Die Anfechtung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO 9783814558820

Die Neufassung der EuInsVO gewährt in Art. 5 dem Schuldner und jedem Gläubiger das Recht, die internationale Zuständigke

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Die Anfechtung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO
 9783814558820

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Christian Kleindiek Die Anfechtung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

Die Anfechtung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

von Christian Kleindiek

RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG · Köln

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© 2021 RWS Verlag Kommunikationsforum GmbH & Co. KG Postfach 27 01 25, 50508 Köln E-Mail: [email protected], Internet: http://www.rws-verlag.de Das vorliegende Werk ist in all seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der Übersetzung, des Vortrags, der Reproduktion, der Vervielfältigung auf fotomechanischem oder anderen Wegen und der Speicherung in elektronischen Medien. Satz und Datenverarbeitung: SEUME Publishing Services GmbH, Erfurt Druck und Verarbeitung: Hundt Druck GmbH, Köln

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2020/2021 von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur konnten weitgehend bis Juli 2021 berücksichtigt werden. Mein Dank gilt zuvorderst meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Moritz Brinkmann, LL.M. (McGill). Seine zahlreichen wertvollen Gedankenanstöße, seine stete Gesprächsbereitschaft sowie seine exzellente Betreuung haben von Beginn an maßgeblich zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Fast noch mehr Dank gebührt ihm jedoch für die vielen schönen Jahre, die ich – zunächst als studentische Hilfskraft sowie später als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand – an seinem Lehrstuhl verbringen durfte. Diese Zeit hat meine juristische Ausbildung, meine Freude am Recht und an der Rechtswissenschaft und nicht zuletzt auch mich als Person ganz maßgeblich geprägt. Das dort herrschende ganz besondere Klima, welches sich durch eine von ihm täglich vorgelebte harmonische, vertrauensvolle und nahbare Atmosphäre innerhalb des gesamten Teams auszeichnet, haben das Institut über viele Jahre zu einer Art zweitem Zuhause für mich werden lassen, sodass die Zeit am Bonner Juridicum immer untrennbar mit seinem Lehrstuhl verbunden sein wird. Für die auf diese Weise erhaltene Förderung bin ich unheimlich dankbar. Weiterhin bedanke ich mich ganz herzlich bei Herrn Prof. Dr. Eberhard Schilken für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und die darin enthaltenen wertvollen Anregungen, bei den Herausgebern dieser Schriftenreihe für die freundliche Aufnahme in selbige und bei der Studienstiftung des deutschen Volkes für die großzügige Förderung während Studium und Promotion. Ganz besonders zu danken ist nun aber den Menschen, die mich und die Entstehung dieser Arbeit täglich begleitet haben und auch weiterhin begleiten. Zu nennen sind zum einen meine wunderbaren (ehemaligen) Kolleginnen und Kollegen, derentwegen ich mich jeden Tag gefreut habe, an den Lehrstuhl zu kommen. Auch bedanke ich mich bei meinen Freunden, denen es immer gelungen ist, mich auf andere Gedanken zu bringen. Und bei Marie, die mir durch ihre Zuneigung und Wärme stets die Kraft gegeben hat, dieses Projekt zu Ende zu bringen. Der größte Dank gilt jedoch meinen lieben Eltern. Ihrer Liebe, ihrem nie endenden Zuspruch und ihrem unermesslichen Einsatz habe ich mehr zu verdanken, als ich je in Worte fassen könnte. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet.

Bonn, im Sommer 2021

Christian Kleindiek

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Vorwort ................................................................................................................ V Inhaltsverzeichnis .............................................................................................. XI Abkürzungsverzeichnis ................................................................................ XXIII Einleitung ................................................................................................. 1 ........ 1 A. Gegenstand der Arbeit ........................................................................ 1 ........ 1 B. Ziel der Untersuchung ........................................................................ 6 ........ 2 C. Gang der Darstellung ........................................................................ 13 ........ 4 Erster Teil: Die internationale Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ........................................................................... 19 ........ 7 § 1 Das COMI als Anknüpfungspunkt zur Bestimmung der internationalen Zuständigkeit ................................................................... 19 ........ 7 A. Begriff des COMI nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ......................... 19 ........ 7 B. Vermutungen des Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 – 4 EuInsVO .......... 29 ...... 10 § 2 Die Bedeutung der internationalen Zuständigkeit ............................ 45 ...... 16 A. Festlegung der lex fori concursus ............................................... 45 ...... 16 B. Potential für Forum Shopping und Insolvenztourismus ............. 47 ...... 17 § 3 Kontrollmechanismen zur (Über-)Prüfung der internationalen Zuständigkeit .................................................................................... 51 ...... 19 A. Amtsprüfungspflicht des Art. 4 EuInsVO .................................. 52 ...... 20 B. Rechtsbehelf des Art. 5 EuInsVO ............................................... 60 ...... 23 Zweiter Teil: Die Folgen der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens ...................................................................... 64 ...... 25 § 4 Die Universalität des Hauptinsolvenzverfahrens .............................. 64 ...... 25 A. Universalitätsprinzip als Grundpfeiler der EuInsVO .................. 64 ...... 25 B. Grenzen der Universalität ........................................................... 71 ...... 27 § 5 Die Sperrwirkung des zuerst eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens .... A. Sperrwirkung als Folge des Prioritätsprinzips ............................ B. Funktion und Auslöser der Sperrwirkung .................................. C. Verstoß gegen die Sperrwirkung ................................................

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO ............................ 155 ...... 65 § 6 Das Bedürfnis für die Schaffung eines „Europäischen Rechtsbehelfs“ .............................................................................. A. Regelung des Art. 5 EuInsVO ................................................ B. Status quo ante: Nationale Rechtsbehelfe gegen die Eröffnungsentscheidung vor Inkrafttreten der neuen EuInsVO ...... C. Motive des europäischen Gesetzgebers ..................................

155 ...... 65 157 ...... 66 167 ...... 69 244 .... 103

§ 7 Die Ausgestaltung des Rechtsbehelfs ........................................... 256 .... 108 A. Lücken des Art. 5 EuInsVO ................................................... 257 .... 108 B. Nationales Verfahrensrecht als Lückenfüller ......................... 266 .... 112 § 8 Zulässigkeitsvoraussetzungen ....................................................... A. Anfechtungsberechtigung ....................................................... B. Anfechtungsfrist ..................................................................... C. Form und Begründung ............................................................ D. Zuständiges Beschwerdegericht ............................................. E. Revision und Instanzenzug .....................................................

291 293 332 425 431 440

§ 9 Die Wirkungen der Rechtsbehelfseinlegung ................................. A. Wirkungen der Rechtsbehelfseinlegung in den nationalen Rechtsordnungen .................................................................... B. Risiken eines ausbleibenden Suspensiveffekts ....................... C. Zwingende Fortgeltung der Eröffnungswirkungen ................ D. Erfordernis einer zügigen Entscheidung über den Rechtsbehelf ......................................................................................

447 .... 181

§ 10 Die Wirkungen einer dem Rechtsbehelf stattgebenden Entscheidung ................................................................................. A. Aufhebung der Eröffnungsentscheidung oder Fortführung als Partikularverfahren ........................................................... B. Schicksal des Eröffnungsantrags bei Aufhebung einer vorläufigen Sicherungsmaßnahme ......................................... C. Zeitpunkt der Aufhebung der Eröffnungsentscheidung .......... D. Rechtskrafterstreckung auf weitere Anfechtungsverfahren? ............................................................................... E. Rückwirkende Unwirksamkeit von Verfahrenshandlungen? ...........................................................................

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Vierter Teil: Bewertung der Neuregelung und Korrekturvorschlag ....................................................................... 579 .... 233 § 11 Das bestehende Bedürfnis für einen europäischen Rechtsbehelf .... 579 .... 233 A. Vereinheitlichung des Flickenteppichs nationaler Rechtsbehelfe ........................................................................ 579 .... 233 B. Baustein zur Vermeidung von Forum Shopping und Insolvenztourismus ......................................................... 582 .... 234 § 12 Die Risiken des Rückgriffs auf nationales Verfahrensrecht ......... A. Divergierende Rechtsschutzstandards je nach Eröffnungsstaat ........................................................................................ B. Komplikationen zwischen europäischem und nationalem Recht ...................................................................................... C. Lösungsansätze .....................................................................

586 .... 236 586 .... 236 592 .... 237 600 .... 240

§ 13 Das Anfechtungsrecht de lege ferenda: Vorschläge an den europäischen (und den deutschen) Gesetzgeber .......................... 611 .... 243 A. Art. 5 EuInsVO ..................................................................... 612 .... 243 B. Art. 102c § 4 EGInsO ............................................................ 618 .... 244 Schlussbetrachtung und Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse ............................................................................................ 621 .... 245 A.

Schlussbetrachtung ...................................................................... 621 .... 245

B.

Zusammenfassung der wesentlichen Untersuchungsergebnisse .... I. Sperrwirkung des zuerst eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens .............................................................................. II. Ausgestaltung des Anfechtungsverfahrens nach Art. 5 EuInsVO ..................................................................... III. Gestaltungsspielräume und -grenzen zur Konkretisierung der Zulässigkeitsvoraussetzungen des Rechtsbehelfs aus Art. 5 EuInsVO ..................................................................... IV. Wirkungen der Rechtsbehelfseinlegung ................................ V. Wirkungen einer Entscheidung über den Rechtsbehelf ......... VI. Bewertung und Korrekturvorschläge ....................................

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Literaturverzeichnis ......................................................................................... 253 Stichwortverzeichnis......................................................................................... 285

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Inhaltsverzeichnis Rn.

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Vorwort ................................................................................................................ V Inhaltsübersicht ................................................................................................ VII Abkürzungsverzeichnis ................................................................................ XXIII Einleitung ................................................................................................. 1 ........ 1 A. Gegenstand der Arbeit ........................................................................ 1 ........ 1 B. Ziel der Untersuchung ........................................................................ 6 ........ 2 C. Gang der Darstellung ........................................................................ 13 ........ 4 Erster Teil: Die internationale Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ........................................................................... 19 ........ 7 § 1 Das COMI als Anknüpfungspunkt zur Bestimmung der internationalen Zuständigkeit ................................................................... A. Begriff des COMI nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ......................... I. Maßgeblicher Zeitpunkt ....................................................... II. Legaldefinition des Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 EuInsVO .................................................................... 1. Verwaltung der hauptsächlichen Interessen ................... 2. Objektive und zugleich für Dritte feststellbare Kriterien ... 3. Deshalb: Mehrstufige Prüfung des EuGH ...................... B. Vermutungen des Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 – 4 EuInsVO .......... I. Vermutungen im Einzelnen .................................................. II. Sperrfristen ........................................................................... III. Beweis des Gegenteils (Widerlegbarkeit der Vermutungen) ... 1. Bedeutung und Wirkungsweise der Vermutungen ......... 2. Anforderungen an die Widerlegbarkeit .......................... a) Gesellschaften und juristische Personen .................. b) Natürliche Personen .................................................

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§ 2 Die Bedeutung der internationalen Zuständigkeit ............................ 45 ...... 16 A. Festlegung der lex fori concursus ............................................... 45 ...... 16 B. Potential für Forum Shopping und Insolvenztourismus ............. 47 ...... 17

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Inhaltsverzeichnis Rn.

§ 3 Kontrollmechanismen zur (Über-)Prüfung der internationalen Zuständigkeit .................................................................................... A. Amtsprüfungspflicht des Art. 4 EuInsVO .................................. I. Zweck der Amtsprüfungspflicht ........................................... II. Inhalt der Amtsprüfungspflicht ............................................ B. Rechtsbehelf des Art. 5 EuInsVO ...............................................

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Zweiter Teil: Die Folgen der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens ...................................................................... 64 ...... 25 § 4 Die Universalität des Hauptinsolvenzverfahrens .............................. A. Universalitätsprinzip als Grundpfeiler der EuInsVO .................. I. Anerkennungswirkung ......................................................... II. Wirkungserstreckung ........................................................... B. Grenzen der Universalität ........................................................... I. Territorialverfahren .............................................................. II. Ordre public-Vorbehalt ........................................................

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§ 5 Die Sperrwirkung des zuerst eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens .... 76 A. Sperrwirkung als Folge des Prioritätsprinzips ............................ 77 B. Funktion und Auslöser der Sperrwirkung .................................. 82 C. Verstoß gegen die Sperrwirkung ................................................ 85 I. Grundsätzliche Wirksamkeit auch einer fehlerhaften Verfahrenseröffnung ............................................................ 87 II. Nichtigkeit der fehlerhaften Verfahrenseröffnung nur in seltenen Ausnahmefällen ........................................... 89 1. Strenger Maßstab für die Nichtigkeit von Rechtsakten .... 89 2. Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 29. Mai 2008 ..... 90 3. Bewertung der BGH-Entscheidung: Das Bedürfnis nach Vertrauensschutz ................................................... 93 4. Grenzen des Vertrauensschutzes: Die Publizität der Eröffnungsentscheidung .......................................... 98 5. Zwischenergebnis ........................................................ 103 III. Fortführung als Sekundärinsolvenzverfahren? ................... 104 1. Niederlassung im Sekundärverfahrensstaat ................. 106 2. Antrag auf Eröffnung eines Sekundärverfahrens ......... 107 a) Antragsbefugnis ..................................................... 108 aa) Antragsbefugnis richtet sich nach dem jeweiligen nationalen Recht ............................ 108 bb) Verlust der etwaigen Antragsbefugnis durch die Eröffnung des Hauptverfahrens ................. 112 (1) Masseschmälernde Wirkung der Eröffnung eines Sekundärverfahrens .......................... 113

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(2) Funktion eines Sekundärverfahrens .......... cc) Zwischenergebnis ............................................ b) Umdeutung des ursprünglichen Antrags ................ aa) Keine automatische Verfahrensfortführung „von Amts wegen“ .......................................... bb) Auslegungsfähigkeit des ursprünglichen Antrags ............................................................ cc) Zulässigkeit des umzudeutenden Antrags ....... 3. Fortbestehende Wirkungen der prioritätsprinzipswidrigen Eröffnung ...................................................... 4. Zwischenergebnis ........................................................ IV. Entscheidung des AG Charlottenburg vom 23. Januar 2018 .................................................................. 1. Überblick über das Verfahren NIKI Luftfahrt GmbH .... 2. Fortführung eines Sekundärinsolvenzverfahrens durch das AG Charlottenburg ...................................... 3. Bewertung der Entscheidung ....................................... a) Unzulässigkeit des Schuldnerantrags auf Eröffnung eines Sekundärverfahrens ...................................... b) Verlust der etwaigen Antragsbefugnis durch österreichische Verfahrenseröffnung ..................... c) Unmöglichkeit der Fortführung eines bereits eingestellten Verfahrens ........................................ d) Ursprünglicher Eröffnungsantrag noch unerledigt? ............................................................. e) Keine „teleologische Extension“ des Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 EGInsO ...................... f) Einzige Möglichkeit: Neueröffnung des Verfahrens als Sekundärverfahren ........................................... V. Zwischenergebnis ...............................................................

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO ............................ 155 ...... 65 § 6 Das Bedürfnis für die Schaffung eines „Europäischen Rechtsbehelfs“ ................................................................................ A. Regelung des Art. 5 EuInsVO .................................................. I. „Entscheidung zur Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens“ ......................................................................... II. Anfechtungsberechtigung .................................................. III. Überprüfung „vor Gericht“ ................................................ IV. Verhältnis zu weitergehenden nationalen Regelungen ....... V. Überblick über offene Fragen ............................................

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B. Status quo ante: Nationale Rechtsbehelfe gegen die Eröffnungsentscheidung vor Inkrafttreten der neuen EuInsVO ........ I. Deutschland ........................................................................ 1. Rechtsbehelf gegen den Eröffnungsbeschluss gemäß § 34 Abs. 2 InsO ............................................... a) Alleinige Beschwerdeberechtigung des Schuldners ....................................................... b) Keine Beschwerdeberechtigung der Gläubiger ..... c) Beschwerdeverfahren ............................................ 2. Rechtsbehelf gegen die Anordnung vorläufiger Maßnahmen gemäß § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO ............... a) Abermals alleinige Beschwerdeberechtigung des Schuldners ....................................................... b) Beschwerdegegenstand und Beschwerdegrund ..... c) Beschwerdeverfahren ............................................ II. Österreich ........................................................................... 1. Rechtsbehelf gegen den Eröffnungsbeschluss gemäß § 71c österIO ................................................................ a) Rekursberechtigung und Beschwer ....................... b) Rekursgrund .......................................................... c) Rekursverfahren ..................................................... 2. Rechtsbehelfe gegen die Bestellung eines einstweiligen Verwalters .................................................................... a) Rekursberechtigung und Beschwer ....................... b) Rekursgegenstand und Rekursgrund ..................... c) Rekursverfahren ..................................................... III. Frankreich .......................................................................... 1. Insolvenzverfahren im Anwendungsbereich der EuInsVO ................................................................ a) Rettungsverfahren (sauvegarde) ............................ b) Sanierungsverfahren (redressement judiciaire) ..... c) Liquidations- bzw. Konkursverfahren (liquidation judiciaire) ........................................... 2. Verfahrenseröffnung .................................................... 3. Rechtsbehelfe gegen die Verfahrenseröffnung ............ a) Berufung (appel) und Kassationsbeschwerde (pourvoi en cassation) ........................................... b) Drittwiderspruch (tierce opposition) ..................... aa) Begriff des Dritten ........................................... bb) Besonderes Interesse (intérêt) ......................... cc) Tierce opposition von Gläubigern ................... dd) Widerspruchsverfahren ....................................

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Inhaltsverzeichnis Rn.

4. Verbraucherinsolvenz .................................................. IV. Zwischenergebnis ............................................................... C. Motive des europäischen Gesetzgebers .................................... I. Vermeidung von Forum Shopping und Insolvenztourismus ............................................................................ II. Schaffung von Rechtssicherheit durch Teilharmonisierung ................................................................... § 7 Die Ausgestaltung des Rechtsbehelfs ............................................. A. Lücken des Art. 5 EuInsVO ..................................................... I. Anfechtungsberechtigung .................................................. II. Anfechtungsfrist ................................................................. III. Form und Begründung ....................................................... IV. Zuständiges Beschwerdegericht ......................................... V. Gang des Beschwerdeverfahrens und Instanzenzug ........... VI. Wirkungen der Rechtsbehelfseinlegung ............................. VII. Wirkungen einer dem Rechtsbehelf stattgebenden Entscheidung ...................................................................... B. Nationales Verfahrensrecht als Lückenfüller ........................... I. Nationales Verfahrensrecht vs. autonome Auslegung der EuInsVO ...................................................................... II. Dogmatische Grundlage der Anwendbarkeit nationalen Rechts ............................................................... III. Überblick über nationale Ausgestaltungsregelungen ......... 1. Deutschland ................................................................. 2. Österreich ..................................................................... 3. Frankreich .................................................................... IV. Zwischenergebnis ............................................................... § 8 Zulässigkeitsvoraussetzungen ......................................................... A. Anfechtungsberechtigung ......................................................... I. Anfechtungsberechtigung im nationalen Recht .................. 1. Deutschland ................................................................. 2. Österreich ..................................................................... 3. Frankreich .................................................................... II. Beschränkung des Anfechtungsrechts durch das Erfordernis einer Beschwer? ................................................................. 1. Kein zwingendes Erfordernis einer Beschwer nach der EuInsVO ........................................................ 2. Unionsrechtskonformität des Erfordernisses einer Beschwer nach nationalem Recht? ...................... a) Allgemeine Funktion der Beschwer ...................... b) Vereinbarkeit des Erfordernisses einer Beschwer mit dem Wortlaut des Art. 5 EuInsVO? ................

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Inhaltsverzeichnis Rn.

c) Vereinbarkeit des Erfordernisses einer Beschwer mit der Ratio des Art. 5 EuInsVO? ........................ 315 aa) Beschwer als Nachteilswirkung einer gerichtlichen Entscheidung ........................................ 317 bb) Konkretisierung der Beschwer im Rahmen von Art. 5 EuInsVO ......................................... 320 cc) Keine Einschränkungen durch das Erfordernis einer Beschwer ................................................ 325 dd) Keine Beschwer des Antragstellers ................. 329 d) Zwischenergebnis .................................................. 331 B. Anfechtungsfrist ....................................................................... 332 I. Grundsätzliche Vereinbarkeit einer Frist mit der Verordnung ........................................................................ 333 II. Anfechtungsfristen im nationalen Recht ............................ 335 1. Deutschland ................................................................. 335 2. Österreich ..................................................................... 341 3. Frankreich .................................................................... 343 III. Anforderungen der EuInsVO an eine wirksame Fristenregelung .............................................................................. 345 1. Fristauslösendes Ereignis ............................................. 347 a) Keine unionsrechtliche Pflicht zur Zustellung der Eröffnungsentscheidung .................................. 350 b) Keine Anknüpfung an die Unterrichtung gemäß Art. 54 EuInsVO .................................................... 354 c) Keine Anknüpfung an den Zeitpunkt der Kenntnisnahme von der Verfahrenseröffnung ..................... 357 aa) Beweisschwierigkeiten .................................... 358 bb) Nachteile uneinheitlich laufender Anfechtungsfristen ............................................................... 361 d) Öffentliche Bekanntmachung: Zentraler Publizitätsakt der EuInsVO .................................................... 362 aa) Öffentliche Bekanntmachung als Fristbeginn wahrt die Wirksamkeit des Rechtsbehelfs ....... 363 (1) Gewährleistete Rechts- und Verkehrssicherheit ................................................... 364 (2) Verbesserte Möglichkeiten der Kenntnisnahme durch vernetzte Register ................ 366 (3) Bedürfnis nach einer praktikablen Lösung ....................................................... 367 (4) Vergleichbare Wertung des Art. 55 Abs. 6 Satz 2 EuInsVO ............................. 369 (5) Zwischenergebnis ...................................... 370

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Inhaltsverzeichnis Rn.

bb) Rechtsfolgen der öffentlichen Bekanntmachung in den Mitgliedstaaten ..................................... cc) Insbesondere: Die öffentliche Bekanntmachung im Rahmen des Art. 102c § 4 EGInsO ............ (1) Direkte Anwendung des § 9 Abs. 3 InsO? ... (2) Analoge Anwendung des § 9 Abs. 3 InsO? ......................................................... dd) Zwischenergebnis ............................................ 2. Dauer der Frist ............................................................. a) Fristenregelungen der EuInsVO ............................ aa) Art. 37 Abs. 2 EuInsVO .................................. bb) Art. 55 Abs. 6 Satz 2 EuInsVO ....................... b) Maßstab für eine Rechtsmittelfrist bei Art. 5 EuInsVO ...................................................... c) Bewertung der nationalen Regelungen, insbesondere § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO .................. aa) Erforderliche Schritte für die fristgemäße Rechtsbehelfseinlegung ................................... (1) Kenntniserlangung von der Verfahrenseröffnung ................................................... (2) Prüfung der Anfechtungsvoraussetzungen ....................................................... (3) Tatsächliche Geltendmachung des Rechtsbehelfs ....................................................... bb) Unionsrechtswidrigkeit einer starren 14-Tages-Frist ................................................. cc) Abhilfe durch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand? ................................................. (1) Anwendbarkeit der §§ 233 ff. ZPO auf Art. 102c § 4 EGInsO ................................ (2) Schuldlose Fristversäumung ..................... (a) Öffentliche Bekanntmachung als zentraler Publizitätsakt ..................... (b) Keine Pflicht zur laufenden Überprüfung der Insolvenzregister .......... (c) Beweislast ........................................ (3) Zwischenergebnis ...................................... dd) Missstände der nationalen Regelungen ........... d) Gewünschte Stellschrauben de lege ferenda: Einführung einer europäischen Frist von 30 Tagen ab öffentlicher Bekanntmachung ........................... IV. Zwischenergebnis ...............................................................

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XVII

Inhaltsverzeichnis Rn.

C. Form und Begründung ............................................................ I. Form- und Begründungserfordernisse in den nationalen Rechtsordnungen ............................................................. 1. Deutschland .............................................................. 2. Österreich .................................................................. 3. Frankreich ................................................................. II. Bewertung der nationalen Regelungen ........................... D. Zuständiges Beschwerdegericht ............................................. I. Deutschland ..................................................................... 1. Direkte Anwendung des § 6 Abs. 1 Satz 2 InsO? ..... 2. Analoge Anwendung des § 6 Abs. 1 Satz 2 InsO? ... 3. Wertungen der EuInsVO .......................................... II. Österreich ........................................................................ III. Frankreich ....................................................................... E. Revision und Instanzenzug ..................................................... I. Deutschland ..................................................................... II. Österreich ........................................................................ III. Frankreich ....................................................................... § 9 Die Wirkungen der Rechtsbehelfseinlegung ................................. A. Wirkungen der Rechtsbehelfseinlegung in den nationalen Rechtsordnungen .................................................................... B. Risiken eines ausbleibenden Suspensiveffekts ....................... C. Zwingende Fortgeltung der Eröffnungswirkungen ................. D. Erfordernis einer zügigen Entscheidung über den Rechtsbehelf ...................................................................................... § 10 Die Wirkungen einer dem Rechtsbehelf stattgebenden Entscheidung ................................................................................. A. Aufhebung der Eröffnungsentscheidung oder Fortführung als Partikularverfahren ............................................................ B. Schicksal des Eröffnungsantrags bei Aufhebung einer vorläufigen Sicherungsmaßnahme .......................................... C. Zeitpunkt der Aufhebung der Eröffnungsentscheidung .......... I. Problemstellung und ihre Brisanz im NIKI-Verfahren ... II. Reaktion des deutschen Gesetzgebers: Die Neufassung des Art. 102c § 4 Satz 2 EGInsO .................................... III. Wirksamkeit der Aufhebungsentscheidung trotz fehlender Rechtskraft? .................................................................... 1. Entscheidungsbegründung des Landesgerichts Korneuburg ...............................................................

XVIII

Seite

425 .... 173 426 426 427 428 429 431 433 434 436 437 438 439 440 442 444 446

.... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... .... ....

173 173 173 174 174 175 175 176 177 177 178 178 178 179 180 181

447 .... 181 448 .... 181 450 .... 182 452 .... 183 455 .... 184 457 .... 186 460 .... 186 467 .... 189 471 .... 191 472 .... 191 475 .... 192 476 .... 192 477 .... 193

Inhaltsverzeichnis Rn.

2. Überwiegende Ansicht im deutschen Schrifttum ...... 3. Gegenrede: Nationale Sonderregelungen im unionsrechtlichen Kontext ........................................ a) Erfordernis einer verordnungskonformen Auslegung des nationalen Rechts .............................. b) Begriff der Wirksamkeit der (Aufhebungs-) Entscheidung ...................................................... c) Effektivität des Anfechtungsrechts aus Art. 5 EuInsVO ................................................... d) Beeinträchtigte Effektivität des Rechtsbeschwerdeverfahrens? .......................................... e) Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens ............ IV. Kritik an der Neufassung des Art. 102c § 4 Satz 2 EGInsO .................................................................... V. Konsequenz: Unanwendbarkeit des Art. 102c § 4 Satz 2 2. HS EGInsO .................................................................... VI. Zwischenergebnis ............................................................... D. Rechtskrafterstreckung auf weitere Anfechtungsverfahren? .... I. Erste Beschwerde hat Erfolg .............................................. II. Erste Beschwerde wird als unzulässig verworfen .............. III. Erste Beschwerde wird als unbegründet zurückgewiesen .... 1. Beschwerdebeschluss ist der Rechtskraft fähig ........... 2. Subjektive Grenzen der Rechtskraft ............................. IV. Zwischenergebnis ............................................................... E. Rückwirkende Unwirksamkeit von Verfahrenshandlungen? ... I. Wirkungen der Einstellung richten sich nach nationalem Recht .................................................................................. II. Rückwirkung der Aufhebungsentscheidung? ..................... 1. Ausnahmecharakter einer Rückwirkung und ihre Rechtfertigung ............................................................. 2. Besonderheiten des Art. 5 Abs. 1 EuInsVO ................. III. Fortbestand von Handlungen des Insolvenzverwalters ...... IV. Schicksal der vom Verwalter begründeten Verbindlichkeiten .................................................................................. 1. Grundsatz ..................................................................... 2. Besonderheiten der Verfahrensaufhebung infolge einer Anfechtung nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO ............ 3. Lösungsvorschlag ........................................................ a) „Einfach-privilegierte“ und „doppelt-privilegierte Forderungen“ .........................................................

Seite

479 .... 193 487 .... 196 489 .... 197 492 .... 198 499 .... 200 501 .... 201 503 .... 202 508 .... 204 513 515 517 520 522 523 525 526 531 532

.... .... .... .... .... .... .... .... .... ....

206 206 207 208 209 209 210 210 212 213

534 .... 213 535 .... 214 535 .... 214 539 .... 216 544 .... 217 549 .... 220 551 .... 220 554 .... 222 560 .... 224 560 .... 224

XIX

Inhaltsverzeichnis Rn.

b) Begleichung der Forderungen: Pflicht des neuen Verwalters ................................................... c) Kompatibilität mit den Wertungen der EuInsVO .... 4. Haftungsfragen ............................................................. a) Haftung des ehemaligen Verwalters ...................... b) Amtshaftung .......................................................... V. Zwischenergebnis ...............................................................

562 567 568 570 575 576

Seite

.... .... .... .... .... ....

225 227 228 229 231 231

Vierter Teil: Bewertung der Neuregelung und Korrekturvorschlag ....................................................................... 579 .... 233 § 11 Das bestehende Bedürfnis für einen europäischen Rechtsbehelf ........................................................................................... 579 .... 233 A. Vereinheitlichung des Flickenteppichs nationaler Rechtsbehelfe ........................................................................ 579 .... 233 B. Baustein zur Vermeidung von Forum Shopping und Insolvenztourismus ......................................................... 582 .... 234 § 12 Die Risiken des Rückgriffs auf nationales Verfahrensrecht ......... A. Divergierende Rechtsschutzstandards je nach Eröffnungsstaat ....................................................................................... B. Komplikationen zwischen europäischem und nationalem Recht ..................................................................................... I. Unstimmigkeiten an der Schnittstelle von europäischem Verordnungs- und nationalem Verfahrensrecht .............. II. Folge: Rechtsunsicherheiten im Umgang mit Regelungsund Wertungsfragen des Sekundärrechts ........................ C. Lösungsansätze ..................................................................... I. Anpassung der nationalen Durchführungsregelungen .... II. Änderung des Art. 5 EuInsVO ........................................ III. Übergangslösung ............................................................. § 13 Das Anfechtungsrecht de lege ferenda: Vorschläge an den europäischen (und den deutschen) Gesetzgeber .......................... A. Art. 5 EuInsVO ..................................................................... I. Deutsche Fassung ............................................................ II. Englische Fassung ........................................................... B. Art. 102c § 4 EGInsO ...........................................................

XX

586 .... 236 586 .... 236 592 .... 237 593 .... 238 598 600 601 603 608

.... .... .... .... ....

239 240 240 241 242

611 612 612 615 618

.... .... .... .... ....

243 243 243 244 244

Inhaltsverzeichnis Rn.

Seite

Schlussbetrachtung und Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse ............................................................................................ 621 .... 245 A.

Schlussbetrachtung ...................................................................... 621 .... 245

B.

Zusammenfassung der wesentlichen Untersuchungsergebnisse .................................................................................... I. Sperrwirkung des zuerst eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens .............................................................................. II. Ausgestaltung des Anfechtungsverfahrens nach Art. 5 EuInsVO ..................................................................... III. Gestaltungsspielräume und -grenzen zur Konkretisierung der Zulässigkeitsvoraussetzungen des Rechtsbehelfs aus Art. 5 EuInsVO ..................................................................... IV. Wirkungen der Rechtsbehelfseinlegung ................................ V. Wirkungen einer Entscheidung über den Rechtsbehelf ......... VI. Bewertung und Korrekturvorschläge ....................................

625 .... 246 625 .... 246 628 .... 247

629 634 635 642

.... .... .... ....

248 249 249 251

Literaturverzeichnis ......................................................................................... 253 Stichwortverzeichnis......................................................................................... 285

XXI

Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. a. E. a. F. Abs. AcP Act. proc. coll. AEUV AG AG AktG Alt. Anm. Art. Art. Aufl.

anderer Ansicht am angegebenen Ort am Ende alte Fassung Absatz Archiv für die civilistische Praxis Actualités des procédures collectives Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Aktiengesellschaft Amtsgericht Aktiengesetz Alternative Anmerkung Article Artikel Auflage

BB BeckRS Begr. Begr. RegE Beschl. BFH BGB BGBl. BGH BGHZ

Betriebs-Berater Beck-Rechtsprechung Begründer Begründung des Regierungsentwurfes Beschluss Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bulletin officiel des annonces civiles et commerciales Bundesrats-Drucksache Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivilund Handelssachen beispielsweise Bundestags-Drucksache Bundesverfassungsgericht

BODACC BR-Drucks. Brüssel Ia-VO

bspw. BT-Drucks. BVerfG

XXIII

Abkürzungsverzeichnis

BVerfGE BVerfGG bzw. C. civ. C. com. C. consom. CA Cass. civ. Cass. com. Cass. req. CERIL ch. civ. COMI comm. CPC CRI D. DB Denkschrift

Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverfassungsgerichtsgesetz beziehungsweise Code civil Code de commerce Code de la consommation Cour d’appel Cour de cassation, Kammer für Zivilsachen Cour de cassation, Kammer für Handelssachen Chambre des requêtes de la Cour de cassation française Conference on European Restructuring and Insolvency Law chambre civile centre of main interests commentaire Code de Procédure Civile Corporate Rescue and Insolvency

ders. DK doctr. DP Dr. sociétés DStR DZWIR

Recueil Dalloz Der Betrieb Denkschrift zur Einführung einer Konkursordnung, einer Ausgleichsordnung und einer Anfechtungsordnung (1914) derselbe Der Konzern Doctrine Recueil périodique et critique mensuel Dalloz (vor 1941) Droit des sociétés Deutsches Steuerrecht Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht

EBLR EBOR EC ECFR EG EGInsO EGInsO-E EIR EMRK engl. EU

European Business Law Review European Business Organization Law Review European Commission European Company and Financial Law Review Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung (Entwurf) European Insolvency Regulation Europäische Menschenrechtskonvention englisch Europäische Union

XXIV

Abkürzungsverzeichnis

EuErbVO

EWiR

Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 861/2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen und der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens (EuBagatellVO) Europäischer Gerichtshof Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivilund Handelssachen (Brüssel Ia-VO) Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren (Neufassung) Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2001 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Evidenzblatt der Rechtsmittelentscheidungen, veröffentlicht in der Österreichischen Juristen-Zeitung Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht

f. / ff. Fasc. Fn. frz. FS

folgende Fascicule Fußnote französisch Festschrift

GA GA’in

Generalanwalt Generalanwältin

EuGFVO

EuGH EuGVVO

EuInsVO (2015)

EuInsVO 2000 EuMVVO

EuVTVO

EuZW EvBl

XXV

Abkürzungsverzeichnis

gem. GG GmbH GmbHG GPR GVG

gemäß Grundgesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung Zeitschrift für das Privatrecht der Europäischen Union Gerichtsverfassungsgesetz

HambKommInsO Hrsg. HS

Hamburger Kommentar zur Insolvenzordnung Herausgeber Halbsatz

i. E. i. S. v. i. V. m. IILR IJVO

im Ergebnis im Sinne von in Verbindung mit International Insolvency Law Review Jahresheft der Internationalen Juristenvereinigung Osnabrück Insolvenzordnung Insolvenzrechtsänderungsgesetz European organisation of professionals who specialise in insolvency, business reconstruction and recovery International Insolvency Review Internationales Erbrechtsverfahrensgesetz Insolvenzordnung (Österreich) Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts Internationaler Rechtsverkehr italienisch

InsO InsOÄndG INSOL EUROPE Int. Insolv. Rev. IntErbRVG IO IPRax IRV ital. JBl JCP E JCP G JDI JORF JPIL JZ KG KO KSzW KTS

XXVI

Juristische Blätter Juris-Classeur périodique (La Semaine Juridique), édition entreprise Juris-Classeur périodique (La Semaine Juridique), édition générale Journal du droit international (Clunet) Journal officiel de la République française Journal of Private International Law JuristenZeitung Kommanditgesellschaft Konkursordnung Kölner Schrift zum Wirtschaftsrecht Konkurs, Treuhand, Sanierung – Zeitschrift für Insolvenzrecht

Abkürzungsverzeichnis

LG LGZ lit. Ls.

Landgericht / Landesgericht Landesgericht für Zivilsachen (Wien) littera Leitsatz

m. Anm. m. w. N. MDR

mit Anmerkung mit weiteren Nachweisen Monatsschrift für Deutsches Recht

n. F. niederl. NJW NJW-RR No. Nr. NVwZ NZI

neue Fassung niederländisch Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechungs-Report Number / numéro Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Insolvenz- und Sanierungsrecht

OGH ÖJZ OLG OLGZ österIO österJN österZPO

Oberster Gerichtshof Österreichische Juristen-Zeitung Oberlandesgericht Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen Insolvenzordnung (Österreich) Jurisdiktionsnorm (Österreich) Zivilprozessordnung (Österreich)

PLC & Co. polInsG por. Proc. civ. Proc. coll.

Public Limited Company & Compagnie Polnisches Insolvenzgesetz portugiesisch Juris-Classeur Procédure civile Juris-Classeur Procédures collectives

RabelsZ

Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Recht der Wirtschaft Revue des procédures collectives civiles et commerciales Revue de Droit des Sociétés Reichsgericht Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Recht der internationalen Wirtschaft Randnummer Rechtssache

RdW Rev. proc. coll. Rev. sociétés RG RGZ RIW Rn. Rs.

XXVII

Abkürzungsverzeichnis

RTD com. RZ

Revue trimestrielle de droit commercial Österreichische Richterzeitung

S. SanInsFoG

sec. SGB III Slg. sog. span. StGB

Seite Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortenwicklungsgesetz – SanInsFoG) vom 22. Dezember 2020 section Sozialgesetzbuch, Drittes Buch Sammlung sogenannte/r spanisch Strafgesetzbuch

T. com. TCS

Tribunal de Commerce Tribunaux de Commerce Spécialisés

u. a. u. a. UE Unterabs. Urt.

und andere unter anderem Union européenne Unterabsatz Urteil

v. VerglO VersR vgl. VIA Vorb vs.

vom Vergleichsordnung Versicherungsrecht vergleiche Verbraucherinsolvenzrecht Aktuell Vorbemerkung versus

z. B. ZEuP ZGR Ziff. ZIK ZInsO

zum Beispiel Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für Insolvenzrecht und Kreditschutz Zeitschrift für das gesamte Insolvenz- und Sanierungsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zivilprozessordnung Zeitschrift für Verbraucher- und Privat-Insolvenzrecht Zeitschrift für Zivilprozess

ZIP ZPO ZVI ZZP

XXVIII

Einleitung A. Gegenstand der Arbeit Die internationale Zuständigkeit zur Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens – also 1 die Frage, die Gerichte welches Staates berufen sind, das Hauptinsolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners zu eröffnen – ist im europäischen Insolvenzrecht von richtungsweisender Bedeutung: Das gesamte Insolvenzverfahren unterliegt dem jeweiligen nationalen Insolvenzrecht des Eröffnungsstaates (sog. lex fori concursus).1) Die Wirkungen der Verfahrenseröffnung, die sich nach der maßgeblichen lex fori concursus bestimmen und sich über den gesamten räumlichen Geltungsbereich der Europäischen Insolvenzverordnung erstrecken, sind von sämtlichen Mitgliedstaaten anzuerkennen.2) Die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens sperrt die Möglichkeit der Eröffnung eines Hauptverfahrens in einem anderen Mitgliedstaat; dort können unter bestimmten Voraussetzungen lediglich Partikularverfahren mit begrenzter territorialer Wirkung eröffnet werden.3) Die am 27. Juni 2017 in Kraft getretene Neufassung der Europäischen Insolvenz- 2 verordnung (EuInsVO)4) sieht daher in den Artikeln 3 – 5 ausführliche Regelungen zur internationalen Zuständigkeit vor. Zunächst bestimmt Art. 3 Abs. 1 EuInsVO, dass jenen Gerichten die internationale Zuständigkeit zur Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens zukommt, in deren Hoheitsgebiet der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat (centre of main interests; COMI). Zudem verpflichtet Art. 4 EuInsVO die mit einem Eröffnungsantrag befassten Gerichte, ihre internationale Zuständigkeit von Amts wegen zu prüfen und zu begründen. Abgerundet werden die Bestimmungen schließlich von Art. 5 EuInsVO: Die Norm gewährt dem Schuldner und jedem Gläubiger das Recht, die Entscheidung zur Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens vor Gericht aus Gründen der fehlenden internationalen Zuständigkeit anzufechten. Der im Rahmen der EuInsVO-Novelle neu eingeführte verordnungsautonome Rechts- 3 behelf gegen die Verfahrenseröffnung nach Art. 5 EuInsVO hat bereits wenige Monate nach seinem Inkrafttreten seine erste große Bewährungsprobe erhalten: Anlass war das hierzulande von reger medialer Berichterstattung begleitete Insolvenzverfahren über das Vermögen der NIKI Luftfahrt GmbH (im Folgenden: NIKI), eine zur deutschen Air Berlin-Gruppe gehörende Gesellschaft österreichischen Rechts. Nach___________ 1) 2) 3) 4)

Art. 7 EuInsVO. Art. 19, 20 EuInsVO. Art. 3 Abs. 3 EuInsVO. Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren (Neufassung), die an die Stelle der ursprünglichen Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren getreten ist.

1

Einleitung

dem zunächst das deutsche Amtsgericht Berlin-Charlottenburg dem Eigenantrag der Schuldnerin gefolgt war und ein Hauptinsolvenzverfahren über das Vermögen von NIKI eröffnet hatte, machte eine österreichische Gläubigerin, gestützt auf Art. 5 EuInsVO, die Anfechtung der Eröffnungsentscheidung geltend. Das COMI der Schuldnerin liege nicht, wie vom AG Charlottenburg angenommen, am Sitz der Konzernmutter in Berlin, sondern am Sitz der Schuldnerin (NIKI Luftfahrt GmbH) in Österreich. Das Landgericht Berlin gab dem Rechtsbehelf statt und hob den Beschluss des AG Charlottenburg auf. Wenige Tage später eröffnete auf Antrag der Gläubigerin das österreichische Landesgericht Korneuburg ein neues Hauptinsolvenzverfahren über das Vermögen von NIKI in Österreich.

4 Die Einstellung des „deutschen“ Verfahrens durch das LG Berlin sowie dessen erneute Eröffnung in Österreich riefen polyphones Echo hervor, das sich keineswegs auf die (insolvenz-)rechtliche Berichterstattung beschränkte. Die Vorgehensweise der beteiligten Akteure – diesseits und jenseits der Richterbänke – warf eine Reihe von Fragen auf, denen es näher nachzugehen lohnt. Dabei soll allerdings die Diskussion darüber, ob der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen von NIKI nun in Deutschland oder in Österreich zu verorten war, an dieser Stelle nicht fortgeführt werden.

5 Im Vordergrund dieser Arbeit stehen vielmehr verfahrensrechtliche Aspekte: Art. 5 EuInsVO kodifiziert den Rechtsbehelf gegen die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens zur Rüge der fehlenden internationalen Zuständigkeit nur in seinen Grundzügen. Die nähere Ausgestaltung des Anfechtungsverfahrens hat der Unionsgesetzgeber den nationalen Verfahrensrechten überlassen. Im Zuge des NIKI-Verfahrens wurde das Zusammenspiel zwischen der EuInsVO und den nationalen Verfahrensrechten im Rahmen der Anfechtung der Eröffnungsentscheidung vor seine erste Zerreißprobe gestellt. Die Neuregelung des Art. 5 EuInsVO sowie ihre praktische Feuertaufe geben Anlass, die Anfechtung der Eröffnungsentscheidung und die in ihrem Rahmen vorgenommene gerichtliche Nachprüfung der internationalen Zuständigkeit genauer in den Blick zu nehmen.

B. Ziel der Untersuchung 6 Diese Arbeit setzt sich zum Ziel, den durch Art. 5 EuInsVO gewährten europäischen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung zur Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens näher zu analysieren. Der Norminhalt des Art. 5 EuInsVO ist schnell wiedergegeben: Nach Absatz 1 kann der Schuldner oder jeder Gläubiger die Entscheidung zur Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens vor Gericht aus Gründen der internationalen Zuständigkeit anfechten. Absatz 2 enthält die ergänzende Klarstellung, dass die Eröffnungsentscheidung auch von anderen Verfahrensbeteiligten oder aus anderen Gründen angefochten werden kann, sofern die nationalen Verfahrensrechte entsprechende Regelungen vorsehen.

2

B. Ziel der Untersuchung

Art. 5 Abs. 1 EuInsVO gibt lediglich das prozessuale Grundgerüst des Rechtsbehelfs 7 vor: Festgelegt werden der Anfechtungsgegenstand (die Entscheidung zur Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens), die Anfechtungsberechtigten (der Schuldner und jeder Gläubiger), der Anfechtungsgrund (aus Gründen der internationalen Zuständigkeit); hinzu kommt die Vorgabe, die Anfechtung habe „vor Gericht“ zu erfolgen. Abgesehen davon bleiben viele Fragen offen. Insbesondere, was die prozessuale 8 Ausgestaltung des Rechtsbehelfs betrifft, lässt die Verordnung erhebliche Lücken. So trifft sie keine Aussagen über Frist, Verfahren und Instanzenzug. Ist die Einlegung des Rechtsbehelfs jederzeit oder nur innerhalb eines bestimmten Zeitraums möglich? Welches Gericht hat über den Erfolg des Rechtsbehelfs zu entscheiden? Kann gegen diese Beschwerdeentscheidung ein erneuter Rechtsbehelf eingelegt werden? Und ist eine nähere Konkretisierung der Anfechtungsberechtigung erforderlich, um Popularklagen zu vermeiden – etwa durch die Geltendmachung eines Rechtsschutzbedürfnisses oder einer Beschwer? Auch bezüglich der Wirkungen der Anfechtung schweigt die Verordnung. Entfaltet 9 die Rechtsmitteleinlegung eine aufschiebende Wirkung? Unklarheit herrscht darüber hinaus hinsichtlich der Folgen einer dem Rechtsbehelf 10 stattgebenden Entscheidung. Ist das zu Unrecht eröffnete Verfahren einzustellen und wenn ja, mit welchen Wirkungen? Entfaltet die Entscheidung Rechtskraft bezogen auf weitere Anfechtungsverfahren? Und bleiben bereits erfolgte Verfahrenshandlungen – etwa des Insolvenzverwalters – wirksam? Die vorliegende Untersuchung wird jenen Fragen nachgehen. Was die gebotene 11 Schließung der Lücken betrifft, welche die EuInsVO lässt, führt die Spur schnell zu den nationalen Verfahrensrechten der Mitgliedstaaten. Denn der Unionsgesetzgeber überlässt es der jeweiligen lex fori concursus, prozessuale Regelungen bereitzuhalten und gegebenenfalls neu zu schaffen, um das unionsrechtlich garantierte Anfechtungsverfahren näher auszugestalten. Einen Überblick über die einzelnen nationalen Ausführungsregelungen – etwa auf dem Europäischen Justizportal – sucht man jedoch noch vergeblich. Diese Arbeit nimmt daher die Rechtsordnungen Deutschlands, Österreichs und Frankreichs – exemplarisch – genauer in den Blick: Wie haben diese drei Mitgliedstaaten das Anfechtungsrecht aus Art. 5 EuInsVO in ihre nationalen Verfahrenssysteme eingegliedert? Hierbei gilt es zunächst festzuhalten, in welcher Form und unter welchen Voraussetzungen jene Rechtsordnungen das Anfechtungsverfahren nach Art. 5 EuInsVO konkretisieren. Die nationalen Durchführungsregelungen sind jedoch nicht nur vorzustellen. Diese Arbeit will sich auch zur Aufgabe machen, den Regelungsgehalt der nationalen Vorschriften im Hinblick auf seine Unionsrechtskonformität zu überprüfen: Nach dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz (Wirksamkeitsgebot des Unionsrechts) müssen die Mitgliedstaaten die effektive Um- und Durchsetzung des Unionsrechts gewährleisten und dürfen die durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen

3

Einleitung

oder übermäßig erschweren. Im konkreten Fall müssen die nationalen Durchführungsregelungen somit gewährleisten, dass der Rechtsbehelf aus Art. 5 EuInsVO „wirksam“ bleibt (Erwägungsgrund 34 Satz 1 EuInsVO). Insbesondere zu formalen (Zulässigkeits-)Kriterien wie Anfechtungsberechtigung, Anfechtungsfrist und Aspekten der Gerichtsorganisation enthalten die nationalen Rechtsordnungen häufig ausdrückliche Regelungen, an die der Maßstab der Wirksamkeit des Unionsrechts angelegt werden kann. Bei anderen von der Verordnung offengelassenen Lücken, wie etwa den Wirkungen einer dem Rechtsbehelf stattgebenden Entscheidung, ist dies nicht der Fall. Hinsichtlich dieser Punkte versucht die Arbeit aus dem Gebot der Wirksamkeit des Unionsrechts allgemeine Regeln herzuleiten, die im Anwendungsbereich der EuInsVO auf die nationalen Rechtsordnungen ausstrahlen.

12 Letztlich geht es dabei um grundlegende Fragen des Zusammenspiels zwischen der EuInsVO und nationalem Verfahrensrecht. Die vorliegende Arbeit setzt sich zum Ziel, am Beispiel vermeintlich fehlerhafter Eröffnungsentscheidungen und des Rechtsbehelfs aus Art. 5 EuInsVO das Vertikalverhältnis zwischen europäischem und nationalem Recht zu untersuchen. Insoweit gilt es zu klären, wie das nationale Verfahrensrecht die Zwecke und Ziele der EuInsVO unterstützen, umsetzen und verwirklichen kann. An der Schnittstelle von europäischem Verordnungs- und nationalem Verfahrensrecht – so viel sei vorweggenommen – offenbaren sich auch fast zwanzig Jahre nach Inkrafttreten der Ursprungsfassung der EuInsVO noch erhebliche Unsicherheiten und Unwägbarkeiten im Umgang mit Regelungs- und Wertungsfragen des Sekundärrechts. Ebenso ist der Blick auf das Horizontalverhältnis zwischen den Mitgliedstaaten zu richten: Wie wirken sich die Unterschiede in den nationalen (Verfahrens-)Rechtsordnungen auf den Umgang mit europäischem Sekundärrecht aus?

C. Gang der Darstellung 13 Um die dargestellten Untersuchungsziele zu erreichen, sind die Normbestandteile des Art. 5 Abs. 1 EuInsVO im Detail zu betrachten. Es geht im Wesentlichen um drei Elemente, nämlich um 

die Anfechtung



der Entscheidung zur Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens



aus Gründen der internationalen Zuständigkeit.

14 Dementsprechend gliedert sich das Untersuchungsprogramm in drei Komplexe: 

Die internationale Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO (Teil 1 der Arbeit)



Die Folgen der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens (Teil 2)



Die nachträgliche gerichtliche Überprüfung im Wege der Anfechtung nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO (Teile 3 und 4).

4

C. Gang der Darstellung

Der erste Teil der Arbeit stellt die internationale Zuständigkeit zur Eröffnung eines 15 Hauptinsolvenzverfahrens in ihren Grundzügen dar. Nachdem der entscheidende Anknüpfungspunkt zur Festlegung der internationalen Zuständigkeit, das COMI des Schuldners, vorgestellt worden ist, gilt es näher zu erläutern, weshalb die (korrekte) Bestimmung der internationalen Zuständigkeit von so weitreichender Bedeutung ist. Abschließend werden im Überblick die Kontrollmechanismen vorgestellt, die die EuInsVO zur (Über-)Prüfung der internationalen Eröffnungszuständigkeit bereithält. Der zweite Teil betrachtet die Folgen der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens. 16 Hierbei steht die Sperrwirkung des zuerst eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens im Vordergrund, womit zugleich die notwendige Vorarbeit für die an späterer Stelle vorzunehmende Analyse des Anfechtungsrechts aus Art. 5 EuInsVO geleistet werden soll. Denn im weiteren Verlauf der Arbeit wird der Frage nachzugehen sein, welche Wirkungen einer diesem Rechtsbehelf stattgebenden Entscheidung beizumessen sind: Ist die Eröffnungsentscheidung eines international unzuständigen Gerichts zwingend einzustellen oder kann das Verfahren gegebenenfalls auch als Partikularverfahren fortgeführt werden? Um darüber Klarheit zu gewinnen, soll vorab der vergleichbare Fall betrachtet werden, in dem ein Gericht „prioritätsprinzipswidrig“ ein zweites Hauptinsolvenzverfahren eröffnet, also gegen die Sperrwirkung der ersten Eröffnungsentscheidung verstößt. Die Arbeit erörtert, ob und – wenn ja – unter welchen Voraussetzungen ein solches Verfahren als Sekundärverfahren fortgeführt werden kann. Um die Voraussetzungen einer Verfahrensfortführung an einem praktischen Anschauungsbeispiel zu erläutern, bietet sich an dieser Stelle der Rückgriff auf eine im Rahmen des NIKI-Verfahrens ergangene Entscheidung des AG Charlottenburg an. Anschließend nimmt der dritte Teil der Arbeit das Anfechtungsrecht aus Art. 5 Eu- 17 InsVO genauer in den Blick. Bevor im Einzelnen untersucht wird, wie das Anfechtungsverfahren ausgestaltet ist, gilt es das Bedürfnis für die Neuregelung zu ergründen. Zu diesem Zweck wird zunächst der Status quo ante dargestellt: Unter rechtsvergleichender Betrachtung wird näher untersucht, welche Rechtsbehelfe die Rechtsordnungen der drei ausgewählten Mitgliedstaaten – Deutschland, Österreich und Frankreich – bereits vor Inkrafttreten der neuen EuInsVO, und somit losgelöst von Art. 5 EuInsVO, gegen die Entscheidung zur Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens vorgesehen hatten und weiterhin vorsehen. Neben einer näheren Betrachtung der österreichischen Nachbarrechtsordnung verspricht insbesondere der Blick nach Frankreich interessante Erkenntnisse über eine – auch für die Entwicklung des Unionsrechts – bedeutende Rechtsordnung des romanischen Rechtskreises. Sehr reizvoll wäre es gewesen, darüber hinaus die Insolvenzverfahrensrechte des Vereinigten Königreichs (insbesondere das englisch-walisische Recht) als Vertreter des common law in die Untersuchung mit einzubeziehen. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund kann nicht genug bedauert werden, dass das Vereinigte Königreich aufgrund des Brexits aus dem Anwendungsbereich der EuInsVO ausgeschieden ist. In der Folge

5

Einleitung

ist der verfahrensrechtliche Mantel darzustellen und zu erläutern, in den die nationalen Rechtsordnungen Deutschlands, Österreichs und Frankreichs den Rechtsbehelf aus Art. 5 EuInsVO gekleidet haben. Dabei sind die nationalen Ausführungsregeln im Hinblick auf ihre Unionsrechtskonformität zu untersuchen. Soweit die nationalen Rechtsordnungen keine ausdrücklichen Bestimmungen vorsehen, wird der Versuch unternommen, auf Basis des Wirksamkeitsgebots des Unionsrechts allgemeine Regeln zur verfahrensrechtlichen Ausgestaltung des Anfechtungsrechts zu entwickeln.

18 Abschließend werden im vierten Teil – im Rahmen einer bewertenden Betrachtung – die Risiken aufgezeigt, die der Rückgriff auf nationales Verfahrensrecht zur näheren Ausgestaltung des Anfechtungsrechts birgt. In diesem Zusammenhang wird sich zeigen, dass gesetzgeberischer Nachbesserungsbedarf besteht. Jene Darlegungen münden deshalb in konkrete Vorschläge, die sich insbesondere an den europäischen, aber auch an den nationalen Gesetzgeber Deutschlands richten.

6

Erster Teil: Die internationale Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO § 1 Das COMI als Anknüpfungspunkt zur Bestimmung der internationalen Zuständigkeit A. Begriff des COMI nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO Die internationale Zuständigkeit zur Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens be- 19 stimmt sich nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO. Nach dessen Unterabsatz 1 Satz 1 sind für die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners befindet. Dieser Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners ist somit der zentrale Anknüpfungspunkt zur Bestimmung der internationalen Zuständigkeit. Aus der englischen Fassung (centre of main interests) ergibt sich das geläufige Akronym COMI. Der Begriff des COMI ist seit der Neufassung der Verordnung in Art. 3 Abs. 1 Un- 20 terabs. 1 Satz 2 EuInsVO legaldefiniert: Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen ist demnach der Ort, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und der für Dritte feststellbar ist. Seit Inkrafttreten der EuInsVO hat eine ständig steigende und nicht mehr überblickbare Anzahl wissenschaftlicher Untersuchungen den Begriff des COMI intensiv durchleuchtet.5) Seine Kriterien sollen an dieser Stelle nur im Überblick dargestellt werden.

I.

Maßgeblicher Zeitpunkt

Der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung des COMI des Schuldners ist der Zeit- 21 punkt der Einreichung des Eröffnungsantrags. Wie der EuGH in seiner ersten Entscheidung zur EuInsVO in der Rechtssache Staubitz-Schreiber betont hat, bleibt das zunächst befasste Gericht im Sinne einer perpetuatio fori zuständig, wenn der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen nach der Antragstellung, aber ___________ 5)

Siehe z. B. Cornette, JDI 2013, 1115; de Weijs/Breeman, ECFR 2014, 495; Fehrenbach, ZEuP 2013, 353; Herchen, ZInsO 2004, 825; Kübler, FS Gerhardt, S. 527; Latella, ECFR 2014, 479; Mankowski, NZI 2005, 368; Mitchell-Fry/Lawson, 5 CRI (2012), 16; Prütting, InsolvenzForum 2004, S. 157; Rotstegge, ZIP 2008, 955; Wessels, 24 Insolvency Intelligence (2011), 65; Wiedemann, ZInsO 2007, 1009. Monographisch u. a. Adam, Zuständigkeitsfragen bei der Insolvenz internationaler Unternehmensverbindungen, 2006; Attinger, Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen nach der EuInsVO – erfolgreiches Konzept oder Quelle der Rechtsunsicherheit?, 2008; Carstens, Die internationale Zuständigkeit im Europäischen Insolvenzrecht, 2005; Deyda, Der Konzern im europäischen internationalen Insolvenzrecht, 2008; Fehrenbach, Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren, 2014; Keggenhoff, Internationale Zuständigkeit bei grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren, 2006; Probst, Die internationale Zuständigkeit zur Eröffnung von Insolvenzverfahren im europäischen Insolvenzrecht, 2007; Vogler, Die internationale Zuständigkeit für Insolvenzverfahren, 2004; Wolf, Der europäische Gerichtsstand bei Konzerninsolvenzen, 2012.

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Erster Teil: Die internationale Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO

vor der Eröffnungsentscheidung verlegt.6) Der EuGH begründet seine Rechtsprechung mit der Wirksamkeit und der Effizienz der EuInsVO: Die Gläubiger des Schuldners sollen nicht dazu gezwungen werden, immer wieder von Neuem an dem Ort der aktuellen zeitweisen Niederlassung des Schuldners vorzugehen, da dies das Insolvenzverfahren zu verlängern drohe.7) Die Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der Antragstellung garantiere Rechtssicherheit und diene der Verhinderung von Forum Shopping.8)

22 Einen Sonderfall stellt ein Insolvenzverfahren über Gesellschaften dar, die sich im Zeitpunkt der Antragstellung bereits in Liquidation befinden und ihren Geschäftsbetrieb eingestellt haben. In diesem Fall stellt der EuGH in der Interedil-Entscheidung auf den Zeitpunkt ab, zu dem die vollständige Einstellung jeglicher geschäftlichen Tätigkeit erfolgte.9) Auf diese Weise wird verhindert, dass die Einstellung der (inländischen) Geschäftstätigkeit bei Gesellschaften mit Satzungssitz im Ausland automatisch zu einer Verlagerung des COMI (hin zum Satzungssitz im Ausland) führt.10)

II. Legaldefinition des Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 EuInsVO 23 Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 der Neufassung hat im Wesentlichen den Erwägungsgrund 13 EuInsVO 2000 in den Regelungsteil der Verordnung übernommen: Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen ist der Ort, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und der für Dritte feststellbar ist.11)

24 Indem die Verordnung die internationale Eröffnungszuständigkeit an den Ort des COMI bindet – der als Begriff des Unionsrechts autonom und unabhängig von nationalen Rechtsvorschriften auszulegen ist12) – sieht sie eine Einheitsanknüpfung vor.13) In dem Kriterium der „hauptsächlichen Interessen“ kommt der „Grundsatz der engsten ___________ 6) EuGH, Urt. v. 17.1.2006 – Rs. C-1/04, ZIP 2006, 188 Rn. 29 – Staubitz-Schreiber; im Grundsatz bestätigt durch EuGH, Urt. v. 20.10.2011 – Rs. C-396/09, ZIP 2011, 2153 Rn. 52 – Interedil. Zur dort angenommenen Ausnahme sogleich. 7) EuGH, Urt. v. 17.1.2006 – Rs. C-1/04, ZIP 2006, 188 Rn. 26 – Staubitz-Schreiber. 8) EuGH, Urt. v. 17.1.2006 – Rs. C-1/04, ZIP 2006, 188 Rn. 25, 27 – Staubitz-Schreiber. Zum Begriff des Forum Shopping siehe unten Rn. 47. 9) EuGH, Urt. v. 20.10.2011 – Rs. C-396/09, ZIP 2011, 2153 Rn. 58 – Interedil. Im Anschluss daran BGH, Beschl. v. 1.12.2011 – IX ZB 232/10, ZIP 2012, 139. 10) BGH, Beschl. v. 1.12.2011 – IX ZB 232/10, ZIP 2012, 139 Rn. 15; siehe dazu K. Schmidt/ Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 3 EuInsVO Rn. 9. 11) Erwägungsgrund 13 EuInsVO 2000 leicht abweichend: „Als Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen sollte der Ort gelten, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und damit für Dritte feststellbar ist.“ (Hervorhebungen hinzugefügt). 12) EuGH, Urt. v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04, ZIP 2006, 907 Rn. 31 – Eurofood; EuGH, Urt. v. 20.10.2011 – Rs. C-396/09, ZIP 2011, 2153 Rn. 42 – 44 – Interedil; EuGH, Urt. v. 15.12.2011 – Rs. C-191/10, ZIP 2012, 186 Rn. 31 – Rastelli. Siehe ebenso BGH, Beschl. v. 2.3.2017 – IX ZB 70/16, ZIP 2017, 688. 13) Balz, ZIP 1996, 948, 949; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533, 545; Mankowski/Müller/ J. Schmidt/Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 3 Rn. 6; Poertzgen/Adam, ZInsO 2006, 505, 506; Wimmer, ZInsO 2001, 97, 99.

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§ 1 Das COMI als Anknüpfungspunkt zur Bestimmung der internationalen Zuständigkeit

Verbindung“14) zum Ausdruck. Angeknüpft wird an das „Recht der größten Sachnähe“15) und den Ort der „engsten Beziehungen“16). Daraus folgt zwingend die Singularität des COMI: Es kann und darf nicht zwei gleichgewichtige Mittelpunkte der hauptsächlichen Interessen geben, sondern immer nur genau einen.17)

1.

Verwaltung der hauptsächlichen Interessen

Der Begriff der Interessen ist weit und im Sinne sämtlicher wirtschaftlicher Belange 25 zu verstehen. Er umfasst die allgemeine wirtschaftliche Tätigkeit des Schuldners und schließt auch typische Verbraucheraktivitäten mit ein.18) Verwaltung meint im Allgemeinen das Besorgen, Bewirtschaften und Betreuen und ist nicht auf den Ort der Vermögensverwaltung begrenzt.19) Die Spezifizierung der „hauptsächlichen“ Interessen dient neben der bereits erwähnten Einheitsanknüpfung als Kriterium für Fälle, in denen die Tätigkeiten des Schuldners Aktivitäten unterschiedlicher Art umfassen, die von verschiedenen (nationalen) Mittelpunkten aus betrieben werden.20)

2.

Objektive und zugleich für Dritte feststellbare Kriterien

Wie es bereits Erwägungsgrund 13 EuInsVO 2000 festschrieb und nun Art. 3 Abs. 1 26 Unterabs. 1 Satz 2 EuInsVO vorgibt, ist das COMI des Schuldners einerseits nach objektiven und zugleich nach für Dritte feststellbaren Kriterien zu bestimmen. Eng hieran orientiert sich auch die Rechtsprechung des EuGH:21) Der Interessenmittelpunkt des Schuldners müsse erstens nach außen in Erscheinung treten und zweitens für Dritte feststellbar sein. Diese doppelte Objektivität sei notwendig, um die Rechtssicherheit und die Vorhersehbarkeit bei der Bestimmung des für die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens zuständigen Gerichts zu garantieren.22) Die relevanten Dritten sind in erster Linie die aktuellen Gläubiger des Schuldners (Erwägungsgrund 28 ___________ 14) 15) 16) 17)

18)

19) 20) 21)

22)

Mankowski/Müller/J. Schmidt/Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 3 Rn. 2, 15. Paulus, EuInsVO, Art. 3 Rn. 5. EuGH, Urt. v. 20.10.2011 – Rs. C-396/09, ZIP 2011, 2153 Rn. 58 – Interedil. Balz, ZIP 1996, 948, 949; Mankowski/Müller/J. Schmidt/Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 3 Rn. 15; Prütting, Insolvenz-Forum 2004, S. 157, 167. Zur daraus folgenden Singularität des Hauptinsolvenzverfahrens Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Rn. 15; siehe zudem unten Rn. 82. Mankowski/Müller/J. Schmidt/Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 3 Rn. 13; MüKoBGB/Kindler, Art. 3 EuInsVO Rn. 17; Paulus, EuInsVO, Art. 3 Rn. 10; Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 3 Rn. 12; Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Rn. 75. Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 3 Rn. 12. Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Rn. 75. EuGH, Urt. v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04, ZIP 2006, 907 Rn. 33 – Eurofood; EuGH, Urt. v. 20.10.2011 – Rs. C-396/09, ZIP 2011, 2153 Rn. 49 – Interedil; EuGH, Urt. v. 15.12.2011 – Rs. C-191/10, ZIP 2012, 186 Rn. 33 – Rastelli. EuGH, Urt. v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04, ZIP 2006, 907 Rn. 33 – Eurofood; EuGH, Urt. v. 20.10.2011 – Rs. C-396/09, ZIP 2011, 2153, Rn. 49 – Interedil; EuGH, Urt. v. 15.12.2011 – Rs. C-191/10, ZIP 2012, 186 Rn. 33 – Rastelli.

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Erster Teil: Die internationale Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO

Satz 1 EuInsVO), dazu zählen vor allem Geld- und Warenkreditgläubiger.23) Aber auch die Perspektive potentieller Gläubiger ist zu berücksichtigen.24)

3.

Deshalb: Mehrstufige Prüfung des EuGH

27 Der EuGH nimmt deshalb eine mehrstufige Prüfung zur Ermittlung des COMI vor. Wie er in Interedil ausführt, ist dem Erfordernis der Objektivität und der Möglichkeit der Feststellung Genüge getan, wenn die zur Bestimmung des Ortes, an dem die Schuldnergesellschaft gewöhnlich ihre Interessen verwaltet, berücksichtigten konkreten Umstände bekannt gemacht wurden oder zumindest so transparent sind, dass Dritte davon Kenntnis haben konnten.25) Zu den zu berücksichtigenden Kriterien zählt der Gerichtshof alle Orte, an denen der Schuldner wirtschaftlich tätig wird, sowie alle Orte, an denen er Vermögenswerte besitzt, sofern diese Orte für Dritte erkennbar sind. Die relevanten Faktoren sind im Rahmen einer Gesamtbetrachtung und unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls zu beurteilen.26)

28 Dies muss auch gelten, wenn der Ort, an dem der Schuldner nach objektiven Kriterien gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht, und der Ort, der für Dritte als gewöhnlicher Ort der Verwaltung feststellbar ist, auseinanderfallen. Beiden Orten schreibt der Tatbestand des Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 EuInsVO eine gleichwertige Bedeutung zu; die Tatbestandselemente müssen kumulativ vorliegen. Aufgrund ihrer Eigenständigkeit können sie jedoch auseinanderfallen.27) In diesen Fällen muss das COMI dennoch eindeutig zu bestimmen sein. Aus der Interedil-Entscheidung lässt sich entnehmen, dass der EuGH dem Kriterium der Feststellbarkeit für Dritte und damit dem Schutz der Erwartungen des Rechtsverkehrs Vorrang einräumen will.28) Diese Tendenz zeigt auch Erwägungsgrund 28 Satz 2 EuInsVO auf, wonach es der Verordnungsgeber für geboten erachtet, Gläubiger im Falle einer Verlegung des COMI zeitnah über den neuen Ort der schuldnerischen Verwaltungstätigkeit zu unterrichten.

B. Vermutungen des Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 – 4 EuInsVO 29 Eine große Bedeutung bei der Beurteilung des COMI des Schuldners kommt Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 – 4 EuInsVO zu. Dort finden sich eine Reihe von (widerlegbaren) ___________ 23) EuGH, Urt. v. 20.10.2011 – Rs. C-396/09, ZIP 2011, 2153 Rn. 49 – Interedil; ebenfalls Mankowski/Müller/J. Schmidt/Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 3 Rn. 23. 24) Siehe hierzu Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Rn. 75. 25) EuGH, Urt. v. 20.10.2011 – Rs. C-396/09, ZIP 2011, 2153 Rn. 49 – Interedil. 26) EuGH, Urt. v. 20.10.2011 – Rs. C-396/09, ZIP 2011, 2153 Rn. 52 – Interedil, unter Bezugnahme auf EuGH (GA’in Kokott), Schlussanträge v. 10.3.2011 – Rs. C-396/09, ZIP 2011, 918 Rn. 70 – Interedil. 27) Mayr/Konecny, Handbuch des europäischen Zivilverfahrensrechts, Rn. 17.57; Wimmer/ Bornemann/Lienau, Die Neufassung der EuInsVO, Rn. 221. 28) EuGH, Urt. v. 20.10.2011 – Rs. C-396/09, ZIP 2011, 2153 Rn. 51 f. – Interedil.

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§ 1 Das COMI als Anknüpfungspunkt zur Bestimmung der internationalen Zuständigkeit

Vermutungen, wo sich das COMI von Gesellschaften und natürlichen Personen befindet.

I.

Vermutungen im Einzelnen

Nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 Satz 1 EuInsVO wird widerleglich vermutet, dass das 30 COMI einer Gesellschaft oder juristischen Person der Ort ihres (satzungsmäßigen) Sitzes ist. Eine entsprechende Regelung enthielt bereits Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO 2000. Wie auch der EuGH in den Entscheidungen Interedil und Rastelli festgehalten hat, kommt hierdurch und durch die Bezugnahme auf den Ort der Interessenverwaltung in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2 EuInsVO (Erwägungsgrund 13 EuInsVO 2000) die Intention des Unionsgesetzgebers zum Ausdruck, dem Ort der Hauptverwaltung der Gesellschaft als Zuständigkeitskriterium den Vorzug zu geben.29) Neu in die reformierte Fassung der EuInsVO aufgenommen sind die Vermutungen 31 hinsichtlich des COMI von natürlichen Personen. Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 3 Satz 1 EuInsVO betrifft das COMI von selbstständig oder freiberuflich tätigen natürlichen Personen, also von Kaufleuten, Unternehmern und Freiberuflern. Anknüpfungspunkt der Vermutung ist hier die Hauptniederlassung. Für ins Handelsregister eingetragene Kaufleute ist damit die eingetragene Niederlassung gemeint.30) Ansonsten bedeutet Hauptniederlassung der Ort des beruflichen Domizils,31) an dem die natürliche Person ihren Tätigkeiten nachgeht.32) Dabei handelt es sich etwa um den Kanzlei-, Bürooder Praxissitz.33) Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 4 Satz 1 EuInsVO enthält einen Auffangtatbestand für alle 32 nicht gewerblich tätigen Schuldner (sog. Verbraucher). Demnach wird das COMI von allen anderen natürlichen Personen am Ort ihres gewöhnlichen Aufenthalts vermutet.34) Indem die Verordnung unabhängig von einem gegebenenfalls abweichenden normativen Wohnsitz an den faktischen Ort des gewöhnlichen Aufenthalts anknüpft, kommt erneut der Grundsatz der engsten Verbindung im Sinne einer Einheitsanknüp___________ 29) EuGH, Urt. v. 20.10.2011 – Rs. C-396/09, ZIP 2011, 2153 Rn. 48 – Interedil, unter Bezugnahme auf EuGH (GA’in Kokott), Schlussanträge v. 10.3.2011 – Rs. C-396/09, ZIP 2011, 918 Rn. 69 – Interedil; EuGH, Urt. v. 15.12.2011 – Rs. C-191/10, ZIP 2012, 186 Rn. 32 – Rastelli. 30) Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 3 Rn. 34; Wimmer/Bornemann/Lienau, Die Neufassung der EuInsVO, Rn. 241. 31) Engl.: „principal place of business“; frz.: „le lieu d’activité principal“; span.: „el centro principal de actividad“; ital.: „la sede principale di attività“. 32) EuGH (GA Colomer), Schlussanträge v. 6.9.2005 – Rs. C-1/04, ZIP 2005, 1641 Rn. 62 – StaubitzSchreiber; Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Rn. 75. 33) K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 3 EuInsVO Rn. 19; Mankowski/Müller/J. Schmidt/ Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 3 Rn. 52; Thole, ZEuP 2014, 39, 55; Vallender/Vallender/ Zipperer, EuInsVO, Art. 3 Rn. 34. 34) Engl.: „habitual residence“; frz.: „résidence habituelle“; span.: „residencia habitual“; ital.: „residenza abituale“.

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Erster Teil: Die internationale Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO

fung zum Ausdruck.35) Der gewöhnliche Aufenthaltsort zeichnet sich als auf Dauer angelegten Ort des zentralen Lebensmittelpunkts aus, der Haus oder Wohnung sowie familiäre und soziale Bindungen umfasst,36) und ist somit deutlich schwieriger zu verlegen als der Wohnsitz. Der Anknüpfung an den Aufenthaltsort statt an den Wohnsitz kommt somit ein geringeres Manipulations- und Missbrauchspotential zu.37)

II. Sperrfristen 33 Die Unterabsätze 2 – 4 des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO gleichen sich in ihrem Aufbau. Während der jeweilige Satz 1 den Anknüpfungspunkt für die Vermutung regelt, enthält Satz 2 jeweils eine Sperrfrist: Ist die Verlegung des Unternehmenssitzes oder der Hauptniederlassung innerhalb von drei Monaten vor der Antragstellung erfolgt oder hat der Schuldner seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort innerhalb von sechs Monaten vor der Antragstellung gewechselt, gelten die Vermutungen nicht.

34 Wie sich aus den Erwägungsgründen 29 – 31 EuInsVO ergibt, bezweckt die Festlegung solcher Übergangsperioden die Verhinderung von missbräuchlichem und betrügerischem Forum Shopping.38) Es soll vermieden werden, dass der Schuldner im Vorfeld der Antragstellung auf die Kriterien zur Bestimmung der internationalen Zuständigkeit einwirkt, um selbst eine günstigere Rechtsstellung zu erlangen und die Gläubiger zu übervorteilen. Durch die Festlegung der Sperrfristen kommt somit die Wertung des Unionsgesetzgebers zum Ausdruck, dass im Falle einer Antragstellung innerhalb der Übergangsperiode die Verlagerung des Anknüpfungspunktes der Vermutung aus unredlichen Motiven erfolgt ist.39)

35 Die Sperrfristen sind in der Literatur nicht unumstritten.40) Teilweise werden sie als zu knapp und deshalb als nicht wirkungsvoll erachtet.41) Zudem wird verlautbart, dass sie letztlich genau das Gegenteil von dem bewirken, was sie erreichen sollen: So könnten sie sogar zu einer Erleichterung des Forum Shopping beitragen. Wartet der Restschuldbefreiungstourist die sechs Monate ab, könne er sicher sein, dass es dem mit dem anschließenden Eröffnungsantrag befassten Gericht kaum gelingen wird, die Vermutung des Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 4 Satz 2 EuInsVO zu widerlegen. Dies gelte insbesondere, wenn das anwendbare nationale Prozessrecht keinen Amtser___________ 35) Mankowski/Müller/J. Schmidt/Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 3 Rn. 122; Vallender/Vallender/ Zipperer, EuInsVO, Art. 3 Rn. 38. Siehe oben Rn. 24. 36) Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 3 Rn. 38. 37) Mankowski/Müller/J. Schmidt/Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 3 Rn. 122. 38) Siehe auch Erwägungsgrund 5 EuInsVO. Zum Begriff des Forum Shopping unten Rn. 47. 39) Wimmer/Bornemann/Lienau, Die Neufassung der EuInsVO, Rn. 236. 40) Ausführlich Bork/van Zwieten/Ringe, EIR, Art. 3 Rn. 3.85 ff. 41) Brinkmann, FS Prütting, S. 627, 628; Frind/Pannen, ZIP 2016, 398, 407; Kindler/Sakka, EuZW 2015, 460, 462; Piekenbrock, KSzW 2015, 191, 194 Fn. 50.

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§ 1 Das COMI als Anknüpfungspunkt zur Bestimmung der internationalen Zuständigkeit

mittlungsgrundsatz kennt, der von der amtswegigen Prüfung des Art. 4 EuInsVO zu unterscheiden sei.42)

III. Beweis des Gegenteils (Widerlegbarkeit der Vermutungen) 1.

Bedeutung und Wirkungsweise der Vermutungen

Wie sich aus dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 – 4 EuInsVO ergibt, sind die 36 Vermutungen widerlegbar. Wer den Beweis des Gegenteils zu erbringen hat und unter welchen Voraussetzungen er geführt ist, lässt die EuInsVO jedoch offen. Hinsichtlich der Bedeutung und der Wirkungsweise der Vermutungsregelungen werden daher unterschiedliche Auffassungen vertreten. So ist es einerseits denkbar, die Vermutungen als bloße Zweifelsregeln zu betrachten, 37 die die amtswegige Prüfung des Gerichts (Art. 4 EuInsVO) keineswegs einschränken.43) Begründen ließe sich diese Auffassung mit der Widerlegbarkeit der Vermutungen: Selbst wenn die die Vermutung begründenden Tatsachen gegeben sind, muss das Gericht von Amts wegen prüfen, ob die Vermutung (durch andere Aspekte) widerlegt werden kann. In der Konsequenz wäre die Bedeutung der Vermutungen durch die Amtsprüfungspflicht stark eingeschränkt – sie kämen vor allem bei Unaufklärbarkeit des Sachverhalts zum Tragen, um im Falle eines non liquet eine Entscheidung in einem bestimmten Sinn zu ermöglichen.44) Andererseits ließen sich die Vermutungen auch als Regelungen zur Beweislastum- 38 kehr45) verstehen; jedenfalls solange nicht konkrete Anhaltspunkte vorgetragen werden, dass die Vermutung widerlegt ist. Das Gericht dürfte sich im Rahmen seiner Zuständigkeitsprüfung damit begnügen, die tatbestandlichen Voraussetzungen der Vermutung zu prüfen und könnte bei deren Vorliegen ohne eine weitergehende Untersuchung von seiner Zuständigkeit ausgehen. Problematisch daran wäre, dass die Vermutungen dann zwar ihren Zweck einer vereinfachten Zuständigkeitsprüfung erfüllten, aber auch eine erhebliche Einschränkung der amtlichen Prüfungspflicht zur Folge hätten. Das Problem der dogmatischen Einordnung der Vermutungsregelungen soll an dieser 39 Stelle nur am Rande gestreift werden.46) Ein Mittelweg könnte sein, konkrete Anhalts___________ 42) Brinkmann, FS Prütting, S. 627, 635. Kritisch hinsichtlich einer Vermutung bzgl. des COMI von natürlichen Personen bereits Hess/Oberhammer/Pfeiffer, Heidelberg-Luxembourg-Vienna Report, Rn. 50, 477; ebenso Stöber, IPRax 2016, 355, 359; MüKoInsO/Thole, Art. 3 EuInsVO Rn. 67. Zu Art. 4 EuInsVO siehe unten Rn. 52 ff. 43) MüKoInsO/Thole, Art. 3 EuInsVO Rn. 18. 44) P. Huber, ZZP 114 (2001), 133, 141; MüKoBGB/Kindler, Art. 3 EuInsVO Rn. 26, 27; Bork/ van Zwieten/Ringe, EIR, Art. 4 Rn. 4.17. 45) So etwa Brinkmann, FS Prütting, S. 627, 632; A. Schmidt/Undritz, EuInsVO, Art. 3 Rn. 10. 46) Siehe hierzu ausführlich Kourouvani, Autonome Auslegung des Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO, S. 73 ff.; ebenso Brinkmann, FS Prütting, S. 627, 629 ff.; Prütting, Insolvenz-Forum 2004, S. 157, 168.

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Erster Teil: Die internationale Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO

punkte für ein mögliches Abweichen des COMI vom Anknüpfungspunkt der Vermutung zu verlangen, um eine weitergehende gerichtliche Untersuchungspflicht auszulösen.47) In diesem Fall müsste das Gericht von Amts wegen prüfen, ob sich die Vermutung widerlegen lässt.48)

2.

Anforderungen an die Widerlegbarkeit

40 In den zur Ursprungsfassung der EuInsVO ergangenen Entscheidungen Eurofood, Interedil und Rastelli hat der EuGH eine Linie entwickelt, wie die Vermutung hinsichtlich des COMI von Gesellschaften und juristischen Personen nach Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO 2000 zu widerlegen ist. Diese Grundsätze können auf die Vermutungen der Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 – 4 der neuen EuInsVO übertragen werden.

a) Gesellschaften und juristische Personen 41 Bereits in Eurofood hielt der Gerichtshof fest, dass die Vermutung des Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO 2000 widerlegt werden könne, wenn objektive und für Dritte feststellbare Tatsachen belegen, dass das COMI der Gesellschaft in Wirklichkeit nicht dem satzungsmäßigen Sitz entspricht.49) In Betracht käme dies insbesondere bei einer „Briefkastenfirma“, die im Staat ihres satzungsmäßigen Sitzes keiner Tätigkeit nachgeht.50) In der Interedil-Entscheidung griff der EuGH seine Rechtsprechung auf und präzisierte die Anforderungen an Beweis des Gegenteils: Zu den im Rahmen der Widerlegung der Vermutung zu berücksichtigenden Faktoren gehörten unter anderem alle Orte, an denen die Schuldnergesellschaft eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübe und alle Orte, an denen sie Vermögenswerte besitze. Vorausgesetzt sei dabei immer, dass jene Orte für Dritte erkennbar seien.51) „[E]ine Gesamtbetrachtung aller relevanten Faktoren“ müsse „die von Dritten überprüfbare Feststellung“ zulassen, „dass sich der tatsächliche Mittelpunkt der Verwaltung und der Kontrolle der Gesellschaft sowie der Verwaltung ihrer Interessen in [dem] anderen Mitgliedstaat“ befinden, der nicht dem des satzungsmäßigen Sitzes entspricht.52) Diese Urteils___________ 47) In diesem Sinne AG Hamburg, Beschl. v. 9.5.2006 – 67c IN 122/06, ZIP 2006, 1105, 1106; Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky/Duursma-Kepplinger, EuInsVO, Art. 3 Rn. 25; Herchen, ZInsO 2004, 825, 827; P. Huber, FS Heldrich, S. 679, 680; Keggenhoff, Internationale Zuständigkeit bei grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren, S. 143; Konecny, in: König/Mayr, Europäisches Zivilverfahrensrecht in Österreich V, S. 53, 61; Smid, DZWIR 2003, 397, 399 f.; Vallender, KTS 2005, 283, 294; Vallender/Fuchs, ZIP 2004, 829, 831; alle zu Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO 2000. Ebenso Mankowski/Müller/J. Schmidt/Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 3 Rn. 76. 48) Brinkmann, FS Prütting, S. 627, 634. 49) EuGH, Urt. v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04, ZIP 2006, 907 Rn. 34 – Eurofood. 50) EuGH, Urt. v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04, ZIP 2006, 907 Rn. 35 – Eurofood. 51) EuGH, Urt. v. 20.10.2011 – Rs. C-396/09, ZIP 2011, 2153 Rn. 52 – Interedil; EuGH, Urt. v. 15.12.2011 – Rs. C-191/10, ZIP 2012, 186 Rn. 35 – Rastelli. 52) EuGH, Urt. v. 20.10.2011 – Rs. C-396/09, ZIP 2011, 2153 Rn. 53 – Interedil.

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§ 1 Das COMI als Anknüpfungspunkt zur Bestimmung der internationalen Zuständigkeit

elemente hat der Unionsgesetzgeber wörtlich in Erwägungsgrund 30 Satz 2 der neuen EuInsVO übernommen.53) Der EuGH und der europäische Gesetzgeber gewichten den Mittelpunkt des Manage- 42 ments und der Kontrolle des operativen Geschäfts (business activity) somit höher als den Ort, an dem grundlegende Entscheidungen in strategischer Hinsicht (mind of management) getroffen werden.54) Somit wird deutlich, dass interne Steuerungsmechanismen im Rahmen der Widerlegung der Vermutung (und somit bei der Bestimmung des COMI) keine maßgebende Bedeutung haben.55) Ob der Beweis des Gegenteils geführt ist, entscheiden dabei letztlich immer die Umstände des Einzelfalls.56) Aus der Rechtsprechung des EuGH ergibt sich ebenfalls, dass die Anforderungen 43 an die Widerlegbarkeit streng sind.57) In keinem der zu entscheidenden Fälle erachtete der Gerichtshof den Beweis des Gegenteils als erbracht. So oder so erfordert er eine gerichtliche Überzeugung. Die Vermutung muss tatsächlich widerlegt sein; ihre bloße Erschütterung oder die bloße Wahrscheinlichkeit ihrer Widerlegbarkeit genügen daher nicht.58)

b) Natürliche Personen Die gleichen Erwägungen sind im Grunde auch auf die Widerlegung der Vermu- 44 tungen hinsichtlich des COMI von natürlichen Personen zu übertragen. Auch hier muss eine wertende Gesamtbetrachtung aller relevanten Faktoren aufgrund objektiver und von Dritten erkennbarer Elemente darauf schließen lassen, dass das tatsächliche COMI nicht am Ort der Niederlassung oder am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts liegt.59) Erwägungsgrund 30 Satz 3 EuInsVO präzisiert dies für Verbraucher dahingehend, dass die Vermutung des Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 4 Satz 2 EuInsVO widerlegt werden könne, wenn sich etwa der Großteil des Vermögens des Schuldners außer___________ 53) Erwägungsgrund 30 Satz 2 EuInsVO: „Bei einer Gesellschaft sollte diese Vermutung widerlegt werden können, wenn sich die Hauptverwaltung der Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat befindet als in dem Mitgliedstaat, in dem sich der Sitz der Gesellschaft befindet, und wenn eine Gesamtbetrachtung aller relevanten Faktoren die von Dritten überprüfbare Feststellung zulässt, dass sich der tatsächliche Mittelpunkt der Verwaltung und der Kontrolle der Gesellschaft sowie der Verwaltung ihrer Interessen in diesem anderen Mitgliedstaat befindet“. 54) Wimmer/Bornemann/Lienau, Die Neufassung der EuInsVO, Rn. 233. 55) Wimmer/Bornemann/Lienau, Die Neufassung der EuInsVO, Rn. 233. 56) EuGH, Urt. v. 20.10.2011 – Rs. C-396/09, ZIP 2011, 2153 Rn. 52 – Interedil, unter Bezugnahme auf EuGH (GA’in Kokott), Schlussanträge v. 10.3.2011 – Rs. C-396/09, ZIP 2011, 918 Rn. 70 – Interedil; EuGH, Urt. v. 15.12.2011 – Rs. C-191/10, ZIP 2012, 186 Rn. 36 – Rastelli. 57) Mankowski/Müller/J. Schmidt/Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 3 Rn. 52. 58) Mankowski/Müller/J. Schmidt/Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 3 Rn. 52, 77; Vallender/ Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 3 Rn. 23. 59) Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 3 Rn. 22.

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Erster Teil: Die internationale Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO

halb des Mitgliedstaats des gewöhnlichen Aufenthalts befinde oder wenn festgestellt werden könne, dass der Hauptgrund für einen Umzug darin bestand, einen Insolvenzantrag im neuen Gerichtsstand zu stellen, und die Interessen der Gläubiger, die bereits vor dem Umzug eine Rechtsbeziehung mit dem Schuldner eingegangen sind, durch einen solchen Insolvenzantrag wesentlich beeinträchtigt würden.

§ 2 Die Bedeutung der internationalen Zuständigkeit A. Festlegung der lex fori concursus 45 Der Bestimmung der internationalen Zuständigkeit zur Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO kommt im europäischen Insolvenzrecht eine richtungsweisende Bedeutung zu. So unterliegt nach Art. 7 Abs. 1 EuInsVO das gesamte Insolvenzverfahren dem jeweiligen nationalen Insolvenzrecht des Eröffnungsstaats (sog. Insolvenzstatut oder lex fori concursus, Erwägungsgrund 66 EuInsVO).60) Bei diesem Prinzip der Geltung der lex fori concursus, das einen Gleichlauf zwischen Eröffnungszuständigkeit und anwendbarem Recht herstellt, handelt es sich um einen Grundpfeiler der EuInsVO insgesamt.61)

46 Wegen der nur gering fortgeschrittenen Harmonisierung des materiellen Insolvenzrechts62) innerhalb der Europäischen Union kann es für Schuldner und Gläubiger weitreichende Auswirkungen haben, welche nationalen Verteilungs- und Restschuldbefreiungsregeln Anwendung finden. Zudem haben die anderen Mitgliedstaaten die Wirkungen der Verfahrenseröffnung, die sich nach der maßgeblichen lex fori concursus bestimmen, anzuerkennen (Art. 19, 20 EuInsVO)63) und grundsätzlich sämtliche Maßnahmen des Insolvenzverwalters zu dulden, welche nach dem Recht des Eröffnungsstaates zulässig sind (Art. 21 EuInsVO). Schließlich sperrt die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens die Möglichkeit der Eröffnung eines Hauptverfahrens in einem anderen Mitgliedstaat; dort können unter bestimmen Voraussetzungen lediglich Partikularverfahren mit begrenzter territorialer Wirkung eröffnet werden (Art. 3 Abs. 3 EuInsVO).64)

___________ 60) EuGH, Urt. v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04, ZIP 2006, 907 Rn. 33 – Eurofood; Brinkmann/ Brinkmann, EIR, Art. 3 Rn. 2; Bork/Mangano/Bork, European Cross-Border Insolvency Law, Rn. 4.01; Mankowski/Müller/J. Schmidt/Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 3 Rn. 1; Bork/ van Zwieten/Ringe, EIR, Art. 3 Rn. 3.03. 61) Paulus, EuInsVO, Art. 7 Rn. 2. 62) Siehe Erwägungsgrund 22 Satz 1 EuInsVO, der die „großen Unterschiede im materiellen Recht“ betont. 63) Zu diesem sog. Prinzip der automatischen Anerkennung siehe sogleich unten Rn. 64 ff. 64) Vorrang des Hauptinsolvenzverfahrens gegenüber den Territorialverfahren, siehe unten Rn. 76 ff. (Sperrwirkung).

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§ 2 Die Bedeutung der internationalen Zuständigkeit

B. Potential für Forum Shopping und Insolvenztourismus Aufgrund der Geltung des lex fori-Prinzips bestehen im Anwendungsbereich der 47 EuInsVO Anreize für Forum Shopping und Insolvenztourismus.65) Die Verordnung definiert in Erwägungsgrund 5 Forum Shopping als den Versuch eines Beteiligten, Vermögensgegenstände oder Gerichtsverfahren von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu verlagern, um auf diese Weise eine günstigere Rechtsstellung zum Nachteil der Gesamtheit der Gläubiger zu erlangen. Dies entspricht im Wesentlichen Erwägungsgrund 4 der Ursprungsfassung der Verordnung. Neu hinzugefügt wurde hingegen der Zusatz „zum Nachteil der Gesamtheit der Gläubiger“. Hieraus lässt sich schließen, dass der Unionsgesetzgeber zwischen einer grundsätzlich zulässigen und von der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) und Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 AEUV) gedeckten COMI-Verlegung und „betrügerischem und missbräuchlichem Forum Shopping“ (Erwägungsgründe 29 und 31 EuInsVO) differenzieren will.66) Spätestens seit Inkrafttreten der Ursprungsfassung der EuInsVO am 31. Mai 200267) 48 ließen sich vermehrt Versuche insolventer Schuldner beobachten, vor Antragstellung ihr COMI zu verlegen, um das Insolvenzverfahren in einer für sie (und bisweilen für ihre Hauptgläubiger) vermeintlich günstigeren Rechtsordnung durchzuführen.68) Ermutigt wurden sie unter anderem durch die schon in der Verordnung festgelegte Geltung der lex fori concursus (Art. 4 Abs. 1 EuInsVO 2000) und die Grundsätze der universellen Anerkennungs- (Art. 16 Abs. 1 EuInsVO 2000) und Wirkungserstreckung (Art. 17 Abs. 1 EuInsVO 2000), die dazu führen, dass die Rechtsfolgen des in einem Mitgliedstaat durchgeführten Verfahrens grundsätzlich in allen anderen Mitgliedstaaten anzuerkennen und wirksam sind.69) So wurde eine Reihe von Fällen bekannt, in denen etwa deutsche Unternehmen versuchten, durch die Verlegung ihres

___________ 65) Arnold, 14 Business Law International (2013), 245, 246; de Weijs/Breeman, ECFR 2014, 495, 496; Eidenmüller, 6 EBOR (2005), 423, 430; Goslar, NZI 2012, 912; Hergenröder, DZWIR 2009, 309, 310; Brinkmann/Piekenbrock, EIR, Art. 7 Rn. 9; Bork/van Zwieten/Ringe, EIR, Art. 3 Rn. 3.70. 66) Bork/van Zwieten/Ringe, EIR, Art. 3 Rn. 3.65. 67) Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren. 68) Hess/Oberhammer/Pfeiffer, Heidelberg-Luxembourg-Vienna Report, Rn. 301; Ringe, 9 EBOR (2008), 579, 582 ff.; Bork/van Zwieten/Ringe, EIR, Art. 3 Rn. 3.60; Vallender, FS Graf-Schlicker, S. 407, 408. Fast die Hälfte der im Rahmen der Evaluation der Ursprungsfassung der Verordnung eingeholten national reports berichteten von missbräuchlichen COMI-Verlegungen, Hess/ Oberhammer/Pfeiffer, Heidelberg-Luxembourg-Vienna Report, Annex: Systematic Summary of National Reports, S. 422 ff. Siehe ausführlich dazu Commission Staff Working Document Impact Assessment accompanying the Revision of Regulation (EC) No. 1346/2000 on insolvency proceedings, SWD(2012) 416, 3.4.1, S. 19 ff. 69) Siehe dazu unten Rn. 64 f.

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Erster Teil: Die internationale Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO

COMI vom sanierungsfreundlicheren englischen Insolvenzrecht zu profitieren.70) Gleichwohl hat sich gezeigt, dass zumindest für ein „lebendes“ Unternehmen71) ein Umzug samt COMI-Verlagerung sehr aufwändig und mit hohen Kosten verbunden ist und deshalb in der Praxis – trotz einzelner prominenter Fälle – kaum vorkommt.72) Mehr Relevanz hat hingegen das Forum Shopping von natürlichen Personen, da insbesondere der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts als Faktum wesentlich leichter zu verlegen ist, als der Unternehmenssitz. Für dieses Phänomen hat sich der Begriff des „Insolvenztourismus“ (bankruptcy tourism) entwickelt.73) Die Motivation der Schuldner rührt vor allem daher, in den Genuss großzügiger ausländischer Restschuldbefreiungsregeln zu kommen.74)

49 Zwischen den Insolvenzrechten der einzelnen Mitgliedstaaten bestehen zum Teil ganz erhebliche Unterschiede.75) Die unterschiedlichen Voraussetzungen der Restschuldbefreiung sind gut geeignet, um die bestehenden Anreize für eine Verlegung des COMI zu veranschaulichen: Um das im europäischen Vergleich immer noch strenge Verfahren der InsO und insbesondere die – auch nach der zum 1.10.2020 in Kraft getretenen Gesetzesänderung immer noch – lange Wohlverhaltensperiode von drei Jahren nach § 287 Abs. 2 InsO76) zu umgehen, haben sich für deutsche Schuldner insbesondere das Vereinigte Königreich sowie die deutsch-französische ___________ 70) ISA-Daisytek, dazu High Court of Justice Leeds, Beschl. v. 16.5.2003 – No. 861-876/03, ZIP 2003, 1362; zu dem Verfahren ebenfalls AG Düsseldorf, Beschl. v. 6.6.2003 – 502 IN 126/03, ZIP 2003, 1363 mit Anm. Mankowski, EWiR 2003, 767; AG Düsseldorf, Beschl. v. 12.3.2004 – 502 IN 126/03, ZIP 2004, 623 mit Anm. Herweg/Tschauner, EWiR 2004, 495; abgeschlossen durch BGH, Beschl. v. 29.5.2008 – IX ZB 102/07, ZIP 2008, 1338; Automold, dazu High Court of Justice Birmingham, Beschl. v. 19.12.2003 – No. 3060/03; Deutsche Nickel AG, dazu Vallender, NZI 2007, 129, 131 ff.; Schefenacker AG, dazu Griffiths/Hellmig, NZI 2008, 418, 419 f.; siehe auch den (erfolglosen) Fall Brochier, AG Nürnberg, Beschl. v. 1.10.2006 – 8034 IN 1326/06, ZIP 2007, 83, dazu Andres/Grund, NZI 2007, 137. Siehe ebenfalls Weller, ZGR 2008, 835. 71) K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 3 EuInsVO Rn. 16. Zu sog. Firmenbestattungen im Ausland siehe Weller, ZIP 2009, 2029; Weller, FS Ganter, 2010, 439. 72) Zu diesem Ergebnis kommt eine umfassende Studie von Eidenmüller/Frobenius/Prusko, NZI 2010, 545; Weller, IPRax 2011, 150, 154. 73) „Restschuldbefreiungstourismus“, Hergenröder, DZWIR 2009, 309. 74) Siehe dazu etwa High Court of Justice London, Beschl. v. 20.12.2006 – No. 9849/02, NZI 2007, 361 („Stojevic“), dazu Mankowski, EWiR 2007, 463; High Court of Justice London, Beschl. v. 22.6.2007 – No. 1338/07, ZVI 2008, 168; High Court of Justice London, Beschl. v. 10.6.2009 – No. 10421/2008 („Mittenfellner“), dazu Vallender, VIA 2011, 17; High Court of Justice Birmingham, Beschl. v. 29.8.2012, 2012 EWHC 2432 (Ch), dazu Goslar, NZI 2012, 912; BGH, Beschl. v. 9.2.2006 – IX ZB 418/02, ZIP 2006, 529; BGH, Beschl. v. 2.3.2006 – IX ZB 192/04, ZIP 2006, 767; BGH, Beschl. v. 15.11.2010 – NotZ 6/10, ZIP 2011, 284; BGH, Beschl. v. 2.3.2017 – IX ZB 70/16, NZI 2017, 320; LG Köln, Urt. v. 14.10.2011 – 82 O 15/08, ZIP 2011, 2119; LG Göttingen, Beschl. v. 4.12.2007 – 10 T 146/07, ZVI 2008, 58. Ebenfalls Beck, ZVI 2011, 355; Fuchs, Nationale und internationale Aspekte des RestschuldbefreiungsTourismus, S. 422; Hergenröder, DZWIR 2009, 309; Hölzle, ZVI 2007, 1; Mankowski, NZI 2011, 958; Mock, KTS 2013, 423; Pel, ZVI 2008, 152; Reuß, „Forum Shopping“ in der Insolvenz. 75) Erwägungsgrund 22 Satz 1 EuInsVO; Hess/Oberhammer/Pfeiffer, Heidelberg-LuxembourgVienna Report, Rn. 301; Jacoby, GPR 2007, 200, 201; Brinkmann/Piekenbrock, EIR, Art. 7 Rn. 8. 76) Vormals sechs Jahre.

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§ 3 Kontrollmechanismen zur (Über-)Prüfung der internationalen Zuständigkeit

Grenzregion Elsass-Moselle (departements Bas-Rhin, Haut-Rhin und Moselle) in Frankreich als attraktive Ziele erwiesen. Sowohl das englische Recht77) als auch das (ausschließlich) in Elsass-Moselle auch auf natürliche Personen anwendbare französische Insolvenzrecht78) sehen im Regelfall eine Restschuldbefreiung nach nur einem Jahr vor.79) Auch wenn der Brexit zumindest den COMI-Verlegungen nach England und Wales ein Ende bereiten wird und auch die französischen Insolvenzgerichte bereits seit längerer Zeit einen vermeintlichen „französischen“ Interessenmittelpunkt deutscher Schuldner äußerst misstrauisch und genau prüfen,80) ist das Problem final wohl nur durch Angleichung der Restschuldbefreiungsregeln im europäischen Rechtsraum in den Griff zu bekommen.81) Im Interesse eines ordnungsgemäßen Funktionierens des europäischen Binnenmarkts 50 hat sich der Unionsgesetzgeber zum Ziel gesetzt, betrügerisches und missbräuchliches Forum Shopping und Insolvenztourismus zu verhindern.82) Zu diesem Zweck enthält die Neufassung der EuInsVO eine Reihe von Schutzvorkehrungen.83) Neben der bereits erwähnten Widerlegbarkeit der Vermutungen zur Bestimmung des schuldnerischen COMI nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 – 4 EuInsVO und den dort ebenfalls geregelten Sperrfristen, in denen die Vermutungen nicht gelten, sieht die Verordnung zwei weitere Kontrollmechanismen zur (Über-)Prüfung der internationalen Zuständigkeit vor: Zum einen verpflichtet Art. 4 EuInsVO die mit einem Eröffnungsantrag befassten Gerichte, ihre internationale Zuständigkeit von Amts wegen zu prüfen und zu begründen. Und zweitens gewährt Art. 5 EuInsVO dem Schuldner und jedem Gläubiger einen Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung zur Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens zur Rüge der fehlenden internationalen Zuständigkeit.

§ 3 Kontrollmechanismen zur (Über-)Prüfung der internationalen Zuständigkeit Die weitreichenden Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens machen eine 51 sorgfältige Prüfung und Überprüfung der internationalen Zuständigkeit erforderlich. ___________ 77) Sec. 279 Abs. 1 Insovency Act 1986 sieht im Regelfall eine Verfahrensdauer von einem Jahr vor, nach der der Schuldner Restschuldbefreiung erlangt („A bankrupt is discharged from bankruptcy at the end of the period of one year beginning with the date on which the bankruptcy commences“). 78) Siehe hierzu noch ausführlicher unten Rn. 236 ff. 79) Hergenröder, DZWIR 2009, 309, Vallender, FS Graf-Schlicker, S. 407, 408; insbesondere zum Insolvenztourismus nach Frankreich Delzant/Schütze, ZInsO 2008, 540; Hölzle, ZVI 2007, 1. 80) Siehe etwa CA Colmar, Urt. v. 6.2.2013 – I A 12/04553, ZInsO 2014, 562; CA Metz, Urt. v. 12.2.2013 – R.G. No. 12/00283, [2013] EIRCR(A) 344; CA Colmar, Urt. v. 13.12.2011 – No. I A 11/01869, ZInsO 2012, 441. Weitere Rechtsprechungsnachweise bei Delzant/Schütze, ZInsO 2008, 540, 542. 81) Zu entsprechenden Reformbestrebungen siehe Allemand/Baister/Kuglartz u. a., NZI 2014, 1; Würdinger, KTS 2017, 445. 82) Erwägungsgrund 5 EuInsVO, siehe bereits Erwägungsgrund 4 EuInsVO 2000. 83) Erwägungsgrund 29 EuInsVO.

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Erster Teil: Die internationale Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO

Wie der EuGH bereits in der Eurofood-Entscheidung festgehalten hat, zwingt zu einer ausreichenden Kontrolle nicht zuletzt der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens, der für die Geltung der universellen Wirkungserstreckung einer Eröffnungsentscheidung von maßgeblicher Bedeutung ist.84)

A. Amtsprüfungspflicht des Art. 4 EuInsVO 52 Art. 4 Abs. 1 EuInsVO verpflichtet das mit einem Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens befasste Gericht von Amts wegen zu prüfen, ob es für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens international zuständig ist. In der Eröffnungsentscheidung hat das Gericht die Gründe anzugeben, auf denen seine Zuständigkeit beruht, und insbesondere, ob es sich um ein Hauptinsolvenzverfahren nach Art. 3 Abs. 1 oder um ein Partikularverfahren nach Art. 3 Abs. 2 EuInsVO handelt. Nach Art. 4 Abs. 2 EuInsVO sind solche Mitgliedstaaten mit in Anhang A EuInsVO aufgeführten nationalen Verfahren, die ohne die Entscheidung eines Gerichts im engeren Sinne eröffnet werden,85) befugt, die Prüfungs- und Begründungspflicht auf den Verwalter zu übertragen.86)

I.

Zweck der Amtsprüfungspflicht

53 Die Untersuchungen im Vorfeld der Reform der EuInsVO haben gezeigt, dass die mitgliedstaatlichen Gerichte unterschiedliche Standards bei der Prüfung ihrer internationalen Zuständigkeit an den Tag legten.87) Während etwa in Deutschland (§ 5 Abs. 1 Satz 1 InsO) oder in Österreich (§ 254 Abs. 5 österIO) bereits nach dem jeweiligen nationalen Recht der Amtsermittlungsgrundsatz gilt, nahmen englische, aber zum Beispiel auch polnische und tschechische Gerichte bei der Prüfung ihrer internationalen Zuständigkeit im Rahmen der Eröffnungsentscheidung eine weit weniger aktive Rolle ein.88) Die teils erheblich voneinander abweichenden Herange___________ 84) EuGH, Urt. v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04, ZIP 2006, 907 Rn. 41 – Eurofood. Siehe ebenfalls Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Rn. 202. 85) Beispielsweise sei das irische creditors’ voluntary winding-up genannt, das allein aufgrund eines Gesellschafterbeschlusses eröffnet wird, siehe MüKoInsO/Day/Hogan/Hermann/Schlegel, Länderbericht Irland, Rn. 20 ff. 86) Kritisch zu Art. 4 Abs. 2 Brinkmann/Brinkmann, EIR, Art. 4 Rn. 20 f.: „Article 4(2) EIR offers a solution to a problem which the addressees fail to see.“ 87) Hess/Oberhammer/Pfeiffer, Heidelberg-Luxembourg-Vienna Report, Rn. 406 – 409, 478 – 481; Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss v. 12.12.2012 über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren, COM(2012) 743 final, S. 11 f. 88) Commission Staff Working Document Impact Assessement accompanying the document Revision of Regulation (EC) No. 1346/2000 on insolvency proceedings, SWD(2012) 416 final, S. 19, 27; Brinkmann/Brinkmann, EIR, Art. 4 Rn. 3; Mankowski/Müller/J. Schmidt/Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 4 Rn. 1; Bork/van Zwieten/Ringe, EIR, Art. 4 Rn. 4.05; Vallender, FS Graf-Schlicker, S. 407, 423.

20

§ 3 Kontrollmechanismen zur (Über-)Prüfung der internationalen Zuständigkeit

hensweisen veranschaulicht ein Auszug aus einem Beschluss des High Court of Justice London vom 20. Dezember 2006: „I cannot help thinking that those who have criticised the approach of the English Bankruptcy Court, […] have overlooked, inadvertently, the fundamental difference between the English legal system, which is adversarial, and the Continental legal system, which is inquisitorial. Where the evidence as to the the centre of the debtor’s main interests is not denied, and in the present it was not denied, it is not the practice of the English Bankruptcy Court to inquire into that matter in the way that, as I understand, a Continental Bankruptcy Court would do.“89)

Diese nicht unübliche großzügige, ja aus kontinentaler Sicht geradezu unkritische 54 Annahme ihrer Eröffnungszuständigkeit unter anderem durch englische Gerichte wurde insbesondere in Kontinentaleuropa vielfach kritisiert.90) Art. 4 EuInsVO soll dem Missstand uneinheitlicher Prüfungsstandards Abhilfe schaf- 55 fen. Die Vorschrift gewährleistet, dass die relevanten Kriterien für die Bestimmung der internationalen Eröffnungszuständigkeit nach Art. 3 EuInsVO unionsweit im jeweiligen Einzelfall Berücksichtigung finden.91) Auf diese Weise bezweckt Art. 4 EuInsVO die Gewährleistung eines einheitlichen Prüfungsstandards der mit einer Eröffnungsentscheidung befassten Gerichte und verfolgt das Ziel, das der EuInsVO zugrunde liegende Prinzip des gegenseitigen Vertrauens in die richtige Rechtsanwendung und der unionsweiten universellen Anerkennung der Eröffnungsentscheidung zu stärken.92) So soll auch missbräuchliches Forum Shopping bekämpft werden.93)

II. Inhalt der Amtsprüfungspflicht Art. 4 Abs. 1 EuInsVO verpflichtet die Gerichte zu einer Prüfung „von Amts wegen“. 56 Was im Konkreten mit einer Amtsprüfung gemeint ist, lässt die Verordnung jedoch offen. Hinsichtlich dieses – autonom auszulegenden94) – Begriffes dürfte außer Frage ste- 57 hen, dass die Gerichte nicht an Anträge der Beteiligten gebunden sind, sondern auf ___________ 89) High Court of Justice London, Beschl. v. 20.12.2006 – No. 9894/02, NZI 2007, 361 Rn. 24 (Registrar Jaques) (Hervorhebungen hinzugefügt). Siehe zum englischen Recht auch Piekenbrock, KSzW 2015, 191, 194. 90) Andres/Grund, NZI 2007, 137, 140; Jacoby, GPR 2007, 200, 201 f.; Kebekus, ZIP 2007, 84 ff.; Lautenbach, NZI 2004, 384, 385 ff.; Lüer, FS Greiner, S. 201, 202; Mankowski, EWiR 2003, 767; Mansel, FS Hoffmann, S. 683, 687; McCormack, 68 Cambridge Law Journal (2009), 169, 185 f.; Møller/McGovern/Schaffer/Venditto, 6 CRI (2015), 223; Paulus, EWiR 2003, 709, 710; Piekenbrock, IPRax 2018, 536, 537; Sabel, NZI 2004, 126; Vallender, NZI 2007, 129; Weller/Thomale/Benz, NJW 2016, 2378, 2380. 91) Wimmer/Bornemann/Lienau, Die Neufassung der EuInsVO, Rn. 255. 92) Siehe bereits EuGH, Urt. v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04, ZIP 2006, 907 Rn. 41 – Eurofood; Mankowski/Müller/J. Schmidt/Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 4 Rn. 1. 93) Mankowski/Müller/J. Schmidt/Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 4 Rn. 1. 94) Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 4 Rn. 6.

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Erster Teil: Die internationale Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO

eigene Initiative zu prüfen haben, ob überhaupt die internationale Zuständigkeit der Gerichte des jeweiligen Forumstaates besteht.95) Rein begrifflich bedeutet eine „Prüfung“ von Amts wegen allerdings noch keine „Ermittlung“ von Amts wegen.96) Der Begriff der Prüfung von Amts wegen (Prüfung ex officio; Amtsprüfung) im Sinne von Art. 4 Abs. 1 EuInsVO kann daher nicht ohne Bedenken mit der aus § 5 Abs. 1 Satz 1 InsO (oder § 254 Abs. 5 österIO) bekannten Amtsermittlung gleichgesetzt werden.97) Hierfür spricht neben dem in den Amtssprachen identischen Wortlaut98) nicht zuletzt Erwägungsgrund 32 EuInsVO: Demnach hat das Gericht in allen Fällen, in denen Zweifel an seiner Zuständigkeit bestehen, den Schuldner (gemeint ist wohl den Antragsteller99)) aufzufordern, zusätzliche Nachweise für seine Behauptung vorzulegen. Eine eigene gerichtliche Ermittlung der zuständigkeitsrelevanten Tatsachen sieht das europäische Recht, unabhängig von eventuellen strengeren nationalen Untersuchungspflichten, daher nicht vor.100)

58 Die genauen Kompetenzen des Gerichts sind dabei nach nationalem Recht zu beurteilen.101) Die jeweilige lex fori bestimmt also, ob das Gericht Zeugen anhören oder ein Sachverständigengutachten einholen kann.102) Einem deutschen Gericht wäre es also etwa möglich, einen Sachverständigen damit zu beauftragen, die erforderlichen Kriterien hinsichtlich des COMI des Schuldners zu ermitteln.103)

59 Art. 4 EuInsVO garantiert folglich lediglich einen prozessualen Mindeststandard. Sollten dem jeweiligen nationalen Verfahrensrecht amtswegige Ermittlungen jedoch völlig ___________ 95) Mankowski/Müller/J. Schmidt/Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 4 Rn. 5. 96) BGH, Urt. v. 31.1.1991 – III ZR 150/88, NJW 1991, 3095, 3096; BGH, Beschl. v. 1.12.2011 – IX ZB 232/10, ZIP 2012, 139 Rn. 10; zur Prüfungsintensität LG Korneuburg, Beschl. v. 12.1.2018 – 36 S 5/18d-3, ZInsO 2018, 164, 166 ff.; Brinkmann/Brinkmann, EIR, Art. 4 Rn. 8; Garcimartín, ZEuP 2015, 695, 709; Vallender, FS Graf-Schlicker, S. 407, 423; Wimmer/ Bornemann/Lienau, Die Neufassung der EuInsVO, Rn. 256. Missverständlich insoweit EuGH, Urt. v. 21.1.2010 – Rs. C-444/07, NZI 2010, 156 Rn. 29 – MG Probud Gdynia („prüft, d. h. untersucht“); ebenso EuGH, Urt. v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04, ZIP 2006, 907 Rn. 41 – Eurofood („überprüft, d. h. untersucht“). 97) Garcimartín, ZEuP 2015, 695, 709; Vallender, FS Beck, S. 537, 538; Wimmer/Bornemann/ Lienau, Die Neufassung der EuInsVO, Rn. 256; a. A. Fehrenbach, Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren, S. 87; Thole, ZIP 2018, 401, 405; ebenso Paulus, EuInsVO, Art. 4 Rn. 2 f., der der Meinung ist, Gerichte müssten sich im Bedarfsfall rechtsgutachterlicher Unterstützung bedienen. 98) Engl.: „examine“; frz.: „examine“; span.: „examinará “; ital.: „verifica“, niederl.: „onderzoeht“. 99) Diesbezüglich einhelliger Meinung Mankowski/Müller/J. Schmidt/Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 4 Rn. 10; Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 4 Rn. 5; Wimmer/Bornemann/ Lienau, Die Neufassung der EuInsVO, Rn. 256. 100) Brinkmann/Brinkmann, EIR, Art. 4 Rn. 8; HK-InsO/Dornblüth, Art. 4 EuInsVO Rn. 2; Vallender/ Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 4 Rn. 5. 101) Brinkmann/Brinkmann, EIR, Art. 4 Rn. 10; Mankowski/Müller/J. Schmidt/Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 4 Rn. 9. 102) Brinkmann, FS Prütting, S. 627, 634. 103) Siehe BGH, Beschl. v. 19.7.2012 – IX ZB 6/12, ZIP 2012, 1615.

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§ 3 Kontrollmechanismen zur (Über-)Prüfung der internationalen Zuständigkeit

unbekannt sein, darf das Gericht zumindest den Antragsteller dazu auffordern, seine Behauptung, das COMI des Schuldners liege am entsprechenden Ort, durch zusätzliche Nachweise zu belegen. Dies ergibt sich ebenfalls aus Erwägungsgrund 32 EuInsVO. Diese Berechtigung muss unabhängig aller nationalen Vorschriften gelten, ansonsten wäre die Effektivität der EuInsVO auf nicht hinnehmbare Weise beeinträchtigt.104)

B. Rechtsbehelf des Art. 5 EuInsVO Weiterhin sieht die Neufassung der Verordnung in Art. 5 Abs. 1 EuInsVO einen 60 Rechtsbehelf gegen die Verfahrenseröffnung zur Rüge der fehlenden internationalen Zuständigkeit vor. So haben der Schuldner sowie jeder Gläubiger das Recht, die Entscheidung zur Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens mit dem Argument anzufechten, dass das Eröffnungsgericht seine internationale Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat. Art. 5 Abs. 2 EuInsVO stellt klar, dass weitergehende nationale Rechtsbehelfe von der Regelung unberührt bleiben. Die Einführung eines Anfechtungsrechts bedeutet insbesondere für solche Rechts- 61 ordnungen eine erhebliche Neuerung, die – wie das deutsche Recht – einen generellen Rechtsbehelf für Gläubiger gegen die Eröffnungsentscheidung bisher nicht kannten.105) Wie der europäische Rechtsbehelf näher ausgestaltet ist und wie sich die unmittelbar geltende Vorschrift in das Gefüge der nationalen Verfahrensordnungen eingliedern lässt, untersucht diese Arbeit an späterer Stelle ausführlich.106) Indem zu der im Vorfeld der Eröffnungsentscheidung vorzunehmenden Amtsprü- 62 fung eine nachträgliche Überprüfungsmöglichkeit mittels des Rechtsbehelfs gegen die Verfahrenseröffnung tritt, schafft die Neufassung der EuInsVO folglich ein zweistufiges gerichtliches Kontrollsystem zur Überprüfung der internationalen Zuständigkeit. Im nun folgenden zweiten Teil der Arbeit sollen zunächst die Folgen der Eröffnung 63 eines Hauptinsolvenzverfahrens betrachtet werden. Hierbei steht die Sperrwirkung des zuerst eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens im Vordergrund. Im weiteren Verlauf der Arbeit wird der Frage nachzugehen sein, welche Wirkungen einer dem Rechtsbehelf aus Art. 5 EuInsVO stattgebenden Entscheidung beizumessen sind: Ist die Eröffnungsentscheidung eines international unzuständigen Gerichts zwingend einzustellen oder kann das Verfahren gegebenenfalls auch als Partikularverfahren fortgeführt werden?107) Um darüber Klarheit zu gewinnen, soll vorab der in der Praxis ___________ 104) Brinkmann/Brinkmann, EIR, Art. 4 Rn. 11. 105) Nach § 34 Abs. 2 InsO ist lediglich der Schuldner gegen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beschwerdeberechtigt. 106) Siehe unten Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO, Rn. 155 ff., und Vierter Teil: Bewertung der Neuregelung und Korrekturvorschlag, Rn. 579 ff. 107) Siehe unten Rn. 460 ff.

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Erster Teil: Die internationale Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO

ebenfalls vorkommende Fall betrachtet werden, in dem ein Gericht „prioritätsprinzipswidrig“ ein zweites Hauptinsolvenzverfahren eröffnet, also gegen die Sperrwirkung der ersten Eröffnungsentscheidung verstößt. Hierfür gilt es zunächst die Herleitung der Sperrwirkung aus dem der EuInsVO zugrunde liegenden Universalitätsprinzip zu erläutern.

