der Geschichte, bald in der Tiefe einer Welt als Wille, bald im abgeriickten Locus amoenus der Na¬ tur oder des in sich selber seligen Kunst-Dings angesiedelt, ist die letzte Sehnsucht der Generationen, welche die Sakularisation des christlich-barocken Begriffs einer objektiven „Ewigkeit“ nicht geleistet, sondern als problematisches Resultat angetreten haben. Hoffmanns Entwurf einer Bewaltigung geht iiber das Mythologem des „Karfunkels“. Dieses ist, als ein solches, der metaphysischen In-FrageStellung entzogen. Es kann ihr einerseits nicht Stich halten, ist ihr anderseits als ein Geglaubtes und Erfahrenes iiberlegen. Deshalb gehen jene Versuche nie auf, die Hoffmann mit integrierenden Sparten der idealistischen Systeme zur Deckung bringen mochten. Da wird er stets tiefsinniger, als er ist, und zugleich harmloser.1

1

Selbst so bedeutende Arbeiten wie die von Wolfgang Preisendanz (Humor als dichterische Einbildungskraft, a.a.O.) und von Ingrid Strohschneider-Kohrs

Der „Karfunkel“ also, nur er, ist zeitlos, ist abgetrennt, ganz und gar unabhangig von der objektiven Zeitlichkeit, welche als fundamentale Di¬ mension von Natur, Geschichte und Individuum erfahren wird. Somit entdeckt sich das zentrale Paradoxon von Hoffmanns Menschenkunde, sein spezifischer „Dualismusa, als das Faktum, dafi der Einzelne, der Geschichtliche, sich in sich selber schlagen mufi, wenn er aus der Zeit aussteigen will, daB er dazu aber letztlich nicht nur seine soziale, sondern auch seine leibhaftig-kreatiirliche Existenz aufzuheben hatte. Dieser Paradoxon ist in seinen Konsequenzen tragikomisch, grotesk. Es ist dem Autor vielleicht nur einmal gelungen, das alles ganz einfach und ruhig in eine sinnbildliche Handlung zu fassen, in der Erzahlung ,Die Bergwerke zu Falun'. Die Geschichte ist, auch von den Bearbeitungen Hebels und Hofmannsthals her, bekannt: der Bergmann Elis wird am Hochzeitsmorgen im tiefsten Schacht verschiittet und kommt Jahrzehnte spater, vollkommen konserviert, wieder zum Vorschein, nur von einem uralten Miitterchen, seiner einstigen Braut, erkannt. Fur Hoff¬ mann, der sein Werk einmal mehr mit dem Argument rechtfertigt, es sei ihm „nun einmal gerade so aufgegangen" (II. 197), bot die Vorlage zwei fruchtbare Ansatzstellen: den Weg des Helden in sein Verhangnis und die symbolische Aussagekraft der SchluBszene. Das erstere, die eigentliche Vita des jungen Mannes, erschlieBt sich uns vom Modell der TeraphimGeschichten her sehr leicht, obwohl, genau genommen, gar kein Teraphim vorkommt. Aber die Kenntnis der Vorgange um die lebendig werdenden Puppen und Bilder, ihres spezifischen Ziels und ihrer spezifischen Gefahr, bewahrt uns davor, iiber die Identitat der „machtigen Konigin", die den Jungen in die Tiefe lockt, in Spekulationen zu geraten und sie als Naturgottin, Mutter Erde oder etwas ahnlich Objektiv-Mythisches zu fassen, was fur das Ganze nur Widerspriiche und Inkonsequenzen ergabe. Denn die Konigin ist in Elis selbst und sonst nirgends. Wir sind zwar spontan geneigt, sie als Personalisierung des All-Einen zu nehmen, als kunstvolle Variante einer damals bereits verfiigbaren literarischen Konvention. Aber auch ohne Berufung auf Hoffmanns sonstige totale Gleichgultigkeit gegen die lebendige Schopfung und gegen das, was sie im Innersten zusammenhalt, konnen wir das Inadequate einer wie auch immer gearteten natur-mythischen Deutung allein aus der Erzahlung selbst belegen. Was da namlich an Natur oder besser: Naturregionen vorkommt,

(Die romantische Ironie in Theorie und Gestaltung, Tubingen i960) vertrauen oft zu sehr auf die Relevanz solcher Beziige; in noch vermehrtem Mafie Marian¬ ne Thalmanns ,Zeichensprache der Romantik' (Heidelberg 1967).

118

ist unter sich vollig getrennt, besitzt nichts Durchgehend-Einheitliches, so sehr dies auch dem Denken der Epoche zuwiderzulaufen scheint. Das wird dort deutlich ausgesprochen, wo Elis zuerst die grofie Pinge, die Tagesoffnung der Erzgrube, sieht. Er erblickt eine „fiirchterliche Zerstorung“: „Kein Baum, kein Grashalm sprofit in dem kahlen zerbrockelten Steingekliift und in wunderlichen Gebilden, manchmal riesenhaften versteinerten Tieren, manchmal menschlichen Kolossen ahnlich, ragen die zackigen Felsmassen ringsumher empor. Im Abgrunde liegen in wilder Zerstorung durcheinander Steine, Schlacken - ausgebranntes Erz, und ein ewiger betaubender Schwefeldunst steigt aus der Tiefe, als wiirde unten der Hollensud gekocht, dessen Dampfe alle grime Lust der Natur vergiften“ (II. 181). Nachdem sich der junge Mann einigermaBen gefaBt hat, ruft er aus:

„0 Herr meines Lebens, was sind alle Schauer des Meeres ge-

gen das Entsetzen was dort in dem oden Steingkliift wohnt! - Mag der Sturm toben, mogen die schwarzen Wolken hinabtauchen in die brausenden Wellen, bald siegt doch wieder die schone herrliche Sonne und vor ihrem freundlichen Antlitz verstummt das wilde Getose, aber nie dringt ihr Blick in jene schwarze Hohlen, und kein frischer Friihlingshauch erquickt dort unten jemals die Brust“ (II. 182). Der Anklang an Schillers ,Taucher‘, der dem Autor hier unterlauft, hat bei aller Distanz der beiden Geister eine gewisse symptomatische Berechtigung. Fur uns aber ist wichtig, dafi Hoffmann den tobenden Orkan, den Inbegriff der maBlosen, zerstorerischen Natur, ebensosehr in Gegensatz stellt zum Innern des Bergwerks wie die „griine Lust“, das sanfte, wachsende Leben. Das ware nicht moglich, wenn es um eine mythische Mitte ginge. Vielmehr scheint Hoffmann bemiiht, die „Natur“ im landlaufigen Sinn von etwas anderem zu trennen und dieses Andere als ein Besonderes und Inkommensurables darzustellen: als das hollenhaft Tote und Haftliche schlechthin. Zu welchem Zweck? - Er braucht es als das Substrat von Elis’ grofter Projektion. Dieser infernale Abgrund schlagt nachher die Augen auf und schaut ihn an mit dem „hohen Antlitz der machtigen Konigin“. Die Pinge ist Hoffmanns vielleicht symbolstarkste Teraphim-Variante,2 so wie denn auch die Schaukraft des jungen Elis mit derjenigen kaum eines jungen Helden zu vergleichen ist. In dieser Erzahlung ist alles einfacher, strenger und grower. Das mag mit einem gewissen Ofterdingen-Ton zusammenhangen, den Hoffmann bei der Arbeit im Ohr hatte; es kann aber auch umgekehrt sein: die Kraft der gefundenen Fabel selbst war so stark, dafi er sich diesen Ton und den seltenen Verzicht auf alle Ironie leisten

2 Man vergleiche damit auch den Schlammpfuhl in der ,Konigsbraut‘, die wahre Heimat des Teraphims Daucus Carota (II. 983L).

konnte. Deshalb ist es auch so aufschlufireich, wie die Gesellschaft in dieser Erzahlung erscheint. Sie ist nicht etwa, nach dem Modell der ,Kreisleriana', des ,Klein Zaches' und vieler anderer Stiicke, die bosartig-geistlose Philisterwelt, von der sich der zu seinem Gliick oder Ungliick begnadete Held abhebt; vielmehr werden hier zwei gegensatzliche Moglichkeiten der Gesellschaft gezeigt, die Elis beide hinter sich lafit. Da ist einmal der eigenstandige Bereich des Hafens, der Kaufleute und Matrosen; er wird bestimmt vom Geld wie die Borse im ,Artushof‘, von lauten Wirtshausern und kauflichen Madchen. Dafi sich der Junge in solcher Umgebung fremd und freiwillig ausgeschlossen sieht, teilt er mit vielen verwandten Figuren in Hoffmanns Werk. Von hier weg aber kommt er zu den Bergleuten nach Falun, und da haben wir denn geradezu das Mo¬ dell einer menschenwiirdigen und menschenfreundlichen Gesellschaft vor uns. Es ist eben ein Fest im Gange, die Manner besuchen ihren Vorsteher: „Elis (betrachtete) die schonen und stattlichen Leute mit den freien, freundlichen Gesichtern [...]. Die helle Frohlichkeit, die, als Pehrson Dahlsjo hinaustrat, wie aufs neue angefacht, durch den ganzen Kreis aufloderte, war wohl ganz anderer Art als der wilde tobende Jubel der Seeleute beim Honsning. - Dem stillen ernsten Elis ging die Art, wie sich diese Bergmanner freuten, recht tief ins Herz. Es wurde ihm unbeschreiblich wohl zumute, aber der Tranen konnt’ er sich vor Riihrung kaum enthalten, als einige der jungen Knappen ein altes Lied anstimmten, das in gar einfacher, in Seele und Gemiit dringender Melodie den Segen des Bergbaues pries. — Als das Lied geendet, offnete Pehrson Dahlsjo die Tiire seines Hauses, und alle Bergleute traten nacheinander hinein [...]. Ein tiichtiges Mahl stand auf einem Tisch bereitet. - Nun ging die hintere Tiire dem Elis gegenliber auf, und eine holde, festlich geschmiickte Jung¬ frau trat hinein ..(IE 183). Es ist Ulla, Elis’ spatere Braut. Der Abschnitt ist hier deshalb so ausfiihrlich zitiert, weil er die Fragwiirdigkeit einer gelegentlich anzutreffenden These fiber Hoffmann deutlich macht. So stellt insbesondere Hans Mayer in seinem temperamentvollen Aufsatz ein geheimes, aber zunehmend wachsendes Hinneigen des Dichters zum „einfachen Volk“ fest:3 „Im Spatwerk des Dichters wird der atlantische Bereich immer starker und versohnender in die Alltagswirklichkeit zuriickgefiihrt, die fur den spaten Hoffmann allerdings nicht eine Wirklichkeit der Hofe und biirgerlichen Astheten ist, sondern der einfachen Menschen im Volk.“4 Und iiber ,Des Vetters Eckfenster* schreibt er, es sei „ein einziges Hinstreben des (todkranken) Kiinstlers 3 Zum Problem der Entwicklung Hoffmanns vgl. unsere Anmerkung oben zu S. 34. 4

Hans Mayer, Die Wirklichkeit E. T. A. Hoffmanns in: Von Lessing bis

IZO

zur Wirklichkeit des Lebens im Volke, unter einfachen Menschen".5 Da konnte man denn beinahe meinen, nur die unselige Krankheit habe es verhindert, dafi der Verfasser der ,Brambilla‘ auf seine alten Tage noch ein Jeremias Gotthelf geworden ware. Eine herzliche Zuneigung zu Leuten aus dem „einfachen Volk“ wird zwar bei Hoffmann immer wieder und von seinen ersten Schriften an sichtbar; ein „Hinstreben“ allerdings zu ihrer „Wirklichkeit“ hatte er, der 1808 in einer Berliner Mietkammer um ein Haar verhungert ware,6 wohl kaum notig. Mayer meint dies aber auch mehr im literarischen Sinn: das „einfache Volk“ als erzahlerischer Vorwurf. Genau das jedoch haben wir in den ,Bergwerken zu Falun' auf so reine und eindeutige Weise vor uns, wie der Kritiker es sich nur wiinschen kann. Die Schilderung ist zwar leicht novalisierend, basiert indessen, was mehr ins Gewicht fiillt, auf eingehenden Studien des Autors fiber Sitten und Gebrauche in Skandinavien,7 Studien, wie sie spiiter dem Ethos solider realistischer Schriftstellerei entsprechen. Zugleich wird diese Welt freier und gelassener Arbeit durch den erwahnten pointierten Gegensatz zum Hafen mit seinen reichen Unternehmern und liederlichen Matrosen ins Idealische gesteigert. Und dennoch ist der Kern der Erzahlung, das entscheidende novellistische Ereignis, der radikale Bruch mit dieser heimatlichen Welt.8 Ja, die Kontrastierung der gesellschaftlichen Bereiche um den Hafen und um Falun erweist sich zuletzt nur als ein Mittel, die autistische Trennung von aller Sozietat verstarkt zum Ausdruck zu bringen, so wie die bedrohliche und die milde Natur zusammen in Opposition zum steinernen Abgrund gestellt

wurden. Auch die lieb-

liche Ulla, auf die nie ein Schimmer jenes bdsen Lichtes fiillt, mit dem der Autor die Madchen so oft zu Philisterinnen degradiert, wenn der Held sich abwenden und doch die Sympathie des Lesers behalten soil, auch Ulla steht einerseits im Gegensatz zu der ungliicklichen Prostituierten, der sich Elis am Hafen entzieht (II. 172!.), andererseits wird sie durch die totale Abkehr des Mannes gewissermafien an deren Seite geriickt. Natur, Gesellschaft und Geliebte erscheinen zunachst alle in doppelter, scharf polarisierter Gestalt; diese Gegensatzlichkeit aber wird mit der Konstituierung des neuen Pols, der „Konigin“, aufgelost und in das einheitliche Thomas Mann. Wandlungen der biirgerlichen Literatur in Deutschland. Pfullingen 1959. 5 Ebd. 6 Vgl. den Brief an Hippel vom 7. Mai 1808. 7 Vgl. den Brief an den Buchhandler Kralowsky vom 15. Dezember 1818. 8 Gerade das Heimatliche, das Falun fur Elis hat, wird sehr betont: „Nun sei er, sprach sie, ja nicht mehr fremd, sondern gehore ins Haus und nicht mehr das triigerische Meer, nein! - Falun mit seinen reichen Bergen sei seine Heimat!“ (II. 18 s f.). 121

Widerlager des tieferen, des allein entscheidenden Spannungsbogens verwandelt.9 Der „ProzeB“ des jungen Bergmanns soil hier nicht im einzelnen nachgewiesen werden; die Analogie zu den im vorigen Kapitel verfolgten Viten ist iiberall leicht ersichtlich. Uns geht es vielmehr urn das aufierordentliche Symbol, auf das die Erzahlung zulauft und in dem sie gipfelt: die totale Erstarrung, die zugleich die vollkommene und unbegrenzte Konservierung jugendlicher Schonheit ist. Hoffmann bereitet dieses Schlufigeschehen mit gewohntem Kunstverstand stufenweise vor. Auf eine Stelle sei dabei besonders hingewiesen. Elis hat in der Tiefe wiederum die Konigin geschaut, diese hat ihn sogar erfafit und an ihre Brust gedriickt (IE 191). Nun fiihlt er sich vor seiner Braut auf die qualvollste Weise zerrissen: „Dem Elis wollte die Brust zerspringen. - Vergebens rang er darnach, der Geliebten von dem wunderbaren Gesicht, das sich ihm in der Teufe aufgetan, zu erzahlen. Es war, als verschlosse ihm eine unbekannte Macht mit Gewalt den Mund, als schaue aus seinem Innern heraus das furchtbare Antlitz der Konigin, und nenne er ihren Namen, so wiirde, wie bei dem Anblick des entsetzlichen Medusenhaupts, sich alles um ihn her versteinen zum diistern schwarzen Gekliift!" (II. 192E). „Alles um ihn her" - das sind jene drei Dimensionen Natur, Gesellschaft und Geliebte, deren parallele Stellung innerhalb der Erzahlung wir eben aufgezeigt haben und von denen alien er sich gleicherweise separiert fiihlt. Und gerade weil er an dieser Erfahrung eben jetzt so schwer tragt, gerat er auch, ohne es zu merken, an die Grenze der Wahrheit, die er sonst bis zu seinem Tod nicht iiberschreitet: er fiihlt die Konigin in „seinem In¬ nern". Aber er nimmt das nur als eine streifende Halluzination und zweifelt keinen Augenblick an ihrem objektiven Dasein in der Tiefe des Bergwerks. Und schlieftlich: auch wenn er die Wahrheit begriffe, was sollte er derm mit einer solcben Erkenntnis anfangen? Das ist eine der wichtigsten Fragen, auf die wir bei der Arbeit am Werk E. T. A. Hoffmanns uberhaupt stofien konnen. Sie beruht durchaus auf den bisher gewonnenen Einsichten in den Organismus der Erzahlungen und scheint gleichzeitig diese Einsichten, die Theorie des „Prozesses“, schroff zu relativieren. Wenn alles Unheil aus dem vorzeitig steckengebliebenen, alles Heil aus dem zu Ende gefiihrten „ProzeC“ kommt, was soil man denn davon halten, dafi hier, in einem Werk mit so offensicht-

9

Wir haben diesen Wandel der abstrakten Spannungsstruktur innerhalb des Erziihlablaufs schon friiher festgestellt, beispielsweise im ,Artushof‘ und im ,Sandmann‘.

122

lich paradigmatischen Ziigen, jenes imaginare „gute Ende“ seinerseits sinnlos, das heifit: in keiner Weise Zukunft-stiftend gedacht werden mu8? Im Moment, wo ein Traugott (,Der Artushof') die Schonheit der Geliebten als das Geschopf seiner eigenen, arbeitenden Imagination begreift, reilk vor ihm die weite Zukunft des Iviinstlerlebens auf; Giglio Fava (,Prinzessin Brambilla') findet mit der Selbsterkenntnis vor dem Spie¬ gel im Palast Pistoja zugleich zur erfiillten Tatigkeit auf der Commedia dell’ arte-Biihne; selbst dem schrecklichen Pater Medardus (,Die Elixiere des Teufels') offnet sich durch die endliche Identifikation von Aurelie und Rosalia der Blick auf befriedete Jahre lichter Meditation. Vom Bergmann Elis aber laBt sich beim besten Willen nicht sagen, was ihm die entsprechende Erfahrung, vermochte er sie zu erlangen, fruchten, welchen Raum von Moglichkeiten sie erschliefien konnte. Trotzdem erahnt er sie als das „hochste Gliick“, fiir das er alles einsetzt, und er kommt ihr auch, wenn wir seine letzten Worte beachten, auherst nahe: „Am friihen Morgen des Hochzeitstages [... ] klopfte Elis an die Kammer seiner Braut. Sie offnete und fuhr erschrocken zuriick, als sie den Elis erblickte schon in den Hochzeitskleidern, todbleich, dunkel spriihendes Feuer in den Augen. ,Ich will', sprach er mit leiser schwankender Stimme, ,ich will dir nur sagen, meine herzgeliebte Ulla, daB wir dicht an der Spitze des hochsten Glucks stehen, wie es nur dem Menschen hier auf Erden beschieden. Mir ist in dieser Nacht alles entdeckt worden. Unten in der Teufe liegt in Chlorit und Glimmer eingeschlossen der kirschrot funkelnde Almandin, auf den unsere Lebenstafel eingegraben, den mulk du von mir empfangen als Hochzeitsgabe. Er ist schoner als der herrlichste blutrote Karfunkel, und wenn wir in treuer Liebe verbunden hineinblicken in sein strahlendes Licht, konnen wir es deutlich erschauen, wie unser Inneres verwachsen ist mit dem wunderbaren Gezweige das aus dem Herzen der Konigin im Mittelpunkt der Erde emporkeimt. Es ist nur notig, dafi ich diesen Stein hinauffordere zu Tage, und das will ich nunmehro tun. Gehab dich so lange wohl, meine herzgeliebte Ulla! - bald bin ich wieder hier.‘“ (II. 194). Da liegt eine merkwiirdige Vermischung zentralster Motive vor. Der Schlufi des ,Meister Floh' - „Peregrinus erkannte sich selbst, er fiihlte, dafi der zum Leben entziindete Karfunkel gliihe in seiner eigenen Brust" (IV. 809) - und der Schluft der ,Prinzessin Brambilla' - wo das Liebespaar Seite an Seite in den Spiegel schaut scheinen sich hier zu iiberlagern; die „Konigin“ kommt noch als ein Drittes hinzu. Hoffmann hauft also richtiggehend jene symbolischen Veranstaltungen, mit denen er den Erkenntnisakt der Helden zu umgeben liebt, wobei Spiegel und Karfunkel (hier als „funkelnder Almandin") am deutlichsten hervortreten. Diese Kumulation entspringt aus der Notwen123

digkeit, Elis darzustellen als einen, der hart vor der ungeheuren Erfahrung steht, der aber diese Erfahrung nur ahnt und wittert. Sie wuchert ihm in verworrenen Bildern vor den Augen, und alle Bilder zielen auf das gleiche Unbegreifliche. Sicher ist fiir lhn — und den Leser — nur, dafi jetzt gleich, in der unmittelbarsten Zukunft, sich etwas ganz Entscheidendes ereignet. Eine Klimax also beginnt, und wir nehmen an diesem Beginn teil in der Perspektive des Helden. Gleich nachher aber werden wir daraus jah ausgeschlossen und gezwungen, die Sicht aller andern anzunehmen: es wird gemeldet, Elis sei in die Tiefe gefahren und von einem „fUrchterlichen Bergfall" verschiittet worden. Damit zwingt uns der Erzahler, die mit so groEem Aufwand begonnene Klimax imaginar zu vollenden. Doch was sollen wir uns da eigentlich denken? Elis an der Brust der Konigin? Das ware die spontane Deutung, von der sich der Bergmann selber im letzten Zitat bereits zu losen schien. Oder Elis lachend vor dem Spiegel? Das wa¬ re die dem geheimen Leitprinzip des Ganzen entsprechende Version, zu der wir viele Parallelen in andern Werken haben. Aber kennen wir nicht auch fiir die „spontane Deutung" Parallelen: die Liebe zur Konigin als die Liebe zu Olimpia, zum erwachten Teraphim? Dann ware Elis’ Untergang wie der Todessturz Nathanaels in der Unfahigkeit zur Umkehr begriindet; im Erdinnern vollzdge sich nicht die endliche Reflexion, sondern die Folge von deren Blockierung. Fiir eine Klarung kdnnen wir uns an zwei Punkte halten: an unsere eigene, friiher gestellte Frage, was Elis denn mit seiner Erkenntnis anfangen sollte, und an das groEe Symbol, mit dem Hoffmann die Erzahlung kront: der Junge wird nach Jahrzehnten gefunden, Korper, Gewand („selbst die Blumen an der Brust") vollig erhalten. Das Symbol, der metallisierte Brautigam, ist die Antwort. In ihm kommt zu schliissiger Erscheinung: nicht eine Losung, sondern eine Aporie. Es ist die Aporie, die aus Hoffmanns Menschenkunde notwendigerweise folgt, von der her diese iiberhaupt zu definieren ware. Denken wir nochmals an die erwahnte Strukturverschiebung innerhalb der Erzahlung. Elis gleitet aus den Polaritaten: schlimme/ gute Natur, schlimme/ gute Geliebte, schlimme / gute Gesellschaft iiber in die dominierende Polaritat: Konigin / Natur-Geliebte-Gesellschaft. Das ist solange ohne Schwierigkeiten moglich, als er die Kdnigin fiir ein objektives und im objektiven Raum angesiedeltes Gegeniiber halt, etwas, von dem man in begriffenem Abstand getrennt ist und zu dem man vorstofien kann, wenn man den Mut hat, allem andern den Rticken zu kehren. Was aber geschieht mit dieser Polaritat in dem Augenblick, wo sich die Konigin als das Geschopf der eigenen Schau-Kraft enthiillt, mehr noch, wo das Ich in ihr die reine, 124

den Sinnen zugangliche Erscheinungsform seiner selbst erkennt? Was ist da noch Ziel und Weg und Ausgangspunkt? Genau genommen, mull Elis zuletzt sagen: ich bin die Konigin, die ich als einziges und mit allem Willen suche. Aber: wer sucht da wen? Wer sagt: ich? Man ist versucht, sich mit einer Briicke zu Hardenbergs Jiingling zu Sais aus der auch fiir den Interpreten seltsamen Situation zu retten, oder auf das

„Kenne dich

selbst11 des gleichen Autors zuriickzugreifen, wo es heifit: Gliicklich, wer weise geworden und nicht die Welt mehr durchgriibelt, Wer von sich selber den Stein ewiger Weisheit begehrt [...] In ihm dampfet der heilige Kolben - der Konig ist in ihm - .. ,10 Aber da steht die erhabene Dialektik von Ich und All dahinter, das Identitatstheorem. Hardenbergs Ich ist ein ganz und gar metaphysisches und als solches abgesichert, von Anfang an mit alien Dingen verhangt und in allem Sichtbaren und Denkbaren zu Hause. Das Ich des Elis Frobom aber ist ein einzelnes, ist nicht mehr metaphysisch gefaftt und faftlich, sondern psychologisch. Man tut ihm mit der Relation zu Novalis zu viel Ehre an, aber man verdeckt auch seine spezifische und unheilbare Problematik. Wie sehr namlich unsere Frage, wer da wen suche und wer da „ich“ sage, berechtigt ist, geht aus einer Andeutung in der Er¬ zahlung selbst hervor, aus jenem prophetischen Traum am Anfang, wo Elis die Konigin erstmals sieht und wo es hei£t: „So wie nun aber der Jiingling wieder hinabschaute in das starre Antlitz der machtigen Frau, fiihlte er, dafi sein Ich zerflofi in dem glanzenden Gestein. Er kreischte auf in namenloser Angst ..(II. 179). Wenn es noch eines Beweises bediirfte, dafi das hochste Grauen und die hochste Seligkeit bei Hoffmann je und je nur der gleichen einen und einzigen Ursache entspringen, dann ware er von dieser Stelle aus und im Rahmen dieser Erzahlung ein fiir allemal schliissig zu fiihren. - Die Auflosung des Ich aber steht komplementiir zur Metallisierung. Die Problemstellung: was passiert mit dem Bergmann zuletzt im Erdinnern, stolk er zur Erkenntnis vor, oder geht er an der Liebe zur eigenen Projektion zugrunde, diese Problemstellung ist also als solche falsch. Man 10 Novalis, Schriften. Bd. I, Das dichterische Werk, hg. von Paul Kluckhohn und Richard Samuel. Stuttgart i960, S. 404. 11 Es ist wohl nicht zufallig, dafi Hoffmann gerade im Gesprach der Serapionsbriider iiber die ,Bergwerke zu Falun1 auf diesen Zusammenhang zu reden kommt: „ ,Mir hat,1 nahm Cyprian das Wort, ,Theodors Erzahlung doch im ganzen nicht so sehr mififallen [...] Ich habe Menschen gekannt, die sich plotzlich im ganzen Wesen veranderten, die entweder in sich hinein erstarrten oder wie von bosen Machten rastlos verfolgt, in steter Unruhe umhergetrieben wurden ...“ (II. 179E). 125

mag sich fur die eine oder andere Moglichkeit erwarmen, aber damit spinnt man nur die Geschichte auf emer von Hoffmann nicht betretenen Ebene weiter, - ein altes Leservergniigen, auf das eine wissenschaftliche Betrachtungsweise Verzicht tun mufi. Dadurch, dafi der Dichter die Erlebnisperspektive des Helden unmittelbar vor dem Finale verlaftt und nur noch aus dem allgemeinen Blickwinkel der Leute von Falun berichtet, macht er deutlich, dafi es hier nicht um die subtilen, fatalitatshaltigen Modi des „Prozefies“ geht, sondern um das machtige Bild des metallisierten Brautigams, der in unberiihrter Schonheit mit seiner greisenhaft verwitterten Braut konfrontiert wird, jenes Bild, das ihn in Schuberts Bericht elektrisch geschlagen hat, weil er darin eine Chiffre seiner tiefsten Erfahrung sehen mufite. Der „Proze£“, den er Elis durchmachen lafit, ist nur das Mittel, diese Szene in ihrer ganzen symbolischen Radia¬ tion hinstellen zu konnen. Ihre Meinung aber ist: der aus der Zeit Gesprungene, der ganz dem „Karfunkel“ Angehorige, der das einzige mogliche Gluck und das einzige wahre Schone entschlossen anfafit, verliert im gleichen Moment die Identitat mit seinem lebendigen Leib und erstarrt; er wird metallisiert,

ein

Petrefakt,

eine Puppe,

ein

Maschinending.