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Zweiter Teil: Die Folgen der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens § 4 Die Universalität des Hauptinsolvenzverfahrens A. Universalitätsprinzip als Grundpfeiler der EuInsVO Ein Grundprinzip des europäischen Insolvenzrechts bildet die Universalität des Haupt- 64 insolvenzverfahrens. Wie Erwägungsgrund 23 Satz 2 EuInsVO klarstellt, verfolgt die Verordnung das Ziel eines einheitlichen Insolvenzverfahrens mit universaler Geltung unter einer einzigen Rechtsordnung, welches das gesamte Vermögen des Schuldners erfasst. Aus dem Universalitätsprinzip folgt zweierlei: Erstens ist die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in einem Mitgliedstaat grundsätzlich in allen anderen Mitgliedstaaten anzuerkennen (Art. 19 EuInsVO). Und zweitens entfaltet die Verfahrenseröffnung im gesamten Bereich der Europäischen Union die Wirkungen, die ihr nach dem Recht des Eröffnungsstaates zukommen (Art. 20 EuInsVO).108) Das Universalitätsprinzip der EuInsVO setzt sich somit aus dem Grundsatz der auto- 65 matischen Anerkennung (Geltungserstreckung) sowie dem davon zu trennenden109) Grundsatz der Wirkungserstreckung zusammen. Zwischen Anerkennungswirkung und Wirkungserstreckung besteht dabei ein Kausalzusammenhang, der sich nicht zuletzt aus Erwägungsgrund 65 Satz 2 EuInsVO ergibt: Der Grundsatz der Wirkungserstreckung setzt die aus dem Anerkennungsprinzip folgende Geltungserstreckung voraus.110)

I.

Anerkennungswirkung

Nach Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1 EuInsVO ist die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens 66 durch ein nach Art. 3 EuInsVO zuständiges Gericht in allen übrigen Mitgliedstaaten anzuerkennen, sobald die Entscheidung im Staat der Verfahrenseröffnung wirksam ist. Dies gilt selbst dann, wenn in den übrigen Mitgliedstaaten über das Vermögen des Schuldners wegen seiner Eigenschaft ein Insolvenzverfahren nicht eröffnet werden könnte (Unterabs. 2). In dieser Vorschrift kommt der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zum Aus- 67 druck.111) Dieses Grundprinzip des Unionsrechts bildet das Fundament sämtlicher europäischer justizieller Zusammenarbeit und liegt somit auch dem europäischen ___________ 108) K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Vorbemerkungen EuInsVO Rn. 6. 109) K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 19 EuInsVO Rn. 1, Art. 20 EuInsVO Rn. 1; Paulus, EuInsVO, Art. 20 Rn. 1. 110) K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 20 EuInsVO Rn. 2; Klockenbrink, Die Gläubigerstellung unter dem Einfluss der EuInsVO und des deutschen internationalen Insolvenzrechts, S. 72 ff. 111) Erwägungsgrund 65 Satz 3 EuInsVO; siehe bereits Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Rn. 79; zuletzt Zipperer, ZIP 2021, 231.

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Zweiter Teil: Die Folgen der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens

Insolvenzrecht zugrunde:112) Die Schaffung gemeinsamer europäischer (Verfahrens-)Regelungen setzt ein hohes Maß an Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten dahingehend voraus, dass nicht nur die jeweils eigene Rechtsordnung, sondern auch die Rechtspflege der anderen Mitgliedstaaten im Wesentlichen den eigenen Anforderungen an ein gerechtes und faires Verfahren entsprechen.113)

68 Die Anerkennungswirkung des Art. 19 Abs. 1 EuInsVO hat insbesondere zur Folge, dass die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten nicht überprüfen können, ob das Eröffnungsgericht seine internationale Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat.114) Ein solcher Prüfungsvorbehalt würde dem gegenseitigen Vertrauen in die Gleichwertigkeit der Justizsysteme jegliche Wirkung nehmen.115)

II. Wirkungserstreckung 69 Noch deutlicher tritt die Universalität des Hauptinsolvenzverfahrens in dem Grundsatz der Wirkungserstreckung zutage:116) Gemäß Art. 20 Abs. 1 EuInsVO entfaltet die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens ohne irgendwelche Förmlichkeiten in jedem anderen Mitgliedstaat die Wirkungen, die das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung dem Verfahren beimisst. Dies gilt jedenfalls sofern die Verordnung nichts anderes bestimmt und solange in dem anderen Mitgliedstaat kein Territorialverfah___________ 112) Ausweislich einer Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 11.3.2014 zur Vision der Zukunft der EU-Justizpolitik soll sich die Zukunft der justiziellen Zusammenarbeit auf der Stärkung dreier Säulen stützen, deren erste und fundamentalste die des gegenseitigen Vertrauens ist, siehe http://europa.eu/rapid/press-release_IP-14-233_de.htm (zuletzt abgerufen am 20.7.2021). 113) Konecny, in: Clavora/Garber, Grenzüberschreitende Insolvenzen im europäischen Binnenmarkt (2011), S. 17 ff.; Nunner-Krautgasser, in: Clavora/Garber, Grenzüberschreitende Insolvenzen im europäischen Binnenmarkt (2011), S. 31 ff.; Paulus, EuInsVO, Einleitung Rn. 25; Zipperer, ZIP 2021, 231, 235. 114) EuGH, Urt. v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04, ZIP 2006, 907 Rn. 44 – Eurofood; EuGH, Urt. v. 21.1.2010 – Rs. C-444/07, NZI 2010, 156 Rn. 27 ff. – MG Probud Gdynia; EuGH, Urt. v. 5.7.2012 – Rs. C-527/10, ZIP 2012, 1815 Rn. 34 – ERSTE Bank Hungary; OLG Celle, Beschl. v. 27.11.2012 – 2 U 147/12, ZIP 2013, 945; OLG Köln, Urt. v. 28.2.2013 – 18 U 298/11, ZIP 2013, 644; OLG Nürnberg, Beschl. v. 15.12.2011 – 1 U 2/11, ZIP 2012, 241; OLG Wien, Beschl. v. 9.11.2004 – 28 R 225/04w, NZI 2005, 56, 58 sowie die ganz herrschende Meinung im Schrifttum: K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 19 EuInsVO Rn. 8; Fehrenbach, ZEuP 2013, 353, 372; Herchen, ZIP 2005, 1401; Jacoby, GPR 2007, 200, 202; MüKoBGB/ Kindler, Art. 19 EuInsVO Rn. 9; Paulus, EuInsVO, Art. 19 Rn. 9; Vallender/Sutschet, EuInsVO, Art. 19 Rn. 9; MüKoInsO/Thole, Art. 19 EuInsVO Rn. 21; Bork/van Zwieten/Veder, EIR, Art. 19 Rn. 19.15. Entschieden abzulehnen ist daher OLG Düsseldorf, Urt. v. 23.8.2013 – I-22 U 37/13, ZVI 2014, 425. Eine Ausnahme stellt lediglich die – als ultima ratio eingreifende – ordre public-Einrede dar, siehe dazu sogleich Rn. 74 f. 115) EuGH, Urt. v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04, ZIP 2006, 907 Rn. 42 – Eurofood; K. Schmidt/ Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 19 EuInsVO Rn. 8; Zipperer, ZIP 2021, 231, 235. 116) K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 20 EuInsVO Rn. 2; Uhlenbruck/Knof, InsO, Art. 20 EuInsVO Rn. 6; Vallender/Sutschet, EuInsVO, Art. 20 Rn. 4; Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Rn. 151.

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§ 4 Die Universalität des Hauptinsolvenzverfahrens

ren eröffnet ist. Art. 20 Abs. 1 EuInsVO betrifft somit die Reichweite der Rechtsfolgen der anzuerkennenden Eröffnungsentscheidung. Das Hauptinsolvenzverfahren deckt grundsätzlich alle Vermögensgegenstände des 70 Schuldners ab. Hierbei spielt es zunächst einmal keine Rolle, ob sie im Eröffnungsstaat, in anderen Mitgliedstaaten oder in Drittstaaten belegen sind. Im letzteren Fall entscheidet jedoch das autonome internationale Insolvenzrecht des Drittstaates, ob das in einem EuInsVO-Staat eröffnete Verfahren mitsamt seinen Wirkungen anerkannt wird.117) Von dem Prinzip der Wirkungserstreckung erfasst werden sowohl die verfahrensrechtlichen Wirkungen der Eröffnungsentscheidung (etwa die Einsetzung eines Verwalters) als auch die (materiell) rechtsgestaltenden Eröffnungswirkungen (etwa die Anordnung eines Verfügungsverbotes), ohne dass es eines gesonderten Anerkennungs- oder Exequaturverfahrens bedarf.

B. Grenzen der Universalität Die Universalität des Hauptinsolvenzverfahrens gilt indes nicht uneingeschränkt. Aus 71 der Verordnung ergeben sich zwei Ausnahmen: Diese betreffen zum einen die Zulässigkeit von Territorialverfahren und zum anderen den ordre public-Vorbehalt nach Art. 33 EuInsVO. Man spricht daher von dem Grundsatz der modifizierten118), abgeschwächten119) oder kontrollierten120) Universalität.

I.

Territorialverfahren

Wie Erwägungsgrund 22 EuInsVO klarstellt, erkennt die Verordnung die Tatsache 72 an, dass aufgrund der bereits erwähnten großen Unterschiede im materiellen Recht zwischen den Mitgliedstaaten ein einziges Insolvenzverfahren mit universaler Geltung für die Union nicht realisierbar ist. Aus diesem Grund lässt die EuInsVO neben einem Hauptinsolvenzverfahren mit universaler Geltung unter anderem auch innerstaatliche Verfahren zu, deren Wirkungen sich lediglich auf das im Eröffnungsstaat befindliche Vermögen erstrecken (Art. 3 Abs. 2 Satz 2 EuInsVO). Diese sogenannten Territorialverfahren begrenzen somit die universalen Wirkungen eines etwaig gleichzeitig laufenden Hauptinsolvenzverfahrens. Die Verordnung unterscheidet dabei zwischen zwei Arten von Territorialverfahren: 73 Als Sekundärinsolvenzverfahren werden solche Verfahren bezeichnet, die gemäß Art. 3 Abs. 3 EuInsVO eröffnet werden, nachdem in einem anderen Mitgliedstaat ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet wurde.121) Darüber hinaus kann unter den (engen) ___________ 117) 118) 119) 120) 121)

K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Vorbemerkung EuInsVO Rn. 6. Brinkmann/Madaus, EIR, Art. 34 Rn. 2; MüKoInsO/Thole, Art. 3 EuInsVO Rn. 5. MüKoBGB/Kindler, Vorbemerkung EuInsVO Rn. 16. Vallender/Zipperer, EuInsVO, Erwägungsgründe Rn. 4. Siehe hierzu ausführlich unten Rn. 104 ff.

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Zweiter Teil: Die Folgen der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens

Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 4 EuInsVO auch ohne die vorherige Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens ein unabhängiges Partikularverfahren eröffnet werden.122) Im Falle der späteren Eröffnung eines Hauptverfahrens wird ein solches Verfahren zu einem Sekundärinsolvenzverfahren.

II. Ordre public-Vorbehalt 74 Schließlich kann die Universalität des Hauptverfahrens durch den ordre public-Vorbehalt des Art. 33 EuInsVO durchbrochen werden. Ein Mitgliedstaat kann sich weigern, ein in einem anderen Mitgliedstaat eröffnetes Insolvenzverfahren anzuerkennen, soweit diese Anerkennung zu einem Ergebnis führt, das offensichtlich mit seiner öffentlichen Ordnung, insbesondere mit den Grundprinzipien oder den verfassungsmäßig garantierten Rechten und Freiheiten des Einzelnen, unvereinbar ist.

75 Wie der EuGH in Eurofood klargestellt hat, kann auch auf die insolvenzrechtliche ordre public-Klausel nur als ultima ratio in absoluten Ausnahmefällen, wie etwa bei der Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs, zurückgegriffen werden.123) Allein die – aus Sicht der Gerichte des Anerkennungsstaates – fehlerhafte Anwendung der Regeln über die internationale Zuständigkeit reicht für einen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung nicht aus.124) Dies muss erst recht gelten, seitdem die EuInsVO den Beteiligten in Art. 5 Abs. 1 das Recht zusichert, gegen die Verfahrenseröffnung aus Gründen der fehlenden internationalen Zuständigkeit im Eröffnungsstaat vorzugehen.125) Der Rückgriff auf Art. 33 EuInsVO hat daher mit äußerster Zurückhaltung zu erfolgen.126)

§ 5 Die Sperrwirkung des zuerst eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens 76 Unmittelbar mit dem Grundsatz der (modifizierten) Universalität des Hauptinsolvenzverfahrens verbunden ist ein weiteres Kernmotiv des europäischen Insolvenzrechts: Das sogenannte Prioritätsprinzip. Es besagt, dass die zeitlich frühere Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens in einem Mitgliedstaat die Eröffnung weiterer Hauptin___________ 122) Zu den Voraussetzungen der Eröffnung eines unabhängigen Partikularverfahrens siehe unten Rn. 463. 123) EuGH, Urt. v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04, ZIP 2006, 907 Rn. 62, 64 – Eurofood. Siehe auch Erwägungsgrund 65 Satz 4 EuInsVO. 124) EuGH, Urt. v. 21.1.2010 – Rs. C-444/07, NZI 2010, 156 Rn. 29 ff. – MG Probud Gdynia; OLG Celle, Beschl. v. 27.11.2012 – 2 U 147/12, ZIP 2013, 945; OLG Wien, Beschl. v. 9.11.2004 – 28 R 225/04w, NZI 2005, 56; K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 19 EuInsVO Rn. 10, Art. 33 EuInsVO Rn. 11; Herchen, ZInsO 2004, 61, 65; Jacoby, GPR 2007, 200, 204; Mock, KTS 2013, 423, 448; Paulus, EuInsVO, Art. 33 Rn. 2 ff.; Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Rn. 202. 125) Paulus, EuInsVO, Art. 33 Rn. 3. 126) So geschehen durch BGH, Urt. v. 10.9.2015 – IX ZR 304/13, ZIP 2015, 2331 Rn. 11 ff.

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§ 5 Die Sperrwirkung des zuerst eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens

solvenzverfahren in anderen Mitgliedstaaten ausschließt oder „sperrt“. Insofern spricht man von der Sperrwirkung des zuerst eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens.

A. Sperrwirkung als Folge des Prioritätsprinzips Das Prioritätsprinzip ist nicht ausdrücklich in der EuInsVO geregelt. Über die Her- 77 leitung der Sperrwirkung besteht deshalb Uneinigkeit. Teilweise wird die Geltung des Prioritätsprinzips bereits unmittelbar aus der auto- 78 matischen Wirkungserstreckung der ersten Verfahrenseröffnung abgeleitet, die sich aus dem Universalitätsprinzip ergibt (Art. 19 Abs. 1 EuInsVO). Da die in Art. 19 Abs. 1 EuInsVO angeordnete universale Wirkung des Vermögensbeschlags der Eröffnungsentscheidung sämtlichen späteren Eröffnungen das Schuldnervermögen entziehe, stehe die spätere Eröffnung zwangsweise ohne Masse da und sei daher wirkungslos.127) Hierbei handelt es sich jedoch um einen Zirkelschluss: Die Argumentation setzt bereits die Geltung des Prioritätsprinzips voraus. Umgekehrt wäre es schließlich ebenso denkbar, dass die spätere Eröffnungsentscheidung der ersten die Masse entzieht.128) Dass die EuInsVO das Prioritätsprinzip voraussetzt, ergibt sich jedenfalls aus einem 79 Umkehrschluss aus Art. 19 Abs. 2 EuInsVO i. V. m. Erwägungsgrund 65.129) Nach Art. 19 Abs. 2 Satz 1 EuInsVO schließt die Anerkennung eines Verfahrens als Hauptinsolvenzverfahren die Eröffnung eines weiteren Verfahrens als Territorialverfahren (Art. 3 Abs. 2 EuInsVO) durch ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats nicht aus. Die Zulässigkeit eines zusätzlichen, auf das Gebiet des Eröffnungsstaats beschränkten Verfahrens lässt im Umkehrschluss auf die Unzulässigkeit eines weiteren Hauptinsolvenzverfahrens schließen. Auch Erwägungsgrund 65 setzt das Prioritätsprinzip voraus: Die Verordnung sehe die unmittelbare Anerkennung von Entscheidungen zur Eröffnung der in ihren Geltungsbereich fallenden Insolvenzverfahren vor. Dies habe zur Folge, dass die Wirkungen der Eröffnungsentscheidung auf alle übrigen Mitgliedstaaten ausgedehnt werden. „Nach diesem Grundsatz sollte auch der Konflikt gelöst werden, wenn sich die Gerichte zweier Mitgliedstaaten für zuständig halten, ein Hauptinsolvenzverfahren zu eröffnen. Die Entscheidung des zuerst eröffnenden ___________ 127) Herchen, ZIP 2005, 1401, 1403; Lüke, ZZP 111 (1998), 275, 290. 128) Zutreffender Einwand daher von Turck, Priorität im Europäischen Insolvenzrecht, S. 43. 129) Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky/Duursma-Kepplinger/Chalupsky, EuInsVO, Art. 16 Rn. 15, 31; Freitag/Leible, RIW 2006, 641, 644; Herchen, ZInsO 2004, 61, 63; P. Huber, ZZP 114 (2001), 133, 144 f.; U. Huber, FS Gerhardt, S. 397, 411; Jacoby, GPR 2007, 200, 202; KPB/Kemper, InsO, Art. 16 EuInsVO 2000 Rn. 2, 12; Uhlenbruck/Knof, Art. 19 EuInsVO Rn. 12; Mankowski/Müller/J. Schmidt/Müller, EuInsVO 2015, Art. 19 Rn. 23; Pannen/Pannen/ Riedemann, EuInsVO, Art. 16 Rn. 15; KPB/Skauradszun, InsO, Art. 19 EuInsVO 2015 Rn. 3; Vallender/Sutschet, EuInsVO, Art. 19 Rn. 2; Turck, Priorität im Europäischen Insolvenzrecht, S. 43.

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Zweiter Teil: Die Folgen der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens

Gerichts sollte in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden“.130) Die Verwendung des Begriffs „sollte“ erklärt sich aus der Übersetzung des englischen „shall“ und ist nicht nur als Empfehlung zu verstehen.131) Dies wird bereits dadurch deutlich, dass die Erwägungsgründe den Begriff auch im Zusammenhang von zwingenden Vorschriften des Verordnungstextes verwenden. Als Beispiel sei nur Erwägungsgrund 34 genannt, wonach allen Gläubigern des Schuldners ein wirksamer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung, ein Insolvenzverfahren zu eröffnen, zustehen „sollte“. Art. 5 Abs. 1 EuInsVO schreibt dieses Anfechtungsrecht zwingend vor.132)

80 Das Prioritätsprinzip lässt sich zudem aus Art. 3 Abs. 3 EuInsVO herleiten.133) Wird ein Hauptinsolvenzverfahren nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO eröffnet, so ist jedes zu einem späteren Zeitpunkt eröffnete Insolvenzverfahren ein Sekundärinsolvenzverfahren. Die frühere Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens sperrt also die Eröffnung eines weiteren Hauptinsolvenzverfahrens.

81 Richtigerweise ergibt sich das Prioritätsprinzip somit aus Art. 19 Abs. 2 und Art. 3 Abs. 3 EuInsVO i. V. m. Erwägungsgrund 65 EuInsVO. Ungeachtet seiner genauen Herleitung ist die Sperrwirkung des zeitlich früher eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens inzwischen allgemein anerkannt.134) Der EuGH entnimmt sie ohne nähere Begründung dem Universalitätsprinzip aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1 EuInsVO.135)

B. Funktion und Auslöser der Sperrwirkung 82 Anders als etwa im europäischen Zivilprozessrecht (vgl. Art. 29, 30 Brüssel Ia-VO) gibt es im europäischen Insolvenzrecht keine Rechtshängigkeitssperre. Im Insolvenzverfahren stellen Prioritätsprinzip und Sperrwirkung daher ein funktionales Äquivalent zur Zulässigkeitsvoraussetzung der entgegenstehenden Rechtshängigkeit im zivilprozessualen Erkenntnisverfahren dar.136) Die Sperrwirkung des zuerst eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens dient zudem dem Ausschluss sich widersprechender Entscheidungen. Diese Gefahr ist bei grenzüberschreitenden Bezügen aufgrund unterschiedlicher nationaler Insolvenzrechtsordnungen und Rechtstraditionen besonders hoch. Die universale Wirkungserstreckung des Hauptinsolvenzverfahrens wird durch ___________ 130) 131) 132) 133)

Erwägungsgrund 65 Sätze 5 und 6 EuInsVO. Herchen, ZIP 2005, 1401, 1403; Turck, Priorität im Europäischen Insolvenzrecht, S. 44. Gleiches gilt für die Erwägungsgründe 63, 66, 70, 75 EuInsVO. Brinkmann/Brinkmann, EIR, Art. 3 Rn. 46 ff.; K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 3 EuInsVO Rn. 33 ff. 134) Anders noch Mankowski, EWiR 2003, 767, 768; ebenso Bariatti, RabelsZ 73 (2009), 629, 641 f. 135) EuGH, Urt. v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04, ZIP 2006, 907 Rn. 49, 52 – Eurofood; EuGH, Urt. v. 22.11.2012 – Rs. C-116/11, ZIP 2012, 2403 Rn. 40 – Handlowy. 136) Mankowski/Müller/J. Schmidt/Müller, EuInsVO 2015, Art. 19 Rn. 23; Oberhammer, KTS 2009, 27, 54. Ähnlich Fach/Tirado, GPR 2007, 40, 43: „Hilfsmittel gegenüber der fehlenden Regelung der Rechtshängigkeit“.

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§ 5 Die Sperrwirkung des zuerst eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens

die Sperrwirkung garantiert; aufgrund der – zumindest theoretischen – Singularität des COMI137) kann es nur ein Hauptinsolvenzverfahren geben.138) Im Gegensatz zur Rechtshängigkeit im europäischen Zivilverfahren (vgl. Art. 32 83 Brüssel Ia-VO) setzt die Sperrwirkung jedoch nicht bereits mit der Antragstellung, sondern erst mit der Eröffnungsentscheidung i. S. v. Art. 2 Nr. 7 EuInsVO ein. In den Anfangsjahren der EuInsVO war dies trotz des scheinbar eindeutigen Wortlauts des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 („Wird ein Insolvenzverfahren nach Absatz 1 eröffnet, so ist jedes zu einem späteren Zeitpunkt nach Absatz 2 eröffnete Insolvenzverfahren ein Sekundärinsolvenzverfahren“139)) und des Art. 16 Abs. 1 EuInsVO 2000 („Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens“140)) keineswegs unumstritten.141) Für den Eintritt der Rechtshängigkeitssperre bereits mit Antragstellung wurde insbesondere die Gefahr eines Wettlaufs unter den Gerichten um die früheste Verfahrenseröffnung, um jeweils für sich die Priorität der ersten Eröffnung beanspruchen zu können, geltend gemacht.142) Spätestens mit der Eurofood-Entscheidung des EuGH hat sich jedoch die Auffassung durchgesetzt, dass die Sperrwirkung nicht dem gestellten Antrag, sondern erst der Eröffnungsentscheidung zukommt.143) Dem steht nicht entgegen, dass entsprechend Art. 2 Nr. 7 Ziff. ii EuInsVO i. V. m. Anhang B bereits die Bestellung eines vorläufigen Verwalters als Eröffnungsentscheidung im Sinne der Verordnung gilt. Hiermit wurde die Eurofood-Rechtsprechung aufgriffen, weshalb die Sperrwirkung in der Praxis häufig bereits am Tag der Antragstellung eintritt. Ausgelöst ___________ Siehe hierzu Mankowski, KTS 2009, 453, 456 f.; oben Rn. 24. EuGH, Urt. v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04, ZIP 2006, 907 Rn. 52 – Eurofood. Hervorhebungen hinzugefügt. Hervorhebung hinzugefügt. Für eine Litispendenzsperre bereits durch Stellung des Eröffnungsantrags: High Court Dublin ZIP 2004, 1223, 1227 (Justice Kelly); Stadtgericht Prag, Beschl. v. 26.4.2005, ZIP 2005, 1431; Fach/Tirado, GPR 2007, 40, 43; Gebauer/Wiedmann/Haubold, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, Art. 3 EuInsVO Rn. 76; Knof, ZInsO 2005, 1017, 1024; Knof/Mock, ZIP 2006, 189, 191; Kolmann, Kooperationsmodelle im internationalen Insolvenzrecht, S. 287 f.; Laukemann, RIW 2005, 104, 110; FK-InsO/Wenner/Schuster, Art. 19 EuInsVO Rn. 11. 142) Gebauer/Wiedmann/Haubold, Zivilrecht unter europäischem Einfluss, Art. 3 EuInsVO Rn. 76; Knof/Mock, ZIP 2006, 189, 191; Laukemann, RIW 2005, 104, 110. 143) EuGH, Urt. v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04, ZIP 2006, 907 Rn. 49 – Eurofood: „Die Entscheidung des zuerst eröffnenden Gerichts“ (Hervorhebung hinzugefügt). Ebenso LG Hamburg, Beschl. v. 18.8.2005 – 326 T 34/05, ZIP 2005, 1697; AG Düsseldorf, Beschl. v. 11.10.2019 – 501 IN 150/19, juris Rn. 67, 78; AG Köln, Beschl. v. 6.11.2008 – 71 IN 487/08, NZI 2009, 133; AG Mönchengladbach, Beschl. v. 27.4.2004 – 19 IN 54/04, ZIP 2004, 1064 m. Anm. Bähr/ Riedemann = NZI 2004, 383 m. Anm. Lautenbach; K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 3 EuInsVO Rn. 36; Duursma-Kepplinger, DZWIR 2006, 177, 183; Duursma-Kepplinger, ZIP 2007, 896, 901; Herchen, ZIP 2005, 1401, 1403; P. Huber, ZZP 114 (2001), 133, 144; P. Huber, EuZW 2002, 490, 492; Kemper, ZIP 2001, 1609, 1613; MüKoBGB/Kindler, Art. 2 EuInsVO Rn. 16; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533, 545 f.; Mankowski, KTS 2009, 453, 458 f.; Mankowski/Müller/J. Schmidt/Müller, EuInsVO 2015, Art. 19 Rn. 23; Vallender/Vallender/ Zipperer, EuInsVO, Art. 102c § 2 Rn. 6; Vogler, Die internationale Zuständigkeit für Insolvenzverfahren, S. 205; ebenso Rémery, Rev. sociétés 2006, 371, 374. 137) 138) 139) 140) 141)

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Zweiter Teil: Die Folgen der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens

wird sie dennoch nicht durch den Antrag, sondern durch die Entscheidung, weshalb Priorität im Sinne der EuInsVO keine „Antragspriorität“, sondern „Entscheidungspriorität“ bedeutet.144)

84 Neben der Singularität des COMI spricht hierfür der der EuInsVO zugrunde liegende Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens: Die Gerichte des COMI-Staats dürfen darauf vertrauen, dass die angerufenen Gerichte anderer Staaten ihre Unzuständigkeit erkennen und das Verfahren nicht eröffnen.145) Außerdem ist nur die Eröffnungsentscheidung, nicht aber die Antragstellung nach Maßgabe der EuInsVO zwingend zu veröffentlichen (Art. 24 EuInsVO). Durch ihre Publizität ist die Eröffnungsentscheidung in der Lage, ein eindeutiges und unionsweit sichtbares Signal zu senden, um alle Gerichte über die eingetretene Sperrwirkung des Hauptinsolvenzverfahrens zu informieren.146)

C. Verstoß gegen die Sperrwirkung 85 Nehmen die Gerichte mehrerer Mitgliedstaaten jeweils für sich in Anspruch, zuständig für die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO zu sein, spricht man von einem positiven Kompetenzkonflikt.147) Der EuInsVO liegt die Annahme zugrunde, dass es zu jeder Zeit nur ein einziges Hauptinsolvenzverfahren über das Vermögen eines Schuldners geben kann.148) Eröffnet ein Gericht eines Mitgliedstaats ein Hauptinsolvenzverfahren mit vermeintlich universeller Wirkung, obwohl vorher bereits in einem anderen Mitgliedstaat ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet wurde, so verstößt die zweite Verfahrenseröffnung jedenfalls hinsicht___________ 144) Mankowski, KTS 2009, 453, 458; Mankowski/Müller/J. Schmidt/Müller, EuInsVO 2015, Art. 19 Rn. 23. 145) Mankowski, KTS 2009, 453, 457. Siehe dazu auch unten, Rn. 503 ff. Praktische Bedenken äußern Knof/Mock, ZIP 2006, 189, 191. 146) Ähnlich Duursma-Kepplinger, DZWIR 2006, 177, 183; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533, 534; Mankowski, KTS 2009, 453, 458; Paulus, EuInsVO, Art. 19 Rn. 8. 147) Bekannte Fälle in der Geschichte des europäischen Insolvenzrechts sind etwa der deutschenglische Konflikt zwischen dem High Court of Justice Leeds (Beschl. v. 16.5.2003 – No. 861876/03, ZIP 2003, 1362) und dem AG Düsseldorf (u. a. Beschl. v. 6.6.2003 – 502 IN 126/03, ZIP 2003, 1363) in Sachen Daisytek; der deutsch-tschechische zwischen dem AG Hamburg (Beschl. v. 16.3.2005 – 326 T 34/05 (nicht veröffentlicht); siehe auch LG Hamburg, Beschl. v. 18.8.2005 – 326 T 34/05, ZIP 2005, 1697) und dem Stadtgericht Prag (Beschl. v. 26.4.2005 – 78 K 6/05-127, ZIP 2005, 1431) („Václav Fischer“); der italienisch-irische zwischen dem Tribunale di Parma (Urt. v. 19.2.2004 – 53/04, ZIP 2004, 1220) und dem High Court Dublin (Urt. v. 23.3.2004 – 33/04, ZIP 2004, 1223) in Sachen Eurofood sowie zuletzt der deutschösterreichische zwischen dem AG Charlottenburg (Beschl. v. 13.12.2017 – 36n IE 6433/17, ZIP 2018, 41) und dem Landesgericht Korneuburg (Beschl. v. 12.1.2018 – 36 S 5/18d – 3, ZIP 2018, 393) in Sachen NIKI (siehe hierzu noch ausführlich Rn. 136 ff. und Rn. 472 ff.). Für einen umfangreichen Überblick siehe auch A. Schmidt/Undritz, EuInsVO, Art. 3 Rn. 98 ff. 148) EuGH, Urt. v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04, ZIP 2006, 907 Rn. 52 – Eurofood. Siehe auch Art. 3 Abs. 3, Erwägungsgrund 23 EuInsVO.

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§ 5 Die Sperrwirkung des zuerst eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens

lich ihres universellen Geltungsanspruchs gegen das unionsrechtliche Prioritätsprinzip. Während sich die Singularität des Hauptinsolvenzverfahrens zwingend aus der Eu- 86 InsVO ergibt und von niemandem in Zweifel gezogen wird, sind die Folgen eines Verstoßes gegen das Prioritätsprinzip nicht eindeutig geklärt. Die Verordnung selbst enthält keine ausdrückliche Regelung, wie im Falle der Eröffnung mehrerer Hauptinsolvenzverfahren mit kollidierenden universellen Wirkungsansprüchen zu verfahren ist.149)

I.

Grundsätzliche Wirksamkeit auch einer fehlerhaften Verfahrenseröffnung

Auch eine fehlerhafte Eröffnungsentscheidung ist als Hoheitsakt regelmäßig wirk- 87 sam. Im deutschen Insolvenzrecht ist dieser Grundsatz aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit allgemein anerkannt.150) Denselben Ansatz verfolgt der EuGH im Unionsrecht: Selbst fehlerhafte staatliche Akte werden grundsätzlich als wirksam erachtet und können nur in dem dafür vorgesehenen Verfahren beseitigt werden; eine Nichtigkeit kommt nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht.151) Gleiches muss daher auch im europäischen Insolvenzrecht gelten. Die generelle Nichtigkeit rechtswidriger Eröffnungsentscheidungen hätte eine erhebliche Rechtsunsicherheit zur Folge, die mit dem Bestreben der EuInsVO, effiziente und wirksame grenzüberschreitende Insolvenzverfahren zu gewährleisten, nicht vereinbar wäre.152) Dies verdeutlicht ein Beispiel: Wäre eine fehlerhafte Eröffnungsentscheidung generell nichtig, wäre die Handlungsfähigkeit des Insolvenzverwalters nicht mehr gewährleistet. Jegliches Verwalterhandeln wäre mit großer Unsicherheit verbunden, auf wel___________ 149) Lüke, ZZP 111 (1998), 275, 289; MüKoInsO/Thole, Art. 102c § 3 EGInsO Rn. 1; Turck, Priorität im Europäischen Insolvenzrecht, S. 187; Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Rn. 79. 150) So bereits RG, Beschl. v. 8.7.1930 – VII 476/29, RGZ 129, 390, 392; RG, Beschl. v. 7.3.1932 – IV 416/31, RGZ 136, 97, 99; ebenfalls BGH, Urt. v. 14.1.1991 – II ZR 112/90, BGHZ 113, 216, 218 = ZIP 1991, 223 (Keine Nichtigkeit eines Eröffnungsbeschlusses über das Vermögen einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die im Handelsregister fälschlicherweise als KG eingetragen ist); BGH, Urt. v. 23.10.1997 – IX ZR 249/96, BGHZ 137, 49, 56 f. = ZIP 1997, 2126 (Nichtigkeit bei fehlender richterlicher Unterzeichnung des Eröffnungsbeschlusses); BGH, Urt. v. 22.1.1998 – IX ZR 99-97, BGHZ 138, 40, 44 = ZIP 1998, 477; BGH, Urt. v. 9.1.2003 – IX ZR 85/02, ZIP 2003, 356 f. (keine Nichtigkeit eines Eröffnungsbeschlusses mit unvollständigem Rubrum); BGH, Urt. v. 17.2.2004 – IX ZR 135/03, ZIP 2004, 766 f. (keine Nichtigkeit bei unzulässiger Vordatierung des Eröffnungszeitpunktes); MüKoInsO/Busch, § 34 Rn. 110; Fehrenbach, IPRax 2009, 51; HK-InsO/Laroche, § 27 Rn. 39; Uhlenbruck/Pape, InsO, § 6 Rn. 22; Jaeger/Schilken, InsO, § 27 Rn. 41, 47; vgl. ferner Pape, ZInsO 1998, 61, 63 ff. 151) Zur Nichtigkeit von Gemeinschaftsakten EuGH, Urt. v. 15.6.1994 – Rs. C-137/92, EuZW 1994, 436 Rn. 50 – BASG AG; siehe auch EuGH, Urt. v. 21.3.1990 – Rs. C-142/87, EuZW 1990, 224 Rn. 66 – Königreich Belgien; EuGH, Urt. v. 30.9.2003 – Rs. C-224/01, NJW 2003, 3539 Rn. 38 ff. – Gerhard Köbler. 152) Eckardt, ZZP 122 (2009), 345, 353; Turck, Priorität im Europäischen Insolvenzrecht, S. 191; Wimmer, FS Kirchhof, S. 521, 526.

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Zweiter Teil: Die Folgen der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens

che der Rechtsverkehr nur mit erheblichem Misstrauen reagieren könnte – ein untragbares Ergebnis. Der Rechtsverkehr muss sich vielmehr grundsätzlich auf die Wirksamkeit gerichtlicher Entscheidungen bis zu deren Aufhebung verlassen können.153) Rechtssicherheit und Vertrauensschutz genießen als allgemein anerkannte Rechtsgrundsätze Schutz durch das Unionsrecht im Generellen154) wie auch durch die EuInsVO im Speziellen.155) Auch wenn ein Gericht seine internationale Zuständigkeit für die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens (Art. 3 Abs. 1 EuInsVO) zu Unrecht angenommen hat und gegen die Sperrwirkung einer vorherigen ausländischen Verfahrenseröffnung verstößt, ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners allgemeinverbindlich eröffnet.156) Die Nichtigkeitsfolge einer prioritätsprinzipswidrigen Eröffnung kann der Verordnung und insbesondere Art. 19 und 20 EuInsVO nicht entnommen werden. Die Lösung liegt vielmehr darin, die Wirkungen der rechtswirksamen Verfahrenseröffnung so schnell wie möglich zu beseitigen.157)

88 Auch die MG Probud Gdynia-Entscheidung des EuGH steht der grundsätzlichen Wirksamkeit rechtswidriger Verfahrenseröffnungen nicht entgegen. Hier hatte der Gerichtshof über die Wirksamkeit deutscher Vollstreckungsmaßnahmen, namentlich einer Arrestanordnung durch das LG Saarbrücken, zu entscheiden, die im Nachgang der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in Polen ergangen waren.158) Der EuGH stellte seinerzeit fest: Da das polnische Recht nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Schuldner verbietet und die polnische Verfahrenseröffnung aufgrund von Art. 16 und 17 EuInsVO 2000 mit all den Wirkungen, die das polnische Recht ihr beimisst, automatisch in allen Mitgliedstaaten anzuerkennen ist, seien die zuständigen deutschen Behörden nicht mehr in der Lage gewesen, rechtswirksam Vollstreckungsmaßnahmen nach deutschem ___________ 153) Turck, Priorität im Europäischen Insolvenzrecht, S. 191, der auf die mit einer Rechtsunsicherheit verbundenen Kosten hinweist. 154) EuGH, Urt. v. 21.9.1983 – Rs. 205–215/82, NJW 1984, 2024 Rn. 32 – Deutsche Milchkontor; EuGH, Urt. v. 15.12.1995 – Rs. C-415/93, ZIP 1996, 42 Rn. 142 – Bosman. 155) Vgl. die Vorschriften zum Sekundärverfahren und die dazugehörigen Erwägungsgründe sowie die Sonderanknüpfungen der Art. 8 ff. EuInsVO. 156) Turck, Priorität im Europäischen Insolvenzrecht, S. 191. Ebenso MüKoInsO/Busch, § 34 Rn. 117, 123, der die Wirkungen der Eröffnung auf das mutmaßliche Inlandsvermögen beschränken will (Rn. 117). Ähnlich Fehrenbach, IPRax 2009, 51, 54 f., der von einem Sekundärverfahren „kraft Gesetzes“ spricht, sowie Eckardt, ZZP 122 (2009), 345, 353 ff. Zur Wirksamkeit einer Entscheidung trotz Verstoßes gegen die (internationale) Zuständigkeit siehe bereits RG, Beschl. v. 16.5.1938 – I 232/37, RGZ 157, 389, 392; BGH, Beschl. v. 9.12.1954 – II ZB 15/54, BGHZ 15, 391 = NJW 1955, 222, 223; BGH, Beschl. v. 14.6.1965 – GSZ 1/65, BGHZ 44, 46 = NJW 1965, 1665 (GrS); BGH, Urt. v. 22.1.1998 – IX ZR 99-97, BGHZ 138, 40, 44 = ZIP 1998, 477; Jaeger/Weber, KO, § 109 Rn. 10; Jaeger/Schilken, InsO, § 34 Rn. 39; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, § 27 Rn. 21. 157) Ebenso schon Turck, Priorität im Europäischen Insolvenzrecht, S. 190 f. 158) EuGH, Urt. v. 21.1.2010 – Rs. C-444/07, NZI 2010, 156 – MG Probud Gdynia.

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§ 5 Die Sperrwirkung des zuerst eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens

Recht in Bezug auf das in Deutschland befindliche Vermögen der Schuldnerin anzuordnen.159) Die Folgen eines solchen Verstoßes werden aus der Entscheidung des EuGH indes nicht deutlich. Aus den Aussagen, das deutsche Gericht habe sich der polnischen Eröffnungsentscheidung „nicht widersetzen“ dürfen und habe „nicht rechtswirksam“ handeln können160), erschließt sich nicht, ob der deutsche Beschluss nichtig oder nur aufhebbar war.161) Über die Wirkungen der rechtswidrigen Vollstreckungsmaßnahme hat der EuGH somit keine Aussage getroffen.162)

II. Nichtigkeit der fehlerhaften Verfahrenseröffnung nur in seltenen Ausnahmefällen 1.

Strenger Maßstab für die Nichtigkeit von Rechtsakten

Sowohl das europäische als auch das deutsche Recht stellen an die Nichtigkeit von 89 Rechtsakten hohe Anforderungen. Aufgrund des bereits erwähnten Bedürfnisses nach Rechtssicherheit und -klarheit kann für rechtswidrige Eröffnungsentscheidungen im Insolvenzrecht nichts anderes gelten.163) Wegen der mit der Verfahrenseröffnung verbundenen Vielzahl an Rechtswirkungen kommt eine Nichtigkeit der Eröffnungsentscheidung allenfalls im Falle eines Mangels in Betracht, der dem Akt schon äußerlich den Charakter einer richterlichen Entscheidung nimmt.164) Der Mangel muss bei verständiger Würdigung aller Umstände so offensichtlich und schwerwiegend sein und die Eröffnungsentscheidung in so evidenter Weise den Grundsätzen rechtsstaatlicher Ordnung widersprechen, dass es schier unerträglich wäre, ihr verbindliche Rechtswirkungen zuzubilligen.165) In diesen seltenen Fällen – etwa wenn eine richterliche Unterzeichnung des Eröffnungsbeschlusses fehlt166) – ist es gerechtfertigt, das Bedürfnis nach Rechtsklarheit und Vertrauensschutz einzuschränken.167) Die ___________ 159) EuGH, Urt. v. 21.1.2010 – Rs. C-444/07, NZI 2010, 156 Rn. 44, 45 – MG Probud Gdynia. 160) EuGH, Urt. v. 21.1.2010 – Rs. C-444/07, NZI 2010, 156 Rn. 44, 46 – MG Probud Gdynia. In der französischen Fassung des Berichterstatters heißt es „valablement“. 161) Ebenso Piekenbrock, KTS 2010, 208, 221; Turck, Priorität im Europäischen Insolvenzrecht, S. 195. A. A. Mankowski, NZI 2010, 178, 179; J. Schmidt, EWiR 2010, 77, 78, die aus der Entscheidung etwas vorschnell die Nichtigkeit der deutschen Arrestanordnung herleiten. 162) Dies kann auch nicht weiter überraschen, da der Gerichtshof lediglich die Vorlagefrage des polnischen Gerichts zu beantworten hatte. Dieses musste die deutsche Arrestanordnung zweifelsohne nicht anerkennen. Ob sie darüber hinaus dennoch Wirkungen entfaltete, hatte der EuGH nicht zu entscheiden. 163) MüKoInsO/Busch, § 34 Rn. 114; HK-InsO/Laroche, § 27 Rn. 39; Pape, EWiR 2003, 281 f. 164) BGH, Urt. v. 22.1.1998 – IX ZR 99-97, BGHZ 138, 40 = ZIP 1998, 477, 478; vgl. auch BGH, Urt. v. 23.10.1997 – IX ZR 249/96, BGHZ 137, 49 = NJW 1998, 609, 611; BGH, Urt. v. 17.2.2004 – IX ZR 135/03, ZIP 2004, 766, 767. 165) BGH, Urt. v. 14.1.1991 – II ZR 112/90, BGHZ 113, 216, 218 = NJW 1991, 922; BGH, Urt. v. 7.5.1991 – IX ZR 30/90, BGHZ 114, 315, 326 = NJW 1991, 2147; BGH, Urt. v. 9.1.2003 – IX ZR 85/02, ZIP 2003, 356; siehe auch Turck, Priorität im Europäischen Insolvenzrecht, S. 191. 166) BGH, Urt. v. 23.10.1997 – IX ZR 249/96, ZIP 1997, 2126. 167) Eckardt, ZZP 122 (2009), 345, 352.

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Zweiter Teil: Die Folgen der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens

strengen Anforderungen an die Nichtigkeit staatlicher Entscheidungen sind überdies keine Besonderheit des europäischen oder des deutschen Rechts: In nahezu sämtlichen europäischen Rechtsordnungen gilt der Grundsatz, dass fehlerhafte Entscheidungen nicht einfach ignoriert werden, sondern durch ein Verfahren zu beseitigen sind.168)

2.

Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 29. Mai 2008

90 Umso mehr ließ ein Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 29. Mai 2008 aufhorchen.169) Der Entscheidung lag ein englisch-deutscher Kompetenzkonflikt zugrunde – der Fall Daisytek. Über die schuldnerische Gesellschaft hatte zunächst der High Court of Justice Leeds am 16.5.2003 ein Insolvenzverfahren eröffnet.170) Wenige Tage später, am 19.5.2003171), bestellte auch das AG Düsseldorf einen vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt und eröffnete schließlich im Juli 2003 in Kenntnis der englischen Entscheidung ein Hauptinsolvenzverfahren. Erst im März 2004 stellte das AG Düsseldorf das deutsche Hauptinsolvenzverfahren ein.172) In der Zwischenzeit hatte der vom deutschen Gericht bestellte Verwalter mit einem Gläubiger einen Vergleich ausgehandelt, aufgrund dessen der Gläubiger einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erwarb. Der deutsche Verwalter hielt den Vergleich im Nachhinein für unwirksam, da er aufgrund des bereits bestehenden englischen Verfahrens nicht wirksam eingesetzt worden sei.

91 Der BGH war der Auffassung, dass der Begründung einer Masseverbindlichkeit durch den Verwalter die vorherige Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens in England entgegenstehe.173) Aufgrund der universalen Geltung des englischen Hauptinsolvenzverfahrens und der damit verbundenen Beschlagswirkungen der englischen Verfahrenseröffnung sei das Vermögen der Insolvenzschuldnerin einer weiteren Verfahrenseröffnung entzogen worden. Die deutsche Eröffnung sei insoweit zumindest „schwebend unwirksam“ und könne allenfalls bei Aufhebung des zuerst ergangenen englischen Eröffnungsbeschlusses Wirkungen zeigen.174) Der vom deutschen Gericht ein___________ Turck, Priorität im Europäischen Insolvenzrecht, S. 192. BGH, Beschl. v. 29.5.2008 – IX ZB 102/07, ZIP 2008, 1338. Re Daisytek-ISA Ltd & Ors, High Court of Justice Leeds, [2003] B.C.C. 562 = ZIP 2003, 1362. Und nicht am 19.3.2003, wie es in dem Beschluss zunächst hieß, siehe Berichtigungsbeschluss des Senats vom 14.7.2008, BeckRS 2011, 15882. 172) AG Düsseldorf, Beschl. v. 12.3.2004 – 502 IN 126/03, ZIP 2004, 623 mit Anm. Herweg/ Tschauner, EWiR 2004, 495. 173) BGH, Beschl. v. 29.5.2008 – IX ZB 102/07, ZIP 2008, 1338 Rn. 19. Der BGH verwendet etwas unscharf den Begriff Masseforderung, wohl in Bezugnahme auf den Wortlaut des Vergleichs, der von einer „Masseforderung gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO“ spricht. Das Gesetz bezeichnet in § 55 InsO Forderungen von Gläubigern, die etwa durch Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen herrühren, soweit deren Erfüllung zur Insolvenzmasse verlangt wird oder für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss, jedoch als Masseverbindlichkeiten. Dieser Begriff soll auch hier verwendet werden. Als Masseforderungen werden indes solche Forderungen bezeichnet, die die Masse selbst gegen ihre Schuldner hat. Siehe dazu ebenfalls unten Rn. 549 ff. 174) BGH, Beschl. v. 29.5.2008 – IX ZB 102/07, ZIP 2008, 1338 Rn. 30. 168) 169) 170) 171)

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§ 5 Die Sperrwirkung des zuerst eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens

gesetzte Verwalter sei aufgrund der Unwirksamkeit der Verfahrenseröffnung lediglich ein „Scheinverwalter“, dem kein Recht zukomme, über die Insolvenzmasse zu verfügen.175) Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der Vorschrift des Art. 102 § 4 Abs. 2 Satz 1 92 EGInsO. Demnach bleiben Wirkungen des prioritätsprinzipswidrig eröffneten Insolvenzverfahrens, die vor dessen Einstellung bereits eingetreten und nicht auf die Dauer dieses Verfahrens beschränkt sind, auch dann bestehen, wenn sie Wirkungen eines in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union eröffneten Insolvenzverfahrens widersprechen, die sich nach der EuInsVO auf das Inland erstrecken. Dies gilt gemäß Art. 102 § 4 Abs. 2 Satz 2 EGInsO auch für Rechtshandlungen, die während des eingestellten Verfahrens vom Insolvenzverwalter oder ihm gegenüber in Ausübung seines Amtes vorgenommen worden sind. Nach Auffassung des Senats könne Art. 102 § 4 EGInsO jedenfalls in Fällen, in denen das zweite Insolvenzverfahren in Deutschland nicht irrtümlich, sondern in Kenntnis des ersten Hauptinsolvenzverfahrens eröffnet worden ist, keine Anwendung finden. Diese Einschränkung folge aus dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts und der darin normierten universellen Geltung des ersten im Ausland eröffneten Verfahrens.176)

3.

Bewertung der BGH-Entscheidung: Das Bedürfnis nach Vertrauensschutz

Der dem Ergebnis des BGH zugrunde liegende Wunsch nach der Unwirksamkeit ei- 93 ner prioritätspinzipswidrigen Verfahrenseröffnung ist durchaus anzuerkennen. Dies gilt vor allem in Anbetracht des rechtspolitischen Bestrebens, die effektive Wirksamkeit der EuInsVO und die Geltung des Prioritätsprinzips sicherzustellen. Auch fast zwanzig Jahre nach Inkrafttreten der Ursprungsfassung der Verordnung überwiegen bei der Durchführung internationaler Insolvenzen häufig noch nationale Interessen. Im Rahmen internationaler Insolvenzverfahren auftretende Spannungen, wozu insbesondere positive Kompetenzkonflikte zählen, werden auch heute noch gerne durch eine stark national eingefärbte Brille betrachtet. Dabei herrscht insbesondere im kommentierenden Schrifttum177) zumeist der erkennbare Wunsch vor, „die Besonder___________ 175) BGH, Beschl. v. 29.5.2008 – IX ZB 102/07, ZIP 2008, 1338 Ls. 2, Rn. 37. 176) BGH, Beschl. v. 29.5.2008 – IX ZB 102/07, ZIP 2008, 1338 Rn. 26. 177) Exemplarisch für die Geltung des § 6 Abs. 3 InsO auch im unionsrechtlichen Kontext im deutsch-österreichischen Kompetenzkonflikt im Verfahren der NIKI Luftfahrt GmbH Baumert, EWiR 2018, 153, 154; Denkhaus/Harbeck, ZInsO 2018, 949, 952; Deyda, ZInsO 2018, 221, 230 f.; Horstkotte, ZInsO 2018, 310, 311; KPB/Madaus, InsO, Art. 5 EuInsVO 2015 Rn. 34 f.; J. Schmidt, EWiR 2018, 85, 86; Schoppmeyer, FS Pape, S. 373, 382 ff.; Stockhausen/Seyer, DK 2018, 133, 135; Thole, ZIP 2018, 401, 406. A. A. soweit ersichtlich nur K. Schmidt/ Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 16 f.; Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 1; Zipperer, ZIP 2018, 956. Siehe dazu ausführlich unten Rn. 476 ff.

37

Zweiter Teil: Die Folgen der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens

heiten des eigenen Rechts in einem anderen Mitgliedstaat durchsetzen zu wollen“.178) In diesem Verhalten kommt letztlich ein Misstrauen gegenüber den (Insolvenz-) Rechtssystemen der übrigen Mitgliedstaaten zum Ausdruck.179)

94 Wesentlicher Grundpfeiler jeglicher europäischen Rechtsvereinheitlichung und somit auch der EuInsVO ist jedoch der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens (vgl. Art. 81 Abs. 1 Satz 1 AEUV).180) Im europäischen Insolvenzrecht sichert dieses Grundprinzip die unionsweite gegenseitige Anerkennung von (insolvenz-)gerichtlichen Entscheidungen ab und garantiert die universelle Wirkungserstreckung des jeweiligen nationalen Insolvenzrechts.181) Das offenbar noch immer verbreitete Misstrauen gegenüber den Gerichten anderer Mitgliedstaaten sowie die daraus resultierende Weigerung, eine zuerst ergangene ausländische Eröffnungsentscheidung anzuerkennen, untergraben den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens auf nicht hinnehmbare Weise. Diesem Missstand möchte der BGH erkennbar abhelfen, indem er den (deutschen) Gerichten die Grenzen der Wirksamkeit ihrer prioritätsprinzipswidrigen Eröffnungsentscheidungen aufzuzeigen versucht. Der strenge pädagogische Unterton, den der Senat anschlägt, ist dabei nicht zu überhören.182)

95 Die Entscheidung schießt jedoch über dieses Ziel hinaus. Sowohl ihr Ergebnis im konkreten Fall als auch die vom Senat vorgenommene generelle Annahme, dass die Verfahrenseröffnung zumindest dann unwirksam sei, wenn das Gericht von der vorherigen ausländischen Eröffnung wusste, können nicht überzeugen. Die Unwirksamkeit fehlerhafter Eröffnungsentscheidungen hätte eine erhebliche und nicht hinnehmbare Rechtsunsicherheit zur Folge.183) Das gilt auch, wenn sie zumindest einen bewussten Verstoß gegen das Prioritätsprinzip voraussetzt. Der Rechtsverkehr, dem ja verborgen bleibt, ob das eröffnende Gericht Kenntnis von der vorherigen ausländischen Eröffnung hatte oder nicht, könnte auf die Wirksamkeit staatlichen Handelns, etwa auf die Bestellung eines Insolvenzverwalters, nicht mehr vertrauen. Das nicht von der Hand zu weisende Bedürfnis nach Rechtssicherheit und Vertrauensschutz erwähnt die Entscheidung hingegen mit keinem Wort. Ihr ist ungeschrieben zu entnehmen, dass diese Faktoren zumindest dann keine Geltung mehr beanspruchen können sollen, wenn das eröffnende Gericht im Bewusstsein der vorherigen ausländischen Eröffnungsentscheidung gehandelt hat.184) ___________ 178) So die Kritik von Zipperer, ZIP 2018, 956, 961 an der überwiegenden Reaktion zum Verlauf des Verfahrens über das Vermögen der NIKI Luftfahrt GmbH. 179) Hiervor warnt allgemein Paulus, EuInsVO, Einleitung Rn. 26. 180) Siehe M. Weller, 11 JPIL (2015), 64 ff. 181) Erwägungsgrund 65 EuInsVO. 182) Eckardt, ZZP 122 (2009), 345, 351; Laukemann, JZ 2009, 636, 639. 183) Eckardt, ZZP 122 (2009), 345, 354; Turck, Priorität im Europäischen Insolvenzrecht, S. 195. 184) Dem BGH zustimmend KPB/Madaus, InsO, Art. 5 EuInsVO 2015 Rn. 24; Mankowski, NZI 2008, 575 f.

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§ 5 Die Sperrwirkung des zuerst eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens

Ob eine prioritätsprinzipswidrige Verfahrenseröffnung auch dann keine Wirkungen 96 entfaltet, wenn sie irrtümlich ergeht, lässt der BGH zwar offen. Angesichts der zugrunde gelegten Begründung kann daran jedoch kein Zweifel bestehen. Die universale Wirkungserstreckung des zuerst eröffneten Verfahrens nach Art. 19, 20 EuInsVO (Art. 16, 17 EuInsVO 2000) differenziert schließlich nicht danach, ob bewusst oder unbewusst gegen das Prioritätsprinzip verstoßen wird.185) Denkt man die Entscheidung des BGH konsequent weiter, muss daraus also die generelle Nichtigkeit jedweder prioritätsprinzipswidrigen Verfahrenseröffnung folgen. Umso kritischer ist das Verhalten des deutschen Gesetzgebers zu sehen. Zwar hat 97 er im Rahmen des Durchführungsgesetzes zur Neufassung der EuInsVO186) den vom BGH zumindest teilweise für unanwendbar erklärten Art. 102 § 4 Abs. 2 EGInsO unverändert in den neuen Art. 102c § 3 Abs. 2 EGInsO übernommen. Dennoch gibt die Begründung zum Regierungsentwurf beiläufig zu erkennen, dass die Vorschrift (lediglich) die Folgen einer „irrtümlichen Eröffnung eines zweiten Hauptinsolvenzverfahrens in der Bundesrepublik Deutschland“ regele.187) Eine entsprechende Regelungskompetenz steht dem nationalen Recht jedoch überhaupt nicht zu. Stattdessen ergeben sich die Wirkungen einer prioritätsprinzipswidrigen Eröffnungsentscheidung bereits unmittelbar aus der EuInsVO, insbesondere aus Art. 19 und 20.188) In jedem Fall entbehrt die in der Begründung des Regierungsentwurfes vorgenommene Differenzierung zwischen einer „irrtümlichen“ und einer „bewussten“ zweiten Verfahrenseröffnung, die sich im Normtext des Art. 102c § 3 Abs. 2 EGInsO nicht wiederfindet, jeglicher unionsrechtlichen Grundlage.

4.

Grenzen des Vertrauensschutzes: Die Publizität der Eröffnungsentscheidung

Dennoch wirft die Entscheidung des BGH die Frage auf, ab wann das Vertrauen des 98 Rechtsverkehrs in die Bestandskraft auch einer fehlerhaften, weil prioritätsprinzipswidrigen, Eröffnungsentscheidung nicht mehr schützenswert ist. ___________ 185) Ebenso Eckardt, ZZP 122 (2009), 345, 351 f.; Fehrenbach, IPRax 2009, 51, 54; Gruber, DZWIR 2008, 467, 469; J. Schmidt, EWiR 2008, 491, 492; MüKoInsO/Thole, Art. 102c § 3 EGInsO Rn. 12; Turck, Priorität im Europäischen Insolvenzrecht, S. 194. Inkonsequent daher KPB/Madaus, InsO, Art. 5 EuInsVO 2015 Rn. 24. Eine prioritätsprinzipswidrige Eröffnungsentscheidung ist immer unionsrechtswidrig, unabhängig davon, ob das Anerkennungsgebot des Art. 19 Abs. 1 EuInsVO bewusst oder unbewusst missachtet wurde. 186) Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren v. 5.6.2017, in Kraft getreten am 26.6.2017, BGBl. I 2017, S. 1476. 187) BT-Drucks. 18/10823, S. 28. Dies scheinen Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 102c § 3 EGInsO Rn. 11 zu übersehen. 188) Zur fehlenden Regelungskompetenz des nationalen Rechts in Bezug auf den Zeitpunkt von Eintritt und Wegfall der Sperrwirkung, die mit der Verfahrenseröffnung eintritt, siehe unten Rn. 509 ff.

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Zweiter Teil: Die Folgen der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens

99 Auf die Redlichkeit des Richters als subjektives Element abzustellen, kann zwar schon allein aufgrund der weitreichenden Nichtigkeitsfolgen nicht überzeugen. Mit den hohen Anforderungen, die sowohl das europäische als auch das deutsche Recht an die Nichtigkeit rechtswidriger Hoheitsakte stellen – der Fehler muss schwerwiegend und offensichtlich sein –, ist es kaum vereinbar, eine primär innere Tatsache als ausschlaggebend zu erachten.189) In Einzelfällen ist die Unwirksamkeit einer prioritätsprinzipswidrigen Eröffnungsentscheidung jedoch nicht auszuschließen. Hierfür geeignete Kriterien festzulegen, darf freilich nicht den nationalen Gerichten und Gesetzgebern überlassen werden. Ein geeigneter Anknüpfungspunkt für die (Un-)Wirksamkeit einer zweiten Verfahrenseröffnung lässt sich vielmehr unmittelbar aus der Neufassung der EuInsVO entnehmen:

100 Nach Art. 24 EuInsVO ist die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens so bald wie möglich im Insolvenzregister des Eröffnungsstaats bekanntzumachen. Hat der Schuldner Niederlassungen in anderen Mitgliedstaaten, ist auch in den Registern dieser Staaten die Bekanntmachung der Verfahrenseröffnung zu beantragen (Art. 28 EuInsVO). Die Pflicht zur öffentlichen Bekanntmachung dient der Information von Gerichten und Gläubigern; so sollen unter anderem auch Parallelverfahren vermieden werden (Erwägungsgrund 76 EuInsVO).190) Art. 25 Abs. 1 EuInsVO sieht weiterhin vor, die nationalen Insolvenzregister miteinander zu vernetzen, wodurch der Zugriff auf die veröffentlichten Informationen über das Justizportal der Europäischen Union als zentralen Ausgangspunkt vereinfacht wird.191)

101 Ab dem Zeitpunkt, in dem die „erste“ Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens im nationalen Insolvenzregister des Eröffnungsstaats als eine solche veröffentlicht wird, ist das Bedürfnis nach Rechtssicherheit hinsichtlich der Wirkungen einer „zweiten“, prioritätsprinzipswidrigen Eröffnungsentscheidung ganz erheblich relativiert, weil ein etwaiges Vertrauen nicht mehr schützenswert erscheint. Dies muss jedenfalls gelten, sobald sämtliche nationale Register über eine gemeinsame Suchmaske auf dem Europäischen Justizportal miteinander vernetzt sind, sodass die veröffentlichten Informationen aus jedem Mitgliedstaat unkompliziert abgerufen werden können. In diesem Fall besteht kein Anlass mehr, das Vertrauen des Rechtsverkehrs in die Wirk___________ 189) Eckardt, ZZP 122 (2009), 345, 351 f. 190) Zur Bedeutung der Verfahrenspublizität siehe zudem unten, Rn. 362 ff. 191) Zu diesem Zweck hatte die Kommission gemäß Art. 25 Abs. 2 EuInsVO bis zum 26.6.2019 zunächst einen Durchführungsrechtsakt zu erlassen, der technische Einzelheiten zur Vereinheitlichung und inhaltlichen Steuerung des elektronischen Informationsaustauschs regelt und so den Boden für die im Anschluss zu erfolgende Vernetzung der Register bereitet. Dies ist durch die Durchführungsverordnung (EU) 2019/917 der Kommission vom 4. Juni 2019 zur Festlegung technischer Spezifikationen, Maßnahmen und sonstiger Anforderungen für das System zur Vernetzung der Insolvenzregister gemäß Art. 25 der Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates erfolgt. Zum aktuellen Zeitpunkt (Juli 2021) hat die Kommission jedoch erst neun nationale Insolvenzregister vernetzt (Tschechische Republik, Deutschland, Estland, Italien, Lettland, Niederlande, Österreich, Rumänien, Slowenien).

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§ 5 Die Sperrwirkung des zuerst eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens

samkeit der zweiten Verfahrenseröffnung zu schützen. Eröffnet ein zweites Gericht somit prioritätsprinzipswidrig ein zweites Hauptinsolvenzverfahren, nachdem die vorherige ausländische Eröffnungsentscheidung öffentlich bekanntgemacht wurde, bleibt diese zweite Verfahrenseröffnung rechtlich wirkungslos. Um kollidierende Eröffnungsentscheidungen zu vermeiden, ist das zweite Gericht verpflichtet, die Register auf ein bereits anhängiges ausländisches Insolvenzverfahren des Schuldners zu überprüfen. Auch die Teilnehmer des Rechtsverkehrs haben – sobald die Vernetzung der Register abgeschlossen ist – immerhin die Möglichkeit, durch Überprüfung der Insolvenzdatenbanken von der ersten (ausländischen) Verfahrenseröffnung Kenntnis zu erlangen. Es besteht in diesem Fall daher kein Grund mehr, der fehlerhaften Eröffnungsentscheidung aus Gründen des Vertrauensschutzes und Rechtssicherheit Wirkungen beizumessen. Erfolgt die prioritätsprinzipswidrige Eröffnung des zweiten Verfahrens jedoch vor 102 der öffentlichen Bekanntmachung der ersten, besteht das Bedürfnis nach Vertrauensschutz noch uneingeschränkt. Gleiches muss generell bis zu dem Zeitpunkt gelten, zu dem die Vernetzung der nationalen Register sämtlicher Mitgliedstaaten erfolgt und ein übersichtlicher Zugriff über eine gemeinsame Suchmaske möglich ist: Die fehlerhafte Eröffnungsentscheidung entfaltet trotz ihrer Rechtswidrigkeit Wirkungen. Diese Wirkungen müssen im ersten Fall konsequenterweise auch dann bestehen bleiben, wenn im weiteren Verlauf des Verfahrens die erste Eröffnung öffentlich bekanntgemacht wird. Eine fehlerhafte Eröffnungsentscheidung leidet entweder unter einem so erheblichen Mangel, der von vornherein ihre Nichtigkeit rechtfertigt, oder ist (ungeachtet des Fehlers) wirksam. Im letzteren Fall bleiben ihre Wirkungen bis zu ihrer Aufhebung bestehen. Schon aus dem der EuInsVO zugrunde liegenden Prioritätsprinzip folgt unmittelbar, dass das zweite Gericht das prioritätsprinzipswidrige Verfahren – sofern nicht eine Fortführung als Sekundärverfahren in Betracht kommt (dazu sogleich) – unverzüglich von Amts wegen einzustellen hat.192) Kommt das Gericht dem nicht nach und sieht das jeweilige nationale Recht keinen entsprechenden Rechtsbehelf vor, muss Art. 5 Abs. 1 EuInsVO analog gelten.193) Allein die öffentliche Bekanntmachung der ersten Eröffnungsentscheidung ist nicht in der Lage, die Wirkungen der zweiten Verfahrenseröffnung zu beseitigen.

5.

Zwischenergebnis

Die fehlerhafte Eröffnung eines zweiten Hauptinsolvenzverfahrens ist trotz Verstoßes 103 gegen das Prioritätsprinzip nur dann rechtlich wirkungslos, wenn sie nach der Bekanntmachung der vorherigen ausländischen Eröffnungsentscheidung im nationalen ___________ 192) MüKoInsO/Busch, § 34 Rn. 123; MüKoBGB/Kindler, Art. 102c § 2 EGInsO Rn. 2; MüKoInsO/ Thole, Art. 102c § 3 EGInsO Rn. 1; Turck, Priorität im Europäischen Insolvenzrecht, S. 194; Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 102c § 3 EGInsO Rn. 1 f. Darüber hinaus kann eine Fortführung als Sekundärinsolvenzverfahren in Betracht kommen, siehe sogleich Rn. 104 ff. 193) K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 5 EuInsVO Rn. 3.

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Zweiter Teil: Die Folgen der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens

Insolvenzregister des Eröffnungsstaats erfolgte. Dies setzt allerdings die – zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossene – Vernetzung sämtlicher nationaler Insolvenzregister voraus. Ansonsten erfordern Rechtssicherheit und Vertrauensschutz, dass die Wirkungen der prioritätsprinzipswidrigen Eröffnungsentscheidung zunächst fortbestehen. Um den Verstoß gegen das Prioritätsprinzip zu beseitigen und die universale Wirkungserstreckung des zuerst eröffneten Verfahrens wiederherzustellen, ist das zweite Verfahren zumindest im Regelfall – zu Ausnahmen sogleich – unverzüglich einzustellen.

III. Fortführung als Sekundärinsolvenzverfahren? 104 Obwohl das zeitlich zuerst eröffnete Hauptinsolvenzverfahren die Eröffnung von weiteren Hauptinsolvenzverfahren sperrt, gilt die universale Wirkungserstreckung des Hauptinsolvenzverfahrens keineswegs uneingeschränkt. Wie auch der EuGH in MG Probud Gdynia klargestellt hat, sind die Gerichte anderer Mitgliedstaaten weiterhin befugt, Sekundärinsolvenzverfahren mit begrenzter territorialer Wirkung zu eröffnen.194) Auch der BGH geht davon aus, dass die universellen Beschlagswirkungen des ersten Eröffnungsbeschlusses das Vermögen des Schuldners (lediglich) einer weiteren Verfahrenseröffnung „mit universalistischem Anspruch“ entziehen.195) Die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens durchbricht die universale Wirkung des Hauptinsolvenzverfahrens für das im Sekundärverfahrensstaat belegene Vermögen des Schuldners. Ein später – zu Unrecht als Hauptinsolvenzverfahren – eröffnetes Verfahren kann zumindest territorial begrenzt seine Wirkungen also nur dann aufrechterhalten, wenn es als Sekundärinsolvenzverfahren i. S. v. Art. 3 Abs. 3 EuInsVO anzusehen ist.196) Dies hat auch der deutsche Gesetzgeber erkannt: Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 1. HS EGInsO sieht vor, ein prioritätsprinzipswidrig eröffnetes Verfahren als Sekundärinsolvenzverfahren fortzuführen, sofern die entsprechenden Voraussetzungen gegeben sind.197)

105 Das in den Art. 34 ff. EuInsVO geregelte Sekundärinsolvenzverfahren als Territorialverfahren setzt insbesondere eine Niederlassung des Schuldners im Eröffnungsstaat (Art. 3 Abs. 2 Satz 1 EuInsVO) sowie einen entsprechenden Antrag (vgl. Art. 37 ___________ 194) EuGH, Urt. v. 21.1.2010 – Rs. C-444/07, NZI 2010, 156 Rn. 24 – MG Probud Gdynia. Siehe ebenfalls Erwägungsgrund 22 EuInsVO. 195) BGH, Beschl. v. 29.5.2008 – IX ZB 102/07, ZIP 2008, 1338 Rn. 30 (Hervorhebung hinzugefügt). 196) Fehrenbach, IPRax 2009, 51, 55. 197) Vor Einführung des Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 EGInsO bereits AG München, Beschl. v. 5.2.2007 – 1503 IE 4317/06, ZIP 2007, 495, 496 = NZI 2007, 358, 360, dazu EWiR 2007, 277 (K. Müller); Pannen/Frind, EuInsVO, Art. 102 § 3 EGInsO Rn. 8; KPB/Kemper, InsO, Art. 102 § 3 EGInsO Rn. 8. Zum umgekehrten Fall (Umdeutung eines Antrags auf Eröffnung eines Sekundärverfahrens in einen Antrag auf Eröffnung eines Hauptverfahrens) siehe AG Mönchengladbach, Beschl. v. 27.4.2004 – 19 IN 54/04, ZIP 2004, 1064, 1065; kritisch Kebekus, EWiR 2004, 705, 706; MüKoBGB/Kindler, Art. 3 EuInsVO Rn. 11; Lautenbach, NZI 2004, 384; Mankowski, NZI 2004, 450, 451.

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§ 5 Die Sperrwirkung des zuerst eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens

EuInsVO) voraus. Die Fortführung eines Insolvenzverfahrens als Sekundärverfahren ist zudem nur möglich, wenn das Verfahren und seine Wirkungen noch bestehen. Eine Fortführung als Sekundärverfahren scheidet also bereits rein begrifflich aus, wenn die Verfahrenseröffnung entweder von vornherein rechtlich wirkungslos war oder das Verfahren inzwischen aufgehoben oder eingestellt wurde.

1.

Niederlassung im Sekundärverfahrensstaat

Die erforderliche Niederlassung des Schuldners im Eröffnungsstaat (Art. 3 Abs. 2 106 Satz 1 EuInsVO) dürfte in Fällen, in denen das Gericht seine Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO unrichtig annimmt, regelmäßig gegeben sein: Geht das Gericht fälschlicherweise davon aus, dass der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners in seinem Hoheitsgebiet liegt, folgt aus dieser fehlerhaften Annahme zwar nicht zwingend als eine Art minus zum COMI das Vorliegen einer Niederlassung. Während die Verordnung hinsichtlich des COMI auf den Ort der Verwaltung der Interessen des Schuldners abstellt (Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 1 EuInsVO), setzt eine Niederlassung gemäß der Legaldefinition des Art. 2 Nr. 10 EuInsVO eine wirtschaftliche Aktivität von nicht nur vorübergehender Art unter Einsatz von Personal und Vermögenswerten, also eine gewisse Organisationsstruktur, voraus.198) Erreicht die Unternehmung des Schuldners jedoch eine gewisse Größe, wird zur Interessenverwaltung regelmäßig eine gewisse Organisationsstruktur vonnöten sein, sodass eine Niederlassung gegeben sein dürfte.199) Ansonsten wäre nicht recht erklärbar, vor welchem Hintergrund das Gericht seine internationale Zuständigkeit überhaupt annehmen konnte.

2.

Antrag auf Eröffnung eines Sekundärverfahrens

Auch ein Sekundärinsolvenzverfahren wird nur auf entsprechenden Antrag hin er- 107 öffnet. Sollte dies nicht bereits zwingend aus der EuInsVO folgen, da Art. 37 Abs. 1 lit. b lediglich auf das Recht des Sekundärverfahrensstaates verweist, gilt das Antragserfordernis jedenfalls in allen Insolvenzrechtsordnungen, die der Dispositionsmaxime unterliegen.200) An dieser Stelle ist erstens zu erörtern, wer zur Beantragung eines Sekundärverfahrens berechtigt ist und zweitens, ob der ursprüngliche – unzulässige – Antrag auf Eröffnung eines Hauptverfahrens zur Eröffnung des Territorialverfahrens ausreicht oder ob ein erneuter Antrag auf Eröffnung eines Sekundärverfahrens gestellt werden muss.

___________ 198) Siehe Fehrenbach, IPRax 2009, 51, 55, der die Niederlassung daher nicht als minus, sondern als aliud zum COMI bezeichnet. 199) Fehrenbach, IPRax 2009, 51, 55; MüKoInsO/Reinhart, 2. Aufl. 2008, Art. 102 § 3 EGInsO Rn. 12; MüKoInsO/Thole, Art. 102c § 2 EGInsO Rn. 10. 200) Thole, ZIP 2018, 401, 408.

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Zweiter Teil: Die Folgen der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens

a) Antragsbefugnis aa) Antragsbefugnis richtet sich nach dem jeweiligen nationalen Recht 108 Nach Art. 37 Abs. 1 lit. a EuInsVO ist in jedem Fall der Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens berechtigt, die Eröffnung eines Sekundärverfahrens zu beantragen. Im Übrigen beurteilt sich die Antragsbefugnis nach dem Insolvenzrecht des Sekundärverfahrensstaats: Gemäß Art. 37 Abs. 1 lit. b EuInsVO fällt die Antragsberechtigung jeder Person oder Behörde zu, die nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens beantragt wird, dazu befugt ist.201)

109 Für das deutsche Recht sind die Auswirkungen dieses Verweises umstritten. Relevant wird dies für die Frage, ob der Schuldner berechtigt ist, ein Sekundärverfahren in Deutschland zu beantragen. Teilweise wird Art. 37 Abs. 1 lit. b EuInsVO als Sachnormverweisung auf die allgemeinen materiell-rechtlichen Vorschriften der InsO zur Antragsberechtigung verstanden, also auf die §§ 13, 14 InsO. Das Antragsrecht käme damit nicht nur den Gläubigern, sondern auch dem Insolvenzschuldner selbst zu.202) Dem ist jedoch entgegen zu halten, dass Art. 37 Abs. 1 lit. b EuInsVO nicht im Allgemeinen auf die jeweilige Antragsbefugnis hinsichtlich eines regulären Insolvenzverfahrens verweist, sondern ganz speziell auf die Berechtigung zur Beantragung eines Sekundärverfahrens. Maßgeblich sind somit nicht die §§ 13, 14 InsO, sondern die spezielleren §§ 354 ff. InsO. Das Recht, ein unabhängiges Partikularverfahren zu beantragen, steht lediglich den Gläubigern zu (§ 354 Abs. 1 InsO). Für den Fall eines Sekundärverfahrens – bei dem es sich ebenfalls um ein Partikularverfahren handelt, welches aber die vorherige Eröffnung eines Hauptverfahrens voraussetzt203) – erstreckt sich die Antragsbefugnis auch auf den Verwalter des ausländischen Hauptverfahrens (§ 356 Abs. 2 InsO). Der Schuldner hingegen ist nicht antragsberechtigt.204) Im Gegenteil: Wie sich aus der Begründung des Regierungsentwurfes zu § 354 InsO ergibt, soll der Schuldner im Falle des Vorliegens von ___________ 201) So bereits EuGH, Urt. v. 4.9.2014 – Rs. C-327/13, ZIP 2014, 2513 Rn. 45 – Burgo Group. 202) So AG Köln, Beschl. v. 13.1.2004 – 71 IN 1/04, ZIP 2004, 471, 473; Baumert, EWiR 2018, 153, 154; Nerlich/Römermann/Commandeur/Hübler, InsO, Art. 37 EuInsVO Rn. 6; Denkhaus/ Harbeck, ZInsO 2018, 949, 959; Vallender/Keller, EuInsVO, Art. 37 Rn. 7; Mankowski/ Müller/J. Schmidt/Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 37 Rn. 14; Thole, ZIP 2018, 401, 408. 203) Vgl. Art. 3 Abs. 3 EuInsVO: „Wird ein Insolvenzverfahren nach Absatz 1 eröffnet, so ist jedes zu einem späteren Zeitpunkt nach Absatz 2 eröffnete Insolvenzverfahren ein Sekundärinsolvenzverfahren.“ Speziell für die §§ 354 ff. InsO siehe K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., § 356 Rn. 1; KPB/Paulus, InsO, § 356 Rn. 1; MüKoInsO/Reinhart, § 356 Rn. 1, 7; HK-InsO/ Swierczok, § 354 Rn. 4, § 356 Rn. 3. Zur begrifflichen Klarstellung wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit daher zwischen unabhängigen Partikularverfahren und Sekundärinsolvenzverfahren unterschieden. 204) K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., § 354 Rn. 11; MüKoBGB/Kindler, § 354 InsO Rn. 13; Liersch, NZI 2003, 302, 308; KPB/Paulus, InsO, § 354 Rn. 15; HK-InsO/Swierczok, § 354 Rn. 12; FK-InsO/Wenner/Schuster, § 354 Rn. 12. A. A. MüKoInsO/Reinhart, § 354 Rn. 40 f.

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Insolvenzeröffnungsgründen ein Hauptinsolvenzverfahren am Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen beantragen und nicht versuchen, „die Unternehmung von ihren Rändern her zu liquidieren“.205) Dieses gesetzgeberische Motiv schließt auch einen Schuldnerantrag gerichtet auf 110 die Eröffnung eines Sekundärverfahrens aus. Zwar sind anderslautende Stimmen der Auffassung, dass diese Gefahr bei einem Sekundärverfahren von vornherein nicht bestehe, da ein solches eben zwingend ein Hauptverfahren voraussetze.206) Der Sinn dieser Argumentation erschließt sich jedoch nicht ganz. Auch im Falle eines im Ausland anhängigen Hauptverfahrens besteht kein Grund, weshalb der Schuldner selbst – und nicht etwa der Verwalter des Hauptverfahrens! – den Erfolg des Hauptverfahrens durch dessen künstliche Zersplitterung beeinträchtigen können sollte.207) Auch hinsichtlich eines Sekundärverfahrens in Deutschland fällt die Antragsberechtigung gemäß Art. 37 EuInsVO i. V. m. §§ 354 Abs. 1, 356 Abs. 2 InsO somit allein dem ausländischen Hauptinsolvenzverwalter sowie den Gläubigern, nicht jedoch dem Schuldner selbst zu.208) Hierfür spricht nicht zuletzt auch Folgendes: Nach seinem Sinn und Zweck muss 111 Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 1. HS EGInsO (Fortführung eines prioritätsprinzipswidrig eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens als Sekundärverfahren) ebenso Anwendung finden, wenn ein deutsches Gericht zu Unrecht seine internationale Zuständigkeit annimmt und ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet, obwohl in einem anderen Mitgliedstaat noch kein Hauptinsolvenzverfahren anhängig ist.209) Mangels anderweitigem Hauptverfahren ist das fehlerhaft eröffnete Verfahren dann nicht als Sekundär-, sondern als unabhängiges Partikularverfahren fortzuführen. Die Fortführung setzt auch hier einen umdeutungsfähigen zulässigen Antrag voraus. Da der Schuldner nach § 354 Abs. 1 InsO in Deutschland kein unabhängiges Partikularverfahren beantragen kann, fehlt es im Falle eines ursprünglichen Schuldnerantrags an dieser Voraussetzung, weshalb die Fortführung des Verfahrens ausscheidet. Stünde dem Schuldner das Recht zur Beantragung eines Sekundärinsolvenzverfahrens zu, hinge die Zulässigkeit der Fortführung des fehlerhaft eröffneten Verfahrens von der zufälligen Tatsache ab, ob bereits im Ausland ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet wurde oder nicht. Eine derartige Differenzierung wäre sachwidrig. Folglich ergibt sich die Antragsbefugnis hinsichtlich eines Sekundärverfahrens ebenfalls aus den §§ 354 ff. InsO. ___________ 205) BT-Drucks. 15/16, S. 25. 206) Nerlich/Römermann/Commandeur/Hübler, InsO, Art. 37 EuInsVO Rn. 6; Vallender/Keller, EuInsVO, Art. 37 Rn. 7. 207) Paulus, EuInsVO, Art. 37 Rn. 7. 208) Wie hier bereits K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 37 EuInsVO Rn. 7; KPB/Madaus, InsO, Art. 5 EuInsVO 2015 Rn. 21; Paulus, EuInsVO, Art. 37 Rn. 7, MüKoInsO/Vuia, § 13 Rn. 41. 209) Siehe hierzu mit näherer Begründung unten Rn. 462 f.

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bb) Verlust der etwaigen Antragsbefugnis durch die Eröffnung des Hauptverfahrens 112 Letztendlich kann die Frage der Antragsbefugnis des Schuldners nach dem Recht des Sekundärverfahrensstaats jedoch offenbleiben. Durch die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens verliert der Schuldner ohnehin sein – gegebenenfalls nach dem Insolvenzrecht des Sekundärverfahrensstaats bestehendes – Recht, ein Sekundärverfahren zu beantragen.210) Die Vorschriften der EuInsVO zu Sekundärverfahren und insbesondere Art. 37 regeln einen möglichen Verlust der Antragsbefugnis nicht. Aufgrund des Verweises in Art. 37 Abs. 1 lit. b EuInsVO beurteilen sich die Antragsberechtigung sowie die Einleitung des Sekundärverfahrens zwar grundsätzlich nach dem Recht des Sekundärverfahrensstaats. Entscheidend für die Beantwortung der Frage, ob der Schuldner nach Eröffnung des Hauptverfahrens noch die notwendige Verwaltungs- und Prozessführungsbefugnis für die Beantragung eines Sekundärverfahrens innehat, ist jedoch das Insolvenzrecht des Staats des Hauptverfahrens.211) Daraus ergibt sich Folgendes:

(1) Masseschmälernde Wirkung der Eröffnung eines Sekundärverfahrens 113 Nach der EuInsVO ist die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens im gesamten räumlichen Anwendungsbereich der Verordnung anzuerkennen und entfaltet in sämtlichen Mitgliedstaaten die universalen Wirkungen, die das nationale Recht des Hauptverfahrensstaats ihr zubilligt (Art. 19, 20 EuInsVO). Wird über das Vermögen eines Schuldners ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet, so geht die Befugnis, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, typischerweise auf den eingesetzten Verwalter über.212) Zu dessen Verwaltungskompetenz gehört auch das Recht, in Bezug auf das insolvenzbefangene Vermögen Prozesshandlungen vorzunehmen, also Anträge zu stellen oder Rechtsmittel einzulegen.213) Die Eröffnung eines Sekundärverfahrens entzieht dem Hauptinsolvenzverfahren sämtliche im Sekundärverfahrensstaat belegene Massegegenstände.214) Sie hat somit masseschmälernde Wirkung, weshalb einem Schuldner aufgrund des Massebeschlags ___________ 210) Dies gesteht auch MüKoInsO/Reinhart, § 356 Rn. 9 ein. 211) Ebenfalls AG Düsseldorf, Beschl. v. 12.3.2004 – 502 IN 1236/03, ZIP 2004, 623, 625; K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 37 EuInsVO Rn. 6; Andres/Leithaus/Dahl/Dahl, InsO, § 356 Rn. 8; Vallender/Keller, EuInsVO, Art. 37 Rn. 9; KPB/Paulus, InsO, § 356 Rn. 12; MüKoInsO/Reinhart, § 356 Rn. 9; Sabel, NZI 2004, 126, 128; HK-InsO/Schultz, Art. 37 EuInsVO Rn. 9; KPB/Paulus, InsO, § 356 Rn. 12; FK-InsO/Wenner/Schuster, § 356 Rn. 10; Zipperer, ZIP 2018, 956, 961. 212) Vgl. nur §§ 89, 81 InsO; §§ 2 Abs. 2, 83 Abs. 1 österIO; Art. L.641-9 I C. com. Ebenfalls EuGH, Urt. v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04, ZIP 2006, 907 Rn. 58 – Eurofood. 213) Uhlenbruck/Mock, InsO, § 80 Rn. 18; MüKoInsO/Vuia, § 80 Rn. 74 f.; für Österreich Dellinger/ Oberhammer/Koller, Insolvenzrecht, Rn. 277; Roth/Duursma-Kepplinger, Exekutions- und Insolvenzrecht, S. 211. 214) HK-InsO/Swierczok, § 356 Rn. 6.

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des Hauptverfahrens kein Recht zusteht, in einem anderen Staat ein Sekundärverfahren zu beantragen.215) Ein Fortbestehen der Antragsbefugnis des Schuldners nach eröffnetem Hauptinsolvenzverfahren käme einer „Territorialisierung der Verwaltungsund Verfügungsbefugnis“216) gleich und wäre nicht mit dem Universalitätsprinzip der EuInsVO in Einklang zu bringen. Gegen den Verlust der Antragsbefugnis wird vielfach eingewendet, dass die Be- 114 schlagswirkung des Hauptverfahrens lediglich die Insolvenzmasse erfasse. Das Recht des Schuldners, die Eröffnung eines Sekundärverfahrens zu beantragen, betreffe indes nicht die Wahrnehmung von Masserechten, sondern die von Verfahrensrechten. Diese blieben vom Vermögensbeschlag des Hauptverfahrens unberührt.217) Dieser Meinung ist zugute zu halten, dass der Schuldner mit Eröffnung des Hauptverfahrens selbstverständlich nicht aus dem Rechtsverkehr verschwindet. Trotz der Einsetzung des Insolvenzverwalters verbleiben ihm eine Vielzahl von Mitwirkungs- und Verfahrensrechten, die gegebenenfalls von seinen Organen auszuüben sind. Gegen die konstatierte „Trennung zwischen Verfahrensbeteiligung und materieller Verfügungsbefugnis“218) ist daher grundsätzlich nichts einzuwenden. Zwischen den von den Verfechtern dieser Ansicht vorgebrachten Verfahrensrechten (genannt werden für das deutsche Insolvenzrecht etwa §§ 34, 156, 158 Abs. 2, §§ 161, 219, 270 Abs. 2 Nr. 1 InsO219)) und dem Recht, die Eröffnung eines Sekundärverfahrens zu beantragen, besteht jedoch ein entscheidender Unterschied: Erstere haben keine unmittelbaren Auswirkungen auf die – dem Schuldnerzugriff entzogene – Insolvenzmasse. Legt der Schuldner Beschwerde gegen den Eröffnungsbeschluss ein (§ 34 Abs. 2 InsO), so wendet er sich damit gegen seine Stellung als Insolvenzschuldner im Allgemeinen, nicht gegen das Zufallen bestimmter Vermögensgegenstände zur Masse. Sein Äußerungsrecht im Berichtstermin (§ 156 Abs. 2 InsO) hat ebenfalls keine Auswirkungen auf die Insolvenzmasse. Anders jedoch im Falle eines Sekundärverfahrens: Wird dieses eröffnet, werden dem Hauptverfahren Massegegenstände entzogen.220) Dies ___________ 215) Ebenfalls AG Düsseldorf, Beschl. v. 12.3.2004 – 502 IN 1236/03, ZIP 2004, 623, 625; K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 37 EuInsVO Rn. 6; Vallender/Keller, EuInsVO, Art. 37 Rn. 10; HK-InsO/Schultz, Art. 37 Rn. 9; Smid, ZInsO 2018, 766, 770; Zipperer, ZIP 2018, 956, 961. 216) Zipperer, ZIP 2018, 956, 961. 217) So zuletzt AG Charlottenburg, Beschl. v. 23.1.2018 – 36n IE 6433/17, ZIP 2018, 240, 241; zustimmend Baumert, EWiR 2018, 153, 154; Denkhaus/Harbeck, ZInsO 2018, 949, 959; Thole, ZIP 2018, 401, 409 f.; ablehnend Smid, ZInsO 2018, 766, 770; Zipperer, ZIP 2018, 956, 961. Wie das AG Charlottenburg zuvor bereits AG Köln, Beschl. v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04, ZIP 2004, 471, 473; ebenfalls Uhlenbruck/Hermann, InsO, Art. 37 EuInsVO Rn. 9; U. Huber, FS Gerhardt, S. 397, 412 f.; Lüke, ZZP 111 (1998), 275, 302; Liersch, NZI 2004, 271, 272; Mankowski/Müller/J. Schmidt/Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 37 Rn. 26. 218) Mankowski/Müller/J. Schmidt/Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 37 Rn. 26. 219) Hierauf berufen sich das AG Köln, Beschl. v. 13.1.2004 – 71 IN 1/04, ZIP 2004, 471, 473 sowie Mankowski/Müller/J. Schmidt/Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 37 Rn. 26. 220) HK-InsO/Swierczok, § 356 Rn. 6.

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würde – stünde ihm ein Antragsrecht zu – allein auf Initiative des Schuldners geschehen, ohne dass es der Zustimmung des Insolvenzgerichts oder der Gläubiger bedürfte. Hierin liegt ein weiterer Unterschied zu den genannten prozessualen Rechten: Wendet sich der Schuldner gegen die Veräußerung seines Unternehmens (§ 158 Abs. 2 InsO) oder beantragt er die vorläufige Untersagung besonders bedeutsamer Rechtshandlungen (§ 161 InsO), hat dies zwar Auswirkungen auf die Verwertung der Masse. Gleiches gilt für seine Rechte, einen Insolvenzplan einzureichen (§ 219 InsO) oder Eigenverwaltung zu beantragen (§ 270 Abs. 2 Nr. 1 InsO). Diese Entscheidungen ergehen jedoch mit Zustimmung der Gläubiger oder des Insolvenzgerichts. Für ein Recht des Schuldners, an Insolvenzgericht und Gläubigern vorbei ein Sekundärverfahren zu initiieren, besteht hingegen kein Bedürfnis.221)

(2) Funktion eines Sekundärverfahrens 115 Die hier vertretene Auffassung lässt sich zudem mit den Wertungen der EuInsVO und den Motiven des europäischen Gesetzgebers untermauern.

116 Zwar wird insbesondere von Thole gegen den Verlust der Antragsberechtigung aufgrund der universalen Beschlagswirkung des Hauptverfahrens angeführt, dass das Sekundärverfahren in seinen Wirkungen gerade beabsichtige, Teile der Masse aus dem Beschlag des Hauptverfahrens herauszulösen.222) Es sei daher widersprüchlich, die Beantragung eines Sekundärverfahrens unter Verweis auf die – durch das Sekundärverfahren doch gerade beschränkten – Wirkungen des Hauptverfahrens als Verfügung zu sehen, die dem Universalitätsanspruch des Hauptverfahrens entgegenstehe.223) Kernidee des Sekundärverfahrens sei es gerade, die Wirkungen des Hauptverfahrens zu begrenzen: Bestünde im Hauptverfahren ein Verfügungsverbot, dürfte der Schuldner nach dem Recht des Sekundärverfahrensstaats jedoch über Massegegenstände verfügen, so wären diese Verfügungen vom allgemeinen Verfügungsverbot auszunehmen. Die Auffassung, dass die Beantragung eines Sekundärverfahrens wegen der damit verbundenen Entziehung von Massegegenständen aus dem Hauptverfahren gesperrt sei, differenziere daher künstlich zwischen Antragstellung und der Zeit danach.224)

117 Diese Argumentation übersieht jedoch den Unterschied zwischen den gesetzlich vorgesehenen Wirkungen eines Sekundärinsolvenzverfahrens und der Frage, auf wes___________ 221) Im Ergebnis ebenfalls AG Düsseldorf, Beschl. v. 12.4.2004 – 502 IN 126/03, ZIP 2004, 623, 625; Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky/Duursma-Kepplinger/Chalupsky, EuInsVO, Art. 29 Rn. 5; Pannen/Herchen, EuInsVO, Art. 29 EuInsVO 2000 Rn. 22 ff.; KPB/Kemper, InsO, Art. 29 EuInsVO 2000 Rn. 6; Kolmann, Kooperationsmodelle im internationalen Insolvenzrecht, S. 336; Paulus, FS Kreft, S. 469, 475 f.; Paulus, EuInsVO, Art. 37 Rn. 6 f.; Sabel, NZI 2004, 126, 128; HK-InsO/Schultz, Art. 37 Rn. 9; Thieme, 5 IJVO (1995/96), 44, 87. 222) Thole, ZIP 2018, 401, 409. 223) Thole, ZIP 2018, 401, 409. 224) Thole, ZIP 2018, 401, 409.

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sen Bestreben diese Wirkungen ausgelöst werden sollen und können. Die kritisierte Differenzierung zwischen Antragstellung und der Zeit danach ist bei näherem Hinsehen keineswegs künstlich, sondern unter Berücksichtigung der Funktion eines Sekundärverfahrens durchaus gerechtfertigt. Das Sekundärverfahren dient im Wesentlichen zwei Zwecken:225) In erster Linie sollen inländische Interessen gewahrt und der Schutz der lokalen Gläubiger gewährleistet werden (Erwägungsgründe 40, 42, 43, 45, 46 EuInsVO). Letztere werden in ihrem Vertrauen in die Anwendbarkeit des ihnen bekannten nationalen Insolvenzrechts abgesichert und gleichermaßen vor den (nachteilhaften) Wirkungen eines fremdem Insolvenzrechts bewahrt.226) Die Schutzbedürftigkeit der Gläubiger besteht etwa bei unterschiedlich ausgeprägten nationalen Regelungen zu Sicherungsrechten (Erwägungsgrund 22 Satz 3 EuInsVO) und bei Gläubigervorrechten (Erwägungsgrund 22 Satz 4 EuInsVO).227) Darüber hinaus kommt einem Sekundärverfahren eine Unterstützungsfunktion im Hinblick auf das Hauptinsolvenzverfahren zu, die der effizienten Verwaltung der Masse dienen soll (Erwägungsgründe 40, 48 EuInsVO).228) Dies wird relevant, wenn sich die Insolvenzmasse des Schuldners als zu verschachtelt darstellt, um als Ganzes verwaltet zu werden, oder weil die Unterschiede in den betroffenen Rechtssystemen so groß sind, dass die universale Wirkung des Hauptverfahrens zu Schwierigkeiten führt. Deshalb soll der Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens beantragen können, wenn dies für die effiziente Verwaltung der Masse erforderlich ist (Erwägungsgrund 40 Satz 3 EuInsVO). Aus der Verordnung wird somit deutlich, dass die das Universalitätsprinzip durch- 118 brechenden Wirkungen des Sekundärverfahrens dem Schutz der lokalen Gläubiger sowie der effizienten Abwicklung des Hauptverfahrens dienen.229) Gläubiger im Niederlassungsstaat sowie der Verwalter des Hauptverfahrens haben gegebenenfalls ein Interesse an der Durchführung eines Sekundärverfahrens und somit auch an einer ___________ 225) Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Rn. 32 f. 226) Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Rn. 32. Zur Schutzfunktion siehe u. a. auch EuGH (GA’in Kokott), Schlussanträge v. 24.5.2012 – Rs. C-116/11, ZIP 2012, 1133, 1138 Rn. 58 – Handlowy; K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 34 Rn. 4; Fehrenbach, Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren, S. 305 ff.; Hess/Oberhammer/Pfeiffer, Heidelberg-LuxembourgVienna Report, Rn. 305; Vallender/Ch. Keller, EuInsVO, Art. 34 Rn. 5; Bork/van Zwieten/ Mangano, EIR, Art. 34 Rn. 34.06; Schmüser, Das Zusammenspiel zwischen Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren nach der EuInsVO, S. 35 f. 227) Genannt sei beispielsweise das französische „Supervorzugsrecht“ für Arbeitnehmerforderungen, Degenhardt, NZI 2019, 656, 659. 228) Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Rn. 33. Zur Unterstützungsfunktion siehe ebenfalls Fehrenbach, Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren, S. 310 ff.; Hess/Oberhammer/Pfeiffer, Heidelberg-Luxembourg-Vienna Report, Rn. 305; Brinkmann/Madaus, EIR, Art. 34 Rn. 9 ff.; Bork/van Zwieten/Mangano, EIR, Art. 34 Rn. 34.07; Mankowski/Müller/J. Schmidt/Mankowski, EuInsVO 2015, Vor Art. 34 – 51 Rn. 46 ff.; Wimmer/Bornemann/Lienau, Die Neufassung der EuInsVO, Rn. 393. 229) Übereinstimmend Zipperer, ZIP 2018, 956.

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Antragsberechtigung. Letzterem sichert die Verordnung ein entsprechendes Recht in Art. 37 Abs. 1 lit. a ausdrücklich zu. Zweck des Sekundärverfahrens ist es hingegen nicht, die Interessen des Schuldners zu wahren. Sie haben zugunsten der Gläubiger sowie der effizienten Verfahrensabwicklung zurückzutreten. Dies ergibt sich auch aus den Bestimmungen in Art. 38 Abs. 1 und 3 EuInsVO, die lediglich dem Verwalter des Hauptverfahrens sowie dem Schuldner in Eigenverwaltung Mitwirkungsrechte im Rahmen der Eröffnung eines Sekundärverfahrens beimessen.230) Aus diesem Grund besteht kein Bedürfnis, dem Schuldner ein Antragsrecht einzuräumen. Im Gegenteil, Sekundärverfahren können die effiziente Verwaltung der Insolvenzmasse im Hauptverfahren durchaus beeinträchtigen.231) Der Schuldner soll das Hauptinsolvenzverfahren und dessen universale Wirkungen nicht auf sein alleiniges Betreiben zersplittern können. Vielmehr geht die Antragsbefugnis auf den Verwalter des Hauptverfahrens über, der in eigener Verantwortung davon Gebrauch machen kann, wenn dies der effizienten Verwaltung der Masse dienlich ist. Deshalb steht der Verlust des Antragsrechts des Schuldners durch die Eröffnung des Hauptverfahrens keineswegs mit der Durchbrechung des Universalitätsprinzips durch das Sekundärverfahren im Widerspruch. Im Ergebnis ist hinsichtlich des Verlusts der Antragsbefugnis daher eine Ausnahme von dem Grundsatz anzuerkennen, dass sich die Antragsberechtigung nach dem Recht des Sekundärverfahrensstaats richtet.

cc) Zwischenergebnis 119 Das Recht, ein Sekundärverfahren zu beantragen, steht somit bereits nach autonomem deutschen Insolvenzrecht lediglich dem Verwalter des ausländischen Hauptinsolvenzverfahrens, nicht jedoch dem Schuldner selbst zu. In jedem Fall verliert der Schuldner eine nach nationalem Recht etwaig bestehende Antragsbefugnis durch die Eröffnung eines ausländischen Hauptinsolvenzverfahrens mit Beschlagswirkung.

b) Umdeutung des ursprünglichen Antrags 120 Wenn das Gericht im Sekundärverfahrensstaat zunächst auf einen entsprechenden Antrag hin prioritätsprinzipswidrig und daher zu Unrecht ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet hatte, stellt sich die folgende Frage: Kann das Verfahren auf Grundlage des ursprünglichen – wegen fehlender Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO unzulässigen – Antrags auf Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens als Sekundärverfahren fortgeführt werden? Oder bedarf es eines erneuten Antrags, gerichtet auf die Eröffnung eines Sekundärverfahrens? In Betracht kommt die entsprechende Umdeutung des ursprünglichen Antrags. Ob eine Umdeutung überhaupt statthaft ___________ 230) Degenhardt, NZI 2019, 656, 659. 231) Erwägungsgrund 41 EuInsVO; Hess/Oberhammer/Pfeiffer, Heidelberg-Luxembourg-Vienna Report, Rn. 482.

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ist, richtet sich nach dem nationalen Verfahrensrecht des Staates, in dem der Antrag gestellt wurde.232) Dem deutschen Insolvenzrecht ist diese Möglichkeit keineswegs fremd. Ausweis- 121 lich der Begründung des Regierungsentwurfs zu Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 EGInsO ist „[e]in Insolvenzgericht, dem die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens verwehrt ist oder das ein solches nicht hätte eröffnen dürfen, […] gehalten, durch Auslegung des Eröffnungsantrags zu ermitteln, ob dieser ausschließlich auf die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens oder auch auf Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens gerichtet ist“.233) Auch in Österreich zieht der Oberste Gerichtshof eine Umdeutung des Antrags in Betracht.234) Im Konkreten setzt eine solche Umdeutung erstens die Auslegungsfähigkeit des ursprünglichen Antrags im Sinne eines Antrags auf Eröffnung eines Sekundärverfahrens sowie zweitens dessen Zulässigkeit voraus.

aa) Keine automatische Verfahrensfortführung „von Amts wegen“ Auch für die Fortführung des Verfahrens als Sekundärinsolvenzverfahren gilt die 122 Dispositionsmaxime: Sie kommt nur in Betracht, wenn sich der ursprüngliche (unzulässige) Antrag entsprechend umdeuten lässt. Im deutschen Insolvenzrecht spricht dafür schon die Begründung des Regierungsentwurfs zu Art. 102c § 2 EGInsO, die von der Verpflichtung des Gerichts ausgeht, auf den ursprünglichen Antrag zurückzugreifen.235) Eine automatische Überleitung des Verfahrens in ein Sekundärverfahren von Amts wegen ohne einen entsprechenden auslegungsfähigen Antrag ist jedenfalls nicht zulässig.236) ___________ 232) MüKoBGB/Kindler, Art. 3 EuInsVO Rn. 10; Mankowski/Müller/J. Schmidt/Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 37 Rn. 37. 233) BT-Drucks. 18/10823, S. 28 (Hervorhebung hinzugefügt). Vor Einführung des Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 EGInsO bereits AG München, Beschl. v. 5.2.2007 – 1503 IE 4317/06, ZIP 2007, 495, 496 = NZI 2007, 358, 360, dazu EWiR 2007, 277 (K. Müller); Pannen/Frind, EuInsVO, Art. 102 § 3 EGInsO Rn. 8; KPB/Kemper, InsO, Art. 102 § 3 EGInsO Rn. 8; HK-InsO/Stephan, 8. Aufl. 2016, Art. 102 § 3 EGInsO Rn. 3. Allgemein zur Umdeutung von Prozesshandlungen u. a. BGH, Urt. v. 1.6.1983 – IV b ZR 365/81, NJW 1983, 2200, 2201; BGH, Urt. v. 6.12.2000 – XII ZR 219/98, ZIP 2001, 305, 306 = NJW 2001, 1217, 1218; BGH, Beschl. v. 13.12.2006 – XII ZB 71/04, NJW 2007, 1460. 234) OGH v. 17.03.2005 – 8 Ob 135/04t, ZIK 2005/106, 103; OGH v. 30.11.2006 – 8 Ob 12/066, ÖJZ 2007, 325. 235) Siehe auch die weitere Formulierung in BT-Drucks. 18/10823, S. 28: „Wenn der Antrag auch auf Eröffnung eines Sekundärverfahrens gerichtet ist und eine Zuständigkeit der deutschen Gerichte nach Art. 3 Abs. 2 der Neufassung besteht, kann ein Insolvenzverfahren nach Maßgabe der Artikel 34 bis 52 der Neufassung als Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet oder fortgeführt werden.“ 236) K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 102c § 2 EGInsO Rn. 2; Thole, ZIP 2018, 401, 408; Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 102c § 2 EGInsO Rn. 7.

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Zweiter Teil: Die Folgen der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens

123 Nicht haltbar ist somit die vor allem vor der Reform der EuInsVO vereinzelt vertretene Auffassung, dass zwischen einem Antrag auf Eröffnung eines Hauptverfahrens und einem Antrag auf Eröffnung eines Sekundärverfahrens nicht künstlich differenziert werden dürfe. Die Verordnung kenne eine internationale Zuständigkeit für die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens in dieser Ausdrücklichkeit nicht.237) Stattdessen gebe es nur einen allgemeinen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens; ob dieses als Hauptverfahren im Sinne von Art. 3 Abs. 1 oder als Sekundärverfahren im Sinne von Art. 3 Abs. 2 und 3 EuInsVO durchgeführt werde, sei lediglich eine Frage der Zuständigkeit und stehe nicht in der Dispositionsbefugnis der Gerichte. Folglich erübrige sich eine Umdeutung des Antrags.238)

124 Diese Argumentation vermag nicht zu überzeugen: Art. 3 Abs. 3 Satz 1 EuInsVO geht schließlich ausdrücklich von der Eröffnung eines „Insolvenzverfahrens nach Absatz 1“, also von einem Hauptinsolvenzverfahren, aus.239) Dass Art. 3 Abs. 1 EuInsVO nur für Hauptinsolvenzverfahren gilt, hat der Verordnungsgeber durch Hinzufügen des Klammerzusatzes „(im Folgenden „Hauptinsolvenzverfahren“)“ klargestellt.240) Indem sie in Art. 37 EuInsVO darüber hinaus die Antragsberechtigung für das Sekundärverfahren regelt, macht die Verordnung deutlich, dass zwischen beiden Verfahren zu trennen ist.241) Zudem kann der Antragsteller mit einen Antrag auf Eröffnung eines Haupt- oder eines Sekundärverfahrens unterschiedliche Begehren verfolgen. So sind durchaus Fälle denkbar, in denen ein Sekundärverfahren auch aus Sicht des Antragstellers nicht erstrebenswert erscheint (zum Beispiel bei einer Sanierung).242) Folglich erkennen auch der deutsche Gesetzgeber sowie der Bundesgerichtshof an, dass es sich bei Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren grundsätzlich um zwei unterschiedliche Verfahren handelt.243)

bb) Auslegungsfähigkeit des ursprünglichen Antrags 125 Ob der ursprüngliche Eröffnungsantrag ausschließlich auf die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens oder auch auf die Eröffnung eines Sekundärverfahrens gerichtet war und sich somit umdeuten ließe, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln.244) Der ___________ 237) Fehrenbach, IPRax 2009, 51, 54. 238) Fehrenbach, IPRax 2009, 51, 55; Herchen, Das Übereinkommen über Insolvenzverfahren, S. 40 f.; ders., EWiR 2009, 17 f.; Reinhart, NZI 2009, 73, 79; MüKoInsO/Reinhart, 2. Aufl. 2008, Art. 102 § 3 EGInsO Rn. 8 ff. 239) Siehe Laukemann, JZ 2009, 636, 639 Fn. 22. 240) Wimmer/Bornemann/Lienau, Die Neufassung der EuInsVO, Rn. 217. 241) Siehe MüKoInsO/Thole, Art. 102c § 3 EGInsO Rn. 14; Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 102c § 2 EGInsO Rn. 8. 242) MüKoInsO/Thole, 3. Aufl. 2016, Art. 102 § 3 EGInsO Rn. 10; dies übersieht MüKoBGB/ Kindler, Art. 3 EuInsVO Rn. 12. 243) BGH, Beschl. v. 29.5.2008 – IX ZB 102/07, BGHZ 177, 12, 16 Rn. 17 = ZIP 2008, 1338. 244) BT-Drucks. 18/10823, S. 28; K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 102c § 2 EGInsO Rn. 2; HK-InsO/Swierczok, Art. 102c § 2 EGInsO Rn. 3.

52

§ 5 Die Sperrwirkung des zuerst eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens

Eröffnungsantrag ist eine Prozesshandlung.245) Nach deutschem Recht können nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch Prozesshandlungen in entsprechender Anwendung des § 140 BGB umgedeutet werden.246) Die Umdeutung setzt stets eine unzulässige Parteihandlung voraus. Diese kann in eine zulässige, wirksame und vergleichbare umgedeutet werden, wenn deren Voraussetzungen eingehalten sind, die Umdeutung dem mutmaßlichen Parteiwillen entspricht und kein schutzwürdiges Interesse des Gegners entgegensteht.247) Zur Ermittlung des Parteiwillens wird das Gericht regelmäßig beim Antragsteller nachfragen müssen.248) Dies kann auch schon unmittelbar nach Eingang des Antrags und während dessen Prüfung geschehen. Hat das Gericht Zweifel an seiner Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO, kann sich zudem ein Hinweis an den Antragsteller anbieten, den Hauptinsolvenzantrag hilfsweise mit einem Antrag auf Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens zu verbinden.249)

cc) Zulässigkeit des umzudeutenden Antrags Die Fortführung des Verfahrens kommt nur in Betracht, wenn der im Wege der 126 Umdeutung gewonnene Antrag auf Eröffnung des Sekundärinsolvenzverfahrens zulässig war.250) Der hierfür maßgebliche Zeitpunkt kann nur der Zeitpunkt der prioritätsprinzipswidrigen (zweiten) Verfahrenseröffnung sein: Die Fortführung als Sekundärverfahren ist ohnehin nur möglich, wenn die zweite Verfahrenseröffnung trotz ihrer Fehlerhaftigkeit wirksam war.251) Die Wirkungen der prioritätsprinzipswidrigen Eröffnung werden in ein Sekundärverfahren übertragen – das rechtswidrig eröffnete Verfahren also gewissermaßen „geheilt“. Aufgrund der Wirksamkeit der fehlerhaften zweiten Verfahrenseröffnung erübrigt sich die Diskussion, ob die Wir___________ 245) BGH, Beschl. v. 11.3.2010 – IX ZB 110/09, ZIP 2010, 888; MüKoInsO/Vuia, § 13 Rn. 70; Uhlenbruck/Wegener, InsO, § 13 Rn. 57. 246) BGH, Urt. v. 1.6.1983 – IV b ZR 365/81, NJW 1983, 2200; BGH, Urt. v. 6.12.2000 – XII ZR 219/98, ZIP 2001, 305, 306 = NJW 2001, 1217, 1218; BGH, Beschl. v. 13.12.2006 – XII ZB 71/04, NJW 2007, 1460 Rn. 11. 247) BGH, Urt. v. 6.12.2000 – XII ZR 219/98, ZIP 2001, 305, 306 = NJW 2001, 1217, 1218; BGH, Beschl. v. 7.12.2010 – VIII ZB 14/10, NJW 2011, 1292 Rn. 9; BGH, Beschl. v. 28.4.2015 – VI ZB 36/14, NJW 2015, 2590 Rn. 7; BGH, Beschl. v. 28.9.2016 – XII ZB 487/15, BGHZ 212, 113 Rn. 28 = NJW 2017, 260; MüKoBGB/Busche, § 140 Rn. 10; Staudinger/ Roth, BGB (2020), § 140 Rn. 11. 248) K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 102c § 2 EGInsO Rn. 2. So etwa geschehen im Insolvenzverfahren über das Vermögen der NIKI Luftfahrt GmbH, AG Charlottenburg, Beschl. v. 23.1.2018 – 36n IE 6433/17, ZIP 2018, 240. Das deutsche Insolvenzgericht und der Schuldner standen im ständigen Austausch, siehe Horstkotte, ZInsO 2018, 310. 249) Lautenbach, NZI 2004, 384; Mankowski, NZI 2007, 360, 361; Mankowski/Müller/J. Schmidt/ Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 37 Rn. 37; siehe dazu AG München, Beschl. v. 5.2.2007 – 1503 IE 4317/06, ZIP 2007, 495 = NZI 2007, 358. 250) Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 102c § 2 EGInsO Rn. 9. 251) Hierzu sogleich Rn. 128 ff.

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Zweiter Teil: Die Folgen der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens

kungen des Sekundärverfahrens erst ex nunc im Zeitpunkt der Fortführung eintreten. Die Fortführung des Verfahrens vermeidet gerade dessen – ansonsten notwendige – Einstellung und damit die Aufhebung seiner Wirkungen. Die Eröffnungswirkungen bleiben vielmehr im Rahmen des Sekundärverfahrens bestehen. Maßgeblicher Zeitpunkt für Zulässigkeit des Antrags auf Eröffnung eines Sekundärverfahrens muss daher der Zeitpunkt sein, in dem die Wirkungen des Verfahrens eintreten – dies ist der Zeitpunkt der ursprünglichen (prioritätsprinzipswidrigen) Verfahrenseröffnung.252)

127 Besondere Bedeutung kommt im Rahmen der Zulässigkeit des Antrags der Antragsbefugnis zu.253) Die EuInsVO erklärt in Art. 37 Abs. 1 lit. a lediglich den Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens für antragsberechtigt. Ansonsten überlässt sie die Frage dem nationalen Recht. Für das deutsche Recht hat dies zur Folge, dass ein Sekundärinsolvenzverfahren – abgesehen vom ausländischen Hauptinsolvenzverwalter – lediglich von den Gläubigern beantragt werden kann (§ 354 Abs. 1 InsO). Insbesondere der Schuldner ist nicht antragsberechtigt.254) Im deutschen Recht ist die Möglichkeit der Fortführung eines prioritätsprinzipswidrig eröffneten Verfahrens und damit auch der Anwendungsbereich des Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 1. HS EGInsO daher von vornherein erheblich eingeschränkt: Hat ein deutsches Gericht das zweite prioritätsprinzipswidrige Verfahren auf den Eigenantrag des Schuldners hin eröffnet, scheidet nach den oben getroffenen Feststellungen eine Fortführung als Sekundärinsolvenzverfahren mangels Zulässigkeit des – umgedeuteten – Antrags von vornherein aus.255)

3.

Fortbestehende Wirkungen der prioritätsprinzipswidrigen Eröffnung

128 Die Fortführung als Sekundärverfahren setzt weiterhin voraus, dass die Wirkungen der prioritätsprinzipswidrigen Verfahrenseröffnung noch fortbestehen. Sie ist damit insbesondere ausgeschlossen, wenn die Verfahrenseröffnung entweder von vornherein rechtlich wirkungslos war oder wenn das rechtswidrig eröffnete Verfahren mitsamt seinen Wirkungen inzwischen eingestellt wurde. In diesen Fällen kommt statt einer Fortführung lediglich die Neueröffnung des Verfahrens als Sekundärverfah-

___________ 252) A. A. wohl Brinkmann in K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 102c § 2 EGInsO Rn. 3, der anmerkt, dass der Antragsteller seine Antragsbefugnis „nicht zwischenzeitlich verloren“ haben dürfe. 253) Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 102c § 2 EGInsO Rn. 9. 254) Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 102c § 2 EGInsO Rn. 9. Siehe oben Rn. 109 ff. 255) Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 102c § 2 EGInsO Rn. 9; auch schon KPB/ Kemper, InsO, Art. 102 § 3 EGInsO Rn. 8.

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§ 5 Die Sperrwirkung des zuerst eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens

ren in Betracht.256) Dies schränkt den Anwendungsbereich des Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 1. HS EGInsO ein zweites Mal erheblich ein. Diese Einschränkung ergibt sich sowohl aus Wortlaut und Systematik als auch aus 129 dem Telos der Norm. Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 EGInsO setzt ein prioritätsprinzipswidrig „eröffnetes“ Verfahren voraus, welches als Sekundärverfahren „fortzuführen“ ist. Liegen die Voraussetzungen für eine Fortführung nicht vor, ist es „einzustellen“. Keine Rede ist davon, ein bereits eingestelltes Verfahren als Sekundärverfahren neu zu eröffnen. Eine solche Regelung wäre auch überflüssig, da sich die Möglichkeit einer Neueröffnung als Sekundärverfahren bereits ohne Weiteres aus Art. 3 Abs. 3 und Art. 34 EuInsVO ergibt. Die Fortführungsmöglichkeit soll den Umgang mit einer zwar prioritätsprinzips- 130 widrigen, aber dennoch wirksamen Verfahrenseröffnung erleichtern. Sie soll verhindern, dass das Verfahren zunächst eingestellt und später als Sekundärverfahren neu eröffnet werden muss. Dies erkannte bereits das AG München in einer Entscheidung aus dem Jahre 2007:257) Nachdem ein niederländisches Gericht über das Vermögen des Schuldners infolge eines Eigenantrags ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet hatte, bestellte zwei Tage später auf Antrag eines Gläubigers auch das AG München einen vorläufigen Insolvenzverwalter. Das Münchner Gericht erkannte nachträglich die Sperrwirkung der niederländischen Entscheidung an und führte das Verfahren als Sekundärverfahren fort.258) Die Fortführung hat das Ziel, die Wirkungen der fehlerhaften Verfahrenseröffnung im Hoheitsbereich des Sekundärverfahrensstaats zu bewahren und in ein Sekundärverfahren zu übertragen. Hierfür besteht jedoch nur Bedarf, wenn noch Wirkungen der Verfahrenseröffnung bestehen, an die das als Sekundärverfahren fortzuführende Verfahren anknüpfen kann.

___________ 256) Diese Auffassung teilt die Begründung des Regierungsentwurfs zu Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 EGInsO. Diese differenziert zwischen der Fortführung und der (Neu-)Eröffnung eines Sekundärverfahrens: „Wenn der Antrag auch auf Eröffnung eines Sekundärverfahrens gerichtet ist und eine Zuständigkeit der deutschen Gerichte nach Art. 3 Abs. 2 der Neufassung besteht, kann ein Insolvenzverfahren nach Maßgabe der Artikel 34 bis 52 der Neufassung als Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet oder fortgeführt werden“, BT-Drucks. 18/10823, S. 28 (Hervorhebung hinzugefügt). 257) AG München, Beschl. v. 5.2.2007 – 1503 IE 4317/06, ZIP 2007, 495, 496 = NZI 2007, 358, 360, dazu EWiR 2007, 277 (K. Müller). 258) Etwas missverständlich war allerdings die Begründung des Gerichts: Ob die Verfahrenseröffnung „endgültig“ war oder nicht, spielt für die Frage nach der Einstellung oder Fortführung des Verfahrens keine Rolle. Irreführend ist daher die Formulierung, dass das Verfahren als Sekundärverfahren „eröffnet“ werde. Hiermit meinte das Gericht lediglich den Erlass des endgültigen Eröffnungsbeschlusses; im unionsrechtlichen Sinne „eröffnet“ wurde das deutsche Verfahren schließlich bereits durch die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung. Ebenso bereits AG Düsseldorf, Beschl. v. 12.3.2004 – 502 IN 1236/03, ZIP 2004, 623, 625: Hier erfolgten Einstellung des Hauptverfahrens und Eröffnung des Sekundärverfahren in einem Beschluss, sodass der Begriff der Fortführung des Verfahrens de facto zutrifft.

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Zweiter Teil: Die Folgen der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens

131 Die Fortführung ist daher – zum ersten – nur möglich, wenn das prioritätsprinzipswidrige Verfahren eröffnet wurde, bevor die vorherige ausländische Verfahrenseröffnung im nationalen Insolvenzregister des Eröffnungsstaats bekanntgemacht wurde. Nur in diesen Fällen ist die Verfahrenseröffnung trotz ihrer Fehlerhaftigkeit wirksam.259)

132 Zum zweiten darf das rechtswidrig eröffnete Verfahren inzwischen nicht wirksam eingestellt worden sein. Da die Durchführungsvorschriften des Art. 102c EGInsO das nationale Recht an die Vorschriften der EuInsVO anpassen, sind sie verordnungskonform auszulegen.260) Der Begriff der Verfahrenseröffnung richtet sich daher nach Art. 2 Nr. 7 EuInsVO und umfasst nicht nur den endgültigen Eröffnungsbeschluss, sondern bereits die Anordnung vorläufiger Sicherungsmaßnahmen.261) Werden letztere im „Eröffnungsverfahren“ nach der InsO aufgehoben, ist darin bereits die Einstellung des Insolvenzverfahrens im unionsrechtlichen Sinne zu verstehen. Schon hierdurch werden die Wirkungen des – nach dem Begriffsverständnis der EuInsVO eröffneten – Verfahrens beseitigt, sodass für eine Fortführung des Verfahrens als Sekundärverfahren kein Anknüpfungspunkt mehr besteht. In solchen Fällen ist es lediglich möglich, das Verfahren als Sekundärverfahren neu zu eröffnen.262)

133 Für diese Auffassung spricht auch die Begründung des Regierungsentwurfs zu Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 EGInsO. Sie differenziert zwischen der Fortführung und der (Neu-)Eröffnung eines Sekundärverfahrens: „Wenn der Antrag auch auf Eröffnung eines Sekundärverfahrens gerichtet ist und eine Zuständigkeit der deutschen Gerichte nach Art. 3 Abs. 2 der Neufassung besteht, kann ein Insolvenzverfahren nach Maßgabe der Artikel 34 bis 52 der Neufassung als Sekundärinsolvenzverfahren eröffnet oder fortgeführt werden“.263)

4.

Zwischenergebnis

134 Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass die Fortführung eines prioritätsprinzipswidrig eröffneten Verfahrens als Sekundärverfahren nach Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 1. HS EGInsO allenfalls unter äußerst engen Voraussetzungen in Betracht kommt. Sie setzt erstens voraus, dass dem fehlerhaft eröffneten Hauptinsolvenzverfahren ein Gläubigerantrag vorausging, da ein Eigenantrag des Schuldners mangels Antragsbefugnis nicht in einen zulässigen Antrag auf Eröffnung eines Sekundärverfahrens umgedeutet werden kann. Und zweitens muss die Verfahrenseröffnung trotz ihrer Rechtswidrigkeit nicht nur ursprünglich wirksam gewesen sein, sondern ___________ 259) Siehe hierzu oben Rn. 98 ff. 260) HK-InsO/Swierczok, Vor Art. 102c §§ 1 – 26 EGInsO Rn. 3; MüKoInsO/Thole, Vor Art. 102c EGInsO Rn. 11. 261) Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 102c § 2 EGInsO Rn. 5. 262) Siehe hierzu noch unten Rn. 152. 263) BT-Drucks. 18/10823, S. 28 (Hervorhebung hinzugefügt).

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§ 5 Die Sperrwirkung des zuerst eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens

darf auch nicht – auch nicht durch Aufhebung einer vorläufigen Sicherungsmaßnahme – inzwischen eingestellt worden sein. Die Anzahl der Fälle, in denen Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 1. HS EGInsO tatsächlich zur Anwendung kommt, dürfte daher äußerst gering ausfallen.

IV. Entscheidung des AG Charlottenburg vom 23. Januar 2018 Vor dem Hintergrund der voranstehenden Erwägungen verdient eine Entscheidung 135 des Amtsgerichts Berlin-Charlottenburg vom 23.1.2018 besondere Beachtung. Sie setzte den vorläufigen gerichtlichen Schlusspunkt im deutsch-österreichischen Kompetenzgerangel anlässlich des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der NIKI Luftfahrt GmbH. Nachdem das durch das AG Charlottenburg zunächst eröffnete Hauptinsolvenzverfahren aufgrund der fehlenden internationalen Zuständigkeit des Gerichts angefochten und aufgehoben wurde, eröffnete ein österreichisches Gericht ein neues Hauptinsolvenzverfahren. Das AG Charlottenburg beschloss elf Tage später unter Berufung auf Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 1. HS EGInsO, das ursprüngliche deutsche Hauptinsolvenzverfahren als Sekundärverfahren fortzuführen.264) Im Einzelnen:

1.

Überblick über das Verfahren NIKI Luftfahrt GmbH

Am 13.12.2017 stellte die NIKI Luftfahrt GmbH (im Folgenden: NIKI), eine Ge- 136 sellschaft österreichischen Rechts und zur Air Berlin-Gruppe gehörendes Unternehmen, Insolvenzantrag beim AG Berlin-Charlottenburg. Die wesentliche operative Gesellschaft der Air Berlin-Gruppe, die Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG (im Folgenden: Air Berlin), befand sich bereits seit Sommer 2017 ebenfalls im Insolvenzverfahren. Noch am Tage der Antragstellung bestellte das Amtsgericht den Sachwalter von Air 137 Berlin zum vorläufigen Verwalter von NIKI und eröffnete so ein Hauptinsolvenzverfahren im Sinne von Art. 2 Nr. 7 EuInsVO.265) Anfang Januar 2018 reichte eine österreichische Gläubigerin, gestützt auf Art. 5 Abs. 1 EuInsVO i. V. m. Art. 102c § 4 EGInsO, sofortige Beschwerde gegen die Anordnung der vorläufigen Verwaltung ein. International zuständig sei nicht das AG Charlottenburg, sondern das österreichische Landesgericht Korneuburg. Das COMI von NIKI liege nicht wie vom Gericht angenommen am Sitz der Konzernmutter in Berlin, sondern am Sitz von NIKI in Österreich. Das LG Berlin als Beschwerdegericht gab der Beschwerde am 8.1.2018 statt und hob den Beschluss des AG Charlottenburg und die angeordneten vorläufigen Sicherungsmaßnahmen auf.266)

___________ 264) AG Charlottenburg, Beschl. v. 23.1.2018 – 36n IE 6433/17, ZIP 2018, 240. 265) AG Charlottenburg, Beschl. v. 13.12.2017 – 36n IE 6433/17, ZIP 2018, 41. 266) LG Berlin, Beschl. v. 8.1.2018 – 84 T 2/18, ZIP 2018, 140.

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Zweiter Teil: Die Folgen der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens

138 Gegen die Aufhebungsentscheidung legte der vorläufige Verwalter von NIKI noch am selben Tag Rechtsbeschwerde beim Bundesgerichtshof ein. Bevor über die Rechtsbeschwerde entschieden werden konnte, eröffnete auf Antrag der beschwerdeführenden Gläubigerin am 12.1.2018 das österreichische Landesgericht Korneuburg ein (weiteres267)) Hauptinsolvenzverfahren über das Vermögen von NIKI in Österreich.268) Die eingesetzte österreichische Masseverwalterin bemühte sich umgehend um den Verkauf der schuldnerischen Gesellschaft. Nachdem in Rücksprache mit der österreichischen Verwalterin die in Deutschland anhängige Rechtsbeschwerde zurückgenommen wurde, leitete das AG Charlottenburg das bisherige deutsche Verfahren mit Beschluss vom 23.1.2018 in ein Sekundärinsolvenzverfahren über und führte es als solches fort.269)

2.

Fortführung eines Sekundärinsolvenzverfahrens durch das AG Charlottenburg

139 Das Amtsgericht Charlottenburg hielt sich im Rahmen seines Fortführungsbeschlusses vom 23.1.2018 für befugt, über den ursprünglichen Antrag der Schuldnerin vom 13.12.2017 zu befinden. Es war der Auffassung, das LG Berlin als Beschwerdegericht habe lediglich die vorläufigen Sicherungsmaßnahmen aufgehoben, ohne jedoch über den Eigenantrag der Schuldnerin zu entscheiden. Der entsprechende Antrag sei somit noch unerledigt. Zwar erkannte das Gericht die Sperrwirkung des inzwischen in Österreich eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens an. Allerdings habe die Schuldnerin klargestellt, in zweiter Linie auch die Eröffnung eines Sekundärverfahrens zu begehren. Eines neuerlichen Antrags bedürfe es daher nicht. Aus diesem Grund könne auch offenbleiben, ob die Schuldnerin ihre Antragsbefugnis vor dem Hintergrund der Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens in Österreich verloren habe. Die Fortführung des Insolvenzverfahrens als Sekundärverfahren ergebe sich stattdessen aufgrund einer von Amts wegen entsprechend Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 EGInsO vorzunehmenden Maßnahme.270)

140 Der Fortführung des Verfahrens stehe auch nicht der Wortlaut des Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 EGInsO entgegen, der von einem „eröffneten“ Verfahren ausgeht.271) Unter dem Begriff „eröffnetes Verfahren“ sei im Wege einer teleologisch extensiven Auslegung vielmehr jedes Verfahren zu verstehen, über dessen Antrag entweder fehlerhaft, also unter Verletzung des Prioritätsprinzips, oder aber noch gar nicht entschie___________ 267) Ausführlich zur Rechtmäßigkeit der Verfahrenseröffnung durch das LG Korneuburg siehe unten Rn. 471 ff. 268) LG Korneuburg, Beschl. v. 12.1.2018 – 36 S 5/18d – 3, ZIP 2018, 393. 269) AG Charlottenburg, Beschl. v. 23.1.2018 – 36n IE 6433/17, ZIP 2018, 240; für eine ausführliche Chronologie des Verfahrens siehe Horstkotte, ZInsO 2018, 310. 270) AG Charlottenburg, Beschl. v. 23.1.2018 – 36n IE 6433/17, ZIP 2018, 240 Ziff. 3. 271) Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 EGInsO: „Ein entgegen Satz 1 eröffnetes Verfahren […]“.

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§ 5 Die Sperrwirkung des zuerst eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens

den wurde. In seiner Argumentation verweist das Gericht auf die Begründung zum Regierungsentwurf. Demnach dürfe ein Insolvenzgericht, dem die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens verwehrt ist oder welches ein solches nicht hätte eröffnen dürfen, das Verfahren unter den entsprechenden Voraussetzungen als Sekundärverfahren eröffnen oder fortführen. Dies zeige, dass jedwede Form von noch anhängigem Verfahren erfasst werden solle. Die Voraussetzung der Anhängigkeit sah das Gericht als gegeben an, da schließlich nur über die vorläufigen Sicherungsmaßnahmen, nicht aber über den Insolvenzantrag rechtskräftig entschieden worden sei.272)

3.

Bewertung der Entscheidung

Die Entscheidung kann sowohl hinsichtlich ihres Ergebnisses als auch hinsichtlich 141 der vom Gericht gewählten Begründung nicht überzeugen.

a) Unzulässigkeit des Schuldnerantrags auf Eröffnung eines Sekundärverfahrens Das Amtsgericht Charlottenburg zieht zur Eröffnung des Sekundärverfahrens den Ei- 142 genantrag der Schuldnerin vom 13.12.2017 heran. Hierbei verkennt das Gericht zunächst, dass das deutsche Insolvenzrecht den Schuldner nicht zur Beantragung eines Sekundärverfahrens berechtigt. Der – vermeintlich noch unerledigte273) – Antrag der Schuldnerin lässt sich schon deshalb nicht zwecks Fortführung des Verfahrens in einen zulässigen Antrag auf Eröffnung eines Sekundärverfahrens umdeuten, da der Schuldnerin die entsprechende Antragsbefugnis fehlt. Das AG Charlottenburg problematisiert lediglich den etwaigen Verlust der Antragsberechtigung durch ein inzwischen im Ausland eröffnetes Hauptinsolvenzverfahren. Keine Erwähnung findet hingegen die Frage, ob ein Schuldner die Durchführung eines Sekundärverfahrens überhaupt selbst beantragen kann. Hiervon scheint das Gericht stillschweigend auszugehen. Wie bereits festgestellt wurde, steht nach Art. 37 Abs. 1 lit. b EuInsVO i. V. m. §§ 354 Abs. 1, 356 Abs. 2 InsO das Recht, in Deutschland ein Sekundärinsolvenzverfahren zu beantragen, jedoch allein dem ausländischen Hauptinsolvenzverwalter sowie den Gläubigern, nicht indes dem Schuldner selbst zu.274)

b) Verlust der etwaigen Antragsbefugnis durch österreichische Verfahrenseröffnung Darüber hinaus hätte die Schuldnerin – geht man entgegen der hier vertretenen Auf- 143 fassung einmal von ihrer ursprünglichen Antragsberechtigung aus – ihre Antragsbe___________ 272) AG Charlottenburg, Beschl. v. 23.1.2018 – 36n IE 6433/17, ZIP 2018, 240 Ziff. 1. 273) Hierzu sogleich Rn. 146 ff. 274) Siehe oben Rn. 109 ff. Ebenso K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 37 EuInsVO Rn. 7; Paulus, EuInsVO, Art. 37 Rn. 7; MüKoInsO/Vuia, § 13 Rn. 41.

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Zweiter Teil: Die Folgen der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens

fugnis spätestens mit der Eröffnungsentscheidung des österreichischen Landesgerichts Korneuburg am 12.1.2018 verloren. Die österreichische Entscheidung erkennt das AG Charlottenburg als Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens an.275) Die vom Gericht in der Folge vorgenommene Differenzierung zwischen der Wahrnehmung von Masseverwaltung, die der Schuldner verliere, und der Ausübung von Verfahrensrechten, die beim Schuldner verbleibe und wozu das Recht zur Beantragung eines Sekundärverfahrens gehöre, kann aus den bereits dargelegten Gründen nicht überzeugen. Die Eröffnung eines Sekundärverfahrens entzieht dem Hauptinsolvenzverfahren sämtliche im Sekundärverfahrensstaat belegene Massegegenstände. Im Gegensatz zu anderen – unzweifelhaft beim Schuldner verbleibenden – Verfahrensrechten hat sie masseschmälernde Wirkung und damit einen eindeutigen Massebezug. Eine fortbestehende Antragsbefugnis des Schuldners zur Eröffnung eines Sekundärverfahrens ist daher mit der universalen Beschlagswirkung des Hauptverfahrens nicht zu vereinbaren.276)

c)

Unmöglichkeit der Fortführung eines bereits eingestellten Verfahrens

144 Eine Fortführung des Verfahrens als Sekundärinsolvenzverfahren nach Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 1. HS EGInsO hätte jedoch nicht nur daran scheitern müssen, dass der ursprüngliche Antrag der Schuldnerin mangels Antragsbefugnis nicht in einen zulässigen Antrag auf Eröffnung eines Sekundärverfahrens hätte umgedeutet werden können: Die „Fortführung“ eines Verfahrens als Sekundär- oder unabhängiges Partikularverfahren ist bereits rein begrifflich nur möglich, solange seine Wirkungen noch bestehen.277)

145 Auch in seiner Auffassung, dass sich die „Fortführung des Verfahrens als Sekundärverfahren“ aufgrund einer von Amts wegen entsprechend Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 EGInsO vorzunehmenden Maßnahme ergebe,278) lag das Gericht daher falsch. Indem das LG Berlin als Beschwerdegericht die vorläufigen Sicherungsmaßnahmen aufhob, stellte es das im Sinne der EuInsVO eröffnete Insolvenzverfahren ein und hob dessen Wirkungen auf. Spätestens mit der Rücknahme der hiergegen eingelegten Rechtsbeschwerde wurde diese Entscheidung auch wirksam.279) Somit war der Anwendungsbereich des Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 EGInsO schon nicht mehr eröffnet, was das AG Charlottenburg indes überhaupt nicht problematisiert. Aufgrund ___________ 275) AG Charlottenburg, Beschl. v. 23.1.2018 – 36n IE 6433/17, ZIP 2018, 240 Ziff. 2. 276) Ebenso Smid, ZInsO 2018, 766, 770; Zipperer, ZIP 2018, 956, 961. Zum Verlust der etwaigen Antragsbefugnis durch die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens siehe ausführlich bereits oben Rn. 112 ff. 277) Siehe oben Rn. 128 ff. 278) AG Charlottenburg, Beschl. v. 23.1.2018 – 36n IE 6433/17, ZIP 2018, 240 Ziff. 3. 279) § 6 Abs. 3 InsO knüpft die Wirksamkeit einer Beschwerdeentscheidung an deren Rechtskraft. Die Geltung der Norm ist im Zusammenhang mit der Beschwerde aus Art. 5 Abs. 1 EuInsVO i. V. m. Art. 102c § 4 EGInsO allerdings äußerst fraglich. Siehe dazu ausführlich Rn. 471 ff.

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§ 5 Die Sperrwirkung des zuerst eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens

der Einstellung entfaltete das ursprünglich eröffnete Verfahren keine Wirkungen mehr, die im Wege einer Fortführung in ein Sekundärverfahren hätten übertragen werden können.280) Einzig möglich wäre die Neueröffnung des Verfahrens als Sekundärverfahren gewesen. Hierfür hätte es freilich eines erneuten – und zwar zulässigen – Antrags bedurft.

d) Ursprünglicher Eröffnungsantrag noch unerledigt? Auf den ursprünglichen Antrag der Schuldnerin hätte dabei – ungeachtet dessen 146 Unzulässigkeit mangels Antragsbefugnis – entgegen der Auffassung des Gerichts jedoch nicht zurückgegriffen werden dürfen. Das AG Charlottenburg nimmt fälschlicherweise an, über den Antrag der Schuldnerin vom 13.12.2017 sei noch nicht endgültig entschieden worden, weshalb dieser noch unerledigt sei. Es trifft zwar zu, dass das LG Berlin lediglich die Anordnung der vorläufigen Sicherungsmaßnahmen vom 13.12.2017 aufgehoben hat. Die Anordnung der vorläufigen (schwachen) Insolvenzverwaltung war jedoch bereits die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens im Sinne von Art. 2 Nr. 7 EuInsVO.281) Indem das Beschwerdegericht die vorläufige Sicherungsmaßnahme aufhob, stellte es das im unionsrechtlichen Sinne eröffnete Hauptinsolvenzverfahren wieder ein. Nun könnte man tatsächlich meinen, dass der ursprüngliche Antrag der Schuldnerin vom 13.12.2017 weiterhin anhängig blieb. Der Eröffnungsantrag nach § 13 InsO ist schließlich nicht auf die Anordnung vorläufiger Sicherungsmaßnahmen, sondern auf den Erlass eines endgültigen Eröffnungsbeschlusses nach § 27 InsO gerichtet. Über dessen Rechtmäßigkeit haben weder das Beschwerdegericht noch das Insolvenzgericht bisher ausdrücklich entschieden. Bliebe der Antrag anhängig und ließe er sich entsprechend umdeuten, könnte das Gericht auf dessen Grundlage erneut ein Insolvenzverfahren – und zwar dieses Mal ein Partikularinsolvenzverfahren – eröffnen. Im Anwendungsbereich der EuInsVO ist diese Sichtweise mit einer unionsrechtskon- 147 formen Auslegung des deutschen Verfahrensrechts jedoch nicht zu vereinbaren. Der unionsrechtliche Begriff der Verfahrenseröffnung nach Art. 2 Nr. 7 EuInsVO differenziert nicht zwischen der Anordnung bloß vorläufiger Sicherungsmaßnahmen gemäß § 21 InsO und dem endgültigen Eröffnungsbeschluss gemäß § 27 InsO. Erlässt ein Insolvenzgericht sofort den (endgültigen) Eröffnungsbeschluss, erledigt sich der Antrag. Wenn das Beschwerdegericht den Eröffnungsbeschluss anschließend kassiert und das Verfahren einstellt, kommt es nicht in Betracht, den Eröffnungsantrag als unerledigt zu betrachten und auf dessen Grundlage einfach noch einmal ein Partikularverfahren zu eröffnen. Die einheitliche Anwendung der Verordnung und die effektive Durchsetzung des Art. 5 Abs. 1 EuInsVO lassen es nicht zu, die Frage, ob der ursprüngliche Eröffnungsantrag trotz zwischenzeitlicher Einstellung des Insol___________ 280) Im Ergebnis ebenso Zipperer, ZIP 2018, 956, 961. 281) Ausdrücklich LG Berlin, Beschl. v. 8.1.2018 – 84 T 2/18, ZIP 2018, 140, 141. Siehe Rn. 168.

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Zweiter Teil: Die Folgen der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens

venzverfahrens nun gewissermaßen „recycelt“ werden kann, aufgrund der deutschen Besonderheit der §§ 21, 22 InsO von der zufälligen Entscheidung abhängig zu machen, ob der Anfechtende den endgültigen Eröffnungsbeschluss oder bereits die vorläufige Sicherungsmaßnahme angreift.

148 Dies gilt umso mehr, weil die „vorläufige“ Verfahrenseröffnung durch die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung eine Sonderregelung darstellt, von der zwar die deutschen Gerichte regelmäßig Gebrauch machen, die aber längst nicht alle mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen vorsehen.282) In Deutschland verdankt der häufige Rückgriff auf das Konstrukt der vorläufigen Insolvenzverwaltung seine Popularität dem – im Übrigen umstrittenen283) – Modell der Insolvenzgeldvorfinanzierung.284) Aus unionsrechtlicher Perspektive ist der Eröffnungsantrag auf die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gerichtet. Indem das Insolvenzgericht die vorläufige Insolvenzverwaltung anordnet und das Insolvenzverfahren im Sinne von Art. 2 Nr. 7 EuInsVO eröffnet, gibt es dem Antrag statt. Ob das Verfahren später durch den Eröffnungsbeschluss nach § 27 InsO auch nach nationalem Verständnis endgültig eröffnet wird, spielt für die Verordnung keine Rolle. Aus Sicht der EuInsVO wird über den Antrag bereits durch die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung entschieden, wodurch sich der Eröffnungsantrag nach § 13 InsO erledigt.

e)

Keine „teleologische Extension“ des Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 EGInsO

149 Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus einer „teleologischen Extension und genetischen Auslegung“ des Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 EGInsO. Da nach dem Wortlaut der Norm nur ein „eröffnetes Verfahren“ als Sekundärverfahren fortzuführen ist, behilft sich das AG Charlottenburg mit einem vermeintlichen Kunstgriff: Wie sich aus der Begründung zum Regierungsentwurf ergebe, seien vom Anwendungsbereich auch Anträge erfasst, über die „noch nicht entschieden“ wurde.285) Ein entsprechender Ansatz findet sich auch in der Literatur: Ausweislich der Begründung zum Regierungsentwurf – so wird geltend gemacht – sei auch ein Insolvenzgericht, dem die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens verwehrt ist, gehalten, durch Auslegung des Eröffnungsantrags zu ermitteln, ob dieser ausschließlich auf die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens oder auch auf die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens gerichtet sei.286) Diese Aussage in den Gesetzesmaterialen sei überflüssig, wollte Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 EGInsO nicht auch Fälle erfassen, in denen das Insolvenzverfahren noch nicht eröffnet wurde.287) ___________ 282) 283) 284) 285) 286) 287)

62

Siehe beispielsweise nur Frankreich, unten Rn. 217. Ausführlich Richter, Verschleppte Eröffnung von Insolvenzverfahren. Siehe dazu noch unten Rn. 183. AG Charlottenburg, Beschl. v. 23.1.2018 – 36n IE 6433/17, ZIP 2018, 240 Ziff. 3. HK-InsO/Swierczok, Art. 102c § 2 EGInsO Rn. 3. AG Charlottenburg, Beschl. v. 23.1.2018 – 36n IE 6433/17, ZIP 2018, 240 Ziff. 3.

§ 5 Die Sperrwirkung des zuerst eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens

Ob es überhaupt einer entsprechend weiten Auslegung des Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 150 EGInsO bedarf, sei für den Moment noch dahingestellt. Im konkreten, vom AG Charlottenburg zu entscheidenden Fall, ist sie jedoch nicht weiterführend: Erstens wurde, wie zuvor erörtert, bei der gebotenen unionsrechtskonformen Auslegung des deutschen Verfahrensrechts bereits mit Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung auch über den Eröffnungsantrag entschieden. Zweitens scheint das Gericht von einem unzutreffenden Begriff der Verfahrenseröffnung auszugehen. Indem es ausführt, dass „‚[e]röffnetes Verfahren’ in diesem Sinne […] jedes Verfahren [ist], über dessen zugrunde liegenden Antrag fehlerhaft, d. h. unter Verletzung der Sperre gem. Art. 19 Abs. 1 EuInsVO, oder noch nicht entschieden ist“,288) legt es seiner Argumentation den nationalen Eröffnungsbegriff des § 27 InsO zugrunde. Nach diesem Verständnis war das deutsche Verfahren in der Tat nie eröffnet. Wie bereits dargelegt, ist der Begriff der Eröffnung jedoch im Sinne der Verordnung zu verstehen.289) Ein eröffnetes Verfahren nach Art. 2 Nr. 7 EuInsVO setzt gerade keinen endgültigen Eröffnungsbeschluss voraus, sondern lässt auch die Anordnung einer vorläufigen Insolvenzverwaltung genügen. Sobald das Insolvenzgericht am 13.12.2017 die entsprechende vorläufige Sicherungsmaßnahme erließ, handelte es sich somit um ein „eröffnetes Verfahren“. Einer „teleologischen Extension“ hätte es somit schon gar nicht bedurft, um Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 EGInsO zur Anwendung zu bringen. Darüber hinaus ist die weite Auslegung des Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 EGInsO auch 151 im Allgemeinen abzulehnen. Dass die Begründung zum Regierungsentwurf die Konstellation erwähnt, in der dem Insolvenzgericht infolge der Sperrwirkung die Eröffnung als Hauptinsolvenzverfahren verwehrt ist, ist auch bei dem hier zugrunde gelegten Verständnis der Norm keineswegs überflüssig. Vielmehr geht der Erklärungsgehalt der Begründung zum Regierungsentwurf über den Anwendungsbereich des Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 EGInsO hinaus. Sie unterscheidet zwischen zwei Fällen: Ist dem Gericht die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens verwehrt, kann es das Verfahren als Sekundärinsolvenzverfahren eröffnen (Fall 1). Hätte das Gericht das Verfahren nicht eröffnen dürfen und bestehen seine Wirkungen noch fort, kann es als Sekundärverfahren fortgeführt werden (Fall 2). Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 EGInsO erfasst lediglich den zweiten Fall. Für den ersten Fall – das Verfahren ist noch überhaupt nicht eröffnet oder bereits wieder eingestellt – erübrigt sich hingegen jegliche Regelung: Wie sich aus der EuInsVO eindeutig ergibt, kann das Gericht ein Sekundärinsolvenzverfahren nach Art. 3 Abs. 3, Art. 34 EuInsVO eröffnen, sofern die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen. Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 EGInsO will und muss diese Konstellation offensichtlich nicht erfassen.

___________ 288) AG Charlottenburg, Beschl. v. 23.1.2018 – 36n IE 6433/17, ZIP 2018, 240 Ziff. 3. 289) Ebenso Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 102c § 2 EGInsO Rn. 5; Zipperer, ZIP 2018, 956, 961.

63

Zweiter Teil: Die Folgen der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens

f)

Einzige Möglichkeit: Neueröffnung des Verfahrens als Sekundärverfahren

152 Die Entscheidung des AG Charlottenburg, das Verfahren als Sekundärinsolvenzverfahren fortzuführen, war folglich in vielerlei Hinsicht falsch. Stattdessen wäre allein eine Neueröffnung des – zwischenzeitlich eingestellten – Verfahrens als Sekundärverfahren möglich gewesen. Diese Neueröffnung hätte jedoch eines erneuten zulässigen Antrags bedurft. Vom Schuldner hätte das Sekundärverfahren mangels Befugnis nicht beantragt werden können. Ein Sekundärverfahren dient dem Schutz inländischer Interessen und lokaler Gläubiger und fungiert darüber hinaus als Unterstützung für das Hauptverfahren zwecks einer effizienten Verwaltung der Masse.290) Sein Ziel ist hingegen nicht, die Interessen des Schuldners zu wahren. Vor diesem Hintergrund besteht kein Bedürfnis, dem Schuldner ein Antragsrecht einzuräumen.291)

V. Zwischenergebnis 153 Eine gegen die Sperrwirkung verstoßende Eröffnung eines „zweiten“ Hauptinsolvenzverfahrens ist nicht per se unwirksam. Das grundsätzlich bestehende Bedürfnis nach Rechtssicherheit und Vertrauensschutz in die Wirksamkeit auch von rechtswidrigen Entscheidungen ist jedoch nicht mehr zu rechtfertigen, wenn die zweite Verfahrenseröffnung erfolgte, nachdem die erste Eröffnungsentscheidung im nationalen Insolvenzregister des Eröffnungsstaats öffentlich bekannt gemacht wurde. Dies schafft Anreize, möglichst schnell auf die öffentliche Bekanntmachung der Verfahrenseröffnung hinzuwirken und somit die Publizitätsanforderungen der Art. 24 ff. EuInsVO zu erfüllen. Auf die Kenntnis des prioritätsprinzipswidrig eröffnenden Gerichts kommt es daher nicht an.

154 Die Wirkungen eines prioritätsprinzipswidrig eröffneten Verfahrens sind grundsätzlich so schnell wie möglich zu beseitigen. Die EuInsVO erlaubt jedoch, das Verfahren als Sekundärinsolvenzverfahren mit national beschränkten Wirkungen fortzuführen, sofern die entsprechenden Voraussetzungen dafür gegeben sind. Soll dies auf Basis des ursprünglichen, auf die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens gerichteten Antrags geschehen, muss der Antrag zulässig sein. Mangels Antragsbefugnis zur Eröffnung eines Sekundärverfahrens kommt hierfür ein ursprünglicher Eigenantrag des Schuldners nicht in Betracht. Zudem müssen die Wirkungen des prioritätsprinzipswidrig eröffneten Verfahrens noch fortbestehen. Dies ist nicht der Fall, wenn das Verfahren eingestellt wurde; etwa durch die Aufhebung einer vorläufigen Insolvenzverwaltung. Ist das prioritätsprinzipswidrige Verfahren bereits „tot“, scheidet eine Fortführung aus. In diesen Fällen kann das Verfahren allenfalls als Sekundärverfahren neu eröffnet werden. ___________ 290) Erwägungsgründe 40, 42, 43, 45, 46, 48 EuInsVO. 291) Siehe dazu oben Rn. 112 ff. Wie hier bereits Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 102c § 2 EGInsO Rn. 9; Zipperer, ZIP 2018, 956, 691; ebenso schon KPB/Kemper, InsO, Art. 102 § 3 EGInsO Rn. 8.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO § 6 Das Bedürfnis für die Schaffung eines „Europäischen Rechtsbehelfs“ Die Ursprungsfassung der Europäischen Insolvenzverordnung trat am 31. Mai 2002 155 in Kraft.292) Bereits kurze Zeit später kam von verschiedenen Seiten immer wieder Kritik an einer uneinheitlichen Handhabung des COMI-Prinzips sowie der unzureichenden Überprüfung der internationalen Eröffnungszuständigkeit innerhalb der Mitgliedstaaten auf.293) Die Untersuchungen und Analysen im Vorfeld der Reform der Verordnung griffen die geäußerten Kritikpunkte auf.294) So beanstandete etwa ein vorbereitender Bericht der Kommission, dass insbesondere Gläubiger nicht nach jedem nationalen Recht die Möglichkeit haben, die Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit Rechtsmitteln anzugreifen.295) Ausgehend von den weitreichenden Anerkennungsfolgen des Art. 16 Abs. 1 EuInsVO 156 2000 (Art. 19 Abs. 1 EuInsVO 2015), die der EuGH in der Eurofood-Enscheidung bestätigte,296) forderten einzelne Stimmen in der Literatur bereits früh einen einheitlichen europäischen Rechtsbehelf gegen die Verfahrenseröffnung.297) Dieser müsse insbesondere Gläubigern zustehen: Die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit und die damit verknüpfte Frage nach dem anwendbaren (Insolvenz-)Recht sei für die Gläubigerrechte von erheblicher Bedeutung.298) Aus diesem Grund sei es untragbar, die Existenz eines Rechtsbehelfs von dem nationalen Insolvenzrecht des Staates der Verfahrenseröffnung abhängig zu machen. Schließlich sei der Ort der Verfahrens-

___________ 292) Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren. 293) Andres/Grund, NZI 2007, 137, 140; Jacoby, GPR 2007, 200, 201 f.; Kebekus, ZIP 2007, 84 ff.; Lautenbach, NZI 2004, 384, 385 ff.; Lüer, FS Greiner, S. 201, 202; Mankowski, EWiR 2003, 767; Mansel, FS Hoffmann, S. 683, 687; McCormack, 68 Cambridge Law Journal (2009), 169, 185 f.; Møller/McGovern/Schaffer/Venditto, 6 CRI (2015), 223; Paulus, EWiR 2003, 709, 710; Piekenbrock, IPRax 2018, 536, 537; Sabel, NZI 2004, 126; Vallender, NZI 2007, 129; Weller/Thomale/Benz, NJW 2016, 2378, 2380. Siehe hierzu bereits oben Rn. 53 ff. 294) Commission Staff Working Document, Impact Assessment accompanying the Revision of Regulation (EC) No. 1346/2000 on Insolvency Proceedings, SWD(2012) 416, S. 19; Hess/ Oberhammer/Pfeiffer, Heidelberg-Luxembourg-Vienna-Report, Rn. 51 und 478. 295) Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates v. 29.5.2000 über Insolvenzverfahren, COM(2012) 743 final, S. 12. 296) EuGH, Urt. v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04, ZIP 2006, 907 Rn. 39, 42 – Eurofood. Zum Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung siehe bereits oben Rn. 66 ff. 297) Menjucq, Rev. proc. coll. 2008, étude 1, Rn. 14; Kübler, FS Gerhardt, S. 527, 561. Kritisch ob des einem Rechtsbehelf innewohnenden Verzögerungspotentials Lüer, FS Greiner, S. 201, 211; Mankowski, BB 2006, 1753, 1756. 298) Siehe zu diesem Punkt ebenfalls Freitag/Korch, ZIP 2016, 1849, 1851.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

eröffnung gerade streitig und werde deshalb angefochten.299) Die Folge von in Existenz und Umfang erheblich divergierenden Rechtsbehelfsmöglichkeiten gegen die Verfahrenseröffnung je nach Mitgliedstaat seien zufällige und unbillige Ergebnisse.300)

A. Regelung des Art. 5 EuInsVO 157 Diese Kritik hat der europäische Gesetzgeber aufgegriffen und im Wege der Neufassung der EuInsVO ein prozessuales Werkzeug geschaffen, womit sich die internationale Zuständigkeit eines Gerichts, welches ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet hat, nachträglich überprüfen lässt: Art. 5 Abs. 1 EuInsVO berechtigt den Schuldner oder jeden Gläubiger, die Entscheidung zur Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens vor Gericht aus Gründen der internationalen Zuständigkeit anzufechten. Art. 5 Abs. 2 stellt zusätzlich klar, dass die Entscheidung auch von anderen als den in Absatz 1 genannten Verfahrensbeteiligten oder aus anderen Gründen als einer mangelnden internationalen Zuständigkeit angefochten werden kann, wenn das jeweilige nationale Recht eine solche Möglichkeit vorsieht.

158 Der Begriff der Anfechtung ist im weiteren Sinne einer gerichtlichen Überprüfung zu verstehen, wie sich spätestens aus den verschiedenen Amtssprachen ergibt.301) Als echtes Sachrecht begründet die Norm einen autonom-unionsrechtlichen und unmittelbar gültigen Rechtsbehelf, der als Teil einer Verordnung keiner nationalen Umsetzung bedarf (Art. 288 Unterabs. 2 AEUV).302) Freilich trifft Art. 5 EuInsVO nur sehr begrenzte Aussagen hinsichtlich des neu geschaffenen europäischen Rechtsbehelfs und seiner Voraussetzungen. Festgehalten werden können im Wesentlichen vier Punkte: ___________ 299) Menjucq, Rev. proc. coll. 2008, étude 1, Rn. 14: „C’est, à notre sens, ne pas tirer toutes les conséquences des mécanismes du droit communautaire ou du droit international privé que de procéder ainsi. Même si les recours doivent être exercés selon le droit national du juge ayant ouvert la procédure selon l’arrêt Eurofood, on ne peut pas faire dépendre la compétence internationale ou communautaire d’un tribunal, ou la qualité des personnes pouvant la contester, du régime des procédures nationales ouvertes par le tribunal dont la compétence est ainsi discutée. Indépendamment du régime de la procédure collective ouverte, il convient de ménager aux créanciers une voie de recours, variable dans sa forme en application du droit national, afin qu’ils puissent contester la compétence du tribunal dont le fondement, en matière de procédures d’insolvabilité communautaires, n’est pas une norme nationale mais l’article 3 du règlement CE n° 1346/2000.“ Menjucq schlägt eine Lösung über Art. 6 EMRK vor. 300) Kübler, FS Gerhardt, S. 527, 561. Aus diesem Grund regten Duursma/Duursma-Kepplinger, DZWIR 2003, 447, 450, an, über etwaige national-rechtliche Beschränkungen, wie z. B. die restriktive Aktivlegitimation in § 34 Abs. 1 InsO, hinwegzusehen und stattdessen allen Personen ein Beschwerderecht einzuräumen, deren rechtliche Interessen durch die Verfahrenseröffnung betroffen sind. 301) Engl.: „challenge“; frz.: „attaquer“; ital.: „impugnare“; span.: „impugnar“. 302) CERIL Report 2018-1, S. 2; Fritz, DB 2015, 1882, 1885; Mankowski/Müller/J. Schmidt/ Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 5 Rn. 1; Bork/van Zwieten/Ringe, EIR, Art. 5 Rn. 5.01; MüKoInsO/Thole, Art. 5 EuInsVO Rn. 2; Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 5 Rn. 2.

66

§ 6 Das Bedürfnis für die Schaffung eines „Europäischen Rechtsbehelfs“

I.

„Entscheidung zur Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens“

Der Anfechtungsgegenstand ist eng begrenzt. Anfechtbar ist nur die positive „Ent- 159 scheidung zur Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens“. Der Begriff der Eröffnungsentscheidung ist im Sinne von Art. 2 Nr. 7 EuInsVO zu verstehen. Demnach bezeichnet der Ausdruck „Entscheidung zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens i) die Entscheidung eines Gerichts zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder zur Bestätigung der Eröffnung eines solchen Verfahrens und ii) die Entscheidung eines Gerichts zur Bestellung eines Verwalters“. Der unionsrechtliche Begriff der Eröffnungsentscheidung ist somit nicht auf den 160 förmlichen Eröffnungsbeschluss beschränkt, sondern erfasst mit der Bestellung eines Verwalters sowie der Bestätigung einer Verfahrenseröffnung zwei weitere gerichtliche Entscheidungen.303) Zurückzuführen ist dieses erweiterte Verständnis auf die Eurofood-Entscheidung des EuGH. Dort führte der Gerichtshof aus, dass „als ‚Eröffnung eines Insolvenzverfahrens’ im Sinne der Verordnung [EuInsVO 2000] nicht nur eine Entscheidung zu verstehen [ist], die in dem für das Gericht, das die Entscheidung erlassen hat, geltenden Recht des Mitgliedstaats förmlich als Eröffnungsentscheidung bezeichnet wird, sondern auch die Entscheidung, die infolge eines auf die Insolvenz des Schuldners gestützten Antrags auf Eröffnung eines in Anhang A der Verordnung genannten Verfahrens ergeht, wenn diese Entscheidung den Vermögensbeschlag gegen den Schuldner zur Folge hat und durch sie ein in Anhang C der Verordnung genannter Verwalter bestellt wird“.304) Die im Wege der Neufassung überarbeitete Definition der Eröffnungsentscheidung in Art. 2 Nr. 7 EuInsVO geht über diese Rechtsprechung insoweit noch hinaus, indem sie bereits die bloße Verwalterbestellung genügen lässt, ohne dass das Schuldnervermögen beschlagnahmt wird.305) Anhang C macht dabei deutlich, dass selbst die Bestellung eines vorläufigen Verwalters – etwa im deutschen Eröffnungsverfahren – ausreicht. Gegenstand des Rechtsbehelfs aus Art. 5 Abs. 1 EuInsVO ist in diesen Fällen aus- 161 schließlich die vorläufige Verwalterbestellung. Erfolgt diese lediglich als vorläufige Sicherungsmaßnahme (vgl. § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO), auf die zu einem späteren Zeitpunkt noch ein formeller Eröffnungsbeschluss (vgl. § 27 InsO) folgt, so ist gegen den späteren Eröffnungsbeschluss der Rechtsbehelf nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO nicht mehr statthaft. Denn die EuInsVO ermöglicht nur ein einmaliges Vorgehen

___________ 303) Vallender/Sutschet, EuInsVO, Art. 2 Rn. 19. 304) EuGH, Urt. v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04, ZIP 2006, 907 Rn. 54 – Eurofood (Ergänzungen hinzugefügt). 305) Vallender/Sutschet, EuInsVO, Art. 2 Rn. 20; Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 5 Rn. 4.

67

Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

gegen die Eröffnungsentscheidung, und eröffnet im Sinne der Verordnung wird das Verfahren bereits durch die Bestellung eines vorläufigen Verwalters.306)

162 Die Anfechtung nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO kann ausschließlich „aus Gründen der internationalen Zuständigkeit“ erfolgen. Der Rechtsbehelf ermöglicht also lediglich den Einwand, dass das COMI des Schuldners nicht in dem Staat der Verfahrenseröffnung liegt. Diese Beschränkung folgt bereits aus dem Regelungsbereich der EuInsVO: Regelungsgegenstand der Verordnung sind lediglich solche Fragen, die sich gerade daraus ergeben, dass sich insolvenzrechtliche Tatbestände über die Geltungsbereiche verschiedener nationaler Rechtsordnungen erstrecken. Hierzu gehört auch die internationale Eröffnungszuständigkeit (Art. 3 ff. EuInsVO). Rein innerstaatliche Verfahrensfragen, wie etwa die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit, beurteilen sich nach dem jeweiligen nationalen Verfahrensrecht (vgl. Erwägungsgrund 26 EuInsVO).307)

II. Anfechtungsberechtigung 163 Anfechtungsberechtigt sind „der Schuldner oder jeder Gläubiger“. Diese weit gefasste Beschwerdeberechtigung gilt zunächst einmal unabhängig davon, ob das anwendbare nationale Recht den jeweiligen Verfahrensbeteiligten eine Anfechtungsmöglichkeit zugesteht. Der Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 EuInsVO macht die Aktivlegitimation hingegen nicht von weiteren Voraussetzungen abhängig, wie etwa dem Vorliegen einer Beschwer oder einer Mindesthöhe der Gläubigerforderung.308)

III. Überprüfung „vor Gericht“ 164 Die Anfechtung hat „vor Gericht“ zu erfolgen. Hier gilt die engere Definition des Art. 2 Nr. 6 Ziff. i EuInsVO, wonach der Begriff des Gerichts nur Justizorgane eines Mitgliedstaates umfasst (Gericht im institutionellen Sinne).309) Über den Erfolg des Rechtsbehelfs muss also zwingend nach rechtsstaatlichen Grundsätzen durch ein staatliches Gericht entschieden werden, unabhängig davon, ob die Verfahrenseröff___________ 306) Zutreffend daher der entsprechende Hinweis in BGH, Beschl. v. 28.1.2020 – IX ZB 86/19, ZInsO 2020, 401 Rn. 10; vorher bereits Deyda, ZInsO 2018, 221, 229; ähnlich Thole, ZIP 2018, 401, 406. 307) Keller, ZInsO 2020, 1617; Bork/van Zwieten/Ringe, EIR, Art. 5 Rn. 5.10; Vallender/Vallender/ Zipperer, EuInsVO Art. 5 Rn. 13; Wimmer/Bornemann/Lienau, Die Neufassung der EuInsVO, Rn. 264. 308) Ausführlich zur Anfechtungsberechtigung im Rahmen von Art. 5 EuInsVO siehe unten Rn. 293 ff. 309) Im Gegensatz dazu gilt im Rahmen von Art. 2 Nr. 7 EuInsVO („Entscheidung zur Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens“) die weiter gefasste Definition des Art. 2 Nr. 6 Ziff. ii EuInsVO: Danach fällt unter den Begriff des Gerichts auch jede sonstige zuständige Stelle eines Mitgliedstaats, die befugt ist, ein Insolvenzverfahren zu eröffnen, die Eröffnung eines solchen Verfahrens zu bestätigen oder im Rahmen dieses Verfahrens Entscheidungen zu treffen (Gericht im funktionalen Sinne).

68

§ 6 Das Bedürfnis für die Schaffung eines „Europäischen Rechtsbehelfs“

nung eine „sonstige zuständige Stelle“ im Sinne des weiten, funktionalen Gerichtsbegriffs des Art. 2 Nr. 6 Ziff. ii EuInsVO vorgenommen hat.310)

IV. Verhältnis zu weitergehenden nationalen Regelungen Eine ergänzende Aussage trifft Art. 5 Abs. 2 EuInsVO. Demnach bleiben weiterge- 165 hende nationale Regelungen unberührt. Dies gilt in doppelter Hinsicht: Nach nationalem Recht können Eröffnungsentscheidungen erstens auch von weiteren Personen, bei denen es sich weder um den Schuldner noch um Gläubiger handelt, und zweitens auch aus anderen Gründen als der fehlenden internationalen Zuständigkeit angefochten werden.

V. Überblick über offene Fragen Abgesehen von diesen rudimentären Informationen lässt Art. 5 EuInsVO erhebliche 166 Lücken. Insbesondere hinsichtlich der prozessualen Ausgestaltung des Rechtsbehelfs bleiben viele Fragen offen. So trifft die Verordnung keine Aussagen über Frist, Verfahren und Instanzenzug. Ist die Einlegung des Rechtsbehelfs jederzeit oder nur innerhalb eines bestimmten Zeitraums möglich? Welches Gericht hat über den Erfolg des Rechtsbehelfs zu entscheiden? Kann gegen diese Beschwerdeentscheidung ein erneuter Rechtsbehelf eingelegt werden? Auch zu den Wirkungen der Anfechtung schweigt die Verordnung. Kommt der Rechtsmitteleinlegung ein Suspensiveffekt zu? Unklarheit herrscht darüber hinaus hinsichtlich der Auswirkungen einer dem Rechtsbehelf stattgebenden Entscheidung. Ist das zu Unrecht eröffnete Verfahren einzustellen und wenn ja, mit welchen Wirkungen? Bleiben bereits erfolgte Verfahrenshandlungen – etwa des Insolvenzverwalters – wirksam? Diesen offenen Fragen wird im Verlauf dieser Arbeit nachzugehen sein.

B. Status quo ante: Nationale Rechtsbehelfe gegen die Eröffnungsentscheidung vor Inkrafttreten der neuen EuInsVO Zunächst sind jedoch die Hintergründe der neuen Bestimmung des Art. 5 Abs. 1 167 EuInsVO näher zu betrachten. Dabei stellt sich die Frage, ob – und wenn ja aus welchen Gründen – ein Bedürfnis für einen europäischen Rechtsbehelf zur Rüge der fehlenden internationalen Zuständigkeit des Insolvenzgerichts besteht. Bevor näher auf die Motive eingegangen wird, die den europäischen Gesetzgeber zur Schaffung der Neuregelung bewogen haben, soll – gewissermaßen rückblickend – der Status quo ante dargestellt werden. Um den im Vorfeld der Reform der Verordnung geltend gemachten Missständen nachzugehen und die an der Ursprungsfassung geäußerte Kritik in ihrer Substantiiertheit zu überprüfen, nimmt diese Arbeit zunächst die Rechtsordnungen einiger ausgewählter Mitgliedstaaten in den Blick. Im Wege einer ___________ 310) Wimmer/Bornemann/Lienau, Die Neufassung der EuInsVO, Rn. 264.

69

Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

rechtsvergleichenden Untersuchung wird dargestellt, welche Rechtsbehelfe die Rechtsordnungen dreier ausgewählter Mitgliedstaaten – Deutschland, Österreich und Frankreich – bereits vor Inkrafttreten der neuen EuInsVO, und somit losgelöst von der Regelung des Art. 5, gegen „die Entscheidung zur Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens“ vorgesehen haben und weiterhin vorsehen. So sollen eventuelle Rechtsschutzlücken ermittelt werden, die Art. 5 EuInsVO in der Lage ist zu schließen.

168 Ausgehend von der Neuregelung des Art. 5 EuInsVO muss der Begriff der Eröffnungsentscheidung dabei im Sinne von Art. 2 Nr. 7 EuInsVO verstanden und autonom ausgelegt werden. Wie bereits erläutert, umfasst die „Entscheidung zur Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens“ somit nicht nur die förmliche (und endgültige) Eröffnungsentscheidung, sondern darüber hinaus auch die Bestellung eines – wenn auch nur vorläufigen – Verwalters sowie die gerichtliche Bestätigung einer Verfahrenseröffnung.311)

I.

Deutschland

169 Für das deutsche Insolvenzrecht hat das autonome Begriffsverständnis zur Folge, dass sich die „Entscheidung zur Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens“ im Sinne der EuInsVO nicht auf den Eröffnungsbeschluss gemäß § 27 InsO beschränkt. Bereits die Bestellung eines vorläufigen Verwalters312) als Sicherungsmaßnahme im Eröffnungsverfahren (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO) stellt per definitionem eine Eröffnungsentscheidung gemäß Art. 2 Nr. 7 EuInsVO dar.

170 Die deutsche Insolvenzordnung sieht sowohl gegen den Eröffnungsbeschluss als solchen als auch bereits gegen die Bestellung eines vorläufigen Verwalters als Sicherungsmaßnahme im Eröffnungsverfahren den Rechtsbehelf der sofortigen Beschwerde (§§ 567 ff. ZPO) vor.313) ___________ 311) Siehe oben Rn. 160. 312) Der Begriff des Verwalters im Sinne von Art. 2 Nr. 5 EuInsVO erfasst ausdrücklich auch den vorläufigen Verwalter, siehe auch Anhang B der EuInsVO. Gleiches gilt im Übrigen für die Bestellung eines vorläufigen Sachwalters in der vorläufigen Eigenverwaltung (§ 270a Abs. 1 Satz 2 InsO), da die Anwendbarkeit der EuInsVO die Öffentlichkeit des Verfahrens voraussetzt; allerdings nur, wenn die Bestellung des vorläufigen Sachwalters öffentlich bekanntgemacht wird, siehe K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 1 EuInsVO Rn. 8; Vallender/Vallender, EuInsVO, Art. 1 Rn. 23; Zipperer, ZIP 2018, 956, 957. Aus der durch die Bekanntmachung gewährleisteten Öffentlichkeit folgt die Anwendbarkeit der EuInsVO und nicht etwa umgekehrt aus der Anwendung der EuInsVO die Pflicht zu öffentlichen Bekanntmachung (so aber HK-InsO/Laroche, § 23 Rn. 2; Paulus, EuInsVO, Art. 2 Rn. 9): Ansonsten würde die „bewusst getroffene Entscheidung des Verordnungsgebers gegen die Einbeziehung vertraulicher Verfahren sowie für die Aufwertung der öffentlichen Bekanntmachung im Rahmen der Ausbildung eines europäischen Netzwerks internetbasierter Insolvenzregister unterlaufen“ werden, siehe Wimmer/Bornemann/ Lienau, Die Neufassung der EuInsVO, Rn. 97, 105. 313) Die gewährten Rechtsmittel gegen Entscheidungen über die Stundung der Verfahrenskosten (§ 4d InsO), den Erlass oder die Ablehnung der Aufhebung von Haftbefehlen (§ 20 Abs. 1 Satz 2, § 98 Abs. 3, § 21 Abs. 3 Satz 3, § 22 Abs. 3 Satz 3 InsO) sowie die Anordnung der vorläufigen Postsperre (§ 21 Abs. 2 Nr. 4, § 99 Abs. 3 InsO) sind hier nicht von Bedeutung.

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§ 6 Das Bedürfnis für die Schaffung eines „Europäischen Rechtsbehelfs“

1.

Rechtsbehelf gegen den Eröffnungsbeschluss gemäß § 34 Abs. 2 InsO

Mit dem Erlass des Eröffnungsbeschlusses (§ 27 InsO) beendet das Insolvenzgericht 171 (§ 2 InsO) das sog. Eröffnungsverfahren, in dem es die Zulässigkeit und Begründetheit des Insolvenzantrags geprüft hat, und beschließt die Einleitung des eigentlichen Insolvenzverfahrens mit all seinen Wirkungen.314) Rechtsmittel gegen den Eröffnungsbeschluss sind in § 34 InsO geregelt.

a) Alleinige Beschwerdeberechtigung des Schuldners Nach § 34 Abs. 2 InsO steht allein dem Schuldner die sofortige Beschwerde gegen 172 den Eröffnungsbeschluss zu. Die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde setzt allgemein voraus, dass der Be- 173 schwerdeführer durch die angegriffene Entscheidung – also in concreto durch den Eröffnungsbeschluss – in rechtlich erheblicher Weise beschwert ist.315) Dabei ist zwischen formeller Beschwer (Abweichung der angefochtenen Entscheidung vom Antrag) und materieller Beschwer (Einschränkung der Rechtsstellung) zu unterscheiden.316) Nach allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsätzen muss der Antragsteller in formeller Weise beschwert sein.317) Daraus wird nach überwiegender Auffassung geschlussfolgert, dass der Schuldner im Falle eines Eigenantrags mangels (formeller) Beschwer grundsätzlich nicht beschwerdeberechtigt sei.318) Dies gelte sogar dann, wenn daneben auch ein Gläubiger einen Eröffnungsantrag gestellt habe.319) Obwohl der BGH grundsätzlich am Erfordernis einer formellen Beschwer des Antrag- 174 stellers festhält, lässt er Ausnahmen zu. So soll im Einzelfall auch eine – beim Schuldner stets vorliegende – materielle Beschwer für die Beschwerdeberechtigung ausrei___________ 314) Zu nennen ist vor allem der Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf den Insolvenzverwalter, § 80 Abs. 1 InsO. 315) MüKoInsO/Busch, § 34 Rn. 69; Zöller/Heßler, ZPO, Vor § 511 Rn. 8 ff. Grundlegend zum Erfordernis der Beschwer u. a. Bettermann, ZZP 82 (1969), 24; Brox, ZZP 81 (1968), 379; Gerhardt, FS Uhlenbruck, S. 75; Kahlke, ZZP 94 (1981), 423. 316) Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, Vorb § 511 Rn. 18 f. 317) BGH, Urt. v. 5.1.1955 – IV ZR 238/54, NJW 1955, 545; BGH, Beschl. v. 18.1.2007 – IX ZB 170/06, ZIP 2007, 499; OLG Koblenz, Urt. v. 11.12.1992 – 2 U 911/92, NJW-RR 1993, 462. 318) BGH, Beschl. v. 18.1.2007 – IX ZB 170/06, ZIP 2007, 499; BGH, Beschl. v. 17.7.2008 – IX ZB 225/07, ZIP 2008, 1793 Rn. 5 ff.; BGH, Beschl. v. 26.1.2012 – IX ZB 213/11, NZI 2012, 274; OLG Celle, Beschl. v. 28.4.1999 – 2 W 36/99, ZIP 1999, 1605; OLG Köln, Beschl. v. 10.12.2001 – 2 W 154/01, NZI 2002, 101; OLG Stuttgart, Beschl. v. 30.9.1999 – 8 W 111/99, NZI 1999, 491; HambKommInsO/Denkhaus, § 34 Rn. 17; HK-InsO/Laroche, § 34 Rn. 8; KPB/Pape, InsO, § 34 Rn. 90 ff.; Pape, ZIP 1989, 1029, 1031 ff. 319) BGH, Beschl. v. 9.2.2012 – IX ZB 248/11, ZIP 2012, 998 Rn. 5 f. Kritisch zum Erfordernis der (formellen) Beschwer MüKoInsO/Busch, § 34 Rn. 69; Graf-Schlicker/Graf-Schlicker/Kexel, InsO, § 34 Rn. 25 ff.; Jaeger/Schilken, InsO, § 34 Rn. 26; außerdem Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 7.55, der als Argument die einschneidenden und persönlichen Wirkungen der Verfahrenseröffnung für den Schuldner anführt.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

chen, wenn Sinn und Zweck des Rechtsbehelfs dies gebieten. Das sei etwa der Fall, wenn sich der Schuldner nach gestelltem Eigenantrag auf den nachträglichen Wegfall eines Eröffnungsgrundes beruft.320) Vorausgesetzt ist dabei stets, dass die Verbesserung seiner Vermögenslage zwar nach Antragstellung, aber noch vor Verfahrenseröffnung eingetreten ist. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen eines Eröffnungsgrundes ist nämlich der Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses.321) Dafür spricht auch § 27 Abs. 2 Nr. 3 InsO, wonach der Eröffnungsbeschluss die Stunde der Eröffnung angeben muss.322) Wird das Insolvenzverfahren aufgrund eines Fremdantrags eröffnet, folgt daraus stets die in diesem Fall ausreichende materielle Beschwer des Schuldners als Antragsgegner; tritt er dem Antrag entgegen, ist er (zusätzlich) sogar formell beschwert.323)

175 Die Beschwerde des Schuldners nach § 34 Abs. 2 InsO muss sich gegen die Verfahrenseröffnung als solche richten.324) Grundsätzlich steht es dem Schuldner nicht zu, den Rechtsbehelf gegen den Eröffnungsbeschluss allein mit dem Ziel der Verfahrenseröffnung unter anderen Bedingungen einzulegen. So herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass der Ausspruch über den festgestellten Eröffnungsgrund325), der Eröffnungszeitpunkt326), die Auswahl des Verwalters327) und die Art des Verfahrens328) ___________ 320) BGH, Beschl. v. 18.1.2007 – IX ZB 170/06, ZIP 2007, 499 = NJW-RR 2007, 765; BGH, Beschl. v. 9.2.2012 – IX ZB 248/11, ZInsO 2012, 504 Rn. 13; ebenso OLG Koblenz, Beschl. v. 30.7.1991 – 4 W 356/91, ZIP 1991, 1604 f. 321) Grundlegend BGH, Beschl. v. 27.7.2006 – IX ZB 204/04, BGHZ 169, 17 Rn. 8 ff. = ZIP 2006, 1957, 1958 f. = NJW 2006, 3553 m. Anm. Gundlach, NJW 2006, 3556 = NZI 2006, 693 m. Anmerkung Frenzel/Schirrmeister, NZI 2006, 696; BGH, Beschl. v. 18.1.2007 – IX ZB 170/06, NJW-RR 2007, 765 Rn. 14; BGH, Beschl. v. 12.7.2007 – IX ZB 32/07, BeckRS 2007, 12368; bestätigt durch BGH, Beschl. v. 21.7.2011 – IX ZB 256/10, ZIP 2011, 1971; MüKoInsO/Busch, § 34 Rn. 78; K. Schmidt/Keller, InsO, § 34 Rn. 44. 322) BGH, Beschl. v. 27.7.2006 – IX ZB 204/04, BGHZ 169, 17 Rn. 11; HK-InsO/Laroche, § 34 Rn. 22. 323) BGH, Beschl. v. 15.7.2004 – IX ZB 172/03, ZIP 2004, 1727; MüKoInsO/Busch, § 34 Rn. 69; MüKoInsO/Ganter/Bruns, § 6 Rn. 32. 324) HambKommInsO/Denkhaus, § 34 Rn. 12; Graf-Schlicker/Graf-Schlicker/Kexel, InsO, § 34 Rn. 19; Stamer, Das System der Rechtsbehelfe im Insolvenzverfahren, S. 81. 325) MüKoInsO/Busch, § 34 Rn. 67; HambKommInsO/Denkhaus, § 34 Rn. 12; Uhlenbruck/Pape, InsO, § 34 Rn. 20. 326) LG Duisburg, Beschl. v. 13.2.2002 – 7 T 7/02, ZInsO 2002, 990; MüKoInsO/Busch, § 34 Rn. 67; HK-InsO/Laroche, § 34 Rn. 9; KPB/Pape, InsO, § 34 Rn. 84; Jaeger/Schilken, InsO, § 34 Rn. 22. 327) LG Halle, Beschl. v. 27.9.2004 – 2 T 213/04, ZInsO 2004, 663; LG Münster, Beschl. v. 2.5.2002 – 5 T 426/02, ZInsO 2002, 777; LG Potsdam, Beschl. v. 10.9.2002 – 5 T 984/01, ZInsO 2005, 501; MüKoInsO/Busch, § 34 Rn. 67, 81; HambKommInsO/Denkhaus, § 34 Rn. 12; Graf-Schlicker/Graf-Schlicker/Kexel, InsO, § 34 Rn. 19; K. Schmidt/Keller, InsO, § 34 Rn. 24; Jaeger/Schilken, InsO, § 34 Rn. 22; siehe auch BVerfG, Beschl. v. 23.5.2006 – 1 BvR 2530/04, ZIP 2006, 1355, 1357. 328) Keine Beschwerde gegen die Ablehnung der Eigenverwaltung bei entsprechendem Antrag des Schuldners, BGH, Beschl. v. 11.1.2007 – IX ZB 10/05, ZIP 2007, 448 Rn. 7 ff. Zulässig ist jedoch die Beschwerde gegen ein eröffnetes Regelinsolvenzverfahren, obwohl ein Verbraucherinsolvenzverfahren beantragt wurde, BGH, Beschl. v. 25.4.2013 – IX ZB 179/10, ZIP 2013, 1139 Rn. 9.

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§ 6 Das Bedürfnis für die Schaffung eines „Europäischen Rechtsbehelfs“

nicht Gegenstand der Beschwerde sein können. In diesen Fällen ist der Schuldner zwar beschwert, es fehlt jedoch am – neben der Beschwer zusätzlich erforderlichen – Rechtsschutzbedürfnis.329) Das Rechtsschutzbedürfnis ist unter anderem in Fällen zu verneinen, in denen der Beschwerdeführer mit der Beschwerde nicht die Beseitigung gerade derjenigen Beschwer verfolgt, derentwegen das Rechtsmittel statthaft ist.330) Ebenso wenig kann der Schuldner die fehlende örtliche Zuständigkeit des eröffnenden Insolvenzgerichts rügen, was sich aus § 571 Abs. 2 Satz 2 ZPO ergibt.331) Sinn und Zweck der im Rahmen der Zivilprozessreform von 2002 neu eingeführten Vorschrift ist, dass die (inhaltlich zutreffende) Sachentscheidung des eröffnenden Gerichts aus prozessökonomischen Gründen nicht allein deshalb aufgehoben werden kann, weil es seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat.332) Trotz seines offenen Wortlauts schließt § 571 Abs. 2 Satz 2 ZPO indes nicht die Be- 176 schwerde wegen der fehlenden internationalen Zuständigkeit des Insolvenzgerichts aus. Diese konnte der Schuldner auch bereits vor Einführung des neuen Art. 5 EuInsVO nach ständiger Rechtsprechungspraxis stets rügen.333) Die prozessökonomischen und prozessbeschleunigenden Gründe, aufgrund derer § 571 Abs. 2 Satz 2 ZPO – und seine Parallelvorschriften im Rahmen der Berufung (§ 513 Abs. 2 ZPO), der Revision (§ 545 Abs. 2 ZPO) und der Rechtsbeschwerde (§ 576 Abs. 2 ZPO) – die Rüge der fehlenden örtlichen, sachlichen und funktionellen Zuständigkeit ausschließen, gelten hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit nicht: Letztere ist von ungleich größerer Bedeutung als die zuvor erwähnten (innerdeutschen) Zuständigkeiten, da sie die Abgrenzung zu den Souveränitätsrechten anderer Staaten betrifft. Zudem entscheidet die internationale Zuständigkeit nicht nur über die Anwendung des Verfahrensrechts, sondern auch über das anwendbare materielle Insolvenzrecht. Ihr kommt im Gegensatz zur Zuständigkeitsabgrenzung zwischen – zumindest unterstellt – „gleichwertigen“ deutschen Gerichten vor dem Hintergrund der Verteilung der Insolvenz___________ 329) Zur Abgrenzung zwischen Beschwer und Rechtsschutzbedürfnis siehe MüKoInsO/Ganter/ Bruns, § 6 Rn. 35 f.; Kahlke, ZZP 94 (1981), 423, 438 ff. 330) MüKoInsO/Ganter/Bruns, § 6 Rn. 35. 331) BGH, Beschl. v. 9.12.2004 – IX ZB 24/04, NZI 2005, 184 (zu § 576 Abs. 2 ZPO); BGH, Urt. v. 22.2.2005 – KZR 28/03, NJW 2005, 1660, 1661 (zu § 513 Abs. 2 ZPO); OLG Celle, Beschl. v. 24.1.2001 – 2 W 124/00, ZIP 2001, 468 ff.; OLG München, Beschl. v. 21.1.2014 – 34 AR 277/13, ZIP 2014, 741; MüKoInsO/Busch, § 34 Rn. 77; MüKoInsO/Ganter/Bruns, § 3 Rn. 32; Jaeger/Gerhardt, InsO, § 3 Rn. 45; K. Schmidt/Keller, InsO, § 34 Rn. 34; Uhlenbruck/ Pape, InsO, § 34 Rn. 12; Stamer, Das System der Rechtsbehelfe im Insolvenzverfahren, S. 101; HK-InsO/Sternal, § 3 Rn. 29; a. A. Jaeger/Schilken, InsO, § 34 Rn. 23. 332) BT-Drucks. 14/4722, S. 94, 113. 333) Zuletzt BGH, Beschl. v. 18.9.2018 – IX ZB 77/17, NZI 2018, 997. Außerdem BGH, Beschl. v. 14.6.1965 – GSZ 1/65, BGHZ 44, 46 = NJW 1965, 1665 (zu § 549 Abs. 2 ZPO a. F.); BGH, Urt. v. 28.11.2002 – III ZR 102/02, BGHZ 153, 82, 84 ff. = NJW 2003, 426, 427 (zu § 545 Abs. 2 ZPO); BGH, Urt. v. 27.5.2003 – IX ZR 203/02, ZIP 2003, 1419 (zu § 545 Abs. 2 ZPO); BGH, Urt. v. 16.12.2003 – XI ZR 474/02, BGHZ 157, 224 = ZIP 2004, 428 (zu § 513 Abs. 2 ZPO); BGH, Beschl. v. 4.10.2005 – VII ZB 9/05, NJW-RR 2006, 198, 199 (zu § 576 Abs. 2 ZPO).

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

masse und der Gläubigerbefriedigung somit ein erhebliches Gewicht zu.334) Die – bereits vor Inkrafttreten der Neufassung der EuInsVO von Amts wegen zu prüfende335) – Entscheidung über die internationale Zuständigkeit kann der Schuldner daher im Wege der sofortigen Beschwerde angreifen.336)

b) Keine Beschwerdeberechtigung der Gläubiger 177 Eine Beschwerdeberechtigung der Gläubiger gegen den Eröffnungsbeschluss kannte das deutsche Insolvenzrecht vor Inkrafttreten der Neufassung der EuInsVO und der Einführung von Art. 5 EuInsVO nicht. Der Wortlaut des § 34 Abs. 2 InsO ist insoweit eindeutig. Gläubiger können auch dann nicht gegen den Eröffnungsbeschluss vorgehen, wenn sie durch die Verfahrenseröffnung Rechte verlieren, etwa weil sie ihre titulierten Forderungen nicht mehr im Wege der Einzelzwangsvollstreckung durchsetzen können.337) Der gesetzliche Ausschluss eines Rechtsmittels stellt keinen Verstoß gegen die aus Art. 19 Abs. 4 GG und dem Rechtsstaatsprinzip herzuleitende Garantie effektiven Rechtsschutzes dar.338) Es handelt sich vielmehr um das Ergebnis einer vom Gesetzgeber vorzunehmenden Wertungsentscheidung, bei der das Rechtsschutzbedürfnis einzelner Gläubiger mit der Effektivität des Insolvenzverfahrens in Ausgleich zu bringen ist.339)

178 Vor Inkrafttreten der Neufassung der EuInsVO war es Gläubigern nach deutschem Insolvenzrecht folglich auch nicht möglich, die fehlende internationale Zuständigkeit des eröffnenden Gerichts zu rügen. Zwar sieht Art. 102 § 3 Abs. 1 Satz 3 EGInsO einen Rechtsbehelf gegen den Eröffnungsbeschluss eines deutschen Gerichts für den Fall vor, dass bereits vorher ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet hat. Dieser Rechtsbehelf steht jedoch – neben dem Schuldner – nur dem Verwalter des bereits anhängigen ausländischen Verfahrens zu. Die Gläubiger sind somit auch dann nicht beschwerde___________ 334) BGH, Urt. v. 28.11.2002 – III ZR 102/02, BGHZ 153, 82, 84 ff. = NJW 2003, 426, 427. 335) Siehe nur BGH, Beschl. v. 21.06.2007 – IX ZB 51/06, NZI 2008, 121 Rn. 11; BGH, Beschl. v. 1.12.2011 – IX ZB 232/10, ZIP 2012, 139 Rn. 10. 336) Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 513 Rn. 7; MüKoInsO/Busch, § 34 Rn. 77; HambKommInsO/ Denkhaus, § 34 Rn. 11; MüKoZPO/Hamdorf, § 571 Rn. 11; HK-InsO/Laroche, § 34 Rn. 18; Prütting/Gehrlein/Lohmann, ZPO, § 571 Rn. 5; Schoppmeyer, FS Pape, S. 373, 378; a. A. wohl Emde, EWiR 2003, 495, 496. 337) BGH, Beschl. v. 30.3.2006 – IX ZB 36/05, BeckRS 2006, 5077 zu LG Zweibrücken, Beschl. v. 20.1.2005 – 4 T 230/04, NZI 2005, 397; LG Potsdam, Beschl. v. 6.9.2001 – 5 T 317/00, DZWIR 2002, 43; AG Duisburg, Beschl. v. 10.12.2002 – 62 IN 190/02, NZI 2003, 160; AG Köln, Beschl. v. 22.8.2005 – 71 IN 426/05, ZIP 2005, 1975. 338) BGH, Beschl. v. 30.3.2006 – IX ZB 36/05, BeckRS 2006, 5077 Rn. 6; K. Schmidt/Keller, InsO, § 34 Rn. 17; Jaeger/Schilken, InsO, § 34 Rn. 19. Zur Verfassungsmäßigkeit des gleichlautenden § 109 1. HS KO siehe BVerfG, Beschl. v. 23.1.1990 – 1 BvL 4/87, BVerfGE 81, 228 = NJW 1990, 1902. 339) Brinkmann, FS Schilken, S. 631, 637; MüKoInsO/Busch, § 34 Rn. 2; Jaeger/Schilken, InsO, § 34 Rn. 4; Schwerdtfeger/Schilling, DZWIR 2005, 370, 371.

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§ 6 Das Bedürfnis für die Schaffung eines „Europäischen Rechtsbehelfs“

befugt, wenn sie ihrerseits Insolvenzantrag in einem anderen Mitgliedstaat gestellt haben.340) Ein im Widerspruch zu einem ausländischen Hauptinsolvenzverfahren eröffnetes Verfahren ist gemäß Art. 102 § 3 Abs. 1 Satz 2 EGInsO von Amts wegen einzustellen. Lediglich gegen diese Einstellungsentscheidung sind auch die Gläubiger nach Maßgabe des Art. 102 § 4 Abs. 1 Satz 3 EGInsO beschwerdeberechtigt. Eine analoge Anwendung des Art. 102 § 3 Abs. 1 Satz 3 EGInsO im Sinne einer Er- 179 streckung der Beschwerdeberechtigung auch auf Gläubiger ist ebenso abzulehnen wie die (analoge) Ausdehnung des Art. 102 § 4 Abs. 1 Satz 3 EGInsO auf die Eröffnungsentscheidung.341) In beiden Fällen fehlt es an einer erforderlichen Regelungslücke.342) In der Tat hat sich das deutsche Recht mit Einführung des Art. 102 § 3 Abs. 1 Satz 3 EGInsO bewusst dazu entschieden, die eng gefasste Beschwerdebefugnis des § 34 Abs. 2 InsO lediglich auf den ausländischen Verwalter auszudehnen.343) Auch Art. 102 § 4 Abs. 1 Satz 3 EGInsO folgt konsequent der bereits in § 34 InsO deutlich werdenden Systematik, dass ein Rechtsbehelf für Gläubiger nur gegen die Verfahrenseinstellung vorgesehen ist. Nur in diesem Fall erkennt der deutsche Gesetzgeber eine schützenswerte Interessensgefährdung auf Gläubigerseite an.344) Ist das Verfahren erst einmal eröffnet, wird die vorgesehene Gläubigerbeteiligung nach Verfahrenseröffnung (durch Gläubigerversammlung und Gläubigerausschuss) zur Wahrung der Gläubigerrechte für ausreichend erachtet.345)

c)

Beschwerdeverfahren

Die sofortige Beschwerde (§§ 567 ff. ZPO) ist gemäß § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO 180 binnen einer Notfrist von zwei Wochen spätestens ab öffentlicher Bekanntmachung (§ 30 Abs. 1 InsO) der Eröffnungsentscheidung einzulegen, §§ 6 Abs. 2, 9 Abs. 3 InsO. Bei vorheriger gesonderter Zustellung an den Empfänger (§ 30 Abs. 2 InsO) beginnt die Frist schon früher zu laufen.346) Die Beschwerde ist schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle (§ 569 Abs. 2 ZPO) bei dem das Verfahren eröffnenden Insolvenzgericht einzureichen, § 6 Abs. 1 Satz 2 InsO. Das Insolvenzgericht kann ___________ 340) LG Hamburg, Beschl. v. 18.8.2005 – 326 T 34/05, ZIP 2005, 1697; HambKommInsO/ Denkhaus, § 34 Rn. 15; K. Schmidt/Keller, InsO, § 34 Rn. 17; HK-InsO/Laroche, § 34 Rn. 7; KPB/Pape, InsO, § 34 Rn. 81. 341) LG Hamburg, Beschl. v. 18.8.2005 – 326 T 34/05, ZIP 2005, 1697; Schwerdtfeger/Schilling, DZWIR 2005, 370, 372. 342) LG Hamburg, Beschl. v. 18.8.2005 – 326 T 34/05, ZIP 2005, 1697. 343) Siehe die Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/16, S. 15; ebenso Schwerdtfeger/ Schilling, DZWIR 2005, 370, 371. 344) Siehe auch die Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 15/16, S. 15. 345) Siehe LG Hamburg, Beschl. v. 18.8.2005 – 326 T 34/05, ZIP 2005, 1697. 346) BGH, Beschl. v. 20.3.2003 – IX ZB 140/02, ZIP 2003, 768; BGH, Beschl. v. 5.11.2009 – IX ZB 173/08, NZI 2010, 159; MüKoInsO/Busch, § 34 Rn. 12; HK-InsO/Laroche, § 34 Rn. 14; Uhlenbruck/Pape, InsO, § 9 Rn. 5, § 34 Rn. 21; HK-InsO/Sternal, § 9 Rn. 10.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

der Beschwerde einerseits selbst abhelfen (§ 572 Abs. 1 ZPO). Die Abhilfeentscheidung wäre als Zurückweisung des Eröffnungsantrags ihrerseits anfechtbar (§ 34 Abs. 1 InsO). Für den Fall der Nichtabhilfe hat das Beschwerdegericht – das Landgericht, zu dessen Bezirk das Insolvenzgericht gehört (§ 72 GVG) – über den Rechtsbehelf zu entscheiden. Der eingelegten Beschwerde kommt grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung zu (§ 570 Abs. 1 ZPO).347) Etwas anderes gilt nur, wenn das Insolvenzgericht oder das Beschwerdegericht die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung – also etwa des Eröffnungsbeschlusses – aussetzt oder aber sonstige Anordnungen trifft (§ 570 Abs. 2 und 3 ZPO).348)

181 Hilft nicht schon das Insolvenzgericht der Beschwerde ab, hebt das Beschwerdegericht im Erfolgsfall den Eröffnungsbeschluss auf. Wirksamkeit kommt der Aufhebungsentscheidung nach § 6 Abs. 3 InsO jedoch erst mit deren (formeller) Rechtskraft zu. Das Beschwerdegericht kann allerdings die sofortige Wirksamkeit seines Aufhebungsbeschlusses anordnen. Die (rechtskräftige) Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses wirkt ex tunc, sie lässt alle mit der Verfahrenseröffnung verbundenen Wirkungen rückwirkend entfallen. Der Schuldner wird so gestellt, als ob er niemals die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen verloren hätte. Von ihm nach Verfahrenseröffnung vorgenommene Rechtsgeschäfte sind somit wirksam.349)

182 Gegen die Entscheidung des Beschwerdegerichts kann als erneutes Rechtsmittel die Rechtsbeschwerde eingelegt werden (§§ 574 ff. ZPO). Nach Aufhebung des § 7 InsO350) findet auch für insolvenzrechtliche Rechtsbeschwerden § 574 Abs. 1 Nr. 2 ___________ 347) BGH, Urt. v. 13.1.1975 – VII ZR 220/73, BGHZ 64, 1 = NJW 1975, 692; BGH, Urt. v. 11.4.2013 – IX ZR 122/12, ZIP 2013, 998; MüKoInsO/Ganter/Bruns, § 6 Rn. 51; HK-InsO/ Sternal, § 6 Rn. 32. 348) Zwar kann der Eröffnungsbeschluss außer Vollzug gesetzt werden, die kraft Gesetzes eintretenden Wirkungen (vgl. §§ 80, 89, 91 InsO) bleiben davon aber unberührt. Gehemmt wird lediglich die Verwaltung und Verwertung des Schuldnervermögens durch den Insolvenzverwalter, siehe MüKoInsO/Ganter/Bruns, § 6 Rn. 51. Die Aussetzung der Vollziehung des Eröffnungsbeschlusses kommt regelmäßig nur dann in Betracht, wenn durch die Vollziehung dem Beschwerdeführer größere Nachteile drohen als den übrigen Beteiligten im Falle der Aufschiebung der vom Insolvenzgericht beschlossenen Maßnahme, BGH, Beschl. v. 28.1.2020 – IX ZB 86/19, ZInsO 2020, 401. 349) MüKoInsO/Busch, § 34 Rn. 87 f.; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 7.55, 7.57a; HK-InsO/Laroche, § 34 Rn. 40; Uhlenbruck/Pape, InsO, § 34 Rn. 30; Jaeger/Schilken, InsO, § 34 Rn. 29. Trotz der ex tunc-Wirkung des Aufhebungsbeschlusses schreibt § 34 Abs. 3 Satz 3 InsO vor, dass die Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters wirksam bleiben. Dies dient dem Schutz des Rechtsverkehrs, der auf die Wirksamkeit von Handlungen eines ordnungsgemäß ernannten Verwalters vertrauen darf. Zu dadurch denkbaren kollidierenden Rechtsgeschäften aufgrund der doppelten Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis siehe Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 7.57b. Vorrangig sei die „Amtspriorität“ des Verwalters. Ebenso u. a. bereits BGH, Urt. v. 10.6.1959 – V ZR 204/57, BGHZ 30, 173, 176 = NJW 1959, 1873; MüKoInsO/Busch, § 34 Rn. 96; HambKommInsO/Denkhaus, § 34 Rn. 23; K. Schmidt/Keller, InsO, § 34 Rn. 55; KPB/Pape, InsO, § 34 Rn. 114; Uhlenbruck/Pape, InsO, § 34 Rn. 32. 350) Durch Art. 2 des Gesetzes zur Änderung des § 522 ZPO vom 21.10.2011 (BGBl. I, S. 2082) mit Wirkung vom 27.10.2011.

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§ 6 Das Bedürfnis für die Schaffung eines „Europäischen Rechtsbehelfs“

ZPO Anwendung. Demnach ist die Rechtsbeschwerde nur statthaft, falls sie vom Beschwerdegericht zugelassen wurde.351) In diesem Fall ist die Rechtsbeschwerde innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des anzufechtenden Beschlusses einzulegen und binnen eines weiteren Monats zu begründen (§ 575 Abs. 1 und 2 ZPO). Rechtsbeschwerdegericht ist der Bundesgerichtshof (§ 133 GVG), dieser wäre im Falle einer Frage die Auslegung des Unionsrechts betreffend vorlagepflichtig nach Art. 267 Abs. 3 AEUV.

2.

Rechtsbehelf gegen die Anordnung vorläufiger Maßnahmen gemäß § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO

In Deutschland besteht die Besonderheit, dass zwischen dem Insolvenzantrag und 183 der Entscheidung über den Antrag, also Ablehnung oder Eröffnung des Insolvenzverfahrens, häufig viel Zeit vergeht.352) Ein Grund hierfür ist die sogenannte „Insolvenzgeldvorfinanzierung“: Die Bundesagentur für Arbeit kompensiert den Arbeitnehmern nach § 165 Abs. 1 Satz 1 SGB III Lohnausfälle, die sie innerhalb von drei Monaten vor Verfahrenseröffnung erlitten haben. Diesen, erst mit Verfahrenseröffnung entstehenden, Anspruch können die Arbeitnehmer im Voraus (und nach Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit353)) an eine finanzierende Bank verkaufen und abtreten (§ 170 SGB III). Somit wird die Betriebsfortführung während des sogenannten Eröffnungsverfahrens faktisch zu großen Teilen aus dem Insolvenzgeld bezahlt.354) Um diese Liquiditätsquelle maximal auszuschöpfen, erstreckt sich das Eröffnungsverfahren nicht selten über volle drei Monate.355) Zudem kann die Prüfung der Eröffnungsvoraussetzungen, insbesondere des Eröffnungsgrundes oder der Zulänglichkeit der Insolvenzmasse zur Deckung der Verfahrenskosten, einige Zeit in Anspruch nehmen.356) ___________ 351) Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 3 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 ZPO zuzulassen, wenn die Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung ist oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert, siehe dazu Kirchhof, ZInsO 2012, 16. 352) Smid, NZI 2009, 150, 153. 353) Wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass durch die Vorfinanzierung der Arbeitsentgelte ein erheblicher Teil der Arbeitsplätze erhalten bleibt (§ 170 Abs. 4 Satz 2 SGB III). Die Zweckmäßigkeit des Zustimmungsvorbehalts stark anzweifelnd Parzinger, Fortführungsfinanzierung in der Insolvenz, S. 50; Richter, NJW 2018, 982, 984. 354) Die Insolvenzgeldvorfinanzierung gehört zum „selbstverständlichen Instrumentarium eines jeden Verwalters“, Kilger, KTS 1989, 495, 499. Ebenso Parzinger, Fortführungsfinanzierung in der Insolvenz, S. 18; FK-InsO/Schmerbach, § 22 Rn. 106 ff.; Uhlenbruck/Vallender, InsO, § 22 Rn. 178. 355) Hunold, NZI 2015, 785, 788; Lautenbach, NZI 2004, 384, 385; Paulus, DStR 2003, 1709; Richter, NJW 2018, 982, 985; Siemon, ZInsO 2014, 625, 630. Kritsch dazu Richter, Verschleppte Eröffnung von Insolvenzverfahren, S. 204 ff. 356) BGH, Beschl. v. 22.3.2007 – IX ZB 164/06, ZIP 2007, 878 Rn. 9; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 7.34.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

184 Zum Schutz vor Verschlechterungen der Vermögenslage des Schuldners während dieser Zeit wird das Insolvenzgericht häufig vorläufige Sicherungsmaßnahmen nach § 21 Abs. 1 und 2 InsO anordnen. Die in der Praxis wichtigste Maßnahme stellt dabei die Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters dar (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO). Verbunden wird die Verwaltereinsetzung gegebenenfalls mit der Anordnung eines Verfügungsverbots (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 InsO) oder eines Zustimmungsvorbehalts (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO). Im ersten Fall spricht man von einem sog. „starken“ vorläufigen Verwalter (siehe auch § 22 Abs. 1 InsO), im zweiten Fall von einem „schwachen“ vorläufigen Verwalter (§ 22 Abs. 2 InsO).

185 Wie Art. 2 Nr. 7 i. V. m. Art. 2 Nr. 5 und Anhang B EuInsVO klarstellen, ist auch die Bestellung eines vorläufigen Verwalters eine Eröffnungsentscheidung im Sinne des Unionsrechts. Ob es sich um einen „schwachen“ oder einen „starken“ vorläufigen Verwalter handelt, spielt inzwischen keine Rolle mehr. Die EuInsVO erkennt vielmehr die Bestellung jedes vorläufigen Verwalters als Eröffnungsentscheidung an.357)

a) Abermals alleinige Beschwerdeberechtigung des Schuldners 186 Auch gegen vorläufige Sicherungsmaßnahmen im Eröffnungsverfahren steht ausschließlich dem Schuldner gemäß § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde (§§ 567 ff. ZPO) offen. Gläubiger hingegen sind, ebenso wie gegen den Eröffnungsbeschluss, nicht beschwerdeberechtigt.358) Dies gilt selbst dann, wenn sie durch die vorläufige Sicherungsmaßnahme beschwert sind, wie dies etwa bei Zwangsvollstreckungsverboten der Fall ist (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO), die auch gesondert gegen einzelne Gläubiger angeordnet werden können.359)

187 Der Gesetzgeber hat ein generelles Rechtsmittel des Schuldners gegen Sicherungsmaßnahmen im Eröffnungsverfahren mit Einführung des § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO erst im Wege des InsOÄndG von 2001 geschaffen.360) Vorher war lediglich bei An___________ 357) Fritz, BB 2017, 131, 132; Herchen, NZI 2006, 435; Mankowski/Müller/J. Schmidt/Müller, EuInsVO 2015, Art. 19 Rn. 8; MüKoInsO/Thole, Art. 2 EuInsVO Rn. 22; Vallender/Sutschet, EuInsVO, Art. 2 Rn. 21. 358) LG Göttingen, Beschl. v. 24.6.2004 – 10 T 75/04, NZI 2004, 502, 503. Siehe auch LG Hamburg, Beschl. v. 9.12.2014 – 326 T 149/14, ZIP 2015, 333; Frind, ZIP 2013, 2244, 2247; MüKoInsO/ Haarmeyer/Schildt, § 21 Rn. 41; K. Schmidt/Hölzle, § 21 Rn. 30; HK-InsO/Laroche, § 21 Rn. 63; FK-InsO/Schmerbach, § 21 Rn. 62, 64. Zur fehlenden Beschwerdeberechtigung der Gläubiger siehe auch Brinkmann, FS Schilken, S. 631. 359) KPB/Blankenburg, InsO, § 21 Rn. 305; K. Schmidt/Hölzle, InsO, § 21 Rn. 68; HK-InsO/ Laroche, § 21 Rn. 29; FK-InsO/Schmerbach, § 21 Rn. 284; Uhlenbruck/Vallender, InsO, § 21 Rn. 27. Für eine Beschwerdeberechtigung der Gläubiger jedenfalls gegen die Einsetzung oder die Versagung der Einsetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses (§ 22a InsO) im Wege einer teleologischen Reduktion des § 6 Abs. 1 Satz 1 InsO: MüKoInsO/Haarmeyer/Schildt, § 22a Rn. 170; Horstkotte, ZInsO 2012, 1930 ff.; Römermann/Praß, ZInsO 2012, 1923 ff. 360) Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze vom 26.10.2001, BGBl. 2001, S. 2710. Siehe dazu Uhlenbruck/Vallender, InsO, § 21 Rn. 50.

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§ 6 Das Bedürfnis für die Schaffung eines „Europäischen Rechtsbehelfs“

ordnung von Haft (§ 21 Abs. 3 Satz 3 i. V. m. § 98 Abs. 3 Satz 3 InsO) sowie bei Verhängung einer einstweiligen Postsperre (§ 21 Abs. 2 Nr. 4 i. V. m. §§ 99, 101 Abs. 1 Satz 1 InsO) eine Beschwerdemöglichkeit vorgesehen.361) Der Grund für die Gesetzesänderung waren verfassungsrechtliche Bedenken gegen die fehlende Rechtsbehelfsmöglichkeit, da Sicherungsmaßnahmen erhebliche, auch grundrechtsrelevante, Eingriffe darstellen können.362) Ausweislich der Begründung des Regierungsentwurfes sollte das Rechtsmittel jedoch lediglich dem Schuldner gewährt werden, da „[v]orläufige Sicherungsmaßnahmen in der Tat nachhaltig in die Rechtsposition des Schuldners eingreifen [können], ihm etwa vollständig die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen entziehen“.363) Eine Erstreckung der Beschwerdeberechtigung auch auf Gläubiger hat der Gesetzgeber abgelehnt.364)

b) Beschwerdegegenstand und Beschwerdegrund Die Beschwerde des Schuldners muss sich gegen eine konkret angeordnete Siche- 188 rungsmaßnahme richten, etwa die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters oder die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots.365) Überprüft werden können dabei auch die allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen, diese müssen für den rechtmäßigen Erlass von Sicherungsmaßnahmen vorliegen.366) Der Schuldner kann die Bestellung eines vorläufigen Verwalters also u. a. mit dem Argument anfechten, dass kein rechtliches Interesse an der Verfahrenseröffnung bestehe oder dass Gläubigerforderung und Eröffnungsgrund nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden seien.367) ___________ 361) Zur generellen Unanfechtbarkeit vorläufiger Sicherungsmaßnahmen im Eröffnungsverfahren nach altem Recht OLG Köln, Beschl. v. 3.1.2000 – 2 W 224/99, ZIP 2000, 552; LG Berlin, Beschl. v. 21.4.1999 – 81 T 264/99, NZI 1999, 416, 417; AG Duisburg, Beschl. v. 6.7.1999 – 60 IN 82-99, ZIP 1999, 1366. 362) Siehe u. a. Haarmeyer/Wutzke/Förster, Handb-InsO, § 3 Rn. 254; Pape/Pape, ZIP 2000, 1553, 1563; Pohlmann, Befugnisse und Funktionen des vorläufigen Insolvenzverwalters, Rn. 60 ff.; Prütting, NZI 2000, 145, 147; Vallender, ZIP 1997, 1993, 1998. 363) Begr. RegE, BT-Drucks. 14/5680, S. 25. 364) Eine entsprechende Anregung des Bundesrates (Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines Gesetztes zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze, BT-Drucks. 14/5680, S. 37 [Anlage 2], Nr. 3) hat die Bundesregierung im Rahmen des InsOÄndG von 2001 geprüft (Gegenäußerung der Bundesregierung v. 28.3.2001 zur Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze, BT-Drucks. 14/ 5680, S. 40 [Anlage 3], zu Nr. 3), ist ihr aber letztlich nicht nachgekommen. Dazu kritisch Hirte, Stellungnahme, S. 10 f.; Kirchhof, ZInsO 2007, 227, 229, 231; Vallender, MDR 2002, 181, 184; Weigelt, Sicherungsanordnungen gegenüber aus- und absonderungsberechtigten Gläubigern, S. 173 ff. 365) K. Schmidt/Hölzle, InsO, § 21 Rn. 27. 366) Siehe die Begründung des Regierungsentwurfs zu § 25 InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 115; BGH, Beschl. v. 10.7.2008 – IX ZB 122/07, ZIP 2008, 1596; HK-InsO/Laroche, § 21 Rn. 2; FK-InsO/Schmerbach, § 21 Rn. 33, 59. 367) Die Anfechtung von Sicherungsmaßnahmen durch den Schuldner wird wohl nur im Falle eines Gläubigerantrags relevant.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

189 Noch nicht abschließend feststehen muss hingegen die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts. Vorläufige Sicherungsmaßnahmen wie die Verwalterbestellung können – und müssen im Einzelfall sogar auch368) – bereits erlassen werden, solange das Insolvenzgericht seine Zuständigkeit prüft.369) Es stellt sich somit die Frage, ob der Schuldner nach § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO gegen die Anordnung einer vorläufigen Verwalterbestellung wegen fehlender internationaler Zuständigkeit vorgehen kann. Dies ist zweifelsohne der Fall, wenn das Insolvenzgericht seine internationale Zuständigkeit vor Erlass der Sicherungsmaßnahme abschließend geprüft und bejaht hat.370) Die Beschwerde richtet sich dann gegen die Anordnung der vorläufigen Sicherungsmaßnahme selbst, da diese bei fehlender internationaler Zuständigkeit unzulässig ist.371)

190 Gleiches gilt, wenn das Gericht seine internationale Zuständigkeit noch nicht abschließend festgestellt hat und dennoch bereits einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt.372) Hier könnte einer Anfechtbarkeit mangels internationaler Zuständigkeit zwar entgegenstehen, dass das Gericht überhaupt keine Entscheidung über seine Zuständigkeit getroffen hat. Allerdings ist auch in diesem Fall die Beschwerde des Schuldners begründet, wenn das Beschwerdegericht zu dem Ergebnis kommt, dass die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts nicht „mit überwiegender, auf gesicherter Grundlage beruhender Wahrscheinlichkeit“ gegeben ist.373) Eine Beschwerdemöglichkeit besteht erst recht, wenn das Gericht die internationale Zuständigkeit nachträglich prüft und in einem Ergänzungsbeschluss klarstellt.374) Der – nun durch den ___________ 368) Da die Zuständigkeitsprüfung einige Zeit in Anspruch nehmen kann, darf in der Zwischenzeit kein „rechtsfreier Raum“ entstehen, FK-InsO/Schmerbach, § 21 Rn. 34. Sinngemäß auch Haarmeyer, ZInsO 2001, 203, 204. 369) Nach BGH, Beschl. v. 22.3.2007 – IX ZB 164/06, ZIP 2007, 878 Rn. 10 ist aber erforderlich, dass „die Zulässigkeitsvoraussetzungen mit überwiegender, auf gesicherter Grundlage beruhender Wahrscheinlichkeit gegeben sind und sich das Insolvenzgericht die letzte Gewissheit erst im weiteren Verfahrensverlauf verschaffen kann“. Trägt der Schuldner nichts zur Aufklärung der Zulässigkeitsfrage bei, „kann es nach Lage des Falls sogar ausreichen, wenn das angerufene Insolvenzgericht seine nicht sicher auszuschließende Zuständigkeit prüfen muss“ (BGH a. a. O., Rn. 12). Ebenfalls LG Göttingen, Beschl. v. 31.1.2008 – 10 T 11/08, NZI 2008, 191, 192; AG Göttingen, Beschl. v. 20.11.2003 – 74 IN 377/03, NZI 2004, 38; HKInsO/Laroche, § 21 Rn. 3; Reinhart, NZI 2009, 73, 75; HambKommInsO/Schröder, § 21 Rn. 2; Uhlenbruck/Vallender, InsO, § 21 Rn. 2. 370) So etwa geschehen durch das AG Charlottenburg, Beschl. v. 13.12.2017, 36n IN 6433/17, ZInsO 2018, 62. 371) Reinhart, NZI 2009, 73, 76. 372) BGH, Beschl. v. 22.3.2007 – IX ZB 164/06, ZIP 2007, 878. Dass dies laut Reinhart, NZI 2009, 73, 75 der Regelfall sein soll, ist jedoch zu beweifeln. Wie hier schon Pape, EWiR 2007, 599, 600, nach dem die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen vor Feststellung der Zulässigkeit nur „ausnahmsweise“ in Betracht komme. Vgl. LG Göttingen, Beschl. v. 31.1.2008 – 10 T 11/08, NZI 2008, 191. 373) BGH, Beschl. v. 22.3.2007 – IX ZB 164/06, ZIP 2007, 878 Rn. 10; LG Göttingen, Beschl. v. 31.1.2008 – 10 T 11/08, NZI 2008, 191, 192. 374) Zur nachträglichen Klarstellung im Wege eines Ergänzungsbeschlusses Reinhart, NZI 2009, 73, 75; auch MüKoInsO/Haarmeyer/Schildt, § 21 Rn. 17.

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§ 6 Das Bedürfnis für die Schaffung eines „Europäischen Rechtsbehelfs“

klarstellenden Hinweis i. S. v. § 139 ZPO ergänzte – Anordnungsbeschluss kann mittels sofortiger Beschwerde angefochten werden. Stellt das Beschwerdegericht die fehlende internationale Zuständigkeit fest, wird die unzulässige Anordnung der Sicherungsmaßnahme aufgehoben.375) Somit lässt sich also festhalten, dass dem Schuldner auch bereits gegen die Bestellung eines vorläufigen Verwalters im Eröffnungsverfahren ein Beschwerderecht zur Rüge der internationalen Zuständigkeit zusteht.

c)

Beschwerdeverfahren

Hinsichtlich des Beschwerdeverfahrens gelten über § 4 InsO die allgemeinen Vor- 191 schriften der §§ 567 ff. ZPO. Es kann somit grundsätzlich auf die Ausführungen zur Beschwerde gegen den Eröffnungsbeschluss nach § 34 Abs. 2 InsO verwiesen werden.376) Die zweiwöchige Beschwerdefrist wird durch die förmliche Zustellung des Anordnungsbeschlusses an den Schuldner in Gang gesetzt (§ 6 Abs. 2 InsO). Hat die Beschwerde Erfolg, entfällt die Wirksamkeit der Sicherungsmaßnahmen rückwirkend. Auch hier bleiben Rechtshandlungen des vorläufigen Verwalters jedoch wirksam, insoweit gilt § 34 Abs. 3 Satz 3 InsO analog.377) Schließlich bleibt anzumerken, dass die Beschwer des Schuldners grundsätzlich durch den Eröffnungsbeschluss entfällt, da sich durch die Verfahrenseröffnung die Anordnung der Sicherungsmaßnahme in der Regel erledigt.378)

II. Österreich Genau wie dem deutschen Insolvenzrecht liegt auch der österreichischen Insolvenz- 192 ordnung (österIO) das Prinzip des Einheitsverfahrens zu Grunde. Konkursverfahren, Sanierungsverfahren mit oder ohne Eigenverwaltung – wie in Anhang A der EuInsVO aufgeführt – sind nur Verfahrensarten, für die allgemeine Vorschriften gelten.379) Auch im Blick auf das österreichische Recht fällt unter den unionsrechtlichen Begriff der „Entscheidung zur Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens“ nach Art. 2 Nr. 7 EuInsVO nicht nur der förmliche Eröffnungsbeschluss im Sinne von § 74 österIO. ___________ 375) KPB/Blankenburg, InsO, § 21 Rn. 16; MüKoInsO/Haarmeyer/Schildt, § 21 Rn. 18; HK-InsO/ Laroche, § 21 Rn. 64. 376) Siehe oben Rn. 180 ff. 377) Bork, Insolvenzrecht, Rn. 134. 378) BGH, Beschl. v. 11.1.2007 – IX ZB 271/04, ZIP 2007, 438; BGH, Beschl. v. 16.7.2009 – IX ZB 260/08, BeckRS 2009, 23004; OLG Köln, Beschl. v. 14.6.2000 – 2 W 86/00, ZIP 2000, 1900; LG Göttingen, Beschl. v. 12.4.2007 – 10 T 10/07, ZIP 2007, 2007; K. Schmidt/Hölzle, InsO, § 21 Rn. 31; HK-InsO/Laroche, § 21 Rn. 62, 66. Etwas anderes kann nur gelten, wenn das Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit besonders schutzwürdig ist, etwa bei schwerwiegenden Grundrechtseingriffen wie freiheitsbeschränkenden Maßnahmen, BGH, Beschl. v. 4.3.2004 – IX ZB 133/03, BGHZ 158, 212 = ZIP 2004, 915; BGH, Beschl. v. 12.10.2006 – IX ZB 34/05, ZIP 2006, 2233; KPB/Blankenburg, InsO, § 21 Rn. 307; MüKoInsO/Haarmeyer/ Schildt, § 21 Rn. 39. 379) Roth/Duursma-Kepplinger, Exekutions- und Insolvenzrecht, S. 202.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

Gleiches gilt vielmehr auch für die Bestellung eines einstweiligen Verwalters als einstweilige Vorkehrung im Insolvenzprüfungsverfahren (wird auch als Vorverfahren oder Eröffnungsverfahren bezeichnet) zwischen Antragstellung und Eröffnungsbeschluss.380) Gegen beide Maßnahmen gewährt das österreichische Recht Rechtsmittel.

1.

Rechtsbehelf gegen den Eröffnungsbeschluss gemäß § 71c österIO

193 Hat das österreichische Insolvenzgericht381) das Vorliegen der Eröffnungsvoraussetzungen geprüft und bejaht, eröffnet es mit dem Eröffnungsbeschluss (Insolvenzedikt, § 74 österIO) förmlich das Insolvenzverfahren.382) Der Eröffnungsbeschluss kann gemäß § 71c Abs. 1 österIO „von allen Personen, deren Rechte dadurch berührt werden, sowie von den bevorrechteten Gläubigerschutzverbänden angefochten werden“. Als Rechtsmittel sieht das österreichische Recht den Rekurs (§§ 514 ff. österZPO) vor.383)

a) Rekursberechtigung und Beschwer 194 Die Rekursberechtigung (oder Rekurslegitimation) regelt, wer abstrakt zur Erhebung eines Rechtsmittels befugt ist.384) Die Rekurslegitimation ist im österreichischem Recht aufgrund des allgemeinen Wortlauts des § 71c Abs. 1 österIO wenig präzise geregelt.385) Rekursberechtigt ist jede Person, „deren Rechte [durch den Eröffnungsbeschluss oder die Ablehnung der Verfahrenseröffnung] berührt werden“. Vorausgesetzt ist also stets eine Rechtsverletzung des Rechtsmittelführers (Rekurswerber), wobei nicht ausreicht, dass der Rekurswerber an der Verfahrenseröffnung „irgendwie wirtschaftlich interessiert“ ist.386) Zu unterscheiden ist die abstrakte Re___________ 380) Konecny, ZIK 2017, 82, 85; Senoner/Weber-Wilfert, RZ 2016, 126, 127. 381) Zuständig ist das Gericht erster Instanz (Landesgericht; wenn der Schuldner Verbraucher ist: Bezirksgericht) im Gerichtsbezirk (Sprengel) des Schuldners. 382) Klarstellung zur Begrifflichkeit: Das österreichische Recht kennt mehrere Verfahrensarten in der Insolvenz des Schuldners. Allgemein lassen sich Konkursverfahren (wird als Schuldenregulierungsverfahren bezeichnet, wenn Schuldner natürlicher Nichtunternehmer ist) und Sanierungsverfahren (nur für Unternehmer sowie juristische Personen) unterscheiden. Für Rechtsmittel gegen die Eröffnungsentscheidung spielt die Abgrenzung hingegen keine Rolle, sodass das Verfahren hier pauschal als Insolvenzverfahren bezeichnet wird (die österIO spricht insoweit auch allgemein vom Insolvenzgericht und Insolvenzedikt). Soweit Differenzierungen erforderlich sind, wird darauf hingewiesen. 383) BeckOK-InsO/Boscheinen-Duursma, Österreich, Rn. 50; Buchegger, Insolvenzrecht, S. 127; Roth/Duursma-Kepplinger, Exekutions- und Insolvenzrecht, S. 278. 384) Fasching, Zivilprozeßrecht, Rn. 1690; Kodek/Mayr, Zivilprozessrecht, Rn. 1017; Konecny/ Schneider, Insolvenzgesetze, § 71c IO Rn. 5. 385) Konecny, ZIK 2012, 162; Konecny/Schneider, Insolvenzgesetze, § 71c IO Rn. 1. 386) Denkschrift zur Einführung einer Konkursordnung, einer Ausgleichsordnung und einer Anfechtungsordnung (1914), S. 68. Siehe auch OGH, Beschl. v. 18.8.1988 – 8 Ob 27/88; OGH, Beschl. v. 29.4.1993 – 8 Ob 13/92; OGH, Beschl. v. 21.10.1999 – 8 Ob 240/99y; OGH, Beschl. v. 28.3.2012 – 8 Ob 70/11v, ZIK 2012, 192; OGH, Beschl. v. 24.10.2018 – 8 Ob 145/18h; Konecny/Schubert/Deixler-Hübner, Insolvenzgesetze (2009), § 176 KO Rn. 3; Konecny, ÖJZ 2012, 1035, 1039; Konecny/Schneider, Insolvenzgesetze, § 71c IO Rn. 5; Bartsch/Pollak/ Buchegger/Schumacher, II/2, § 71c KO Rn. 2.

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§ 6 Das Bedürfnis für die Schaffung eines „Europäischen Rechtsbehelfs“

kursberechtigung von der Beschwer, welche die konkrete Rechtsmittelbefugnis klärt.387) Formelle Beschwer ist gegeben, wenn einem Antrag nicht vollumfänglich stattgegeben wird, materielle Beschwer liegt vor, wenn der Rechtsmittelführer durch die angegriffene Entscheidung in seiner Rechtsstellung (im Verfahren) betroffen ist.388) Da Anträge nicht immer mit Gegenanträgen beantwortet werden, sind beide Arten der Beschwer, die nur alternativ vorliegen müssen, im Rahmen des Rekurses gegen einen Eröffnungsbeschluss von Bedeutung.389) Rekursberechtigt gegen den Eröffnungsbeschluss ist somit zunächst der Schuldner.390) 195 Dies gilt unabhängig davon, ob er selbst den Antrag gestellt hat oder ob das Verfahren aufgrund eines Gläubigerantrags eröffnet wurde.391) Sein Vermögen wird durch die Verfahrenseröffnung in Beschlag genommen (§ 2 Abs. 2 österIO), wodurch sich die Beeinträchtigung seiner Rechte im Sinne einer – ausreichenden392) – materiellen Beschwer ergibt.393) Auch die organschaftlichen Vertreter einer juristischen Person sind im eigenen Namen gegen die Verfahrenseröffnung rechtsmittelbefugt. Ihre selbstständige verfahrensrechtliche Stellung im Eröffnungsverfahren folgt aus der Verpflichtung, bei Vorliegen der Eröffnungsvoraussetzungen den Insolvenzantrag stellen zu müssen (§ 69 Abs. 3 österIO).394) Ebenfalls grundsätzlich rekurslegitimiert sind Insolvenzgläubiger, also Inhaber von 196 vermögensrechtlichen Ansprüchen gegen den Schuldner zur Zeit der Eröffnung des

___________ 387) Konecny, ÖJZ 2012, 1035, 1041. 388) Fasching/Konecny/Fasching, IV/1, Einl. Rn. 98 f.; Fasching, Zivilprozeßrecht, Rn. 1690; Kodek/ Mayr, Zivilprozessrecht, Rn. 1017; Konecny, ÖJZ 2012, 1035, 1043; Fasching/Konecny/Zechner, IV/1, Vor §§ 514 ff. ZPO Rn. 58 f. 389) Ein Gegenantrag des Schuldners auf Abweisung des Eröffnungsantrags eines Gläubigers ist im Gesetz nicht vorgesehen. Vielmehr ist die Entscheidung des Insolvenzgerichts über den Eröffnungsantrag abzuwarten, OGH, Beschl. v. 29.3.2016 – 8 Ob 20/16y. Siehe auch Konecny, ÖJZ 2012, 1035, 1043. 390) OGH, Beschl. v. 29.4.1993 – 8 Ob 13/92, ecolex 1993, 815 = RdW 1993, 243; OGH, Beschl. v. 20.3.2003 – 8 Ob 244/02v; OGH, Beschl. v. 4.11.2010 – 8 Ob 97/10p, RdW 2011/93, 91; OGH, Beschl. v. 22.11.2011 – 8 Ob 105/11s; Dellinger/Oberhammer/Koller, Insolvenzrecht, Rn. 264; Konecny, ÖJZ 2012, 1035, 1041; Konecny/Schneider, Insolvenzgesetze, § 71c IO Rn. 11; Bartsch/Pollak/Buchegger/Schumacher, II/2, § 71c KO Rn. 10. 391) Konecny/Schneider, Insolvenzgesetze, § 71c IO Rn. 11. Zu den Anforderungen an einen Gläubigerantrag siehe OGH, Beschl. v. 28.2.2012 – 8 Ob 18/12y, ZIK 2012, 106. 392) Bartsch/Pollak/Buchegger/Schumacher, II/2, § 71c KO Rn. 3. 393) Siehe dazu Dellinger/Oberhammer/Koller, Insolvenzrecht, Rn. 266 ff. 394) OGH, Beschl. v. 29.4.1993 – 8 Ob 13/92, ecolex 1993, 815 = RdW 1993, 243; OGH, Beschl. v. 21.12.2000 – 8 Ob 233/99v; OGH, Beschl. v. 18.9.2003 – 8 Ob 84/03s, ZIK 2004/28, 27; Konecny, ÖJZ 2012, 1035, 1041; Konecny/Schneider, Insolvenzgesetze, § 71c IO Rn. 13; Bartsch/ Pollak/Buchegger/Schumacher, II/2, § 71c KO Rn. 12. Gleiches gilt bei eingetragenen Personengesellschaften für die unbeschränkt haftenden Gesellschafter. Auch diese sind folglich in eigenem Namen rekurslegitimiert, Konecny/Schneider, Insolvenzgesetze, § 71c IO Rn. 17.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

Insolvenzverfahrens (Insolvenzforderungen, § 51 Abs. 1 österIO).395) Die Rechtsverletzung der Insolvenzgläubiger ergibt sich daraus, dass ihnen durch die Verfahrenseröffnung vorgeschrieben wird, wie sie ihre Forderungen gegen den Schuldner künftig durchzusetzen haben.396) So bewirkt die Eröffnung unter anderem Verfahrenssperren (§§ 6 ff. österIO). Außerdem wandeln sich Naturalleistungsansprüche in Geldforderungen um (§ 14 österIO). Umstritten ist, welche Anforderungen an den Forderungsnachweis für die Rekurslegitimation von Insolvenzgläubigern zu stellen sind: Während nach früherer ständiger Rechtsprechung die Insolvenzforderung bescheinigt – d. h. glaubhaft gemacht397) – sein musste,398) lässt der OGH inzwischen bereits die Anmeldung einer bestrittenen Forderung für die Rekurslegitimation der Insolvenzgläubiger gegen die Verfahrenseröffnung ausreichen.399)

197 Uneinheitlich beurteilt wird zudem die Anfechtungsbefugnis von aus- und absonderungsberechtigten Gläubigern. Die wohl vorherrschende Meinung400) billigt zumindest absonderungsberechtigten Gläubigern ein Anfechtungsrecht zu, sofern die ___________ 395) OGH, Beschl. v. 21.10.1999 – 8 Ob 240/99y; OGH, Beschl. v. 24.4.2012 – 8 Ob 79/11w; OGH, Beschl. v. 30.7.2015 – 8 Ob 75/15k; OGH, Beschl. v. 24.9.2018 – 8 Ob 127/18m; Dellinger/ Oberhammer/Koller, Insolvenzrecht, Rn. 264; Konecny, ZIK 2012, 162, 163; Mohr, IO, § 71c E 17 ff.; Konecny/Schneider, Insolvenzgesetze, § 71c IO Rn. 23; Bartsch/Pollak/Buchegger/ Schumacher, II/2, § 71c KO Rn. 5 f. 396) OGH, Beschl. v. 22.12.2004 – 8 Ob 99/04y, ZIK 2005/61, 68; LG Eisenstadt, Beschl. v. 18.12.2006 – 37 R 16/06m, ZIK 2007, 97; Konecny, ÖJZ 2012, 1035, 1041; Konecny, ZIK 2012, 162, 163. 397) Die Glaubhaftmachung bzw. Bescheinigung (§ 274 österZPO) hat gegenüber der Beweisführung im engeren Sinne das eingeschränkte Ziel, dem Gericht die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit einer Tatsache zu vermitteln. Das Verfahren zur Glaubhaftmachung ist summarisch und nicht an die Förmlichkeiten des Beweisverfahrens im engeren Sinne gebunden, sodass eine rasche Durchführung möglich ist, OGH, Beschl. v. 11.2.1986 – 5 Ob 303/86; OGH, Beschl. v. 21.10.1999 – 8 Ob 240/99y, JBl 2000, 600 (König) = ZIK 1999, 202; OGH, Beschl. v. 24.1.2002 – 8 Ob 282/01f; OGH, Beschl. v. 28.2.2012 – 8 Ob 18/12y, ZIK 2012/151, 106; Fasching, Zivilprozeßrecht, Rn. 809. 398) OGH, Beschl. v. 29.4.1993 – 8 Ob 13/92, ecolex 1993, 815 = RdW 1993, 243; OGH, Beschl. v. 21.10.1999 – 8 Ob 240/99y, JBl 2000, 600 (König) = ZIK 1999, 202; OGH, Beschl. v. 22.12.2004 – 8 Ob 99/04y, ZIK 2005, 68; OGH, Beschl. v. 4.11.2010 – 8 Ob 97/10p; ebenso Bartsch/Pollak/Buchegger/Schumacher, II/2, § 71c KO Rn. 5. 399) OGH, Beschl. v. 24.4.2012 – 8 Ob 78/11w, ZIK 2012, 189 = RdW 2012/638, 602 = RZ 2012, 257. Kritisch dazu Buchegger, Insolvenzrecht, S. 127; Konecny/Schneider, Insolvenzgesetze, § 71c IO Rn. 26 sowie Konecny, ZIK 2012, 162. Letzterer sieht durch die Rechtsauffassung des OGH die Gefahr einer missbräuchlichen Forderungsanmeldung insbesondere durch grundsätzlich nicht rekursberechtigte Gesellschafter zur Erschleichung der Rekurslegitimation. 400) Denkschrift zur Einführung einer Konkursordnung, einer Ausgleichsordnung und einer Anfechtungsordnung (1914), S. 67; Dellinger/Oberhammer/Koller, Insolvenzrecht, Rn. 264; Bartsch/ Pollak/Buchegger/Schumacher, II/2, § 71c KO Rn. 6. A. A. Konecny, ÖJZ 2012, 1035, 1041 Konecny/Schneider, Insolvenzgesetze, § 71c IO Rn. 31. Die Rekursberechtigung eines am bisherigen Verfahren nicht beteiligten Insolvenzgläubigers, dem ein exekutives Pfandrecht durch die Verfahrenseröffnung (vorläufig) entzogen wird, bejahend LG Linz, Beschl. v. 2.3.1995 – 15 R 3/95, ZIK 1995, 90.

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§ 6 Das Bedürfnis für die Schaffung eines „Europäischen Rechtsbehelfs“

Verfahrenseröffnung in ihre Rechtsstellung eingreift.401) Keine Rechtsmittelbefugnis kommt hingegen aussonderungsberechtigten Gläubigern zu. Ihre Rechtsstellung wird durch die Verfahrenseröffnung nicht beeinträchtigt (vgl. § 44 österIO).402) Ebenfalls nicht rekurslegitimiert sind Dritte, wie zum Beispiel bei juristischen Per- 198 sonen Gesellschafter des Schuldners, die nicht zugleich Insolvenzgläubiger sind.403) Ihnen drohen lediglich wirtschaftliche Nachteile oder mittelbare Verschlechterungen.404) Mangels Rechtsschutzbedürfnis ist auch der Insolvenzverwalter hinsichtlich des Eröffnungsbeschlusses nicht anfechtungsberechtigt.405) Eine Besonderheit des österreichischen Rechts ist, dass § 71c Abs. 1 österIO den 199 Gläubigerschutzverbänden eine ausdrückliche Rekurslegitimation gegen den Eröffnungsbeschluss einräumt. Hierbei handelt es sich um vom Bundesministerium für Justiz bevorrechtete private Verbände, die ihren Mitgliedern beratend zur Seite stehen und im Insolvenzverfahren über das Vermögen eines Schuldners die Interessen der Gläubiger als Ganzes wahrnehmen.406) Dabei unterstützen sie auch das Insolvenzgericht, indem sie insbesondere das Vermögen des Schuldners ermitteln und sichern sowie einen Sanierungsplan vorbereiten.407) Als Gegenleistung steht ihnen ein Anspruch auf Belohnung aus der Insolvenzmasse zu (§ 87a österIO). Die Rechtsmittelbefugnis der Gläubigerschutzverbände ist an keine weiteren Voraussetzungen geknüpft, sodass sie stets berechtigt sind, Rekurs gegen den Eröffnungsbeschluss zu erheben.408)

b) Rekursgrund Mit dem Rekurs gegen den Eröffnungsbeschluss kann das Fehlen sämtlicher formeller 200 oder materieller Eröffnungsvoraussetzungen geltend gemacht werden, insbesondere

___________ 401) Unter anderem erlischt ein Absonderungsrecht gemäß § 12 österIO, wenn es innerhalb der letzten 60 Tage vor Verfahrenseröffnung erworben wurde: Hinzuweisen ist außerdem auf das Erlöschen von Absonderungsrechten am Arbeitseinkommen nach § 12a österIO. 402) Konecny, ÖJZ 2012, 1035, 1041; Konecny/Schneider, Insolvenzgesetze, § 71c IO Rn. 34; Bartsch/Pollak/Buchegger/Schumacher, II/2, § 71c KO Rn. 6. 403) OGH, Beschl. v. 20.11.1979 – 5 Ob 313/79, GesRZ 1980, 92; OGH, Beschl. v. 24.4.2012 – 8 Ob 78/11w, ZIK 2012/268, 189 = RdW 2012/638, 602; OGH, Beschl. v. 24.9.2018 – 8 Ob 127/18m; Feil, IO, § 71c Rn. 1; Konecny, ZIK 2012, 162, 162 f.; Konecny/Schneider, Insolvenzgesetze, § 71c IO Rn. 18; Bartsch/Pollak/Buchegger/Schumacher, II/2, § 71c KO Rn. 11; siehe bereits Konecny/Schubert/Deixler-Hübner, Insolvenzgesetze (2009), § 176 KO Rn. 7. 404) Konecny, ÖJZ 2012, 1035, 1041; Konecny, ZIK 2012, 162, 163. 405) OGH, Beschl. v. 21.7.2005 – 8 Ob 3/05g, ZIK 2005, 205. 406) Ausführlich Kantner, ZInsO 2019, 225 ff. 407) Roth/Duursma-Kepplinger, Exekutions- und Insolvenzrecht, S. 261 f. 408) Konecny/Schneider, Insolvenzgesetze, § 71c IO Rn. 35.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

das Nichtvorliegen eines Insolvenzgrundes.409) Rügen können die potentiellen Rekurswerber – also vor allem der Schuldner, Insolvenzgläubiger sowie Gläubigerschutzverbände – jedoch auch die internationale Unzuständigkeit des eröffnenden österreichischen Gerichts.410)

c)

Rekursverfahren

201 Für den Ablauf des Rekursverfahrens gelten neben § 260 österIO über den Verweis in § 252 österIO die allgemeinen Vorschriften der Jurisdiktionsnorm (JN) sowie der österreichischen Zivilprozessordnung (österZPO). Der Rekurs gegen den Eröffnungsbeschluss ist innerhalb einer Notfrist von 14 Tagen (§ 260 Abs. 1 österIO) beim Insolvenzgericht (Erstgericht, § 520 Abs. 1 österZPO) einzulegen. Die Frist beginnt mit der öffentlichen Bekanntmachung des Eröffnungsbeschlusses (Insolvenzedikt) in der Insolvenzdatei (§§ 255, 257 Abs. 2 österIO) zu laufen, unabhängig davon, ob noch eine besondere Zustellung an die Beteiligten erfolgt ist.411) Da die Entscheidung über den Eröffnungsbeschluss nicht ohne Nachteil eines Beteiligten abgeändert werden kann, kann das Insolvenzgericht dem Rekurs nicht nach § 260 Abs. 3 österIO selbst stattgeben.412) Deshalb ist der Rechtsbehelf dem nächsthöheren Rekursgericht413) zur Entscheidung vorzulegen (§ 522 Abs. 2 österZPO). Genau wie im deutschen Recht kommt dem Rekurs gegen den Eröffnungsbeschluss ebenfalls keine aufschiebende Wirkung zu (§ 71c Abs. 2 österIO).414) Hebt das Rekursgericht den Eröffnungsbeschluss nach erfolgreichem Rekurs auf, so ist die Aufhebung in derselben Weise öffentlich bekannt zu machen wie die Verfahrenseröffnung (§ 79 Abs. 1 österIO). Die Wirkungen der Konkurseröffnung bleiben jedoch so lange aufrecht___________ 409) OGH, Beschl. v. 22.12.2004 – 8 Ob 99/04y, ZIK 2005, 68; Roth/Duursma-Kepplinger, Exekutions- und Insolvenzrecht, S. 266. Allgemein zu den Rekursgründen siehe Fasching, Zivilprozeßrecht, Rn. 1987; Rechberger/Simotta, Österreichisches Zivilprozessrecht, Rn. 868. 410) OGH, Beschl. v. 30.11.2006 – 8 Ob 12/06g, ecolex 2008, 413; OLG Wien, Beschl. v. 26.5.2008 – 28 R 91/08w, ZIK 2008, 215; OLG Wien, Beschl. v. 29.10.2013 – 28 R 370/13g, ZIK 2014/42, 29; Konecny, in: Nunner-Krautgasser/Garber/Jaufer, Grenzüberschreitende Insolvenzen im europäischen Binnenmarkt (2017), S. 96; Mayr/Konecny, Handbuch des europäischen Zivilverfahrensrechts, Rn. 17.92. 411) OGH, Beschl. v. 20.12.2011 – 8 Ob 122/11s, ZIK 2012, 141; OGH, Beschl. v. 28.6.2016 – 8 Ob 61/16b, ZIK 2017, 70; Feil, IO, § 260 Rn. 3; Mohr, IO, § 71c E 1; Roth/Duursma-Kepplinger, Exekutions- und Insolvenzrecht, S. 278; Bartsch/Pollak/Buchegger/Schumacher, II/2, § 71c KO Rn. 15. 412) OLG Wien, Beschl. v. 7.1.1997 – 28 R 139/96h. 413) Über Rekurse des Bezirksgerichts im Schuldenregulierungsverfahren entscheidet das Landesgericht, über Rekurse des Landesgerichts das Oberlandesgericht, §§ 3, 4 österJN. 414) Durch den ausdrücklichen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung wird eine Anwendbarkeit des § 524 Abs. 2 und 3 österZPO verhindert. Die aufschiebende Wirkung kann somit – entgegen § 524 Abs. 2 und 3 österIO – auch nicht gesondert gerichtlich angeordnet werden, OLG Innsbruck, Beschl. v. 15.10.2008 – 1 R 240/08s; OLG Wien, Beschl. v. 3.8.2009, 28 R 183/09h; Mohr, IO, § 71c E 15 f.; Konecny/Schneider, Insolvenzgesetze, § 71c IO Rn. 38; Bartsch/Pollak/ Buchegger/Schumacher, II/2, § 71c KO Rn. 19.