Das

solipsi-

stische Nein zur Natur, zur Gesellschaft, zur Geliebten bedingt in seiner Konsequenz auch ein Nein zur eigenen organischen Physis, die, da man bekanntlich nicht aus ihr fahren kann, eine fremde, harte Kapsel wird. Wenn das einmal festgestellt ist, entdeckt man in Hoffmanns Werk sogleich ein kaum absehbares Feld von Belegen und Motivparallelen, wobei vor allem wichtig ist, dafi die Erstarrung und die Mechanisierung zusammengehoren, die Katalepsie und der Veitstanz eine und dieselbe Bedeutung haben.11 Die Katalepsie - Hoffmann nennt sie meistens den „automatischen Zustand“, womit er Erstarrung und Mechanisierung gleichzeitig zum Ausdruck bringen kann - sie ist der morbus sacer seiner Helden; kaum einer, der ihr nicht so oder anders zeitweise verfiele. Ihre urbildliche, von der medizinisch-pathologischen Spahre

geloste

Auspragung

ist eben

der

metallisierte Elis. Auf eine fast charmante Art erscheint sie als charakterisierendes und damit auf das Typische hin stilisiertes Ereignis in der Kindheitsgeschichte des Peregrinus Tyss: „Schon in

der friihsten Zeit

zeigte der Knabe Peregrinus eine ganz besondere Gemiitsart. Denn nachdem er einige Wochen hindurch Tag und Nacht ununterbrochen geschrieen, ohne da£ irgend ein korperliches Ubel zu entdecken, wurde er plotzlich still, und erstarrte zur regungslosen Unempfindlichkeit. Nicht des mindesten Eindrucks schien er fahig, nicht zum Lacheln, nicht zum Weinen verzog sich das kleine Antlitz, das einer leblosen Puppe anzugeho126

ren schien. Die Mutter [ ... ] vergoft viele heifte Tranen liber das kleine Automat.-Endlich geriet eine Frau Pate auf den gliicklichen Gedanken, dem kleinen Peregrinus einen sehr bunten und im Grunde genommen, haftlichen Harlekin mitzubringen. Des Kindes Augen belebten sich auf wunderbare Art, der Mund verzog sich zum sanften Lacheln, es griff nach der Puppe, und drlickte sie zartlich an sich

(IV. 682). Daft die letz-

ten zwei Satze in nuce eine ganze Teraphim-Geschichte enthalten, bedarf wohl keines Hinweises. Der kurze Bericht hat innerhalb des ,Meister Floh‘ nur den Zweck, die Beschaffenheit des Helden exponierend klarzumachen, diesen vorzustellen als einen, der zum „Schauen“ angelegt ist, indem gezeigt wird, wie er schon als Kind die conditio humana in ihrer scharfsten sinnbildlichen Verdichtung erfahrt. Ahnlich, nur ins Schauderhafte gewendet, nimmt sich der Bericht des Goldschmieds Cardillac im .Fraulein von Scuderi' aus, mit dem dieser seine morderische Feidenschaft zu Gold und Juwelen zu erklaren versucht. Er fiihrt seinen Zwang auf ein pranatales Trauma zuriick, auf ein Erlebnis, das seine Mutter in den ersten Wochen ihrer Schwangerschaft hatte. Sie knupfte Beziehungen an zu einem schmuckbehangten Kavalier, der sie „an einen einsamen Ort“ zu locken verstand: „Dort schloft er sie briinstig in seine Arme, meine Mutter faftte nach der schonen Kette, aber in demselben Augenblick sank er nieder und rift meine Mutter mit sich zu Boden. Sei es, daft ihn der Schlag plotzlich getroffen, oder aus einer andern Ursache; genug, er war tot. Vergebens war das Miihen meiner Mutter, sich den im Todeskampf erstarrten Armen des Feichnams zu entwinden. Die hohlen Augen, deren Sehkraft erloschen, auf sie gerichtet, walzte der Tote sich mit ihr auf dem Boden“ (II. 692). Man hat diese Stelle, wie iibrigens auch die Genealogien in den ,Elixieren‘, als Friihformen

der

vererbungswissenschaftlichen

Erkenntnisse

des

spateren

19. Jahrhundert dargestellt, wie sie dann etwa Emile Zola verwendet hat. Das mag seine Richtigkeit haben; man darf aber dabei die Genauigkeit nicht iibersehen, mit der hier ein Symbolnexus zum Hauptgeschehen gekniipft wird, der viel wichtiger ist als irgendwelche biologische Gesetzmaftigkeiten. Die junge Frau in den umklammernden Armen des erstarr¬ ten Fiebhabers steht fur die Existenz Cardillacs selbst, der ja als lebendiges Wesen bereits in ihr anwesend ist. Seine rasende Feidenschaft zu den Juwelen ist die unbegriffne Sehnsucht nach dem „Karfunkel“ im eigenen Innern. Die Metapher, mit der Hoffmann so oft den namenlosen Kern des Menschen zu fassen sucht, wird hier konkretisiert, so wie in den Geschichten um die gemalte Geliebte das Madchengesicht den Helden als das objektivierte Ficht ihrer Imagination begegnet, als ein Aufieres, wel¬ ches zuletzt lachend verworfen wird oder aber - in den ,Elixieren‘, in

127

der ,Jesuiterkirche‘, in der Ettlinger-Vita - den Mordzwang wachruft. Genauso ist Cardillac getrieben, die Trager der von ihm geschaffenen Juwelen zu ermorden, ihnen immer neu das zu entreifien, was er ahnungslos schon langst besitzt und zu dem in Wahrheit vorzustofien ihn eben diese meuchlerischen Raubtaten hindern.12 Wie die Metallisierung den gleichnishaften Schliissel zu Elis’ Dasein abgibt, so entwirft die fiirchterliche Anekdote das Muster, nach welchem

das

Schicksal

des Gold-

schmieds gewoben wird. Allerdings ware bei Cardillac, der Theorie nach, eine Erlosung moglich; denn wahrend man sich in keiner Weise denken kann, was der Bergmann mit seiner Erkenntnis beginnen sollte, liegen dem Kiinstler Cardillac scheinbar alle Moglichkeiten offen. Doch das braucht uns hier nicht zu beschaftigen. Wichtig ist allein, dafi Hoff¬ mann auch da das Thema der Erstarrung zur erzahlerischen Definition der Hauptgestalt verwendet: Cardillac ist ein Mensch, der sich durch die blutigsten Verbrechen vergeblich aus den steinernen Armen einer toten Welt und seiner eigenen biirgerlichen Existenz darin zu befreien sucht. Das Prinzip, daB bei Hoffmann Natur, Geliebte und Gesellschaft je und je analog strukturiert sind, zeichnet sich hier erneut ab und wiirde in einer weitergehenden Analyse gerade der Sozietat in dieser Novelle, der von Giftmorden und Polizeiterror verseuchten Stadt Paris, noch bedeutend profiliert. Wenn wir dabei sind, in einer Folge von Exempeln das auszudeuten, was im Symbol des metallisierten Brautigams unserer Einbildungskraft auf einmal mitgeteilt wird, so ist dies nicht im Sinne einer Aufzahlung gemeint, die ihre Oberzeugungskraft im Numerischen sucht; vielmehr geht es um den Nachweis, daft eine erstaunliche Reihe Hoffmannscher Denkbilder und Motive zum SchluBereignis der ,Bergwerke‘ wie zu einem strengen Prototyp in Beziehung steht. Dafi der grofie Erfinder Hoffmann gerade diese Szene iibernommen oder besser: vorgefunden und sich ganzlich angeeignet hat, kann dabei nur jene storen, die von den GesetzmaCigkeiten der literarischen haben.13

Produktion

sehr

vereinfachte

Vorstellungen

In diesen Zusammenhang gehort nun auch die Analogie zwischen dem Menschen und einem musikalischen Instrument, mit der sich Hoffmann

12 Die Deutung Cardillacs als einer Pygmalion-Figur, wie wir sie fruher skizziert haben, widerspricht dem nicht, sondern kommt von einem andern Ansatz her, der Kunsttheorie, zum gleichen Ergebnis. Ebenso konnte man ihn auch zu Hoffmanns Don Juan-Interpretation in Verbindung bringen (vgl. oben S. 106). 13 Eine gute Obersicht fiber die literarischen Bearbeitungen der Geschichte des Bergmanns zu Falun vor und nach E. T. A. Hoffmann findet sich auf knappem Raum bei Elisabeth Frenzel, Stoffe der Weltliteratur. Stuttgart 1962, S. 77E

schon sehr friih beschaftigte und die ihn nie zu faszinieren aufgehort hat. Er sah darin viel mehr als eine Attributions-Analogic oder eine blofte Metapher. Aus dem mechanisch gefertigten Ding horte er jenen Ton, den einzelnen, angeschlagenen oder gestrichenen Ton, der ihm als solcherund noch vor aller Komposition Erscheinungsform des Hochsten war-man erinnert sich an die Theorie vom Urton im ersten Kapitel-und der sich genau gleich auch aus der menschlichen Brust, aus dem Mund der geliebten Madchen losen konnte. Hoffmann ist mit diesem Problem nie ganz zu Rande gekommen, er hat es nie theoretisch aufgelost, und er konnte es auch nicht, weil es fur ihn aufs engste verbunden war mit dem unablassig umkreisten Mythologem des „Karfunkels“. Als Erzahler allerdings hat er es bewaltigt, hat es als solches konkretisiert, zur Anschauung gebracht und so eine Losung von hoherer Giiltigkeit gefunden, als wenn er zu

irgendeinem schubertisierend-naturphilosophischen

Schlufi

gelangt

ware. Auch der nicht sehr griindliche Kenner seiner Werke wird hier sogleich an die Geschichte vom Rat Krespel denken, die in das Vorspiel der ,Serapionsbruder‘ eingelegt ist. Sie konstituiert sich ganz aus der bis in die merkwiirdigsten Details durchgefuhrten Verwandtschaft zwischen einem Musikinstrument und der jungen Sangerin Antonie. Diese, sie ist die Tochter des Sonderlings Krespel, hat eine Stimme von unerklarlich wunderbarem Klang, „ganz eigentiimlich und seltsam oft dem Hauch der Aolsharfe, oft dem Schmettern

der Nachtigall gleichend.

schienen nicht Raum haben zu konnen in

Die Tone

der menschlichen Brust“

(II. 48). Die letztere Aussage, die nur den Eindruck auf den Zuhorer wiedergeben will, ist zugleich in unheimlicher Weise wortlich wahr. Der Arzt sagt: „Mag es sein, dafi es von zu friiher Anstrengung im Singen herriihrt, oder hat die Natur es verschuldet, genug Antonie leidet an einem organischen Fehler in der Brust, der eben ihrer Stimme die wundervolle Kraft und den seltsamen, ich mochte sagen iiber die Sphare des mensch¬ lichen Gesanges hinausstromenden Klang gibt. Aber auch ihr friiher Tod ist die Folge davon, denn singt sie fort, so gebe ich ihr noch hochstens sechs Monate Zeit“ (II. 48). Das ist, um bei unserem Begriff zu bleiben, der Schein des „Karfunkels“ als ein todliches Licht. Es ist aufschluCreich zu beobachten, wie Hoffmann sich bemuht, diesen Zustand, der ihm von seinen griindlichsten Erfahrungen her so vollig einleuchtend sein muft, auch nach allgemein anerkannten medizinisch-psychologischen Kategorien zu belegen. Dazu gehort, daC er die eben zitierte Diagnose einem Arzt in den Mund legt - der sonst in der Geschichte nichts zu suchen hat -, als fiirchte er den Zweifel des Lesers. Und wie im ,Fraulein von Scuderi* greift er iiberdies noch zum Mittel einer Schicksalsbegriindung durch vorgeburtlichen EinfluK Damit gelingt es ihm tatsachlich, die Be129

ziehung Instrument/Antonie fiir das damalige Verstandnis plausibel zu machen.14 Antonies Mutter war eine italienische Sangerin, so schon wie launenhaft, und der junge Krepsel, der auf der Suche nach alten Violinen, seiner unbezwingbaren Leidenschaft, nach Venedig gekommen war, hatte sie dort, von Kunst und Erscheinung hingerissen, in kiirzester Zeit geheiratet. Schon bald aber begann er unter ihrem Eigensinn zu leiden und zog sich mehr und mehr zu seinen Instrumenten zuriick. Eines Tages, als er auf einer kostbaren Cremoneser Geige versunken fantasiert, tritt sie zu ihm in den Gartensaal. „Sie war gerade in der Laune, die zartliche zu spielen, sie umarmte den Rat mit siifien, schmachtenden Blicken, sie legte das Kopfchen auf seine Schulter. Aber der Rat, in die Welt sei¬ ner Akkorde verstiegen, geigte fort, dal? die Wande widerhallten, und es begab sich, dal? er mit Arm und Bogen die Signora etwas unsanft beriihrte. Die sprang aber voller Furie zuriick; ,bestia tedesca', schrie sie auf, ril? dem Rat die Geige aus der Hand, und zerschlug sie an dem Marmortisch in tausend Stiicke. Der Rat blieb erstarrt zur Bildsaule vor ihr stehen, dann aber wie aus dem Traume erwacht, fal?te er Signora mit Riesenstarke, warf sie durch das Fenster ihres eigenen Lusthauses, und floh, ohne sich weiter um etwas zu bekiimmern, nach Venedig - nach Deutsch¬ land zuriick"

(II. 45). Man merkt

leicht,

daft

bei

diesem forciert

burlesken Auftritt auch die Gesetzmaftigkeiten der Kiinstlerliebe hineinspielen, dal? untergriindig das fatale Kraftfeld wirksam ist, wie es etwa die Beziehung Berthold - Angiola in der ,Jesuiterkirche‘ bestimmt. Entscheidend aber ist, dal? die Signora zu eben der Zeit mit Antonie im ersten Monat schwanger geht. Deren spateres Geschick, wie es das erwahnte Gutachten des Arztes beschreibt, beruht also auf dem psychosomatischen Schock, den sie in diesem Augenblick im Mutterschol? erleidet. Ganz zentral steht dabei die zersplitterte Geige. Krespel hat, dies wird in der Erzahlung hinlanglich deutlich gemacht, die Grenzen seiner spezifischen Form von „Enthusiasmus“, der Passion eines hochbegabten Musikers zu den kostbarsten Instrumenten, durch seine Heirat verhangnisvoll iiberschritten; genauer gesagt: er hat die Venezianerin als das schone Gehause einer wunderbaren Stimme wie eine der alten Violinen in seinen Besitz gebracht, jenen Malern entfernt verwandt, die sich mit der ins Leben getretenen gemalten Geliebten verbanden. Die Zerschmetterung der Geige „in tausend Stiicke", auf welche die plotzliche und dauernde Tren-

14

Die Aktualitat des Themas einer pranatalen Beeinflussung spiegelt sich exemplarisch in den sieben Jahre friiher entstandenen ,Wahlverwandtschaften‘ Goethes. Das vordem weitgehend im Bereich von Volksmeinung und Aberglaube angesiedelte Problem wurde in jenen Jahren zu einem ernsthaften Gegenstand der von Schelling und der Romantik beeinfluftten Wissenschaft.

130

nung von der Frau folgt, ist die sichtbare Konsequenz dieser spezifisch Hoffmannschen Hybris. Das Vergehen aber wird dadurch nicht riickgangig gemacht; es dauert leibhaftig fort in der Tochter Antonie, die nur im Gesang wahrhaft leben kann, und die doch sterben muft, wenn sie singt. Der Verlust der Identitat von innerstem Ich und organischer Physis, den wir oben als die Formel fiir das schlieftliche Geschick des Brautigams von Falun bezeichnet haben, ist das Wesensmerkmal ihrer Konstitution von Anfang an. Wir diirfen sie, in einem iibertragenen Sinne, von Natur aus „metallisiert“ nennen. Und es ist, wenn man das alles einmal begriffen hat, erschiitternd zu sehen, wie der alte, scheinbar ganz absonderlich gewordene Rat Krespel von dem Augenblick an, da er sei¬ ner Tochter erstmals begegnet und zugleich vernimmt, wie es um sie bestellt ist, in die verzweifelte Manie fallt, die kostbarsten Geigen, die nie mehr zu iibertreffenden Schopfungen alter italienischer Meister, auseinanderzunehmen, um dem Geheimnis ihres Klangs als einem mechanisch feststellbaren Bauprinzip auf die Spur zu kommen. Ob er sich selber fiber die Methode dieses Wahnsinns im klaren ist, erfahren wir nicht die Erzahlung ist einmal mehr perspektivisch raffiniert gefiigt -, aber es ist offensichtlich, daft er fieberhaft das Mittel sucht, mit dem das geliebte Kind zu retten ware. Das wird nicht nur dadurch bestatigt, daft er nach Antonies Tod keine Geigen mehr zerlegt oder baut, sondern vor allem auch durch die Begebenheiten um die eine, vor alien andern ausgezeichnete Violine, die er mit Blumen bekranzt an der Wand hangen hat. Es ist das einzige Spitzenwerk, das er nicht aufgebrochen, zerlegt und ausgemessen hat, trotz seiner Ahnung, gerade hier das lang gesuchte Gesetz zu finden. „Ganz iiberzeugt bin ich, daft in der innern Struktur etwas Besonderes liegt, und daft, wenn ich sie zerlegte, sich mir ein Ge¬ heimnis erschlieften wiirde, dem ich langst nachspiirte" (II. 37R). So spricht er am Anfang der Erzahlung zu seinem noch ahnungslosen Besucher. Spater aber erfahren wir, daft ihn Antonie selbst von seinem urspriinglichen Vorhaben abgebracht hat: „Als der Rat jene wunderbare Geige [...] gekauft hatte und zerlegen wollte, blickte ihn Antonie sehr wehmiitig an, und sprach leise bittend: ,Auch diese?‘ - Der Rat wuftte selbst nicht, welche unbekannte Macht ihn notigte, die Geige unzerschnitten zu lassen, und darauf zu spielen. Kaum hatte er die ersten Tone angestrichen, als Antonie laut und freudig rief: ,Ach das bin ja ich - ich singe ja wieder*. Wirklich hatten die silberhellen Glockentone des Instruments etwas ganz Eigenes Wundervolles, sie schienen in der menschlichen Brust erzeugt" (II. 50). Von da an muft er dem Madchen immer dann, wenn sie die Sehnsucht nach dem eigenen Gesang nicht mehr ertragen zu konnen glaubt, auf dieser Geige spielen. Es entspricht nun ganz dem

anfanglich erwahnten Prinzip dieser Novelle, das Ratsel der Verbindung von „Karfunkel“ oder „Urton“ zum

stofflich-mechanischen

Bereich

nicht diskursiv zu losen, sondern als ein Phanomen vor Augen zu stellen, dafi eben dieses Instrument, das Aufschlufi verspricht wie keines vorher, unberiihrt bleibt. Ob Krespel insgeheim furchtet, durch die Sektion der Violine seine Tochter in telepathischem Rapport zu toten, oder ob ihm gerade jetzt die prinzipielle Aussichtslosigkeit seines Tuns bewuCt wird, laf$t der Autor offen. Ziel des Ganzen ist letztlich nur, die unergriindliche Analogic zwischen dem Madchen und der Geige aufzuzeigen; und dies fiihrt Hoffmann denn auch bis ins Detail durch. Antonie stirbt singend, an ihrem Gesang. Krespel berichtet dariiber: „Als sie starb, zerbrach mit drohnendem Krachen der Stimmstock in jener Geige, und der Resonanzboden rifi sich auseinander. Die Getreue konnte nur mit ihr, in ihr leben; sie liegt bei ihr im Sarge, sie ist mit ihr begraben worden “ (II. 42). Wie dort, wo wir nach dem „Sinn“ des metallisierten Brautigams gefragt haben, miissen wir auch hier feststellen, daS die mit der scharfsinnigsten Folgerichtigkeit gefiihrte Erzahlung hinlauft auf die Re¬ velation einer Aporie. Auf welche Weise diese mit unsern vorhergehenden Ausfiihrungen fiber den „Prozefi“ und die an dessen Ende sich entfaltende Freiheit zusammengehen kann, wird am Schlufi des Kapitels zu fragen sein. Der Kreis wesentlicher Exempel ist vorerst noch unvollstandig. Nun ware eigentlich unmittelbar von Kreisler zu reden, und zwar von dem Fragment ,Der Freund', das sich in Hitzigs NachlaB fand und erst 1903 veroffentlicht worden ist. Es sei aber zunachst noch ein kurzer Blick auf ein wenig beachtetes Opusculum geworfen, auf die nicht ganz zwei Seiten fiillende ,Geschichte des Schneiderleins aus Sachsenhausen' (IV. 770E), die ohne strenge Funktion in das Sechste Abenteuer des ,Meister Floh‘ emgelegt ist. Man kann es eine mit einer einzigen Handbewegung hingesetzte Groteske nennen, so drastisch, dafi die erzahlerische Meisterschaft ebenso leicht fibersehen wird wie die symbolische Relevanz, welche das winzige Stuck in eine verbliiffende Parallele zur Sangerin Antonie stellt. Den altfrankischen Ton seiner geliebten Chroniken ironisch imitierend, berichtet Hoffmann vom „zarten frommen Schneiderlein“, das an einem Sonntagmorgen „in der Kirche gar heftig gesungen“ und darauf von seiner Frau die Erlaubnis erhalt, sich in der Apotheke „ein erwarmendes Schnapschen“

zuzufuhren.

Irrtiimlicherweise

aber

wird er dort aus einer Flasche bedient, „in der kein Magenelixier befindlich, wohl aber brennbare Luft, womit die Luftballe gefiillt werden“. Da wird es ihm „alsbald gar possierlich zumute“. Er beginnt in der Apotheke „ellenhoch und immer hoher“ zu steigen und zu sinken. ,„Ei 132

Jemine, Jemine', rief er, ,wie bin ich doch solch ein flinker Tanzer geworden!‘“ Ein Luftzug erfaftt den Schwebenden, reiftt ihn zum Fenster hinaus und in alle Liifte; er bleibt verschwunden. Und Hoffmann fahrt fort: „Begab sich nach mehrerer Zeit, daft die Sachsenhauser zur Abendzeit hoch in den Liiften eine Feuerkugel erblickten, die mit blendendem Glanz die ganze Gegend erleuchtete und dann verloschend zur Erde hinabfiel. Wollten alle wissen, was zur Erde gefallen, liefen hin an den Ort, fanden aber nichts als ein kleines Kliimpchen Asche; dabei aber den Dorn einer Schuhschnalle, ein Stiickchen eiergelben Atlas mit bunten Blumen und ein schwarzes Ding, das beinahe anzusehen war, wie ein Stockknopf von schwarzem Horn [...] Da ist aber die Frau Liebste des entfahrnen Schneiderleins dazugekommen und als diese die gefundenen Sachen erblickt, hat sie die Hande gerungen, gar erbarmlich getan und geschrien: ,Ach Jammer, das ist meines Liebsten Schnallendorn; ach Jam¬ mer, das ist meines Liebsten Sonntagsweste, ach Jammer, das ist meines Liebsten Stockknopf!'" Der Auftritt nimmt sich aus wie eine Parodie Hoffmanns auf die Schluftszene der ,Bergwerke zu Falun1! Und kaum hat man dieser seltsamen Assoziation Raum gegeben, merkt man auch, daft der ganze Vorgang eine direkte Umkehrung von Elis’ Fahrt in die Tiefe ist. Die Elemente sind vertauscht und die Dimensionen, aber selbst das Motiv der Erstarrung wird, wie der Schlufi zeigt, beibehalten: „Hat aber ein grofter Gelehrter erklart, der Stockknopf sei kein Stockknopf, sondern ein Meteorstein oder ein miftratener Weltkorper. Ist nun aber auf diese Weise den Sachsenhausern und aller Welt kund worden, daft das arme Schneiderlein [...] in den hohen Liiften verbrannt und heruntergesunken ist zur Erde als Meteorstein oder miftratener Weltkorper". Wir wollen das Werklein nicht zu sehr belasten. Es ist eine humoristische Volte Hoffmanns, der die Parallelitat zu den ,Bergwerken‘ in keiner Wei¬ se auch den Rang jener Erzahlung verleiht. Aber gerade die freie Leichtigkeit, mit der es offenbar geschaffen wurde, hat auch die unverstellt und unverbogen Hoffmansche Struktur ermoglicht und die Transparenz bewirkt, die diese Struktur so deutlich sichtbar macht. Das Stuck als solches ist ein Leichtgewicht, wenn auch ein sehr reizvolles, der Durchblick aber, den es gewahrt, ist ernsthaft und von Bedeutung. Denn durch den Genuft der „brennbaren Luft“ ist das Schneiderlein rein physikalisch in eben den Zustand versetzt, den so viele Helden aus hoheren Ursachen erleiden.15 Wenn bei dem Madchen Antonie die starre Korperlich-

15

Vgl. dazu die Stelle aus dem ,Kater Murr', wo Kreisler, unmittelbar nach seiner Theorie der Kiinstlerliebe, zur Prinzessin sagt: „Sie scheinen, Gnadigste, fur Traume eben nicht sehr portiert, und doch sind es lediglich die Traume, in denen uns recht die Schmetterlingsflugel wachsen, so daft wir dem engsten

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keit wie der Resonanzboden des gleichzeitig berstenden Instruments gesprengt wird, so erscheint diese in der Anekdote als die diinne Hiille, die der inneren Gewalt auf ihre Weise nicht gewachsen ist. Die exponierende Bemerkung, daft das Schneiderlein vorgangig „in der Kirche gar heftig gesungen“, ist ein Fingerzeig Hoffmanns, der nicht ubersehen werden darf, ebensowenig wie das seltsame Wort vom „miftratnen Weltkorper“, mit dem die Geschichte endet. Ein winziger Privatmythos des Autors, wenn man das Wort wagen darf, ist hier mit fluchtig touchierendem Pinsel umrissen, und unsern Respekt verdient die Arbeit nicht zuletzt dadurch, daft sie die Perseveranz des Dichters einmal mehr und in origineller Weise belegt. Doch nun miissen wir uns, wie angekiindigt, der Gestalt Johannes Kreislers zuwenden, genauer, dem erst 1903 veroffentlichten Fragment, das ,Der Freund' iiberschrieben und in der Form eines ,Briefes an Theodor' gehalten ist. Die Entstehungszeit wird vom Herausgeber der WinklerAusgabe, Friedrich Schnapp, mit guten Griinden auf den Sommer 1814 angesetzt (vgl. V. 942), wobei er auch die Vermutung Hans von Mullers, dem der Erstdruck zu verdanken ist, als wahrscheinlich wiedergibt: daft es sich namlich bei dem Prosastiick um die Einleitung „der seit Anfang 1812 geplanten ,Lichten Stunden eines wahnsinnigen Musikers‘“ handle, jenes Planes also, den Hoffmann nie wirklich in Angriff genommen, aber auch nie ganz aufgegeben hat. Das mag zutreffen, nur wissen wir von der tatsachlichen Konzeption dieses Vorhabens so wenig, daft aus der Feststellung, das Fragment gehore wohl dazu, kein besonderer Aufschluft gewonnen wird. Sicher ist, daft sich fur Hoffmann wahrend der Arbeit an den ,Kreisleriana‘ die Gestalt des Kapellmeisters mehr und mehr objektivierte und immer starker als das mogliche Zentrum grofterer erzahlerischer Kompositionen auswies. Das fiihrte dann Jahre spater zum ,Kater Murr'. Unser Text aber ist der Beleg fur einen, wie immer gedachten, friiheren Versuch der epischen Verselbstandigung, den wir uns, im Rahmen von Hoffmanns Gesamtwerk, als Briicke zwischen den Kreisleriana und dem Roman denken diirfen, auch wenn die letzten Teile der Kreis¬ leriana damals noch gar nicht abgeschlossen gewesen sein sollten. In diesem Stuck nun, das im Grunde nur den wahnsinnigen Kreisler vorstellt, von ihm ein genaues Portrat aus dem Munde eines Auftenstehenfestesten Kerker zu entfliehen, uns bunt und glanzend in die hohen, in die hochsten Lufte zu erheben vermogen. Jeder Mensch hat doch am Ende einen angebornen Hang zum Fliegen, und ich habe ernste honette Leute gekannt, die am spaten Abend sich bloft mit Champagner, als einem dienlichen Gas, fiillten um in der Nacht, Luftballon und Passagier zugleich, aufsteigen zu konnen" (III. 432).