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§ 6 Das Bedürfnis für die Schaffung eines „Europäischen Rechtsbehelfs“

erhalten, bis die Aufhebungsentscheidung Rechtskraft erlangt hat.415) Eines ausdrücklichen Aufhebungsbeschlusses bedarf es seit der Insolvenzrechtsreform von 2002 nicht mehr, es genügt vielmehr die Abänderung des Konkurseröffnungsbeschlusses.416) Dennoch entfallen alle mit der Verfahrenseröffnung verbundenen Rechtsfolgen erst mit dessen öffentlicher Bekanntmachung. Wie im deutschen Recht werden die Konkurswirkungen grundsätzlich rückwirkend beseitigt, die Folgen der Verfahrenseröffnung gelten als nicht eingetreten.417) Der Schuldner erlangt somit wieder volle Verfügungsbefugnis über sein Vermögen.418) Ebenfalls wirksam – und für den Schuldner im Außenverhältnis bindend – bleiben im Interesse von Rechtssicherheit und Vertrauensschutz jedoch die vom Insolvenzverwalter vorgenommenen Rechtshandlungen.419) Ihre Aufhebung kann allein nach privatrechtlichen Regeln erfolgen.420) Gegen Entscheidungen des Rekursgerichts ist auch im Insolvenzverfahren grund- 202 sätzlich als erneutes Rechtsmittel der Revisionsrekurs statthaft (§ 528 österZPO). Zu beachten ist jedoch, dass auch im Insolvenzverfahren nach § 528 Abs. 2 Nr. 2 österZPO der Revisionsrekurs gegen bestätigende Beschlüsse des Rekursgerichts unzulässig ist (sog. duae conformae).421) Dies gilt auch für verfahrenseinleitende Beschlüsse.422) Revisionsrekursgericht ist immer der Oberste Gerichtshof (§ 3 Abs. 2, § 4 österJN).

2.

Rechtsbehelfe gegen die Bestellung eines einstweiligen Verwalters

Während im Fall eines Schuldnerantrags das Insolvenzverfahren – anders als in 203 Deutschland – sofort zu eröffnen ist (§ 69 Abs. 1 österIO), kann die auf einen Gläubigerantrag folgende Prüfung der Eröffnungsvoraussetzungen zwischen Antragstellung und förmlicher Verfahrenseröffnung (§ 74 österIO) einige Zeit in Anspruch nehmen.423) ___________ 415) Dies ergibt sich schon aus § 79 Abs. 1 österIO, OGH, Beschl. v. 18.9.2003 – 8 Ob 84/03s, RdW 2004/126, 158 = ZIK 2004, 27; OGH, Beschl. v. 17.3.2005 – 8 Ob 20/05g, ZIK 2005, 141; Bartsch/Pollak/Buchegger/Schumacher, II/2, § 71c KO Rn. 24. 416) Dellinger/Oberhammer/Koller, Insolvenzrecht, Rn. 384; Mohr, ZIK 2001, 114, 118; Bartsch/ Pollak/Buchegger/Schumacher, II/2, § 79 KO Rn. 3. 417) Bartsch/Pollak/Buchegger/Schumacher, II/2, § 79 KO Rn. 16 m. w. N. 418) OLG Innsbruck, Beschl. v. 10.03.1987 – 1 R 52/87, ÖJZ 1987/195 (EvBl); Bartsch/Pollak/ Buchegger/Schumacher, II/2, § 79 KO Rn. 23. 419) Bartsch/Pollak/Buchegger/Schumacher, II/2, § 79 KO Rn. 21 m. w. N. und ausdrücklich Bezug nehmend auf den deutschen § 34 Abs. 3 Satz 3 InsO. 420) Roth/Duursma-Kepplinger, Exekutions- und Insolvenzrecht, S. 282. 421) So die einheitliche Rechtsprechung, siehe zuletzt OGH, Beschl. v. 27.4.2016 – 8 Ob 31/16s; OGH, Beschl. v. 17.8.2016 – 8 Ob 64/16v, ZIK 2017, 33; OGH, Beschl. v. 20.12.2017 – 8 Ob 148/17y, ZIK 2018/311; OGH, Beschl. v. 25.6.2018 – 8 Ob 89/18y. 422) OGH, Beschl. v. 26.8.1999 – 3 Ob 109/99x, RdW 2000/74; OGH, Beschl. v. 21.10.1999 – 8 Ob 271/99g, JBl 2000, 460; OGH, Beschl. v. 21.02.2002 – 8 Ob 44/02g, ZIK 2002/294, 207. 423) Nunner-Krautgasser, ZInsO 2019, 1602, 1605. Bei einem Gläubigerantrag dauert die gerichtliche Prüfung der Eröffnungsvoraussetzungen in der Regel über zwei bis vier Wochen an, siehe Hess/Oberhammer/Pfeiffer, Heidelberg-Luxembourg-Vienna Report, Annex: Systematic Summary of National Reports, S. 431.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

Wird das Insolvenzverfahren nicht unverzüglich eröffnet, hat das Insolvenzgericht die – jedoch nur selten genutzte424) – Möglichkeit, vorab einstweilige Vorkehrungen zu treffen, um die Masse zu sichern, insbesondere um anfechtbare Rechtshandlungen zu unterbinden und die Unternehmensfortführung zu gewährleisten (§ 73 Abs. 1 österIO).425) Als einstweilige Vorkehrung im Eröffnungsverfahren kommt insbesondere die Bestellung eines einstweiligen Verwalters in Betracht, der z. B. die Schließung des Unternehmens verhindern soll.426) Bei der Bestellung eines einstweiligen Verwalters handelt es sich bereits um eine „Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens“ nach Art. 2 Nr. 7 EuInsVO, da inzwischen – über die Eurofood-Entscheidung des EuGH hinausgehend – auch die Verwalterbestellung ohne Vermögensbeschlag ausreicht.427)

204 Eine ausdrückliche Rekursmöglichkeit gegen den Erlass einstweiliger Vorkehrungen sucht man vergeblich. Das österreichische Insolvenzrecht geht jedoch – konträr zum deutschen § 6 Abs. 1 InsO – von einer grundsätzlichen Anfechtbarkeit von Beschlüssen aus, sofern dies nicht gesetzlich ausgeschlossen ist.428) Auch gegen die Bestellung eines einstweiligen Verwalters ist somit über §§ 260, 252 österIO i. V. m. §§ 514 ff. österZPO das Rechtsmittel des Rekurses statthaft. Dies ergibt sich bereits aus § 73 Abs. 5 österIO, wonach über Rekurse gegen Beschlüsse, mit denen einstweilige Vorkehrungen angeordnet, geändert oder aufgehoben werden, das Gericht zweiter Instanz endgültig entscheidet.429)

a) Rekursberechtigung und Beschwer 205 Hinsichtlich Rekursberechtigung und Beschwer gelten somit die allgemeinen Grundsätze. Der Rekurs steht jedem zu, der eine Rechtsverletzung geltend macht.430) Neben dem Schuldner, dessen Verfügungsbefugnis durch Bestellung eines einstweili___________ 424) Senoner/Weber-Wilfert, RZ 2016, 126. 425) OLG Graz, Beschl. v. 22.6.2006 – 3 R 92/06h, ZIK 2007, 59; OLG Wien, Beschl. v. 4.5.2007 – 28 R 91/07v, ZIK 2007, 98; OLG Wien, Beschl. v. 11.6.2008 – 28 R 102/08p; Dellinger/ Oberhammer/Koller, Insolvenzrecht, Rn. 256; Roth/Duursma-Kepplinger, Exekutions- und Insolvenzrecht, S. 270, 277 ff.; Bartsch/Pollak/Buchegger/Schumacher, II/2, § 73 KO Rn. 13. 426) Roth/Duursma-Kepplinger, Exekutions- und Insolvenzrecht, S. 278. 427) Konecny, ZIK 2017, 82, 85; Mayr/Konecny, Handbuch des europäischen Zivilverfahrensrechts, Rn. 17.44; Mohr, in: König/Mayr, Europäisches Zivilverfahrensrecht in Österreich V, S. 1, 7; Senoner/Weber-Wilfert, RZ 2016, 126, 127. Siehe dazu ebenso Konecny, InsolvenzForum 2007, S. 103, 129 ff. Siehe allgemein bereits oben Rn. 160. 428) Konecny, ÖJZ 2012, 1035, 1037; Roth/Duursma-Kepplinger, Exekutions- und Insolvenzrecht, S. 266. 429) Siehe dazu sogleich Rn. 207. 430) Siehe nur OGH, Beschl. v. 23.11.2010 – 8 Ob 56/10h, ZIK 2011, 188; OGH, Beschl. v. 28.3.2012 – 8 Ob 70/11v, ZIK 2012, 192; OGH, Beschl. v. 28.8.2018 – 8 Ob 74/18t; OGH, Beschl. v. 24.10.2018 – 8 Ob 145/18h; Konecny, ÖJZ 2012, 1035, 1039; Konecny/Schneider, Insolvenzgesetze, § 71c IO Rn. 3.

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§ 6 Das Bedürfnis für die Schaffung eines „Europäischen Rechtsbehelfs“

gen Verwalters zumindest eingeschränkt werden kann, müssen daher in jedem Fall auch die Gläubiger (künftiger) Insolvenzforderungen als rekursberechtigt angesehen werden.431)

b) Rekursgegenstand und Rekursgrund Da gemäß § 44 Abs. 3 österJN selbst ein sachlich und örtlich unzuständiges Gericht 206 einstweilige Sicherungsmaßnahmen erlassen darf, ist die Anfechtung der einstweiligen Verwalterbestellung aus Gründen der fehlenden sachlichen und örtlichen Zuständigkeit des die Maßnahme anordnenden Gerichts ausgeschlossen.432) Hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit gilt dies jedoch nicht. Bei der Bestellung eines vorläufigen Verwalters handelt es sich bereits um die Eröffnung des Insolvenzverfahrens im unionsrechtlichen Sinne mit entsprechender unionsweiter Wirkungserstreckung, sodass der Erlass der Sicherungsmaßnahme die internationale Zuständigkeit des entscheidenden Gerichts im Sinne von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO voraussetzt.433) Die fehlende internationale Zuständigkeit des den einstweiligen Verwalter bestellenden Gerichts kann also im Wege des Rekurses gegen die Sicherungsmaßnahme geltend gemacht werden. Gleichwohl wird diese Konstellation in der Praxis nur äußerst selten vorkommen: Gläubiger, die im Falle eines Schuldnerantrags die Zuständigkeit österreichischer Gerichte angreifen, werden gemäß § 71c österIO unmittelbar gegen den unverzüglich zu erlassenden Eröffnungsbeschluss vorgehen.

c)

Rekursverfahren

Hinsichtlich des Rekursverfahrens gelten neben § 260 österIO über den Verweis in 207 § 252 österIO die allgemeinen Vorschriften der Jurisdiktionsnorm (JN) sowie der österreichischen Zivilprozessordnung (österZPO). Somit kann grundsätzlich auf die Ausführungen zum Rekurs gegen den förmlichen Eröffnungsbeschluss nach § 71c Abs. 1 österIO verwiesen werden.434) Gemäß § 73 Abs. 5 österIO besteht jedoch die Besonderheit, dass der Revisionsrekurs gegen die Anordnung einstweiliger Vorkehrungen ausgeschlossen ist – das zweitinstanzliche Landes- oder Oberlandesgericht entscheidet vielmehr endgültig. Die Rekursberechtigung entfällt grundsätzlich durch den Eröffnungsbeschluss, da einstweilige Vorkehrungen automatisch mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlöschen (§ 73 Abs. 4 österIO).

___________ 431) Zu den Auswirkungen von einstweiligen Maßnahmen auf die Rechtsstellung des Schuldners siehe OLG Wien, Beschl. v. 4.5.2007 – 28 R 91/07v, ZIK 2007, 98. 432) LGZ Wien, Beschl. v. 31.8.1995 – 46 R 700/995, ZIK 1996, 174; OLG Wien, Beschl. v. 22.9.1995, WR 742; Bartsch/Pollak/Buchegger/Schumacher, II/2, § 73 KO Rn. 22. 433) Vgl. Erwägungsgrund 36 und Art. 52 EuInsVO. Ebenso Konecny, ZIK 2017, 82, 83; Vallender/ Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 5 Rn. 4. 434) Siehe oben Rn. 201 f.

89

Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

III. Frankreich 208 Auch das französische Insolvenzrecht differenziert im Anwendungsbereich der EuInsVO zwischen mehreren Verfahrensarten. Bevor die verfügbaren Rechtsbehelfe gegen die jeweiligen Entscheidungen zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens untersucht werden können, ist kurz auf die verschiedenen französischen Verfahrensarten und ihre Besonderheiten einzugehen.

209 Dabei ist vorab festzuhalten, dass es sich beim französischen Insolvenzrecht traditionell um ein dem Handelsrecht zugehöriges Unternehmensinsolvenzrecht handelt, welches sich einzig und allein an Kaufleute und sonstige gewerblich Tätige richtet.435) Abgesehen von wenigen Ausnahmen, auf die sogleich noch einzugehen ist, sind natürliche Personen, die keine kaufmännische, handwerkliche, landwirtschaftliche oder freiberufliche Tätigkeit ausüben, aus dem Anwendungsbereich der nachfolgenden Verfahrensarten ausgenommen.

1.

Insolvenzverfahren im Anwendungsbereich der EuInsVO

210 Im Hinblick auf Art. 2 Nr. 4 i. V. m. Anhang A der EuInsVO unterscheidet das französische Insolvenzrecht im Wesentlichen zwischen drei Verfahren: dem vorinsolvenzlichen Rettungsverfahren (sauvegarde), dem Sanierungsverfahren (redressement judiciaire) sowie dem Liquidations- bzw. Konkursverfahren (liquidation judiciaire). Alle drei Verfahren sind im sechsten Buch des Code de commerce geregelt.436) Offen stehen die Verfahren grundsätzlich allen natürlichen Personen, die eine kaufmännische, handwerkliche, landwirtschaftliche oder freiberufliche Tätigkeit ausüben, sowie allen juristischen Personen des Privatrechts.437) Unter den Begriff der juristischen Person des Privatrechts (personne morale de droit privé) fallen – anders als im deutschen Recht – sowohl Personen(handels)gesellschaften (mit Rechtspersönlichkeit) als auch Kapitalgesellschaften.438) Für Verbraucher sind – mit wenigen Ausnahmen – die Verfahren nach dem Code de commerce nicht anwendbar.

a) Rettungsverfahren (sauvegarde) 211 Bei der procédure de sauvegarde439) handelt es sich um ein Insolvenzvorbeugungsverfahren, das gerade keine Zahlungsunfähigkeit voraussetzt.440) Es genügt, dass der ___________ 435) Delzant/Schütze, ZInsO 2008, 540, 541; Hölzle, ZVI 2007, 1, 2. 436) Art. L.610-1 bis Art. L.696-1 C. com. 437) Art. L.620-2 C. com. für die sauvegarde, Art. L.631-2 für das redressement und Art. L.640-2 für die liquidation. 438) Kindler/Nachmann/Bitzer/Bauerreis, Insolvenzrecht in Europa, Länderbericht Frankreich, Rn. 84. 439) Art. L.620-1 bis Art. L.628-10 C. com. Allgemein hierzu Dammann, NZI 2008, 420; Dammann/ Undritz, NZI 2005, 198, 200 ff. 440) Als weiteres Verfahren im Vorfeld der Insolvenz ist das Schlichtungsverfahren (conciliation) zu nennen. Aufgrund dessen vertraglichen Charakters hat das französische Justizministerium jedoch keinen Antrag gestellt, das Verfahren in Anhang A der EuInsVO aufzunehmen, Dammann, NZI 2008, 420, 421.

90

§ 6 Das Bedürfnis für die Schaffung eines „Europäischen Rechtsbehelfs“

Schuldner unüberwindbare (finanzielle) Schwierigkeiten nachweist.441) Das Verfahren kann nur durch den Schuldner selbst eingeleitet werden und dient bereits im Vorfeld der Insolvenz dazu, die Umstrukturierung des schuldnerischen Unternehmens zu erleichtern, um die Fortführung der Geschäftstätigkeit, den Erhalt von Arbeitsplätzen sowie die Erfüllung der Verbindlichkeiten zu erreichen.442) Sonderformen des Verfahrens sind die sauvegarde accélérée sowie die sauvegarde financière accélérée. Dabei handelt es sich um im Jahre 2014 eingeführte beschleunigte Sanierungsverfahren, die eine schnellere Rettung des Unternehmens gewährleisten sollen bzw. nur Wirkungen gegenüber Finanzgläubigern entfalten.443)

b) Sanierungsverfahren (redressement judiciaire) Im Gegensatz zur sauvegarde setzt das redressement judiciaire444) die Zahlungsun- 212 fähigkeit des Schuldners voraus (cessation des paiements). Diese liegt vor, wenn der Schuldner nicht mehr in der Lage ist, mit seinem Vermögen die fälligen Verbindlichkeiten zu begleichen.445) Antragsberechtigt sind neben dem Schuldner auch die Gläubiger und der Staatsanwalt (ministère public), der in Frankreich als Vertreter des öffentlichen Interesses – anders als sein deutsches Pendant – auch im Zivilprozess tätig werden kann.446) Ziele des redressement sind ebenfalls wieder die Fortführung der Unternehmenstätigkeit, der Erhalt von Arbeitsplätzen sowie die Begleichung der Verbindlichkeiten.447)

c)

Liquidations- bzw. Konkursverfahren (liquidation judiciaire)

Die liquidation judiciaire448) hingegen dient alleine der Abwicklung des schuldne- 213 rischen Geschäftsbetriebs. Neben der Zahlungsunfähigkeit setzt das Verfahren voraus, dass die Sanierung offensichtlich unmöglich ist.449) Antragsberechtigt sind auch hier wieder der Schuldner, Gläubiger sowie der ministère public.

___________ 441) 442) 443) 444) 445) 446) 447) 448) 449)

Art. L.620-1 C. com: „difficultés qu’il n’est pas en mesure de surmonter“. Art. L.620-1 C. com. Dazu Dammann/Podeur, D. 2010, 2005; Degenhardt, NZI 2013, 830. Art. L.631-1 bis Art. L.632-4 C. com. Art. L.631-1 C. com. Zahlungsunfähigkeit ist im französischen Insolvenzrecht der einzige Antragsgrund. Den Tatbestand der Überschuldung kennt das französische Recht nicht. Art. L.631-5 C. com. Zur Rolle des ministère public siehe BeckOK-InsO/Dammann, Frankreich, Rn. 166. Art. L.631-1 C. com. Art. L.640-1 bis Art. L.645-12 C. com. Art. L.640-1 C. com.

91

Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

2.

Verfahrenseröffnung

214 Alle drei Verfahren werden durch gerichtliches Urteil (jugement) eröffnet.450) Bei dieser förmlichen Eröffnungsentscheidung handelt es sich um die Verfahrenseröffnung im Sinne von Art. 2 Nr. 7 EuInsVO. Zuständiges Gericht für alle Insolvenzverfahren ist, wenn der Schuldner als natürliche Person eine kaufmännische Tätigkeit ausübt, grundsätzlich das Handelsgericht (tribunal de commerce). Ist der Schuldner eine juristische Person des Privatrechts oder Freiberufler, kommt diese Rolle dem Landgericht (tribunal de grande instance) am Sitz des Schuldners zu.451) Durch Gesetz vom 6. August 2015 wurden insgesamt 18 spezialisierte Handelsgerichte (tribunaux de commerce spécialisés (TCS)) geschaffen, in deren Zuständigkeitsbereich Insolvenzverfahren über das Vermögen von größeren Unternehmen,452) Hauptinsolvenzverfahren nach der EuInsVO 2015, sofern der Schuldner eine Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat hat,453) sowie Sekundär- und Territorialverfahren im Sinne von Art. 3 Abs. 2 – 4 EuInsVO fallen.454)

215 Die Wirkungen der Verfahrenseröffnung sind für das sauvegarde- und für das redressement-Verfahren größtenteils identisch. Zunächst wird eine Beobachtungsphase (période d’observation) eingeleitet, in der das Unternehmen fortgeführt wird.455) Zahlungen an Gläubiger sind einzustellen, zudem ergeht eine Vollstreckungssperre.456) Die Vollstreckungssperre verbietet Gläubigern Maßnahmen der Einzelzwangsvollstreckung zu ergreifen; falls solche Maßnahmen bereits eingeleitet wurden, sind sie zu unterbrechen.457) Die Unternehmensleitung obliegt weiterhin der Geschäftsfüh___________ 450) Art. L.621-3 C. com. für die sauvegarde, im redressement-Verfahren anwendbar über Art. L.631-7 C. com. Art. L.641-1 C. com. für die liquidation. 451) Art. L.621-2 C. com für die sauvegarde, im redressement-Verfahren anwendbar über Art. L.631-7 C. com., in der liquidation anwendbar über Art. L.641-1 C. com. 452) Erforderlich sind mindestens 250 Beschäftigte sowie ein Jahresumsatz von mindestens 20 Millionen Euro oder ein Jahresumsatz von mindestens 40 Millionen Euro, Art. L.721-8 1° C. com. 453) Aufgrund des Wortlauts des Art. L.721-8 2° C. com. erscheint unklar, ob die spezialisierten Gerichte auch zuständig sind, wenn der Schuldner keine Niederlassung, sondern lediglich Vermögenswerte in einem anderen Mitgliedstaat hat. Dafür Mastrullo/Menjucq, Rev. proc. coll. 2017, étude 19 Rn. 15 f. Dagegen Roussel Galle/Tabeling, JCP G 2017, 2094; Vallens, D. 2017, 2439, die einen bloßen Auslandsbezug des Schuldnervermögens für die Zuständigkeit der TCS nicht für ausreichend erachten. 454) Art. L.721-8 C. com., eingefügt durch Art. 231 des Gesetzes n° 2015-990 vom 6.8.2015 („Loi Macron“). Nach Art. L.721-8 3° C. com. sind die spezialisierten Handelsgerichte ebenfalls für Verfahren zuständig, wenn der Schuldner zwar eine Niederlassung in Frankreich, sein COMI aber außerhalb eines Mitgliedstaats der EuInsVO hat. Zum missglückten Wortlaut des Art. L.721-8 C. com. siehe Menjucq, Rev. proc. coll. 2015, repère 5. 455) Art. L.622-9 C. com für die sauvegarde, im redressement-Verfahren anwendbar über Art. L.631-14 C. com. 456) Art. L.622-7 und Art. L.622-21 C. com, jeweils anwendbar über Art. L.631-14 C. com. 457) Kindler/Nachmann/Bitzer/Bauerreis, Insolvenzrecht in Europa, Länderbericht Frankreich, Rn. 155.

92

§ 6 Das Bedürfnis für die Schaffung eines „Europäischen Rechtsbehelfs“

rung; wird ein Verwalter (administrateur judiciaire) bestellt, nimmt er lediglich eine Überwachungs- und gegebenenfalls eine Beratungsfunktion ein. Etwas einschneidender sind die Wirkungen einer eingeleiteten liquidation. Da das 216 Liquidationsverfahren nicht auf Sanierung, sondern allein auf die Auflösung des Geschäftsbetriebs gerichtet ist, ist die Geschäftstätigkeit des Schuldners mit Verfahrenseröffnung einzustellen. Der Schuldner verliert alle Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse.458) Diese gehen auf den liquidateur judiciaire über. Erwähnenswert ist schließlich, dass das französische Recht keine vorläufigen Si- 217 cherungsmaßnahmen vor Verfahrenseröffnung kennt. Dies gilt sowohl für die Zeit vor Antragstellung als auch für den Zeitraum zwischen Antragstellung und dem Eröffnungsurteil.459) Die nach der deutschen InsO häufig genutzte Möglichkeit einer vorläufigen Verfahrenseröffnung scheidet in Frankreich somit aus.

3.

Rechtsbehelfe gegen die Verfahrenseröffnung

Mangels vorläufiger Sicherungsmaßnahmen, wie etwa der Bestellung eines vorläu- 218 figen Verwalters, ist im französischen Recht die „Entscheidung zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens“ im Sinne von Art. 2 Nr. 7 EuInsVO stets das Eröffnungsurteil.

a) Berufung (appel) und Kassationsbeschwerde (pourvoi en cassation) Die Entscheidung betreffend die Eröffnung eines sauvegarde- oder eines redres- 219 sement-Verfahrens kann zunächst mittels der Berufung (appel) angegriffen werden (Art. L.661-1 I 1° C. com.).460) Zur Einlegung der Berufung berechtigt sind lediglich der Schuldner, der ministère public sowie – sofern ein von Gläubiger gestellter Antrag zur Eröffnung eines redressement-Verfahrens abgelehnt wird (die sauvegarde kann allein vom Schuldner beantragt werden) – der antragstellende Gläubiger (créancier poursuivant).461) Auch gegen das Eröffnungsurteil im Rahmen der liquidation ist zunächst die Berufung statthaft (Art. L.661-1 I 2° C. com.). Über die bereits genannten Personen hinaus wird der Kreis der Berufungskläger auf den Betriebsrat (comité d’entreprise) bzw. auf den Personalrat (délégués du personnel) ausgedehnt. Die jeweils abschließend aufgezählten Kläger sind stets berufungsberechtigt, ohne dass

___________ 458) Art. L.641-9 I C. com. 459) Bunge, Zivilprozess und Zwangsvollstreckung in Frankreich und Italien, S. 103; BeckOKInsO/Dammann, Frankreich, Rn. 176; MüKoInsO/Niggemann, Länderbericht Frankreich, Rn. 22. 460) Gegenstand des Rechtsmittels sind „[l]es décisions statuant sur l’ouverture des procédures de sauvegarde ou de redressement judiciaire“, d. h. nicht nur das Eröffnungsurteil, sondern auch eine die Eröffnung ablehnende Entscheidung. 461) Siehe dazu Rémery, JCP G 2009, doctr. 129 Rn. 7.

93

Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

sie – anders als im allgemeinen französischen Zivilprozessrecht462) – ein besonderes Interesse an der Einlegung des Rechtsbehelfs geltend machen müssen.463)

220 Die Berufung464) ist innerhalb einer Frist von zehn Tagen ab Zustellung des Eröffnungsurteils beim Berufungsgericht (cour d’appel) einzulegen.465) Ihr kommt grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung zu.466) Damit weicht das französische Recht im Insolvenzverfahren von der allgemeinen Grundregel des Zivilrechts ab, dass die Berufung gegen eine Entscheidung aufschiebende Wirkung entfaltet (Art. 539 CPC).467) Der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung dient der Beschleunigung und Effektivität des Insolvenzverfahrens; die Wirkungen der Verfahrenseröffnung sollen nicht bereits durch die möglicherweise missbräuchliche Einlegung der Berufung außer Kraft gesetzt werden können.468) Hinsichtlich des Verfahrens gelten nach Art. R.661-6 C. com. die Art. 901 – 925 des Code de procédure civile. Über die Berufung gegen die Eröffnungsentscheidung wird in der Regel im verkürzten Verfahren nach Art. 905 CPC entschieden.469)

221 Die cour d’appel überprüft die Eröffnungsentscheidung in tatsächlicher und in rechtlicher Hinsicht (Art. 561 CPC). Somit können die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Eröffnungsentscheidung nachträglich kontrolliert werden, insbesondere also auch die internationale Zuständigkeit der französischen Gerichte.

222 Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts ist in allen drei Verfahrensarten als weiteres Rechtsmittel die Revisions- bzw. Kassationsbeschwerde (pourvoi en cassation) statthaft (Art. L.661-1 1°, 2° C. com.). Mangels speziellerer insolvenzrechtlicher Regelungen gilt für die Einlegung der Kassationsbeschwerde470) die allgemeine Frist von zwei Monaten (Art. 612 CPC), die mit Zustellung der Berufungsentscheidung zu laufen beginnt. Zuständiges Gericht ist der Kassationsgerichtshof (Cour de cassation). ___________ 462) Allgemein steht das Berufungsrecht nach Art. 546 CPC lediglich „à toute partie qui y a interêt, si elle n’y a pas renoncé“ offen. 463) Martin-Serf, Proc. coll., Fasc. 2205 Rn. 77. 464) Die Berufung im Allgemeinen ist geregelt in Art. 542 – 570 Code de procédure civile (CPC). Vorschriften zum Verfahren vor den Berufungsgerichten finden sich in Art. 899 – 972 CPC. 465) Art. R.661-3 C. com. 466) Art. R.661-1 Abs. 1 C. com.: „Les jugements et ordonnances rendus en matière […] de sauvegarde, de redressement judiciaire, […] et de liquidation judiciaire sont exécutoires de plein droit à titre provisoire“ (vorläufig vollziehbar). 467) Suspensiv wirkt lediglich die Einlegung der Berufung durch den ministère public im Liquidationsverfahren, Art. L.661-1 II C. com. 468) Cadiet, Rev. proc. coll. 1987, 21; Martin-Serf, Proc. coll., Fasc. 2205 Rn. 4; Vallens, D. 1997, 111. 469) Dies folgt aus Art. R.661-6 3° C. com. Siehe dazu Rémery, JCP E 2008, 1154 Rn. 21. 470) Allgemein geregelt in Art. 604 – 639 CPC, zum Verfahren vor dem Kassationsgerichtshof siehe Art. 973 – 1031 CPC.

94

§ 6 Das Bedürfnis für die Schaffung eines „Europäischen Rechtsbehelfs“

b) Drittwiderspruch (tierce opposition) Während Berufung und Kassationsbeschwerde nur den genannten Klägergruppen 223 offenstehen, gewährt das französische Recht unter bestimmten Voraussetzungen auch einem grundsätzlich unbegrenzten weiteren Personenkreis ein Rechtsmittel gegen das Eröffnungsurteil: die sogenannte tierce opposition (Art. L.661-2 C. com.).471) Dieser Drittwiderspruch ist jedem am Insolvenzverfahren nicht beteiligten Dritten möglich, dessen rechtliche oder tatsächliche Interessen durch die Verfahrenseröffnung in spezifischer Weise beeinträchtigt sind.472) Die prozessuale Besonderheit der tierce opposition besteht darin, dass die dem Widerspruch stattgebende Entscheidung grundsätzlich nur relative Wirkung hinsichtlich der den Drittkläger benachteiligenden Punkte entfaltet, während das ursprüngliche Urteil für die Parteien wirksam bleibt.473) Im Insolvenzverfahren gilt dies aufgrund der unteilbaren Wirkungen der Verfahrenseröffnung jedoch nicht (vgl. Art. 591 CPC).474)

aa) Begriff des Dritten Dritter im Rahmen der tierce opposition ist grundsätzlich jeder, der nicht als Partei 224 oder anderweitig am Verfahren beteiligt ist und auch nicht durch einen Beteiligten im Verfahren vertreten wird.475) Als widerspruchsberechtigten Dritten anerkannt hat der Kassationsgerichtshof beispielsweise den Insolvenzverwalter eines konkurrierenden ausländischen Insolvenzverfahrens, der die fehlende internationale Zuständigkeit der französischen Gerichte gerügt hat.476) Ebenso wurde die tierce opposition von persönlich und unbeschränkt haftenden Gesellschaftern des Schuldners gegen die Eröffnung eines Liquidationsverfahrens über dessen Vermögen477) sowie die des Kre-

___________ Anwendbar sind die allgemeinen Regelungen zur tierce opposition, Art. 582 – 592 CPC. Art. 583 CPC. Art. 591 CPC. Cass. com., 13.2.2007 – n° 06-11.510, JurisData n° 2007-307440, Act. proc. coll. 2007, comm. 70; Martin-Serf, Proc. coll., Fasc. 2205 Rn. 139; Vallens, RTD Com. 2009, 625, 626. 475) Art. 583 Abs. 1 CPC: „toute personne […], à la condition qu’elle n’ait pas été ni partie ni représentée au jugement qu’elle attaque“. Bonhomme, Rev. proc. coll. 2009, étude 16 Rn. 22; Martin-Serf, Proc. coll., Fasc. 2205 Rn. 124 ff.; Menjucq, Rev. proc. coll. 2008, étude 1 Rn. 6; Scholastique, JCP E 2008, 1087 Rn. 5. 476) Cass. com., 27.6.2006 – n° 03-19.863, D. 2006, 1816 Anm. Lienhard, Rev. sociétés 2006, comm. 141 Anm. Legros; siehe dazu auch Dammann/Podeur, Banque & Droit sept/oct 2006, 3. 477) Cass. com., 19.12.2006 – n° 05-14.816, D. 2007, 157 Anm. Lienhard, 1321 Anm. Orsini. Die Entscheidung erging zur Gesellschaftsform der société civile immobilière (SCI – Immobiliengesellschaft bürgerlichen Rechts, die sich ausschließlich mit dem Erwerb, der Verwaltung und ggf. dem Verkauf von Immobilien beschäftigt). Sie wird jedoch auf alle Gesellschaftsformen, deren Gesellschafter unbeschränkt und persönlich haften, sowie auf die Eröffnung eines sauvegarde- und eines redressement-Verfahrens übertragen werden müssen, vgl. Martin-Serf, Proc. coll., Fasc. 2205 Rn. 126.

471) 472) 473) 474)

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

ditversicherers eines Zulieferers des Schuldners478) von der Cour de cassation für zulässig erachtet. In beiden Fällen können die Widerspruchsberechtigten durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens beeinträchtigt werden, ohne selbst Gläubiger des Schuldners zu sein.

225 Gläubiger fallen nach traditionellem Verständnis grundsätzlich nicht unter den Begriff des Dritten. Dies ergibt sich schon aus Art. 583 Abs. 2 CPC, der Gläubigern nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen die Möglichkeit der tierce opposition eröffnet. Dem französischen Prozessrecht liegt die Annahme zugrunde, dass die Gläubiger im Zivilverfahren – wozu auch das Insolvenzverfahren mitsamt dem einem Eröffnungsurteil vorangestellten Eröffnungsverfahren gehört – durch den Schuldner vertreten (représenté) werden.479) Dabei handelt es sich zwar nicht um eine Vertretung im klassischen Sinne, bei der eine Partei im Auftrag und im Namen einer anderen Person tätig wird. Es geht vielmehr um eine Art Interessengemeinschaft, die dadurch begründet wird, dass die Wirkungen des auf das Vermögen des Schuldners Einfluss nehmende (Eröffnungs-)Urteils auch auf die Gläubiger durchschlagen.480) Obwohl der Gedanke einer Interessengemeinschaft zwischen Schuldner und Gläubigern für das Insolvenzverfahren aufgrund vermeintlich entgegenlaufender Interessen teilweise als unpassend erachtet und deshalb kritisiert wird,481) lässt sich – vor allem vonseiten der insolvenzrechtlichen Rechtsprechung – keine Abkehr von dieser Vertretungsfiktion erkennen.482) Daher muss nicht zuletzt auch aufgrund des eindeutigen Wortlauts des Art. 583 Abs. 2 CPC weiterhin von einer Fortgeltung der Fiktion einer Vertretung der Gläubiger durch den Schuldner ausgegangen werden.483) Grundsätzlich steht Gläubigern somit gegen die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens die ___________ 478) Cass. com., 26.6.2007 – n° 06-17821 und 06-20820, Bull. civ. IV, n° 176, JCP E 2007, 2120 Anm. Vallansan, JCP E 2008, 1207, Rn. 2 Anm. Pétel; CA Lyon, 3e ch. civ., 31.5.2006, Rev. proc. coll. 2006, 253 Anm. Roussel Galle; CA Versailles, 13e ch. civ., 15.6.2006, JurisData n° 2006-303989. 479) Cass. com., 29.11.1982 – n° 80-41.157, Bull. civ. IV, n° 380; Cass. com., 09.07.1996 – n° 9417.612, Bull. civ. IV, n° 205; Cass. com., 18.1.2000 – n° 96-20.634; Cass. com., 14.11.2000 – n° 97-19.798; Cass. com., 19.5.2004 – n° 01-12.814; Cass. 1re civ., 28.3.2008 – n° 07-10.523; Cass. 1re civ., 5.11.2008 – n° 06-21.256, Bull. civ. I, n° 252; Bonhomme, Rev. proc. coll. 2009, étude 16 Rn. 23; Derrida, D. 1989, 77; Scholastique, JCP E 2008, 1087 Rn. 5. 480) Derrida, D. 1989, 77; Scholastique, JCP E 2008, 1087 Rn. 5. 481) Menjucq, Rev. proc. coll. 2008, étude 1, Rn. 7, der von einer Interessengemeinschaft zwischen „Wolf und Lamm“ spricht und zumindest im Rahmen einer sauvegarde die Gläubiger als unbeteiligte Dritte erachtet. 482) Vgl. zuletzt noch Cass. com., 26.1.2016 – n° 14-11.298, JurisData n° 2016-001070, JCP E 2016, 1198 Rn. 2 Anm. Pétel, D. 2016, 309 Anm. Lienhard, Procédures 2016, comm. 166 Anm. Rolland und Cass. com., 15.11.2017 – n° 16-14.630, JurisData n° 2017-022849, Procédures 2018, comm. 51 Anm. Rolland: Weil Gläubiger im sauvegarde-Verfahren als durch den Schuldner vertreten gelten, werden sie nicht als Dritte angesehen und können letztlich nur unter den Voraussetzungen des Art. 583 Abs. 2 CPC tierce opposition einlegen. 483) Bonhomme, Rev. proc. coll. 2009, étude 16 Rn. 25, 37; Couret/Dondero, JCP E 2011, 1215 Rn. 6, 8; Scholastique, JCP E 2008, 1087 Rn. 6.

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§ 6 Das Bedürfnis für die Schaffung eines „Europäischen Rechtsbehelfs“

tierce opposition nur innerhalb der engen Grenzen des Art. 583 Abs. 2 CPC zu: Vorausgesetzt wird, dass die Interessengemeinschaft zwischen ihnen und dem Schuldner entweder gestört ist oder die Vertretungsfiktion ausnahmsweise als nicht ausreichend erachtet wird (dazu sogleich).

bb) Besonderes Interesse (intérêt) Neben der Stellung als unbeteiligte Drittperson setzt die Statthaftigkeit der tierce 226 opposition nach Art. 583 Abs. 1 CPC zusätzlich ein besonderes Interesse (intérêt) an der Einlegung des Rechtsbehelfs voraus.484) Dies ist grundsätzlich gegeben, wenn die angegriffene Entscheidung die Interessen des Dritten beeinträchtigt.485) Wie bereits erwähnt, hat der Kassationsgerichtshof hinsichtlich des Eröffnungsurteils ein solches Rechtsschutzbedürfnis unter anderem für den Insolvenzverwalter eines konkurrierenden ausländischen Insolvenzverfahrens, für persönlich und unbeschränkt haftende Gesellschafter des Schuldners sowie für den Kreditversicherer eines Zulieferers des Schuldners bejaht.486) Abzulehnen ist das Rechtsschutzbedürfnis für den Fall, dass ein Dritter tierce op- 227 position gegen eine Entscheidung einlegt, welche aufgrund einer Prozesshandlung erlassen wurde, die nur für einen bestimmten Personenkreis zugelassen ist. Als Beispiel dient der Drittwiderspruch gegen ein Urteil, welches die Eröffnung einer sauvegarde zurückweist: Da die Beantragung einer sauvegarde lediglich dem Schuldner zusteht, ist ein Rechtsbehelf Dritter gegen die ablehnende Entscheidung mangels Beschwer unzulässig.487)

cc) Tierce opposition von Gläubigern Vor dem Hintergrund des neuen Art. 5 EuInsVO interessiert besonders, ob und un- 228 ter welchen Voraussetzungen Gläubiger nach bisherigem nationalen französischen Recht gegen die Eröffnungsentscheidung vorgehen konnten. Wie bereits gezeigt, steht das Rechtsmittel der Berufung – und das wohl auch nur im Falle der Ablehnung des Antrags – lediglich dem antragstellenden Gläubiger (créancier poursuivant) zu. Allen anderen Gläubigern bleibt somit lediglich der Ausweg über die tierce opposition. Da sie jedoch im Eröffnungsverfahren als durch den Schuldner vertreten gelten, ist ihr Drittwiderspruch grundsätzlich nur unter den Voraussetzungen des Art. 583 Abs. 2 CPC statthaft. Demnach können Gläubiger eine Entscheidung nur dann mittels der tierce opposition angreifen, wenn sie durch die Entscheidung entweder um ihre Rechte betrogen wurden (jugement rendu en fraude de leurs droits) oder aber ___________ 484) 485) 486) 487)

Art. 583 CPC: „[…] toute personne qui y a intérêt […]“; Cass. civ., 6.5.1960, n° 295. Scholastique, JCP E 2008, 1087 Rn. 8. Siehe oben Rn. 224. Bonhomme, Rev. proc. coll. 2009, étude 16 Rn. 41; Scholastique, JCP E 2008, 1087 Rn. 7.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

eigene, nur ihnen zustehende, Beschwerdegründe geltend machen (s’ils invoquent des moyens qui leur sont propres).488) In diesen Fällen wird die angenommene Interessengemeinschaft zwischen Schuldner und Gläubigern entweder als gestört oder aber die Vertretungsfiktion für nicht ausreichend erachtet, sodass der Grundsatz der Vertretung zu durchbrechen ist.489)

229 Ein Betrug der Gläubiger um ihre Rechte mag im Hinblick auf die Rüge der internationalen Zuständigkeit unwahrscheinlich erscheinen, da ein französisches Eröffnungsgericht die (internationale) Zuständigkeit selbst von Amts wegen prüft.490) Wesentlich relevanter ist daher das Vorbringen eigener Beschwerdegründe (moyens propres). Die zweite Alternative des Art. 583 Abs. 2 CPC setzt voraus, dass der widerspruchsberechtigte Gläubiger Einwände gegen die Verfahrenseröffnung geltend macht, die nur ihm zustehen, weshalb die angenommene Vertretung durch den Schuldner nicht ausreicht.491) Aus diesem Grund ist eine Ausnahme vom Grundsatz der Vertretungsfiktion angezeigt. Zusätzlich muss es sich um spezifische, in der Person des individuellen Gläubigers liegende Gründe handeln. Allgemeine Interessen, wie etwa die Tatsache, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners die Durchsetzung seiner Rechte gegen den Schuldner einschränkt, treffen auf sämtliche Gläubiger zu und genügen daher nicht.492)

230 Der Begriff des moyen propre im Zusammenhang mit der tierce opposition gegen die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wurde in der jüngeren Vergangenheit kontrovers diskutiert. Anstoß gegeben hat hierzu zunächst eine Entscheidung der cour d’appel Paris, welche die tierce opposition von im Ausland ansässigen Gläubigern gegen die Eröffnung eines sauvegarde-Verfahrens über das Vermögen der französisch-britischen Unternehmensgruppe Eurotunnel493) für unzulässig erklärte.494) Die Beschwerdeführer machten die fehlende internationale Zuständigkeit der französi___________ 488) Siehe Héron/Le Bars/Salhi, Droit judiciaire privé, Rn. 887. 489) Bonhomme, Rev. proc. coll. 2009, étude 16 Rn. 42; Lecourt, Proc. civ., Fasc. 738 Rn. 115, 118; Scholastique, JCP E 2008, 1087 Rn. 6. Bzgl. der Geltendmachung eigener Einwendungen wurde der Drittwiderspruch eines Gläubigers gegen ein Urteil für zulässig erachtet, welches den Zeitpunkt der eintretenden Zahlungsunfähigkeit (cessation des paiements) des Schuldners nach hinten verschoben hat. Dies hatte zur Folge, dass das dem Gläubiger gewährte Sicherungsrecht während der neuen Suspektperiode aufgehoben wurde, Cass. com., 14.5.2002 – n° 9822.446, Bull. civ. IV., n° 87. 490) Lecourt, Proc. civ., Fasc. 1000-55, Rn. 65; Scholastique, JCP E 2008, 1087 Rn. 6. Siehe aber dennoch Cass. com., 5.1.1999 – n° 96-18574. 491) Cass. com., 29.11.1982 – n° 80-41.157, Bull. civ. IV, n° 380; Bonhomme, Rev. proc. coll. 2009, étude 16 Rn. 42. 492) Martin-Serf, Proc. coll., Fasc. 2205 Rn. 131. 493) T. com. Paris, 2.8.2006, D. 2006, 2329 Anm. Dammann/Podeur, Bull. Joly Sociétés 2007, 37 Rn. 3 Anm. Jault-Seseke/Robine. 494) CA Paris, 29.11.2007, JurisData n° 2007-346870, Bull. civ. IV, n° 88, D. 2008, act. jurispr., 12 Anm. Lienhard, Act. proc. coll. 2008, comm. 50 Anm. Cagnoli.

98

§ 6 Das Bedürfnis für die Schaffung eines „Europäischen Rechtsbehelfs“

schen Gerichte geltend. Das Pariser Berufungsgericht war der Meinung, dass es sich bei der gerügten Verfahrenseröffnung in Frankreich nicht um ein moyen propre der im Ausland ansässigen Gläubiger handele. Sie betreffe vielmehr sämtliche Gläubiger gleichermaßen.495) Der Kassationsgerichtshof hat im Jahre 2009 das Urteil aufgehoben und – zum ersten Mal überhaupt – die tierce opposition von Gläubigern gegen ein Eröffnungsurteil für zulässig erachtet.496) In seiner vielbeachteten Entscheidung äußerte er sich jedoch nicht zu den Voraussetzungen des Art. 583 CPC, sondern stützte die Statthaftigkeit des Rechtsbehelfs auf Art. 6 Abs. 1 EMRK und die der EuInsVO 2000 zugrundeliegenden Wertungen.497) So nehme die vorausgegangene Entscheidung der cour d’appel Paris durch Zurückweisung der tierce opposition den im Ausland ansässigen Gläubigern jedwede Möglichkeit eines Rechtsbehelfs gegen die französische Verfahrenseröffnung und verstoße somit gegen das Recht auf ein faires Verfahren. Es kann nicht häufig genug betont werden, dass die Eurotunnel-Entscheidung die 231 Zulässigkeit der tierce opposition allein auf im Ausland ansässige Gläubiger und allein auf die Rüge der fehlenden internationalen Zuständigkeit beschränkt.498) Auf die Drittwiderspruchsberechtigung von nationalen (französischen) Gläubigern ist sie nicht übertragbar.499) Seine Rechtsprechung bestätigt hat der Kassationsgerichtshof zwei Jahre später, indem er im Rahmen eines obiter dictum feststellte, dass die fehlende Möglichkeit für einen im Ausland ansässigen Gläubiger, die Verfahrenseröffnung aus Gründen der fehlenden internationalen Zuständigkeit anzugreifen, einen Verstoß gegen den französischen ordre public und somit einen Grund für die Nichtanerkennung des Verfahrens in Frankreich im Sinne von Art. 26 EuInsVO 2000 darstelle.500) In der Rechtssache Coeur Défense im Jahre 2011 hingegen begründete der Kassations- 232 gerichtshof die Statthaftigkeit der tierce opposition eines Gläubigers gegen die Er___________ 495) Zustimmend Scholastique, JCP E 2008, 1087; kritisch Menjucq, Rev. proc. coll. 2008, étude 1. 496) Cass. com., 30.6.2009 – n° 08-11.902, JurisData n° 2009-048941, JCP E 2009, 1974 Anm. Rolland, JCP G 2010, 100 Rn. 2 Anm. Pétel, Dr. sociétés 2009, comm. 230 Anm. Legros, D. 2009, 1886 Anm. Lienhard, Rev. proc. coll. 2009, comm. 147 Anm. Mastrullo, RTD Com. 2009, 625 Anm. Vallens; siehe dazu ebenfalls Menjucq, Rev. proc. coll. 2009, repère 4. 497) Cabrillac/Pétel, JCP G 2010, 100 Rn. 2; Couret/Dondero, JCP E 2011, 1215 Rn. 8; Legros, Dr. sociétés 2009, comm. 230; Mastrullo, Rev. proc. coll. 2009, comm. 147; Rolland, Procédures 2011, comm. 179. Zur generellen Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 1 EMRK auf Insolvenzverfahren siehe Stamer, Das System der Rechtsbehelfe im Insolvenzverfahren, S. 168 f. 498) Bonhomme, Rev. proc. coll. 2009, étude 16 Rn. 44; Legros, Dr. sociétés 2009, comm. 230; Menjucq, Rev. proc. coll. 2009, repère 4; Pétel, JCP G 2011, doctr. 627 Rn. 1; Rolland, JCP E 2009, 1974; Rolland, Procédures 2011, comm. 179; Vallens, RTD Com. 2009, 625. 499) Kritisch gegenüber einer Ungleichbehandlung der inländischen Gläubiger Couret/Dondero, JCP E 2011, 1215 Rn. 9.; Dom, Act. proc. coll. 2009, repère 224. 500) Cass. com., 15.2.2011 – n° 09-71.436, JurisData n° 2011-001685, Rev. sociétés 2011, 443 Anm. Mastrullo, Bull. Joly Sociétés 2011, 426 Anm. d’Avout, Rev. proc. coll. 2011, comm. 174 Anm. Menjucq.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

öffnung eines sauvegarde-Verfahrens mit dem Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 583 Abs. 2 CPC. Indem der Hauptgläubiger die Verfahrenseröffnung über das Vermögen der Immobiliengesellschaft HOLD („Heart of la Défense“) mit dem Argument angriff, dass die sauvegarde durch den Schuldner allein zu dem Zweck beantragt wurde, ihn an der Durchsetzung seiner Rechte zu hindern, mache er ein moyen propre geltend.501) Diese Argumentation vermag auf den ersten Blick den Eindruck zu erwecken, die Coeur Défense-Entscheidung habe einer nahezu unbeschränkten tierce opposition von Gläubigern gegen eine Eröffnungsentscheidung Tür und Tor geöffnet. In der Tat ist die Frage berechtigt, weshalb der vom Gläubiger vorgetragene Beschwerdegrund nur ihm eigen sein soll: Dass die Eröffnung des sauvegardeVerfahrens den Schuldner zumindest vorübergehend davon befreit, seine Verbindlichkeiten zu erfüllen, betrifft schließlich alle Gläubiger gleichermaßen.502) Eine dermaßen extensive Auslegung des Merkmals „moyen propre“ würde de facto jedem Gläubiger die tierce opposition gegen eine Verfahrenseröffnung ermöglichen.503)

233 Diese Schlussfolgerung lässt jedoch die Besonderheiten des Einzelfalls außer Betracht. Im vom Kassationsgerichtshof zu entscheidenden Fall war der Beschwerdeführer im Wesentlichen der einzige Gläubiger; nur er war also von der Eröffnung der sauvegarde betroffen. Es spricht daher einiges dafür, dass die Argumentation des Kassationsgerichtshofs nicht verallgemeinerungsfähig ist, sondern nur in den besonderen Umständen des konkreten Einzelfalls – bei Vorhandensein nur eines einzigen Gläubigers – Gültigkeit besitzt.504) Von einer grenzenlosen Öffnung der tierce opposition für alle Gläubiger ist – vorbehaltlich der weiteren Rechtsprechungsentwicklung – nicht auszugehen.505)

234 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Gläubiger vor den französischen Gerichten in der jüngeren Vergangenheit eine Stärkung ihrer Rechte erfahren haben, ___________ 501) Cass. com., 8.3.2011 – n° 10-13.988, n° 10-13.989, n° 10-13.990, JurisData n° 2011-002852, D. 2011, 919 Anm. Le Corre, JCP G 2011, doctr. 627 Anm. Pétel, JCP E 2011, 1215 Anm. Couret/Dondero, RTD com. 2011, 420 Anm. Vallens. Damit bestätigte der Kassationsgerichtshof die vorangegangene Entscheidung der Cour d’appel de Paris, CA Paris, pôle 5, ch. 9, 25.2.2010, D. 2010, act. jurspr., 578 Anm. Dammann/Podeur, JCP E 2010, 1475 Anm. Saintourens. 502) Menjucq, Rev. proc. coll. 2011, repère 2. 503) Kritisch dazu vor allem im Hinblick auf bestehendes Missbrauchspotential Couret/Dondero, JCP E 2011, 1215. 504) In diesem Sinne Menjucq, Rev. proc. coll. 2011, repère 2; ebenfalls Legros, Dr. sociétés 2011, comm. 160. 505) Für die Fortgeltung eines restriktiven Verständnisses des Merkmals „moyen propre“ spricht auch eine jüngere Entscheidung des Kassationsgerichtshofs, der den Einwand eines Gläubigers gegen einen Restrukturierungsplan im Rahmen eines sauvegarde-Verfahrens, dass nach den Regelungen des Plans eine Sanierung des Schuldners nicht realistisch sei, nicht als moyen propre des einzelnen Gläubigers einstuft: Cass. com., 26.1.2016 – n° 14-11.298, JurisData n° 2016001070, JCP E 2016, 1198 Rn. 2 Anm. Pétel, D. 2016, 309 Anm. Lienhard, Procédures 2016, comm. 166 Anm. Rolland.

100

§ 6 Das Bedürfnis für die Schaffung eines „Europäischen Rechtsbehelfs“

indem der Kassationsgerichtshof in den Entscheidungen Eurotunnel und Coeur Défense zum ersten Mal überhaupt die tierce opposition von Gläubigern gegen ein Eröffnungsurteil für zulässig erklärt hat. Es lässt sich daher – losgelöst vom Beschwerdegrund der fehlenden internationalen Zuständigkeit – auch generell eine Tendenz in Richtung eines Minimalrechtsschutzes für Gläubiger erkennen. Abzuwarten bleibt, ob und wie ihr Schutz durch die Rechtsprechung auch in Zukunft weiter ausgebaut wird. Nach jetzigem Stand kann von einem allgemeinen Beschwerderecht für Gläubiger gegen die Verfahrenseröffnung jedoch noch keine Rede sein.

dd) Widerspruchsverfahren Der Drittwiderspruch ist innerhalb einer Frist von zehn Tagen ab Veröffentlichung des 235 Eröffnungsurteils bei dem das Verfahren eröffnenden Gericht einzulegen (Art. R.6612 C. com.). Grundsätzlich kommt ihm keine aufschiebende Wirkung zu.506) Gegen die Entscheidung über den Drittwiderspruch, in der das Gericht lediglich die mit dem Widerspruch angegriffenen Punkte in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht überprüft, können erneut Rechtsmittel eingelegt werden (Art. L.661-2 C. com.). So kann die Entscheidung über den Drittwiderspruch unter anderem vom Drittkläger, aber auch vom Schuldner und den übrigen in Art. L.661-1 C. com. genannten Berechtigten durch Berufung und durch Kassationsbeschwerde angegriffen werden.507)

4.

Verbraucherinsolvenz

Für natürliche Personen, die keine kaufmännische, handwerkliche, landwirtschaft- 236 liche oder freiberufliche Tätigkeit ausüben, gelten die handelsrechtlichen Insolvenzverfahren des Code de commerce – mit wenigen Ausnahmen – nicht. Stattdessen wird das im Code de la consommation geregelte Verbraucherinsolvenzverfahren des surendettement (Überschuldung) angewendet.508) Die beiden vom Gesetz zur Verfügung gestellten Schuldenregulierungsverfahren (procédure de surendettement und rétablissement personnel) sind jedoch nicht im Anhang A der EuInsVO aufgeführt, sodass sie keine Insolvenzverfahren im Sinne der EuInsVO darstellen. Aus diesem Grund ist aus unionsrechtlicher Sicht allein die Verbraucherinsolvenz 237 von solchen Schuldnern interessant, die ihren Wohnsitz in der deutsch-französischen Grenzregion in den Departements Bas-Rhin, Haut-Rhin und Moselle haben. Historisch bedingt kommen aufgrund der Sonderregeln der Art. L.670-1 ff. C. com. in diesen Regionen auch natürliche Personen, die weder Kaufleute noch Handwerker,

___________ 506) Die aufschiebende Wirkung kann jedoch vom Richter angeordnet werden (Art. 590 CPC). 507) Cass. com. 9.5.2018 – n° 14-11.367, JurisData n° 2018-007545, JCP E 2018, 1305 Anm. Berthelot. 508) Art. L.331 ff. C. consom. Ausführlich dazu Graeber, ZInsO 2002, 920; Köhler, ZVI 2003, 626.

101

Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

Landwirte oder Freiberufler sind, in den Genuss der Insolvenzverfahren des Code de commerce, sodass der Anwendungsbereich der EuInsVO eröffnet ist.509)

238 Neben dem Wohnsitz (Art. 102 ff. C. civ.) in den genannten Regionen muss der Schuldner offensichtlich zahlungsunfähig (insolvabilité notoire) und redlich (de bonne foi) sein. Er darf die Zahlungsunfähigkeit also nicht absichtlich herbeigeführt haben und mit der Einleitung des Privatinsolvenzverfahrens keine missbräuchlichen Zwecke verfolgen.510)

239 Liegen diese Voraussetzungen vor, steht dem Verbraucher bei lediglich drohender Zahlungsunfähigkeit die procédure de sauvegarde (Rettungsverfahren), im Falle der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit auch das redressement judiciaire (Sanierungsverfahren) sowie die liquidation judiciaire (Liquidationsverfahren) offen. Auf die Verfahren finden sämtliche Vorschriften des sechsten Buches des Code de commerce Anwendung. Während sauvegarde- und redressement-Verfahren das Ziel verfolgen, die Verbindlichkeiten des Schuldners mittels eines Sanierungsplans zu restrukturieren, endet das Liquidationsverfahren nach der Verwertung des vorhandenen schuldnerischen Vermögens durch den gerichtlich bestellten Liquidator mit einer faktischen Restschuldbefreiung.511)

240 Auch hinsichtlich der Rechtsbehelfe gegen die Eröffnungsurteile ergeben sich keine Besonderheiten. Die Eröffnungsentscheidungen können von den in Art. L.661-1 C. com. genannten Berechtigten durch Berufung und Kassationsbeschwerde, im Übrigen von Dritten – sofern die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen – durch das Rechtsmittel der tierce opposition angegriffen werden.

IV. Zwischenergebnis 241 Wie die vorausgegangene Untersuchung gezeigt hat, umfasst der unionsrechtliche Begriff der „Entscheidung zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens“ im Sinne von Art. 2 Nr. 7 EuInsVO eine Vielzahl von einzelnen Entscheidungen mitgliedstaatlicher Gerichte. Dementsprechend uneinheitlich gestalten sich auch die Rechtsbehelfsmöglichkeiten, welche die Rechtsordnungen der untersuchten Mitgliedstaaten gegen diese gerichtlichen „Eröffnungsentscheidungen“ zur Verfügung stellen. Nicht nur ___________ 509) Delzant/Schütze, ZInsO 2008, 540, 541. 510) CA Colmar 31.1.2006, Juris-Data n° 2006-293873; Kindler/Nachmann/Bitzer/Bauerreis, Insolvenzrecht in Europa, Länderbericht Frankreich, Rn. 248. 511) Art. L.643-11 C. com.: Die Restschulden erlöschen zwar nicht, können jedoch nicht mehr eingetrieben werden. Weil die Restschuldbefreiung schon nach ein bis zwei Jahren, und damit deutlich schneller als nach deutschem Recht, erlangt werden kann, kam in den 2000er-Jahren ein „Insolvenztourismus“ in die grenznahen französischen Gebiete in Mode. Mehr oder weniger seriöse Rechtsberater boten deutschen Verbrauchern an, ihren Wohnsitz nach Frankreich zu verlegen, um die lange Wohlverhaltensperiode der InsO zu umgehen. Dazu u. a. BGH, Beschl. v. 18.09.2001 – IX ZB 51/00, ZIP 2002, 356; Delzant/Schütze, ZInsO 2008, 540; Hölzle, ZVI 2007, 1.

102

§ 6 Das Bedürfnis für die Schaffung eines „Europäischen Rechtsbehelfs“

hinsichtlich der Berechtigung zur Einlegung eines Rechtsmittels und des Ablaufs der einzelnen Rechtsmittelverfahren ergeben sich zwischen den Rechtsordnungen Deutschlands, Österreichs und Frankreichs teils erhebliche Unterschiede. Während gegen Eröffnungsbeschluss und vorläufige Verwalterbestellung durch ein 242 deutsches Gericht lediglich der Schuldner beschwerdeberechtigt ist und den Gläubigern keinerlei Rechtsmittel zur Verfügung stehen, kennen das österreichische und das französische Recht grundsätzlich einen umfangreicheren Rechtsschutz gegen die Verfahrenseröffnung. Zumindest westlich des Rheins lassen sich allerdings ebenfalls Defizite im Hinblick auf die Rechtsbehelfsmöglichkeiten von Gläubigern festhalten. Lediglich ausländischen Gläubigern hat der französische Kassationsgerichtshof gestützt auf Art. 6 Abs. 1 EMRK ein Anfechtungsrecht zur Rüge der fehlenden internationalen Zuständigkeit der französischen Gerichte zugestanden. Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass zwar sowohl das deutsche Recht 243 als auch die nationalen Rechtsordnungen Österreichs und Frankreichs schon vor Einführung des neuen Art. 5 EuInsVO „autonom-rechtliche“ Rechtsbehelfe gegen die „Entscheidung zur Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens“ vorsahen. Damit konnte weitgehend auch die fehlende internationale Zuständigkeit des Eröffnungsgerichts geltend gemacht werden. Hinsichtlich des anfechtungsberechtigten Personenkreises, der Form sowie der prozessualen Ausgestaltung unterscheiden sich diese Rechtsbehelfsmöglichkeiten jedoch ganz erheblich. Die konstatierte Ausgangslage war also weit davon entfernt, einheitliche Rechtsschutzmöglichkeiten für alle von einer Verfahrenseröffnung Betroffenen zu gewährleisten. Insbesondere für Gläubiger war der Staat der Verfahrenseröffnung und das dadurch anwendbare (Verfahrens-) Recht von erheblicher Bedeutung, da ihnen nicht nach allen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen das Recht zustand, die Eröffnungsentscheidung anzufechten.

C. Motive des europäischen Gesetzgebers Dieser Schwachstelle der europäischen Rechtsdurchsetzung wollte der europäische 244 Gesetzgeber unter anderem mit der Schaffung eines einheitlichen europäischen Rechtsbehelfs zur Rüge der fehlenden internationalen Zuständigkeit abhelfen. Die Neuregelung des Art. 5 EuInsVO verfolgt im Wesentlichen zwei Zwecke: Vordergründig handelt es sich bei der Vorschrift um einen weiteren Baustein im Kampf gegen betrügerisches oder missbräuchliches Forum Shopping und Insolvenztourismus. In dieser Hinsicht muss die Norm im Kontext mit den Vermutungsregelungen und Suspektperioden des Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 – 4 EuInsVO sowie der Amtsprüfungspflicht des Art. 4 EuInsVO gelesen werden.512) Darüber hinaus treibt die Einführung eines einheitlichen Rechtsbehelfs gegen die Verfahrenseröffnung aber auch die schrittweise Harmonisierung der Insolvenz- und Prozessrechtsordnungen ___________ 512) Prager/Keller, NZI 2013, 57, 59; Bork/van Zwieten/Ringe, EIR, Art. 5 Rn. 5.02.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

der Mitgliedstaaten voran: Art. 5 EuInsVO dient dazu, den insbesondere für ausländische Gläubiger oft unübersichtlichen Flickenteppich verschiedener nationaler Rechtsschutzmöglichkeiten zu vereinheitlichen und auch zwecks Stärkung der Gläubigerrechte Rechtssicherheit sowie ein Mindestmaß an prozessualer Absicherung gegen die Verfahrenseröffnung zu gewährleisten.

I.

Vermeidung von Forum Shopping und Insolvenztourismus

245 Die ursprüngliche Fassung der EuInsVO von 2000 enthielt keine Verfahrensvorschriften dahingehend, wie die mit einem Eröffnungsantrag befassten mitgliedstaatlichen Gerichte ihre internationale Zuständigkeit festzustellen und zu überprüfen hatten. Die Verfahrenseröffnung – und insbesondere die Zuständigkeitsprüfung – richtete sich nach den nationalen Prozessrechten der Mitgliedstaaten. Das Unionsrecht fand nur durch das generelle Effizienzgebot (effet utile) sowie durch den Grundsatz der Nichtdiskriminierung (principle of non-discrimination) Berücksichtigung.513)

246 Die im Vorfeld der Revision vorgenommene Evaluation der EuInsVO 2000 hat jedoch innerhalb der Mitgliedstaaten eine uneinheitliche Handhabung des COMIPrinzips sowie der (Über-)Prüfung ihrer internationalen Zuständigkeit deutlich gemacht.514) Dabei wurde (zu Recht) bemängelt, dass abweichende prozessuale Maßstäbe einer einheitlichen Anwendung der EuInsVO und insbesondere des Zuständigkeitsregimes des Art. 3 EuInsVO entgegenstehen.515) Für die der EuInsVO zugrunde liegenden Grundsätze der automatischen Anerkennung und des gegenseitigen Vertrauens ist eine kohärente Anwendung des COMI-Prinzips unter Anlegung gleicher prozessualer Maßstäbe zur Prüfung und Überprüfung der internationalen Zuständigkeit jedoch von entscheidender Bedeutung. Aus diesem Grund musste es ein Kernanliegen des europäischen Gesetzgebers sein, einheitliche Verfahren in den Mitgliedstaaten zu gewährleisten.516) Dies soll durch die Schaffung eines prozessualen Mindeststandards und eines dazugehörigen verfahrensrechtlichen Rahmens, wie die internationale Zuständigkeit des Eröffnungsgerichts geprüft und überprüft werden kann, erreicht werden.

247 Im Vorfeld der Reform wurde im Hinblick auf die jeweiligen Verfahrensrechte der Beteiligten ebenfalls kritisiert, dass Gläubiger nicht nach jedem nationalen Recht die Möglichkeit haben, die Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ___________ 513) Hess/Oberhammer/Pfeiffer, Heidelberg-Luxembourg-Vienna-Report, Rn. 51 und 479. 514) Commission Staff Working Document, Impact Assessment accompanying the Revision of Regulation (EC) No. 1346/2000 on Insolvency Proceedings, SWD(2012) 416, S. 19; Hess/ Oberhammer/Pfeiffer, Heidelberg-Luxembourg-Vienna-Report, Rn. 51 und 478. 515) Hess/Oberhammer/Pfeiffer, Heidelberg-Luxembourg-Vienna-Report, Rn. 51 und 479; Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschaftsund Sozialausschuss über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates v. 29.5.2000 über Insolvenzverfahren, COM(2012) 743 final, S. 11 f. 516) Hess/Oberhammer/Pfeiffer, Heidelberg-Luxembourg-Vienna-Report, Rn. 53 und 481.

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§ 6 Das Bedürfnis für die Schaffung eines „Europäischen Rechtsbehelfs“

mit Rechtsmitteln anzufechten.517) Neben der Prüfungspflicht von Amts wegen (Art. 4 EuInsVO) hat sich der Verordnungsgeber daher entschlossen, als „additional procedural safeguard“ mit Einführung des neuen Art. 5 EuInsVO einen Rechtsbehelf gegen die Verfahrenseröffnung zur Rüge der fehlenden internationalen Zuständigkeit zu schaffen.518) Gläubiger sollen die Gelegenheit bekommen, die internationale Zuständigkeit des das Verfahren eröffnenden Gerichts überprüfen zu lassen (Erwägungsgründe 12 und 34 Satz 1 EuInsVO). Art. 5 EuInsVO verdankt seine Existenz dabei zu nicht unerheblichen Teilen der 248 Eurotunnel-Entscheidung der französischen Cour de cassation.519) Im Jahre 2009 hatte der Kassationsgerichtshof in einer über die Grenzen Frankreichs hinaus Aufsehen erregenden Entscheidung im Ausland ansässigen Gläubigern der französisch-britischen Unternehmensgruppe Eurotunnel das Recht zugesprochen, die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnergesellschaften in Frankreich anzufechten.520) Das Recht zur Anfechtung, womit die Gläubiger die fehlende internationale Zuständigkeit der französischen Gerichte geltend machten, leitete der Gerichtshof dabei nicht aus dem französischen Recht, sondern allein aus der Ursprungsfassung der EuInsVO und aus Art. 6 Abs. 1 EMRK her. Bemerkenswert an der Entscheidung war vor allem, dass das Anfechtungsrecht ausschließlich im Ausland ansässigen Gläubigern, nicht jedoch französischen Gläubigern zugebilligt wurde. Ausländische Gläubiger seien durch die Verfahrenseröffnung in einer für sie fremden Rechtsordnung in besonderem Maße benachteiligt, wodurch eine Erweiterung ihrer Rechte im Verhältnis zu inländischen Gläubigern gerechtfertigt sei.521) Diesen Gedanken griff die Europäische Kommission anlässlich der Evaluierung der 249 Ursprungsfassung der EuInsVO auf. So stellte die Kommission in ihrem Bericht über die Anwendung der EuInsVO 2000 kritisch fest, „dass ausländischen Gläubigern nicht immer das Recht zusteht, die Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit Rechtsmitteln anzufechten“.522) Die Betonung lag hierbei auf „ausländischen“ Gläubigern, sie sollten sich gegen die Verfahrenseröffnung im – aus ihrer Sicht – Ausland wehren können. Dementsprechend sah der Vorschlag der Kommis___________ 517) Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates v. 29.5.2000 über Insolvenzverfahren, COM(2012) 743 final, S. 12. Siehe auch bereits Kübler, FS Gerhardt, S. 527, 561; Menjucq, Rev. proc. coll. 2008, étude 1 Rn. 14. 518) Hess/Oberhammer/Pfeiffer, Heidelberg-Luxembourg-Vienna-Report, Rn. 53 und 481. 519) Menjucq, Rev. proc. coll. 2013, étude 4 Rn. 14. 520) Cass. com., 30.6.2009 – n° 08-11.902, JurisData n° 2009-048941. Siehe dazu bereits oben Rn. 230. 521) Siehe dazu Bonhomme, Rev. proc. coll. 2009, étude 16 Rn. 44 f.; Menjucq, Rev. proc. coll. 2009, repère 4. 522) Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 13/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren vom 12.12.2012, COM(2012) 743 final, S. 12.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

sion für eine Neufassung der Verordnung523) lediglich die Anfechtungsberechtigung von Auslandsgläubigern gegen die Eröffnungsentscheidung vor. In Art. 3b Abs. 3 Satz 1 hieß es: „Gläubiger oder Parteien, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt, Wohnsitz oder Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem Staat der Verfahrenseröffnung haben, haben das Recht, gegen die Entscheidung zur Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens einen Rechtsbehelf einzulegen.“

250 Erst im weiteren Gesetzgebungsverfahren wurde auf Anregung des Rates die Beschränkung der Anfechtungsberechtigung auf im Ausland ansässige Gläubiger aufgehoben und zudem der Schuldner miteinbezogen.524) Als eine von mehreren Schutzvorkehrungen zur Absicherung des COMI-Prinzips soll die Anfechtungsmöglichkeit den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens, auf dem das Prinzip der automatischen Anerkennung beruht, stärken sowie Forum Shopping und Insolvenztourismus verhindern.525)

251 In diesem Zusammenhang dient Art. 5 EuInsVO auch der Stärkung der Gläubigerrechte.526) Für die Gläubiger sind die Fragen der Insolvenzzuständigkeit und des anwendbaren materiellen Insolvenzrechts von erheblicher Bedeutung. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen der Schuldner seinen Wohnsitz vor Stellung eines Insolvenzantrags ins Ausland verlegt. Ein im Ausland geführtes Insolvenzverfahren unter fremdem Recht bedeutet für Gläubiger nicht nur höhere Transaktionskosten und Rechtsrisiken; hinzu kommt das Risiko, im ausländischen Verfahren gegenüber dort ansässigen Gläubigern übervorteilt zu werden.527) Ziel der Reform war es also, den Gläubigern effektive prozessuale Instrumente zuzugestehen, die es ihnen ermöglichen, die internationale Zuständigkeit des eröffnenden Gerichts bereits im ___________ 523) Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren vom 12.12.2012, COM(2012) 744 final. 524) Standpunkt (EU) Nr. 7/2015 des Rates in erster Lesung im Hinblick auf den Erlass einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Insolvenzverfahren (Neufassung), vom Rat am 12.3.2015 angenommen, 2015/C 141/01. In diesem Verfahrensschritt wurde auch der Anfechtungsgrund präzisiert; die Eröffnungsentscheidung sollte nur zur Rüge der fehlenden internationalen Zuständigkeit angegriffen werden können. Kritisch zur Beschränkung der Anfechtungsberechtigung auf lediglich ausländische Gläubiger zuvor bereits Cohen, 3 CRI (2013), 83, der ein „two-tier system“ befürchtet; in diesem Sinne auch Thole, ZEuP 2014, 39, 58. 525) Erwägungsgrund 29 EuInsVO; Commission Staff Working Document, Impact Assessment accompanying the Revision of Regulation (EC) No. 1346/2000 on Insolvency Proceedings, SWD(2012) 416, S. 19; Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 5 Rn. 1. 526) Commission Staff Working Document, Impact Assessment accompanying the Revision of Regulation (EC) No. 1346/2000 on Insolvency Proceedings, SWD(2012) 416, S. 39; Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschaftsund Sozialausschuss über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates v. 29.5.2000 über Insolvenzverfahren, COM(2012) 743 final, S. 12. 527) Freitag/Korch, ZIP 2016, 1849, 1851.

106

§ 6 Das Bedürfnis für die Schaffung eines „Europäischen Rechtsbehelfs“

Eröffnungsstaat nachzuprüfen (vgl. auch Erwägungsgrund 12 EuInsVO).528) Somit bezweckt Art. 5 EuInsVO auch die Eindämmung des gegenüber der Anerkennung ausländischer Verfahrenseröffnungen immer wieder von Gerichten529) vorgebrachten Einwands der ordre-public-Widrigkeit nach Art. 33 EuInsVO.530) Die Schlachten um die Feststellung der internationalen Zuständigkeit sind im Eröffnungsstaat zu schlagen.531)

II. Schaffung von Rechtssicherheit durch Teilharmonisierung Zum zweiten bewirkt die Einführung eines unionsrechtlichen Rechtsbehelfs gegen die 252 Verfahrenseröffnung die schrittweise Harmonisierung der Insolvenz- und der Prozessrechtsordnungen der Mitgliedstaaten.532) Hinsichtlich ihres Aufbaus und ihrer Systematik bestehen zwischen den mitgliedstaatlichen Insolvenzrechtsordnungen ganz erhebliche Unterschiede. Anhang A der EuInsVO fasst unter den unionsrechtlichen Begriff des Insolvenzverfahrens im Sinne der Verordnung mehr als 100 verschiedene Verfahren in 26 Vertragsstaaten.533) Die Vielzahl der Verfahrenstypen, die die mitgliedstaatlichen Insolvenzrechtsordnungen einem insolventen Schuldner zur Verfügung stellen, ist in ihrer Gesamtheit kaum zu überblicken. Jedes einzelne der Verfahren wird durch einen bestimmten, vom jeweiligen nationalen Gesetzgeber geschaffenen Akt im Sinne von Art. 2 Nr. 7 EuInsVO („Entscheidung zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens“) eröffnet. Innerhalb des Geltungsbereichs der Verordnung sieht sich der Rechtsanwender somit 253 mit einer kaum erfassbaren Anzahl von unterschiedlichen Eröffnungsentscheidungen konfrontiert. Der Großteil dieser Eröffnungsentscheidungen kann nach Maßgabe der jeweiligen nationalen Rechtsordnungen in irgendeiner Form angegriffen werden. Diese nationalen Rechtsbehelfe sind nicht nur in ganz unterschiedlichen Rechtssätzen und Gesetzen gesondert geregelt – sofern dies überhaupt der Fall ist –, sondern unterscheiden sich auch erheblich hinsichtlich der Berechtigung zu Einlegung des Rechtsmittels, dem Gegenstand des Rechtsmittels und dem Ablauf des Verfahrens. Schon die nähere Betrachtung der drei untersuchten Rechtsordnungen – Deutschland, 254 Österreich und Frankreich – hat gezeigt, dass bei der Beantwortung der Frage, wer auf welche Weise gegen die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vorgehen kann, ___________ 528) Commission Staff Working Document, Impact Assessment accompanying the Revision of Regulation (EC) No. 1346/2000 on Insolvency Proceedings, SWD(2012) 416, S. 39. 529) Siehe nur BFH, Beschl. v. 27.1.2016 – VII B 119/15, RIW 2017, 81 m. Anm. Paulus; AG Nürnberg, Beschl. v. 15.8.2006 – 8004 IN 1326-1331/06, ZIP 2007, 81. 530) Paulus, EuInsVO, Art. 5 Rn. 1. 531) Mankowski/Müller/J. Schmidt/Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 5 Rn. 2. 532) Mock, GPR 2013, 156, 158; Paulus, EuInsVO, Art. 5 Rn. 1. 533) Dänemark beteiligt sich nicht an den Projekten der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen und ist somit kein Mitgliedstaat im Sinne der EuInsVO, siehe Erwägungsgrund 88.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

ganz erheblich zwischen der Art des Schuldners, den unterschiedlichen Verfahrenstypen, dem jeweiligen Rechtsmittelberechtigten sowie den geltend gemachten Anfechtungsgründen differenziert werden muss.534) Unter Einbeziehung aller 26 Vertragsstaaten stellt sich die Gesamtheit der (nationalen) Rechtsbehelfslandschaft gegen die Verfahrenseröffnung noch unübersichtlicher und zerstückelter dar. Für einen des Rechts des Verfahrensstaats unkundigen Betroffenen, wie etwa einen ausländischen Gläubiger, erweist es sich daher als äußerst mühselig, sich darüber Klarheit zu verschaffen, ob und wie er gegen die ihm unliebsame Verfahrenseröffnung vorgehen kann.

255 Die Einführung eines europäischen Rechtsbehelfs durch Art. 5 EuInsVO bezweckt, in dieser Hinsicht Abhilfe zu schaffen. Seine nähere prozessuale Gestaltung außen vor gelassen, soll er insbesondere mit dem Recht des Eröffnungsstaats nicht vertrauten Gläubigern die Gewissheit gewähren, gegen die Verfahrenseröffnung zumindest aus Gründen der fehlenden internationalen Zuständigkeit vorgehen zu können.535) Die Schaffung einer einheitlichen Anfechtungsmöglichkeit kann die europäische Rechtsmittellandschaft gegen die Verfahrenseröffnung maßgeblich vereinfachen und so einen Beitrag zur bislang nur wenig fortgeschrittenen Harmonisierung der nationalen Insolvenz- und Prozessrechtsordnungen der Mitgliedstaaten leisten. Dies geht erneut einher mit einer Stärkung der Gläubigerrechte. Ein unionsweiter Rechtsbehelf kann Gläubigern Rechtssicherheit und ein Mindestmaß prozessualer Absicherung gegen die Verfahrenseröffnung unabhängig von den nationalen (Insolvenz-)Verfahrensordnungen garantieren.

§ 7 Die Ausgestaltung des Rechtsbehelfs 256 In einem nächsten Schritt ist zu untersuchen, wie der europäische Rechtsbehelf gegen die Eröffnungsentscheidung zur Rüge der fehlenden internationalen Zuständigkeit nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO näher ausgestaltet ist. Wie bereits erwähnt regelt die Verordnung das Anfechtungsrecht nur in ihren Grundzügen und lässt insbesondere hinsichtlich des Anfechtungsverfahrens eine Reihe von Fragen offen. Auf diese Lücken des Art. 5 EuInsVO wird zunächst näher eingegangen. In der Folge ist zu untersuchen, wie die Regelungslücken zu schließen sind. Hierbei wird sich der Blick erneut auf die nationalen Verfahrensordnungen richten.

A. Lücken des Art. 5 EuInsVO 257 Als Bestandteil einer Verordnung ist Art. 5 EuInsVO zwar unmittelbar anwendbar, ohne dass es einer Umsetzung durch die nationalen Gesetzgeber bedarf (Art. 288 ___________ 534) Siehe oben Rn. 241 ff. 535) Siehe hierzu noch unten Rn. 323.

108

§ 7 Die Ausgestaltung des Rechtsbehelfs

Unterabs. 2 AEUV).536) Dennoch muss dieser europäische Rechtsbehelf in irgendeiner Form prozessual ausgestaltet werden. Wie bereits gezeigt wurde, schweigt die Verordnung diesbezüglich nahezu vollständig.537) Der europäische Gesetzgeber macht keinerlei Vorgaben etwa hinsichtlich Frist, Verfahren und Instanzenzug. Auch die Anfechtungsberechtigung führt die EuInsVO nicht näher aus.

I.

Anfechtungsberechtigung

Nach dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 EuInsVO sind aktivlegitimiert „[d]er Schuld- 258 ner und jeder Gläubiger“. Es wäre jedoch durchaus denkbar, die Berechtigung zur Einlegung des Rechtsbehelfs von weiteren Voraussetzungen abhängig zu machen. So könnte man – vergleichbar zur sofortigen Beschwerde nach § 21 Abs. 1 Satz 2 und § 34 InsO im deutschen Recht538) – das Vorliegen einer Beschwer fordern. Dies wird insbesondere relevant, wenn der Anfechtende den Eröffnungsantrag selbst gestellt hat und das Gericht seinen Standpunkt zur internationalen Zuständigkeit teilt.539) Für den Schuldner hieße das Erfordernis einer Beschwer etwa, dass er nur im Falle eines Gläubigerantrags anfechtungsberechtigt wäre. Hinsichtlich der Gläubiger wäre eine Beschwer und damit die Aktivlegitimation insbesondere dann fraglich, wenn ihre Rechtsposition von der Verfahrenseröffnung nicht berührt wird, wie es im deutschen Recht etwa bei aussonderungsberechtigten Gläubigern der Fall ist (§§ 47 f. InsO).

II. Anfechtungsfrist Art. 5 EuInsVO lässt weiterhin offen, welche Anforderungen in zeitlicher Hinsicht 259 an die Einlegung des Rechtsbehelfs zu stellen sind. Die Verordnung sieht ausdrücklich keine Frist vor. Dies bedeutet jedoch noch nicht zwingend, dass ein Rechtsbehelf unbefristet möglich sein muss.540) Insbesondere Sanierungsvorhaben verlaufen im Idealfall „früh, schnell und still“541), sodass lang andauernde Rechtsbehelfsmöglichkeiten erhebliche Auswirkungen auf die Erfolgsaussichten des Verfahrens haben könnten. Gleichzeitig muss jedoch gewährleistet werden, dass für sämtliche im EU-Gebiet verstreute Gläubiger die Möglichkeit besteht, zuverlässig von einer Verfahrenseröffnung Kenntnis zu erlangen. Ein nur schwer wahrnehmbarer Fristbeginn oder eine zu knapp bemessene Frist von nur wenigen Tagen stünde dem ent-

___________ 536) 537) 538) 539)

Siehe oben Rn. 158. Siehe oben Rn. 166. Siehe oben Rn. 173 f. Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 5 Rn. 9; Wimmer/Bornemann/Lienau, Die Neufassung der EuInsVO, Rn. 265. 540) Brinkmann/Brinkmann, EIR, Art. 5 Rn. 10; Paulus, EuInsVO, Art. 5 Rn. 2; MüKoInsO/Thole, Art. 5 EuInsVO Rn. 5. 541) K. Schmidt, Gutachten für den 54. Deutschen Juristentag (1982), D, S. 103, 133.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

gegen und wäre daher kaum mit Erwägungsgrund 34 Satz 1 der EuInsVO zu vereinbaren, wonach der Rechtsbehelf „wirksam“ zu sein hat.

III. Form und Begründung 260 Auch hinsichtlich Form und Begründung der Anfechtung trifft die Verordnung keine Aussagen. So ist unklar, ob es für den Anfechtenden ausreicht, den vermeintlichen Verstoß gegen Art. 3 EuInsVO lediglich zu rügen, oder ob – und wenn ja, wie substantiiert – er seinen abweichenden Standpunkt zur internationalen Zuständigkeit darlegen muss. Zwar verpflichtet Art. 4 Abs. 1 EuInsVO das Gericht, seine internationale Zuständigkeit von Amts wegen zu prüfen. Ein zwingender Verzicht auf eine Darlegungslast des Anfechtenden geht damit jedoch noch nicht einher.542)

IV. Zuständiges Beschwerdegericht 261 Im Unklaren bleibt außerdem, bei welchem Gericht die Anfechtung geltend gemacht werden muss und welches Gericht darüber zu entscheiden hat. Aus Art. 2 Nr. 6 Ziff. i EuInsVO ergibt sich lediglich, dass im Rahmen des Art. 5 EuInsVO der enge Gerichtsbegriff gilt, wonach nur Justizorgane eines Mitgliedstaates erfasst sind (Gericht im institutionellen Sinne).543) Ob das Rechtsmittel beim das Verfahren eröffnenden Insolvenzgericht oder aber bei einem höheren Beschwerdegericht einzulegen ist, bleibt unbeantwortet. Gleiches gilt für die Frage, welches Gericht (im institutionellen Sinne) über die Anfechtung in den – wenn auch seltenen – Fällen entscheidet, in denen angegriffene die Eröffnungsentscheidung durch eine „sonstige zuständige Stelle“ i. S. v. Art. 2 Nr. 6 Ziff. ii EuInsVO erlassen wurde.544)

V. Gang des Beschwerdeverfahrens und Instanzenzug 262 Nach Erwägungsgrund 32 EuInsVO sollte das Gericht in allen Fällen, in denen die Umstände des Falls Anlass zu Zweifeln an seiner Zuständigkeit geben, den Schuldner auffordern, zusätzliche Nachweise für seine Behauptung vorzulegen, und, wenn das für das Insolvenzverfahren geltende Recht dies erlaubt, den Gläubigern des Schuldners Gelegenheit geben, sich zur Frage der Zuständigkeit zu äußern. Zu der näheren Ausgestaltung des Beschwerdeverfahrens schweigt die Verordnung jedoch; also etwa zu der Frage, ob für die Entscheidung über den Rechtsbehelf eine mündliche Verhandlung erforderlich ist oder ob anderweitig Stellungnahmen der Betei___________ 542) Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 5 Rn. 11. 543) Im Gegensatz dazu gilt für Art. 2 Nr. 7 EuInsVO die weitere Definition des Art. 2 Nr. 6 Ziff. ii, wonach unter den Begriff des Gerichts auch jede sonstige zuständige Stelle eines Mitgliedstaats fällt, die befugt ist, ein Insolvenzverfahren zu eröffnen, die Eröffnung eines solchen Verfahrens zu bestätigen oder im Rahmen dieses Verfahrens Entscheidungen zu treffen (Gericht im funktionalen Sinne). 544) Etwa durch die Gesellschaftsversammlung beim irischen creditors’ voluntary winding-up.

110

§ 7 Die Ausgestaltung des Rechtsbehelfs

ligten einzuholen sind. Genauso wenig äußert sich Art. 5 EuInsVO zu einem Instanzenzug und damit zu der Frage, ob die Beschwerdeentscheidung erneut angefochten werden kann.

VI. Wirkungen der Rechtsbehelfseinlegung Abgesehen von einem denkbaren Devolutiveffekt lässt die Verordnung auch weitere 263 Wirkungen der Einlegung des Rechtsbehelfs offen. Besonders brisant ist aufgrund des einer umfassenden Rechtsbehelfsmöglichkeit innewohnenden Missbrauchspotentials die Frage, ob der Anfechtung ein Suspensiveffekt zukommt. Zwar muss einerseits über den Erfolg des Rechtsbehelfs sorgfältig entschieden werden, andererseits sollten einzelne Beschwerdeführer nicht das gesamte, bereits eröffnete Insolvenzverfahren blockieren können. Jede Verzögerung gefährdet die Chance einer erfolgreichen Sanierung – gleichzeitig stehen etwaige beschwerdeführende Gläubiger durch einen Fortgang des Verfahrens vor der Gefahr, dass unumkehrbare Tatsachen geschaffen werden.545)

VII. Wirkungen einer dem Rechtsbehelf stattgebenden Entscheidung Ganz besonders brisant ist zudem die Frage, welche Wirkungen einer der Anfech- 264 tung stattgebenden Gerichtsentscheidung zukommen, wie Anfang 2018 das NIKIVerfahren546) gezeigt hat. Dies gilt besonders für den Fall, dass die Beschwerdeentscheidung noch keine Rechtskraft erlangt hat. Hebt eine solche Entscheidung den vermeintlich falschen Eröffnungsbeschluss bereits (zumindest vorläufig) wirksam auf? Kann in einem anderen Mitgliedstaat ein neues Hauptinsolvenzverfahren eröffnet werden – wie im NIKI-Verfahren geschehen durch das österreichische Landesgericht Korneuburg? Bleibt die angefochtene Eröffnungsentscheidung jedoch bis zum Eintritt der Rechtskraft der dem Rechtsbehelf stattgebenden Entscheidung wirksam, wäre aufgrund der Sperrwirkung des Art. 3 Abs. 3 i. V. m. Art. 19 EuInsVO, die das dem europäischen Insolvenzrecht zugrundeliegende Universalitätsprinzip absichert, die Eröffnung eines Hauptverfahrens in einem anderen Land solange unzulässig, wie nicht letztinstanzlich über den Rechtsbehelf entschieden wurde. Wie das Kompetenzgerangel im Rahmen der NIKI-Insolvenz gezeigt hat, wäre ein solcher Schwebezustand für die erfolgreiche Verwertung des Schuldnervermögens höchst schädlich. Ebenso stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob bereits getrof___________ 545) Siehe dazu Bewick, 24 Int. Insolv. Rev. (2015), 172, 180: „It is not clear how the ability for creditors to challenge would work. Recital 34 requires any creditor to have an effective remedy against the decision to open proceedings, but the consequences of a successful challenge should be governed by national law. If no significant decisions were able to be taken, that is, the process were effectively to be deferred until after the period for any challenge had expired, then there would be damaging delay. If not, the proceedings would already be on foot, and irreversible actions would be taken, which might not have been under another regime.“ 546) Siehe hierzu Rn. 136 f., Rn. 472 ff.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

fene Handlungen – etwa des Insolvenzverwalters – nach Aufhebung der Eröffnungsentscheidung wirksam bleiben.

265 Wie dargelegt gibt die Verordnung über all diese Einzelfragen keine Auskunft. Nach Erwägungsgrund 34 Satz 1 EuInsVO hat der Rechtsbehelf lediglich „wirksam“ zu sein. Es ist also zu untersuchen, wie die erheblichen Lücken, die Art. 5 EuInsVO lässt, zu schließen sind.

B. Nationales Verfahrensrecht als Lückenfüller I.

Nationales Verfahrensrecht vs. autonome Auslegung der EuInsVO

266 Nach einhelliger Auffassung obliegt die Erfüllung dieser Aufgabe den nationalen Verfahrensordnungen der Mitgliedstaaten.547) Die nationalen Gesetzgeber durften und dürfen sich somit aufgefordert fühlen, den durch Art. 5 Abs. 1 EuInsVO geschaffenen Rechtsbehelf näher auszugestalten – „putting some flesh on the rather skeleton-like structure of Article 5“.548)

267 Sind für die nähere Konkretisierung des Anfechtungsrechts die nationalen Verfahrensregelungen maßgeblich, besteht unübersehbar die Gefahr stark unterschiedlicher prozessualer Rahmenbedingungen. Das Niveau des gewährten Rechtsschutzes kann erheblich voneinander abweichen – je nachdem, in welchem Mitgliedstaat die Eröffnungsentscheidung angegriffen wird und welches nationale Verfahrensrecht folglich zur Anwendung kommt.549) Nationale Divergenzen bergen wiederum Anreize für Forum Shopping und Insolvenztourismus – Missstände, die der Verordnungsgeber mit einer gerichtlichen Kontrolle der Eröffnungsentscheidung gerade zu bekämpfen bezweckt.550)

268 Es ließe sich daher zumindest in Erwägung ziehen, bei der konkreten Ausgestaltung des Rechtsbehelfs zu differenzieren: Der Rückgriff auf nationale Verfahrensregeln ist in solchen Bereichen unausweichlich, die der europäische Gesetzgeber schlicht ___________ 547) K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 5 EuInsVO Rn. 1, 5; Dammann/Sénéchal, Le droit de l’insolvabilité internationale, Rn. 412; Konecny, in: Nunner-Krautgasser/Garber/Jaufer, Grenzüberschreitende Insolvenzen im europäischen Binnenmarkt (2017), S. 95; Luciano, Rev. proc. coll. 2018, étude 8 Rn. 23; Mankowski/Müller/J. Schmidt/Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 5 Rn. 10 f., 19; Sautonie-Laguionie/Maréchal, Règlement (UE) n° 2015/848, Art. 5 I. A.; Mohr, in: König/Mayr, Europäisches Zivilverfahrensrecht in Österreich V, S. 1, 14; Paulus, EuInsVO, Art. 5 Rn. 2, 7; Bork/van Zwieten/Ringe, EIR, Art. 5 Rn. 5.16; MüKoInsO/Thole, Art. 5 EuInsVO Rn. 5 f.; Vallender, ZIP 2015, 1513, 1516; Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 5 Rn. 6; Wimmer/Bornemann/Lienau, Die Neufassung der EuInsVO, Rn. 265. Siehe dazu auch CERIL Report 2018-1. 548) Brinkmann/Brinkmann, EIR, Art. 5 Rn. 9. 549) K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 5 EuInsVO Rn. 5; Mock, GPR 2013, 156, 158; Bork/van Zwieten/Ringe, EIR, Art. 5 Rn. 5.16. 550) Erwägungsgrund 29 EuInsVO; Mankowski/Müller/J. Schmidt/Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 5 Rn. 19. Siehe oben Rn. 245 ff.

112

§ 7 Die Ausgestaltung des Rechtsbehelfs

nicht im Stande ist zu regeln. Dies betrifft in jedem Fall Aspekte der Gerichtsorganisation – bei welchem konkreten nationalen Gericht die Anfechtung geltend zu machen ist, kann und darf der Unionsgesetzgeber nicht festlegen. Anders stellt sich die Situation jedoch hinsichtlich weiterer Gesichtspunkte dar: etwa die nähere Konkretisierung der Anfechtungsberechtigung, die Ausgestaltung einer Anfechtungsfrist, die Wirkungen eines eingelegten Rechtsbehelfs sowie die Wirkungen einer Entscheidung über dessen Erfolg. Hier könnte sich die genauere prozessuale Ausgestaltung auch unmittelbar aus einer autonomen Auslegung der Verordnung ergeben. Dies hätte den Vorteil, dass nicht eine Vielzahl nationaler Rechtsbehelfsverfahren mit ihren jeweiligen Besonderheiten existierten, sondern für jede Anfechtung einer Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO im Wesentlichen auf die gleichen Rahmenbedingungen zurückzugreifen wäre, unabhängig davon, in welchem Mitgliedstaat der Rechtsbehelf eingelegt wird. Für die angestrebte effiziente und wirksame Durchführung grenzüberschreitender Insolvenzverfahren im Sinne eines reibungslosen Funktionierens des Binnenmarktes (vgl. Erwägungsgrund 3 EuInsVO) könnte dies nur von Vorteil sein. Allerdings lässt sich die prozessuale Ausgestaltung des Anfechtungsrechts im Wege 269 einer autonomen Auslegung der Verordnung durch gewissermaßen „ungeschriebenes“ Unionsrecht kaum begründen. Die Folge wäre zunächst eine erhebliche Rechtsunsicherheit: Es erscheint wesentlich einfacher, nationale Verfahrensregeln heranzuziehen und diese auf ihre Unionsrechtskonformität hin zu überprüfen, als losgelöst von einer geschriebenen gesetzlichen Grundlage Modalitäten des Rechtsbehelfs mit unionsweiter Geltung zu entwickeln. Daher verwundert es nicht, dass sich für die zuletzt beschriebene Vorgehensweise im Unionsrecht keine Beispiele finden lassen. Der Rückgriff auf die nationalen Verfahrensrechte entspricht auch dem Willen des 270 europäischen Gesetzgebers. Eine ausdrückliche Regelung, wie die von Art. 5 offengelassenen Lücken zu schließen sind, enthält die EuInsVO zwar nicht. Nach Erwägungsgrund 34 Satz 2 EuInsVO unterliegen lediglich die „Folgen einer Anfechtung“ dem nationalen Recht. Dass der Verordnungsgeber mit dem Begriff der „Folgen“ auch die Ausgestaltung des Verfahrens im Sinn hatte, geben auch die anderen Sprachfassungen nicht her.551) Dennoch schlägt Erwägungsgrund 34 EuInsVO eine Brücke zwischen den Folgen der Anfechtung und dem Anfechtungsverfahren, da sich die Folgen der Anfechtung wiederum nur aus dem Anfechtungsverfahren selbst ergeben.552) Auch hätte der Gesetzgeber die Möglichkeit gehabt, die prozessualen Rahmenbe- 271 dingungen des Anfechtungsrechts näher auszugestalten. Dies zeigt schon ein Ver___________ 551) Engl.: „the consequences of any challenge“; frz.: „les conséquences d’un recours“; span.: „la consecuencia“; ital.: „le conseguenze“; niederl.: „de gevolgen“; por.: „as consequências“. 552) Wie hier schon Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 5 Rn. 6.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

gleich mit anderen autonom-unionsrechtlichen Rechtsbehelfen.553) Hier macht das europäische Sekundärrecht teilweise bereits genauere Vorgaben, etwa hinsichtlich Rechtsbehelfsberechtigung und Frist, während es andere Punkte bewusst dem nationalen Recht überlässt.554) Am weitesten geht dabei wohl der unionsrechtlich vorgesehene Einspruch gegen den Europäischen Zahlungsbefehl nach Art. 16 EuMVVO. Die Norm regelt die Einspruchsberechtigung, das zuständige Gericht, den Einspruchsgegenstand, Frist (Dauer, fristauslösendes Ereignis und Fristende) und enthält detaillierte Angaben zur Form. Sie dient somit als Beispiel für einen sehr ausführlich – wenn nicht gar umfassend – geregelten autonom-europäischen Rechtsbehelf.

272 Bei Art. 5 EuInsVO wurde von einer näheren Ausgestaltung abgesehen. Auch mit diesem Modell betritt der europäische Gesetzgeber jedoch keineswegs Neuland. Eine parallele Regelungstechnik nutzte er bereits in Art. 49 Brüssel Ia-VO. Auch dort war ein nicht näher konkretisierter Rechtsbehelf durch die nationalen Gesetzgeber im Wege des indirekten unmittelbaren Vollzugs auszugestalten. Dieser Aufgabe ist etwa der deutsche Gesetzgeber durch die Einführung des § 1115 Abs. 5 ZPO, der auf die Beschwerde nach §§ 567 ff. ZPO verweist, nachgekommen.555)

273 Dass die EuInsVO im Rahmen der gerichtlichen (Über-)Prüfung der internationalen Zuständigkeit den nationalen Verfahrensrechten eine nicht unerhebliche Bedeutung einräumt, ergibt sich auch aus Erwägungsgrund 32 EuInsVO: Demnach soll das Insolvenzgericht bei der Prüfung seiner internationalen Zuständigkeit den Gläubigern nur dann Gelegenheit zur Stellungnahme geben, „wenn das für das Insolvenzverfahren geltende Recht dies erlaubt“. Auch hier sieht die Verordnung also von einer einheitlichen Regelung ab und nimmt sogar ausdrücklich territoriale Divergenzen in Kauf.

274 Allerdings genießen die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen bei der prozessualen Ausgestaltung des Rechtsbehelfs keineswegs grenzenlose Freiheiten. Nationale Durchführungsvorschriften dürfen die Wirksamkeit der Verordnung und des von ihr vorgegebenen Rechtsbehelfs nicht einschränken. Dies gebietet bereits der unionsrechtliche Effektivitätsgrundsatz. Dabei handelt es sich um ein fundamentales Grundprinzip des Unionsrechts, welches sich als Leitgedanke wie ein roter Faden durch diese Untersuchung zieht: Nach ständiger Rechtsprechung müssen die Mitgliedstaaten die effektive Um- und Durchsetzung des Unionsrechts in einem Mindestmaß gewährleisten und dürfen die durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht ___________ 553) Zum Beispiel Art. 49 Brüssel Ia-VO, Art. 50, Art. 72 EuErbVO, Art. 16 EuMVVO, Art. 18 EuGFVO. 554) Art. 50 EuErbVO gewährt „jeder Partei“ innerhalb von 30 bzw. 60 Tagen einen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung. Art. 72 EuErbVO beinhaltet einen Rechtsbehelf gegen gewisse Entscheidungen der Ausstellungsbehörde und regelt lediglich Anfechtungsgegenstand und Anfechtungsberechtigung. Die Festsetzung einer Frist ist den nationalen Rechtsordnungen überlassen (in Deutschland §§ 43, 44 IntErbRVG). 555) Siehe hierzu Rauscher/Mankowski, EuZPR/EuIPR, Art. 49 Brüssel Ia-VO Rn. 4.

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§ 7 Die Ausgestaltung des Rechtsbehelfs

praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren.556) Im konkreten Fall müssen die nationalen „Umsetzungsvorschriften“ also gewährleisten, dass der Rechtsbehelf „wirksam“ bleibt (vgl. auch Erwägungsgrund 34 Satz 1 EuInsVO). Vor diesem Hintergrund wären beispielsweise eine zu knapp bemessene Rechtsmittelfrist von nur wenigen Tagen oder aber übermäßige Anforderungen an den Nachweis der Gläubigerstellung kritisch zu sehen.557) Die nähere prozessuale Ausgestaltung des Anfechtungsrechts kann sich daher nur 275 nach den jeweiligen nationalen Verfahrensordnungen richten.558) Dies führt bisweilen zu unerwünschten Ergebnissen, da der Rückgriff auf einen Flickenteppich nationaler Einzelregelungen unweigerlich voneinander abweichende Rechtsschutzstandards in den verschiedenen Mitgliedstaaten zur Folge hat. Dennoch ist diese Lösung schon aus Gründen der Rechtssicherheit der Entwicklung von allgemeinen Verfahrensmodalitäten mittels einer autonomen Auslegung der Verordnung aus „ungeschriebenem“ Unionsrecht zunächst vorzuziehen. Da sich jede nationale Bestimmung, die den Rechtsbehelf aus Art. 5 näher ausgestaltet, zudem am Effektivitätsgrundsatz und dem Gebot der Wirksamkeit des Unionsrechts messen lassen muss, gewährleistet die EuInsVO immerhin einen in jedem Mitgliedstaat unmittelbar geltenden Mindeststandard an Rechtsschutz gegen eine Eröffnungsentscheidung.559)

II. Dogmatische Grundlage der Anwendbarkeit nationalen Rechts Nicht ganz eindeutig ist die dogmatische Herleitung der Anwendbarkeit nationalen 276 Rechts. Ob diesbezüglich – wie teilweise geltend gemacht560) – auf Art. 7 Abs. 1 EuInsVO als Verweisungsgrundlage zurückzugreifen ist, erscheint fraglich.

___________ 556) EuGH, Urt. v. 16.12.1976 – Rs. C-33/76, NJW 1977, 495 Rn. 5 – Rewe; EuGH, Urt. v. 14.12.1995 – Rs. C-312/93, EuZW 1996, 636 Rn. 12 – Peterbroeck; EuGH, Urt. v. 7.1.2004 – Rs. C-201/02, NVwZ 2004, 593 Rn. 67 – Wells; EuGH, Urt. v. 27.6.2013 – Rs. C-93/12, BeckRS 2013, 81290 Rn. 36 – ET Agrokonsulting; EuGH, Urt. v. 11.9.2019 – Rs. C-676/17, BeckRS 2019, 20654 Rn. 30 – Oana. 557) Siehe hierzu unten Rn. 306 ff., 401 ff. 558) In allgemeiner Hinsicht betont der EuGH seit Jahren den Grundsatz der nationalen Verfahrensautonomie für die Durchführung von EU-Recht. Demnach sind die Einzelheiten eines nicht vereinheitlichten Verfahrens Sache der innerstaatlichen Rechtsordnungen eines jeden Mitgliedstaats. Siehe nur EuGH, Urt. v. 16.12.1976 – Rs. 45/76, BeckRS 2004, 71219 Rn. 11/18 – Comet; EuGH, Urt. v. 14.12.1995 – Rs. C-312/93, EuZW 1996, 636 Rn. 12 – Peterbroeck; EuGH, Urt. v. 14.12.1995 – Rs. C-430/93 und C-431/93, EuZW 1996, 542 Rn. 17 – van Schijndel; EuGH, Urt. v. 7.1.2004 – Rs. C-201/02, NVwZ 2004, 593 Rn. 65 – Wells; EuGH, Urt. v. 14.3.2013 – Rs. C-415/11, EuZW 2013, 464 Rn. 50 – Aziz. 559) Der Rückgriff auf nationales Verfahrensrecht ist insgesamt dennoch kritisch zu sehen, siehe Rn. 586 ff. 560) Brinkmann/Brinkmann, EIR, Art. 5 Rn. 9; Mankowski/Müller/J. Schmidt/Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 5 Rn. 10; MüKoInsO/Thole, Art. 5 EuInsVO Rn. 6.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

277 Zwar unterstellt Art. 7 Abs. 1 EuInsVO „das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen“ dem nationalen Insolvenzrecht des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet das Verfahren eröffnet wird. Für die Anwendung dieses Verweises auf die lex fori concursus besteht im Rahmen der notwendigen prozessualen Ausgestaltung des Art. 5 EuInsVO jedoch kein Bedürfnis. Vielmehr sind in einem solchen Fall, in dem der europäische Gesetzgeber per Verordnung einen unmittelbar geltenden Rechtsbehelf schafft, ohne diesen näher zu präzisieren, die Mitgliedstaaten selbst zum Erlass verordnungsakzessorischen Rechts befugt und sogar verpflichtet.561) Einer Kollisionsregel wie Art. 7 Abs. 1 EuInsVO bedarf es dafür nicht; die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Durchführungsregeln zu erlassen (sog. indirekter unmittelbarer Vollzug von Unionsrecht), ergibt sich unmittelbar aus Art. 291 Abs. 1 AEUV. Diese weitgefasste Vorschrift („Die Mitgliedstaaten ergreifen alle zur Durchführung der verbindlichen Rechtsakte der Union erforderlichen Maßnahmen nach innerstaatlichem Recht.“) umfasst neben der der Mitgliedschaft inhärenten Pflicht zur Beachtung des Unionsrechts auch den Erlass weitergehender Begleitmaßnahmen, die den Zweck verfolgen, das Unionsrecht zu seiner Geltung zu verhelfen. In diesem Zusammenhang haben die Mitgliedstaaten im Wege gesetzgeberischer Maßnahmen auch die erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen, um den normativen Anspruch des Unionsrechts auch tatsächlich zu verwirklichen.562)

278 Aus diesem Gebot zur loyalen Zusammenarbeit (zur Beachtung des Unionsrechts) ergibt sich für die Mitgliedstaaten folglich die Pflicht, den Regelungsgehalt des Art. 5 Abs. 1 EuInsVO durch Maßnahmen normativer Art, die eine nähere erforderliche prozessuale Ausgestaltung des Rechtsbehelfs zur Folge haben, zur Geltung zu bringen.563) Bei der Erfüllung dieser Aufgabe dürfen die Mitgliedstaaten freilich nur so weit gehen, wie dies zur Schließung und Vervollständigung der unionsrechtlichen Lücken erforderlich ist. Insbesondere darf das Durchführungsrecht in seinem Zweck und seiner Wirkung nicht dazu führen, den Verordnungstext in seiner Tragweite zu verändern.564) Die praktische Wirksamkeit des Anfechtungsrechts muss gewahrt bleiben. ___________ 561) Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 5 Rn. 6; Zipperer, NZI 2020, 600, 601. 562) EuGH, Urt. v. 16.12.1976 – Rs. C-33/76, NJW 1977, 495 Rn. 5 – Rewe; Grabitz/Hilf/Nettesheim/ Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 291 AEUV Rn. 17. 563) Eine Kompetenz der nationalen Gesetzgeber zur Festlegung der Art und prozessualen Ausgestaltung nehmen, jedoch ohne nähere Begründung, ebenfalls an: Fritz, DB 2015, 1882, 1885; Mock, GPR 2013, 156, 158; Prager/Keller, NZI 2013, 57, 59; Thole/Swierczok, ZIP 2013, 550, 552. 564) Siehe hierzu den vom EuGH (EuGH, Urt. v. 12.2.1971 – Rs. 39/70, NJW 1971, 1535, 1535 f. – Fleischkontor) aufgestellten Grundsatz zum sog. indirekten unmittelbaren Vollzug einer Verordnung: „Obliegt der Vollzug einer Gemeinschaftsverordnung den nationalen Behörden, so ist davon auszugehen, dass er grds. nach den Form- und Verfahrensvorschriften des nationalen Rechts zu geschehen hat. Um der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts willen, ist jedoch der Rückgriff auf innerstaatliche Rechtsvorschriften nur in dem zum Vollzug der Verordnung notwendigen Umfang zulässig.“

116

§ 7 Die Ausgestaltung des Rechtsbehelfs

Im Folgenden muss sich der Blick der Arbeit daher erneut auf die ausgewählten 279 mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen richten. Es ist zu untersuchen, ob und in welcher Form der deutsche, der österreichische und der französische Gesetzgeber den Rechtsbehelf aus Art. 5 EuInsVO „umgesetzt“ haben bzw. ob die entsprechenden Rechtsordnungen bereits prozessuale Regelungen vorsehen, um das Rechtsbehelfsverfahren auszugestalten und die von Art. 5 EuInsVO offengelassenen Lücken zu schließen.

III. Überblick über nationale Ausgestaltungsregelungen Die Mitgliedstaaten waren aufgefordert, den Rechtsbehelf aus Art. 5 EuInsVO in 280 ihre nationalen Verfahrensordnungen einzugliedern. Entsprechende Regelungen zu seiner Ausgestaltung haben das Ziel, ein reibungsloses Zusammenspiel der neuen EuInsVO mit den nationalen (Verfahrens-)Regeln zu ermöglichen.

1.

Deutschland

Nach dem bisherigen nationalen deutschen Insolvenzrecht stand Gläubigern gegen 281 die Eröffnungsentscheidung kein Rechtsmittel zu. Gemäß § 34 Abs. 1 und 2 InsO war allein der Schuldner – und der Antragsteller lediglich im Falle der Ablehnung der Eröffnung – zur Anfechtung im Wege der sofortigen Beschwerde berechtigt. Auch gegen die Anordnung vorläufiger Sicherungsmaßnahmen – wie etwa die Einsetzung eines vorläufigen Insolvenzverwalters – konnte nach § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO i. V. m. §§ 567 ff. ZPO lediglich der Schuldner Beschwerde einlegen. Die bisherige Gesetzeslage machte also eine Verzahnung des in Art. 5 Abs. 1 282 EuInsVO vorgesehenen Rechtsbehelfs mit dem deutschen Recht erforderlich.565) Dem ist der Gesetzgeber in Form einer Neuregelung im Rahmen eines Durchführungsgesetzes zur Neufassung der EuInsVO nachgekommen.566) Durch die Einführung des Art. 102c § 4 EGInsO wurde der europäische Rechtsbehelf des Art. 5 Abs. 1 EuInsVO in die Form der sofortigen Beschwerde (§§ 567 ff. ZPO) gegossen. Nach Art. 102c § 4 Satz 1 EGInsO stehen dem Schuldner und jedem Gläubiger – unbeschadet der § 21 Abs. 1 Satz 2 und § 34 InsO – gegen die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO die sofortige Beschwerde zur Rüge der fehlenden internationalen Zuständigkeit für die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO zu. Durch den Verweis auf die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO wird klargestellt, dass sich das Rechtsmittel nicht nur gegen den förmlichen Eröffnungsbeschluss nach § 27 InsO, sondern auch gegen die Anordnung vorläufiger Siche___________ 565) Begr. RegE, Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren, BT-Drucks. 18/10823, S. 17. 566) Gesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren v. 5.6.2017, in Kraft getreten am 26.6.2017, BGBl. I 2017, S. 1476. Siehe dazu Fritz, BB 2017, 133; Swierczok, ZInsO 2017, 1861, noch zum Regierungsentwurf Madaus, NZI 2017, 203.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

rungsmaßnahmen, wie insbesondere die Bestellung eines vorläufigen Verwalters, richten kann.567) Satz 2 erklärt die Vorschriften über die Rechtsbeschwerde (§§ 574 bis 577 ZPO) für entsprechend anwendbar.

283 Somit hat sich der Gesetzgeber hierzulande für die Schaffung einer vollständig neuen Norm entschieden. Unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit ist dies im Gegensatz zu einer – ebenfalls diskutierten568) – Analogie zu bereits bestehenden Regelungen wie Art. 102 § 7 EGInsO oder § 34 Abs. 2 InsO zu begrüßen.569)

2.

Österreich

284 Art. 5 EuInsVO bringt für das österreichische Recht im Wesentlichen keine Neuerungen.570) Bereits vor Inkrafttreten der neuen EuInsVO konnte sowohl der Eröffnungsbeschluss (§ 74 österIO) als auch die Bestellung eines vorläufigen Verwalters (§ 73 Abs. 1 österIO) von jeder Person, deren Rechte durch die entsprechende Entscheidung berührt wurden, mittels des Rekurses angefochten werden. Rekursberechtigt waren und sind somit unter anderem der Schuldner sowie Insolvenzgläubiger.571) Während der Rekurs gegen den Eröffnungsbeschluss ausdrücklich in § 71c Abs. 1 österIO geregelt ist, ergibt sich die Rechtsmittelberechtigung gegen einstweilige Vorkehrungen, wie die Bestellung eines vorläufigen Verwalters, aus den allgemeinen Vorschriften der §§ 260, 252 österIO i. V. m. §§ 514 ff. österZPO.

285 Das nach Art. 5 EuInsVO vorgesehene Anfechtungsmittel ist nach österreichischem Recht somit der Rekurs.572) Aufgrund der bereits bestehenden weitreichenden Rekursmöglichkeit bedurfte es keiner prozessualen Eingliederung des Rechtsbehelfs aus Art. 5 EuInsVO. Für Rechtsbehelfe gegen die Eröffnungsentscheidung im unionsrechtlichen Sinne sind somit weiterhin die § 71c, §§ 260, 252 österIO (ggf. i. V. m. Art. 5 Abs. 1 EuInsVO) bzw. die §§ 514 ff. österZPO maßgeblich.

___________ 567) Fritz, BB 2017, 131, 132. 568) Siehe hierzu Prager/Keller, NZI 2013, 57, 59; Thole/Swierczok, ZIP 2013, 550, 552. 569) Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 5 Rn. 7 Fn. 34. Kritisch zur in Art. 102c § 4 EGInsO erfolgten pauschalen Gleichsetzung jeder vorläufigen Sicherungsmaßnahme (§ 21 InsO) mit einer Verfahrenseröffnung Madaus, NZI 2017, 203, 207 f., da das europäische Recht keineswegs jede von § 21 InsO erfasste Sicherungsmaßnahme auch als Verfahrenseröffnung im Sinne von Art. 2 Nr. 7 EuInsVO ansehe. 570) Konecny, in: Nunner-Krautgasser/Garber/Jaufer, Grenzüberschreitende Insolvenzen im europäischen Binnenmarkt (2017), S. 95; Mayr/Konecny, Handbuch des europäischen Zivilverfahrensrechts, Rn. 17.91; Senoner/Weber-Wilfert, RZ 2016, 126, 129. 571) Rechtsmittellegitimiert nach § 71c österIO sind jedoch nur Insolvenzgläubiger; aus- und absonderungsberechtigte Gläubiger werden nach h. M. nicht erfasst (siehe oben Rn. 194 ff.). Zur Unvereinbarkeit dieser Einschränkung mit Art. 5 EuInsVO siehe unten Rn. 313 ff. 572) Mayr/Konecny, Handbuch des europäischen Zivilverfahrensrechts, Rn. 17.91.

118

§ 7 Die Ausgestaltung des Rechtsbehelfs

3.

Frankreich

Auch in Frankreich machte die Neufassung der EuInsVO eine Anpassung des nati- 286 onalen Rechts erforderlich.573) Um die Vorschriften der EuInsVO mit dem bestehenden französischen Recht zu verzahnen, hat der französische Gesetzgeber die Ordonnance n° 2017-1519 erlassen.574) Diese Regierungsverordnung575) ergänzt und ändert die maßgeblichen Teile des Code de commerce. Insbesondere wurde in dessen sechstes Buch ein neuer Abschnitt eingefügt, der besondere Bestimmungen für Insolvenzverfahren im Anwendungsbereich der EuInsVO 2015 vorsieht.576) Vor dem Hintergrund des Art. 5 EuInsVO verdient insbesondere Art. L.691-1 C. com. Aufmerksamkeit.577) Die neu geschaffene Vorschrift berechtigt zum einen den ministère public gegen die das Hauptinsolvenzverfahren eröffnende Entscheidung Berufung (appel) aus Gründen der (fehlenden) internationalen Zuständigkeit einzulegen. Zum zweiten stehen aus demselben Grund auch jedem Gläubiger die Rechtsmittel der Berufung sowie des Drittwiderspruchs (tierce opposition) offen. Bereits bestehende Rechtsbehelfsmöglichkeiten gegen die Verfahrenseröffnung bleiben von der Neuregelung ausdrücklich unberührt. Der Innovationsgehalt des neuen Art. L.691-1 C. com. ist gering. Bereits nach dem 287 bestehenden Recht war der ministère public gegen die Eröffnung eines sauvegarde-, redressement- oder Liquidationsverfahrens berufungsberechtigt.578) Nun ist durch Gesetz klargestellt, dass die Berufung auch aus Gründen der fehlenden internationalen Zuständigkeit eingelegt werden kann, was der bisher geltenden Rechtsprechung entspricht.579) Hinsichtlich der Berufungsberechtigung des ministère public macht ___________ 573) Mastrullo/Menjucq, Rev. proc. coll. 2017, étude 19 Rn. 1; Roussel Galle/Tabeling, JCP G 2017, 2094; Vallens, D. 2017, 1257. 574) Ordonnance n° 2017-1519 du 2 novembre 2017 portant adaption du droit français au règlement (UE) n° 2015/848 du Parlement européen et du Conseil du 20 mai 2015 relatif aux procédures d’insolvabilité. Siehe hierzu Dammann/Guermonprez, D. 2017, 2435; Mastrullo/Menjucq, Rev. proc. coll. 2017, étude 19; Menjucq u. a., Rev. proc. coll. 2018, entretien 2; Roussel Galle/ Tabeling, JCP G 2017, 2094; Vallens, D. 2017, 2439. 575) Nach Art. 38 der französischen Verfassung sowie Art. 110 des Gesetzes n° 2016-1547 (loi n° 2016-1547 du 18 novembre 2016 de modernisation de la justice du XXIe siècle (1)) ist die Regierung ermächtigt, durch Verordnung gesetzgeberisch erforderliche Maßnahmen zur Anwendung der Neufassung der EuInsVO zu ergreifen. 576) Titre IX: Dispositions particulières aux procédures d’insolvabilité relevant du règlement (UE) n° 2015/848 du 20 mai 2015 relatif aux procédures d’insolvabilité. 577) Art. L.691-1 C. com.: „Sans préjudice des voies de recours qui leur sont ouvertes par ailleurs, le ministère public, par la voie de l’appel, et tout créancier, par la voie de l’appel ou de la tierce opposition, selon le cas, peuvent contester la décision d’ouverture de la procédure d’insolvabilité principale pour un motif de compétence internationale.“ 578) Art. L.661-1 I 2° C. com., siehe oben Rn. 219. 579) Rapport au Président de la République relatif à l’ordonnance n° 2017-1519 du 2 novembre 2017 portant adaption du droit français au règlement (UE) n° 2015/848 du Parlement européen et du Conseil du 20 mai 2015 relatif aux procédures d’insolvabilité, JORF n° 0257 du 3 novembre 2017, texte n° 10.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

das französische Recht von der Regelung des Art. 5 Abs. 2 EuInsVO Gebrauch, wonach die Eröffnungsentscheidung auch von anderen Personen als Schuldner und Gläubigern angegriffen werden kann, wenn dies nach nationalem Recht vorgesehen ist.

288 Neuerungen bringt Art. L.691-1 C. com. für die Rechte von Gläubigern. Zwar ist auch weiterhin lediglich der antragstellende Gläubiger (créancier poursuivant) gegen die Eröffnung eines redressement- oder eines Liquidationsverfahrens berufungsberechtigt.580) Allen anderen Gläubigern stand bisher das Rechtsmittel der tierce opposition nur unter sehr engen Voraussetzungen zu.581) Art. L.691-1 C. com. erstreckt die Drittwiderspruchsberechtigung gegen die Eröffnungsentscheidung zur Rüge der fehlenden internationalen Zuständigkeit nun im Einklang mit Art. 5 EuInsVO auf sämtliche Gläubiger („tout créancier“); sie beschränkt sich also nicht mehr lediglich auf im Ausland ansässige Gläubiger. Art. L.691-1 C. com. stärkt somit die Rechtsposition aller Gläubiger und macht deutlich, dass der Rechtsbehelf des Art. 5 EuInsVO im französischen Recht für den antragstellenden Gläubiger im Gewand der Berufung, für alle anderen Gläubiger im Gewand der tierce opposition daherkommt.582) Dementsprechend finden auf die Beschwerdeverfahren die allgemeinen prozessualen Vorschriften des Code de procédure civile Anwendung.

IV. Zwischenergebnis 289 Den Mitgliedstaaten kommt somit die Aufgabe zu, den für die Ausübung des Anfechtungsrechts aus Art. 5 Abs. 1 EuInsVO erforderlichen prozessualen Rahmen zu schaffen und aufrechtzuerhalten. Nationale Verfahrensvorschriften, die den Rechtsbehelf näher ausgestalten und konkretisieren, haben sich dabei an dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz zu messen und müssen die Wirksamkeit des Anfechtungsrechts gewährleisten.

290 Um in der Folge die konkrete prozessuale Ausgestaltung des Rechtsbehelfs darzustellen, gilt es das Zusammenspiel von Unionsrecht und nationalem Verfahrensrecht zu untersuchen. Aufgabe der weiteren Überlegungen ist es, nationale Durchführungsregelungen auf ihre Unionsrechtskonformität hin zu überprüfen und eventuell bestehende Friktionen aufzudecken. Die grundsätzliche Regelungskompetenz der nationalen Gesetzgeber lassen Unstimmigkeiten sowohl im vertikalen Verhältnis zwi___________ 580) Art. L.661-1 I 2° C. com., siehe oben Rn. 219 ff. Das sauvegarde-Verfahren kann nur vom Schuldner selbst beantragt werden, sodass es dort keinen antragstellenden Gläubiger geben kann. 581) Siehe oben Rn. 228 ff. 582) Kritisch zum etwas zweideutigen Wortlaut des Art. 691-1 C. com. Mastrullo/Menjucq, Rev. proc. coll. 2017, étude 19 Rn. 19 ff.; Menjucq u. a., Rev. proc. coll. 2018, entretien 2. Zudem erschließt sich nicht ganz, warum der antragstellende Gläubiger gegen die Verfahrenseröffnung Berufung einlegen sollte, um die internationale Zuständigkeit des französischen Eröffnungsgerichts zu rügen.

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§ 8 Zulässigkeitsvoraussetzungen

schen europäischem und nationalem Recht, als auch im horizontalen Verhältnis zwischen verschiedenen nationalen Vorschriften befürchten.

§ 8 Zulässigkeitsvoraussetzungen Um das Zusammenspiel zwischen Unionsrecht und nationalen Durchführungsvor- 291 schriften bewerten zu können, sollen die konkreten Anforderungen und Voraussetzungen untersucht werden, die die Rechtsordnungen Deutschlands, Österreichs und Frankreichs an die Zulässigkeit des durch Art. 5 Abs. 1 EuInsVO i. V. m. dem jeweiligen nationalen Prozessrecht gewährten Rechtsbehelf stellen. Hierbei geht es zunächst um Zulässigkeitsfragen im engeren Sinne, wie die Anfechtungsberechtigung, die Anfechtungsfrist sowie Form- und Begründungserfordernisse. Diese Punkte ließen sich auch als formale Anforderungen bezeichnen. Anschließend wird ein Blick auf ergänzende Zulässigkeitsvoraussetzungen geworfen, 292 die das Verfahren in einem weiteren Sinne betreffen. Hier gilt es offene Fragen der (mitgliedstaatlichen) Gerichtsorganisation zu beantworten: So haben die nationalen Rechtsordnungen etwa festzulegen, bei welchem Gericht der Rechtsbehelf gegen die Eröffnungsentscheidung einzulegen ist und ob sie die Möglichkeit eines Instanzenzugs vorsehen. Die jeweiligen nationalen Lösungen sind dabei stets auf ihre Unionsrechtskonformität hin zu untersuchen.

A. Anfechtungsberechtigung Hinsichtlich der Zulässigkeitsvoraussetzungen des Rechtsbehelfs soll nun zuerst der 293 Begriff der Anfechtungsberechtigung in den Blick genommen werden. Nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO sind zur Anfechtung der Eröffnungsentscheidung aus Gründen der fehlenden internationalen Zuständigkeit „[d]er Schuldner oder jeder Gläubiger“ befugt. Im Rahmen der Ausgestaltung des Rechtsbehelfs durch die nationalen Rechtsordnungen könnte der Kreis der Anfechtungsberechtigten jedoch noch weiter zu konkretisieren sein. Ob und falls ja wie die ausgewählten mitgliedstaatlichen Verfahrensrechte den Kreis der Anfechtungsberechtigten näher umgrenzen, soll in der Folge betrachtet werden. Hierbei wird insbesondere der Frage nachgegangen, ob ein etwaiges zusätzliches Tatbestandsmerkmal einer Beschwer des Anfechtenden mit den Vorgaben der Verordnung konform ist.

I.

Anfechtungsberechtigung im nationalen Recht

1.

Deutschland

Ausweislich des neu geschaffenen Art. 102c § 4 EGInsO sind zur Rüge des Feh- 294 lens der internationalen Zuständigkeit nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO der Schuldner und jeder Gläubiger berechtigt, sofortige Beschwerde (§§ 567 ff. ZPO) gegen die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO

121

Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

einzulegen. Hinsichtlich des Kreises der Anfechtungsberechtigten entspricht Art. 102c § 4 EGInsO in seinem Wortlaut somit zunächst Art. 5 Abs. 1 EuInsVO.

295 Ob die Beschwerdeberechtigung abgesehen von der Qualifizierung als „Schuldner“ oder „Gläubiger“ an weitere Voraussetzungen zu knüpfen ist, wird unterschiedlich beurteilt. Art. 102c § 4 EGInsO verweist auf die §§ 567 ff. ZPO. Daher liegt es auf den ersten Blick nahe, auch die sofortige Beschwerde gegen die Eröffnungsentscheidung nach Art. 102c § 4 EGInsO nur unter der (zusätzlichen) Voraussetzung einer Beschwer (sowie eines Rechtsschutzbedürfnisses) für zulässig zu erklären.583) Vor diesem Hintergrund wird in Erwägung gezogen, vor allem aussonderungsberechtigte Gläubiger (§ 47 InsO) mangels (materieller) Beschwer aus dem Kreis der Beschwerdeberechtigten gegen die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens auszunehmen.584)

296 Die Kritiker solcher Einschränkungen betonen allerdings die Pflicht einer verordnungskonformen Auslegung des Art. 102c § 4 EGInsO und weisen auf den in Art. 2 Nr. 11 EuInsVO definierten Gläubigerbegriff hin: Demnach sei Gläubiger im Sinne der Verordnung und somit auch im Sinne von Art. 5 Abs. 1, wem eine Forderung gegen den Schuldner zustehe. Dies gelte ungeachtet des Rangs der Forderung und unabhängig von der Beteiligung der Gläubiger im Verfahren.585) In der Folge sei keine Einschränkung der Beschwerdeberechtigung vorzunehmen, weshalb im Sinne einer möglichst breiten Anwendung des Art. 5 EuInsVO auch aussonderungsberechtigten sowie nachrangigen Gläubigern die Beschwerdebefugnis zuzugestehen sei.586)

297 Von der Regelung des Art. 5 Abs. 2 EuInsVO hat der deutsche Gesetzgeber keinen Gebrauch gemacht. Abgesehen von Schuldner und Gläubigern berechtigt das deutsche Insolvenzrecht keine weiteren Personen zur Anfechtung der Verfahrenseröffnung. Es wird jedoch dafür plädiert, anstelle des Schuldners auch dem Insolvenzverwalter eines bereits laufenden ausländischen Hauptinsolvenzverfahrens die Beschwerdebefugnis gegen die deutsche Verfahrenseröffnung zur Rüge der fehlenden ___________ 583) So wohl K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 7 ff.; Art. 5 EuInsVO Rn. 4; Wimmer/Bornemann/Lienau, Die Neufassung der EuInsVO, Rn. 265; im Ergebnis ebenfalls Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 5 Rn. 9 f.; ablehnend AG Charlottenburg, Beschl. v. 4.1.2018 – 36n IN 6433/17, ZInsO 2018, 111; Mankowski/Müller/J. Schmidt/Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 5 Rn. 13. 584) In diesem Sinne K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 8. Mangels Vorliegen einer (formellen) Beschwer sei auch die Beschwerde des Antragstellers für unzulässig zu erachten. 585) Frind, FS Pape, S. 59, 67; so auch Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 4. 586) Frind, FS Pape, S. 59, 67; Nerlich/Römermann/Hübler, InsO, Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 6; Paulus, EuInsVO, Art. 5 Rn. 4; HK-InsO/Swierczok, Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 4; Vallender/ Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 4. So wohl auch MüKoBGB/Kindler, Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 1, 3.

122

§ 8 Zulässigkeitsvoraussetzungen

internationalen Zuständigkeit zu gewähren.587) Dies soll eine analoge Anwendung des Art. 102 § 3 Satz 2 EGInsO ermöglichen.588)

2.

Österreich

Aufgrund der bereits bestehenden weitreichenden Rechtsbehelfsmöglichkeiten ge- 298 gen den Eröffnungsbeschluss und gegen einstweilige Sicherungsmaßnahmen bedurfte es im österreichischen Recht keiner expliziten Eingliederung der Anfechtungsmöglichkeit aus Art. 5 Abs. 1 EuInsVO. Somit kann auf die bereits existierenden Regelungen zurückgegriffen werden. Nach § 71c Abs. 1 österIO kann der Eröffnungsbeschluss mittels des Rekurses angegriffen werden.589) Hierbei kann auch die fehlende internationale Zuständigkeit der österreichischen Gerichte geltend gemacht werden. Rekursberechtigt sind alle Personen, deren Rechte durch die Eröffnung berührt werden, sowie die bevorrechteten Gläubigerschutzverbände.590) Die Rekursmöglichkeit gegen einstweilige Vorkehrungen im Eröffnungsverfahren richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 260, 252 österIO i. V. m. §§ 514 ff. österZPO.591) Bezüglich der Beschwerdeberechtigung ist somit auch im Rahmen der Ausgestal- 299 tung des Art. 5 Abs. 1 EuInsVO durch das österreichische Prozessrecht auf die allgemeinen Grundsätze zur Rekurslegitimation abzustellen. Rekurslegitimiert ist daher zunächst der Schuldner. Auch im Rahmen des Art. 5 Abs. 1 EuInsVO gilt das unabhängig davon, ob er selbst den Antrag gestellt hat oder ob das Verfahren aufgrund eines Gläubigerantrags eröffnet wurde.592) Grundsätzlich rekursberechtigt sind auch alle Insolvenzgläubiger. Nach neuerer 300 Rechtsprechung soll die Anmeldung einer bestrittenen Forderung im Eröffnungsverfahren zum Nachweis ihrer Gläubigerstellung ausreichen.593) Schwieriger gestaltet sich die Beschwerdebefugnis von aus- und absonderungsberechtigten Gläubigern zur Rüge der fehlenden internationalen Zuständigkeit nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO. Für das österreichische Recht gewährt die wohl vorherrschende Ansicht im Schrifttum lediglich absonderungsberechtigen Gläubigern die Rechtsmittelbefugnis, sofern

___________ 587) K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 102c § 2 EGInsO Rn. 4; MüKoInsO/Thole, Art. 5 EuInsVO Rn. 4. 588) K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 102c § 2 EGInsO Rn. 4. 589) Siehe oben Rn. 193 ff. 590) Siehe oben Rn. 194. 591) Siehe oben Rn. 203. 592) Siehe hierzu bereits oben Rn. 194 ff. 593) OGH, Beschl. v. 24.4.2012 – 8 Ob 78/11w, ZIK 2012, 189 = RdW 2012, 602 = RZ 2012, 257. Kritisch dazu Buchegger, Insolvenzrecht, S. 127; Konecny, ZIK 2012, 162; Konecny/Schneider, Insolvenzgesetze, § 71c IO Rn. 26.

123

Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

die Eröffnung des Insolvenzverfahrens in ihre Rechtsstellung eingreift.594) Aussonderungsberechtigten Gläubigern wird die Rekurslegitimation hingegen verwehrt.595) Ob diese Einschränkung im Rahmen des Art. 5 Abs. 1 EuInsVO aufrechterhalten werden kann, wird allerdings auch in der österreichischen Literatur angezweifelt.596)

301 Nach österreichischem Recht sind zudem unter anderem organschaftliche Vertreter juristischer Personen sowie – in § 71c Abs. 1 österIO ausdrücklich genannt – die bevorrechteten Gläubigerschutzverbände gegen den Eröffnungsbeschluss rekursberechtigt. Hierbei handelt es sich um zulässige Fälle des Art. 5 Abs. 2 EuInsVO, wonach die Eröffnungsentscheidung auch von anderen Beteiligten (und aus anderen Gründen) angefochten werden kann, sofern nationales Recht dies vorsieht.

3.

Frankreich

302 Art. L. 691-1 C. com. verzahnt Art. 5 Abs. 1 EuInsVO mit dem französischen Recht. Die neu geschaffene Vorschrift gewährt jedoch allein dem ministère public sowie jedem Gläubiger („tout créancier“) einen Rechtsbehelf gegen das Eröffnungsurteil zur Rüge der fehlenden internationalen Zuständigkeit. Hinsichtlich der Person des Schuldners war keine Neuregelung erforderlich. Gem. Art. L.661-1 I 1°, 2° C. com. ist der Schuldner bereits nach rein nationalem Recht zur Einlegung der Berufung (appel) gegen das Eröffnungsurteil berechtigt, ohne ein besonderes Interesse an der Geltendmachung des Rechtsbehelfs geltend machen zu müssen.597)

303 Gläubiger konnten gegen die Eröffnungsentscheidung bisher nur innerhalb der engen Grenzen des Art. 583 CPC Abs. 2 vorgehen.598) Der Norm nach ist ihr Drittwiderspruch (tierce opposition) gegen die Verfahrenseröffnung nur statthaft, wenn sie durch die Eröffnungsentscheidung entweder um ihre Rechte betrogen wurden oder sie eigene, nur ihnen zustehende, Beschwerdegründe (moyens propres) geltend machen.599) Auch wenn Gläubiger durch die Eurotunnel- und Coeur Défense-Rechtsprechung600) des Kassationsgerichtshofs in den letzten Jahren eine Stärkung ihrer ___________ 594) Denkschrift zur Einführung einer Konkursordnung, einer Ausgleichsordnung und einer Anfechtungsordnung (1914), S. 67; Dellinger/Oberhammer/Koller, Insolvenzrecht, Rn. 26; Bartsch/ Pollak/Buchegger/Schumacher, II/2, § 71c KO Rn. 6; 4. A. A. Konecny, ÖJZ 2012, 1035, 1041; Konecny/Schneider, Insolvenzgesetze, § 71c IO Rn. 31. 595) Konecny, ÖJZ 2012, 1035, 1041; Konecny/Schneider, Insolvenzgesetze, § 71c IO Rn. 34; Bartsch/Pollak/Buchegger/Schumacher, II/2, § 71c KO Rn. 6. 596) Konecny, in: Nunner-Krautgasser/Garber/Jaufer, Grenzüberschreitende Insolvenzen im europäischen Binnenmarkt (2017), S. 96; Mayr/Konecny, Handbuch des europäischen Zivilverfahrensrechts, Rn. 17.92; Mohr, in: König/Mayr, Europäisches Zivilverfahrensrecht in Österreich V, S. 1, 14. Siehe dazu sogleich Rn. 306 ff. 597) Siehe oben Rn. 219. 598) Das Rechtsmittel der Berufung stand allein dem antragstellenden Gläubiger (créancier poursuivant) im Falle der Ablehnung des Antrags zu, Art. L.661-1 I 1°, 2° C. com. 599) Siehe oben Rn. 228. 600) Siehe oben Rn. 230.

124

§ 8 Zulässigkeitsvoraussetzungen

Rechte erfahren haben, sind sie nach ursprünglich französischem Recht grundsätzlich nicht gegen die Eröffnungsentscheidung drittwiderspruchsberechtigt.601) Art. L.691-1 C. com. ermöglicht nun jedem Gläubiger die tierce opposition gegen 304 das Eröffnungsurteil. Der strengen Einschränkungen des Art. 583 Abs. 2 CPC können dabei nicht gelten.602) Somit erweitert Art. L.691-1 C. com. die Eurotunnel-Rechtsprechung maßgeblich, indem nun nicht nur ein ausländischer, sondern jeder Gläubiger Drittwiderspruch gegen das Eröffnungsurteil zur Rüge der fehlenden internationalen Zuständigkeit einlegen kann. Indem Art. L.691-1 C. com. außerdem dem ministère public ausdrücklich das Berufungsrecht aus Gründen der fehlenden internationalen Zuständigkeit zubilligt, macht der französische Gesetzgeber von der Möglichkeit des Art. 5 Abs. 2 EuInsVO Gebrauch.

II. Beschränkung des Anfechtungsrechts durch das Erfordernis einer Beschwer? Im nächsten Schritt gilt es zu klären, ob die auf nationaler Ebene diskutierten Ein- 305 schränkungen der Anfechtungsberechtigung mit der EuInsVO vereinbar sind. Dabei geht es insbesondere um die Frage, ob die Mitgliedstaaten im Wege der Ausgestaltung des Rechtsbehelfs den Kreis der Anfechtungsberechtigten näher konkretisieren und dessen Zulässigkeit an die eingrenzende Voraussetzung einer konkreten Beschwer des Anfechtenden knüpfen dürfen. Ein solches Tatbestandsmerkmal müsste dann zu der formellen Anfechtungsberechtigung hinzutreten, welche lediglich bezeichnet, wer abstrakt zur Anfechtung der Eröffnungsentscheidung aus Gründen der fehlenden internationalen Zuständigkeit befugt ist.603)

1.

Kein zwingendes Erfordernis einer Beschwer nach der EuInsVO

Der Verordnung selbst ist die zusätzliche Zulässigkeitsvoraussetzung einer Beschwer 306 nicht zu entnehmen.604) Im Gegenteil, der knappe – und in seiner Aussagekraft ohnehin beschränkte – Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 lässt wenn überhaupt die Tendenz erkennen, dass die Anfechtung dem Schuldner oder jedem Gläubiger ohne weitere einschränkende Voraussetzungen möglich sein soll. Ansonsten hätte der Verordnungsgeber einen klarstellenden Zusatz (z. B. „der Schuldner oder jeder Gläubiger, der ein berechtigtes Interesse geltend macht“ o. ä.) anfügen können. Auch die Erwägungsgründe enthalten keinen Hinweis auf das Erfordernis einer Beschwer: Der durch ___________ 601) Siehe oben Rn. 228 ff. 602) Dies wird, soweit ersichtlich, von keiner Seite vorgeschlagen. Ansonsten würde Art. L.691-1 C. com. nur auf die bereits bestehende Rechtslage hinweisen und wäre damit rein deklaratorisch. 603) Die formelle (abstrakte) Berechtigung zur Einlegung eines Rechtsbehelfs und konkrete Beschwer im Einzelfall sind voneinander zu trennen, MüKoInsO/Ganter/Bruns, § 6 Rn. 30; Uhlenbruck/ Pape, InsO, § 6 Rn. 12; für das österreichische Recht Fasching, Zivilprozeßrecht, Rn. 1690; Konecny, ÖJZ 2012, 1035, 1041; Konecny/Schneider, Insolvenzgesetze, § 71c IO Rn. 5. 604) Ebenso Mankowski/Müller/J. Schmidt/Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 5 Rn. 13.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

Art. 5 gewährte Rechtsbehelf hat lediglich „wirksam“ zu sein (Erwägungsgrund 34 EuInsVO).

307 Teilweise wird versucht, den Kreis der Anfechtungsberechtigten durch eine restriktive Auslegung des Begriffs der „Gläubiger“ in Art. 5 Abs. 1 EuInsVO zu begrenzen. So wird argumentiert, dass insbesondere aussonderungsberechtigte Gläubiger schon von vornherein nicht unter den Gläubigerbegriff fielen, da ihre Rechtsposition von der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nicht berührt werde. Bereits formell anfechtungsberechtigt seien somit lediglich einfache Insolvenzgläubiger.605) Dieser Ansatz ist jedoch abzulehnen: Gegen eine derartige einschränkende Auslegung der Anfechtungsberechtigung schon auf der Ebene des Unionsrechts spricht bereits, dass man ansonsten die dem nationalen Recht entnommene Differenzierung zwischen Insolvenzgläubigern und aussonderungsberechtigten Gläubigern in die EuInsVO übertrüge, deren Text dafür keinen Anhaltspunkt bietet. Allgemein bestimmt die Verordnung den Begriff des Gläubigers nicht. Der Definition des „lokalen Gläubigers“ (Art. 2 Nr. 11 EuInsVO) ist lediglich zu entnehmen, dass einem Gläubiger eine Forderung gegen den Schuldner zusteht. Ob damit allein Insolvenzforderungen gemeint oder auch Aussonderungsansprüche oder mit Absonderungsrechten gesicherte Forderungen erfasst sind, ist Spekulation. Wie sogleich noch zu zeigen sein wird, können zudem auch aussonderungsberechtigte Gläubiger durch die Verfahrenseröffnung in einem international unzuständigen Mitgliedstaat beeinträchtigt sein.606) Auf den Bestand ihrer gesicherten Rechtsposition als Aussonderungsberechtigte darf es im Zusammenhang mit der Rüge der fehlenden internationalen Zuständigkeit nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO nicht entscheidend ankommen.

308 Aus der Verordnung lässt sich das Erfordernis einer Beschwer somit nicht ableiten. Daraus folgt jedoch noch nicht per se die Unzulässigkeit einer solchen einschränkenden Zulässigkeitsvoraussetzung. Art. 5 Abs. 1 EuInsVO erhält erhebliche Lücken, die von den nationalen Rechtsordnungen im Wege der prozessualen Ausgestaltung des Rechtsbehelfs zu füllen sind.607) So regelt die Verordnung beispielsweise nicht die Frist zur Einlegung des Rechtsbehelfs. Obwohl eine Frist die Ausübung des Anfechtungsrechts ebenfalls einschränkt, dürfen nationale Rechtsordnungen eine solche vorsehen, wie aus Art. 24 Abs. 2 lit. j EuInsVO unmissverständlich deutlich wird.608)

2.

Unionsrechtskonformität des Erfordernisses einer Beschwer nach nationalem Recht?

309 Falls die Ausübung des Rechtsbehelfs also an die einschränkende Bedingung einer Beschwer geknüpft werden soll, müsste dies nach Maßgabe der nationalen Rechts___________ 605) So Brinkmann/Brinkmann, EIR, Art. 5 Rn. 5; K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 5 EuInsVO Rn. 4. 606) Siehe dazu unten Rn. 326. 607) Siehe bereits ausführlich oben Rn. 266 ff. mit entsprechenden Nachweisen. 608) Zur Anfechtungsfrist siehe unten Rn. 332 ff.

126

§ 8 Zulässigkeitsvoraussetzungen

ordnungen der Mitgliedstaaten geschehen. Zur Veranschaulichung sei das Beispiel der deutschen Durchführungsvorschrift des Art. 102c § 4 EGInsO genannt: Die Norm verweist hinsichtlich der Anfechtung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO auf die sofortige Beschwerde (§§ 567 ff. ZPO). Deren Zulässigkeit setzt grundsätzlich die Beschwer des Beschwerdeführers voraus.609) Somit ist zu untersuchen, ob die nationalen Prozessrechte die Ausübung des Rechts- 310 behelfs zusätzlich von einem einschränkenden Korrektiv einer Beschwer abhängig machen dürfen. Bei der Konkretisierung der Anfechtungsberechtigung haben die Mitgliedstaaten den Effektivitätsgrundsatz (effet utile) zu wahren und dürfen insbesondere die praktische Wirksamkeit der Verordnung nicht unterlaufen (Erwägungsgrund 34 EuInsVO).610)

a) Allgemeine Funktion der Beschwer Allgemein dient das Erfordernis einer Beschwer als Ventil zur Verhinderung der 311 missbräuchlichen Inanspruchnahme von Rechtsschutz und Rechtsmitteln. Durch die bereits dem römischen Recht bekannte und auch international weit verbreitete611) prozessuale Zulässigkeitsvoraussetzung soll gewährleistet werden, dass ein Rechtsmittel nur eingelegt wird, wenn ein sachliches Bedürfnis des Rechtsmittelführers hieran besteht.612) Mit dem Rechtsmittel verfolgt der Rechtsmittelführer allgemein den Zweck, die Folgen einer für ihn ungünstigen Entscheidung zu beseitigen. Dieses Begehren ist jedoch nur schutzwürdig, wenn es sich gegen eine dem Rechtsmittelführer nachteilige Entscheidung richtet.613) Ansonsten ist aus seiner Sicht kein Bedürfnis für die Einlegung eines Rechtsmittels zu erkennen. Wer durch die angefochtene Entscheidung bereits alles erhalten hat, was er begehrt, kann mit seinem Rechtsmittel nicht nur keine Verbesserung seiner Rechtstellung erlangen, sondern belastet darüber hinaus auch ohne Grund die Gerichte sowie die Gegenpartei.614) Vereinfacht ausgedrückt: Wer nicht beschwert ist, hat keinen Grund zur Beschwerde.615) ___________ 609) Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 567 Rn. 19; MüKoZPO/Hamdorf, § 567 Rn. 29; Zöller/Heßler, ZPO, § 567 Rn. 5; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 147 Rn. 20. 610) MüKoInsO/Thole, Art. 5 EuInsVO Rn. 6. 611) Brox, ZZP 81 (1968), 379, 380, 383; Ohndorf, Die Beschwer und die Geltendmachung der Beschwer als Rechtsmittelvoraussetzungen im deutschen Zivilprozeßrecht, S. 23. 612) BGH, Urt. v. 3.11.1971 – IV ZR 26/70, BGHZ 57, 224 = NJW 1972, 112; Bettermann, ZZP 82 (1969), 24, 27; Brox, ZZP 81 (1968), 379, 380. 613) Brox, ZZP 81 (1968), 379; Fasching, Zivilprozeßrecht, Rn. 1709; Fasching/Konecny/Fasching, IV/1, Einl. Rn. 87; Kahlke, ZZP 94 (1981), 423, 431 f.; Lindacher, AcP 182 (1982), 270, 276 f.; v. Mettenheim, Der Grundsatz der Prozessökonomie, S. 45, 51, 70; MüKoZPO/Rimmelspacher, Vor § 511 Rn. 19. 614) Fasching, Zivilprozeßrecht, Rn. 1709; Fasching/Konecny/Fasching, IV/1, Einl. Rn. 87; v. Mettenheim, Der Grundsatz der Prozessökonomie, S. 33, 52. 615) Bettermann, ZZP 82 (1969), 24, 27.

127

Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

312 Vor diesem Hintergrund erscheint es zunächst nur sinnvoll, auch für die Anfechtung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO eine Beschwer des Anfechtenden vorauszusetzen. Es ist nicht ersichtlich, weshalb der Schuldner oder ein Gläubiger die Eröffnungsentscheidung beseitigen können sollte, obwohl ihn die Verfahrenseröffnung nicht benachteiligt.

b) Vereinbarkeit des Erfordernisses einer Beschwer mit dem Wortlaut des Art. 5 EuInsVO? 313 Gegen die Zulässigkeit einer Einschränkung der Anfechtungsberechtigung auf nationaler Ebene wird vielfach der weitreichende Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 EuInsVO („Schuldner oder jeder Gläubiger“) angeführt. Da die EuInsVO den Begriff „Gläubiger“ nicht zwingend im Sinne eines „Insolvenzgläubigers“ definiere und nach Art. 2 Nr. 11 EuInsVO jeder „Gläubiger“ sei, dem eine Forderung gegen den Schuldner zusteht, müsse die Anfechtungsberechtigung der Gläubiger ungeachtet ihres Ranges und unabhängig von ihrer Beteiligung im Verfahren bestehen.616) Aus Art. 8 EuInsVO sei zudem zu folgern, dass die Verordnung den Begriff „Gläubiger“ ausdrücklich auch für aus- und absonderungsberechtigte Gläubiger verwende. Hieraus ergebe sich die Unzulässigkeit einer Einschränkung der formellen Anfechtungsberechtigung durch nationales Verfahrensrecht.617) Im Ergebnis stehe das Anfechtungsrecht aus Art. 5 Abs. 1 EuInsVO ungeachtet des Vorliegens einer Beschwer somit sämtlichen Gläubigern, folglich auch aus- und absonderungsberechtigten, zu.618)

314 Diese Argumentation stellt den in Art. 5 Abs. 1 EuInsVO verwendeten Begriff des Gläubigers in das Zentrum ihrer Überlegungen. Jedoch ist hinsichtlich der Bedeutung von Begrifflichkeiten im europäischen Recht Zurückhaltung geboten. Die EuInsVO verwendet den Begriff des Gläubigers etliche Male und in verschiedenen Zusammenhängen, ohne ihn allgemein zu definieren. Zwar trifft zu, dass der Gläubigerbegriff der Verordnung nicht zwingend mit dem Begriff des Insolvenzgläubigers gleichzusetzen ist. Als Insolvenzgläubiger sind dabei solche Gläubiger zu verstehen, denen eine persönliche Forderung gegen den Schuldner zusteht, die vor Verfahrenseröffnung begründet wurde und somit nur quotal zu befriedigen ist.619) Alles andere ergäbe vor dem Hintergrund des Art. 8 Abs. 1 EuInsVO keinen Sinn: Indem die Norm feststellt, dass dingliche Rechte eines Gläubigers von der Verfahrenseröffnung nicht berührt werden, verwendet sie den Begriff eindeutig nicht nur im Sinne von Insolvenzgläubigern, sondern (auch) im Sinne von aussonderungsberechtigten ___________ 616) Frind, FS Pape, S. 59, 67; auch Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 4. 617) Mayr/Konecny, Handbuch des europäischen Zivilverfahrensrechts, Rn. 17.92. 618) Mayr/Konecny, Handbuch des europäischen Zivilverfahrensrechts, Rn. 17.92; MüKoInsO/Thole, Art. 5 EuInsVO Rn. 3. 619) Vgl. nur § 38 InsO; § 51 Abs. 1 österIO.

128

§ 8 Zulässigkeitsvoraussetzungen

Gläubigern.620) Jedoch folgt daraus im Umkehrschluss nicht, dass der Gläubigerbegriff des Art. 8 zwingend der ganzen Verordnung zugrunde liegt. Der weitgefasste Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 EuInsVO ist daher für sich allein nicht aussagekräftig.

c)

Vereinbarkeit des Erfordernisses einer Beschwer mit der Ratio des Art. 5 EuInsVO?

Bei der Auslegung des europäischen Sekundärrechts ist dem Wortlaut einer Vorschrift 315 allein schon aufgrund der verschiedenen Sprachfassungen in den 24 Amtssprachen der Union eine geringere Bedeutung beizumessen als im nationalen Recht. Erst recht, wenn seine Auslegung – wie im hiesigen Fall – keine eindeutigen Ergebnisse hervorbringt, hilft ein Rückgriff auf diese Auslegungsmethode nicht weiter. Im Zentrum der Auslegung des europäischen Rechts muss das Telos einer Vorschrift stehen. So ist die Frage, ob das nationale Erfordernis einer Beschwer zulässig ist, in Anbetracht des Zwecks der Regelung des Art. 5 EuInsVO vor dem Hintergrund der Zielsetzung der Verordnung zu beantworten. Die Einschränkung der Anfechtungsberechtigung auf nationaler Ebene durch das 316 Erfordernis einer Beschwer ist dann unzulässig, wenn die Wirksamkeit des Rechtsbehelfs hierdurch in einer Weise beschränkt wird, die dem Sinn und Zweck der Verordnung entgegensteht. Um dies entscheiden zu können, muss zunächst geklärt werden, worin eine etwaige Beschwer des die Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO Anfechtenden zu sehen sein könnte.

aa) Beschwer als Nachteilswirkung einer gerichtlichen Entscheidung Nach den hierzulande geltenden allgemeinen prozessualen Grundsätzen erfordert die 317 Beschwer eine unmittelbare Beeinträchtigung der Rechtsstellung des Rechtsmittelführers in dem Sinne, dass die angefochtene Entscheidung ihrem Inhalt nach für ihn nachteilig ist.621) Übereinstimmend ist auch nach österreichischem Verfahrensrecht der Rechtsmittelführer beschwert, wenn ihm aufgrund der nachteiligen Wirkungen der Entscheidung ein Bedürfnis auf Rechtsschutz gegenüber der angefochtenen Entscheidung zuzubilligen ist.622) Die Beschwer umfasst daher zunächst einmal ganz allgemein die Nachteilswirkung einer gerichtlichen Entscheidung, die – auch im Hinblick auf ihre angestrebte Beseitigung im Wege des weiteren Rechtsschutzes – aufgezeigt wird.623) ___________ 620) Mayr/Konecny, Handbuch des europäischen Zivilverfahrensrechts, Rn. 17.92. 621) BGH, Urt. v. 5.1.1955 – IV ZR 238/54, NJW 1955, 545, 546; BGH, Beschl. v. 15.1.1992 – XII ZB 135/91, NJW 1992, 1513, 1514; BGH, Beschl. v. 11.3.2015 – XII ZB 553/14, NJWRR 2015, 1203, 1204; MüKoInsO/Busch, § 34 Rn. 69; Gerhardt, FS Uhlenbruck, S. 75, 85; MüKoZPO/Rimmelspacher, Vor § 511 Rn. 16; K. Schmidt/Stephan, InsO, § 6 Rn. 12. 622) OGH, Beschl. v. 28.3.2002 – 8 Ob 231/01f, ZIK 2002, 170; Fasching, Zivilprozeßrecht, Rn. 1715, Bartsch/Pollak/Buchegger/Schumacher, II/2, § 71c KO Rn. 3. 623) Siehe Kahlke, ZZP 94 (1981), 423, 429 ff.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

318 Überträgt man diese Grundsätze auf den Rechtsbehelf gegen die Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO, beschreibt die prozessuale Voraussetzung der Beschwer die Nachteilswirkungen der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens im jeweiligen Eröffnungsstaat. Der Anfechtende ist durch die Eröffnungsentscheidung beschwert, wenn ihn die Verfahrenseröffnung im vermeintlichen COMI-Staat in seiner Rechtsstellung beeinträchtigt, also nachteilhaft für ihn ist.

319 Sowohl der Schuldner selbst als auch einfache Insolvenzgläubiger dürften daher stets durch die Eröffnungsentscheidung beschwert sein.624) Mit Verfahrenseröffnung verliert der Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen.625) Für einfache Insolvenzgläubiger hat die Verfahrenseröffnung in der Regel ebenfalls weitreichende Beschränkungen bei der Verfolgung ihrer Ansprüche gegen den Schuldner zur Folge. Insbesondere können sie Forderungen nicht mehr im Wege der Einzelzwangsvollstreckung durchsetzen, laufende Prozesse werden unterbrochen. Die Gläubiger unterfallen der Gläubigergleichbehandlung, sie müssen ihre Forderungen anmelden und werden nur noch quotenweise befriedigt. Die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens sperrt aufgrund des Prioritätsprinzips zudem die Möglichkeit, in einem anderen Staat ein Hauptinsolvenzverfahren zu eröffnen.626) Auf den ersten Blick nicht so einfach zu begründen wäre hingegen die Beschwer von aussonderungsberechtigten Gläubigern. Denn die Verfahrenseröffnung lässt ihr Aussonderungsrecht unberührt, anders als einfache Insolvenzgläubiger erleiden sie in ihrer Rechtsstellung keine Einbußen.

bb) Konkretisierung der Beschwer im Rahmen von Art. 5 EuInsVO 320 Die zur Einlegung des Rechtsbehelfs berechtigende Nachteilswirkung der Eröffnungsentscheidung muss im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 EuInsVO jedoch erweitert verstanden werden. Sie geht über eine Beeinträchtigung der Rechtsstellung im Sinne eines Rechtsverlustes, wie ihn der Schuldner oder aber einfache Insolvenzgläubiger erleiden, hinaus. Dies folgt zum einen aus der Funktion der Beschwer und zum anderen aus der Ratio des Art. 5 EuInsVO. Durch ihre Filterfunktion dient die Beschwer dazu, den Nachteil einer Entscheidung für den Rechtsmittelführer anzuzeigen. Indem dem Rechtsmittel stattgegeben wird, soll dieser Nachteil beseitigt werden. Ist eine Entscheidung für den Rechtsmittelführer nicht nachteilhaft, besteht für ihn kein Bedürfnis, ihre Folgen aus der Welt zu schaffen. Betrachtet man die Ratio der Anfechtung nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO, wird dabei Folgendes deutlich: Art. 5 Abs. 1 EuInsVO berechtigt zur Anfechtung der Eröffnungsentscheidung nicht wegen ihrer allgemein die Rechtsstellung der Beteiligten beeinträchtigenden Wirkungen, sondern allein aus Gründen der fehlenden internationalen Zuständigkeit des ___________ 624) Für den Antragsteller siehe jedoch unten Rn. 329 f. 625) Vgl. nur § 80 Abs. 1 InsO; § 2 Abs. 2 österIO; Art. L.641-9 C. com. 626) K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 7.

130

§ 8 Zulässigkeitsvoraussetzungen

Eröffnungsgerichts. Unter den mit der Verfahrenseröffnung verbundenen Nachteilen, die mittels des Rechtsbehelfs beseitigt werden sollen – also die Beschwer –, dürfen somit nicht ausschließlich die die Rechtsstellung des Rechtsmittelführers beeinträchtigenden Wirkungen (im Sinne eines Rechtsverlustes) verstanden werden. Ziel der Anfechtung ist nämlich allein, das Insolvenzverfahren nicht im jeweiligen Eröffnungsstaat durchzuführen, da das COMI des Schuldners vermeintlich anderenorts liegt. Vor dem Hintergrund dieser Besonderheit des Rechtsbehelfs und seinem exklusiven Anfechtungsgrund ist daher auch die Beschwer im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 EuInsVO in einem erweiterten Sinne zu verstehen: Sie erfasst über eine Beeinträchtigung der Rechtsstellung im Sinne eines Rechtsverlustes hinaus zusätzlich sämtliche Nachteile, die der Rechtsmittelführer dadurch erleidet, dass das Verfahren durch ein international nicht zuständiges Gericht eröffnet wird. Solche Nachteile sind naturgemäß schwer zu erfassen. In Betracht kommt dabei in ers- 321 ter Linie ein spezifischer Aufwand, der gerade aus der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens im „falschen“ Eröffnungsstaat resultiert. Dieser kann sich vor allem aus einer unbekannten Rechtsordnung und Sprachbarrieren ergeben, die die Rechtsdurchsetzung des Rechtsmittelführers erschweren. Dass Ausgangspunkt für die Einführung des Rechtsbehelfs nach Art. 5 EuInsVO die Überlegung war, diesem speziellen Aufwand gerade ausländischer Gläubiger zu begegnen, zeigt ein Blick auf die Entstehungsgeschichte der Norm. Als Reaktion auf die Eurotunnel-Entscheidung des französischen Kassationsgerichtshofs627) hat die Europäische Kommission im Rahmen der Evaluierung der Ursprungsfassung der EuInsVO bemängelt, „dass ausländischen Gläubigern nicht immer das Recht zusteht, die Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit Rechtsmitteln anzufechten“.628) Die Betonung lag hierbei auf „ausländischen“ Gläubigern, sie sollten sich gegen die Verfahrenseröffnung im – aus ihrer Sicht – Ausland wehren können. Dementsprechend sah der Vorschlag der Kommission für eine Neufassung der Verordnung629) lediglich die Anfechtungsberechtigung von Auslandsgläubigern gegen die Eröffnungsentscheidung vor. Erst im weiteren Gesetzgebungsverfahren wurde auf Anregung des Rates die Beschränkung der Anfechtungsberechtigung auf im Ausland ansässige Gläubiger aufgehoben (also alle Gläubiger mit dem Anfechtungsrecht ausgestattet) und zudem der Schuldner miteinbezogen.630) ___________ 627) Siehe hierzu bereits oben Rn. 230 und Rn. 248. 628) Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 13/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren vom 12.12.2012, COM(2012) 743 final, S. 12. 629) Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren vom 12.12.2012, COM(2012) 744 final. 630) Standpunkt (EU) Nr. 7/2015 des Rates in erster Lesung im Hinblick auf den Erlass einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Insolvenzverfahren (Neufassung), vom Rat am 12.3.2015 angenommen, 2015/C 141/01. In diesem Verfahrensschritt wurde auch der Anfechtungsgrund präzisiert; die Eröffnungsentscheidung sollte nur zur Rüge der fehlenden internationalen Zuständigkeit angegriffen werden können.

131

Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

322 Die ursprüngliche Beschränkung der Anfechtungsberechtigung auf ausländische Gläubiger verdeutlicht die – jedenfalls ursprünglich – hinter dem Rechtsbehelf des Art. 5 EuInsVO stehende Erwägung: Ausländische Gläubiger sollten die Eröffnungsentscheidung keineswegs deshalb anfechten können, weil die Wirkungen der Verfahrenseröffnung die Durchsetzung ihrer Forderungen gegen den Schuldner beeinträchtigt. Denn dies betrifft inländische Gläubiger gleichermaßen. Grund für den geplanten Rechtsbehelf zugunsten (ausschließlich) ausländischer Gläubiger war vielmehr der Kerngedanke der Eurotunnel-Rechtsprechung: Im Ausland ansässige Gläubiger sind durch die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens in einer für sie fremden Rechtsordnung in besonderem Maße beeinträchtigt – also „beschwert“.631)

323 Jene schutzwürdigen Interessen gerade der ausländischen Gläubiger prägen nach wie vor die Legitimationsgrundlage des Art. 5 Abs. 1 EuInsVO in seiner Gesetz gewordenen Fassung. Die spätere Ausweitung der Anfechtungsberechtigung auch auf inländische Gläubiger sowie auf den Schuldner ist nicht mit einem Austausch des Zwecks der Regelung verbunden, sondern dient nur dazu, ein zweiklassiges Anfechtungssystem zu vermeiden und eine Gleichbehandlung zu gewährleisten.632) Der grundlegende Gedanke hinter Art. 5 EuInsVO bleibt dennoch weiterhin, dass sich im Ausland ansässige Gläubiger gegen die aus ihrer Sicht unzulässige Verfahrenseröffnung in einem anderen Mitgliedstaat wehren können sollen. Dementsprechend sind sie schon allein dann anfechtungsberechtigt, wenn der Schuldner sie durch eine – mutmaßlich unzulässige – Verlegung des Gerichtsstands dazu zwingt, das Insolvenzverfahren im Ausland zu führen.633)

324 Die mit der Eröffnungsentscheidung verbundenen Nachteile, die über eine Beeinträchtigung der Rechtsstellung des Anfechtenden hinausgehen, sind jedoch nicht auf den spezifischen Aufwand einer Verfahrenseröffnung „im Ausland“ beschränkt. Auch für inländische Gläubiger kann die Verfahrenseröffnung im „falschen“ COMIStaat unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung ihrer Rechtsstellung im Sinne eines Rechtsverlustes nachteilig sein. Dies mag etwa bei Konzerninsolvenzen der Fall sein, wenn eine Abwicklung von Tochtergesellschaften am Insolvenzgerichtsstand der Konzernmutter – womöglich zudem durch den Insolvenzverwalter der Muttergesellschaft – Interessenskonflikte befürchten lässt.634) ___________ 631) Siehe Bonhomme, Rev. proc. coll. 2009, étude 16 Rn. 44 f.; Menjucq, Rev. proc. coll. 2009, repère 4. Ebenfalls Thole, ZEuP 2014, 39, 58; Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 5 Rn. 3. 632) So wird eine „Diskriminierung inländischer Gläubiger“ vermieden, Vallender/Vallender/ Zipperer, EuInsVO, Art. 5 Rn. 3. Kritisch zum Entwurf bereits Cohen, 3 CRI (2013), 83; Thole, ZEuP 2014, 39, 58. Der Schuldner bleibt auch dann anfechtungsberechtigt, wenn inzwischen ein Insolvenzverwalter eingesetzt wurde. A. A. scheinbar Wessels, International Insolvency Law, Rn. 10622o. 633) Siehe auch Erwägungsgrund 5 EuInsVO. 634) Die Bedeutung des Rechtsbehelfs gerade für Gläubiger in Konzerninsolvenzkonstellationen betont daher zu Recht Himmer, Das europäische Konzerninsolvenzrecht nach der reformierten EuInsVO, S. 142.

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§ 8 Zulässigkeitsvoraussetzungen

cc) Keine Einschränkungen durch das Erfordernis einer Beschwer Knüpfen nationale Rechtsordnungen die Einlegung des Rechtsbehelfs an das Vor- 325 liegen einer Beschwer in dem soeben dargelegten Sinne, so schränkt dies die Wirksamkeit des Anfechtungsrechts nicht in einer dem Sinn und Zweck der Verordnung entgegenstehenden Weise ein. Denn eine derart weitgefasste Nachteilswirkung der Eröffnungsentscheidung wird bei allen formell Anfechtungsberechtigten, also dem Schuldner sowie sämtlichen Gläubigern, zumeist zu bejahen sein. Die Beschwer des Schuldners sowie (einfacher) Insolvenzgläubiger ergibt sich – wie 326 bereits dargestellt – aus ihrer beeinträchtigten Rechtsstellung infolge der Eröffnungsentscheidung: Der Schuldner verliert die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen, die Insolvenzgläubiger können ihre Forderungen gegen den Schuldner nicht mehr im Wege der Einzelzwangsvollstreckung geltend machen.635) Doch auch aussonderungsberechtigte Gläubiger können durch die Verfahrenseröffnung im „falschen“, weil international nicht zuständigen Eröffnungsstaat nach hiesigem Verständnis beschwert sein. Der mit der Verfahrenseröffnung verbundene spezifische Nachteil kann aus ihrer Sicht etwa darin zu sehen sein, dass sie das Aussonderungsrecht bei einem ausländischen Insolvenzverwalter geltend machen und es gegebenenfalls vor ausländischen Gerichten nach einer für sie unbekannten Rechtsordnung einklagen müssen.636) Selbst wenn sich die Rechtsposition eines aussonderungsberechtigten Gläubigers durch die Eröffnungsentscheidung nicht verändert, dürfte der mit einer Verfahrensdurchführung im international nicht zuständigen Staat verbundene spezielle Aufwand nach dem Willen des europäischen Gesetzgebers und vor dem Hintergrund der Eurotunnel-Entscheidung einen zur Anfechtung berechtigenden Nachteil begründen. An die Darlegung der Beschwer durch den Rechtsmittelführer dürfen dabei keine 327 allzu hohen Anforderungen gestellt werden. Insbesondere kann dem über die Zulässigkeit des Rechtsbehelfs entscheidenden Gericht nicht zugemutet werden, im Wege rechtsvergleichender Untersuchungen zu ermitteln, ob etwa ein (aussonderungsberechtigter) Gläubiger nach dem Recht des vermeintlich „richtigen“ COMIStaates tatsächlich besser gestellt wäre. Das Beschwerdeverfahren liefe Gefahr, durch eine aufgeblähte Zulässigkeitsprüfung, die eventuell die Einholung rechtsverglei___________ 635) Siehe oben Rn. 319. 636) Zum wenig gläubigerfreundlichen Aussonderungsverfahren in Frankreich siehe MüKoInsO/ Niggemann, Länderbericht Frankreich, Rn. 55: Der aussonderungsberechtigte Gläubiger hat sein Recht innerhalb einer Frist von drei Monaten ab Veröffentlichung des französischen Eröffnungsurteils beim Verwalter oder beim Liquidator geltend zu machen. Gibt der Verwalter dem Antrag binnen eines Monats nicht statt, muss der Gläubiger innerhalb einer weiteren Frist von einem Monat die Aussonderung beim zuständigen Richter beantragen. Lässt er eine dieser Fristen verstreichen, verliert der Gläubiger sein Aussonderungsrecht. Der Rechtsverlust ist endgültig, eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand oder eine Verlängerung der Frist bei ausländischen Gläubigern sieht das französische Recht nicht vor.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

chender Gutachten oder ähnliches erfordern würde, in die Länge gezogen zu werden, bevor eine Überprüfung des COMI erfolgen kann. Dies stünde nicht zuletzt im Widerspruch zu dem für die Wirksamkeit des Anfechtungsrechts unerlässlichen Bestreben, möglichst zügig über den Rechtsbehelf aus Art. 5 EuInsVO zu entscheiden.637)

328 Das Vorliegen einer Beschwer von nicht allzu strengen Voraussetzungen abhängig zu machen, ist zudem mit den der Verordnung zugrunde liegenden Zielsetzungen vereinbar, wenn nicht sogar erwünscht: Erstens erhebt der europäische Gesetzgeber die Verhinderung von missbräuchlichem Forum Shopping im Interesse eines ordnungsgemäß funktionierenden Binnenmarkts zu einem der vorherrschenden Ziele der Neufassung der Verordnung (Erwägungsgrund 5 EuInsVO). Und zweitens schließt der sehr eng begrenzte Kreis der formell Anfechtungsberechtigten missbräuchliche Popularklagen von unbeteiligten Dritten von vornherein aus.638) Eine bisweilen befürchtete massenhafte Geltendmachung des Rechtsbehelfs ist jedenfalls nicht zu erwarten.639)

dd) Keine Beschwer des Antragstellers 329 Nicht durch die Eröffnungsentscheidung beschwert ist jedoch der Antragsteller selbst. Dies gilt sowohl für den einen Eigenantrag stellenden Schuldner als auch für einen die Verfahrenseröffnung beantragenden Gläubiger. Für die Beschwer des Antragstellers ist nicht allein die Nachteilswirkung der Eröffnungsentscheidung maßgeblich. Hinzukommen muss, dass die mit dem Rechtsbehelf angegriffene Entscheidung von dem beantragten Begehren des Antragstellers abweicht (sog. formelle Beschwer).640) Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn das Eröffnungsgericht den Standpunkt des Antragstellers zur internationalen Zuständigkeit teilt und infolgedessen das Verfahren antragsgemäß als Hauptinsolvenzverfahren eröffnet.

330 In diesen Konstellationen gibt es – wie insbesondere Brinkmann zu Recht anmerkt – in der Tat keinen Grund, die Anfechtung der Eröffnungsentscheidung durch den Antragsteller selbst zuzulassen.641) Er muss sich vielmehr an der von ihm selbst beantragten Verfahrenseröffnung festhalten lassen. Auf diese Weise können mithilfe der Funktion der Beschwer etwa Fälle herausgefiltert werden, in denen der Schuldner, um scheinbar seiner Antragspflicht nachzukommen, Insolvenzantrag bei einem international unzuständigen Gericht stellt, und die dennoch erfolgte Verfahrenseröffnung anschließend nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO anficht. So wird ein wenig wün___________ 637) Siehe unten Rn. 455. 638) Mankowski/Müller/J. Schmidt/Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 5 Rn. 13; Keller, ZInsO 2020, 1617, 1618; Zipperer, NZI 2020, 600, 606. 639) So aber MüKoInsO/Thole, Art. 5 EuInsVO Art. 5 Rn. 7. 640) Im Ergebnis ebenso Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 5 Rn. 10. 641) K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 10; ebenfalls Wimmer/ Bornemann/Lienau, Die Neufassung der EuInsVO, Rn. 265.

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§ 8 Zulässigkeitsvoraussetzungen

schenswerter Rückgriff auf das konturlose – und immer auch etwas willküranfällige – unionsrechtliche Missbrauchsverbot642) vermieden.643)

d) Zwischenergebnis Somit bleibt festzuhalten, dass nationale Rechtsordnungen die Einlegung des Rechts- 331 behelfs aus Art. 5 Abs. 1 EuInsVO an das Vorliegen einer Beschwer des Rechtsmittelführers knüpfen dürfen. Weder der Wortlaut noch die Ratio der Vorschrift stehen dem entgegen, da die Einschränkung des Anfechtungsrechts durch das nationale Erfordernis einer Beschwer die Wirksamkeit des Rechtsbehelfs nicht in einer dem Sinn und Zweck der Verordnung entgegenstehenden Weise beschränkt. Ausgehend von ihrer Funktion und dem Telos des Art. 5 EuInsVO ist der Begriff der Beschwer dabei nicht lediglich im Sinne einer Beeinträchtigung der Rechtsstellung (Rechtsverlust) zu verstehen. Er umfasst darüber hinaus sämtliche Nachteile, die der Rechtsmittelführer infolge der (fälschlichen) COMI-Bestimmung im Eröffnungsstaat erleidet. Eine derart weitgefasste Nachteilswirkung der Eröffnungsentscheidung wird bei allen formell Anfechtungsberechtigten, also sowohl beim Schuldner als auch bei sämtlichen Gläubigern, in aller Regel vorliegen. Nicht durch die Eröffnungsentscheidung beschwert ist hingegen der Antragsteller selbst.

B. Anfechtungsfrist Weiterhin stellt sich die Frage, ob – und wenn ja, was für welche – Anforderungen in 332 zeitlicher Hinsicht an die Einlegung des Rechtsbehelfs zu stellen sind. Insbesondere Sanierungsvorhaben verlaufen im Idealfall „früh, schnell und still“ (Karsten Schmidt644)), sodass lang andauernde Rechtsbehelfsmöglichkeiten erhebliche Auswirkungen auf die Erfolgsaussichten des Verfahrens haben können. Gleichzeitig muss jedoch gewährleistet werden, dass für sämtliche im EU-Gebiet verstreute Gläubiger die Möglichkeit besteht, zuverlässig von einer Verfahrenseröffnung Kenntnis zu erlangen (Erwägungsgrund 64 Satz 1 EuInsVO) und innerhalb eines angemessenen Zeitraums Einwände gegen die Eröffnungsentscheidung zu erheben.

___________ 642) Grundlegend EuGH, Urt. v. 5.7.2007 – Rs. C-321/05, EuZW 2007, 641 Rn. 38 – Kofoed; zuletzt z. B. EuGH, Urt. v. 28.1.2016 – Rs. C-50/14, EuZW 2016, 299 Rn. 65 – CASTA; EuGH, Urt. v. 22.11.2017 – Rs. C-251/16, EuR 2018, 371 – Cussens; Fleischer, JZ 2003, 865 ff.; Kjellgren, EBLR 11 (2000) 179 ff. 643) Zur Problematik der Missbrauchslehre im Insolvenzverfahren allgemein siehe Eidenmüller, KTS 2009, 137 ff.; Lutz, Der Vorwurf missbräuchlichen Verhaltens im Insolvenzrecht; Schneider, Der Rechtsmissbrauchsgrundsatz im Europäischen Insolvenzrecht. 644) Gutachten für den 54. Deutschen Juristentag (1982), D, S. 103, 133.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

I.

Grundsätzliche Vereinbarkeit einer Frist mit der Verordnung

333 Art. 5 EuInsVO trifft keine Aussage hinsichtlich einer Rechtsmittelfrist. Die Verordnung bestimmt weder ein fristauslösendes Ereignis noch die Dauer des Zeitraums, in dem die Eröffnungsentscheidung angefochten werden kann. Aus dem Schweigen der Verordnung ist jedoch nicht zu schließen, dass die Anfechtung der Eröffnungsentscheidung zeitlich unbegrenzt möglich sein muss. Dass die Verordnung nationale Fristenregelungen grundsätzlich zulässt, ergibt sich schon aus Art. 24 Abs. 2 lit. j EuInsVO: Die einzurichtenden nationalen Insolvenzregister haben unter anderem auch über eine gegebenenfalls bestehende Frist zur Anfechtung nach Art. 5 EuInsVO sowie über die Kriterien für die Berechnung der Frist zu informieren.645)

334 Die Konkretisierung der Rechtsbehelfsfrist obliegt also abermals den nationalen Rechtsordnungen: Diese dürfen im Wege der prozessualen Ausgestaltung des Rechtsbehelfs dessen Ausübung in zeitlicher Hinsicht eingrenzen, sofern sie dabei die Effektivität des Rechtsbehelfs wahren.646) In einem ersten Schritt soll im Folgenden daher zunächst ein Überblick über die Anfechtungsfristen in den ausgewählten Mitgliedstaaten vermittelt werden. Anschließend wird untersucht, ob die nationalen Regelungen den Anforderungen der Verordnung hinsichtlich der Effektivität des Rechtsbehelfs aus Art. 5 EuInsVO entsprechen.

II. Anfechtungsfristen im nationalen Recht 1.

Deutschland

335 Die sofortige Beschwerde gegen die Eröffnungsentscheidung gemäß Art. 102c § 4 EGInsO i. V. m. Art. 5 Abs. 1 EuInsVO ist gemäß § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO binnen einer Notfrist von zwei Wochen einzulegen. Fristauslösendes Ereignis ist gemäß § 569 Abs. 1 Satz 2 ZPO die Zustellung der Entscheidung an den Beschwerdeführer, spätestens beginnt die Zwei-Wochen-Frist jedoch mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung des Beschlusses zu laufen.

336 So eindeutig die Regelung auf den ersten Blick wirken mag, desto unklarer sind ihre Einzelheiten bei näherer Betrachtung. Schwierigkeiten ergeben sich insbesondere bei der Festlegung des fristauslösenden Ereignisses. Die Zustellung des förmlichen Eröffnungsbeschlusses (§ 27 InsO) erfolgt durch das Gericht von Amts wegen sowohl an den Schuldner als auch an alle (bekannten) Gläubiger (§ 30 Abs. 2 InsO). Die Anordnung vorläufiger Sicherungsmaßnahmen wie die Bestellung eines vorläufigen Verwalters (oder Sachwalters) nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO ist hingegen lediglich dem Schuldner selbst (und seinen Schuldnern) zuzustellen, und das ___________ 645) Siehe auch Erwägungsgrund 78 EuInsVO. 646) Brinkmann/Brinkmann, EIR, Art. 5 Rn. 11; K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 5 EuInsVO Rn. 7; MüKoInsO/Thole, Art. 5 EuInsVO Rn. 5.

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§ 8 Zulässigkeitsvoraussetzungen

auch nur, wenn die Bestellung des vorläufigen Verwalters mit einem allgemeinen Verfügungsgebot oder zumindest einem Zustimmungsvorbehalt einhergeht (§ 23 Abs. 1 Satz 2 InsO). Den Gläubigern wird die Anordnung der vorläufigen Verwalterbestellung, die als Verfahrenseröffnung im Sinne von Art. 2 Nr. 7 EuInsVO bereits die Sperrwirkung nach Art. 3 Abs. 2, 3 i. V. m. Art. 19 Abs. 2 EuInsVO auslöst, somit gar nicht und der förmliche Eröffnungsbeschluss nur dann zugestellt, soweit die Gläubiger dem Gericht oder dem Verwalter647) bekannt sind. Zur Ermittlung unbekannter Gläubiger von Amts wegen ist das Gericht nicht verpflichtet.648) Zustellende Wirkung entfaltet im deutschen Insolvenzrecht grundsätzlich jedoch 337 auch die öffentliche Bekanntmachung der Entscheidung, § 9 Abs. 3 InsO.649) Da sowohl der förmliche Eröffnungsbeschluss als auch die vorläufige Verwalterbestellung650) öffentlich bekannt zu machen sind, beginnt die Zwei-Wochen-Frist für alle Gläubiger spätestens mit Bewirkung der Bekanntmachung im Insolvenzregister zu laufen.651) Nach § 9 Abs. 3 InsO gilt dies unabhängig davon, ob den Gläubigern die Eröffnungsentscheidung gesondert zugestellt wurde. Bisweilen wird die Anwendbarkeit von § 9 Abs. 3 InsO im Rahmen des Rechtsbe- 338 helfs nach Art. 5 EuInsVO i. V. m. Art. 102c § 4 EGInsO jedoch abgelehnt.652) Erstens stehe Art. 102c § 4 EGInsO außerhalb der InsO, weshalb § 9 InsO mangels Verweises schon nicht gelte. Zweitens sei auch eine analoge Anwendung aufgrund einer unionsrechtskonformen Auslegung der deutschen Verfahrensvorschriften nicht zu befürworten: Insbesondere ausländischen Gläubigern könne nicht zugemutet werden, sich regelmäßig über Bekanntmachungen der deutschen Insolvenzgerichte zu informieren, weshalb eine verhältnismäßig kurze Zwei-Wochen-Frist ab Bekanntmachung den Rechtsbehelf praktisch unwirksam mache.653) Schließt man sich dieser Auffassung an, bliebe im Blick auf den anfechtenden Gläu- 339 biger, dem die Eröffnungsentscheidung nicht zugestellt wurde, nur der Rückgriff auf die Auffangregel des § 569 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 ZPO, wonach die Zwei-Wochen___________ 647) Das Gericht überträgt die Zustellung des Eröffnungsbeschlusses an die Gläubiger in der Regel zweckmäßigerweise dem Verwalter, § 8 Abs. 3 Satz 1 InsO. 648) MüKoInsO/Busch, § 30 Rn. 11; HK-InsO/Laroche, § 30 Rn. 7; Jaeger/Schilken, InsO, § 30 Rn. 10; Jaeger/Weber, KO, § 111 Rn. 3. 649) Die öffentliche Bekanntmachung erfolgt im Internet auf „www.insolvenzbekanntmachungen.de“. 650) Wird sie zumindest mit der Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts verbunden, ergibt sich die Pflicht zur öffentlichen Bekanntmachung bereits aus § 23 Abs. 1 Satz 1 InsO, in allen anderen Fällen – sofern mit grenzüberschreitendem Bezug – jedenfalls aus Art. 24, 27 Abs. 1 EuInsVO, siehe dazu unten Rn. 362. 651) Die Bekanntmachung gilt nach Ablauf des zweiten vollen Tages nach der Veröffentlichung als bewirkt, § 9 Abs. 1 Satz 3 InsO. 652) K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 11, Art. 5 EuInsVO Rn. 8; ohne Begründung Frind, NZI 2019, 697, 700. 653) K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 11, Art. 5 EuInsVO Rn. 8.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

Frist mit Ablauf von fünf Monaten nach Verkündung des Beschlusses zu laufen beginnt. Wird die Eröffnungsentscheidung jedoch nicht verkündet, was dem Regelfall entsprechen dürfte (denn Beschlüsse über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind mangels mündlicher Verhandlung regelmäßig nicht zu verkünden, § 5 Abs. 3 InsO, § 329 Abs. 1, 2 ZPO654)), fehlt es an einem fristauslösenden Ereignis. Ein Gläubiger, dem die Eröffnungsentscheidung nicht zugestellt wurde, könnte die Verfahrenseröffnung wegen fehlender internationaler Zuständigkeit dann unbefristet anfechten. Ob dieses Ergebnis vom deutschen Gesetzgeber gewollt wäre, ist allemal zweifelhaft.655)

340 Somit besteht bereits nicht unerheblicher Diskussionsbedarf alleine im Hinblick auf die Ausgestaltung der Anfechtungsfrist durch den deutschen Gesetzgeber. Insbesondere unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Anforderungen an nationale Fristenregelungen soll sogleich versucht werden, Antworten auf die aufgeworfenen Fragen zu finden. Zunächst richtet sich der Blick der Untersuchung jedoch rechtsvergleichend auf die parallelen Regelungen in Österreich und Frankreich.

2.

Österreich

341 Nach § 260 Abs. 1 österIO ist der Rekurs gemäß § 71c österIO gegen den förmlichen Eröffnungsbeschluss (Insolvenzedikt, § 74 österIO) innerhalb einer Notfrist von 14 Tagen einzulegen. Fristauslösendes Ereignis ist auch im österreichischen Recht grundsätzlich die Zustellung des anzufechtenden Beschlusses (§ 521 Abs. 2 österZPO).656) Da der Eröffnungsbeschluss jedoch öffentlich bekanntzumachen ist und auch die österreichische IO der öffentlichen Bekanntmachung zustellungsersetzende Wirkung beimisst (§ 257 Abs. 2 österIO), beginnt die Frist bereits mit der öffentlichen Bekanntmachung des Eröffnungsbeschlusses in der Insolvenzdatei zu laufen.657) Ob zusätzlich noch eine besondere Zustellung an die Beteiligten erfolgt

___________ 654) BGH, Urt. v. 23.10.1997 – IX ZR 249/96, BGHZ 137, 49, 50 = ZIP 1997, 2126, 2127 zur KO; K. Schmidt/Keller, InsO, § 27 Rn. 31; Nerlich/Römermann/Mönning/Schweizer, InsO, § 27 Rn. 48; Uhlenbruck/Pape, InsO, § 6 Rn. 14; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, § 30 Rn. 5. 655) Zur Anwendbarkeit des § 9 Abs. 3 InsO im Rahmen der sofortigen Beschwerde nach Art. 102c § 4 EGInsO i. V. m. Art. 5 Abs. 1 EuInsVO siehe noch unten Rn. 372 ff. 656) § 521 Abs. 2 österZPO ist anwendbar über die Verweisnorm § 252 österIO. Der Eröffnungsbeschluss ist unter anderem jedem Insolvenzgläubiger, dessen Anschrift bekannt ist, zuzustellen (§ 75 Abs. 1 Nr. 1 österIO). 657) Der Eröffnungsbeschluss ist durch Aufnahme des Beschlusses in die Insolvenzdatei öffentlich bekanntzumachen (§ 255 österIO), die Insolvenzdatei ist abrufbar unter „www.edikte.justiz.gv.at“.

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§ 8 Zulässigkeitsvoraussetzungen

ist, spielt keine Rolle.658) Die allgemeine Rekursfrist von 14 Tagen gilt ebenfalls für den Rekurs gegen die Bestellung eines einstweiligen Verwalters als einstweilige Vorkehrung im Eröffnungsverfahren (§ 73 Abs. 1, 2 österIO). Auch hier wird die Frist durch die gemäß § 73 Abs. 2 Satz 2 österIO erforderliche öffentliche Bekanntmachung des Beschlusses ausgelöst. Auch im österreichischen Recht stellt sich somit die Frage, ob die starre Anknüp- 342 fung an die öffentliche Bekanntmachung als Auslöser der zudem knapp bemessenen Zwei-Wochen-Frist die fristgerechte Ausübung des Rechtsbehelfs vor allem für (dem Gericht unbekannte) ausländische Gläubiger erheblich erschwert. Zwar erhebt das österreichische Schrifttum – soweit ersichtlich – keine Bedenken gegen diese Regelung. Dennoch ist – parallel zum deutschen Recht – die Vereinbarkeit der öffentlichen Bekanntmachung als fristauslösendes Ereignis mit den Wirksamkeitsanforderungen der Verordnung zu untersuchen.

3.

Frankreich

Das französische Recht differenziert hinsichtlich der Art des Rechtsbehelfs gegen 343 die Verfahrenseröffnung zwischen den verschiedenen Anfechtungsberechtigten. Der Schuldner sowie der antragstellende Gläubiger können das französische Eröffnungsurteil wegen des Fehlens der internationalen Zuständigkeit im Sinne von Art. 5 Abs. 1 EuInsVO mittels der Berufung (appel) anfechten.659) Die Einlegung der Berufung ist innerhalb einer Frist von 10 Tagen möglich, die mit der Zustellung (notification) des Eröffnungsurteils zu laufen beginnt (Art. R.661-1 C. com.). Dem Schuldner ist das Eröffnungsurteil stets zuzustellen.660) Wurde das redressement-Verfahren oder die liquidation aufgrund eines Gläubigerantrags eröffnet, erfolgt die Zustellung auch an den antragstellenden Gläubiger.661) Den übrigen Gläubigern steht zur Rüge der fehlenden internationalen Zuständig- 344 keit gegen das Eröffnungsurteil der Drittwiderspruch (tierce opposition) offen, Art. L.691-1 C. com. Hierfür gilt ebenfalls eine Frist von 10 Tagen (Art. R.661-2 C. com.). Fristauslösendes Ereignis ist in diesem Fall die öffentliche Bekanntmachung ___________ 658) OGH, Beschl. v. 20.12.2011 – 8 Ob 122/11s, ZIK 2012, 141; OGH, Beschl. v. 28.6.2016 – 8 Ob 61/16b, ZIK 2017, 70; Feil, IO, § 260 Rn. 3; Mohr, IO, § 71c E 1; Roth/Duursma-Kepplinger, Exekutions- und Insolvenzrecht, S. 278; Bartsch/Pollak/Buchegger/Schumacher, II/2, § 71c KO Rn. 15. Gemäß § 257 Abs. 3 österIO kann in Insolvenzverfahren mit einer ungewöhnlich großen Anzahl von Gläubigern das Gericht nach eigenem Ermessen auf die besondere Zustellung an die Gläubiger verzichten, soweit der wesentliche Inhalt der Entscheidung öffentlich bekanntgemacht wird. 659) Art. L.661-1 I 1° C. com. für das sauvegarde- und das redressement-Verfahren, Art. L.661-1 I 2° C. com. für die liquidation. 660) Art. R.621-6 C. com. für die sauvegarde, Art. R.631-12 C. com. für das redressement, Art. R.641-6 C. com. für die liquidation. 661) Art. R.621-6 C. com. bzw. R.631-12 C. com. und Art. R.641-6 C. com.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

des Eröffnungsurteils662) im Handelsregister bzw. im Bulletin Officiel d’Annonces Civiles et Commerciales (BODACC).663) Aufgrund der noch kürzer ausfallenden Zehn-Tages-Fristen im französischen Recht sind auch hier Zweifel an der Effektivität des Rechtsbehelfs insbesondere für (ausländische) Gläubiger angebracht.

III. Anforderungen der EuInsVO an eine wirksame Fristenregelung 345 Hinsichtlich der Anforderungen, die das Unionsrecht an nationale Rechtsmittelfristen stellt, ist zunächst auf Erwägungsgrund 34 EuInsVO zu verweisen: Der Rechtsbehelf nach Art. 5 EuInsVO hat „wirksam“ zu sein. Wie es bereits der unionsrechtliche Effektivitätsgrundsatz verlangt, müssen die nationalen Verfahrensregelungen also gewährleisten, dass das Anfechtungsrecht aus Art. 5 EuInsVO nicht faktisch unwirksam wird.

346 Um die effektive Wirkung des Unionsrechts nicht in unangemessener Weise einzuschränken, haben die nationalen Fristenregelungen im Wesentlichen zwei Voraussetzungen zu erfüllen: Erstens ist der Fristbeginn an ein Ereignis zu knüpfen, von dem insbesondere auch sämtliche im EU-Ausland verstreute Gläubiger in zumutbarer Weise Kenntnis erlangen können. Und zweitens muss die Laufzeit der Frist ausreichend lang sein, um allen potentiell Anfechtungsberechtigten die Geltendmachung ihres Anfechtungsrechts zu ermöglichen. Das fristauslösende Ereignis sowie die Dauer der Frist haben nicht nur isoliert für sich betrachtet den Wirksamkeitsanforderungen der Verordnung zu genügen: Vielmehr handelt es sich dabei um zwei notwendigerweise im Zusammenhang zu betrachtende Elemente, die vor allem auch in ihrer gemeinsamen Anwendung die effektive Ausübung des Rechtsbehelfs aus Art. 5 EuInsVO nicht unverhältnismäßig erschweren dürfen.664)

1.

Fristauslösendes Ereignis

347 Nach Erwägungsgrund 64 Satz 1 EuInsVO ist von grundlegender Bedeutung, dass Gläubiger, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt, Wohnsitz oder Sitz in der Europäischen Union haben, über die Eröffnung von Insolvenzverfahren über das Vermögen ihres Schuldners informiert werden. Nur dann sind sie in der Lage, ihre Rechte effektiv geltend zu machen. Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten besteht die Gefahr, dass insbesondere im Ausland ansässige Gläubiger nicht immer zuverlässig von der Verfahrenseröffnung Kenntnis erlangen. Sofern es sich überhaupt um ein ___________ 662) Die Pflicht zur öffentlichen Bekanntmachung (publication) ergibt sich aus Art. R.621-8 C. com. für das sauvegarde-, Art. R.631-7 C. com. für das redressement und Art. R.641-7 C. com. für das Liquidationsverfahren. 663) Einsehbar unter „www.infogreffe.fr“ oder unter „www.bodacc.fr“. 664) Zum Zusammenspiel von fristauslösendem Ereignis und Dauer der Frist bei der Angemessenheitsprüfung einer Fristenregelegung siehe EuGH, Urt. v. 29.10.2015 – Rs. C-8/14, EuZW 2016, 147 Rn. 27 – BBVA.

140

§ 8 Zulässigkeitsvoraussetzungen

öffentlichkeitswirksames Verfahren handelt, werden die heimischen Medien des Gläubigers kaum über die Insolvenz des Schuldners berichten. Sprachbarrieren tun ihr Übriges und können insbesondere den Zugang zu ausländischen Informationsquellen erschweren.665) Darüber hinaus kann es einem Gläubiger grundsätzlich kaum zugemutet werden, laufend ausländische Register auf die mögliche Insolvenz seiner Schuldner hin zu überwachen.666) Es war ein wesentliches Anliegen der Reformbestrebungen, die im Rahmen der 348 Evaluationsstudie aufgezeigten Informationsdefizite hinsichtlich der Verfahrenseröffnung zu beseitigen.667) Zu diesem Zweck sieht die Neufassung der EuInsVO eine Reihe von Maßnahmen vor: Soweit dies noch nicht der Fall ist, haben die Mitgliedstaaten nationale Insolvenzregister zu errichten, in denen sämtliche zur Durchsetzung der Gläubigerrechte erforderliche Informationen zu veröffentlichen sind (Art. 24 EuInsVO). In einem zweiten Schritt sind die nationalen Insolvenzregister miteinander zu vernetzen, sodass Betroffene auf die veröffentlichten Informationen über nationale Insolvenzverfahren von einem zentralen Ausgangspunkt zugreifen können (Art. 25 ff. EuInsVO).668) Zudem haben das Insolvenzgericht oder der Verwalter unverzüglich alle bekannten ausländischen Gläubiger von der Verfahrenseröffnung mithilfe eines einheitlichen Standardformulars zu unterrichten (Art. 54 EuInsVO). Vor diesem Hintergrund ist zu untersuchen, welche Anforderungen die EuInsVO 349 an das – nach nationalem Recht zu bestimmende – fristauslösende Ereignis stellt. Sehen die Mitgliedstaaten eine Frist für den Rechtsbehelf nach Art. 5 EuInsVO vor, müssen sie Folgendes sicherstellen: Der Fristbeginn muss an ein Ereignis geknüpft sein, von dem insbesondere Gläubiger in zumutbarer Weise Kenntnis erlangen können. Im Wesentlichen kommen vier Ereignisse als Fristbeginn in Betracht, die nun näher betrachtet werden: die Zustellung der Eröffnungsentscheidung, die Unterrichtung gemäß Art. 54 EuInsVO, die tatsächliche Kenntnisnahme von der Verfahrenseröffnung sowie deren öffentliche Bekanntmachung im nationalen Insolvenzregister des Eröffnungsstaats.

___________ 665) MüKoBGB/Kindler, Art. 54 EuInsVO Rn. 2; MüKoInsO/Reinhart, Art. 54 EuInsVO Rn. 1; Mankowski/Müller/J. Schmidt/J. Schmidt, EuInsVO 2015, Art. 54 Rn. 3. 666) Bork/van Zwieten/Lenzing, EIR, Art. 54 Rn. 54.02. 667) Siehe Erwägungsgründe 76 ff. EuInsVO. Die im Rahmen der Evaluationsstudie erstellten national reports machten deutlich, dass insbesondere die Information ausländischer Gläubiger von einer Verfahrenseröffnung Schwierigkeiten bereitete, siehe Hess/Oberhammer/Pfeiffer, Heidelberg-Luxembourg-Vienna Report, Rn. 108, 939; Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss v. 12.12.2012 über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren, COM(2012) 743 final, S. 18. 668) Abrufbar auf dem Justizportal der EU unter „https://e-justice.europa.eu/cont-ent_interconnected_ insolvency_registers_search-246-de.do?init=true“.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

a) Keine unionsrechtliche Pflicht zur Zustellung der Eröffnungsentscheidung 350 Die Kenntniserlangung der Gläubiger wäre am sichersten gewährleistet, wenn die Eröffnungsentscheidung sämtlichen Gläubigern zuzustellen wäre und der Fristbeginn – für jeden Gläubiger gesondert – an den jeweiligen Zeitpunkt der Zustellung geknüpft würde.

351 Allerdings hält die EuInsVO die Zustellung der Eröffnungsentscheidung an die Gläubiger für entbehrlich. Den Publizitätsanforderungen der Verordnung wird im Wesentlichen bereits entsprochen, wenn die Eröffnungsentscheidung im nationalen Insolvenzregister des Staats der Verfahrenseröffnung bekanntgemacht wird (Art. 24 Abs. 1, Abs. 2 lit. a EuInsVO). Befinden sich in weiteren Mitgliedstaaten Niederlassungen des Schuldners, hat der Verwalter oder der Schuldner in Eigenverwaltung die Bekanntmachung der Verfahrenseröffnung auch in den Registern der entsprechenden Staaten zu beantragen (Art. 28 Abs. 1 EuInsVO). Zudem muss das Eröffnungsgericht bekannte ausländische Gläubiger unverzüglich über die Verfahrenseröffnung unterrichten (Art. 54 EuInsVO).669) Diese Unterrichtungspflicht, die vordergründig der Forderungsanmeldung dient, kann nach nationalem Recht auch dem Verwalter übertragen werden. Die Information erfolgt mittels eines Standardmitteilungsformulars, ansonsten jedoch formlos. Wie Erwägungsgrund 64 Satz 2 EuInsVO klarstellt, ist eine förmliche Zustellung der Eröffnungsentscheidung gerade nicht erwünscht.

352 Mangels einer unionsrechtlichen Pflicht zur Zustellung der Eröffnungsentscheidung ist es unschädlich, dass auch die nationalen Rechtsordnungen keine umfassenden Zustellungen der Eröffnungsentscheidung an sämtliche Gläubiger vorsehen. Nach der deutschen InsO ist zwar der förmliche Eröffnungsbeschluss den Gläubigern zuzustellen (§ 30 Abs. 2 InsO), davon profitieren aber nur solche Gläubiger, die dem Gericht bekannt sind.670) Eine Zustellung des Beschlusses über die Bestellung eines vorläufigen Verwalters (oder Sachwalters) als Sicherungsmaßnahme im Eröffnungsverfahren an die Gläubiger erfolgt nicht (§ 23 Abs. 1 Satz 2 InsO). Auch in Österreich ist lediglich der formelle Eröffnungsbeschluss zuzustellen, und auch dieser nur an die Gläubiger mit bekannter Adresse (§ 75 Abs. 1 Nr. 1 österIO). Die Zustellung des französischen Eröffnungsurteils hat allein an den antragstellenden Gläubiger – sofern das Verfahren aufgrund eines Gläubigerantrags eröffnet wurde – zu erfolgen.

353 Das unionsrechtliche Wirksamkeitsgebot kann die Mitgliedstaaten im Wege der prozessualen Ausgestaltung des Rechtsbehelfs daher nicht verpflichten, den Fristbeginn an den Zeitpunkt der jeweiligen Zustellung der Eröffnungsentscheidung zu knüpfen. ___________ 669) Siehe hierzu sogleich Rn. 354 ff. 670) Das Gericht ist zur Ermittlung unbekannter Gläubiger von Amts wegen nicht verpflichtet, MüKoInsO/Busch, § 30 Rn. 11; HK-InsO/Laroche, § 30 Rn. 7; Jaeger/Schilken, InsO, § 30 Rn. 10; Jaeger/Weber, KO, § 111 Rn. 3.

142

§ 8 Zulässigkeitsvoraussetzungen

b) Keine Anknüpfung an die Unterrichtung gemäß Art. 54 EuInsVO Ebenso wenig eignet sich der Zeitpunkt der Unterrichtung der Gläubiger von der 354 Verfahrenseröffnung nach Art. 54 EuInsVO als einheitliches fristauslösendes Ereignis. Zwar dient die Unterrichtung nicht nur der Forderungsanmeldung, sondern allge- 355 mein dem Ausgleich von Informationsdefiziten, damit Gläubiger ihre Rechte effektiv geltend machen können. Hierunter fällt auch die Wahrnehmung des Anfechtungsrechts aus Art. 5 Abs. 1 EuInsVO.671) In diesem Zusammenhang kritisch zu sehen ist daher die vereinzelt vertretene Ansicht, die Unterrichtung sei aufgrund ihrer Funktion erst nach der endgültigen Verfahrenseröffnung (etwa durch den Eröffnungsbeschluss nach § 27 InsO) vorzunehmen.672) Warum der Begriff der Verfahrenseröffnung hier anders als bei Art. 2 Nr. 7 EuInsVO verstanden werden soll, leuchtet nicht ein. Knüpfte man den Fristbeginn an die Unterrichtung der jeweiligen Gläubiger, hätte dies zudem den Reiz, dass sämtliche ausländische Gläubiger vor Fristablauf von der Eröffnungsentscheidung Kenntnis erlangen würden.673) Allerdings besteht die Unterrichtungspflicht nur gegenüber bekannten ausländischen 356 Gläubigern. Zwar sind vom Informationsdefizit hinsichtlich einer Verfahrenseröffnung vor allem solche Gläubiger betroffen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt, Wohnsitz oder Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem der Verfahrenseröffnung haben.674) Selbst wenn ihnen gegenüber die Frist mit dem Zeitpunkt der Unterrichtung zu laufen beginnt, beantwortet dies noch nicht die Frage, was für inländische Gläubiger gilt, die nicht zu unterrichten sind. Das gleiche Problem stellt sich für solche im Ausland ansässigen Gläubiger, die für das Gericht oder für den Verwalter aus den Unterlagen des Schuldners oder aus sonstigen zugänglichen Informationsquellen nicht ohne Weiteres ersichtlich sind. Mangels Unterrichtungspflicht muss für diese Gläubiger ein anderes Kriterium gelten, weshalb der Zeitpunkt der Unterrichtung als einheitliches fristauslösendes Ereignis ausscheidet. Wie sogleich noch zu zeigen sein wird, ist es jedoch im Sinne von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit von großer Bedeutung, den Fristbeginn zumindest im Grundsatz an ein für alle Gläubiger einheitliches Ereignis zu knüpfen.

___________ 671) Paulus, EuInsVO, Art. 54 Rn. 1; Mankowski/Müller/J. Schmidt/J. Schmidt, EuInsVO 2015, Art. 54 Rn. 3; Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 24 Rn. 2. 672) So aber Vallender/Riewe, EuInsVO, Art. 54 Rn. 6. 673) Für die Unterrichtung als fristauslösendes Ereignis daher: K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 12; ebenso wohl Paulus, EuInsVO, Art. 5 Rn. 8. 674) Hess/Oberhammer/Pfeiffer, Heidelberg-Luxembourg-Vienna Report, Rn. 108, 939; Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschaftsund Sozialausschuss v. 12.12.2012 über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren, COM(2012) 743 final, S. 18.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

c)

Keine Anknüpfung an den Zeitpunkt der Kenntnisnahme von der Verfahrenseröffnung

357 Die soeben aufgezeigten Schwächen der Unterrichtung ließen sich deshalb auch nicht vollständig umgehen, indem man den Fristbeginn für alle Gläubiger an den jeweiligen Zeitpunkt der Kenntnisnahme von der Verfahrenseröffnung knüpfte. Das Kriterium der Kenntnisnahme ermöglichte zwar die Gleichbehandlung von inländischen und ausländischen Gläubigern. Es hätte ebenfalls den Vorteil, dass die Rechtsbehelfsfrist für den einzelnen Gläubiger nicht verstreichen kann, bevor er von der Eröffnungsentscheidung erfährt.675) Bei näherem Hinsehen offenbaren sich bei der Kenntnisnahme als Anknüpfungspunkt jedoch erhebliche Probleme.

aa) Beweisschwierigkeiten 358 Am stärksten ins Gewicht fallen Beweisschwierigkeiten. Die Darlegungs- und Beweislast für die fristgerechte Einlegung des Rechtsbehelfs hat grundsätzlich der die Eröffnungsentscheidung Anfechtende zu tragen.676) Er müsste also gegebenenfalls nachweisen, zu einem bestimmten Zeitpunkt noch nicht von der Verfahrenseröffnung Kenntnis gehabt zu haben. Nach Art. 54 EuInsVO unterrichteten ausländischen Gläubigern mag dies problemlos gelingen, der Zeitpunkt der Unterrichtung ist mit der Kenntnisnahme gleichzusetzen. Für alle anderen Gläubiger ist der Nachweis in doppelter Hinsicht problematisch: Sie müssen zum einen eine innere und zum anderen eine negative Tatsache beweisen.

359 Dabei kommt erschwerend hinzu, dass unklar ist, welche konkreten Anforderungen an den Nachweis der Unkenntnis zu stellen sind. Beginnt die Frist erst mit der positiven Kenntnis zu laufen? Was gilt, wenn sich ein Gläubiger der Kenntnisnahme auf grob fahrlässige oder vorsätzliche Weise verschließt oder seine Unkenntnis missbräuchlich provoziert? Es dürften sich ähnliche Fragen stellen, wie im Rahmen von Art. 31 Abs. 1 EuInsVO und § 82 InsO. Danach wird ein an den Schuldner leistender Drittschuldner trotz der Verfahrenseröffnung von seiner Leistungspflicht befreit, wenn er zur Zeit der Leistung die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht kannte. Der Nachweis der Unkenntnis war und ist Gegenstand kontroverser Diskussionen677) ___________ 675) Für die Kenntnisnahme als Anknüpfungspunkt Frind, NZI 2019, 697, 700; für den Fall, dass keine Unterrichtung erfolgt, ebenso Paulus, EuInsVO, Art. 5 Rn. 8. 676) Zur Beweislast bei der sofortigen Beschwerde nach § 567 ZPO siehe MüKoZPO/Hamdorf, § 569 Rn. 7; Stein/Jonas/Jacobs, ZPO, § 569 Rn. 6; Wieczorek/Schütze/Jänisch, ZPO, § 569 Rn. 9. 677) Dabei geht es etwa um die Frage, ob eine Berufung auf Unkenntnis ausscheidet, wenn aufgrund entsprechender technischer Möglichkeiten ein automatisierter programmgesteuerter Abgleich der Unternehmensdaten mit den öffentlichen Bekanntmachungen über Insolvenzeröffnungen im Internet mit verhältnismäßig geringem Aufwand möglich ist, dies bejahend wohl BGH, Urt. v. 15.4.2010 – IX ZR 62/09, ZIP 2010, 935 Rn. 13; Brinkmann, KTS 2010, 343, 346 f.; Gehrlein, VersR 2015, 38, 39; ablehnend OLG Bremen, Urt. v. 30.1.2014 – 3 U 52/13, ZIP 2014, 430 Rn. 31 ff.; Kexel, EWiR 2014, 493, 494; MüKoInsO/Vuia, § 82 Rn. 13; differenzierend Wittmann/Kinzl, ZIP 2011, 2232 ff.; offenlassend BGH, Urt. v. 9.10.2014 – IX ZR 41/14, ZIP 2014, 2251 Rn. 9.

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§ 8 Zulässigkeitsvoraussetzungen

und hat im vergangenen Jahrzehnt mehrfach die (höchst-)richterliche Rechtsprechung beschäftigt.678) Im Zusammenhang mit der Beweisproblematik stellt sich ebenfalls die Frage nach 360 der Wissenszurechnung.679) Inwieweit sich ein Gläubigerunternehmen Wissen von Mitarbeitern und Organmitgliedern zurechnen lassen muss und welche Organisationsstrukturen es einzurichten hat, um den Informationsfluss hin zu seinen Entscheidungsträgern zu gewährleisten, bietet Raum für weiteres Konfliktpotential. Der Rechtsbehelf aus Art. 5 Abs. 1 EuInsVO bedarf hingegen eines eindeutigen prozessualen Rahmens. Birgt bereits die Zulässigkeitsprüfung die Gefahr beweisrechtlicher Minenfelder, ist die Wirksamkeit des Anfechtungsrechts erheblich beeinträchtigt.

bb) Nachteile uneinheitlich laufender Anfechtungsfristen Der zweite gewichtige Nachteil des Anknüpfens an die Kenntnisnahme von der Ver- 361 fahrenseröffnung als Fristbeginn sind uneinheitlich laufende Anfechtungsfristen für jeden einzelnen Anfechtungsberechtigten. Es gibt Rechtsordnungen, etwa die englische, in denen die Eröffnungsentscheidung zeitlich unbegrenzt angreifbar ist.680) Entscheidet sich ein Gesetzgeber hingegen für die Einführung einer Rechtsbehelfsfrist, bezweckt er damit, die Eröffnungsentscheidung nach Ablauf der Frist rechtskräftig werden zu lassen und somit für Rechtsfrieden und Rechtssicherheit zu sorgen. Gestaffelte Anfechtungsfristen ab Kenntnisnahme von der Verfahrenseröffnung – theoretisch mit offenem Ende – sind mit diesem Bestreben nicht zu vereinbaren. Insbesondere in Kollektivverfahren mit mehreren Anfechtungsberechtigten ist ein Fristengleichlauf auch im Interesse der der Verkehrssicherheit dienenden Verfahrensvereinheitlichung von großer Bedeutung.681) Es ist daher nicht zweckmäßig, den Fristbeginn an die Kenntnisnahme der einzelnen Gläubiger von der Verfahrenseröffnung zu knüpfen. Stattdessen erfordert die Verkehrssicherheit einen eindeutigen und für alle Anfechtungsberechtigten gleichermaßen geltenden Zeitpunkt als fristauslösendes Ereignis. Wie nun zu zeigen ist, kann ein solches Ereignis nur die öffentliche Bekanntmachung der Eröffnungsentscheidung darstellen. ___________ 678) Siehe unter anderem BGH, Urt. v. 15.4.2010 – IX ZR 62/09, ZIP 2010, 935; BGH, Urt. v. 19.4.2018 – IX ZR 230/15, ZIP 2018, 1082 Rn. 61; OLG Bremen, Urt. v. 30.1.2014 – 3 U 52/13, ZIP 2014, 430. 679) Siehe hierzu Wittmann/Kinzl, ZIP 2011, 2232 ff. Allgemein zur Wissenszurechnung siehe die Nachweise in Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, § 35 Rn. 58 ff. 680) Siehe sec. 282(1)(a) Insolvency Act, hierzu Sealy/Milman, Annotated Guide to the Insolvency Legislation, Anm. zu sec. 282 (1), (3), S. 329 f. 681) Siehe OLG Hamm, Beschl. v. 17.3.1993 – 15 W 67/93, ZIP 1993, 777; OLG Köln, Beschl. v. 3.1.2000 – 2 W 270/99, ZIP 2000, 195, 197 (bezogen auf die Rechtslage nach der alten Konkursordnung, die nach § 73 Abs. 3 KO umfassende Beschwerdemöglichkeiten für die von einer insolvenzgerichtlichen Entscheidung Betroffenen vorsah); Keller, EWiR 2003, 977, 978; Keller, ZIP 2003, 149, 159; KPB/Prütting, InsO, § 9 Rn. 20. Siehe bereits Jaeger/Weber, KO, § 76 Rn. 5.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

d) Öffentliche Bekanntmachung: Zentraler Publizitätsakt der EuInsVO 362 Eine Grundvoraussetzung für die Anwendbarkeit der EuInsVO auf ein nationales Insolvenzverfahren ist dessen Öffentlichkeit.682) Die Öffentlichkeit wird durch die Bekanntmachung der Verfahrenseröffnung im Insolvenzregister des Eröffnungsstaates gewahrt. Die Pflicht zur öffentlichen Bekanntmachung dient der Information von Gerichten und Gläubigern. So sollen Parallelverfahren vermieden und die Durchsetzung der Gläubigerrechte gewährleistet werden (vgl. Erwägungsgründe 12, 76 EuInsVO).683) Die öffentliche Bekanntmachung der Verfahrenseröffnung ist folglich der zentrale Publizitätsakt der Verordnung. So ist nicht nur der Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung im Insolvenzregister des Eröffnungsstaats bekanntzumachen (Art. 24 Abs. 1, 2 EuInsVO); für den Fall, dass der Schuldner Niederlassungen in weiteren Mitgliedstaaten hat, ist auch in den Registern dieser Staaten die Bekanntmachung der Verfahrenseröffnung zu beantragen (Art. 28 EuInsVO).684) Die Bekanntmachung setzt zudem eine Mindestfrist von 30 Tagen in Gang, innerhalb derer ausländische Gläubiger ihre Forderungen zur Anmeldung bringen können (Art. 55 Abs. 6 EuInsVO).

aa) Öffentliche Bekanntmachung als Fristbeginn wahrt die Wirksamkeit des Rechtsbehelfs 363 Knüpfen nationale Regelungen auch den Beginn der Frist für den Rechtsbehelf aus Art. 5 Abs. 1 EuInsVO an die öffentliche Bekanntmachung der Eröffnungsentscheidung im Insolvenzregister des Eröffnungsstaats, entsprechen sie den Wirksamkeitserfordernissen der Verordnung.

(1) Gewährleistete Rechts- und Verkehrssicherheit 364 Für die öffentliche Bekanntmachung als zulässiges fristauslösendes Ereignis spricht zunächst die durch den eindeutigen Veröffentlichungszeitpunkt gewährleistete Verkehrssicherheit. Beginnt die Anfechtungsfrist für sämtliche Gläubiger gleichzeitig zu laufen, besteht nach Fristablauf für den Fortgang des Verfahrens die Gewiss___________ 682) Art. 1 Abs. 1 EuInsVO: „Diese Verordnung gilt für öffentliche Gesamtverfahren […]“ (Hervorhebung hinzugefügt). 683) Vallender/Vallender, EuInsVO, Art. 1 Rn. 21; Bork/van Zwieten/van Zwieten, EIR, Art. 1 Rn. 1.15; Wimmer/Bornemann/Lienau, Die Neufassung der EuInsVO, Rn. 81. Siehe auch Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren vom 12.12.2012, COM(2012) 744 final, S. 3. 684) Erfolgt in einem solchen Staat nach Eröffnung des Verfahrens eine Leistung an den Schuldner, bewirkt die öffentliche Bekanntmachung im Sinne von Art. 28 EuInsVO die widerlegbare Vermutung, dass der Leistende Kenntnis von der Verfahrenseröffnung hatte (Art. 31 Abs. 2 EuInsVO). Seine Leistung gilt dann gegenüber dem Schuldner als nicht bewirkt (Art. 31 Abs. 1 EuInsVO).

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§ 8 Zulässigkeitsvoraussetzungen

heit, zumindest grundsätzlich keinen Verzögerungen durch die Anfechtung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO mehr ausgesetzt zu sein.685) Die dadurch gewonnene Rechtssicherheit ist nicht nur für Sanierungsvorhaben von immenser Bedeutung. Auch in rechtspolitischer Hinsicht ist die Verknüpfung des Fristbeginns mit der öffentlichen Bekanntmachung der Verfahrenseröffnung sinnvoll. So werden für Gerichte und Insolvenzverwalter Anreize geschaffen, der Bekanntmachungspflicht nach Art. 24 Abs. 2 EuInsVO nachzukommen. Gleichwohl enthält auch dieser Lösungsansatz Schwächen. Insbesondere ausländi- 365 sche Gläubiger erlangen allein durch die öffentliche Bekanntmachung der Eröffnungsentscheidung im nationalen Insolvenzregister des Eröffnungsstaats nicht zwangsläufig tatsächliche Kenntnis von der Verfahrenseröffnung. Laufend derartige Bekanntmachungen zu überprüfen, kann von ihnen kaum erwartet werden.686) Dies gilt umso mehr in den typischen Fällen des Restschuldbefreiungstourismus, in denen die Gläubiger gerade nicht mit einer Antragstellung im Ausland rechnen müssen.687)

(2) Verbesserte Möglichkeiten der Kenntnisnahme durch vernetzte Register Den unionsrechtlichen Anforderungen hinsichtlich der Wirksamkeit des Rechtsbe- 366 helfs ist jedoch bereits mit der zumutbaren Möglichkeit der Kenntniserlangung für Gläubiger Genüge getan. An dieser Stelle spielen die zu vernetzenden nationalen Insolvenzregister eine wichtige Rolle, die in der Lage sind, den Zugang zu relevanten Informationen über den Schuldner erheblich zu vereinfachen. Über das Europäische Justizportal als zentralen Zugangspunkt wird ein internetbasierter Suchdienst in allen Amtssprachen der Organe der Union angeboten, der es Gläubigern ermöglichen soll, auf die Insolvenzregister sämtlicher Mitgliedstaaten zuzugreifen. Wenngleich diese Maßnahme – auch nach ihrer vollständigen Umsetzung688) – das bestehende Informationsdefizit nicht vollends ausgleichen können wird, verbessert sie dennoch die Möglichkeiten der Kenntniserlangung maßgeblich: Gläubiger müssen nicht mehr gesondert in den Registern der einzelnen Mitgliedstaaten nach möglichen Bekanntmachungen über ihren Schuldner suchen. An dieser Stelle wird auch noch einmal die individuelle Unterrichtung der besonders schutzwürdigen auslän___________ 685) 686) 687) 688)

Zu Ausnahmen siehe noch unten Rn. 404 ff. MüKoBGB/Kindler, Art. 54 EuInsVO Rn. 2; Mock, GPR 2013, 156, 158 f. K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 5 EuInsVO Rn. 8. Der nach Art. 25 Abs. 2 EuInsVO zu erlassende Durchführungsrechtsakt ist inzwischen in Kraft getreten, Durchführungsverordnung (EU) 2019/917 der Kommission vom 4. Juni 2019 zur Festlegung technischer Spezifikationen, Maßnahmen und sonstiger Anforderungen für das System zur Vernetzung der Insolvenzregister gemäß Art. 25 der Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates. Dennoch sind zum jetzigen Zeitpunkt (Juli 2021) lediglich neun Mitgliedstaaten an dem Verbundsystem beteiligt: Deutschland, Estland, Italien, Lettland, Niederlande, Österreich, Rumänien, Slowenien, Tschechische Republik.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

dischen Gläubiger über die Verfahrenseröffnung relevant (Art. 54 EuInsVO). Auch wenn sie nicht als Anknüpfungspunkt für den Fristbeginn in Frage kommt, erhöht sie im Zusammenspiel mit der öffentlichen Bekanntmachung für ausländischen Gläubiger dennoch erheblich die Möglichkeiten der Kenntnisnahme von der Verfahrenseröffnung.

(3) Bedürfnis nach einer praktikablen Lösung 367 Zwar ist trotz öffentlicher Bekanntmachung und Unterrichtungspflicht nicht vollends auszuschließen, dass vereinzelte, vor allem im Ausland ansässige Gläubiger, die nicht aus den Büchern des Schuldners hervorgehen, keine unmittelbare Kenntnis von der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens erlangen. Allerdings sind mit der näheren Konkretisierung der Anfechtungsmöglichkeit im Rahmen ihrer prozessualen Ausgestaltung zwingend Einbußen an Rechtsverfolgungsmöglichkeiten für die Anfechtungsberechtigten verbunden. Diese zur Präzisierung des Anfechtungsrechts notwendigen Einschränkungen machen den Rechtsbehelf nicht per se unwirksam. Die effektive Wirkung des Unionsrechts bedeutet nicht dessen absolute Wirkung: Vielmehr besteht genau wie bei der nationalen Um- und Durchsetzung des Unionsrechts auch hinsichtlich der normativen Ausgestaltung des Rechtsbehelfs durch die nationalen Gesetzgeber ein gewisser Gestaltungsspielraum, sofern keine unverhältnismäßigen verfahrensrechtlichen Hürden aufgestellt werden.689)

368 Erlangen Gläubiger in Ausnahmefällen von der Verfahrenseröffnung keine Kenntnis, muss das Verfahrensrecht eine pragmatische Lösung vorsehen. Hierbei ist zwischen dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit und Rechtsfrieden und der Wahrung der Verfahrensrechte der Beteiligten abzuwägen. Eine solche Abwägung trifft die Verordnung bereits, indem sie nationale Fristenregelungen im Hinblick auf Art. 5 EuInsVO generell für zulässig erachtet (vgl. Art. 24 Abs. 2 lit. j EuInsVO). Die Möglichkeit einer Befristung schränkt das Anfechtungsrecht zugunsten von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden ein. Gleiches geschieht, indem der Fristbeginn an die öffentliche Bekanntmachung – und somit an ein eindeutig bestimmbares und für den Rechtsverkehr nachvollziehbares Ereignis – geknüpft wird. Die daraus resultierende Einschränkung des Anfechtungsrechts ist ebenfalls im Sinne von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden erforderlich und angemessen. Insbesondere in Massenverfahren mit einer großen Anzahl von Betroffenen, die sich nicht immer von vornherein überschauen lassen, ist dieses Vorgehen zur Bestimmung des Fristbeginns

___________ 689) Zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei der Einschränkung von Unionsrecht durch nationale Verfahrensregelungen siehe u. a. EuGH, Urt. v. 14.12.1995 – Rs. C-312/93, EuZW 1996, 636 Rn. 14 – Peterbroeck; EuGH, Urt. v. 3.9.2009 – Rs. C-2/08, EuZW 2009, 739 Rn. 27 – Fallimento Olimpiclub; EuGH, Urt. v. 6.10.2009 – Rs. C-40/08, EuZW 2009, 852 Rn. 39 – Asturcom; EuGH, Urt. v. 14.3.2013 – Rs. C-415/11, EuZW 2013, 464 Rn. 53 – Aziz.

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sachgerecht und praktikabel.690) Hierbei darf typisiert werden: Vereinzelte Ausnahmefälle, in denen ein Gläubiger trotz zumutbarer Möglichkeit keine Kenntnis von der Verfahrenseröffnung erlangt, reichen nicht, um die Ausübung des Anfechtungsrechts erheblich zu erschweren. Die öffentliche Bekanntmachung als fristauslösendes Ereignis bringt das Bedürfnis nach Rechtssicherheit und die Rechtsschutzmöglichkeit eines Anfechtungsberechtigten in angemessenen Ausgleich und schränkt daher die Wirksamkeit des Rechtsbehelfs nicht in unverhältnismäßiger Weise ein.

(4) Vergleichbare Wertung des Art. 55 Abs. 6 Satz 2 EuInsVO Für diese Annahme spricht auch Art. 55 Abs. 6 Satz 2 EuInsVO. Demnach erachtet 369 die Verordnung die öffentliche Bekanntmachung im Insolvenzregister des Staates der Verfahrenseröffnung als geeigneten Zeitpunkt, um eine (Mindest-)Frist von 30 Tagen in Gang zu setzen, innerhalb derer ausländische Gläubiger ihre Forderungen anmelden können müssen. Auch hier nimmt die Verordnung in Kauf, dass die – im Übrigen nach der lex fori concursus zu bestimmende – Frist verstreicht, ohne dass der betroffene Gläubiger tatsächlich Kenntnis von der Verfahrenseröffnung erlangt hat. Versäumt ein Gläubiger die Frist zur Forderungsanmeldung, kann dies unter Umständen schwerer wiegende Folgen für ihn haben, als der Verlust des Anfechtungsrechts: Nicht jeder Mitgliedstaat ermöglicht die nachträgliche Anmeldung von Forderungen, sodass der Fristablauf für den Gläubiger einen Rechtsverlust bedeuten kann.691) Obwohl er mit seiner nicht angemeldeten Forderung nicht am Insolvenzverfahren teilnimmt, unterliegt er dennoch dessen verfahrensmäßigen Beschränkungen; der Bestand seiner Forderung wird zudem durch eine eventuell gewährte Restschuldbefreiung oder die Regelungen eines Insolvenzplans berührt.692) Indem Art. 55 Abs. 6 EuInsVO an die öffentliche Bekanntmachung und nicht etwa an die Unterrichtung anknüpft, nimmt die EuInsVO eine Beeinträchtigung der Rechte „übergangener“ Gläubiger zugunsten der Funktionalität und zügigen Abwicklung des Insolvenzverfahrens in Kauf. Nicht zuletzt ist die an dieser Stelle vorgenommene Abwägungsentscheidung ein starkes Indiz dafür, dass die Verordnung grundsätzlich

___________ 690) Zur Frage, ob die Vorgängernorm des deutschen § 9 Abs. 3 InsO (§ 119 Abs. 4 VerglO) mit dem Anspruch auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes vereinbar ist, siehe BVerfG, Beschl. v. 2.12.1987 – 1 BvR 1291/85, BVerfGE 77, 275 = NJW 1988, 1255, 1256. 691) Dies ist bspw. nach französischem Recht der Fall, siehe Cass. com., 7.7.2009 – n° 07-20.220, Bulletin IV, n° 99; CA Bordeaux, 3.1.2011 – n° 09/04655, D. 2011, 1669 m. Anm. Lecourt, IILR 2012, 72 m. Anm. Mankowski. Gleiches gilt nach tschechischem Recht, MüKoInsO/Giese/ Krüger, Länderbericht Tschechien, Rn. 28. Siehe auch Hess/Oberhammer/Pfeiffer, HeidelbergLuxembourg-Vienna-Report, Rn. 940; McCormack/Keay/Brown, European Insolvency Law, S. 192 ff. 692) HK-InsO/Laroche, § 28 Rn. 4.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

auch für den Beginn der Anfechtungsfrist nach Art. 5 die öffentliche Bekanntmachung ausreichen lässt.693)

(5) Zwischenergebnis 370 Zwar ist dieses Ergebnis in Anbetracht der auch weiterhin bestehenden Informationsdefizite insbesondere für ausländische Gläubiger keineswegs optimal. Selbst im Falle einer funktionierenden Vernetzung der Insolvenzregister und Vereinheitlichung der Suchfunktion wird es sich aufgrund der Weitläufigkeit des europäischen Rechtsraums, der Vielzahl von Insolvenzfällen sowie der bestehenden Sprachbarrieren nicht vollständig vermeiden lassen, dass vereinzelte Gläubiger – unabhängig von der (noch zu erörternden) konkreten Dauer der Anfechtungsfrist – zu spät von einer Verfahrenseröffnung Kenntnis erlangen. Auch ein im Zuge der Reform noch abgelehntes Europäisches Insolvenzregister wird diese Defizite wohl nicht vollständig beseitigen können.694) Unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Möglichkeiten und im Hinblick auf das Bedürfnis nach Rechts- und Verkehrssicherheit stellt die Verknüpfung des Fristbeginns mit der öffentlichen Bekanntmachung jedoch eine pragmatische und somit die beste Lösung dar. Indem sie Fristbeginn und tatsächliche Kenntnisnahme von der Verfahrenseröffnung voneinander trennt, grenzt sie die weit interpretierte Anfechtungsberechtigung („jeder Gläubiger“), die auch durch eine von nationalen Rechtsordnungen eventuell geforderte Voraussetzung einer Beschwer kaum eingeschränkt wird,695) wieder etwas ein.

bb) Rechtsfolgen der öffentlichen Bekanntmachung in den Mitgliedstaaten 371 Das hier entwickelte Ergebnis entspricht im Übrigen der Rechtslage in den Mitgliedstaaten. Auch die untersuchten nationalen Rechtsordnungen messen der Publizitätswirkung der öffentlichen Bekanntmachung der Verfahrenseröffnung eine hohe Bedeutung bei. Nach französischem Recht setzt die öffentliche Bekanntmachung des Eröffnungsurteils im Handelsregister bzw. im BODACC die Frist in Gang, innerhalb derer Gläubiger gegen das Eröffnungsurteil Drittwiderspruch einlegen können.696) In Deutschland sowie in Österreich hat die öffentliche Bekanntmachung eines insolvenzgerichtlichen Beschlusses im jeweiligen Insolvenzregister zustellungsersetzende Wirkung (§ 9 Abs. 3 InsO, § 257 Abs. 2 österIO). Dies ist insbesondere für die Frist von Rechtsmitteln gegen Beschlüsse des Insolvenzgerichts von Bedeutung. Knüpft ___________ 693) Nach Art. 31 Abs. 2 Satz 1 EuInsVO wird nach der öffentlichen Bekanntmachung zudem vermutet, dass ein Drittschuldner von der Verfahrenseröffnung Kenntnis hat. Leistet er dennoch an den Schuldner, wird er von seiner Leistungspflicht nur befreit, wenn es ihm gelingt, seine Unkenntnis zum Zeitpunkt der Leistung zu beweisen. 694) Ein zentrales Register forderten bereits vor der Neufassung der Verordnung Hess/Oberhammer/ Pfeiffer, Heidelberg-Luxembourg-Vienna Report, Rn. 953; INSOL Europe, Report 2010, S. 16. 695) Siehe oben Rn. 325 ff. 696) Art. L.691-1, Art. R.661-2 C. com.

150

§ 8 Zulässigkeitsvoraussetzungen

das Gesetz den Fristbeginn grundsätzlich an die Zustellung der Entscheidung (vgl. § 6 Abs. 2 InsO, § 569 Abs. 1 S. 2 ZPO, § 521 Abs. 2 österZPO), beginnt die Frist jedenfalls mit der öffentlichen Bekanntmachung zu laufen, unabhängig davon, ob zusätzlich gesonderte Zustellungen an die Beschwerdeberechtigten erfolgt sind.697)

cc) Insbesondere: Die öffentliche Bekanntmachung im Rahmen des Art. 102c § 4 EGInsO Zumindest Teile des deutschen Schrifttums sehen die zustellungsersetzende Wir- 372 kung der öffentlichen Bekanntmachung im Rahmen der Anfechtung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO allerdings kritisch. So wird die Anwendbarkeit von § 9 Abs. 3 InsO auf die sofortige Beschwerde nach Art. 102c § 4 EGInsO bisweilen abgelehnt.698) In der Konsequenz käme der öffentlichen Bekanntmachung bei der Anfechtung der Eröffnungsentscheidung wegen fehlender internationaler Zuständigkeit keine zustellungsersetzende und somit auch keine fristauslösende Wirkung zu.

(1) Direkte Anwendung des § 9 Abs. 3 InsO? Begründet wird diese Ansicht zunächst damit, dass Art. 102c § 4 EGInsO außerhalb 373 der InsO stehe, weshalb § 9 Abs. 3 InsO mangels Verweises nicht gelten dürfe.699) In der Tat verweist Art. 102c § 4 EGInsO nicht ausdrücklich auf § 9 InsO, während beispielsweise Art. 102c § 12 EGInsO explizit die Regelung des § 8 Abs. 3 InsO für anwendbar erklärt. Ob allein dadurch dem deutschen Gesetzgeber die bewusste Entscheidung unterstellt werden kann, § 9 InsO im Rahmen des Art. 102c § 4 EGInsO nicht anwenden zu wollen, erscheint jedoch fraglich. Wie nun zu zeigen sein wird, kann bei der Auslegung des Art. 102c § 4 EGInsO dessen Wortlaut und Systematik nicht die entscheidende Bedeutung zukommen: Erstens ist Art. 102c § 4 EGInsO ohnehin unglücklich formuliert: Während Satz 1 374 auf die sofortige Beschwerde verweist, erklärt Satz 2 die §§ 574 – 577 ZPO für entsprechend anwendbar. Aus diesem missverständlichen Wortlaut wird nicht hinreichend deutlich, ob der Verweis in Satz 1 nur auf die §§ 567 ff. ZPO bezogen ist oder ob er auch solche Vorschriften der InsO erfasst, die die für ein Insolvenzverfahren vorgesehenen verfahrensrechtlichen Besonderheiten regeln und somit im Insolvenzverfahren ebenso zu den Regelungen über die sofortige Beschwerde gehören.700) ___________ 697) MüKoInsO/Ganter/Bruns, § 9 Rn. 23; Roth/Duursma-Kepplinger, Exekutions- und Insolvenzrecht, S. 278; Bartsch/Pollak/Buchegger/Schumacher, II/2, § 71c KO Rn. 15; HK-InsO/Sternal, § 9 Rn. 9. 698) K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 11; Frind, NZI 2019, 697, 700. Siehe bereits oben Rn. 338. 699) K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 11. 700) Für die Geltung des § 6 InsO im Rahmen von Art. 102c § 4 EGInsO merkt dies bereits Deyda, ZInsO 2018, 221, 229, an. Ebenso Schoppmeyer, FS Pape, S. 373, 380.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

Auch § 9 Abs. 3 InsO, der für den Fall der Beschwerde gegen eine insolvenzrechtliche Entscheidung das fristauslösende Ereignis nach § 569 Abs. 1 Satz 2 ZPO konkretisiert, ließe sich zu den insolvenzrechtlichen Bestimmungen über die sofortige Beschwerde zählen. Nach § 569 Abs. 1 Satz 2 ZPO, dessen Anwendbarkeit im Rahmen des Art. 102c § 4 EGInsO unbestritten ist,701) beginnt die Rechtsbehelfsfrist „mit der Zustellung der Entscheidung“ zu laufen. Art. 102 § 4 EGInsO ermöglicht die Beschwerde gegen den förmlichen Eröffnungsbeschluss (§ 27 InsO) oder gegen die Anordnung der vorläufigen Verwalter- bzw. Sachwalterbestellung (§ 21 Abs. 2 bzw. § 270a InsO). In allen Fällen handelt es sich um Entscheidungen nach der InsO, deren Zustellung aufgrund von Vorschriften der InsO (§ 30 bzw. § 23 InsO) erfolgt.702) Für Zustellungen insolvenzrechtlicher Entscheidungen gilt § 8 InsO, in dessen unmittelbarem Zusammenhang auch die Regelung des § 9 Abs. 3 InsO steht. Daher spricht einiges dafür, die Norm auch ohne einen ausdrücklichen Verweis in Art. 102c § 4 EGInsO direkt für anwendbar zu befinden.

375 Zweitens sind die Vorschriften des EGInsO zwar nicht in formeller Hinsicht Teil der InsO, dienen aber deren Konkretisierung. Aus Sicht des deutschen Gesetzgebers wäre es ebenso denkbar gewesen, die Durchführungsregelungen zur Neufassung der Verordnung und insbesondere den in Art. 5 EuInsVO garantierten Rechtsbehelf in den unmittelbaren Zusammenhang der betroffenen Sachnormen der InsO einzufügen (§ 21 Abs. 1 Satz 2, § 34 InsO).703) So wurde im Vorfeld etwa eine analoge Anwendung von § 6 InsO i. V. m. §§ 567 ff. ZPO vorgeschlagen.704) Hätte man die Anfechtungsmöglichkeit nicht gemeinsam mit den übrigen Durchführungsregelungen im EGInsO ausgelagert – was zugegebenermaßen der Übersichtlichkeit dient –, sondern innerhalb der InsO geregelt, wäre § 9 Abs. 3 InsO ohne Weiteres anwendbar gewesen. Mit seiner Entscheidung wollte der Gesetzgeber den Rechtsbehelf nach Art. 102c § 4 EGInsO nicht außerhalb des Insolvenzrechts stellen – die Norm gehört vielmehr in sachlicher Hinsicht zu den Vorschriften der InsO über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens.705)

376 Drittens spricht auch das Gesetzgebungsverfahren des Art. 102c EGInsO für die direkte Anwendung des § 9 Abs. 3 InsO. Im Rahmen seiner Stellungnahme zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung regte der Bundesrat an, eine klarstellende Regelung hinsichtlich des Beginns der Beschwerdefrist für Rechtsmittel nach Art. 102c § 4 EGInsO-E aufzunehmen. Als fristauslösendes Ereignis schlug er die öffentliche ___________ 701) Siehe nur K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 11; Nerlich/ Römermann/Hübler, InsO, Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 2; HK-InsO/Swierczok, Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 2. 702) Allgemein auch Schoppmeyer, FS Pape, S. 373, 382 f. 703) Thole, ZIP 2018, 401, 406. 704) Prager/Keller, NZI 2013, 57, 59. 705) Thole, ZIP 2018, 401, 406. Zipperer, ZIP 2018, 956, 958, bezeichnet die systematische Eingliederung des Anfechtungsrechts in Art. 102c EGInsO als „Zweckmäßigkeitsentscheidung“.

152

§ 8 Zulässigkeitsvoraussetzungen

Bekanntmachung gemäß Art. 24 EuInsVO vor.706) In ihrer Gegenäußerung hielt die Bundesregierung die vorgeschlagene Ergänzung nicht für erforderlich: Nach § 9 Abs. 3 InsO beginne die Rechtsmittelfrist spätestens einheitlich mit dem Zeitpunkt der öffentlichen Bekanntmachung zu laufen, weshalb weitergehende Regelungen nicht erforderlich seien.707) Hierbei wird ohne Weiteres von der Anwendbarkeit des § 9 Abs. 3 InsO ausgegangen.708) Schließlich streitet auch der Vergleich mit Art. 102c § 12 EGInsO, der – im Gegen- 377 satz zu Art. 102c § 4 – ausdrücklich auf § 8 Abs. 3 InsO verweist, nicht entscheidend gegen die Anwendbarkeit des § 9 Abs. 3 InsO.709) Art. 102c § 12 EGInsO hat die öffentliche Bekanntmachung einer Zusicherung durch den Verwalter eines deutschen Hauptinsolvenzverfahrens zum Gegenstand. Bekannten lokalen Gläubigern ist die Zusicherung durch den Verwalter besonders zuzustellen. Wie der Verweis auf § 8 Abs. 3 Satz 2 und 3 InsO klarstellt, darf sich der Verwalter hierbei Dritter, insbesondere auch eigenen Personals bedienen. Anders als § 9 Abs. 3 InsO im Rahmen von Art. 102c § 4 EGInsO wäre § 8 Abs. 3 InsO bei Art. 102c § 12 ohne den Verweis jedoch nicht ohne Weiteres anwendbar: Die Zusicherung im Sinne dieser Vorschrift erfolgt stets durch den Verwalter. § 8 InsO hat jedoch Zustellungen durch das Insolvenzgericht zum Gegenstand. Auf die Zustellung durch den Verwalter passt die Norm daher von vornherein schon nicht.