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den gibt, erscheinen Katalepsie und Instrumenten-Thematik an zentraler Stelle und untrennbar verbunden. Wer der fiktive Verfasser dieses ,Briefes an Theodor'ist, wissen wir nicht; wir kennen weder seinen Namen noch seinen Beruf, sondern erfahren nur, dafi er auf einem groBen, eigenen Landgut lebt, das von einem weitlaufigen Park mit Pavilions und Nebengebauden umgeben ist. Wo dieser endet und der Wald beginnt, steht eine verfallene Kapelle. Die Topogra¬ phic laBt alo bereits an diejenige des Romans denken, wobei hier wie dort Jean-Paul-Reminiszenzen spiirbar sind. Kreisler selbst sehen wir nur aus der Perspektive des Briefschreibers, dem er vorher unbekannt ist. Die Geschichte beginnt damit, dais man nachts von der Parkgrenze her heulende Tone hort, „die so wenig menschlich doch nur von einem Menschen herriihren" konnen (V. 617), und daC bald darauf ein Bauer auf dem Weg zum Markt in der gleichen Gegend von einem einzelnen Mann angefallen wird, der ihm mit „riesenstarken Fausten" Eier und Huhner entreifit und die Beute, wie spater an den Spuren sichtbar wird, roh verzehrt. Man unternimmt eine groBe Suche und findet schliefilich den Unbekannten gleich aufierhalb der Gartenpforte vollig erstarrt auf der Erde ausgestreckt. Er stiert den Berichterstatter an „mit wilden graftlichen Augen, die jedoch keine Sehkraft zu haben schienen". „Sein Gesicht hatte aufierst bedeutende charaktervolle Ziige, nur durch den Ausdruck des hochsten Wahnsinns im Auge und durch die beinahe schwarze(n) wild verwachsene(n) Kopf- und Barthaare entstellt. Er schien ein Mann von hochstens achtunddreifiig Jahren, von mittler(er) wohlproportionierter Gestalt. Sein Anzug hing in beschmutzten Lumpen um ihn her und war mit Schauer erregender Ironie aus antiken, modernen und fantastischen Kleidungsstiicken zusammengesetzt" (V. 618). Diese Mischung der Tracht aus verschiedenen Epochen ist ein merkwiirdiges, bei Hoffmann verschiedentlich auftauchendes Motiv. Meist findet es sich an besonders pittoresken Mentorgestalten. Hier nun, beim wahnsinnigen Kreisler, ist es mit auffalliger Detaillierung geschildert: „Zu einem ganz modernen Frack von sehr feinem schwarzen Tuch trug er eine Drap d’Argent mit blauen Rosen durchwebte Weste mit ganz ungeheuren Schofien, wie man sie im Jahre 1730 trug und unter der man kaum das grime spanisch geschlitzte Beinkleid bemerken konnte, weifiseidne Striimpfe und bunte Halbstiefel wie sie ehemals die romischen und griechischen Helden in der Tragodie trugen, jedoch Modeschnallen darauf gedriickt

[...]

Den

Tituskopf konnte man noch gut unterscheiden, in dem linken Ohre trug er einen iibergrofien goldnen Ring —“ (V. 6i8f.). Dahinter steht, um es gleich zu sagen, der Versuch, aus der Geschichte, aus der Zeit schlechthin zu springen oder die erkannte Unmoglichkeit eines solchen Unter135

fangens durch verzweifeltes Parodieren zu entscharfen. Deshalb bringt Hoffmann den Hinweis auf die „Schauer erregende Ironie** dieser Kleidung an; denn der harmlose Leser sieht daran hochstens das Karnevalshafte. Es ist in dieser Tracht aber in genauer Planung das 19., das i8.und das 17. Jahrhundert zusammen mit der Antike und einem durch den groften Ring im Ohr angedeuteten zeitlosen Barbarentum vertreten. Daft solches sonst vor allem bei Mentorgestalten vorkommt, etwa dem Goldschmied in der ,Brautwahl‘ (vgl. II. 53j),macht keinen Widerspruch aus. Denn diese geben sich vor den Augen der jeweiligen Helden bewufit als Revenants; ihre Kombination verschiedener Moden spiegelt sinnvollerweise die von ihnen in Anspruch genommene ahasverische Souveranitat. Was bei ihnen aber-durch ihre Funktion im Rahmen des „Prozesses“ bedingt - als selbstverstandlicher Zustand gelten darf, ist fur Kreisler ein unerreichbarer, utopischer Traum, den er mit seinem Auftern persifliert. Und daft der so Geschilderte nun gleichzeitig von der „Starrsucht“ (V. 619) ergriffen ist, kann nach den bisherigen Ausfuhrungen nicht iiberraschen. Die beiden Motive fiihren zum gleichen Ursprung zuriick: zur Tatsache, daft der „Karfunkel“ zeitlos ist, der lebendige Mensch aber zeitgetrankt, geschichtlich, einer unabsehbar rieselnden Verganglichkeit ausgesetzt. Der also vorgefundene starre Kreisler wird aus Sicherheitsgriinden noch gefesselt - ein durch seine Paradoxie merkwiirdig bedrangendes Bild und in ein Turmzimmer gebracht, wo er sich langsam wieder zu regen und zu fassen beginnt. Er nimmt mit einfachen Blicken und Gebarden Kontakt mit seinem Betreuer auf, auftert aber nie ein Wort. „Den ganzen Tag horte und sah man ihn mit gemessenen Schritten und mit liber der Brust verschlungenen Armen still auf und ab gehen, nur des Nachts stieft er oft entsetzliche Tone des innersten Jammers, der hoffnungslosesten Qual aus, die uns alle aus dem Schlafe weckten und mit Furcht und Schauer erfiillten“ (Y. 621). Und da beginnt nun der zweite Teil des kurzen Fragments, der Versuch des wohlmeinenden Gastgebers, den Fremden, aus dessen Portefeuille er entnimmt, daft es sich um einen Musiker handeln miisse, durch Musik zu heilen: ein Thema, das innerhalb der Romantik eine epochentypische, seit altesten Zeiten aber eine asthetisch-anthropologische Tradition vorstellt.16 Daft wir es so pragnant exponiert bei Hoffmann und dazu noch

18

Es sei hier nur auf das wenig bekannte Shakespeare-Stuck ,Pericles* hingewiesen, das nur in einer einzigen Szene, der ersten des V. Aktes, die unvergleichliche Hohe des Dichters erreicht: Marina heilt ihren vom Kummer gefiihlund sprachlos gewordenen Vater durch ihre Musik. (William Shakespeare, The Play of Pericles, Prince of Tyre, ed. by G. B. Harrison. Harmondsworth

1958, S. 9off.). 136

am Beispiel Kreislers finden, ist zwar kein Zufall, aber, gcrade auf dem Hintergrund der erwahnten Oberlieferung, von ganz besonderem Interesse. „Ich baute darauf den Plan", schreibt der Berichterstatter, „durch seine Kunst den in sich gekehrten Geist wieder fiir aufiere Erscheinungen zu beleben, und liefi daher den grolSen Wiener Fliigel in mein Zimmer tragen, auf dem ich bei offnem Fenster fantasierte. Der Unbekannte schien es lange nicht zu bemerken, plotzlich stand er aber still und horchte mit seitwarts gebogenem Korper (und) nach dem Fenster geneigtem Haupte aufmerksam der Musik zu; ich freute mich meines Einfalls und fantasierte starker, da stampfte er auf einmal mit dem Fufie und lachte mit hohler entsetzlicher Stimme, dafi die Fenster drohnten .(V. 621). Unsicher, wie er das zu deuten habe, gibt der redlich bemiihte Pfleger noch nicht bei; er hort zwar mit seinem eigenen Spiel auf, stellt dem Gast jedoch selber ein kleines Klavier ins Zimmer. Damit wird, fiir uns, das Thema des Instruments und seiner spezifischen Symbolik wie¬ der aktuell. Es passiert indessen das Merkwiirdige, dafi Kreisler, der Ka¬ pellmeister, der in den ,Kreisleriana‘ so oft an Fliigeln und Spinetten vorgestellt wird, diesen Gegenstand gar nicht erkennt, sondern „fiir einen gewohnlichen neuen Tisch“ halt, auf dem er durch einen Wink das Mittagessen zu servieren bittet. Man darf die Bedeutung gerade solcher Einzelheiten nicht unterschatzen. Das gelassene Essen, spontanstes Sinnbild behaglicher Vitalitat, ist offensichtlich nur moglich unter der Bedingung einer geradezu unglaublichen Verdrangung. Es ware durchaus denkbar, dafi sich in einer der bittersten Satiren der ,Fantasiestiicke‘, des ,Zaches‘ oder des ,Kater Murr‘ das Instrument als Mittags- oder Teetisch zur Entlarvung der gnadenlos

verdammten

Philister

eingesetzt

fande. In unserem Fragment jedenfalls bekommt die erreichte Beruhigung Kreislers dadurch etwas unheimlich Ominoses, — und diese Ahnung wird denn auch gleich darauf erfiillt. Der Gastgeber treibt seine Methode mit fataler Konsequenz bis zur Krisis: „Der Gedanke, dafi ein von ihm selbst zufallig erweckter Ton vielleicht die beabsichtigte Wirkung hervorbringen konne, brachte mich darauf, ihm eine Guitarre ins Zimmer legen zu lassen. Es geschah auch wirklich, daft er von ungefahr mit der Hand iiber die Saiten fuhr; der Ton schien sein Innerstes zu durchbeben, er ergriff die Guitarre und gab kraftig und rein den vollen C dur-Akkord an, dann aber stiefi er einen fiirchterlichen Schrei aus, sein Gesicht war [... ] grafilich verzerrt [...]; er warf die Guitarre auf die Erde und zertrat sie in tausend Stiicke. So wie man das zahe Leben eines schadlichen Tiers noch immer durch neue Streiche ertoten will, weil jedes Zucken neue Gefahr droht, so suchte er mit wildem Blick, in dem sich eine grafiliche Angst make, noch jedes Stiickchen der Guitarre und 137

zermalmte es“ (V. 622).17 Darauf tobt er acht Tage lang in den qualvollsten Spasmen. Mit der Nachricht von deren langsamem Abklingen endet das Fragment. Auch hier ist es wieder der einzige Klang („der voile C dur-Akkord“), der den Ausschlag gibt: der Urton, der vor aller Musik und hoher als alle Musik ist, der ins Akustische umgesetzte reine „Karfunkel“. Von ihm spricht, wie friiher erwahnt wurde, Amandus in der ,Prinzessin Blandina‘ und identifiziert ihn in einem Akt mit seinem Ich, seiner Kunst und seiner Geliebten, wobei die Metaphorik

gerade unsere Stelle

in

hochstem MaBe angeht: „Seitdem ich durch sie - in ihr - mein wahres Sein [...] erkannt habe, weiB ich, daB der Gesang nicht auBer mir wohnt, sondern ich selbst bin der Gesang und der ist unsterblich! - Zerschlagt Kilian das Instrument, so wird der darin wie in ein enges Gefangnis gebannte Ton frei und licht daherschweben und ich werde in ihr sie selbst sein. So wie sie die unaussprechliche Sehnsucht der Liebe ist, die wie der Atem des Lebens meine Brust hebt, so werde ich dann selbst das Lied sein, das emporquillt aus den Saiten, die ihre Schwanenhand beriihrt!“ (1.736). Auch hinter dem Zusammenbruch Kreislers steht das Problem der Klinstlerliebe, steht Julie; dazu bediirfte es des ausdriicklichen Flinweises gar nicht, daB unter den Habseligkeiten des Verstorten, „ein Sonett, das Liebesklagen enthalt" (V. 620), vorhanden ist. Aber das macht die Tatsache erst recht merkwlirdig, daB dieses Zitat aus ,Blandina‘ mit seinem begeisterten Ausblick auf die Zerschlagung des „Instruments“ ein deutliches Pendant zum obigen Kreisler-Portrat ist, ein Pen¬ dant allerdings mit umgekehrten Vorzeichen. Der Triumph, den das Singspiel meint, wird vom Fragment her als Illusion entlarvt. Denn diesen „Ton“, von dem Amandus spricht, gibt es eben doch nur innerhalb des „Instruments“. Er ist nicht die schwingende Weltseele, an der einer An-

17 Es ist bedenkenswert, dafi Hoffmann mit dem in seinem Werk ziemlich profiliert hervortretenden Motiv von dem zerschlagenen Saitenspiel, ohne es zu wissen, einen Topos aus der Literatur des 17. Jahrhunderts aufgreift. Dort findet sich der Vorgang haufig als unmittelbares Zeichen des „Welt-Adieus“, des Aufbruchs eines Sangers in die geistliche Abgeschiedenheit auf Grund der jahen Einsicht in die Vanitas aller irdischen Schonheit. Die klassische Formulierung steht bei Jacob Balde: „Cantatum satis est, frangito barbiton!“ (vgl. Max Wehrli im Nachwort zu seiner Ubersetzung: Jacob Balde, Dichtungen, Koln und Olten 1963, S. io6f.). Bei Laurentius von Schniiffis heiBt es spater: „So geh zu triimmern dann / Du lieblicher Tyrann“ (vgl. hiezu Urs Herzog, Imitatio Mariae. Aspekte zur Marienlyrik des Laurentius von Schniiffis. Zuger Neujahrsblatt 1970, S. 20). Auch wenn die Problematik bei Hoffmann anders gelagert und viel komplizierter ist, ware eine Untersuchung fiber den Wandel des Themas, v. a. auch im 18. Jahrhundert (Holty), nicht ohne Reiz.

138

teil haben, in die er eines Tages einklingen kann, sondern das isolierte Zentrum einer solipsistischen Daseinserfahrung. Die Passage aus ,Prinzessin Blandina* versucht im Grunde nur, jene Aporie mit schwarmerischen Gebarden zu iiberwinden, die aus dem Fragment ,Der Freund* so erschiitternd hervorgeht.18 Denn was kann die in „grablicher Angst“ zerstampfte Gitarre anderes besagen? Kreisler erlebt hier den gleichen schrecklichen Moment, in dem der traumende Elis angesichts der „machtigen Frau“ fiihlte, „dab sein Ich zerflob", und wo auch er „aufkreischte in namenloser Angst“ (III. 179), gestreift von der Erkenntnis jener Ausweglosigkeit, die in seiner Metallisierung schlieblich das uniibertreffliche Sinnbild fand. So merkwtirdig es sich ausnimmt: Hoffmann, der Musiker unter den romantischen Schriftstellern, ist zugleich der einzige, der eine Heilung durch „die Gewalt der Musik“ im letzten nicht anerkennt und den angestellten Versuch ausdriicklich scheitern labt. Das Zertreten der Gitarre ist ein suizidaler Akt; der Kapellmeister vernichtet damit seine eigene menschenwiirdige Existenz und labt sich zuruckfallen in ein stumpfes, animalisches Dasein, wo kein Unterschied mehr besteht zwischen einem kunstvollen Piano und einem holzernen Tisch, ja, wo er wie ein streunendes Tier rohe Hiihner verzehrt und nachts zum Himmel heult. Wir erinnern uns an das Motiv im ,Rat Krespel*. Mit der von der Mutter zerschmetterten Geige ist der Tod des noch ungeborenen Madchens bereits vorweggenommen, und das splitternde Instrument bei deren wirklichem Sterben spiegelt nur jenes friihere Geschehen. Nicht anders verhalt es sich mit dem Kreisler des Fragments, nur ist er, der Mann mit den „riesenstarken Fausten“, rein physisch zu robust, als dab sein Korper wie der der fragilen Antonie gleichsam von innen her aufgelost wiirde. Von seiner biologischen Energie getragen, lebt er weiter, ein Leben, das seinen angemessenen Ausdruck entweder in der Starrsucht wie am Anfang des Textes oder aber im qualvollen Veitstanz wie an dessen Ende findet. Dab diese beiden Zustande der menschlichen Physis, die in Hoffmanns Werk an zahllosen Orten zu finden sind, einen und denselben Ursprung haben, bestatigt sich hier also erneut. Da mub nun aber die methodische Zwischenfrage gestellt werden, ob es denn angehe, diesem in der ,Nachlese‘ versteckten Prosastiick eine Bedeutung beizumessen, als ob es an dominierender Stelle der ,Kreisleriana‘ oder des spateren Romans stiinde. Wir glauben die Frage bejahen zu diir-

18 Es ist in diesem Zusammenhang interessant, dab das Singspiel in der Erstausgabe der ,Fantasiestiicke‘ dem Kreislerianum ,Kreislers musikalisch-poetischer Klub‘ eingelegt war, und zwar wird es da dem von plotzlicher Verzweiflung erfafiten Kapellmeister zur Beruhigung vorgetragen. 139

fen, und zwar niclit nur wegen der literarischen Qualitat dieser Seiten, sondern auf Grund der Strukturanalyse, die wir gegen Ende des zweiten Kapitels an den Kreisler-Partien des ,Kater Murr‘ vorgenommen haben. Im Roman wie in den ,Fantasiestiicken‘ bemiiht sich Hoffmann, vom Kapellmeister nicht eine Vita im Sinne eines sich entwickelnden Nach- und Auseinanders zu gehen, sondern ihn als Typus erscheinen zu lassen, der die verschiedenen, aus seinem anthropologischen Grundrift sich ergebenden Schicksalsmoglichkeiten simultan, wie von der Mitte eines Kreises aus erfahrt. Es wurde damals gezeigt, daft der schlimmste denkbare Zustand, der ihm offensteht, im Roman durch die Geschichte des Hofmalers Ettlinger reprasentiert wird. Hier nun, im Fragment ,Der Freund', ist ebendies an Kreisler selbst durchgefiihrt, gewissermaften versuchsweise, so als hatte Hoffmann diese Moglichkeit, deren standig drohende Nahe so entschieden zum Wesen des Kapellmeisters der ,Fantasiestiicke' wie des Romans gehort, fur einmal wie in einer Studie, auf einem separaten Blatt, ausarbeiten wollen.19 Unser Unbehagen gegentiber alien Riickschliissen von der Beschaffenheit literarischer Figuren auf das Innenleben des Autors selbst, wie sie gerade bei Hoffmann so oft angestellt werden, haben wir friiher deutlich genug betont, und gerade die hartnackig behauptete Identitat (nicht die Verwandtschaft) Hoffmanns mit Kreisler sei auch hier wieder entschie¬ den bestritten; dennoch darf man wohl mit Griinden sagen, daft die imaginare Gestalt des Kapellmeisters den Dichter spiitestens seit der Bam¬ berger Zeit dauernd begleitet hat und daft er ihm in der erwahnten simultanen Weise als der Liebende wie der Wahnsinnige, der Gutmiitige wie der bose Satiriker, der geniale Komponist wie der Gelahmte standig prasent war. Dies ist eine reine, durch Werk und Zeugnisse belegte Feststellung. Dazu fiigt sich nun auch die Tatsache, daft Kreisler im spateren Roman unter Umstiinden eingefiihrt wird, die ganz mit dem bisher dargelegten Motivfeld verhangt sind. Wir konnen uns hier auf Hinweise beschranken, wie denn dieses Kapitel iiberhaupt den fraglichen Komplex nur exemplarisch abstecken will. Es sei also darauf aufmerksam gemacht, daft die erste Begegnung des Kapellmeisters mit den beiden Madchen Julie und

19 Der Vergleich mit einer Studie ist insofern besonders berechtigt, als die beste und wohl auch bekannteste Zeichnung, die Hoffmann je angefertigt hat und mit der er seine sonstigen, oft iiberschatzten Moglichkeiten als Graphiker deut¬ lich iibersteigt, bis in die Details der Kleidung hinein genau den wahnsinnigen Kreisler des Fragments wiedergibt (vgl. Abbildung 223 in: E. T. A. Hoffmanns Leben und Werk in Daten und Bildern, hg. von Gabrielle Wittkop-Meinardeau. Frankfurt 1968). 140

Hedwiga, deren Leben sich mit dem seinen spater so heillos vernetzt, ganz und mit aufterordentlichem Nachdruck vom Gitarrensymbol bestimmt wird (vgl. III. 337-344). Gitarren-Akkorde, „stark und wild angeschlagen", fiihren die Mlidchen zum Unbekannten; sie horen seinen Monolog an dieses Instrument („Sage mir, du kleines eigensinniges Ding, wo riihrt eigentlich dein Wohllaut, in welchem Winkel deines Innersten hat sich die reine Skala verkrochen?“) (III. 338); sie beobachten, wie er den kostbaren Gegenstand mit jahem Hohn ins Gebiisch schleudert, nach den Worten Julies „wie eine zerbrochene Schachtel“ (III. 339); sie suchen die Gitarre, Julie spielt, Kreisler erscheint wieder, als wiirde er hergebannt, und es kommt zu den ersten Gesprachen, immer um das In¬ strument, aber vieldeutig und mit Nebentonen. Selbst die Analogie zwischen der Gitarre und ihm selbst wird von Kreisler in der uns bekannten Weise erwahnt, wodurch unausgesprochen auch das vorgangige Wegwerfen ein ganz anderes Gewicht erhalt. Einerseits klagt er: „Der wunderbare Geist des Wohllauts, der diesem kleinen seltsamen Dinge befreundet, wohnt auch in meiner Brust, aber eingepuppt, keiner freien Bewegung machtig" (III. 342), andrerseits nimmt er das Instrument mit Zeichen der Erschiitterung von Julie wieder an: „ ,Es ist wahr‘, sprach der Fremde indem er mit Heftigkeit die Gitarre ergriff und an seine Brust driickte, ,es ist wahr, ich warf es fort und empfange es geheiligt zuriick: nie kommt es mehr aus meinen Handen‘“

(III. 343). Dazu muft man

noch wissen (was erst viel spater berichtet wird), dafi Hedwiga, die dem Vorgang beinahe stumm zuschaut, seit dem ersten Blick auf Kreisler von Entsetzen gepackt ist, weil sie an ihm Ziige jenes wahnsinnigen Malers Ettlinger zu erkennen glaubt, dessen Schicksal sie als Kind miterlebt und nie verwunden hat. (vgl. oben S. 68). Alle Dimensionen der Kapell¬ meister-Gestalt sind demnach in diesem kurzen Auftritt so oder anders prasent, zusammengehalten und zum Teil erst sichtbar gemacht durch das Musikinstrument und seine spezifische Symbolik. Auch auf die grofte Katalepsie Hedwigas in der Mitte des Romans, die ausgelost wird mit dem Schuft auf Kreisler und nach Tagen wieder behoben durch jene unvergeftlich-schauderliche Szene, wo der debile Prinz einen Vogel exekutiert, auch darauf gehen wir hier nicht langer ein. Die Ergebnisse wiirden sich von denen des Fragments ,Der Freund' nicht wesentlich unterscheiden. Immerhin sei unterstrichen, daft es sich bei diesen Passagen (III. 488ff und 521 ff) um die wohl intensivste Darstellung der psychosomatischen Starre in Hoffmanns Gesamtwerk handelt.20

20

Vgl. dazu auch ,Die Elixiere des Teufels' (III. 200), wo dargelegt wird, daft die folgenschwere telepathische Urbegegnung des Monchs mit Aurelie in einem Moment zustande kam, wo diese in Starrsucht lag.

Es mulS Einzelinterpretationen iiberlassen bleiben, die spezifische Bedeutung des Topos innerhalb des jeweiligen Sinnzusammenhanges herauszuarbeiten, Einzelinterpretationen allerdings, die von einer griindlichen Kenntnis des ganzen erzahlerischen Schaffens ausgehen und nicht, wie es allzuoft vorkommt, die Motive irgendeiner Novelle mit ahnlichen Themen aus dem Arsenal der friihen und mittleren Romantik in Zusammenhang bringen. Das flihrt ja meistens nicht viel weiter als zur Konstatierung einer gewissen Verwandtschaft Hoffmanns mit gewissen Zeitgenossen, an der ohnehin niemand zweifelt. Nicht in den Gemeinsamkeiten mit der iibrigen romantischen Generation liegen die ungelosten Probleme der Hoffmann-Forschung, sondern in den Differenzen, dort, wo er sich als ein Einzelner und Einmaliger erweist. So ware es beispielsweise unschwer, das Thema der Korperstarre in der damaligen oder damals aktuellen Literatur zu verfolgen. Der Armenier in Schillers ,Geisterseher'21 ware da neben Albanos Vater im ,Titan'22 zu stellen und neben den Grafen vom Strahl im ,Kathchen von Heilbronn1;23 ebenso wie vom Anfang des Klingsohr-Marchens im ,Heinrich von Ofterdingen' kdnnte man von den Lebenden Bildern in den ,Wahlverwandtschaften‘ reden, vom „Steinernen Bild der Mutter" in Brentanos ,Godwi‘ oder dem Automaten-Motiv in Buchners ,Leonce und Lena'. Aber dariiber verwischte sich Hoffmanns besondere Problematik mehr und mehr, und gewonnen ware zuletzt nichts weiter als ein Epocheniiberblick auf viel zu schmaler Basis. Wir verzichten daher bewufit auf solche Querverbindungen, wenn sie nicht ein klares Ergebnis im Sinne einer Differenzialdiagnose versprechen. Eine merkwiirdige und hochst eindriickliche Versinnlichung seines fundamentalen Dilemmas gelingt Hoffmann in einer Szene der Erzahlung ,Die Doppeltganger', eines Werks, das hier im iibrigen nicht zur Rede steht. Der fragliche Abschnitt ist ohnehin mit der Gesamthandlung nur lose verhangt und ragt auch qualitativ ganz entschieden iiber diese hinaus. Dem entspricht die Tatsache, da£ der Autor das gleiche Geschehnis schon in den ,Elixieren‘ einmal schilderte (IE 250). Offensichtlich hat ihn der Vorgang an sich fasziniert, unabhangig vom Handlungskonnex, und spater zu einer erneuten Bearbeitung gereizt. Die Passage ist nicht nur deshalb beachtlich, weil sie den Reichtum an Erfindungen zeigt, iiber den Hoffmann zur Konkretisierung konstanter Themen verfiigt, sondern auch weil sich von hier aus eine iiberraschende Beziehung zur friiher 21 Schiller, samtliche Werke, hg. von Gerhard Fricke und Herbert G. Gopfert. Miinchen 1967 (4), Bd. V, S. 78. 22 Jean Paul, Werke, a.a.O. Bd. Ill, S. 37. 23 II. Akt, 9. Auftritt.