(2) Analoge Anwendung des § 9 Abs. 3 InsO? Aber selbst eine etwaige analoge Anwendung von § 9 Abs. 3 InsO auf den Rechts- 378 behelf aus Art. 102c § 4 EGInsO wird bisweilen abgelehnt. Durch die zustellungsersetzende Wirkung würde der Fristbeginn in einer Weise bestimmt, die den Rechtsbehelf aus Art. 5 EuInsVO insbesondere für ausländische Gläubiger ineffektiv mache.710) Vor allem, wenn die Gläubiger nicht mit einer Antragstellung im Ausland rechnen müssten, könne es ihnen nicht zugemutet werden, ständig die entsprechenden Insolvenzregister zu überprüfen. Gerade in typischen Fällen des Restschuldbefreiungstourismus würden Gläubiger nicht mehr rechtzeitig von der Verfahrenseröffnung Kenntnis erlangen, sodass kein Rechtsmittel mehr eingelegt werden könne.711) ___________ 706) Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Verordnung (EU) 2015/848 über Insolvenzverfahren vom 16.12.2016, BR-Drucks. 654/16 (Beschluss), S. 3. 707) BT-Drucks. 18/10823, S. 45. 708) Auch der Bundesrat ging in seiner Stellungnahme zum Entwurf der Neufassung der EuInsVO vom 22.3.2013 von einer Anwendbarkeit des § 9 Abs. 3 InsO auf den neugeschaffenen Rechtsbehelf (Art. 3b Abs. 2 Satz 2 des Kommissionsvorschlags) aus, BR-Drucks. 777/12, S. 6. Art. 102c EGInsO lag damals allerdings noch nicht einmal als Entwurf vor. 709) So aber K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 11. 710) K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 11. 711) K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 11.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

379 Auch diese Bedenken können letztendlich nicht überzeugen. Zunächst einmal wurde bereits dargelegt, dass die öffentliche Bekanntmachung der Eröffnungsentscheidung als fristauslösendes Ereignis grundsätzlich mit den Anforderungen der EuInsVO zu vereinbaren ist. Insbesondere in Massenverfahren, die sich durch einen großen und von vornherein nicht zwingend überschaubaren Kreis der Betroffenen auszeichnen, kommt der öffentlichen Bekanntmachung als zentraler Publizitätsakt entscheidende Bedeutung zu. Ist die lückenlose Einzelzustellung der Eröffnungsentscheidung weder nach nationalem Recht vorgesehen noch praktikabel, haben durch die Publizitätswirkung der öffentlichen Bekanntmachung auch ausländische Gläubiger die ausreichende Möglichkeit, von der Verfahrenseröffnung in zumutbarer Weise Kenntnis zu erlangen.712)

380 Des Weiteren sprechen bereits Zweckmäßigkeitserwägungen für die – zumindest analoge – Anwendbarkeit des § 9 Abs. 3 InsO. Ohne die Regelung würde die Anfechtungsfrist zunächst nur durch die Zustellung der Eröffnungsentscheidung in Gang gesetzt. Die lückenlose Zustellung an sämtliche Gläubiger ist jedoch nicht gewährleistet: Der formelle Eröffnungsbeschluss muss nur an diejenigen Gläubiger zugestellt werden, die dem Gericht bekannt sind. Zu Nachforschungen von Amts wegen ist das Gericht dabei nicht verpflichtet.713) Beschlüsse über die Anordnung vorläufiger Maßnahmen sind den Gläubigern überhaupt nicht zuzustellen. In all den Fällen, in denen keine Zustellung erfolgt, bliebe somit nur die Auffangregel des § 569 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 ZPO. Demnach beginnt die Beschwerdefrist mit Ablauf von fünf Monaten nach Verkündung des Beschlusses. Problematisch daran ist schon der lange Zeitraum der Anfechtbarkeit. Die Folge wäre erhebliche – vor allem für Sanierungen hinderliche – Rechtsunsicherheit sowie ein nicht unbedeutendes Missbrauchspotential für Gläubiger.714)

381 Hinzukommt, dass sowohl der formelle Eröffnungsbeschluss als auch die Anordnung der vorläufigen Maßnahmen in der Regel nicht verkündet werden. Verkündet werden müssen nur Beschlüsse, die auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen sind (§ 329 Abs. 1 ZPO). Da im Insolvenzverfahren keine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist (§ 5 Abs. 3 InsO), sind auch Beschlüsse über die Verfahrenseröffnung regelmäßig nicht zu verkünden.715) Wird der anzufechtende Beschluss nicht verkündet, beginnt die Anfechtungsfrist grundsätzlich mit der formlosen Bekanntgabe an die Betroffenen zu laufen.716) Ohne Bekanntgabe wird die ___________ 712) Siehe oben Rn. 363 ff. 713) MüKoInsO/Busch, § 30 Rn. 11; HKInsO/Rüntz/Laroche, § 30 Rn. 7; Jaeger/Schilken, InsO, § 30 Rn. 10; Jaeger/Weber, KO, § 111 Rn. 3. 714) Dies erkennt auch Brinkmann, der von sog. räuberischen Gläubigern spricht, K. Schmidt/ Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 12. Als in Insolvenzverfahren „nicht sachgerecht“ erachtet diese Auffangregel auch KPB/Madaus, InsO, Art. 5 EuInsVO 2015 Rn. 10. 715) BGH, Urt. v. 23.10.1997 – IX ZR 249/96, ZIP 1997, 2126, 2127; K. Schmidt/Keller, InsO, § 27 Rn. 31; Nerlich/Römermann/Mönning/Schweizer, InsO, § 27 Rn. 48; Uhlenbruck/Pape, InsO, § 6 Rn. 14; Uhlenbruck/Zipperer, InsO, § 30 Rn. 5. 716) MüKoZPO/Hamdorf, § 569 Rn. 6.

154

§ 8 Zulässigkeitsvoraussetzungen

Frist nicht ausgelöst.717) Dies hätte zur Folge, dass für den Rechtsbehelf eines dem Gericht nicht bekannten Gläubigers mangels Zustellung und Bekanntgabe keine Frist gölte. Er könnte also zeitlich unbegrenzt gegen die nicht verkündete Eröffnungsentscheidung vorgehen. Dieses Ergebnis ist vor dem Hintergrund der erforderlichen Rechtssicherheit und der bereits erwähnten Gefahr des Missbrauchs des Anfechtungsrechts äußerst bedenklich. Zudem wird es kaum dem Willen des deutschen Gesetzgebers entsprechen, der für die sofortige Beschwerde nach Art. 102c § 4 EGInsO ja gerade die Frist des § 569 Abs. 1 ZPO vorsehen wollte. Im Ergebnis stehen daher bereits der direkten – zumindest aber der analogen – An- 382 wendung des § 9 Abs. 3 InsO auch im Rahmen der sofortigen Beschwerde gegen die Eröffnungsentscheidung aus Art. 102c § 4 EGInsO keine Bedenken entgegen. Auch nach deutschem Insolvenzrecht kommt der öffentlichen Bekanntmachung aufgrund ihrer zustellungsersetzenden Wirkung somit erhebliche Bedeutung für den Fristbeginn zu. Erfolgt die Zustellung erst später oder aber gar nicht, beginnt die Frist mit der Bekanntmachung im Insolvenzregister zu laufen.718)

dd) Zwischenergebnis Zusammenfassend lässt sich daher festhalten, dass die nationalen Rechtsordnungen, 383 die eine Frist für die Ausübung des Rechtsbehelfs aus Art. 5 Abs. 1 EuInsVO vorsehen und den Fristbeginn an die öffentliche Bekanntmachung der Eröffnungsentscheidung im jeweiligen nationalen Insolvenzregister knüpfen, grundsätzlich den Anforderungen der Verordnung entsprechen. Nicht zuletzt aufgrund der Vernetzung der Insolvenzregister handelt es sich bei der öffentlichen Bekanntmachung um ein Ereignis, von dem auch ausländische Gläubiger in zumutbarer Weise Kenntnis erlangen können. Der so konkretisierte Fristbeginn hindert die Wirksamkeit des Rechtsbehelfs aus Art. 5 Abs. 1 EuInsVO für sich genommen nicht.

2.

Dauer der Frist

Allerdings ist die Wirksamkeit des Rechtsbehelfs gleichwohl nur gewährleistet, wenn 384 die Anfechtungsfrist auch ausreichend lang ist, um allen potentiell Anfechtungsbe___________ 717) BGH, Beschl. v. 29.9.1998 – KZB 11-98, NJW 1999, 143, 144; BGH, Beschl. v. 10.11.2011 – IX ZB 165/10, ZIP 2011, 2479 Rn. 9; OLG Brandenburg MDR 2013, 1245; Musielak/Voit/ Ball, ZPO, § 569 Rn. 4; MüKoZPO/Hamdorf, § 569 Rn. 6; Stein/Jonas/Jacobs, ZPO, § 569 Rn. 4. 718) Erfolgt die Zustellung an einzelne Beteiligte vor der öffentlichen Bekanntmachung soll nach inzwischen wohl herrschender Auffassung bereits die Zustellung, und nicht erst die öffentliche Bekanntmachung die Frist in Gang setzen, BGH, Beschl. v. 20.3.2003 – IX ZB 140/02, ZIP 2003, 768; BGH, Beschl. v. 5.11.2009 – IX ZB 173/08, NZI 2010, 159 Rn. 9; OLG Köln, Beschl. v. 3.1.2000 – 2 W 270/99, ZIP 2000, 195; Bork, EWiR 2000, 181, 182; MüKoInsO/ Ganter/Bruns, § 9 Rn. 24; HambKommInsO/Rüther, § 6 Rn. 26; HK-InsO/Sternal, § 9 Rn. 10. A. A. Jaeger/Gerhardt, InsO, § 9 Rn. 6; Keller, ZIP 2003, 149, 158 f.; Pape, FS Uhlenbruck, S. 49, 54; KPB/Prütting, InsO; § 9 Rn. 18 ff.; FK-InsO/Schmerbach, § 9 Rn. 18 ff.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

rechtigten nach der Kenntniserlangung von der Verfahrenseröffnung die Geltendmachung ihres Anfechtungsrechts zu ermöglichen. Ob die Dauer der Frist die praktische Wirksamkeit des Rechtsbehelfs wahrt, kann dabei nicht isoliert, sondern muss im Zusammenhang mit dem fristauslösenden Ereignis beurteilt werden.719) Je weniger das fristauslösende Ereignis die zweifelsfreie Kenntnisnahme sämtlicher Anfechtungsberechtigten garantiert, desto länger muss die Anfechtung möglich sein.720) Beginnt die Anfechtungsfrist dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit entsprechend bereits mit der öffentlichen Bekanntmachung der Eröffnungsentscheidung zu laufen – unabhängig davon, ob der Anfechtungsberechtigte tatsächlich von der Verfahrenseröffnung Kenntnis erlangt hat –, würde eine zu kurze Rechtsmittelfrist die effektive Durchsetzung des Anfechtungsrechts erheblich erschweren. Da nach französischem Recht der Lauf der Drittwiderspruchsfrist für Gläubiger an die öffentliche Bekanntmachung geknüpft ist und sowohl im deutschen als auch im österreichischen Recht der öffentlichen Bekanntmachung zustellungsersetzende Wirkung zukommt, darf in all diesen Fällen die Länge der Frist nicht zu knapp bemessen sein, um die effektive Durchführung des Art. 5 EuInsVO nicht zu vereiteln.

a) Fristenregelungen der EuInsVO 385 Obwohl sie keine Regelung zu einer Anfechtungsfrist im Rahmen von Art. 5 trifft, enthält die Verordnung Anhaltspunkte, wie lange die Anfechtung der Eröffnungsentscheidung möglich sein muss und darf.

aa) Art. 37 Abs. 2 EuInsVO 386 Orientierung bietet insbesondere Art. 37 Abs. 2 EuInsVO. Die Vorschrift hat die Beantragung eines Sekundärverfahrens trotz gebilligter Zusicherung zum Gegenstand. Die Zusicherung nach Art. 36 EuInsVO richtet sich an die in einem Mitgliedstaat, in dem sich eine Niederlassung des Schuldners befindet, ansässigen lokalen Gläubiger. Ihnen verspricht der Verwalter eines Hauptinsolvenzverfahrens, sie in Bezug auf das in dem entsprechenden (Niederlassungs-)Staat befindliche Vermögen so zu behandeln, wie dies bei der Durchführung eines Sekundärverfahrens der Fall wäre. Indem das potentielle Sekundärverfahren lediglich virtuell abgebildet wird, hat die Zusicherung den Zweck, Kosten und Störpotential eines tatsächlichen Parallelverfahrens zu vermeiden.

387 Dennoch kann auch nach gebilligter Zusicherung ein Antrag auf Eröffnung eines Sekundärverfahrens gestellt werden. Gemäß Art. 37 Abs. 2 EuInsVO ist dies nur innerhalb von 30 Tagen nach Erhalt der Mitteilung über die Billigung der Zusiche___________ 719) Vgl. EuGH, Urt. v. 29.10.2015 – Rs. C-8/14, EuZW 2016, 147 Rn. 27 – BBVA. 720) Bei kurzen Fristen ist somit besonders darauf zu achten, dass diese kenntnisabhängig zu laufen beginnen, EuGH, Urt. v. 29.10.2009 – Rs. C-63/08, EuZW 2010, 190 Rn. 60, 62 ff. – Pontin.

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§ 8 Zulässigkeitsvoraussetzungen

rung möglich. Bei der Beantragung eines Sekundärverfahrens handelt es sich somit der Sache nach um einen Rechtsbehelf gegen die Zusicherung, für dessen Einlegung eine 30-Tages-Frist gilt.721) Nach Fristablauf ist der Antrag auf Eröffnung des Sekundärverfahrens unzulässig.722) Für die Wahrung des „Anfechtungsrechts“ gegen die Zusicherung durch Beantragung eines Sekundärverfahrens erachtet der Verordnungsgeber also den Zeitraum von 30 Tagen als ausreichend.

bb) Art. 55 Abs. 6 Satz 2 EuInsVO Der gleiche Zeitraum gilt für die Forderungsanmeldung: Art. 55 Abs. 6 Satz 2 EuInsVO 388 schreibt eine europäische Mindestfrist von ebenfalls 30 Tagen nach Bekanntmachung der Verfahrenseröffnung vor, innerhalb derer ausländische Gläubiger ihre Forderungen anmelden können müssen. Zwar handelt es sich hierbei nicht um einen Rechtsbehelf, dennoch lässt die Verordnung den Zeitraum von 30 Tagen zur zumutbaren Wahrung der Gläubigerrechte genügen. Schließlich lassen sich noch in Art. 64 Abs. 2 sowie in Art. 77 Abs. 3 EuInsVO 30- 389 Tages-Fristen finden.723) In beiden Fällen geht es zwar nicht um die Wahrung von Gläubigerrechten, jedoch ebenfalls um die Gewährung von Rechtsschutz, der innerhalb von 30 Tagen möglich sein soll.

b) Maßstab für eine Rechtsmittelfrist bei Art. 5 EuInsVO Natürlich können die angesprochenen 30-Tages-Fristen nicht ohne Weiteres auf 390 die Anfechtung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO entsprechend angewendet werden. Der Verordnungsgeber hat sich im Rahmen von Art. 5 EuInsVO bewusst gegen die Regelung einer Anfechtungsfrist entschieden. Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens hatte das Europäische Parlament in erster Lesung eine Frist von drei Wochen angeregt, die mit der öffentlichen Bekanntmachung des Zeitpunkts der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu laufen beginnen sollte.724) Der Vorschlag ___________ 721) K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 5 EuInsVO Rn. 7; Art. 37 EuInsVO Rn. 10. 722) Vallender/Ch. Keller, EuInsVO, Art. 36 Rn. 12; Pluta/Ch. Keller, FS Vallender, S. 437, 447; Mankowski/Müller/J. Schmidt/Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 37 Rn. 40. 723) Nach Art. 64 Abs. 2 EuInsVO kann der Verwalter eines gruppenangehörigen Unternehmens innerhalb von 30 Tagen nach Eingang der Mitteilung über den Antrag auf Eröffnung eines Gruppen-Koordinationsverfahrens Einwände gegen die Einbeziehung „seines“ Insolvenzverfahrens in ein Gruppen-Koordinationsverfahren oder gegen die als Koordinator vorgeschlagene Person erheben. Gem. Art. 77 Abs. 3 EuInsVO ist der Widerspruch eines Einzelverwalters gegen die Abrechnung für das Gruppen-Koordinationsverfahren innerhalb von 30 Tagen nach Eingang der Abrechnung möglich. 724) Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 5.2.2014 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren (COM (2012)0744 – C7-0413/2012 – 2112/ 0360(COD)), Ordentliches Gesetzgebungsverfahren: erste Lesung (2017/C 093/61), Abänderung 32.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

wurde von der Kommission offenbar nicht geteilt und in der Folge nicht mehr aufgegriffen. Hinsichtlich der Gründe kann lediglich spekuliert werden, da der Standpunkt der Kommission zu den Änderungsanträgen des Parlaments in erster Lesung nicht veröffentlicht wurde.725) Eine denkbare Erklärung wäre, dass der europäische Gesetzgeber den nationalen Rechtsordnungen die Möglichkeit lassen wollte, für den Rechtsbehelf aus Art. 5 EuInsVO und für bereits bestehende nationale Rechtsbehelfe außerhalb des Anwendungsbereichs der Verordnung einheitliche Fristen zu schaffen.

391 Trotz aller berechtigten Kritik ist die bewusste Entscheidung des Verordnungsgebers gegen die Einführung einer einheitlichen Rechtsmittelfrist zu respektieren. Auch die Länge der Anfechtungsfrist steht somit im Gestaltungsermessen der Mitgliedstaaten, denen ein gewisser Spielraum überlassen worden ist. Dennoch dient die an mehreren Stellen der EuInsVO aufgegriffene Frist von 30 Tagen durchaus als Maßstab, welchen Zeitraum der europäische Gesetzgeber zur Wahrung von Rechten im europäischen Raum für erforderlich und ausreichend erachtet. Schon aus diesem Grund ist zweifelhaft, ob wesentlich kürzere Anfechtungsfristen den Anforderungen der Verordnung an die Wirksamkeit des Rechtsbehelfs aus Art. 5 genügen.

c)

Bewertung der nationalen Regelungen, insbesondere § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO

392 Eine Rechtsmittelfrist muss den Rechtsmittelberechtigten ausreichend Zeit zur Geltendmachung ihrer Rechte gewähren.726) Sie müssen erkennen können, ob die Voraussetzungen eines erfolgreichen Rechtsbehelfs vorliegen, und Gelegenheit haben zu entscheiden, ob sie ihre Rechte geltend machen wollen.727) Ob die 14-tägigen Anfechtungsfristen im deutschen und österreichischen Recht, erst recht aber die in Frankreich geltende lediglich zehntägige Frist, diesen Anforderungen genügen oder aber den Rechtsbehelf aus Art. 5 Abs. 1 EuInsVO in unzumutbarer Weise einschränken, ist Gegenstand der folgenden Untersuchungen. Hierbei steht die Vereinbarkeit der deutschen 14-Tages-Frist des § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO mit dem Unionsrecht im Vordergrund.

aa) Erforderliche Schritte für die fristgemäße Rechtsbehelfseinlegung 393 Beginnt die Frist de facto bereits kenntnisunabhängig mit der öffentlichen Bekanntmachung der Eröffnungsentscheidung im Insolvenzregister des Eröffnungsstaats zu ___________ 725) Standpunkt der Europäischen Kommission zu Änderungsanträgen des Parlaments in erster Lesung vom 20.5.2014, mit dem die vom Europäischen Parlament vorgeschlagenen Abänderungen (Stellungnahme des Parlaments in erster Lesung vom 5.2.2014, Dokument 52014AP0093) nur teilweise angenommen wurden. 726) EuGH, Urt. v. 16.12.1976 – Rs. C-45/76, BeckRS 2004, 71219 Rn. 11/18 – Comet BV. 727) EuGH, Urt. v. 10.7.1997 – Rs. C-261/95, ZIP 1997, 1666 Rn. 29 – Palmisani; EuGH, Urt. v. 8.9.2011 – Rs. C-177/10, EuZW 2011, 768 Rn. 97 ff. – Rosado Santana.

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§ 8 Zulässigkeitsvoraussetzungen

laufen,728) erschwert eine starre zehn- oder 14-tägige Frist die effektive Durchsetzung des Anfechtungsrechts in nicht hinnehmbarer Weise. Vor allem im Ausland ansässigen Gläubigern, die im Hinblick auf Forum Shopping und Erschleichung eines günstigeren Insolvenzgerichtsstands durch den Schuldner besonders schützenswert sind, wird die fristgerechte Einlegung des Rechtsbehelfs häufig nur schwer möglich sein. Dies soll anhand einer Darstellung der einzelnen Schritte, die in einem solchen Fall typischerweise zur fristwahrenden Einlegung des Rechtsbehelfs erforderlich sind, verdeutlicht werden:

(1) Kenntniserlangung von der Verfahrenseröffnung Nach der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens im Sinne von Art. 3 Abs. 1 394 EuInsVO wird die Eröffnungsentscheidung innerhalb weniger Tage im nationalen Insolvenzregister des Eröffnungsstaats bekanntgegeben. Aufgrund ausdrücklicher Regelung oder aufgrund der Zustellungsfiktion beginnt ab diesem Zeitpunkt spätestens die Anfechtungsfrist zu laufen. Ein Gläubiger muss zunächst von der Verfahrenseröffnung Kenntnis erlangen. Wird 395 ihm die Eröffnungsentscheidung nicht gesondert zugestellt, etwa weil bereits die Bestellung eines vorläufigen Verwalters die Eröffnungsentscheidung im unionsrechtlichen Sinne darstellt oder weil seine Stellung als Gläubiger nicht ohne Weiteres aus den Unterlagen des Schuldners hervorgeht, sodass auch eine unmittelbare Unterrichtung nach Art. 54 EuInsVO ausbleibt, muss er sich auf eine anderweitige Kenntnisnahme verlassen. Eine mediale Berichterstattung über die Insolvenz eines ausländischen Schuldners ist in seinem Heimatstaat nicht unbedingt zu erwarten. Auch von Mund-zu-Mund-Propaganda in den jeweiligen Geschäftskreisen ist nur bei bedeutenden Unternehmen auszugehen. Von der Verfahrenseröffnung erfährt der Gläubiger in zuverlässiger Weise somit erst durch die Kenntnisnahme von der Bekanntmachung im Insolvenzregister. Täglich von der vernetzten Suchfunktion Gebrauch zu machen, kann von ihm aber weder erwartet noch ihm zugemutet werden,729) sodass – wenn überhaupt – mit Kenntnisnahme erst einige Tage nach der Bekanntmachung zu rechnen ist.

(2) Prüfung der Anfechtungsvoraussetzungen Der nächste Schritt ist die Erkenntnis, dass die Voraussetzungen einer erfolgreichen 396 Rechtsbehelfseinlegung gegeben sind.730) Hierfür muss der Gläubiger feststellen, dass ___________ 728) Siehe für das deutsche Recht nur § 9 Abs. 3 InsO. Zu dessen Anwendbarkeit im Rahmen von Art. 102c § 4 EGInsO siehe oben Rn. 372 ff. 729) K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 5 EuInsVO Rn. 8; MüKoBGB/Kindler, Art. 54 EuInsVO Rn. 2; Mock, GPR 2013, 156, 158 f.; siehe unten Rn. 411 ff. 730) Vgl. EuGH, Urt. v. 10.7.1997 – Rs. C-261/95, ZIP 1997, 1666 Rn. 29 – Palmisani; EuGH, Urt. v. 8.9.2011 – Rs. C-177/10, EuZW 2011, 768 Rn. 97 ff. – Rosado Santana.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

das COMI des Schuldners nicht im Eröffnungsstaat, sondern in einem anderen Staat liegt.

397 Auch diese Feststellung kann nicht unmittelbar erwartet werden. Der Gläubiger muss die Anknüpfungspunkte der Vermutungen in Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 – 4 EuInsVO, also Gesellschaftssitz, Hauptniederlassung oder gewöhnlicher Aufenthaltsort, ermitteln und anschließend unter Berücksichtigung aller Gesamtumstände beurteilen, ob die Vermutungen zutreffen oder zu widerlegen sind. Hierbei ist ihm genügend Zeit zur Beurteilung der Rechtslage zuzugestehen, da Anfechtungen ins Blaue hinein ein erhebliches Verzögerungspotential mit sich tragen und vom Verordnungsgeber nicht erwünscht sein können. Dem Anfechtungsberechtigten muss die Gelegenheit gegeben sein, sich rechtliche Beratung einzuholen und anschließend über das Ergebnis der Beratung nachzudenken. Die Ausübung des Anfechtungsrechts ist stets mit einem gewissen Aufwand, Prozess- und Kostenrisiko verbunden. Je nach Höhe seiner Forderung und Ausmaß der mit der Verfahrenseröffnung durch das vermeintlich unzuständige Gericht verbundenen Beeinträchtigung seiner Rechte wird der Gläubiger abwägen, ob er zur Anfechtung der Eröffnungsentscheidung bereit ist. Der Prozess der Kenntniserlangung, Prüfung des COMI sowie der Entscheidung, das Anfechtungsrecht auszuüben oder nicht auszuüben, wird selbst bei optimistischer Einschätzung ohne Weiteres eine Woche in Anspruch nehmen.

(3) Tatsächliche Geltendmachung des Rechtsbehelfs 398 Schließlich hat der Anfechtungsberechtigte die für die fristgerechte Einlegung des Rechtsbehelfs erforderlichen Schritte einzuleiten.731)

399 Zunächst muss das Anfechtungsbegehren in der Sprache des Eröffnungsstaats formuliert werden, wobei eventuelle Formalien, die das nationale Prozessrecht aufstellt, einzuhalten sind. An dieser Stelle wirkt sich erschwerend aus, dass der europäische Gesetzgeber, anders als etwa bei der Forderungsanmeldung, für die Anfechtung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 kein Standardformular bereitstellt. Weiter muss das Anfechtungsersuchen an das zuständige Gericht, welches immerhin aus der öffentlichen Bekanntmachung der Verfahrenseröffnung hervorgehen sollte (Art. 24 Abs. 2 lit. j EuInsVO), übermittelt werden. Hinsichtlich der Übermittlung des Rechtsbehelfs muss sich der ausländische Gläubiger vor allem auf die in der öffentlichen Bekanntmachung mitgeteilten Angaben verlassen. Obwohl zumindest nach deutschem Recht die Einlegung der sofortigen Beschwerde grundsätzlich auch elektronisch möglich ist (§ 130a ZPO),732) enthalten die auf „www.insolvenzbekanntmachungen.de“ veröffentlichten Bekanntmachungen der deutschen Amtsgerichte häufig nur Hin___________ 731) Vgl. EuGH, Urt. v. 29.10.2015 – Rs. C-8/14, EuZW 2016, 147 Rn. 27 – BBVA; EuGH, Urt. v. 17.6.2004 – Rs. C-30/02, Slg. 2004, I-6051 Rn. 21 – Recheio – Cash & Carry; EuGH, Urt. v. 28.7.2011 – Rs. C-69/10, NVwZ 2011, 1380 Rn. 66 f. – Samba Diouf. 732) MüKoZPO/Hamdorf, § 569 Rn. 14.

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§ 8 Zulässigkeitsvoraussetzungen

weise zur Einsendung der Beschwerde auf dem Postweg. In vielen Fällen erfolgen – entgegen der Vorgabe des Art. 24 Abs. 2 lit. j – überhaupt keine Angaben zu einer Beschwerde nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO i. V. m. Art. 102c § 4 EGInsO.733) Legt der Anfechtungsberechtigte seinen Rechtsbehelf per Post ein, müssen für den Postweg über europäische Grenzen hinweg erneut einige Tage eingeplant werden. Dass das formgerechte Verfassen des Anfechtungsbegehrens sowie sein Eingang beim richtigen Rechtsmittelgericht innerhalb weniger Tage gelingen, ist ebenfalls nur unter sehr günstigen Umständen anzunehmen. Rechnet man alle Schritte zusammen, ist bei typisierter Betrachtung die Einlegung 400 der Anfechtung für einen ausländischen Gläubiger innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO nur unter sehr optimistischen Annahmen möglich.734) Entsprechendes gilt für die ebenso lange österreichische Frist. Die fristwahrende Anfechtung innerhalb von zehn Tagen nach der öffentlichen Bekanntmachung des französischen Eröffnungsurteils dürfte nahezu utopisch sein.

bb) Unionsrechtswidrigkeit einer starren 14-Tages-Frist Zwar ist die beschleunigte Durchführung des Insolvenzverfahrens insbesondere für 401 Sanierungsbestrebungen von großer Bedeutung. Nicht nur in diesen Fällen ist das Insolvenzverfahren auf Rechtssicherheit angewiesen, sodass eine in zeitlicher Hinsicht zu lange oder gar unbegrenzt mögliche Anfechtung der Eröffnungsentscheidung erhebliches Störpotential mit sich bringt.735) Auch hinsichtlich der Länge der Frist muss daher ein angemessener Ausgleich zwischen dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit und beschleunigter Verfahrensdurchführung sowie der Gewährleistung der Verfahrensrechte der Beteiligten gefunden werden. Eine starre, kenntnisunabhängig zu laufen beginnende Anfechtungsfrist von lediglich zehn oder vierzehn Tagen vernachlässigt die Verfahrensrechte der Beteiligten zugunsten von Rechtssicherheit und zügiger Verfahrensdurchführung auf unangemessene Weise. Insbesondere im Ausland ansässigen Anfechtungsberechtigten ist die fristgerechte Anfechtung der Eröffnungsentscheidung kaum möglich, sodass die notwendige Effektivität der Durchführung der Verordnung nicht gewährleistet ist. Eine starre Anfechtungsfrist von lediglich zwei Wochen oder weniger wäre nicht 402 mit der Wirksamkeit von Art. 5 EuInsVO zu vereinbaren. Als Verordnung schafft die EuInsVO in allen Mitgliedstaaten unmittelbar geltendes Recht, ohne dass es einer Umsetzung durch die nationalen Gesetzgeber bedarf (Art. 288 Abs. 2 AEUV). Aufgrund der Eigenständigkeit der europäischen Rechtsordnung und deren einheitli___________ 733) Siehe dazu unten Rn. 415. 734) Zwar konnte im Verfahren über das Vermögen der NIKI Luftfahrt GmbH (siehe hierzu bereits oben Rn. 136 ff.) die Frist gewahrt werden, jedoch waren die Voraussetzungen aufgrund der zu erwartenden Verfahrenseröffnung und keinerlei Sprachbarrieren auch extrem günstig. 735) Mock, GPR 2013, 156, 159.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

cher Geltung als Gemeinschaftsrecht gilt der Vorrang des Unionsrechts gegenüber dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten.736) Die Unmittelbarkeit der Geltung einer EU-Verordnung sowie der Vorrang des Unionsrechts haben zur Folge, dass nationale gesetzgeberische Maßnahmen, die mit der Verordnung unvereinbar sind, in den Fällen, in denen der Anwendungsbereich des Unionsrechts eröffnet ist, ausnahmsweise unangewendet zu lassen sind (sog. Anwendungsvorrang).737) Dies muss auch für Vorschriften des nationalen Rechts gelten, welche die effektive Wirkung des Anfechtungsrechts aus Art. 5 EuInsVO unterlaufen.738) Erschwert die Anwendung zu knapp bemessener nationaler Fristenregelungen die Anfechtung der Eröffnungsentscheidung aus Gründen der internationalen Zuständigkeit vor allem für ausländische Gläubiger erheblich, wird die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts und seine einheitliche Geltung vereitelt. Hinsichtlich der Länge der Frist wären die entsprechenden nationalen Fristenregelungen daher nicht anwendbar.

403 Die Unanwendbarkeit einer gegen das Unionsrecht verstoßenden nationalen Fristenregelung hat zur Folge, dass die Eröffnungsentscheidung in dem entsprechenden Mitgliedstaat nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO zeitlich unbegrenzt anfechtbar ist. Eine unionsrechtskonforme Auslegung der nationalen Vorschrift etwa in dem Sinne, dass die zu kurze Frist durch eine längere, die Wirksamkeit des Anfechtungsrechts wahrende Frist ersetzt wird, kommt nicht in Betracht: Zum einen wäre eine solche „geltungserhaltende Korrektur“ mit einer nicht hinnehmbaren Rechtsunsicherheit verbunden, da vollkommen unklar wäre, wie lang diese ungeschriebene Frist bemessen sein sollte. Außerdem schreibt Art. 5 EuInsVO eben keine zwingende zeitliche Begrenzung des Anfechtungsrechts vor. Ist die Eröffnungsentscheidung nach dem nationalen Recht eines Mitgliedstaats unbefristet anfechtbar – sei es aufgrund einer bewussten Entscheidung des nationalen Gesetzgebers (wie etwa vor dem Brexit in England und Wales739)) oder weil die nationale Fristenregelung unionsrechtswidrig und damit unanwendbar ist –, so widerspricht dies nicht dem Wirksamkeits___________ 736) So die ständige Rechtsprechung., siehe u. a. EuGH, Urt. v. 15.7.1964 – Rs. 6/64, NJW 1964, 2371 – Costa; EuGH, Urt. v. 9.3.1979 – Rs. 106/77, NJW 1978, 1741 – Simmenthal II; EuGH, Urt. v. 22.10.1998 – Rs. C-10/97 bis C-22/97, NZG 1999, 41 – IN.CO.GE. 737) EuGH, Urt. v. 9.3.1979 – Rs. 106/77, NJW 1978, 1741 – Simmenthal II; EuGH, Urt. v. 19.6.1990 – Rs. C-213/89, NJW 1991, 2271 Rn. 18 – Factortame; EuGH, Urt. v. 22.10.1998 – Rs. C-10/97 bis C-22/97, NZG 1999, 41 – IN.CO.GE; EuGH, Urt. v. 8.9.2010 – Rs. C409/06, NVwZ 2010, 1419 Rn. 53 – Winner Wetten; EuGH, Urt. v. 14.6.2012 – Rs. C-606/10, NVwZ 2012, 736 Rn. 72 f. – ANAFE. Zum Anwendungsvorrang ebenfalls Bobek, in: Barnard/ Peers, European Union Law, S. 143, 161 – 165; von der Groeben/Schwarze/Hatje/Geismann, Europäisches Unionsrecht, Art. 288 AEUV Rn. 8 f.; Hess, Europäisches Zivilprozessrecht, § 11 Rn. 4, 7; Grabitz/Hilf/Nettesheim/Nettesheim, EUV/AEUV, Art. 1 AEUV Rn. 71 ff.; Streinz/ Streinz, EUV/AEUV, Art. 4 EUV Rn. 37 ff. 738) Brinkmann/Brinkmann, EIR, Art. 5 Rn. 9; K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 5 EuInsVO Rn. 5; Bork/van Zwieten/Ringe, EIR, Art. 5 Rn. 5.16. 739) Sec. 282(1)(a) Insolvency Act, siehe hierzu Brinkmann/Brinkmann, EIR, Art. 5 Rn. 10.

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§ 8 Zulässigkeitsvoraussetzungen

gebot der Verordnung.740) Da ein Insolvenzverfahren und insbesondere auch der eingesetzte Verwalter in seinem Handeln auf eine gewisse Rechtssicherheit angewiesen ist, ist die zeitlich unbegrenzte Anfechtungsmöglichkeit zwar wenig erstrebenswert.741) Gleichwohl wären ihre Konsequenzen verkraftbar: Wie an späterer Stelle noch zu zeigen sein wird, wirkt die aufgrund einer erfolgreichen Anfechtung erfolgte Verfahrensaufhebung lediglich für die Zukunft.742) Bereits getätigte Handlungen des Insolvenzverwalters bleiben wirksam. Ein in einem späten Verfahrensstadium geltend gemachter Rechtsbehelf ist somit nicht in der Lage, bereits eingetretene Verfahrenswirkungen rückwirkend zunichte zu machen.743)

cc) Abhilfe durch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand? Zumindest die Zwei-Wochen-Frist des § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO wäre jedoch mög- 404 licherweise unionsrechtskonform, wenn das nationale deutsche Prozessrecht hinreichend flexibel ist, um auf Härtefälle angemessen reagieren zu können. Dies betrifft insbesondere Erschwernisse ausländischer Gläubiger bei der Fristwahrung. Abhilfe schaffen könnte die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 233 ff. ZPO): War die Partei eines Zivilprozesses ohne ihr Verschulden daran gehindert, eine Notfrist einzuhalten, ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Durch die eng begrenzte Ausnahmeregelung wird zur Wahrung der Einzelfallgerechtigkeit das Fristversäumnis geheilt; die Prozesshandlung gilt als rechtzeitig bewirkt.744) Auch das österreichische und das französische Prozessrecht kennen grundsätzlich 405 das Institut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Im österreichischen Recht (§§ 146 ff. österZPO) kommt sie ebenfalls in Betracht, wenn ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis dazu führt, dass eine Partei es versäumt, rechtzeitig eine befristete Prozesshandlung vorzunehmen (§ 146 Abs. 1 österZPO).745) In Insolvenzverfahren gilt dies jedoch nicht: Wie § 259 Abs. 4 österIO klarstellt, ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung einer Frist im In___________ 740) Dies ergibt sich schon aus Art. 24 Abs. 2 lit. j EuInsVO, wonach die Anfechtungsfrist nur „gegebenenfalls“, d. h. sofern das jeweilige nationale Recht eine solche vorsieht, öffentlich bekannt zu machen ist. Noch deutlicher wird dies in der englischen Fassung, wo es heißt „where applicable“. 741) Mock, GPR 2013, 156, 158. 742) Siehe unten Rn. 535 ff. 743) Zum Fortbestand von Handlungen des (ehemaligen) Verwalters und insbesondere zum Schicksal bereits begründeter Masseverbindlichkeiten siehe unten Rn. 544 ff. und Rn. 549 ff. 744) BGH, Beschl. v. 8.1.1953 – IV ZR 125/52, BGHZ 8, 284 = NJW 1953, 423; BGH, Beschl. v. 8.10.1986 – VIII ZB 41/86, BGHZ 98, 325, 328 = NJW 1987, 327; Zöller/Greger, ZPO, § 233 Rn. 1; MüKoZPO/Stackmann, § 233 Rn. 4. 745) Siehe hierzu ausführlich Fasching, Zivilprozeßrecht, Rn. 573 ff.; Rechberger/Simotta, Österreichisches Zivilprozessrecht, Rn. 722 ff. mit vielen weiteren Nachweisen.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

solvenzverfahren ausgeschlossen.746) Die französische relevé de forclusion im Rahmen der Berufung und Revision (Art. 540 CPC) setzt voraus, dass der Rechtsmittelberechtigte die Fristversäumnis nicht zu vertreten („sans qu’il y ait eu faute de sa part“) hat.747)

406 Der Übersichtlichkeit halber beschränkt sich die folgende Untersuchung jedoch auf die Wiedereinsetzung nach den §§ 233 ff. der deutschen ZPO.

(1) Anwendbarkeit der §§ 233 ff. ZPO auf Art. 102c § 4 EGInsO 407 Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist auch in Insolvenzsachen möglich748) und auch im Rahmen des Art. 102c § 4 EGInsO keineswegs ausgeschlossen: Art. 102c § 4 EGInsO verweist ausdrücklich zwar lediglich auf die sofortige Beschwerde (§§ 567 ff. ZPO) sowie auf die §§ 574 bis 577 ZPO. Jedenfalls gegen eine analoge Anwendung der §§ 233 ff. ZPO bestehen jedoch keine Bedenken: Zunächst ist der Wortlaut des Art. 102c § 4 EGInsO ohnehin missverständlich und daher nur bedingt aussagekräftig.749) Außerdem dient der Rechtsbehelf der Konkretisierung der InsO – auch wenn er außerhalb des Gesetzes geregelt ist. Hätte der Gesetzgeber den Rechtsbehelf aus Art. 5 EuInsVO innerhalb der InsO geregelt, würden die Vorschriften der ZPO über § 4 InsO Anwendung finden. Schließlich spricht auch der Vergleich mit § 1115 Abs. 5 ZPO, der den unionsrechtlichen Rechtsbehelf aus Art. 49 Brüssel Ia-VO näher ausformt, für die Möglichkeit der Wiedereinsetzung. Wird die Beschwerdefrist des § 1115 Abs. 5 Satz 2 ZPO schuldlos versäumt, ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.750) Es ist nicht ersichtlich, weshalb im Rahmen der Beschwerde nach Art. 102c § 4 EGInsO etwas anderes gelten sollte.751) Somit erlangt die Möglichkeit der Wiedereinsetzung nun auch im Rahmen der Beschwerde gegen den Eröffnungsbeschluss Bedeutung, was bisher aufgrund der alleinigen Beschwerdeberechtigung des Schuldners – und dessen nahezu gesicherter Kenntnisnahme – kaum der Fall gewesen sein dürfte.

___________ 746) BeckOK-InsO/Boscheinen-Duursma, Österreich Rn. 51. 747) Siehe Cass. com., 16.11.2010 – n° 09-16.572, Bull. civ. IV, n° 179. 748) BGH, Beschl. v. 24.3.2016 – IX ZB 67/14, ZIP 2016, 988; BGH, Beschl. v. 16.10.2003 – IX ZB 36/03, ZIP 2003, 2383; LG Frankfurt/M., Beschl. v. 10.11.1995 – 2-09 T 769/95, 781– 783/95, ZIP 1995, 1836; MüKoInsO/Ganter/Bruns, § 6 Rn. 38; Uhlenbruck/Pape, InsO, § 6 Rn. 14; K. Schmidt/Stephan, InsO, § 6 Rn. 11; HK-InsO/Sternal, § 6 Rn. 18. 749) Siehe dazu bereits oben Rn. 373 f. 750) MüKoZPO/Gottwald, Art. 49 Brüssel Ia-VO Rn. 4; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, Art. 49 Brüssel Ia-VO Rn. 6; Geimer/Schütze/E. Peiffer/M. Peiffer, IRV, Art. 49 Brüssel Ia-VO Rn. 7; Musielak/Voit/Stadler, Art. 49 Brüssel Ia-VO Rn. 1. 751) Im Ergebnis ebenfalls Laroche, FS Kayser, S. 497, 499; KPB/Madaus, InsO, Art. 5 EuInsVO 2015 Rn. 10; MüKoInsO/Thole, Art. 5 EuInsVO Rn. 5; Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 5 Rn. 8; Zipperer, NZI 2020, 600, 604.

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(2) Schuldlose Fristversäumung Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand setzt voraus, dass der Betroffene ohne 408 sein Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten.752) Solch ein Wiedereinsetzungsgrund könnte vor allem bei einem ausländischen Gläubiger, der von der öffentlichen Bekanntmachung der Verfahrenseröffnung in Deutschland nicht oder nicht rechtzeitig innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO erfährt, in Betracht kommen;753) denn die schuldlose Unkenntnis von einer öffentlichen Bekanntmachung kann die Wiedereinsetzung rechtfertigen.754) Daher stellt sich die Frage, ob dem Gläubiger, dem die Eröffnungsentscheidung nicht 409 zugestellt und der darüber auch nicht nach Art. 54 EuInsVO unterrichtet wurde, der aber auch nicht aufgrund der öffentlichen Bekanntmachung von der Verfahrenseröffnung erfahren hat, ein Verschuldensvorwurf gemacht werden kann. Die Wiedereinsetzung scheidet aus, wenn der Gläubiger die im Prozess erforderliche Sorgfalt einer ordentlichen Prozesspartei außer Acht gelassen hat. Dabei ist der genaue Sorgfaltsmaßstab im Rahmen des § 233 ZPO umstritten: Während teilweise (wie bei § 276 BGB) ein objektiv-abstrakter Maßstab herangezogen wird,755) legt die ebenso starke Gegenmeinung einen individuellen Maßstab zugrunde, der den jeweiligen Gesamtumständen anzupassen sei.756)

(a) Öffentliche Bekanntmachung als zentraler Publizitätsakt Einerseits ist die öffentliche Bekanntmachung im Insolvenzregister des Eröffnungs- 410 staats der zentrale Publizitätsakt im Anwendungsbereich der EuInsVO.757) Durch die Bekanntmachung der Verfahrenseröffnung wird dem Öffentlichkeitserfordernis der Verordnung entsprochen. Die öffentliche Bekanntmachung dient insofern dazu, die Information über die Eröffnungsentscheidung dem gesamten Geschäfts- und Wirtschaftsverkehr zukommen zu lassen.758) Vor diesem Hintergrund wäre es denkbar, ausgehend von der Möglichkeit der Kenntniserlangung durch die öffentliche Bekanntmachung der Eröffnungsentscheidung eine Obliegenheit der Gläubiger anzunehmen, diese Information auch tatsächlich abzurufen. Wenn die öffentliche Bekanntmachung bezweckt, den Rechtsverkehr über die Verfahrenseröffnung zu infor___________ 752) Sie ist auf Antrag zu gewähren. Bei Bestehen der Voraussetzungen besteht ein Rechtsanspruch auf Wiedereinsetzung; die Entscheidung steht also nicht im Ermessen des Gerichts. 753) Laroche, FS Kayser, S. 497, 499. 754) Siehe MüKoInsO/Ganter/Bruns, § 6 Rn. 39a; HK-InsO/Sternal, § 6 Rn. 18. 755) Vgl. BVerfG, Beschl. v. 6.11.2003 – 2 BvR 1568/02, NJW 2004, 502 für § 93 BVerfGG; Zöller/Greger, ZPO, § 233 Rn. 12; MüKoZPO/Stackmann, § 233 Rn. 32. 756) Musielak/Voit/Grandel, ZPO, § 233 Rn. 4; Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle/ Becker, ZPO, § 233 Rn. 12; Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, § 233 Rn. 13; Stein/Jonas/Roth, ZPO, § 233 Rn. 45. 757) Siehe oben Rn. 362 ff. 758) Erwägungsgrund 75 Satz 1 EuInsVO; siehe auch Vallender/Vallender, EuInsVO, Art. 28 Rn. 3.

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mieren, haben sich auch die handelnden Akteure (d. h. in unserem Fall sämtliche Gläubiger) – so ließe sich zumindest argumentieren – über den Inhalt der Insolvenzregister auf dem Laufenden zu halten. Aus der öffentlichen Bekanntmachung und der damit verbundenen Möglichkeit der Kenntnisnahme würde gewissermaßen eine Obliegenheit zur Abrufung der entsprechenden Information resultieren. Ein ausländischer Gläubiger, der über die öffentlich bekanntgemachte Eröffnungsentscheidung in Unkenntnis bliebe, verletzte seine Informationsobliegenheit und handelte somit fahrlässig.

(b) Keine Pflicht zur laufenden Überprüfung der Insolvenzregister 411 Andererseits kann es einem Gläubiger kaum zugemutet werden, laufend sämtliche Insolvenzregister im Bereich der Europäischen Union auf etwaige Insolvenzen seiner Schuldner zu überprüfen.759) Dies gilt insbesondere, solange noch kein Verfahren eröffnet wurde und auch keine Anhaltspunkte für die Insolvenz eines Schuldners bestehen.760) Daran ändert auch die neu geschaffene einheitliche Suchmaske auf dem Justizportal der Europäischen Union wenig. Zwar ist die gezielte Suche nach einem bestimmten Schuldner in den vernetzten Insolvenzregistern möglich, davon wird ein Gläubiger jedoch erst Gebrauch machen, wenn er bereits von der Insolvenz des Schuldners erfahren hat oder zumindest besonderer Anlass für eine Prüfung besteht. Eine zumindest halbwegs überschaubare Übersicht über sämtliche aktuelle Verfahrenseröffnungen existiert naturgemäß nicht – dies ist angesichts von 26 Mitgliedstaaten und tausenden neuen Einträgen täglich auch schier unmöglich.761) Die Verkehrsöffentlichkeit der Insolvenzregister dient somit hauptsächlich der Kontrolle von anderweitig erlangten Anhaltspunkten und damit der jederzeitigen Möglichkeit zu anlassbezogener Information; die ständige Überprüfung von Neueintragungen kann von einem Gläubiger nicht erwartet werden.

412 Auch die Rechtsprechung des BGH tendiert gegen die Annahme einer ständigen Überprüfungspflicht. Entscheidungen zur Schuldlosigkeit des Fristversäumnisses im Rahmen von § 9 Abs. 3 InsO gibt es zwar nicht. Dies verwundert vor dem Hintergrund, dass ein Rechtsbehelf gegen die Eröffnungsentscheidung bisher nur dem Schuldner selbst zustand, wenig: Der Schuldner dürfte zur Kenntniserlangung kaum auf die öffentliche Bekanntmachung angewiesen sein. Jedoch hielt der BGH in einer früheren Entscheidung zum Entlastungsbeweis nach § 82 InsO die Obliegenheit zur flächendeckenden Beobachtung aller Veröffentlichungsblätter im Bundesgebiet, welche die nach § 9 Abs. 1 InsO a. F. vorgeschriebenen Insolvenzbekanntmachun___________ 759) K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 5 EuInsVO Rn. 8; MüKoBGB/Kindler, Art. 54 EuInsVO Rn. 2. 760) Mock, GPR 2013, 156, 158 f. 761) Mock, GPR 2013, 156, 158 spricht insofern von einer „Scheinöffentlichkeit“ auf europäischer Ebene. Dänemark ist kein Mitgliedstaat im Sinne der EuInsVO (Erwägungsgrund 88).

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gen brachten, für unzumutbar.762) Diese Rechtsprechung dürfte auf Internetveröffentlichungen auf www.insolvenzbekanntmachungen.de übertragbar sein. Im Jahre 2010 entschied der Bundesgerichtshof – ebenfalls zu § 82 InsO –, dass Unternehmen mit umfangreichem Zahlungsverkehr, die trotz Eröffnung des Insolvenzverfahrens an den Schuldner geleistet haben, sich auch dann auf die Unkenntnis der Verfahrenseröffnung berufen dürfen, wenn es ihnen theoretisch möglich war, die Information durch Einzelabfrage aus dem Internet zu gewinnen.763) Hierbei stellte der Senat auf den Zeit- und Personalaufwand ab, den es benötigt, Insolvenzbekanntmachungen aus dem Internet im Einzelfall abzufragen. Die internetbasierte Bekanntmachungsform habe nicht zwangsläufig die Erleichterung der Informationsgewinnung zur Folge; auch weil ein Internetanschluss, anders als das frühere Beziehen eines Bekanntmachungsblattes, nicht zwingend auf den Willen schließen lasse, von einem bestimmten Informationsangebot Gebrauch zu machen.764) Einem Gläubiger kann ohne bestehende Anhaltspunkte somit nicht zugemutet wer- 413 den, laufend Internetbekanntmachungen auf etwaige Verfahrenseröffnungen seiner Schuldner zu überprüfen.765) Dies gilt erst recht für ausländische Gläubiger, die zudem auf die gesetzlich vorgeschriebene Unterrichtung nach Art. 54 EuInsVO vertrauen dürfen. Erfährt ein Gläubiger mangels Kenntniserlangung von der öffentlichen Bekanntmachung somit nicht oder nicht rechtzeitig von der Verfahrenseröffnung und versäumt infolgedessen die fristgerechte Einlegung der sofortigen Beschwerde nach Art. 102c § 4 EGInsO, § 567 ZPO, kann ihm die Missachtung der im Prozess erforderlichen Sorgfalt nicht vorgeworfen werden. Folglich ist ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Situation kann freilich anders zu beurteilen sein, wenn dem Gläubiger Anhaltspunkte bekannt waren, die auf die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens hindeuten. In diesen Fällen wird die gezielte – aber eben anlassbezogene – Überprüfung der nationalen Insolvenzregister mittels des europäischen Suchportals in Bezug auf einen einzelnen Schuldner der gebotenen Sorgfalt entsprechen.

(c) Beweislast Die Beweislast für das Vorliegen des Wiedereinsetzungsgrundes, d. h. für die Schuld- 414 losigkeit des Fristversäumnisses, trägt der Antragsteller. Dies ergibt sich aus der Beweislastumkehr des § 233 Satz 2 ZPO: Demnach wird der Wiedereinsetzungsgrund vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist. Nach § 232 ZPO muss jeder anfechtbaren gerichtlichen Entscheidung eine Rechts___________ 762) BGH, Urt. v. 15.12.2005 – IX ZR 227/04, ZIP 2006, 138 Rn. 15; vgl. auch BGH, Urt. v. 15.4.2010 – IX ZR 62/09, ZIP 2010, 935 Rn. 12. 763) BGH, Urt. v. 15.4.2010 – IX ZR 62/09, ZIP 2010, 935 Ls., Rn. 13 f. 764) BGH, Urt. v. 15.4.2010 – IX ZR 62/09, ZIP 2010, 935 Rn. 16. 765) So auch MüKoInsO/Ganter/Bruns, § 9 Rn. 26; Uhlenbruck/Pape, InsO, § 9 Rn. 5.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

behelfsbelehrung beigefügt werden; mit eingeschlossen sind Entscheidungen des Insolvenzgerichts.766) Ob im Falle einer öffentlichen Bekanntmachung mit Zustellungswirkung auch die Rechtsbehelfsbelehrung öffentlich bekannt zu machen ist, wird unterschiedlich beurteilt. Teilweise wird dies mit der Begründung verneint, dass die Entscheidung nur auszugsweise zu veröffentlichen sei und die öffentliche Bekanntmachung ohnehin nicht darauf abziele, dass ein Adressat ohne nähere Kenntnis einer Entscheidung dagegen vorgehe. Der Hinweis auf die Möglichkeit der Einsichtnahme des Beschlusses auf der Geschäftsstelle des Gerichts reiche daher aus.767) Sofern mit der öffentlichen Bekanntmachung eine Rechtsbehelfsfrist in Gang gesetzt wird, ist die Pflicht zur öffentlichen Bekanntmachung auch der Rechtsbehelfsbelehrung hingegen zu bejahen.768) Für den Fall einer Eröffnungsentscheidung im Sinne der EuInsVO ergibt sich dies bereits aus Art. 24 Abs. 2 lit. j EuInsVO.769) Zu den nach Art. 27 EuInsVO öffentlich bekannt zu machenden Pflichtinformationen gehört auch der Hinweis auf das Gericht, welches nach Art. 5 EuInsVO für eine Anfechtung der Eröffnungsentscheidung zuständig ist und – sofern vom nationalen Recht vorausgesetzt – die Anfechtungsfrist und einen Verweis auf die Kriterien für die Berechnung dieser Frist.

415 Ein Blick in eine Reihe von Veröffentlichungen unter www.insolvenzbekanntmachungen.de zeigt, dass die deutschen Amtsgerichte die Aufnahme der Rechtsbehelfsbelehrung in den Veröffentlichungstext höchst unterschiedlich handhaben.770) Insbesondere im Rahmen der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters als Sicherungsmaßnahme im Eröffnungsverfahren (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO), die bereits zur sofortigen Beschwerde nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO i. V. m. Art. 102c § 4 EGInsO berechtigt,771) unterbleiben häufig jegliche Hinweise auf die Möglichkeit der Rüge der internationalen Zuständigkeit nach Art. 5 EuInsVO.772) Versäumt ein (im Ausland ansässiger) Gläubiger die fristgerechte Anfechtung einer solchen in diesem Sinne unvollständig bekannt gemachten Entscheidung, kommt schon aufgrund der durch § 233 Satz 2 ZPO vermuteten Schuldlosigkeit der Fristversäumung häufig die Wiedereinsetzung in Betracht, unabhängig davon, ob der Gläubiger von der öffentlichen Bekanntmachung Kenntnis erlangt hat. Doch auch in Fällen korrekter ___________ 766) BT-Drucks. 17/10490, S. 14; Frege/Keller/Riedel, Insolvenzrecht, Rn. 259a; Reck, ZVI 2014, 405; Zipperer, NZI 2013, 865, 866. 767) Reck, ZVI 2014, 405, 407. 768) Ebenfalls Uhlenbruck/Pape, InsO, § 9 Rn. 4; HambKommInsO/Rüther, § 9 Rn. 17; K. Schmidt/ Stephan, InsO, § 9 Rn. 5; HK-InsO/Sternal, § 9 Rn. 6. 769) Siehe Mankowski/Müller/J. Schmidt/Müller, EuInsVO 2015, Art. 24 Rn. 19. 770) So auch Reck, ZVI 2014, 405. 771) Siehe oben Rn. 169. 772) Exemplarisch AG Bielefeld, Beschl. v. 1.4.2019 – 43 IN 55/19; AG Bochum, Beschl. v. 23.4.2019 – 80 IN 296/19; AG Charlottenburg, Beschl. v. 16.8.2017 – 36a IN 4301/17; AG Essen, Beschl. v. 8.10.2020 – 162 IN 144/20; AG Osnabrück, Beschl. v. 2.4.2019 – 41 IN 14/19; AG Siegen, Beschl. v. 16.10.2020 – 25 IN 129/20.

168

§ 8 Zulässigkeitsvoraussetzungen

Rechtsbehelfsbelehrungen wird regelmäßig an eine Wiedereinsetzung in vorigen Stand zu denken sein, sofern ein Gläubiger nachweisen kann, dass er die Einhaltung der Anfechtungsfrist ohne sein Verschulden versäumt hat. Insbesondere im Ausland ansässigen Gläubigern wird dieser Nachweis voraussichtlich gelingen. Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist innerhalb eines Jahres geltend zu machen – liegen seine Voraussetzungen vor, ist dem Antrag stattzugeben; die Entscheidung steht also nicht im Ermessen des Gerichts.

(3) Zwischenergebnis Für sich betrachtet verstößt die deutsche 14-Tages-Frist des § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO 416 im Anwendungsbereich von Art. 102c § 4 EGInsO i. V. m. Art. 5 Abs. 1 EuInsVO gegen das Wirksamkeitsgebot der Verordnung. Aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts wäre die Norm daher nicht anzuwenden und die sofortige Beschwerde gegen die Eröffnungsentscheidung eines deutschen Gerichts zeitlich unbegrenzt angreifbar. Allerdings sieht das deutsche Prozessrecht auch im Rahmen von Art. 102c § 4 EGInsO gemäß §§ 233 ff. ZPO die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor, wenn der Anfechtungsberechtige ohne sein Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten. Erlangt ein (ausländischer) Gläubiger trotz öffentlicher Bekanntmachung der Eröffnungsentscheidung keine Kenntnis von der Verfahrenseröffnung, ohne dass Anlass dazu bestand, das nationale Insolvenzregister zu überprüfen, ist ihm regelmäßig kein Verschuldensvorwurf zu machen. Somit ist das deutsche Prozessrecht aufgrund der Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinreichend flexibel und grundsätzlich in der Lage, um auf Härtefälle, in denen potentiell Beschwerdeberechtigte keine Kenntnis von der fristauslösenden öffentlichen Bekanntmachung erlangen, angemessen reagieren zu können.773) Die 14-Tages-Frist des § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO wahrt in Verbindung mit der Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand somit die durch Art. 5 EuInsVO gewährten Rechte und ist daher unionsrechtskonform.

dd) Missstände der nationalen Regelungen Die Analyse der nationalen Fristenregelungen kommt zu kaum zufriedenstellenden 417 Ergebnissen. Sofern nationale Vorschriften, wie etwa die französischen Art. R.661-1 und R.661-2 C. com. – die hier nicht näher beleuchtete, auch dem französischen Recht zumindest grundsätzlich bekannte Wiedereinsetzungsmöglichkeit außer Betracht gelassen –, starre Anfechtungsfristen von lediglich zehn Tagen ab öffentlicher Bekanntmachung der Eröffnungsentscheidung vorsehen, können sie nicht angemessen auf Härtefälle reagieren, in denen ein potentiell Anfechtungsberechtigter nicht rechtzeitig von der öffentlichen Bekanntmachung Kenntnis erlangt. Die Normen ___________ 773) Ebenso schon KPB/Madaus, InsO, Art. 5 EuInsVO 2015 Rn. 10; Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 5 Rn. 8.

169

Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

schränken daher das Anfechtungsrecht insbesondere für ausländische Gläubiger erheblich ein und beeinträchtigen somit die notwendige Effektivität der Durchführung der EuInsVO in nicht hinnehmbarer Weise. Gleiches Ergebnis muss auch für die zweiwöchige Rekursfrist des österreichischen § 260 Abs. 1 österIO gelten – insbesondere, weil die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand durch § 259 Abs. 4 österIO ausdrücklich ausgeschlossen wird.

418 Um die praktische Wirksamkeit des europäischen Rechts nicht zu gefährden, sind damit nicht zu vereinbarende nationale Regelungen im Anwendungsbereich des Unionsrechts unangewendet zu lassen (Anwendungsvorrang des Unionsrechts). Für Regelungen zur Dauer der Anfechtungsfrist hätte dies zur Folge, dass die Anfechtung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO zeitlich solange unbegrenzt möglich ist, wie der jeweilige nationale Gesetzgeber keine mit der Verordnung zu vereinbarende Neuregelung schafft. Diese Situation ist zwar mit dem Wirksamkeitsgebot des Unionsrechts vereinbar, nicht nur aufgrund des unbestreitbaren Bedürfnisses nach Rechtssicherheit und beschleunigter Verfahrensdurchführung jedoch wenig erstrebenswert.774)

419 Zumindest die – in dieser Arbeit näher untersuchte – deutsche Fristenregelung des § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist trotz ihrer unzureichenden Beschwerdefrist von lediglich zwei Wochen aufgrund der Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinreichend flexibel, um auf die Erschwernisse von Verfahrenseröffnungen mit unionsweiter Wirkung hinreichend angemessen reagieren zu können. Doch erscheint dieser Ausweg ebenfalls nur als Notlösung, die zwar das vom deutschen Gesetzgeber ungewünschte Szenario einer gänzlich unbefristeten Anfechtungsmöglichkeit verhindert, von zu zufriedenstellenden Ergebnissen jedoch weit entfernt ist: Erstens bedeutet es für den dem deutschen Prozessrecht unkundigen ausländischen Gläubiger einen zusätzlichen Aufwand und Herausforderung, den Antrag auf Wiedereinsetzung geltend zu machen. Auch wenn sich die deutsche Fristenregelung auf diese Weise womöglich retten lässt – gläubigerfreundlich ist diese Verlegenheitslösung nicht. Und zweitens läuft die Möglichkeit der Wiedereinsetzung Gefahr, regelmäßig als Damoklesschwert über dem Verfahren zu schweben und somit für einen der Verfahrensdurchführung hinderlichen Unsicherheitsfaktor zu sorgen.

d) Gewünschte Stellschrauben de lege ferenda: Einführung einer europäischen Frist von 30 Tagen ab öffentlicher Bekanntmachung 420 Angesichts dieser Ergebnisse ist es dringend zu wünschen, dass der europäische Gesetzgeber Klarheit schafft und für den einheitlichen europäischen Rechtsbehelf des Art. 5 EuInsVO auch eine einheitliche Anfechtungsfrist einführt. Eine europäische Frist kommt nicht zuletzt auch der Rechtssicherheit sowie der effizienten Durch___________ 774) Siehe oben Rn. 401.

170

§ 8 Zulässigkeitsvoraussetzungen

führung grenzüberschreitender Insolvenzverfahren zugute. Die Verordnung sieht an verschiedenen Stellen Fristen vor, innerhalb derer die Beteiligten ihre Rechte durchsetzen können.775) Vor diesem Hintergrund wäre eine europäische Frist auch im Rahmen von Art. 5 EuInsVO nur konsequent. Zwar hätte eine durch das Unionsrecht vorgegebene Fristlänge gegebenenfalls unterschiedliche Zeitspannen zur Folge, in denen Eröffnungsentscheidungen angegriffen werden könnten: Je nachdem, ob es sich um den europäischen Rechtsbehelf nach Art. 5 EuInsVO oder um eine originär nationale Rechtsbehelfsmöglichkeit handelt, könnten unterschiedliche Fristen gelten. Allerdings hält erstens nicht jedes nationale Insolvenzrecht einen so weitreichenden Rechtsbehelf insbesondere für Gläubiger bereit, wie ihn Art. 5 EuInsVO bietet. Und zweitens hat sich gezeigt, dass sich unterschiedliche nationale Regelungen, auf die zurückgegriffen wird, ebenso wenig als praktikabel erweisen. Dies gilt umso mehr, als dass die bereits bestehenden nationalen Fristenregelungen oftmals nicht in der Lage sind, ausreichend auf die Besonderheiten eines grenzüberschreitenden Insolvenzverfahrens zu reagieren. Angemessen erscheint eine Anfechtungsfrist von 30 Tagen nach Bekanntmachung 421 der Eröffnungsentscheidung im nationalen Insolvenzregister des Eröffnungsstaats. Dieser Zeitraum würde auch ausländischen Gläubigern in zumutbarer Weise ermöglichen, von der Eröffnungsentscheidung Kenntnis zu erlangen und fristwahrend den Rechtsbehelf beim richtigen Beschwerdegericht einzulegen. Gleichermaßen wäre eine Frist von 30 Tagen auch noch mit dem für die effiziente Durchführung des Insolvenzverfahrens so wichtigen Bedürfnis nach Rechtssicherheit kompatibel. Spätestens der bis Juni 2027 vorzulegende Bericht der Kommission über die Anwendung der Neufassung der EuInsVO776) sollte also einen Vorschlag zu Einführung einer einheitlichen Anfechtungsfrist beinhalten. In diesem Zusammenhang ist auch zu wünschen, dass der Unionsgesetzgeber ein einheitliches Formular zur Einlegung des Rechtsbehelfs bereithält, auf das zumindest fakultativ zurückgegriffen werden kann.777) In der Zwischenzeit kommt den nationalen Gesetzgebern die Aufgabe zu, so bald 422 wie möglich unionsrechtskonforme Fristenregelungen zu erlassen, um eine – auch aus gesetzgeberischer Sicht unerwünschte – in zeitlicher Hinsicht unbegrenzte Anfechtung der Eröffnungsentscheidung zu verhindern. Auch der deutsche Gesetzgeber sollte bei nächster Gelegenheit Art. 102c § 4 EGInsO ausbessern. So böte es sich an, in die Norm eine eigene Beschwerdefrist von 30 Tagen (oder einem Monat) aufzunehmen. Als Vorbild könnte § 1115 Abs. 5 Satz 2 ZPO dienen. Dort ist für den durch Art. 49 Brüssel Ia-VO vorgeschriebenen Rechtsbehelf geregelt, dass die Notfrist für die sofortige Beschwerde nach § 1115 Abs. 1 Satz 1 ZPO abweichend von § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO einen Monat beträgt. Hinsichtlich des fristauslösenden ___________ 775) Siehe oben Rn. 385 ff. 776) Siehe Art. 90 Abs. 1 EuInsVO. 777) Für einen konkreten Vorschlag einer Neuregelung des Art. 5 EuInsVO siehe unten Rn. 612 ff.

171

Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

Ereignisses sollte ausdrücklich festgelegt werden, dass die Frist mit der öffentlichen Bekanntmachung der Eröffnungsentscheidung im nationalen Insolvenzregister778) zu laufen beginnt. Der Rückgriff auf die allgemeine Regelung des § 569 Abs. 1 Satz 2 ZPO (Zustellung der Entscheidung als fristauslösendes Ereignis), der einen Streit über die Anwendbarkeit des § 9 Abs. 3 InsO (zustellungsersetzende Wirkung der öffentlichen Bekanntmachung) provoziert hat,779) wäre dann nicht mehr nötig.780)

IV. Zwischenergebnis 423 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die EuInsVO weder das „Ob“ noch das „Wie“ einer Anfechtungsfrist im Rahmen des Rechtsbehelfs nach Art. 5 regelt. Dennoch gibt die Verordnung Aufschlüsse über Anforderungen an die Wirksamkeit nationaler Fristenregelungen. Hierbei sind zwei Variablen in der Gesamtschau zu betrachten: das fristauslösendes Ereignis sowie die Dauer der Frist. Hinsichtlich des Fristbeginns erweist sich der Zeitpunkt der öffentlichen Bekanntmachung der Eröffnungsentscheidung im Insolvenzregister des Eröffnungsstaats als praktikabelste Lösung. Sämtliche Anfechtungsberechtigte können davon auf zumutbare Weise Kenntnis erlangen.

424 In diesem Fall sind jedoch entsprechende Anforderungen an die Dauer der Frist zu stellen, um insbesondere auch im Ausland ansässigen Gläubigern die fristgerechte Einlegung des Rechtsbehelfs zu ermöglichen. Ein Zeitraum von lediglich zwei Wochen nach Bekanntmachung der Eröffnungsentscheidung erfüllt die Anforderungen an die wirksame Gewährleistung des Anfechtungsrechts dabei nicht. Somit sind nationale Regelungen, die einen starren Anfechtungszeitraum von zehn bis vierzehn Tagen vorsehen, aufgrund des Geltungsvorrangs des Unionsrechts im Zusammenhang mit Art. 5 EuInsVO nicht anwendbar. Die Unanwendbarkeit der gegen das Unionsrecht verstoßenden nationalen Vorschrift hat zur Folge, dass überhaupt keine Frist besteht; die Eröffnungsentscheidung in dem entsprechenden Mitgliedstaat also zeitlich unbegrenzt angefochten werden kann. Etwas anderes gilt, wenn wie im Rahmen des deutschen Art. 102c § 4 EGInsO die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich ist. Diese Verlegenheitslösung ist zwar in der Lage, die deutsche Zwei-Wochen-Frist des § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu „retten“. Dennoch ist die Einführung einer einheitlichen europäischen Anfechtungsfrist dringend zu wünschen. ___________ 778) https://www.insolvenzbekanntmachungen.de. 779) Siehe oben Rn. 372 ff. 780) Siehe für einen detaillierten Vorschlag einer Neuregelung des Art. 102c § 4 EGInsO noch unten Rn. 618 ff. Weil die Zustellungsfiktion der öffentlichen Bekanntmachung unionsrechtskonform ist, besteht für die Auffangregelung des § 569 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 ZPO auch bei Nichtanwendung des § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO kein Raum. § 569 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 ZPO trifft keine Aussage zur Dauer der Frist, sondern verschiebt lediglich das fristauslösende Ereignis auf den Zeitpunkt von fünf Monaten nach der Verkündung, sofern keine – auch keine fingierte – Zustellung erfolgt ist.

172

§ 8 Zulässigkeitsvoraussetzungen

C. Form und Begründung Auch hinsichtlich etwaiger Anforderungen an Form und Begründung der Anfech- 425 tung trifft die Verordnung keine Aussagen. Ob der die Eröffnungsentscheidung Anfechtende den vermeintlichen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 EuInsVO lediglich zu rügen braucht oder ob – und wenn ja, wie substantiiert – er seinen abweichenden Standpunkt zur internationalen Zuständigkeit darlegen muss, richtet sich erneut nach den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten.

I.

Form- und Begründungserfordernisse in den nationalen Rechtsordnungen

1.

Deutschland

Eröffnet ein deutsches Amtsgericht das Hauptverfahren, so ist die sofortige Be- 426 schwerde gem. Art. 102c § 4 EGInsO i. V. m. Art. 5 EuInsVO in Schriftform (§ 569 Abs. 2 Satz 1 ZPO) oder durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle (§ 569 Abs. 3 Nr. 1 ZPO) einzulegen.781) Ein Anwaltszwang besteht nicht.782) Nach § 571 ZPO soll die Beschwerde begründet werden. Durch die Begründung soll dem Beschwerdeführer Gelegenheit gegeben werden, neue Tatsachen vorzutragen. Sie dient auch der Beschleunigung des Verfahrens, indem dem Gericht eine „gezielte, problemorientierte und konzentrierte Nachprüfung“ ermöglicht wird.783) Bei der Begründungspflicht handelt es sich jedoch um eine bloße Soll-Vorschrift, deren Verletzung sanktionslos bleibt. Insbesondere führt eine fehlende Begründung nicht zur Unzulässigkeit des Rechtsmittels.784) Der (Mindest-)Inhalt der sofortigen Beschwerde richtet sich nach § 569 Abs. 2 Satz 2 ZPO: Die Beschwerdeschrift muss die Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen die Entscheidung eingelegt werde.

2.

Österreich

Der österreichische § 71c österIO enthält nur rudimentäre Regelungen über die Re- 427 kurslegitimation und die (ausbleibende) aufschiebende Wirkung des Rekurses gegen den Eröffnungsbeschluss. Näheres regelt über den Verweis in § 252 österIO – genau wie im deutschen Recht – das allgemeine Prozessrecht. Nach § 520 Abs. 1 österZPO wird der Rekurs durch Einreichung eines Schriftsatzes (Rekursschrift) er___________ 781) Das Schriftformerfordernis wird gewahrt durch Einreichung der Beschwerde auf dem Postweg, durch Telegramm, Fernschreiben, Telefax, Computerfax oder als Datei. Die Beschwerde kann auch als elektronisches Dokument eingelegt werden (§ 130a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 ZPO). 782) Zu § 6 InsO: MüKoInsO/Ganter/Bruns, § 6 InsO Rn. 42; Uhlenbruck/Pape, InsO, § 6 Rn. 13. 783) BT-Drucks. 14/4722, S. 113. 784) BT-Drucks. 14/4722, S. 113; MüKoZPO/Hamdorf, § 571 Rn. 4 f.; siehe auch FK-InsO/ Schmerbach, § 6 Rn. 52; Uhlenbruck/Pape, InsO, § 6 Rn. 13.

173

Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

hoben. Neben der Schriftform gilt Anwaltszwang: Die Rekursschrift muss mit der Unterschrift eines Rechtsanwalts versehen sein (§ 520 Abs. 1 Satz 2 österZPO). Eine Begründungspflicht sieht das österreichische Recht nicht vor.785)

3.

Frankreich

428 Nach französischem Recht kann die fehlende internationale Zuständigkeit des Gerichts gemäß Art. L-691-1 C. com. durch den Schuldner, den antragstellenden Gläubiger sowie den ministère public mittels der Berufung (appel), im Übrigen mittels des Drittwiderspruchs (tierce opposition) geltend gemacht werden. Hinsichtlich des Berufungsverfahrens gelten über den Verweis in Art. R. 661-6 C. com. die allgemeinen Vorschriften Art. 901 – 925 CPC. Demnach ist das Rechtsmittel der Berufung (déclaration d’appel) schriftlich bei der Geschäftsstelle (greffe) des Berufungsgerichts einzulegen. Im Berufungsverfahren herrscht Anwaltszwang. Den Mindestinhalt der déclaration d’appel setzt Art. 901 CPC fest: Der Antrag hat unter anderem die Bezeichnung der angegriffenen Entscheidung zu enthalten, er ist zu begründen sowie vom Rechtsanwalt des Berufungsklägers zu unterzeichnen. Der Drittwiderspruch gegen das Eröffnungsurteil ist gem. Art. R.661-2 C. com. durch mündliche oder schriftliche Erklärung gegenüber der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts einzulegen.786) Die Erklärung ist ebenfalls zu begründen, ein Anwaltszwang besteht jedoch nicht.

II. Bewertung der nationalen Regelungen 429 Um die praktische Wirksamkeit des Art. 5 EuInsVO nicht zu gefährden, dürfen die nationalen Rechtsordnungen keine zu strengen formelle Anforderungen an die Anfechtung der Eröffnungsentscheidung stellen. Die untersuchten Regelungen in Deutschland, Österreich und Frankreich erfüllen diese Vorgabe. Insbesondere gegen das Schriftlichkeitserfordernis bestehen keine Bedenken, da an die Gläubiger im Rahmen der Forderungsanmeldung gemäß Art. 55 EuInsVO vergleichbare formale Anforderungen gestellt werden.787) Gleiches gilt für die – indes nur in Frankreich bestehende – Begründungspflicht. Sie dient nicht nur der Beschleunigung des Verfahrens, sondern eignet sich überdies auch als Ventil, um eine gegebenenfalls missbräuchliche Geltendmachung des Anfechtungsrechts durch Gläubiger zu vermeiden.788) Allerdings dürfen vor dem Hintergrund des Effektivitätsgebots und auf___________ 785) OGH, Beschl. v. 4.5.1960 – 1 Ob 73/60, JBl 1961, 34; OGH, Beschl. v. 15.5.1974 – 5 Ob 73/74, JBl 1974, 521 = SZ 47/64; OGH, Beschl. v. 28.8.1996 – 5 Ob 2134/96a, SZ 70/34 = immolex 1997, 148. A. A. Fasching, Zivilprozeßrecht, Rn. 1995; Pollak, System des österreichischen Zivilprozeßrechtes, S. 612; Sperl, Lehrbuch der Bürgerlichen Rechtspflege, S. 675; Fasching/Konecny/Zechner, IV/1 Vor §§ 514 ff. ZPO Rn. 11 f. 786) Cass. com., 9.4.1991 – n° 89-16905, JurisData n° 1991-001064, Bull. civ. IV, n° 129, D. 1991, 165; Cass. com., 6.7.1999 – n° 97-14158, JurisData n° 1999-002830, Bull. civ. IV, n° 154, D. 2001, p. 329 = JCP E 2000, 124 Rn. 2 Anm. Cabrillac; Cass. com., 27.9.2011 – n° 10-10939. 787) Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 5 Rn. 8. 788) Siehe MüKoInsO/Thole, Art. 5 EuInsVO Rn. 7.

174

§ 8 Zulässigkeitsvoraussetzungen

grund der Schwierigkeiten für Gläubiger, interne Einblicke zur Festlegung des COMI eines Schuldners zu erlangen, die substantiellen Anforderungen an die Darlegung des abweichenden COMI-Staates nicht zu hoch ausfallen. Um die Geltendmachung des Rechtsbehelfs zu erleichtern, wäre es wünschenswert, 430 dass der europäische Gesetzgeber ein einheitliches Standardformular zur Einlegung des Rechtsbehelfs bereitstellt, auf das zumindest auf freiwilliger Basis zurückgegriffen werden könnte. Analog zur Forderungsanmeldung (Art. 55 EuInsVO) könnte ein solches Formular per Durchführungsrechtsakt gemäß Art. 88 EuInsVO erlassen werden. Für die Anfechtung der Eröffnungsentscheidung zur Rüge der fehlenden internationalen Zuständigkeit würden dann unionsweit einheitliche Formvorschriften gelten.

D. Zuständiges Beschwerdegericht Auch zu der Frage, bei welchem Gericht die Anfechtung der Eröffnungsentschei- 431 dung nach Art. 5 EuInsVO geltend zu machen ist und welches Gericht über den Erfolg des Rechtsbehelfs entscheidet, äußert sich die EuInsVO nicht. Die Verordnung macht lediglich zwei Vorgaben: Erstens gilt im Rahmen des Rechtsbehelfs nach Art. 5 der enge Gerichtsbegriff des Art. 2 Nr. 6 Ziff. i. Demnach muss über die Anfechtung zwingend ein Justizorgan eines Mitgliedstaats entscheiden. „Sonstige zuständige Stellen“, die ein Insolvenzverfahren nach Art. 2 Nr. 6 Ziff. ii eröffnen können, werden damit von der gerichtlichen Kontrolle nach Art. 5 ausgenommen. So soll eine unabhängige Entscheidung nach rechtstaatlichen Grundsätzen durch rechtlich geschulte Experten gewährleistet werden.789) Und zweitens verlangt Art. 24 Abs. 2 lit. j EuInsVO, dass die nationalen Insolvenzregister Informationen über das Gericht enthalten, das für die Entscheidung über die Anfechtung zuständig ist. Es ist daher erneut den Mitgliedstaaten überlassen, das für den Rechtsbehelf aus Art. 5 432 zuständige Gericht festzulegen. Hierbei kann das jeweilige nationale Verfahrensrecht durchaus vorsehen, dass das Insolvenzgericht, welches die Eröffnungsentscheidung erlassen hat, seine eigene Zuständigkeitsentscheidung überprüft. Dieses Modell der Selbstkontrolle ist unionsrechtlich zulässig.790) Ebenfalls denkbar wäre die Überprüfung der Zuständigkeitsentscheidung durch ein höherrangiges Beschwerdegericht.

I.

Deutschland

Sofortige Beschwerden gegen insolvenzgerichtliche Entscheidungen sind gemäß § 6 433 Abs. 1 Satz 2 InsO beim Insolvenzgericht einzulegen. Dies weicht von der allgemeinen Regelung des § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO ab, wonach die Beschwerde sowohl beim ___________ 789) Bork/van Zwieten/Ringe, EIR, Art. 5 Rn. 5.13, Wimmer/Bornemann/Lienau, Die Neufassung der EuInsVO, Rn. 264. 790) Mankowski/Müller/J. Schmidt/Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 5 Rn. 11, der als Argument für die Zulässigkeit der Selbstkontrolle Art. 6 Abs. 1 EuVTVO anführt.

175

Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

Ausgangsgericht als auch beim Beschwerdegericht eingelegt werden kann. Die insolvenzrechtliche Sonderregelung dient der Beschleunigung des Verfahrens. Sie hat den Vorteil, dass der Insolvenzrichter sofort überprüfen kann, ob er der Beschwerde nach § 572 Abs. 1 Satz 1 ZPO abhelfen möchte. Tut er dies, so tritt Erledigung ein, wodurch zudem das Beschwerdegericht entlastet wird.791)

1.

Direkte Anwendung des § 6 Abs. 1 Satz 2 InsO?

434 Ob § 6 Abs. 1 Satz 2 InsO im Rahmen der sofortigen Beschwerde nach Art. 102c § 4 EGInsO Anwendung findet, ist jedoch umstritten. Der Rechtsbehelf nach Art. 5 EuInsVO ist im deutschen Recht außerhalb der InsO geregelt. Art. 102c § 4 EGInsO erklärt in seinem Satz 1 nur die sofortige Beschwerde für einschlägig und verweist in seinem Satz 2 lediglich auf die §§ 574 – 577 ZPO. Daraus wird teilweise gefolgert, dass § 6 InsO auf die sofortige Beschwerde nach Art. 102c § 4 EGInsO nicht anwendbar sei.792) Die Beschwerde könne somit auch unmittelbar beim Beschwerdegericht eingelegt werden, was zu „bedauerlichen Verzögerungen“ führe.793)

435 In der Tat erklärt Art. 102c § 4 EGInsO den § 6 Abs. 1 InsO nicht ausdrücklich für anwendbar. Die Vorschrift verweist allerdings auf die sofortige Beschwerde. Im Insolvenzverfahren gehört jedoch auch § 6 InsO zu den Bestimmungen über die sofortige Beschwerde. Auf diese Weise lässt sich gut begründen, dass der Verweis in Art. 102c § 4 EGInsO nicht nur die §§ 567 ff. ZPO, sondern unter anderem auch § 6 InsO erfasst.794) § 6 InsO beansprucht somit grundsätzlich für alle Beschwerden gegen Beschlüsse des Insolvenzgerichts Geltung, da die Norm besondere Regelungen für das Beschwerdeverfahren gegen insolvenzgerichtliche Entscheidungen enthält, die den allgemeinen Vorschriften vorgehen.795) Ein entgegenstehender Wille des Gesetzgebers lässt sich auch nicht im Umkehrschluss aus Art. 102c § 4 Satz 2 EGInsO herleiten, der ausdrücklich nur die §§ 574 – 577 ZPO für anwendbar erklärt. Der Verweis auf die Rechtsbeschwerde wurde vielmehr mit der Aufhebung des § 7 InsO a. F. erforderlich.796)

___________ 791) BT-Drucks. 17/7511, S. 33; MüKoInsO/Ganter/Bruns, § 6 Rn. 40. 792) K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 102c § 4 Rn. 16, § 9 Rn. 1; Vallender/Vallender/ Zipperer, EuInsVO, Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 1; zum alten Art. 102 EGInsO Gerhardt, FS Uhlenbruck, S. 75, 78. Zur Anwendbarkeit der §§ 8 und 9 InsO im Rahmen von Art. 102c § 4 EGInsO siehe oben Rn. 372 ff. 793) Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 102c § 3 EGInsO Rn. 6. 794) Deyda, ZInsO 2018, 221, 229; Jaeger/J. Schmidt, InsO, Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 18; Schoppmeyer, FS Pape, S. 373, 380. 795) Pape, FS Uhlenbruck, S. 49, 57. 796) § 7 InsO aufgehoben durch Art. 2 des Gesetzes zur Änderung des § 522 ZPO vom 21.10.2011 (BGBl. I, S. 2082) mit Wirkung vom 27.10.2011.

176

§ 8 Zulässigkeitsvoraussetzungen

2.

Analoge Anwendung des § 6 Abs. 1 Satz 2 InsO?

Selbst wenn man die direkte Anwendbarkeit ablehnt, kommt entsprechend dem Vor- 436 gehen bei der Frist immer noch eine analoge Anwendung des § 6 InsO in Betracht. Hierbei ist freilich zu beachten, dass § 6 Abs. 1 Satz 2 InsO eine Ausnahmeregelung darstellt, die vom System der sofortigen Beschwerde abweicht. Ihre analoge Anwendung darf somit nicht zum Ergebnis haben, dass die Regelungsabsicht des Gesetzgebers in ihr Gegenteil verkehrt wird.797) Allein aus der systematischen Stellung des Art. 102c § 4 EGInsO außerhalb der InsO den entsprechenden Willen des Gesetzgebers gegen die (analoge) Geltung des § 6 InsO abzuleiten, stößt hingegen auf Bedenken. Die Vorschriften zur Umsetzung der EuInsVO wurden anlässlich der Neuregelung des internationalen Insolvenzrechts in den freigewordenen Art. 102 EGInsO aufgenommen.798) Hierbei handelte es sich wie schon dargestellt um eine Zweckmäßigkeitsentscheidung.799) Der Gesetzgeber hat sich dazu entschieden, die zur Durchführung der EuInsVO erforderlichen Regelungen konzentriert in einem eigenen Artikel des EGInsO zu treffen, anstatt punktuell Änderungen der InsO vorzunehmen.800) Inhaltlich gehört der Rechtsbehelf des Art. 102c § 4 EGInsO i. V. m. Art. 5 EuInsVO jedoch zu den Vorschriften der InsO über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und hätte ebenso gut im Kontext von § 34 oder § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO geregelt werden können.801)

3.

Wertungen der EuInsVO

Dennoch bleibt festzuhalten, dass sowohl Wortlaut als auch systematische Stellung 437 des Art. 102c § 4 EGInsO allenfalls Mutmaßungen hinsichtlich des Willens des Gesetzgebers zu der Norm zulassen. Mangels belastbarer Argumente bleiben somit Zweifel an der Anwendung des § 6 Abs. 1 Satz 2 InsO zurück. Entscheiden müssen somit auch an dieser Stelle vorrangig die Wertungen der EuInsVO.802) Vor diesem Hintergrund bestehen – anders als bei § 6 Abs. 3 InsO803) – gegen die Anwendbarkeit des § 6 Abs. 1 Satz 2 InsO keine Bedenken. Die Verordnung strebt die effiziente und wirksame Abwicklung grenzüberschreitender Insolvenzverfahren an (Erwägungsgründe 1, 3 EuInsVO). Als schädlich wird dabei die Verlagerung von Vermögensgegenständen von einem Mitgliedstaat in einen anderen zur Erlangung einer günstigeren Rechtsstellung erachtet, weshalb die Verordnung Schutzmechanismen enthält, ___________ 797) Zipperer, ZIP 2018, 956, 957. 798) Gesetz zur Neuregelung des internationalen Insolvenzrechts vom 14.3.2003, BGBl. 2003, I, S. 345. 799) Thole, ZIP 2018, 401, 406; Zipperer, ZIP 2018, 956, 958. 800) BT-Drucks. 18/10823, S. 21. 801) Thole, ZIP 2018, 401, 406. 802) Vgl. Zipperer, ZIP 2018, 956, 958. 803) Siehe dazu unten Rn. 476 ff.

177

Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

um ein solches betrügerisches oder missbräuchliches Forum Shopping zu verhindern (Erwägungsgrund 29 EuInsVO). Hierzu zählt auch die Bereitstellung eines wirksamen Rechtsbehelfs gegen die Eröffnungsentscheidung (Erwägungsgrund 34 Satz 1 EuInsVO). § 6 Abs. 1 Satz 2 InsO dient der Beschleunigung des Verfahrens und trägt somit zur Effizienz des Rechtsbehelfs bei. Landet die Beschwerde ausschließlich bei ihm, kann der Insolvenzrichter sofort überprüfen, ob er von seiner Abhilfebefugnis Gebrauch macht. Wenn er dies tut, tritt Erledigung ein, wodurch das Verfahren verkürzt wird. Hinsichtlich der Wertungen der EuInsVO bestehen somit keine Bedenken an der Anwendbarkeit des § 6 Abs. 1 Satz 2 InsO im Rahmen von Art. 102c § 4 EGInsO. Die sofortige Beschwerde zur Rüge der fehlenden internationalen Zuständigkeit ist somit einzig und allein beim Insolvenzgericht einzulegen.

II. Österreich 438 Gemäß § 252 österIO i. V. m. § 520 Abs. 1 österZPO ist der Rekurs an das Gericht zu adressieren, dessen Beschluss angefochten wird (sog. Erstgericht). Der Rekurs gegen den Eröffnungsbeschluss nach § 71c österIO oder gegen eine einstweilige Vorkehrung im Eröffnungsverfahren ist also beim Insolvenzgericht einzulegen. Das Insolvenzgericht kann dem Rekurs nur dann selbst stattgeben, wenn die angegriffene Entscheidung ohne Nachteil eines Beteiligten abgeändert werden kann (§ 260 Abs. 3 österIO). Dies ist bei Entscheidungen über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder den Erlass einstweiliger Vorkehrungen nicht der Fall. Deshalb hat das Erstgericht den Rechtsbehelf stets dem nächsthöheren Rekursgericht zur Entscheidung vorzulegen (§ 522 Abs. 2 österZPO). Über Rekurse gegen Entscheidungen des Bezirksgerichts im Schuldenregulierungsverfahren entscheidet das Landesgericht, für Rekurse gegen Entscheidungen des Landesgerichts ist das Oberlandesgericht zuständig (§§ 3, 4 österJN).

III. Frankreich 439 Die Berufung (appel) gegen das Eröffnungsurteil ist unmittelbar beim Berufungsgericht (cour d’appel) einzulegen (Art. R.661-3 C. com.). Inklusive der Überseegebiete existieren insgesamt 36 den erstinstanzlichen Gerichten übergeordnete Berufungsgerichte. Eine Abhilfemöglichkeit hat das Insolvenzgericht folglich nicht. Zuständig für die Entscheidung über den Drittwiderspruch (tierce opposition) ist hingegen das Insolvenzgericht, dessen Eröffnungsurteil angefochten wird (Art. R.661-2 C. com.).

E. Revision und Instanzenzug 440 Die Verordnung schreibt im Rahmen der Anfechtung nach Art. 5 EuInsVO lediglich vor, dass die Zuständigkeitsentscheidung des Eröffnungsgerichts einer Nachprüfung durch ein Gericht im Sinne eines staatlichen Justizorgans obliegt. Wie soeben erörtert, trifft sie keine Aussage zur Bestimmung des Gerichts, welches über den Erfolg der 178

§ 8 Zulässigkeitsvoraussetzungen

Anfechtung zu entscheiden hat. Ebenso wenig äußert sich die EuInsVO zum Erfordernis eines Instanzenzugs. Art. 5 Abs. 1 gewährt nur das Recht zu einer einmaligen gerichtlichen Überprüfung der Eröffnungsentscheidung, die erneute Überprüfung durch eine zweite Instanz garantiert die Norm nicht.804) Da die EuInsVO lediglich einen Mindeststandard an gerichtlicher Kontrolle sicher- 441 stellen will, bleibt es den Mitgliedstaaten dennoch überlassen, im Rahmen der prozessualen Ausgestaltung des Rechtsbehelfs eine weitere Instanz zu schaffen und ein erneutes Rechtsmittel gegen die Beschwerdeentscheidung zuzulassen. Einer solchen Erweiterung des Instanzenzugs über das unionsrechtlich gebotene Mindestmaß hinaus stehen keine Bedenken entgegen.805) Ein Vergleich der untersuchten Rechtsordnungen hinsichtlich der Ausgestaltung des Instanzenzugs liefert Hinweise auf Effektivität und Umfang des gewährten Rechtsschutzes.

I.

Deutschland

Gemäß seinem Satz 2 sind auf die sofortige Beschwerde nach Art. 102c § 4 Satz 1 442 EGInsO die §§ 574 – 577 ZPO entsprechend anwendbar. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts kann somit erneut mittels der Rechtsbeschwerde überprüft werden.806) Rechtsbeschwerdegericht ist der Bundesgerichtshof (§ 133 GVG), dem somit im Falle einer Frage die Auslegung des Unionsrechts betreffend die Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV zukommt. Dem Verweis auf die §§ 574 – 577 ZPO kann nicht die generelle Aussage entnommen werden, dass die Rechtsbeschwerde in jedem Fall gesetzlich zulässig ist.807) Die Rechtsbeschwerde muss also durch das Beschwerdegericht gesondert zugelassen werden (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO); an die Zulassung ist der BGH gebunden.808) Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht statthaft. In der Kommentarliteratur wird gefordert, dass vor allem in der Anfangsphase nach Inkrafttreten des Rechtsbehelfs aus Art. 102c § 4 EGInsO das Beschwerdegericht an die Zulassung keinen zu strengen Maßstab anlegen sollte.809)

___________ 804) Brinkmann/Brinkmann, EIR, Art. 5 Rn. 13; Dammann/Sénéchal, Le droit de l’insolvabilité internationale, Rn. 412; Mankowski/Müller/J. Schmidt/Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 5 Rn. 11; MüKoInsO/Thole, Art. 5 EuInsVO Rn. 7; Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 5 Rn. 12. 805) K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 5 EuInsVO Rn. 17. 806) K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 1; Vallender/Vallender/ Zipperer, EuInsVO, Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 9. Irreführend daher MüKoBGB/Kindler, Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 6. 807) K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 18. 808) Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 3 S. 1 i. V. m. Abs. 2 ZPO zuzulassen, wenn die Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung ist oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert, siehe dazu Kirchhof, ZInsO 2012, 16. 809) Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 9.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

443 Kritisch zur Eröffnung der Rechtsbeschwerde äußert sich indes Moritz Brinkmann: Indem die zweite Instanz zu einer erheblichen Verzögerung des Rechtsbehelfsverfahrens führe, müssten die Beteiligten zu lange auf die vor allem im Rahmen der Eröffnung so dringend benötigte Rechtsklarheit durch eine rechtskräftige Entscheidung warten.810) In der Tat hat das NIKI-Verfahren inklusive der Kontroverse um die Geltung des § 6 Abs. 3 InsO verdeutlicht, dass sich die gebotene Dringlichkeit von Entscheidungen im Rahmen einer Unternehmensfortführung häufig nicht mit einem Zuwarten auf das Ergebnis der Rechtsbeschwerde verträgt.811) Um die Sanierungschancen der insolventen Fluggesellschaft zu wahren, schlossen der deutsche Insolvenzverwalter und die österreichische Masseverwalterin eine Kooperationsvereinbarung ab, in deren Folge die Rechtsbeschwerde zurückgenommen wurde.812) Hinzukommt, dass bei Unklarheiten hinsichtlich der Bestimmung des COMI in vielen Fällen ohnehin eine Vorlage an den EuGH in Betracht kommen dürfte.813) Insofern ist jedenfalls in unionsrechtlicher Hinsicht eine „zweite“ Instanz regelmäßig gewährleistet.

II. Österreich 444 Auch im österreichischen Insolvenzrecht steht gegen Entscheidungen des Rekursgerichts grundsätzlich als erneutes Rechtsmittel der Revisionsrekurs offen (§ 252 österIO i. V. m. § 528 österZPO). Dies gilt auch im Rahmen des Rekurses nach § 71c österIO. Zuständig für den Revisionsrekurs ist stets der Oberste Gerichtshof, unabhängig davon, ob sich der Revionsrekurs gegen Entscheidungen der Landesgerichte oder der Oberlandesgerichte richtet (§ 3 Abs. 2, § 4 österJN). Es ist jedoch zu beachten, dass auch im Insolvenzverfahren gemäß § 528 Abs. 2 Nr. 2 österZPO der Revisionsrekurs gegen die Ausgangsentscheidung bestätigende Beschlüsse des Rekursgerichts unzulässig ist (sog. duae conformae).814) Bestätigt das Rekursgericht also die in Frage gestellte internationale Zuständigkeit des Insolvenzgerichts, ist die Entscheidung des Rekursgerichts rechtskräftig. Dem Rekurswerber ist der Revisionsrekurs vor dem Obersten Gerichtshof verwehrt. Da die EuInsVO im Rahmen von Art. 5 eine zweite Instanz nicht vorschreibt, ist dies in unionsrechtlicher Hinsicht unbedenklich.

445 Stets ausgeschlossen ist zudem der Revisionsrekurs gegen die Anordnung einstweiliger Vorkehrungen im Insolvenzeröffnungsverfahren (§ 73 Abs. 5 österIO). Das ___________ 810) 811) 812) 813)

K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 19. Siehe hierzu ausführlich unten Rn. 476 ff. Den Verfahrensablauf schildern ausführlich u. a. Denkhaus/Harbeck, ZInsO 2018, 949 ff. So zuletzt etwa BGH, Beschl. v. 17.12.2020 – IX ZB 72/19, ZIP 2021, 90. Gegenstand der Vorlagefragen ist die Verlegung des COMI nach Antragstellung. 814) So die einheitliche Rechtsprechung, siehe zuletzt OGH, Beschl. v. 27.4.2016 – 8 Ob 31/16s; OGH, Beschl. v. 17.8.2016 – 8 Ob 64/16v, ZIK 2017, 33; OGH, Beschl. v. 20.12.2017 – 8 Ob 148/17y, ZIK 2018/311; OGH, Beschl. v. 25.6.2018 – 8 Ob 89/18y.

180

§ 9 Die Wirkungen der Rechtsbehelfseinlegung

zweitinstanzliche Landes- oder Oberlandesgericht entscheidet endgültig, wodurch die zügige Durchführung des Verfahrens gewährleistet wird.

III. Frankreich Im Falle der Berufung gegen das Eröffnungsurteil ist gegen die Entscheidung des Be- 446 rufungsgerichts sowohl im sauvegarde- als auch im redressement- und im Liquidationsverfahren als weiteres Rechtsmittel die Revisions- oder Kassationsbeschwerde (pourvoi en cassation) statthaft (Art. L.661-1 1°, 2° C. com.). Zuständiges Gericht ist der französische Kassationsgerichtshof (Cour de cassation). Auch gegen die Entscheidung über den Drittwiderspruch, die durch das Insolvenzgericht getroffen wird, können erneut Rechtsmittel eingelegt werden (Art. L.661-2 C. com.). Die Entscheidung kann nicht nur vom Drittkläger, sondern auch vom Schuldner und den übrigen in Art. L.661-1 C. com. genannten Beteiligten angegriffen werden. Statthaftes Rechtsmittel ist hier zunächst die Berufung zur cour d’appel, gegen die Berufungsentscheidung ist ebenfalls die Kassationsbeschwerde zur Cour de cassation möglich.815)

§ 9 Die Wirkungen der Rechtsbehelfseinlegung Abgesehen von einem Devolutiveffekt stellt sich die Frage, welche weiteren Wir- 447 kungen die Einlegung des Rechtsbehelfs aus Art. 5 Abs. 1 EuInsVO zeitigt. Für den Verlauf des Insolvenzverfahrens und die Effektivität des Rechtsschutzes ist insbesondere von Bedeutung, ob bereits die Geltendmachung der Anfechtung die durch die Eröffnungsentscheidung eingetretenen Folgen aufhebt oder ob diese erst mit Wirksamkeit – oder Rechtskraft816) – der dem Rechtsbehelf stattgebenden Entscheidung entfallen. Die Verordnung trifft auch hinsichtlich eines solchen Suspensiveffektes keine Aussage. Es obliegt somit erneut den Mitgliedstaaten, die Wirkungen der Einlegung des Rechtsbehelfs auszugestalten. Dies ergibt sich auch aus Erwägungsgrund 34 Satz 2 EuInsVO, wonach die Folgen einer Anfechtung der Eröffnungsentscheidung dem nationalen Recht unterliegen. Der Begriff der „Folgen einer Anfechtung“ ist hier nicht nur im Sinne einer gerichtlichen Aufhebung der Verfahrenseröffnung, sondern bereits im Sinne der Einlegung des Rechtsbehelfs zu verstehen.817)

A. Wirkungen der Rechtsbehelfseinlegung in den nationalen Rechtsordnungen Beim Blick nach Deutschland, Österreich und Frankreich zeigt sich ein einheitliches 448 Bild. In keiner der drei untersuchten Rechtsordnungen kommt der Anfechtung der ___________ 815) Cass. com., 9.5.2018 – n° 14-11.367, JurisData n° 2018-007545, JCP E 2018, 1305 Anm. Berthelot. 816) Siehe hierzu unten Rn. 476 ff. 817) Wie hier schon Brinkmann/Brinkmann, EIR, Art. 5 Rn. 14; K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 5 EuInsVO Rn. 9.

181

Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

Eröffnungsentscheidung aus Art. 5 Abs. 1 EuInsVO i. V. m. den jeweiligen nationalen prozessualen Vorschriften aufschiebende Wirkung zu. Für das deutsche Recht ergibt sich dies aus § 570 Abs. 1 ZPO. Im österreichischen Recht regelt § 71c Abs. 2 österIO, dass Rechtsmittel gegen den Eröffnungsbeschluss keine aufschiebende Wirkung haben. Dies entspricht dem Grundsatz des § 524 Abs. 1 österZPO und gilt folglich auch für den Rekurs gegen einstweilige Vorkehrungen im Eröffnungsverfahren.818) Auch in Frankreich bleiben die Wirkungen der Verfahrenseröffnung trotz einer schwebenden Berufung gegen das Eröffnungsurteil bestehen (Art. R.661-1 C. com.). Ebenso wenig entfaltet die Erhebung des Drittwiderspruchs eine aufschiebende Wirkung, es sei denn, sie wird vom Gericht ausdrücklich angeordnet (Art. 590 CPC).

449 Der ausbleibende Suspensiveffekt hat zur Folge, dass trotz der Einlegung des Rechtsbehelfs die Wirkungen der Verfahrenseröffnung zunächst fortgelten. Dies betrifft insbesondere den Insolvenzbeschlag des schuldnerischen Vermögens sowie die Einsetzung eines Verwalters. Das eröffnete Insolvenzverfahren ist somit während des Anfechtungsverfahrens grundsätzlich fortzuführen.819)

B. Risiken eines ausbleibenden Suspensiveffekts 450 Entfaltet die Einlegung des Rechtsbehelfs keine aufschiebende Wirkung und wird das Insolvenzverfahren infolgedessen fortgesetzt, besteht die Gefahr, dass der Verwalter oder der Schuldner während des laufenden Anfechtungsverfahrens unumkehrbare Maßnahmen treffen. Entscheidungen, wie etwa der vollständige oder teilweise Verkauf des schuldnerischen Unternehmens oder die Einstellung des Geschäftsbetriebs sind praktisch nicht rückgängig zu machen. Die Gefahr von zwischenzeitlichen unumkehrbaren Maßnahmen wird umso größer, je länger sich das Anfechtungsverfahren – möglicherweise gar über mehrere Instanzen – hinzieht. Selbst wenn dem Rechtsbehelf letztlich stattgeben wird, steht der Rechtsmittelführer vor vollendeten Tatsachen. Dies beeinträchtigt die Wirksamkeit des Anfechtungsrechts erheblich.820)

451 Deutlich wird dies insbesondere bei Sanierungsmaßnahmen, die zur Maximierung der Befriedigungschancen der Gläubiger durchgeführt werden. Als Beispiel soll der ___________ 818) Im Insolvenzverfahren kann die aufschiebende Wirkung – entgegen § 524 Abs. 3 österIO – auch nicht gesondert gerichtlich angeordnet werden, OLG Innsbruck, Beschl. v. 15.10.2008 – 1 R 240/08s; OLG Wien, Beschl. v. 3.8.2009 – 28 R 183/09h. 819) Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 5 Rn. 12. 820) Brinkmann/Brinkmann, EIR, Art. 5 Rn. 14; K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 5 EuInsVO Rn. 9. Siehe dazu auch Bewick, 24 Int. Insolv. Rev. (2015), 172, 180: „It is not clear how the ability for creditors to challenge would work. Recital 34 requires any creditor to have an effective remedy against the decision to open proceedings, but the consequences of a successful challenge should be governed by national law. If no significant decisions were able to be taken, that is, the process were effectively to be deferred until after the period for any challenge had expired, then there would be damaging delay. If not, the proceedings would already be on foot, and irreversible actions would be taken, which might not have been under another regime”.

182

§ 9 Die Wirkungen der Rechtsbehelfseinlegung

sog. „pre-pack sale“ dienen. Dieses dem englischen Recht entstammende Modell, welches inzwischen Eingang in weitere mitgliedstaatliche Insolvenzrechtsordnungen gefunden hat,821) hat die übertragende Sanierung eines in der nahen Zukunft unvermeidlich insolvenzreifen Unternehmens zum Gegenstand. Da der Verkauf der werthaltigen Teile eines Unternehmens in einem öffentlichen und langwierigen Insolvenzverfahren häufig nicht nur die Unternehmensfortführung gefährdet, sondern auch zu erheblichen Werteinbußen führt, arbeitet der Schuldner bereits im Vorfeld des Insolvenzantrags einen Sanierungsplan aus, der den Verkauf des Unternehmens im Wege eines asset deal an einen Investor vorsieht.822) Neben dem Schuldner und dem Käufer sind auch bereits der designierte Insolvenzverwalter sowie der spätere Insolvenzrichter an der Erstellung des Restrukturierungskonzepts beteiligt. Der fertige Sanierungsplan wird gemeinsam mit dem Insolvenzantrag eingereicht. Nach Verfahrenseröffnung kann nun innerhalb kürzester Zeit der bereits fertig ausgearbeitete Plan vollzogen und das Unternehmen veräußert werden. Durch die kaum publik gewordene Insolvenz steigen die Überlebenschancen des Unternehmens und der Verwalter kann das Unternehmen zu Going-Concern-Preisen verkaufen. Da die zügige Veräußerung des Unternehmens bei „pre-pack sales“ von erheblicher Bedeutung ist, werden solche nicht selten noch am Tag der Verfahrenseröffnung vollzogen.823) Die Möglichkeit, die Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO anzufechten, ist in diesen Fällen von geringem Wert, da die Wirkungen des Unternehmensverkaufs in der Praxis kaum rückgängig zu machen sind.

C. Zwingende Fortgeltung der Eröffnungswirkungen Trotz der aufgezeigten Risiken ist die fortgeltende Wirkung der Verfahrenseröff- 452 nung jedoch unumgänglich. Ein mit der Anfechtung der Eröffnungsentscheidung verbundener Suspensiveffekt wäre kaum mit der von der EuInsVO angestrebten effizienten und wirksamen Abwicklung grenzüberschreitender Insolvenzverfahren (Erwägungsgrund 3 EuInsVO) vereinbar. Das Insolvenzrecht nimmt allgemein in Kauf, die Rechtsschutzmöglichkeiten der Be- 453 troffenen einzuschränken, um den zügigen Ablauf des Insolvenzverfahrens nicht zu beeinträchtigen.824) Im deutschen Recht zeigt sich dieser Grundsatz an § 6 Abs. 1 ___________ 821) Genannt seien exemplarisch die Niederlande (pre-pack entwickelt durch richterliche Rechtsfortbildung, siehe Entscheidung des Gerichtshofs Den Bosch in Landsbanki/Vos, 4.7.2012, JOR 2013/26), Frankreich (Art. L.661-7 C. com.) sowie Polen (Art. 56a ff. polInsG). Auch im deutschen Insolvenzrecht kann die Antragstellung mit der Vorlage eines bereits vorbereiteten Insolvenzplans („pre-packaged Plan“) verbunden werden, § 218 Abs. 1 Satz 2 InsO. Aufgrund der Besonderheiten des deutschen Planverfahrens und den damit verbundenen Verzögerungen ist der deutsche „pre-pack“ hinsichtlich Schnelligkeit und Effizienz jedoch nicht mit dem englischen Original vergleichbar. 822) Siehe dazu Dammann, FS Graf-Schlicker, S. 245 f.; Cohen, 3 CRI (2013), 83, 84 f. 823) Cohen, 3 CRI (2013), 83, 84 f. 824) Siehe u. a. Martin-Serf, Proc. coll., Fasc. 2205, Rn. 1; Pape, FS Uhlenbruck, S. 49, 50.

183

Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

InsO, der die Möglichkeit der sofortigen Beschwerde gegen insolvenzgerichtliche Entscheidungen auf die Fälle beschränkt, in denen die InsO die Beschwerde ausdrücklich vorsieht.825) Auch im französischen Recht weichen zahlreiche insolvenzrechtliche Regelungen von den allgemeinen Vorschriften des Code de procédure civile ab.826) Die gesetzgeberische Entscheidung, der Anfechtung der Eröffnungsentscheidung keine aufschiebende Wirkung zukommen zu lassen, um die Fortführung des Insolvenzverfahrens nicht zu blockieren, ist eine weitere Ausprägung dieses Grundsatzes.827)

454 Würde bereits die bloße Einlegung des Rechtsbehelfs die Wirkungen der Verfahrenseröffnung suspendieren, wäre die effiziente Durchführung des Verfahrens nicht gewährleistet. Erstens würde der Lauf des Insolvenzverfahrens erheblich verlangsamt werden. Im Insolvenzfall sind vom Verwalter im Interesse des Unternehmens in der Regel schnelle betriebswirtschaftliche Handlungen zu treffen. Geht es um die Erhaltung von Unternehmenswerten, kommt es nicht selten auf wenige Tage oder gar Stunden an. Liegt die Verwaltungsbefugnis des Insolvenzverwalters während Dauer des Rechtsbehelfsverfahrens brach, werden mit großer Sicherheit erhebliche Werte vernichtet. Dies stellt alle Beteiligten vor Probleme: Indem die Chancen des schuldnerischen Unternehmens mittels einer Sanierung zu überleben sinken, reduzieren sich auch die Masse und somit die Befriedigungschancen der Gläubiger. Zudem würde die aufschiebende Wirkung der Anfechtung ein schwerwiegendes Missbrauchspotential mit sich bringen. Einzelne Anfechtungsberechtigte hätten die Möglichkeit, allein durch die Geltendmachung einer – vielleicht sogar aussichtslosen – Anfechtung die Fortführung des Verfahrens zu blockieren. Damit würde ein erhebliches Druckpotential geschaffen, wodurch einzelne Beteiligte (Stichwort „räuberische Gläubiger“828)) versuchen könnten, ihre Position im Verfahren zulasten anderer Beteiligter zu verbessern. Der Gefahr der fehlenden Effektivität des Anfechtungsrechts aufgrund unumkehrbarer Maßnahmen muss somit auf anderem Wege als durch die Aufhebung der Vollziehung der Eröffnungsentscheidung beigekommen werden.

D. Erfordernis einer zügigen Entscheidung über den Rechtsbehelf 455 Entscheidend für die Effektivität des Anfechtungsrechts aus Art. 5 Abs. 1 EuInsVO ist die Dauer des Anfechtungsverfahrens. Um die praktische Wirksamkeit des Art. 5 EuInsVO nicht in unzulässiger Weise einzuschränken, müssen die Mitgliedstaaten zwingend gewährleisten, dass innerhalb kurzer Zeit über den Erfolg des Rechtsbehelfs entschieden wird. Das Gebot einer zügigen Entscheidung ergibt sich im All___________ 825) Vgl. die Begründung des Regierungsentwurfs zu § 6 InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 110: „Um den zügigen Ablauf des Insolvenzverfahrens zu gewährleisten, sollen nach Absatz 1 die gerichtlichen Entscheidungen nur in den Fällen mit Rechtsmitteln angefochten werden können, in denen das Gesetz dies ausdrücklich vorsieht.“ 826) Etwa Art. R.661-1 Abs. 1, R.661-2, R.661-3, R.661-6 C. com. 827) Cadiet, Rev. proc. coll. 1987, 21; Vallens, D. 1997, 111. 828) K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 12.

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§ 9 Die Wirkungen der Rechtsbehelfseinlegung

gemeinen bereits aus dem Motiv der Verordnung, effiziente und wirksame grenzüberschreitende Insolvenzverfahren zu gewährleisten (Erwägungsgrund 3 EuInsVO). Im Hinblick auf den ausbleibenden Suspensiveffekt der Einlegung der Beschwerde gewinnt es jedoch zusätzliche Bedeutung.829) Allein indem sie die Dauer des Beschwerdeverfahrens so gering wie möglich halten, können die Mitgliedstaaten die Gefahr unumkehrbarer Maßnahmen eindämmen, ohne dass gleichzeitig die Fortführung des Insolvenzverfahrens in schädigender Weise verschleppt wird. Somit entspricht nur die zügige Entscheidung des Gerichts über den Rechtsbehelf dem Gebot der praktischen Wirksamkeit der EuInsVO.830) Des Weiteren haben die Mitgliedstaaten und ihre Gerichte die notwendigen Vor- 456 kehrungen zu treffen, um den Konflikt zwischen dem Bedürfnis nach einer effektiven Fortführung des Insolvenzverfahrens und der Ineffektivität des Anfechtungsrechts durch Schaffung vollendeter Tatsachen auf angemessene Weise aufzulösen. So sollte sichergestellt werden, dass während des schwebenden Rechtsbehelfsverfahrens keine endgültigen und unumkehrbaren Maßnahmen getroffen werden. Sowohl der Insolvenzverwalter als auch der Schuldner sollten – etwa durch eine gerichtliche Intervention – während des Beschwerdeverfahrens daran gehindert sein, Handlungen vorzunehmen, die auch nach Aufhebung der Eröffnungsentscheidung aufgrund einer erfolgreichen Anfechtung de facto nicht rückgängig gemacht werden können. Betroffen wären hiervon etwa ein Verkauf des Unternehmens – auch im Rahmen eines „pre-pack sale“ – oder die Einstellung des Geschäftsbetriebs.831) Im deutschen Prozessrecht sieht § 570 Abs. 3 Halbsatz 1 ZPO für das Beschwerdegericht die Möglichkeit vor, von Amts wegen einstweilige Anordnungen zu treffen – auch um im Insolvenzverfahren die zunächst fortbestehenden Eröffnungsfolgen einzudämmen.832) Dem Verwalter können während der Dauer des Beschwerdeverfahrens auf Anordnung des Beschwerdegerichts insofern Maßnahmen mit endgültiger Wirkung verwehrt werden. Verstößt der Verwalter gegen diese Anordnungen, setzt er sich der Gefahr einer Haftung aus.833) Machen die Gerichte von ihrem Recht Gebrauch und verhindern sie den Erlass unumkehrbarer Maßnahmen, bleibt die praktische Wirksamkeit des Anfechtungsrechts aus Art. 5 Abs. 1 EuInsVO gewahrt. Auch in Öster___________ 829) HK-InsO/Sternal, § 6 Rn. 32. 830) Garcimartín, ZEuP 2015, 694, 670; Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 5 Rn. 12. Derselbe Gedanke kommt auch in Art. 48 Brüssel Ia-VO zum Ausdruck, wonach ein Gericht „unverzüglich“ über den Antrag auf Versagung der Vollstreckung zu entscheiden habe. 831) Brinkmann/Brinkmann, EIR, Art. 5 Rn. 14. Kritisch zur Anfechtungsmöglichkeit nach Art. 5 EuInsVO auch vor dem Hintergrund englischer „out of-court appointments“ daher Cohen, 3 CRI (2013), 83, 85. 832) K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 13; Uhlenbruck/Pape, InsO, § 34 Rn. 22; Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 5 Rn. 12. Zu den strengen Voraussetzungen für eine Aussetzung der Vollziehung des Eröffnungsbeschlusses im Rechtsbeschwerdeverfahren siehe zuletzt BGH, Beschl. v. 28.1.2020 – IX ZB 86/19, ZInsO 2020, 401; vorher bereits BGH, Beschl. v. 5.2.2009 – IX ZB 245/08, ZInsO 2009, 432. 833) Siehe hierzu noch unten Rn. 570 ff.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

reich etwa ist anerkannt, dass der Masseverwalter während der Dauer des Rekursverfahrens nur die dringlichsten Geschäfte und bis zur endgültigen Entscheidung keine unumkehrbaren Verwertungshandlungen vornehmen wird.834)

§ 10 Die Wirkungen einer dem Rechtsbehelf stattgebenden Entscheidung 457 Die EuInsVO regelt die Wirkungen einer erfolgreichen Anfechtung nicht.835) Wie Erwägungsgrund 34 Satz 2 EuInsVO klarstellt, sind die „Folgen einer Anfechtung“ grundsätzlich dem jeweiligen nationalen Recht überlassen. Weder das deutsche noch das österreichische oder das französische Recht enthalten jedoch eine ausdrückliche Bestimmung dahingehend, wie infolge einer erfolgreichen Anfechtung nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO mit der Eröffnungsentscheidung zu verfahren ist.

458 Um das Zuständigkeitsregime des Art. 3 EuInsVO und die Wirksamkeit des Rechtsbehelfs aus Art. 5 (Erwägungsgrund 34 Satz 1 EuInsVO) zu wahren, müssen die Wirkungen des zu Unrecht eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens so schnell wie möglich beseitigt werden. Es liegt daher der Gedanke nahe, dass – sofern das Gericht, welches über die sofortige Beschwerde, den Rekurs, die Berufung oder den Drittwiderspruch gegen die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu entscheiden hat, dem Rechtsbehelf stattgibt – die Eröffnungsentscheidung aufzuheben ist.836) An dieser Stelle muss erneut betont werden, dass der Begriff der Eröffnungsentscheidung im Sinne von Art. 2 Nr. 7 EuInsVO zu verstehen ist: Gegenstand der Anfechtung kann also einerseits die förmliche Einleitung des Insolvenzverfahrens, etwa durch den endgültigen Eröffnungsbeschluss nach § 27 InsO, das Insolvenzedikt nach § 74 österIO oder das französische Eröffnungsurteil, andererseits aber auch eine vorläufige Sicherungsmaßnahme sein, sofern diese bereits als Verfahrenseröffnung im Sinne der EuInsVO zu behandeln ist. Im Erfolgsfall wären also der Eröffnungsbeschluss, das Eröffnungsurteil oder die vorläufige Sicherungsmaßnahme aufzuheben.837)

459 Bei näherer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass die gerichtliche Aufhebung der Eröffnungsentscheidung nicht in allen Fällen die richtige Lösung darstellt.

A. Aufhebung der Eröffnungsentscheidung oder Fortführung als Partikularverfahren 460 Das dem europäischen Insolvenzrecht zugrunde liegende Universalitätsprinzip gilt nicht uneingeschränkt.838) Neben dem stets im Staat des schuldnerischen COMI durch___________ 834) Bartsch/Pollak/Buchegger/Schumacher, II/2, § 71c KO Rn. 20. 835) Brinkmann/Brinkmann, EIR, Art. 5 Rn. 16; Paulus, EuInsVO, Art. 5 Rn. 7; Wimmer/Bornemann/ Lienau, Die Neufassung der EuInsVO, Rn. 266. 836) Brinkmann/Brinkmann, EIR, Art. 5 Rn. 17; K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 5 EuInsVO Rn. 14; KPB/Madaus, InsO, Art. 5 EuInsVO 2015 Rn. 15. 837) So für das deutsche Recht K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 5 EuInsVO Rn. 14. 838) Siehe bereits oben Rn. 71.

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§ 10 Die Wirkungen einer dem Rechtsbehelf stattgebenden Entscheidung

zuführenden Hauptinsolvenzverfahren (Art. 3 Abs. 1 EuInsVO) können in anderen Mitgliedstaaten Territorialverfahren eröffnet werden (Art. 3 Abs. 2 EuInsVO). Je nachdem, ob bereits ein Hauptinsolvenzverfahren anhängig ist oder nicht, handelt es sich dabei um unabhängige Partikular- (Art. 3 Abs. 4 EuInsVO) oder um Sekundärinsolvenzverfahren (Art. 3 Abs. 3 EuInsVO). Mit der EuInsVO wäre es daher dem Grunde nach vereinbar, ein zu Unrecht als Hauptinsolvenzverfahren eröffnetes Verfahren als Partikularverfahren mit territorial begrenzten Wirkungen weiterzuführen. Aus diesem Grund sieht das deutsche Recht in Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 EGInsO 461 ausdrücklich vor, ein in Deutschland zu Unrecht eröffnetes „zweites“ Hauptinsolvenzverfahren als Sekundärverfahren fortzuführen.839) So können die Wirkungen des fehlerhaft eröffneten Verfahrens aufrechterhalten und in ein Sekundärverfahren übertragen werden.840) Hierdurch erübrigen sich die Einstellung des Verfahrens und die anschließende Neueröffnung als Sekundärverfahren.841) Einzustellen ist das Verfahren lediglich, wenn die Voraussetzungen einer Fortführung als Sekundärverfahren nicht vorliegen. Neben dem Vorhandensein einer Niederlassung muss sich der ursprüngliche Eröffnungsantrag in einen Antrag auf Eröffnung eines Sekundärverfahrens umdeuten lassen.842) Eine Fortführung als Sekundärverfahren kommt ebenfalls nicht mehr in Betracht, wenn das Verfahren (vorschnell) eingestellt und seine Wirkungen damit aufgehoben wurden.843) Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 EGInsO nimmt unmittelbar Bezug auf Satz 1 der Vor- 462 schrift („Ein entgegen Satz 1 eröffnetes Verfahren“). Satz 1 erklärt einen bei einem deutschen Insolvenzgericht gestellten Antrag auf Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens für unzulässig, wenn bereits ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union ein solches Verfahren eröffnet hat. Seinem Wortlaut nach ist Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 EGInsO daher nur anwendbar, wenn vor der fehlerhaften deutschen Verfahrenseröffnung bereits ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet hat. Ist dies nicht der Fall – die deutsche Verfahrenseröffnung also nicht prioritätsprinzipswidrig, aber ___________ 839) Vergleichbare Regelungen existieren im österreichischen und im französischen Insolvenzrecht – soweit ersichtlich – nicht. 840) Siehe hierzu bereits ausführlich oben Rn. 104 ff. 841) Exemplarisch AG München, Beschl. v. 5.2.2007 – 1503 IE 4371/06, ZIP 2007, 495, 496, allerdings mit etwas missverständlicher Begründung: Ob die Verfahrenseröffnung „endgültig“ war oder nicht, spielt für die Frage nach der Einstellung oder Fortführung des Verfahrens keine Rolle. Im unionsrechtlichen Sinne war das Verfahren bereits durch die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung vom 29.12.2006 eröffnet worden; aufgrund des zwei Tage zuvor in den Niederlanden eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens war das Verfahren in Deutschland als Sekundärverfahren fortzuführen. 842) Siehe oben Rn. 120 ff. 843) Siehe oben Rn. 128 ff. So aber geschehen im NIKI-Verfahren durch das LG Berlin, Beschl. v. 8.1.2018 – 84 T 2/18, ZIP 2018, 140.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

dennoch mangels internationaler Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 fehlerhaft –, kommt jedoch eine analoge Anwendung des Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 EGInsO in Betracht.844) Das Verfahren wäre dann mangels anderweitigen Hauptverfahrens freilich nicht als Sekundär-, sondern als unabhängiges Partikularinsolvenzverfahren (Art. 3 Abs. 4 EuInsVO) fortzuführen.

463 Die Zulässigkeit der Analogie ergibt sich aus einem Erst-Recht-Schluss: Kann sogar ein gegen das Prioritätsprinzip eröffnetes Verfahren mit seinen Wirkungen fortbestehen, muss dies umso mehr gelten, wenn (noch) überhaupt kein anderweitiges Hauptinsolvenzverfahren anhängig ist, dessen Wirkungen eingeschränkt werden können. Es stellt sich in dieser Konstellation ebenso die Frage, wie mit einer fehlerhaften, aber dennoch wirksamen Verfahrenseröffnung umzugehen ist. Dabei ist freilich zu beachten, dass die EuInsVO an die Eröffnung eines Partikularverfahrens strengere Anforderungen stellt, als es für ein Sekundärverfahren der Fall ist: Die Fortführung als Partikularverfahrens kommt im Einklang mit Art. 3 Abs. 4 EuInsVO nur in Betracht, wenn die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens im COMI-Staat nicht möglich ist, etwa weil dem Schuldner die notwendige Kaufmannseigenschaft fehlt (und er somit nicht insolvenzfähig ist),845) oder – im Falle eines Gläubigerantrags – wenn sich die Forderung des Gläubigers aus dem Betrieb einer Niederlassung ergibt oder damit im Zusammenhang steht, die sich im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats befindet, in dem die Eröffnung des Partikularverfahrens beantragt wird.

464 Den Fortführungsbeschluss kann das Beschwerdegericht selbst erlassen. Dies ergibt sich bereits aus dem Rechtsgedanken des § 538 Abs. 1 ZPO: Ist die Sache zur Entscheidung reif, kommt eine Rückverweisung (§ 572 Abs. 3 ZPO) in der Regel nicht mehr in Betracht.846) Für die Zuständigkeit des Beschwerdegerichts spricht zudem Folgendes: Wird einer Beschwerde gegen die Zurückweisung oder Abweisung des Eröffnungsantrags stattgegeben, so kann das Beschwerdegericht, sofern es die Sache für eröffnungsreif hält, selbst den vollständigen Eröffnungsbeschluss erlassen.847)

465 Im Hinblick auf die Fortführung des Verfahrens als Partikularverfahren kann nichts anderes gelten. Die Fortführungsentscheidung ist sofort wirksam, § 6 Abs. 3 Satz 1 ___________ 844) Ähnlich Thole, ZIP 2018, 401, 407, allerdings wohl für den Fall, dass im Ausland zwischenzeitlich ein Sekundärverfahren eröffnet wurde, welches im Anschluss an die ihre Zuständigkeit ablehnende Entscheidung der deutschen Gerichte als Hauptinsolvenzverfahren „hochzustufen“ ist. 845) Siehe EuGH, Urt. v. 17.11.2011 – Rs. C-112/10, ZIP 2011, 2415 Rn. 23 – Zaza Retail. 846) BGH, Beschl. v. 11.7.1985 – VII ZB 6/85, BGHZ 95, 246, 249 Rn. 11 = DRiZ 1985, 439; Musielak/Voit/Ball, ZPO, § 572 Rn. 16; Zöller/Heßler, ZPO, § 572 Rn. 27; Thomas/Putzo/ Reichold, ZPO, § 572 Rn. 19. Siehe hierzu auch Zipperer, ZIP 2018, 956, 959. 847) BGH, Beschl. v. 27.7.2006 – IX ZB 204/04, BGHZ 169, 17 Rn. 21 = ZIP 2006, 1957. Zu den vom Beschwerdegericht zu treffenden Anordnungen gehört dann notwendigerweise auch die Ernennung eines Verwalters, siehe Jaeger/Schilken, InsO, § 34 Rn. 12; MüKoInsO/Busch, § 27 Rn. 151. Hierbei ist bereits aus praktischen Gründen (Verwalterliste etc.) eine enge Abstimmung mit dem Amtsgericht erforderlich.

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§ 10 Die Wirkungen einer dem Rechtsbehelf stattgebenden Entscheidung

InsO findet im Anwendungsbereich der EuInsVO keine Anwendung.848) Dennoch bietet es sich für das Beschwerdegericht aus deklaratorischen Gründen an, die sofortige Wirksamkeit seiner Entscheidung klarzustellen. Für die weitere Durchführung des Verfahrens sowie für die Vollziehung des Beschlusses bleibt dann allerdings weiterhin das Insolvenzgericht (Amtsgericht) zuständig.849) Eine erfolgreiche Anfechtung der Verfahrenseröffnung hat also nicht zwingend die 466 Aufhebung der Eröffnungsentscheidung zur Folge. Zumindest im deutschen Insolvenzrecht ist das fehlerhaft eröffnete Verfahren nach dem Gedanken des Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 EGInsO als Partikularverfahren fortzuführen, sofern die dafür erforderlichen Voraussetzungen gegeben sind und sich der ursprüngliche Antrag in einen entsprechenden zulässigen Antrag umdeuten lässt.850)

B. Schicksal des Eröffnungsantrags bei Aufhebung einer vorläufigen Sicherungsmaßnahme Ist das zu Unrecht eröffnete Verfahren einmal eingestellt, kommt eine Fortführung 467 als Partikularverfahren nicht mehr in Betracht.851) Als Einstellung des Verfahrens ist auch die Aufhebung einer vorläufigen Insolvenzverwaltung gemäß §§ 21, 22 InsO – etwa durch das Beschwerdegericht – zu sehen, da die Anordnung einer solchen vorläufigen Sicherungsmaßnahme bereits eine Eröffnungsentscheidung im Sinne von Art. 2 Nr. 7 EuInsVO darstellt. In diesem Fall ist es nicht mehr möglich, auf den ursprünglichen Eröffnungsantrag zurückzugreifen und auf dessen Grundlage „erneut“ ein Partikular- oder Sekundärverfahren zu eröffnen.852) Da der unionsrechtliche Begriff der Verfahrenseröffnung (Art. 2 Nr. 7 EuInsVO) 468 nicht zwischen der Anordnung einer bloß vorläufigen Insolvenzverwaltung als Sicherungsmaßnahme im deutschen Eröffnungsverfahren und dem endgültigen Eröffnungsbeschluss differenziert, darf vor dem Hintergrund einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Verfahrensrechts das Schicksal des (unzulässigen) Eröffnungsantrags aufgrund der deutschen Besonderheit der §§ 21, 22 InsO nicht davon abhängig gemacht werden, ob das Beschwerdegericht lediglich die vorläufige Sicherungsmaßnahme oder den Eröffnungsbeschluss aufhebt.853) Im Wege einer einheitlichen Anwendung der Verordnung und insbesondere des Art. 5 Abs. 1 EuInsVO muss sich die kassatorische Wirkung der Beschwerdeentscheidung daher zwingend zugleich auf den Eröffnungsantrag erstrecken, sollte dieser aufgrund nationaler Be___________ 848) 849) 850) 851) 852)

Siehe dazu ausführlich sogleich Rn. 487 ff. Vgl. MüKoInsO/Busch, § 34 Rn. 19. Zur Umdeutung des Antrags siehe oben Rn. 120 ff. Siehe hierzu bereits ausführlich oben Rn. 146 ff. So aber AG Charlottenburg, Beschl. v. 23.1.2018 – 36n IE 6433/17, ZIP 2018, 240. Kritisch dazu oben Rn. 141 ff. 853) Siehe oben Rn. 146 ff.

189

Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

sonderheiten noch anhängig sein.854) Das Verfahren kann als Partikularverfahren lediglich neu eröffnet werden; hierfür bedarf es in der Regel jedoch eines neuen – zulässigen – Antrags.

469 Auf den ursprünglichen Antrag kann trotz Einstellung des Verfahrens nur dann zurückgegriffen werden, wenn der Antragsteller neben seinem Antrag auf Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens bereits hilfsweise die Eröffnung eines Partikular- oder Sekundärverfahrens beantragt hat.855) Obwohl der Eröffnungsantrag als Prozesshandlung grundsätzlich bedingungsfeindlich ist, ist die Zulässigkeit von innerprozessualen Bedingungen – wie Hilfsanträgen – allgemein anerkannt.856) Der Antragsteller kann die Wirksamkeit seines Antrags auf Eröffnung eines Partikular- oder Sekundärverfahrens also unter die Bedingung stellen, dass sich das Insolvenzgericht entweder von vornherein nicht für international zuständig zur Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens erachtet und den Hauptantrag ablehnt oder aber, dass die Eröffnungsentscheidung nachträglich mangels internationaler Zuständigkeit gemäß Art. 3 Abs. 1 EuInsVO aufgehoben wird. In diesem Fall wird der Hilfsantrag erst mit Erledigung des Hauptantrags wirksam, sodass das Insolvenzgericht nach der Abweisung des ersten Antrags oder der Einstellung des Verfahrens die Zulässigkeit des Hilfsantrags prüfen muss.

470 Allerdings muss ein entsprechender Wille, gestaffelte Anträge zu stellen, bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung unmissverständlich deutlich werden. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass die Gerichte im Nachhinein vorschnell das Bestehen eines Hilfsantrags annehmen und nach Abweisung des Hauptantrags oder Einstellung des Verfahrens auf dessen Grundlage regelmäßig Partikular- oder Sekundärverfahren eröffnen. Hierfür besteht bei einem eingestellten Verfahren jedoch grundsätzlich kein Bedürfnis. Anders als im Fall des Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 EGInsO, der gerade der Verfahrenseinstellung zuvorkommen soll,857) zeitigt das eingestellte Verfahren keine Wirkungen mehr, die in ein Partikularverfahren übertragen werden könnten. Das Insolvenzgericht darf zwar – insbesondere, wenn es bereits Zweifel an seiner internationalen Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO hat – auf die Möglichkeit gestaffelter Anträge hinweisen. Den Willen, einen Hilfsantrag zu stellen, wird der Antragsteller jedoch selbst deutlich erkennen lassen müssen.

___________ 854) Im Ergebnis ebenso Zipperer, ZIP 2018, 956, 959. 855) Diese Möglichkeit erwähnen auch Lautenbach, NZI 2004, 384; Mankowski/Müller/J. Schmidt/ Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 37 Rn. 37; Mankowski, NZI 2007, 360, 361, ohne dies jedoch näher zu konkretisieren. 856) BGH, Beschl. v. 11.3.2010 – IX ZB 110/09, ZIP 2010, 888 Rn. 7; BGH, Beschl. v. 9.2.2012 – IX ZB 86/10, ZIP 2012, 582 Rn. 13; HK-InsO/Sternal, § 13 Rn. 4; MüKoInsO/Vuia, § 13 Rn. 73. 857) Siehe oben Rn. 128 ff.

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§ 10 Die Wirkungen einer dem Rechtsbehelf stattgebenden Entscheidung

C. Zeitpunkt der Aufhebung der Eröffnungsentscheidung Das NIKI-Verfahren gibt Anlass, über eine weitere Unklarheit im Zusammenhang 471 mit einer dem Rechtsbehelf nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO stattgebenden Entscheidung nachzudenken. Im Mittelpunkt der durch die Entscheidungen der deutschen und österreichischen Gerichte ausgelösten Diskussion stand die Frage, zu welchem Zeitpunkt die Aufhebung der Eröffnungsentscheidung ihre Wirkungen entfaltet:

I.

Problemstellung und ihre Brisanz im NIKI-Verfahren

Wird im Zuge des Beschwerdeverfahrens die vorläufige Sicherungsmaßnahme oder 472 der endgültige Eröffnungsbeschluss aufgehoben, lässt Art. 5 EuInsVO offen, ob die Aufhebungsentscheidung sofort oder erst mit dem Eintritt ihrer Rechtskraft wirksam wird, sofern nationale Vorschriften eine entsprechende Regelung vorsehen. Von der Beantwortung dieser Frage hängt ab, zu welchem Zeitpunkt die Sperrwirkung der rechtswidrigen Eröffnungsentscheidung entfällt. Erst mit dem Wegfall der Sperrwirkung ist ein Gericht im vermeintlich tatsächlichen COMI-Staat berechtigt, ein „neues“ – und diesmal rechtmäßiges – Hauptinsolvenzverfahren zu eröffnen. Der Kompetenzkonflikt zwischen den deutschen und österreichischen Gerichten im 473 Verfahren über das Vermögen der NIKI Luftfahrt GmbH858) drehte sich im Wesentlichen darum, ob das österreichische Landesgericht Korneuburg – unabhängig von der Frage, ob das COMI von NIKI nun in Österreich oder in Deutschland lag – überhaupt berechtigt war, seinerseits ein Hauptinsolvenzverfahren über das Vermögen der NIKI Luftfahrt GmbH zu eröffnen. Nachdem eine österreichische Gläubigerin gegen die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung über das Vermögen von NIKI durch das Amtsgericht Charlottenburg859) sofortige Beschwerde eingelegt hatte, gab das Landgericht Berlin der Beschwerde am 8.1.2018 statt und hob die Eröffnungsentscheidung auf.860) Gegen die Beschwerdeentscheidung legte der vorläufige Verwalter von NIKI noch am selben Tag Rechtsbeschwerde beim BGH ein. Noch bevor über die Rechtsbeschwerde entschieden werden konnte, eröffnete auf Antrag der beschwerdeführenden Gläubigerin am 12.1.2018 das österreichische Landesgericht Korneuburg ein Hauptinsolvenzverfahren über das Vermögen von NIKI in Österreich.861) Insbesondere im deutschen Schrifttum wurde an dieser Entscheidung des österrei- 474 chischen Gerichts heftige Kritik geübt. So habe sich das Landesgericht Korneuburg über die noch bestehende Sperrwirkung des deutschen Hauptinsolvenzverfahrens ___________ 858) 859) 860) 861)

Ausführlich zum Verfahrenshergang siehe bereits oben Rn. 136 ff. AG Charlottenburg, Beschl. v. 13.12.2017 – 36n IE 6433/17, ZIP 2018, 41. LG Berlin, Beschl. v. 8.1.2018 – 84 T 2/18, ZIP 2018, 140. LG Korneuburg, Beschl. v. 12.1.2018 – 36 S 5/18d – 3, ZIP 2018, 393.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

hinweggesetzt.862) Der Fortbestand der Sperrwirkung ergebe sich aus § 6 Abs. 3 Satz 1 InsO.863) Da demnach die Entscheidung über die Beschwerde erst mit ihrer Rechtskraft wirksam werde, bliebe die Sperrwirkung der deutschen Verfahrenseröffnung so lange aufrechterhalten, bis entweder die Rechtsbeschwerde zurückgenommen werde oder aber der BGH eine Entscheidung in der Sache träfe.

II. Reaktion des deutschen Gesetzgebers: Die Neufassung des Art. 102c § 4 Satz 2 EGInsO 475 Inzwischen hat sich auch der deutsche Gesetzgeber der im hiesigen Schrifttum prominent und lautstark vertretenen Auffassung angeschlossen. Im Rahmen des zum 1.1.2021 in Kraft getretenen Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetzes (SanInsFoG)864) hat er eine Änderung des Art. 102c § 4 EGInsO beschlossen:865) Satz 2 der Norm enthält nun den ergänzenden Zusatz, dass „die Entscheidung über die Beschwerde gemäß § 6 Absatz 3 der Insolvenzordnung erst mit Rechtskraft wirksam wird“.866) Eine Erklärung dieser gesetzgeberischen Entscheidung sucht man in den Gesetzesmaterialien vergeblich. Die Begründung des Regierungsentwurfes zum SanInsFoG begnügt sich mit der knappen Bemerkung, dass die Anwendbarkeit des § 6 Abs. 3 InsO im Rahmen der sofortigen Beschwerde nach Art. 102c § 4 EGInsO durch die Neuregelung „klargestellt“ werde.867) Wie nun zu zeigen sein wird, hat die Gesetzesänderung jedoch nur vermeintlich für Klarheit gesorgt. Sie beruht vielmehr auf einer Fehleinschätzung des deutschen Gesetzgebers.

III. Wirksamkeit der Aufhebungsentscheidung trotz fehlender Rechtskraft? 476 Grundsätzlich bestimmt sich der Zeitpunkt der Wirksamkeit der Aufhebungsentscheidung und somit der Beendigung eines Insolvenzverfahrens nach der lex fori concursus (Art. 7 Abs. 2 lit. j EuInsVO). Mit der Neufassung des Art. 102c § 4 Satz 2 EGInsO scheint dieser Wirksamkeitszeitpunkt im Anwendungsbereich des deutschen Insolvenzrechts nunmehr eindeutig bestimmt zu sein. Es ist aber durchaus fraglich, ob der in der Norm geregelte Verweis auf § 6 Abs. 3 InsO, der die Wirksamkeit der Aufhebungsentscheidung von ihrer Rechtskraft abhängig macht, überhaupt unionsrechts___________ 862) Baumert, EWiR 2018, 153, 154; Denkhaus/Harbeck, ZInsO 2018, 949, 952; Deyda, ZInsO 2018, 221, 230 f.; Horstkotte, ZInsO 2018, 310, 311; J. Schmidt, EWiR 2018, 85, 86; Stockhausen/ Seyer, DK 2018, 133, 135; Thole, ZIP 2018, 401, 406; i. E. wohl auch Mankowski, NZI 2018, 88, 90. 863) So nun auch KPB/Madaus, InsO, Art. 5 EuInsVO 2015 Rn. 34 f.; Vallender/Sutschet, EuInsVO, Art. 19 Rn. 17 ff. 864) Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortenwicklungsgesetz – SanInsFoG) v. 22.12.2020, BGBl. I 2020, S. 3256. 865) Art. 8 Nr. 1 lit. a SanInsFoG. 866) Hervorhebung hinzugefügt. 867) BT-Drucks. 19/24181, S. 215.

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§ 10 Die Wirkungen einer dem Rechtsbehelf stattgebenden Entscheidung

konform ist. Dies wird im Folgenden genauer zu untersuchen sein. Dabei ist zunächst auf bereits erwähnte Entscheidungsbegründung des Landesgerichts Korneuburg sowie auf die sich daran anknüpfende Diskussion im hiesigen Schrifttum einzugehen.

1.

Entscheidungsbegründung des Landesgerichts Korneuburg

Trotz der in Deutschland anhängigen Rechtsbeschwerde sah sich das österreichische 477 Landesgericht Korneuburg nicht daran gehindert, ein Hauptinsolvenzverfahren über das Vermögen von NIKI zu eröffnen. Das Gericht war der Ansicht, das vom AG Charlottenburg zunächst eröffnete Insolvenzverfahren sei durch den Beschluss des LG Berlin vom 8.1.2018 wirksam aufgehoben worden. Die eingelegte Rechtsbeschwerde stehe dem nicht entgegen. Insbesondere finde § 6 Abs. 3 InsO im Rahmen der sofortigen Beschwerde nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO i. V. m. Art. 102c § 4 EGInsO keine Anwendung.868) Das österreichische Gericht stützte seine Auffassung – wohlgemerkt vor der im Rah- 478 men des SanInsFoG vorgenommenen Gesetzesänderung – im Wesentlichen auf Systematik und Wortlaut des Art. 102c § 4 EGInsO a. F. Der Rechtsbehelf sei außerhalb der InsO geregelt, weshalb § 6 InsO für ihn unmittelbar nicht gelte. Zudem verweise die Vorschrift in ihrem Satz 2 lediglich auf die §§ 574 – 577 ZPO, nicht jedoch auf § 6 InsO.869) Als Spezialnorm für Rechtsmittel nach Art. 5 EuInsVO gehe Art. 102c § 4 EGInsO der Regelung des § 6 Abs. 3 InsO vor, zumal es sich dabei auch um die zeitlich jüngere Norm handele. Schließlich käme auch eine analoge Anwendung nicht in Betracht. Bereits im Rahmen von Art. 102 § 4 EGInsO870) (Einstellung des Insolvenzverfahren zugunsten der Gerichte eines anderen Mitgliedstaats) sei die Frage der Anwendbarkeit von § 6 InsO diskutiert worden und umstritten gewesen.871) Dennoch habe der deutsche Gesetzgeber im Rahmen der Neuregelung nach Inkrafttreten der EuInsVO 2015 keine Klarstellung vorgenommen, weshalb schon nicht von einer planwidrigen Regelungslücke ausgegangen werden könne.872)

2.

Überwiegende Ansicht im deutschen Schrifttum

Die im deutschen Schrifttum wohl vorherrschende Auffassung lehnte diese Sicht- 479 weise des Landesgerichts Korneuburg hingegen ab und erachtete § 6 Abs. 3 InsO im Zusammenhang mit Art. 102c § 4 EGInsO und Art. 5 Abs. 1 EuInsVO auch be-

___________ 868) 869) 870) 871) 872)

LG Korneuburg, Beschl. v. 12.1.2018 – 36 S 5/18d – 3, ZIP 2018, 393. LG Korneuburg, Beschl. v. 12.1.2018 – 36 S 5/18d – 3, ZIP 2018, 393, 395. Das LG Korneuburg spricht wohl irrtümlich von „Art. 102c § 4 EGInsO a. F.“. Unter Verweis auf KPB/Kemper, InsO, Art. 102 § 4 EGInsO Rn. 9. LG Korneuburg, Beschl. v. 12.1.2018 – 36 S 5/18d – 3, ZIP 2018, 393, 395.

193

Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

reits vor der vom Gesetzgeber inzwischen vorgenommenen Anpassung für anwendbar.873)

480 Auf den ersten Blick spricht für die Anwendbarkeit des § 6 Abs. 3 InsO – auch ohne ausdrücklichen Verweis – in der Tat das Telos der Norm. § 6 Abs. 3 Satz 1 InsO dient dem Zweck, die mehrfache Abänderung folgenschwerer Entscheidungen, wie etwa bei der Beschwerde gegen einen Eröffnungsbeschluss, zu vermeiden.874) So soll nicht zuletzt der Fortbestand des Insolvenzbeschlags gesichert werden.875) Ein entsprechendes schützenswertes Interesse ist grundsätzlich auch im Rahmen der Anfechtung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 102c § 4 EGInsO kaum von der Hand zu weisen.876) Dies dürfte angesichts der weitreichenden Folgen einer Entscheidung über die internationale Zuständigkeit umso mehr gelten.

481 In diesem Zusammenhang machte Deyda geltend, dass im Rahmen einer sinn- und zweckbezogenen Auslegung von Art. 102c § 4 EGInsO und § 6 Abs. 3 InsO keinerlei Veranlassung zum Ausschluss der Regelung bestehe: Die Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung oder die endgültige Verfahrenseröffnung gemäß § 27 InsO könnten im Falle eines Gläubigerantrags durch den Schuldner nicht nur aufgrund der fehlenden internationalen Zuständigkeit, sondern gemäß § 21 Abs. 1 Satz 2 bzw. § 34 Abs. 2 InsO auch aus anderen Gründen angefochten werden. In diesen Fällen sei § 6 Abs. 3 InsO ohne Weiteres anwendbar. Es sei nicht einzusehen, weshalb der Zeitpunkt der Wirksamkeit der Beschwerdeentscheidung davon abhängig gemacht werden sollte, aus welchem Grund die Eröffnungsentscheidung aufgehoben wird.877) Vernachlässigbar sei zudem die Tatsache, dass Art. 102c § 4 EGInsO (a. F.) keinen Verweis auf § 6 enthalte (aus heutiger Sicht: enthielt).878) Art. 102c § 4 EGInsO (a. F.) sei dem deutschen Gesetzgeber ohnehin nicht besonders gut gelungen: Während Satz 1 die sofortige Beschwerde für statthaft erkläre, verweise Satz 2 lediglich auf die §§ 574 – 577 ZPO, also die Vorschriften über die Rechtsbeschwerde. Eine ausdrückliche Bezugnahme auf die Vorschriften zur sofortigen Beschwerde finde sich ___________ 873) Baumert, EWiR 2018, 153, 154; Denkhaus/Harbeck, ZInsO 2018, 949, 952; Deyda, ZInsO 2018, 221, 230 f.; Gruber, DZWIR 2018, 301, 309; Horstkotte, ZInsO 2018, 310, 311; KPB/Madaus, InsO, Art. 5 EuInsVO 2015 Rn. 34 f.; J. Schmidt, EWiR 2018, 85, 86; Jaeger/ J. Schmidt, InsO, Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 14 ff.; Schoppmeyer, FS Pape, S. 373, 382 ff.; Stockhausen/Seyer, DK 2018, 133, 135; Vallender/Sutschet, EuInsVO, Art. 19 Rn. 17 ff.; Thole, ZIP 2018, 401, 406; A. Schmidt/Undritz, EuInsVO, Art. 3 Rn. 52. A. A. K. Schmidt/ Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 16 f.; Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 11 ff.; Zipperer, ZIP 2018, 956. 874) Uhlenbruck/Pape, InsO, § 6 Rn. 19; K. Schmidt/Stephan, InsO, § 6 Rn. 27; HK-InsO/Sternal, § 6 Rn. 36. 875) MüKoInsO/Ganter/Bruns, § 6 Rn. 74. 876) Deyda, ZInsO 2018, 221, 230; ebenso Baumert, EWiR 2018, 153, 154; Schoppmeyer, FS Pape, S. 373, 383; Stockhausen/Seyer, DK 2018, 133, 135. 877) Deyda, ZInsO 2018, 221, 230. 878) Im Ergebnis ebenso Vallender/Sutschet, EuInsVO, Art. 19 Rn. 19.

194

§ 10 Die Wirkungen einer dem Rechtsbehelf stattgebenden Entscheidung

nicht, sodass unklar bliebe, ob lediglich die §§ 567 ff. ZPO Anwendung finden oder auch weitere Vorschriften, die im Insolvenz(eröffnungs)verfahren zu den Vorschriften über die sofortige Beschwerde gehören, wie etwa § 6 InsO.879) Für die Anwendbarkeit des § 6 Abs. 3 InsO auch ohne ausdrücklichen Verweis wurde 482 außerdem angeführt, dass das Rechtsbehelfsverfahren ansonsten Gefahr laufe, seinen Sinn zu verlieren: Das Verfahren diene schließlich gerade dazu, die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte zu überprüfen. Könnte ein ausländisches Gericht das Insolvenzverfahren während des laufenden Rechtsmittelverfahrens durch die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens an sich ziehen und somit vollendete Tatsachen schaffen, würde die Effizienz des Rechtsmittelverfahrens beeinträchtigt und der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens untergraben werden.880) Ein solches „Dazwischenfunken“ eines ausländischen Gerichts könne nicht im Sinne des deutschen Rechtsmittelverfahrens sein.881) Thole ergänzte die Argumentation von Deyda zudem um ein weiteres systemati- 483 sches Argument: Art. 102c § 4 EGInsO sei zwar kein formaler Teil der InsO, diene als Bestandteil des Einführungsgesetzes zur InsO aber augenscheinlich deren Konkretisierung und stehe somit unstreitig im insolvenzrechtlichen Kontext. Dass der deutsche Gesetzgeber den Rechtsbehelf aus Art. 5 Abs. 1 EuInsVO nicht in unmittelbarer Nähe von § 21 Abs. 2 InsO oder § 34 InsO platziert habe, sei allein der Übersichtlichkeit geschuldet. Nicht verbunden sei damit die grundsätzliche Entscheidung, die Beschwerde nach Art. 102c § 4 EGInsO außerhalb des Insolvenzrechts und somit außerhalb des Anwendungsbereichs des § 6 InsO zu stellen.882) Auch Madaus knüpfte an diese systematische Argumentation an: Die durch den 484 Rechtsbehelf nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO anfechtbare „Eröffnungsentscheidung“ im Sinne von Art. 2 Nr. 7 EuInsVO ergehe in Deutschland in der Form von § 21 Abs. 1 oder § 27 InsO. Art. 102c § 4 EGInsO erweitere die Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde über die in § 6 Abs. 1 InsO genannten Fälle hinaus, ohne jedoch die Vorschriften der InsO zu verdrängen. Da § 6 Abs. 3 InsO grundsätzlich auf sofortige Beschwerden gegen Entscheidungen des Insolvenzgerichts anzuwenden sei, gelte für die Beschwerde nach Art. 102c § 4 EGInsO a. F. (auch ohne ausdrücklichen Verweis) nichts anderes.883)

___________ 879) Deyda, ZInsO 2018, 221, 229. 880) Deyda, ZInsO 2018, 221, 230. 881) Thole, ZIP 2018, 401, 406; ebenso Gruber, DZWIR 2018, 301, 310 f., der von einem „waghalsige[n] Überholmanöver“ spricht. 882) Thole, ZIP 2018, 401, 406; mit ähnlicher Argumentation Jaeger/J. Schmidt, InsO, Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 14; Vallender/Sutschet, EuInsVO, Art. 19 Rn. 19. 883) KPB/Madaus, InsO, Art. 5 EuInsVO 2015 Rn. 35.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

485 Schließlich entspreche die Anwendbarkeit des § 6 Abs. 3 InsO auch den Vorgaben des Unionsrechts. Nur durch die Geltung der Norm werde hinreichend gewährleistet, dass positive Kompetenzkonflikte durch die Anwendung des Prioritätsprinzips gelöst würden.884) Bliebe die Sperrwirkung der ersten Verfahrenseröffnung bis zu deren endgültiger Aufhebung bestehen, werde verhindert, dass den Gerichten anderer Mitgliedstaaten die zwischenzeitliche Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens nur vorbehaltlich der letztinstanzlichen Bestätigung der Aufhebungsentscheidung erlaubt werde. Dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens werde nur auf diese Weise ausreichend Genüge getan.885)

486 Durch die im Rahmen des SanInsFoG vorgenommene Neufassung des Art. 102c § 4 Satz 2 EGInsO hat sich der deutsche Gesetzgeber dieser zumindest im hiesigen Schrifttum vorherrschenden Ansicht angeschlossen – freilich ohne dies näher zu begründen. Ihre Vertreter dürften sich dennoch in ihrer Auffassung vollends bestätigt sehen.

3.

Gegenrede: Nationale Sonderregelungen im unionsrechtlichen Kontext

487 Auf den ersten Blick läge es aus heutiger Sicht nahe, die Frage der Anwendbarkeit des § 6 Abs. 3 InsO im Rahmen der sofortigen Beschwerde nach Art. 102c § 4 EGInsO, Art. 5 Abs. 1 EuInsVO getrost beseite zu legen und die seinerzeit (im Zuge des NIKI-Verfahrens) entbrannte Diskussion darüber in einer rechtshistorischen Schublade verschwinden zu lassen. Anstatt (vermeintlich) geschlagene Schlachten erneut zu schlagen, sollte sich der Blick dieser Untersuchung – so könnte man meinen – auf noch unbeantwortete Fragestellungen richten, welche die Wirkungen einer dem Rechtsbehelf stattgebenden Entscheidung betreffen. Doch das wäre zu kurz gegriffen. Vielmehr lohnt es sich, trotz der Neufassung des Art. 102c § 4 EGInsO – und sogar gerade deswegen – der Frage des Zeitpunkts der Wirksamkeit einer Aufhebungsentscheidung etwas näher auf den Grund zu gehen. Unweigerlich auf den Prüfstand zu stellen ist somit auch die Unionsrechtskonformität der „klarstellenden“ Entscheidung des deutschen Gesetzgebers.

488 Die Argumentation des Landesgerichts Korneuburg fiel in der Tat etwas knapp aus. Ob sie jemals ausreichte, um die Unanwendbarkeit des § 6 Abs. 3 InsO zu begründen, darf deshalb bezweifelt werden. Aus diesem Grund erschien die im deutschen Schrifttum laut gewordene Kritik an der Entscheidung auf den ersten Blick nachvollziehbar. Mit der Neufassung des Art. 102c § 4 EGInsO hat sich die auf Wortlaut und Systematik gestützte Argumentation des österreichischen Gerichts ohnehin erledigt. Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass das Landesgericht Korneuburg

___________ 884) KPB/Madaus, InsO, Art. 5 EuInsVO 2015 Rn. 34; ähnlich Gruber, DZWIR 2018, 301, 310. 885) KPB/Madaus, InsO, Art. 5 EuInsVO 2015 Rn. 34.

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§ 10 Die Wirkungen einer dem Rechtsbehelf stattgebenden Entscheidung

trotz seiner schwachen Begründung in der Sache durchaus richtiglag, sodass es auch hierzulande nicht zu Unrecht Fürsprecher gefunden hatte.886)

a) Erfordernis einer verordnungskonformen Auslegung des nationalen Rechts Nicht nur das Landesgericht Korneuburg, sondern auch das die Entscheidung kriti- 489 sierende deutsche Schrifttum argumentierte größtenteils mithilfe von Wortlaut und Systematik des Art. 102c § 4 EGInsO a. F. Ob diesen Argumentationsansätzen überhaupt jemals entscheidende Bedeutung zukommen konnte, mag heute dahinstehen. Die Neufassung des Art. 102c § 4 EGInsO hat ihnen jedenfalls die Grundlage entzogen. Freilich: Geht es um die Frage, ob bestimmte nationale Verfahrensvorschriften – wie 490 § 6 Abs. 3 InsO – im unionsrechtlichen Kontext Anwendung finden, können Wortlaut, Systematik sowie der mutmaßliche Wille des nationalen Gesetzgebers allenfalls als erste Anhaltspunkte dienen. Führt eine entsprechende Auslegung, wie dies im Kontext des Art. 102c § 4 EGInsO a. F. noch der Fall war, zu keinen eindeutigen Ergebnissen, hilft ein Rückgriff auf diese Auslegungsmethoden nicht weiter. Die Argumentation innerhalb dieser Kategorien – wie sie sowohl das österreichische Gericht als auch das überwiegende deutsche Schrifttum vorgenommen haben – blieb zu sehr dem nationalen Denken verhaftet. Wie die bisherigen Untersuchungen zur Ausgestaltung des Art. 5 EuInsVO gezeigt 491 haben, ist den nationalen Gesetzgebern die Eingliederung des europäischen Rechtsbehelfs in die nationalen Verfahrensordnungen nicht in allen Fällen reibungslos gelungen. Die jeweiligen Durchführungsvorschriften – im deutschen Recht die Regelungen des Art. 102c EGInsO – dienen der Anpassung des nationalen Rechts an die Vorschriften der EuInsVO.887) Die zutreffende Auslegung jener Normen – also auch des Art. 102c § 4 EGInsO (a. F.) – darf deshalb nicht allein anhand der klassischen Auslegungsmethoden des nationalen Rechts vorgenommen werden, sondern muss den europäischen Zusammenhang berücksichtigen, in dem sie verortet sind. Das bedeutet: Die Auslegung muss den Zweck der Regelung des Art. 5 EuInsVO im Besonderen und die Ziele der EuInsVO im Allgemeinen berücksichtigen. Und sie muss den grundlegenden Wertungen des europäischen (Insolvenz-)Rechts Rechnung tragen, insbesondere dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens. Vor diesem Hintergrund ganz besonders hervorzuheben ist daher der Ansatz von Zipperer: Von entscheidender Bedeutung für die Frage der Anwendbarkeit des § 6 Abs. 3 InsO im unionsrechtlichen Kontext ist eine verordnungskonforme Auslegung des nationalen Ver___________ 886) K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 16 f.; Vallender/Vallender/ Zipperer, EuInsVO, Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 11 ff.; Zipperer, ZIP 2018, 956. 887) K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Vor Art. 102c EGInsO Rn. 1.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

fahrensrechts.888) Dies galt für die ursprüngliche Fassung des Art. 102c § 4 EGInsO genauso wie für die heute gültige.

b) Begriff der Wirksamkeit der (Aufhebungs-)Entscheidung 492 Wann ein Insolvenzverfahren wirksam beendet oder aufgehoben ist, definiert die Verordnung nicht. Art. 2 Nr. 8 EuInsVO bestimmt lediglich den „Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung“ als „den Zeitpunkt, zu dem die Entscheidung zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wirksam wird, unabhängig davon, ob die Entscheidung endgültig ist oder nicht“.889) Die wirksame Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens löst angesichts des universalen Geltungsanspruchs des Verfahrens unionsweite Sperrwirkung aus.890) Die Begriffsbestimmung in Art. 2 Nr. 8 EuInsVO legt somit den Prüfungsmaßstab für den Fall fest, dass sich mitgliedstaatliche Gerichte mit der Wirksamkeit einer anderweitigen Verfahrenseröffnung beschäftigen müssen, worauf schon Zipperer zu Recht hinwies.891) Ob ein Verfahren wirksam eröffnet ist, richtet sich nach dem jeweiligen nationalen Insolvenzrecht des Eröffnungsstaats (siehe Art. 19 Abs. 1 EuInsVO).892)

493 Mangels unionsrechtlicher Definition ist dann auch der Zeitpunkt der Beendigung des Insolvenzverfahrens grundsätzlich nach nationalem Recht zu bestimmen (Art. 7 Abs. 2 lit. j EuInsVO).893) Bei der Anwendung und Auslegung des nationalen Rechts müssen jedoch stets die Ziele und Wertungen der Verordnung berücksichtigt werden.894) Vor diesem Hintergrund erlaubt die Definition des Zeitpunkts der Verfahrenseröffnung aus Art. 2 Nr. 8 EuInsVO auch Rückschlüsse auf den Zeitpunkt der Beendigung des Insolvenzverfahrens, also auf den Zeitpunkt der Wirksamkeit der Aufhebungsentscheidung:

494 Art. 2 Nr. 8 EuInsVO dient dem Zweck, zeitlich möglichst eindeutig den Beginn der Wirkungen der Verfahrenseröffnung, insbesondere den Eintritt der Sperrwirkung, festzulegen.895) In entgegengesetzter Hinsicht kommt die gleiche Bedeutung der Beendigung des Insolvenzverfahrens – also dem Zeitpunkt der Wirksamkeit der Auf___________ 888) Zipperer, ZIP 2018, 956, 958. Allgemein MüKoBGB/Kindler, Vor Art. 102c EGInsO Rn. 1; MüKoInsO/Thole, Vor Art. 102c EGInsO Rn. 11. 889) Hervorhebung hinzugefügt. 890) Siehe dazu oben Rn. 76 ff. 891) Zipperer, ZIP 2018, 956, 957. 892) Ambach, Reichweite und Bedeutung von Art. 25 EuInsVO, S. 48; Hergenröder, DZWIR 2009, 309, 319; Mankowski/Müller/J. Schmidt/Müller, EuInsVO 2015, Art. 19 Rn. 15; Vallender/ Sutschet, EuInsVO, Art. 19 Rn. 11; Virgós/Schmit, Erläuternder Bericht, Rn. 147. 893) EuGH, Urt. v. 22.11.2012 – Rs. C-116/11, ZIP 2012, 2403 Rn. 52 – Handlowy. Dazu Jopen, EWiR 2013, 173. 894) Siehe etwa MüKoBGB/Kindler, Vor Art. 102c EGInsO Rn. 1; MüKoInsO/Thole, Vor Art. 102c EGInsO Rn. 11. 895) Brinkmann/Brinkmann, EIR, Art. 2 Rn. 17.

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§ 10 Die Wirkungen einer dem Rechtsbehelf stattgebenden Entscheidung

hebungsentscheidung – zu. Mit der Beendigung des Insolvenzverfahrens entfallen auch dessen Wirkungen. Insbesondere sind übrige mitgliedstaatliche Gerichte nicht mehr an die Sperrwirkung des aufgehobenen Insolvenzverfahrens gebunden und können nun ihrerseits ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnen. Der Begriff der Wirksamkeit der Aufhebungsentscheidung ist somit sinn- und zweck- 495 bezogen auszulegen.896) Nationale Sonderregelungen, die den Zeitpunkt konkretisieren und ihn dabei – wie § 6 Abs. 3 InsO – an zusätzliche Kriterien wie das der Rechtskraft knüpfen, sind im unionsrechtlichen Kontext zu bewerten. Die EuInsVO kennt den Begriff der Rechtskraft nicht. Für die Anerkennungswirkung etwa der Eröffnungsentscheidung nach Art. 2 Nr. 8 EuInsVO kommt es allein auf deren Wirksamkeit und ausdrücklich nicht auf deren Rechtskraft an („unabhängig davon, ob die Entscheidung endgültig ist oder nicht“).897) Vor diesem Hintergrund ist die von § 6 Abs. 3 InsO und dem überwiegenden Teil des deutschen Schrifttums vorgenommene pauschale Gleichsetzung von Wirksamkeit und Rechtskraft nicht überzeugend.898) Dies gilt umso mehr, als dass sich ausländischen Gerichten die Parität der Begriffe 496 nicht ohne Weiteres erschließen dürfte. Dennoch würde ihnen im Falle der Geltung des § 6 Abs. 3 InsO die Pflicht zufallen, den Eintritt der Rechtskraft nach deutschem Recht prüfen zu müssen.899) Ausgehend von der Zielsetzung der Verordnung haben sie dazu keinen Anlass: Ebenso wenig, wie eine Eröffnungsentscheidung für ihre Wirksamkeit endgültig zu sein braucht, ist die Wirksamkeit einer Aufhebungsentscheidung von deren Rechtskraft abhängig zu machen. Der Ausgang positiver Kompetenzkonflikte darf letztlich nicht von der Auslegung einzelner nationaler Vorschriften über die Wirkungen von Aufhebungsentscheidungen abhängen. Das muss erst recht gelten, wenn diese Auslegung durch die Gerichte anderer Mitgliedstaaten zu erfolgen hat.900) Vielmehr müssen sich die Mitgliedstaaten darauf verlassen können, dass die Wirksamkeit der Aufhebungsentscheidung sofort eintritt und nicht durch eine nationale Sonderregelung wie der des § 6 Abs. 3 InsO hinausgezögert wird.901) Dies erfordert nicht zuletzt auch der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens.902) ___________ 896) Siehe bereits Zipperer, ZIP 2018, 956, 957. 897) KPB/Madaus, InsO, Art. 2 EuInsVO 2015 Rn. 20; Moss/Fletcher/Issacs, EIR, Rn. 8.532, 8.28; Paulus, EuInsVO, Art. 2 Rn. 27; Mankowski/Müller/J. Schmidt/J. Schmidt, EuInsVO 2015, Art. 2 Rn. 23. 898) Ebenso schon Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 12; Zipperer, ZIP 2018, 956, 957. 899) Zipperer, ZIP 2018, 956, 958. Dies gesteht auch Deyda, ZInsO 2018, 221, 231, ein. 900) In diesem Punkt ist Gruber, DZWIR 2018, 301, 310, zuzustimmen. 901) Zipperer, ZIP 2018, 956, 958. 902) Allgemein hierzu siehe bereits oben Rn. 67. Ausführlich zum Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens im Rahmen der Anwendbarkeit des § 6 Abs. 3 InsO siehe sogleich Rn. 503 ff.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

497 Die Verordnung verfolgt das Ziel, grenzüberschreitende Insolvenzverfahren so effizient und wirksam wie möglich durchzuführen (Erwägungsgründe 1, 3 EuInsVO). Wie der EuGH bereits in Eurofood festgehalten hat, ist es hierfür nicht nur unabdingbar, dass die universal geltende Beschlagswirkung und die daraus folgende Sperrwirkung des Hauptinsolvenzverfahrens möglichst frühzeitig eintreten.903) Gleiches muss zwecks wirksamer Durchsetzung des Zuständigkeitsregimes aus Art. 3 EuInsVO auch für den Wegfall der Sperrwirkung infolge eines mangels internationaler Zuständigkeit zu Unrecht eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens gelten. Dies ist umso bedeutsamer aufgrund des Bestrebens der Verordnung, rechtsmissbräuchliches Forum Shopping und Insolvenztourismus zu verhindern (Erwägungsgrund 5 EuInsVO). Denn erst mit dem Wegfall der Sperrwirkung des fehlerhaft eröffneten Verfahrens können die tatsächlich zuständigen Gerichte im COMI-Staat des Schuldners ein „neues“ und rechtmäßiges Hauptinsolvenzverfahren eröffnen.

498 Die Anwendung des Prioritätsprinzips zur Lösung positiver Kompetenzkonflikte erfordert somit keineswegs, dass eine – womöglich zu Unrecht – erfolgte Verfahrenseröffnung bis zur Rechtskraft ihrer Aufhebungsentscheidung Bestand hat.904) Hierfür spricht auch, dass ein in der Zwischenzeit mit einem Eröffnungsantrag befasstes ausländisches Gericht das Verfahren nicht ins Blaue hinein an sich ziehen kann. Es ist seinerseits verpflichtet, seine internationale Zuständigkeit von Amts wegen zu prüfen (Art. 4 Abs. 1 EuInsVO) und – sollte es zu einem entsprechenden Ergebnis kommen – die Eröffnung abzulehnen. Der von der Verordnung angestrebten Effizienz auf der Grundlage des gegenseitigen Vertrauens wäre vielmehr erheblich geschadet, wenn nationale Sondervorschriften die Wirksamkeit der Aufhebungsentscheidung an zusätzliche Kriterien knüpfen könnten, die von den Gerichten anderer Mitgliedstaaten kaum nachzuvollziehen sind.

c)

Effektivität des Anfechtungsrechts aus Art. 5 EuInsVO

499 Nach Erwägungsgrund 34 Satz 1 EuInsVO hat der Rechtsbehelf aus Art. 5 Abs. 1 EuInsVO wirksam zu sein. Die Wirksamkeit des Rechtsbehelfs setzt voraus, dass über seinen Erfolg und die damit verbundenen Wirkungen zügig entschieden wird.905) Wäre die dem Rechtsbehelf in erster Instanz stattgebende Entscheidung des Beschwerdegerichts nun gemäß § 6 Abs. 3 InsO bis zu ihrer letztinstanzlichen Überprüfung suspendiert, wäre die Effektivität des Anfechtungsrechts schwer beeinträchtigt. Dies gilt umso mehr, da bei Unklarheiten hinsichtlich der Bestimmung des COMI regelmäßig auch eine Vorlage an den EuGH nicht ausgeschlossen sein dürfte.906) ___________ 903) 904) 905) 906)

200

EuGH, Urt. v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04, ZIP 2006, 907, Rn. 52 f. – Eurofood. So aber KPB/Madaus, InsO, Art. 5 EuInsVO 2015 Rn. 34. Siehe oben Rn. 455. So zuletzt etwa BGH, Beschl. v. 17.12.2020 – IX ZB 72/19, ZIP 2021, 90. Die Vorlagefragen haben die Verlegung des COMI nach Antragstellung zum Gegenstand. Siehe auch bereits oben Rn. 443.

§ 10 Die Wirkungen einer dem Rechtsbehelf stattgebenden Entscheidung

Die Geltung von § 6 Abs. 3 InsO hätte zur Folge, dass während der gesamten, über das Beschwerde-, Rechtsbeschwerde und gegebenenfalls Vorlageverfahren andauernden Schwebezeit die ausländischen Gerichte aufgrund der bestehenden Sperrwirkung an der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens gehindert wären. Selbst dann, wenn sich schließlich herausstellen sollte, dass die deutschen Gerichte von vornherein unzuständig waren.907) In diesem Fall liefe das Rechtsbehelfsverfahren, das nach dem Willen des Verordnungsgebers ja gerade einen wirksamen Kontrollmechanismus zur Vermeidung von Forum Shopping bereitstellen soll,908) leer. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund der Gefahr unumkehrbarer (Verfügungs-)Handlungen durch den Verwalter.909) Der Rückgriff auf § 6 Abs. 3 InsO muss nach alledem im Zusammenhang mit der 500 Anfechtung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO als unionsrechtswidrig qualifiziert werden, weil ein Hinauszögern der Wirksamkeit der Aufhebungsentscheidung und der damit verbundene Fortbestand der Sperrwirkung des – womöglich fehlerhaft – eröffneten Verfahrens bis zur letztinstanzlichen Bestätigung der Aufhebungsentscheidung die Effektivität des Rechtsbehelfs aus Art. 5 Abs. 1 EuInsVO auf nicht hinnehmbare Weise einschränkt.

d) Beeinträchtigte Effektivität des Rechtsbeschwerdeverfahrens? Wesentlich interessengerechtere Ergebnisse als § 6 Abs. 3 InsO ermöglicht im Kon- 501 text von Art. 102c § 4 EGInsO die allgemeine Bestimmung des § 570 Abs. 3 ZPO.910) Demnach kann der Bundesgerichtshof als Rechtsbeschwerdegericht mittels einer einstweiligen Anordnung die Vollziehung der Entscheidung des Beschwerdegerichts aussetzen und somit die Wirkungen der durch das Beschwerdegericht aufgehobenen Eröffnungsentscheidung zunächst aufrechterhalten. Hierbei wird der BGH regelmäßig eine Abwägungsentscheidung zwischen der Effektivität des Rechtsbehelfs aus Art. 5 EuInsVO und den masseschützenden Beschlagswirkungen des eröffneten Verfahrens treffen.911) Die Aussetzung der Vollziehung der Beschwerdeentscheidung wird in Betracht kommen, wenn durch die Vollziehung dem Rechtsbeschwerdeführer größere Nachteile drohen als den übrigen Beteiligten im Falle ihrer sofortigen Wirksamkeit, die Rechtslage zumindest zweifelhaft ist und die Rechtsbeschwerde zulässig ___________ 907) K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 16; im Ergebnis ebenso Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 13. 908) Siehe oben Rn. 244 ff. 909) K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 16; Vallender/Vallender/ Zipperer, EuInsVO, Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 13. 910) So bereits K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 17. § 570 Abs. 3 ZPO ist über den Verweis in Art. 102c § 4 Satz 2 EGInsO und § 575 Abs. 5 ZPO auch im Rechtsbehelfsverfahren anwendbar. 911) K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 17.

201

Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

erscheint.912) Diese Ermessensentscheidung ermöglicht im Einzelfall flexiblere und den unionsrechtlichen Vorgaben wesentlich besser entsprechende Lösungen als die starre Regelung des § 6 Abs. 3 InsO. Dass „solche Anordnungen im Einzelfall vergessen“ werden könnten und „stets Zeit in Anspruch“ nähmen,913) vermag als Gegenargument kaum zu überzeugen.914)

502 Bereits aufgrund der Existenz von § 570 Abs. 3 ZPO ist – entgegen der insbesondere von Deyda915) und Thole916) vertretenen Auffassung – die Effektivität des deutschen Rechtsmittelverfahrens ohne die Anwendbarkeit von § 6 Abs. 3 InsO nicht gefährdet. Bei der Frage der Unionsrechtskonformität einer Norm kann dies jedoch ohnehin kein entscheidendes Kriterium sein: Es ist zwar richtig, dass das vom Landesgericht Korneuburg eröffnete Hauptinsolvenzverfahren der beim Bundesgerichtshof durch die Schuldnerin eingelegten Rechtsbeschwerde gegen den Aufhebungsbeschluss gewissermaßen den Wind aus den Segeln nahm. Art. 5 Abs. 1 EuInsVO schreibt jedoch lediglich die (einmalige) Möglichkeit der Anfechtung einer Eröffnungsentscheidung vor. Einen Instanzenzug garantiert die EuInsVO nicht.917) Sehen die nationalen Verfahrensordnungen die Möglichkeit der erneuten Überprüfung der Beschwerdeentscheidung vor, darf ein solches fakultatives Verfahren in zweiter Instanz die Effektivität des Anfechtungsrechts aus Art. 5 EuInsVO nicht beeinträchtigen. Eine solche Beeinträchtigung würde jedoch aus der Anwendung von § 6 Abs. 3 InsO folgen. Die vermeintlich eingeschränkte Effektivität des deutschen Rechtsbeschwerdeverfahrens muss hinter der Wirksamkeit des unionsrechtlich garantierten Rechtsmittelverfahrens zurückstehen.

e)

Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens

503 Auch dem Einwand, ein „Dazwischenfunken“ ausländischer Gerichte vor Abschluss des deutschen Rechtsbeschwerdeverfahrens beeinträchtige den der EuInsVO zugrunde liegenden Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens,918) ist zu widersprechen.919) Vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Es entsteht der Eindruck, dass das die Entscheidung des Landesgerichts Korneuburg kommentierende deutsche Schrifttum dazu ___________ 912) Vgl. zur Aussetzung der Vollziehung einer erstinstanzlichen Entscheidung – nämlich des Eröffnungsbeschlusses – die durch das Beschwerdegericht bestätigt wurde BGH, Beschl. v. 28.1.2020 – IX ZB 86/19, ZInsO 2020, 401. 913) Schoppmeyer, FS Pape, S. 373, 384. 914) Wie hier schon Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 11. 915) Deyda, ZInsO 2018, 221, 230. 916) Thole, ZIP 2018, 401, 406. 917) Brinkmann/Brinkmann, EIR, Art. 5 Rn. 13; Mankowski/Müller/J. Schmidt/Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 5 Rn. 11; MüKoInsO/Thole, Art. 5 EuInsVO Rn. 7; Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 5 Rn. 12. Siehe dazu bereits oben Rn. 440. 918) Deyda, ZInsO 2018, 221, 230; Thole, ZIP 2018, 401, 406. 919) Allgemein zum Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens siehe bereits oben Rn. 67.

202

§ 10 Die Wirkungen einer dem Rechtsbehelf stattgebenden Entscheidung

neigt, den in der Zwischenzeit tätig werdenden ausländischen Gerichten Fehler bei der Bestimmung des COMI zu unterstellen. Schon der von Thole gewählte Begriff „Dazwischenfunken“920) impliziert eine unrechtmäßige Verfahrenseröffnung durch das ausländische Gericht. Deyda spricht von einem „An-Sich-Ziehen“ der Zuständigkeitsentscheidung „durch die Schaffung vollendeter Tatsachen“921) und Gruber von einem „waghalsige[n] Überholmanöver“.922) Zwar mag im konkreten Fall die grenzüberschreitende Kommunikation zwischen 504 den Gerichten insbesondere vonseiten der österreichischen Justiz nicht optimal verlaufen sein.923) Jedoch hat das österreichische Gericht seine internationale Zuständigkeit nicht ins Blaue hinein angenommen. Der Vorwurf, das Gericht habe „protektionistisch“ gehandelt, geht daher fehl.924) Vielmehr hat das Landesgericht Korneuburg unter Zugrundelegung der Amtsprüfungspflicht aus Art. 4 EuInsVO sowie des im nationalen Insolvenzrecht verankerten Amtsermittlungsgrundsatzes aus §§ 254 Abs. 5, 252 österIO und § 41 Abs. 3 österJN seine internationale Eröffnungszuständigkeit sorgfältig geprüft.925) Der ins Spiel gebrachte Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens gebietet nun, die Entscheidung des österreichischen Gerichts im Vertrauen darauf anzuerkennen, dass es seine Zuständigkeit richtigerweise bejaht hat. Es muss davon ausgegangen werden, dass das Gericht das Verfahren nicht eröffnet hätte, wäre es zu dem Ergebnis gekommen, dass das COMI von NIKI tatsächlich in Berlin lag.926) Die Kritiker des Landesgerichts Korneuburg sprachen sich im Ergebnis also für ein 505 „Stillhaltegebot“ zulasten der Insolvenzgerichte anderer Mitgliedstaaten aus, und zwar bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsmittelverfahrens gegen die Aufhebungsentscheidung des nach Art. 5 EuInsVO angerufenen Gerichts. Dies gibt das europäische Recht unter Berücksichtigung der der EuInsVO zugrunde liegenden Zielsetzung und Wertungen jedoch nicht her. Im Nachgang bleibt der Eindruck, dass sich die auf deutscher Seite handelnden 506 Akteure durch die Beschwerdeentscheidung des LG Berlin sowie durch das rigorose, aber eben in der Sache durchaus richtige Vorgehen der österreichischen Justiz in gewisser Weise in ihrer „Ehre“ gekränkt sahen. Die zum Ausdruck gekommene ___________ 920) Thole, ZIP 2018, 401, 406. 921) Deyda sieht die Gefahr, dass ausländische Gerichte die im deutschen Rechtsbeschwerdeverfahren zu klärende Frage nach der Zuständigkeit deutscher Gerichte „durch die Schaffung vollendeter Tatsachen an sich ziehen könnten“, ZInsO 2018, 221, 230. 922) Gruber, DZWIR 2018, 301, 311. 923) Siehe Denkhaus/Harbeck, ZInsO 2018, 949, 950 ff. 924) So aber Denkhaus/Harbeck, ZInsO 2018, 949, 952. 925) So ausdrücklich LG Korneuburg, Beschl. v. 12.1.2018 – 36 S 5/18d – 3, ZIP 2018, 393, 395. 926) Siehe Erwägungsgrund 33 EuInsVO: „Stellt das mit dem Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens befasste Gericht fest, dass der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen nicht in seinem Hoheitsgebiet lag, so sollte es das Hauptinsolvenzverfahren nicht eröffnen.“

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

Abwehrhaltung gegen die „Wegnahme“ des gefühlsmäßig nach Deutschland gehörenden Verfahrens ist aus einer menschlich-psychologischen Perspektive nachvollziehbar. Dabei ist auch das österreichische Gericht nicht von jedem Vorwurf unglücklichen Agierens freizusprechen. In der Tat mutet es zumindest irritierend an, dass die Schuldnerin und ihre Verfahrensbevollmächtigten von der österreichischen Eröffnungsentscheidung aus der Presse erfahren mussten.927) Eine etwas offenere Kommunikation hätte womöglich nicht nur den „ausländischen“ Maßnahmen ihre Schärfe genommen, sondern auch erheblich zur Vertrauensbildung beigetragen.928)

507 Dennoch machen der Fall NIKI und die insbesondere auf deutscher Seite geführte – und teilweise unübersehbar interessengeleitete – anschließende Diskussion um die Anwendbarkeit von § 6 Abs. 3 InsO anschaulich deutlich, wie auch nationale Empfindsamkeiten noch immer dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens entgegenstehen. Letzteres ist jedoch für ein funktionierendes europäisches Insolvenzrecht von herausragender Bedeutung und darf nicht nur auf dem Papier bestehen, sondern muss in der täglichen Rechtsanwendung gelebt werden.

IV. Kritik an der Neufassung des Art. 102c § 4 Satz 2 EGInsO 508 Die vorausgegangenen Überlegungen sollten zugleich deutlich gemacht haben: Die im Wege der Neufassung des Art. 102c § 4 Satz 2 EGInsO vom deutschen Gesetzgeber getroffene Entscheidung, die Regelung des § 6 Abs. 3 InsO im Rahmen der sofortigen Beschwerde nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO ausdrücklich für anwendbar zu erklären, ist nachdrücklich zu kritisieren. Der deutsche Gesetzgeber hat sich den teilweise unübersehbar interessengeleiteten Forderungen aus der Praxis offenbar gebeugt, ohne dass dem eine erkennbare Auseinandersetzung mit der akademisch durchaus kontrovers diskutierten Problematik in der Sache vorausgegangen wäre. Das fast schon protektionistische Vorgehen des deutschen Gesetzgebers stellt einen Rückschritt bei der grenzüberschreitenden Koordination und Kooperation von Insolvenzverfahren dar und ist kein gutes Zeichen für das gegenseitige Vertrauen in die Rechtspflege der Mitgliedstaaten. Ohne ein solches Vertrauen kann ein funktionierendes europäisches Insolvenzrecht jedoch nicht auskommen.

509 Im Übrigen betrifft die Änderung des Art. 102c § 4 Satz 2 EGInsO eine Rechtsfrage, für die der nationale Gesetzgeber keine Regelungskompetenz besitzt. Bei der Anwendbarkeit des § 6 Abs. 3 InsO geht es um den Zeitpunkt, in dem die Sperrwirkung eines Hauptinsolvenzverfahrens entfällt. Wie soeben dargelegt ist dieser Zeitpunkt – als Zeitpunkt der Verfahrensbeendigung – für das europäische Insolvenzrecht von ähnlich wichtiger Bedeutung wie der Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung. Er darf daher – in Analogie zur Eurofood-Entscheidung des EuGH – ebenso wenig ___________ 927) Siehe Denkhaus/Harbeck, ZInsO 2018, 949, 950. 928) Siehe schon Paulus, NZI 2008, 1, 2: „Das gemeinsame Gespräch weckt das unabdingbare wechselseitige Vertrauen füreinander.“

204

§ 10 Die Wirkungen einer dem Rechtsbehelf stattgebenden Entscheidung

von Sonderregelungen des nationalen Rechts abhängig gemacht werden. Vielmehr ist er bereits unmittelbar durch die Auslegung der EuInsVO zu beantworten: In Anbetracht der von der Verordnung angestrebten effizienten und wirksamen 510 Durchführung grenzüberschreitender Insolvenzverfahren (Erwägungsgründe 1, 3 EuInsVO) hat der EuGH im Hinblick auf den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung in Eurofood geurteilt, dass die Sperrwirkung der Eröffnungsentscheidung so schnell wie möglich eintreten muss.929) So führte der Gerichtshof zur Ursprungsfassung der EuInsVO aus, dass als „Eröffnung eines Insolvenzverfahrens“ im Sinne der Verordnung (EuInsVO 2000) nicht nur eine Entscheidung zu verstehen sei, die nach dem Recht des Eröffnungsstaates förmlich als Eröffnungsentscheidung bezeichnet werde.930) Eröffnungsentscheidung im unionsrechtlichen Sinne sei vielmehr auch bereits die Entscheidung, die infolge eines auf die Insolvenz des Schuldners gestützten Antrags auf Eröffnung eines in Anhang A der Verordnung (EuInsVO 2000) genannten Verfahrens ergehe, wenn diese Entscheidung den Vermögensbeschlag gegen den Schuldner zur Folge habe und durch sie ein in Anhang C der Verordnung (EuInsVO 2000) genannter Verwalter bestellt werde.931) Dies gelte auch dann, wenn die Entscheidung nach nationalem Recht lediglich eine vorläufige darstelle.932) Der Begriff der Eröffnungsentscheidung ist daher bereits unmittelbar durch Auslegung der EuInsVO zu bestimmen. Nationale Sonderregelungen, die etwa die Vorläufigkeit einer Entscheidung betreffen, bleiben außer Betracht. Die gleichen Erwägungen müssen nun spiegelbildlich auch für den Zeitpunkt der 511 Verfahrensbeendigung und somit für den Wegfall der Sperrwirkung gelten. Die Regelung des § 6 Abs. 3 InsO führt dazu, dass die infolge des Rechtsbehelfs aus Art. 5 Abs. 1 EuInsVO ergangene Aufhebungsentscheidung eines deutschen Gerichts wegen ihrer fehlenden Rechtskraft – und somit gewissermaßen als „vorläufige Entscheidung“ – noch nicht wirksam ist. Denkt man die Eurofood-Entscheidung konsequent fort, muss der Wegfall der Sperrwirkung eines fehlerhaft eröffneten Verfahrens jedoch so früh wie möglich eintreten. Denn erst mit dem Wegfall der Sperrwirkung können die tatsächlich zuständigen Gerichte im COMI-Staat des Schuldners ein „neues“ und rechtmäßiges Hauptinsolvenzverfahren eröffnen. Ein Hinauszögern der Wirksamkeit der Aufhebungsentscheidung durch nationale Sonderregeln ist nicht zuletzt auch mit dem Bestreben der Verordnung unvereinbar, rechtsmissbräuchliches Forum Shopping und Insolvenztourismus zu verhindern (Erwägungsgrund 5 EuInsVO). Dem steht auch nicht entgegen, dass sich nach Art. 7 Abs. 2 lit. j EuInsVO die 512 „Voraussetzungen der Beendigung des Insolvenzverfahrens“ nach der jeweiligen lex fori concursus richten und dass die nähere prozessuale Ausgestaltung des An___________ 929) 930) 931) 932)

EuGH, Urt. v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04, ZIP 2006, 907, Rn. 52 f. – Eurofood. EuGH, Urt. v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04, ZIP 2006, 907 Rn. 54 – Eurofood. EuGH, Urt. v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04, ZIP 2006, 907 Rn. 54 – Eurofood. EuGH, Urt. v. 2.5.2006 – Rs. C-341/04, ZIP 2006, 907 Rn. 55 ff. – Eurofood.

205

Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

fechtungsverfahrens nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten obliegt.933) Denn der Zeitpunkt der Wirksamkeit einer die Sperrwirkung aufhebenden Entscheidung lässt sich ebenso wie der Zeitpunkt des Eintritts der Sperrwirkung bereits unmittelbar aus der Auslegung der Verordnung herleiten. Dem nationalen Gesetzgeber kommt diesbezüglich daher keine Regelungskompetenz mehr zu.

V. Konsequenz: Unanwendbarkeit des Art. 102c § 4 Satz 2 2. HS EGInsO 513 Verstoßen Vorschriften des nationalen Rechts gegen Unionsrecht, sind diese im Geltungsbereich des europäischen Rechts nicht anwendbar.934) Dieses Schicksal trifft auch Art. 102c § 4 Satz 2 2. HS EGInsO mitsamt dem darin enthaltenen Verweis auf § 6 Abs. 3 InsO.

514 Retten kann die Vorschrift insbesondere auch nicht § 6 Abs. 3 Satz 2 InsO, wonach das Beschwerdegericht die sofortige Wirksamkeit seiner Entscheidung, hier also den sofortigen Wegfall der Sperrwirkung, anordnen kann. Zwar ließe sich argumentieren, dass das Beschwerdegericht im Anwendungsbereich des Art. 5 Abs. 1 EuInsVO stets von dieser Regelung Gebrauch machen müsse. Das gerichtliche Ermessen wäre aufgrund zwingender Vorgaben des Unionsrechts insofern auf Null reduziert. Dies wäre bei Licht besehen aber keine tragfähige Lösung: Denn es wäre allemal ungewiss, ob das Beschwerdegericht die gebotene Anordnung der sofortigen Wirksamkeit seiner Aufhebungsentscheidung im konkreten Einzelfall auch tatsächlich trifft. Dieser Unsicherheitsfaktor kann nur ausgeschlossen werden, indem Art. 102c § 4 Satz 2 2. HS EGInsO von vornherein unanwendbar bleibt. Auch hier sei noch einmal auf § 570 Abs. 3 ZPO verwiesen.935) Die nach dieser Vorschrift vorzunehmende Abwägungsentscheidung des BGH ermöglicht wesentlich einzelfallgerechtere Lösungen im Hinblick auf die Effektivität des europäischen Rechtsbehelfs einerseits und den masseschützenden Beschlagswirkungen des eröffneten Verfahrens andererseits, die zudem im Einklang mit den Vorgaben des Unionsrechts stehen.

VI. Zwischenergebnis 515 Eine dem Rechtsbehelf aus Art. 5 Abs. 1 EuInsVO stattgebende Entscheidung, die die angefochtene Eröffnungsentscheidung aufhebt, beansprucht sofortige Wirksamkeit. Dies erfordert der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens sowie die der Verordnung zugrunde liegende Zielsetzung, effiziente und wirksame grenzüberschreitende Insolvenzverfahren zu gewährleisten. Die aus dem Anerkennungsprinzip resultierende Sperrwirkung des zu Unrecht eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens entfällt somit ___________ 933) Siehe oben Rn. 266 ff. 934) Siehe bereits oben Rn. 402. 935) Siehe ausführlich bereits oben Rn. 501 f.

206

§ 10 Die Wirkungen einer dem Rechtsbehelf stattgebenden Entscheidung

unmittelbar mit der wirksam getroffenen Aufhebungsentscheidung. Folglich kann eine nationale Sonderregelung wie § 6 Abs. 3 InsO, die die Wirksamkeit der Aufhebungsentscheidung an den Eintritt ihrer Rechtskraft knüpft, im Anwendungsbereich von Art. 5 EuInsVO keinen Bestand haben. Dies gilt ungeachtet des inzwischen ausdrücklichen Verweises in Art. 102c § 4 Satz 2 EGInsO nach wie vor. Im Fall NIKI war das Landesgericht Korneuburg somit berechtigt, nach der Fest- 516 stellung seiner internationalen Zuständigkeit seinerseits ein Hauptinsolvenzverfahren über das Vermögen der NIKI Luftfahrt GmbH zu eröffnen. Zugleich ist die Diskussion um die Anwendbarkeit des § 6 Abs. 3 InsO ein Lehrbuchbeispiel für die Einwirkungen des Unionsrechts in nationales Prozessrecht und verdeutlicht sehr schön das Bedürfnis nach einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts.

D. Rechtskrafterstreckung auf weitere Anfechtungsverfahren? Es mag vorkommen, dass nicht nur ein einzelner, sondern gleich mehrere Anfech- 517 tungsberechtigte den Rechtsbehelf gegen die Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO einlegen. In diesen Fällen stellt sich die Frage, wie sich einerseits eine positive, andererseits aber auch eine ablehnende und somit negative Entscheidung über den Rechtsbehelf auf weitere, gegebenenfalls erst nach der ersten Entscheidung eingeleitete Rechtsbehelfsverfahren auswirken. Sind mehrere Rechtsbehelfsverfahren parallel anhängig, ohne dass über eines be- 518 reits entschieden wurde, bietet es sich in hohem Maße an, die Verfahren zu verbinden und gemeinsam zu behandeln. Da Anfechtungsgegenstand und entscheidendes Gericht ohnehin identisch sind, kann das Vorbringen der Rechtsbehelfsführer einheitlich gewürdigt und Doppelarbeit vermieden werden. Die Zusammenlegung dürfte somit letztlich der Verringerung von Kosten und der Beschleunigung der Verfahren dienen. Ob und wie eine Bündelung der Verfahren möglich ist, beurteilt sich nach Maßgabe des jeweiligen nationalen Verfahrensrechts.936) In Deutschland anhängige Beschwerdeverfahren sind also gemäß § 147 ZPO zu verbinden.937) § 147 ZPO stellt die Verbindung mehrerer Verfahren zwar grundsätzlich in das Ermessen des Gerichts. Für die Anwendung dieser Vorschrift im Insolvenzeröffnungsverfahren (über § 4 InsO) ist jedoch anerkannt, dass eine Verbindung mehrerer Eröffnungsanträge erfolgen muss, da über die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Schuldners nur einheitlich entschieden werden kann.938) Gleiches

___________ 936) MüKoInsO/Thole, Art. 5 EuInsVO Rn. 7. 937) Auch für das Beschwerdeverfahren gelten die allgemeinen Vorschriften der §§ 1 – 252 ZPO, insbesondere also auch die §§ 145 – 150 (Trennung und Verbindung mehrerer Beschwerden), Wieczorek/Schütze/Jänich, ZPO, § 572 Rn. 88. 938) BGH, Beschl. v. 11.3.2010 – IX ZB 110/09, ZIP 2010, 888 Rn. 8.

207

Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

gilt für die Verbindung mehrerer Beschwerden gegen die Eröffnungsentscheidung, welche die internationale Zuständigkeit des Gerichts rügen.939)

519 Denkbar ist jedoch auch, dass ein zweiter Anfechtungsberechtigter die Eröffnungsentscheidung anficht, nachdem über den Rechtsbehelf eines ersten Rechtsbehelfsklägers bereits entschieden wurde. Sofern dies noch innerhalb der – de lege lata nach nationalem Recht zu bestimmenden940) – Anfechtungsfrist geschieht, müssen die Auswirkungen der ersten Beschwerdeentscheidung auf diesen zweiten Rechtsbehelf untersucht werden. Hierbei ist zwischen den verschiedenen Entscheidungsmöglichkeiten zu differenzieren. Im Fokus der Untersuchung sollen aus Gründen der Übersichtlichkeit dabei Rechtsbehelfe stehen, die sich gegen ein in Deutschland eröffnetes Hauptinsolvenzverfahren richten.

I.

Erste Beschwerde hat Erfolg

520 Hat die sofortige Beschwerde gegen die Eröffnungsentscheidung nach Art. 102c § 4 EGInsO i. V. m. Art. 5 Abs. 1 EuInsVO Erfolg, ist die Eröffnungsentscheidung entweder aufzuheben oder – sofern die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen – das Verfahren als Partikularverfahren fortzuführen.941) Sowohl der Aufhebungsals auch der Fortführungsbeschluss wirken gegenüber jedermann. In dogmatischer Hinsicht folgt dies – auch ohne ausdrückliche Regelung – bereits aus der Natur des Insolvenzverfahrens als ein auf Gesamtvollstreckung ausgerichtetes Verfahren.942) Eine Wirkung lediglich inter partes wie im gewöhnlichen Beschlussverfahren wäre hiermit nicht vereinbar: Der Aufhebungs- oder Fortführungsbeschluss kann schließlich nicht nur gegenüber den formell Beteiligten, wie dem Schuldner und etwa dem beschwerdeführenden Gläubiger gelten. Vielmehr sind darüber hinaus auch sämtliche Gläubiger sowie der Insolvenzverwalter von der Entscheidung betroffen. Aspekte der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit ergänzen diese Begründung: Die Rechtskrafterstreckung inter omnes gewährleistet, dass der Aufhebungs- oder Fortführungsbeschluss für den gesamten Rechtsverkehr Geltung entfaltet. Insoweit sind Parallelen zu den Regelungen der § 183 InsO und §§ 248, 249 AktG zu erkennen.

521 Mangels fortbestehender Entscheidung zur Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens entfällt bei einer erfolgreichen Beschwerde somit der Anfechtungsgegenstand des Art. 5 Abs. 1 EuInsVO. Nachträglich erhobene Rechtsbehelfe sind dementsprechend von vornherein unzulässig. Gleiches gilt für anhängige Verfahren, über die noch ___________ 939) Zipperer, NZI 2020, 600, 605, hingegen ist der Meinung, das Gericht müsse das Verfahren über den späteren Antrag aus Rechtssicherheitsgründen aussetzen, bis über den zuerst erhobenen Antrag entschieden sei, ohne sich jedoch zu einer Verbindung der Verfahren zu äußern. 940) Siehe oben Rn. 332 ff. 941) Siehe oben Rn. 460 ff. 942) Vgl. zum Eröffnungsbeschluss Jaeger/Schilken, InsO, § 27 Rn. 47; siehe ebenso LG Halle, Beschl. v. 10.10.1995 – 2 T 457/94, ZIP 1995, 1757, 1759.

208

§ 10 Die Wirkungen einer dem Rechtsbehelf stattgebenden Entscheidung

nicht entschieden wurde. In Deutschland wird diese Konstellation aufgrund der Regelung des § 147 ZPO in der Praxis zwar kaum vorkommen. Denkbar wäre sie zumindest grundsätzlich jedoch bei Verfahrenseröffnungen in solchen Mitgliedstaaten, deren nationale Rechtsordnungen eine Verbindung nicht zulassen. Für diese Verfahren tritt gewissermaßen ein Fall der prozessualen Überholung ein, da der Rechtsbehelfsführer den mit der Anfechtung angestrebten Erfolg nicht mehr erreichen kann. Der Rechtsbehelf wird dann unzulässig und wäre gegebenenfalls vom Rechtsbehelfsführer für erledigt zu erklären.943)

II. Erste Beschwerde wird als unzulässig verworfen Wird die Beschwerde als unzulässig verworfen (vgl. § 572 Abs. 2 Satz 2 ZPO), kann 522 der Beschwerdeführer eine neue, den Zulässigkeitsmangel vermeidende Beschwerde einlegen.944) Freilich ist dies nur bei Formmängeln denkbar. Keinerlei Auswirkungen hat die Entscheidung auf das Anfechtungsrecht weiterer Beteiligter. Andere Gläubiger können also weiterhin einen, seinerseits zulässigen, Rechtsbehelf einlegen.

III. Erste Beschwerde wird als unbegründet zurückgewiesen Die wohl interessanteste Konstellation betrifft den Fall, dass die erste Beschwerde 523 als unbegründet zurückgewiesen wird. Hat diese Entscheidung (formelle) Rechtskraft erlangt, steht es jedenfalls dem Beschwerdeführer nicht mehr zu, erneute Beschwerde einzulegen.945) Die Begründung ist nicht ganz eindeutig. Bisweilen liest man, das Anfechtungsrecht oder die Beschwerdebefugnis sei „verbraucht“946), „konsumiert“947) oder es sei „der Beschwerdeweg erschöpft“948). Vertreten wird auch, dass der Beschluss des vorinstanzlichen Gerichts durch die Beschwerdeentscheidung ___________ 943) Siehe für das deutsche Recht BGH, Beschl. v. 25.11.1981 – IV b ZB 756/81, NJW 1982, 2505, 2506; BGH, Beschl. v. 11.3.2010 – IX ZB 110/09, ZIP 2010, 888 Rn. 8; Musielak/ Voit/Ball, ZPO, § 572 Rn. 12; MüKoZPO/Hamdorf, § 572 Rn. 26; Stein/Jonas/Jacobs, ZPO, § 572 Rn. 26. 944) Sog. Wiederholung der Beschwerde, OLG Frankfurt, Beschl. v. 23.3.1979 – 20 W 923/78, OLGZ 1979, 394 f.; Baumgärtel, JZ 1959, 437 f.; MüKoZPO/Hamdorf, § 567 Rn. 32; Stein/Jonas/Jacobs, ZPO, § 567 Rn. 35; Wieczorek/Schütze/Jänich, ZPO, Vor § 567 Rn. 22; Ratte, Wiederholung der Beschwerde und Gegenvorstellung, S. 86; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 567 Rn. 30; Zöller/Heßler, ZPO, § 567 Rn. 16. 945) MüKoZPO/Hamdorf, § 567 Rn. 33; Stein/Jonas/Jacobs, ZPO, § 567 Rn. 36; BeckOK-ZPO/ Wulf, § 567 Rn. 9. 946) OLG Bamberg, Beschl. v. 28.6.1965 – 3 W 3/65, OLGZ 1966, 44 = NJW 1965, 2407, 2408; OLG Frankfurt, Beschl. v. 12.3.1974 – 20 W 486/73, OLGZ 1974, 302, 305 = NJW 1974, 1389, 1390; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 567 Rn. 30; Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 147 Rn. 21. 947) Baumgärtel, JZ 1959, 437; Kunz, Erinnerung und Beschwerde, S. 253 f. 948) OLG Stuttgart, Beschl. v. 9.4.1957 – 2 W 18/57, JZ 1959, 445; diese Formulierung nutzen ebenfalls Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 147 Rn. 21; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 567 Rn. 30.

209

Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

ersetzt oder bestätigt worden sei.949) Letztendlich dürfte sich dies jedoch einfach aus der materiellen Rechtskraft der Entscheidung über den Rechtsbehelf ergeben: Diese entfaltet eine Sperrwirkung, sodass eine erneute Beschwerde desselben Beschwerdeführers unzulässig ist (ne bis in idem). Der Streit ist jedoch lediglich dogmatischer Natur und braucht an dieser Stelle nicht entschieden zu werden.

524 Fraglich ist jedoch, wie sich die Rechtskraft der ablehnenden Entscheidung auf mögliche weitere – fristgemäß eingelegte – Beschwerden anderer Gläubiger auswirkt. Das Beschwerdegericht hat schließlich einmal über die internationale Zuständigkeit des Insolvenzgerichts entschieden. Folgt aus der ersten Entscheidung eine Art „Rechtskrafterstreckung“ auf weitere Anfechtungsverfahren?

1.

Beschwerdebeschluss ist der Rechtskraft fähig

525 Auch der den Rechtsbehelf aus sachlichen Gründen als unbegründet zurückweisende Beschluss des Beschwerdegerichts ist der formellen Rechtskraft (§ 705 ZPO) fähig. Beim Beschwerdeverfahren handelt es sich um ein durch die Einlegung eines befristeten Rechtsbehelfs eingeleitetes Verfahren, welches durch den Beschwerdebeschluss abgeschlossen wird.950)

2.

Subjektive Grenzen der Rechtskraft

526 Ob sich die Rechtskraft einer den Rechtsbehelf aus sachlichen Gründen zurückweisenden Entscheidung auch auf künftige Rechtsbehelfsverfahren anderer Anfechtungsberechtigter erstreckt, regelt die EuInsVO nicht. Auch hier kommt folglich wieder das nationale Recht zum Tragen. Die Erstreckung der Rechtskraft gegenüber allen potentiell Rechtsbehelfsberechtigten hätte zur Folge, dass das Anfechtungsrecht aus Art. 5 Abs. 1 EuInsVO gegenüber allen Gläubigern gesperrt wäre, sobald ein Gläubiger die Eröffnungsentscheidung angefochten und das Beschwerdegericht seinen Rechtsbehelf zurückgewiesen hat. Der negativen Beschwerdeentscheidung kämen dann die gleichen allgemeinen Wirkungen zu wie einer Eröffnungs- oder einer Aufhebungsentscheidung. Für eine solche Rechtskrafterstreckung sprächen zuvorderst Praktikabilitätserwägungen. Hat das Beschwerdeverfahren das Insolvenzgericht einmal in der Annahme seiner internationalen Zuständigkeit bestätigt, würde weiteren, auf das gleiche Ziel gerichteten Beschwerden von vornherein ihre Zulässigkeit genommen. Dies käme einer zügigen Abwicklung des Insolvenzverfahrens im – durch die Beschwerdeentscheidung bestätigten – COMI-Staat zugute.

___________ 949) Ratte, Wiederholung der Beschwerde und Gegenvorstellung, S. 87; Wieczorek/Schütze/Jänich, ZPO, Vor § 567 Rn. 24. 950) Zur generellen formellen Rechtmäßigkeit von Beschlüssen siehe MüKoZPO/Götz, § 705 Rn. 3; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, § 705 Rn. 2.

210

§ 10 Die Wirkungen einer dem Rechtsbehelf stattgebenden Entscheidung

Eine solche Rechtskrafterstreckung der den Rechtsbehelf aus sachlichen Gründen 527 zurückweisenden Entscheidung – zumal ohne gesetzliche Regelung – ist jedoch bereits dogmatisch nicht haltbar. Wie sich schon aus der zivilprozessualen Grundregel des § 325 Abs. 1 ZPO ergibt, erstreckt sich die Rechtskraft von gerichtlichen Entscheidungen grundsätzlich nur auf die Parteien des Rechtsstreits. Dritte bindet die Entscheidung nur in gesetzlich vorgeschriebenen Fällen.951) Da sie als Unbeteiligte nicht an dem Prozess teilnehmen, besteht auch kein Grund, weshalb sie die eventuell nachteiligen Folgen einer Entscheidung sollten tragen müssen. Als ein auf Gesamtvollstreckung ausgerichtetes Verfahren kommt dem Insolvenzverfahren zwar eine gewisse Sonderrolle zu. Allein deshalb für den die Beschwerde zurückweisenden Beschluss etwas anderes anzunehmen, ist jedoch nicht begründbar. Im Gegensatz zu einem Eröffnungs-, Fortführungs- oder Aufhebungsbeschluss handelt es sich bei der negativen Beschwerdeentscheidung schließlich nicht um einen Konstitutivakt mit universellen Wirkungen.952) Auch vermeintliche Zweckmäßigkeitserwägungen machen bei genauerem Hinse- 528 hen keine Rechtskrafterstreckung erforderlich. Eine Verschleppung des Insolvenzverfahrens ist durch die fortbestehende Anfechtungsmöglichkeit weiterer Gläubiger nicht zu befürchten. Erstens hat die Einlegung des Rechtsbehelfs bekanntlich keine aufschiebende Wirkung.953) Zweitens wird eine erneute Anfechtung nach abgeschlossenem „ersten“ Beschwerdeverfahren aufgrund der Fristgebundenheit des Rechtsbehelfs ohnehin nur in seltenen Fällen möglich sein.954) Und drittens wird sich ein Beschwerdegericht kaum umfassend mit einer erneuten Beschwerde befassen, wenn es in der Sache bereits entschieden und die internationale Zuständigkeit des Insolvenzgerichts bestätigt hat. Dies wird auch ein bisher unbeteiligter Gläubiger wissen und schon aufgrund des Kostenrisikos nur einen erneuten eigenen Rechtsbehelf einlegen, wenn er einen neuen Aspekt vorzuweisen hat, den das Beschwerdegericht bei der Bestätigung der internationalen Zuständigkeit noch nicht berücksichtigt hat. Sollte dies tatsächlich der Fall sein, besteht jedenfalls kein Grund, dem Gläubiger die Möglichkeit zu nehmen, Recht zu bekommen. Schließlich lässt auch ein Vergleich mit der aktienrechtlichen Anfechtungsklage 529 keine gegenteilige Auffassung zu. Wird infolge eines Anfechtungsprozesses ein Hauptversammlungsbeschluss für nichtig erklärt, wirkt das Urteil nicht nur inter partes, sondern für und gegen jedermann (§ 248 Abs. 1 Satz 1 AktG).955) Die Rechtskrafterstreckung in § 248 Abs. 1 Satz 1 AktG gilt jedoch ausdrücklich nur für die ___________ 951) MüKoZPO/Gottwald, § 322 Rn. 134 f. 952) Zum Charakter des Eröffnungsbeschlusses als Konstitutivakt siehe Jaeger/Gerhardt, InsO, § 6 Rn. 53 f. 953) Siehe oben Rn. 447 ff. 954) Zu denken ist aber an eine Überwindung der Fristversäumnis aufgrund Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, siehe dazu Rn. 404 ff. 955) MüKoZPO/Gottwald, § 322 Rn. 19; MüKoAktG/Hüffer/Schäfer, § 248 Rn. 5.

211

Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

der Klage stattgebende Entscheidung, mit der der angefochtene Hauptversammlungsbeschluss – „Konstitutivakt“ im obigen Sinne – also vernichtet wird. Dies entspricht eher der bereits erörterten Situation, dass auf die (erfolgreiche) Beschwerde hin das Insolvenzverfahren eingestellt oder als Sekundärverfahren fortgeführt wurde.956) Den Fall der Abweisung der Klage als unzulässig oder unbegründet erfasst § 248 AktG nicht.957) Im Gegenteil: Weist das Gericht die Klage als unbegründet ab, entfaltet das abweisende Urteil keine Gestaltungswirkung und seine Bindungswirkung erstreckt sich nur auf die Parteien des Prozesses. Eine Drittwirkung scheidet aus. Im Falle einer erneuten Klage durch einen Dritten müsste das Gericht die vermeintlichen Beschlussmängel also erneut prüfen.958) Zur Beurteilung des Falles, dass das Beschwerdegericht den Rechtsbehelf aus Art. 5 Abs. 1 EuInsVO als unbegründet zurückweist, bietet sich vielmehr der Vergleich mit einem Beschluss an, durch den ein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens formell rechtskräftig abgewiesen wird. Auch dieser Beschluss hindert nicht, dass der abgewiesene Antragsteller mit verbesserter Begründung oder unter Behauptung neuer Umstände einen neuen Antrag stellt; erst recht nicht steht er dem Antrag eines weiteren Antragsberechtigten entgegen.959)

530 Eine Rechtskrafterstreckung der den Rechtsbehelf aus sachlichen Gründen zurückweisenden Beschwerdeentscheidung auf spätere Beschwerdeverfahren ist somit entschieden abzulehnen.960) Innerhalb der Beschwerdefrist können weitere Anfechtungsberechtigte daher eine erneute Anfechtung der Eröffnungsentscheidung aus Gründen der vermeintlich fehlenden internationalen Zuständigkeit des Eröffnungsgerichts geltend machen.

IV. Zwischenergebnis 531 Hat der Rechtsbehelf gegen die Eröffnungsentscheidung aus Art. 5 Abs. 1 EuInsVO Erfolg, wird das Verfahren aufgehoben oder als Partikularinsolvenzverfahren fortgeführt. Der Anfechtungsgegenstand des Art. 5 entfällt. Wird der Rechtsbehelf als unzulässig verworfen, hat die Entscheidung keine Auswirkungen auf die Rechtsbehelfe anderer Anfechtungsberechtigter, selbst der ursprüngliche Rechtsbehelfskläger kann einen neuen (zulässigen) Rechtsbehelf einlegen. Wird der Rechtsbehelf eines Anfechtungsberechtigten nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO aus sachlichen Gründen zurückgewiesen, so erstreckt sich die Rechtskraft der ablehnenden Entscheidung ebenfalls nicht auf weitere fristgemäß eingelegte Rechtsbehelfe anderer Anfech___________ 956) Siehe oben Rn. 520. 957) MüKoAktG/Hüffer/Schäfer, § 248 Rn. 4. 958) OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20.2.2009 – 17 W 8/09, AG 2009, 666 = BeckRS 2010, 3030; MüKoAktG/Hüffer/Schäfer, § 248 Rn. 34. 959) MüKoInsO/Ganter/Bruns, § 4 Rn. 80c; Jaeger/Gerhardt, InsO, § 6 Rn. 55. 960) Im Ergebnis ebenso K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 102c § 4 EGInsO Rn. 14.

212

§ 10 Die Wirkungen einer dem Rechtsbehelf stattgebenden Entscheidung

tungsberechtigter. Eine „Rechtskrafterstreckung“ der Beschwerdeentscheidung ist weder dogmatisch begründbar noch aus Zweckmäßigkeitserwägungen vonnöten.

E. Rückwirkende Unwirksamkeit von Verfahrenshandlungen? Wie schon erläutert, wird das wegen Verstoßes gegen die internationale Zuständig- 532 keit zu Unrecht eröffnete Hauptinsolvenzverfahren in Folge einer Anfechtung nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO aufgehoben oder als Partikularinsolvenzverfahren fortgeführt.961) Im letzteren Fall gelten die Wirkungen der Eröffnungsentscheidung territorial begrenzt auf das Gebiet des Eröffnungsstaates fort. Eröffnet in der Folge ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats ein neues Hauptinsolvenzverfahren, wird das Partikularverfahren zu einem Sekundärinsolvenzverfahren.962) Eine Fortführung als Partikularverfahren dürfte aufgrund der strengen Anforderun- 533 gen, die die EuInsVO an die Zulässigkeit eines solchen Verfahrens stellt, jedoch nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen.963) In der Regel wird die Eröffnungsentscheidung aufzuheben und das Verfahren einzustellen sein. In diesem Fall stellt sich die Frage, welche Auswirkungen die Verfahrenseinstellung auf bereits getätigte Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters und insbesondere auf den Fortbestand eventuell begründeter Masseverbindlichkeiten hat.

I.

Wirkungen der Einstellung richten sich nach nationalem Recht

Die EuInsVO schweigt hinsichtlich der Wirkungen einer dem Rechtsbehelf statt- 534 gebenden Entscheidung.964) Gemäß Erwägungsgrund 34 Satz 2 der Verordnung bestimmen sich die „Folgen einer Anfechtung“ nach nationalem Recht. Ob damit nur die Folgen der Einlegung des Rechtsbehelfs oder auch die Rechtsfolgen im Erfolgsfall gemeint sind, kann jedoch offenbleiben: Nach Art. 7 EuInsVO regelt die lex fori concursus nicht nur die Wirkungen einer Verfahrenseröffnung, sondern auch die Wirkungen einer Beendigung des Insolvenzverfahrens (Art. 7 Abs. 2 lit. j EuInsVO). Mangels einer unionsrechtlichen Regelung muss es daher erneut zunächst eine Frage des jeweiligen nationalen Rechts sein, ob und inwieweit Handlungen des Insolvenzverwalters, die dieser vor der Wirksamkeit einer dem Rechtsbehelf stattgebenden Entscheidung vorgenommen hat, nach Aufhebung der Eröffnungsentscheidung wirk-

___________ 961) Siehe oben Rn. 460 ff. 962) Art. 3 Abs. 4 Satz 2 EuInsVO. 963) Zu den nach Art. 3 Abs. 4 Satz 1 EuInsVO erforderlichen Voraussetzungen für die Eröffnung eines Partikularverfahrens siehe bereits oben Rn. 463. 964) Dammann/Sénéchal, Le droit de l’insolvabilité internationale, Rn. 419; Wimmer/Bornemann/ Lienau, Die Neufassung der EuInsVO, Rn. 266.

213

Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

sam bleiben.965) Das nationale Recht muss sich auch in diesem Punkt am Effektivitätsgrundsatz und dem Gebot der Wirksamkeit des Unionsrechts messen lassen. Die Wertungen der EuInsVO kommen erst recht zum Tragen, sofern die Rechtsordnung eines Mitgliedstaats keine entsprechende ausdrückliche Regelung vorsieht.

II. Rückwirkung der Aufhebungsentscheidung? 1.

Ausnahmecharakter einer Rückwirkung und ihre Rechtfertigung

535 Wird der sofortigen Beschwerde des Schuldners gegen den Eröffnungsbeschluss eines deutschen Gerichts gemäß § 34 Abs. 2 InsO stattgegeben, entfallen mit der Wirksamkeit der Aufhebungsentscheidung die Rechtsfolgen der Verfahrenseröffnung mit rückwirkender Kraft.966) Wirksam ist die Aufhebungsentscheidung infolge einer sofortigen Beschwerde nach § 34 InsO erst mit deren Rechtskraft, da im rein nationalen Kontext § 6 Abs. 3 InsO – anders als nach hier vertretener Auffassung im Anwendungsbereich von Art. 102c § 4 EGInsO967) – ohne Weiteres gilt. Gleiches betrifft den Fall der erfolgreichen Anfechtung einer vorläufigen Sicherungsmaßnahme nach § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO.968) Die wirksame Aufhebungsentscheidung beseitigt die Rechtsfolgen der „vorläufigen“ oder „endgültigen“ Verfahrenseröffnung von Anfang an. Entsprechend stellt sich die Rechtslage in Österreich dar: Auch die Aufhebung der Eröffnungsentscheidung infolge eines Rekurses nach § 71c österIO bewirkt, dass sämtliche mit der Verfahrenseröffnung verbundenen Rechtsfolgen grundsätzlich ex tunc beseitigt und als nicht eingetreten angesehen werden.969)

536 Für die sofortige Beschwerde gegen eine deutsche Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO lässt Art. 102c § 4 EGInsO offen, ob die Wirkungen einer Aufhebungsentscheidung infolge der Anfechtung nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO in Parallele zu § 34 InsO mit rückwirkender Kraft oder lediglich mit Wirkung für die Zukunft entfallen. Einen Anhaltspunkt bietet jedoch Art. 102c § 3 Abs. 2 Satz 1 EGInsO: Wird ein in Deutschland prioritätsprinzipswidrig eröffnetes Hauptinsolvenzverfahren zugunsten eines zuvor im EU-Ausland eröffneten Hauptverfahrens eingestellt (Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 a. E. EGInsO), bleiben die Wirkungen des ___________ 965) Brinkmann/Brinkmann, EIR, Art. 5 Rn. 19; K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 5 EuInsVO Rn. 16. MüKoBGB/Kindler, Art. 5 EuInsVO Rn. 11. Kritisch zur Maßgeblichkeit nationalen Rechts siehe Bork/van Zwieten/Ringe, EIR, Art. 5 Rn. 5.17 f. und noch ausführlich unten Rn. 586 ff. 966) Der Schuldner wird so gestellt, als ob er niemals die Verwaltungs- oder Verfügungsbefugnis über sein Vermögen verloren hätte. Von ihm nach Verfahrenseröffnung vorgenommene Rechtsgeschäfte sind somit wirksam, MüKoInsO/Busch, § 34 Rn. 87, 93; HK-InsO/Laroche, § 34 Rn. 40; Uhlenbruck/Pape, § 34 Rn. 30; Jaeger/Schilken, InsO, § 34 Rn. 28 f.; Jaeger/Weber, KO, § 109 Rn. 4. Siehe oben Rn. 181. 967) Siehe oben Rn. 487 ff. 968) Bork, Insolvenzrecht, Rn. 134. 969) Bartsch/Pollak/Buchegger/Schumacher, II/2, § 79 KO Rn. 16 m. w. N.

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§ 10 Die Wirkungen einer dem Rechtsbehelf stattgebenden Entscheidung

eingestellten Verfahrens, die nicht auf die Dauer des Verfahrens beschränkt sind, bestehen. Im Umkehrschluss enden alle Rechtsfolgen des inländischen Verfahrens, die lediglich für die Dauer des Verfahrens bestehen, mit dessen Einstellung.970) Die Verfahrenswirkungen entfallen jedoch – abweichend von § 34 InsO – nur ex nunc.971) Die ex nunc-Wirkung der Verfahrenseinstellung dient vordergründig der Rechtssi- 537 cherheit und dem Schutz des Vertrauens des Rechtsverkehrs in die Wirkungen einer formell ordnungsgemäßen Verfahrenseröffnung.972) Insofern stellt die Rückwirkung der Aufhebungsentscheidung infolge der sofortigen Beschwerde nach § 34 Abs. 2 InsO im deutschen Insolvenzrecht eine Ausnahmeregelung dar. Sie erklärt sich auch vor dem Hintergrund der eng begrenzten Beschwerdeberechtigung: Allein der Schuldner ist gemäß § 34 Abs. 2 InsO befugt, sofortige Beschwerde gegen den Eröffnungsbeschluss – oder gemäß § 21 Abs. 1 Satz 2 InsO gegen eine vorläufige Sicherungsmaßnahme – einzulegen. Er soll hierdurch das Vorliegen der Eröffnungsvoraussetzungen zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung rügen können; insbesondere die Existenz eines Eröffnungsgrundes. Wird seiner Beschwerde stattgegeben und die Verfahrenseröffnung aufgehoben, ist das Schutzbedürfnis für das Vertrauen des Rechtsverkehrs in den Bestand der Eröffnungswirkungen relativiert. Deren Beseitigung dient der Rehabilitierung des Schuldners, der nicht an den Wirkungen einer unrechtmäßigen Verfahrenseröffnung festgehalten werden soll. Eine erhebliche Einschränkung zugunsten der Rechtssicherheit macht freilich § 34 Abs. 3 Satz 3 InsO: Die Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters bleiben trotz der rückwirkenden Aufhebung der Verfahrenseröffnung zum Schutze des Rechtsverkehrs wirksam.973) Ohne dass die österreichische Insolvenzordnung eine entsprechende Regelung enthält, gilt in Österreich nichts anderes.974) ___________ 970) Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 102c § 3 EGInsO Rn. 10. 971) Begr. RegE zum Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Insolvenzrechts vom 25.10.2002, BT-Drucks. 15/16, S. 15; K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 102c § 3 EGInsO Rn. 4; KPB/Kemper, InsO, Art. 102 § 4 EGInsO Rn. 10; HK-InsO/Swierczok, Art. 102 § 4 EGInsO Rn. 6; MüKoInsO/Thole, Art. 102c § 3 EGInsO Rn. 9. 972) Auch die Verfahrenseinstellungen nach § 207 und §§ 211 ff. InsO erfolgen lediglich mit Wirkung für die Zukunft, siehe § 215 InsO. 973) Die Vorschrift findet nach einhelliger Meinung analoge Anwendung, wenn ein Gericht noch im Eröffnungsverfahren eine vorläufige Insolvenzverwaltung aufhebt, siehe KPB/Blankenburg, InsO, § 25 Rn. 22, MüKoInsO/Busch, § 34 Rn. 98; MüKoInsO/Haarmeyer/Schildt, § 25 Rn. 24; HK-InsO/Laroche, § 25 Rn. 3, § 34 Rn. 44; KPB/G. Pape, InsO, § 34 Rn. 116; Uhlenbruck/ I. Pape, InsO, § 34 Rn. 31; Jaeger/Schilken, InsO, § 34 Rn. 35; FK-InsO/Schmerbach, § 34 Rn. 70; Uhlenbruck, KTS 1994, 169, 182. Dass Handlungen eines Verwalters im „steckengebliebenen“ Verfahren wirksam bleiben, war auch schon im Anwendungsbereich der Konkursordnung allgemein anerkannt, BGH, Urt. v. 10.6.1959 – V ZR 204/57, BGHZ 30, 173 = NJW 1959, 1873, 1874; Jaeger/Weber, KO, § 109 Rn. 4; Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 109 Rn. 8. Für den Fall einer Verfahrenseinstellung nach Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 a. E. EGInsO enthält Art. 102c § 3 Abs. 2 Satz 2 EGInsO eine parallele Regelung. 974) Bartsch/Pollak/Buchegger/Schumacher, II/2, § 79 KO Rn. 21 m. w. N. und ausdrücklichem Verweis auf § 34 Abs. 3 Satz 3 InsO.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

538 Rügt der Schuldner erfolgreich das Bestehen der Eröffnungsvoraussetzungen und insbesondere das Vorliegen eines Insolvenzgrundes, bedarf die Insolvenzmasse somit keines Schutzes. Zwischenzeitliche Rechtshandlungen des Schuldners – sofern sie nicht mit Handlungen des Verwalters kollidieren – leben rückwirkend wieder auf. Das Bedürfnis nach Vertrauensschutz wird zudem durch die alleinige Beschwerdeberechtigung des Schuldners eingeschränkt. Die Beseitigung der Eröffnungswirkungen ex tunc ist daher gerechtfertigt.

2.

Besonderheiten des Art. 5 Abs. 1 EuInsVO

539 Grundlegend anders verhält es sich jedoch bei einer Anfechtung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO. Im Streit steht nicht das grundsätzliche Bestehen der Eröffnungsvoraussetzungen, wie etwa der materiellen Insolvenz des Schuldners, sondern allein die internationale Zuständigkeit des eröffnenden Gerichts nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO. In diesem Fall kommt dem Vertrauen des Rechtsverkehrs in die Wirkungen der Eröffnungsentscheidung ein erhöhtes Schutzbedürfnis zu.

540 So ergibt sich der Wegfall der Verfahrenswirkungen lediglich mit Wirkung für die Zukunft bereits zwingend aus den Wertungen der EuInsVO. Die Verordnung hat sich zum Ziel gesetzt, die effiziente und wirksame Abwicklung grenzüberschreitender Insolvenzverfahren zu gewährleisten (Erwägungsgründe 1, 3 und 8 EuInsVO). Eine rückwirkende Unwirksamkeit, wie sie § 34 Abs. 3 InsO anordnet, hätte zulasten des Rechtsverkehrs eine erhebliche Unsicherheit und Gefahr für die Masse zur Folge:975) Auch die Eröffnungsentscheidung eines international unzuständigen Gerichts ist als Hoheitsakt grundsätzlich wirksam und entfaltet Sperrwirkung nach Art. 19 Abs. 2, Art. 3 Abs. 3 EuInsVO.976) Solange das zu Unrecht eröffnete erste Verfahren nicht aufgehoben ist, sind die Gerichte im „richtigen“ COMI-Staat an der Eröffnung eines weiteren Hauptinsolvenzverfahrens gehindert. Aufgrund der Sperrwirkung des ersten Verfahrens kann die neue Verfahrenseröffnung somit erst nach der Aufhebungsentscheidung erfolgen. Ließe die Aufhebung der Eröffnungsentscheidung infolge der erfolgreichen Anfechtung nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO die Wirkungen der ersten Verfahrenseröffnung von Anfang an entfallen, würde das Vermögen des Schuldners rückwirkend bis zu dem Zeitpunkt frei, in dem ein neues Hauptinsolvenzverfahren im Ausland eröffnet wird. In der Zwischenzeit könnte der Schuldner zum Nachteil der Gläubigergesamtheit frei über sein Vermögen verfügen, gleichzeitig wäre es Zugriffen einzelner Gläubiger ausgesetzt.

541 Um das rückwirkende Freiwerden der Insolvenzmasse im Fall der Verfahrensaufhebung zu vermeiden, müsste man Gerichten anderer Mitgliedstaaten beinahe dazu raten, vorsorglich positive Kompetenzkonflikte zu provozieren und unter Verstoß ge___________ 975) Ebenso KPB/Madaus, InsO, Art. 5 EuInsVO 2015 Rn. 24. 976) Siehe oben Rn. 87 ff.

216

§ 10 Die Wirkungen einer dem Rechtsbehelf stattgebenden Entscheidung

gen die Sperrwirkung ebenfalls zu einem frühen Zeitpunkt ein „zweites“ Hauptinsolvenzverfahren zu eröffnen, was dann im Falle der Aufhebung des ersten Verfahrens als alleiniges Hauptverfahren aufleben und weitergeführt werden könnte. Dass eine solche Praxis nicht allein aufgrund der damit verbundenen immensen Rechtsunsicherheit ein Rückfall in die dunkelsten Anfänge des europäischen Insolvenzrechts bedeuten würde, liegt auf der Hand. Somit wird deutlich, dass die rückwirkende Kraft einer Aufhebungsentscheidung die Motive für die Schaffung des europäischen Rechtsbehelfs, die Effizienz grenzüberschreitender Insolvenzen zu verbessern und zur Stärkung der Gläubigerrechte beizutragen, im schlimmsten Fall vollkommen konterkarieren würde. Schließlich kommt hinzu, dass mittelbare Folge der Verfahrensaufhebung in vielen 542 Fällen nicht sein wird, dass der Schuldner gänzlich „um ein Insolvenzverfahren herumkommt“, sondern dass das Verfahren lediglich in einem anderen Staat durchgeführt wird. Steht allein die internationale Eröffnungszuständigkeit im Streit, wird auf die Aufhebungsentscheidung häufig eine erneute Verfahrenseröffnung im „richtigen“ COMI-Staat erfolgen – vorausgesetzt, nach dem Recht dieses Staates sind die Eröffnungsvoraussetzungen gegeben. In dieser nicht ganz unwahrscheinlichen Situation erfordern die Sicherung der Masse und der Schutz der Gläubiger, die Wirkungen der „falschen“ Eröffnungsentscheidung so lange wie möglich aufrecht zu erhalten. Im Idealfall ermöglicht eine Kooperation der Gerichte, dass die neue Eröffnungsentscheidung unmittelbar nach der Aufhebung der alten erfolgt – das Verfahren also so nahtlos wie möglich in den richtigen COMI-Staat „umzieht“. Regeln nationale Verfahrensordnungen – wie die deutsche – die Rechtsfolgen einer 543 Aufhebungsentscheidung nicht ausdrücklich, entfallen die Eröffnungswirkungen somit lediglich mit Wirkung für die Zukunft.977) Im österreichischen Recht kann der (ungeschriebene) vorherrschende Grundsatz, dass die Eröffnungswirkungen aufgrund einer Verfahrensaufhebung infolge eines Rekurses nach § 71c österIO rückwirkend entfallen, im Falle einer Anfechtung nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO keine Geltung beanspruchen. Sollte ein nationales Verfahrensrecht eine entsprechende Regelung ausdrücklich vorsehen, ist die nationale Vorschrift im Anwendungsbereich der Verordnung wegen Verstoßes gegen den Effektivitätsgrundsatz und das Gebot der Wirksamkeit des Unionsrechts unwirksam und nicht anzuwenden.

III. Fortbestand von Handlungen des Insolvenzverwalters Mit der Wirksamkeit der Aufhebungsentscheidung endet das Amt des (vorläufigen) 544 Insolvenzverwalters kraft Gesetzes.978) Da die Wirkungen der Eröffnungsentscheidung jedoch lediglich ex nunc entfallen, bleiben trotz der Aufhebungsentscheidung mas___________ 977) Im Ergebnis ebenso KPB/Madaus, InsO, Art. 5 EuInsVO 2015 Rn. 24. 978) Für Deutschland: MüKoInsO/Busch, § 34 Rn. 88, 105; FK-InsO/Schmerbach, § 34 Rn. 67. Für Österreich: Dellinger/Oberhammer/Koller, Insolvenzrecht, Rn. 386.

217

Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

serelevante Rechtshandlungen, die während des eingestellten Verfahrens vom Insolvenzverwalter oder ihm gegenüber in Ausübung seines Amtes vorgenommen worden sind, wirksam. Im deutschen Recht bedarf es einer Analogie zu § 34 Abs. 3 Satz 3 InsO oder Art. 102c § 3 Abs. 2 Satz 2 EGInsO insofern nicht.979) Wirksam und sowohl den Vertragspartner als auch den Schuldner bindend bleiben daher vom (vorläufigen) Insolvenzverwalter getätigte Rechtshandlungen, wie etwa zum Erhalt des Schuldnervermögens abgeschlossene Verträge, die Verwertung einzelner Gegenstände des Schuldnervermögens durch Veräußerung oder Belastung, die Aufnahme von Massekrediten980), die Ablehnung einer Vertragserfüllung oder die Kündigung von Dauerschuldverhältnissen.981) Gleiches gilt sogar für die im Wege eines asset deal durchgeführte Veräußerung des schuldnerischen Unternehmens.982)

545 Ob dieses Ergebnis – trotz der grundsätzlichen ex nunc-Wirkung der Verfahrensaufhebung – im Falle einer erfolgreichen Anfechtung nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO tatsächlich sachgerecht ist, bedarf zumindest einer kurzen Überprüfung. Zwar muss der Rechtsverkehr auch im Rahmen der Aufhebung der Eröffnungsentscheidung aufgrund fehlender internationaler Zuständigkeit auf den Bestand der gerichtlichen Verwalterbestellung und auf die Wirksamkeit dessen Handlungen vertrauen können dürfen.983) Der Fortgeltung des Verwalterhandelns könnten jedoch höherrangige Wertungen des Unionsrechts entgegenstehen. Unumkehrbare Maßnahmen des Verwalters können die Effektivität des Anfechtungsrechts aus Art. 5 Abs. 1 EuInsVO nahezu vollständig aufheben. Ist dies der Fall, bleibt der unionsrechtlich garantierte Rechtsbehelf ohne Wirkung. Am deutlichsten wird dies am Beispiel eines Unternehmensverkaufs: Hat der Verwalter – etwa im Rahmen eines sog. „pre-pack sale“984) – das schuldnerische Unternehmen bereits durch eine übertragende Sanierung veräußert, kann ein Anfechtungsberechtigter zwar erfolgreich feststellen lassen, dass das Insolvenzgericht international nicht zuständig war und das Hauptinsolvenzverfahren zu Unrecht eröffnet hat. Dieser Erfolg ist für den Anfechtungsberechtigten jedoch größtenteils wertlos, da das wirksame Verkaufsgeschäft trotz der Aufhebung der Eröffnungsentscheidung nicht – oder jedenfalls nicht ohne völlig unverhältnismäßigen (Kosten-)Aufwand – rückabzuwickeln ist. Gleiches wird in den Fällen der Verwertung wesentlicher Unternehmensbestandteile oder der Stilllegung des Geschäftsbetriebs gelten. ___________ 979) 980) 981) 982)

So aber K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 5 EuInsVO Rn. 16. Dies wird sogleich noch näher untersucht, siehe unten Rn. 549 ff. Wie etwa eines Mietvertrags. Da solche unumkehrbaren Maßnahmen die Effektivität des Anfechtungsrechts nach Art. 5 EuInsVO nahezu vollständig aufheben, sollten sie zumindest während eines laufenden Rechtsbehelfsverfahrens suspendiert sein, siehe oben Rn. 456. 983) K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 5 EuInsVO Rn. 16. 984) Siehe hierzu bereits oben Rn. 450 f.; Cohen, 3 CRI (2013), 83, 84 f.; Dammann, FS GrafSchlicker, S. 245 f.

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§ 10 Die Wirkungen einer dem Rechtsbehelf stattgebenden Entscheidung

Auch das Anfechtungsrecht des Art. 5 EuInsVO dient letztlich dem Ziel der EuInsVO, 546 die effiziente und wirksame Abwicklung grenzüberschreitender Insolvenzverfahren zu gewährleisten (Erwägungsgründe 1, 3 und 8 EuInsVO). Als Bestandteil der Schutzvorkehrungen zur Absicherung des Zuständigkeitsregimes soll es den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens stärken und Forum Shopping und Insolvenztourismus verhindern.985) Die Effektivität des Rechtsbehelfs beansprucht somit nicht uneingeschränkte Wirkung, sondern ist stets im Lichte der übergeordneten Motive der Verordnung zu betrachten. Die effiziente und wirksame Durchführung grenzüberschreitender Insolvenzverfahren wäre erheblich in Gefahr, wenn die Aufhebung der Eröffnungsentscheidung auch die Wirkung sämtlichen Verwalterhandelns rückwirkend entfallen ließe. Der Erhalt von Unternehmenswerten erfordert im Insolvenzfall vom Verwalter ent- 547 schiedenes und vor allem verlässliches Handeln. Könnte der Rechtsverkehr nicht auf die Wirksamkeit der Rechtshandlungen des Verwalters vertrauen, würden sich Vertragspartner vor der Rechtskraft der Eröffnungsentscheidung kaum auf Geschäfte mit ihm einlassen. Gerade aufgrund der Eilbedürftigkeit von Insolvenzverfahren ist eine solche Ungewissheit unbedingt zu vermeiden.986) Ein schwebendes Risiko der Unwirksamkeit hätte unweigerlich die Vernichtung von erheblichen Werten zur Folge, wodurch sich letztlich auch die Masse und die Befriedigungschancen sämtlicher Gläubiger reduzierten. Dieses Ergebnis liefe der Zielsetzung der Verordnung zuwider. Um einen effizienten Verfahrensablauf zu gewährleisten, muss das Insolvenzrecht allgemein in Kauf nehmen, Rechtsschutzmöglichkeiten der Betroffenen einzuschränken. So ist im deutschen Insolvenzrecht etwa das Recht zur Beschwerde gegen insolvenzgerichtliche Entscheidungen auf ausdrücklich genannte Fälle beschränkt und ein eingelegter Rechtsbehelf gegen eine Eröffnungsentscheidung hat keine aufschiebende Wirkung.987) Auch die fortbestehende Wirksamkeit des Verwalterhandels kann im Falle von unumkehrbaren Maßnahmen die Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die Verfahrenseröffnung de facto einschränken, ist angesichts der angestrebten effizienten Durchführung von Insolvenzverfahren jedoch unerlässlich. Hierfür spricht nicht zuletzt auch der im Unionsrecht verankerte Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens. Selbst wenn ein international unzuständiger Verwalter tätig wurde, gebietet dieser Grundsatz anzunehmen, dass er im bestmöglichen Interesse ___________ 985) Siehe Erwägungsgrund 29 EuInsVO. Commission Staff Working Document, Impact Assessment accompanying the Revision of Regulation (EC) No. 1346/2000 on Insolvency Proceedings, SWD(2012) 416, S. 19; Vallender/Vallender/Zipperer, EuInsVO, Art. 5 Rn. 1. Siehe bereits oben Rn. 245 ff. 986) KPB/Madaus, InsO, Art. 5 EuInsVO 2015 Rn. 24; siehe auch Bartsch/Pollak/Buchegger/ Schumacher, II/2, § 79 KO Rn. 21 m. w. N. 987) Gleiche Regelungen finden sich unter anderem im österreichischen und im französischen Insolvenzrecht, siehe oben Rn. 448. Zu Einschränkungen der Rechtsschutzmöglichkeiten im Insolvenzverfahren siehe ebenso bereits Rn. 453 f.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

der Insolvenzmasse gehandelt hat, sodass die fortgeltende Wirksamkeit seines Handelns gerechtfertigt ist.

548 Auch bei Aufhebung der Eröffnungsentscheidung aufgrund der Anfechtung nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO ist der Fortbestand des Verwalterhandelns somit unerlässlich.988) Hiervon unabhängig sind jedoch zwei Feststellungen zu treffen: Zum einen sollten die jeweiligen nationalen Rechtsordnungen Regelungen vorsehen, um im Einzelfall, und insbesondere während schwebender Rechtsbehelfsverfahren, unumkehrbare Maßnahmen des Insolvenzverwalters suspendieren zu können.989) Und zum anderen setzt sich ein Verwalter, der trotz der absehbaren Aufhebung der Eröffnungsentscheidung entsprechende wirksame Rechtshandlungen vornimmt, der Gefahr einer haftungsrechtlichen Inanspruchnahme aus.990)

IV. Schicksal der vom Verwalter begründeten Verbindlichkeiten 549 Auf der Grundlage der These, dass Rechtshandlungen des im zu Unrecht eröffneten Hauptinsolvenzverfahren eingesetzten Insolvenzverwalters wirksam bleiben, sei nun folgender Fall untersucht: Der Verwalter hat in dieser Zeit Verbindlichkeiten begründet, etwa indem er einen Kredit für die Masse aufgenommen hat, und hat diese noch nicht erfüllt. Es ist von besonderem Interesse, wie mit diesen Verbindlichkeiten nach der rechtskräftigen Aufhebungsentscheidung zu verfahren ist.

550 Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, sollen zunächst die grundsätzlichen Auswirkungen der Verfahrenseinstellung auf zwischenzeitlich begründete Verbindlichkeiten dargestellt werden. Der Übersichtlichkeit halber muss sich die Untersuchung auf die Rechtslage in Deutschland beschränken. Anschließend wird die Übertragbarkeit dieser Grundsätze auf die Situation der Anfechtung nach Art. 5 EuInsVO geprüft. Dabei wird der Versuch unternommen, basierend auf den Wertungen der Verordnung einen Lösungsvorschlag mit unionsweitem Geltungsanspruch zu entwickeln.

1.

Grundsatz

551 Mit der Wirksamkeit der Aufhebungsentscheidung endet das Amt des Insolvenzverwalters kraft Gesetzes. Da die Beschlagswirkungen des Insolvenzverfahrens entfallen, erlangt der Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen zurück. Der Verwalter hat das in Beschlag genommene Vermögen des Schuldners (Insolvenzmasse) an den Schuldner herauszugeben.991) An den Schuld___________ 988) Im Ergebnis ist daher K. Schmidt/Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 5 EuInsVO Rn. 16, zuzustimmen. 989) Siehe bereits oben Rn. 456. 990) Dazu sogleich Rn. 570 ff. 991) MüKoInsO/Busch, § 34 Rn. 105; FK-InsO/Schmerbach, § 34 Rn. 67.