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schon einmal angegangenen Novelle ,Das Geliibde' eroffnet. Berthold, ein Hoffmanscher Jiingling von iiblichem Zuschnitt, trifft in einem Dorf auf ein Gauklerpaar, eine Zigeunerin und einen jungen Mann, die pfeifend und trommelnd ein Puppenspiel ankiindigen. Der Bursche beeindruckt ihn auf unerwartete Weise, schon weil er, ganz ahnlich wie der Kreisler des Fragments, in Kleidern aus den verschiedensten Epochen daherkommt. Die Marionettenbiihne wird aufgeschlagen, und die Vorstellung entwickelt sich „nach gewohnlicher italienischer Art“. Dann aber passiert etwas Seltsames. „Das Spiel schien geendet, als plotzlich der Puppenspieler sein, zur furchtbaren Fratze, verzerrtes Antlitz emporhob in den Raum der Puppen und mit todstarren Augen gerade hin in den Kreis blickte. Pulcinell von der einen Seite, der Doktor von der andern schienen iiber die Erscheinung des Riesenhaupts sehr erschrocken, dann erholten sie sich aber, beschauten sorglich mit Glasern das Antlitz, betasteten Nase, Mund, die Stirn, zu der sie kaum hinauflangen konnten, und begannen einen sehr tiefsinnigen gelehrten Streit fiber die Beschaffenheit des Haupts und auf welchem Rumpf es sitzen konne oder ob iiberhaupt ein Rumpf als dazugehorig anzunehmen. Der Doktor stellte die aberwitzigsten Hypothesen auf [...] Pulcinell behauptete dagegen, daB das Haupt ein Ungliicklicher sei, dem vor vielem Denken und tollen Gedanken der Rumpf abhanden gekommen und der nun bei dem ganzlichen Mangel an Fausten sich gegen Ohrfeigen, Nasenstiiber u. dgl. nicht anders wehren konne als durch Schimpfen. - Berthold merkte bald, daB hier nicht der Scherz gait, der ein schaulustiges Volk ergotzen kann, sondern da£ der finstre Geist einer Ironie spuke, die dem mit sich selbst entzweiten Innern entsteigt. Das konnte sein frohes freundliches Gemiit nicht ertragen, er begab sich weg ..(IV. 458). Was in diesem bedeutenden Prosaabschnitt passiert, muft als freiwillige Marionettisierung bezeichnet werden, als ein bewuGtes und absichtliches Sich-zur-PuppeMachen. Wenn wir die Katalepsie den morbus sacer der Hoffmannschen Helden genannt haben, so liegt hier der Fall vor, da£ sich einer willentlich in diese Verfassung stiirzt. Die Vorgeschichte braucht dabei nicht beachtet zu werden, sie halt sich im Rahmen dessen, was den Protagonisten iiblicherweise zu schaffen macht. Es sei nur soviel erwahnt, daft sich der Puppenspieler wenig spater als der langvermiftte Freund des Zuschauers Berthold erweist, ein junger, von ungliicklicher Liebe umgetriebener Maler. Was nun aber diesen Vorgang von den verschiedenen Formen der Starre, denen wir bisher begegnet sind, unterscheidet, ist der Spielcharakter. Denn der Mann fiihrt ja gleichzeitig mit jeder Hand eine der Marionetten, die iiber seinen, von den GroBenverhaltnissen der Biihne aus kolossalischen Kopf diskutieren. Er versucht also, durch einen M3

dialektischen Sprung seine Ausweglosigkeit zu iiberwinden; er inszeniert seine „Metallisierung“ selbst, um im Gelachter dariiber zur Freiheit vorzustofien. Indem er seinen Kopf durch das Spiel seiner zu Puppen gemachten Hande als einen riesigen und ratselhaften Gegenstand erscheinen lalk, mit dem er in keiner Weise identisch sein kann, fahrt er fiir die Dauer der Auffiihrung tatsachlich aus seiner Haut. Aber eben nur auf so lange, und diese Begrenzung macht die grundsatzliche Aporie nur umso deutlicher. Von da aus offnet sich nun, wie erwahnt, der Zugang zum letzten der Beispiele, mit denen die im metallisierten Brautigam verdichtete Symbolik ausgefachert und in ihrer Schliisselfunktion fiir das Gesamtwerk sichtbar gemacht werden soil. Wir meinen jenen Teil der Erzahlung ,Das Geliibde', der zu dem Titel gefiihrt hat. Im vorigen Kapitel wurde das Werk beigezogen als Beleg fiir eine wichtige Dimension des TeraphimKomplexes. Man erinnert sich: die Polin Hermenegilda nimmt ihre Puppe halb spielerisch, halb medial fiir ihren Geliebten; ein fremder Offizier schiebt sich mit boser Berechnung in diese Teraphim-Rolle; die Frau empfangt von ihm ein Kind, glaubt aber den in Trance „geschauten“ fernen Geliebten als Vater. Wie sie die Wahrheit erfahrt, leistet sie jenes Geliibde, nach welchem die Geschichte benannt ist. Wir geraten hier, indem wir diesen Erzahlinhalt als solchen wiedergeben wollen, einmal mehr vor die Frage, ob die kunstvoll gewahlten und durchgehaltenen Perspektiven, aus denen die Geschehnisse gesehen und berichtet werden, ohne weiteres aufgelost und die Fakten so referiert werden diirfen, als ob sie von einem auktorialen Erzahler mitgeteilt waren. Denn die tief symbolische Tat, aus der das fragliche Geliibde besteht, erhalt erst durch die raffiniert gesteigerte Spannung und die nur stiickweise gegebene und immer wieder verzogerte Antwort, durch novellistische Kunstmittel also, ihr ganzes Gewicht. Bei einem niichternen Berichten der Tatsachen in ihrer realen Chronologie nimmt sich das Versprechen nur wie ein Anhangsel zum Teraphim-Geschehen aus, zum unheimlichen Tausch der Brautigame und zur Zeugung des Kindes; in der Novelle selbst hingegen, und deren innere Ordnung ist denn doch wohl die entscheidende Realitat, steht von Anfang an alles unter dem Zeichen dieses Symbols und die seltsame Hochzeit wird erst nach dem erfolgten Tod der ungliicklichen Frau riickblickend berichtet. Dem entspricht auch, dafi das Werk eben ,Das Geliibde' heiBt und mit Griinden heiften kann. Wir miissen also versuchen, die vom Autor gesetzten Akzente nicht zu verschieben. Die Fieldin der Geschichte erscheint zuerst als eine tiefverschleierte Frau, die auf hoheren Befehl beim Biirgermeister eines polnischen Grenzstadtchens absteigt und ein Zimmer bezieht, wobei die so neu144

gierige wie besorgte Hausfrau bald bemerkt, daB der stille Gast schwanger ist und nahe vor der Geburt steht. Sie kommt offensichtlich aus einem Kloster, eine Abtissin hat sie herbegleitet, und sie richtet ihr kleines Zimmer gleich mit monastischer Strenge ein. Obwohl sich mit der Zeit eine gewisse wortkarge Vertraulichkeit zwischen ihr und den Frauen des Hauses ergibt, legt sie die mehrfachen Schleier Tag und Nacht nie ab. Und darauf legt der Autor nun ganz deutlich den Hauptakzent. Selbst die ratselhafte Schwangerschaft nimmt sich in seiner Erzahlfiihrung neben dieser Verschleierung als etwas Nebensachliches aus, das die Neugier weit minder erregt. Nur nach und nach und in iiberlegter Stufung wird der Blick hinter diese Tiicher und Hullen freigegeben. Eine erste Ahnung bekommen wir kurz nach der Ankunft. Der Gast nimmt, von Atemnot bedrangt,

den

auBersten

Schleier,

„den grofien

schwarzen

Kreppflor“ (L 562), voriibergehend ab. Die Burgermeisterin spricht dariiber zu ihrem Mann. „ ,Nun was sahst du dennc, fiel der Alte der Frau, die zitternd sich umschaute, als erblicke sie Gespenster, in die Rede. ,Nein‘, sprach die Frau weiter, ,die Gesichtsziige konnte ich unter den diinnen Schleiern gar nicht deutlich erkennen, aber wohl die Totenfarbe, ach die grauliche Totenfarbe‘“ (L 5 62). Was in der Folge an der Tatsache dieser Verhiillung am meisten irritiert, ist, daB die Frau ohnehin niemandem im Hause bekannt sein kann, dafi nicht ersichtlich ist, warum ein vollig fremdes Gesicht in vollig fremder Umgebung versteckt zu werden braucht: „Wozu also die Verhiillung? - Die geschaftige Fantasie der Weiber erfand bald ein grauliches Marchen. Ein fiirchterliches Abzeichen (so lautete die Fabel), die Spur der Teufelskralle, hatte das Gesicht der Fremden graBlich verzerrt, und darum die dicken Schleier" (I. 564). Wenig spater gelingt der Tochter des Biirgermeisters ein weiterer Blick: „Der Zufall wollte, dal? eines Tages, als die Tochter der Fremden die Speisen in das Zimmer brachte, der Luftstrom den Schleier erfaBte und aufhob; mit Blitzesschnelle wandte sich die Fremde, so dafi sie sich in demselben Moment dem Blick des Madchens entzog. Diese kam aber erblafit und an alien Gliedern zitternd herab. Keine Verzerrung, aber so wie die Mutter ein totenbleiches, hatte sie ein marmorweifies Antlitz erschaut, aus dessen tiefen Augenhohlen es seltsam hervorblitzte" (I. 564). Einige Tage darauf kommt die Unbekannte in die Wehen; sie liegt „in ihre Schleier gewickelt" auf dem Bett, und so bleibt sie auch wahrend der Geburt. „Die Wehmutter hatte ihr schworen miissen, daB, trete ja ein Zustand der Bewufitlosigkeit ein, doch die Schleier nicht geliipft werden sollten, aufier von ihr, der Wehmutter selbst, im Fall der Todesgefahr" (I. 5 65). Ein Knabe wird geboren; alles freut sich, und der Burgermeister selbst bittet die Frau, nun doch die Hullen zu entfernen, worauf sie „mit dump-

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fem feierlichen Ton“ erwidert: „Nur im Tode fallen diese Schleier" (I. 565). Wir geben das alles so ausfiihrlich wieder, weil der Aufwand, den Hoffmann mit dem schliefilich zu berichtenden einfachen Faktum treibt, fur dessen Verstandnis und Ausdeutung entscheidend ist. - Diese Wahrheit tritt in einer schlimmen Szene an den Tag. Ein Offizier sprengt vors Haus (es ist der Vater des Kindes); er reifit der Frau den Saugling aus den Armen, stoftt die Schreiende mit einem Fufitritt weg und jagt davon. Der dramatische Vorgang ist, genau betrachtet, als Glied der Novellenhandlung weniger wichtig denn als ein Aktionssubstrat, das dem Autor ermoglicht, die Schleier endlich zu liiften. Der Kampf zwischen den seltsamen Eltern spielt sich in Gegenwart des Biirgermeisterpaars ab, mit dessen Augen auch der Leser alles sieht. Die erste Szene, die sie wahrnehmen, als sie hinzustiirzen, nimmt sich aus wie ein Lebendes Bild, wie das Modell zu einer pathetischen Marmorgruppe: „Der Reiter [...] hatte den Knaben aus der Wiege gerissen und in den linken, mit dem Mantel umschlungenen Arm genommen; den rechten hatte Colestine24 erfaBt, alle Kraft aufbietend, den Rauber des Kindes zuriickzuhalten.“ (L 566). Aus diesem gleichsam erstarrten Moment, einer formsicher eingesetzten Minimalexposition, entwickelt sich nun mit zuckender Geschwindigkeit die brutale Katastrophe: „Im Ringen rifi der Offizier den Schleier herab - ein todstarres marmorweifies Antlitz, von schwarzen Locken umschattet, blickte ihn an, gliihende Strahlen aus den tiefen Augenhohlen schieftend, wahrend schneidende Jammertone aus den halbgeoffneten unbewegten Lippen quollen. Der Alte nahm wahr, dafi Colestine eine weifie, dicht anschliefiende Maske trug“ (L 566). Hoffmann bemiiht sich, uns dieses Bild, auf das es ihm so sehr ankommt, ganz und ausgeformt vor Augen zu stellen. Obwohl mit dem obigen Zitat das Ratsel gelost ist, fiirchtet er, daft der erregte Leser nur die Tatsache der Maske zur Kenntnis nehmen und die Szene nicht griindlich genug schauen konnte. Er setzt deshalb noch einmal an, beschreibt, wie die Frau die Knie des Offiziers umfafit und man ihre Stimme vernimmt „mit dem Ausdruck des unsaglichsten Schmerzes, mit einem Ton, der das Herz durchschnitt“ (E 566); er zitiert auch ihre jammernden, wimmernden Worte, - alles um zuletzt sagen zu konnen: „Und bei diesen Jammertonen regte sich keine Muskel, regten sich nicht die Lippen des Totenantlitzes, so dafi dem Alten, der Hausfrau - alien, die ihm gefolgt, vor Grauen das Blut in den Adern stockte!“ (I. 566). Auf die Maske also, die „marmorwebSe“, das ganze Gesicht und sogar die Lippen deckende Maske lauft alles hinaus.

24 Unter diesem Namen wird Hermenegilda bei den Hausleuten eingefiihrt; es ist auch ihr Klostername als Laienschwester (vgl. I. 585). 146

Sie bis zum Tod zu tragen, darin besteht das Geliibde, das die Frau getan hat, als sie die Wahrheit iiber ihre Hochzeitsnacht erfuhr. - Was aber sollen diese Schleier; was treibt den Erzahler zu solchen Umstanden, wo er doch weift, daft er seinen Lesern ebensogut von Anfang an die maskierte Frau zumuten konnte? Spannung und Wahrscheinlichkeit lieften sich dabei ohne Schwierigkeiten auf gleicher Hohe halten. Hoffmanns Beweggrund wird erst ersichtlich, wenn man sich iiberlegt, daft das Verschleiern einer Maske fur das unmittelbare Empfinden, fur unsere konventionelle Vorstellung von diesen Dingen, etwas entschieden Widerspriichliches hat. Eine Maske tragen heiftt sich verhlillen, sein Gesicht auf Unerkennbarkeit hin iiberdecken. Das gleiche aber tun die mehrfachen, schweren Schleier. Eine Potenzierung also? - Das ist deshalb ausgeschlossen, weil die ganze nachgezeichnete Handlung auf das Fallen der Hullen, auf die Demaskierung nicht des Gesichts, sondern eben der Maske zielt. Die Schleier konnen mithin nur eine Funktion haben: sie miissen verhindern, daft die Maske als Verkleidung des Gesichts erscheint; po~ sitiv sprechend: sie miissen die Maske als das Gesicht, die Identitat beider, die vollzogene Transformation

des Gesichts zur marmorweiften

Schale erweisen. Darin liegt das vorerst unbestimmt Bedrangende der Geschichte, das man allzuschnell in Gefahr ist, als schauerromantischen Effekt abzutun. Und es ist denn auch nur folgerichtig, daft die Hausfrau, kaum ist der Reiter weg, diese Enthiillung wieder ruckgangig macht: „Nicht vermogend den Anblick der Maske zu tragen, hing sie ihr die Schleier um, die auf dem Boden lagen“ (I. 567). Die Verwandtschaft zum metallisierten Brautigam entdeckt sich spontan. Nun haben wir aber im Verlauf des Kapitels festgestellt, daft kaum je von einem eigentlichen Wiederholen des zentralen Sinnbilds gesprochen werden kann, sondern vielmehr eine Art Ausfaltung in die auch untereinander stark differierenden Segmente eines Metaphernzirkels vorliegt. In ihnen tritt bald dieser, bald jener Aspekt, die andern iiberschattend, verstarkt ans Licht. So ist die am unversehrten Elis iiberwaltigende Tatsache, daft er durch die Metallisierung den Moment korperlicher Vollendung, den sonst so rasch durchglittenen Kulminationspunkt zwischen Jugend und ersten Alterszeichen, in unbewegte Dauer umsetzt und dergestalt die wesenhafte Zeitlosigkeit des ,Karfunkelsc mit einer knappen Gebarde zeigt, aus keinem der verwandten Bilder direkt zu erschlieften. Dennoch sind sie alle ohne das Wissen um diese Dimension nicht voll erfafit, wie wir auch die Essenz der gemalten Geliebten erst da in ihren letzten Zusammenhangen begreifen konnten, als wir sie, im Malerbuch der ,Elixiere‘, kontrastiert fanden mit dem jahen Pesttod der lebendigen Frau, mit der in einem einzigen Augenblick vollzogenen Seneszenz des 147

makellosen Leibes zur verschrumpften Hafilichkeit (vgl. oben S. 66). Wel¬ ches also ist die besondere Nuance, die im Rahmen des nun Bekannten an diesem Geltibde anschaulich wird? Man darf sagen, dafi sie in der Freiwilligkeit und Radikalitat des Aktes liegt. Hermenegilda entscheidet sich selbst zu ihrer dauernden Petrifizierung.25 Die Nachricht davon wird ganz am Schlufi der Novelle gegeben, und zwar hei£t es ausdriicklich, da£ die Frau damit nicht eine ewige Folter auf sich nimmt, sondern im Gegenteil erst durch dieses Tun „Trost“ und „Ruhe“ findet (I. 585). Eine gewisse Parallele zu jenem vorher erwahnten Puppenspieler liegt al¬ so vor, der sich zur Marionette macht, nur ist das, was dort eine wiederholte Geste ist, eine Kapriole mit ernsthaftem Hintergrund und zu ernsthaftem Zweck, hier mit unerbittlicher Konsequenz durchgefiihrt. Her¬ menegilda kommt unter dem Einflufi eines Monchs zu ihrem Entschlufi, und auch der Begriff des Geliibdes ist durchaus in Anlehnung an die bindende monastische Initiation gebraucht. Wir erwahnen das deshalb, weil man sagen mufi, dafi die „Abgeschiedenheit“ der Helden Hoffmanns wenn das alte Wort der Monche hier gebraucht werden darf - im letzten und griindlichsten eine Abgeschiedenheit aus dem eigenen lebendigen Korper ist, aus der biologischen Wesenheit, die nicht nur mit einer Hiille verglichen, sondern wortlich und entschlossen zu einer harten Kapsel gemacht wird. Durch diese freiwillige Tat kann Hermenegilda iiberhaupt am Leben bleiben, das wird an der erwahnten Stelle deutlich genug. Und wenn wir eben die Welt des christlichen Anachoretentums gestreift haben, so miissen wir nun gleichzeitig betonen, daB die Maske nicht und niemals als Kastigation verstanden werden darf, obwohl der Pater Cyprianus, der die Frau dazu bewegt, berufsgemafi mit solchen Gedanken umgeht. Es gibt nur eine richtige Deutung: Hermenegilda spielt den Zustand. auf den sie seit dem Augenblick ihrer Einsicht in die totale Inkommensurabilitat zwischen dem energetischen Kern des Innern und allem ubrigen Begegnenden unausweichlich angelegt war, sie spielt ihn mit tiefstem Ernst und ohne das geringste Schwanken, und sie bewahrt sich so vor dem Schicksal des vertierten Kreisler am Anfang des Fragments, der entweder in der Starre liegt oder wolfisch durch die Walder streicht. Wie genau dies zutrifft, wird durch das Faktum bewiesen, dafi in dem Mo¬ ment, wo das labile Gleichgewicht,

in

dem

ihre Existenz dergestalt

schwebt, gestort wird — vielleicht miifite man sogar sagen: wo es sich als Selbsttauschung entlarvt? - die Katalepsie tatsachlich eintritt. Als der Reiter mit dem geraubten Kind verschwunden ist, heifit es: „DieHausfrau

25

Vgl. den mehrfachen Hinweis Hoffmanns auf die ,Marmorweifie‘ der Maske, womit auf Steinernes, Versteinertes deutlich angespielt wird.

148

voll Herzensangst, wie es nun um Colestinen stehen, und was nun mit ihr anzufangen sein wiirde, iiberwand ihr Grauen vor der entsetzlichen Totenmaske, und eilte herauf ihr beizustehen. Wie erstaunte sie, als sie Co¬ lestinen mitten im Zimmer gleich einer Statue mit herabhangenden Ar¬ men lautlos stehend fand. Sie redete sie an, keine Antwort [...] kein Re¬ gen und Bewegen. Colestine war in einen automatischen Zustand gesunken“ (I. 567). So bleibt sie auch, als die Abtissin sie abholt; sie labt sich wie eine Puppe „starr und lautlos, ohne Zeichen eignen Widens und eigner Willkiir, fortfuhren und in den Wagen setzen“ (I. 567). Und der Autor gibt Grund zur Annahme, dab sie bis zu ihrem „bald darauf" eintretenden Tode so geblieben ist. Doch nun sind wir Rechenschaft schuldig! Zwei Kapitel lang haben wir die Theorie des „Prozesses“ entwickelt als des Wegs der Hoffmanschen Helden zur Freiheit, zu einer seligen, iiber alle Schranken reibenden Begegnung mit dem ahnungslos besessenen Absolutum, mit der alterslosen, schaffenden Schonheit der imaginativen Mitte. Desgleichen haben wir auch gezeigt, dab dieser „Prozeb“ in vielen Fallen scheitert, weil der Held die notwendige Umkehr vom schonen oder schrecklichen Projizierten zum Ursprung der Projektion nicht zu leisten vermag, und dab das Wunderbare und der Horror immer von einer und derselben Herkunft sind. In diesem vierten Kapitel aber wurde nun erklart, belegt und bewiesen, dab der gleiche anthropologische Grundrib, auf dem der „Prozeb“ basiert, von Hoffmann mit erschiitternden Symbolen immer und immer wieder zur Anschauung gebracht wird als eine Aporie im urspriinglichen Wortsinn: einen Ort ohne Ausweg. Mit unserer Behauptung anlablich der Interpretation der ,Bergwerke zu Falun1, die Metallisierung des Hel¬ den diirfe nicht als Ausdruck eines gescheiterten „Prozesses“ genommen werden, sondern sei die Versinnlichung der unausweichlichsten Konsequenz, haben wir uns bewubt dem Vorwurf widerspriichlicher Gedankenfiihrung ausgesetzt. Zu beidem miissen wir stehen: zum erstarrten Elis als dem Zeichen letzter menschlicher Unerlosbarkeit und zum gliicklichen Giglio Fava, der auf der romischen Commedia-Buhne ein auf alle Zeit befreites Dasein antritt. Und wir konnen auch dazu stehen, ohne den Schriftsteller Hoffmann der Widersinnigkeit anklagen zu miissen. Denn, um es gleich an Hand der eben erwahnten Gestalten zu sagen: der metallisierte Brautigam erweist das Leben Giglio Favas als Utopie. Wo immer der „Prozeb“ gelingt, miindet er in Wahrheit aus in einen utopischen Bereich, dessen Grenzen, ist man einmal aufmerksam geworden, deutlich erkennbar sind. Es ist eine spezifisch Hoffmansche Utopie, ohne jenes geheime Vertrauen 149

in die fortschreitende Geschichte, das solchen Entwiirfen sonst so haufig eigen ist und das einer blinden Gegenwart die Augen offnen mochte fiir die Moglichkeiten des Kommenden. Dieses „Land Nirgendwo“ ist und bleibt auBerhalb von Zeit und Geschichte; als „Atlantis“ hat es der Dichter am Ende des ,Goldnen Topfs' zum erstenmal vorgestellt, und die Beschreibung behalt ihre Giiltigkeit fiir das ganze spatere Werk, fiir alle Helden, die in eine freie Zukunft entlassen werden. Auch wenn ihr Ziel scheinbar viel wirklicher ist, wenn es „Rom“ heifit oder „Italien“, es ist zuletzt doch immer eine im Leeren schwebende, lichtvolle Konstruktion, ein paradis artificiel mit wechselnden Namen. Die stereotype Formel, die Hoffmann jedesmal braucht, wenn einer seiner jungen Maler sich selbst gefunden hat und nach Siiden zieht, in die heitere Gemeinschaft der Deutschromer, ist: „das Land der Kunst“. „Ihr nach ins Land der der Kunst“, ruft Traugott im ,Artushof‘ aus (II. 163); Edmund in der ,Brautwahl‘ gesteht: „Sosehr mein Inneres entbrannt ist in Liebe zu der holden Albertine, sosehr erfiillt mich doch die Sehnsucht nach dem Lande, das die Heimat meiner Kunst ist“ (II. 577); und Reinhold im ,Meister Martin' schlieBt sein Niirnberger Abenteuer mit den Worten: „Wie konnt ich auch nur der gottlichen Kunst abtriinnig werden! - bald werd ich mich wieder baden in deinen gliihenden Diiften, herrliches Land, du Heimat aller Kunst!" (II. 462). Wenn wir diese Satze mit dem Schlufi des ,Goldnen Topfs' vergleichen, wo berichtet wird, dafi Anselmus „nun nach dem geheimnisvollen wunderbaren Reiche gezogen (sei), das er fiir die Heimat erkannte, nach der sich seine von seltsamen Ahnungen erfiillte Brust schon so lange gesehnt" (I. 250), dann sehen wir sogleich, daB dieses Atlantis und jenes Italien identisch sind: eine Idee, eine utopische Biihne, die es dem Dichter ermoglicht, seine Geschichten zu Ende zu bringen, ohne die Helden in Wahnsinn, Katalepsie oder Veitstanz zu stiirzen. Deshalb hiitet er sich auch mit sicherer Witterung vor dem detaillierten Ausmalen dieses „Landes“; die Formel geniigt; die Kiinstler verschwinden in dieser ihrer „Heimat“ wie durch farbige Vorhange hindurch, und der Leser hat an ihre dauernde Seligkeit zu glauben. In der Novelle ,Signor Formica', die, ebenfalls eine Malergeschichte, Rom selber zum Hintergrund hat, setzt er am SchluB zu dem entsprechenden Zweck durchaus folgerichtig Florenz ein, wahrend Rom als ein Ort der Mifigunst, der Niedertracht, ja der mbrderischen Verfolgung des Kiinstlers erscheint. Er braucht immer eine Region auBerhalb des von der jeweiligen Erzahlung abgesteckten Lebensbezirks; spielt diese in Deutschland, ist es ein monokolores „Italia“ (II. 58); spielt sie in Rom, ein analog eingeftihrtes „Florenz“. In dem letzteren Fall wird Hoffmann sogar noch ausfiihrlicher, als wir es sonst gewohnt sind, und schlagt mit seiner Beschreibung

der toskanischen Kunstler-Utopia gleichzeitig eine Briicke zum „Atlantis“ des ,Goldnen Topfs', das die Urform all dieser Erfindungen ist und auf das wir bald noch niiher eingehen miissen. Gegen Ende des ,Signor Formica' also heilk es: „Er begab sich, eingedenk der wiederholten Aufforderungen des Herzogs von Toskana, nach Florenz. Hier war es nun, wo dem gekrankten Salvator aller Verdrufi, der ihm in Rom zugefiigt worden war, reichlich vergiitigt, wo ihm alle Ehre, aller Ruhm, seinem Verdienst gemaB, in reichlichem Mafi gespendet wurde. Die Geschenke des Herzogs, die hohen Preise, die er fur seine Gemalde erhielt, setzten ihn bald in den Stand, ein grofies Haus zu beziehen und auf das prachtigste einzurichten. Da versammelten sich um ihn her die beriihmtesten Dichter und Gelehrten der Zeit; es ist genug, den Evangelista Toricelli, den Valerio Chimentelli, den Battista Ricciardi, den Andrea Cavalcanti, den Pietro Salvati, den Filippo Apolloni, den Volumnio Bandelli, den Francesco Rovai zu nennen, die sich

darunter befanden.

Man trieb

Kunst und Wissenschaft im schonen Bunde vereinigt, und Salvator Rosa wubte den Zusammenkiinften ein fantastisches Ansehen zu geben, das den Geist auf eigene Weise belebte und anfeuerte. So glich der Speisesaal einem schonen Lusthain mit duftenden Biischen und Blumen und platschernden Springbrunnen, und selbst die Speisen, die von seltsam gekleideten Pagen aufgetragen wurden, sahen wunderbar aus, als kamen sie aus einem fernen Zauberlande“ (IE 831). Die Stelle ist fur die Arbeitsweise des Schriftstellers Hoffmann aufschluftreich. Wir sind namlich iiber die Fachliteratur, die er benutzt hat, genau orientiert; sie ist so reichhaltig, dafi man an die Methoden eines Thomas Mann erinnert wird. Der Kommentar der Winkler-Ausgabe zahlt zehn Werke auf, die der Dichter von Bibliothekaren und Freunden „auf das dringlichste" (an Chamisso, 27. Jan. 1819) zu erhalten suchte, und dies sind nur die zufallig iiberlieferten Titel. Die hartnackig tradierte Meinung, Hoffmann habe seine Erzahlungen und Romane rauschhaft hingewiihlt, mufi sich vor solchen Tatsachen endgiiltig verfliichtigen, - wie wir denn auch nicht der Ansicht sind, dab sich bei der literarischen Produktion dieses Mannes der Jurist vom Dich¬ ter vollig habe abspalten miissen. Doch dies nur als Randbemerkung. Viel wichtiger ist es zu zeigen, wie in dem zitierten Abschnitt das dokumentarische Material-die Namen stammen alle aus Jagemanns ,Magazin der Italienischen Litteratur und Kiinste' (Weimar 1780-85) - iiberformt wird zur Vision einer utopischen Kunstlergesellschaft, zu einem „Atlantis“, das als historische Realitat vorgestellt wird. Wesentlich ist dabei vor allem die Tatsache, daft Hoffmann den ganzen „schonen Bund“ (II. 831) zuletzt noch in eine artifizielle Natur hinein versetzt, in einen

kUnstlichen Park im Innern des Hauses. Es ist dies namlich eine Konstante seiner Erzahlwelt, welcher der entschiedenste Symptom-Charakter zukommt: an den kiinstlichen Baumen und Blumen erkennt man Atlan¬ tis! Als fiirchte Hoffmann, die florentinische Ideal-Gesellschaft konnte vom Leser nicht in ihrer Bedeutung als das ganz andere, die nur zu triiumende, aber nirgends zu findende Insel erfaftt werden, hangt er der sachlichen Deskription unvermittelt und mit einem einzigen Satz diesen privaten Topos an, obwohl dessen Aussagekraft sich nicht aus der Erzahlung selber erschlieftt, sondern nur dem sorgsamen synoptischen Angehen des Gesamtwerks. Die schlieftliche Initiation der Helden in den groften Arbeiten ,Prinzessin Brambilla' und ,Meister Floh‘ spielt sich vor der gleichen surrealen Staffage ab. In dem ersteren Stuck betritt Giglio Fava den Festsaal des Palastes Pistoja: „Aber herrlicher, viel herrlicher sah es jetzt in diesem Saal aus, als damals. Denn statt der einzigen Ampel, die den Saal erleuchtete, hingen jetzt wohl hundert ringsumher, so daft alles ganz und gar in Feuer zu stehen schien. Die Marmorsaulen, welche die hohe Kuppel trugen, waren mit iippigen Blumenkranzen umwunden [...] Und unter harmonischem Glockengeton, Harfen- und Posaunenklang, begann sich alles zu regen und wogte durcheinander. Die Kuppel stieg auf und wurde zum heitern Himmelsbogen, die Saulen wurden zu hohen Palmbaumen, der Goldstoff fiel nieder und wurde zum bunten gleiftenden Blumengrund und der grofte Kristallspiegel zerfloft in einen hellen herrlichen See [...] Kiihle balsamische Diifte wehten durch den unabsehbaren Zaubergarten voll der herrlichsten anmutigsten Biische und Baume und Blumen“ (IV. 318ff). In dem zum See gewordenen Spiegel erkennen sich gleich darauf Giglio und Giacinta als Prinz und Prinzessin. Und es wird ausdriicklich gesagt, daft der artifizielle Garten als Gleichnis fiir ihre ganze spatere Existenz als Commedia-Spieler steht, genauer: fiir das Theater, auf dem und in dem sie leben und das als eine „kleine Welt" in die „grofte Welt“ eingeschlossen sei (IV. 324!). Man mag einwenden, daft hier nicht von Utopie gesprochen werden konne, da die Commedia dell’ arte schlieftlich eine allgemein bekannte historische Tatsache sei. Aber wie Hoffmann die florentinische Akademie, von der ihm seine Bucher berichteten, im ,Signor Formica' umgestaltet und gesteigert hat zum idealischen Schaubild, so tut er dies auch hier in noch viel nachdriicklicherer Weise. Als sich die beiden ein voiles Jahr nach der Szene im Palast Pistoja daran erinnern, ruft Giglio aus: „Es liegt wie ein schoner Traum hinter mir, das Urdarland — der Urdarsee! - Aber nein! - es war kein Traum - wir haben uns erkannt!" Und Hoffmann berichtet weiter: „Und nun umarmten sie sich aufs neue und lachten laut auf und riefen durcheinander: ,Dort liegt Persien - dort Indien - aber hier Bergamo 152