220

§ 10 Die Wirkungen einer dem Rechtsbehelf stattgebenden Entscheidung

ner fällt nicht nur die (Ver-)Teilungsmasse (Aktivmasse), sondern auch die Schuldenmasse (Passivmasse) zurück, die aus den gegenüber den Insolvenzgläubigern bestehenden Verbindlichkeiten besteht.992) Hierzu gehören auch die Verbindlichkeiten, die der Verwalter im inzwischen eingestellten Verfahren begründet hat (Masseverbindlichkeiten).993) Gläubiger, die infolge von Geschäften mit dem Verwalter Forderungen gegen die Masse erworben haben (Massegläubiger), müssten sich an den Schuldner halten. Somit haftet für Masseverbindlichkeiten nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens grundsätzlich allein das Schuldnervermögen. Dass dies zu unbilligen Lösungen führen kann, war schon zu Zeiten der Konkursord- 552 nung bekannt. Aus diesem Grund hatte der ehemalige Verwalter vor der vollständigen Rückgabe der Masse die auf Grundlage des eröffneten Verfahrens entstandenen Verbindlichkeiten zu erfüllen (§ 116 Satz 2, § 191 Abs. 1 KO).994) Eine entsprechende Vorschrift findet sich in der InsO nur für das Eröffnungsverfahren: Ist die Verfügungsbefugnis auf einen vorläufigen Verwalter übergegangen und werden Sicherungsmaßnahmen aufgehoben, hat der vorläufige Verwalter vor der Aufhebung seiner Bestellung die aus dem von ihm verwalteten Vermögen entstandenen Kosten zu berichtigen und die von ihm begründeten Verbindlichkeiten zu erfüllen (§ 25 Abs. 2 Satz 1 InsO). Wenngleich eine ausdrückliche gesetzliche Regelung fehlt, zieht die ganz überwiegende Meinung den Rechtsgedanken des § 25 Abs. 2 InsO doch auch für solche Masseverbindlichkeiten heran, die im endgültigen Verfahren begründet worden sind: Um nach dem Rückfall der Verfügungsbefugnis auf den Schuldner zu vermeiden, dass aus der Amtszeit des Verwalters noch Verbindlichkeiten offen stehen, über die Streit entstehen könnte, soll der Verwalter vor Herausgabe der Insolvenzmasse an den Schuldner verpflichtet sein, entstandene Masseverbindlichkeiten zu begleichen.995) Ein nicht unwesentlicher Teil der Literatur gesteht ihm diese Aufgabe ausdrücklich auch noch nach der rechtskräftigen Aufhebungsentscheidung

___________ 992) Uhlenbruck/Hirte/Praß, InsO, § 35 Rn. 52; MüKoInsO/Peters, § 35 Rn. 21. 993) Zur Begrifflichkeit: Von Masseverbindlichkeiten (§§ 53 ff. InsO) spricht man im deutschen Recht erst nach der endgültigen Verfahrenseröffnung durch den Eröffnungsbeschluss (§ 27 InsO). Begründet der vorläufige Verwalter im Eröffnungsverfahren Verbindlichkeiten, werden diese erst mit der endgültigen Eröffnung zu Masseverbindlichkeiten, § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO. Da die EuInsVO nicht zwischen vorläufiger und endgültiger Eröffnung unterscheidet, werden hier der Einfachheit halber entgegen der Terminologie der InsO auch vom vorläufigen Verwalter begründete Verbindlichkeiten bereits als Masseverbindlichkeiten bezeichnet. Hiervon zu unterscheiden sind Masseforderungen. Dabei handelt es sich um Forderungen, die der Masse selbst gegen ihre Schuldner zustehen. 994) Siehe RG, Urt. v. 15.11.1895 – Rep. III. 228/95, RGZ 36, 93, 94 f.; Kuhn, KTS 1957, 6 f.; Kuhn/Uhlenbruck, KO, § 116 Rn. 6 ff.; Jaeger/Weber, KO, § 116 Rn. 2. 995) MüKoInsO/Busch, § 34 Rn. 106; MüKoInsO/Haarmeyer/Schildt, § 25 Rn. 25; K. Schmidt/ Keller, InsO, § 34 Rn. 52; HK-InsO/Laroche, § 34 Rn. 42; KPB/Pape, InsO, § 34 Rn. 117 ff.; Jaeger/Schilken, InsO, § 34 Rn. 36; FK-InsO/Schmerbach, § 34 Rn. 67.

221

Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

zu.996) Dies soll das Vertrauen der mit dem Verwalter kontrahierenden Gläubiger und das Vertrauen in die diesem eingeräumte Rechtsstellung schützen.997)

553 Die (nachwirkenden) Befugnisse des ehemaligen Verwalters gelten jedoch nicht unbegrenzt. Sie und die Eingriffskompetenzen in die Rechte des Schuldners seien „auf das unabweisbar notwendige Mindestmaß zu beschränken“.998) Die fortgeltende Verfügungsbefugnis des Verwalters erstrecke sich daher nur auf die dem Verwalter zugänglichen Barmittel einschließlich des Buchgeldes. Er sei nicht berechtigt, sonstige Vermögensgegenstände des Schuldners zur Schaffung von Liquidität zu verwerten.999) Reichen die zur Verfügung stehenden Mittel zur Befriedigung der Masseverbindlichkeiten nicht aus, haben sich die Massegläubiger – vorbehaltlich einer Inanspruchnahme des Verwalters aus §§ 60, 61 InsO – an den Schuldner zu halten.1000)

2.

Besonderheiten der Verfahrensaufhebung infolge einer Anfechtung nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO

554 Im Falle der Aufhebung des Insolvenzverfahrens infolge einer erfolgreichen Anfechtung nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO besteht die Besonderheit, dass der Schuldner trotz der erfolgreichen Rechtsbehelfseinlegung keineswegs zwingend auch in Zukunft weiterhin frei über sein Vermögen verfügen können wird. Auf die Aufhebung folgt möglicherweise umgehend eine erneute Verfahrenseröffnung in einem anderen – dem „richtigen“ – COMI-Staat. Dies ist auf den exklusiven Anfechtungsgrund des Art. 5 Abs. 1 EuInsVO zurückzuführen: Anders als bei der Verfahrenseinstellung mangels Masse oder infolge eines Rechtsbehelfs, der etwa das Nichtbestehen der Eröffnungsgründe rügt, wird häufig nicht im Streit stehen, ob überhaupt ein Insolvenzverfahren über das Schuldnervermögen durchzuführen ist. Gestritten wird lediglich darüber, in welchem Staat dieses Verfahren zu eröffnen ist. Hat die Anfechtung Erfolg, wird in diesen Fällen typischerweise also lediglich ein „Umzug“ des Insolvenzverfahrens erfolgen.

555 Zwar ist die erneute Verfahrenseröffnung im „richtigen“ COMI-Staat keinesfalls zwingend: Sie kann etwa daran scheitern, dass nach dem dortigen Insolvenzrecht ein Eröffnungsgrund (noch) nicht vorliegt, ein Verfahren also schon deshalb nicht eröffnet werden kann, es an einem Eröffnungsantrag fehlt oder (auch das ist zumindest theoretisch denkbar) der Schuldner gar nicht insolvenzfähig ist. Dennoch ___________ 996) So ausdrücklich MüKoInsO/Busch, § 34 Rn. 106; Braun/Herzig, InsO, § 34 Rn. 30; Jaeger/ Schilken, InsO, § 34 Rn. 36; FK-InsO/Schmerbach, § 34 Rn. 67; anders HambKommInsO/ Denkhaus, § 34 Rn. 28; Uhlenbruck/Pape, InsO, § 34 Rn. 33. 997) Jaeger/Schilken, InsO, § 34 Rn. 36; vgl. auch MüKoInsO/Haarmeyer/Schildt, § 25 Rn. 25. 998) MüKoInsO/Busch, § 34 Rn. 107; ebenso Jaeger/Schilken, InsO, § 34 Rn. 37. 999) MüKoInsO/Busch, § 34 Rn. 107; Jaeger/Schilken, InsO, § 34 Rn. 37. 1000) MüKoInsO/Busch, § 34 Rn. 107; Jaeger/Schilken, InsO, § 34 Rn. 37; siehe auch MüKoInsO/Haarmeyer/Schildt, § 25 Rn. 25; HK-InsO/Laroche, § 25 Rn. 7.

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§ 10 Die Wirkungen einer dem Rechtsbehelf stattgebenden Entscheidung

dürfte es sich dabei um Einzelfälle handeln. So hat nicht zuletzt die Geschichte der europäischen Kompetenzkonflikte1001) – und auch das NIKI-Verfahren – gelehrt, dass nach der Aufhebungsentscheidung im nicht zuständigen Staat mit einer Neueröffnung im „richtigen“ COMI-Staat durchaus zu rechnen sein dürfte. Die umgehende Eröffnung eines neuen Hauptinsolvenzverfahrens stellt daher einen typischen Geschehensablauf dar, der zur Grundlage der folgenden – allgemeinen – Überlegungen gemacht werden kann. In der Konstellation einer Neueröffnung stellt sich die Frage, ob die Verfügungs- 556 gewalt über sein Vermögen – wenn auch nur für kurze Zeit – überhaupt wieder an den Schuldner zurückfallen sollte. Die Situation ist vergleichbar mit der einer Einstellung eines prioritätsprinzipswidrig eröffneten „zweiten“ Hauptinsolvenzverfahrens zugunsten eines zuvor im Ausland eröffneten „ersten“ Verfahrens. Hier drängt sich unübersehbar das Bedürfnis auf, die Insolvenzmasse zu sichern. Für ein Freiwerden der Masse und den Rückfall der Verfügungsbefugnis an den Schuldner besteht kein Grund. Deshalb sieht im deutschen Recht Art. 102c § 3 Abs. 2 Satz 4 EGInsO ungeachtet der automatischen Wirkungserstreckung des Art. 19 Abs. 1 EuInsVO vor, dass der Insolvenzverwalter des einzustellenden Inlandsverfahrens das Inlandsvermögen im Interesse des ausländischen Hauptinsolvenzverfahrens zu sichern hat, anstatt dem Schuldner Gegenstände daraus auszuhändigen.1002) Zudem besteht hinsichtlich der vom Verwalter vor Aufhebung des Verfahrens be- 557 gründeten – und noch unbeglichenen – Verbindlichkeiten ein nicht unerheblicher Interessenskonflikt: Einerseits bedürfen die Massegläubiger des aufzuhebenden Verfahrens eines gewissen Schutzes. Sie waren nur deshalb bereit, mit dem zwischenzeitlich bestellten Verwalter Verträge zu schließen und der Masse Kredit zu gewähren, weil ihren auf diesem Wege begründeten Forderungen gegen die Masse als Masseverbindlichkeiten eine privilegierte Stellung eingeräumt wurde.1003) Fallen diese Masseverbindlichkeiten als Teil der Passivmasse nach Aufhebung des Verfahrens an den Schuldner zurück, ohne dass sie vom ehemaligen Verwalter noch gesondert zu befriedigen sind, laufen die ehemaligen Massegläubiger Gefahr, leer auszugehen. Denn wird über das Vermögen des Schuldners unmittelbar ein neues Verfahren im Ausland eröffnet, „mutieren“ die ehemaligen Masseverbindlichkeiten als im Zeitpunkt der (neuen) Verfahrenseröffnung gegen den Schuldner bestehende Forderungen zu einfachen Insolvenzforderungen.1004) Der drohende Verlust ihrer Privilegierung kann dazu führen, dass potentielle Massegläubiger davon absehen, vor der Rechtskraft der Eröffnungsentscheidung – für das Überleben des schuldnerischen ___________ 1001) Siehe dazu oben Rn. 85. 1002) Begr. RegE, BT-Drucks. 15/16, S. 15; kritisch zur Pflicht des inländischen Verwalters, die Gegenstände der Masse weiter zu sichern, Pannen/Riedemann, NZI 2004, 301, 303. 1003) Siehe etwa § 25 Abs. 2, § 53 InsO; ebenfalls §§ 47 Abs. 1, 124 Abs. 1 österIO. 1004) Vgl. § 38 InsO, § 51 Abs. 1 österIO.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

Unternehmens möglicherweise essentielle – Geschäfte mit dem Verwalter abzuschließen.

558 Andererseits droht durch einen unbegrenzten Fortbestand der Privilegierung der ehemaligen Massegläubiger eine nicht hinnehmbare Belastung des neuen Verfahrens. Dies gilt insbesondere dann, wenn die vom ehemaligen Verwalter begründeten Masseverbindlichkeiten im ausländischen Verfahren nach der dort geltenden lex fori concursus an sich nicht privilegiert wären. Die Effektivität des Anfechtungsrechts aus Art. 5 Abs. 1 EuInsVO wäre erheblich in Gefahr, wenn durch Rechtshandlungen des ehemaligen Verwalters dem neuen Verfahren unbegrenzte Altlasten aufgezwungen werden könnten. Die Anfechtung der Eröffnungsentscheidung zielt gegebenenfalls gerade darauf ab, das für gewisse Gläubigergruppen günstigere – und aufgrund einer gedachten Zuständigkeitserschleichung des ersten Gerichts auch „richtige“ – nationale Insolvenzrecht zur Anwendung zu bringen. Diese Bestrebungen würden unterlaufen, wenn etwaige Privilegierungen im Recht des alten Verfahrensstandorts ungefiltert in das neue Verfahren übertragen werden würden.

559 Es stellt sich also die Frage, wie die verschiedenen Interessen in einen angemessenen Ausgleich zu bringen sind. Hierbei ist vorab zu konstatieren, dass es schon angesichts der andernfalls entstehenden Rechtsunsicherheit und Uneinheitlichkeit nicht erstrebenswert ist, die Auflösung dieses Konflikts den einzelnen nationalen Verfahrensrechten zu überlassen. Dies gilt umso mehr, als dass die untersuchten Rechtsordnungen Deutschlands, Österreichs und Frankreichs für den entsprechenden Fall keine ausdrücklichen Regelungen vorsehen. Antworten sind also in den unionsrechtlichen Anforderungen an die Effektivität des Anfechtungsrechts aus Art. 5 sowie den Wertungen der EuInsVO zu suchen. Ohne ausdrückliche europäische Regelungen wohnt dem unbestritten eine gewisse Rechtsunsicherheit inne. Es können also allenfalls Vorschläge gemacht werden, die den der Verordnung zugrunde liegenden Wertungen am ehesten entsprechen. Die Gefahr abweichender gerichtlicher Entscheidungen besteht dabei stets. Das gilt insbesondere im Kontext nationaler Verfahren, in denen die Gerichte ihrer Pflicht zur Vorlage an den EuGH nicht nachkommen.1005)

3.

Lösungsvorschlag

a) „Einfach-privilegierte“ und „doppelt-privilegierte Forderungen“ 560 Hinsichtlich der vom Verwalter des aufzuhebenden Verfahrens begründeten Verbindlichkeiten bietet sich eine differenzierende Betrachtung an. Es liegt nahe, zwischen solchen Forderungen von Massegläubigern, die auch nach der lex fori concursus ___________ 1005) Dies wird von Teilen des Schrifttums kritisiert bei BGH, Beschl. v. 29.5.2008 – IX ZB 102/07, NZI 2008, 572, siehe KPB/Kemper, InsO, Art. 102 § 4 EGInsO Rn. 18; Laukemann, JZ 2009, 636, 640. Zur Entscheidung des BGH siehe ausführlich oben Rn. 90 ff.

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§ 10 Die Wirkungen einer dem Rechtsbehelf stattgebenden Entscheidung

des neuen Verfahrensstandorts privilegiert sind, und solchen, bei denen das nicht der Fall ist, zu unterscheiden. Erstere, als „doppelt-privilegiert“ zu bezeichnende Forderungen, sind zu erfüllen. Sie werden also so behandelt, als seien sie unter dem Recht des neuen Verfahrensstaates begründet worden. Alle anderen „einfach-privilegierten Forderungen“ verlieren ihren Rang und werden infolge der neuen Eröffnungsentscheidung im Ausland im neuen Verfahren zu einfachen Insolvenzforderungen. Diese Vorgehensweise ermöglicht einen angemessenen Ausgleich zwischen den 561 schützenswerten Interessen der alten Massegläubiger und der Effektivität des Anfechtungsrechts aus Art. 5 EuInsVO. Dem Rechtsverkehr werden weiterhin Anreize gesetzt, auch bereits vor Rechtskraft der Eröffnungsentscheidung Geschäfte mit dem Insolvenzverwalter zu tätigen und Forderungen gegen die Masse zu begründen. Gleichzeitig wird verhindert, dem neuen Verfahren unbegrenzte Altlasten aufzudrängen. Durch die weiterhin zu begleichenden Masseverbindlichkeiten schmälert sich zwar die Masse des neuen Verfahrens. Diese Einbußen sind aber in Kauf zu nehmen. Erstens sind nur die Verbindlichkeiten zu erfüllen, die auch nach Maßgabe der neuen lex fori concursus privilegiert behandelt werden würden. So wird vermieden, dass das neue Verfahren durch Privilegien der alten lex fori concursus, die durch die Einlegung des Rechtsbehelfs vielleicht gerade umgangen werden sollten, belastet wird. Und zweitens ist nicht auszuschließen, dass das neue Verfahren von den Rechtshandlungen des alten Verwalters, die die Begründung von Masseverbindlichkeiten zur Folge hatten, profitiert. Zu denken ist etwa an einen Massekredit, der dazu beigetragen hat, den Geschäftsbetrieb des Unternehmens aufrecht zu erhalten. Hierdurch mag das Unternehmen jetzt wesentlich attraktiver für Investoren oder Käufer erscheinen. Auch ein solcher Vorteil rechtfertigt durchaus eine Belastung der Masse des neuen Verfahrens.

b) Begleichung der Forderungen: Pflicht des neuen Verwalters Auch nach der Aufhebung des angefochtenen Verfahrens muss dem ehemaligen 562 Verwalter – so könnte man meinen – somit die Aufgabe zukommen, die von ihm begründeten Masseverbindlichkeiten, die auch nach der lex fori concursus des neuen Insolvenzverfahrens bevorzugt zu behandeln wären, zu begleichen. Auf welcher Grundlage ihm entsprechende Befugnisse zuzugestehen sind, ist jedoch nicht einfach zu beantworten. Denn im Zeitpunkt der Aufhebung des Verfahrens hat der Insolvenzverwalter sein Amt und sämtliche damit einhergehenden Kompetenzen verloren. Die Verfahrensaufhebung aufzuschieben, um dem Verwalter die Gelegenheit zur Begleichung der Verbindlichkeiten zu geben, ist keine Option: Um das Zuständigkeitsregime des Art. 3 EuInsVO und die Wirksamkeit des Rechtsbehelfs aus Art. 5 zu wahren, müssen die Wirkungen des zu Unrecht eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens so schnell wie möglich beseitigt werden. Im international zuständigen Staat kann ein erneutes Hauptinsolvenzverfahren erst eröffnet werden, wenn die Sperr-

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

wirkung der rechtswidrigen Eröffnungsentscheidung aufgehoben wurde, sodass es die EuInsVO nicht zulässt, die Einstellung des rechtswidrigen Verfahrens über die Entscheidungsreife hinaus zu verzögern.

563 Dem ehemaligen Verwalter steht somit auf keinen Fall die Befugnis zu, zwecks Befriedigung der Masseverbindlichkeiten Vermögensgegenstände des Schuldners zu veräußern und zu verwerten und auf diesem Wege der Insolvenzmasse des neuen Verfahrens Gegenstände zu entziehen. Auch der bisweilen im nationalen Recht vertretene Ansatz, ihm lediglich den Rückgriff auf das vorhandene Barvermögen einschließlich des Buchgeldes zu gestatten,1006) ist nicht sachgerecht. Erstens ist nicht ersichtlich, warum ausgerechnet die liquiden (Bar-)Mittel als eine Art treuhänderisch verwaltetes Sondervermögen in der Gewalt des alten Verwalters verbleiben und von den Beschlagswirkungen des neuen im Ausland eröffneten Verfahrens ausgenommen sein sollten. Und zweitens wird es häufig allein vom Zufall abhängen, ob genug entsprechende liquide Finanzmittel zur Verfügung stehen, um die bestehenden Masseverbindlichkeiten zu begleichen. Dieses Kriterium bietet dem Rechtsverkehr nicht die erforderliche Sicherheit, um sich vor der Rechtskraft der Eröffnungsentscheidung ohne erhöhtes Risiko auf Geschäfte mit dem Insolvenzverwalter einzulassen.

564 Nach Aufhebung des alten und Eröffnung des neuen Insolvenzverfahrens ist in Bezug auf das Vermögen des Schuldners allein der Verwalter des neuen Verfahrens verfügungsbefugt. Somit kann nur dem neuen Insolvenzverwalter die Aufgabe zukommen, die vom Verwalter des aufgehobenen Verfahrens begründeten „doppeltprivilegierten“ Masseverbindlichkeiten zu befriedigen. Hierzu ist er auch ohne Weiteres in der Lage: Die „geerbten“ Masseverbindlichkeiten sind mit den Mitteln zu begleichen, die der neue Verwalter zur Masse des neuen Verfahrens gezogen hat.

565 Bei der Begleichung der bestehenden Verbindlichkeiten hat ihm gegebenenfalls der Verwalter des alten Verfahrens unterstützend zur Seite zu stehen. Eine entsprechende Mitwirkungspflicht des ehemaligen Verwalters lässt sich – analog zu § 58 Abs. 3 InsO – aus dessen nachwirkenden Amtspflichten begründen. So hat der ehemalige Verwalter dem neuen Verwalter sämtliche in Ausübung seines Amtes erworbenen Gegenstände und Informationen zu überlassen, die dieser benötigt, um seinen Aufgaben nachzukommen. Darunter fällt nicht nur die Pflicht, die Massegegenstände und verfahrensbezogenen Unterlagen herauszugeben, sondern auch, dem neuen Verwalter – zumindest auf Anfrage – Auskünfte zu verfahrensrelevanten Vorgängen während seiner Amtszeit zu erteilen.1007) Dies bezieht auch sämtliche Informationen mit ein, die der Verwalter des neuen Verfahrens benötigt, um prüfen zu können, ___________ 1006) Siehe oben Rn. 553. 1007) Zu den (Auskunfts-)Pflichten des gemäß § 59 InsO vorzeitig aus dem Amt entlassenen Verwalters siehe BGH, Urt. v. 4.12.2003 – IX ZR 222/02, ZIP 2004, 326, 327; BGH, Urt. v. 23.09.2010 – IX ZR 243/09, ZIP 2010, 2209 Rn. 12.

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§ 10 Die Wirkungen einer dem Rechtsbehelf stattgebenden Entscheidung

welche der im aufgehobenen Verfahren begründeten Forderungen gegen die Masse auch nach der neuen lex fori concursus privilegiert sind und welche nicht. Der neue Verwalter nimmt hier eine „Als-ob-Betrachtung“ vor: Die „geerbten“ Verbindlichkeiten werden so behandelt, als seien erst nach der Eröffnung des neuen Verfahrens begründet worden. In Rücksprache mit dem ehemaligen Verwalter dürfte es dem neuen Verwalter wesentlich leichter fallen, die einzelnen Forderungen zu überprüfen und auszuarbeiten, welche Masseverbindlichkeiten als „doppelt-privilegierte“ zu befriedigen sind.1008) Somit macht der hier unterbreitete Lösungsvorschlag zwar gegebenenfalls eine Mit- 566 wirkung des ehemaligen Verwalters erforderlich. Sind die beiden Verwalter jedoch unterschiedlicher Auffassung hinsichtlich der Frage, ob eine „doppelt-privilegierte Masseverbindlichkeit“ vorliegt, setzt sich letztlich der ausschließlich verfügungsbefugte Verwalter des neuen Verfahrens durch. Ein betroffener Gläubiger, dem der neue Verwalter die „doppelte Privilegierung“ abspricht, ist somit allein auf Rechtsschutzoptionen nach der neuen lex fori concursus angewiesen. Nach deutschem Recht könnte der Gläubiger seine Forderung im Wege der Leistungs- oder Feststellungsklage unmittelbar gegen die Masse geltend machen, ohne dabei den Beschränkungen des Insolvenzverfahrens bezüglich der Durchsetzung von Forderungen zu unterliegen.1009) Darüber hinaus kommt eine Haftung des neuen Verwalters nach den Regeln der lex fori concursus in Betracht, wenn er sich zu Unrecht der Begleichung der Masseverbindlichkeit gesperrt hat. Sie tritt gegebenenfalls neben eine Haftung des ehemaligen Verwalters, wenn diesem bereits bei der Begründung der Masseverbindlichkeiten ein Schuldvorwurf zu machen war.1010)

c)

Kompatibilität mit den Wertungen der EuInsVO

Nur diese Lösung trägt der Schutzbedürftigkeit der ehemaligen Massegläubiger aus- 567 reichend Rechnung. Der EuInsVO liegt das Motiv zugrunde, die Effizienz und Wirksamkeit grenzüberschreitender Insolvenzverfahren zu verbessern, um so zu einem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarktes beizutragen.1011) Dieses Kernziel wäre erheblich in Gefahr, wenn der Rechtsverkehr vor der Rechtskraft einer Eröff___________ 1008) Als Beispiel für eine gelungene Kooperation zwischen zwei Verwaltern dient erneut das NIKI-Verfahren: Nach Eröffnung des „zweiten“ Hauptinsolvenzverfahrens ins Österreich konnte das Unternehmen zügig an einen Investor verkauft werden. Dass dies letztlich ohne Komplikationen durch das deutsche, inzwischen als Sekundärverfahren weitergeführte, Verfahren gelangt, war zu maßgeblichen Teilen der reibungslosen Zusammenarbeit zwischen der österreichischen Masseverwalterin und dem deutschen Sekundär- (und vormaligem Haupt-)Insolvenzverwalter zu verdanken, siehe Denkhaus/Harbeck, ZInsO 2018, 949, 950, 953; Horstkotte, ZInsO 2018, 310, 312; Zipperer, ZIP 2018, 956, 961 f. 1009) MüKoInsO/Hefermehl, § 53 Rn. 46, 53; KPB/Pape/Schaltke, InsO, § 53 Rn. 34; Uhlenbruck/ Sinz, InsO, § 53 Rn. 7. 1010) Siehe dazu noch unten Rn. 570 ff. 1011) Erwägungsgründe 1, 3 und 8 EuInsVO.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

nungsentscheidung aufgrund der möglichen Folgen einer erfolgreichen Anfechtung nach Art. 5 Abs. 1 und der damit verbundenen Angst, in einem neuen Verfahren in den Rang einfacher Insolvenzforderungen zurückzufallen, keine Geschäfte mit dem Verwalter mehr einginge. Nicht nur in Sanierungsverfahren sind der Erhalt und die Gewinnung von Liquidität unerlässlich, um Insolvenzverfahren effektiv und generalpräventiv abzuwickeln.1012) Wird das Insolvenzverfahren im Wege der Entscheidung über den Rechtsbehelf aufgehoben, ist typischerweise mit der Eröffnung eines neuen Verfahrens im „richtigen“ COMI-Staat zu rechnen.1013) In diesem Fall „erbt“ der neue Verwalter sowohl die Vorteile als auch die Nachteile der Handlungen des ehemaligen Verwalters, wozu auch die „doppelt-privilegierten“ ehemaligen Masseverbindlichkeiten gehören. Ein entsprechender Fortbestand der Verbindlichkeiten und die Pflicht des neuen Verwalters, diese aus der Masse zu begleichen, ist somit der einzige Weg, um die Interessen der alten „doppelt-privilegierten“ Massegläubiger und die Interessen des neuen Verfahrens in einen angemessenen Ausgleich zu bringen.

4.

Haftungsfragen

568 Den Gläubigern nur „einfach-privilegierter“ Masseverbindlichkeiten bleibt nichts anderes übrig, als ihre, nach Aufhebung des ersten Verfahrens nun allein gegen den Schuldner bestehenden Forderungen im neuen Verfahren als Insolvenzforderungen anzumelden. Abgesehen von der Quote können sie keine Rückzahlung ihres der Masse des aufgehobenen Verfahrens zur Verfügung gestellten „Kredits“ erwarten. Gleiches gilt auch für die Inhaber „doppelt-privilegierter“ Forderungen, sollte die Masse des neuen Verfahrens nicht ausreichen, um ihre ausstehenden Verbindlichkeiten in voller Höhe zu begleichen. Somit stellt sich die Frage, ob ihnen jemand – und wenn ja wer – für die erlittenen Forderungsausfälle haftet. In Betracht kommt eine Haftung des ehemaligen Insolvenzverwalters oder des Staates, in dem die erfolgreich angefochtene Eröffnungsentscheidung erlassen wurde. Die Haftungsfragen beurteilen sich nach dem jeweiligen nationalen Recht des aufgehobenen Verfahrens.

569 Hiervon zu trennen ist die potentielle Haftung des neuen Verwalters gegenüber den Inhabern „doppelt-privilegierter“ Masseforderungen, wenn sich der neue Verwalter geweigert hat, die Privilegierung anzuerkennen und die Forderungen zu begleichen.1014) Diese Fragestellung betrifft jedoch nicht mehr unmittelbar die Folgen einer Verfahrensaufhebung aufgrund der Anfechtung nach Art. 5 EuInsVO und soll daher nicht weiter vertieft werden.

___________ 1012) Kayser, ZIP 2020, 97, 99. 1013) Siehe oben Rn. 555. 1014) Siehe dazu oben Rn. 566.

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§ 10 Die Wirkungen einer dem Rechtsbehelf stattgebenden Entscheidung

a) Haftung des ehemaligen Verwalters Im deutschen Recht ist nach § 61 InsO der Verwalter dem Massegläubiger zum 570 Schadensersatz verpflichtet, wenn eine Masseverbindlichkeit, die durch eine seiner Rechtshandlungen begründet wurde, aus der Insolvenzmasse nicht voll erfüllt werden kann. Der Verwalter kann der unbegrenzten persönlichen Haftung jedoch durch den Nachweis entgehen, dass er zum Zeitpunkt der Begründung der Verbindlichkeit nicht erkennen konnte, dass die Masse zur Erfüllung der Verbindlichkeit voraussichtlich nicht ausreichen würde. Den hier zu untersuchenden Fall, dass die Verbindlichkeiten deshalb nicht erfüllt 571 werden können, weil der Verwalter infolge der Verfahrensaufhebung die Verfügungsbefugnis über die Masse verliert, umfasst der Wortlaut der Norm zwar nicht. Diesbezüglich muss die Vorschrift jedoch analog angewendet werden. § 61 InsO dient dem Schutz der Massegläubiger vor dem insolvenzspezifischen Ausfallrisiko von Forderungen gegen die Insolvenzmasse.1015) Für den Rechtsverkehr sollen Anreize geschaffen werden, dem Schuldner Kredit zu gewähren, um die Fortführung des Unternehmens zu ermöglichen und die Sanierungschancen zu verbessern.1016) Bei einem Insolvenzverfahren mit Auslandsbezug besteht ein vergleichbares Schutzbedürfnis für die Massegläubiger für den Fall, dass das Verfahren infolge eines erfolgreichen Rechtsbehelfs nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO aufgehoben wird. Es handelt sich dabei gleichermaßen um ein insolvenzverfahrensspezifisches Risiko, welches die grundsätzliche Möglichkeit einer Ausfallhaftung des Verwalters rechtfertigt. Ebenso wie die Gefahr eines Forderungsverlustes aufgrund von Masseunzulänglichkeit kann die drohende Verfahrensaufhebung potentielle Massegläubiger davon abhalten, sich auf Rechtsgeschäfte mit dem Insolvenzverwalter einzulassen. In analoger Anwendung des § 61 Satz 2 InsO haftet der Verwalter allerdings nur, 572 wenn ihm der Entlastungsbeweis misslingt. Hierfür muss er nachweisen, dass er zum Zeitpunkt der Begründung der Verbindlichkeit nicht erkennen konnte, dass das Verfahren voraussichtlich infolge einer Anfechtung nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO eingestellt werden würde. Dabei wird man dem Verwalter keine allzu hohen Prüfungspflichten auferlegen dürfen. Auch er muss grundsätzlich auf die Rechtmäßigkeit einer gerichtlichen Eröffnungsentscheidung und die Richtigkeit der Annahme der internationalen Zuständigkeit – die vom Gericht immerhin von Amts wegen zu prüfen war (Art. 4 Abs. 1 EuInsVO) – vertrauen dürfen. Ob ihm dieser Vertrauensschutz auch noch zusteht, wenn bereits ein Rechtsbehelfsverfahren zwecks Rüge ___________ 1015) K. Schmidt/Thole, InsO, § 61 Rn. 1; Lüke, ZIP 2005, 1113, 1115; MüKoInsO/Schoppmeyer, § 61 Rn. 1. 1016) Begr. RegE, BT-Drucks. 12/2443, S. 129 f. zu § 72; BGH, Urt. v. 6.5.2004 – IX ZR 48/03, ZIP 2004, 1107, 1108 f.; BGH, Urt. v. 2.12.2004 – IX ZR 142/03, ZIP 2005, 131; BGH, Urt. v. 10.12.2009 – IX ZR 220/08, ZIP 2010, 242 Rn. 7; Jaeger/Gerhardt, InsO, § 61 Rn. 15; Uhlenbruck/Sinz, InsO, § 61 Rn. 1.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

der fehlenden internationalen Zuständigkeit anhängig ist, ist jeweils für den Einzelfall zu entscheiden. Die Möglichkeit der Verfahrensaufhebung steht nun im Raum; hierauf und auf ihre Folgen wird der Verwalter seine Geschäftspartner hinweisen müssen. Vorstellbar ist zudem auch, dass der Verwalter in einem solchen Fall anwaltlichen Rechtsrat zur Klärung der Zuständigkeitsfrage einholt; woran sich die umstrittene, vom BGH allerdings in neuerer Zeit bejahte1017) Frage einer Verschuldenszurechnung über § 278 BGB anschließt.

573 Aufgrund des ausbleibenden Suspensiveffekts schränkt die Rechtsbehelfseinlegung das rechtliche Können des Verwalters zwar nicht ein.1018) Auswirkungen hat sie jedoch auf sein rechtliches Dürfen: Begründet er weiterhin Masseverbindlichkeiten und können diese infolge der Verfahrensaufhebung nicht voll erfüllt werden, läuft er Gefahr, persönlich für die Ausfälle haften zu müssen. Es liegt somit in seinem eigenen Interesse, während des laufenden Rechtsbehelfsverfahrens die Begründung neuer Masseverbindlichkeiten auf das zum Erhalt des schuldnerischen Unternehmens absolut erforderliche Mindestmaß zu beschränken. Durch das Korrektiv der Verwalterhaftung wird die Gefahr unumkehrbarer Maßnahmen während des Beschwerdeverfahrens eingeschränkt. Dies dient dem Ausgleich des ausbleibenden Suspensiveffekts der Rechtsbehelfseinlegung und der Wahrung der Effektivität des Anfechtungsrechts aus Art. 5 Abs. 1 EuInsVO. An dieser Stelle wird die Bedeutung eines möglichst zügig durchzuführenden Rechtsbehelfsverfahrens abermals deutlich.1019)

574 Neben einer Haftung nach § 61 InsO analog kommt im deutschen Recht für die Begründung von Masseverbindlichkeiten auch eine Haftung nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen in Betracht. Eine persönliche Haftung des Verwalters kann sich auf vertraglicher oder quasivertraglicher Grundlage sowie aus Delikt ergeben. Persönliche Haftungsübernahmeerklärungen sind jedoch nur unter sehr strengen Voraussetzungen anzunehmen.1020) Gleiches gilt für eine Haftung wegen Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens.1021) Auch eine deliktische Haftung nach § 826 BGB oder nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB kommt unter Umständen in Betracht, sie setzt jedoch den unwahrscheinlichen Fall einer bewussten Schädigung des Massegläubigers aufgrund der absehbaren Verfahrenseinstellung voraus.1022) ___________ 1017) 1018) 1019) 1020)

BGH, Urt. v. 3.3.2016 – IX ZR 119/15, ZIP 2016, 727 Rn. 19. Zum ausbleibenden Suspensiveffekt siehe oben Rn. 447 ff. Siehe oben Rn. 455 ff. BGH, Urt. v. 12.11.1987 – IX ZR 259/86, ZIP 1987, 1586, 1588; OLG Koblenz, Urt. v. 13.6.1991 – 5 U 1206/90, ZIP 1992, 420, 423. 1021) Siehe hierzu BGH, Urt. v. 5.10.1982 – VI ZR 261/80, BGHZ 85, 75, 82 = ZIP 1982, 1458, 1461; BGH, Urt. v. 14.4.1987 – IX ZR 260/86, ZIP 1987, 650, 653. 1022) Zu den Voraussetzungen einer entsprechenden Haftung des Verwalters für den Fall der Masseunzulänglichkeit siehe BGH, Urt. v. 14.4.1987 – IX ZR 260/86, ZIP 1987, 650, 653.

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§ 10 Die Wirkungen einer dem Rechtsbehelf stattgebenden Entscheidung

b) Amtshaftung Rechtswidrige Eröffnungsentscheidungen, bei denen das Gericht seine internatio- 575 nale Zuständigkeit zu Unrecht angekommen hat, können grundsätzlich auch eine Amtshaftung nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG begründen. Das sog. Spruchrichterprivileg (§ 839 Abs. 2 BGB) soll nach herrschender Ansicht nicht gelten, da die Entscheidung über den Eröffnungsantrag kein Urteil in einer Rechtssache, sondern Teil eines Vollstreckungsverfahrens sei.1023) Der Großteil der gerichtlichen Entscheidungen betrifft Schadensersatzklagen des Schuldners, über dessen Vermögen zu Unrecht ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Allerdings ist im Rahmen eines Anspruchs aus § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG grundsätzlich auch ein Gläubiger als Geschädigter denkbar.1024) In jedem Fall kommt eine Amtshaftung wegen der fehlerhaften Annahme der internationalen Zuständigkeit nur in sehr engen Grenzen in Betracht: Bereits aus dem Verfassungsgrundsatz der richterlichen Unabhängigkeit (Art. 97 GG) folgt, dass dem Richter außerhalb des § 839 Abs. 2 BGB ein Schuldvorwurf nur bei besonders groben Rechtsverstößen gemacht werden kann.1025) So verlangt der Bundesgerichtshof, dass der Richter vorsätzlich oder grob fahrlässig zu einer unvertretbaren Rechtsansicht gelangt ist.1026) Diese Voraussetzungen werden nur in den seltensten Fällen erfüllt sein.

V. Zwischenergebnis Zusammenfassend lässt sich also Folgendes festhalten: Wird ein von einem inter- 576 national unzuständigen Gericht eröffnetes Hauptinsolvenzverfahren infolge einer erfolgreichen Anfechtung nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO aufgehoben, so wirkt die Aufhebungsentscheidung lediglich für die Zukunft. Die mit der Verfahrenseröffnung eingetretenen Wirkungen entfallen somit nicht rückwirkend. Dies folgt zwar ___________ 1023) BGH, Urt. v. 5.11.1956 – III ZR 139/55, KTS 1957, 12; BGH, Urt. v. 2.4.1959 – III ZR 25/58, NJW 1959, 1085; BGH, Urt. v. 17.10.1985 – III ZR 105/84, ZIP 1986, 319, 321; BGH, Beschl. v. 19.12.1991 – III ZR 9/91, ZIP 1992, 947; LG Dortmund, Urt. v. 30.8.1983 – 7 (5) O 263/81, MDR 1984, 144 = BeckRS 1983, 3971; Jaeger/Gerhardt, InsO, § 14 Rn. 42; K. Schmidt/Gundlach, InsO, § 14 Rn. 37; HK-InsO/Laroche, § 27 Rn. 40; Nerlich/ Römermann/Mönning, InsO, § 14 Rn. 114; MüKoBGB/Papier/Shirvani, § 839 Rn. 326; FKInsO/Schmerbach, § 34 Rn. 64; Uhlenbruck/Wegener, InsO, § 13 Rn. 51. Zweifelnd MüKoInsO/ Busch, § 34 Rn. 109. 1024) Bei der Entscheidung des Insolvenzgerichts über die Rechtmäßigkeit eines Eröffnungsantrags handelt es sich um eine drittbezogene Amtspflicht, in deren Schutzbereich auch die zukünftigen Massegläubiger des Schuldners einbezogen werden. 1025) BGH, Beschl. v. 26.4.1990 – III ZR 182/89, BeckRS 1990, 31064919; BGH, Beschl. v. 19.12.1991 – III ZR 9/91, ZIP 1992, 947; BGH, Urt. v. 3.7.2003 – III ZR 326/02, BGHZ 155, 306, 309 = NJW 2003, 3052, 3053; BGH, Urt. v. 5.10.2006 – III ZR 283/05, ZIP 2006, 2312, 2314 Rn. 19; MüKoInsO/Busch, § 34 Rn. 109; Staudinger/Wöstmann, BGB (2020), § 839 Rn. 313. 1026) BGH, Urt. v. 3.7.2003 – III ZR 326/02, BGHZ 155, 306, 309 = NJW 2003, 3052, 3053; BGH, Urt. v. 5.10.2006 – III ZR 283/05, ZIP 2006, 2312, 2314 Rn. 19.

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Dritter Teil: Die gerichtliche Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung nach Art. 5 EuInsVO

nicht ausdrücklich aus dem Wortlaut der Verordnung, ergibt sich allerdings zwingend aus deren Zielsetzung, die effiziente und wirksame Abwicklung grenzüberschreitender Insolvenzverfahren zu gewährleisten. Sollten nationale Verfahrensrechte Gegenteiliges vorsehen, sind die mitgliedstaatlichen Regelungen wegen der damit verbundenen Rechtsunsicherheit nicht mit den Wertungen der EuInsVO vereinbar und aufgrund des Vorrangs des Unionsrechts nicht anzuwenden. Somit bleiben auch vor der Verfahrensaufhebung vorgenommene massebezogene Rechtshandlungen des ehemaligen Insolvenzverwalters uneingeschränkt wirksam. Dies betrifft auch Handlungen, aufgrund derer Gläubiger Forderungen gegen die Masse erworben haben.

577 Hinsichtlich des Schicksals dieser vom Verwalter begründeten Masseverbindlichkeiten nach der Aufhebung des Verfahrens ist zu differenzieren: Forderungen, die auch nach der lex fori concursus des neuen Hauptverfahrensstaats privilegiert werden („doppelt-privilegierte Forderungen“), sind zu erfüllen. Da der ehemalige Verwalter durch die Verfahrensaufhebung sämtliche Befugnisse verloren hat, kommt diese Aufgabe dem neuen Verwalter zu. Gläubiger von Forderungen gegen die Masse, die nach der neuen lex fori concursus nicht vorrangig zu begleichen sind („einfach-privilegierte Forderungen“), können sich nur an den Schuldner halten. Mit der neuen Verfahrenseröffnung werden sie zu einfachen Insolvenzforderungen. Auf diese Weise wird verhindert, dass entsprechende Altlasten über Gebühr in das neue Verfahren übertragen werden und die Effektivität des Rechtsbehelfs aus Art. 5 Abs. 1 EuInsVO gewahrt.

578 Begründet der Verwalter des später aufgehobenen Verfahrens Masseverbindlichkeiten, obwohl mit der Aufhebung der Eröffnungsentscheidung infolge einer Anfechtung nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO zu rechnen war, und führt dies zu einem Forderungsausfall der Massegläubiger, kommt eine Haftung des Verwalters in Betracht. Im deutschen Recht ist § 61 InsO analog heranzuziehen. Dadurch werden für den Verwalter Anreize geschaffen, während eines laufenden Rechtsbehelfsverfahrens unumkehrbare Maßnahmen zu unterlassen. Darüber hinaus ist in seltenen Fällen auch eine Amtshaftung wegen der zu Unrecht ergangenen ersten Eröffnungsentscheidung in Erwägung zu ziehen.

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Vierter Teil: Bewertung der Neuregelung und Korrekturvorschlag § 11 Das bestehende Bedürfnis für einen europäischen Rechtsbehelf A. Vereinheitlichung des Flickenteppichs nationaler Rechtsbehelfe Die Einführung eines einheitlichen europäischen Rechtsbehelfs gegen die Entschei- 579 dung zur Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens durch Art. 5 EuInsVO ist zu begrüßen. Die Norm gewährt dem Schuldner – vor allem aber den Gläubigern – das Recht, die vom Eröffnungsgericht angenommene internationale Zuständigkeit zur Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens nachträglich durch ein Gericht überprüfen zu lassen. Wie die vorausgegangene Untersuchung gezeigt hat, stand vor Inkrafttreten der Neufassung der EuInsVO nicht in allen Mitgliedstaaten ein entsprechender Rechtsbehelf zur Verfügung. Insbesondere Gläubigern des insolventen Schuldners kam nicht flächendeckend das Recht zu, gegen die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Schuldners vorgehen zu können. Selbst wenn ein nationales Verfahrensrecht bereits einen umfassenden Rechtsschutz 580 gegen die Verfahrenseröffnung vorsah, war dies nicht zwingend für alle potentiell Anfechtungsberechtigten auf den ersten Blick ersichtlich. Anhang A der EuInsVO fasst unter den unionsrechtlichen Begriff des Insolvenzverfahrens im Sinne der Verordnung mehr als 100 unterschiedliche Verfahrenstypen in 26 Mitgliedstaaten.1027) Jedes einzelne der über 100 Verfahren wird durch einen bestimmten, vom jeweiligen nationalen Gesetzgeber geschaffenen Akt im Sinne von Art. 2 Nr. 7 EuInsVO („Entscheidung zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens“) eröffnet. Selbst wenn eine nationale Verfahrensordnung in der Theorie einem von den Wirkungen der Verfahrenseröffnung Betroffenen – etwa einem Gläubiger – das Recht gewährt, die einzelne Eröffnungsentscheidung anzugreifen, gestaltet sich die Durchsetzung dieses Rechts in der Praxis womöglich schwierig: Nicht nur sind die entsprechenden mitgliedstaatlichen Rechtsbehelfe in ganz unterschiedlichen Rechtssätzen und Gesetzen geregelt. Ein Überblick über die bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten, zum Beispiel auf dem Europäischen Justizportal, existiert nicht. Außerdem unterscheiden sich die nationalen Rechtsbehelfe ganz wesentlich im Hinblick auf die Berechtigung, sie geltend zu machen, und ihren Anfechtungsgegenstand. Das nationale System der Rechtsbehelfe gegen eine Verfahrenseröffnung im jeweiligen Eröffnungsstaat zu überblicken und der eigenen Rechtsschutzmöglichkeiten gewahr zu werden, war und ist gerade für ausländische Gläubiger sehr mühselig. Diesem Missstand wird durch ein in der EuInsVO festgeschriebenes einheitliches Anfechtungsrecht abgeholfen. Hinsichtlich der genauen prozessualen Ausgestaltung des Rechtsbehelfs ist der 581 Rechtssuchende zwar weiterhin auf nationale Durchführungsregelungen (wie Art. 102c ___________ 1027) Dänemark beteiligt sich nicht an den Projekten der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen und ist somit kein Mitgliedstaat im Sinne der EuInsVO, siehe Erwägungsgrund 88.

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Vierter Teil: Bewertung der Neuregelung und Korrekturvorschlag

§ 4 EGInsO) angewiesen. Dennoch besteht hinsichtlich des „Ob“ des Anfechtungsrechts kein Zweifel mehr: Art. 5 EuInsVO ist als Bestandteil einer Verordnung unmittelbar und ohne nationalen Umsetzungsakt in sämtlichen Vertragsstaaten wirksam. Zwar lässt die Verordnung hinsichtlich der genaueren prozessualen Ausgestaltung des Rechtsbehelfs und des Ablaufs des Anfechtungsverfahrens wesentliche Fragen offen. Dies ist zu bedauern. Die Beantwortung dieser Fragen kommt für die Effektivität des Anfechtungsrechts eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. Trotz aller berechtigten Kritik an der (kaum vorhandenen) Ausgestaltung des Anfechtungsrechts garantiert Art. 5 EuInsVO aber ein Mindestmaß an Rechtsschutz gegen die Verfahrenseröffnung. Auf diese Weise gelingt es der Neuregelung, die bisweilen in den nationalen Verfahrensordnungen bestehenden Lücken zu schließen.

B. Baustein zur Vermeidung von Forum Shopping und Insolvenztourismus 582 Das Anfechtungsrecht nach Art. 5 EuInsVO ist Teil des im Zuge der Reform der Verordnung neu eingeführten zweistufigen Kontrollsystems zur Überprüfung der internationalen Eröffnungszuständigkeit.1028) Gemeinsam mit der Amtsprüfungspflicht des Art. 4 EuInsVO dient der Rechtsbehelf dazu, das Vertrauen in eine im Ausland ergangene Eröffnungsentscheidung zu stärken und Forum Shopping und Insolvenztourismus zu verhindern. Als zweite Absicherung hinter der im Vorfeld der Eröffnung von Amts wegen zu erfolgenden Prüfung der internationalen Zuständigkeit gewährleistet die nachträgliche Überprüfung der Eröffnungsentscheidung eine möglichst lückenlose Durchsetzung des Zuständigkeitsregimes des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO.

583 Indem sie eine einheitliche Kontrollmöglichkeit schafft, stärkt die Norm die Akzeptanz ausländischer Eröffnungsentscheidungen. Dies ist von erheblicher Bedeutung für den auch der EuInsVO zugrunde liegenden Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens: Art. 20 Abs. 1 EuInsVO ordnet die universelle Wirkungserstreckung einer im Ausland ergangenen Eröffnungsentscheidung mitsamt der Rechtsfolgen, die das Recht des Eröffnungsstaats einer solchen Entscheidung beimisst, an (Universalitätsprinzip). Dieses Grundprinzip der Verordnung kann nur Bestand haben, wenn die Vertragsstaaten entsprechende insolvenzgerichtliche Entscheidungen gegenseitig anerkennen. Wie die Erfahrung gezeigt hat, ist dies auch heute noch keineswegs selbstverständlich. Ausländische Entscheidungen und das Vorgehen ausländischer Gerichte werden zwar zumeist anerkannt, bisweilen jedoch nur mit unüberhörbarem Zähneknirschen. Praktisches Anschauungsmaterial bot hierfür zuletzt der deutschösterreichische Kompetenzkonflikt im Rahmen des NIKI-Verfahrens – immerhin zwei Jurisdiktionen mit sehr ähnlicher Rechts- und Gerichtspraxis. Dennoch tat sich die deutsche Seite spürbar schwer, die Vorgehensweise des österreichischen Landesgerichts Korneuburg sowie dessen – überdies mit dem deutschen Beschwerdegericht übereinstimmende – Rechtsauffassung zu akzeptieren und sah sich um ihr ___________ 1028) Siehe hierzu bereits oben Rn. 51 ff.

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§ 11 Das bestehende Bedürfnis für einen europäischen Rechtsbehelf

vermeintliches Recht gebracht, das Hauptinsolvenzverfahren in Deutschland durchzuführen. Nicht zuletzt im kommentierenden Schrifttum wurde abermals der Wunsch offensichtlich, die nationalen Besonderheiten des deutschen Rechts in einem anderen Mitgliedstaat durchsetzen zu wollen.1029) Auf diesem Wege kommt letztendlich ein Misstrauen gegenüber den (Insolvenz-) 584 Rechtsordnungen anderer Mitgliedstaaten zum Ausdruck.1030) Das gegenseitige Vertrauen in das ordnungsgemäße Zustandekommen ausländischer (insolvenzgerichtlicher) Entscheidungen ist für die Effektivität der Verordnung und ihrer Regeln jedoch von entscheidender Bedeutung. Nur wenn sämtliche Mitgliedstaaten eine in einem anderen Vertragsstaat ergangene Eröffnungsentscheidung und die damit nach der jeweiligen lex fori concursus verbundenen Wirkungen anerkennen und – jedenfalls solange die Eröffnungsentscheidung nicht wirksam aufgehoben wurde – auf ihr rechtmäßiges Zustandekommen vertrauen, kann die Verordnung ihr Ziel erreichen: die Effizienz und Wirksamkeit grenzüberschreitender Insolvenzverfahren zu verbessern. Der Rechtsbehelf aus Art. 5 EuInsVO trägt dazu bei, das weiterhin bestehende Vertrauensdefizit hinsichtlich ausländischer Eröffnungsentscheidungen auszugleichen. Er gewährleistet (in den Grundzügen) einen einheitlichen prozessualen Rahmen sowie einen unionsweit geltenden Mindeststandard zur Kontrolle der internationalen Eröffnungszuständigkeit und beseitigt auf diesem Wege eine Schwachstelle der europäischen Rechtsdurchsetzung. Somit minimiert die Neufassung der Verordnung Anreize – etwa durch die (scheinbare) Verlegung des (Wohn-)Sitzes oder von Vermögensgegenständen – die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens in einem anderen als dem COMI-Staat zu erreichen, um auf diese Weise eine günstigere Rechtsstellung zum Nachteil der Gesamtheit der Gläubiger zu erlangen (Forum Shopping).1031) Auf diese Weise trägt das Anfechtungsrecht auch zur Stärkung der Gläubigerrechte 585 bei. Dass von Gläubigerseite ein Bedürfnis bestehen kann, die zu Unrecht ergangene Eröffnungsentscheidung eines nicht zuständigen Gerichts unabhängig von einer weitergehenden Beschwer allein aufgrund der Zuständigkeitsrüge anzugreifen, hat nicht zuletzt das NIKI-Verfahren gezeigt. Bereits die Unterschiede in den nationalen materiellen Insolvenzrechten haben zur Folge, dass Zuständigkeitsfragen unmittelbar mit Gläubigerrechten verbunden sind.1032) Im NIKI-Verfahren führte der „Umzug“ des Hauptverfahrens letztlich sogar zu einem für die Masse profitableren Verkauf des Unternehmens.1033) Trotz der deutsch-österreichischen Spannungen hat der Rechtsbehelf im NIKI-Verfahren daher im Ergebnis seine Bewährungsprobe ___________ 1029) So die treffende Kritik von Zipperer, ZIP 2018, 956, 961 an der überwiegenden Reaktion zum Verlauf des Verfahrens über das Vermögen der NIKI Luftfahrt GmbH. 1030) Siehe bereits oben Rn. 503 ff. 1031) Siehe Erwägungsgrund 5 EuInsVO. 1032) Frind, NZI 2019, 697, 701; siehe ebenfalls BGH, Beschl. v. 28.1.2020 – IX ZB 86/19, ZInsO 2020, 401. 1033) Frind, NZI 2019, 697, 701.

235

Vierter Teil: Bewertung der Neuregelung und Korrekturvorschlag

bestanden und keineswegs zu einer „Bruchlandung des neuen europäischen internationalen Insolvenzrechts“ geführt.1034)

§ 12 Die Risiken des Rückgriffs auf nationales Verfahrensrecht A. Divergierende Rechtsschutzstandards je nach Eröffnungsstaat 586 Aus dem NIKI-Verfahren lassen sich jedoch keineswegs nur positive Lehren ziehen: Als erste Bewährungsprobe des Anfechtungsrechts hat das Verfahren eine Reihe von Schwächen des Art. 5 EuInsVO aufgedeckt. Hierbei hat sich vor allem als problematisch erwiesen, dass die Verordnung den Rechtsbehelf nur in rudimentären Grundzügen regelt. Dies wurde bereits seit Bekanntwerden des Reformvorschlags heftig kritisiert.1035) Spätestens der Kompetenzkonflikt zwischen dem deutschen Amtsgericht Charlottenburg und dem österreichischen Landesgericht Korneuburg hat verdeutlicht, dass die von der Verordnung gelassenen Lücken sowohl die Insolvenzrechtspraxis als auch die mitgliedstaatlichen Gerichte vor nicht unerhebliche Probleme stellen.

587 Es war eine bewusste Entscheidung des europäischen Gesetzgebers, die nähere prozessuale Ausgestaltung des Rechtsbehelfs den jeweiligen nationalen Verfahrensrechten zu überlassen.1036) Die dahinterstehenden Motive sind nachvollziehbar: Anstatt einen einheitlichen prozessualen Rahmen zu schaffen, erschien es dem Verordnungsgeber praktikabler, lediglich das „Ob“ des Anfechtungsrechts als eine Art Mindeststandard zu garantieren. Für das „Wie“ des Rechtsbehelfs soll auf die bereits bestehenden – oder noch zu schaffenden – Verfahrensstrukturen der Mitgliedstaaten zurückgegriffen werden. Auf diese Weise konnte der europäische Gesetzgeber ausschließen, dass sich von ihm erlassene, unionsweit geltende Verfahrensregeln als mit einzelnen nationalen Verfahrenssystemen nicht oder nur unter Schwierigkeiten kompatibel erweisen.

588 Die im Rahmen dieser Arbeit vorgenommene Untersuchung hat jedoch gezeigt, dass diese Vorgehensweise das Ziel des Verordnungsgebers bisweilen konterkariert. Zunächst ist festzuhalten, dass die Maßgeblichkeit des nationalen Verfahrensrechts ein unterschiedliches Rechtsschutzniveau gegen die Eröffnungsentscheidung zur Folge hat, je nachdem, in welchem Staat das Hauptinsolvenzverfahren eröffnet wird. So macht es für einen Gläubiger einen erheblichen Unterschied, ob er die aus seiner Sicht zu Unrecht ergangene Eröffnungsentscheidung lediglich innerhalb einer relativ kurzen Frist von 14 Tagen oder aber zeitlich unbegrenzt angreifen kann. Diese Differenzen hat der europäische Gesetzgeber bewusst in Kauf genommen. ___________ 1034) So die als Frage formulierte Überschrift von Deyda, ZInsO 2018, 221. 1035) Mock, GPR 2013, 156, 158; Prager/Keller, NZI 2013, 57, 59, später vor allem K. Schmidt/ Brinkmann, InsO, 20. Aufl., Art. 5 EuInsVO Rn. 1; Mankowski/Müller/J. Schmidt/Mankowski, EuInsVO 2015, Art. 5 Rn. 19; Bork/van Zwieten/Ringe, EIR, Art. 5 Rn. 5.16. 1036) Siehe Erwägungsgrund 34 Satz 2 EuInsVO. Darauf bezugnehmend Vallender/Vallender/ Zipperer, EuInsVO, Art. 5 Rn. 6. Siehe auch oben Rn. 270.

236

§ 12 Die Risiken des Rückgriffs auf nationales Verfahrensrecht

Freilich mögen die im Rahmen dieser Arbeit formulierten Einwände gegenüber dem 589 Ansatz der Verordnung mit der Frage zu rechnen haben, was daran so kritikwürdig sein soll: Art. 5 EuInsVO habe – so ließe sich argumentieren – lediglich das Ziel, einen Mindeststandard an Rechtsschutz gegen die Eröffnungsentscheidung zu gewährleisten; eine Vereinheitlichung des Verfahrensrechts habe der Verordnungsgeber überhaupt nicht bezweckt. – Dem ist jedoch entgegenzuhalten: Die Neufassung der Verordnung muss sich an ihrem Grundmotiv messen lassen, eine Verbesserung der Effizienz und Wirksamkeit grenzüberschreitender Insolvenzverfahren zu gewährleisten.1037) Teils erheblich voneinander abweichende Rechtsbehelfsverfahren je nach Eröffnungsstaat laufen diesem Ziel zuwider. Sie stellen den Rechtsverkehr vor erhebliche Schwierigkeiten: So ist es Sache der Gläubiger, bestehende nationale Unterschiede in den (Zulässigkeits-)Voraussetzungen des Rechtsbehelfs zu erkennen und zu verstehen. Dies ist problematisch, zumal wenn sich die Gläubiger über weite Teile der Europäischen Union verteilen. Wie schwierig es ist, die nationalen Unterschiede zu identifizieren, hängt zwar von 590 der jeweiligen (Zulässigkeits-)Voraussetzung des Rechtsbehelfs ab: So sollte sich die Dauer einer nationalen Anfechtungsfrist noch verhältnismäßig leicht herausfinden lassen. Anders verhält es sich jedoch schon beim fristauslösenden Ereignis. Bereits der Blick ins deutsche Recht hat erhebliche Unstimmigkeiten zutage gefördert: Findet im Rahmen der Beschwerde nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO, Art. 102c § 4 EGInsO die Zustellungsfiktion des § 9 Abs. 3 InsO Anwendung?1038) Gleiches gilt hinsichtlich der näheren Konkretisierung der Anfechtungsberechtigung: Können alle Gläubiger den Rechtsbehelf einlegen oder nur solche, die eine zusätzliche „Beschwer“ oder ein „Rechtsschutzbedürfnis“ geltend machen?1039) Es ist deutlich geworden, dass der Verweis auf die nationalen Rechtsordnungen er- 591 hebliche Unterschiede in den Rechtsbehelfsverfahren zur Folge hat. Dies führt wiederum zu divergierenden Rechtsschutzstandards gegen die Eröffnungsentscheidung im Horizontalverhältnis je nach Eröffnungsstaat und somit zu erneutem Potential für Forum Shopping und Insolvenztourismus. Diese ungebetenen „Nebengeräusche“ der europäischen Insolvenzrechtsvereinheitlichung sollten durch die Einführung des Anfechtungsrechts jedoch gerade bekämpft werden.

B. Komplikationen zwischen europäischem und nationalem Recht Dass die EuInsVO den nationalen Verfahrensrechten die nähere Ausgestaltung des 592 Anfechtungsrechts überlässt, wirkt sich noch auf einer anderen Ebene aus: Ebenso schwerwiegend sind die daraus entstehenden Unstimmigkeiten im Vertikalverhältnis zwischen dem Unionsrecht und einzelnen nationalen Durchführungsregelungen. ___________ 1037) Erwägungsgründe 1, 3, 8 EuInsVO. 1038) Siehe dazu oben Rn. 372 ff. 1039) Siehe oben Rn. 305 ff.

237

Vierter Teil: Bewertung der Neuregelung und Korrekturvorschlag

I.

Unstimmigkeiten an der Schnittstelle von europäischem Verordnungsund nationalem Verfahrensrecht

593 Der Rückgriff auf das nationale Verfahrensrecht setzt voraus, dass die einzelnen Rechtsordnungen auf die prozessuale Ausgestaltung des Rechtsbehelfsverfahrens vorbereitet sind. Den nationalen Verfahrensrechten kommt die Aufgabe zu, die Absichten und Ziele der EuInsVO zu unterstützen, umzusetzen und zu verwirklichen. Hierzu müssen die Mitgliedstaaten an der Schnittstelle von europäischem Verordnungs- und nationalem Prozessrecht gesetzliche Regelungen parat halten, um das nationale Recht mit dem Anfechtungsrecht nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO zu verzahnen. Die jeweiligen nationalen Verfahrensvorschriften dürfen die Wirkungen des europäischen Rechtsbehelfs nicht in unzulässiger Weise einschränken. Sie müssen Lösungen vorsehen, um die von der Verordnung bewusst offen gelassenen Lücken zu schließen und um im Geltungsbereich der nationalen Rechtsordnungen auf unionsrechtliche Besonderheiten angemessen reagieren zu können.

594 Wie die vorausgegangene Untersuchung gezeigt hat, ist dies – zum jetzigen Stand – keineswegs flächendeckend gelungen. Haben die Mitgliedstaaten den Rechtsbehelf nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO in ihr nationales Rechtsbehelfssystem eingegliedert, sind Unionsrecht und nationales Recht in vielen Fällen nicht hinreichend aufeinander abgestimmt. Im Einzelfall ist oftmals auch unklar, ob bestimmte nationale Vorschriften im Anwendungsbereich der EuInsVO überhaupt Anwendung finden können.1040)

595 Die bestehenden Unzulänglichkeiten verdeutlicht etwa der (nationale) Umgang mit der auf den ersten Blick gravierendsten Lücke, die Art. 5 EuInsVO offen lässt – der fehlenden Anfechtungsfrist: Über den Verweis auf die sofortige Beschwerde in Art. 102c § 4 Satz 1 EGInsO sieht das deutsche Recht eine Zwei-Wochen-Frist vor.1041) Vergleichbar handhabt es das französische Insolvenzrecht; dort gilt sowohl im Falle der Berufung (appel) als auch im Falle des Drittwiderspruchs (tierce opposition) eine Frist von 10 Tagen.1042) Insbesondere ausländischen Gläubigern ist es jedoch nicht zuzumuten, die Eröffnungsentscheidung innerhalb einer solch kurzen Zeitspanne anzufechten. Daher verstößt eine starre 10- oder 14-Tages-Frist gegen das Unionsrecht und ist nicht anzuwenden.1043) Aufgrund der Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei schuldloser Fristversäumnis behält nach hier vertretener Auffassung jedenfalls die deutsche Zwei-Wochen-Frist ihre Wirksamkeit. Diese „Notlösung“ ermöglicht zwar die Vereinbarkeit der deutschen Durchführungsregelungen mit dem Unionsrecht, führt jedoch nicht zu Rechtsklarheit und ist somit alles andere als optimal. ___________ 1040) Siehe etwa die Diskussionen um die Anwendbarkeit von § 9 Abs. 3 (Rn. 372 ff.) und § 6 Abs. 3 (Rn. 476 ff.) InsO. 1041) Siehe oben Rn. 335 ff. 1042) Siehe oben Rn. 343. 1043) Siehe oben Rn. 401 ff.

238

§ 12 Die Risiken des Rückgriffs auf nationales Verfahrensrecht

Mangels einer europäischen Vorgabe ist im Rahmen der deutschen Umsetzungsre- 596 gelungen zudem offen, welches Ereignis die Frist des § 569 Abs. 1 ZPO auslöst. Ob die Vorschrift des § 9 Abs. 3 InsO im Rahmen der Anfechtung nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO, Art. 102c § 4 EGInsO Anwendung findet – der öffentlichen Bekanntmachung also zustellungsersetzende Wirkung zukommt –, ist umstritten.1044) Eine vergleichbare Diskussion wurde im deutsch-österreichischen Kompetenzkonflikt des NIKI-Verfahrens hinsichtlich der Anwendbarkeit des § 6 Abs. 3 InsO geführt.1045) Diese Beispiele veranschaulichen, dass die nationalen Verfahrensrechte – zumindest 597 in der Theorie – zwar Regelungen zur Ausgestaltung des Anfechtungsverfahrens vorsehen mögen. Wie die voranstehenden Untersuchungen und die erste Bewährungsprobe in der Praxis gezeigt haben, sind diese nationalen Vorschriften im unionsrechtlichen Kontext der Anfechtung nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO jedoch bisweilen unpassend und mit der Wirksamkeit des europäischen Rechtsbehelfs nicht zu vereinbaren. An der Schnittstelle von europäischem Verordnungs- und nationalem Verfahrensrecht bestehen somit erhebliche Unstimmig- und Unwägbarkeiten. Diese Dissonanzen im Umgang mit Regelungs- und Wertungsfragen des Sekundärrechts haben sowohl der Verordnungsgeber bei der Einführung des Art. 5 EuInsVO als auch die nationalen Gesetzgeber bei der Eingliederung des Anfechtungsrechts übersehen oder doch jedenfalls unterschätzt.

II. Folge: Rechtsunsicherheiten im Umgang mit Regelungs- und Wertungsfragen des Sekundärrechts In der Folge drohen im Rahmen von Anfechtungsverfahren nach Art. 5 Abs. 1 598 EuInsVO schwerwiegende Rechtsunsicherheiten. In Ermangelung einheitlicher unionsrechtlicher Regelungen werden die mitgliedstaatlichen Gerichte sowie die Beteiligten eines Rechtsbehelfsverfahrens oftmals mit der Frage konfrontiert sein, ob eine einzelne nationale Norm im Anwendungsbereich der EuInsVO Geltung beansprucht oder nicht. Es ist zu befürchten, dass entsprechende Streitigkeiten, die gegebenenfalls nur durch eine Vorlage an den EuGH entschieden werden können, die zügige Durchführung des Insolvenzverfahrens verhindern. Sie beeinträchtigen somit erheblich das Bestreben der Verordnung, effiziente und wirksame grenzüberschreitende Insolvenzverfahren zu gewährleisten. Hinzu kommt, dass auch auf europäischer Ebene noch nicht sämtliche in der Neu- 599 fassung der Verordnung angekündigte Vorhaben umgesetzt sind: Die reformierte EuInsVO schreibt die öffentliche Bekanntmachung der Verfahrenseröffnung im jeweiligen nationalen Insolvenzregister des Eröffnungsstaats vor (Art. 24 EuInsVO). Die Publizität der Eröffnungsentscheidung dient der Information von Gerichten und Gläubigern und ist für die Transparenz von grenzüberschreitenden Verfahren von ___________ 1044) Nach der in dieser Arbeit vertretenen Auffassung allerdings zu bejahen, siehe oben Rn. 382. 1045) Siehe oben Rn. 476 ff.

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Vierter Teil: Bewertung der Neuregelung und Korrekturvorschlag

erheblicher Bedeutung. Nach Art. 25 Abs. 1 EuInsVO sind die jeweiligen nationalen Insolvenzregister miteinander zu vernetzen, um den Zugriff auf die veröffentlichten Informationen über das Justizportal der Europäischen Union als zentralen Ausgangspunkt zu ermöglichen. Zu diesem Zweck hatte die Kommission gemäß Art. 25 Abs. 2 EuInsVO bis zum 26.6.2019 zunächst einen Durchführungsrechtsakt zu erlassen, der technische Einzelheiten zur Vereinheitlichung und inhaltlichen Steuerung des elektronischen Informationsaustauschs regelt und so den Boden für die im Anschluss zu realisierende Vernetzung der Register bereitet. Eine entsprechende Durchführungsverordnung der Kommission ist zwar inzwischen in Kraft getreten.1046) Allerdings sind zum aktuellen Zeitpunkt (Juli 2021) lediglich neun nationale Insolvenzregister miteinander vernetzt.1047) Dies wird auch damit zusammenhängen, dass noch nicht alle 26 Vertragsstaaten die technischen Voraussetzungen erfüllen, um die Vernetzung ihrer Register zu ermöglichen. Gleichwohl sendet die fehlende Zugriffsmöglichkeit über das Europäische Justizportal ein falsches Signal. Solange die zentrierte Abfrage der Informationen nicht möglich ist, ist die mit der Publizität einer Eröffnungsentscheidung verfolgte Transparenz der Verfahren nicht gewährleistet. Es bleibt daher zu hoffen, dass die Vernetzung sämtlicher Register möglichst bald erfolgt.

C. Lösungsansätze 600 Hinsichtlich der gerichtlichen Nachprüfung der Eröffnungsentscheidung im Wege des neu eingeführten Art. 5 Abs. 1 EuInsVO besteht somit noch erhebliches Verbesserungspotential. Es kommen zwei verschiedene Ansätze in Betracht, um den aufgezeigten Schwachstellen des europäischen Rechtsbehelfs zu begegnen:

I.

Anpassung der nationalen Durchführungsregelungen

601 Die erste – grundsätzlich denkbare – Möglichkeit besteht darin, dass die nationalen Gesetzgeber ihre Durchführungsregelungen nachbessern und präziser mit den unionsrechtlichen Vorgaben der Verordnung abstimmen. In Deutschland müsste Art. 102c EGInsO und insbesondere dessen § 4 – erneut – geändert werden. So böte es sich an, in die Norm eine eigene Beschwerdefrist von 30 Tagen aufzunehmen, die mit der öffentlichen Bekanntmachung der Eröffnungsentscheidung im nationalen Insolvenzregister1048) zu laufen beginnt. Als Vorbild könnte § 1115 Abs. 5 Satz 2 ZPO dienen: Dort ist für den durch Art. 49 Brüssel Ia-VO vorgeschriebenen Rechtsbehelf geregelt, dass die Notfrist für die sofortige Beschwerde nach § 1115 Abs. 1 Satz 1 ___________ 1046) Durchführungsverordnung (EU) 2019/917 der Kommission vom 4. Juni 2019 zur Festlegung technischer Spezifikationen, Maßnahmen und sonstiger Anforderungen für das System zur Vernetzung der Insolvenzregister gemäß Art. 25 der Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates. 1047) Es handelt sich um die Register der Tschechischen Republik, Deutschlands, Estlands, Italiens, Lettlands, der Niederlande, Österreichs, Rumäniens und Sloweniens. 1048) https://www.insolvenzbekanntmachungen.de.

240

§ 12 Die Risiken des Rückgriffs auf nationales Verfahrensrecht

ZPO abweichend von § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO einen Monat beträgt. Zudem sollte der in Art. 102c § 4 Satz 2 EGInsO neu eingefügte Verweis auf § 6 Abs. 3 InsO wieder gestrichen werden. Bei dieser Gelegenheit ließe sich Art. 102c § 4 Satz 2 EGInsO auch dahingehend ändern, dass er nicht mehr den Eindruck erweckt, dass nur die §§ 574 bis 577 ZPO, nicht aber andere allgemeine (Beschwerde-)Vorschriften, wie die §§ 567 ff. ZPO auf den Rechtsbehelf nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO i. V. m. Art. 102c § 4 EGInsO anzuwenden sind. Die gesetzgeberischen Anpassungen lediglich auf die nationale Ebene zu beschrän- 602 ken, hilft letztlich jedoch nicht weiter. Zwar könnten auf diese Weise Unstimmigkeiten zwischen nationalen Vorschriften und dem Unionsrecht beseitigt werden. Es bliebe jedoch dabei, dass die einzelnen Regelungen von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat abweichen würden. Die Unterschiede in den Rechtsschutzstandards im Horizontalverhältnis hätten folglich weiterhin Bestand.

II. Änderung des Art. 5 EuInsVO Diesen Unzulänglichkeiten kann nur auf einem Wege effektiv Abhilfe geleistet wer- 603 den: Der europäische Gesetzgeber muss selbst die Initiative ergreifen und den Regelungsgehalt des Art. 5 EuInsVO nachjustieren. Die Verordnung sollte den Rechtsbehelf detaillierter ausgestalten, als sie es derzeit tut. Zwar steht außer Frage, dass der europäische Gesetzgeber das Anfechtungsverfahren nicht in jedem kleinteiligen Einzelschritt regeln kann. Gewisse verfahrensrechtliche Eckpunkte, wie etwa die Festlegung des zuständigen Gerichts oder die Verfügbarkeit eines Instanzenzuges, bleiben weiterhin den nationalen Rechtsordnungen überlassen. Gleichwohl sollte das Unionsrecht zwingende Vorgaben zumindest hinsichtlich der folgenden Punkte enthalten: 

Art. 5 EuInsVO sollte eine einheitlich geltende Anfechtungsfrist von 30 Tagen vorsehen. Die Frist beginnt mit der öffentlichen Bekanntmachung der Eröffnungsentscheidung im Insolvenzregister des Eröffnungsstaates zu laufen.



Der Einlegung des Rechtsbehelfs kommt unabhängig von nationalen Regelungen keine aufschiebende Wirkung zu.

Außerdem muss das Unionsrecht die Rechtsfolgen einer erfolgreichen Beschwer- 604 deentscheidung einheitlich festschreiben. Am dringendsten sind dabei die folgenden Punkte: 

Gibt das Rechtsmittelgericht der Anfechtung statt und hebt es die zu Unrecht ergangene Entscheidung zur Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens auf, so ist diese Entscheidung ab sofort wirksam. Die Sperrwirkung des Hauptverfahrens entfällt unmittelbar. Dies gilt unabhängig von der Rechtskraft der Beschwerdeentscheidung.



Die Aufhebungsentscheidung lässt die Wirkungen des zu Unrecht eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens nur für die Zukunft entfallen. Bis dahin getätigte Hand241

Vierter Teil: Bewertung der Neuregelung und Korrekturvorschlag

lungen des Insolvenzverwalters bleiben wirksam und sowohl für den Schuldner als auch für den Rechtsverkehr bindend. Dies betrifft grundsätzlich auch vom Verwalter begründete (und noch nicht erfüllte) Masseverbindlichkeiten. Sofern sie auch nach der lex fori concursus des „richtigen“ Eröffnungsstaates privilegiert zu behandeln sind, sind sie vom „neuen“ Verwalter zu erfüllen.

605 Wie der Formulierungsvorschlag im folgenden Kapitel zeigt, sind diese Verbesserungen durch leichte Änderungen und Ergänzungen des Art. 5 EuInsVO und durch die Einfügung eines zusätzlichen Absatzes ohne Weiteres möglich. Der dadurch etwas vergrößerte Regelungsumfang der Norm erscheint nicht zuletzt vor dem Hintergrund anderer, in ihrem Umfang wesentlich weiter ausufernder Vorschriften der Verordnung vertretbar.

606 Die Effektivität des Rechtsbehelfs nach Art. 5 EuInsVO ist nur gewährleistet, wenn die Verordnung das Anfechtungsverfahren uniformer ausgestaltet, als sie es momentan tut. Nur durch einheitliche Vorgaben kann ein Flickenteppich unterschiedlicher nationaler Regelungen vermieden werden. Die jetzige Situation hat zur Folge, dass das Anfechtungsverfahren und damit einhergehend das Rechtsschutzniveau eines von der Eröffnungsentscheidung Betroffenen erheblich voneinander abweichen, je nachdem, in welchem Mitgliedstaat die Eröffnungsentscheidung ergangen ist.

607 Die aktuelle Fassung des Art. 5 EuInsVO, die die prozessuale Ausgestaltung des Rechtsbehelfs den nationalen Verfahrensrechten überlässt, bedarf somit einer Nachbesserung. Dieser Eindruck wird durch den Umstand verstärkt, dass die nationalen Rechtsordnungen in vielen Fällen überhaupt keine ausdrücklichen Regelungen vorsehen, wie Probleme aufzulösen sind, die im Zusammenhang mit der Anfechtung der Eröffnungsentscheidung entstehen. Es hat sich nicht bewährt, die Mitgliedstaaten bei der Beantwortung dieser Fragen alleine zu lassen. Die Konsequenz sind voneinander divergierende Einzelfallentscheidungen nationaler Gerichte, die somit eine unionsweite Rechtsunsicherheit zur Folge haben. Dies gilt umso mehr, solange keine Präzedenzentscheidung des EuGH zur Anfechtung nach Art. 5 EuInsVO vorliegt, die den nationalen Rechtsordnungen als Orientierung dienen könnte.

III. Übergangslösung 608 Eine Reform der EuInsVO ist in den kommenden Jahren allerdings nicht zu erwarten. Erst zum 27. Juni 2027 hat die Kommission einen Bericht über die Anwendung der Neufassung der Verordnung vorzulegen, der gegebenenfalls auch Vorschläge zur Anpassung der Verordnung enthalten soll (Art. 90 Abs. 1 EuInsVO). Dass in den nächsten Jahren – losgelöst von einem größeren Reformvorhaben – ausgerechnet Art. 5 EuInsVO geändert wird, ist daher nahezu ausgeschlossen.

609 Deshalb sollten in der Zwischenzeit zumindest die nationalen Gesetzgeber ihren Aufgaben nachkommen und die Einpassung des europäischen Rechtsbehelfs in ihre nationalen Verfahrensrechte verbessern. Dies führt zwar nicht zu dem erstrebten 242

§ 13 Das Anfechtungsrecht de lege ferenda: Vorschläge an den Gesetzgeber

einheitlichen Verfahren. Dennoch können die Mitgliedstaaten auf diese Weise zumindest für die Übergangszeit dazu beitragen, den Rechtsschutz gegen die Eröffnungsentscheidung eines international unzuständigen Gerichts zu harmonisieren. In diesem Zusammenhang sollte die Kommission in Zusammenarbeit mit den Mit- 610 gliedstaaten schnellstmöglich einen Überblick über die verschiedenen nationalen Rechtsbehelfe in „Umsetzung“ von Art. 5 Abs. 1 EuInsVO auf dem Europäischen Justizportal bereitstellen.1049) Rechtssuchende sollten sich über eine zentrale Stelle über Anforderungen, Voraussetzungen und Ablauf der jeweiligen nationalen Verfahren informieren können. Dies würde die Rechtsanwendung innerhalb der Europäischen Union erheblich vereinfachen und somit zur Effektivität des Anfechtungsrechts nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO beitragen.

§ 13 Das Anfechtungsrecht de lege ferenda: Vorschläge an den europäischen (und den deutschen) Gesetzgeber 611

Im Einzelnen könnten die neuen Regelungen folgendermaßen gestaltet werden:

A. Art. 5 EuInsVO I.

Deutsche Fassung

(1) Der Schuldner oder jeder Gläubiger kann innerhalb einer Frist von 30 Tagen die 612 Entscheidung zur Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens vor Gericht aus Gründen der internationalen Zuständigkeit anfechten. Die Frist beginnt mit der öffentlichen Bekanntmachung der Eröffnungsentscheidung im nationalen Insolvenzregister des Eröffnungsstaates zu laufen. Die Einlegung des Rechtsbehelfs entfaltet keine aufschiebende Wirkung. (2) Gibt ein Gericht dem Rechtsbehelf statt und hebt die Eröffnungsentscheidung auf, 613 so ist diese Entscheidung sofort und unabhängig von ihrer Rechtskraft wirksam. Die Wirkungen des Insolvenzverfahrens, die vor dessen Aufhebung bereits eingetreten sind und nicht auf die Dauer des Verfahrens beschränkt sind, bleiben bestehen. Dies gilt auch für Rechtshandlungen, die während des aufgehobenen Verfahrens vom Insolvenzverwalter oder ihm gegenüber in Ausübung seines Amtes vorgenommen worden sind. (3) Die Entscheidung zur Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens kann von anderen 614 als den in Absatz 1 genannten Verfahrensbeteiligten oder aus anderen Gründen als einer mangelnden internationalen Zuständigkeit angefochten werden, wenn dies nach nationalem Recht vorgesehen ist.

___________ 1049) Gefordert bereits von Hess/Oberhammer/Pfeiffer, Heidelberg-Luxembourg-Vienna Report, S. 13.

243

Vierter Teil: Bewertung der Neuregelung und Korrekturvorschlag

II. Englische Fassung 615 (1) The debtor or any creditor may challenge before a court the decision opening main insolvency proceedings on grounds of international jurisdiction. The challenge shall be lodged within 30 days of the publication of the opening decision in the national insolvency register of the opening state. The lodging of the challenge has no suspensory effect.

616 (2) When a court allows the challenge of international jurisdiction and annuls the decision opening main insolvency proceedings, the decision on the challenge is effective immediately and regardless of its legal force. The effects of the insolvency proceedings which have already occurred prior to the annulment and which are not limited to the duration of the proceedings shall remain in force. This shall also apply to legal acts performed during the annulled proceedings by the insolvency practitioner or towards him in the exercise of his office.

617 (3) The decision opening main insolvency proceedings may be challenged by parties other than those referred to in paragraph 1 or on ground other than a lack of international jurisdiction where national law so provides.

B. Art. 102c § 4 EGInsO 618 (1) Unbeschadet des § 21 Absatz 1 Satz 2 und des § 34 der Insolvenzordnung stehen dem Schuldner und jedem Gläubiger gegen die Entscheidung über die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens nach Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2015/848 die sofortige Beschwerde zu, wenn nach Artikel 5 Absatz 1 der Verordnung (EU) 2015/848 das Fehlen der internationalen Zuständigkeit für die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens gerügt werden soll. Die §§ 567 bis 577 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend, sofern dieses Gesetz nichts anderes vorschreibt.

619 (2) Die sofortige Beschwerde ist innerhalb einer Frist von 30 Tagen, die mit der öffentlichen Bekanntmachung der Eröffnungsentscheidung zu laufen beginnt, beim Insolvenzgericht einzulegen.

620 (3) Die Entscheidung über die sofortige Beschwerde ist sofort wirksam, § 6 Absatz 3 der Insolvenzordnung findet keine Anwendung. Hat die sofortige Beschwerde Erfolg und wird das Insolvenzverfahren aufgehoben, bleiben die Wirkungen des Verfahrens, die vor dessen Aufhebung bereits eingetreten sind und nicht auf die Dauer des Verfahrens beschränkt sind, bestehen. Artikel 102c § 3 Absatz 2 Satz 2 dieses Gesetzes gilt entsprechend.

244

Schlussbetrachtung und Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse A. Schlussbetrachtung Die Untersuchung hat das Bedürfnis nach einem einheitlichen europäischen Rechts- 621 behelf gegen die Entscheidung zur Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens bestätigt. Indem die Neufassung der EuInsVO in Art. 5 dem Schuldner, vor allem aber auch sämtlichen Gläubigern das Recht zugesteht, die internationale Zuständigkeit zur Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens nachträglich durch ein Gericht überprüfen zu lassen, gelingt es ihr, die in einer Reihe von Mitgliedstaaten insoweit bestehenden Rechtsschutzdefizite zu beheben.1050) Der Rechtsbehelf reiht sich neben die widerlegbaren Vermutungsregelungen des Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 2 – 4 und die Amtsprüfungspflicht des Art. 4 EuInsVO in die von der Verordnung vorgesehenen Schutzvorkehrungen zur Bestimmung, Prüfung und Überprüfung der internationalen Eröffnungszuständigkeit ein. Auf diese Weise stellt die Vorschrift einen wichtigen Baustein im Kampf gegen betrügerisches oder missbräuchliches Forum Shopping und Insolvenztourismus dar und trägt dazu bei, im Interesse eines ordnungsgemäßen Funktionierens des Binnenmarktes die effiziente und wirksame Abwicklung grenzüberschreitender Insolvenzverfahren zu gewährleisten (Erwägungsgründe 1, 3, 5 EuInsVO).1051) Darüber hinaus treibt die Einführung eines einheitlichen Rechtsbehelfs gegen die Verfahrenseröffnung die schrittweise Harmonisierung der Insolvenzund Prozessrechtsordnungen der Mitgliedstaaten voran und schafft so Rechtssicherheit und ein Mindestmaß prozessualer Absicherung gegen die Eröffnungsentscheidung.1052) Gleichwohl hat die Untersuchung des Anfechtungsrechts aus Art. 5 EuInsVO ein 622 erhebliches Verbesserungspotential zutage gefördert. Die an dieser Stelle geltend gemachte Kritik bezieht sich vor allem auf die Entscheidung des europäischen Gesetzgebers, den Rechtsbehelf nur in Grundzügen zu regeln und im Übrigen die prozessuale Ausgestaltung des Anfechtungsrechts den Verfahrensordnungen der Mitgliedstaaten zu überlassen.1053) Zwar sind die nationalen Gesetzgeber der im Rahmen dieser Arbeit näher untersuchten Rechtsordnungen – Deutschland1054), Österreich1055) und Frankreich1056) – ihrer Aufgabe nachgekommen und haben den unmittelbar

___________ 1050) 1051) 1052) 1053) 1054)

Rn. 241 ff., Rn. 247. Rn. 245 ff. Rn. 252 ff. Rn. 586 ff. Zu den nach deutschem Recht bestehenden Rechtsschutzmöglichkeiten gegen eine Eröffnungsentscheidung vor Einführung des Art. 5 EuInsVO siehe Rn. 169 ff. 1055) Zur Rechtslage in Österreich vor Inkrafttreten des Art. 5 EuInsVO siehe Rn. 192 ff. 1056) Zur Rechtslage in Frankreich vor Inkrafttreten des Art. 5 EuInsVO siehe Rn. 208 ff.

245

Schlussbetrachtung und Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

geltenden europäischen Rechtsbehelf in bereits bestehende oder im Wege von Ausführungsregelungen neu geschaffene Regelungssysteme eingegliedert.1057)

623 Dies ist allerdings nicht überall reibungslos gelungen: Erhebliche Unstimmigkeiten bestehen einerseits im Vertikalverhältnis zwischen europäischem und jeweils nationalem Recht. Vielfach ist ungeklärt und umstritten, ob bestimmte nationale Verfahrensregeln – wie etwa § 6 Abs. 31058) oder § 9 Abs. 3 InsO1059) –im Kontext des europäischen Rechtsbehelfs Anwendung finden können. Auch die Untersuchung des Horizontalverhältnisses zwischen den Mitgliedstaaten bringt teils wenig wünschenswerte Ergebnisse zum Vorschein: Der Rückgriff auf das nationale Verfahrensrecht hat aufgrund der bestehenden Unterschiede in den nationalen (Verfahrens-)Rechtsordnungen zwingend unterschiedliche Rechtsschutzstandards je nach Eröffnungsstaat und damit einen zumindest ansatzweise unterschiedlichen Umgang mit europäischem Sekundärrecht zur Folge.1060)

624 Wie sogleich die zusammenfassend formulierten wesentlichen Untersuchungsergebnisse noch einmal verdeutlichen werden, bestehen an der Schnittstelle von europäischem Verordnungs- und nationalem Verfahrensrecht noch immer erhebliche Unsicherheiten und Unwägbarkeiten. Diese Arbeit hat anlässlich der prozessualen Ausgestaltung des Anfechtungsrechts aus Art. 5 EuInsVO die Dissonanzen im Zusammenspiel der EuInsVO mit den nationalen Verfahrensrechten aufgezeigt und analysiert. Vor dem Hintergrund der erheblichen Lücken, die die Verordnung lässt, ist deutlich geworden, wie dem nationalen (Verfahrens-)Recht die Aufgabe zukommt, die Absichten und Ziele des europäischen Rechts zu unterstützen, umzusetzen und zu verwirklichen. So mag die hier vorgelegte Untersuchung einen Beitrag in Richtung eines harmonischeren Ineinandergreifens zwischen europäischen und nationalen Verfahrensregelungen leisten und in zukünftigen Kompetenzkonflikten als Orientierungshilfe dienen, um den jeweiligen Beteiligten den Umgang mit Regelungsund Wertungsfragen des Sekundärrechts zu erleichtern. Denn das NIKI-Verfahren war gewiss nur die erste Bewährungsprobe für das Verfahren nach Art. 5 EuInsVO – weitere werden nicht lange auf sich warten lassen.

B. Zusammenfassung der wesentlichen Untersuchungsergebnisse I.

Sperrwirkung des zuerst eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens

625 1. Aufgrund des der EuInsVO zugrunde liegenden Prioritätsprinzips sperrt die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens in einem Mitgliedstaat die Möglichkeit der ___________ 1057) Für einen Überblick über die nationalen Ausgestaltungsregelungen siehe Rn. 281 ff. (Deutschland), Rn. 284 f. (Österreich) und Rn. 286 ff. (Frankreich). 1058) Trotz der vermeintlichen „Klarstellung“ in Art. 102c § 4 Satz 2 EGInsO, siehe Rn. 476 ff. 1059) Rn. 372 ff. 1060) Rn. 586 ff.

246

B. Zusammenfassung der wesentlichen Untersuchungsergebnisse

Eröffnung weiterer Hauptinsolvenzverfahren in anderen Mitgliedstaaten (sog. Sperrwirkung des Hauptinsolvenzverfahrens). Die fehlerhafte Eröffnung eines zweiten Hauptinsolvenzverfahrens ist trotz Verstoßes gegen die Sperrwirkung nur dann rechtlich wirkungslos, wenn sie nach der Bekanntmachung der vorherigen ausländischen Eröffnungsentscheidung im nationalen Insolvenzregister des Eröffnungsstaats erfolgte. Ansonsten erfordern Rechtssicherheit und Vertrauensschutz, dass die Wirkungen des prioritätsprinzipswidrig eröffneten Verfahrens zunächst fortbestehen (Rn. 98 ff.). Die Wirkungen dieses fehlerhaften Verfahrens sind unverzüglich aufzuheben, was grundsätzlich durch die Verfahrenseinstellung geschehen kann. 2. Statt der Einstellung des prioritätsprinzipswidrigen Verfahrens kann dessen Fort- 626 führung als Sekundärinsolvenzverfahren in Betracht kommen (Rn. 104 ff.). Dies setzt neben einer entsprechenden Antragsbefugnis des Antragstellers (Rn. 108 ff.) und einer entsprechenden Umdeutungsfähigkeit des ursprünglichen Eröffnungsantrags (Rn. 120 ff.) voraus, dass die Wirkungen des fehlerhaft eröffneten Verfahrens zum Fortführungszeitpunkt noch fortbestehen (Rn. 128 ff.). Die Fortführung scheidet somit aus, wenn die prioritätsprinzipswidrige Verfahrenseröffnung entweder bereits von vornherein unwirksam war oder wenn das Verfahren inzwischen aufgehoben oder eingestellt wurde. In diesen Fällen kommt lediglich die Neueröffnung des Verfahrens als Sekundärverfahren in Betracht. Hierfür bedarf es eines neuen zulässigen Antrags. 3. Nach deutschem Recht steht die Berechtigung zur Beantragung eines Sekundär- 627 insolvenzverfahrens lediglich dem Insolvenzverwalter des Hauptverfahrens sowie den Gläubigern zu, nicht jedoch dem Schuldner selbst (Rn. 108 ff.). Auch wenn eine Antragsberechtigung des Schuldners bezogen auf ein Partikularverfahren ursprünglich bestanden haben sollte, verliert er diese durch die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens im Ausland (Rn. 112 ff.).

II. Ausgestaltung des Anfechtungsverfahrens nach Art. 5 EuInsVO 4. Nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO kann der Schuldner oder jeder Gläubiger die Ent- 628 scheidung zur Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens vor Gericht aus Gründen der internationalen Zuständigkeit anfechten. Die EuInsVO regelt diesen Rechtsbehelf jedoch nur in seinen Grundzügen. Es obliegt den Mitgliedstaaten, im Rahmen ihrer nationalen Verfahrensrechte die von der Verordnung offen gelassenen Lücken zu schließen und für die nähere prozessuale Ausgestaltung des Anfechtungsrechts aus Art. 5 Abs. 1 EuInsVO zu sorgen (Rn. 266 ff.), was der deutsche Gesetzgeber mit Art. 102c § 4 EGInsO (sofortige Beschwerde) getan hat. Die den Rechtsbehelf konkretisierenden nationalen Vorschriften müssen den Wertungen und Zielbestimmungen der EuInsVO Rechnung tragen. Insbesondere dürfen sie die Wirksamkeit des Anfechtungsrechts nicht vereiteln:

247

Schlussbetrachtung und Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

III. Gestaltungsspielräume und -grenzen zur Konkretisierung der Zulässigkeitsvoraussetzungen des Rechtsbehelfs aus Art. 5 EuInsVO 629 5. Nationale Rechtsordnungen dürfen die Geltendmachung des Anfechtungsrechts aus Art. 5 Abs. 1 EuInsVO vom Erfordernis einer Beschwer abhängig machen. Der Beschwer im Rahmen der Anfechtung nach Art. 5 EuInsVO ist ein weites Begriffsverständnis zugrunde zu legen. Über die Beeinträchtigung der Rechtsstellung im Sinne eines Rechtsverlustes hinaus umfasst die Beschwer sämtliche Nachteile, die der Rechtsmittelführer infolge der (fälschlichen) COMI-Bestimmung im Eröffnungsstaat erleidet (Rn. 320 ff.). Das Erfordernis einer solchen Beschwer schränkt die Wirksamkeit des Rechtsbehelfs nicht in einer dem Sinn und Zweck der Verordnung entgegenstehenden Weise ein. Sie dürfte in der Regel sowohl beim Schuldner als auch bei sämtlichen Gläubigern gegeben sein (Rn. 325 ff.). Nicht durch die Eröffnungsentscheidung beschwert ist hingegen der Antragsteller selbst. Für seine Beschwer muss hinzukommen, dass die mit dem Rechtsbehelf angegriffene Entscheidung von seinem beantragten Begehren abweicht. Dies ist nicht der Fall, wenn das Eröffnungsgericht den Standpunkt des Antragstellers zur internationalen Zuständigkeit teilt (Rn. 329 f.).

630 6. Das nationale Recht kann die Geltendmachung des Anfechtungsrechts an eine Frist binden, deren Lauf mit der öffentlichen Bekanntmachung der Verfahrenseröffnung im Insolvenzregister des Eröffnungsstaates beginnt. Dies bringt das Bedürfnis nach Rechtssicherheit einerseits und die Rechtsschutzmöglichkeit eines Anfechtungsberechtigten andererseits in einen angemessenen Ausgleich und schränkt daher die Wirksamkeit des Rechtsbehelfs aus Art. 5 Abs. 1 EuInsVO nicht in unverhältnismäßiger Weise ein (Rn. 363 ff.). Im deutschen Recht ist die Anwendung von § 9 Abs. 3 InsO (zustellungsersetzende Wirkung der öffentlichen Bekanntmachung) im Rahmen der sofortigen Beschwerde nach Art. 102c § 4 EGInsO somit mit den unionsrechtlichen Anforderungen an die Wirksamkeit des Anfechtungsrechts zu vereinbaren (Rn. 372 ff.).

631 7. Starre 14-Tages-Fristen erschweren die Einlegung des Rechtsbehelfs auf nicht hinnehmbare Weise und sind daher unionsrechtswidrig (Rn. 401 ff.). In der Konsequenz sind entsprechende nationale Fristenregelungen nicht anwendbar und die Eröffnungsentscheidung in dem jeweiligen Mitgliedstaat zeitlich unbegrenzt anfechtbar. Die zentrale Zielbestimmung der Verordnung, eine effiziente und wirksame Durchführung grenzüberschreitender Insolvenzverfahren zu gewährleisten, steht dem nicht entgegen (Rn. 402).

632 8. Wie die rechtsvergleichende Betrachtung gezeigt hat, ist jedenfalls die Rechtsbehelfsfrist im österreichischen Recht (Rn. 341), welches anders als das deutsche und das französische Recht (Rn. 343 f.) im Insolvenzverfahren die Wiedereinsetzungsmöglichkeit nicht kennt, zu kurz. Zumindest die deutsche Fristenregelung des § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO (Notfrist von zwei Wochen) ist jedoch unionsrechtskon-

248

B. Zusammenfassung der wesentlichen Untersuchungsergebnisse

form. Denn aufgrund der Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist sie hinreichend flexibel, um auf die Besonderheiten grenzüberschreitender Verfahren angemessen reagieren zu können (Rn. 404 ff.). Insbesondere ein ausländischer Gläubiger wird das Fristversäumnis mangels tatsächlicher Kenntnis vom fristauslösenden Ereignis der öffentlichen Bekanntmachung regelmäßig nicht zu verschulden haben (Rn. 408 ff.). 9. Die Sondervorschrift des § 6 Abs. 1 Satz 2 InsO (Einlegung der sofortigen Be- 633 schwerde beim Insolvenzgericht) findet auch im Rahmen von Art. 102c § 4 EGInsO Anwendung: Die sofortige Beschwerde ist somit ausschließlich beim Insolvenzgericht einzulegen, um diesem direkt die Möglichkeit der Abhilfe zu verschaffen (Rn. 434 ff.). Die Regelung dient der Beschleunigung des Verfahrens und trägt zur Effizienz des Anfechtungsrechts bei.

IV. Wirkungen der Rechtsbehelfseinlegung 10. Die Einlegung des Rechtsbehelfs aus Art. 5 Abs. 1 EuInsVO hat keine aufschie- 634 bende Wirkung. Dies entspricht der Rechtslage sowohl in Deutschland als auch in Österreich und in Frankreich (Rn. 448 f.). Ein mit der Anfechtung verbundener Suspensiveffekt wäre mit der effizienten Abwicklung von Insolvenzverfahren unvereinbar (Rn. 452 ff.). Die Effektivität des Anfechtungsrechts muss daher durch eine möglichst zügige Entscheidung über den Erfolg des Rechtsbehelfs gewährleistet werden (Rn. 455 f.).

V. Wirkungen einer Entscheidung über den Rechtsbehelf 11. Gibt ein Gericht dem Rechtsbehelf aus Art. 5 Abs. 1 EuInsVO statt, ist das zu 635 Unrecht eröffnete Hauptinsolvenzverfahren nicht per se aufzuheben. Zumindest nach deutschem Recht kommt in bestimmten Fällen eine Fortführung als Partikularinsolvenzverfahren in Betracht. Dies ergibt sich aus einer analogen Anwendung des Art. 102c § 2 Abs. 1 Satz 2 EGInsO (Fortführung eines prioritätsprinzipswidrig eröffneten Verfahrens als Sekundärinsolvenzverfahren), der im Wege eines Erst-RechtSchlusses auch dann gelten muss, wenn die deutsche Verfahrenseröffnung mangels vorheriger Verfahrenseröffnung im Ausland zwar nicht prioritätsprinzipswidrig, aber dennoch wegen der fehlenden internationalen Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO (Anknüpfung an das COMI des Schuldners) fehlerhaft erfolgt ist (Rn. 460 ff.). Erforderlich für die Fortführung ist jedoch, dass die Voraussetzungen für ein Partikularverfahren vorliegen und sich der ursprüngliche Antrag entsprechend umdeuten lässt (Rn. 466). 12. Der Rechtsbehelf aus Art. 5 Abs. 1 EuInsVO kann sich auch gegen den Erlass 636 einer vorläufigen Sicherungsmaßnahme richten, die bereits die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens im Sinne von Art. 2 Nr. 7 EuInsVO darstellt. Wird die vorläufige Sicherungsmaßnahme im Wege des Rechtsbehelfsverfahrens aufgehoben,

249

Schlussbetrachtung und Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

erledigt sich auch der auf Erlass der endgültigen Verfahrenseröffnung gerichtete Eröffnungsantrag, selbst wenn dieser aufgrund nationaler Besonderheiten noch anhängig sein sollte. Das Schicksal des (unzulässigen) Eröffnungsantrags kann nicht davon abhängig gemacht werden, ob das Beschwerdegericht lediglich die vorläufige Sicherungsmaßnahme oder den Eröffnungsbeschluss selbst aufhebt. Der ursprüngliche Eröffnungsantrag kann daher nicht mehr herangezogen werden, um auf seiner Grundlage ein Partikularverfahren zu eröffnen (Rn. 467 ff.).

637 13. Die Aufhebung der Eröffnungsentscheidung im Zuge eines erfolgreichen Rechtsbehelfsverfahrens muss zur sofortigen Beseitigung der Sperrwirkung führen, die mit der Verfahrenseröffnung eingetreten war. Der unionsrechtliche Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens in die Rechtspflege der übrigen Mitgliedstaaten sowie die der EuInsVO zugrunde liegende Zielsetzung, effiziente und wirksame grenzüberschreitende Insolvenzverfahren zu gewährleisten, verbieten es, die Wirksamkeit der Aufhebungsentscheidung von weiteren Voraussetzungen des nationalen Rechts, wie etwa deren Rechtskraft, abhängig zu machen. Äußerst kritisch zu sehen ist vor diesem Hintergrund die vom deutschen Gesetzgeber im Rahmen des SanInsFoG beschlossene und zum 1.1.2021 in Kraft getretene Änderung des Art. 102c § 4 Satz 2 EGInsO, welche die Vorschrift des § 6 Abs. 3 InsO (Wirksamkeit der Beschwerdeentscheidung erst ab Rechtskraft) im Verfahren nach Art. 5 EuInsVO ausdrücklich für anwendbar erklärt. Sie ist mit dem Unionsrecht nicht vereinbar und daher unangewendet zu lassen (Rn. 487 ff.).

638 14. Wird der Rechtsbehelf eines Anfechtungsberechtigten nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO aus sachlichen Gründen zurückgewiesen, so erstreckt sich die Rechtskraft der ablehnenden Entscheidung nicht auf weitere fristgemäß eingelegte Rechtsbehelfe anderer Anfechtungsberechtigter. Eine Rechtskrafterstreckung der Beschwerdeentscheidung ist weder dogmatisch begründbar noch aus Zweckmäßigkeitserwägungen geboten (Rn. 526 ff.).

639 15. Wird ein von einem international unzuständigen Gericht eröffnetes Hauptinsolvenzverfahren infolge einer erfolgreichen Anfechtung nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO aufgehoben, entfaltet die Aufhebungsentscheidung lediglich Wirkung für die Zukunft. Da die mit der Verfahrenseröffnung eingetretenen Wirkungen nicht rückwirkend entfallen (Rn. 535 ff.), bleiben auch vor der Verfahrensaufhebung vorgenommene (massebezogene) Rechtshandlungen des ehemaligen Insolvenzverwalters uneingeschränkt wirksam (Rn. 544 ff.). Dies betrifft auch Handlungen, aufgrund derer Gläubiger Forderungen gegen die Masse erworben haben (Masseverbindlichkeiten, Rn. 549 ff.).

640 16. In vielen Fällen wird im Anschluss an die Aufhebung des Insolvenzverfahrens infolge einer erfolgreichen Anfechtung nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO die Eröffnung eines erneuten Hauptinsolvenzverfahrens im „richtigen“ COMI-Staat erfolgen (Rn. 554 f.). Noch ausstehende Masseverbindlichkeiten des aufgehobenen Verfahrens,

250

B. Zusammenfassung der wesentlichen Untersuchungsergebnisse

die auch nach der lex fori concursus des neuen Hauptverfahrensstaats bevorzugt behandelt werden („doppelt-privilegierte Forderungen“), sind zu erfüllen (Rn. 560 f.). Mangels fortgeltender Kompetenzen des ehemaligen Verwalters kommt diese Aufgabe dem Insolvenzverwalter des neuen Hauptinsolvenzverfahrens zu. Gläubiger von Masseverbindlichkeiten, die nach der neuen lex fori concursus nicht vorrangig zu begleichen sind („einfach-privilegierte Forderungen“), müssen sich an den Schuldner halten. Mit der neuen Verfahrenseröffnung werden ihre Forderungen zu einfachen Insolvenzforderungen (Rn. 560). 17. Begründet der Verwalter des später aufgehobenen Verfahrens Masseverbind- 641 lichkeiten, obwohl mit der Aufhebung der Eröffnungsentscheidung infolge einer Anfechtung nach Art. 5 EuInsVO zu rechnen war, und führt dies zu einem Forderungsausfall der Massegläubiger, kommt eine Verwalterhaftung in Betracht. Im deutschen Recht ist § 61 InsO analog anzuwenden (Rn. 570 ff.).

VI. Bewertung und Korrekturvorschläge 18. Indem die Neufassung der EuInsVO durch den verordnungsautonomen Rechts- 642 behelf in Art. 5 Abs. 1 EuInsVO ein Mindestmaß an Rechtsschutz gegen die Verfahrenseröffnung gewährt, gelingt es ihr, die insbesondere für Gläubiger in einer Reihe von Mitgliedstaaten – wie in Deutschland (Rn. 177 ff., 186) und in Frankreich (Rn. 228 ff.) – insoweit bestehenden Rechtsschutzdefizite zu beheben (Rn. 579 f.). Der vom europäischen Gesetzgeber gewählte Ansatz, die nähere Ausgestaltung des Anfechtungsrechts den nationalen Verfahrensrechten zu überlassen, hat jedoch nicht nur erhebliche Unstimmigkeiten im Vertikalverhältnis an der Schnittstelle zwischen europäischem und nationalem Recht hervorgerufen (Rn. 592 ff.). Auch hat der Rückgriff auf das nationale Verfahrensrecht aufgrund der bestehenden Unterschiede in den nationalen (Verfahrens-)Rechtsordnungen voneinander divergierende Rechtsschutzstandards im Horizontalverhältnis je nach Eröffnungsstaat und damit einen zumindest ansatzweise unterschiedlichen Umgang mit europäischem Sekundärrecht zur Folge (Rn. 586 ff.). 19. Um die verbleibenden Unzulänglichkeiten zu beseitigen, sollte der europäische 643 Gesetzgeber bei nächster Gelegenheit eine Nachbesserung des Art. 5 EuInsVO vornehmen und das Anfechtungsrecht detaillierter ausgestalten (Rn. 603 ff., 612 ff. mit entsprechendem Formulierungsvorschlag). So sollte die Verordnung eine einheitliche Anfechtungsfrist von 30 Tagen vorsehen, die mit der öffentlichen Bekanntmachung der Eröffnungsentscheidung im Insolvenzregister des Eröffnungsstaates zu laufen beginnt. Zudem sollte Art. 5 EuInsVO klarstellen, dass dem Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung zukommt. Weiterhin sollte die Verordnung ausdrücklich festschreiben, dass die infolge einer erfolgreichen Anfechtung ergangene Aufhebung der Eröffnungsentscheidung sofort wirksam ist, die Wirkungen des zu Unrecht eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens jedoch nur für die Zukunft entfallen. Unabhängig davon sollte die Kommission in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten 251

Schlussbetrachtung und Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

schnellstmöglich einen Überblick über die verschiedenen nationalen Rechtsbehelfe in „Umsetzung“ von Art. 5 EuInsVO auf dem Europäischen Justizportal bereitstellen (Rn. 610).

644 20. In der Zwischenzeit sollte auch der deutsche Gesetzgeber (erneut) tätig werden und im Wege einer Korrektur des Art. 102c § 4 EGInsO das nationale Recht präziser auf die unionsrechtlichen Vorgaben der Verordnung abstimmen (Rn. 618 ff. mit entsprechendem Formulierungsvorschlag). Auch wenn die aufgezeigten Missstände letztlich nur auf europäischer Ebene beseitigt werden können, kann eine kurzfristige, aber dennoch wohlüberlegte nationale Nachbesserung die Rechtsanwendung hierzulande bereits erheblich vereinfachen.

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Stichwortverzeichnis

Absonderungsberechtige Gläubiger

siehe Gläubiger Aktivmasse 551 Amtsermittlungsgrundsatz 53, 504 Amtshaftung 575 Amtsprüfungspflicht 37, 52 ff., 504, 582, 621 – Inhalt 56 ff. – Zweck 53 ff. Anerkennungswirkung 48, 66 ff., 79, 94, 246, 495 Anfechtungsberechtigung 163, 258, 293 ff. – Gläubiger 307 – Konkretisierung 305 ff. Anfechtungsfrist 259, 332 ff., 595 – Dauer 384 ff., 595, 601 – Fristauslösendes Ereignis 347 ff., 596 Anordnung vorläufiger Sicherungsmaßnahmen 132, 147, 184, 281, 282, 336 Anwendungsvorrang 92, 402, 418 appel 219 ff., 286, 302, 343, 428, 439 Arbeitnehmerfreizügigkeit 47 asset deal 451, 544 aufschiebende Wirkung siehe Suspensiveffekt Ausfallrisiko 571 Aussonderungsberechtigte Gläubiger siehe Gläubiger Automatische Anerkennung siehe Anerkennungswirkung Autonome Auslegung 24, 57, 268

Beendigung des Insolvenzverfahrens 493 ff. – Rechtskraft 476 ff. – Rückwirkung 535 ff. – Wirksamkeit 492 ff. – Wirkungen 534 ff. – Zeitpunkt 471 ff., 492 ff. Begründung 260, 425 ff. Beschleunigungsgrundsatz 220, 401, 426, 429, 433, 437, 518 Beschwer 173, 194, 258, 305 ff. – Antragsteller 329 f. – aussonderungsberechtigte Gläubiger 326 – Begriff 317 – Darlegung 327

– formelle 173, 194 – Funktion 311 – Insolvenzgläubiger 326 – Konkretisierung 320 ff. – materielle 173, 194 – Schuldner 319, 326 Beschwerdegericht 180, 261, 431 ff. Beschwerdeverfahren 262 Beweislast 358, 414 Brexit 17, 49

Centre of main interests

siehe COMI Coeur Défense 232, 303 COMI 19 ff. – Definition 23 ff. – Gesellschaften 30 – Juristische Personen 30, 41 ff. – Kontrollmechanismen 51 ff. – Maßgeblicher Zeitpunkt 21 f. – Natürliche Personen 31, 44 – Singularität 24 – Sperrfristen 33 ff. – Verbraucher 32 – Vermutungen 29 ff., 36 ff.

Daisytek

90 Dispositionsmaxime 107, 122 Doppelt-privilegierte Forderungen 560 ff.

Effektivitätsgrundsatz (effet utile)

274, 310, 345, 429, 534 Eigenantrag 127, 154, 173 f., 329 Einfach-privilegierte Forderungen 560 ff. Einheitsanknüpfung 24, 31 Eröffnungsbeschluss 147, 150, 160 f., 169, 171, 193, 458 – Zustellung 336, 352, 380 Eröffnungsentscheidung – Aufhebung 461, 471 ff. – im Sinne der EuInsVO 159 f., 168 f., 468 – Kenntnisnahme 357 ff., 366, 394 f. – Nichtigkeit 89 – prioritätsprinzipswidrig 85 ff. – Zustellung 350 ff. EuInsVO (2015) – Gesetzgebungsverfahren 250, 390

285

Stichwortverzeichnis EuInsVO 2000 48, 155 – Evaluation 246, 249, 321, 348 Eurofood 41, 51, 75, 83, 160, 509 ff. Europäisches Insolvenzregister 348, 370 Europäisches Justizportal siehe Justizportal der Europäischen Union Eurotunnel 230 f., 248, 303, 321

Forderungsanmeldung 369, 388, 429 Form 260, 425 ff. Forum Shopping 34, 47 ff., 245 ff.; 267, 582 ff., 621 Frist siehe Anfechtungsfrist

Insolvenzgeldvorfinanzierung 148, 183 Insolvenzgläubiger 196, 300, 307, 314, 319, 326 Insolvenzmasse 114, 551 Insolvenzregister 100 ff., 333, 348, 362, 366, 411, 431, 599 Insolvenztourismus 48, 245 ff., 267, 582 ff., 621 Insolvenzverfahren – Eröffnung 146 ff. – im Sinne der EuInsVO 580 Insolvenzverwalter 544 ff. – Haftung 570 ff. – vorläufiger 184, 281, 282, 336 Instanzenzug 262, 440 ff., 502 Interedil 22, 27 f., 30, 41

Gebot zur loyalen Zusammenarbeit 277 f. Geltungserhaltende Korrektur 403 Geltungserstreckung 65 Gericht 164, 261, 431 Gerichtsorganisation 268, 292, 431 ff. Gläubiger 296, 307, 313 f. – absonderungsberechtigte 197, 300, 313 – ausländische 321 ff., 355 ff. – aussonderungsberechtigte 197, 295, 300, 307, 313, 326 – Insolvenzgläubiger 196, 300, 307, 314, 319, 326 – nachrangige 296 – räuberische 380, 454 Gläubigerrechte 156, 251, 585 Gläubigerschutzverbände 199 Grundsatz der automatischen Anerkennung 66 ff., 246 siehe auch Anerkennungswirkung Grundsatz der Nichtdiskriminierung 245 Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens 67, 84, 94, 246, 503 ff., 547, 583 f.

Masseforderungen 91, 551 Massegläubiger 551, 557 ff., 570 ff. Masserelevante Rechtshandlungen 544 Masseverbindlichkeiten 91, 551, 557 ff. Masseunzulänglichkeit 571 MG Probud Gdynia 88, 104

Haftung

Niederlassung

568 ff. – Amtshaftung 575 – des Insolvenzverwalters 570 ff. Harmonisierung 46, 252 ff. Hauptinsolvenzverfahren – Eröffnungswirkungen 113 – Priorität 76 – Singularität 85 – Sperrwirkung 76 ff. – Universalität 64 ff. Hilfsantrag 469

Indirekter unmittelbarer Vollzug

272, 277 Informationsdefizite 347, 355 f., 366 Insolvenzedikt 193, 341

286

Justizportal der Europäischen Union

100,

580, 599, 610

Kassationsbeschwerde 222, 446 Kompetenzkonflikt 85, 555 – positiver 79, 85, 485, 498 Korrekturvorschläge 601 ff., 611 ff. Lex fori concursus 1, 11, 45, 277, 534, 561 liquidation judiciare 213 – Verfahrenseröffnung 214 – Wirkungen 216

21, 31, 106 Niederlassungsfreiheit 47 NIKI 136 f., 264, 472 ff.

Öffentliche Bekanntmachung

100 ff., 337, 341, 344, 348, 362 ff., 399, 410, 599 Öffentlichkeit des Verfahrens 100, 169, 362, 410 Ordre public-Vorbehalt 74 f., 251

Partikularinsolvenzverfahren – – – –

Antragsbefugnis 109 Fortführung 111, 460 ff. Neueröffnung 467 f. Voraussetzungen 463

52, 73

Stichwortverzeichnis Passivmasse 551, 557 perpetuatio fori 21 Popularklagen 8, 328 pourvoi en cassation 222, 446 pre-pack sale 451, 545 Prioritätsprinzip 76 ff., 98 ff., 319, 485, 498 – Verstoß gegen 85 ff. procédure de sauvegarde 211 – Verfahrenseröffnung 214 – Wirkungen 215 Publizität der Eröffnungsentscheidung 84, 98 ff., 351, 362 ff., 371, 410, 599

Rechtsbehelfsbelehrung 414 f. Rechtsbeschwerde 182, 442 f., 501 f. Rechtshängigkeitssperre 82 f. Rechtskraft – der Aufhebungsentscheidung 472 ff. Rechtskrafterstreckung 517 ff. – Grenzen 526 ff. Rechtsschutzbedürfnis 8, 175, 198, 226 f., 295 redressement judiciaire 212 – Verfahrenseröffnung 214 – Wirkungen 215 relevé de forclusion 405 Rekurs 193 ff. Rekursberechtigung 194 ff., 205, 299 ff. Rekursgrund 200 Rekurslegitimation siehe Rekursberechtigung Rekursverfahren 201 f., 207 Restschuldbefreiung 49, 239, 369 Restschuldbefreiungstourismus 35, 48, 365 – siehe auch Insolvenztourismus Revision 440 ff. Revisionsbeschwerde siehe Kassationsbeschwerde Revisionsrekurs 202, 207, 444 f. Rückwirkung 535 ff. SanInsFoG

475 sauvegarde siehe procédure de sauvegarde Schuldnerantrag siehe Eigenantrag Sekundärinsolvenzverfahren 73, 104 ff. – Antrag 107 ff., 120 ff., 386 f. – Antragsbefugnis 108 ff., 127, 142 f. – Eröffnungswirkungen 113 – Fortführung 104 ff., 139 ff., 461 – Funktion 115 ff. – Neueröffnung 152

– Voraussetzungen 105, 461 Sofortige Beschwerde 171 ff., 180 f., 282 Sperrfristen 33 ff. Sperrwirkung 76 ff., 540 – Auslöser 81 – Eintritt 510 – Fortbestand 474 – Funktion 82 – Herleitung 78 ff. – Verstoß gegen 85 ff. – Wegfall 264, 472 ff., 494, 511, 514 Spruchrichterprivileg 575 Standardformular 399, 421, 430 Staubitz-Schreiber 21 Suspensiveffekt 263, 447 ff.

Territorialverfahren

72 f., 460 Tierce opposition 223 ff., 303 – Verfahren 235 – von Gläubigern 228 ff.

Umdeutung – des Eröffnungsantrags 120 ff. Universalitätsprinzip 64 ff., 264, 583 – Grenzen 71 ff., 104, 460 Unterrichtung 351, 354 ff., 413 Ursprungsfassung der EuInsVO siehe EuInsVO 2000

Verbraucher

32, 44 – COMI 32 Verbraucherinsolvenz 236 ff. Verfahrenseröffnung – Bekanntmachung 351, 362, 371, 410 – im Sinne der EuInsVO 147, 159 f., 468 – Kenntnisnahme 357 ff., 366, 394 f. – Nichtigkeit 89 ff. – prioritätsprinzipswidrig 85 ff. – Zeitpunkt 510 Verfahrensverbindung 518 Verfügungsbefugnis 171, 319, 326, 551, 556 Verkündung 339, 381 Vermutungen siehe COMI Verordnungskonforme Auslegung 491 Vorläufige Sicherungsmaßnahmen 146, 161, 169, 184 – als Verfahrenseröffnung 147, 159 f., 468 Vorläufige Verwalterbestellung 161, 169, 184 Vorlagepflicht 182, 442 f., 449

287

Stichwortverzeichnis

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 404 ff. – Anwendbarkeit 407 – Beweislast 414 – Frankreich 405 – Österreich 405 – Voraussetzungen 404 Wirkungserstreckung 65, 69 f., 78, 82, 94, 104, 583

288

Wissenszurechnung 360

Zusicherung

377, 386 f. Zustellung – der Eröffnungsentscheidung 180, 191, 201, 220, 335 f., 341, 343, 350 ff. – Zustellungsfiktion 371 ff.