— hier Frascati — unsere Reiche grenzen — nein nein, es ist ein und dasselbe Reich in dem wir herrschen, ein machtiges Fiirstenpaar, es ist das schdne herrliche Urdarland selbst - Ha, welche Lust!‘ Und nun jauchzten sie im Zimmer umher und fielen sich wieder in die Arme und kiiftten sich und lachten. —“ (IV. 323). Obwohl sie bei diesen geographischen Querspriingen natiirlich an die Gepflogenheiten der Commedia denken, wo die italienischen Lokaltypen an den Kaiserhofen von Indien und Chi¬ na erscheinen, macht der ganze Duktus der Stelle doch deutlich genug, dafi hier ein Triumph iiber die ganze reale Welt, liber alles „Aufien“ gefeiert wird, der allein moglich ist auf einer imaginaren Ebene, in dem objektivierten, zur leuchtenden Sphare ausgeworfenen Utopia, das ein Johannes Kreisler nur als die sengenden Feuerspiele seines Innern erfahrt. Dafi Hoffmann dies in eine so iiberzeugende Verbindung mit dem romischen Narren- und Maskentheater zu bringen vermochte, darf als ei¬ ner seiner gliicklichsten Funde betrachtet werden. Denn so verbliiffend unmittelbar ist es ihm sonst nie gelungen, dem kiinstlichen Zaubergarten augenscheinliche Dauer zu verleihen. Am Schluh des ,Meister Floh‘ jedenfalls, wo der Topos genau gleich eingesetzt wird, sieht er sich schon bald zu angestrengtem und anstrengendem Allegorisieren gezwungen, wie er denn iiberhaupt den Grundansatz dieses Werks, zwei Helden, Peregrinus und Pepusch, parallel und doch als gegensatzliche Typen ihren Weg zu fiihren, nicht ganz bewaltigt hat. Doch brauchen wir uns hier um diese Frage nicht zu kiimmern, wichtig ist nur die Hartnackigkeit, mit der der Dichter auch da am Symbol der kiinstlichen Natur festhalt. Wir zitieren die zentrale Passage: „Herr Peregrinus wollte sich ganz aus dem Schlafe ermuntern, doch plotzlich zuckten tausend feurige Blitze durch das Gemach, das bald von einem einzigen gliihenden Feuerballe erfiillt schien [...] Peregrinus fand sich wieder iuf einem prachtigen Thro¬ ne stehend, in den reichen Gewandern eines indischen Konigs [...] Der Thron stand in einem unabsehbaren Saal errichtet, dessen tausen Saulen schlanke, himmelhohe Zedern waren. - Dazwischen erhoben aus dunklem Gestrauch die schonsten Rosen, so wie wundervolle siifiduftende Blumen jeder Art, ihre Haupter empor, wie in diirstender Sehnsucht nach dem reinen Azur, das durch die verschlungenen Zweige der Zedern glanzend, wie mit liebenden Augen hinabblickte. - Peregrinus erkannte sich selbst ..." (IV. 809). Man beachte wohl: das „reine Azur“ befindet sich in einem, wenn auch „unabsehbaren“, Saal! Und dies ist das klassische Milieu, in welchem dem Hoffmanschen Helden das Hochste widerfahrt, was ihm in seinem Leben moglich ist. Wenn man fur einen Moment von Hoffmann wegtritt, diesen „Saal“ aus seinen Sinnzusammenhangen lost und ihn beispielsweise in einem Werk Gottfried Kellers ansiedelt, dann U3

kann man sich nur mit Schaudern vorstellen, welchem Gericht der Mensch dort verfallen miibte, der sich unterfinge, in solcher Art Natur zu „machen“.28 Es nahme sich aus als ein affenhaftes Treiben, dessen Dummheit hart geziichtigt oder wenigstens vor den Augen der Verniinftigen in sei¬ ner ganzen Lacherlichkeit entlarvt wiirde. Hoffmann aber ist vom Gedanken an eine gemachte und erst von den Augen eines „Schauenden“ zu bewegtem Leben erweckte Natur so fasziniert, dafi er sie, seit der ersten Gestaltung im .Goldnen Topf‘, immer wieder einsetzt als ein integrierendes Element jenes Reiches, das er mehr oder minder deutlich jedesmal postulieren muB, wenn er seine Geschichten zu einem frohlichen Ende bringen will. Auch sonst findet sich das Motiv, in isolierten Splittern gleichsam, an zahlreichen Stellen seines Werks. So etwa in dem spaten Stuck ,Die Irrungen‘, wo vom seltsamen Alten Schniispelpold berichtet wird: „Als ich den Spaziergang riihmte, fuhr er mich hart an, ich solle mir nicht torichterweise einbilden, dafi das wirkliche Baume, Biische waren, dab das wirklich gewachsenes Gras, Feld, Wasser sei. Ich konne das ja schon an den stumpfen Farben sehen, dafi alles nur in spafihafter Kunst fabriziertes Zeug ware [...] Wollte ich einmal ein bifichen wahrhafte Natur schauen, so wiirde er mich in das Theater fiihren, wo hierzulande allein was Ordentliches von dergleichen Dingen zu schauen. Beim Theater waren namlich grundgeschickte Naturmeister angestellt, die Berg und Tal, Baum und Gebiisch, Wasser und Feuer keck zu handhaben wiiBten" (IV. 122). Der Passus ist gerade durch die Unverfrorenheit wichtig, mit der hier Hoffmanns Non serriam! der ganzen lebendigen Na¬ tur gegeniiber formuliert, mit der die geleimte und genagelte Staffage liber das allgemeine Wachsende gestellt wird. In diesen Zusammenhang gehort auch Monsieur Pickard Leberfink aus der sonst etwas verquer geratenen Erzahlung ,Meister Johannes Wacht‘, der zwar als eine skurrile Gestalt, aber doch mit spiirbarer Hingabe geschildert wird und der das Handwerk eines gelernten „Lackierers und Vergolders“ bei gesicherten finanziellen Verhaltnissen vorwiegend dazu verwendet, die Obstbaume 20 Dafi der Vergleich nicht ganz aus der Luft gegriffen ist, zeigt im kleinen das Marchen ,Spiegel, das Katzchen', wo Pineiss dem zu mastenden Kater ein kiinstliches Jagdgefilde in die Stube setzt: „Er baute daher fur Spiegel eine ordentliche Landschaft in seiner Stube, indem er ein Waldchen von Tannenbaumen aufstellte, kleine Hiigel von Steinen und Moos erricntete und einen kleinen See anlegte. Auf die Baumchen setzte er duftig gebratene Lerchen ...“ usw. — Entsprechend ist denn auch das schliefiliche Geschick Pineissens, der die kiinstlich verjiingte Alte zu boser Brautnacht heimfiihren wird. (Gott¬ fried Keller, Siimtliche Werke und ausgew. Briefe, hg. von C. Heselhaus. Miinchen o. J., Bd. 2, S. 219). - Zur Geschichte des Motivs vgl. auch Goethes .Tri¬ umph der Empfindsamkeit‘.

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seines winzigen Gartens „himmelblau, rosenrot und eigelb“ zu lackieren, die Blumen in den zierlichen Rondellen zu vergolden und dergestalt, wie es heiftt, „die Natur zu verschonern“ (IV. 577). Die herzliche Zuneigung, mit der Hoffmann solche Gestalten schildert, riihrt daher, daft sie in ihrem Treiben eine schwimmende Ahnung von der wahren Beschaffenheit des Menschen zum Ausdruck bringen, von dem ewig unerlosten Zustand, den die konstruierten Utopien des Dichters auch nur idealiter aufzureiften vermogen. Daft es aber gerade die artifizielle Natur ist, mit der der Autor diese imaginaren Bezirke umstellt, ist geistesgeschichtlich bedeutsam. Wir haben diesem Kapitel einige thesenahnliche Aussagen vorangestellt. Dazu gehorte der Satz: „Eines der widerstandsfahigsten Axiome des literarischen 19. Jahrhunderts ist: daft die Natur eine in sich ruhende Gegen-Welt darstellt

zur

Gesellschaft,

zum

politischen

Organismus;

daft

man

aus der raschen geschichtlichen Sozietat aussteigen und sich in die Na¬ tur schlagen kann.“ Und wir haben weiter gesagt, daft sich Hoffmann gerade hierin von seinem Zeitalter scharf unterscheide. Davon brauchen wir nicht abzuweichen, es hat sich klar genug bestatigt. Wir konnen indessen sagen, daft Hoffmann in zahlreichen seiner spezifischen Utopien diese Gebarde, dieses Sich-in-die-Natur-Schlagen auf seine Art nachvollzieht, indem er die einzige absolute Realitat, den strahlenden „Karfunkel“, zu einem Raume dehnt, der Natur-analog gestaltet ist, mit metallischen Baumen, Biischen, Blumen und Vogeln, und der die paradoxe The¬ se, es bleibe dem Menschen keine andere Wahl, als sich um seiner Freiheit willen ganz in sich selber zu begeben, in iiberraschender, wenn auch hochst bedingter Weise moglich macht. Und nun konnen wir auch auf den ,Goldnen Topf‘ zu sprechen kommen, das Werk, an dem Hoffmann zum ersten Mai erfahren hat, daft er ohne den utopischen Entwurf nicht auskommt, und wo er ihn nicht nur durchgefiihrt, sondern gleichzeitig darliber referiert und das Dilemma dem Leser offen auf den Tisch gelegt hat.27 Wir sind fur einen Blick auf dieses beriihmte ,Fantasiestiick‘ nicht nur insofern vorbereitet, als der Symbolcharakter der artifiziellen Natur im Hausinnern, die sich jedem Leser als ein dominierendes Motiv einpragt, einigermaften geklart ist, son¬ dern auch durch die Theorie der Erstarrung, den Metaphernkreis um den metallisierten Brautigam, dessen Kenntnis fur das Verstehen des Marchens wichtiger ist, als aus den bisher vorliegenden Deutungen hervor-

27

Es sei hier nachdriicklich auf die Interpretation verwiesen, die Wolfgang Preisendanz in seinem Buch .Humor als dichterische Einbildungskraft' (a.a.O.) dem Finale des .Goldnen Topfs‘ gewidmet hat und wo auch schon der Begriff der Utopie fallt.

U5

geht. Von diesem Aspekt her gehen wir denn auch an das Werk heran. Ganz zu Beginn des Marchens rennt der Held, der Student Anselmus, der noch keine Ahnung davon hat, daB er, nach den Worten aus der ,Konigsbraut‘, einer ist, „der da soli und muB“, in den Apfelkorb eines alten Handlerweibs hinein, die dem schamvoll Fliichtenden nachruft:

„Ja

renne renne nur zu, Satanskind — ins Kristall bald dein Fall — ins Kristall!“ (I. 179). Der Autor unterstreicht die besondere Bedeutung, die diesem Ausspruch zukommt, mit dem Satz: „Die gellende, krachzende Stimme des Weibes hatte etwas Entsetzliches, so daB die Spazierganger verwundert stillstanden, und das Lachen, das sich erst verbreitet, mit einem Mai verstummte." Auch Anselmus selbst „fiihlte sich, unerachtet er des Weibes sonderbare Worte durchaus nicht verstand, von einem unwillkiirlichen Grausen ergriffen“ (I. 179). Und ein drittes Mai am gleichen Punkt ansetzend, fiigt Hoffmann noch hinzu: „Auf ganz sonderbare Weise hatten die geheimnisvollen Worte der Alten dem lacherlichen Abenteuer eine gewisse tragische Wendung gegeben, so daB man dem vorhin ganz Unbemerkten jetzt teilnehmend nachsah". Nun geht zwar, wie man weiB, die Prophezeiung durchaus in Erfiillung, indem Anselmus, als er in der Neunten Vigilie sein Schreiberamt beim Archivarius Lindhorst nachlassig erfiillt, in eine „wohlverstopfte Kristallflasche" (I. 239) gesperrt wird, aber es ist dem unverbildeten Leser doch nicht ganz ersichtlich, wieso gerade diese voriibergehende und etwas ausgefallene Bestrafung in der Exposition des Ganzen, wo jedes mitgeteilte Faktum ohnehin doppelt wiegt, mit solchem Nachdruck vorweggenommen, in ominosester Weise als Fatum beschworen wird. Entweder, so muB man schlieBen, hat sich Hoffmanns Konzeption im Verlauf der Arbeit gewandelt — es gibt Beispiele dafiir in andern Werken -, oder aber der Aufenthalt in der Kristallflasche ist von weit hoherer Bedeutung, als es bei einer unbekiimmerten Lektiire den Anschein hat. Die Antwort kann nur iiber ei¬ ne genaue Betrachtung der fraglichen Stellen gefunden werden, und da zeigt es sich denn tatsachlich, um das Resultat gleich vorwegzunehmen, daB dieser „Fall ins Kristall" nichts anderes ist als ein Pendant zur Metallisierung des Elis Frobom und daB er ebenso endgiiltig bleiben miiBte, wenn nicht zuletzt das verfliissigende, das alles losende Ferment der Utopie hereinbrache und Atlantis aus den Fluten steigen lieBe. Nun drangt sich allerdings die Frage auf, wie diese These in Ubereinstimmung zu bringen sei mit der Tatsache, dafi der EinschluB ins glaserne Gefangnis im Handlungsablauf als eine padagogische Kastigation durch Lindhorst erscheint, der dabei unmiBverstandlich ausruft: „Wahnsinniger! erleide nun die Strafe dafiir, was du im frechen Frevel tatest!" (I. 239). Eine Analogic zum Schicksal Elis Frdboms miiBte doch voraussetzen, daB die156

se Kristallisierung die unerbittliche Konsequenz des von Anselmus eingeschlagenen Weges ist. Der kritische Punkt liegt offenbar dort, wo Lindhorst von einem „frechen Frevel“ spricht. Auf der oberflachlichsten Ereignisebene meint das Wort natiirlich den fatalen Klecks auf dem zu kopierenden Manuskript; dieser wird jedoch bewirkt durch die besondere Verfassung, in der sich der Student dabei befindet und die darin besteht, daB sein Glaube an Serpentina ins Schwanken geraten ist und er ihre geschauten Augen, die ihm bislang Unterpfand der hochsten Seligkeit waren, mit denen der gutmiitigen Veronika identifiziert. Um konsequent zu sein, miiBte Anselmus nun eigentlich Lindhorst, die Palmensale und das ganze Salamanderwesen bleiben lassen und sich ganz seiner Philisterkarriere und der Werbung um das Biirgermadchen widmen, — womit die Geschichte ein Ende hatte. Er geht aber gleichwohl in die phantastische Behausung des Archivarius, so wie Elis als Verlobter der Ulla in die tiefen Schachte fahrt, und in dem Augenblick, wo diese negierte Welt fur ihn doch wieder Realitat wird, wo seine schauenden Energien von neuem erwachen - es geschieht, sobald er ob dem jahen Klecks erschrickt -, in dem Augenblick erfahrt er zum ersten Mai die absolute Unvereinbarkeit von „Karfunkel“ und Aufienwelt, von Serpentina, der unsaglichen Spiegelgestalt seines schaffenden Ich, und von Natur, Gesellschaft, Geliebter. Und da zu dieser letzteren Trias, wie wir gesehen haben, konsequenterweise auch die eigene lebendige Korperlichkeit tritt, ist mit der Einsicht in die erwahnte Inkommensurabilitat gleichzeitig die physische Erstarrung verbunden: er wird kristallisiert. Der pathetische Urteilsspruch des „gekronten Salamanders", von dem das Marchen berichtet, ist nur die Allegorisierung einer spontanen, unausweichlichen Mutation. Und jetzt verstehen wir auch die Intensitat, mit der Hoffmann diese Kristallisierung beschreibt, und die auffallige Miihe, mit der er sie vorbereitet und durch Orakelspriiche anzeigt. Die eigentliche Verwandlung geht so vor sich: „Die goldnen Stamme der Palmbaume wurden zu Riesenschlangen, die ihre graBlichen Haupter in schneidendem Metallklange zusammenstieBen und mit den geschuppten Leibern den Ansel¬ mus umwanden. [...] und nun spriihten ihre aufgesperrten Rachen Feuer-Katarakte auf den Anselmus, und es war als verdichteten sich die Feuerstrdme um seinen Korper und wurden zur festen eiskalten Masse. Aber indent des Anselmus Glieder enger und enger sich zusammenziehend erstarrten, vergingen ihm die Gedanken. Als er wieder zu sich selbst kam, konnte er sich nicht regen und bewegen, er war wie von ei¬ nem glanzenden Schein umgeben, an dem er sich, wollte er nur die Hand erheben oder sonst sich riihren, stiefi" (I. 239). Es ist die artifizielle Na¬ tur selbst, die ihn kristallisiert. Dabei muB man wissen, daB er kurz vorU7

her, als er das Haus betrat, diese Dinge so niichtern wie noch nie angesehen hat: „Das blaue Zimmer kam ihm auch ganz anders vor, und er begriff nicht, wie ihm das grelle Blau und die unnatiirlichen goldnen Stamme der Palmbaume mit den unformlichen blinkenden Blattern nur einen Augenblick hatten gefallen konnen" (I. 238). Das ist das tote, stoffliche Substrat, das seine Schau-Kraft kurz darauf lebendig macht und mit dem er sich selber, ohne es zu begreifen, versteint. Auch daran also bestatigt sich unsere Aussage, da£ der Richterspruch des „gekronten Salamanders" nur eine allegorisierende Objektivation, eine erzahlerische Hilfskonstruktion sei. Anselmus hat keinen Frevel begangen, sondern den spontansten, menscheniiblichsten Versuch unternommen, Veronika und Serpentina zu identifizieren, Innen und Aufien in freier Kommunikation zu vereinen, und was er nun erfahrt, ist nichts anderes als die Wahrheit iiber die conditio humana. Damit gerade hiertiber Klarheit herrsche, fiigt Hoffmann, ohne erzahlerische Vorbereitung, den Bericht ein iiber einige andere Studenten, die Anselmus plotzlich neben sich, ebenfalls in Flaschen eingeschlossen, entdeckt, die jedoch von diesem ihrem Zustand keine Ahnung haben. Sie lachen ihn sogar aus: „Der Studiosus ist toll, er bildet sich ein in einer glasernen Flasche zu sitzen ..(I. 241), worauf Anselmus den wesentlichen Satz ausspricht: „Ach, die schauten niemals die holde Serpentina, sie wissen nicht was Freiheit und Leben in Glauben und Liebe ist, deshalb spiiren sie nicht den Druck des Gefangnisses, in das sie der Salamander bannte [...] aber ich Ungliicklicher werde vergehen in Schmach und Elend, wenn sie, die ich so unaussprechlich liebe, mich nicht rettet" (I. 241). Und mit diesem Wort: wenn sie mich nicht rettet, beginnt, als eine geglaubte Moglichkeit, die Hoffmannsche Utopie. Wir brauchen nur an den erstarrten Kreisler des Fragments zu denken, der sich erst wieder regen kann, als alle Musik in ihm abgewiirgt ist, um zu ermessen, was hier postuliert wird. Auch an den Ausspruch des Kapellmeisters im Roman sei erinnert, mit dem er in einem einzigen Satz den fatalen Zirkel seines Daseins schlagt:

ein wiistes wahnsinniges Verlangen bricht oft her-

vor nach einem Etwas, das ich in rastlosem Treiben auEer mir selbst suche, da es doch in meinem eignen Innern verborgen, ein dunkles Geheimnis, ein wirrer ratselhafter Traum von einem Paradies der hochsten Befriedigung, das selbst der Traum nicht zu nennen, nur zu ahnen vermag, und diese Ahnung angstigt mich mit den Qualen des Tantalus" (III. 3 5 5f). Es sind die Qualen des Anselmus im Kristall: „ - immer mehr und mehr zehrt jeder Atemzug die Liiftchen weg, die im engen Raum noch auf und nieder wallten — (die) Pulsadern schwellen auf, und von graElicher Angst durchschnitten zuckt jeder Nerv im Todeskampfe blutend ..

(I. 240), aber wahrend Kreislers Not nie ein Ende hat, heiftt es von dem Studenten schlieftlich: „Ein Blitz zuckte durch das Innere des Anselmus, der herrliche Dreiklang der Kristallglocken ertonte starker und machtiger, als er ihn je vernommen — seine Fibern und Nerven erbebten — aber immer mehr anschwellend drohnte der Akkord durch das Zimmer, das Glas, welches den Anselmus umschlossen, zersprang und er stiirzte in die Arme der holden lieblichen Serpentina" (I. 245). Wir haben dieses Kapitel angefangen mit dem Satz, daft der Mensch nur frei sei als ein Schauender, daft er sich aber als ein Schauender zugleich separiere von aller Menschengesellschaft und von aller Natur. Und wir haben dann gezeigt, wie diese Separation konsequenterweise dazu flihrt, daft der Schauende in der Gesellschaft und in der Natur nur noch als ein Erstarrter, ein Petrefakt, ein Gliedermann anwesend sein kann.

Die

zwingende Notwendigkeit, mit der sich dies ergibt, hat uns aber gleichzeitig die Augen geoffnet fur die spezifisch Hoffmannsche Utopie, mit deren Hilfe er den ausweglosen Kessel sprengt und - innerhalb der Erzahlung, als literarisches Gebau, als ein von ihm als Autor Geschautes vor dem Helden eine helle und frohliche Welt entrollt, in welche dieser eintritt, als ware sie von einer Wirklichkeit mit der bisherigen. Im ,Goldnen Topf‘ sind diese zwei Dimensionen, Erstarrung und Utopie, plastischer, augenscheinlicher herausgestellt, als es sonst meist der Fall ist, auch wenn der Leser - was dem Autor durchaus nicht gegen den Strich geht die Kristallisierung nur als voriibergehendes Malheur des Helden oder als eine padagogisch notwendige Stufe nimmt, statt als den Endpunkt, von dem aus der Sprung auf eine andere Realitatsebene getan wird. Gerade das Wissen um Hoffmanns Kunst, den Eintritt in das Land Uto¬ pia listig zu verwischen, ist fur die Interpretation vieler Werke von ausschlaggebender Bedeutung.

Die Theorien, nach

denen

es bei diesem

Schriftsteller eine fundamental Entwicklung auf eine andere, „realistische" Welthaltung hin gebe, wo dann etwa die Kiinstler und Enthusiasten nicht mehr serapiontische Outlaws sein miiftten sondern als zeugungsfreudige Ehemanner und mit alien braven Konventionen versohnt ein tiichtiges Biirgerleben zu fiihren vermochten, beruhen stets auf der Miftachtung oder voreiligen Geringschatzung wesentlicher Symptome. Daft ein Traugott im ,Artushofc zuletzt das Romermadchen Dorina heiratet (vgl. oben S. 51), ist eben nur moglich, weil es im „Land der Kunst" geschieht, und auch die Ehe zwischen Friedrich und Rosa im ,Meister Martin' muft vor dem Hintergrund dessen gesehen werden, was man den Niirnberg-Mythos nennen konnte: die schon bei Wackenroder zu findende Ideal-Vorstellung von der Durer-Stadt „wo Kunst und Handwerk sich in wackerm Treiben die Hande boten" (II. 416), und die fur Hoffmann,

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der sie gleich zu Beginn eine „holde Traumgestalt“ nennt (II. 416), unverkennbar eine Atlantis-Variation darstellt. Es ist die Aufgabe von Einzelinterpretationen, all das in den verschiedenen Werken nachzuweisen, wo der „Prozefi“ sein heiteres Ende findet; die Voraussetzungen dazu sind grundsatzlich freigelegt.

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V. KAPITEL

ARCHIMECHANICUS

Die Augen des Lesers. Die Identitat von Meister Abraham und Johannes Kreisler im Schriftsteller Hoffmann

Das mit allem Seienden schrankenlos kommunizierende Ich, das der spontanen Metaphysik Friedrich von Hardenbergs als energischer Gedanke zugrunde liegt, erscheint im Werk E. T. A. Hoffmanns wie in einer Parodie: als eine durchaus analoge Gebarde auf einem grundsatzlich anderen Plateau vollzogen und zu grundsatzlich anderen Effekten gefiihrt. An die Stelle des metaphysischen Horizonts ist ein psychologischer Ansatz getreten; das Identitatstheorem schlagt um in eine autistische oder solipsistische Menschenkunde, die mit Leidenschaft bis zu ihrer letzten, paradoxen Konsequenz vorgetrieben wird. Als representatives Beispiel daflir haben wir die Erzahlung ,Die Bergwerke zu Falun' hingestellt, wo sich das arbeitende Ich als das alle Natur, alle Gesellschaft und alles personale Gegeniiber schlechthin Verneinende manifestiert. Diese Verneinung um eines erst geahnten und dann ganz und riicksichtslos ergriffenen hoheren Innern willen fiihrt folgerichtig auch zu einer Transformation dessen, worin sich der Mensch selber als ein Aufteres erfahrt, zu einer Erstarrung des lebendigen Korpers. Damit ist einerseits eine extreme Weiterung des genannten Ansatzes voll¬ zogen, anderseits aber auch ein iiberragendes Symbol fur das Ganze gefunden und gesetzt. Wenn indessen die Geschichte vom Bergmann Elis als die gestaltgewordene Lehre Hoffmanns von der Beschaffenheit des Menschen und seines Verhaltnisses zur Welt gelten darf, dann ist die Frage nicht nur erlaubt, sondern geradezu unausweichlich: wo denn in dem antagonistischen AufriB diese Geschichte selbst, als ein literarisches Gebilde, ein Sprach-Ding, anzusiedeln sei. Allgemeiner gefragt: bedingt die Verneinung von Natur, Gesellschaft und personalem Gegeniiber nicht auch eine Verneinung der Sprache? Wenn dem nicht so ist, woher kommt der Sprache der besondere Rang zu? Wenn dem aber so ist, wie vertragt sich dies mit der Tat-

sache, daft sowohl die Verneinung wie deren positives Korrelat, die di¬ vine Imagination, erst in der Sprache, im literarischen Opus uberhaupt zur Erscheinung kommen? Wir geraten nicht zum ersten Mai in den Umkreis dieses Problems. Schon im Anfangskapitel, wo die fundamentale Differenz zwischen dem Kunstwerk als Actus und als Opus, zwischen seiner im Raum der Praformation schwebenden „geschauten“ Gestalt und dem durch das „mechanische Geschaft“ diesem Bilde nachgeformten Gegenstand als ein eigener und konsequent vertretener Gedanke Hoffmanns dargestellt wurde, lag eine Untersuchung nahe, ob diese Theorie nicht ohne weiteres auf die eigenen Werke des Autors anwendbar sei. Wir haben uns dort aus methodischen Oberlegungen zuriickgehalten. Und tatsachlich laftt es sich nachweisen, daft zwar Hoffmanns Lehre von der Entstehung des Kunstwerks mit seiner Praxis als Schriftsteller in zahlreichen Punkten korrespondiert, daft aber diese Praxis von jenen Theorien her doch in ein verzerrendes Licht tritt und wichtige Aspekte iiberdeckt werden. Vor allem erscheinen Aufwand und Gesetzmaftigkeiten des „mechanischen Geschafts“, der eigentlichen Sprach-Werdung, immer wieder verharmlost, sogar ignoriert. Ein eminentes Beispiel dafiir findet sich am Schluft des ,Goldnen Topfs‘, in der Zwolften Vigilie, wo der Autor personlich in die Erzahlwelt hineintritt und seine schriftstellerischen Schwierigkeiten selbst zum Thema macht. Er erklart sich aufterstande, das Gliick seines Helden auf Atlantis zu schildern: „Aber vergebens blieb alles Streben, dir, giinstiger Leser, all die Herrlichkeiten, von denen der Anselmus umgeben, auch nur einigermaften in Worten anzudeuten. Mit Widerwillen gewahrte ich die Mattigkeit jedes Ausdrucks“ (I. 250). Und er fiigt die eindriickliche Bemerkung hinzu:

so oft ich mich zur Nachtzeit hinsetzte, um das

Werk zu vollenden, war es, als hielten mir recht tiickische Geister [...] ein glanzend poliertes Metall vor, in dem ich mein Ich erblickte, blaft, iibernachtig und melancholisch ..(I. 2jof). Dann aber meldet er das Eintreffen eines Briefes vom Archivarius Lindhorst und beschreibt, wie er vom Magier eingeladen wird, wie er im Palmenzimmer Punsch trinkt, wie sich dabei Atlantis mit den seligen Bewohnern Anselmus und Ser¬ pentina vor seinen Augen auftut. Und nach dieser Vision heiftt es einfach:

und herrlich war es, daft ich sie (i. e. die Vision), als alles wie

im Nebel verloschen, auf dem Papier, das auf dem violetten Tische lag, recht sauber und augenscheinlich von mir selbst aufgeschrieben fand“ (I.254). Da wird also das Machen, die handwerkliche Arbeit, schlankweg iibersprungen. Wir wissen auch, weshalb dies geschieht: die Erzahlung soli sich selbst als ganz und gar „geschaute“ erweisen, als vollkommenes, frei geborenes Produkt der schaffenden Imagination, dem jede

Erinnerung an das Fiigen und Wagen, an das novellistische Planen, Vorbereiten und Uberraschen, an alles Technische nur abtraglich sein kann. Die Vision von Atlantis muf! als eine helle, im Raum der Praformation flieftende Landschaft erscheinen, die widerstandslos auf das Papier des Schreibers gleitet. Man verstehe recht: Hoffmann iiberspringt das mechanische Geschjift nicht deshalb, weil er sich dessen schamte, sondern er verdeckt den Blick darauf, um die spezifisch serapiontische Qualitat seines Werks, das einzige asthetische Kriterium, zur Erscheinung zu bringen. Denn in Wahrheit liegt die Sache ja umgekehrt: die Aufgabe des Schreibers ist nicht, seine Visionen so frei und leicht wie moglich auf das Papier schwimmen

zu lassen,

sondern sie

auf dem

Papier mit

Scharfsinn und berechnender Leidenschaft so zu konstruieren, dafi sie von da aus ohne Widerstand in die imaginative Welt des Lesers eingehen. Mit den oben verwendeten Termini gesprochen: das Kunstwerk als Opus mu$ so beschaffen sein, dafi es im Leser und durch die Tatigkeit des Lesers wieder zu einem Kunstwerk als Actus wird, als welches es urspriinglich beim Dichter im Raum der Praformation anwesend war. Das heifit aber fur ein literarisches Produkt, welches nach den unbestrittensten Definitionen nur in der Sprache und durch die Sprache besteht, daft gerade dieses sein spezifisches Element, die Sprache, nach den Intentionen des Verfassers allein der Daseinsform als Opus zukommt, dem wesentlich vorlaufigen, unfertigen, ganz und gar nicht in sich selber seligen Zustand, dafi die Sprache, die aus Sprache geformte und begrenzte KunstSache, letztlich ein Teraphim fur den Leser ist, eine Spiegel-Gestalt, ein Automaten-Madchen, das den Lichtschein der Imagination aufweckt und in bezaubernder Brechung zuriickwirft. Insofern darf man, um die eingangs gestellte Frage zu beantworten,

die Sprache in der Welt

E. T. A. Hoffmanns durchaus parallel setzen zu der Art, wie die Natur, die Geliebte, die Gesellschaft und der lebendige Menschenleib er¬ scheinen. Allerdings muft dabei auch gleich ein Vorbehalt angemeldet werden. Es lage nahe, die radikalen Spracherfahrungen des 20. Jahrhunderts, wie sie in den 6oer Jahren erneut auf breiter Ebene an den Tag getreten und fur die Poeten Problem und Stimulus zugleich geworden sind, unmittelbar auf Hoffmann zu iibertragen. Da wiirde er dann zu einem Dich¬ ter, der aus einer fur seine Zeit sensationellen und deshalb auch unverstandenen Erfahrung heraus mit Formeln, Klischees und vorgefertigten Sprachteilen arbeitet und den Stereotypie-Charakter aller Sprache durch diese selbst entlarvt. Ganz unberechtigt ware der Vergleich gewib nicht, nur diirfte und darf eines nie vergessen werden: die mechanisierte oder besser, die als ein Mechanisches gebrauchte Sprache Hoffmanns1 ist stets und von Anfang an auf etwas anderes hin ausgerichtet und steht mit die163

sem in aktueller Korrespondenz. Das Wort ist bei ihm nicht ein versteinertes Ganzes wie vielerorts in der modernen Lyrik, sondern ein Halbes, das seinen Sinn und seine Erfiillung in dem Augenblick findet, wo es gelesen und von der Imagination entziindet wird. Es ist daher riskant, von „der Sprache“ Eloffmanns so zu reden, wie man etwa von „der Sprache“ Brentanos oder

Morikes,

vom

„Wort“ bei

Trakl

oder

Celan

spricht. Man lost damit von vornherein einen Zusammenhang auf, der, wenn dem Autor Recht geschehen soli, nicht aufgelost werden darf. Das Wesen dieser Sprache besteht in ihrer Funktionalitat. Sie ist nicht eine zweite Welt, sondern ein Komplex von Impulsen, Reizen und Irritationen, die eine zweite Welt bewirken, im Lesenden erwecken sollen. Und gerade weil sie in summa keine zweite Welt ist, tragt sie auch keinen durchgehenden Mafistab in sich. Das fiihrt dann beispielsweise zu den vielbesprochenen Hoffmannschen Superlativen, dem Superlativischen seiner Texte uberhaupt, fiihrt zu der Tatsache, dafi man ihn im eigentlichsten Sinne nicht „beim Wort“ nehmen kann, weil dieses Wort nie von vorn¬ herein gewogen, auf keinen festen, bestehenden Kanon bezogen ist. Und hier liegt schliefilich auch der Grund fur das befremdliche Phanomen, da£ unzahlige Lieblingswendungen, ja ganze Satze, mit denen der Dichter das ihm Heiligste auszudriicken pflegt, wortlich vom Kater Murr gebraucht werden konnen, in einem massiv ironischen Sinne also, der nur aus dem Zusammenhang und in keiner Weise aus der sprachlichen Gebarde an sich hervorgeht.1 2 Es mag interessant sein, die sogenannten Klischees oder Formeln Hoffmanns gewissermaEen botanisierend zusammenzustellen und statistisch zu analysieren, aber man entgeht dabei nur schwer der Gefahr, das Halbe in dem oben erwahnten Sinn fur das Gan¬ ze zu nehmen und die Funktion dieser Sprache, von der aus sie einzig definiert werden kann, aufier acht zu lassen. Sie ist wesentlich Substrat, so wie die einzelne Erzahlung als Ganzes Substrat der Einbildungskraft ist und erst in der Kommunikation mit dieser lebendig oder eben: zum Kunstwerk wird. Die asthetische Selbstreflexion bildet, wie wir oft genug feststellen konnten, ein wichtiges Merkmal der Arbeiten Hoffmanns. Es kann daher nicht iiberraschen, daft er dieses Prinzip - dafi namlich das literarische Opus ein vom Leser ins Leben zu rufendes Bildnis sei - in der Rahmenkonstruktion vieler Erzahlungen exemplifiziert und am entstehenden Werk selber den Prozefi durchfiihrt, der sich zwischen diesem und dem Lesenden ereignen 1 Vgl. dazu den Forschungsbericht bei Helmut Muller, Untersuchungen zum Problem der Formelhaftigkeit bei E. T. A. Hoffmann. Bern 1964. 2 Vgl. dazu Herman Meyer, Das Zitat in der Erzahlkunst. Zur Geschichte und Poetik des europaischen Romans. Stuttgart 1961, S. ii4ff. 164

soil. Ein gutes Beispiel dafiir stellt ,Die Fermate' dar, die erste unter einem selbstandigen Titel stehende Erzahlung der ,Serapionsbriiderc, die mit dem grofien dichtungstheoretischen Vorspiel und dcm zuletzt, also unmittelbar vor dieser Geschichte, endgiiltig formulierten Serapiontischen Prinzip noch sehr eng zusammenhangt. Der Erzahlende weist schon im praludierenden Gesprach der Freunde auf das fiir uns wichtige Strukturprinzip hin: „ 1st es euch recht, so gebe ich euch eine kleine Erzah¬ lung zum besten, die ich vor einiger Zeit aufschrieb und zu der mich ein Bild anregte. Sowie ich namlich dieses Bild anschaute, wurde mir eine Bedeutung klar, an die der Kiinstler gewift nicht gedacht hatte, nicht hatte denken konnen, da Riickerinnerungen aus meinem friiheren Leben auf seltsame Weise aufgingen und eben erst jene Bedeutung schufen“ (IE j6f). Das ist, wenn auch scheinbar auf Grund eines biographischen Zufalls, genau jene polare Spannung zwischen Substrat und aktiver Imagination, von der eben die Rede war. Im Augenblick der Begegnung mit dem Bild wird etwas Neues geschaffen, das weder dem Gegenstand selbst noch der Einbildungskraft vorher zugehorig war. Symptomatisch ist dabei der Ter¬ minus „aufgehen“; er fallt immer wieder im Zusammenhang mit dem Serapiontischen Prinzip, so etwa keine zwei Seiten vorher in der bekannten Definition („... das Bild, das ihm im Innern aufgegangen, recht zu erfassen ...“), und zielt direkt auf die Konstituierung des Kunstwerks im Raum der Praformation. Und wenn wir von einer scheinbaren biographi¬ schen Ursache dieses Geschehens reden, so hat das seine guten Griinde. Denn es ist zwar so, dafi der field in der Erzahlung ausdriicklich mitteilt: „das Bild (stellt) getreu eine Szene aus meinem Leben mit volliger Potratahnlichkeit dar“ (II. 58), (worauf er die Geschichte, die zu dieser Szene fiihrte und die die eigentliche Novelle ausmacht, zum besten gibt), aber die Frage, die sich da sogleich mit Nachdruck aufdrangt, wie so etwas moglich sei, wird nie beantwortet. Hoffmann, resp. der Erzahler Theodor, tut so, als sei es eine weiter nicht uberraschende Sache, wenn ei¬ ner in einer Berliner Kunstausstellung ein Gemalde vorfindet, das mit photographischer Prazision einen Auftritt wiedergibt, den er Jahre frtiher bei einem Ritt in der Umgebung von Rom in einem kleinen Wirtshaus erlebt hat, ja, auf dem er seine eigene Person im Hintergrund in genau der Stellung erblickt, die er damals fiir eine Sekunde eingenommen hat. Dabei konnte dieses Faktum oder besser: diese novellistische Trouvaille ohne weiteres zum Ausgangspunkt einer unheimlichen spatromantischen Geschichte um Doppelgangerei und Identitatsverlust werden, und Hoffmann ist gewift nicht der Mann, der solches erfindet, ohne die potentiellen Weiterungen zu bemerken. Wenn er darauf nicht eintritt, so ist dies ein willentlicher, wenn nicht gar demonstrativer Akt, durch den

zum Ausdruck kommt, dafi ihn an der Erfindung nur die Moglichkeit interessierte - allerdings in hochstem Mali interessierte

seine Geschichte

als die unmittelbare Lebendigwerdung eines Bildes erscheinen zu lassen, und daG er um dieses Zieles willen sogar den Vorwurf eines eigentlichen kiinstlerischen Fehlers in Kauf nahm. Es ist namlich in keiner Weise so, dab die Haupthandlung der Novelle, die Selbstfindung eines jungen Musikers iiber die kurze Liebe zu einer Sangerin (vgl. oben S. 74), von dem ganzen erzahlerischen Aufwand um das Bild irgendwie abhangig wa¬ re; sie lief^e sich vielmehr vollig und ohne eine Spur von Gewaltsamkeit davon trennen. Anderseits aber kann man auch nicht von einer bloGen Einleitung sprechen, denn seit der prazisen Deskription von „Hummels heitrem lebenskraftigem Bild“ zu Beginn der Erzahlung und der Mitteilung des Helden, dies sei eine von ihm real erlebte Szene, bleibt der Leser stets auf den Moment gespannt, wo sich der Lebensbericht mit dem gemalten Auftritt deckt und moglicherweise noch ein besonderes Geheimnis um den Maler an den Tag tritt. Wir werden sogar mitten drin wieder ausdriicklich an diese merkwiirdige Exposition erinnert, und zwar vom Freund des Erzahlenden: ,„Aber‘, fiel Eduard ein, ,noch fand ich in allem was du erzahltest keinen Zusammenhang mit dem himmlischen Bilde ..(II. 71). Die fragliche Schilderung kommt schlieGlich, - und das Problem des Bildes wird mit dem einzigen Satz erledigt: „Obrigens siehst du, daG die Gesellschaft zu der ich trat, eben diejenige ist, welche Hum¬ mel make ..(II. 72). Darauf wird von dem Gemalde iiberhaupt nicht mehr gehandelt. Die epische Sonderkonstruktion hat fur den Autor offenbar ihren Sinn erfiillt, auch wenn dem aufmerksamen Leser eine respektable Frage unbeantwortet bleibt. - Doch wie soil man nun diese Son¬ derkonstruktion nennen? Es ist zweifellos ein Rahmen, also ein traditionsreiches Element der Novellenkunst, aber dieser Rahmen hat weder die Funktion, das Einzelwerk mit andern solchen zu einem groGen geschlossenen Ganzen zu verbinden, noch die Absicht, die berichteten Ereignisse vor eine konstrastierende oder in subtilen Parallelen spielende Folie zu stellen. Nicht ein formales Phanomen liegt hier vor, sondern ein lehrhaftes: ein didaktischer Rahmen, der uns zugleich mit dem literarischen Werk die geistreich verkorperte Theorie vor Augen stellt, wie dieses aufgenommen werden soli. Die grundlegende Beziehung zwischen Substrat und geschauter Gestalt wird vorexerziert, und zwar so, daft die Er¬ zahlung, die wir als Lesende in unserm Innern mit unserer eigenen Ima¬ gination zum reichen Kunstwerk verlebendigen sollen, ihrerseits als eine aus einer auGern Vorlage erweckte Gestaltung dargestellt wird. Der in einer eigenstandigen Spannungskurve durchgefiihrte Rahmen erscheint somit als die asthetische Selbstdefinition des Werks, die verhindert, daG

166

man die autonome Kreation der Einbildungskraft als einen Blick auf die objektive Welt mifiversteht. Noch greiflicher herausmodelliert, findet sich dies in der Novelle ,Doge und Dogaresse' aus dem zweiten Band der ,Serapionsbriider‘. Sie beginnt genau gleich wie die ,Fermate‘, auf einer Berliner Gemalde-Ausstellung. Nach dem Titel hebt der Autor an: „Mit diesem Namen war in dem Katalog der Kunstwerke, die die Akademie der Kiinste zu Berlin im Septem¬ ber 1816 ausstellte, ein Bild bezeichnet, das der wackre und tiichtige C. Kolbe, Mitglied der Akademie, gemalt hatte und das mit besonderm Zauber jeden anzog, so daft der Platz davor selten leer blieb. Ein Doge in reichen prachtigen Kleidern schreitet, die ebenso reich geschmiickte Dogaresse an der Seite, auf einer Balustrade hervor

(II. 355). Es

folgt eine knappe und zugleich prazise Beschreibung des Bildes, wie am Anfang der ,Fermate‘, und auch hier werden gleich darauf zwei Freunde eingefiihrt, die davorstehen und sich iiber das Werk ihre Gedanken machen. Sie stoften sich an andern Besuchern, welche da streiten, ob der Maler mit dem alten Dogen und der jungen Dogaresse ein bestimmtes historisches Geschehnis oder das gewissermaften zeitlose Phanomen einer Mesalliance

zwischen

Greis und

Madchen

habe

darstellen

wollen.

Es ist, wie man leicht sieht, ein spezifisch Hoffmannscher Arger iiber die grundsatzlich falsche Art, an ein Kunstwerk heranzugehen, nur bleibt den beiden die theoretische Basis ihres spontanen Empfindens unklar. Sie spiiren nur, daft das, was sie an dem Gemalde als wesentlich fiihlen, mit jener Fragestellung nichts zu tun hat. „,Ich weift nicht‘, fing der eine an, ,wie man sich selbst alien Genufi verderben mag mit dem ewigen Deuteln und Deuteln. Aufierdem, daft ich ja genau zu ahnen glaube, was es mit diesem Dogen, mit dieser Dogaressa fur eine Bewandtnis hat im Leben, so ergreift mich auch auf ganz besondere Weise der Schimmer des Reichtums und der Macht, der iiber das Ganze verbreitet ist. Sieh diese Flagge mit dem gefliigelten Lowen, wie sie der Welt gebietend in den Liiften flat¬ ten - O herrliches Venedig!' Er fing an Turandots Ratsel von dem adriatischen Lowen herzusagen: ,Dimmi, qual sia quella terribil fera‘“ (II. 356). Auch ohne die Anspielung auf Gozzi, Hoffmanns Poeten-Ideal schlechthin, wiirden wir den Ausruf: „0 herrliches Venedig!" unmittelbar neben jene analogen Exklamationen stellen, in denen Rom, Florenz oder „Italia" als die in ein utopisches Licht getauchte „Heimat der Kunst" beschworen wird. Es ist die unreflektierte Sehnsucht nach Atlantis, die den jungen Mann das Turandot-Ratsel rezitieren laftt, und Hoffmann verleiht diesem Urlaut eines wahrhaften Enthusiasten eine seltsame, ans Wunderbare grenzende Wirkung. Die begeistert hingesagte Strophe wird namlich sogleich beantwortet: „Kaum hatte er geendet, als eine wohl167

tonende Mannerstimme mit Kalafs Auflosung einfiel: ,Tu quadrupede fera‘“ (II. 356). Ein Mann „von hohem edlen Ansehn“ steht wie aus dem Boden gewachsen hinter ihnen, „das Bild mit funkelnden Augen betrachtend“. Und dieser Fremde, dessen Identitat nie aufgedeckt wird,3 gibt den beiden nun zunachst eine kurze serapiontische Unterweisung, als sei ihm ihr unausgesprochenes Problem genauestens bekannt: „Es ist ein eignes Geheimnis, dab in dem Gemiit des Kiinstlers oft ein Bild aufgeht, dessen Gestalten, zuvor unkennbare korperlose im leeren Luftraum treibende Nebel, eben in dem Gemiit des Kiinstlers erst sich zum Leben formen und ihre Heimat zu finden scheinen" (II. 357). Das ist eine schone Umschreibung fiir die Praformation des Kunstwerks. Auf den Fabrikationsakt, die Umsetzung in ein auBeres Dauerndes, geht er allerdings nicht ein; er nimmt ihn als Selbstverstandlichkeit, in Anbetracht des vor Augen hangenden Gemaldes mit einem gewissen Recht. Erstaunlicher aber ist die Behauptung, die er gleich nachher tut:

„Kolbe mag viel-

leicht selbst noch nicht wissen, daB er auf dem Bilde dort, niemand anders darstellte, als den Dogen Marino Falieri und seine Gattin Annunziata“. Die spontan im erregten Innern des Kiinstlers entstandene Gestalt soli also, ohne daB dieser selbst davon eine Ahnung hat, zugleich sachgetreu einen bestimmten historischen Moment abbilden. Das iiberschreitet zwar die Grenze des zumutbaren Unwahrscheinlichen, aber einerseits legt Hoffmann die Aussage einer Mentorgestalt in den Mund, von denen man ohnehin nie weiB, sind es Spinner oder Propheten, und anderseits spielt ihm dieser kleine Unsinn einen groBen Vorteil in die Hand. Er kann nun namlich das Gemalde durchaus als wahres, geschautes Kunstwerk anerkennen und es dennoch gleichzeitig zum Substrat eines neuen schopferischen Aktes machen, indem er den Fremden jetzt die Vor- und Nachgeschichte dieses vom Maler erfaBten und verewigten Augenblicks erzahlen und so das Bild fiir die zwei Freunde verlebendigen laBt. Der Mann ruft aus: „Habt ihr Geduld, ihr neugierigen Herrn, so will ich euch auf der Stelle mit Falieris Geschichte die Erklarung des Bildes geben“ (II. 357); und in Form einer Warnung legt er nochmals ein Hoffmannsches Credo ab: „Ich werde sehr umstandlich sein, denn anders mag ich

3 Es ist wesentlich fiir die Mentorfiguren, daB ihre Identitat ratselhaft oder mindestens leicht schillernd ist und es auch bleibt. Fiir sie alle gilt, was der Goldschmied in der ,Brautwahl‘, ein klassischer Mentor, auf die entsprechende Frage antwortet: „Ei, mein liebes Kind, sehr schwer wird es mir zu sagen, wer ich eigentlich bin. Mir geht es so wie vielen, die weit besser wissen, wofiir sie die Leute halten, als was sie eigentlich sind!“ (II. 589). - Ihre Identitat ist ihre Funktion innerhalb der Erzahlung. 168

nicht von Dingen reden, die mir so lebendig vor Augen stehen, als habe ich sie selbst erschaut" (II. 357). Darauf wird die Geschichte als respektable historische Novelle in kraftigem Tempo und ohne viel Beiwerk bis zum traurigen Ende durchgefiihrt. Und kaum hat der Erzahler geschlossen, springt er auf und verschwindet „mit starken raschen Schritten", wahrend die Freunde nochmals vor das Gemalde treten, das ihnen nun ganz anders „aufgeht“. Wir haben hier nicht die Absicht, die im ersten Kapitel abgehandelte Theorie zu wiederholen, sondern die Miihe zu zeigen, mit der Hoffmann seinem Publikum die Ars legendi beizubringen sucht. Der didaktische Rahmen zielt namlich auch diesmal wieder ganz auf die Erzahlung selbst. Nur wenn der Autor versichert ist, dafi die Leser das Geschilderte als ein frei Geschautes selber wieder schauen, kann er ungehindert schreiben. So paradox es t5nt: der leidenschaftliche Erzahler, den der beriihmte Falieri-Stoff schon aus purer Skriptorenlust reizt, mufi das historische Sujet zuerst umstandlich aus der Geschichte reifien, zu einer ahistorischen oder doch nur zufallig mit geschichtlichen Fakten sich deckenden Sache machen, bevor er seinem schaffenden Behagen Raum lassen kann. Dies ist sowohl fur die These vom verkappten Realisten Hoffmann wie fiir die Geschichte der historischen Erzahlung iiberhaupt hochst aufschlufireich. Durch den didaktischen Rahmen, der das Werk als die Vivifikation eines Bildes prasentiert, wird es auf der gleichen Ebene angesiedelt wie die phantastischsten Geburten des Autors und tritt fiir diesen und seinen idealen

Leser unmittelbar

neben

eine

so

tumultuarische

Schopfung wie ,Prinzessin Brambilla'. Da namlich hat Hoffmann die gleiche Veranstaltung auf viel einfachere Weise getroffen: er hat die Bilder, die im literarischen Produkt zum Leben erwachen, gleich als solche mitgegeben und vom Buchbinder in das Bandchen einschieBen lassen. Es sind acht Radierungen des geliebten Jacques Callot, Commedia dell’ arteSzenen, und jeder dieser Auftritte findet sich im Text bis ins Detail genau wieder. Es ware grundsatzlich falsch, hier von Illustrationen zu sprechen. Den Bildern kommt nach dem Willen des Verfassers eine entscheidende Funktion zu; das sagt er im Vorwort selbst, unzweideutig und iiber die Mdglichkeit einer verfehlten Rezeption spiirbar bekummert: „Den geneigten Leser [...] bittet aber den Herausgeber demiitiglich, doch ja die Basis des Ganzen, namlich Callots fantastisch karikierte Blatter nicht aus dem Auge zu verlieren" (IV. 211). Indem der „geneigte Leser“ alle paar Seiten von neuem den Text mit der „Basis“ in Verbindung zu bringen hat, macht er, ohne es zu merken, eine eigentliche serapiontische Schule durch, die es ihm, falls er hinreichend gelehrig ist, ermoglicht, das funkelnde, schwindlige Chaos in der Weise zu bestehen, dafi er zuletzt 169

hinter allem Taumel die eigene arbeitende Imagination und ihre ungeahnte, freiheitschaffende Gewalt erkennt. Denn Hoffmann hat es schon in einem seiner friihsten Stiicke, ,Don Juan', festgestellt: „Nur der Dichter versteht den Dichter; nur der poetisch exaltierte Geist (kann) das verstehen, was der Geweihte in der Begeisterung ausspricht“ (I. 74). Deshalb ist es immer auch die Aufgabe des Dichters, diese rezeptive Exaltation nicht nur zu erwecken, sondern auch vor Fehlgangen und irriger Ausrichtung zu bewahren, und man kann nur mit Erstaunen zur Kenntnis nehmen, wie ernsthaft und unverdrossen Hoffmann dieser Aufgabe sein ganzes Werk hindurch nachgekommen ist. So wie er seine liebenswiirdigsten Helden zur unerhorten Einsicht fiihrt und dann in blitzende Paradiese entlafit, mochte er auch seinen Lesern, und ware es nur auf kurze Zeit, jene Augen offnen, deren energisches Licht, wie er unerschiitterlich glaubt, das einzige ist, um dessentwillen sich das Leben lohnt. Wenn man das Prinzip des didaktischen Rahmens einmal eingesehen hat, entdeckt man auf Schritt und Tritt entsprechende Vorkehren. So hat etwa der auffallige Kult mit alten, kuriosen Chroniken, der in den Gesprachen der Serapionsbriider getrieben wird, durchaus nicht nur den Zweck, von einem Steckenpferd des Autors Zeugnis zu geben, sondern liefert im¬ mer wieder die Moglichkeit, die einzelnen Werke fur Zuhorer und Leser in Relation zu einem genau benannten Substrat zu stellen und also zu verhindern, daft wir sie als „historische Erzahlungen" im landlaufigen Sinn des Wortes nehmen. Als Beispiel sei nur auf den ,Kampf der Sanger' hingewiesen, wo Hoffmann, bevor er mit dem eigentlichen Bericht beginnt, fiinf Seiten lang didaktische Umstande macht, die den Rahmen des Angemessenen entschieden iiberwuchern, eben dadurch aber zeigen, wie sehr das Anliegen den Autor bedrangt. Man konnte geradezu versucht sein, von einer kreaturlichen Angst Hoffmanns vor dem Faktisch-Geschichtlichen zu sprechen, die da ihren Ausdruck finde. Schon vor dem Titel laftt er den Serapionsbruder Cyprian ein erstes Mai das sagen, was ihm so heftig auf den Nageln brennt: „... ist’s euch recht, so lese ich euch eine serapiontische Erzahlung vor, zu der mich Wagenseils Niirnberger Chronik entziindet. Vergefit nicht, daft ich keine antiquarische kritische Abhandlung jenes beriihmten Kriegs von der Wartburg habe schreiben wollen, sondern nach meiner Weise jene Sache zur Erzahlung, wie mir gerade alles hell in der Seele aufging, nutzte" (II. 274). Dieses „vergeftt nicht!" erinnert unmittelbar an die „demutigliche“ Bitte im Vorwort zur ,Brambilla‘: Hier wie dort ist der Leser angesprochen, mit einem geheimen, fast flehentlichen Unterton. Und ebenso bezeichnend ist die Wendung, er habe „jene Sache genutzt", d. h. die Chronik, wie andern-

orts die Zeichnungen Callots, zur „Basis des Ganzen“ genommen, zum poetischen Teraphim, und ja nicht etwa als Briicke in die tatsachliche Vergangenheit. Mit diesen Satzen, so will es scheinen, ware seiner Sorge eigentlich ausreichend Luft gemacht, aber in Wahrheit ist die lesepadagogische Aktion damit erst praludiert. Nun wird des langern geschildert, wie einer am Kaminfeuer Wagenseils Chronik liest, wie er dariiber ins Sinnieren kommt und bald auch sein „inneres Auge“ (II. 275) aufschliigt, wie er sich in einer amoenen Landschaft findet, schone Ritter und Damen ziehen sieht und schliefilich in die Frage ausbricht, wer denn die „herrlichen Menschen" seien. „Da sprach eine tiefe Stimme hinter ihm: ,Ei, lieber Herr, solltet ihr nicht die erkennen, die ihr fest in Sinn und Gedanken traget?' Er scliaute um sich und gewahrte einen ernsten stattlichen Mann mit einer grofien schwarzen Lockenperucke auf dem Haupt und ganz schwarz nach der Art gekleidet, wie man sich urns Jahr eintausendsechshundertundachtzig tragen mochte. Er erkannte alsbald den alten gelehrten Professor Johann Christoph Wagenseil ..(II. 276). Diese Ge¬ stalt erscheint genau so, wie sie vorn in der Chronik auf einem prachtigen barocken Kupfer abgebildet ist, und die von Hoffmann erwahnte Jahrzahl ist das vom Stecher seiner Signatur mit feiner Schrift beigefiigte Da¬ tum.4 Wagenseil fiihrt den Traumer gleich darauf zu den Minnesangern und zeigt und beschreibt ihm jeden einzelnen. Also: Hoffmann stellt dem Leser als Vorspiel einen Raum vor Augen, wo Menschen verschiedenster Zeiten zugleich auftreten,5 und zwar im Sinne eines gezielten Kommentars zur folgenden historischen Novelle, die damit, wie ,Doge und Doga-

4 Vgl. Johann Christof Wagenseils Buch von der Meister-Singer Holdseliger Kunst Anfang / Fortiibung / Nutzbarkeiten / und Lehr-Satzen. Es wird auch in der Vorrede von vermuthlicher Herkunfft der Ziegeiner gehandelt' (ohne Jahr und Ort; ? Niirnberg 1697). 5 Es handelt sich hier um eine Konstante des Autors, die sehr oft in die Charakterisierung der Mentoren hineinspielt und schon in einer Aufzeichnung aus der friihen Bamberger Zeit dokumentiert ist, wo es heifit: „Es miifite spaBhaft seyn Anekdoten zu erfinden und ihnen den Anstrich hochster Authentizitat durch Citaten u. s. w. zu geben, die durch Zusammenstellung von Personen, die Jahrhunderte aus einander lebten oder ganz heterogener Vorfalle gleich sich als gelogen auswiesen. - Denn mehrere wiirden iibertolpelt werden und wenigstens einige Augenblicke an die Wahrheit glauben" (V. 883). Hier liegt u. a. der Keim zum ,Ritter Gluck'. Die Begriffe „spaBhaft“ und „iibertolpeln“ diirfen nicht dariiber hinwegtauschen, dafi Hoffmann da eines seiner groBen Faszinosa formuliert. Er weifi zwar noch wenig damit anzufangen, aber bereits .Ritter Gluck' fiihrt weit iiber das „Spafihafte“ hinaus, und aus dem „Obertolpeln“ wird spater einmal das, was wir als das Ziel der serapiontischen Schulung des Lesers erklart haben. Ein imponierendes und allgemein unterschatztes Beispiel fiir die hier angelegte Methode ist die spate Erzahlung ,Die Rauber'.

resse‘, als ahistorisch, ja letztlich antigeschichtlich deklariert wird. Wichtig ist nur das Verhaltnis von Chronik und Erzahlung als dasjenige von Substrat und Schau; die andere Relation, zwischen Chronik und mittelalterlicher Wirklichkeit, fallt vollig aufier Betracht. Und wenn Hoff¬ mann am Schluft dieser Ouvertiire schreibt: „Mochte der erzahlte Traum in dir, geliebter Leser, ahnliche Empfindungen erregen“ (II. 279), so macht er damit die Absicht des Unterfangens nochmals und endgiiltig deutlich. Nun ist es aber an der Zeit, ganz entschieden auf den Widerspruch hinzuweisen, der da vorliegt. Hoffmann insinuiert dem Leser hartnackig die spontane Traumgeburt der jeweiligen Novelle, gebraucht dazu jedoch epische Hilfskonstruktionen, scharfsinnige Rahmen und eigens erfundene Erzahler, die gerade durch ihren offenbaren Geriist-Charakter jener vorgespiegelten Beschaffenheit zuwiderlaufen. Ein ungewolltes Eingestandnis dieses Sachverhalts findet sich im Zusammenhang mit ,Doge und Dogaresse': da hat er, wie wir oben zeigten, eine Mentorgestalt erdacht, welche die Geschichte berichten mub, und zwar so, dafi diese ganz und gar als ein im Innern „Aufgegangenes“ erscheint, das wie von selbst nach auBen tritt und fraglos unmittelbar zum kommunikativen Opus, zum Sprach-Gebild wird. Am Schlufi aber, als die Geschichte fertig und der fiktive Erzahler „mit starken raschen Schritten" verschwunden ist, lassen die Serapionsbriider noch ein paar wohlwollende Satze dariiber horen. Der erste fiigt sich bruchlos ins Bild: „Die Freunde lobten die Er¬ zahlung und waren einstimmig im Urteil, dafi Ottmar die wahre Ge¬ schichte des [...] Marino Falieri auf echt serapiontische Weise benutzt habe“ (II. 400). Demnach stimmt die Tatigkeit des schreibenden Serapionsbruders durchaus mit der des geschilderten Rahmenerzahlers iiberein. Dann hingegen heiBt es: „Ottmar [...] lieC es sich aber sauer werden, als er die Erzahlung schrieb. Denn auEerdem dafi ihn das hiibsche Bild unseres wackern Kolbe zu dem Ganzen begeistert, lag Le Brets Ge¬ schichte von Venedig immer aufgeschlagen auf dem Tische und das ganze Zimmer hatte er mit pittoresken Ansichten von den StraSen und Platzen Venedigs geschmiickt, die er Gott weifi wo uberall aufgetrieben" (II. 400). Dieser Schriftsteller, den wir fiir einen Moment wie durch einen Vorhangspalt an der Arbeit sehen - ein kleines, aber kostbares Genrebild

dieser Schriftsteller deckt sich nun ganz entschieden nicht mehr

mit dem geheimnisvollen Erzahler in der Kunstausstellung, der das schone Bild vor den Freunden lebendig werden lafit. Was im didaktischen Rahmen und ahnlichen, auf die Schulung des Lesers berechneten Veranstaltungen so oft vertuscht, wenn nicht glatt geleugnet wird, da£ es namlich mit dem „Schauen“, mit dem „Aufgehen des Bildes“ nicht getan ist, 172

sondern dafi es sich einer auch noch „sauer werden lassen" muf$, daft das mechanische Geschiift kein Armelschiitteln, sondern umstandliche, zeitraubende, auf alle moglichen Mittel und Instrumente angewiesene Ar¬ beit ist, das gibt dieser Abschnitt unverhofft zu. Der Poetentypus, den „Ottmar“ im Rahmen seiner Geschichte vorfiihrt, wird damit vom Autor contre coeur a!s einseitig stilisiert entlarvt. Und diese Tatsache zeigt nichts anderes, als daB der Unterschied zwischen dem Kunstwerk als Ac¬ tus und als Opus, resp. die tief in Hoffmanns Welterfahrung begriindete Unfahigkeit, diese beiden Dimensionen der asthetischen Tat in einer Einheit zu denken, mit starken Tinten auf die von ihm erfundenen Kiinstlergestalten abgefarbt hat. So wie er die Entstehung des Opus um des Actus

willen

iiberspringt oder unterschlagt,

zeigt er uns

auch den

Kiinstler immer wieder als den grofien „Schauenden“, der zwar gelegentlich in eine Baisse gerat, aber nach deren Uberwindung das Geschaute erneut wie im Traum aufs Papier bringt. Und da sind wir dann richtiggehend verbliifft, wenn pldtzlich einer vor unsern Augen an der Feder kaut. Woher kommt diese Hemmung? Was hindert Hoffmann, seine exemplarischen Dichter, Maler und Musiker auch bei der zeitraubenden Arbeit am Material zu zeigen, beim unverdrofinen Bemiihen, das Geschaute in dem ihrer jeweiligen Kunst eigenen Stoff nachzuformen? Warum laftt er die Serapionsbriider bis an den Rand des Uberdrusses ihr Prinzip wiederholen, aber kaum ein Wort verlieren liber die vielen erzahltechnischen Fragen, die sich aus den ganz verschieden konstruierten Novellen ergeben? Warum bleiben die atemraubendsten Kunststiicke mit doppelten und dreifachen Rahmen, die virtuosen Perspektiven, die Vorberichte und Riickblenden, die gezielt eingesetzten Spannungsmittel, die unverhofften humoristischen Verfremdungen und Umschlage, warum bleibt die ganze sub¬ tile Mechanik unerortert, obwohl den Dichter personlich solche Dinge stets beschaftigt haben miissen? Denn an einer eigentlichen erzahldramaturgischen Leidenschaft Hoffmanns ist nicht zu zweifeln. Ein Werk wie ,Prinzessin Brambilla', dieses scharfsinnige, bis in den letzten Satz geplante und durchdachte Furioso, dessen labyrinthische Verknauelung keiner auf Anhieb aufzulosen vermag und dessen aufterordentlicher intellektueller Reiz doch gerade in diesem standigen Vexierspiel besteht, ein solches Werk kann nur von einem Autor stammen, der das Schreiben nicht zuletzt als die Kunst einer hochartistischen Lesermystifikation begreift und zu diesem Zweck auch iiber ein stupendes Instrumentar verfiigt. Aber davon sagt er kein Wort, sondern stellt das nazarenisch angehauchte Bildnis des milden Narren Serapion wie einen breiten Wandschirm vor sein klirrendes Laboratorium. 173

Also nochmals: was hindert Hoffmann, diese seine tagliche Schreiber-Erfahrung, die zweifellos auch einen betrachtlichen Teil seines SchreiberVergniigens ausmacht, an den von ihm erfundenen Kiinstlern ebenfalls zur Anschauung zu bringen? — Offenbar fiirchtet er etwas, und zwar aus einer Tiefe heraus, wo sich die Gefiihle selbst begriinden. Er fiirchtet um den Karfunkel, das geglaubte Absolutum, das ebendiesen Absolutheitsanspruch verliert, sobald seine Tatigkeit zum Mittel wird. Und sie wird es in dem Moment, wo man das Kunstwerk wesentlich als das in Raum und Zeit gefertigte Gebilde begreift, als ein zu erringendes Aufieres. Genau diese Vorstellung aber mufi der Dichter selbst dem Leser wohl oder iibel insinuieren, wenn er einen Kiinstler im Kampf mit der Materie zeigt, feilend, verwerfend und verbessernd, wie es die Schaffenden selber sonst der Welt so gern als ihr heroisches Tun vor Augen riicken. Da verbietet sich ihm jedes Risiko, und selbst das erwahnte kleine Genrebild kann er nur rasch zwischenhinein anbringen, am Ende einer Erzahlung, die uns die Differenz zwischen Substrat und Schau einmal mehr griindlich beigebracht hat. Eben diese Erkenntnis aber, dafi und warum Hoffmann an seinen Kiinstlern einen von ihm personlich aufs lebhafteste erfahrenen Aspekt der Ar¬ beit systematisch unterschlagt, offnet uns nun unverhofft den Zugang zu einem Figuren-Typus, der von jedem Leser als ein Spezifikum des Dichters empfunden wird und mit dem wir trotzdem bislang eigentlich wenig anfangen konnten: zum

Mechanicus.

Dieser namlich

ist

die genaue

Komplementarfigur zum serapiontischen Kiinstler. Er schlagt sich ex of¬ ficio mit dem Stoff herum, er bastelt und konstruiert, er schraubt und hammert und nietet, kurz: er verfertigt Opera, wo jener andere „schaut“ und das Werk als Actus setzt. Und genau so, wie Hoffmann den Serapiontikern, den „wahren Kiinstlern", das mechanische Geschaft wider besseres Wissen abnimmt, htitet er sich umgekehrt bei den Mechanici in auffalliger Weise, von Kiinstlertum zu sprechen, auch wenn ihm die Sympathie zu ihnen in alien Fingern vibriert. Diese ausgepragte Dichotomie ist der unmittelbare Ausdruck der Actus-Opus-Spannung im Rahmen der Kiinstler-Typologie. Und nun wird es vielleicht auch verstandlich, war¬ um wir uns immer so entschieden dagegen gewehrt haben, die Gestalt des serapiontischen Kiinstlers, des Kapellmeisters Kreisler beispielsweise, mit der historischen Person Hoffmanns schlankweg zu identifizieren. Er selber ist namlich beides: Serapion und Mechanicus, ist es zugleich und untrennbar, auch wenn er in seinem ganzen Werk keine einzige Figur geschaffen hat, welche die zwei Dimensionen zu so bruchloser Einheit verbindet. Es ist der Mechanicus Hoffmann, der aus einer einfachen Fabel einen Komplex von spannenden und kunstvoll ineinander verschrankten 174

Erzahleinheiten macht; der die Helden in die verworrensten Situationen fiihrt und dann die verbliiffendsten Auswege findet; der in seinen beiden Romanen bei scheinbarem Durcheinander aller Verhaltnisse eine erstaunliche Zahl paralleler Handlungsstriinge stiindig prasent und straff in Hiinden halt. Es ist der Mechanicus Hoffmann, der die Kunst des Fertigmachens — die crux fast aller seiner Zeitgenossen — in so bewundernswerter und noch ganz ungeniigend gewiirdigter Weise beherrscht. Und es ist schlieElich der Mechanicus Hoffmann, der jene ausgekliigelten didaktischen Veranstaltungen trifft, welche dem Leser das Bild vom rein „schauenden“, aller Planung und Berechnung abholden Kiinstler nahelegen sollen. Das einzige Absolutum ist fur ihn die divine Imagination; aber eben deshalb behandelt er die Sprache als ein wesentlich mechanistisches Me¬ dium und treibt seine Erzahlkunst wie ein Automatenbauer. Und jetzt, da wir dieses Prinzip einigermafien klar formuliert haben, finden wir es in den Werken selber uniibersehbar Gestalt geworden. Die im Autor innig verfiigte Doppelheit Serapion / Mechanicus steht als das Freundespaar Kreisler / Abraham im Zentrum des Romans ,Kater Murrk In dieser Form, als zwei einander herzlich zugetane Manner, hat Hoff¬ mann seine eigene asthetische Januskopfigkeit zur genauesten ihm jemals moglichen Anschauung gebracht. Dabei muE hier gleich ein warnender Einwand vorgeschoben werden. Es gibt bei Hoffmann keine Mechanicus-Theorie, wie es eine Kunstler-Theorie gibt. Die Konstrukteure und Maschinenmacher iiben auf ihn seit friihster Zeit eine auCerordentliche Faszination aus, aber es wird ihm bei die¬ ser Zuneigung nie recht wohl. Er zeigt sich zwar liber Kleists Marionetten-Aufsatz begeistert (vgl. an Hitzig, i. Juli 1812), doch nicht, weil ihm die grandiose chiliastische Metapher als solche eingegangen ware sie hatte ihm auch bei groEerer Neigung zu streng philosophischem Denken fremd bleiben miissen -, sondern weil hier ein verehrter Autor jenes Thema als solches sanktioniert, an dem er mit schwankendem Gewissen ein so fragloses Wohlgefallen hat. Schon im Jahre 1803, zur Zeit seiner Verbannung nach Plock, als er versucht, sich von seiner jammervollen Abgeschiedenheit aus einen Namen als Kiinstler zu machen und fast gleichzeitig an den Ziircher Musikalienverleger Hans Georg Nageli eine Komposition (c-Moll-Fantasie), an den Berliner ,Freimiithigenc eine musik- und literaturtheoretische Abhandlung (,Schreiben eines Klostergeistlichen') und an den Dramatiker Kotzebue das Lustspiel ,Der Preis‘ einsendet, findet sich im Tagebuch - neben StoEseufzern iiber den „lyrischen Traum des wirksamen freien Kiinstlerlebens“ (8. Okt.) — der bezeichnende Satz: „Mir vorgenommen einmal wenn die gute Zeit da sein wird zu Nutz und Frommen aller Verstandigen die ich bei mir sehe ein Automat 175

anzufertigen! — Quod deus bene vertat!" (2. Okt. 1803). Da haben wir durch einen gliicklichen

Zufall

die Hoffmannsche Personalunion von

Meister Abraham und Johannes Kreisler bereits aus friihen Jahren dokumentiert, wobei von dem prinzipiellen Zweifel allerdings noch nichts zu spiiren ist, den man spater immer wieder feststellen kann. Fiir diese letztere Tatsache besonders aufschlufireich ist die Erziihlung ,Die Automate1 (das Wort ist als Pluralform zum Singular „das Automat" zu lesen). Obwohl das Werk heute im zweiten Band der ,Serapionsbriider‘ steht, ist es bereits im Januar 1814 entstanden, i. e. in Dresden zur Zeit der ,Fantasiestiicke‘. Der Brief, mit dem Hoffmann es der ,Allgemeinen Musikalischen ZeitschrifP zustellte, versucht, die Themenwahl und die Lange der Arbeit zu rechtfertigen, und dabei fallt der vielsagende Satz:

weil ich Gelegenheit gefunden mich iiber alles, was Automat

heiftt auszusprechen ..." (an Rochlitz, 16. Jan. 1814). Das nimmt sich, von dem zwiespaltigen Ergebnis her gesehen, eher euphemistisch aus; in Wahrheit miilke er namlich schreiben: ... weil ich Gelegenheit gesucht, mir liber alles, was Automat heifit, klar zu werden. Denn das ist der offensichtliche Stimulus des Werks, und man kann bei der Lektiire dem ernstlichen, ja erregten Bemiihen des Autors den Respekt nicht versagen. Nur: was zuletzt dasteht, ist die eklatanteste Konfusion. Seine Methode, mit einem Problem dadurch zu Rande zu kommen, dafi er daraus eine Geschichte macht, dieses fiir den miihsamen Denker und souveranen Erfinder so bezeichnende Vorgehen, dem wir viele seiner besten Sachen verdanken, scheitert hier vollig. Er bringt zwar, dem Versprechen gemaB, beinahe alles zur Sprache, „was Automat hei£t“, und verkniipft es geschickt mit dem „Prozefi“ eines jungen Enthusiasten - nebenbei: eine reizvolle Variation der gemalten Geliebten -, aber er zieht aus diesen richtigen und instinktsicher gesetzten Pramissen keine Folgerungen, weder als Erzahler noch als Theoretiker, sondern gerat in ein irritierendes Hin und Her von positiven und negativen Urteilen iiber die diversen Maschinenwesen, das bis zum Schluf? entschieden widerspriichlich bleibt. Es gibt wohl keinen einigermafien eingeschulten Hoffmann-Leser, der von dieser Arbeit nicht in ganz besonderer Weise enttauscht wiirde; denn das echte Anliegen des Dichters ist durchwegs spiirbar, und man erwartet fortwahrend einen grundsatzlichen AufschluS, der dann eben doch nicht kommt. Was aus dem Ansatz des Ganzen schliefilich hervorgehen miifite, ware die Lehre vom Teraphim und vom Teraphim-Charakter jedes gefertigten, in Raum und Zeit zu dauernder Gestalt gefiigten Kunstwerks. Hoffmanns spontane Lust an den Automaten lie£e sich dann rechtferti¬ gen als das Vergniigen

an

der mechanischen

Spiegelgestalt, die das

Licht der Imagination weckt und reflektierend sichtbar macht. Und tat176

sachlich streift der Dichter in einigen Abschnitten haarscharf an dieser Losung vorbei, so etwa, wenn er liber die Funktion des MechanischInstrumentalen in der Musik sagt: „Ist es denn nur allein der aus dem Munde stromende Hauch, der dem Blasinstrumente, sind es nur allein die gelenkigen geschmeidigen Finger, die dem Saiteninstrumente Tone entlocken, welche uns mit machtigem Zauber ergreifen [...]? 1st es nicht vielmehr das Gemiit, welches sich nur jener physischen Organe bedient, um das, was in seiner tiefsten Tiefe erklungen, in das rege Leben zu bringen, daft es andern [...] die gleichen Anklange im Innern erweckt, welche dann im harmomschen Widerhall dem Geist das wundervolle Reich erschlieften [...]?“ (II. 347). Da ist uniiberhorbar von der Actus-Opus-Differenz die Rede, vom Opus als dem mechanistischen Medium, das den Actus des schaffenden Kiinstlers in der Einbildungskraft des Rezipierenden wiederum entstehen laftt. Auch das Verhaltnis zwischen Ferdinand, dem Protagonisten der Erzahlung, und dem „redenden Tiirken", dem von einem reisenden Mechanicus vorgeflihrten homme machine, lauft im Grunde auf dieses Prinzip hinaus (das Orakel der Kunstfigur ist das Echo dessen, was ungehort aus dem Innern des Fragenden tont), weshalb wir oben gesagt haben, daft der novellistische Ansatz Hoffmanns eigentlich richtig und potentiell fruchtbar sei. Was ihn nun aber scheitern laftt und in den erwahnten Wirrwarr fiihrt, ist nicht der Umstand, daft er das von uns eben prinzipiell Herausgestellte nur schwerfallig und in fahrigen Konturen zu formulieren vermag, sondern daft sich daraus unerhorte Folgerungen ergaben. Er schreckt ganz einfach vor dem Gedanken zuriick, daft, sobald das Kunstwerk ausschliefilich im kreativen Akt der durch ein mechanistisches Substrat erweckten Einbildungskraft besteht, dieses Substrat, das Opus, in letzter Konsequenz ebensogut eine Marionette wie die Madonna von Raffael sein kann, ebensogut eine Musikdose wie das Quartettspiel lebenlang geschulter Meister. Wir haben im ersten Kapitel gesehen, daft er diesen Schluft als reiner Erzahler, der sich von seinen Gestalten jederzeit distanzieren kann, tatsachlich zieht - man denke an die Geschichte des Barons von B. (II. 743ff) -, aber der expliziten theoretischen Bewaltigung, die zudem nicht beim Phanomen der Einbildungs¬ kraft, sondern beim Phanomen des Substrats beginnt, also rein methodisch den tiickevollsten moglichen Weg einschlagt, dieser Bewaltigung ist er nicht gewachsen. Es muft daher ausdriicklich davor gewarnt werden, einzelne Dikta dieser Schrift als (scheinbar autorisierte) Grundlage fur Hoffmann-Interpretationen zu benutzen. Allerdings ist hier auch zu sagen, daft man sich zwar eine luzidere Abhandlung iiber „alles, was Automat heiftt", denken kann, daft aber eine auf diskursivem Weg gewonnene, unanfechtbar schliissige Losung bei den 177

gegebenen Voraussetzungen in sich unmoglich ist. Hoffmann kapituliert zweifellos zu friih, er hatte jedoch in jedem Fall kapitulieren miissen. Denn an den Karfunkel, der als ein Absolutum der ganzen durch ihn bis zur Belanglosigkeit relativierten AuBenwelt gegeniibersteht, kann man wohl glauben, ein Traktat dariiber, der sich alien Fragen der unbestechlichen Vernunft stellt und sie schrittweise zu erledigen unternimmt, wiirde hingegen notwendigerweise in den klaren Unsinn miinden. Deshalb haben wir den Mythologem-Charakter von Hoffmanns Imaginationsbegriff so entschieden betont. Und diese Aporie steckt in unverminderter Scharfe auch hinter dem Axiom von der radikalen Actus-OpusDifferenz und tritt unerbittlich an den Tag, sobald versucht wird, ein Schliisselphanomen wie die Automaten grundsatzlich zu behandeln. Nun hat aber gerade die Tatsache, dafi Hoffmann diesen ihn aufs innigste faszinierenden Themenkreis um die Automaten und Mechanici auf keinen praktikablen Nenner zu bringen vermag, eine durchaus erfreuliche Folge. Denn was dem Theoretiker dabei entgeht, kommt vervielfacht dem Erzahler zugute. Fiir diesen behalt der Komplex eine ratselhafte Magie. Er kommt sein ganzes Werk hindurch immer wieder darauf zuriick, entwirft stets neue Figuren aus dieser Sphare, und alle haben etwas erregend Zwiespaltiges, Schillerndes, bald ins Unheimliche, bald ins Bose, bald ins blob Skurrile Spielendes an sich, eine inkommensurable Di¬ mension, die gerade bei einem zu Stereotypien neigenden Schriftsteller von grofiter kiinstlerischer Bedeutung ist. Wenn die jugendlichen Helden Hoffmanns allzu oft nach einem Muster geschneidert wirken, so weisen die Mechanici immer eine ganz eigene, unvertauschbare Physiognomie auf. Selbst dort, wo er sie als Beispiele fiir das falsche Selbst- und Weltverstandnis einsetzt, das nichts vom Karfunkel weifi - etwa Swammerdamm und Leuwenhoek im ,Meister Floh‘ - ,erschafft und schildert er sie mit einer erzahlerischen Intensitat, welche die Qualitat des ganzen Werks wesentlich hebt. Oder man denke an den unvergleichlichen Anfang der ,Jesuiterkirche in G.‘, an die nachtliche Arbeit des Malers Berthold in dem leeren, von einer einzigen Fackel erhellten Gebaude! Auf ahnliche Art versucht, von der Interpretation in eine Laudatio abzugleiten, ist man angesichts der Figur des Paten Drosselmeier im ,Nu£knacker‘, jenes Mechanicus, dem Hoffmann am meisten autobiographische Ziige beigegeben hat und den er ebenfalls in einer so merkwurdigen Schwebe zwischen Sympathie und hintergriindiger Graulichkeit halt. Drosselmeier ist zudem eine Gestalt, in welcher Mechanicus und Geschichtenerzahler pointiert identifiziert werden, ein Faktum, das fiir die Uberlegungen dieses Kapitels von groBem Gewicht ist. Dafi Drosselmeier wiederum mit keiner andern Figur mehr gemeinsam hat als mit Coppelius / Coppola im

178

,Sandmann‘, dem Konstrukteur des Automatenmadchens Olimpia, der dem ungliicklichen Nathanael als die Verkorperung des Bosen schlechthin vorkommt, haben wir bereits friiher festgestellt. Aber auch die koniglichsten Mentorgestalten Hoffmanns, die iiberlegenen Magier vom Schlage des Archivarius Lindhorst und des Prosper Alpanus, entdecken sich stets zugleich als grobe Mechanici, die mit magistralen optischen und automatischen Veranstaltungen die Imagination der ahnungslosen Helden wecken, lenken und zuletzt vor den erlosenden Spiegel fiihren. Die ganze Spannweite, in der sich der Mechanicus-Typ bei Hoffmann bewegen kann, ist schon in der Schrift ,Die Automate* abgesteckt — wenn auch, um es nochmals zu sagen, weder theoretisch noch erzahlerisch bewaltigt —, und zwar an der Figur des „Professors X.“, der zuerst als ein dubioser Scharlatan vorgefiihrt wrid, mit „unangenehm stechenden" Augen und einer „hochst widrigen" Stimme, die „zu der marktschreierischen Art paBte, womit er seine Kunstwerke ankiindigte“ (II. 345), der den Freunden ein Konzert automatischer Musikanten vorfiihrt, vor dem sie sich entsetzen, und der dann am SchluB doch wieder als ein geheimnisvoller Eingeweihter, ein souveraner Lenker aus der Feme dasteht: „Sein geheimnisvolles Laboratorium sei ein schoner Garten bei der Stadt, und oft hatten schon Voriibergehende seltsame Klange und Melodien ertonen gehort, als sei der Garten von Feen und Geistern bewohnt“ (II. 353). Der Mechanicus: es ist der Mann, der den Teraphim baut. Wenn er diesen verwechselt mit dem wahren Kunstwerk, ist er eine schlimme Figur, Urbild des verkehrten Kiinstlers. Wenn er ihn, wissend und erfahren, als das Medium gebraucht, den Enthusiasten zur Begegnung mit sich selbst zu leiten, mit dem schaffenden Karfunkel, ist er der groBe, aller Verehrung werte Magier. Wenn der „ProzeB“ des Enthusiasten aber scheitert, fallt auf ihn ein damonisches Licht, und wir sehen ihn, mit-leidend mit dem Helden, als einen hohnischen Verfiihrer. Und diese von uns etwas scholastisch aufgetrennten Funktionen greifen im konkreten Fall immer ineinander, iiberdecken sich teilweise und wandeln sich parallel zur BewuBtseinskurve des jeweiligen Protagonisten. Und noch etwas fallt auf: gerade an den Mechanici, die im Gegensatz zu den serapiontischen Kiinstlern in der Gesellschaft nicht als Gehetzte, sondern mit trotziger Sicherheit auftreten, wird stets wieder eine versteckte Melancholie sichtbar, etwas trauervoll Resigniertes, das Skurrilitat und grimmige Ausbriiche nur unvollkommen verschleiern. Es ist nicht das jahe Auf und Ab von Exaltation und Verzweiflung, wie es jene andern charakterisiert, sondern eine griindlich eingelagerte Stimmung, an der nichts zu andern ist. Sie tritt etwa im Verlauf der erwahnten Expo¬ sition der Jesuiterkirche in G.‘ am Maler Berthold schrittweise an den i79

Tag. Dieser kommt uns zuerst als gclassener und uberlegter Kunst-Arbeiter vor, in jener Szene, wo es Hoffmann gelingt, einen Maler als reinen Mechanicus zu zeigen, der das Opus ohne den vorlaufenden Actus zustande bringt und doch nicht als ein iibler Scharlatan verurteilt wird. Es ist ein Auftritt, der, wenn wir systematisch denken, in der genausten moglichen Opposition steht zu den im ersten Kapitel behandelten Malern vor der leeren Leinwand! Der Erzahler berichtet: „Als ich bei der Jesuiterkirche voriiberging, fiel mir das blendende Licht auf, das durch ein Fenster strahlte. Die kleine Seitenpforte war nur angelehnt, ich trat hinein und wurde gewahr, daft vor einer hohen Blende eine Wachsfackel brannte. Naher gekommen bemerkte ich, daft vor der Blende ein Netz von Bindfaden aufgespannt war, hinter dem eine dunkle Gestalt eine Leiter hinauf und hinunter sprang, und in die Blende etwas hineinzuzeichnen schien. Es war Berthold, der den Schatten des Netzes mit schwarzer Farbe genau iiberzog. Neben der Leiter auf einer hohen Staffelei stand die Zeichnung eines Altars. Ich erstaunte iiber den sinnreichen Einfall. Bist du, giinstiger Leser, mit der edlen Malerkunst was weniges vertraut, so wirst du ohne weitere Erklarung sogleich wissen, was es mit dem Netz, dessen Schattenstriche Berthold in die Blende hineinzeichnete, fur eine Bewandtnis hat. Berthold sollte in die Blende einen hervorspringenden Altar malen. Um die kleine Zeichnung richtig in das Grofte zu iibertragen, muftte er beides, den Entwurf und die Flache, worauf der Entwurf ausgefiihrt werden sollte, dem gewohnlichen Verfahren gemaft mit einem Netz iiberziehen. Nun war es aber keine Flache, sondern eine halbrunde Blende, worauf gemalt werden sollte; die Gleichung der Quadra¬ te, die die krummen Linien des Netzes auf der Hohlung bildeten, mit den geraden des Entwurfs und die Berichtigung der architektonischen Verhiiltnisse, die sich herausspringend darstellen sollten, war daher nicht anders zu finden, als auf jene einfache geniale Weise. Wohl hiitete ich mich vor die Fackel zu treten und mich so durch meinen Schlagschatten zu verraten, aber nahe genug zur Seite stand ich, um den Maler genau zu beobachten. Er schien mir ganz ein anderer, vielleicht war es nur die Wirkung des Fackelscheins, aber sein Gesicht war gerotet, seine Augen blitzten wie vor innerm Wohlbehagen ..(I. 4i6f). Spater zeigt es sich, daft er auch seine Farbtopfe und die zu tmgierenden Flachen zum voraus mit entsprechenden Zahlen beziffert hat und nun sein Werk in der Nacht vollkommen richtig kolorieren kann, obwohl er die Farben optisch nicht zu unterscheiden vermag und kaum mehr als Grau in Grau sieht. Wir wis¬ sen, mit welcher Schiirfe Hoffmann iiber eine solche Kunst-Praxis richten konnte, die er hier mit unverkennbarer Anteilnahme beschreibt, und daft er das „innere Wohlbehagen" dieses Konstrukteurs als Symptom des iibel180

sten „Philistrismus“ zu bezeichnen imstande ware. Aber Bertholds „inneres Wohlbehagen“ stammt eben nicht aus dem verkehrten Kunstverstandnis eines Mannes, der nichts vom Karfunkel weift, sondern es stellt sich nur gelegentlich ein, in den Augenblicken intensivster Hand-Arbeit, als die fliichtige Heiterkeit auf dem Fundus einer tiefen Melancholie. Diese tritt denn auch mit dem Ende des Werks und dem nahenden Tag immer starker wieder in ihr Recht: „Der Morgen dammerte, der Schein der Fackel verblaftte vor den hereinbrechenden

Sonnenstrahlen.

Berthold

make eifrig fort, aber er wurde stiller und stiller und nur einzelne Laute — zuletzt nur Seufzer, entflohen der gepreftten Brust“ (1.420). Und der ganze Abschnitt endet mit dem Satz: „Die hellen Sonnenstrahlen fielen in des Malers leichenblafi zerstortes Gesicht, und er war beinahe gespenstisch anzusehen, als er fortwankte durch die kleine Pforte in das Innere des Kollegiums“ (I. 421). Es geht uns hier nicht um das Schicksal die¬ ses Mannes, nicht um die Vorgeschichte und die Geheimnisse seiner Biographie, sondern um den Typus, den er, unabhangig vom Novellenkontext, verkorpert. So wie ein Kreisler angesichts

der Aufgabe,

seine

„Schau“ ins Materielle umzusetzen, verzagt und alles Aufgeschriebene gleich wieder verbrennt, leidet die komplementare Figur, der Mechanicus, am Wissen, dafi alles, was er baut und fertigt, leblos bleibt, wenn es nicht von einer serapiontischen Imagination erfafit und iiberformt wird. Und gerade iiber die hat er keine Macht. So mufi auch der Pate Drosselmeier im ,Nufiknacker£ mit zorniger Resignation zusehen, wie die Kinder sein wunderbares, von Klang und Lichtern erfiilltes automatisches Schlofi nach kurzer Zeit mit schnoden Worten ablehnen (wir haben die Szene oben S. 88 ausfiihrlich dargestellt), wie sein Teraphim eine tote Puppe bleibt. Dabei geht es dort allerdings so weiter, dafi Drosselmeier, in einem zweiten Anlauf, an die Stelle des Schlosses sein Marchen setzt und damit das Ziel doch noch erreicht: dieses Opus wird vor den schauenden Augen der kleinen Marie tatsachlich lebendig. Auch hier fallt uns wieder der Autor Hoffmann selbst ein, seine oben nachgewiesene Angst, die Leser konnten vor seinen Gebilden versagen und ihnen das farbige Leben vorenthalten, auf das hin er berechnet und gebaut hat und das eben nur im Strahl der rezipierenden Phantasie aufbricht. Aus dieser Angst heraus greift er immer wieder zu Mitteln, die ihm schon zu Lebzeiten den Vorwurf iiberreizter und kiinstlerisch fragwlirdiger Effekte eingetragen haben, schlagt wirbelnde Tempi an, arbeitet mit krassen Umschlagen und unvorbereiteten Kontrasten und laBt Geheimnisse, mit denen er Neugierde und Hingabe des Lesers planmafiig gesteigert hat, zuletzt, nach Scheinerklarungen und neuen Illusionen, genau um so viel offen, dafi die Vorstellungskraft nicht ganz zum Still-

stand kommt, sondern in einer nur halbwegs behaglichen Unruhe weiterschwingt. Es ist jene Wirkung, die er in der Vorrede zu den ,Abenteuern der Silvester-Nacht' seinen Erfindungen wlinscht:

daft du, ih-

rem wunderbarlichen Treiben ganz hingegeben, manchen kleinen Fieberschauer, den sie, starker dich fassend, dir erregen konnten, willig ertragen mogest, darum bitte ich, giinstiger Leser! recht von Herzen"

(I. 256).

Denn was er hier Fieberschauer nennt, ist ja nichts anderes als die Wirkung des „Schauens“, und in diesem „Schauen“ wiederum wird der Karfunkel unmittelbares Ereignis, das riicksichtslos geglaubte Mythologem, die Axis seiner ganzen Haresie. Die kiinstlerischen Einwande aber, die wir eben erwahnten und um die auch die strenge EIoffmann-Forschung nie ganz herumkommt, hat er selber in einem Gesprach zwischen Meister Abraham und Johannes Kreisler im ,Kater Murr‘ prazis zur Sprache gebracht. Daft der Schriftsteller Hoffmann hier mit dem Mechanicus Abraham viel entschiedener identifiziert wird als mit dem Kapellmeister, bestatigt nur unsere Ausfiihrungen iiber seine Obereinstimmung mit beiden Figuren. Kreisler ist durch das zufallige Hineintreten in ein mechanisch-optisches Experiment Abrahams, das ihm seinen eigenen Doppelganger scharf umrissen vor Augen stellte, erschiittert und macht dem Meister Vorwiirfe: „,Ich kann,‘ sprach Kreisler, ,ich kann nun einmal, Meister, Euren seltsamen Hang zu solchen Foppereien nicht begreifen. Ihr prapariert das Wunderbare wie ein geschickter Mundkoch, aus allerlei scharfen Ingredienzien, und meint, daft die Menschen, deren Fantasie, wie der Magen der Schlemmer, flau geworden, irritiert werden miissen durch solches Unwesen. Nichts ist abgeschmackter, als wenn man bei solchen vermaledeiten Kunststiickchen, die einem die Brust zusammenschniiren, dahinterkommt, daft alles natiirlich zugegangen/ - ,Natiirlich! — natiirlich', rief Meister Abra¬ ham, ,als ein Mann von ziemlichem Verstande, solltet Ihr doch einsehen, daft nichts in der Welt natiirlich zugeht, gar nichts! - Oder glaubt Ihr, werter Kapellmeister, daft deshalb, weil wir mit uns zu Gebote stehenden Mitteln eine bestimmte Wirkung hervorzubringen vermogen, uns die aus dem geheimnisvollen Organismus stromende Ursache der Wirkung klar vor Augen liegt? - Ihr habt doch sonst vielen Respekt vor meinen Kunststiicken gehabt ..(III. 439). Das ist ein merkwiirdiges Ge¬ sprach. Kreisler macht dem Freund Vorwiirfe wegen der „scharfen In¬ gredienzien" seiner Veranstaltungen, die ihm ein so tiefes Entsetzen hervorgerufen haben, und gesteht im gleichen Atemzug ein, daft ihn eigentlich nur die natiirliche Ursache dieses Erlebnisses argert. Das heiftt, er will nicht anerkennen, daft das, was er das „Wunderbare“ nennt und wozu er (gut hoffmannisch) Gespenstisches und Beseligendes gleichermaften

zahlt, iiber berechenbare auftere Mittel zustande kommt. Und wenn ihn ein solches Erlebnis noch so heftig durchfahren hat, er glaubt es als liigenhafte Tiiuschung verdammen zu miissen, sobald er feststellt, daft des Mechanicus „vermaledeite Kunststiickchen" daran ursachlich beteiligt waren. Deshalb geht Abraham in seiner Antwort gar nicht auf die Frage der iiberscharfen Ingredienzien ein, sondern halt dem Freund nur eines vor Augen: daft die Ivunststiicke nicht die ganze Ursache der Wirkung im Innern Kreislers sind; daft sie nicht einfach ein Wunderbares vorspiegeln, sondern den gezielten Anstoft geben zu dessen selbsttatiger Entfaltung. Dies meint die etwas unklare Wendung von der „aus dem geheimnisvollen Organismus stromenden Ursache". Was hingegen besonders auffallt, ist die Tatsache, daft Hoffmann damit offenbar auch den Vorwurf der iiberreizten Ingredienzien fur erledigt halt. Diese sind ihm fabrikatorische Mittel, die man nicht aus dem Gesamtvorgang herauslosen und isoliert betrachten darf, - wie nach unsern friiheren Ausfiihrungen die superlativische Sprache nicht nach dem Wort, sondern nach dem durch sie geziindeten imaginativen Farb- und Gestaltenspiel zu wagen ist. Als objektiv schliissig kann die Uberlegung allerdings nicht gelten. Der reine Medium-Charakter des gefertigten Opus eriibrigt die Frage nach der Adaquatheit der eingesetzten Mittel nicht. Hoffmann tut nur so und verwischt den kritischen Ansatzpunkt mit einem Scheinschluft. Denn die spezifische Dynamik seiner Werke, die man so oft mit Begriffen wie: fieberhaft, hektisch, iiberhitzt und ahnlichen, in ihrem wertenden Unterton etwas voreiligen Termini zu erfassen sucht, stammt eben im letzten aus der erwahnten Melancholie des Mechanicus, der auf den erweckenden Blick des Lesers nur hoffen, seiner aber nie sicher sein kann, und der mit alien Mitteln versucht, das Hochstmaft an forderlichen Vorbedingungen zu schaffen. Wie diese Anstrengung, auf Grund der nie gelosten Skepsis, plotzlich wieder umschlagen kann in zwielichtige Selbstironie, zeigt beispielhaft die Szene, wo Meister Abra¬ ham in Gegenwart Julies vom Gedanken an seine verlorene Geliebte iiberwaltigt wird und sich selber grimmig karikiert: „,Mein schones Fraulein‘, sprach er mit dem grellen Ton, in dem aufschneiderische Geheimniskramer gewohnlich ihre Wunder anzupreisen pflegen, ,mein schones Fraulein, nur ein wenig Geduld, ich werde bald die Ehre haben, Ihnen hier im Fischerhauschen die allerwunderbarsten Dinge zu zeigen. (...) Fur jetzt nur etwas weniges schlichtes Amusement!' - Damit sprang der Meister mit der Schnelle und Febendigkeit eines Jiinglings im Zimmer umher, zog die Maschinen an, ordnete die magischen Spiegel. Und in alien Winkeln wurde es rege und lebendig, die Automaten schritten daher und drehten die Kopfe und ein kiinstlicher Hahn schlug mit den Fliigeln und 183

krahte, wahrend Papageien gellend dazwischenkreischten und Julia selbst und der Meister standen draufien so gut wie im Zimmer“ (III. 6}yf). Es gibt den Karfunkel, und es gibt das Automat. Sie schlieften sich gegenseitig aus, und sie stehen dennoch zueinander in einer unabdingbaren Relation. Auf diesem von Energiefeldern umlagerten Paradoxon beruht die condi¬ tio poetae des Schriftstellers E. T. A. Hoffmann.

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LITERATURVERZEICHNIS

Zitiert wird nach der ini Winkler-Verlag, Miinchen, 1960—1965 erschienenen Ausgabe der samtlichen Werke in fiinf Banden. Die einzelnen Bande smd vom Verlag nicht beziffert. Die romischen Zahlen in unsern Angaben beziehen sich auf die folgende Anordnung: I

Fantasie- und Nachtstucke. Nach dem Text der Erstdrucke, unter Hinzuziehung der Ausgaben von Carl Georg von Maassen und Georg Ellinger, hg. von Walter Miiller-Seidel. Anmerkungen von Wolfgang Kron. 1961

II

Die Serapions-Bruder. Nach dem Text der Erstausgabe unter Hinzu¬ ziehung der Ausgaben von Carl Georg von Maassen und Georg Ellin¬ ger. Anmerkungen von Wulf Segebrecht. 1963

III

Die Elixiere des Teufels. Lebens-Ansichten des Raters Murr. Nach dem Text der Erstausgabe unter Hinzuziehung der Ausgaben von Carl Georg von Maassen und Georg Ellinger. Anmerkungen von Wolfgang Korn. 1961

IV

Spate Werke. Nach dem Text der Erstdrucke unter Hinzuziehung der Ausgaben von Carl Georg von Maassen, Georg Ellinger und Hans von Muller. Anmerkungen von Wulf Segebrecht. 1965

V

Schriften Zur Musik. Nachlese. Nach dem Text der Erstdrucke und Handschriften hg. und mit Anmerkungen versehen von Friedrich Schnapp. 1963.

Die arabischen Zahlen in den Zitatverweisen (zB. 1.219) beziehen sich auf die Seite des betreffenden Bandes. Obwohl es sich bei dieser Ausgabe nicht um eine historisch-kritische handelt (Carl Georg von Maassens Unternehmen einer solchen Edition ist fragmentarisch geblieben), sind die Zitate durchwegs in der von ihr vorgelegten orthographischen Form belassen. Fiir die Briefe und Tagebiicher wurde benutzt: Dichtungen und Schriften sowie Briefe und Tagebiicher. Gesamtausgabe in fiinfzehn Banden, hg. von Walter Harich, Bd. 14 und 15, Weinmar 1924 E. T. A. Hoffmanns Briefwechsel, gesammelt und erlautert von Hans von Muller (t) und Friedrich Schnapp, hg. von Friedrich Schnapp, Miinchen (Winkler), 1967-1969 Die Hoffmann-Literatur ist in jiingster Zeit von Klaus Kanzog und Jiirgen Voerster griindlich aufgearbeitet worden:

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Klaus Kanzog, Grundziige der E. T. A. Hoffmann-Forschung seit 1945. Mit einer Bibliographie. In: Mitteilungen der E. T. A. HoffmannGesellschaft 9, Bamberg 1962 Klaus Kanzog, E. T. A. Hoffmann-Literatur 1962-1965. ebd. 1966 Jurgen Voerster, 160 Jahre E. T. A. Hoffmann-Forschung, Stuttgart 1967 Die folgende Liste fiihrt nur jene Werke auf, die fiir die vorliegende Schrift von besonderer Bedeutung sind. Bereits in den Anmerkungen zitierte Werke, die nicht zur eigentlichen Hoffmann-Literatur gehoren, werden nicht mehr genannt. Arx, Bernhard von: Novellistisches Dasein. Spielraum einer Gattung in der Goethezeit. Zurich 1953 Beguin, A.: L’ame romantique et le reve. Essai sur le romantisme allemand et poesie franfaise. Marseille 1937 Benz, R.: Die deutsche Romantik. Geschichte einer geistigen Bewegung. Leip¬ zig 1937 Bergengruen, W.: E. T. A. Hoffmann. Stuttgart 1939 Brion, M.: L’Allemagne romantique, Paris 1963 Chapuis, A.: Les automates dans les oeuvres d’imagination. Neuchatel 1947 Cysarz, H.: Die Phantasie E. T. A. Hoffmanns. Ein weltliterarisches Phanomen. Ostdeutsche Monatshefte 27, 1961 Dahmen, H.: E. T. A. Hoffmanns Weltanschauung, Marburg 1929 Egli, G.: E. T. A. Hoffmann. Ewigkeit und Endlichkeit in seinem Werk. Zurich i927 Ehinger, H.: E. T. A. Hoffmann als Musiker und Musikschriftsteller. Olten

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Mitteilungen der E. T. A. Hoffmann-Gesellschaft, Sitz in Bamberg. Hg. unter Mitwirkung namhafter Fachmanner. 3 Hefte 1938-1943, Heft 5-15, i95^“ 1969

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Motiv-Interpretation.

Literaturw.

Jahrbuch NF 4, 1963 - Zum Verstandnis der Werke. In: Hoffmann: Nachtstiicke, Hamburg 1964 Muller, Dieter: Zeit der Automate. Zum Automatenproblem bei Hoffmann. Mitt. d. E.T.A. H.-Ges. 12, 1966 Muller, Helmut: Untersuchungen zum Problem der Formelhaftigkeit bei E.T.A. Hoffmann. Bern 1964 Negus, K. G.: E.T.A. Hoffmann’s Other World, The Romantic Author and his New Mythology. Philadelphia 1965 Nipperdey, O.: Wahnsinnsfiguren bei E. T. A. Hoffmann. Koln 1957 Ochsner, K.: E.T.A. Hoffmann als Dichter des Unbewufiten. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte der Romantik. Frauenfeld 1936 Ohl, H.: Der reisende Enthusiast. Studien zur Haltung des Erzahlers in den Fantasiestucken E. T. A. Hoffmanns. Frankfurt 1955 (Diss. Mschr.) Pfeiffer, J.: Die Geschichte von dem Bergmann zu Fahlun. In: Wege zur Erzahlkunst, Hamburg 1953 Pfeiffer-Belli, W.: Mythos und Religion bei E.T.A. Hoffmann. Euphorion 34,1933 Planta, U. O. von: E.T.A. Hoffmanns Marchen „Das fremde Kind“. Bern 1958 Pongs, H.: Das Bild in der Dichtung. Marburg 1939 Preisendanz, W.: Humor als dichterische Einbildungskraft. Munchen 1963 - Eines matt geschliffenen Spiegels dunkler Widerschein. E. T. A. Hoffmanns Erzahlkunst. In: Festschrift Trier, Koln 1964 - Zur Poetik der deutschen Romantik: Die Abkehr vom Grundsatz der Nachahmung. In: Die deutsche Romantik, Poetik, Formen und Motive. Hg. von Hans Steffen. Gottingen 1967 Raraty, M. M.: Hoffmann und die Ombres Chinoises. Mitt. d. E. T. A. H.-Ges. 11, 1964 Rehm, W.: Kierkegaard und der Verfiihrer. Munchen 1949 Requadt, P.: Norden und Siiden in der Allegorik von E.T.A. Hoffmanns Prinzessin Brambilla. In: Die Bildersprache der deutschen Italiendichtung von Goethe bis Benn. Bern 1962 Ricci, J. F. A.: E. T. A. Hoffmann, l’homme et l’oeuvre. Paris 1947 - Le fantastique dans l’oeuvre d’ E. T. A. Hoffmann. Etudes Germaniques 6, 1951 Rosteutscher, J.: Das asthetische Idol im Werk von Winckelmann, Novalis, Hoffmann, Goethe, George und Rilke. Bern 1956 Schenck, E. von: E.T.A. Hoffmann. Ein Kampf um das Bild des Menschen. Berlin 1939 Schnapp, F.: Der Seraphinenorden und die Serapionsbriider E.T.A. Hoff¬ manns. Literaturw. Jahrb. NF 3, 1962

188

- Selbstkritische Bemerkungen. Mitt. d. E. T. A. H.-Ges. n, 1964 Schneider, Karl Ludwig: Kiinstlerliebe und Philistertum im Werk E. T. A. Hoffmanns. In: Die deutsche Romantik, hg. von Hans Steffen, Gottingen 1967 Sdun, W.: E. T. A. Hoffmanns Prinzessin Brambilla. Analyse und Interpreta¬ tion einer erzahlten Komodie. Freiburg 1961 Segebrecht, W.: Autobiographie und Dichtung. Eine Studie zum Werk E. T. A. Hoffmanns. Stuttgart 1967 Singer, H.: Kater Murr. In: Der dt. Roman. Vom Barock bis zur Gegenwart. Hg. von Beno von Wiese. Diisseldorf 1963 Staiger, E.: Ludwig Tieck und der Ursprung der deutschen Romantik. In: Stilwandel. Studien zur Vorgeschichte der Goethezeit, Zurich 1963 Starobinski, J.: Ironie et melancolie. La princesse Brambilla de E. T. A. Hoff¬ mann. In: Critique 22, 1966 Strohschneider-Kohrs, I.: Die romantische Ironie in Theorie und Gestaltung. Tubingen i960 Taylor, R.: Hoffmann. London 1963 Tecchi, B.: E. T. A. Hoffmanns Prinzessin Brambilla. In: Weltbewohner und Weimaraner. Festschrift Ernst Beutler, hg. von Benno Reifenberg und Emil Staiger, Zurich i960 Thalmann, M.: Der Trivialroman des 18. Jahrhunderts und der romantische Roman. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der Geheimbundsmystik. Berlin 1923 - E. T. A. Hoffmanns Fraulein von Scuderi. Monatshefte fur dt. Unterricht, dt. Sprache und Literatur 41, 1949 - E. T. A. Hoffmanns Wirklichkeitsmarchen. Journal of English and Germanic Philology 51, 1952 - Meisterschaft. Eine Studie zu E. T. A. Hoffmanns Genieproblem. In: Der Gesichtskreis. J. Drexel zum 60. Geburtstag. Miinchen 1956 - Das E. T. A. Hoffmann-Marchen. In: Das Marchen und die Moderne. Stutt¬ gart 1961 - Romantik und Manierismus. Stuttgart 1963 - Romantiker entdecken die Stadt. Miinchen 1965 - Zeichensprache der Romantik. Heidelberg 1967 Tretter, F. G.: Die Frage nach der Wirklichkeit bei E. T. A. Hoffmann. Miin¬ chen 1961 Vordtriede, W.: Novalis und die franzosischen Symbolisten. Zur Entstehungsgeschichte des dichterischen Symbols. Stuttgart 1963 Werner, H. G.: E. T. A. Hoffmann. Darstellung und Deutung der Wirklichkeit (in seinem Werk) im dichterischen Werk. Weimar 1962 Willimczik, K.: E. T. A. Hoffmann. Die drei Reiche seiner Gestaltenwelt. Berlin 1939 Wirz, J.: Die Gestalt des Kunstlers bei E. T. A. Hoffmann. Lorrach 1961 Wittkopp-Menardeau, G.: E. T. A. Hoffmann in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Hamburg 1966 - (Hg.): E. T. A. Hoffmanns Leben und Werk in Daten und Bildern. Frankfurt 1968 Wiihrl, P.-W.: Die poetische Wirklichkeit in E. T. A. Hoffmanns Kunstmarchen. Untersuchungen zu den Gestaltungsprinzipien. Miinchen 1963

189

WERKREGISTER

Ahnungen aus dem Reiche der Tone 7 Alte und neue Kirchenmusik i6i. Cornaro. Memoiren des Grafen Julius von S. 12 Das Fraulein von Scuderi 36, 65, 127T, 129 Das fremde Kind 92 Das Geliibde i07f., no, 143-149 Der Artushof 23, 3iff., 39-51, 53, 55, 66, 77f., 83L, 120, i22f., 150, 159 (Der Baron von B.) yff., 36, 177 (Der Einsiedler Serapion) 1 jff., 2iff., 30, 35f., 74, 86, 173 Der Elementargeist 93-105 Der Freund 132, 134-141 Der goldne Topf 23, 49, 60, 67, 95, 99, 112, 150L, 154, 155-160, l62f., i79 Der Kampf der Sanger 170L Der Musikfeind 25L Der Preis 12, 175 Der Sandmann 35, 76-87, Sgff., 95L, ioif., 104L, 106, 109, 115L, 122, 124, 178 Des Vetters Eckfenster 3 iff., 120E Die Abenteuer der Silvester-Nacht 93, 182 Die Automate if., 28L, i76ff. Die Bergwerke zu Falun 95, 118-128, ^31, 133, 139, 147, 149, ij6f., 161 Die Brautwahl 33, 49, jiff., 57, 136, 150, 168 Die Doppeltganger i42ff., 148 Die Elixiere des Teufels 12, 33, 45, 55-67, 68f., 76, 78L, 107, 123, 127, 141E,147L Die Fermate 15, 74L, 78, 106, i65ff. Die Geheimnisse 98 Die Irrungen 154L Die Jesuiterkirche in G. 3ff., 10, 17, 190

39, 44, 53, 57, 68, 101, 106, 128,

130, i78ff. Die Konigsbraut 110-113, 116, 119 Die Rauber 171 Die Serapionsbriider 15, 20, 45, 176 Doge und Dogaresse 16/ff., lyif. Don Juan 106, 128, 170 Fantasiestiicke 6ff., 12, 49, 137, i39f.,

1?6.

Geschichte des Schneiderleins aus Sachsenhausen 13aff. Haimatochare io8ff., 116 Johannes Kreislers Lehrbrief 7 Klein Zaches genannt Zinnober no, 112-116, 120, 137, 179 Kreisleriana 6ff., 25L, 134, 137, 139 Kreislers musikalisch-poetischer Klub 139 Lebens-Ansichten des Katers Murr 77, hi, 128, 133L, 137, 140L, 15 8f., 161, 164, 175-184 Meister Floh 17, 35, 92, 105L, 116, 123, i26f., 152L, 178 Meister Johannes Wacht 154f. Meister Martin der Kiifner und seine Gesellen 5 3ff., j6f., 77, 150, 159F Nussknacker und Mausekonig 86-93, 95, 99, 101, 104E, 116, 178, 181 Ombra adorata 25 Prinzessin Blandina 231?., 28, 75, 13 8f. Prinzessin Brambilla i8f., 22E, 59, 105E, 115, 121, 123, 149, 152E, 169E,173 (Rat Krespel) 15, 28, 129-132 Ritter Gluck 12E, 31 ff., 171 Schreiben an den Herausgeber 35 Seltsame Leiden eines Theaterdirektors 9ff. Signor Formica i5off. Undine 12

PERSONENREGISTER

Arnim, Achim von 16, 38 Balde Jacob 138 Baudelaire, Charles no Beethoven, Ludwig van 27 Brentano, Clemens 38, 73, 142, 164 Buchner, Georg 142 Callot, Jacques 169, 171 Cazotte, Jacques 96ft., 101, 103 Celan, Paul 164 Chamisso, Adelbert von 151 Contessa, Karl Wilhelm 12 Eichendorff, Joseph von 2 Feuerbach, Ludwig 99 Fichte, Johann Gottlieb 39 Goethe, Johann Wolfgang 15, 39, 65> 83, 83, 9J, 130, 142, 1J4 Gotthelf, Jeremias 121 Gozzi, Carlo 11 Grillparzer, Franz 9 Grimm, Briider 88

Hamann, Johann Georg 31 Haydn, Joseph 27 Hebei, Johann Peter 118 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 19 Herzog, Urs 138 Hippel, Theodor Gottlieb 7, 22, 29 Hitzig, Eduar di75 Hitzig, Eduard 175 Hofmannsthal, Hugo von 94, 118 Holderlin, Friedrich 19 Holty, Ludwig 138

Jean Paul 18, 20L, 42, 49L, 75, 135, 142

Keller, Gottfried 4, 13, 42, 83, 99, 105, 109, 117, 153L Kleist, Heinrich von 47, 75, 107, 142, 175 Kohn, Lothar 15, 34, 59, 77 Korff, Hermann August 107 Kotzebue, August von 12, 175 Kunz, Carl Friedrich 50, 99 Kuttner, Margot 77 Mann, Thomas 73, 151 Marc, Julia 12, 50 Martini, Fritz 34, 115 Mayer, Hans 120L Meyer, Herman 105, 164 Morike, Eduard 164 Mozart, Wolfgang Amadeus 6f., 27 Miilher, Robert 14 Muller, Hans von 134 Muller, Helmut 164 Nageli, Hans Georg 175 Novalis 2, 18f., 21, 42, 85, 91, 95, 98, 125, 142, 161 Palestrina, Giovanni Pierluigi 26ff. Preisendanz, Wolfgang 18, 34, no, 112, 117, 155 Rosteutscher, Joachim 51 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph

i9. 39. Schenck, Ernst von 93, 115 Schiller, Friedrich 96, 119, 142 Schlegel, Friedrich 90 Schliiter, Hermann 64L Schnapp, Friedrich 134 Schneider, Karl Ludwig 51 Schniiffis, Laurentius von 138 Schopenhauer, Arthur 10, 63

Schubert, Gotthilf Heinrich iof., 28E 63, 98E, 126 Segebrecht, Wulf 6, 109 Shakespeare, William 52, 136 Staiger, Emil 64 Stifter, Adalbert 42, 105 Strohschneider-Kohrs, Ingrid 117

Villars, Abbe Montfaucon de 98 Wagenseil, Johann Christoph 171 Wehrli, Max 138 Werner, Hans Georg 70E, 77, 93, 95 Wieland, Christoph Martin 98E Zola, Emile 127

Thalmann, Marianne 118 Trakl, Georg 164

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Date Due _

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